326 78 517MB
German Pages 681 Year 1929
Der Weltkrieg J9J4 bis J91$
Bearbeitet im
Reichsarchiv *
Die militärischen Operationen zu Lande
Fünfter Band
Verlegt bei
G. Mittler 6c Gohn
Berlin im Jahre
Der Herbst-Leldzug 19M Im VPejlen bis zum Stellungskrieg
Im Osten bis zum Rückzug
Mit achtzehn Aarten
und vierzehn Skizzen
Verlegt bei E« G. Mittler 6c Gohn
Berlin im Jahre
25684
Alle Rechte aus dem Gesetze vom J?. Juni J90J
sowie das Übersetzungsrecht sind vorbehalten Copyright; 1929 by E. S. Mittler & Sohn, Berlin
Einführung zum fünften und sechsten Band. Der vorliegende fünfte Band und der in Kürze erscheinende sechste enthalten die Darstellung der Herbstfeldzüge 1914 auf beiden KriegsschauPlätzen. Nach den gleichzeitigen Rückschlägen an der Marne und in Galizien um die Mitte des Monats September treten die engen Wechselwirkungen
zwischen West und Ost so scharf hervor, daß das bisherige Verfahren, die Vorgänge auf beiden Kriegsschauplätzen für bestimmte Zeitabschnitte in gesonderten Bänden zu schildern, Verlasien werden mußte, um die großen
Zusammenhänge des Mehrfrontenkrieges, insbesondere die durch ihn bedingten krisenhaften Spannungen der Gesamtkriegslage klar erkennbar zu machen. In Zukunft wird daher jeder Band die Vorgänge eines operativen Zeitabschnittes auf allen Kriegsschauplätzen gleichzeitig und zusammenhängend schildern. Hierbei wird die Tätigkeit der Obersten
Heeresleitung, soweit sie die Gesamtkriegsleitung betrifft, getrennt von ihrer Führung auf den einzelnen Kriegsschauplätzen dargestellt, damit die Verschiedenartigkeit und Vielseitigkeit der ihr obliegenden Aufgaben klar
hervortritt. !lm das Gesamtwerk nicht zu umfangreich zu gestalten, ist die Schilderung der Ereignisse an den Kampffronten wesentlich fürzer als bisher gehalten. Während bei der großen Bedeutung des Bewegungskrieges im Westen bis zur Marneschlacht und im Osten bis zur Befreiung Ostpreußens eine ausführlichere Darstellung der Kämpfe an der gesamten Front geboten erschien, sind diese nunmehr nur an d e n Teilen der Kampffront ein-
gehender geschildert worden, wo ihr Ergebnis bedeutsam und von Einfluß
auf die operativen Entschließungen der obersten Führung gewesen ist. Die grundlegende Wandlung, die sich im Westen durch den Übergang vom Be-
VIII
Einführung zum fünften und sechsten Band.
wegungs- zum Stellungskrieg vollzog, erforderte hier eine etwas eingehendere Würdigung der Kämpfe an der Front, als im Osten. Die Schilderung der Vorgänge bei den Gegnern bringt lediglich einen
operativen Gesamtüberblick ohne Einzelheiten der Kämpfe. Die historische Kommission hat den General der Infanterie a. D. Herrn Dr. phil. v. Kühl in Berlin-Steglitz und den Geheimen .hofrat Herrn Dr. Brandenburg, ordentl. Professor der Geschichte an der Aniver-
sität Leipzig, mit der Prüfung des V. und VI. Bandes beauftragt.
Reichsarchiv sagt beiden Berichterstattern feinen besonderen Dank.
Das
Inhaltsverzeichnis. Der Herbstfeldzug 1914. Im Westen bis zum Stellungskrieg. Im Osten bis zum Rückzug. I. Grundlegende Entscheidungen für die Gesamtkriegführnng
1
II. Die Operationen in Frankreich und Belgien von Mitte September bis Anfang November 1914. ...
16
A. Der deutsche Gegenangriff zwischen Somme und Mosel 1. Der Entschluß des Generals v. Falkenhayn für die Führung der Operationen im Westen
16 16
2. Die Kämpfe vom 15. bis 18. September
26
a) Der rechte Äeeresflügel (1., 7. und 2. Armee) b) Die Äeeresmitte (3., 4., 5. Armee einschließlich Armee-Abteilung Strantz) 3. Die Oberste Heeresleitung in der Vorbereitung der Entscheidung
26
4. Die Ereignisse vom 19. bis 22. September
a) Der rechte Äeeresflügel b) Die Äeeresmitte 5. Die Frontfahrt des Generals v. Falkenhayn 6. Die Offensive vom 23. bis 27. September a) Das Eingreifen der 6. Armee und ihre Kämpfe vom 23. bis 25. September b) Die Ereignisse bei der Äeeresmitte (1., 7., 2., 3., 4. und 5. Armee) vom 22. bis 25. September
c) Die Erstürmung der E6tes Lorraines und die Eroberung des Forts Camp des Romains durch die Armee-Abteilung Strantz .... ä) Drängen der Obersten Heeresleitung auf allgemeinen Angriff . . e) Der große Angriff am 26. und 27. September
46 56 69
69 73 74 84
84 91
95 102 108
7. Der linke Äeeresflügel (Armee-Abteilungen Falkenhausen und Gaede) vom 15. September bis Anfang Oktober 8. Die Vorgänge beim Feinde vom 14. bis 27. September a) Die französische und britische Führung in der Zeit vom 14. bis 20. September b) Abwehrmaßnahmen gegen den deutschen Vorstoß bei St. Mihiel. Eingreifen der französischen 2. Armee am linken Flügel c) Die französische und britische Führung in der Zeit vom 25. bis 27. September
d) Zustand der französischen Truppen Ende September 9. Betrachtungen zu den Kämpfen vom 15. bis 27. September ....
118 123 123
134 139
141 143
Inhaltsverzeichnis.
X
Seite
B. Das Ringen um die Flanke
146
I. Die Schlacht bei Areas und der Durchbruchsver-
such bei Roye 1. Neue Entschließungen der Obersten Heeresleitung
146 146
2. Die deutsche Äeeresmitte vom 28. September bis zum 10. Oktober a) Die 5. Armee einschließlich der Armee-Abteilung Strantz
153
. .
153
b) Die Kämpfe in den Argonnen vom 28. September bis zum 13. Oktober
154
c) Die Ereignisse aus der übrigen Front der deutschen Heeres mitte vom 28. September bis 10. Oktober
159
3. Die Kämpfe auf dem rechten Heeresflügel in der Zeit vom 28. September bis zum 1. Oktober
162
a) Die 6. Armee vom 28. September bis zum 1. Oktober
...
162
b) Die Durchbruchsversuche bei Roye vom 30. September bis zum 1. Oktober
170
4. Die Oberste Heeresleitung und der Umfassungsversuch über Arras
173
5. Die Entwicklung der Schlacht um Arras 4. Oktober
vom 2. bis zum
6. Die Krise der Schlacht am 5. Oktober
178
187
7. Die Fortsetzung und das Ende der Durchbruchsversuche bei Roye vom 2. bis 9. Oktober 8. Das Ende der Schlacht um Arras vom 6. bis 10. Oktober ...
192 198
9. Die Operationen des 4. Kavalleriekorps auf dem deutschen rechten Heeresflügel vom 4. bis 10. Oktober
208 '
10. Die Einstellung der Kämpfe aus dem rechten Flügel der 6. Armee. 11. bis 13. Oktober
11. Die Oberste Heeresleitung beim Abschluß der Schlacht um Arras 12. Die Einnahme Antwerpens 13. Die Vorgänge beim Feinde während der Schlacht bei Arras vom 28. September bis 10. Oktober
214
218 221 245
a) Die französische und britische Führung in der Zeit vom 28. September bis 3. Oktober. Bildung der Armee-Abteilung de Maud'huy 245 b) Ereignisse nördlich der Oise vom 30. September bis 4. Oktober 249 c) Die französische und britische Führung am 4. und 5. Oktober.
Bildung der Heeresgruppe Foch
254
d) Die Krists in den Kämpfen um Arras 257 e) Die alliierte Führung und die Ereignisse vom 7. bis 10. Oktober 261 14. Betrachtungen zu den Kämpfen um Arras 270
II. Die erste Schlacht in Flandern 1. Die Bereitstellung der neuen Reservekorps 2. Der Entschluß zum Einsatz der neuen Reservekorps und die EntWicklung des Operationsplans bis zum 18. Oktober
272 272 275
Inhaltsverzeichnis.
XI Seite
3. Die Vorbereitungen zur Flandernoffensive bei der 6. Armee vom 14. bis 19. Oktober
291
4. Der Aufmarsch und Vormarsch der 4. Armee bis zum 19. Oktober
295
5. Die Kämpfe der 4. und 6. Armee vom 20. bis 23. Oktober
. .
304
6. Die Kämpfe der 4. und 6. Armee vom 24. bis 29. Oktober
. .
318
a) Die 4. Armee
318
b) Die Kavalleriegruppe Marwitz
324
c) Die 6. Armee
325
7. Die Oberste Heeresleitung und die Bildung der Armeegruppe Fabeck 327 8. Die Kämpfe der 4. und 6. Armee vom 30. Oktober bis 3. No¬ vember
332
9. Die Oberste Heeresleitung beim Abschluß der ersten Schlacht in Flandern 347 10. Die Heeresfront von der Somme bis zur Schweizer Grenze vom 10. Oktober bis 3. November
350
11. Die Vorgänge beim Feinde während der Flandernoffensive vom 11. Oktober bis 3. November
357
a) Eingreifen der Engländer am linken Flügel. Frontmachen der Belgier hinter der Wer 357 b) Ereignisse vom 17. bis 20. Oktober. Bildung der französischen Armee-Abteilung „Belgien". Beginn der Schlacht in Flandern 369 c) Fortsetzung der Schlacht in Flandern. Ereignisse vom 21. bis 23. Oktober d) Die alliierte Führung in der Zeit vom 24. Oktober bis 3. November. Fortsetzung der Kämpfe in Flandern ....
12. Betrachtungen zur ersten Flandernschlacht III. Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914. . .
375 380
399 402
Die Operationen zur Entlastung des österreichisch-ungarischen Heeres in Südpolen 402 1. Der Vormarsch gegen die mittlere Weichsel bis zum 5. Oktober a) Die Aufstellung der deutschen 9. Armee b) Die Abmachungen mit den Verbündeten. — Stellung zur Obersten
402 402
Heeresleitung c) Beginn der Bewegungen und Gefecht bei Opatow, 30. Septem¬
411
ber bis 5. Oktober
418
cl) Maßnahmen der Nüssen und Ergebnis des deutschen Vormarsches 429 2. Die Verschiebung nach Norden bis zum 13. Oktober a) Die Kämpfe vor Iwangorod und Warschau bis 10. Oktober .
435 435
b) Bekanntwerden der russischen Angriffsabsichten und Kämpfe vom 11. bis 13. Oktober
445
c) Maßnahmen der Nüssen
457
XII
Inhaltsverzeichnis. Seite
3. Das Eingreifen der österreichisch-ungarischen 1. Armee
462
a) Verhandlungen und Ereignisse vom 13. bis 19. Oktober ....
462
d) Der Angriff der österreichisch-ungarischen 1. Armee bei Jwangorod 471 4. Der Rückzug aus Polen a) Die Kämpfe auf dem Westflügel der 9. Armee und die Ein¬
485
leitung des Rückzuges 485 b) Die russischen Operationen und Würdigung des Oktoberfeldzuges 491 B. Die Operationen in Ostpreußen bis zum Rückzug in die Lotzen-
Angerapp-Stellung
501
1. Die Kämpfe unter General v. Schubert a) Lage, Aufgabe und Absichten der neuen 8. Armee
501 501
b) Die Kämpfe von Ende September bis 3. Oktober 1914 ....
508
Die Beschießung von Ossowjez Der Vorstoß gegen den Njemen Die Kämpfe bei Augustow—Suwalki vom 29. September bis
508 509
3. Oktober
513
c) Eine Unternehmung gegen die russische Küste 520 d) Die Absichten des Gegners und Würdigung der bisherigen deutschen Operationen 521 2. Die Kämpfe unter General v. Francis
526
a) Der Wechsel im Oberbefehl und die Kämpfe des Südflügels bis zum 8. Oktober
526
b) Das Eintreffen des XXV. Reservekorps und die Fortsetzung der Kämpfe auf dem Südflügel bis zum 29. Oktober 530 c) Die Kämpfe des Nordflügels vom 2. bis 28. Oktober
....
536
6) Der Entschluß zum Rückzüge in die Lötzen-Angerapp-Stellung 538 e) Die russischen Operationen im Oktober und Würdigung der deutschen Operationen
C. Betrachtungen über die Gesamtoperationen im Osten
IV. Eine Krise des Zweifrontenkrieges V. Rückblick
542
549
553 565
Anlagen. Anlage 1: Kriegsgliederungen
589
Anlage 2: Truppenverschiebungen Anlage 3: Quellennachweis
606 620
Personenverzeichnis Truppenverzeichnis
623 631
Inhaltsverzeichnis.
XIII
Narren und Skizzen. Orte, die aus technischen Gründen in den Karten 1:1 000 000 nicht einzutragen waren, sind auf den entsprechenden Karten 1:300 000 oder 1:200 000 enthalten. Die Karten befinden sich in der Kartentasche am Schluß des Bandes.
A. Westen. Karte 1 (1:1000000).
Das deutscheWestheer am 15. September 1914.
Karte 2 (1:300000). Der deutsche rechte Äeeresslügel am 17. und 18. September 1914. Karte 3 (1:300000). Die deutsche Äeeresmitte vom 17. bis 25. Sep¬ tember 1914.
Karte 4 (1:1000000). Das deutscheWestheer am 23. September 1914. Karte 5 (1:300000). Die deutsche 6. Armee am 26. und 27. Sep¬ tember 1914.
Karte 6 (1 :1000000). Das deutsche Westheer am I.Oktober 1914. Karte 7 (1:300000). Die deutsche 6. Armee und Heeresgruppe Foch am 5. Oktober 1914.
Karte 8 (1:1000000).
Das deutsche West Heer am 10. Oktober 1914.
Karte 9 (1 : 1000000). Die Front der alliierten Armeen am Abend des 14. September, 1. und 20. Oktober 1914.
Karte 10 (1:1000000). Das deutsche West Heer am 20. Oktober 1914. Kartell (1:200000). Die deutsche 4. Armee am 21. und 29. Oktober 1914.
Karte 12 (1:200000).
Der Kampf an der^ser und im^pernbogen
am 30. Oktober 1914.
Karte 13 (1:300000). Lage bei der 6. Armee einschließlich der Gruppe Fabeck am 30. Oktober 1914. Skizze 1. Kämpfe in den Argonnen vom 28. September bis 13. O ktob er 1914.
Skizze 2.
Lage vor Antwerpen vom 24. September bis 8. Oktober 1914.
Skizze 3.
Bewegungen
des
Belagerungskorps
26. September bis 10. Oktober 1914.
Skizze 4.
Vormarsch
des
zur Einnahme
verstärkten
Beseler
Antwerpens
III. Reservekorps
vom am
vom
12. Oktober bis 18. Oktober 1914.
B. Osten. Karte 14. Gesamt front gegen Rußland. Lage am 1. Oktober 1914 morgens und Vormarsch der Verbündeten in Polen und Galizien bis zum 5. Oktober 1914.
Karte 15. Lage
vor
Iwangorod
tob er 1914.
und
Warschau.
9. bis
12. Ok-
XIV
Inhaltsverzeichnis.
Karte 16. Schlacht bei Iwangorod. 21. bis 22. Oktober 1914. Karte 17. Gesamtfront gegen Nußland. Lage am 26. Oktober 1914 abends.
Karte 18. Vorstoß gegen den Njemen und Kämpfe bei Augustow — Suwalki. 27. September und 2. Oktober 1914.
Skizze 5. Gesamtfront gegenRußland. Lage am 14. September1914.
Skizze 6. Auffassung vom Gegner bei der österreichisch-ungarischen Heeresleitung
am
18. September 1914 vor-
mittags.
Skizze 7. Gefecht bei Opatow.
4. Oktober 1914.
Skizze 8. Wiedergabe einer russischen Skizze, erbeutet durch das deutsche Infanterie-Regiment 129 auf dem Gefechtsfelde von Grojez am 10. Oktober 1914. Skizze 9. Kämpfe bei Kofjenize. Lage am 13. O k t o b e r 1914 m o r g e n s.
Skizze 10. Abschluß der Schlacht vor Iwangorod. 26. Oktober 1914,
4 Ahr nachmittags. Skizze 11. Skizze 12. Skizze 13. Skizze 14.
Lage in Lage in Kämpfe Kämpfe
Ostpreußen am 19. September 1914. Ostpreußen am 4. Oktober 1914. bei Lyck —Suwalki. 5. bis 29. Oktober 1914. bei Wirballen. 6. bis 12. Oktober 1914.
Oer Herbstfeldzug 1914 3m N?esten bis zum Stellungskrieg
Im Osten bis zum Rückzug
I. Grundlegende Entscheidungen für die
Gesamtkriegführung. Am Abend des 14. September übernahm Generalleutnant v. Falken-
Hayn neben seinem bisherigen Amt als Kriegsminister die Geschäfte des Chefs des Generalstabes des Feldheeres. Generaloberst v. Moltke verblieb
zwar, wenngleich nur der äußeren Form nach, auf Wunsch des Obersten
Kriegsherrn zunächst in seiner bisherigen Stellung im Großen Hauptquartier^), die Verantwortung für die künftige Leitung der Operationen wurde indes allein dem einstweilen zum Generalquartiermeister ernannten General v. Falkenhayn übertragen. Die neue Verwendung
war ihm nicht überraschend gekommen, hatte doch bereits am 10. August, noch vor der Abfahrt des Großen Hauptquartiers ins Feld, der Chef des Militärkabinetts, General der Infanterie Freiherr v. Lyncker, die Frage an ihn gerichtet, ob er bei etwaigem Ausfall des
Generalobersten v. Moltke bereit sein würde, die Führung des Feldheeres zu übernehmen^). Während der folgenden schicksalsschweren Wochen war General v. Falkenhayn indes nur, soweit es die Erfüllung seiner Aufgaben als Kriegsminister erforderte, über die Lage der deutschen Armeen und die Nachrichten vom Feinde unterrichtet^) worden, so daß er sich ziemlich unvorbereitet vor die neue Aufgabe gestellt sah. Erst in den allerletzten Tagen, vom 12.September ab, scheint er zu den Vorträgen des Generalstabschefs beim Obersten Kriegsherrn hinzugezogen worden zu sein und eingehendere Kenntnis von den Operationen erhalten zu haben. Der bis-
herigen deutschen Kriegführung hatte er kritisch gegenübergestanden; das unaufhörliche Vorwärtsstürmen, insbesondere das Nachdrängen an Paris vorbei hinter einem Feinde, der seiner Überzeugung nach keineswegs ungeordnet oder gar fluchtartig zurückging, hatte er für einen Fehler gehalten. Dieser Auffasiung verlieh er auch bei einer Aussprache mit Generaloberst v. Moltke am Abend des 14. September Ausdruck. Cs war in der Tat eine schwierige operative Lage, die er von
seinem Vorgänger übernahm. Bei den gleichzeitigen Rückschlägen in West und Ost, an der Marne und in Galizien^), war das Gelingen des Ursprung-
lichen Kriegsplanes für den Zweifrontenkrieg, der im Westen auf einer Der Weltkrieg 1914—18 Band IV, S. 484. — 2) Band IV, S. 540. —
3) H. v. Zwehl: „Erich v. Falkenhayn", S. 66. — 4) Band IV, S. 481. f Weltkrieg.
V. Land.
1
Grundlegende Entscheidungen für die Gesamtkriegführung.
2
raschen und endgültigen Feldzugsentscheidung und im Osten auf einer erfolgreichen Abwehr des russischen Ansturmes aufgebaut war, zunächst ernstlich in Frage gestellt. Den Gedanken, nunmehr auf dem westlichen Kriegsschauplatz unter Übergang zur Defensive in geeigneter Abwehrstellung vorläufig auf die Feldzugsentscheidung zu verzichten und durch Verlegung des Schwergewichtes nach dem Osten zunächst dort die Entscheidung zu suchen, lehnte der neue Leiter der Operationen von vornherein ab1),
obwohl er nicht verkannte, daß die Spannung der Lage im Osten wesentlich verschärft war, und zwar nicht nur durch die Niederlage des österreichischungarischen Heeres in Galizien und den unbefriedigenden Verlauf der bisherigen Operationen auf dem serbischen Kriegsschauplatz, sondern vor allem auch durch die am 23.August erfolgte Kriegserklärung Japans an Deutschland^), die Rußland gestattete, aus Sibirien auch den letzten Mann gegen
die Mittelmächte herbeizuholen. Eine alsbaldige Umgruppierung stärkerer Streitkräfte vom Westen nach dem Osten mußte nach Ansicht des Generals v. Falkenhayn im Westen „zu unerträglichen Verhältnissen führen""), solange die Lage hier nicht völlig gefestigt war. Dieses Ziel schien ihm aber erst nach der Niederwerfung der englifch-französischen Streitkräfte gesichert. Cr glaubte daher, an dem bisherigen Feldzugsplan zur Herbeiführung der endgültigen Entscheidung im Westen durch baldige Wiederaufnahme der Offensive festhalten zu müssen. Auch schien es ihm „möglich, wenn die jetzige deutsche Front hielt, die nördliche französische Küste und damit die Herrschaft über den Englischen Kanal in deutsche Hand zu bringen"^). Gleichwohl war er sich schon jetzt darüber klar, daß eine endgültige Entscheidung im Westen erst nach Wochen zu erwarten stand. Die Frage, ob die Ostfront so lange allein dem Ansturm der immer stärker anschwellenden russischen Massen standhalten und dem Westheere den nötigen Rückenschutz geben könne, war ernst. Das öfterreichisch-ungarische Heer war, an Kampfkraft stark geschwächt, im vollen RückErich v. Falkenhayn, General der Infanterie z. D.: „Die Oberste Heeresleitung 1914 bis 1916 in ihren wichtigsten Entschließungen", Seite 13. Bei der kritischen Bewertung dieser Quelle ist zu beachten, daß die Niederschrift erst im Jahre 1919
aus der Erinnerung, ohne irgendwelche während der Operationen gemachte Personliche Aufzeichnungen und nur zum Teil unter Benutzung amtlichen Quellenmaterials
erfolgt ist. 2) Band I, S. 36. — 3) Falkenhayn, a. a. O. S. 13.
4) Falkenhayn, a.a.O. S. 11 und 12; hier heißt es: „Diese Möglichkeit konnte um so weniger preisgegeben werden, als der Generalstabschef an der dem Ursprung-
lichen Kriegsplan zugrunde gelegten Absicht festhielt, vorerst die Entscheidung im Westen zu suchen, jedenfalls aber sich bei dem Kräfteeinsatz im Osten auf das Mindestmaß zu beschränken, solange die Front im Westen nicht voll gesichert war . .
3
Schwerpunkt der Kriegführung bleibt im Westen.
zuge hinter den San. Seine Heeresleitung — noch ohne Kenntnis von der Wendung der Dinge im Westen — hielt den Zeitpunkt für gekommen, an
dem starke deutsche Kräfte von der französischen an die russische Front zu überführen seien. Daran aber war einstweilen gar nicht zu denken. Der Osten mußte sich trotz allem zunächst allein helfen. Der neue Sieg in Ostpreußen an den Mafurifchen Seen schien aber die Möglichkeit zu bieten, dem verbündeten Heer außer dem bereits bei ihm eingesetzten Landwehrkorps noch weitere Kräfte zuzuführen. So hatte schon Generaloberst v. Moltke auf dringende Hilferufe hin am 13. September zwei deutsche Armeekorps in Aussicht gestellt, die in Ostpreußen einstweilen entbehrt werden konnten. Als dann Generaloberst v. Hindenburg am Abend des 14. September
meldete, daß es der 8. Armee in Ostpreußen doch noch gelungen sei, den Gegner entscheidend zu schlagen, konnte man dort mit noch geringeren Kräften, als bisher angenommen, auskommen und dafür um so
mehr dem Bundesgenossen helfen. Immer schärfer drängte die verbündete Heeresleitung; der oberste Befehlshaber Erzherzog Friedrich wollte erst wieder schlagen, wenn starke reichsdeutsche Streitkräfte unmittelbar Schulter an Schulter mit den öfterreichisch-ungarischen in den Kampf eingreifen konnten. Auf Grund eines sehr ernst lautenden Berichtes des bevollmäch-
tigten deutschen Generals im öfterreichisch-ungarischen Hauptquartier, Generalleutnants Freiherrn v. Freytag-Loringhoven, ordnete General v. Falkenhayn am 15. September unmittelbare Unterstützung des Verbündeten durch eine neue 9. Armee von vier Armeekorps und einer Kavallerie-
Division an"). Der Leiter der deutschen Operationen rechnete darauf, daß diese Kräfte genügen würden, dem verbündeten Heere nicht nur Halt, sondern auch Antrieb zur Wiederaufnahme der Offensive zu geben. Cr hoffte, daß die Ostfront dem russischen Ansturm nunmehr aus eigener Kraft standhalten werde, bis der Feind im Westen niedergerungen war. Hier befand man sich seit der Marneschlacht noch in Abhängigkeit von der französischen Führung; dieser die Initiative wieder zu
entreißen, sah General v. Falkenhayn als seine vornehmste Aufgabe an. Die ursprüngliche, hauptsächlich von Oberstleutnant Hentsch vertretene Auffassung, daß es durch den Einsatz der neugebildeten, aus
Belgien heranmarschierenden 7. Armee auf dem rechten Heeresflügel bald gelingen werde, die nur vorübergehend zum Zweck des Zusammenschlusses der 1. und 2. Armee eingestellte Offensive wieder aufzunehmen und damit die nur für wenige Tage hinausgeschobene Entscheidung im Westen
herbeizuführen^), hatte sich nur zu bald als trügerisch erwiesen. Der größte *) S. 408ff. — -) Band IV, S. 530. 1*
4
Grundlegende Entscheidungen für die Gesamtkriegführung.
Teil der 7. Armee hatte gerade zur Schließung dieser Lücke verwendet werden müssen; zur Abwehr der gegen den rechten Flügel der 1. Armee gerichteten,
immer deutlicher erkennbaren französischen Umsassungsbestrebungen^) standen zunächst nur schwächere Kräfte zur Verfügung. Erst der in der Frühe des 15. September vom rechten Heeresflügel
im Großen Hauptquartier wieder eingetroffene Chef der Operationsabteilung, Oberst Tappen, brachte über die dortige Lage beruhigende Nachrichten^). Eine einheitliche Heeresfront war wieder hergestellt, ein Kräfteausgleich schien bevorzustehen. Es war mit Sicherheit darauf zu rechnen, daß die allerdings für den rechten Flügel der 1. Armee immer noch bestehende Gefahr durch das Herausziehen einzelner Armeekorps aus der verkürzten Heeresfront^) und ihre Inmarschsetzung nach dem rechten Heeresflügel in Bälde gebannt werden würde. Inwieweit das Kriegsinstrument, insbesondere der Angriffsgeist und die Kampfkraft der Truppen durch den Rückschlag an der Marne gelitten hatten, darüber vermochte sich General v. Falkenhayn selbst zunächst kein sicheres Urteil zu bilden. Auf Grund der von Oberst Tappen während seiner Frontfahrt gewonnenen Eindrücke neigte er einer günstigen Auffassung über die Angriffskraft der eigenen Truppen zu, während sie beim Gegner
dem Erlöschen nahe zu sein schien. Durch den Einsatz der zum Teil schon im Antransport befindlichen erheblichen Kräfte der 6. Armee"*) auf dem rechten Heeresflügel gedachte General v. Falkenhayn eine neue entscheidungsuchende Offensive einzuleiten.
Führte diese den erhofften Umschwung der Kriegslage zugunsten der deutschen Waffen herbei, so war durch den Rückschlag an der Marne die Entscheidung auf diesem Kriegsschauplatz nur um eine Reihe von Wochen,
höchstens Monate, hinausgezögert worden. Wenngleich daher zunächst eine erhebliche Verlängerung der Kriegsdauer infolge des Rückschlages an der Marne nicht wahrscheinlich erschien, so drängte sich doch bereits in diesen Tagen die Frage auf, ob für alle weiteren Aufgaben die verfügbaren personellen und materiellen Hilfsmittel ausreichen würden, zumal da die schwierige Abwehraufgabe des Ostheeres gegenüber der immer mehr anschwellenden russischen Überlegenheit nur lösbar war bei reichlicher Zufuhr von Mannschaftsersatz und Munition. Auch nach einem vollen Erfolge im Westen stand noch der große Feldzug im Osten bevor, für den neue Reserven, neuer Ersatz und neue gewaltige Vorräte an Munition sichergestellt sein mußten. I) Band IV, S. 472 und 506. — 2) Band IV, S. 480. — -) Band IV, S. 473. — 4) Band IV, S. 458 und 518.
Die neuen Reservekorps.
5
Die von hohem sittlichen Schwung getragene vaterländische ErHebung und der entschlossene, einmütige Wille des ganzen Volkes, Leib und Leben zur Verteidigung des bedrohten heimatlichen Bodens einzusetzen, hatten in den ersten Augustwochen einen gewaltigen Ansturm von
Kriegsfreiwilligen zu den Fahnen zur Folge gehabt. Insgesamt waren bis zum 11. August weit über eine Million deutscher Jünglinge,
Männer, ja selbst Greise ohne Unterschied der sozialen Schichtung, freiwillig zu den Fahnen geeilt. Da im Frieden für die Bekleidung und Ausrüstung überplanmäßiger Verbände Vorbereitungen nicht getroffen waren, konnte nur eine verhältnismäßig geringe Zahl eingestellt werden. „Um diese gewaltige, noch zur Verfugung stehende Volkskraft') für die Landesverteidigung nutzbar zu machen", hatte General v. Falkenhayn als Kriegsminister bereits am 16. Augusts) die Aufstellung von fünf preußischen Refervekorps
angeordnet. Bayern, Sachsen und Württemberg stellten je eine ReserveDivision auf. Die preußischen Reservekorps erhielten die Nummern XXII bis XXVI, das aus den sächsifch-württembergischen Divisionen gebildete Reservekorps die Nummer XXVII, die bayerische Reserve-Division die Nummer 6. Die Kriegsgliederung der Korps enthielt je 26 Bataillone, 2 Cskadrons, 18 Feldbatterien zu je 4 Geschützen^). Spätestens am 10. Oktober 1914 sollten die neuen Verbände zu mobiler Verwendung bereit
sein. General v. Falkenhayn verkannte nicht, „daß die Durchführung der Maßnahme nur mit Anspannung aller Kräfte geleistet" werden könne, war aber überzeugt, „daß der Eifer und die Hingabe aller Führer wie die bewährte Vaterlandsliebe und Begeisterung unserer Leute das Werk zum Segen des Vaterlandes gelingen lassen" würden. Generaloberst v. Moltke hatte die Schaffung der neuen Reserve-Armee, die allein der persönlichen Initiative des Generals v. Falkenhayn zu verdanken gewesen war, freudig begrüßt. Als dieser Mitte September die Leitung der Operationen übernahm, rechnete er damit, nach Ablauf etwa eines Monats über die neue
Heeresreserve verfügen zu können. Die Erfüllung dieser Hoffnung sollte indes bereits wenige Tage später durch ein Schreiben des Stellvertretenden KriegsMinisters, Generalleutnants v. Wandel, in Frage gestellt werden; hier hieß es: „Euer Exzellenz bitte ich dringend, dem Wunsch nach einer ftühzeitigen Verwendung der Reservekorps b e st i m m t entgegenzutreten. Jeder Tag,
der ihnen länger zur Ausbildung und Festigung gewährt wird, ist von außer¬ *) Näheres hierüber in „Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft" Band I; erscheint in Kürze.
2) Verfügung des Preußischen Kriegsministeriums vom 16. August 1914 M. J. 3531/14 A. 1 über die Aufstellung neuer Armeekorps. 3) Vgl. Anlage 1.
6
Grundlegende Entscheidungen für die Gesamtkriegführung,
ordentlicher Bedeutung." Trotz dieser Warnung hielt General v. FalkenHayn mit Rücksicht auf die Gesamtlage an seinem Entschluß fest, die jungen Korps spätestens von Mitte Oktober ab an der Kampffront zu verwenden.
Im engen Zusammenhange mit der Frage der Heeresreserven stand die des Ersatzes für das kämpfende Heer. Die Gefechtsstärken der Armeen in West und Ost waren durch die wochenlang anhaltenden Kämpfe und Marschverluste stellenweise um 40 bis 50 Prozent gesunken. Es war
dringend notwendig, diese Lücken möglichst schnell wieder zu schließen. Obwohl etwa 150000 Crsatzmannschaften von der Heimat dem Westheere nachgeführt worden waren, hatten diese infolge der nachhaltigen Zerstömng der Bahnen des besetzten Gebietes die Armeen bis Mitte September zum Teil noch nicht erreicht, doch war mit ihrem Eintreffen in allernächster Zeit zu rechnen. Äber diesen bereits zur Front entsandten Mannschaftsnachschub
hinaus verfügten die heimischen Ersatzsormationen für die bevorstehenden Operationen im Westen und im Osten nach den der Obersten Heeresleitung vorliegenden Meldungen noch über weitere nicht unerhebliche Bestände an ausgebildeten Mannschaften, wenn auch zumeist älterer Jahrgänge. Die Rekrutendepots wiesen zur Zeit einen Bestand von rund 280 000 Mann auf. Wenn somit an Mannschafts erfatz bis auf weiteres kein Mangel zu befürchten war, so verursachte die Ergänzung der O f f i z i e r e, vor allem der aktiven Offiziere, Schwierigkeiten. Der Tod hatte furchtbare Ernte in
ihren Reihen gehalten. Weit bedenklicher als die Erfatzlage mußte dem Kriegsminister und jetzigen Leiter der Operationen die Frage der Munitionsverforg u n g der Armeen erscheinen, zumal da ihm bekannt war, daß die vorhan-
denen Mobilmachungsbestände an Artilleriemunition zum größten Teil bereits verbraucht waren. Für ihn als Kriegsminister bedeutete diese ernste Schwierigkeit keine Überraschung. Bei jenem Gespräch am Abend des 14. September^) mit Generaloberst v. Moltke über das bisherige Crgebnis der Operationen hatte er betont, daß vor allem der Mangel an
Artilleriemunition sehr ernst sei. Der voraussichtliche Kriegsbedarf an Munition für Feld- und Fußartillerie war zuletzt im Jahre 1912 in eingehenden Beratungen
zwischen Kriegsministerium und Generalstab ermittelt worden^). Dabei hatten sich allerdings die Forderungen des Großen Generalstabes mancherlei Abstriche gefallen lasten müssen. Aber auch die damals festgelegten Sätze für die einzelnen Geschützarten waren bei Kriegsausbruch noch nicht erreicht *) S. 1. — 2) Näheres: „Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft" Band I.
Ersatz- und Munitionslage.
i
worden, da die Beschaffungen mit Rücksicht auf die hohen Kosten auf eine größere Anzahl von Iahren verteilt worden waren. Der vorhandene Mobilmachungsvorrat an Feld- und Fußartilleriemunition war zu Kriegsbeginn zum größten Teil den Armeen in Munitionszügen verladen zur Verfügung gestellt worden. Der Rest der in der
Heimat befindlichen Bestände stand für die Oberste Heeresleitung als weitere Munitionsreserve zum Abruf bereit. Die Zuweisung dieser und der sonst noch in Festungen, Depots usw. verfügbaren Mengen an die Front erfolgte durch den Chef des Feldmunitionswesens, Generalleutnant Sieger, an den die Armee-Oberkommandos ihre Anforderungen zu richten hatten. Der wider Erwarten starke und schnelle Munitionsverbrauch der ersten
Kriegswochen hatte die Friedensberechnungen weit übertroffen. Nach den Grenzschlachten und der Marneschlacht waren die vorhandenen Vorräte so gut wie aufgebraucht. Die heimische Industrie war zu dieser Zeit noch nicht in der Lage, den Munitionsverbrauch mit der erforderlichen Schnelligkeit und in ausreichendem Maße zu ersetzen. Die in den beiden letzten Vorkriegsjahren, hauptsächlich wiederum auf Betreiben des Generalstabes in die Wege geleiteten Bemühungen der Heeresverwaltung zur Hebung der Leistungsfähigkeit der Munitionsindustrie begannen nach Kriegsbeginn erst allmählich wirksam zu werden. Am einem Munitionsmangel
vorzubeugen, hatte das Kriegsministerium gleich nach Kriegsausbruch um-
fassende Vorbereitungen für vermehrte Munitionsfertigung getroffen. Abgesehen von der auf Anregung des damaligen Leiters der Allgemeinen
Clektrizitätsgefellfchaft, Walter Rathenau, schon in den ersten Augusttagen in Angriff genommenen Bewirtschaftung kriegswichtiger Rohstoffe durch das Kriegsministerium wurden mehrere im Frieden bereits vorbereitete Maßnahmen beschleunigt durchgeführt; vor allem wurde die Leistungsfähigkeit
der staatlichen Munitionsfabriken gesteigert und die Privatindustrie in erhöhtem Maße zu Munitionslieferungen herangezogen. Trotzdem konnte vor Mitte Oktober nicht mit Neulieferungen gerechnet werden und auch dann nur für die Feldartillerie. Aber auch das war nur dadurch ermög-
licht worden, daß im Jahre 1913 ein leicht und schnell zu fertigendes Feldartillerie-Aushilfsgefchoß — die Graugußgranate — konstruiert worden
war. Für die schwere Artillerie hatte man geglaubt, in der reichlichen Aus-
rüstung der Festungen eine genügende Reserve zu besitzen, auf die im Rotfalle das Feldheer zurückgreifen konnte. Die frühzeitige Heranziehung der schweren Artillerie der Festungen zur Verstärkung der Feldarmeen hatte
auch diese Hoffnung zunichte gemacht. So sah sich die Oberste Heeresleitung bereits um Mitte September einem verhängnisvollen Mangel an Artilleriemunition gegenüber, der zunächst
8
Grundlegende Entscheidungen für die Gesamtkriegführung.
nicht behoben werden konnte. Der Ernst der Munitionslage veranlaßte General v. Falkenhayn, bereits wenige Tage nach Übernahme der Heeresleitung folgende schwerwiegende Weisung an die Armee-Oberkommandos ergehen zu lassen: „Äußerste Sparsamkeit mit Artilleriemunition geboten.
Artilleriekampf auf große Entfernungen einschränken. Bestände für Cntscheidung aufsparen." Im Gegensatz zu dem ungünstigen Stande der Geschützmunition war
die Sicherstellung der Munition für Handfeuerwaffen, deren Massenansertigung keine besonderen Schwierigkeiten bot, ohne weiteres gewährleistet. In den bisherigen schweren Kämpfen war im Durchschnitt nicht mehr als ein Drittel des planmäßig bei einem Armee- oder Reservekorps vorhandenen
Munitionsbestandes verschossen worden. Ebenso schwierig wie die Frage der Behebung des Artilleriemunitionsmangels war die C i s e n b a h n l a g e im Rücken des Westheeres im be-
setzten Belgien und Nordfrankreich infolge der nachhaltigen Zerstörungen der dortigen Cifenbahnanlagen, in erster Linie der Kunstbauten. Aber abgesehen hiervon, war es bei den mangelhaften Betriebsverhältnisien der eben erst in
Benutzung genommenen Bahnen Belgiens und Nordfrankreichs, insbesondere bei dem Fehlen zuverlässiger Telegraphen- und Fernsprechverbindungen, sehr zweifelhaft, ob die für schnelle Verschiebung ganzer Heeresteile ersorderlichen Betriebsleistungen erreicht werden würden^). Am der kritischen Lage und aller sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten Herr zu werden, bedurfte es nicht nur einer ungewöhnlichen Tatkraft,
sondern zugleich einer vor nichts zurückschreckenden Verantwortungsfreudigkeit und vorausschauenden Initiative seitens des neuen Leiters der deutschen Operationen.
Bei Übernahme seines neuen Amtes war Generalleutnant v. Falken-
Hayn 52Jahre alt, also, abgesehen von den fürstlichen Oberbefehlshabern, jünger als alle Kommandierenden Generale und Armeeführer. Cr gehörte nicht zu dem Kreise jener Generalstabsoffiziere, die eine besonders vertiefte operative Ausbildung unter Generalfeldmarschall Graf v. Schließen erfahren hatten. Zwar hatte er in jüngeren Iahren auf Grund vortrefflicher Lei¬ stungen auf der Kriegsakademie eine Reihe von Iahren sowohl im Großen
Generalstabe als auch im Truppengeneralstabe Verwendung gefunden, aber gerade in dem Jahrzehnt von 1896 bis 1906, das für die operative J) Band IV, S. 464 und „Das deutsche Feldeisenbahnwesen" Band I, S. 57ss., 84
und 202.
Charakteristik des Generals v. Falkenhayn.
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Schulung des Generalstabes so bedeutungsvoll gewesen war, hatte er sich in militärischer Verwendung in China und Kiautschou befunden. Er konnte also ebensowenig als Vertreter der in strenger Schule strategisch durch-
gebildeten höheren Generalstabsoffiziere gelten wie sein Vorgänger, Generaloberst v. Moltke. General v. Falkenhayn hat diesen Mangel wohl gelegent-
lich auch selbst empfunden und sich als „Autodidakt"^) bezeichnet. Dafür hatte sich durch den langjährigen Aufenthalt im Auslande sein Gesichtskreis dank seiner zweifellosen staatsmännischen Begabung nach den verschiedensten Richtungen, vor allem aber in politischer Hinsicht geweitet; auch war er in
der Lage gewesen, sich größere Weltgewandtheit anzueignen. Inwieweit er trotz fehlender operativer Schulung über Eigenschaften verfügte, die diesen Mangel ausglichen, inwieweit insbesondere innere Wesenswerte wie Kraft, Schwung und Festigkeit des Wollens und vor allem Wagemut, der vor
keinem Einsatz zurückschreckte, ihn zu der verantwortungsreichsten und schwierigsten Stellung befähigten, konnten erst seine Taten zeigen. Anzweifelhaft gehörte er in seiner jugendlichen Frische, seiner großen körperlichen und geistigen Beweglichkeit und der sicheren Gewandtheit seines Wesens bei Kriegsausbruch zu den hervortretenden Erscheinungen des
deutschen Heeres. General v. Falkenhayn war eine leidenschaftliche und ehrgeizige
Natur, nicht ohne inneres Feuer, doch nach außen jederzeit beherrscht und verschlossen, fremder Beeinflussung nicht unzugänglich, ftei von Menschenfurcht, unerschöpflich an Arbeitsleistung, mit stählernen Nerven, von großer persönlicher Einfachheit und Bedürfnislosigkeit.
Wenn das
Urteil über den neuen Leiter der Operationen vielfach sehr zurückhaltend lautete, so lag dies vielleicht an seiner Verschlossenheit, die den Eindruck der Undurchsichtigkeit erwecken konnte, und an seiner ganzen Art, sich nach
außen zu geben. Seine letzten Pläne und Absichten blieben selbst seiner vertrautesten Umgebung oft verborgen. Gegenüber den älteren Armee- und Korpsführern fehlte es ihm namentlich zu Anfang naturgemäß an Autorität, die in solcher Stellung bei seiner Jugend nur das Ergebnis großer kriege-
rischer Erfolge sein konnte. So heißen Herzens und leidenschaftlichen Sinnes General v. Falkenhayn daher wohl solche Erfolge erstreben mochte, so wurde ihm doch das Wagnis großer Würfe erschwert durch seine nüchtern und vorsichtig wägende Art. Nur zu leicht war er geneigt, sich mit kleineren,
aber sicher scheinenden Erfolgen zu begnügen. Die Frische und Verantwortungssreudigkeit, mit der General v. Falken-
Hayn trotz der schwierigen Lage auf beiden Kriegsschauplätzen sein neues H. v, Zwehl: „Crich v, Falkenhayn", S. 7.
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Grundlegende Entscheidungen für die Gesamtkriegführung.
Amt übernahm, blieben nicht ohne Eindruck auf seine Mitarbeiter. Was die nächsten Tage von ihm forderten, war Außerordentliches: Es galt, sich trotz der ihm vorläufig anhaftenden Unsicherheit in der technischen Beherr¬ schung der Führungsaufgaben zu neuen, schöpferischen operativen Entschlüssen durchzuringen und im Gegensatz zu der bisherigen zu lockeren Zügelführung der Obersten Heeresleitung einen klaren und starken Führerwillen zur Geltung zu bringen. , Wenige Tage angespanntester Arbeit genügten ihm, sich über die militärische Lage den nötigen Überblick zu verschaffen und mit den übrigen Dienst-
stellen des Großen Hauptquartiers die erforderliche Fühlung herzustellen. Hierbei kamen ihm die Erfahrungen in der Beurteilung der verantwortlichen Persönlichkeiten und Kenntnisse, die er schon als Kriegsminister besaß, wesentlich zustatten. Sehr erleichtert wurde ihm dies Einleben in die neue Stellung auch dadurch, daß er von Anfang an nicht nur eine starke Stütze in dem Militärkabinett fand, sondern vor allem das volle Vertrauen seines Obersten Kriegsherrn besaß. Der Kaiser war von der Persönlichkeit feines neuen Generalstabschefs, insbesondere von dem Mut, mit dem dieser im kritischen Augenblick in die Bresche gesprungen war, nicht unbeeindruckt geblieben. Sein besonderes Vertrauensverhältnis zu dem neuen Leiter der Operationen konnte diesem allerdings mit der Zeit ungewollt ein gewisses Übergewicht über die anderen Ratgeber der Krone geben, zumal da die Vereinigung der beiden bedeutsamsten militärischen Ämter in einer Hand General v. Falkenhayn eine überragende Machtfülle verlieh.
Auf eine tatkräftige Unterstützung der Landkriegführung durch die Flotte, insbesondere durch Unterseeboote, glaubte General v. FalkenHayn nicht verzichten zu können.
Wenngleich bei den für die See-
kriegführung gegebenen Richtlinien auf den Einsatz der Hochseeflotte vorerst nicht zu rechnen^) und ein Ausgleich der Lage hierdurch nicht zu erhoffen war, so drang er doch bereits am 15. September beim Chef des Admiralstabes, Admiral v. Pohl, auf sofortigen Einsatz von Untersee-
booten zur Störung der englischen Truppentransporte nach dem Festlande. Die Tätigkeit dieser Boote wäre sehr erleichtert worden, wenn die deutsche
Führung schon in den ersten Kriegswochen beim Vormarsch durch Belgien und Nordfrankreich die Hand auf die Häfen und Stützpunkte der belgischen
und nordfranzösischen Küste gelegt hätte. Solange die Hoffnung bestand, die französisch-englischen Streitkräfte entscheidend zu schlagen, hatten derartige Erwägungen keinen Raum gehabt, das Küstenland wäre dann von selbst in deutsche Hand gefallen. So hatte man zu diesem Entscheidungs1) Band I, S. 20.
Zusammenarbeit mit dem Admiralstabe.
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kämpfe mit Recht auch das letzte Gewehr herangezogen, ohne Rücksicht auf noch so wünschenswerte Nebenziele. Erst jetzt, da die Operationen eine so ganz andere Wendung genommen hatten, erwies es sich als Nachteil, daß man nicht auch gleich die Küste hatte in Besitz nehmen können. Die großen Transporte des britischen Expeditionskorps im Monat
August waren fast ohne deutsche Gegenwirkung durchgeführt worden. Die jetzige Forderung des Einsatzes von Unterseebooten seitens des deutschen Generalstabes hatte die Entsendung von „II 9" unter Kapitänleutnant Weddigen in den Kanal zur Folge und führte am 22.September zu der Ver-
nichtung der drei englischen Panzerkreuzer „Aboukir", „Hogue" und „Cressy". Trotz dieser glänzenden Leistung, die der Heeresleitung zum ersten Male offenbarte, über welch' scharfe Waffe die deutsche Kriegführung in den Unterseebooten verfügte, blieb eine wirksame Störung der britischen
Transporte bei der geringen Zahl der deutschen Unterseeboote naturgemäß sehr vom Zufall abhängig. Auch zur Unterstützung der Landoperationen im Osten sollte die Flotte mitwirken. Am 19. September regte General v. Falkenhayn beim Chef des
Admiralstabes die Durchführung einer Flottendemonstration mit starken Hochseestreitkräften in der Ostsee an; sie sollte durch Ausschiffung einer Infanterie-Brigade eine Landung großen Stils an der russischen Küste vortäuschen und dadurch feindliche Kräfte am Abtransport nach Galizien ver-
hindern. Der Chef des Admiralstabes ging bereitwilligst auf dieses Unternehmen ein^).
Auch mit der politischen Leitung des Reiches nahm General v. Falkenhayn unverzüglich die Verbindung auf. Cr sah ebenso wie sein Vorgänger eine bedeutsame Pflicht des Generalstabschefs in der zutreffenden und ungefärbten Orientierung des leitenden Staatsmannes über die Lage an den Kampffronten; nur bei verständnisvollem Zusammen-
arbeiten von Reichs- und Heeresleitung schien es ihm möglich, eine
stetige, der wirklichen Lage Deutschlands entsprechende Kriegspolitik folgerichtig durchzuführen.
Bereits am 15. September hatte er eine erste
kurze Besprechung über die Kriegslage mit dem Reichskanzler v. Bethmann Hollweg, der der gleichfalls im Großen Hauptquartier anwesende Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, v. Iagow, beiwohnte. General v. Falkenhayn will hierbei der politischen Reichsleitung über seine ernste
Auffassung der allgemeinen Kriegslage keinerlei Zweifel gelassen haben; zwar läge „kein Anlaß vor, an einem befriedigenden Kriegsende zu
verzweifeln,
der Kriegsausgang
i) Näheres S. 520f.
wäre
jedoch durch die Ereignisse
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Grundlegende Entscheidungen für die Gesamtkriegführung.
an der Marne und in Galizien ganz ins Angewisse gerückt"'). die Einzelheiten der Mitteilungen des Generals v. Falkenhayn graphierte Staatssekretär v. Iagow noch am gleichen Tage an deutsche Auslandsvertretung; er erwähnte zunächst die Siege in Preußen gegenüber mehr als doppelter Übermacht und fuhr dann
Uber teleeine Ost-
fort: Im Westen sind die Franzofen auf der ganzen Front, besonders
aber gegen den rechten Flügel der
deutschen Armeen zum Gegenstoß
übergegangen. Die Schlacht steht! Daß die Franzosen in der Front irgendwelche Vorteile erringen könnten, ist ganz unwahrscheinlich. Auch auf dem rechten Flügel würde ein zeitweiliger Erfolg der Franzosen nichts weiter erreichen, als daß dieser Flügel auf die schon im Anmarsch befindlichen, sehr erheblichen Verstärkungen zurückgenommen werden würde. Die allgemeine Lage der Kämpfenden ist so, daß eine endgültige Entscheidung in den nächsten Wochen noch nicht eintreten kann." Bei einer anscheinend wenige Tage später stattgehabten Besprechung mit dem Reichskanzler legte General v. Falkenhayn in großen Zügen die Bedeutung des Verlaufs der bisherigen Operationen auf dem westlichen Kriegsschauplatz klar. Das Ergebnis dieser Unterredung fand seinen Niederschlag in einem Schreiben des Reichskanzlers vom 19. September an den in
Verlin verbliebenen 5lnterstaatsfekretär im Auswärtigen Amt Zimmermann. Es wurde darin zunächst eine Erklärung gegeben für das Zurücknehmen der deutschen Front; dann hieß es weiter: „Die durch anrückende feindliche
Übermacht verursachte Zurückbiegung unseres rechten Armeeflügels hatte Zurücknahme der gesamten Armee erforderlich gemacht. . .
Alle feind-
lichen Offensivstöße gegen die neue Front sind zurückgewiesen worden . . .
Gesamtlage, solange Entscheidung nicht gefallen, natürlich ernst, aber durchaus nicht pessimistisch zu beurteilen. Tatsächliche Bedeutung unserer ersten Erfolge war wohl überschätzt worden . . .
Im ersten Kriegsabschnitt
war es unter Zurückweisung der feindlichen Offensive, aber ohne Ver-
nichtung der feindlichen Armeen, gelungen, den gesamten Kriegsschauplatz in Feindesland zu verlegen. Jetzt, im zweiten Abschnitt, haben wir gleichfalls die feindliche Offensive bisher abgewiesen, aber sie dauert noch an, und es wird noch Zeit vergehen, bis wir selbst wieder zur Offensive in größerem Stile vorgehen können ..."
Dem Ernst der Lage entsprechend erhöhte der leitende Staatsmann seine Bemühungen, um die eigene Kampfkraft durch Gewinnung neuer Bundesgenossen zu stärken, im übrigen aber die bisher neutralen Staaten in dieser Neutralität unbedingt zu erhalten. *) Falkenhayn, a, a, O. S. 20.
Einfluß der militärischen Lage aus die Politik der Reichsleitung.
Seit Kriegsausbruch
war man
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bestrebt gewesen, Rumänien zur
Erfüllung der bestehenden Bündnisverpflichtung anzuhalten und, wenn möglich, mit Bulgarien und Griechenland zu einem festen Balkanblock, dem als vierter Verbündeter die Türkei beitreten sollte, zum
Kamps gegen Rußland und Serbien zusammenzufügen.
Erleichtert schien
eine solche Politik durch die von Bulgarien und der Pforte bereits am 24. und 28. Juli 1914 in Berlin gestellten Bündnisanträge, wenngleich die vom letzten Balkankriege her bestehenden Gegensätze beider Staaten zu Rumänien eine Verständigung erschwerten. Die Türkei hatte indes am
2. August 1914 einen förmlichen Bündnisvertrag mit Deutschland geschloffen. Die sich hier bietenden Aussichten zur Erlangung neuer Bundesgenossen im Kampfe gegen die östlichen Gegner waren jäh durchkreuzt worden durch die
offensichtlich feindliche Stellungnahme Englands gegen die Mittelmächte und durch die Neutralitätserklärung Italiens'). Die Haltung Englands zwang Griechenland mit seinen langgestreckten, von der See her gefährdeten Meeresküsten zur unbedingten Neutralität, das Verhalten Italiens gab in Bukarest den Ausschlag, einstweilen neutral zu bleiben.
Beides war auch
für die Haltung der Türkei nicht ohne Einfluß; anstatt gemäß dem am 2. August abgeschlossenen Bündnisverträge sofort in den Krieg auf feiten der Mittelmächte einzutreten, erklärte das Osmanifche Reich am 3. August seine
einstweilige bewaffnete Neutralität. Auch Bulgarien hatte die bereits begonnenen Bündnisverhandlungen trotz Drängens der deutschen Regierung hinausgezögert. Es war ersichtlich, daß sowohl Rumänien und Bulgarien als auch die Türkei vor endgültigen Schritten die ersten Kriegsentscheidungen abzuwarten entschlossen waren; für die Türkei sprachen hierbei zwingende militärische Gründe mit, insbesondere die zur
Zeit unzureichende Kriegsbereitschaft. In der Folge hatten die Mittelmächte unter Ausnutzung der sich zunächst günstig entwickelnden militärischen Lage in ihren Bemühungen nicht nachgelassen, die Türkei, Rumänien und Bulgarien zum Anschluß an sie zu bestimmen.
Trotz anfänglicher
Unstimmigkeiten zwischen den beteiligten politischen und militärischen Stellen über die Frage des Einsatzes des etwaigen neuen Kräftezuwachses und trotz mancher Schwankungen war es bis Anfang September gelungen,
Übereinstimmung darüber herzustellen, daß, falls die Politik der Gewinnung neuer Bundesgenossen Erfolg haben sollte, die Türkei und Rumänien ihre
Hauptkräfte gegen Rußland einzusetzen hätten, während Bulgarien sich gegen Serbien wenden sollte, um Österreich-Ungarn für den Kampf gegen
seinen Hauptgegner, Rußland, zu entlasten. An weiteren Aufgaben kamen >) Band I, S. 36.
14
Grundlegende Entscheidungen für die Gesamtkriegfllhrung.
für die Pforte Unternehmungen gegen England in Ägypten und eine Demonstration im Kaukasus gegen Rußland in Betracht, deren Bedeutung für die
Gesamtkriegslage die deutsche Oberste Heeresleitung mehrfach betont hatte. Der wenig glückliche Verlauf der deutschen Operationen in Frankreich und der österreichisch-ungarischen in Galizien sowie die Lage in Serbien um die Mitte des Monats September mußten indes von schwerwiegendem Ein-
fluß auf die weiteren Entschließungen der Türkei und der Balkanstaaten sein und die so aussichtsreich erschienenen Verhandlungen ernstlich gefährden. Bereits wenige Tage nach dem Rückzüge der österreichisch-ungarischen Armee mußte der deutsche Botschafter in Konstantinopel, Freiherr v. Wangenheim, nach Berlin melden: „Inzwischen sind Details über die österreichische Niederläge in Galizien bekanntgeworden. Dazu kommt der ungeheure Eindruck der
französischen Offensive, während man bereits auf den Fall von Paris rechnete . . .
Cnver wird mit seinen Kriegsplänen täglich mehr isoliert,
auch unter den Offizieren. Man zweifelt, ob Deutschland gewinnen werde. Izzet Pascha^) sagte zu Lirncm2): »Wir stehen fest zu Ihnen, aber ein Selbstmordopfer können Sie von uns nicht verlangen . . .
Siegen Sie
irgendwo, so daß wir an Ihren endgültigen Erfolg glauben können, dann werden Bulgarien und wir losgehen.«" Ahnlich ernst lauteten die Nachrichten aus Bukarest, wo man bereits infolge des Zurückweichens des deutschen rechten Heeresflügels vor Paris mit der Möglichkeit einer end-
gültigen deutschen Niederlage rechnete. Am 15. September wurde berichtet, Rußland habe Rumänien den südlichen Teil von Siebenbürgen angeboten, und am Tage darauf wurde die rumänische Grenze für die bisher gestatteten Material- und Munitionstransporte von Deutschland nach der Türkei gesperrt. Die ernsten Stimmen der verantwortlichen diplomatischen AuslandsVertreter zeigten eindringlich, wie sehr der Erfolg der Bemühungen um die Gewinnung neuer Bundesgenosien vor allem von der weiteren
Gestaltung der militärischen Lage abhing. Von Anfang an hatte General v. Falkenhayn die Absicht, die deutsche Öffentlichkeit über die wahren Vorgänge in der Marnefchlacht und während des anschließenden Rückzuges in rückhaltloser Weise aufzuklären. Erst gegen Ende September gestattete die militärische Lage an der Front nach seiner Ansicht die Ausführung dieser Absicht. Am 28. September sandte er an das Auswärtige Amt in Berlin zur Verbreitung durch *) Vis Januar 1914 als Vorgänger von Cnver Bey Kriegsminister. 2) Marschall Liman v. Sanders war der Leiter der deutschen Militärmission in der Türkei.
Der deutsch, ösfentl. Meinung bleibt d. Bedeut. b.Riickschl. an d, Marne verborgen.
I5
Wolfis Telegraphenbüro einen eingehenden Bericht, in dem er nach einer Darlegung der militärischen Operationen auf allen Kriegsschauplätzen den Rückzug von der Marne und die Ungunst der Lage auf dem westlichen
Kriegsschauplatz freimütig zugab. Auf die Vorstellungen des Auswärtigen Amtes, in denen betont wurde, das Telegramm würde im Auslande eine
Wirkung von „unberechenbaren Folgen" haben, verhinderte der Reichskanzler die Veröffentlichung des Berichtes des Generalstabes. So kam es, daß der deutschen Öffentlichkeit die große Bedeutung, insbesondere die weit¬ tragenden operativen Auswirkungen der Marneschlacht lange Zeit ver-
borgen geblieben sind.
II. Die Operationen in Frankreich und Velgien von Mitte September bis Anfang November 1954. A.Der deutsche Gegenangriffzwischen Gomme und Mosel. J.Der Entschluß des Generals v. Lalkenhayn für die Führung der Operationen im Niesten. Hierzu Karte 1 (1 : 1 000 000).
14. September.
An der Westfront fand General v. Falkenhayn bei Antritt seiner neuen Stellung am 14. September folgende Lage vor:
Die planmäßigen Rückzugsbewegungen des deutschen Heeres waren zum Abschluß gelangt. Auf dem Westflügel hatte sich seit dem 13. September eine neue Schlacht entwickelt; zwischen den Argonnen und der Schweizer Grenze war eine Art Kampfpause eingetreten.
An der elfaß-lothringischen Front hatten sich die nach dem Abbruch der Offensive westlich der Vogesen stark verminderten deutschen Truppen vom Feinde gelöst und begannen sich in der neuen Verteidigungsstellung einzurichten, die von Metz über den Delmer Rücken längs der Reichsgrenze bis in die Gegend von Bls.mont führte, dann die Vogesen von Senones aus in Richtung auf Gebweiler schräg durchquerte und bei Pfirt an der
Schweizer Grenze endete. Der Gegner hatte nirgends nachgedrängt. Cs bestand im allgemeinen nur noch lockere Fühlung mit ihm. Die vordersten
Postierungen lagen einander auf einige Kilometer Entfernung mehr beobachtend als kämpfend gegenüber. Offensive Absichten der Franzosen waren nicht erkennbar. Allem Anschein nach hatten sie einen Teil ihrer Korps aus dem Räume Toul—Belfort fortgezogen. Auf der Front zwischen Metz und der Schweizer Grenze war es somit zu einem Stillstande der Operationen gekommen. Bei der Schwäche der hier auf beiden Seiten stehenden Kräfte war eine Änderung nicht zu erwarten.
Größere Unsicherheit herrschte über die Absichten des Feindes im Ab-
schnitt Verdun—Toul. Die Nachrichten über Zusammenziehung starker französischer Kräfte an dieser Front hatten eine Bestätigung bisher nicht gefunden, obgleich neue Meldungen über Transporte auf der MaastalBahn in der Richtung auf Verdun vorlagen. Die Besorgnisse vor einem feindlichen Durchbruchsversuch westlich an Metz vorbei in nördlicher
Die Lage, die Gen. v. Falkenhayn am Abend des 14. Sept. an der Westfront vorfand.
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Richtung waren daher wesentlich gemindert^). Auch der Oberbefehlshaber der ö. A r m e e, Kronprinz Wilhelm, hatte eine günstige Auffassung
der Lage. Seine Armee hatte sich im Laufe des 14. September in ihren netten Stellungen festgesetzt. Diese verliefen auf dem westlichen Afer der Maas von Apremont über Montsaucon nach Forges. Auf dem östlichen Afer führten sie von Consenvoye nach Romagne und anschließend von Billy über Ctain auf Conflans, wo sie an den Festungsbereich von Metz anschlössen. Einige Sorge bereitete das Vorgehen feindlicher Kräfte in den Argonnen. Hier war anscheinend eine schwache Stelle in der Front, die
erhöhte Aufmerksamkeit verlangte. Auch die 4. und 3. Armee hatten sich in ihren neuen Stellungen zwischen den Argonnen und Reims eingerichtet. Die 4. Armee hatte tags-
über mehrere feindliche Vorstöße abgewiesen, abends wurde sie auf der ganzen Front „planmäßig angegriffen". Ein klares Bild über den Charakter dieser Kämpfe war aus den vorliegenden Meldungen nicht zu gewinnen. Daß auch die 3. Armee angegriffen worden war, erfuhr die Oberste Heeresleitung erst in der Frühe des 13. September. Es war
zweifelhaft, ob die entscheidungsuchende französisch-englische Offensive sich bis zu den Argonnen ausgedehnt hatte, oder ob lediglich die Fesselung deutscher Kräfte bezweckt wurde. Der 5., 4. und 3. Armee hatte General-
oberst v. Moltke gelegentlich seiner Frontfahrt ausdrücklich defensives Verhalten in stark zu befestigenden Stellungen besohlen^). Unsicherer als auf dem linken Flügel und in der Mitte des Heeres war die Lage auf dem rechten Heeresflügel, wo noch alles im Fluß war.
Aus den im Laufe des 14. September eingetroffenen Nachrichten ging hervor, daß alle feindlichen Anstrengungen, den Keil zwischen die 1. und 2. Armee tiefer hineinzutreiben, erfolglos geblieben waren, daß sich im Gegenteil die Lücke zwischen beiden durch den Einsatz des VII. Reserveund XV. Armeekorps der 7. Armee fast geschlossen hatte. Von den aus der Heeresmitte herausgelösten und nach dem rechten Flügel in Marsch gesetzten drei Armeekorps^) hatte das XII. bereits am Mittag des 14. September Warmeriville erreicht. Die Durchbruchsgefahr durfte also als beseitigt angesehen werden. Gefährdet hingegen war noch die auf der ganzen Front stark ange¬ griffene 1. Armee. Ihr rechter Flügel war mit Umfassung bedroht und hatte bereits vor dem Anmarsch feindlicher Kolonnen von Compiögne gegen Tracy le Val auf Rampcel zurückgebogen werden müssen. Ob die Franzofen die Absicht und die Möglichkeit hatten, weitere Kräfte, etwa von i) Band IV, S.458. — -) Band IV, S.451. —3) XII., XVIII. und VI.Armeekorps. t Weltkrieg.
V. Land.
2
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
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Amiens—Noyon her, gegen die deutsche Flanke einzusetzen, war noch nicht zu erkennen.
Vis jetzt lag nur eine zuverlässige Meldung über das Vor-
gehen feindlicher Heereskavallerie westlich Eompidgne in der Richtung auf Noyon vor^). Die Wiederherstellung der Lage auf dem rechten Heeresflügel war durch den Einsatz der Hauptteile der 7. Armee teuer erkauft worden. Die Absicht, diese Armee hinter dem rechten Heeresflügel als neue Angriffsgruppe bereitzustellen, war fallengelassen worden. Nur das IX. Reservekorps stand zur Zeit in der Gegend von St. Quentin noch zur Verfügung; es wurde zur Stützung des rechten Flügels der 1. Armee dringend gebraucht. Die Franzosen hatten also in der Flanke und im Rücken der deutschen Front
im Augenblick fast unbeschränkte Operationsfreiheit. Die Agentennachrichten über Landungen starker Truppen an der französisch-belgischen Küste und über zunehmende Anruhe in der belgischen Bevölkerung wiederholten sich immer
wieder, ohne jedoch irgendwie greifbare Formen anzunehmen; sie gewannen in letzter Zeit an Wahrscheinlichkeit durch die allgemeine Lage. Die Sicherung des gesamten rückwärtigen Gebietes erfolgte, abgesehen von den Etappentruppen und den Besatzungsformationen des Generalgouvernements,
lediglich durch das verstärkte III. Reservekorps, das aber durch die Aufgäbe, die belgische Armee in Antwerpen in Schach zu halten, voll in Anspruch genommen war. Ohnehin war es hier bereits mehrfach zu Krisen gekommen. Nur dadurch, daß man Truppenverbände, die sich im AntransPort vom linken nach dem rechten Heeresflügel befanden, vorübergehend in Belgien festgehalten hatte, war man Herr der Lage geblieben^). Die Oberste Heeresleitung verfügte indessen noch über eine starke Heeresreserve: die bei Metz in der Versammlung begriffene 6. Armee des Kronprinzen Nupprecht von Bayern. Ihre Bereitstellung dort war zunächst erfolgt, um einem französischen Durchbruchsversuch aus der Front Verdun—Toul heraus unter allen Umständen gewachsen zu sein. Jetzt, wo diese Gefahr in den Hintergrund rückte, kam eine VerWendung der 6. Armee auf dem deutschen Westflügel in Frage. Sie war bereits von Generaloberst v. Moltke in Erwägung gezogen worden.
Auf Grund dieser Kenntnis der Lage hatte General v. Falkenhayn
seine Entschlüsse für die Fortsetzung der Operationen im Westen zu fassen. 1) Meldungen der Luftaufklärung über den Vormarsch größerer Kavalleriekörper in der Richtung auf St. Quentin waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Kenntnis der Obersten Heeresleitung gelangt. 2) Band IV, 6.466 und „Das deutsche Feldeisenbahnwesen" Band I, S. 115.
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Der erste Operationsplan des Generals v. Falkenhayn.
Das Ergebnis seiner Erwägungen legte er in der Nacht vom 14. zum
15. September schriftlich in Gestalt eines „Operationsplanes" nieder. Er hielt an dem Grundgedanken einer nochmaligen umfassenden Offensive gegen
den feindlichen linken Heeresflügel fest. Den notwendigen Zuschuß an Kraft sollte die 6. Armee bringen. Sie hatte sich bei Maubeuge zu versammeln. Ihre Vorhuten sollten bis zum 21.September die Linie Englefontaine—Hirfon erreichen. Die Zeit bis zu ihrem Herankommen war durch
eine exzentrisch sich gestaltende Rückzugsbewegung des deutschen rechten Heeresflügels zu überbrücken. Die 1. Armee sollte sich vom Feinde lösen
und in nördlicher Richtung auf Artemps (12 km südwestlich St. Quentin)— La Fsre—Rouvion Catillon zurückgehen. Drängte der Gegner nach, so war der Rückzug über St. Quentin bis hinter den Ravin Warnelle fortzusetzen. Die Armee durfte sich unter keinen Umständen nach Osten drängen lassen, hatte sich deshalb tief zu staffeln und Aufklärung weit nach Westen vor-
zutreiben. Andererseits mußte sie stets bereit sein, kräftig gegen einen Feind einzugreifen, der gegen die 7. Armee vorging. Die 7. und 2. A r m e e unter Generaloberst v. Vülow sollten sich, wenn
angängig, in der Linie Laon—Reims—Prosnes halten. Vor starkem feindlichen Druck war der rechte Flügel bis St. Gobert—Marle—Sissonne —Reims zurückzubiegen. Die zwischen der 1. und der 7. Armee entstehende Lücke ließ sich durch das 1. und 2. Kavalleriekorps ausfüllen. Die 3., 4. und ö. Armee hatten sich, falls sie angegriffen wurden, zunächst in ihren neuen Stellungen zu behaupten. Vom 18. September ab sollte dann die Offensive staffelweise von links, bei der 5. Armee beginnend, aufgenommen werden. Die 5. Armee hatte beiderseits Verdun vorzugehen, mit dem linken Flügel gegen die Sperrforts Troyon—Camp des Romains, mit dem rechten über Ste. Msnehould auf Dampierre le Chateau und sodann in der Richtung auf Soulanges. Im weiteren Verlauf der Operationen war Verdun im Südwesten abzuschließen. Die 4. Armee hatte sich bis zum 19. September in die Linie Suippes—Auve vorzuschieben und von hier aus am 20. September zum Angriff über Chalons—La Chaussee für Marne anzutreten. Die 3. Armee sollte sich der Bewegung am 20.an¬
schließen, rechter Flügel auf Tours, linker auf Iuvigny. Der linke Flügel der 2. Armee hatte diesen Angriff in der Richtung auf Ay an der Marne zu begleiten. Der Beginn der Vorwärtsbewegung des rechten Heeresflügels — 1., 6., 7., rechter Flügel der 2. Armee — hing von dem Eintreffen der 6. Armee ab.
Inzwischen sollte der linke Heeresflügel unter den Generalen Freiherr v. Falkenhausen und Gaede mit den dort stehenden schwachen Kräften den Raum Metz—Schweizer Grenze sichern und zugleich, wenn möglich, den 2*
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
20
Anschein erwecken, als ob noch immer ein Durchbruch zwischen Toul—Cpinal beabsichtigt werde. Während diese Gedanken sich zu festen Formen gestalteten, traf General v. Falkenhayn mehrere wichtige Anordnungen, die bereits in der Richtung des neuen Operationsplanes lagen. Anmittelbar nach Übernahme seines Amtes, am Abend des 14. September, stellte er — obgleich ihm die von
Generalleutnant V. Stein und Oberst Tappen getroffenen Anordnungen, wonach das XII., XVIII. und VI. Armeekorps zum rechten Heeresflügel treten sollten'), bekannt waren —, einer Bitte des Armee-Oberkommandos 4
entsprechend, die 21. Infanterie-Division des XVIII. Armeekorps der 4. Armee noch bis zum 15. September mittags zur Verfügung. Kurze Zeit darauf erklärte er sich mit dem weiteren Antrage des Oberkommandos einverstanden, am 15. September statt dieser Division über das gesamte
VI. Armeekorps verfügen zu dürfen, das, im Abmarsch auf Vouziers— Rethel, am Abend des 14. September den Raum von Termes erreicht
hatte. Cr sprach hierbei jedoch den Wunsch aus, daß das Korps nur bei dringendem Bedarf eingesetzt werde; es träte noch nicht in den Verband der 4. Armee. 15. September.
Auf einen um l30 morgens einlaufenden Funkspruch des General-
obersten v. Vülow, in dem dieser nach Darlegung der Lage bei der 2. Armee
den beabsichtigten Angriff des XII. Armeekorps auf dem rechten AisneUfer gegen den Feind vor der 7. Armee meldete und nochmals auf die Bedrohung des rechten Flügels der 1. Armee hinwies, antwortete General v. Falkenhayn um 4° morgens: „Mit für heute beabsichtigtem Angriff 2. Armee zur Entlastung der 7.Armee durchaus einverstanden. Wenn 1. Armee wegen Bedrohung ihrer rechten Flanke Stellung an der Aisne
nicht halten kann, soll sie rechtzeitig in allgemeiner Richtung La Fete hinter dortigen Abschnitt zurückgehen und IX. Reservekorps gestaffelt hinter ihren rechten Flügel heranziehen. 7. und 2. Armee haben in diesem Falle Linie Laon—Reims zu halten." Am Morgen des 15. September setzte General v. Falkenhayn den Chef des Feldeisenbahnwesens, Oberst Groener, von seinem Operationsplane in Kenntnis. Oberst Groener wandte ein, daß endgültige Entschlüsse erst an der Hand eines Transportentwurfs gefaßt werden könnten, und wies darauf hin, daß man die Ausladungen angesichts der beschränkten Leistungsfähigkeit der nachhaltig zerstörten und bisher nur behelfsmäßig wiederhergestellten Eisenbahnen im eroberten Gebiet werde weit zurückverlegen müssen. Cr stellte die Vorlage eines solchen Entwurfs in kürzester >) Band IV, 6.473 f. und 480.
General v, Falkenhayn beschließt, das Heer nicht weiter zurückzunehmen.
21
Frist in Aussicht. Gegen Mittag empfing General v. Falkenhayn den in der Frühe des 15. September von seiner Frontfahrt zurückgekehrten^) Chef der Operationsabteilung, Oberst Tappen, zum Vortrage. Dieser gab eine zuversichtliche Schilderung der Lage an der Westfront. Auch bei der 1. Armee konnte die Gefahr zur Zeit als gebannt angesehen werden. Anscheinend waren die Franzosen und Engländer ziemlich „am Ende ihrer
Kraft".
Sie hatten nach seiner Ansicht „den Vogen überspannt". Im
Anschluß an diese Ausführungen entwickelte er dem General v. Falkenhayn den am Abend des 14. September in Witry les Reims mit Generaloberst v. Vülow verabredeten neuen Angriffsplan'). Die Offensive sollte mit
Hilfe der drei aus der Heeresmitte herausgezogenen und im Anmarsch nach dem rechten Flügel der 2. Armee befindlichen Korps in den nächsten Tagen fortgesetzt werden; die 7. Armee und der linke Flügel der 1. hatten sich daran zu beteiligen.
An diese im Räume von Soissons—Fismes—Reims
geplante Offensive knüpften sich weitreichende Hoffnungen auf einen 5lm° fchwung der Lage. Aus ihr follte sich die Wiederaufnahme der Gesamtoffensive des Westheeres entwickeln. General v. Falkenhayn setzte nunmehr Oberst Tappen von seinem in der Nacht entworfenen Operationsplan in
Kenntnis. Gegen diesen sprach sich Oberst Tappen mit großer Bestimmtheit aus"). Cr vertrat die Auffassung, daß die der Lage entsprechenden notwendigen Anordnungen bereits getroffen seien, und daß es nicht zweckmäßig wäre, durch abändernde Befehle neue Unruhe in die Truppe hineinzutragen. Man müsse zunächst einmal das Ergebnis der Offensive bei der Gruppe Vülow abwarten. Ein weiteres Zurückgehen des rechten Heeresflügels werde jetzt, nachdem die Krise eben überwunden sei, von der Truppe nicht verstanden werden. Ob sie den seelischen Auswirkungen eines neuen Rückzuges bei dem Mangel an Offizieren und dem schwachen Mannschaftsstande
noch gewachsen sein und dann noch die Kraft in sich finden werde, die
Offensive wieder aufzunehmen, sei zweifelhaft. Vom operativen GesichtsPunkt aus müsse es bedenklich erscheinen, die mit Mühe geschlossene Lücke zwischen der 1. und 2. Armee durch den geplanten exzentrischen Rückzug von neuem aufzureißen. Lasse man den Feind jetzt los, so gewinne dieser in noch höherem Maße operative Freiheit, als es schon der Fall sei. Anter Ausnutzung seines vortrefflichen und unbeschädigten Bahnnetzes könne er i) Band IV. S. 480. -) Band IV. S. 479/480. 3) Nach schriftlichen Mitteilungen des Generalleutnants a. D. Tappen an das Reichsarchiv vom 2. März 1925. die seinen Aktenvermerk vom 16. September 1914:
„Ich habe mich gegen diese Operation ausgesprochen" erläutern.
22
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
ungehindert Truppenverschiebungen gegen die rechte Flanke des deutschen Heeres vornehmen, auch wenn der rechte Flügel zurückgestaffelt würde. Hierdurch würden die deutschen operativen Absichten durchkreuzt werden, und man würde trotz des Herankommens der 6. Armee schließlich zur Fortsetzung des Rückzuges gezwungen sein. Aus der Preisgabe weiterer Strecken eroberten Landes werde der Feind aber die Berechtigung herleiten, die
Bedeutung des Marne-Crsolges noch stärker hervorzuheben. General v. Falkenhayn verschloß sich diesen Gründen nicht. Cs kam für ihn wohl auch das Bedenken hinzu, seine neue Amtstätigkeit mit einer Rückwärtsbewegung zu beginnen. Cr stimmte den in Witry les Reims am Abend zuvor getroffenen Vereinbarungen für die neue Offensive
unter Preisgabe seines Operationsplanes zu und entschloß sich, die Armeen des rechten Heeresflügels und der Mitte in der in den letzten Tagen besetzten
Stellung
Royon — Reims — Verdun
stehen zu lassen und die Entscheidungsschlacht hier anzunehmen; das war ein überaus folgenschwerer Ent -
schluß. Mit der durch General v. Stein und Oberst Tappen vorbereiteten
Offensive der Gruppe Bülow') glaubte General v. Falkenhayn sich indes doch nicht begnügen zu können, zumal deren Wirkung durch Belassung des VI. Armeekorps bei der 4. Armee bereits erheblich abgeschwächt war. Zudem hegte er Bedenken, ob hierdurch allein ein Umschwung der Lage herbeigeführt werden könne. Ebenso wie sein Vorgänger hielt er es für erforder-
lich, Anordnungen zum Schutze der nach seiner Ansicht stark gefährdeten rechten Heeresflanke zu treffen. Er war sich nach dem Vortrage des Obersten Tappen darüber klar geworden, daß die feindliche Umfassung auf die Dauer nur durch Zuführung frischer Kräfte verhindert werden konnte. Sie boten sich ihm in der bei Metz entbehrlichen 6. Armee. Erfolgte hier wider Erwarten in den nächsten Tagen doch ein feindlicher Angriff, so konnte man auf die noch nicht abbeförderten Teile der 6. Armee zurückgreifen. Der Abtransport der 6. Armee nach dem rechten Heeresflügel sollte aber nicht nur dem
Flankenschutz dienen.
Vielmehr wurde durch die Versammlung starker
Kräfte in der Gegend von St. Ouentin die Möglichkeit geschaffen, eine neue deutsche Umfassungsbewegung einzuleiten, die die Grundlage des nun-
mehr beginnenden zweiten Feldzugsabschnittes bilden sollte. General v. Falkenhayn rechnete damit, daß die Franzosen und Engländer durch ihre jetzigen außerordentlichen Anstrengungen ihre Kräfte völlig erschöpfen und dem mächtigen Stoß der neuen deutschen Flügelgruppe später nicht mehr i) Band IV, S. 479 und 480.
Befehl zum Abtransport der 6. Armee nach dem rechten Heeresflügel.
gewachsen sein würden.
23
Der grundlegende Befehl für den Abtransport
der 6. Armee'lautete im Auszuges: „Armee-Oberkommando der 6. Armee mit Etappen-Inspektion, II. baye¬
risches, XXI., XIV. Armeekorps und XIV. Reservekorps sind zum Abtransport bereitzustellen, und zwar: II. bayerisches Armeekorps bei Metz. Abtransport beginnt voraussichtlich am 18. September morgens.
XXI.
Armeekorps bei Bolchen—Hargarten. Abtransport beginnt voraussichtlich am 17. September morgens. XIV. Armeekorps folgt dem II. bayerischen Armeekorps und ist sogleich nach südlich Metz in Marsch zu setzen. Es hat bis zun: 18. September vormittags dort einzutreffen. XIV. Reservekorps folgt dem XXI. Armeekorps und ist nach Bolchen—Hargarten in Marsch zu setzen, so daß es dort nach Abtransport des XXI. Armeekorps zur Stelle ist. ..." In dem Bestreben, die 6. Armee so stark als möglich zu machen, erwog General v. Falkenhayn auch die Zuführung des I. bayerischen Armeekorps.
Dieses Korps war, als die Befürchtungen wegen eines seind-
lichen Durchbruchs westlich Metz nachließen, vom 14. September ab in die Gegend südlich Namur abtransportiert worden und sollte von hier, da die
zerstörte Eisenbahnbrücke bei Namur noch nicht wiederhergestellt war, durch Fußmarsch zum rechten Heeresflügel nachgezogen werden"). Auf dringendes Ersuchen des Generalgouverneurs von Belgien, Generalfeldmarschalls Freiherrn v. der Goltz, war es aber am 14. September, 11™ vormittags, in
Namur festgehalten worden. Jetzt ließ General v. Falkenhayn am 15. Sep-
tember, l25nachmittags, bei Generalfeldmarschall Freiherrn v. der Goltz anfragen, ob die Verwendung des I. bayerischen Armeekorps in Belgien unbedingt erforderlich sei. Nachdem sich der Generalgouverneur, wenn auch nicht ohne Bedenken, zur Abgabe bereiterklärt hatte, wurde am Mittage des 16. September der Abmarsch des Korps über Maubeuge auf Le Cateau
angeordnet; eine gemischte Brigade sollte mit der Bahn nach St. Quentin vorausbefördert werden und von hier aus in breiter Front in der Richtung auf Nesle vormarschieren, um die Flanke der 1. Armee und die rückwärtigen
Verbindungen des rechten Heeresflügels gegen feindliche Heereskavallerie zu sichern. 1) In der Anlage 2 ist eine Übersicht über die Trnppenverschiebungen an der
Westfront auf deutscher und feindlicher Seite eingefügt, die über den Transport jedes einzelnen Verbandes bis zur Brigade Aufschluß gibt. In der weiteren Darstellung wird auf diese Anlage nicht mehr besonders hingewiesen werden. 2) Band IV, S. 464. — „Das deutsche Feldeisenbahnwesen" Band I, S.
24
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
In Ergänzung der für die 6. Armee getroffenen Anweisungen wurde zur Regelung der Befehlsverhältnifse auf dem linken Heeresflügel an General der Infanterie Freiherrn v. Falkenhausen am 15. September sol-
gendes befohlen: „Die vorliegenden Nachrichten machen es wahrscheinlich, daß der Gegner den größten Teil seiner Kräfte von der befestigten Ostfront
fortgezogen hat. Seine Majestät befehlen daher, daß alle verfügbaren Teile der 6. Armee andere Verwendung finden. Euer Exzellenz wird der vom Oberkommando der 6. Armee bereits vorbereitete Schutz von ElsaßLothringen zwischen Metz und Straßburg übertragen. ... An Truppen
werden zur Verfügung gestellt: I. bayerisches Reservekorps, Garde-, 4., 8., 10. und 19. Ersatz-Division, bisheriges Korps Eberhardt. Die Festung Straßburg wird unterstellt. Sie muß dauernd verteidigungsbereit sein. . . . Am 17. ist der Befehl zu übernehmen. . . . Den Schutz des Oberelsaß
behält der Stellvertretende Kommandierende General XIV. Armeekorps." Gleichzeitig mit dem Abtransport der 6. Armee befahl General v. Falkenhayn die Wiederaufnahme des Angriffs der Armee-Abteilung Strantz auf die Maas-Forts. Der Befehl an die Armee-Oberkommandos 5 und 6, an das V., III. bayerische, XIV. Armeekorps und das Gouvernement Metz lautete im Auszuge:
„Die vorliegenden Nachrichten machen es wahrscheinlich, daß der Gegner den größten Teil seiner Kräfte von der befestigten Ostfront fortgezogen hat. Die Fortnahme der Sperrbefestigungen, zunächst der Forts Troyon, Les Paroches und Camp des Romains, gewinnt wieder Aussicht auf Erfolg. . . .
General v. Strantz mit unterstelltem V. Armeekorps,
III. bayerischem Armeekorps, Festung Metz mit Hauptreserve Metz und bayerischer Kavallerie-Division hat unter Sicherung gegen Verdun und Toul—Nancy diesen Angriff durchzuführen. . . .
XIV. Armeekorps ist
nach südlich Metz in Marsch gesetzt. Eintreffen etwa 18. September vormittags. Zur Abwehr feindlicher Ausfälle kann es herangezogen werden. Es wird hierzu ebenfalls dem Befehl des Generals v. Strantz unterstellt. XIV. Armeekorps wird später abbefördert werden. . . ."
Allem Anschein nach ist der Entschluß zum Angriff auf die MaasForts grundlegend beeinflußt worden durch die Auffassung, die sich im Laufe des 15. September über die im Räume Verdun—Toul stehenden französischen Kräfte gebildet hatte. Die Erkundungen dek letzten Tage hatten auf den Eötes Lorraines und in der Woevre-Ebene nur feindliche Kavallerie und
schwache Infanterie festgestellt. Auf den Eotes wurde geschanzt. Es unterlag kaum einem Zweifel, daß die Franzosen im Begriff standen, auch aus diesem Teil ihrer Front Kräfte zur Verstärkung ihres Westflügels herauszuziehen. Darüber hinaus verfolgte General v. Falkenhayn mit dem Unternehmen
Befehl zum Angriff aus die Maas-Forts.
25
gegen die Sperrforts auch operative Absichten. Sie sind erkennbar in seinem Operationsentwurf vom 14. September abends, der die Einschließung von Verdun vorsaht). In einer Besprechung mit dem in Aussicht genommenen neuen Ches des Generalstabes der Armee-Abteilung Strantz, Oberstleutnant Fischer, bezeichnete General v. Falkenhayn Var le Duc als
Ziel des Angriffs und gab der Ansicht Ausdruck, daß das Vorgehen über die Maas den Anstoß zur Wiederaufnahme der Offensive der 5. und 4. Armee bilden werde.
Man hoffe, zu einer Abschnürung von Verdun zu ge-
langen. Lasse sich dieses operative Ziel nicht erreichen, so zwinge man die französische Heeresleitung wenigstens, bei Toul—Verdun starke Kräfte zu belassen und arbeite hierdurch der Gefahr der weiteren Verstärkung des feindlichen Westflügels wirksam entgegen. Oberstleutnant Fischer wies
darauf hin, daß für so weitreichende Absichten die in Aussicht genommenen Kräfte sehr schwach seien, und daß die Armee-Abteilung bei ihrem Vorgehen durch die Bedrohung ihrer Flanken und ihres Rückens in eine sehr schwierige Lage geraten könne. General v. Falkenhayn erwiderte, daß der Zweck, den die Armee-Abteilung zu erfüllen habe, selbst ein großes Opfer rechtfertige^). Von einer schriftlichen Festlegung der in der Unternehmung verfolgten besonderen operativen Absichten wurde abgesehen. Selbst die 5. Armee wurde darüber nicht unterrichtet). Durch den Abtransport der 6. Armee nach dem rechten Heeresflügel und die Wiederaufnahme des Angriffs gegen die Maas-Forts hatte sich die Bedeutung der Offensive des Generalobersten v. Bülow zwischen Soisions und Reims vermindert. Sie bildete in dem Gedankengang des Generals v. Falkenhayn jetzt nur ein Glied in der Kette der Gesamtoperation. Glückte
sie, so leitete sie sehr wirksam die neue Angriffsbewegung des deutschen rechten Heeresflügels ein, für die dann die 6. Armee die beim ersten Vor-
marsch zur Marne so schmerzlich entbehrte Flankenstaffel bildete. Gleichzeitig schuf der Vorstoß der Armee-Abteilung Strantz die Voraussetzung für die Einschließung von Verdun und damit für das Vorgehen der Heeresmitte. Gelang die Offensive zwischen Soisions und Reims aber nicht,
so fesselte sie wenigstens französisch-englische Kräfte vor der deutschen Front und half die gefährliche Zeitspanne überbrücken, die bis zur Versammlung der 6. Armee in ihrem neuen Operationsgebiete vergehen mußte. 1) S. 19. 2) Nach Angaben des damaligen Oberstleutnants Fischer in einem an das Reichsarchiv gerichteten Schreiben vom 11. Juli 1927. 3) Schriftliche Mitteilung des Generals der Infanterie Schmidt v. Knobelsdorf an das Reichsarchiv vom 6. Juni 1927.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
26
2.Die Aämpfe vom 15. bis I8. September. a) Der rechte Heeresflügel (I., 7. und 2. Armee). Hierzu Karte 10 (1 :300 000) Band IV sowie Karten 1 (1 : 1 000 000) und 2 (1 :300 000) Band V.
Die Kämpfe bei der 1.,
7.und2.Armeehattenam
insofern einen im allgemeinen günstigen Verlauf genommen^), als die Krise, die durch das Vordringen starker feindlicher Kräfte zwischen der 1. und 2. Armee entstanden war, als behoben gelten konnte. Dank dem rechtzeitigen Eintreffen der 7. Armee war eine geschlossene Heeresfront wiederhergestellt. Auf der anderen Seite aber hatte sich der Offensivgedanke, der seit dem 12. September in den Erwägungen des Generalobersten v. Bülow immer
mehr Gestalt gewann, bisher noch nicht verwirklichen lassen. Die I.Armee hatte die Weisung des Generalobersten v. Bülow vom 13. September, 11^ abends, „sich ostwärts bis in die Höhe von Fismes zu
schieben", infolge feindlicher Angriffe nicht durchführen können. Sie stand mit dem IX. Armeekorps (ohne 34. Infanterie-Brigade'")), mit 10. Landwehr-, 43. Reserve- und 27. Landwehr-Infanterie-Brigade auf den Höhen westlich der Linie Cuts—Rampcel—Morsain, mit dem IV. Reservekorps
(ohne 43. Reserve-, mit verstärkter 16. Infanterie-Brigade°)) anschließend bis zur Höhe südöstlich Nouvron. Das IY. Armeekorps (ohne verstärkte 16. Infanterie-Brigade) hatte die Linie Cuify en Almont—Pommiers— Cuffies besetzt; die Stellungen des II. Armeekorps erstreckten sich nördlich und nordöstlich Soisfons von Cuffies bis Vregny, die des III. Armeekorps
(mit unterstellter 34. Infanterie-Brigade) lagen auf den Höhen nördlich Conds—Ostel. Die 4. Kavallerie-Division sicherte auf dem rechten Flügel im Räume von Cuts. Das Armee-Hauptquartier befand sich in Vauxaillon. Das mit dem Schutz der rechten Heeresflanke betraute, noch der 7. Armee unterstehende IX. Reservekorps hatte die Gegend von St. Quentin und westlich, die ihm angegliederte 7. Kavallerie-Division Matigny und Douilly
erreicht. Die Offensive der 7. A r m e e in der Richtung auf Pontavert sollte den
auf dem nördlichen Aisne-Ufer befindlichen feindlichen Kräften den Rückzug verlegen und das Höhengelände bei St. Thierry, nordwestlich Reims, gewinnen; sie war nicht vorwärtsgekommen. Am Abend des 14. Sep1) Band IV, ©.474 ff.
2) Grenadier-Regiment 89,
Infanterie-Regiment 84, 11./Feldartillerie-Regi-
ments 60, II./Feldartillerie-Regiments 45. 3) Infanterie-Regimenter 72, 153, 165 und Feldartillerie-Regiment 4.
Lage auf dem rechten Heeresflügel am Abend des 14. September.
27
tember stand das VII. Reservekorps mit unterstellter 25.Landwehr-Brigade am Chemin des Dames vom Oise—Aisne-Kanal bis östlich Cerny en
Laonnois; die 28. Infanterie-Brigade, die die Hochfläche von Craonne hatte räumen müssen, sammelte sich bei La Bove Chkteau. Das XV. Armeekorps") unter General der Infanterie v. Deimling hielt Chevreux und die
Höhen südlich und südöstlich Corbeny besetzt. Hinter dem rechten Armeeflügel stand die 9. Kavallerie-Division südwestlich Laon^), hinter dem linken Armeeflügel der Höhere Kavalleriekommandeur 1 mit unterstellter Gardeund 2. Kavallerie-Division bei Berrieux und St. Crme. Das Armee-Ober-
kommando befand sich in Laon. Der rechte Flügel der 2. A r m e e, das VII. Armeekorps, das seit dem
Vormittag des 14. September unter Führung des Generals der Infanterie
v. Claer°) stand, hatte trotz seiner großen Ausdehnung das Höhengelände westlich der Linie Cond^—Bermericourt und den Vrimont gegen über-
legene, mit großer Kraft geführte französische Angriffe zu behaupten gewußt. An das VII. Armeekorps schloß sich links die 1. GardeInsanterie-Division bei und südwestlich Fresnes an. Das X. Reservekorps und die 19. Insanterie-Division des X. Armeekorps lagen der Ostfront von Reims gegenüber in der Linie Witry les Reims—Cernay les Reims—Fort de la Pompelle; die 20.Infanterie-Division des X. Armeekorps und das Gardekorps mit der 2. Garde-Insanterie-Division standen auf dem linken Armeeflügel längs der Straße Reims—Souain vom Fort de la Pompelle bis zum Straßenkreuz südlich Rauroy. Armee-Hauptquartier war Warmeriville.
Generaloberst v. Bülow beabsichtigte, den am 13. September ein-is. September,
geleiteten Angriff auf den nördlich der Aisne stehenden Feind am 15. September fortzusetzen. Cr konnte hierfür bereits über das unter dem Befehl des Generals der Infanterie d'Elsa stehende von der 3. Armee herangekommene XII. Armeekorps verfügen, das am Abend des 14. September mit der Vorhut Reufchatel an der Aisne erreicht hatte. Eine weitere Verstärkung stand in naher Aussicht durch das am 16. September in der Gegend von Reims erwartete Eintreffen des XVIII. und VI. Armeekorps. Von dem Eingriff des Generals v. Falkenhayn in die Anordnungen des Generals v. Stein am Abend des 14. September, durch den das VI. Armeekorps bei der 4. Armee angehalten worden war, hatte Generaloberst v. Bülow noch keine 1) 9 Bataillone, 14 Feld- und 2 schwere Batterien des Korps befanden sich noch im Antransport. 2) Sie allein unterstand noch dem Höheren Kavalleriekommandeur 2, der sein Stabsquartier in CMeau Roger westlich Laon hatte. S) Band IV, S. 472.
28
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
Kenntnis erhalten^).
Er war der Auffassung, daß General v. Falkenhayn
die bevorstehende Offensive der 1.,7. und 2. Armee ebenso wie General v. Stein und Oberst Tappen als entscheidungsuchende Hauptoperation auffaßte, von der ein allgemeiner Umschwung der Lage erwartet wurde.
Die
weitergehenden Pläne des Generals v. Falkenhayn waren zu diesem Zeit-
Punkt noch nicht zu seiner Kenntnis gelangt). Ein Nachteil entstand hieraus aber nicht. Die Absichten des Leiters der Operationen und des Oberbesehlshabers der 2. Armee liefen insoweit zusammen, als sie die Weiterführung der Offensive zwischen Soissons und Reims zunächst zum Ziele
hatten. Dagegen bestanden zwischen den Generalobersten v. Vülow und v. Kluck
schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten. Auf Generaloberst v. Kluck lastete vor allem die Sorge um die rechte Flanke der 1. Armee. Die in west-
licher und nordwestlicher Richtung angesetzte Luftaufklärung hatte bereits am Tage zuvor den Vormarsch großer Kavalleriekörper, etwa zwei Divi¬ sionen, in der Richtung auf St. Ouentin festgestellt, am 15. September vormittags meldete sie den Anmarsch von drei, aus Kavallerie und Artillerie bestehenden Kolonnen von Veuvraignes über Candor auf Royon und schwächere Kavallerie bei Lafsigny sowie den Weitermarsch einer seit dem 13. September beobachteten Kolonne aller Waffen über Compwgne auf Ribecourt. Lebhafter Zugverkehr auf der Strecke Fismes—La Ferts
Milon schien auf Abtransports des Gegners in westlicher Richtung hinzudeuten. Der Oberbefehlshaber der 1. Armee glaubte, sich der drohenden feindlichen Umfassung nur durch einen kräftigen Gegenschlag des rechten Armeeflügels erwehren zu können und beabsichtigte, hierzu auch das IX. Reservekorps einzusetzen, die letzte Reserve, die gegenwärtig hinter dem rechten Heeresflügel zur Verfügung stand. Die Aussichten für diesen Angriff schienen ihm günstig, da bisher nördlich der Oise nur starke Kavallerie gemeldet worden war. Keinesfalls beabsichtigte er, weiter zurückzugehen, etwa gar die Aisne als Fronthindernis aufzugeben. Demgegenüber hielt Generaloberst v. Vülow an der Auffassung fest, daß die Entscheidung in dem Räume zwischen Soissons und Reims fallen werde, und daß man
daher hier mit so starken Kräften als irgendmöglich angreifen müsse. Cr hoffte, daß das Vorgehen der 1.,7. und 2. Armee gegen den nördlich der Aisne stehenden Feind den Anstoß für die Wiederaufnahme der Gesamtoffensive des Heeres geben werde. Die Beteiligung des linken Flügels der 1. Armee an dem konzentrisch zu führenden Angriff hielt er für unumgäng-
lich notwendig, selbst auf die Gefahr hin, daß die Armee dafür ihren rechten Armeeflügel bei der Abwehr vorübergehend zurücknehmen müsse. i) S. 20. — -) S. 22.
Gegensätzliche Auffassung der Lage bei den Armee-Oberkommandos 1 und 2. 29
Die am 15. und 16. zwischen den Oberkommandos der 1. und 2. Armee
gewechselten Funksprüche und schriftlichen Äußerungen geben ein eindrucksvolles Bild des Ringens der beiden Auffassungen. Generaloberst v. Kluck meldete am 15. September 3" vormittags
durch Funkspruch an die Oberste Heeresleitung und an die 2. Armee, daß das III. Armeekorps seinen Angriff heute fortsetzen und die 1. Armee im
übrigen ihre Stellungen halten werde. Nach Eintreffen des IX. Reservekorps sei auf dem rechten Armeeflügel der Übergang zum Angriff beabsichtigt. In einem um 1030 vormittags abgegangenen Bericht an die Oberste Heeresleitung und an das Armee-Oberkommando 2 wurde die Auffassung des
Oberkommandos eingehend begründet. Es hieß in ihm zum Schluß: „Die Armee behauptet zur Zeit in mehrtägigem Kampf ihre Stellung gegen starken Angriff, um es den herankommenden Verstärkungen zu ermöglichen, rechtzeitig einzugreifen .. . Der linke Flügel (III. Armeekorps) ist gestern zur Entlastung der 7. und dadurch auch der 2. Armee zum Angriff in Gegend Vailly vorgegangen. Das III. Armeekorps ist aber auf sehr starken Feind gestoßen und wird diesen heute festhalten, um zur Entlastung des
VII. Reservekorps beizutragen. Der rechte Flügel der 1. Armee geht nach Eintreffen des IX. Reservekorps zum Angriff vor. Wenn möglich, schließt sich demnächst die ganze Armee dem an.
Dann aber sind ihre Kräfte
erschöpft, und sie bedarf dringend einer kurzen Ruhe und starken Rächersatzes. Visher ist kein Nachersatz eingetroffen." Generaloberst v. Bülow nahm gegen diese Angriffsabsicht in einem an
die Oberste Heeresleitung gerichteten Schreiben von 330 nachmittags sehr entschieden Stellung und meldete, daß er den Angriff des rechten Flügels der 1. Armee „verbieten" werde.
Cr wies in einem am Abend des 15. Sep-
tember abgegangenen Schreiben an Generaloberst v. Kluck darauf hin, daß die geplante Offensive der 1. Armee im gegenwärtigen Zeitpunkt weder der Gesamtlage noch der Aufgabe der Armee entspreche, vielmehr voraussichtlich den rechten Heeresflügel erneut in eine sehr schwierige Lage bringen würde. „Solange der 1. Armee der Flankenschutz des Heeres zufällt," so hieß es
weiter, „muß sie ihre Aufstellung grundsätzlich rechts rückwärts gestaffelt wählen. Ein Angriff mit dem rechten Flügel der 1. Armee würde somit aus dem Rahmen der Gesamtoperation herausfallen und wird daher hiermit ausdrücklich untersagt. Ich habe die Oberste Heeresleitung von dieser Weisung an Euer Exzellenz in Kenntnis gesetzt." General v. Falkenhayn schloß sich in diesem Widerstreit der Meinungen der Auffassung des Generalobersten v. Vülow an und wies, da er
zu dieser Zeit immer noch mit der Möglichkeit einer starken Bedrohung der rechten Flanke der 1. Armee und mit der Notwendigkeit ihres Ausweichens
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
30
nach Norden rechnete, am 15. September, 11" abends, noch einmal aus-
drücklich darauf hin, daß der Befehl der Obersten Heeresleitung vom frühen Morgen des 15. September^), „wonach sich die 1. Armee gefährlicher feindlicher Flankenwirkung durch Ausweichen in direkt nördlicher Richtung zu entziehen habe", bestehen bleibe. Gleichzeitig verlangte er klare Meldung über die Lage in der rechten Flanke der Armee. Generaloberst v. Bülow gab am 16. September 3^ vormittags diese Weisung an das Armee-Oberkommando 1 weiter mit dem Zusatz, daß das IX. Reservekorps nur unter einer Zwangslage und nur zu dem Zweck der Loslösung der Armee eingesetzt
werden dürfe. Inzwischen hatte aber die Lage an der Front der 1. Armee eine Entwicklung genommen, die es schwer machte, den Wünschen des Generals v. Falkenhayn und des Generalobersten v. Bülow noch Rechnung zu tragen. Das IX. Reservekorps war bereits in den Kampf eingetreten. Das grundlegende Telegramm der Obersten Heeresleitung vom 15. September 4° vormittags war durch Verzögerung in der Übermittelung erst am 16. September bald nach 9° vormittags, also nach 29 Stunden, beim ArmeeOberkommando 1 eingetroffen. Generaloberst v. Kluck beantwortete es so-
fort in einem ausführlichen Schreiben: „Die 1. Armee", so führte er aus, „hat ihre Aufgabe bisher darin gesehen, zur Deckung der Flanke des Heeres die Aisne-Stellung zu behaupten. Der rechte Flügel ist bis Gegend Cuts (südöstlich Noyon) zurückgenommen, der linke steht bei und nordöstlich Vailly. Nach den bisherigen Anordnungen des Armee-Oberkommandos 2 sollte der linke Flügel der 1. Armee mit möglichst starken Kräften in Richtung Fismes angreifen, um den Erfolg des linken Flügels der 7. Armee auszunutzen. Das III. Armeekorps ist dementsprechend auf dringendes Ersuchen der 7. Armee unter Berufung auf den Befehl des Armee-Oberkommandos 2 heute aus Gegend Eonde— Vailly und nordöstlich im Angriff in Anlehnung an das VII. Refervekorps begriffen.
Auf der ganzen Front der 1. Armee steht starker Feind gegenüber, der abwechselnd an verschiedenen Punkten angreift. Der zurückgenommene rechte Flügel der Armee (IX. Armeekorps) ist gestern durch eine Umfassung aus Richtung Compiegne auf Cuts bedroht worden.
Da das der 7.Armee unterstehende IX.Reservekorps bereits von
dieser Armee auf Noyon angesetzt war, so war hierdurch die Möglichkeit gegeben, die drohende Umfassung durch Zurückwerfen des Feindes zu verhindern. Es sollen heute IX. Armeekorps und IX. Reservekorps den Feind hier zurückwerfen, dann aber der rechte Flügel wieder zurückgenommen und IX.Reservekorps, soweit die I.Armee
darüber verfügen kann, nördlich der Oife gestaffelt ausgestellt werden. Wenn eine klare Meldung der 1. Armee über die Gefährdung der rechten Flanke des Heeres vermißt wird, so ist zu melden, daß eine solche Klarheit nicht verschafft werden kann. Kavallerieaufklärung und Luftaufklärung versagten in den letzten Tagen. Anscheinend ist nur starke französische Kavallerie nördlich der Oise im Anmarsch (zwei bis drei Divisionen?). Die nördlichste bisher bekannte starke Kolonne aller Waffen ist die von Compiegne auf Noyon marschierende. Höherer Kavalleriekommandeur 2 ist in Richtung Chauny in Marsch gesetzt. Ich bitte um Befehl, ob
i) S. 20.
Beurteilung der Lage beim Armee-Oberkommando 1.
31
die Mitte der Armee die Aisne-Linie behaupten soll oder nicht. Eine Offensive des linken Flügels auf Fismes oder auch nur eine kräftige Unterstützung des rechten Flügels der 7. Armee ist nur möglich, wenn die Aisne-Linie behauptet wird. Ein Ausweichen der I.Armee in «direkt nördlicher Richtung« vor dem ihr unmittelbar
gegenüberstehenden Feinde gefährdet 7. und 2. Armee außerordentlich. Der bisher vor der I.Armee gebundene starke Feind erhält freie Hand . . .
Nach allem halte ich es für zweckmäßig, wenn die 1. Armee einstweilen die Aisne behauptet, mit dem linken Flügel die 7. Armee unterstützt, den rechten zurückbiegt und IX. Reservekorps nördlich der Oise staffelt, sobald die augenblicklich drohende
Umfassung zurückgewiesen ist. Soll eine weitergehende Staffelung befohlen werden, so kann dies nur durch neue Kräfte oder durch Aufgeben der Aisne-Linie erreicht werden,
wobei zu beachten ist, daß der I.Armee überall starker Feind dicht gegenübersteht. Soll dabei die direkt nördliche Richtung eingehalten werden, so ist dies mit einer Offensive des linken Flügels sowie mit der Deckung der Flanke der 7. und 2.Armee nicht vereinbar."
In gleichem Sinne wurden die Lage und die Absichten des Armee-
Oberkommandos dem Nachrichtenoffizier der Obersten Heeresleitung, Major v. Tieschowitz, klargelegt, der von General v. Falkenhayn am Abend des 15. September zur 1. Armee entsandt war, um sich über die Lage bei dieser zu unterrichten und ihre Stellungnahme zu einem ungünstigsienfalls not-
wendig werdenden Rückzüge der Armee nach Norden zu erfahren, Aber die weiteren Absichten des Generals v. Falkenhayn und über die Aufgaben, die den anderen Armeen im Falle des Rückzuges der 1. Armee zugedacht waren, war Major v. Tieschowitz vor seiner Abfahrt von Luxem-
bürg nicht unterrichtet worden. Die Antwort, die der Chef des Generalstabes der 1. Armee, Generalmajor v. Kühl, ihm auf die Fragen des Generals v. Falkenhayn erteilte, trug infolgedessen vornehmlich den Bedürfnissen der 1. Armee Rechnung. Cr wies darauf hin, daß deren Loslösung in der
jetzigen Lage sehr erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen würde. Die Stimmung der Truppe habe bereits stark gelitten; sie würde durch weiteres Zurückgehen noch tiefer sinken. Die Lage der Armee sei keineswegs so kritisch, daß die Fortsetzung des Rückzuges notwendig sei. Die Bedrohung der rechten Armeeflanke könne durch Einsatz des IX. Reservekorps beseitigt werden. Major v. Tieschowitz gab daraufhin in den Mittagsstunden des 16. September folgenden Funkspruch an die Oberste Heeresleitung: „1. Armee in unmittelbarer Fühlung mit Feind, der überall auf nördlichem Aisne-Afer. Loslösen nur möglich, wenn Feind über Aisne zurückgeworfen. Schwierige Wegeverhältnisse westlich Laon. Armee kann sich in Front gut
halten. Gegen Flankenbedrohung Compiögne IX. Reservekorps eingesetzt. Von Amiens her scheinbar nur starke Kavallerie. Günstig wäre Heranziehen von Kräften aus Gegend im Osten von Laon in Richtung Chauny..."
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
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Nach Eingang dieser Meldungen ließ General v. Falkenhayn seine Bedenken wegen Gefährdung der rechten Flanke der 1. Armee fallen und erhob daher auch keinen Einspruch gegen die Absichten des Generalobersten v. Kluck.
Der Befehl des Generalobersten v. Bülow für den 15. September
setzte örtlich beschränkte Ziele für den Angriff fest. Er bestimmte, daß das XII. Armeekorps über Prouvais auf Iuvineourt vorgehen, die aus Ab¬ gaben aller Korps der 2. Armee in der Gegend von Guignicourt zusammengezogene besondere Angriffsgruppe^) unter Generalleutnant Steinmetz
(9 Bataillone, 13 Batterien, 3 Eskadrons) den gegenüberstehenden Feind auf das südliche Aisne-Afer zurückwerfen und die Übergänge bei Pontavert und Berry au Bae sperren sollte. Sobald diese Ziele erreicht seien, sollte das XII. Armeekorps unter den Befehl der 7.Armee treten. Diese erhielt Anweisung, den Gegner von Norden her gegen die Aisne zu drängen und die
I.Armee zu unterstützen. Die 2.Armee hatte im übrigen ihre bisherigen Stellungen zu behaupten. Durch diese Maßnahmen beabsichtigte Generaloberst v. Bülow, die Grundlagen für den am 16. und 17. September, nach Eintreffen des XVIII. und VI. Armeekorps, geplanten entscheidenden Angriff der 2. Armee zu schaffen. Cr war über den Aisne—Marne-Kanal, nördlich Reims vorbei,
in südwestlicher Richtung zu führen, während gleichzeitig von Westen her der linke Flügel der 1. Armee in südöstlicher Richtung auf Fismes vor¬
gehen sollte. Die Entwicklung der Kämpfe am 15. September ließ die großen
Schwierigkeiten erkennen, die dieser Absicht entgegenstanden. Südlich der Aisne behauptete das aus den anderen Korps der Armee erheblich verstärkte
VII. Armeekorps seine Stellungen gegen starke ftanzösische Angriffe und entriß dem Feinde die den Kanal beherrschende Höhe östlich Sapigneul, Nördlich des Flusses kam die Abteilung Steinmetz, deren tödlich verwundeter Führer durch Oberst Weicke ersetzt wurde, beiderseits der Straße
Guignicourt—Pontavert vorgehend, nicht über die Chaussee Corbeny— Berry au Bae hinaus. Dieses blieb in Feindeshand. Anschließend stieß das XII. Armeekorps von Prouvais über Zuvincourt bis La Ville aur Bois vor und gewann Fühlung mit dem linken Flügel des XV. Armee-
korps. Der Übergang über die Aisne bei Pontavert wurde nicht erreicht Am Abend trat das XII. Armeekorps unter den Befehl des Armee-Oberkommandos 7. Bei der 7. Armee gelangte das XV. Armeekorps bis zum Abend aus i) Band IV. S. 478 und 480.
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Unbefriedigender Verlauf der Kämpfe am 15. September.
nahe Entfernungen an die stark besetzte und befestigte Hochfläche von
Craonne heran. Der Sturm auf die feindliche Stellung mußte jedoch infolge der feindlichen Artilleriewirkung auf den nächsten Morgen verschoben werden. Das VII. Reservekorps, noch tief erschöpft durch die Anstrengungen der vorhergehenden Tage, sah sich angesichts der starken artilleristischen Überlegenheit des Gegners außerstande, anzugreifen. Auf dem linken Flügel der I.Armee behauptete sich das unter dem Befehl des Generals der Infanterie v. Lochow stehende III. Anneekorps in örtlichen Kämpfen gegen die in den Schluchten nördlich der Aisne andrän¬
genden Engländer. Auf dem rechten Armeeflügel gestalteten sich die KampfVerhältnisse schwierig. Hier führte das Vorgehen feindlicher Kräfte von Carlepont her zu einer rückgängigen Bewegung der rechts neben dem IX. Armeekorps kämpfenden 10. Landwehr-Vrigade bis St. Paul aux Vois.
Die nördlich anschließende 4. Kavallerie-Division wich in Richtung Quierzy aus. Der ohnehin scharf zurückgebogene rechte Flügel des IX. Armeekorps wurde hierdurch völlig entblößt und der Umfassung preisgegeben. Trotzdem harrte aber der Kommandierende General, General der Infanterie v. Quast, in der Stellung Rampcel—Morfain aus. Die bedrängte Lage des Korps wurde erleichtert durch den Anmarsch des sehnsüchtig erwarteten IX. Reservekorps von St. Quentin her, dessen linke Marschkolonne den auf Blsraneourt
einschwenkenden Feind scharf in der Flanke treffen mußte. Der Kommandierende General des IX. Reservekorps, General der Infanterie v. Boehn, hatte sich durch die am Abend des 14. September eingehenden Meldungen vom Auftreten starken Feindes bei und östlich Amiens
nicht davon abhalten lassen, den Marsch nach Süden, dem Schlachtfelde zu, mit der größten Beschleunigung fortzusetzen. Auch die im Laufe des 15. September eintreffenden Nachrichten vom Vorgehen starker feindlicher Heereskavallerie auf der Straße Amiens—St. Quentin, also gegen die rückwärtigen Verbindungen des rechten deutschen Heeresflügels, änderten an feinem Entschluß nichts. Die Abwehr dieser Kräfte wurde, so gut es gehen mochte, den die Somme-Übergänge zwischen Peronne und Ham sperrenden
Landwehrtruppen") überlassen. Gegen 230 nachmittags näherte sich die von Ham anmarschierende 18. Reserve-Division Royon. Trotz der vorgerückten Stunde erhielt sie Befehl, den von Carlepont auf Bleraneourt vorgehenden Gegner in Flanke nnd Rücken anzugreifen.
Es konnten jedoch nur noch Teile der Vorhut unter heftigem feindlichen Arttlleriefeuer die Kanal; und Oise-Brücken süd¬ östlich Royon überschreiten und Pontoife besetzen. Die Masse der Division ging in den Abendstunden im Räume von Royon zur Ruhe über. x) Teile der 11. Landwehr-Vrigade. 1- Weltkrieg.
V. Land.
3
34
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
Die über Hombleux (5 lim westlich Ham)—Freniches—Lagny mar¬
schierende 17. Reserve-Division gelangte nach Vertreibung einer feindlichen Kavallerie-Division bei Cuy bis Thiescourt. Sie konnte am nächsten Tage von hier aus den Angriff der 18. Reserve-Division bei Carlepont—
Cuts durch Vorgehen über Ribscourt auf Bailly unterstützen und zugleich die Flanke gegen feindliche Kräfte schützen, die in den Mittagsstunden des 13. September im Anmarsch von Clermont auf Compiögne und nördlich gemeldet waren. Die 7. Kavallerie-Division des Generalleutnants v. Heydebreck, die dem IX. Reservekorps unterstellt war und dessen Vormarsch in der rechten Flanke begleiten sollte, erreichte, ohne mit dem Feinde in Verührung zu kommen, am Abend Candor (10 km nordwestlich Royon).
Trotz des unbefriedigenden Verlaufes der Kämpfe war Generaloberst v. V ülo w zur Fortsetzung des Angriffs mit verstärkten Kräften am lö.Sep-
tember entschlossen. Cr verfügte jetzt auch über das XVIII. Armeekorps, das am 15. September bis Roizy, Menil Lepinois und Aussonce herangezogen war*). Cs sollte am 16. September 11° vormittags hinter dem
VII. Armeekorps bei Aumenancourt—Bourgogne angriffsbereit stehen. Um dem rechten Flügel der 2. Armee eine noch größere Stoßkraft zu geben, ordnete Generaloberst v. Vülow das Herausziehen des X. Armeekorps an,
dessen Abschnitt auf das X. Reservekorps und die 2. Garde-InsanterieDivision verteilt wurde.
Cs hatte sich bis zum 16. September 10° vor-
mittags bei Witry les Reims bereitzustellen. Den Befehl zum Beginn des Angriffs und die Angriffsziele beabsichtigte Generaloberst v. Vülow erst am Morgen des 16. September zu geben. Generaloberst v. Heeringen war von der entscheidenden Bedeutung
der Kämpfe zwischen Soissons und Reims ebenso durchdrungen wie Generaloberst v. Vülow.
Cr beurteilte die Lage am Abend des 15. Sep-
tember dahin, daß zwar eine Bedrohung der rechten Flanke und der rück¬ wärtigen Verbindungen der 1. und 7. Armee ohne Zweifel vorliege, daß aber gleichzeitig die 1., 7. und 2. Armee in der Front um die Entscheidung
kämpften. Der Ausgang dieser Kämpfe war nach seiner Auffassung wichtiger als die zu erwartende vorübergehende Störung des Nachschubes auf dem
rechten Heeresflügel. Seinem Angriffsbefehl für den 16. September lag der Gedanke zugrunde, die auf dem nördlichen Aisne-Ufer befindlichen Franzosen durch konzentrischen Angriff zu vernichten. Das VII. Reservekorps sollte auf Vendresse—Paissy, also in fast östlicher Richtung vorgehen, das XV. Armeekorps die Höhen von Craonne nehmen, linker 1) S. 20 und 27.
Absichten des Generalobersten v. Bülow für den 16. September.
35
Flügel über Craonnelle auf Vassogne. Das XII. Armeekorps erhielt An-
Weisung, den Bogen durch Vorgehen zwischen Craonne und Pontavert, linker Flügel nördlich der Straße Pontavert—Veaurieux, zu schließen. Die geplante Verwendung des XII. Armeekorps erregte bei Generaloberst v. Bülow einiges Bedenken. Er ließ Generaloberst v. Heeringen
darauf hinweisen, daß er die Mitwirkung dieses Korps bei dem Angriff der 2.Armee auf die in Gegend Cormicy stehenden, auf mehrere Korps geschätzten feindlichen Kräfte nicht entbehren könne. Nach den Anordnungen des Oberkommandos 7 solle jedoch der linke Flügel des XII. Armeekorps von Pontavert auf Veaurieux vorgehen, werde also von den bevorstehenden Kämpfen der 2. Armee südlich der Aisne ganz abgezogen. Er bat daher
dringend, das Korps sofort nach Süden abzudrehen, sobald der SchlüsselPunkt der feindlichen Stellung nördlich der Äisne, Craonne, genommen sei. Generaloberst v. Heeringen wies demgegenüber darauf hin, daß ein Cindrehen des XII. Armeekorps erst erfolgen könne, wenn der dem VII.
Reservekorps und XV. Armeekorps gegenüberstehende Feind geschlagen sei, und sah keine Veranlassung, an den bereits erlassenen Befehlen nach-
trägliche Änderungen vorzunehmen. Generaloberst v. Bülow war bemüht, den lnrken Flügel der 1. Armee an der Offensive der 7. und 2. Armee noch stärker zu beteiligen. In einem Funkspruch an das Armee-Oberkommando 1 vom späten Nachmittage des 15. September hieß es: „XV. und XII. Armeekorps im erfolgreichen Vorgehen ... Voller Sieg durch energisches Vorgehen II. und III. Armeekorps auf Fismes in Aussicht." Generaloberst v. K l u ck antwortete zwar am Abend des 15. September, „die beiden Korps würden sich dem Angriff des VII. Reservekorps anschließen", gab aber in dem spät abends ausgegebenen Befehl für den 16. September zunächst nur dem III. Armeekorps einen offensiven Auftrag, während das II. Armeekorps lediglich feine Stellungen halten sollte, ebenso wie das IV. Armeekorps und IV. Reservekorps. An dem Entschluß zum Angriff des IX. Armeekorps und IX. Reservekorps gegen den feindlichen linken Flügel hielt er fest. Die Oberste Heeresleitung war über den Verlauf der Kämpfe am
15. September mehrfach unterrichtet worden, ohne daß sie freilich ein vollkommen klares Bild gewann. Mit den Absichten des Generalobersten v. Bülow für den 16. September war General v. Falkenhayn einverstanden.
Die Angriffsvorbereitungen der 2. Armee für den 16. September i«. September,
erlitten unliebsame Verzögerungen. Die Ablösung des X. Armeekorps durch das X. Reservekorps und die 2. Garde-Infanterie-Division stieß 3*
36
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
infolge nächtlicher feindlicher Angriffe auf Schwierigkeiten. Nur Teile in Stärke einer schwachen Division trafen gegen 10° vormittags bei Witry les Reims ein, während der Nest des Korps angesichts der Gefechtslage in der bisherigen Stellung belassen werden mußte. Als Ersatz für die nicht eingetroffenen Teile wurde dem Kommandierenden General des X. Armeekorps, General der Infanterie v. Cmmich, die bisher bei und nordöstlich Cernay les Reims eingesetzte, dann in die Gegend östlich von Fresnes gezogene 2. Garde-Referve-Division des X. Reservekorps unterstellt. Angesichts dieser Reibungen verschob Generaloberst v. Bülow den Angriff des zusammengesetzten X. Armeekorps und des XVIII. Armeekorps auf
1° nachmittags. Das XVIII. Armeekorps sollte mit seinem rechten Flügel über die Höhe südlich Aguileourt auf Montigny, das X. Armeekorps mit dem linken Flügel nördlich Reims vorbei an der Vesle entlang vor¬
gehen. Die 14. Infanterie-Division des VII. Armeekorps hatte die nördlich der Aisne bei Verry au Bac angreifende Abteilung Weicke zu unter-
stützen, während die 13. Infanterie-Division unter Vefetzthalten des Forts Brimont zur Verfügung des Generalkommandos VII. Armeekorps treten
sollte, sobald der Angriff des XVIII. Armeekorps ihre Linien durchschritten haben würde. Die 1. Garde-Infanterie-Division sollte zur Verfügung des Oberkommandos bei Fresnes stehenbleiben. Das X. Reservekorps hatte die
Offensive lediglich durch starkes Feuer in nordwestlicher Richtung und durch Vortäuschen eines Angriffs auf Reims zu unterstützen. £lm 330 nachmittags erging ein weiterer Armeebefehl, nach dem „der Kanal heute noch unter allen Umständen" vom VII., XVIII. und X. Armeekorps überschritten werden und das X. Reservekorps — nötigenfalls bei Dunkelheit — in Reims ein-
dringen sollte. Eine Stunde später schließlich folgte ein dritter Armeebefehl, in dem die Abteilung Weicke, das VII., XVIII. und X. Armeekorps angewiesen wurden, ihr Vorgehen zu beschleunigen, da ihnen nur
schwacher Feind gegenüberzustehen scheine. Der in den Nachmittagsstunden in Gang kommende Angriff der 2. Armee blieb jedoch im wesentlichen ergebnislos. Auf dem rechten Flügel nahm die 14. Infanterie-Division die in dem Kanalabschnitt südlich Verry au Vae liegende Höhe. Der Abteilung Weicke gelang es indessen nicht, Verry au Bac in die Hand zu bekommen. Das XVIII. Armeekorps traf verspätet in der befohlenen Ausgangsstellung ein und konnte daher erst um
2° nachmittags aus der Linie Höhe südlich Aguileourt—Vrimont angreifen. Die 25.Infanterie-Division kam bereits östlich La Neuville—Vermöricourt zum Stehen. Die 21. Infanterie-Division ging von Bourgogne aus über die Straße Neufchktel—Reims vor, wurde abends aber wieder an die
Straße zurückgenommen. Die dem Generalkommando des X. Armeekorps
Der Angriff am 16. September bleibt im wesentlichen ergebnislos.
37
unterstellte 2. Garde-Reserve-Division nahm in heftigem Kampfe das Wäldchen südlich Brimont und blieb hier in starkem flankierenden Feuer aus nördlicher und südlicher Richtung liegen. Die 19. Infanterie-Division mußte sich gegen Betheny wenden, von wo ihr Flankenfeuer entgegenschlug. Sie konnte jedoch den zäh verteidigten Ort nicht nehmen. Auch die 7. Armee erzielte nördlich der Aisne nur geringe Fort-
schritte. Das XII. Armeekorps mühte sich vergeblich, in der Richtung Pontavert vorwärtszukommen. Cs mußte sogar das in wechselvollen Kämpfen eroberte La Ville aux Vois wieder aufgeben. Am Abend lag das Korps zusammen mit der Abteilung Weicke eingegraben an der Straße Eorbeny— Verry au Vac. Dem XV. Armeekorps gelang es unter schweren Kämpfen, das Dorf Craonne gegen 330 nachmittags zu stürmen und den Höhenrand zu
gewinnen. Zur weiteren Ausnutzung des Erfolges fehlte ihm aber die Kraft. Das VII. Reservekorps auf dem rechten Flügel der 7. Armee kam infolge des starken feindlichen Artilleriefeuers keinen Schritt vorwärts.
Infolgedessen gelangte auch der Angriff des benachbarten III. Armeekorps nicht zur Entfaltung. In der Mitte der 1. A r m e e — beim IV. Reserve- und IV. Armee-
korps sowie beim II. Armeekorps — blieb die Lage unverändert. Auch auf dem rechten Flügel trat eine Entscheidung nicht ein. Der Kommandierende
General des IX. Armeekorps hatte befohlen, daß seine Divisionen erst angreifen sollten, wenn die 18. Reserve-Division das Waldgelände östlich Traey le Val erreicht hätte. Inzwischen sollten die 4. Kavallerie-Division des Generalleutnants v. Garnier und die 10. Landwehr-Vrigade den am
gestrigen Tage bis dicht östlich Gizaneourt vorgedrungenen Feind zurückwerfen. Hartnäckigen feindlichen Widerstand brechend, arbeitete sich die Landwehr im Laufe des Tages bis Vallee vor.
Der rechte Flügel der
17. Infanterie-Division, der ihr Vorgehen unterstützen sollte, wurde selbst auf den Höhen südwestlich Vlerancourt heftig angegriffen. So wartete General v. Quast sehnsüchtig auf das Eingreifen des IX. Reservekorps, das aber selbst in schwere Kämpfe verwickelt war und in den Nachmittagsstunden das sofortige Vorgehen des IX. Armeekorps erbat, um die Ver-
fchiebung feindlicher Kräfte nach Norden zu verhindern. Die von Sempigny und Pontoife her angreifende 18. ReserveDivision erreichte unter schweren Kämpfen bis zum Abend den Waldrand nordöstlich Earlepont, konnte aber den Ort selbst und die entscheidenden Höhen nicht nehmen. Die 17. Reserve-Division fand im Vorgehen von Thieseourt auf Rib«court auf den Höhen 1 km nordwestlich dieses Ortes hartnäckigen Widerstand, den sie nicht zu überwinden vermochte. Eine rechte Seitenkolonne gelangte bis Elineourt. Die 7. Kavallerie-Division sicherte
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
38
tagsüber die rechte Flanke im Räume von Margny und zog sich abends
zur 17. Reserve-Division nach Elincourt heran. Die Hoffnung, daß man den in der Gegend von Cuts zwischen dem
IX. Armeekorps und IX. Reservekorps eingekeilten Gegner vernichten und dann in raschem Vorwärtsgehen bis zur Aisne gelangen werde, erfüllte sich
also nicht. Wenn auch durch das Eingreifen des IX. Reservekorps die dringendste Gefahr für den rechten Flügel der 1. Armee beseitigt war, so machte sich hier eine Entspannung doch noch kaum fühlbar. Vielmehr rückten die im Laufe des Tages eingetroffenen Nachrichten über den Gegner die Schwierig, keiten der Lage erneut in scharfe Beleuchtung. Die Luftaufklärung stellte vor dem rechten Armeeflügel Anhäufung stärkerer feindlicher Kräfte — etwa eine Brigade — in der Gegend von Tracy le Mont, ferner Vereitstellungen
bei Offemont und östlich Berneuil fest. Auf der Straße Compiegne— Tracy le Val wurde 4*° nachmittags der Anmarsch einer langen Kolonne aller Waffen durch den Wald von Laigue beobachtet und ferner in
Compisgne die Ansammlung größerer Truppenkörper erkannt. Auf Grund dieser Fliegermeldungen mußte vom Oberkommando mit einer Fortsetzung des feindlichen Angriffs mit den hier bereitgestellten Kräften gegen den rechten Flügel der 1. Armee gerechnet werden. Auch das Generalkommando des IX. Reservekorps stand unter dem Eindruck, gegen stark überlegenen Feind zu kämpfen. Es teilte 645 abends dem IX. Armeekorps mit, daß es
zwei französische Armeekorps in südlicher Richtung zurückgeworfen habe. Der Gegner leiste aber noch hartnäckigen Widerstand und müsse morgen erneut angegriffen werden. Auch die Meldungen aus der Heeresflanke lauteten ziemlich bedrohlich. Feindliche Heereskavallerie war über die Bahnlinie Cambrai—St. Quentin vorgestoßen und 6™ nachmittags vor St. Quentin erschienen, wo sich ein Gefecht mit einer eben dort ausgeladenen gemischten Abteilung des XV. Armeekorps entwickelt hatte. Dagegen war der Raum Royon— Ham — St. Quentin — Pöronne — Amiens — Roye — Laffigny sowie die
Gegend westlich und südlich Eompisgne nach Fliegermeldungen vom Feinde frei. Generaloberst v. Bülow war trotz der wenig günstigen Entwicklung
der Offensive entschlossen, den Angriff zwischen Soissons und Reims auf der bisherigen Grundlage fortzusetzen. Cr besaß hierfür die Zustimmung der Obersten Heeresleitung. In dem am 16. September 9™ abends aus¬ gegebenen Armeebefehl wurden das VII., XVIII. und X. Armeekorps angewiesen, in der Rächt den Kanal zu überschreiten und mit Tagesanbruch
Anordnungen des Generalobersten v. Vülow für den 17. September.
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den Kampf in den befohlenen Gefechtsstreifen fortzusetzen^). Die 1. GardeInfanterie-Division sollte dem X. Armeekorps folgen, das X. Reservekorps mit Morgengrauen unter Festhaltung der linken Hälfte seiner bisherigen Stellung von der Stadt Reims Besitz nehmen. In der am 16. September 9° abends an die 1. Armee gerichteten An¬ weisung verlangte Generaloberst v. Vülow erneut eine stärkere Beteiligung des linken Armeeflügels an dem Angriff der 7. und 2.Armee. Es hieß in
dem Befehl: „I.Armee, der IX.Reservekorps und 7. Kavallerie-Division°) unterstellt, behauptet Stellung und geht mit III. Armeekorps, wenn mög¬ lich mit stärkeren Kräften, zum Angriff in südöstlicher Richtung vor. 2. und 7. Armee setzen Angriff fort." In unvermindertem Gegensatz zu dieser Auffassung hielt Generaloberst v. Kluck an der Offensive zum Schutze seines rechten Armeeflllgels nach wie vor fest. Seine Absicht für den 17. September ergab sich aus der 945 abends an das Armee-Oberkommando 2 und an die Oberste Heeres-
leitung gerichteten Meldung: „Angriff wird 17. September von IX. Reservekorps mit Unterstützung IX. Armeekorps erneut, um Feind zurückzuwerfen und sich loszulösen. Dann soll IX. Armeekorps wieder in seine gestaffelte Aufstellung bei Rampcel, IX. Reservekorps in Gegend nördlich Royon zurückgeführt werden . . .
Angriff III. Armeekorps kam nicht vorwärts,
da östlich Vailly starke englische Kräfte.
Wird 17. erneut.
1. Armee
wird 17. im allgemeinen Stellungen behaupten, um Angriff 7. Armee zu er¬
möglichen."
Bei der 2. Armee kam der für die Nacht vom 16. zum 17. September
befohlene Übergang des VII., XVIII. und X. Armeekorps über den Aisne— Marne-Kanal infolge unvermindert hartnäckigen Widerstandes des Feindes nicht zur Durchführung.
Rur an wenigen Stellen konnte ein Gelände-
gewinn erzielt werden. Beim X. Armeekorps stürmte der mit Truppen anderer Verbände vermischte rechte Flügel der 2. Garde-Reserve-Division am Spätnachmittage das stark befestigte Chateau Vrimont. Der Angriff des unter dem Befehl des Generals der Infanterie v. Eben stehenden
X. Reservekorps auf Reims erreichte in den Nachmittagsstunden den Bahndämm östlich Reims, geriet aber hier in fo starkes Flankenfeuer von beiden Seiten, daß gegen Abend das Zurückgehen in die Ausgangsstellungen beiderseits der Straße Cernay—Reims befohlen werden mußte. Auch der Angriff der 7. Armee vermochte keine Fortschritte zu er-
zielen. Ertliche Vorteile gingen meist wieder verloren. Besonders heftig gestaltete sich der Kampf des XV. Armeekorps um die Hurtebise Ferme i) S. 36. — 2) Unterstanden bisher noch immer der 7. Armee.
s-ptemver.
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Die Operationen in Frankreich und Belgien.
und um die anschließenden Höhen. Die Infanterie gelangte hier zwar bis auf nahe Entfernungen an die feindlichen Stellungen heran, mußte dann aber doch den Sturm auf den folgenden Tag verschieben, um die Wirkung der planmäßigen Artilleriebeschießung abzuwarten. Auch das XII. Armeekorps kam nur wenig vorwärts. Nur das Dorf La Ville aux Bois wurde gestürmt und gegen alle Wiedereroberungsversuche des Gegners gehalten. Dem Vorschlage des Kommandierenden Generals des
XII. Armeekorps, Generals der Infanterie d'Clsa, folgend, nahm der Oberbefehlshaber von der weiteren Durchführung des Angriffs hier Abstand, bis die feindliche Artillerie planmäßig niedergekämpft wäre. In erster Linie sei es jetzt Aufgabe des XII. Armeekorps, den Übergang bei Pontavert zu sperren und gemeinsam mit der Abteilung Weicke einen Durchbruch des Feindes zu verhindern. Da General d'Clsa diesem Auftrage auch mit schwächeren Kräften gerecht werden zu können glaubte, wurde eine gemischte Brigade des XII. Armeekorps, die 63., zum linken Flügel des VII. Reservekorps in Marsch gesetzt, um dessen völlig ins Stocken geratenes Vorgehen wieder in Fluß zu bringen. Die Kämpfe bei der I.Armee bewegten sich am 17. September in den gleichen Bahnen weiter wie an den vorhergehenden Tagen. Die tiefe
Erschöpfung der Truppe und als Folge hiervon die nachlassende Angriffskraft machte sich allenthalben geltend. Auf dem rechten Armeeflügel hielten die schweren Kämpfe an. Das IX. Armeekorps unterstellte dem Komman¬ deur der 4. Kavallerie-Division, Generalleutnant v. Garnier, alle noch ver¬
fügbaren Reserven sowie die 10. Landwehr-Brigade mit dem Auftrage, im Zusammenwirken mit dem IX. Reservekorps den Gegner aus dem noch zähe verteidigten, stark vorspringenden Winkel bei Cuts zu verdrängen. Die 10. Landwehr-Brigade griff von Vallse, die verstärkte 4. Kavallerie-Division längs der Straße Bretigny—Cuts an. Sie hatte Anschluß an den von
Pontoise her auf La Pommeraye vorgehenden linken Flügel der 18. Referve-Divifion. Erst 7° abends konnten Cuts und La Pommeraye unter erbitterten Kämpfen genommen werden. Beim IX. Reservekorps wurde
die 18. Reserve-Division bei Tagesanbruch von starken feindlichen Kräften angegriffen und lag am Abend noch vor Carlepont—Caisnes. Die 17. Reserve-Division nahm gegen 1° nachmittags mit ihrem linken Flügel Dreslineourt, während der rechte Flügel bei Riböcourt infolge feindlicher Überflügelung von Machemont her in Bedrängnis geriet. Erst die von Elincourt über Chevineourt heraneilende rechte Seitendeckung führte eine günstige Cntscheidung herbei. Der Feind mußte Ribscourt räumen. Die 7. KavallerieDivision deckte am Straßenkreuz östlich Mareuil den Rücken der 17. Reserve-
Auch der Angriff am 17. September bringt keine entscheidenden Erfolge.
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General v. Voehn glaubte, einen vollen Sieg errungen zu haben. Er meldete um 8™ abends an das Oberkommando: „IX. Reservekorps
hat heute doppelt überlegenen Feind (französisches XIII., IV. Armeekorps, 37. Infanterie-Division oder Teile derselben) vollständig geschlagen, mehrere Batterien genommen. Anzahl der Gefangenen noch nicht zu über-
sehen. Gegner auf der Flucht in südlicher Richtung. Verfolgung eingeleitet, heute nachmittag eingetroffenes Iägerdetachement') zur überholenden Verfolgung auf Compisgne angesetzt. IX. Reservekorps wird morgen auf der ganzen Linie verfolgen und versuchen, ein Entweichen des Feindes in südwestlicher Richtung zu verhindern; jedenfalls bei Compisgne die Oife überschreiten. 7. Kavallerie-Division ebenfalls zur überholenden Verfolgung über Compisgne angesetzt." In einem an den Kommandierenden General des IX. Armeekorps, General v. Quast, gerichteten Schreiben sprach sich General v. Voehn dahin aus, daß der Feind voraussichtlich in der Rächt abziehen werde. Sollte er wider Erwarten stehenbleiben, so würde das IX. Reservekorps mit der 18. Reserve-Division angreifen, mit der 17. Reserve-Division überholend über Choisy au Bac vorgehen, um dem Gegner den Rückzug nach Süden zu verlegen. Cr bat General v. Quast,
alle verfügbaren Kräfte auf Traey le Mont und Moulin sous Touvent anzusetzen und sich nicht mit einem Angriff gegen die morgen doch aller Wahrscheinlichkeit nach geräumten Stellungen bei Caisnes aufzuhalten. General v. Quast teilte die günstige Auffassung des Generals v. Voehn jedoch nicht. Er rechnete mit weiterem Widerstande aw 18. September bei Caisnes und im Walde südlich des Ortes und war der Ansicht, daß erst dieses Gelände vom Feinde gründlich zu säubern sei, bevor man an eine
!lmfassungsbewegung denken könne.
Cr beabsichtigte daher, am nächsten
Morgen erneut Caisnes und das südlich davon gelegene Waldgelände an-
zugreifen. Diese Gegensätzlichkeit der Auffassung zeigte deutlich die Wandlung der Anschauungen, die sich bereits in diesen Tagen bei einem Teil der Führer und der Truppe über das Wesen der neuen Kampfart anbahnte. General v. Voehn, der die Schlachten an der Marne und an der Aisne nicht
miterlebt, und dessen IX. Reservekorps hier zum ersten Male schwer ge¬ *) Zägerdetachement Petersen (Jäger-Bataillone 4,9 und 10), bisher dem II. Armeekorps unterstellt und von diesem auf Befehl des Armee-Oberkommandos 1
am Morgen des 17.SeptembernachdemrechtenArmeeflügel in Marsch gesetzt, wurde durch Korpsbefehl vom 17. September 730 abends der 7.Kavallerie-Division
unterstellt; letztere erhielt Befehl, frühzeitig zur überholenden Verfolgung über Compisgne vorzugehen. Das ebenfalls beim II. Armeekorps befindliche JägerBataillon 3 verblieb diesem.
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Die Operationen in Frankreich und Belgien.
kämpft hatte, nahm als selbstverständlich an, daß die Franzosen sich der gefährlichen Umklammerung bei Eaisnes im Laufe der Nacht. entziehen würden. General v. Quast dagegen schätzte auf Grund seiner bisherigen Erfahrungen die der Verteidigung innewohnenden Kräfte höher ein; das IX. Armeekorps hatte sich am 15. September selbst in einer derartigen Lage befunden. Cr traute jetzt dem Gegner die gleiche Zähigkeit zu, die sein Korps damals bewiesen hatte. Auch dem Oberkommando der 1. Armee schien die Gefechtslage auf dem rechten Armeeflügel trotz der von dorther kommenden günstigen Nachrichten noch keineswegs geklärt. Cs meldete am 18. September 12°° vormittags der Obersten Heeresleitung lediglich, daß Cuts genommen sei und die 17. Reserve-Division bei Riböcourt in heftigem
Gefecht stehe. Die Lage östlich der Oise habe sich gebessert. Westlich der Oise sei der Einsatz der 4. bayerischen Infanterie-Brigade erforderlich, die über St. Quentin nach dem rechten Armeeflügel vorgeführt werde*). Die beim Oberkommando eintreffenden Nachrichten über die Lage in der Heeresflanke ergaben noch immer kein klares Bild. Die Etappen-
Inspektion 1 teilte mit, daß nach erbeuteten Aufzeichnungen eines französischen Offiziers die 1., 3. und 5. Kavallerie-Division zu EisenbahnZerstörungen in den Rücken des deutschen Heeres angesetzt worden seien. Die 5. Kavallerie-Division wäre in der Gegend von Vusigny—Eambrai festgestellt, die 1. bei St. Quentin und nordwestlich Ham, wo sie bereits
einen Verwundetenzug beschossen habe. Meldungen der deutschen 7. Kavallerie-Division ließen weiterhin darauf schließen, daß sich in Montdidier stärkere feindliche Kräfte sammelten. So dringlich unter diesen Amständen schnelle Aufklärung in der Richtung auf Montdidier schien, so glaubte das Oberkommando doch, die 7. Kavallerie-Division angesichts der
gespannten Gefechtslage in ihrem Vorgehen auf Eompisgne belassen zu müssen. Die rückwärtigen Verbindungen der I.Armee blieben hiernach weiterhin bedroht. Am so wichtiger war das baldige Eintreffen des unter dem Befehl des Generals der Kavallerie v. der Marwitz stehenden 2. Kavalleriekorps, das am frühen Morgen des 16. September vom ArmeeOberkommando 1 angewiesen worden war, über Eouey le Chöteau auf den rechten Heeresflügel zu rücken, sobald ein Herausziehen der in der Front der J) Die mittels Bahntransportes über St. Quentin vorausbeförderte 4. bayerische Infanterie-Brigade (S. 23) war dem Oberkommando 1 auf seine Bitte von der
7. Armee, der das im Anmarsch befindliche I. bayerische Armeekorps noch unterstand, zur Verfügung gestellt worden. Der erste Transport gelangte am 18. September in Tergnier zur Entladung. Die weiteren Transporte sollten bis Noyon vorgeführt werden, wo Auslademöglichkeiten hergestellt wurden.
Generaloberst v. Bülow hält weiter am Offensivgedanken fest.
7. Armee eingesetzten Teile") möglich sei.
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Die ihm wieder unterstellte
2. Kavallerie-Division war indessen am 17. September nur bis in die
Gegend südlich Laon gelangt, während die 9. Kavallerie-Division ihre bis-
herigen Anterkunstsorte südwestlich Laon noch gar nicht verlassen hatte. Generaloberst v. Bülow beabsichtigte, trotz des wenig befriedigenden Verlaufs der Kämpfe die Offensive am 18. September fortzusetzen. In seiner Auffassung über die operative Gesamtlage war eine Änderung nicht eingetreten. Das Schwergewicht lag seiner Meinung nach noch immer im Räume Soissons—Reims. Die Hoffnung, hier doch noch zu einem größeren Erfolge zu kommen, hatte er noch nicht aufgegeben, jedoch schien ihm die Zuführung von Verstärkungen unerläßlich.
Schon am Morgen des
17. September war er in diesem Sinne bei der Obersten Heeresleitung vor-
stellig geworden. Cr wies darauf hin, daß der Ausgang der Offensive eine Frage der Nerven sei, und daß die größere Ausdauer sich schließlich durchsetzen werde. General v. Falkenhayn bestärkte ihn in seinem Entschluß, da ihm die Schwächung und Zermürbung des französisch-englischen Heeres im Interesse der geplanten Amfassungsoperation der 6. Armee, von der die Armeeführer auf dem rechten Heeresflügel übrigens an diesem Tage immer noch keine Kenntnis besaßen, dringend erwünscht war. Die Kämpfe nahmen also auch am 18. September ihren Fortgang. Auf dem linken Flügel der 2.Armee sah sich das X. Reservekorps i». September,
außerstande, den gestrigen verlustreichen Angriff zu wiederholen, ehe nicht die feindliche Artillerie niedergekämpft war. Diese Vorbedingung war am 18. September noch keineswegs erfüllt. Der Kommandierende General meldete, daß er die Aussichten für die Einnahme der Stadt Reims mit der in ihren Verbänden zerrissenen, durch starke Verluste — insbesondere an Offizieren — geschwächten Division Vahrseldt (19. Reserve-Diviston)
nicht für günstig halte. Cr erbat für die Durchführung des Angriffs eine frische Truppe. Ebensowenig befriedigend lauteten die Meldungen vom rechten Armeeflügel.
General der Infanterie v. Schenck, der Kommandierende
General des XVIII. Armeekorps, konnte als einzigen Erfolg am Abend des 18. September nur die Besetzung des Westufers des Kanals bei und
nördlich Eourey berichten. Ein weiteres Vortragen des Angriffs sei im Hinblick auf den sehr erschöpften Zustand der Truppe nur möglich, wenn es gelinge, die französischen Batterien niederzukämpfen, worüber der morgige Tag noch hingehen werde. Cr bat um Zuführung weiterer schwerer
Batterien, da ohne planmäßig vorbereitendes schweres Artilleriefeuer die festungsartig ausgebauten feindlichen Feldstellungen nicht zu nehmen seien. *) Die Maschinengewehr- und die reitende Abteilung der 9. Kavallerie-Division waren beim VII. Reservekorps eingesetzt.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
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Bei der 7. Armee blieb die Lage ebenfalls unverändert. Das VII. Reservekorps war zu einem Angriff nicht mehr fähig. Die zu seiner
Unterstützung herangeführte Brigade v. Gersdorff^) (63. Infanterie-Brigade des XII. Armeekorps) war nicht imstande, Bewegung in die erstarrte Linie zu bringen. Auch das XV. Armeekorps begnügte sich mit Artillerie-
beschießung und verschob die Weiterführung des Angriffs auf die Hochfläche südlich von Craonne auf den 19. September. Auf dem linken Flügel der 1. Arm e e kam der Angriff des III. Armee¬
korps auf dem Höhengelände nördlich Soupir infolge der durch Munitionsmangel bedingten unzureichenden Artillerievorbereitung nicht zur erfolgreichen Durchführung. In der Mitte der Armee herrschte Ruhe. Der
Artilleriekampf ließ nach. Der Verlauf der Kämpfe auf dem rechten Armeeflügel am 18. Sep¬ tember zeigte, daß der Erfolg des IX. Reservekorps am 17. September vom Kommandierenden General weit überschätzt worden war. Das Vorgehen des rechten Flügels des IX. Armeekorps und der 18. Reserve-Division gegen
Carlepont—Caisnes fand zwar zunächst nur geringen Widerstand, kam jedoch dann hart südlich Carlepont und in den Wäldern östlich davon wieder zum Stehen. Die 17. Reserve-Division, die eng massiert bei Ribecourt
stand, mußte sehr bald erkennen, daß der befohlene Vormarsch auf Compisgne gar nicht in Frage kam. Sie mühte sich vergeblich, in südwestlicher Richtung über Machemont und nach Süden Raum zu gewinnen. Am 6° abends sah sich General v. Voehn genötigt, der Division zu befehlen, die Fortsetzung des Angriffs bis zum Eintreffen der 4. bayerischen Infanterie-Brigade, die im Laufe der kommenden Rächt erwartet wurde, zu verschieben. Die 7. Kavallerie-Divifion, die zur überholenden Verfolgung aus dem Räume um Lafsigny auf Compiegne angefetzt war, stieß bei Ressons und Clincourt auf Widerstand und zog sich abends in die Gegend von Cuy zurück, um von hier aus Flanke und Rücken des Korps zu schützen. Obgleich General v. Voehn den Gegner westlich der Oise nicht für stark hielt, kamen ihm am Abend des 18. September doch Bedenken, ob er die Fortsetzung des Angriffs der 17. Reserve-Division für den 19. September anordnen folle. Cr befahl ihr schließlich, die gewonnenen Stellungen zunächst zu halten. Die 18. Reserve-Division hatte den Angriff östlich der Oise in der Richtung auf Traey le Mont weiterzuführen. Die 7. Kavallerie-
Division sollte durch Aufklärung gegen die Linie Montdidier—Cstrees St. Denis den linken Flügel des Gegners feststellen. Das Oberkommando der 1. Armee hatte, noch in Unkenntnis des Verlaufes der Kämpfe, am 18. September nachmittags den Befehl gegeben, daß 1) S. 40.
Fortgang der Kämpfe am 18. September.
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das IX. Armeekorps mit zugeteilten Landwehrformationen nach Erreichen der Aisne in der Linie Ehoisy au Vae (nordöstlich Eompisgne)-Attichy
—Vie Aufstellung nehmen solle. Das IX. Reservekorps wurde angewiesen, sich in der Gegend südwestlich Marqusglise (nordwestlich Compiögne) als Staffel zu offensiver Verwendung gegen feindliche Flankenbedrohung bereitzustellen. Dieser Befehl, der infolge der Entwicklung der Lage nicht zur Aussührung gelangte, war kennzeichnend für die beim Oberkommando bestehende
Auffassung. Der Gedanke, den rechten Armeeflügel zurückzunehmen, nachdem man dem Gegner einen kräftigen Schlag versetzt hatte, und das
IX. Reservekorps stark rückwärts gestaffelt nördlich der Oise aufzustellen, war fallengelassen. Vielmehr sollte nunmehr die Aisne-Linie in ihrer ganzen Ausdehnung gehalten werden, sobald sie erreicht war. Auf tiefe Staffelung des IX. Reservekorps glaubte das Oberkommando verzichten zu können. Die Abwehr der in der rechten Heeresflanke aufgetretenen feindlichen Kavallerie wurde den in der Etappe stehenden Landwehrtruppen und der 4. Kavallerie-Division übertragen. Offenbar schätzte also das Oberkommando der 1. Armee die Gefahr der Äberflügelung und Umfassung im Augenblick nicht mehr hoch ein und hoffte, den rechten Armeeflügel in seiner stark gefährdeten Stellung mehrere Tage halten zu können, bis die Verstär-
kungen herankamen.
Generaloberst v. Vülow beharrte demgegenüber noch immer auf seiner alten Forderung der Rückwärtsstaffelung des rechten Flügels der 1. Armee und der Verlegung des Schwergewichts auf deren linken Flügel. Ein am 18. September 215 nachmittags beim Oberkommando 1 eintreffender Funkspruch verlangte „Anschluß 1. Armee an 7.unter Rückwärtsstaffelung
starker Kräfte hinter rechten Flügel. Befehle der 1. Armee beschleunigt Angriff mindestens zweier Armeekorps gegen Feind gegenüber rechtem Flügel 7. Armee, damit diese baldigst Aisne gewinnt". In einem späteren, der 7. Armee zugeleiteten Telegramm wurde diese Forderung noch einmal unterstrichen mit dem Hinzufügen
. . dabei ist der 1. Armee gegenüber
erneut zu betonen, daß ich mir von diesem umfassenden Angriff einen ent-
scheidenden Erfolg verspreche." Das blutige Ringen an der Aisne und bei Reims war am Abend des
18. September trotz gewaltiger Anstrengungen auf beiden Seiten der Ent-
fcheidung noch nicht nähergerückt. Daß den sich müde hinschleppenden Kämpfen die heiße Leidenschaft und der Schwung der bisherigen Schlachten fehlte, hatte nur zu sehr seine guten Gründe. Räch all den übermenschlichen Anstrengungen der vergangenen Wochen, vor allem aber nach dem Rück-
schlag an der Marne, war die Truppe körperlich und seelisch erschöpft; sie war am Ende ihrer Kraft und bedurfte dringend der Ruhe, der Auffüllung
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
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ihrer stark geschwächten Verbände, des Ersatzes des unteren FührerPersonals und insbesondere auch der Zuführung reichlicher Artilleriemunition.
Es war verhängnisvoll, daß die obere Führung zum Teil den
wahren Zustand der Truppe nicht rechtzeitig erkannte; sie trieb diese fortgesetzt zu neuen Angriffen vor und forderte von ihr Leistungen, die sie nach allem, was vorangegangen war, in ihrem jetzigen Zustande unmöglich erfüllen konnte — zumal einem Feinde gegenüber, der in starken Ver-
teidigungsstellungen stand und mit den geringen zur Verfügung stehenden Munitionsbeständen nicht niedergekämpft werden konnte. Ungeduldig wartete die Infanterie darauf, daß die Artillerie ihr den Weg in die feindlichen Stellungen bahne. Aber selbst da, wo ausnahmsweise genügend Artilleriemunition zur Verfügung stand, brachen auch nach starker ArtillerieVorbereitung die Angriffe meist unter schweren Verlusten zusammen. Anter diesen Umständen mußte die Angriffskraft der Truppe allmählich erlahmen. Generaloberst v. Vülow beobachtete zwar mit steigender Sorge die Zeichen der Schwäche, sein Wille zu siegreicher Beendigung der Offensive blieb aber
noch unerschüttert. b) Die Heeresmitte.
(3., 4., 5. Armee einschließlich Armee-Abteilung
Strantz.) Karte 10 (1 :300 000) Band I V sowie Karten 1 (1 : 1 000 000) und 3 (1 : 300 000) Band V.
i5.ttnH6.se*>*
tember.
Während der deutsche rechte Heeresflügel — 1., 7. und 2. Armee —
Befehl des Generalobersten v. Vülow an der Aisne und bei Reims
um die Schlachtentscheidung rang, fehlten bei den Armeen der Heeresmitte — 3., 4. und 5.Armee — eine gemeinsame Führung und ein in feste Form
gebrachter operativer Gedanke. Vei der 3. Armee verlief der 15. September ohne schwere Kämpfe. Die beiden ihr noch verbliebenen Armeekorps (XII. Reservekorps mit Teilen der 47. Landwehr-Vrigade und XIX. Armeekorps) standen im Räume nordwestlich Prosnes bis Souain^). Das Oberkommando hatte schon um 2° morgens aus seinem Armee-Hauptquartier Bstheniville an die Oberste Heeresleitung gemeldet, die Armee werde ihre Stellungen behaupten. Die
Stimmung sei gut, die Lage werde durchaus günstig beurteilt. Gegen 9° abends wurde die Meldung dahin ergänzt, daß der Feind artilleristisch zwar überlegen sei, daß seine Angriffe aber nicht energisch geführt würden. Die Armee könne jederzeit angreifen, falls die Rachbarn vorgingen. In der Rächt vom 15. zum 16. September wurde südlich Moronvilliers der x) Die seit dem 13. September der Z.Armee unterstellte 5. Kavallerie-Division ruhte in und um St. Loup en Champagne.
Das Armee-Oberkommando 4 befiehlt den Angriff des linken Armeeflügels.
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Angriff stärkerer feindlicher Kräfte abgewiesen. Am 16. September be-
schränkte sich die Gefechtshandlung im wesentlichen auf Artilleriekampf. Das Oberkommando betonte am Abend dieses Tages noch einmal seine
Vereitschaft zur Offensive.
Im Bereich der 4. Armee entwickelten sich am 15.September ernste Kämpfe. Sie stand mit dem VIII. Armeekorps in der Linie Souain— Perthes—nördlich Le Mesnil, mit dem VIII. Reservekorps, dem die 49. Landwehr-Brigade unterstellt war, auf den Höhen nördlich Le Mesnil —Massiges bis zur Straße Cernay en Dormois—Ville sur Tourbe. Die
Stellungen des XVIII. Reservekorps erstreckten sich anschließend bis Binarville. Dahinter ruhten das VI. Armeekorps bei und südwestlich Grandpr«, der Höhere Kavalleriekommandeur 4, Generalleutnant Freiherr v. Hollen, mit der 3. und 6. Kavallerie-Division nördlich der Argonnen im Räume St. Iuvin—Buzaney. Das Oberkommando, das in Vouziers lag, hatte
trotz des von der Obersten Heeresleitung ausgesprochenen Wunsches, das VI. Armeekorps als Armeereserve zu belassen und nur bei dringendem Bedarf einzusetzen^), am 14. September 1045 abends den gemein¬
samen Angriff des XVIII. Reservekorps und VI. Armeekorps angeordnet. Der beabsichtigte Einsatz des VI. Armeekorps wurde der Obersten Heeresleitung gemeldet, ohne daß von General v. Falkenhayn Einspruch erfolgte. Hm die Maßnahmen, der beiden Korps in Übereinstimmung zu bringen, wurde der Kommandierende General des VI. Armeekorps, General der
Infanterie v. Pritzelwitz, beauftragt, die nötigen Anordnungen für beide Korps zu treffen. Dieser hatte in seinem Korps-Hauptquartier Grandpre um 730 abends den Weitermarsch des VI. Armeekorps nach dem rechten Heeresflügel angeordnet. Den Befehl der 4. Armee, der ihn zum Angriff gemeinfam mit dem XVIII. Reservekorps rief, erhielt er erst spät in der Nacht. Er alarmierte sofort die 11. Infanterie-Division und fetzte sie nach Süden in Marsch. Das Oberkommando hatte dem General v. Pritzelwitz die Vorbehalte und Wünsche der Obersten Heeresleitung für den Einsatz des Korps im Bereich der 4. Armee mitgeteilt, aus denen im besonderen hervorging, daß das Korps noch nicht in den Verband der 4. Armee träte. General v. Pritzelwitz mußte demnach annehmen, daß es sich nur um eine vorüber-
gehende Unterbrechung des Marsches seines Korps nach dem rechten Heeresflügel handele, und war daher darauf bedacht, möglichst geringe Teile seines Armeekorps zur Unterstützung des XVIII. Reservekorps einzusetzen, um im Bedarfsfalls über feine Truppen möglichst bald wieder verfügen zu können. Cr stellte dem XVIII. Reservekorps zunächst nur eine gemischte Brigade der 11. Infanterie-Division zur Verfügung. ') 6.20.
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Die Operationen in Frankreich und Belgien.
Der Kommandierende General des XVIII. Reservekorps, General der Infanterie v. Steuden, ordnete um 715 vormittags das Vorgehen seiner linken Division, der 25.Reserve-Division, nach Süden an. Auf dem linken
Flügel der Division griff die dem XVIII. Reservekorps unterstellte 21. Infanterie-Brigade der 11. Infanterie-Division in das Gefecht ein. Inzwischen entbrannte der Kampf auch in der Mitte der Armeefront. Die Franzosen gingen hier zum Angriff vor und brachten das unter dem Befehle des Generals der Infanterie Freiherrn v. u. zu Cgloffftein stehende VIII. Reservekorps in eine bedrängte Lage. Das Armee-Oberkommando
sah sich genötigt, die noch nicht eingesetzte 22.Infanterie-Brigade der 11. Infanterie-Division dem VIII. Reservekorps zu Hilfe zu senden. General v. Pritzelwitz erhielt noch einmal Befehl, mit dem VI. Armeekorps
auf dem linken Flügel der Armee einzugreifen, gleichzeitig wurde ihm jedoch das Zurückhalten einer starken Reserve nahegelegt, da die Dauer des Kampfes nicht abgesehen werden könne. Cr setzte nunmehr die InfanterieBrigade der 12. Infanterie-D ivision von ihrem Anterkunftsort Langon aus nach dem Gefechtsfelde in Marsch und wies sie an die Befehle des Generals
v. Steuden, der sie im Abschnitt der 25. Reserve-Division einsetzte. Am Rachmittage wurde nach schwerem Kampf Servon genommen. Dann kam der vom Rande der Argonnen her stark flankierte Angriff zum Stehen. Infolge der Eingriffe des Armee-Oberkommandos 4 lagen am Abend des 15. September drei Brigaden des VI. Armeekorps weit auseinandergerisien und mit anderen Truppen vermischt in den Kampfabschnitten der
beiden Reservekorps der Armee. Die letzte Brigade (78. InfanterieBrigade) behielt sich überdies der Oberbefehlshaber, Herzog Albrecht von Württemberg, bei Sschault zu seiner Verfügung. General v. Pritzelwitz wmde außerdem noch angewiesen, auch seinerseits Reserven auszusparen, um diese sowohl zur Verwendung innerhalb der 4. Armee, als auch zum
Abmarsch bereit zu haben. Cr befahl, ein verstärktes Insanterie-Regiment herauszuziehen, und regelte die Befehlsführung der stark durcheinandergewürfelten Truppen dahin, daß im bisherigen Streifen der 25. ReserveDivision zwei Kampfgruppen gebildet wurden, die linke, 49. ReserveInfanterie-Brigade des XVIII. Reservekorps und 21. Insanterie-Brigade des die 24. 25.
VI. Armeekorps, unter dem Kommandeur der 11. Infanterie-Division, rechte, 50. Referve-Infanterie-Brigade des XVIII. Reservekorps und Infanterie-Brigade des VI. Armeekorps, unter dem Kommandeur der Reserve-Division. Am 16. September wurde der Angriff beim XVIII. Reserve- und
VI. Armeekorps fortgesetzt. In dem Bestreben, Kräfte freizumachen, befahl General v. Pritzelwitz
49
Ernste Kämpfe bei der 4. Armee am 15. und 16. September.
am 16. September 9" vormittags dem XVIII. Reservekorps, die 24. In-
fanterie-Brigade aus der Front herauszuziehen und in der Gegend östlich Conds bereitzustellen. General v. Steuden widersprach unter Hin¬ weis auf die schwierige Gefechtslage, erhielt jedoch gegen Mittag von General v. Pritzelwitz nachstehende Weisung: „Nach den Wünschen der Obersten Heeresleitung darf die vom XVIII. Reservekorps eingeleitete Verfolgung keinesfalls dazu führen, daß die 4. Armee in eine allgemeine Vorwärtsbewegung gezogen wird. Das XVIII. Reservekorps hat daher, wenn es ihm gelingt, die Linie Vienne le ClMeau—St. Thomas in seinen Besitz zu bringen, sich mit dem errungenen Crsolge zu begnügen und die
gewonnene Stellung festzuhalten." General v. Pritzelwitz handelte damit im Sinne des Oberkommandos, das ihm um 12° mittags folgenden Befehl übermittelte: „Wenn nach dortiger Beurteilung der Lage VIII. Reserve- und XVIII. Reservekorps, verstärkt durch 11. Infanterie-Division, imstande sind, die jetzige Stellung unter allen Umständen zu behaupten, so wird im Interesse der allgemeinen Lage, namentlich im Interesse des Eingreifens stärkerer Kräfte auf unserem rechten Heeresflügel, der Abmarsch der 12. Infanterie-Divifion ins Auge zu fassen sein. Demnach würde die beim XVIII. Reservekorps eingesetzte gemischte Brigade der 12. Infanterie-
Division zurückzuziehen sein, damit sie auf Befehl, gegebenenfalls gemeinsam mit der Brigade bei Sschault, abmarschieren kann. 11. InfanterieDivision und schwere Feldhaubitzen würden jedenfalls noch bei der 4. Armee zu verbleiben haben."
Inzwischen gingen die Kämpfe bei Servon weiter, ohne daß wefentliche Fortschritte erzielt wurden. Auf die Meldung vom Anmarsch starker feindlicher Kräfte von Les Islettes auf Le Four de Paris entschloß sich General v. Steuden, den Angriff, der bis zu den Höhen südlich Servon— Binarville vorgedrungen war, abzubrechen. Das Oberkommando erklärte sich hiermit einverstanden. Cs befahl 220 nachmittags, daß das XVIII. Reserve- und VI. Armeekorps die gewonnene Stellung zu halten hätten. General v. Pritzelwitz erhielt Weisung, Kräfte hinter dem linken
Flügel bereitzustellen. Im Laufe der Nacht wurden die stark vermischten Verbände geordnet.
Die 11. Insanterie-Division wurde bei Binarville
vereinigt, die 12. Infanterie-Divifion aus der Kampffront herausgezogen und hinter dem linken Armeeflügel als Armeereserve bereitgestellt. Die 5. Armee des Deutschen Kronprinzen richtete sich am 15. September in den tags zuvor erreichten Stellungen ein1). Es standen das XIII. und XVI. Armeekorps sowie das VI. Reservekorps auf dem westlichen ') Band IV, S. 457. f Weltkrieg.
V. Land.
4
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Die Operationen in Frankreich und Belgien.
Maas-Ufer in der Linie Chatel—Montfaucon—Cuisy—Südrand des Waldes nordwestlich Farges, dahinter die Landwehr-Division Franke bei und südöstlich Bantheville, das V. Reservekorps östlich der Maas in der
Linie Confenvoye—südlich Gibercy—nördlich Azannes, das V. Armeekorps mit der 33. Reserve-Division gegenüber der Ostfront von Verdun in der
Linie Billy—Etain—Conflans, die bayerische Kavallerie-Division bei Chambley. Um 1° nachmittags lief beim Oberkommando in Stenay die Weisung der Obersten Heeresleitung ein, die Armee solle, falls sie nicht selbst durch Angriff des Gegners gefesselt sei, den linken Flügel der 4. Armee durch einen Vorstoß durch die Argonnen entlasten.
Das Oberkommando
glaubte jedoch, dieser Aufforderung nicht nachkommen zu können, da der Anmarsch starker feindlicher Kolonnen zwischen Argonnen und Maas gemeldet war. Auch östlich der Maas waren Truppenbewegungen beobachtet worden. Die Franzosen griffen jedoch am 16. September wider Erwarten nicht an, sondern fühlten auf beiden Ufern nur schwach mit Infanterie vor. Das feindliche Artilleriefeuer nahm im Laufe des Tages zwischen Argonnen und Maas solchen Umfang an, daß es als Vorbereitungsfeuer für einen
kommenden Angriff angesehen wurde. Bestärkt wurde diese Ansicht durch neue Meldungen über den Vormarsch feindlicher Kolonnen auf dem westlichen Ufer der Maas und in den Argonnen. An die Möglichkeit eines
Angriffs auch östlich der Maas glaubte das Oberkommando dagegen jetzt nicht mehr. Die hier beobachteten Truppenbewegungen schienen demon¬ strativer Art. Bei der neugebildeten Armee-Abteilung des Generals der Infanterie v. S t r a n tz, der für die Dauer der bevorstehenden Operation die Führung des V.Armeekorps an den Gouverneur von Metz, General der Infanterie v. Oven, abgegeben hatte, wurden am 16. September die Vor-
bereitungen zum schleunigen Beginn des Angriffs aus die Cütes Lorraines und die Sperrforts an der Maas getroffen. General v. Strantz meldete am 16. September dem Oberkommando der 5. Armee, dem er auch weiterhin
unterstellt blieb, daß er die Absicht habe, mit der 33. Reserve-Division im Anschluß an das V.Reservekorps die Nordost- und Ostfront von Verdun
abzuschließen und mit dem V. Armeekorps gegen Troyon, mit dem III. baye-
rischen Armeekorps gegen St. Mihiel vorzugehen. Die bayerische Kavallerie-Division habe gegen Toul zu sichern. Der ursprünglich für den 17. September festgesetzte Beginn des Angriffs wurde, da die schwere Artillerie nicht rechtzeitig zur Stelle war, auf den 18. September verschoben. Auch beabsichtigte General v. Strantz, da am 16. September der Vormarsch feindlicher Kräfte von Toul über Menil la Tour nach Norden gemeldet wurde, das Eintreffen des XIV. Armee-
5. Armee und Armee-Abteilung Strantz am 15. und 16. September.
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korps^) abzuwarten, das am 17. September bei Anserweiler die Nied er-
reichen konnte. Auch am 17. September blieb die Lage in der Heeresmitte im wesentlichen unverändert. Die 3. A r m e e wollte ursprünglich mit dem
XII. Reservekorps, das unter dem Befehl des Generals der Artillerie
v. Kirchbach stand, angreifen. Bevor jedoch diese Absicht zur Durchführung gelangte, gingen die Franzosen an diesem Teil der Front selbst zum Angriff über, gegen den sich das XII. Reservekorps nur mit Mühe behauptete. Das XIX. Armeekorps blieb unbehelligt. Dort bestand sogar der Eindruck, daß der Feind sich schwäche. Der Kommandierende General, General der Kavallerie v. Laffert, sprach am Abend des 17. September dem Ober-
kommando gegenüber die Absicht aus, am nächsten Tage vorzugehen. Dieses erhob indes im Hinblick auf den noch unsicheren Ausgang der Kämpfe beim XII. Reservekorps Einspruch. Zwischen der 3. und 2. Armee fanden im Laufe des Tages unter
Vermittlung der Obersten Heeresleitung Verhandlungen statt, die eine Verschiebung der Armeegrenze nach Westen zum Ziel hatten. Generaloberst v. Bülow hatte in einem Fernspruch an die Oberste Heeresleitung von 8° vormittags dringend um Verstärkungen gebeten^) und zugleich
vorgeschlagen, daß der rechte Flügel der 3. Armee sich bis zum Fort de la Pompelle ausdehnen solle, damit die 2. Armee über die 2. Garde-
Infanterie-Division zur Verwendung auf dem rechten Armeeflügel verfügen könne. Angesichts der schweren Kämpfe, in die das XII. Reservekorps inzwischen verwickelt war, machte General der Kavallerie v. Einem indessen die Übernahme des Abschnittes durch die 3. Armee von der Zu-
Weisung von Verstärkungen abhängig. Um den Wünschen beider ArmeeOberkommandos gerecht zu werden, überwies die Oberste Heeresleitung die bei der 4. Armee als Reserve bereitgestellte 12. Infanterie-Division mit dem Generalkommando des VI. Armeekorps der 3. Armee und setzte sie nach Moronvilliers in Marsch. Mit der sofortigen Ausdehnung des rechten Flügels der 3. Armee bis zum Fort de la Pompelle, der Generaloberst v. Bülow große Bedeutung beimaß, erklärte sich General v. Falkenhayn, auch ohne daß das Eintreffen der 12. Infanterie-Division abgewartet werde, einverstanden. Das Herauslösen der 2. Garde-Infanterie-Division und die Ausdehnung der 3. Armee gelangten aber in der Nacht vom 17. zum 18. September schließlich doch nicht mehr zur Durchführung, da das Oberkommando der 3. Armee sich weigerte, vor dem Eintreffen der 12. Infanteriey S. 24. — 2) S. 43.
4*
September,
52
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
Division, die am Abend des 17. September erst bis Semide gelangt war, Veränderungen in der Kampffront vorzunehmen. Die Übernahme der Stellung wurde nunmehr für die Nacht vom 18. zum 19. September ver¬ einbart. Die Lage bei der 4. Armee sah die Oberste Heeresleitung um die
Mittagszeit des 17. September für so gefestigt an, daß sie an Stelle der bisher als Armeereserve bereitgestellten und inzwischen der 3. Armee überwiefenen 12.Infanterie-Division eine andere Division als Reserve bei Somme Py verlangte. Herzog Albrecht von Württemberg vermochte dieser Forderung nur in beschränktem Amsang Rechnung zu tragen, da seine Armee selbst angegriffen war; er begnügte sich mit der Vereitstellung einer
gemischten Brigade. Bei der 5. Armee blieb der erwartete Angriff des Gegners am 17. September wiederum aus. Vor der Front des XIII. Armeekorps
wurden Schanzarbeiten festgestellt. Man gewann den Eindruck, daß der Feind nicht stark sei. Aus einer aufgefangenen Meldung wurde bekannt, daß das französische XV. Korps gegenüber dem deutschen XVI. Armeekorps und VI. Reservekorps eine Verteidigungsstellung bezogen hatte. Am die Lage zu klären, entschloß sich der Kommandierende General des XIII. Armeekorps, General der Infanterie v. Fabeck, im Einverständnis mit dem Armee-Oberkommando 5zu einem Vorstoß am Ostrande der Argonnen entlang. Die 26. Infanterie-Division erreichte unter leichteren Kämpfen die Höhe bei Montblainville, wo sie haltmachte. Eine Seitendeckung drang in den Argonnen bis La Viergette vor. Auf der übrigen Front der S. Armee ruhte am 17. September der Kampf, um die hierdurch ersparte Munition beim XIII. Armeekorps einsetzen zu können. Die im Laufe des 16. und 17. September eingehenden Nachrichten über den Feind ergaben zum ersten Male das Bild, daß sich die Ver-
fchiebungen nach Westen innerhalb der französischen Front jetzt auch auf den Raum zwischen Reims und Verdun fortpflanzten. Vor der 3. Armee
wurden durch Flieger der Marsch einer feindlichen Kolonne durch Vaconnes
nach Westen
sowie Truppenversammlungen bei Thuizy beobachtet
Mehrere französische Verbände, die bisher vor der deutschen 4. und ö. Armee angenommen waren, tauchten in dem Kampfbereich der 2. Armee
auf. Die Oberste Heeresleitung drängte unter diesen Am ständen jetzt auch bei den Armeen der Heeresmitte schärfer als bisher auf offensive Betätigung, um die Franzosen zu fesseln und die Truppenverschiebungen in westlicher Richtung zu verhindern^). Es blieb den Oberkommandos aber nach J) 6.58.
Örtliche Kämpfe bei der Heeresmitte am 17. und 18. September.
53
wie vor überlassen, Zeit und Ort für einzelne Vorstöße zu bestimmen, da
sie die an der Kampffront bestehenden Möglichkeiten besser übersehen und beurteilen konnten als die Oberste Heeresleitung. Der 18. September stand daher bei den Armeen der deutschen Heeres-1«. s-pt-mv-r. mitte, ebenso wie die vorhergehenden Tage, im Zeichen nicht einheitlich geführter örtlicher Cinzelkämpse. Der Führer der 3. Armee, General der Kavallerie v. Einem, der zu der Einsicht gelangt war, daß die bisherige willkürliche Gestaltung der Kämpfe und ihr ungewollter Verlaus nicht zu dem erstrebten Erfolg führen werde, regte in einer schriftlichen Beurteilung der Lage vom 18. September 9™ vormittags eine gemeinsame Offensive des linken Flügels der 2. sowie der 3. und 4. Armee an. Eine einheitlich geleitete
Angriffsbewegung verspreche mehr Crsolg als kurze Teilvorstöße. Bevor die Oberste Heeresleitung zu diesem Vorschlage Stellung nehmen konnte, gingen beim Oberkommando der 3. Armee Fliegermeldungen ein über den Abmarsch feindlicher Kolonnen über St. Hilaire le Grand und Suippes in westlicher Richtung. Anter diesen Umständen glaubte General v. Einem die Antwort der Obersten Heeresleitung nicht abwarten zu sollen, er befahl vielmehr um
1230 nachmittags dem XII. Reservekorps, unverzüglich in der Richtung auf Thuizy—Sept Saulx anzugreifen. Die rechte Division des XIX. Armeekorps sollte den Angriff gestaffelt begleiten, die linke Anschluß an den rechten Flügel der 4. Armee halten. Der zu Beginn mit starkem Schwung vorgetragene Angriff des XII. Reservekorps führte über meist deckungsloses Gelände und konnte durch die im Munitionsverbrauch stark beschränkte Artillerie nur unzureichend unterstützt werden. Es traten erhebliche Verluste ein; die Stoßkraft der Truppe erlahmte bald.
Angriff die feindlichen Gräben.
Rur an wenigen Stellen erreichte der
Roch geringeren Erfolg hatte das
XIX. Armeekorps, bei dem überhaupt nur ein Teil der Truppen die Aus-
gangsstellungen verließ. In den späten Nachmittagsstunden erkannte das Oberkommando, das von seinem Gefechtsstande südlich Moronvilliers aus einen Teil des Schlachtfeldes übersah, daß der Angriff angesichts des unerwarteten feindlichen Widerstandes mißlingen würde. Der Oberbefehlshaber ordnete daher die Zurücknahme der Truppen in die Ausgangsstellungen an, da ihm überdies der Zweck des Angriffs, Fesselung des Gegners,
erreicht schien. Das Oberkommando der 4. A r m e e hatte entsprechend den allgemeinen
Weisungen der Obersten Heeresleitung für den 18. September kurze, kräftige Offensivstöße angeordnet. Die Truppe griff jedoch den Befehl nicht auf. Es bestand bei ihr trotz der eingetretenen Gefechtsruhe nicht der Eindruck, daß der Feind sich geschwächt habe und unterlegen sei. Man rechnete vielmehr mit weiteren Angriffen des Gegners. Es bedurfte gegen
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
54
5° nachmittags einer ausdrücklichen Aufforderung der Obersten Heeresleitung an das Armee-Oberkommando, um wenigstens das Vorgehen des
VIII. Armeekorps zur Unterstützung der 3. Armee zu veranlassen. Der Angriff kam aber nicht mehr zur Auswirkung, da inzwischen die 3. Armee
ihre Truppen bereits zurückgenommen hatte. Im Laufe des Abends des 18. September trat bei den Oberkommandos der 3. u n d 4. A r m e e ein Wechsel der Anschauungen ein.
General
v. Einem war durch den Verlauf der heutigen Kämpfe darüber belehrt
worden, daß die Armee doch noch einen sehr widerstandsfähigen Feind gegenüber habe. Herzog Albrecht von Württemberg dagegen, der noch in den Mittagsstunden der Obersten Heeresleitung gegenüber eine Schwächung des Gegners in Abrede gestellt hatte, neigte jetzt zu der Auffassung, daß der Feind Truppen nach Westen verschiebe. Er befahl daher dem Kommandierenden General des VIII. Armeekorps, General der Infanterie Tülff v. Tfchepe u. Weidenbach, für den 19. September den Angriff und erbat hierzu die Unterstützung des benachbarten XIX. Armeekorps der 3. Armee, die ihm auch zugesagt wurde.
Auch das VIII. und XVIII. Reservekorps wurden an-
gewiesen, den gegenüberstehenden Feind scharf anzupacken.
Die Oberste
Heeresleitung wurde von diesen Maßnahmen verständigt mit dem Hinzufügen, daß ein allgemeines Vorgehen der 4. Armee angezeigt sei, falls der Feind tatsächlich, wie es den Anschein habe, vor der ganzen Front der Armee abziehe. Die Besorgnisse des Armee-Oberkommandos 4 vor feindlichen Amfafsungsversuchen durch die Argonnen hindurch waren geschwunden. Das auf dem linken Armeeflügel stehende XVIII. Reservekorps vermutete in den Waldungen östlich und südöstlich Vinarville nur noch drei bis vier feindliche Bataillone, die durch Vorgehen von Teilen der 5. Armee gegen deren Flanke und Rücken leicht vernichtet werden könnten. Die 5. Armee wartete auch am 18. September vergeblich auf einen französischen Angriff. In einem 11" abends beim Armee-Oberkommando ö
eintreffenden Funkspruch wies General v. Falkenhayn darauf hin, daß gewisse Anzeichen für Rückzugsbewegungen des Feindes im ArgonnerWalde sprächen^), und stellte an die Armee die Forderung, auf ihrem rechten Flügel „etwas zu unternehmen". Das Oberkommando sah sich jedoch nicht veranlaßt, dem Verlangen Folge zu leisten. Auf dem Ostufer der Maas vollzogen sich weiterhin die notwendigen Verschiebungen für den geplanten Angriff der Armee-Abteilung S t r a n tz. Das trübe, regnerische Wetter, das die Beobachtung erschwerte *) Auf welchen Unterlagen diese Auffassung des Generals v. Falkenhayn fußte, konnte nicht festgestellt werden.
Anbefriedigendes Ergebnis der Kämpfe in der Heeresmitte.
55
und die feindliche Fliegertätigkeit völlig lahmlegte, kam den Vorbereitungen zugute. General v. Strantz meldete, daß die 33. Reserve-Division im Laufe des Tages das für den Angriff bestimmte V. Armeekorps ablöse, und daß das XIV. Armeekorps am 19. September bereit sein werde, den Schutz der Flanke gegen Toul zu übernehmen.
Im ganzen betrachtet, waren die nicht einheitlich geleiteten, sehr wechselnden Kämpfe in der deutschen Heeresmitte zwischen dem 15. und 18. September ohne jedes äußere Ergebnis geblieben; sie hatten nicht einmal die französischen Kräfte zu fesseln vermocht, während sie andererseits die Truppen nicht zur Ruhe kommen ließen und die körperlichen und seelischen Kräfte abnutzten.
Dieser Zustand wurde an der Kampffront,
aber auch bei der oberen Führung, als schwer erträglich empfunden. Eine starke Unruhe und ein fast krampfhaftes Bestreben, sich aus der unerquicf-
liehen Lage zu lösen, machte sich überall fühlbar.
Kennzeichnend für die
Stimmung der Truppe ist ein vom Chef des Generalstabes des XIX. Armeekorps, Oberstleutnant Frotscher, am 18. September an den Ab-
teilungsches bei der Obersten Heeresleitung, Oberstleutnant Hentsch, gerichtetes Schreiben, in dem es hieß: „Die sich mir bietende günstige Gelegenheit, Ihnen eine Nachricht zukommen zu lassen, möchte ich benutzen, um Ihnen einmal ein Bild zu entwerfen, wie es bei uns aussieht. Leider läßt
sich darüber nicht viel Erfreuliches berichten. Die durch übergroße Märsche in Wege- und wasserarmem Gelände hart mitgenommene und durch Marschund Gefechtsverluste aus knapp die Hälfte ihres Sollbestandes reduzierte
Truppe liegt jetzt, nachdem sie eben erst vor Vitry fünf Tage lang gekämpft und durch die Rückmärsche physisch und moralisch heruntergebracht worden ist, schon wieder den sechsten Tag in befestigter Stellung. Vis über die Knöchel im Schlamm stehend, erwartet sie täglich den Angriff eines Feindes, der ihr aber nicht den Gefallen tut, anzugreifen. Meines Erachtens haben die uns gegenüberstehenden Kräfte nur den Auftrag, uns zu fesseln, und das ist ihnen bisher auch gelungen. Dabei haben wir dauernd wenn auch geringe Verluste durch schwere Artillerie, während wir selbst dem Feinde nichts anhaben können. Hier herrscht nur ein Wunsch: »Angreifen!« Ich sollte meinen, daß wir dadurch auch am wirksamsten den anderen bedrängten Armeen Entlastung brächten. .
56
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
Z. Die (Oberste Heeresleitung in der Vorbereitung der
Entscheidung. Hierzu Karte 1 (1 : 1 000 000).
l«. September.
Die bei der Obersten Heeresleitung am 16. September vom rechten
Heeresflügel eingehenden Nachrichten ließen nur so viel erkennen, daß in dem Räume zwischen Vailly und Reims zähe und mit Erbitterung gekämpft wurde und daß von einem raschen, durchschlagenden Erfolge der 7. und 2. Armee keine Rede war. Durch die beruhigende Meldung des Majors v. Tieschowitz, daß von Amiens her scheinbar nur starke Kavallerie vorgehe, war die Sorge um die rechte Heeresflanke sehr gemindert worden^). Die von Generaloberst v. Kluck in die Wege geleitete Verschiebung des 2.Kavalleriekorps mit der 2. und 9. Kavallerie-Division aus der Gegend Laon in der
Richtung auf St. Quentin ließ erwarten, daß man der Gefährdung der rüclwärtigen Verbindungen hinter dem rechten Heeresflügel bald Herr werden würde. Die Absichten der Gruppe Bülow für den nächsten Tag waren in
dem lakonischen Satz zusammengefaßt: „Angriff wird fortgesetzt." Aus den über den Feind vorliegenden Nachrichten ersah die Oberste Heeresleitung, daß vor der Front der 1. Armee anscheinend zwei neue
französische Korps (IX. und IV.) und eine weitere Reserve-Division (63. Reserve-Division) oder Teile von ihnen eingetroffen waren, die bisher vor der Heeresmitte und vor der Lothringer Front angenommen warm
Sie rechnete mit der Möglichkeit, daß der Feind im ganzen noch sechs Korps in Lothringen freimachen könne, von denen aber wahrscheinlich nicht mehr als drei oder vier auf dem französischen linken Flügel Verwendung finden würden, und daß die anderen vielleicht zur Verfügung der franzöfischen Heeresleitung zurückgehalten oder zwischen Toul und Verdun zum Stoß nach Norden oder Nordosten eingesetzt werden würden. In Belgien blieb die Lage unverändert. Hier standen Mitte September außer dem III. Reservekorps, der Marine-Division, der 26., 37., 38. und 41. Landwehr-Brigade sowie der 1. und 2. Reserve-Crsatz-Brigade')
noch 53 Landsturm-Bataillone. Dazu kamen Fußartillerie- und Pioniersormationen in den eroberten belgischen Festungen sowie die zum Einsatz
gegen Antwerpen bestimmte starke Belagerungsartillerie^).
Generalfeld-
-) S. ZI.
2) Siehe Kriegsgliederung Anlage 1. a) Nicht hinzugerechnet sind das I. bayerische Armeekorps und die später (24.bis 27. September) eintreffende 4. Crsatz-Division. — Die Zahl der Landsturmformationen stieg bis zum 8. Oktober auf 79, bis zum 28. November auf 90 Landsturm-Bataillone.
Gen. v, Falkenhayn besteht auf d. Abmarsch des I. bayer. Armeekorps aus Belgien.
57
Marschall v. der Goltz hatte seinen Besorgnissen über die Gefährdung der rückwältigen Verbindungen unzweideutigen Ausdruck gegeben und sich nur unter schweren Bedenken zum „momentanen" Verzicht auf das ihm überWiesens I. bayerische Armeekorps bereit erklärt. Cr müsse mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß die nächsten verfügbar werdenden Kräfte in Belgien Verwendung finden würden. Nur dann werde es möglich sein, Brüssel zu behaupten, Antwerpen zu nehmen und die rückwärtigen Verbindungen des
rechten Heeresflügels endgültig zu sichern. „Einstweilen", hieß es weiter, „bin ich im Falle einer starken Bedrohung von Westen entschlossen, Brüssel im äußersten Notfall vorübergehend zu räumen und mit allen verfügbaren Kräften die Offensive zu ergreifen, um später wieder nach Brüssel und in die Stellungen vor Antwerpen zurückzukehren. Freilich würde dabei der bereits eingebaute Teil des Belagerungsparkes und viel Material verloren-
gehen. Doch kann es darauf nicht ankommen." General v. Falkenhayn antwortete sogleich in einem Schreiben, das
zugleich Aufschlüsse über feine damalige Auffassung der allgemeinen Lage enthält: „Euer Exzellenz beehre ich mich, auf das an den Herrn Chef des Generalstabes des Feldheeres^) gerichtete Schreiben von heute zu erwidern, daß hier nicht nur die Wichtigkeit der Behauptung der deutschen Stellung in Belgien, sondern auch die der schleunigen, endgültigen Sicherung derselben voll erkannt wird. Wenn sich die Heeresleitung trotzdem entschlossen hat, das I. bayerische Armeekorps an den rechten Armeeflügel zu ziehen, so geschah es, weil die fortwährenden Versuche des Gegners, diesen mit Hilfe von Eisenbahntransporten zu umfassen, und der Verbrauch der bisherigen Reserven dort die Staffelung neuer Kräfte unbedingt nötig erscheinen ließ. Euer Exzellenz wollen aber überzeugt sein, daß alles geschehen wird, um Ihnen für Ihre wichtigen Aufgaben ausreichende Kräfte zuzuführen .. . Über die Lage vor der Front der Armee ist wenig zu sagen. Überall wird heiß gekämpft, und wenn man aus einzelnen Teilerfolgen und dem Be-
nehmen der feindlichen Truppen Schlüsse ziehen wollte, so wären es die, daß die Kräfte des Gegners langsam zu erlahmen beginnen.
Aber man
darf in dieser Lage nicht voreilig optimistisch sein ..." Nach Eingang des Einverständnisses des Feldmarfchalls v. der Goltz wurde der Abmarsch des südöstlich von Namur noch in der Ausladung begriffenen I. bayerischen Armeekorps über Maubeuge—Le Eateau nach dem
rechten Heeresflügel angeordnet^). !) Das Schreiben des Generalfeldmarschalls v. der Goltz war noch an Generaloberst v. Moltke gerichtet. 2) S. 23.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
58
17. September.
Am 17. September ließen die Nachrichten über den Feind das Vild
der französischen Ost-West-Bewegung noch schärfer als bisher hervortreten. Die andauernde Untätigkeit der Franzosen zwischen Verdun und der Schweizer Grenze bildete eine neue Bestätigung für die allem Anschein nach dort eingetretene Schwächung. Aber auch von der Heeresmitte, vor
der Front der deutschen 3. und 2. Armee, liefen jetzt Nachrichten ein, die
auf Truppenverschiebungen in westlicher Richtung schließen ließen^). Aus dem Bereich der 1. Armee lagen zwar keine Meldungen über die Fest-
stellung neuer feindlicher Verbände vor, jedoch wurden die früher berichteten Verschiebungen dorthin verschiedentlich bestätigt. Die Verhältnisse in der rechten Heeresflanke blieben ungeklärt. &ber die Auffassung der Obersten Heeresleitung heißt es in dem Privattagebuch des Obersten Tappen, daß sich die Nachrichten über die Anwesenheit starker feindlicher Kräfte in der rechten Zeeresflanke nicht bestätigten. Bei General v. Falkenhayn lösten
die Anzeichen dafür, daß die feindliche Ost-West-Bewegung sich auf die Mitte der Heeresfront ausdehnte, indessen neue Beunruhigung aus.
Die
Armee-Oberkommandos 4 und 5erhielten am 17. September 205 nach¬ mittags folgenden Befehl: . . Am das Verschieben feindlicher Truppen
in westlicher Richtung zu verhindern, ist es durchaus notwendig, dem Gegner die Überzeugung aufzudrängen, daß die deutsche Offensivkraft nicht erschöpft ist. Kurze, kräftige Offensivstöße sind daher, wo es die Lage irgend gestattet, geboten." Auch die Armee-Oberkommandos 2 und 3 waren um 1"° nachmittags
auf offensive Betätigung hingewiesen worden: „Auf Meldung 3. Armee vom
Wegziehen feindlicher Truppen nach Westen erklärt sich Heeresleitung mit Absicht 3. Armee, mit XII. Reservekorps kurzen, aber kräftigen Offensivstoß zu führen, einverstanden. 2. Armee muß diesen Angriff mit linkem Flügel
gegen feindliche Truppenansammlungen bei Thuizy sichern. ..." Mit begreiflicher Spannung verfolgte General v. Falkenhayn die Weiterentwicklung der Kämpfe auf dem rechten Heeresflügel; denn nachdem die Hoffnungen, die man auch innerhalb der Obersten Heeresleitung an
die Offensive der Gruppe Bülow geknüpft hatte, zunehmender Enttäuschung gewichen waren, konnte eine entscheidende Wendung jetzt nur noch von dem Eingreifen der 6. Armee erwartet werden. Von ausschlaggebender Bedeu-
tung hierfür erschien das möglichst frühzeitige Eintreffen der 6. Armee in ihrem neuen Versammlungsräume, das sich jedoch infolge der noch immer sehr ungünstigen Transportverhältnisse in Belgien und namentlich in Nordsrankreich unliebsam verzögerte. Während dem Gegner zur Durchführung großer Truppenverschiebungen von seiner Ostfront über Paris nach Nordweft-Frankreich ein unbeschäi) S. 52. ~
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60
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
In Anbetracht der betriebstechnischen Schwierigkeiten bedeutete es ein hohes Wagnis, angesichts des Feindes und bedroht durch Ausfälle aus Antwerpen, die große Transportbewegung der Überführung der 6. Armee aus
den Reichslanden zum rechten Heeresflügel durchzuführen. Die drückende Unsicherheit der Lage im Rücken des deutschen Heeres hatte bei General v. Falkenhayn inzwischen den schweren Entschluß reifen lassen, die Durchführung der bereits am 9. September von Generaloberst v. Moltke in Aussicht genommenen") Belagerung von Antwerpen anzu¬ ordnen. Sie wurde am 16. September mittags durch eine kurze Weisung an
das Generalkommando des III. Reservekorps angekündigt, die den Hinweis enthielt, daß das XIV. Reservekorps zur Verstärkung herangeführt werde. Der Angriff sollte wegen Munitionsknappheit nur aus einer Richtung
geführt werden. Für Nebenangriffe und Teilunternehmungen stehe keine Munition zur Verfügung^). Nichts kennzeichnet mehr die ernste Lage des deutschen Heeres als die Notwendigkeit, zu dieser äußersten Kühnheit seine Zuflucht zu nehmen.
Ein verstärktes Reservekorps, dem erst nach acht Tagen ein zweites zugeteilt werden sollte^), wurde angewiesen, eine der größten Festungen der Welt anzugreifen, eine Festung, die von der Masse der belgischen Armee verteidigt wurde und der von außen her jede Unterstützung zugeführt werden konnte. Cs war bestimmt anzunehmen, daß die Engländer Antwerpen nicht im
Stiche lassen würden. Die zahlreichen Agentennachrichten über die Ankunft englischer, sogar russischer Verstärkungen in den nordfranzösischen und belgischen Häfen und über Truppenansammlungen im Räume Brügge—Gent entbehrten nicht der Wahrscheinlichkeit. Wenn auch die Nachrichten über die russischen Verstärkungen bezweifelt wurden, so wurde doch die Gesamtläge bei der Obersten Heeresleitung nicht leicht genommen. Indessen sah sie keine andere Möglichkeit, der Unsicherheit im Rücken des deutschen Heeres ein Ende zu machen und dem Gegner das Gesetz des Handelns aufzuzwingen.
Mit dem Befehl zum Angriff auf Antwerpen fanden die ersten grund¬ legenden Anordnungen des Generals v. Falkenhayn ihren Abschluß, die sich aus seinem am 15. September für die Weiterführung der Operationen
im Westen gefaßten Entschluß ergaben. Äußerlich betrachtet, waren in den drei ersten Tagen seiner Heerführung sehr merkbare Veränderungen in der Frontlage des Westens nicht ein*) Band IV, S. 316. — 2) Weitere Anordnungen der Obersten Heeresleitung
S. 227 f. 3) Tatsächlich wurde statt des XIV. Reservekorps nur die 4. Ersatz-Division dem
Belagerungskorps zugeführt.
Befehl zur Wegnahme von Antwerpen.
61
getreten. An der Aisne stand die Schlacht noch immer. Das wichtigste Ergebnis dieser Tage für das deutsche Westheer lag indessen nicht in dem Verlauf der Kämpfe an der Front. Sie erhielten ihre bleibende Vedeutung vielmehr durch den Entschluß, den Entscheidungskampf in der gewählten Stellung Noyon — Reims — Ver dun an-
zunehmen und durchzuführen, sowie weiterhin durch die Verschiebung der letzten großen Heeresreserve nach dem rechten Flügel. Eine bewegliche Gestaltung der Kriegführung in dem Sinne, wie sie Generaloberst v. Moltke nach der Marneschlacht vorgeschwebt hatte und wie sie auch dem Operationsplan des Generals v. Falkenhayn aus der Nacht vom 14. zum 15. September noch zugrunde lag, wäre am Abend des 17. Sep¬
tember kaum noch angezeigt gewesen. Eine Zurücknahme des rechten Heeresflügels von der Aisne nach Norden mit dem Gedanken, unter allen Amstünden die operative Freiheit zurückzugewinnen, die am Abend des 14. Sep-
tember vielleicht noch als freier Entschluß gelten konnte, mußte am Morgen des 17. September nicht nur in den Augen des Feindes, sondern auch der eigenen Truppen als Eingeständnis eines neuen großen Mißerfolges, als
erzwungener Rückzug nach mehrtägiger Schlacht erscheinen. Das Wagnis eines solchen Entschlusses wollte General v. Falkenhayn ohne zwingende Gründe nicht auf sich nehmen. Die im Laufe des 18. September bei der Obersten Heeresleitung ein-1». September,
gehenden Feindnachrichten waren geeignet, das Vild der Ost-West-Verschie-
bung und der Bedrohung der deutschen rechten Flanke noch stärker als bisher hervortreten zu lassen, zumal auch erneute Meldungen über Schwächung des Gegners vor der Heeresmitte^) und der reichsländischen Front vorlagen. Die aus der deutschen rechten Heeresflanke vorliegenden Nachrichten der
Lufterkundung sprachen von feindlichen Truppenansammlungen bei Montdidier—Roye. Bei Peronne war gestern Infanterie aufgetreten. Eine in der Nacht vom 15. zum 16. September aufgegebene und als zuverlässig an-
zusehende Agentennachricht berichtete von dem auch schon durch TruppenMeldungen bekanntgewordenen Vorstoß dreier französischer Kavallerie-Divisionen und einer englischen Kavallerie-Vrigade gegen den rechten Flügel und die rückwärtigen Verbindungen des deutschen Heeres in der allgemeinen
Richtung auf Roye—Resle—Psronne. Auffallenderweise zog die Oberste Heeresleitung aus dieser Agentennachricht die weitgehende Schlußfolgerung, daß sich in der rechten Heeresflanke nur starke feindliche Kavalleriekörper mit zugeteilter Infanterie befänden. Die Oberkommandos der 6., 1., 7. und 2.Armee wurden telegraphisch in diesem Sinne unterrichtet. i) 0.53 f.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
62
Die Lage im Rücken des Heeres blieb unklar. Nach einer Meldung des Generalfeldmarschalls v. der Goltz mehrten sich die Anzeichen für die Absicht einer feindlichen Offensive aus nordwestlicher Richtung von Gent
her auf Brüssel. Dagegen hatte eine Kavallerie-Aufklärungsabteilung Dixmude, Vailleul und Marchiennes vom Gegner frei gefunden. Die einzige Anordnung, die General v. Falkenhayn angesichts dieser
bedrohlichen Nachrichten im Augenblick noch treffen zu müssen glaubte, war der verschärfte Antrieb zu offensiver Tätigkeit auf der gesamten Front. In einer Besprechung, die am Vormittage des 18. September zwischen ihm und dem Oberbefehlshaber der 6. Armee, Kronprinz Nupprecht von
Vayern,sowie dessen Generalstabschef,Generalmajor Krafft v. Dellmensingen, in Anwesenheit des Generalobersten v. Moltke und des Obersten Tappen in
Luxemburg stattfand, legte General v. Falkenhayn zunächst die zukünftigen Aufgaben der 6. Armee dar und ging dann auf die allgemeine Lage ein, die
er ziemlich günstig schilderte. Der feindliche Dmchbruchsverfuch am rechten Heeresflügel sei abgewiesen. Die 7. und 1. Armee machten zwar langsame, aber sichere Fortschritte. Cs herrsche der allgemeine Eindruck, daß der Widerstand des Gegners nachzulassen beginne. Die Hauptsorge der Heeresleitung
betreffe die rechte Heeresflanke. Außer der mit Sicherheit festgestellten feindlichen Kavallerie sei gestern in der Gegend Psronne auch Infanterie aufgetaucht. Die 6. Armee sollte zunächst mit den zuerst eintreffenden Teilen, in erster Linie dem XXI. Armeekorps, den bei Montdidier—Roye er-
schienenen Feind zurückwerfen und die Deckung der rechten Heeresflanke übernehmen. Ihre Hauptaufgabe, von der die Armee sich nicht abziehen
lassen dürfe, bleibe jedoch, so bald und so stark als möglich auf dem rechten Heeresflügel aufzutreten und hier in umfassendem Angriff die Cntscheidung der Schlacht zu bringen, auch wenn die Kräfte nacheinander ein¬ gesetzt werden müßten. Hier griff Generaloberst v. Moltke ein. Er betonte,
daß „die Hauptaufgabe der 6. Armee immer das entscheidende Eingreifen am rechten Flügel bleibe und hierzu die Versammlung aller Kräfte ab-
gewartet werden müsse'"), eine Auffassung, die auch Oberst Tappen teilte; schon die erste von diesem herrührende Fassung einer Anweisung für die 6. Armee enthielt den Satz: „Nach Eintreffen der 6. Armee ist beabsich¬
tigt, sie zu entscheidendem Angriff auf dem rechten Heeresflügel einzusetzen." Kronprinz Nupprecht^) trat ebenfalls für die Auffassung des Generalobersten *) Nach Mitteilung des Generals Krafft v. Dellmensingen auf Grund von Tage-
buchaufzeichnungen.
-)Nach einer Zuschrift des Kronprinzen Nupprecht an das Reichsarchiv vom
29. Juni 1928.
Mündliche Weisung über d. Füh. d. Operat. an d. Oberkommando der 6. Armee.
65
v. Moltke ein und äußerte ernste Bedenken gegen den „tropfenweisen
Einsatz" der Kräfte. Gleichzeitig befürwortete er „ein Absetzen" der ihm unterstehenden Truppen. Zu einer weiteren Aussprache hierüber kam es jedoch nicht, da General v. Falkenhayn die Besprechung schloß unter Betonung der Auffassung, daß alles zu rascher Entscheidung dränge. Die Lage sei so gespannt, daß man nicht zögern dürfe, die eintreffenden Verbände einzeln und nacheinander einzusetzen. Es handele sich um den letzten feindlichen Widerstand, bei dem unter Umständen ein ein-
zelnes Bataillon den Ausschlag geben könne. Die Truppen müßten nötigen-
falls selbst „bataillonsweise" in die Schlacht geworfen werden^). Cr gab schließlich der „Anweisung für die 6. Armee" folgende endgültige Fassung: „6. Armee hat mit den zuerst eintreffenden Teilen (XXI. Armeekorps) etwa in der rechten Flanke des Heeres neu auftretende feindliche Abteilungen zurückzuwerfen und damit die Sicherung der rechten Heeresstanke zu übernehmen. Hauptziel der 6. Armee muß aber immer das sein, möglichst bald und mit möglichst starken Kräften, wenn sie auch nacheinander eingesetzt
werden, die Schlachtentscheidung auf dem rechten Heeresflügel herbeizu-
führen..."
Der Beginn der geplanten Operation lag freilich noch in weitem Felde. Das XXI. Armeekorps, das auf Bahntransport angewiesen war und als erster geschlossener Verband an der Kampffront eintreffen konnte, hatte am 18. September, über Trier—Aachen—Lüttich anrollend, mit den vordersten Zügen Namur durchfahren^). Es konnte frühestens in drei Tagen, also vom 21.September ab, in der Gegend von St. Quentin verwendungs-
bereit sein"). Das I/) und II. bayerische Armeekorps mußten aus der Gegend von Namur durch Fußmarsch herangezogen werden. Die VorMarschwege der beiden Korps in die Gegend südwestlich von Cambrai führten über die Linie Landreeies—Avesnes—Chimay, die am 21. Sep¬ tember mit den Anfängen des vordersten Korps erreicht werden sollte.
Das I. bayerische Armeekorps, dessen Ausladungen südöstlich Namur im Laufe des 18. September im wesentlichen beendet wurden und dessen Anfänge am Morgen die Maas bei Wspion und Dinant überschritten
hatten, sollte sich auf den rechten Flügel setzen. Es hatte vor dem II. bayerischen Armeekorps, das mit einem Abstände von mindestens 30 Stunden 1) General v. Krafft äußert aus seiner Erinnerung über den allgemeinen Verlauf der Besprechung, daß es zu einer eingehenderen Erörterung der Meinungsverschiedenheiten nicht gekommen sei. Die ganze Besprechung, die nur kurz dauerte, habe sich mehr in der Form einer mündlichen Anweisung vollzogen. 2) „Das deutsche Feldeisenbahnwesen" Band I, S. 120 ff. 3) Tatsächlich trafen die ersten Transporte bereits am 20. September dort ein.
4) „Das deutsche Feldeisenbahnwesen" Band I, S. 117 ff.
64
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
folgen konnte, einen starken Vorsprung. Außer dem XXI., dem I. und IL bayerischen Armeekorps sollte der Armee später, nach dem 23. September, auch noch das XIV. Reservekorps') zugeführt werden, das ursprünglich für die Belagerung von Antwerpen bestimmt gewesen war'). Weiterhin wurde ihr der Antransport der bei der Armee-Abteilung Strantz befind-
lichen bayerischen Kavallerie-Division hinter dem XIV. Reservekorps für den Fall in Aussicht gestellt, daß es nicht gelingen würde, die Sperrfortlinie bei St. Mihiel zu durchbrechen, und eine Verwendung der Kavallerie dem-
nach dort nicht in Frage käme. Die mit der Bahn vorausbeförderte gemischte 4. bayerische InfanterieBrigade des I. bayerischen Armeekorps sollte zur Verfügung der 7. Armee bleiben, eine Maßnahme, die ohne Bedeutung war, da die Brigade am 19. September das Schlachtfeld bei Noyon erreichte und dort im natürlichen Verlauf der Dinge dem zur 1. Armee gehörigen IX. Reservekorps unter-
stellt wurde. Ig. September.
Angesichts des wenig erfolgreichen Verlaufs der Kämpfe auf der Gesamtfront des Heeres in den letzten Tagen, insbesondere der Ergebnislosigkeit der einzelnen Vorstöße in der Heeresmitte, gelangte General v. Falkenhayn am Morgen des 19. September zu der Überzeugung, daß die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichten, um die Pläne des Gegners zu durchkreuzen und günstige Voraussetzungen für die Offensive der 6. Armee zu schaffen. Cr entschloß sich daher, der ihm am 18. September von General v. Einem nahegebrachten Anregung^) weitgehende Folge zu leisten und durch einen gemeinsamen Angriff der 1., 7.,2., 3., 4. und 5. Armee Bewegung in die bereits erstarrende Front zu bringen, zum mindesten eine weitere Verschiebung französischer Kräfte nach Westen unmöglich zu machen. Dieser Entschluß deckte sich auch mit den Absichten des Führers der 4. Armee, des Herzogs Albrecht von Württemberg, der in der Annahme, daß der Feind vor seiner Front im Abzug begriffen sei, für den
19. September einen Vorstoß seines rechten Flügelkorps angekündigt hatte, dem sich unter Umständen der Angriff der Mitte und des linken Flügels an-
schließen sollte. Die völlige Untätigkeit des Gegners vor der 5. Armee sorderte gleichfalls zu kräftigem Anpacken auf. Die Operation der ArmeeAbteilung Strantz gegen die Maas zwischen Verdun und Toul paßte sich *)Tatsächlich erfolgte der Abtransport schon am 21.September, am 24. trafen die ersten Transporte bereits in der Gegend von Cambrai ein. -) An dessen Stelle wurde den Belagerungstruppen die 4. Crsatz-Division von
der Armee-Abteilung Falkenhausen zugeführt. S. 6V und 120. 3) ©.53.
General v, Falkenhayn befiehlt allgem. Angriffe zur Fesselung des Feindes.
HA
den allgemeinen Angriffsabsichten auf das zweckvollste an. Die um 10"° vor-
mittags ausgegebene Weisung der Obersten Heeresleitung hatte folgenden Wortlaut: „Die Armee muß auf der ganzen Front vorwärtskommen. Anter Ausnutzung des unsichtigen Wetters, spätestens aber bei Tagesanbruch des 20. September, haben daher Angriffe der 2., 3., 4. und 5.Armee — letztere unter Sicherung gegen Verdun — stattzufinden mit der Absicht, das weit-
tragende feindliche Artilleriefeuer zu unterlaufen, die französischen Infanterieftellungen zu überrennen und möglichst zahlreiche feindliche Artillerie fortzunehmen. Anschluß unter den Armeen ist zu halten, gegenseitige Vereinbarungen sind zu treffen. 1., 7. und rechter Flügel 2. Armee haben bisherige Offensive fortzusetzen." General v. Strantz wurde mitgeteilt, daß die Heeresleitung besonderen Wert darauf lege, daß die Maas-Forts mit aller Beschleunigung weggenommen würden, und daß die Festung Metz ihm, falls erforderlich, Aushilfe an Munition leisten werde. Die Weisung der Obersten Heeresleitung verlangte von den Armeen lediglich „Angriffe". Offenkundig kam es General v. Falkenhayn nur darauf an, den Gegner zu fesseln. Ernstlich in Frage gestellt wurde der Erfolg der Angriffe aber durch den immer fühlbarer werdenden Mangel an Artilleriemunition. Die Oberste Heeresleitung hatte in der Nacht vom 18. zum 19. September den Armeen äußerste Sparsamkeit mit Munition zur Pflicht
machen müssen. Der Artilleriekampf auf große Entfernungen sollte eingeschränkt, die noch vorhandenen Munitionsbestände für die Entscheidung aufgespart werden^). Der Befehl fand bei den Oberkommandos der 3., 4. und 5. Armee, die selbst in den letzten Tagen wiederholt einheitliche und starke Angriffe aus der Heeresmitte heraus angeregt hatten, unerwarteten Widerstand. • Der Chef des Generalstabes des Armee-Oberkommandos 5 hatte in einem 7S0 vor¬
mittags mit der Obersten Heeresleitung geführten Ferngespräch der Auffaffung Ausdruck gegeben, daß bei dem großen Munitionsaufwande, den der Feind treibe, und der Notwendigkeit, selbst mit Munition zu sparen, ein unhaltbarer Zustand eintrete, und daß die eigene Artillerie langsam niedergekämpft werde. Freilich müsse dieser Zustand ertragen werden. Aber auch ein Angriff schien ihm gegenwärtig nicht die Möglichkeit zu bieten, sich aus der unerquicklichen Lage zu befreien. Cr begründete diese Ansicht mit den
stark zusammengeschmolzenen Gefechtsstärken der Armee, dem ungünstigen Gesundheitszustand der Truppe und der schwierigen Ausführung des Angriffs, der wegen der Festung Verdun in der linken Flanke und des undurchdringlichen Argonner-Waldes in der rechten frontal geführt werden i) S. 8. 5 Weltkrieg.
V. Land.
5
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
66
müsie.
General v. Falkenhayn warf hiergegen ein, daß die Armee
Ergänzungen erhalten habe, und er an die Ungangbarkeit der Argonnen
nicht glaube. Generalleutnant v. Knobelsdorf blieb jedoch dabei, daß der
Argonner-Wald für einen größeren, einheitlichen Angriff unpassierbar sei. Die Gefechtsstärken der Armee seien trotz, der eingetroffenen Ergänzungen noch sehr gering; so zähle das XIII. Armeekorps nur etwa 10 000 bis 11000 Mann Infanterie, obwohl es an 6000 Mann Ersatz erhalten habe.
Bei ausdrücklichem Befehl würde der Angriff natürlich durchgeführt werden, doch hege er an dem Erfolge ernste Zweifel"). Auch dem von der Obersten Heeresleitung zum Oberkommando entsandten Obersten v. Dommes, der den
Befehl zum Angriff noch einmal mündlich wiederholte, schilderte Generalleutnant v. Knobelsdorf die Lage als sehr ungünstig. Auch die Korpschefs hätten sich wenig zuversichtlich geäußert. Der Chef des Generalstabes des XIII. Armeekorps, Oberstleutnant v. Löhberg, habe dabei auf die stark herabgeminderten Gefechtsstärken der Truppen2) hingewiesen, die durch an-
steckende Darmerkrankungen verursacht seien. Trotzdem wurde schließlich der Angriff des XVI. Armeekorps und des rechten Flügels des VI. Reservekorps befohlen, während das XIII. Armeekorps die Deckung der Flanke übernehmen sollte. Im Laufe des Nachmittags und des Abends hatten noch mehrere Femgespräche zwischen der Obersten Heeresleitung und dem ArmeeOberkommando S über die Durchführung des geplanten Angriffs stattgefunden, wobei General v. Knobelsdorf zum Ausdruck brachte, daß er sich von dem Angriff keinen Erfolg versprechen könne und jede Bewegung östlich der Argonnen als zwecklos und verlustreich bezeichnen müsse. Die Betei¬ ligung der S. Armee an der Offensive stellte er schließlich in seiner AbendMeldung nur bedingt, soweit der Zustand der Truppe es zulasse, in Aussicht. Auch das Armee-Oberkommando 4, das für den heutigen Tag selbst eine
Angriffshandlung des rechten Flügelkorps eingeleitet und bei günstigem Verlauf das allgemeine Vorgehen der Armee in Aussicht genommen hatte"), war inzwischen durch wenig ermutigende Nachrichten von der Front zu einer anderen Auffassung gelangt.
Es meldete bereits um 11"° vor-
mittags: „Vorstoß VIII. Armeekorps hat festgestellt, daß Feind noch in erheblicher Stärke vor der Front, wenigstens vordere Linie und Artillerie. Feind verstärkt seine Stellungen weiter, liegt auf 1200 bis 1500 m Ent¬ fernung." Eine weitere Meldung von 2" nachmittags besagte: „Durch *) Nach einer Zuschrift des Generalmajors v. Heymann an das Reichsarchiv vom 7.Januar 1928.
2) Die Regimenter hatten teilweise nur noch zwei Bataillone, die Kompagniestärken betrugen 90 bis 150 Mann. 3) S. 54.
Die Armee-Oberkomm. d. Heeresmitte erheben Einspruch gegen allgem. Angriffe.
67
heutigen Vorstoß rechten Armeeflügels Anwesenheit starken verschanzten Feindes vor der ganzen Front festgestellt. Von Heeresleitung befohlener Angriff wird ausgeführt. Erfolg bei jetzigem Zustand der Truppen jedoch zweifelhaft." Trotz der unverkennbar ablehnenden Haltung, die also auch der
Oberbefehlshaber, Herzog Albrecht von Württemberg, einnahm, hielt General v. Falkenhayn an dem Angriffsgedanken fest, wenn auch bereits in etwas abgeschwächter Form. Am 715 abends richtete er folgendes Telegramm an
das Oberkommando: „Hier vorliegende Meldungen lassen den Schluß zu, daß Gegner vor Front 3., 4. und 5. Armee nicht stark und dabei durcheinandergekommen und erschöpft ist. Nachdem 4. und 5. Armee Ergänzungen erhalten haben, wird von befohlenem Angriff ausreichender^) Erfolg
erhofft." Worauf sich die Ansicht über den Zustand des Gegners vor der 3., 4. und 5. Armee gründete, ist nicht mehr festzustellen. Die Nachrichten aus der Front boten dafür keinen Anhalt. Die Meldungen des Armee-Oberkommandos 4 von II35 vormittags und 215 nachmittags besagten eher das Gegenteil. Auch der Führer der 3. Armee, General v. Einem, folgerte aus
den Ergebnissen der gestrigen Kämpfe die Anwesenheit stärkeren Feindes vor der Armeefront, als bisher angenommen war.
Er berichtete l45 nach¬
mittags: „Bei gestrigem Vorstoß vor XII. Reservekorps Truppen des französischen IX. und XI. Armeekorps festgestellt. Vor XIX. Armeekorps gestern schwacher Feind, heute stärker. Die 40. Infanterie-Division jetzt im Kampfe neben VIII. Armeekorps gegen Zuaven bei Souain." In den Abendstunden trat dann aber schließlich doch ein Umschwung in den Absichten der Obersten Heeresleitung ein. Ernste Bedenken hatte bereits eine Meldung des Nachrichtenoffiziers beim Armee-Oberkommando 4 hervorgerufen, die 730 abends einlief. Es hieß in ihr, daß seit dem frühen Morgen auf der ganzen Front der 4. Armee gekämpft würde, besonders schwer auf dem rechten Flügel. Vor der Mitte der Armee sei seit gestern erhebliche feindliche Artillerie aufgetreten. Cr persönlich habe den Eindruck, daß der Gegner mit unverminderten Kräften vor der Front geblieben sei und nicht abtransportiert habe. Die Haltung der französischen Truppe sei gut. Aus einer kurz darauf eintreffenden Übersicht desselben Nachrichtenoffiziers über die vermutete Kräfteverteilung beim Feinde war zu ersehen, daß sich nicht nur vor der 2., sondern auch vor der 3., 4. und 5. Armee noch
stärkere Kräfte befanden. Den Ausschlag gab aber schließlich eine Meldung der 3. Armee von 8°° abends, die sich ganz scharf und unzweideutig gegen x) General v. Falkenhayn hatte im Entwurf des Obersten Tappen die Worte
„voller Erfolg" in „ausreichender Erfolg" geändert. 5*
68
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
die Offensive aussprach. Sie lautete: „Feind vor 3. Armee verstärkt, befestigt seine Stellung. Vor 4. Armee starker Feind. Angriff in jetziger breiter Front daher aussichtslos. Munitionssparen') bei überlegener seindlicher Artillerie im Angriff ausgeschlossen." Schweren Herzens entschloß sich General v. Falkenhayn angesichts der ablehnenden Haltung der Armee-Oberkommandos, den Befehl zum Angriff rückgängig zu machen. Gegen 9° abends erging die Anweisung, daß der Angriff des linken Flügels der 2. Armee sowie der 3., 4. und 5. Armee zu unterbleiben habe. Dieser Weisung folgte um 11"° abends nachstehender Befehl: „Gegner vor Front 3. Armee hat sich verstärkt, vor 4. Armee starker Feind. Zweck der befohlenen allgemeinen Offensive, Verschiebungen des Gegners zu verhindern, damit erreicht. Von allgemeinem Angriff 2., 3., 4. und 5. Armee wird daher abgesehen, dagegen sind dauernd Offensivstöße zur Fesselung des Gegners geboten." Der Widerstand, den General v. Falkenhayn am 19. September bei einem Teil der Armeeführer gegen den geplanten Angriff gefunden hatte, ließ erkennen, daß die Auffassungen über die operative Lage bei der Obersten
Heeresleitung und den Armeen nicht völlig übereinstimmten, eine Tatsache, die auch durch die Verhandlungen der Obersten Heeresleitung mit dem Oberkommando S am Vormittage des nächsten Tages bestätigt wurde. Vei einer in Luxemburg stattfindenden Aussprache zwischen General v. FalkenHayn und General Schmidt v. Knobelsdorf), der die sofortige Wegnahme von Verdun in enger Verbindung mit dem Vorgehen der Armee-Abteilung Strantz gegen die Sperrforts an der Maas anregte, führte General v. Knobelsdorf zur Begründung seines Vorschlages folgendes aus: Die
Festung sei seit Kriegsbeginn nur mangelhaft ausgebaut, die bewegliche schwere Artillerie sei herausgezogen, um in den Kämpfen gegen die 5. Armee verwendet zu werden. Patrouillen wären bis hart an das Fort Douaumont
herangekommen, ohne auf Widerstand zu stoßen. General v. Falkenhayn lehnte den Vorschlag indessen ab. Er war der Ansicht, daß die deutschen Velagerungsmittel und die vorhandenen Munitionsbestände nicht ausreichten, um zwei so starke Festungen wie Verdun und Antwerpen gleichzeitig anzugreifen. Die Wegnahme von Antwerpen schien ihm dringlicher. Dagegen stellte er bei dieser Besprechung der 5. Armee eine neue Aufgabe in
folgender schriftlicher Weisung: „Obschon allgemeine Offensivbewegung *) Bezog sich auf die in der Nacht vom 18. zum 19. September den Oberkommandos erteilte Weisung der Obersten Heeresleitung, in der den Armeen äußerste Sparsamkeit mit Munition zur Pflicht gemacht wurde.
Vgl. S. 8 und 6S.
y Schriftliche Mitteilung des Generals der Infanterie Schmidt v. Knobelsdorf an das Reichsarchiv vom 6. Juni 1927.
General v. Falkenhayn verzichtet auf den Angriff der Heeresmitte.
69
linken Armeeflügels infolge anderer Umstände unterblieben ist, ist es erforderlich, dem Gegner den bei ihm nach sicheren Nachrichten bestehenden Glauben zu nehmen, 5. Armee sei überhaupt nicht mehr operationsfähig. Feind würde sonst so starke Kräfte an die Maas werfen, daß die gegen die Forts heute
beginnende Unternehmung') dadurch aussichtslos wird. Dem Armee-Oberkommando wird das hiernach Erforderliche anheimgestellt."
4. Die Ereignisse vom
J9.bis22.September.
Hierzu Karte 2(1 :300 000).
a) Der rechte Heeresflügel. Der Verzicht des Generals v. Falkenhayn auf die am 20. September w. September,
geplante große Offensive betraf lediglich den linken Flügel der 2. sowie die 3., 4. und 5. Armee. Für die 1.,7. und den rechten Flügel der 2. Armee blieb der bisherige Angriffsbefehl in Kraft. Generaloberst v. Bülow hatte ihn dahin ergänzt, daß die 1. Armee den Angriff der 7. mit möglichst starkem linken Flügel unterstützen solle. Sobald die 7. Armee die Aisne
überschritt, hatte sich auch die 1. unter Staffelung ihres rechten Flügels dem Vorgehen anzuschließen. Die Wiederaufnahme des Angriffs der 2. Armee war von einer erfolgreichen Beschießung von Reims durch die schwere
Artillerie abhängig gemacht. Im übrigen sollte die Truppe den Tag zur Ordnung der Verbände und Regelung der rückwärtigen Verbindungen
benutzen. Aus den Anordnungen des G e n e r a l o b e r st e n v. V ü l o w ist ein
Nachlassen des Angriffswillens deutlich zu erkennen. Diese Sinnesänderung findet ihre Erklärung einmal in der zunehmenden Erkenntnis, daß sich die Aussichten für die erfolgreiche Durchführung der Offensive zwischen Soifsons und Reims durch den immer fühlbarer werdenden Munitionsmangel sowie durch die völlige Erschöpfung der Truppe und ihre schweren Verluste auf ein äußerst geringes Maß vermindert hatten. Wichtiger war aber wohl noch, daß Generaloberst v. Vülow am 19. September zum ersten Male
davon Kenntnis erhielt, daß die 6. Armee hinter den rechten Heeresflügel herangeführt wurde mit der Aufgabe, die Heeresflanke zu sichern und demnächst einen neuen umfassenden Angriff des deutschen Westheeres einzuleiten. Hieraus ergab sich für ihn eine ganz neue operative Auffassung.
Das Schwergewicht der Operationen lag jetzt seiner Überzeugung nach nicht mehr bei der 7. und 2. Armee, sondern auf dem äußersten rechten
Heeresflügel. *) Gemeint war das Vorgehen der Armee-Abteilung Strantz.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
70
Die Oberkommandos der 1. und 7. Armee hatten von der beabsich¬ tigten Verwendung der in der Versammlung begriffenen 6. Armee an
diesem Tage anscheinend noch keine Nachricht erhalten. Ihre Anordnungen für den 20.September bewegten sich weiter in dem Gedanken der ursprüng-
lich geplanten großen Offensive zwischen Royon und Verdun. Ob die Absage der Offensive zwischen Reims und Verdun in den späten Abendstunden des 19. September überhaupt zu ihrer Kenntnis gelangte, ist nicht
mehr festzustellen. Generalober st v. Kluck hatte sich, über die Absichten des Generalobersten v. Vülow hinausgehend, entschlossen, von vornherein mit seiner ganzen Armee anzugreifen, ohne den Erfolg der 7. Armee abzuwarten. Cr ließ den Oberkommandos 7 und 2 am Abend des 19. September durch einen Nachrichtenoffizier mitteilen, daß der rechte Flügel der Armee um 2°vor¬ mittags, der linke bei Tagesanbruch, die Mitte etwas später vorgehen werde. Die 7. Armee beabsichtigte, gleichfalls am frühen Morgen des 20.Sep¬ tember auf der gesamten Front anzugreifen. Generaloberst v. Heeringen
hatte freilich sehr ernste Bedenken gegen diesen Angriff.
Die 7. Armee,
so meldete er dem Generalobersten v. Vülow am Abend des 19. September,
liege den Stellungen des Gegners auf 300 m und näher gegenüber. Sei die
vorderste Stellung des Gegners genommen, so stehe die Truppe dicht dahinter vor neubefestigten Linien, bei deren Verteidigung die im Aisne-Tal
und auf dem südlichen Flußufer eingebauten schweren feindlichen Vatterien mitwirken würden. Selbst wenn es gelänge, den Gegner vom nörd-
lichen Aisne-User zu vertreiben, werde man auf den Südhöhen doch wieder eine starke feindliche Stellung finden, zu deren Wegnahme eine ausgiebige Artilleriewirkung nötig sei. Diese werde an der Munitionsknappheit
scheitern. 20. September.
Die Vorstellungen des Generalobersten v. Heeringen waren geeignet, die quälende Sorge des Generalobersten v. Vülow um den Ausgang der
Schlacht noch zu vermehren. Den Gedanken, die Einstellung des Angriffs auch bei der 1. und 7. Armee entweder aus eigenem Entschluß anzuordnen oder bei der Obersten Heeresleitung zu beantragen, scheint er zwar erwogen zu haben, zu einem endgültigen Entschluß vermochte er sich jedoch nicht durchzuringen. So wurde der 20. September für die 1. und 7. Armee zu einem neuen schweren Schlachttage.
Stärkere Teile der 2. Armee waren an den
Kämpfen nicht mehr beteiligt. Bei der 7. A r m e e gewann das VII. Reservekorps gegen die teilweise
schon mit schwachen Hindernissen versehenen feindlichen Schützengräben und befestigten Gehöfte nur wenig an Boden.
Die Divisionen klammerten
Erbitterte Kämpfe bei der 7. und 1. Armee am 20. September.
71
sich an der Höhenlinie des Chemin des Dames fest und kamen nur vor-
übergehend darüber hinaus vor. Dem XV. Armeekorps gelang es, die Gräben beiderseits der hart umkämpften Hurtebise Ferme zu stürmen, das Gehöft selbst blieb aber noch in der Hand der Franzosen. Das XII. Armee-
korps behauptete sich in heftigen, hin und her schwankenden Kämpfen in La Ville aux Bois und im Südteil des dort befindlichen Waldes. Am Abend erschien der Kommandierende General des VII. Reservekorps,
General der Infanterie v. Zwehl, im Armee-Hauptquartier und schilderte Generaloberst v. Heeringen die Lage seines Korps. Durch die Verluste vor Maubeuge, die anschließenden Gewaltmärsche und die seit acht Tagen
währenden Kämpfe habe die Truppe so gelitten, daß der Angriff nicht weiter durchgeführt werden könne. Das Korps werde bestenfalls die gewonnene Linie halten. Ein Angriff auf die durch Drahthindernisse ver-
stärkten feindlichen Stellungen sei undurchführbar. Generaloberst v. Heeringen zeigte für diese Schwierigkeiten volles Verständnis. Cr entschied, daß das Korps sich auf die Verteidigung beschränken solle, wenn es nicht mehr angreifen könne.
Die Höhenlinie müsse aber unbedingt in seinem
Besitz bleiben. Jede Gelegenheit vorwärtszukommen sei auszunutzen. Auf dem linken Flügel der 1. Armee, beim III. Armeekorps, nahmen
die örtlichen Kämpfe entscheidungslos ihren Fortgang. Beim II. Armeekorps glaubte man südlich der Aisne rückgängige Bewegungen zu erkennen, die auf eine Schwächung der feindlichen Front hindeuteten. Das Oberkommando zog daraufhin, dem Vorschlag des Kommandierenden Generals, Generals der Infanterie v. Linsingen, folgend, am Nachmittage des 20. September die
4. Infanterie-Division aus der Front und ließ sie zur Unterstützung des hart
ringenden rechten Armeeflügels in westlicher Richtung auf Cuts marfchieren. Das unter dem Befehl des Generals der Artillerie v. Gronau stehende
IV. Reservekorps drang bis Vaux—Fontenoy vor, mußte aber abends unter sehr starkem feindlichen Artilleriefeuer mit erheblichen Verlusten in die Ausgangsstellungen zurückgenommen werden. Rur sein rechter Flügel konnte das schon am frühen Vormittage nach hartem Ringen genommene Chevillecourt behaupten. Der rechte Flügel der 1. Armee (18. Reserve-Division und IX. Armeekorps) gewann unter heftigen, verlustreichen Kämpfen die Linie Bailly—Traey le Val—nördlich Puisaleine—Moulin sous Touvent —Autrßches. Die 4. bayerische Infanterie-Brigade und die 17. ReserveDivision richteten sich in der Linie Lassigny—Dreslineourt zur Verteidigung ein. Am 21. und 22. September ließen die Kämpfe bei der 2. und 7. Armee2l.wnd22.sep-. und auf dem linken Flügel der 1. Armee immer mehr nach. Generaloberst tew6CT*
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
72
v. Bülow hatte am Abend des 20. September an die Oberste Heeresleitung gemeldet: . . Soweit hier übersehbar, liegt Entscheidung auf West-
flügel.
Ob hierzu rechter Flügel 1. Armee zurückzubiegen ist, hängt von
Gesamtlage ab. Ziehe 21. 9. das XVIII. Armeekorps aus vorderer Linie
für etwaigen Abmarsch nach Westen." Morgen des 21. September.
Den Befehl hierzu gab er am
In seiner operativen Auffassung hatte sich eine endgültige Wandlung vollzogen. Die Aussicht, die Kämpfe an der Aisne und bei Reims, die sich
immer hoffnungsloser gestalteten, demnächst abschließen zu können, befreite ihn von schwerer Sorge. Cr hatte in den letzten Tagen trotz aller Cnt° täuschungen beharrlich an dem einmal gefaßten Entschluß festgehalten. Nunmehr begann er sich auf die Absichten des Generals v. Falkenhayn
umzustellen. Der Schwerpunkt hatte sich jetzt auch nach seiner Auffassung auf den rechten Heeresflügel verschoben. In einem Telegramm an die Oberste Heeresleitung vom Abend des 22. September gab er dieser Ansicht bestimmten Ausdrucks. Für die 7. Armee befahl Generaloberst v. Heeringen am Abend des
21. September, daß die Truppen auf der Höhenlinie des Chemin des Dames
vorläufig haltmachen und sich zur Verteidigung einrichten sollten. Dement¬ sprechend mühten sich die Korps am 22. September lediglich noch um den
Besitz einzelner wichtiger Punkte. Im Vereich des XV. Armeekorps fiel die hart umkämpfte Hurtebise Ferme in deutsche Hand, nachdem sie durch das Feuer schwerer Minenwerfer sturmreif geschossen war. Auf dem linken Flügel und in der Mitte der 1. Armee erloschen die Kämpfe am 21. September fast völlig. Nachdem bereits am 20.Sep¬
tember die 4. Infanterie-Division herausgezogen und nach dem schwer bedrohten rechten Flügel in Marsch gesetzt war, erklärte sich das Oberkommando am 21. September mit dem Vorschlage des Kommandierenden
Generals des IV. Armeekorps einverstanden, auch noch das IV. Reservekorps aus der Front herauszuziehen, um ihm die dringend nötige Ruhe zu ge-
währen. Sein bisheriger Abschnitt wurde dem IV. Armeekorps mit über¬ tragen. Doch verschob das Armee-Oberkommando die Ablösung der besseren Vorbereitung wegen bis zum Abend des folgenden Tages. Die von der
I.Armee auf die Weisung der Obersten Heeresleitung^) angesetzte Lust¬ aufklärung über die Linie Amiens—Veauvais bis zum Meere hatte am
21. September die Versammlung größerer Kavalleriekörper bei Roye und Villers Vretonneux sowie Marschbewegungen von Ereil und Eompiegne nach Norden ergeben. Diese Ergebnisse waren durch die am 22. September S. 83. — 2) S. 75.
Das Ende der Schlacht an der Msne und bei Reims.
73
fortgesetzte Erkundung bestätigt. Die beim Oberkommando der 1. Armee in diesen beiden Tagen eingelaufenen Meldungen ließen jedenfalls erkennen, daß der Gegner im Begriffe stand, erhebliche Kräfte in den Raum Montdidier—Roye zu verschieben und deren Versammlung durch nordwärts vorgeschobene Kavalleriekörper zu decken. Die Schlacht an der Aisne und bei Reims fand am 22. September ihr Ende. Der erste Abschnitt, vom 13. bis 15. September, in dem die Fran-
zosen den operativen Durchbruch durch die deutsche Front erstrebten, hatte mit einem Mißerfolge ihrer Waffen geendigt. In dem zweiten Abschnitt waren die Deutschen zum Gegenangriff übergegangen. Indessen blieb auch ihnen der Sieg versagt. Ein großer Teil des deutschen Heeres erlitt in diesen Kämpfen unersetzliche Verluste an Offizieren und Mannschaften und büßte, was vielleicht noch schwerer wog, den trotz der Marneschlacht noch unerschütterten Glauben an die Unwiderstehlichkeit des deutschen Angriffs ein. Die Erfahrungen der letzten Tage hatten die Truppe und ihre Führer immer deutlicher erkennen lassen, daß ein frontaler Angriff auf einen zur Verteidigung entschlossenen und vorbereiteten Gegner mit den zur Zeit zur
Verfügung stehenden Kampfmitteln nicht möglich sei. mußte tiefreichende Rückwirkungen zur Folge haben.
Diese Erkenntnis
b) Die Heeresmitte. Hierzu Karte 3 (1 :300 000).
Auch in der deutschen Heeresmitte, bei der 3., 4. und 5. Armee, ließl»-bis22.Sep. die Kampftätigkeit in den Tagen vom 19. bis zum 22. September immer mehr nach. Rur bei der 4. Armee kam es am 19. September noch zu
ernsten Kampfhandlungen. Der vom Oberkommando der 4. Armee angeordnete Angriff ihres rechten Flügels*), der die Lage vor der Front klären und den im Abmarsch
vermuteten Feind fesseln sollte, stieß auf starken Widerstand. Das VIII. Armeekorps drang zunächst in das brennende Souain ein; der Versuch, darüber hinaus vorzustoßen, mißlang aber. Am Abend kehrte die Truppe in die Ausgangsstellungen zurück. Auch vor dem VIII. und dem durch die 11. Insanterie-Division verstärkten XVIII. Reservekorps wurde starker Feind
festgestellt. Die Stimmung und die Kampfkraft der Truppe hatten durch die erfolglosen Kämpfe der letzten Tage stark gelitten. Der Kommandierende General des VIII. Armeekorps erstattete dem Oberkommando hierüber einen ernst gehaltenen Bericht und bat darum, daß für etwa erforderliche weitere Fest0 2Z. 2. Armee keine wesentlichen Änderungen eingetreten. Der 23.September verlief ohne erhebliche Gefechtstätigkeit. Von beiden Seiten unternommene Vorstöße dienten vornehmlich Zwecken der Erkundung. Die im deutschen Heeresbefehl vom 22. September abends') verlangte offensive Betätigung zur Fesselung des gegenüberstehenden Feindes fand noch keine Auswirkung. Die Nachrichten über den Feind ließen eine weitere Schwächung vor der 2. und 3. Armee sowie das unverminderte Andauern der Transportbewegung nach Westen erkennen. Eine lange Kolonne, anscheinend ein ganzes Korps, wurde durch Flieger im Marsch von Coulonges (südlich Fismes) über Fere en Tardenois in der Richtung auf Vierzy beobachtet. Die Bahn Fismes—La Ferts Milon war mit Truppentransporten stark belegt. Im Vereich der 1. Armee wurde durch Lufterkundung lebhafter Zugverkehr auf den Strecken Eompiögne—Roye, Crepy en Valois—Verberie—Montvidier und Ereil—Elermont festgestellt. In der Gegend von Nampeel stand das französische IX. Korps, bei Roye das französische IV.Korps, eine Zuaven-Division und eine Marokkaner-Brigade. Weiter nördlich blieben die Verhältnisse unklar. Im Räume Ostende—Zeebrugge—Vrügge— Gent—Termonde—Alost war kein Gegner festgestellt worden. Angesichts des erneuten Fortziehens starker feindlicher Kräfte vor der Front der 7. und 2. Armee — man rechnete mit zwei bis drei Divisionen —
hielt Generaloberst v. Vülow die schleunige Wiederaufnahme der Offensive im Sinne der im Heeresbefehle vom 22. September abends verlangten
Fesselung des Gegners für dringlich. Cr begab sich mit seinem Generalstabschef, Generalleutnant v. Lauenstein, am 23. September zum Armee-Oberkommando 3, um die Beteiligung der 3. Armee zu erwirken. General
v. Einem glaubte jedoch, daß der Zeitpunkt für einen Angriff seiner Armee
noch nicht gekommen sei. Nach dem Befehl der Obersten Heeresleitung *) S. 82.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
92
hatte die 3. Armee in engem Zusammenhange mit der 4. und 5. Armee zu kämpfen. Der Beginn ihrer Offensive war von dem Vorwärtskommen der
4. Armee abhängig gemacht. Diese hatte aber die Bewegung noch gar nicht angetreten. Da Generaloberst v. Bülow Bedenken trug, die 2. Armee allein ohne Unterstützung der 3. angreifen zu lassen, so unterblieb die Offensive
zunächst, ohne daß die Entscheidung der Obersten Heeresleitung angerufen wurde. Ebenso wie General v. Einem war auch Generaloberst v. Heeringen
der Auffassung, daß ein Anlaß zu beschleunigtem Angriff nicht vorliege. Cr begnügte sich mit Vorbereitungen für eine Unternehmung gegen das Höhengelände von Veaulne und Troyon, die vom VII. Reserve-
korps mit unterstellter gemischter 50. Insanterie-Brigade (XVIII. Armee¬ korps), 63. Infanterie-Brigade und 25. Landwehr-Brigade im Laufe der nächsten Tage durchgeführt werden sollte. 24.und2s.sep-
Auch am 24. und 25. September blieb die Lage bei der 1., 7., 2. und 3. Armee unverändert. Bei der 7. Armee wurden die Erkundungen und
Vorbereitungen für den geplanten Angriff des verstärkten VII. Reservekorps fortgesetzt. Die 2. Armee hatte auf ihrem linken Flügel seit dem 23. Sep¬ tember abends in der Gegend des Forts de la Pompelle heftige feindliche Angriffe abzuwehren. Die Lage schien zeitweise so ernst, daß Teile der 19. Reserve-Division und des als Armeereserve bereitgestellten Gardekorps der 2. Garde-Reserve-Division (X. Reservekorps)') zur Verfügung gestellt werden mußten^ An einzelnen Stellen drang der Feind in die deutschen Gräben ein, wurde aber am Vormittage des 24. September durch einen
Gegenangriff der 2. Garde-Reserve-Division wieder hinausgeworfen. Generaloberst v. Bülow hielt es indes doch für geboten, die Front durch Einsatz der 2. Garde-Infanterie-Division nordöstlich Bstheny wieder zu verstärken. Die 1. Garde-Infanterie-Division blieb als Armeereserve bei Eaurel les Lavannes. Angesichts dieser Vorgänge wurde die Truppe angewiesen, die Kampflinie mit allen Mitteln der Feldbefestigung auszubauen,
damit ihre Behauptung auch durch schwächere Kräfte unbedingt gesichert sei und den zurückgezogenen Truppenteilen die nötige Ruhe gewährt werden könne. Trotzdem stand Generaloberst v. Bülow dem Gedanken einer all-
gemeinen Offensive der Heeresmitte seit einigen Tagen durchaus zustimmend ,
22*
gegenüber.
^ben den Hauptkämpfen auf dem rechten Heeresflügel und dem Angriff gegen St. Mihiel hatte sich in den Tagen vom 22. bis 25. Sep*) Die ursprüngliche Kriegsgliederung des X. Armee- und X. Reservekorps war
inzwischen wiederhergestellt worden.
Der Angriff des rechten Flügels der 6. Armee vom 22. bis 24.September.
93
tember noch ein weiterer Brennpunkt beiderseits der Argonnen gebildet). Auf deren Ostseite griff der rechte Flügel der 5. Armee an. Diesem Angriff sollten sich die 4. und 3. Armee erst allmählich staffelweise anschließen. Zwischen Argonnen und Maas hatte sich die Schlacht schon am 22.Sep¬ tember entwickelt.
Cs war beabsichtigt, dem vor dem linken Flügel der
4. Armee stehenden Feind von Varennes aus durch die Argonnen hindurch in Flanke und Rücken zu stoßen. Hierzu sollten das XIII. und XVI.
Armeekorps zunächst auf Varennes und Vauquois angreifen, während das VI. Reservekorps und die Landwehr-Division Franke die Deckung gegen Verdun zu übernehmen und bei erfolgreich vorwärtsschreitendem Angriff die
Nordwestfront der Festung allmählich abzuschließen hatten. Die Offensive machte am
2 .SeptembernurlangsameFortschritte.
Das XIII. Armeekorps erreichte unter heftigen Kämpfen die Gegend beiderseits Montblainville, das XVI. Armeekorps Very und die Gegend östlich davon. Die Landwehr-Division Franke drang in den Nordrand des Waldes südlich Montsaucon ein. Auch am 23. September gewannen die Truppen nur mühsam Voden. Das XIII. Armeekorps nahm Varennes; die in den Argonnen vorgehende Seitendeckung drang auf der Römerstraße bis zur Straße Le Four de Paris—Varennes vor. Das XVI. Armeekorps
hatte noch in der Nacht Cheppy erobert, die 33. Infanterie-Division erlitt jedoch südlich des Ortes beim überschreiten des Vuanthe-Grundes, der unter schwerem flankierenden Artilleriefeuer lag, einen Rückschlag. Teile ihrer 66. Infanterie-Brigade mußten vorübergehend aus dem Gefecht gezogen und neu geordnet werden. Weiter östlich arbeiteten sich die Landwehr-Division Franke und die 11. Reserve-Division des VI. Reservekorps im Walde westlich Malancourt vorwärts. Das Armee-Oberkommando war
von dem bisherigen Ergebnis der Schlacht wenig befriedigt. Beim abend¬ lichen Befehlsempfang wies der Chef des Generalstabes, Generalleutnant Schmidt v. Knobelsdorf, die Korpschefs darauf hin, daß „die Sache geschafft werden müsse, da man sonst die Schlacht verloren habe".
Die Stimmung
war nicht sehr zuversichtlich. Am 24. September nahm der Kampf seinen Fortgang. Das XIII. Armeekorps erreichte die Straße Varennes—Le Four de Paris bis zur Römerstraße und Voureuilles; das XVI. eroberte unter
schweren Gefechten Vauquois und die Waldstücke östlich davon. Anschließend besetzten die Landwehr-Division Franke und Teile des VI. Reservekorps den Wald westlich Malancourt bis zur Straße Malancourt—Avoeourt. Avocourt selbst blieb in Feindeshand. Man gewann aus den Ergebnissen
der Lufterkundung den Eindruck, daß der Gegner mit zwei Divistonen über *) S. 74.
94
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
Ste. Msnehould—Givry en Argonne nach Süden abziehe und das Gelände bis zur Bahn Aubrsville—Dombasle freigebe. Am 25. September wurden
Schanzarbeiten südlich des Wadelaincourt-Baches beobachtet. Auf dem rechten Maas-Ufer war der Angriff bereits am 21. September
in Gang gekommen; es waren nicht unerhebliche Fortschritte erzielt worden. Während die 9. Reserve-Division des V. Reservekorps in ihrer bisherigen Stellung verblieb, drängten der linke Flügel der 10. und die 33. ReserveDivision schwächeren Feind bis zur Linie Straßenknie südlich Le Haut Fourneau—Höhen westlich Etain zurück. Der linke Flügel der 33. ReserveDivision schob am 23. seine Stellungen bis zur Straße Buzy—Pareid vor. Am 24. erreichten Teile der 19. Reserve-Division ohne Kampf die Chaussee Gremilly—Mogeville und besetzten die wichtigen Höhen nordöstlich Ornes. Ihr Besitz verwehrte den Franzosen den Einblick in die vor der Nordostfront der Festung liegenden deutschen Stellungen. Die schweren dreitägigen Kämpfe hatten die Truppen der 5. Armee so erschöpft, daß das Oberkommando sich entschließen mußte, am 25. September eine Kampfpause eintreten zu lassen. Selbst den dringenden GegenVorstellungen der Obersten Heeresleitung gegenüber glaubte der Armeeführer hieran festhalten zu müssen'). Auch westlich der Argonnen bei der 4. A r m e e hatten die Kämpfe am
23. und 24. September keinen glücklichen Verlauf genommen. Es war zwischen den Oberkommandos der 4. und 5. Armee vereinbart worden, daß der linke Flügel der 4. Armee zunächst den in den Argonnen östlich Vinarville stehenden Feind vertreiben, später in der Gegend von Vienne le Chkteau mit dem durch die Argonnen anmarschierenden XIII. Armeekorps sich zu-
fammenfchließen und in südwestlicher Richtung auf Valmy angreifen sollte. Erst wenn diese Bewegung im Fluß war, hatte der rechte Armeeflügel gemeinsam mit dem linken der 3. Armee in allmählicher Schwenkung auf Suippes—Vadenay anzutreten. Die Säuberung des Waldes südöstlich Vinarville durch die 11. Insanterie-Divifion gelang am 22. September nicht. Die Kämpfe wurden am 23. September unter Beteiligung des XVIII. Reservekorps fortgesetzt,
dessen linke Division vergeblich auf dem rechten Aisne-Aser angriff. Der rechte Flügel der 11. Infanterie-Divifion gewann etwa 1999 m Boden.
Am 24. September kamen die Truppen nicht vorwärts. Die flankierende Wirkung aus den Argonnen heraus wurde immer fühlbarer. Der Versuch der 11. Infanterie-Division, den Gegner von Norden her auszurollen, war gescheitert. Vor der Mitte und dem rechten Flügel der 4. Armee entfalteten *) S. 105.
Die Kämpfe des linken Flügels der 4. Armee vom 22.bis 24. September.
95
die Franzosen am 24. September eine lebhaftere Tätigkeit als in den letzten
Tagen, so daß man mit einem bevorstehenden Angriff rechnete. Die Oberste Heeresleitung nahm aber an, daß es sich nur um Täuschungsmaßnahmen
des Gegners handeln könne, und empfahl, sich von der Durchführung des eigenen Angriffs dadurch nicht abhalten zu lassen. Das Armee-Oberkommando ordnete darauf den Angriff für den 25.September auf der gesamten Front an. Die Vorbereitungen waren so zu treffen, daß der Einbruch in die feindlichen Stellungen am Abend des 25.September mit Be¬ ginn der Dunkelheit erfolgen konnte; das XVIII. Reservekorps mit der
11. Infanterie-Division sollten dabei nach Südwesten einschwenken. Das XIII. Armeekorps wurde um Mitwirkung durch Vorgehen auf Vienne le Chateau gebeten, doch lehnte General v. Fabeck diese Aufforderung mit dem
Hinweis ab, daß für die 5. Armee Ruhe befohlen sei. Gegenüber erneutem Drängen gab er der Überzeugung Ausdruck, daß die „planmäßig ausgebauten feindlichen Stellungen nur durch systematischen Angriff mit wirkungsvoller Vorbereitung durch schwere Artillerie genommen werden könnten". Im Verlauf des 25.Septemberkamen dem Armeeführer, Herzog Albrecht von Württemberg, ernste Bedenken, ob der beabsichtigte Angriff ohne die MitWirkung des XIII. Armeekorps ratsam sei. General v. Falkenhayn lehnte indes den Vorschlag auf Verschiebung des Angriffs ab und bestand auf
seiner Durchführung. e) Die Erstürmung der Cötes Lorraines und die Eroberung des Forts Camp des Romains durch die Armee-Abteilung Strantz. Hierzu Karte 3 (1 :300 000).
Bei der Armee - Abteilung Strantz war die Vereitstellung für 19. September,
den Angriff auf die Cütes Lorraines am 18. September beendet'). Für den 19. September war angeordnet worden, daß das V. und das III. bayerische Armeekorps die Straße Fresnes en Woevre—Thiaueourt mit Vortruppen überschreiten und eingehende Erkundungen am Ostrand der Cütes vornehmen sollten. Als Trennungslinie für das weitere Vorgehen der Korps wurde der
Nordwestrand des Waldes westlich Lachaussee—Deuxnouds—Vannoncourt bestimmt. Hierdurch ergab sich für das V. Armeekorps der Angriff auf Fort Troyon, für das III. bayerische Armeekorps auf Fort Camp des Romains. Diesem fiel zugleich die Sicherung gegen die Forts Liouville und Gironville zu, dem V. Armeekorps, im Anschluß an die 33. Reserve-Division, die
Sicherung gegen Verdun. Das XIV. Armeekorps sollte die Südflanke der *) 6.54.
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Die Operationen in Frankreich und Belgien.
angreifenden Korps gegen Toul—Nancy decken. Der Vormarsch der beiden Korps vollzog sich am 19. September unter strömendem Regen; ohne größere
Kampfhandlungen wurden die befohlenen Ziele erreicht. Die Artillerie wurde trotz des schlechten Zustandes der vom Regen aufgeweichten Wege bis zum frühen Morgen des 20. September gegen die Cötes in Stellung gebracht. Das XIV. Armeekorps gelangte bis in die Gegend nordwestlich von Pont ä Mousson. Französische Kräfte unbestimmter Stärke wurden bei Pannes und Cuvezin und Flirey—Limey festgestellt. 2«. September.
Das Artillerieseuer kam infolge des unsichtigen Wetters und starker Regenschauer am 20.September nur langsam in Gang. Vom Gegner war an den Hängen der Cötes kaum etwas zu erkennen. Seine Gegenwirkung war gering. Der Kommandierende General des III. bayerischen Armee-
korps, General der Kavallerie Freiherr v. Gebsattel, gewann den Cindruck, daß die Franzosen vollkommen überrascht worden waren und die Stellungen auf den Cötes nur schwach besetzt seien. Er hielt unter diesen Umständen ein rasches Zupacken für zweckmäßiger als das von General v. Strantz in Aussicht genommene abschnittsweise Vorgehen der beiden Armeekorps nach einheitlichem Befehl. Als daher gegen 12° mittags der Kommandeur der 6. bayerischen Infanterie-Division, Generalleutnant Ritter v. Höhn, bei der Befehlsstelle des Generalkommandos erschien und um die Genehmigung bat, den Angriff sofort beginnen zu dürfen, erteilte General v. Gebsattel seine Zustimmung, die später auch die Billigung des
Generals v. Strantz fand.
Das Vorgehen der Infanterie stieß indessen
in den hartnäckig verteidigten Ortschaften am Rande der Cötes auf größeren Widerstand, als erwartet worden war.
Erst in der Nacht vom
20.zum 21. September konnten Visville, Hattonville und Vigneulles von der 6. bayerischen Infanterie-Division in erbittertem Nahkampfe genommen werden. Die 5. bayerische Infanterie-Division, der anscheinend nur die französische 2. Kavallerie-Division gegenüberstand, gelangte unter leichtem Gefecht bis an den Waldrand östlich Heudicourt. Der Führer des V.Armeekorps, General der Infanterie v. Oven, war von General Freiherr v. Gebsattel um 2°nachmittags gebeten
worden, sich dem Vorgehen der Bayern anzuschließen. Der Angriff des V. Armeekorps kam jedoch erst in den späteren Nachmittagsstunden zur Cnt-
faltung. Die rechts angreifende 9. Infanterie-Division besetzte Wadonville, die 10. Infanterie-Division lag am Abend vor Thillot—St. Maurice. Sie wurde hier aber durch den Kommandierenden General angehalten und ange-
wiesen, den Sturm auf die Cötes erst in den Morgenstunden des nächsten Tages durchzuführen.
Der Angriff der Armee-Abteilung Strantz auf die Cötes am 2V. September.
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Das III. bayerische Armeekorps, das sich bei seinem Vorgehen in der linken Flanke bedroht fühlte, hatte die Bitte ausgesprochen, daß das XIV. Armeekorps näher heranrücke. Bei dem Kommandierenden General
des XIV. Armeekorps bestand jedoch der Wunsch, sein Korps nicht allzu stark in die beginnenden Kämpfe zu verwickeln, damit es für die von
der Obersten Heeresleitung geplante anderweitige Verwendung verfügbar bleibe. Cs bedurfte wiederholten Eingreifens des Generals v. Strantz, um
die Ausdehnung des Korps in westlicher Richtung zu veranlassen. Cs stand am Abend in der Linie Wald östlich Cssey—Remenauville—Gegend westlich Montauville. Die bayerische Kavallerie-Division verblieb bei Thiaueourt. Der Befehl für den 21.September bestimmte, daß das V. und 21. September.
III. bayerische Armeekorps mit Tagesanbruch sich in den Besitz der östlichen Randhöhen der Cotes setzen und dann so weit vorgehen sollten, daß die schwere Artillerie in der Nacht vom 21.zum 22. September gegen die MaasForts in Stellung gehen könnte. Das XIV. Armeekorps wurde ange-
wiesen, schwächeren Feind vor seiner Front zurückzuwerfen und jede Möglichkeit zu Teilerfolgen auszunutzen. Die 9. Infanterie-Division stürmte am Morgen des 21. September Herbeuville und Hannonville, wobei sich von der Combres-Höhe her feind¬ liches Artillerie-Flankenfeuer sehr störend bemerkbar machte. Im weiteren Verlauf des Angriffs drang die Division bis zur Linie Combres (Dorf)— St. RZmy und südwestlich davon vor. Ihr rechter Flügel sicherte in der Ebene in der Gegend von Saulx. Die 10. Infanterie-Division nahm Thillot und St. Maurice sowie die dahinter liegenden Höhen und ging dann in zwei Angriffskolonnen über Dommartin la Montagne und Deuxnouds vor. Obgleich der feindliche Widerstand nachließ, gelangte die rechte Angriffskolonne in dem sehr unübersichtlichen Waldgelände über Dommartin nicht hinaus. Die linke traf bei Deuxnouds auf stärkeren Feind, der erst in den Abendstunden mit bayerischer Unterstützung vertrieben werden konnte. Die 6. bayerische Infanterie-Division drang über Hattonchstel— Vigneulles, die 5. bayerische Infanterie-Division über Heudicourt in west¬ licher Richtung vor. Die Franzosen leisteten auf den Cötes nur noch
schwachen Widerstand. Trotzdem ließ sich bereits in den frühen NachMittagsstunden übersehen, daß die Schutzstellungen für die deutsche schwere Artillerie, die in Gegend von Dompierre und längs der Straße Lavignsville—Savonnisres auffahren sollte, weder vom V. noch vom III. baye-
rischen Armeekorps heute erreicht werden würden. Der Aufmarsch der Artillerie wurde daher auf die Nacht vom 22. zum 23. September verschoben. Am Abend des 21. September stand das III. bayerische Armeekorps in der
Linie Lavigneville—Buxwres. Sein linker Flügel, dem die Sicherung in t Weltkrieg, v. Bant).
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Die Operationen in Frankreich und Belgien.
südlicher Richtung übertragen war, gelangte unter nicht unerheblichen Kämpfen bis in die Gegend von Richecourt. Anschließend besetzte das XIV. Armeekorps die Linie Waldrand nördlich Flirey—Montauville. Der 21. September hatte der Armee-Abteilung Strantz glänzende Erfolge gebracht. Die schwer angreifbaren Höhen der Cötes waren in einem einzigen glücklichen Ansturm auf 20km Breite genommen. Die Truppe be° fand sich nach all den niederdrückenden Ereignissen der letzten Wochen in Siegesstimmung. Das Oberkommando und die Generalkommandos waren
von dem schnellen Gelingen des Angriffs selbst überrascht. Sie waren sich darüber klar, daß die stockwerksörmig angelegten, das Vorgelände weithin beherrschenden und flankierenden Schützengräben am Ostrande der Cötes und die in den Schluchten versteckten, für die deutsche Artillerie unaufstnd-
baren französischen Batterien selbst einer schwächeren Besetzung die Möglichkeit geboten hätten, die starken Stellungen zu halten, wenn nur der Wille bestand, sie nachhaltig zu verteidigen. Der über Erwarten günstige
Verlauf der Kämpfe fand feine Erklärung darin, daß die Franzosen dank dem entschlossenen und schnellen Zupacken des III. bayerischen Armeekorps offenbar überrascht worden waren. Alles kam^jetzt darauf an, ob es gelingen würde, sich der Sperrforts zu bemächtigen und den Flußübergang zu er-
zwingen, bevor der Feind ausreichende Verstärkungen heranbrachte. 22. September.
Die Aufgabe der beiden Korps für den 22. September bestand in der
Gewinnung der Artillerie-Schutzstellung. Der rechte Flügel der 10. Insanterie-Division stieß durch den Wald westlich Dommartin bis zum Wege Mouilly—Vaux vor, wurde jedoch durch einen feindlichen Gegenangriff bis zur Straße Vaux—St. Remy wieder zurückgedrückt. Auch Vaux mußte wieder aufgegeben werden. Der linke Flügel der Division erreichte den Waldrand südlich Seuzey. Die Lage des V. Armeekorps am Abend des 22. war nicht unbedenklich. Der Feind richtete von Nordwesten her wirksames Artilleriefeuer gegen Flanke und Rücken des Korps. Setzte er hier stärkere Kräfte zum Gegenstoß an, so trat eine ernste Flankenbedrohung ein. Ein Teil der vorgesehenen Artilleriestellungen befand fich noch im Besitz der
Franzosen. Durch Fliegermeldungen wurden größere Truppenansammlungen nördlich Genicourt, ferner bei Rupt sowie bei Laeroix und Spada bekannt. Anscheinend hatten die Franzosen also die erste Überraschung überwunden und waren im Begriff, sich zur Wehr zu setzen. Die starke feindliche GegenWirkung im Kampfbereich des V. Armeekorps veranlaßte General v. Oven, sein Korps zum Schutz der Angriffsartillerie auf den Cötes zusammenzuziehen. Cr erwartete für den 23. September einen großen Gegenangriff. Die in der Ebene stehenden Teile der 9. Infanterie-Division wurden abgelöst. Landwehr aus Metz übernahm die Sicherung zwischen Harville und Saulx.
Glänzende Erfolge am 21.,feindliche Gegenwirkung am 22.und 23. September.
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Erfolgreicher als beim V. Armeekorps verlief der Tag beim III. bayerischen Armeekorps. Die Infanterie erreichte unter leichten Kämpfen den Südwestrand der Wälder nordöstlich St. Mihiel und die von dort nach
Woinville führende Straße. Der linke Flügel der 5. bayerischen InfanterieDivision, der das Auffahren schwerer Batterien westlich Montsee zu decken und die linke Flanke des Korps nach Süden weiterhin zu sichern hatte, besetzte mit nur geringen Verlusten die Linie Varneville—Montsee und blieb mit
Teilen bei Richecourt. Das XIV. Armeekorps ging bis zur Linie Seicheprey—Lironville vor
und richtete sich hier zur Verteidigung ein. Nach Mitteilung der Obersten Heeresleitung war die Absicht seines Abtransportes vorläufig zurückgestellt. Die schwere Artillerie erreichte im Laufe des Tages ihre Stellungen. Von den dem III. bayerischen Armeekorps zugeteilten deutschen und öfterreichifch-ungarifchen schwersten Batterien (21 und 30,5 cm) traf indes nur ein Geschütz rechtzeitig ein. Der Anmarsch der anderen erlitt auf den durch Regen aufgeweichten Wegen eine längere Stockung. Die Masse der Artillerie eröffnete jedoch am Morgen des 23.September das Feuer. Der vom V. Armeekorps erwartete feindliche Gegenangriff unterblieb. 23. September.
Auch gegenüber dem III. bayerischen Armeekorps verhielt sich der Feind ruhig. Hier bestand indes der Eindruck, daß sich gegen den rechten Flügel des Korps ein Gewitter zusammenziehe. Um einem feindlichen Angriff zuvorzukommen, entschloß sich der Kommandeur der 6. bayerischen InfanterieDivision, Generalleutnant Ritter v. Höhn, das Gelände westlich Lamorville
in Besitz zu nehmen. Die benachbarte 10. Insanterie-Division versprach, den Angriff über Seuzey zu unterstützen. Der Vorstoß der Bayern, der erst mit Einbruch der Dunkelheit begann, führte nicht zum Ziel. Sie ver¬ loren die Richtung, mußten zurückgenommen werden und gruben sich nordöstlich der Straße Lamorville—Spada ein. Beim XIV. Armeekorps waren im Laufe des 23.September ernste
Kämpfe entbrannt. Die Franzosen griffen die ganze Front heftig an. Der 29. Infanterie-Division wurde die bayerische Kavallerie-Division, der links anschließenden 28. Infanterie-Division einige Landwehr-Bataillone zugeführt. Das Korps vermochte jedoch schließlich seine Stellungen an den Südrändern der Waldstücke zwischen Seicheprey und Lironville mit eigenen Kräften zu halten. Am 24. September blieb die Lage beim V. Armeekorps unverändert. Um den auf dem Frontraum Combres—St. Rsmy lastenden feindlichen Druck zu mindern, versuchte die 9. Infanterie-Division vergeblich, über die Straße St. Rsmy—Mouilly nach Nordwesten Raum zu gewinnen. Die 19. Infanterie-Division erhielt auf Bitten des III. bayerischen Armeekorps
September.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
Befehl, Vaux—Seuzey und das Waldstück südwestlich Seuzey zu nehmen. Der Angriff des rechten Flügels der Division blieb vor den beiden Ort-
schaften liegen. Der linke Flügel konnte zeitweilig das Gehölz besetzen; die verlustreichen Kämpfe endeten aber infolge der starken feindlichen Artilleriegegenwirkung schließlich mit der Zurücknahme der Truppe an den Waldrand südlich Seuzey. Beim III. bayerischen Armeekorps wurde der in der Nacht begonnene
Angriff der 6. bayerischen Infanterie-Division auf die Höhe nördlich Spada fortgesetzt und zunächst glücklich durchgeführt. Die Truppe geriet dann aber in so verheerendes Flanken- und Rückenfeuer sowohl vom westlichen MaasÄser als auch aus nördlicher Richtung, daß eine kritische Lage eintrat. Am Abend mußte die Division in die Ausgangsstellungen am Waldrande öst' (ich Spada zurückgenommen werden. Der Versuch, das Gelände zwischen Spada und Lacroix zu gewinnen, wmde nicht mehr erneuert. Das östliche
Maas-Ufer nördlich Maizey blieb in Feindeshand. Beim XIV. Armeekorps hielten die schweren Kämpfe an. Rur mühsam behauptete sich die 29. Infanterie-Division in den Waldrändern nördlich Vernecourt. Dem Kommandierenden General, Generalleutnant FreiHerrn v. Watter, schien es zweckmäßig, das Korps etwas zurückzunehmen, um es dem Feuer der Festungsgeschütze von Toul zu entziehen. In der Nacht vom 24. zum 25.September gingen die Divisionen an den Südrand des
Waldes zwischen St. Bausfant und Remenauville sowie auf Regnisville zurück. Der Feind griff das Korps in den nächsten Tagen nicht mehr an. Der Kommandeur der schweren Artillerie des III. bayerischen Armeekorps hatte bereits am Morgen des 24. September gemeldet, daß das Fort Camp des Romains sturmreif geschossen sei. Alles Leben schien in ihm erstorben. Die Geschütze antworteten nicht mehr. Auch die Batterie des Forts Les Paroches schien niedergekämpft. Cs tauchte die Vermutung auf, daß das Fort bereits vom Gegner geräumt sei. Schon in der Nacht vom 23. zum 24. September war die Höhe nördlich St. Mihiel ohne Kamps von den
Bayern besetzt worden. Ebenso wurde im Wald von Apremont Feind nicht mehr festgestellt; die Waldränder südöstlich St. Mihiel wurden durch Teile
der 5. bayerischen Infanterie-Division ohne ernste Kämpfe besetzt.
In
St. Mihiel selbst schienen nur noch schwache Sicherungen zu stehen. Auf Grund dieser Lage entschloß sich der Kommandierende General des III. bayerischen Armeekorps, den Angriff auf das Fort Camp des Romains abzukürzen. St. Mihiel wurde am Nachmittag des 24. September ohne nennenswerten Widerstand genommen, die gegenüber St. Mihiel auf dem
westlichen Maas-Afer liegende Höhe und das Dorf Chauvoncourt in der Nacht vom 24. zum 25.September besetzt. Inzwischen traf das III. baye-
Die Eroberung des Sperrforts Camp des Romains am 25.September.
101
rische Armeekorps die Vorbereitungen für den Sturm auf das Fort Camp des Romains'). Die Erkundungen ergaben indessen, daß die Besatzung keineswegs so niedergekämpft war, wie man angenommen hatte.
Das
Drahthindernis hatte nur wenig durch die Beschießung gelitten, die Flaukierungsanlagen waren größtenteils unversehrt; die Zerstörung der Grabenmauern war gering.
Dagegen — und das war entscheidend — entbehrte
das Fort jeder artilleristischen Unterstützung vom Westufer und von den
Nachbarforts her. Der Sturm der bayerischen Infanterie begann am 25.September ^ "s 2?. sep-
5°° vormittags. Cr glückte dank tatkräftiger Unterstützung durch preußische Pioniere im ersten Anlauf. Die Flankierungsanlagen wurden mit Brandröhren und Rauchbomben außer Gefecht gesetzt. Um den Besitz der Hohlräume entspann sich noch ein längerer Kampf, der mit der Kapitulation der französischen Besatzung in Stärke von über 500 Mann endigte. Am 25.Sep¬ tember mittags befahl General v. Strantz den beiden Korps, sich in den Besitz des Geländes zwischen Fort Troyon und Fort Liouville zu setzen. Der
feindliche Widerstand hatte sich aber schon zu sehr versteift. Die Truppe gewann nirgends mehr Boden. Das siegreiche Vorwärtsstürmen, das beim V. Armeeekorps bereits am 2 .SeptemberzumStockengekommenwar,hatte
nunmehr auch beim III. bayerischen Armeekorps sein Ende gefunden. Die Franzosen hatten sich von ihrer Überraschung erholt und ausreichende Kräfte herangezogen. Nur das III. bayerische Korps hatte das erste operative Ziel, die Eroberung des Sperrforts Camp des Romains und des Maas-Äberganges bei St. Mihiel, erreichen können. Weniger vom Glück begünstigt war
das V.Armeekorps gewesen. Es hatte von vornherein stärkeren Widerstand gefunden, seine Kräfte waren infolgedessen erlahmt. Zwar war es gelungen, den Artillerieaufmarsch gegen das Fort Troyon noch durchzuführen und das Werk zusammenzuschießen, es blieb der Infanterie aber versagt, die Früchte der großen Anstrengungen zu pflücken. Jetzt standen die beiden Korps auf mehr als 40 km Frontausdehnung in schwierigem Gelände, durch Verluste
geschwächt, einem tätigen Gegner gegenüber, der sich der drohenden Gefahr voll bewußt geworden war. Nur Bruchteile der beiden Armeekorps waren
für eine etwaige Weiterführung der Offensive aus dem linken Maas-Ufer verfügbar. Die Masse der Truppen war durch die Notwendigkeit der Flankensicherung gegen Verdun und Toul gebunden. Die Lage gestaltete sich um so schwieriger, als sich ein bedenklicher Munitionsmangel fühlbar machte. Schon am 25.SeptemberhattedieArmee-AbteilungStrantz Einzelheiten hierüber: Schlachten des Weltkrieges, Band 6: „Von Nancy bis zum Camp des Romains 1914." Von General der Kavallerie a. D. Frhr. v. Geb-
sattel (Verlag Stalling, Oldenburg).
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
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in dringlichster Form die Zuführung von Munition verlangt. Am 27.Sep¬
tember telegraphierte sie an die Oberste Heeresleitung: „Falls Zusage für aus Metz angeforderte Munition nicht aufrechterhalten wird, bricht Angriff in CStes zusammen. Rückzug in Ebene würde Vernichtung gleichkommen." Zwar half der Chef des Feldmunitionswesens, soweit es in seinen Kräften stand, allein die Munitionslage blieb auch weiterhin gespannt. Über die Schwierigkeit der Fortsetzung der Offensive war man sich unter diesen Umständen beim Oberkommando der Armee-Abteilung Strantz nicht im unklaren. Trotzdem hoffte man, noch Mittel und Wege zu finden, um die bisherigen glänzenden Erfolge operativ weiter ausbauen zu können. Daß
auch die Oberste Heeresleitung auf eine Weiterführung der Offensive auf dem westlichen Maas-User noch nicht verzichtet hatte, ging aus einer Weisung vom 26. September vormittags an General v. Strantz hervor:
„Richtung für weiteres Vorgehen der Armee-Abteilung Strantz nicht auf Bar le Due, sondern zur Entlastung der 5. Armee auf Revigny und
nördlich." Die Aussicht, daß der rechte Flügel der 5.Armee über Ste. Menehould —Clermont nach Süden so weit Gelände gewinnen würde, daß ein Zusammenschlich mit der Armee-Abteilung Strantz in der Richtung Revigny noch in Frage komme, verringerte sich freilich immer mehr, da der Angriff der 5.und 4. Armee beiderseits der Argonnen völlig ins Stocken geraten war. Es kam hinzu, daß die ernste Lage auf dem rechten Heeresflügel den Abtransport aller irgend entbehrlichen Kräfte aus der Front dorthin erforderlich
machte. Für alle Fälle traf aber General v. Strantz in den letzten September-
tagen doch Vorbereitungen, um bei sich günstig gestaltender Allgemeinlage die Offensive über St. Mihiel fortsetzen zu können.
Die Korps wurden
angewiesen, sich so einzurichten, daß Anfang Oktober der Maas-Übergang erzwungen werden könne.
d) Drängen der Obersten Heeresleitung auf allgemeinen Angriff. Hierzu Karte 4 (1 : 1000 000).
23. September.
Der Operationsbefehl der Obersten Heeresleitung vom Abend des 22. September') hatte unmittelbar an die Entschlüsse des Generals v. Fal-
kenhayn vom 15. September angeknüpft. In der Zwischenzeit hatten sich freilich die ursprünglichen operativen Grundlagen wesentlich verändert. Zwar war es gelungen, die sorgenvolle Zeitspanne zu überbrücken, die erforderlich gewesen war, um die neugebildete 6. Armee vom linken Heeresi) S. 82.
Die Oberste Heeresleitung ist bestrebt, der K.Armee weitere Kräfte zuzuführen. 103
Mgel nach dem rechten zu überführen und annähernd in dem Raum bereitzustellen, der am 15. September für die Versammlung in Aussicht genommen war.
Zahlreiche Meldungen über die Veränderungen an der Front der
Alliierten sowie über Transportbewegungen von Osten nach Westen ließen mit größter Deutlichkeit erkennen, daß auch der Gegner zu einem neuen
Schlage ausholte. Cr hatte sich offenbar ziemlich rasch von der Nutzlosigkeit frontalen Nachdrängens überzeugt und zu einer großen Amfassungsbewegung entschlossen. Starke Kräfte standen bereits in der deutschen Flanke im Räume Roye—Noyon. Hinter ihnen wurden mit äußerster Beschleunigung weitere Truppen mit noch nicht klar erkennbarem Ziel nach Norden geführt. Anscheinend bildete sich eine neue Kampfgruppe im Räume
Montdidier—Amiens. Es bestand aber auch die Möglichkeit, daß der Gegner noch weiter nördlich über Arras ausholte. Anscheinend hatte die feindliche Führung infolge des ihr zur Verfügung stehenden leistungsfähigen Eisenbahnnetzes einen Vorsprung gewonnen. Der französische Westflügel stand in der Gegend von Roye in günstiger Stellung. Aller Voraussicht nach kam es im Räume Amiens—Royon zum
Zusammenprall der auf beiden Seiten mit der Absicht der Umfassung heran-
geführten Kräfte. Die Truppen ausgäbe, Angriffs,
deutsche Oberste Heeresleitung suchte der 6. Armee noch weitere zuzuleiten, um sie zur Durchführung ihrer schwierigen Doppelder Sicherung der Heeresflanke und des entscheidungsuchenden zu befähigen. Diese Verstärkungen sollten hinter dem rechten
Armeeflügel gestaffelt folgen, um einem Flankenangriff aus der Gegend von
Amiens jederzeit wirksam begegnen zu können.
Das Herausziehen von
Truppen aus der Front Soissons—Verdun schien im Augenblick allerdings bedenklich. Die ohnehin nur noch geringe Angriffskraft der hier stehenden Armeen durfte nicht noch mehr herabgemindert werden, wenn die zur Anter-
stützung des Flügelangriffs geplante frontale Offensive überhaupt noch Zweck haben sollte. Dagegen ließ sich vielleicht aus der Armee-Abteilung Falkenhausen noch ein Korps freimachen. Eine Anfrage an den am 23. September nach Luxemburg berufenen General Freiherrn v. Falkenhausen, ob das I. bayerische Reservekorps zur Verfügung gestellt werden könne, be-
gegnete indessen lebhaften Bedenken, da der Gegner anscheinend Verstärhingen von Belfort nach der lothringischen Front heranführte. Auch der Angriff aus Toul heraus nach Norden gegen das XIV. Armeekorps') ließ erkennen, daß noch starke Kräfte vor der Armee-Abteilung standen. General v. Falkenhayn glaubte unter diesen Umständen vorläufig auf das Korps verzichten zu müssen. y S. 99.
104
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
Auch am 23. September setzte der Gegner anscheinend die Verstärkung seines linken Flügels fort. Wiederum führten die Franzosen gegen den rechten Flügel der 1. Armee heftige Angriffe; auf dem äußersten Nordflügel wurde die Heereskavallerie in der Gegend Resle durch überlegene Kräfte zum Ausweichen nach Osten gezwungen. Andererseits lagen aber auch Meldüngen vor, nach denen der Feind noch immer in beträchtlicher Stärke vor der Heeresmitte und dem linken Flügel stand. Die Lage blieb hier vorerst
noch ungeklärt. Am Nachmittage meldete der Verbindungsoffizier bei der 6. Armee, Oberst v. Dommes, daß östlich der Linie Vsthune—St. Pol—Doullens— Albert keine nennenswerten Kräfte des Feindes stünden; über die Gegend
westlich Amiens—Montdidier lagen Nachrichten nicht vor; die 6. Armee werde ihre Korps den Absichten der Obersten Heeresleitung entsprechend ein-
setzen. Danach schienen die Befürchtungen für die rechte Heeresflanke doch übertrieben zu sein; der Aufmarsch und das Eingreifen der 6. Armee voll-
zogen sich offenbar planmäßig. Der Anregung des Obersten v. Dommes, beide Kavalleriekorps der 6. Armee zu unterstellen, gab General v. Falken-
Hayn zunächst keine Folge; die Unklarheit über die Befehlsverhältnisse bei der Heereskavallerie dauerte daher'noch an. 24. September. Die am 24.September von der Armee-Abteilung Strantz einlaufenden
Nachrichten ließen erkennen, daß die Offensive hier ins Stocken geraten war. Mit der Besetzung von St. Mihiel war offenbar nur ein örtlicher Erfolg
errungen worden. General v. Falkenhayn hoffte indessen doch noch auf das weitere Fortschreiten des Angriffs über die Maas und befahl der ArmeeAbteilung Falkenhausen, das I. bayerische Reservekorps zur Verwendung als Flankensicherung der über die Maas vorstoßenden Teile der ArmeeAbteilung Strantz gegen die Nordfront von Toul und Nancy bereitzustellen. Obfchon also die Franzosen noch immer beträchtliche Streitkräfte an der Maas und östlich der Mosel eingesetzt zu haben schienen, dauerten doch nach den vorliegenden Meldungen die Transportbewegungen aus der bisherigen französischen Heeresmitte in westlicher Richtung auch am 24.Sep¬ tember an. General v. Falkenhayn wies daher am Vormittage des 24. Sep-
tember die 6. Armee in einem Funkspruch darauf hin, möglichst weit nach Westen auszuholen, da Bahntransporte hinter der französischen Front auf die Absicht, den Flügel zu verlängern, schließen ließen. Der linke Armeeflügel sollte etwa über Nesle in allgemein südlicher Richtung einschwenken, das II. bayerische und XIV. Reservekorps zunächst hinter dem rechten Flügel
gestaffelt folgen; der Angriff habe so frühzeitiges möglich zu beginnen. Ob diese Maßnahmen genügen würden, den Vorsprung der französischen Heeres¬
Verlegung der Operations-Abteilung nach Mezieres.
105
bewegungen auszugleichen, war abzuwarten. Die abschließenden Meldungen vom rechten Heeresflügel um Mitternacht und die sonstigen Nachrichten bestätigten die Fortsetzung der Ost—West-Verschiebung der feindlichen Kräfte.
Sie ließen erkennen, daß sich nördlich Roye schon stärkerer Feind befand und zeigten die Notwendigkeit, auf der übrigen Heeresfront durch Angriffe den Gegner zu fesseln und am Abtransport zu hindern. Um so enttäuschender war es, als am Nachmittage des 24. September Generalleutnant Schmidt v. Knobelsdorf durch Fernsprecher die Absicht der 5. Armee meldete, in dem Räume zwischen Argonnen und Maas am nächsten Tage eine Kampfpause eintreten zu lassen.
Der Obersten Heeresleitung war dies überaus un-
erwünscht. Allein trotz allen Drängens des Generals v. Falkenhayn beharrte das Armee-Oberkommando 5 bei seinem Entschluß mit dem Hinweis, dieVer-
bände seien so durcheinandergekommen und die Truppe durch die dreitägigen
außerordentlich schweren und verlustreichen Kämpfe derartig erschöpft, daß jeder weitere Angriff einfach unmöglich sei; am 25. September müsse daher eine Kampfpause eintreten^). Das weitere Vorgehen durch die für größere Truppenbewegungen fast wegelosen Argonnen hindurch wurde von der Zuweisung einer rückwärtigen Verbindungslinie über Grandpre—Servon
abhängig gemacht. Schweren Herzens gab General v. Falkenhayn nach. Auf dem Vorstoß der 5. Armee durch die Argonnen war der Angriff der rechts benachbarten
Armeen ausgebaut^). Dieser Plan ließ sich jetzt nicht mehr aufrechterhalten. Man konnte nicht warten, bis die ö. Armee die Kraft fand, den Angriff wieder aufzunehmen. Die Zeit drängte, die Entscheidung auf dem rechten
Heeresflügel schien unmittelbar bevorzustehen. In der Hoffnung, daß die 4. Armee aus eigener Kraft die Offensive der Heeresmitte in Gang bringen werde, hatte General v. Falkenhayn das Oberkommando angewiesen, ohne Rücksicht auf die gemeldete lebhaftere Tätigkeit des Feindes anzugreifen^). Wie schon seit längerer Zeit geplant, war General v. Falkenhayn 2s. September,
mit der Operationsabteilung der Obersten Heeresleitung am 25. September von Luxemburg nach Mezieres übergesiedelt; auch der Kaiser beabsichtigte, am nächsten Tage dorthin zu folgen. Im Laufe des Tages verstärkte sich bei der Obersten Heeresleitung der
Eindruck, daß die begonnene Operation sich in einer schweren Krise befinde, die nur durch eine äußerste Anstrengung überwunden werden könne. Ein Versuch, das IV. Reservekorps von der 1. der 6. Armee zuzuführen, scheiterte an dem Einspruch des Generalobersten v. Kluck. Kronprinz
Rupprecht hatte seit dem 23. September abends mehrfach und nochmals 1) 6.94. — 2) S. 82. — 3) S. 95.
106
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
am Morgen des 25.die dringende Bitte an die Oberste Heeresleitung gerichtet, die 1., 7. und 2. Armee zur Fesselung des Feindes angreifen zu
lassen, da nach allen Nachrichten die Linksverschiebungen und Bahntransporte der Franzosen nach Norden noch immer ihren unverminderten Fortgang nähmen. Der Wunsch des Armee-Oberkommandos 6 deckte sich mit den Absichten des Generals v. Falkenhayn.
Das Verhalten der Armeen in der
Front hatte ihn in den letzten Tagen wenig befriedigt. Die in dem Heeresbefehl vom 22.September von der 1., 7. und 2.Armee verlangte Fesselung des Gegners war weder am 23.noch am 24. September versucht worden. Sie blieb auch am 25.September aus. Während auch an diesem Tage von der 1. und 2. Armee Meldungen über Ost—West-Bewegungen des Feindes vorlagen, wurden an der Maas- und Mosel-Front keine Trans-
Portbewegungen der Franzosen beobachtet. Der Angriff der 5. Armee war bereits am 24. September zum Still-
stand gekommen. Auch die 4. Armee schien in ihren Angriffsabsichten schwankend geworden zu sein. Sie hatte gemeldet, daß sie den Angriff bis zum Eintreffen des XIII. Armeekorps, das die 5. Armee zur Unterstützung
ihres linken Flügels durch die Argonnen hindurch in Marsch gesetzt hätte, verschieben wollte. Hiermit konnte General v. Falkenhayn sich nicht einverstanden erklären^). Um 646 abends befahl er daher an die 3. und 4. Armee:
„Heeresleitung setzt voraus, daß 4. Armee beabsichtigten Angriff in kommender Nacht ausführt. 3. Armee ebenfalls, mit rechtem Flügel nicht auf Sept Saulx, sondern auf Mailly .. Um endlich einen geschlossenen Angriff zwischen Soissons und den
Argonnen in Gang zu bringen, entschloß sich General v. Falkenhayn, einen letzten starken Druck auch auf die anderen Armeen auszuüben. Dieser Entscheidung gingen Besprechungen mit der 2., 7. und 1. Armee voraus. In dem Entschluß zum Angriff wurde General v. Falkenhayn bestärkt durch die um 3° nachmittags vom Armee-Ober-
kommando 2 übermittelte Fliegermeldung über den Abmarsch feindlicher Kolonnen in Stärke von etwa zwei Divisionen aus Gegend Reims und Soissons in westlicher Richtung^). Bevor er indes eine endgültige Entscheidung traf, richtete er um 5° nachmittags an die 1. und 7. Armee noch
folgende Anfrage: „Ist Lage beim Gegner derart, daß Angriff 1. und 7. Armee heute nacht Erfolg verspricht?" Die 7. Armee antwortete bejahend. Angriffsvorbereitungen seien bereits im Gange"). Die 1. Armee
sprach sich dahin aus, daß der Angriff über die Aisne nicht möglich sei. i) S. 95. — 2) S. 92.
3) Gemeint waren die Vorbereitungen für den örtlichen Angriff auf Beaulne— Troyon. S. 92.
General v. Falkenhayn befiehlt allgemeinen Angriff.
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Auf dem rechten Armeeflügel werde die Offensive beiderseits der Oise fortgesetzt werden. Nunmehr erging 7"° abends an die Armee-Oberkommandos
6, 1, 7, 2, 3, 4 und 5 folgende allgemein gehaltene Aufforderung zum Angriff: „Es ist unbedingt notwendig, Erfolge, die bei den für kommende
Nacht beabsichtigten Angriffen erreicht werden, aufs äußerste auszunutzen. Sofortige Mitteilung an die in Betracht kommenden Nachbartruppen und Armeen darf nirgends unterlassen werden." Auf dem rechten Heeresflügel waren inzwischen bis zur Somme westlich
Poronne heftige Kämpfe entbrannt; Meldungen über ihren Ausgang lagen noch nicht vor. Die Oberste Heeresleitung wußte jedoch, daß der rechte Flügel der 6. Armee westlich Peronne zeitweise stark bedrängt gewesen war, und daß die Heereskavallerie hier mit eingegriffen hatte. Durch Befehl vom 25. September abends wurde nun auch das 2. Kavalleriekorps der 6. Armee unterstellt, nachdem das 1. bereits am 24. September abends unter den
Befehl des Kronprinzen Rupprecht getreten war.
Um 9° abends meldete
Oberst v. Dommes, daß die 6. Armee am 26. September mit dem I. baye-
rifchen, dem XXI. und XVIII. Armeekorps südlich, mit dem II. bayerischen Armeekorps und der Heereskavallerie nördlich der Somme den Angriff fortsetzen würde. Cr fügte hinzu, daß der morgige Tag zwar schwer werden würde, doch seines Crachtens der Sieg zu erwarten wäre. Die Stimmung
fei vortrefflich. Die große Offensive des rechten Heeresflügels und der Heeresmitte, die am 26. September nun endlich in Fluß kommen sollte, erfolgte unter
wesentlich anderen Voraussetzungen, als sie der Weisung der Obersten Heeresleitung vom Abend des 22. September zugrunde lagen. Sie hatte sich allmählich aus der Rechtsschwenkung zunächst der 5., dann der 4. und 3. Armee mit dem Drehpunkt um Reims entwickeln sollen, während gleichzeitig die 6. Armee und der rechte Flügel der 1. Armee ihre Linksschwenkung um den Drehpunkt Noyon durchzuführen hatten. Von diesem ursprünglichen Gedanken doppelseitiger Flügelschwenkung mit dem Endziele der Umfassung
und Zusammendrängung der Hauptteile des französisch-englischen Heeres etwa im Räume La Ferts Milon—Soissons—Reims—EMons war
nichts übriggeblieben. Cr hatte sich unter dem Zwang der Verhältnisse gewandelt zu dem Versuch, den Gegner einfach frontal zu überrennen. Die 5.Armee schied dabei wegen Erschöpfung aus. Man hoffte, irgendwo eine schwache Stelle beim Feinde zu finden, „der ja nicht überall gleich stark sein könne", und man erwartete vom deutschen Heere, dessen Überlegenheit im
Angriff sich unzählige Male so glänzend bewährt hatte, noch eine letzte, entscheidende Kraftanspannung.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
108
e) Der große Angriff am 26. und 27. September. Hierzu Karten 4 (1 : 1000 000) und 2,
26. September.
(1 :300 000).
Der 26. September sollte zu einem der blutigsten Schlachttage dieses ganzen Kriegsabschnittes werden. Das Oberkommando der 4. A r m e e hatte befohlen, daß das durch die
11. Infanterie-Division verstärkte XVIII. Reservekorps nach Wegnahme von Vienne le Chateau und St. Thomas nach Westen einschwenken sollte, um das VIII. Reservekorps zu unterstützen. Dieses hatte sich gemeinsam mit dem VIII. Armeekorps in der Nacht so vorzuarbeiten, daß um 5° morgens die Linie Höhe nordöstlich Massiges—Beaussjour Ferme— Nordrand von Souain überrannt werden konnte.
Gleichzeitig wollte das
XIX. Armeekorps der 3. Armee mit seinem linken Flügel hart westlich an Souain vorbei vorgehen.
Die 11. Infanterie- und die 25.Reserve-Division des XVIII. Reserve¬ korps mühten sich indessen vergeblich, aus der Linie Vinarville—Servon in den Westrand der Argonnen einzudringen und auf Vienne le Chkteau —St. Thomas Gelände zu gewinnen. Die 26. Infanterie-Division des XIII. Armeekorps, die auf Grund tags zuvor getroffener Vereinbarun¬ gen der Armee-Oberkommandos 4 und ö über Grandprß auf die Westseite der Argonnen gezogen wurde, erreichte schon am Vormittage Montcheutin. Da sie allein jedoch zur Unterstützung des XVIII. Reservekorps nicht aus¬ reichend schien, wurde mittags auch die 27. Insanterie-Division, die ursprünglich über Le Four de Paris auf Vienne le Chkteau hatte marschieren sollen, sobald der Westausgang der Argonnen in deutscher Hand wäre, über Apremont nach Vinarville gezogen, so daß nunmehr das ganze XIII. Armeekorps am Westrande des Waldgebirges versammelt war. Zum Eingreifen kam das Korps am 26. nicht mehr, doch löste die 27. InfanterieDivision die östlich und südlich Vinarville stehenden Teile der 11. Infanterie-Division ab*). Der Mitte und dem rechten Flügel der 4. Armee gelang es zunächst,
sich unter heftigen Kämpfen in den Besitz des Waldes südwestlich Servon, der Höhen nördlich und westlich Massiges, der Beauföjour Ferme, des Dorfes Le Mesnil und der Höhen südlich Perthes zu setzen. Starke sran-
zösifche Gegenangriffe drängten die deutschen Truppen jedoch nachmittags wieder in die Ausgangsstellungen zurück; nur Perthes blieb in deutscher
Hand. Durch die blutigen Kämpfe der letzten Tage, vor allem des 26. Sep¬ tember, waren die Truppen der 4. Armee völlig erschöpft. *) Skizze 1.
Besonders die
Der Angriff der 4. und 3. Armee am 26.September verläuft ergebnislos.
109
Verluste an Offizieren waren groß. Auch schien es notwendig, die stark durcheinandergekommenen Verbände zu ordnen. Aus der Truppe heraus wurde dringend der Wunsch geäußert, gründlichere Vorbereitungen als bisher für die Fortsetzung des Kampfes zu treffen. Äber die Gründe des Mißerfolges am 26. September sprach sich der Kommandierende General des VIII. Armeekorps dahin aus, daß man weder der Führung noch der Truppe eine Schuld beimessen könne. Cr glaube, die Gründe des Rückschlages vor allem in dem Mangel an Unterführern, in den geringen Gefechtsstärken und der Notwendigkeit, mit Artilleriemunition zu sparen, suchen zu müssen. Es
fei trotz aller Tapferkeit der Truppe unmöglich, daß das Korps mit seinen erheblich herabgeminderten Gefechtsstärken in einer Front von 9 km einen
Angriff gegen den Feind durchführen könne, der seit zehn Tagen seine
Stellung verstärke. Der 3. Armee war der Vesehl der Obersten Heeresleitung vom 25. September abends zum Angriff nicht unerwartet gekommen. Der Oberbefehlshaber, General der Kavallerie v. Einem, hatte sich auf die Meldung vom Herausziehen feindlicher Kräfte vor der 3. und 2. Armee schon selbst zum Vorgehen seines linken Armeeflügels entschlossen gehabt und die entsprechenden Anordnungen an die Generalkommandos am 25.September um
215 nachmittags erlassen. Der Angriff begann am 26. September erst in den
späten Vormittagsstunden. Ein besonders erbitterter Kampf entspann sich um den Besitz von Souain, das vom XIX. und gleichzeitig von Osten her vom VIII. Armeekorps angegriffen wurde. Westlich des Ortes kam das XIX. Armeekorps zwar zunächst vorwärts; um 9° abends mußten seine
Divisionen jedoch melden, daß die Fortführung des Angriffs keine Aussicht auf Erfolg mehr biete. In der Mitte der Armeefront warf das XII. Reservekorps den Feind östlich und westlich Prosnes aus seinen Stellungen; in der folgenden Nacht aber ging der Geländegewinn wieder verloren. Auf dem rechten Flügel sollte, einer Weisung des Generals v. Einem entsprechend, die 12. Infanterie-Division im Anschluß an die 2. Garde-ReserveDivision der 2. Armee beiderseits von Prunay vorgehen. Die Division kam
indessen infolge starken feindlichen Artilleriefeuers über die Ausgangsstellungen nahezu an keiner Stelle hinaus. Im ganzen betrachtet, war also auch bei der 3. Armee der Angriff ohne Ergebnis geblieben. Das Oberkommando der 2. Armee hatte bereits am Morgen des
25.September eine Aufforderung der Obersten Heeresleitung erhalten, durch Angriff den Abmarsch weiterer feindlicher Kräfte aus dem Räume Reims —Soifsons zu verhindern. Generaloberst v. Vülow war daraufhin mit der
7. Armee in Verbindung getreten, um deren Mitwirkung herbeizuführen. Generaloberst v. Heeringen hatte indessen seine Beteiligung wegen der seiner
110
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
Ansicht nach noch ungeklärten Lage zunächst abgelehnt. Da sich die Rückkehr des Generalleutnants v. Lauenstein, der sich zu einer Besprechung über den beabsichtigten Angriff ins Große Hauptquartier") begeben hatte, bis zum Abend verzögerte, konnte der Armeebefehl erst um 9"° abends ausgegeben
werden. Die 7. Armee hatte inzwischen ihre Teilnahme zugesagt, da die Lage vor ihrer Front sich im Laufe des Tages geklärt hatte. Das auf dem linken Armeeflügel stehende X. Reservekorps, dem die als Armeereserve ausgeschiedene 1. Garde-Infanterie-Division unterstellt wurde, sollte den gestern über das Fort de la Pompelle vorgedrungenen Feind zurückwerfen und die Vesle südöstlich Reims überschreiten. Der rechte Armeeflügel hatte gemeinsam mit der 7. Armee anzugreifen und die
feindlichen Stellungen sowie das Höhengelände westlich des Aisne-Kanals noch vor Tagesanbruch zu nehmen. Der Beginn des Vorgehens war auf
3" vormittags festgesetzt. Das X. Reservekorps setzte die 1. Garde-Infanterie-Division zwischen der 2. Garde-Reserve- und 19. Referve-Division in der Gegend nördlich vom Fort de la Pompelle ein. Bei der Bereitstellung der Divisionen zum Angriff traten jedoch ernste Reibungen ein. Infolge der späten Ausgabe des Armeebefehls war es nicht mehr gelungen, die Straßen für den Anmarsch der Angriffstruppen frei zu machen. Der Angriff begann daher stark ver-
spätet und nicht einheitlich. Die 2.Garde-Reserve-Division meldete schon 9° vormittags, daß sie nördlich der Chaussee beiderseits des vom Feinde hartnäckig verteidigten Forts de la Pompelle festliege. Die 1. Garde-Insanterie-Division gelangte bis an den Kanal bei St. Leonard heran, dann aber
gebot starkes Flankenfeuer von Reims her und aus südlicher Richtung Halt. Erst in den Nachmittagsstunden gelang es der Division, den Feind über die Chaussee und den Bahndamm zurückzuwerfen und bei St. Leonard kleinere Abteilungen über den Kanal vorzuschieben. Der Versuch, die Lage der vorwärts gestaffelten 1. Garde-Infanterie-Division durch das Vorgehen der 19. Reserve-Division zu erleichtern, scheiterte gleichfalls. Anter diesen Amständen schien es dem Armee-Oberkommando nutzlos, die 1. Garde-Insanterie-Division am 27. September in ihrer vorgeschobenen und von beiden Seiten flankierten Stellung zu belassen. Sie erhielt Befehl, unter dem Schutze der Nacht in die Ausgangsstellung zurückzugehen. Rechts vom X. Reservekorps arbeitete sich die 2. Garde-Infanterie-Division auf Bötheny und La Reuvillette vorwärts, konnte indessen die zähe verteidigten Ortschaften nicht nehmen. Der Beginn des Vorgehens des nördlich an-
schließenden X. Armeekorps hatte sich ebenfalls durch die fpäte Befehlsausgabe stark verzögert. Der Angriff erreichte dann bis 9° vormittags die *) S. 106.
Auch die 2. Armee vermag keine entscheidenden Erfolge zu erringen.
IN
große Straße Reims—Verry au Bac. Veim VII. Armeekorps lagen bei
Eingang des Armeebefehls Mitte und rechter Flügel der 13. InfanterieDivision am Kanal nordwestlich Loivre und vor La Neuville seit dem vor-
hergehenden Abend im Kampf. Infolgedessen setzte die Division nur schwache Teile des linken Flügels zum Angriff an. Sie überschritten den Kanal bei Loivre und drangen trotz starker feindlicher Gegenwirkung bis an die Chaussee vor. In den Mittagsstunden begann die Lage des X. Armeekorps schwierig zu werden. Das Bergmassiv, auf dem sich das Zwischenwerk de Chenay und das Fort de St. Thierry erhoben, lag noch in weiter Ferne. Um 11° erhielt das Generalkommando vom Armee-Oberkommando die An-
Weisung, eine geeignete Linie zu gewinnen, in der es sich eingraben und
gegen feindliche Gegenangriffe halten könne, bis die Nachbarkorps auf gleiche Höhe gekommen seien und das Vorgehen des linken Armeeflügels südlich Reims wirksam werde. Auf den inneren Flügeln des X. und VII. Armee-
korps kam es kurz darauf infolge starken Flankenfeuers von Norden her zu einer rückläufigen Bewegung, die auch durch den Einsatz aller verfügbaren Reserven der 13. Infanterie-Division nicht wieder ausgeglichen werden konnte. Am Abend stand der linke Flügel der 13. Infanterie-Division 1 km westlich Loivre, der rechte Flügel und die 14. Infanterie-Division, die am Nachmittage vergeblich versucht hatte, das stark besetzte Verry au Bac zu nehmen, in den alten Stellungen auf dem östlichen Kanalufer. Der rechte Flügel des X. Armeekorps, am Straßenkreuz östlich Villers Franqueux, hing jetzt völlig in der Luft. Noch einmal stürmten in den Abendstunden die Regimenter dieses Korps vorwärts und gelangten bis dicht an Thil und
Villers Franqueux heran. Infolge des fehlenden Anschlusses nach rechts mußte die Truppe aber in der Nacht wieder bis zur Chaussee zurückgehen. Bei der 7. A r m e e hatten die Befehle so früh erlassen werden können,
daß die dringlichsten Angriffsvorbereitungen noch rechtzeitig getroffen worden waren. Die Aussichten für den Angriff am 26. September schienen hier nicht ungünstig, da das feindliche Artilleriefeuer am 25.September erheb¬ lich nachgelassen hatte. Generaloberst v. Heeringen befahl, daß das XII. Armeekorps mit schwachen Kräften die Aisne bei Pontavert sperren und mit der Masse gegen den Wald südlich Craonne vorgehen sollte. Das XV.
Armeekorps hatte auf Craonnelle anzugreifen, das verstärkte VII. Reservekorps den bereits seit einigen Tagen vorbereiteten Angriff auf das Höhengelände vor seiner Front nunmehr durchzuführen. Der Angriff des XII. Armeekorps gegen den Ost- und Nordostrand des Waldes südlich Craonne kam 200 m vor den feindlichen Gräben zum
Stehen. Dagegen gelang es dem XV. Armeekorps, in die Nordwestecke des genannten Waldes einzudringen und Craonnelle zu nehmen. Das VII.
112
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
Reservekorps kam angesichts des heftig wieder auflebenden feindlichen Artilleriefeuers gegen die bereits vielfach mit Drahthindernissen versehenen feindlichen Stellungen nicht vorwärts. Der Chef des Generalstabes der 7. Armee, Generalleutnant v. Hönisch, wurde in den Mittagsstunden des 26. September ins Große Hauptquartier nach Mezieres befohlen. Cr meldete nach seiner Rückkehr 4'° nach¬ mittags dem Generalobersten v. Heeringen, General v. Falkenhayn lege
großen Wert darauf, daß das XV. Armeekorps noch in der kommenden Nacht aus der Gefechtslinie herausgezogen und nach dem rechten Heeresflügel abtransportiert würde. Cs war dabei vorausgesetzt worden, daß die 7. Armee heute erheblich Gelände gewinnen würde. Generaloberst v. Heeringen glaubte indessen, dem Verlangen der Obersten Heeresleitung nicht entsprechen zu können.
Die ganze Armee war in vorderster Linie eingesetzt
und stand in schwerem Kampfe; Reserven waren nicht vorhanden. Die Frontausdehnung der Korps war nach Ansicht des Oberbefehlshabers bereits sehr groß. Die Truppe hatte starke Verluste erlitten; das XII. Armeekorps verfügte nur noch über 7000 Mann Infanterie. Hatte der Gegner an irgendeiner Stelle einen größeren Erfolg, so würde es nicht leicht sein, das Gleichgewicht wieder herzustellen. Auch die Lage der Nachbararmeen, insbesondere der 1., war dann sehr gefährdet. Dagegen schien es angängig, die 50. Infanterie-Brigade dem XVIII. Armeekorps wieder zuzuführen. Aller-
dings entfiel damit nach Auffassung des Oberbefehlshabers für das VII. Reservekorps die Möglichkeit, die heute begonnene Offensive fortzusetzen. Da auch das XII. Armeekorps zu weiterem Vorgehen nicht mehr
befähigt schien, so glaubte Generaloberst v. Heeringen, auch hier auf die Fortsetzung des Angriffs verzichten zu sollen. Die Oberste Heeresleitung erklärte sich mit dem Vorschlage des Generalobersten v. Heeringen einverstanden. Die 30. Infanterie-Brigade wurde bereits am Abend zur Ver-
ladung nach Laon in Marsch gesetzt; das Transportziel war Ham. Bei der 1. Armee blieb die Lage am 26. September unverändert.
Nur der äußerste rechte Flügel gewann etwas Boden; hier nahm die 4. Infanterie-Division in den Abendstunden Margny aux Cerifes. Im Bereiche der 6. Armee lag das Schwergewicht der Kämpfe am 26. September auf den äußersten Armeeflügeln, beim XVIII. und II. baye-
rifchen Armeekorps. Das Oberkommando hoffte, daß das Vorgehen des II. bayerischen Armeekorps sowie der beiden Kavalleriekorps nördlich der Somme vielleicht doch noch die entscheidende Wendung bringen würde. Zunächst sollte ihr Angriff das I. bayerische Armeekorps aus seiner gefährdeten Lage befreien, indem der östlich Bray über die Somme vorgedrungene Feind in Flanke und Rücken gefaßt würde. Bis dieser Angriff
Die 6. Armee versucht, die Entscheidung nördlich der Somme zu erzwingen. 113
wirksam wurde, hatte das I. bayerische Armeekorps seine augenblickliche Stellung zu halten. Auch das XXI. Armeekorps sollte vorläufig nicht weiter vorgehen, sondern abwarten, bis das XVIII. Armeekorps, das den Angriff frühzeitig wieder aufnehmen sollte, auf gleiche Höhe gelangt wäre. General der Kavallerie v. der Marwitz wurde mit der 2.und 7. Kavallerie-
Division^) auf den rechten Flügel des II. bayerischen Armeekorps gezogen, um dessen Angriff in der Richtung auf Vray zu begleiten, während das Kavalleriekorps Richthofen (Garde- und 4. Kavallerie-Division) zur Deckung der rechten Heeresflanke auf Albert angesetzt wurde. Vom XIV. Reservekorps sollten die bereits ausgeladenen Kräfte auf Bapaume in Marsch gesetzt werden. Die Lufterkundung ergab, daß der Gegner erhebliche Teile auf das nörd¬ liche Somme-Ufer verschoben hatte. Am Vormittage des 26. September standen starke Kräfte in dichter Versammlung im Räume Somme—Albert— Bapaume; auch Verschiebungen im Ancre-Tal in nördlicher Richtung auf Thiepval waren erkannt worden. Dem rechten Flügel der 6. Armee standen am Morgen des 26. September nach Fliegermeldungen etwa viereinhalb Divisionen in großer Tiefenstaffelung gegenüber. Der linke Flügel des XVIII. Armeekorps erzielte am Vormittage des 26. September einige Fortschritte; Balatre wurde von der 21. Infan-
terie-Division genommen. Der Feind hielt sich jedoch in seinen starken Stellungen in der
Linie östlich
Verpillisres—Champien—Carrspuis
vor den inneren Flügeln der 6. und 1. Armee. Das Vorgehen der 25. In-
fanterie-Division über Gruny und nördlich davon scheiterte an flankierendem Feuer aus Roye. Damit entfielen auch für das weit vorgestaffelte XXI. Armeekorps die Voraussetzungen für die Fortsetzung des Angriffs. Auch beim I. bayerischen Armeekorps blieb die Lage unverändert. Der Versuch seines rechten Flügels, über Assevillers—Herbecourt vorwärts zu kommen, hatte keinen Erfolg, da die erwartete Unterstützung durch das II. bayerische Armeekorps nördlich der Somme nicht wirksam wurde. Dieses hatte, in zwei Kolonnen in Richtung auf Bray—Albert vorrückend, gegen 11° vormittags ohne ernsten Widerstand Maurepas und Guillemont erreicht. Beim Weitermarsch stieß die 3. bayerische Infanterie-Division bei Maricourt auf starken Widerstand, dessen sie nicht Herr zu werden vermochte. Die 4. bayerische Infanterie-Division, von der jedoch noch eine InfanterieBrigade fehlte, wurde, im Begriff, den Vormarsch fortzusetzen, in ihrer rechten Flanke aus der Richtung Bapaume überraschend durch die franzöi) Die 9. Kavallerie-Division verblieb am rechten Flügel des I. bayerischen
Armeekorps. t Weltkrieg.
V. Land.
8
114
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
fischen Territonal-Divisionen 88, 84 und 82 angegriffen'). Sie entwickelte sich schleunigst aus der Marschkolonne heraus in der Linie Sailly Saillisel— nordwestlich Eombles zum Gegenangriff und warf den Feind nach schwerem Kampfe in den Abendstunden nach Norden zurück. Wesentlich erleichtert wurde der Angriff durch das Eingreifen der Heereskavallerie. Die im Laufe des Tages bei und nordöstlich Manancourt eintreffenden Kavallerie-Divi° fionen (Garde-, 2.und 7.), griffen den bei Rocquigny stehenden linken Flügel der drei französischen Territonal-Divisionen an und zwangen ihn schließlich,
diesen Ort preiszugeben und nach Nordwesten zurückzugehen. Auch die in zwei Kolonnen über Cquancourt und Haplincourt heranmarschierende VorHut der 28. Reserve-Division des XIV. Reservekorps war an diesen
Kämpfen beteiligt. Weiter nördlich trat die 4. Kavallerie-Division zunächst allein, dann zusammen mit der Vorhut der 26. Reserve-Division bei Veugny gegen die französische 81. Territorial-Division ins Gefecht, die den Ort in der Nacht räumte und sich aus Bapaume zurückzog. So war der bedrohliche Flankenstoß der Territorial-Divisionen am Abend des 26. September glücklich abgewiesen; die Gefahr konnte als beseitigt angesehen werden. Am 27. September war überdies bereits mit dem Eintreffen des Gros des XIV. Reservekorps bei Vapaume zu rechnen. Bedenk¬
lich blieb bei dieser Entwicklung der Dinge aber doch, daß das II. bayerische Armeekorps festgehalten war, und daß von einer Entscheidung auf dem £lm° sassungsflügel noch immer nicht die Rede sein konnte. Die Front hatte sich lediglich weiter nach Norden verschoben. Die am Abend des 26. September
im Hauptquartier der 6. Armee eingetroffenen Fliegermeldungen sowie die vom Oberkommando 1 übermittelten Lufterkundungsergebnisse über starken Zugverkehr auf den von Clermont und Veauvais nach Amiens führenden
Bahnen ließen erkennen, daß die feindliche Transportbewegung noch in vollem Gange war und der Gegner nicht nur im Fußmarsch, sondern vor
allem unter Ausnutzung seines unbeschädigten und leistungsfähigen Bahnnetzes weitere Kräfte auf dem Schienenwege seinem Nordflügel zuzuführen im Begriffe stand. Ob nunmehr das XIV. Reservekorps imstande sein würde, den Ausschlag in dem großen Ringen zu geben, konnte nach den
bisherigen Erfahrungen zweifelhaft erscheinen. Der Verlauf des Angriffs der Heeresmitte und des rechten Heeresflügels am 26. September hatte die Erwartungen allgemein enttäuscht. Rirgends hatten die Armeen in nennenswertem Maße Gelände gewonnen, geschweige denn den Feind geschlagen. l) Zn fast die gleiche Lage war am 28. August 1914 das II. preußische Armee¬ korps an derselben Stelle geraten. Vgl. Band III, S. 121.
Das Scheitern des Ainsassungsversuches der 6. Armee nördlich der Somme, 115
Für den 27. September hatte Kronprinz Rupprecht die Fortsetzung^. s-pt-mber. der Offensive der 6. Armee befohlen. Die Kampfaufträge der Korps waren ungefähr die gleichen geblieben wie am Vortage. Das I. bayerische und das XXI. Armeekorps sollten die Vorwärtsbewegungen des XIV. Reservekorps und II. bayerischen Armeekorps auf dem rechten sowie des XVIII. Armeekorps auf dem linken Armeeflügel abwarten, bevor sie den Angriff wieder aufnahmen. Das XIV. Reservekorps hatte auf Albert vorzugehen, das II. bayerische Armeekorps wurde angewiesen, über Vray gegen den südlich der Somme stehenden Feind einzuschwenken. Das I. Kavalleriekorps sollte die Flanke des XIV. Reservekorps, das 2. die des II. bayerischen Armeekorps decken. Die Erwartungen des Oberkommandos, am 27. September zu einem Erfolge zu gelangen, gründeten sich auf die Annahme, in den TerritorialDivisionen des Generals Brugere, gegen die das II. bayerische Armeekorps am 26. September gekämpft hatte, jetzt endlich den äußersten Flügel des
Gegners getroffen zu haben. Man glaubte, diese französischen Verbände mit leichter Mühe vollends aus dem Wege räumen zu können und dann freie Bahn zum Einschwenken der Armee nach Süden zu erhalten. Bedenklich
stimmten freilich neue Nachrichten der Luftaufklärung über das Erscheinen feindlicher Kräfte in der Gegend Lille—Douai—Arras. Indessen wurden die
Befürchtungen vor Überraschungen in der Flanke wesentlich herabgemindert durch den von der Obersten Heeresleitung am Morgen des 27. September
angekündigten Antransport des I. bayerischen Reservekorps, dessen vorderste fechtende Teile bereits am 29. September in der Gegend Valenciennes—
Eambrai eintreffen konnten'). Auf dem äußersten Flügel der 6. Armee zog der Höhere Kavalleriekommandeur 1 in den Vormittagsstunden die noch weit südlich bei Le Mesnil stehende Garde-Kavallerie-Division zur 4. Kavallerie-Division in die Gegend südöstlich Morchies heran und setzte dann die Divisionen auf Courcelles an, um die Flanke des XIV. Reservekorps zu sichern. Diese ge-
langten jedoch, nachdem sie bereits beim überschreiten der großen Straße Eambrai—Bapaume durch die Marschkolonne des XIV. Reservekorps aufgehalten waren, infolge feindlicher Gegenwirkung nicht über die Straße Arras—Bapaume hinaus und gingen bei und südlich Ervillers zur Ruhe über. Das 2. Kavalleriekorps versuchte, aus seinem ünterkunstsraume Bertincourt—Equaneourt in der Richtung auf Albert Bewegungsfreiheit zu gewinnen. Seine Divisionen stießen aber in der Gegend von Longueval auf feindlichen Widerstand und bezogen am Abend hinter dem II. bayei) S. 121.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
116
rischen Armeekorps bei und südlich Le Transloy Unterkunft. Das XIV. Reservekorps erreichte gegen Mittag mit den Anfängen Bapaume und die Gegend südlich davon. Nach längerer Rast setzte das Korps am Nach¬ mittage den Vormarsch auf Albert fort. Die 26. Reserve-Division gelangte bis Pozwres, das am Abend nach heftigem feindlichen Widerstande ge¬ nommen wurde.
Die 28. Reserve-Division, die von der bei Longueval
kämpfenden 4. bayerischen Infanterie-Division um Unterstützung gebeten wurde, marschierte über Flers auf Longueval, kam aber nicht mehr zum Eingreifen. Die 4. bayerische Infanterie-Division war nach Abzug des am Vortage geschlagenen Gegners und auf die Nachricht vom Anmarsch des XIV. Reservekorps gegen die Straße Vapaume—Le Transloy auf Vefehl des Generalkommandos in westlicher Richtung angesetzt. Der Vormarsch der Division wurde jedoch am Abend durch neuen, aus Richtung Albert vor¬ gehenden Gegner in der Linie Vazentin le Petit—Longueval zum Stehen
gebracht. Hart nördlich der Somme scheiterten wiederholte Vorstöße der 3. bayerischen Infanterie-Division gegen Maricourt unter erheblichen Ver¬ lusten. Südlich des Flusses traten an diesem Tage keinerlei Veränderungen ein. Der Angriff des XVIII. Armeekorps blieb erfolglos. Das Ergebnis des Tages entsprach somit wiederum keineswegs den Erwartungen des Oberkommandos. Der Heereskavallerie war es nicht gelungen, Raum nach vorwärts zu gewinnen und den Widerstand der feind¬
lichen Heereskavallerie und der Territorial-Divisionen zu brechen. Sie stand noch hinter dem rechten Armeeflügel rückwärts gestaffelt. Das XIV. Reservekorps hatte den Vormarsch nicht so beschleunigen können, wie es dem stark drängenden Oberkommando wünschenswert schien. Es war östlich Albert auf neuen Feind gestoßen und anscheinend in ernstere Kämpfe verwickelt worden. Auch der Versuch des II. bayerischen Armeekorps, nach Süden einzuschwenken, war nicht von Erfolg begleitet gewesen. Die I.Armee war an den Kämpfen des 27. September nicht beteiligt. Vei der 7. Armee wurde die Offensive am 27. September über-
Haupt nicht mehr fortgeführt. Generaloberst v. Heeringen hatte befohlen, die erreichten Stellungen festzuhalten und zu verstärken.
Rur an ein-
zelnen Stellen sollte der Angriff zur Erzielung örtlicher Verbesserungen noch fortgesetzt werden. Das XV. Armeekorps richtete sich auf den Hängen der Höhe von Eraonne zur Verteidigung ein. Eraonnelle blieb besetzt. Der Versuch des XII. Armeekorps, den Wald südlich Eraonne noch vollends in Besitz zu nehmen, mißlang. Damit fanden auch die Angriffskämpfe bei der
7. Armee auf lange Zeit hinaus ihren Abschluß. Im Vereich der 2. A r m e e beabsichtigte Generaloberst v. Vülow, am
27. September den Angriff nur noch auf dem Nordflügel fortzusetzen. Zu
Örtliche, ergebnislose Kämpfe bei der Heeresmitte am 27. September.
117
dem von der Armee für 5° morgens angesetzten einheitlichen Angriff des VII.
und X. Armeekorps sowie der 2. Garde-Infanterie-Division kam es indessen nicht. Die Schlacht löste sich in örtliche Kämpfe auf. Nirgends gewann die Truppe Gelände. Die 2. Garde-Infanterie-Division erklärte, daß ein schneller Erfolg nicht mehr in Frage komme. Der Feind stehe in befestigter Stellung gegenüber, die täglich verstärkt würde und nur noch mit den Mitteln des Festungskrieges überwunden werden könne.
Die
Division bat, ihr Zeit zu gewähren, um die Stützpunkte der französischen Stellung zu erkunden und gegen diese dann Infanterie zu massieren. Ein Anlaufen mit den bei den großen Ausdehnungen viel zu dünnen Linien ohne
Reserven habe keinen Zweck. Der 26. und 27. September hatten der Armee also nur Mißerfolge gebracht. Am Südflügel waren sie bereits am 26. Sep°
tember nachmittags in die Erscheinung getreten, am Nordflügel stellten sie sich am 27. mit voller Klarheit heraus. Die Oberste Heeresleitung verlangte am 27. September vom Armee-Oberkommando 2 das halbe Garde-
korps und alle verfügbare Divisions-Kavallerie zur Verstärkung der 6. Armee. Die Fußtruppen sollten mit der Bahn in der Richtung auf Psronne, die berittenen Waffen nach St. Quentin in Marsch gesetzt werden. Diese Abgabe hatte die endgültige Einstellung der Offensive bei der 2. Armee zur Folge. In dem Befehl des Armee-Oberkommandos 2 vom 27. September hieß es: „Die 2. Armee behauptet sich von jetzt ab in ihren Stellungen, die mit allen Mitteln zu verstärken sind. Soweit es die Kampfverhältnisse gestatten, ist Munition zu sparen." Nunmehr gingen auch die über den Kanal vorgedrungenen Teile des X. Armeekorps in ihre
früheren Stellungen zurück. Die 2. Garde-Infanterie-Division schloß sich ihnen an.
Bei der 3. Armee beschränkte General v. Einem die Fortsetzung des Angriffs am 27. September auf bestimmte Stellen der Front. Irgendwelche nennenswerten Erfolge wurden aber auch hier nicht erzielt. Vielmehr gestaltete sich die Lage der westlich Prosnes vorgedrungenen Teile des XII. Reservekorps so schwierig, daß auch sie am Abend des 27. September in die Ausgangsstellungen wieder zurückgenommen werden mußten. Die Wiederaufnahme des Angriffs auf Souain unterblieb, da das VIII. Armeekorps die weitere Mitwirkung ablehnte. Die noch auf den Höhen westlich Souain stehenden Teile des XIX. Armeekorps kehrten in der Nacht zum 28. September ebenfalls in ihre alten Stellungen zurück. Der Oberbefehlshaber der 3. Armee hatte bereits in den Vormittagsstunden des 27. Sep-
tember erkannt, daß durchschlagende Erfolge nicht mehr zu erringen seien. Der zur Berichterstattung in das Große Hauptquartier befohlene Generalstabsches, Generalmajor v. Hoeppner, brachte die Weisung zurück, daß die
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
118
3. Armee zunächst nicht weiter angreifen solle, sondern ihre jetzigen Stellungen zu behaupten habe. Dies bedeutete das Ende der Offensive auch in
der Champagne auf lange Zeit hinaus. Die auf Drängen der Obersten Heeresleitung befohlene Weiterführung des Angriffs der 4. Armee am 27. September gelangte angesichts
der allgemeinen Erschöpfung der Truppe nicht zur Durchführung. General v. Falkenhayn war aber trotzdem nicht gewillt, auf eine weitere offensive Betätigung der 4. und 5.Armee westlich der Argonnen zu verzichten. Bereits am Abend des 26. September hatte im Großen Hauptquartier eine
Besprechung zwischen ihm und Generalleutnant Schmidt v. Knobelsdorf stattgefunden mit dem Ergebnis, daß die 5.Armee angewiesen wurde, weitere Kräfte durch die Argonnen zum Stoß gegen die rechte Flanke des vor der 4. Armee stehenden Feindes vorzutreiben. Das linke Flügelkorps der
4. Armee, das XVIII. Reservekorps, wurde ihr hierfür unterstellt. Der Angriff sollte kräftig fortgesetzt werden. Dementsprechend wurde am 27.Sep¬ tember die Bereitstellung des XVI. Armeekorps bei Varennes angeordnet.
Es sollte von hier aus in westlicher Richtung durch die Argonnen vorgehen. Das unter dem Befehl des Generals der Infanterie v. Gündell stehende
V. Refervekorps hatte sich über die Maas hinaus bis südöstlich Cuisy auszudehnen, das VI. Reservekorps mit unterstellter 2. Landwehr-Division (Franke) unter General der Infanterie v. Goßler anschließend den gesamten Abschnitt bis zu den Argonnen zu übernehmen. Aus diesen Maßnahmen entwickelten sich in den nächsten Wochen die so blutigen Argonnenkämpfe. Der große Angriff der Heeresmitte am 26. und 27. September hatte von der Truppe schwere Blutopser gefordert. Trotz dieser letzten außerordentlichen Kraftanstrengung hatten alle Bemühungen, wieder zum BeWegungskrieg zu gelangen, ergebnislos geendigt. Auf der ganzen Front der Heeresmitte begann dieser immer mehr im Stellungskriege zu erstarren.
7. Der linke Heeresflügel (Armee-Abteilungen Lalkenhausen und Gaede) vom 15. September bis Anfang (Oktober. Hierzu Karte 7 (1 :300 000) Band IV sowie Karten 1,4,6 und 8 (1 : 1000 000) Band V.
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Armee-Abterlungen Falkenhausen und Gaede^), ruhte die Gefechtstätigkeit seit dem 15. September fast völlig. Zu ernstem Angriff fehlten hier seit dem Herauslösen der 6. und 7. Armee die Kräfte; sie genügten eben zur Verteidigung und für Aufgaben demonstrativer Art. In Lothringen regelte General der Infanterie Freiherr v. Falken*) Kriegsgliederung, Anlage 1.
Vorstöße der Armee-Abteilung Falkenhausen in der zweiten Hälfte des September. 119
hausen, der vom 17. September ab hier das Kommando führte, KräfteVerteilung und Gefechtsaufgaben in dem Frontabschnitt von Moncheux
südöstlich Metz) bis südwestlich Markirch. Die auf dem rechten Flügel stehenden Verbände — Ersatzkorps (4. Crsatz-Division verstärkt durch Vrigade Ipfelkofer, 8. und 10. Crsatz-Division), I. bayerisches Reservekorps mit zugeteilter bayerischer Landwehr-Division — sollten Stellungen in der
bisherigen Linie Moncheux—westlich Delme—Chateau Satins—Geist¬ kirch ausbauen. Weiter nach Südosten, in dem früheren Abschnitt des XIV. Armeekorps, stand das Korps Twardowski (Garde-Crsatz-Division mit 60. und 5. bayerischer Landwehr-Vrigade) in der ungefähren Linie Donnelay—Wald von Vourdonnaye.
An den linken Flügel des
Korps, der auf den Weiher westlich Heming zurückgebogen war, schloß sich weiterhin die 19. Crsatz-Division an, die hinter dem Rhein—Marne-Kanal bei Heming—Hessen Aufstellung nahm. Auf dem linken Flügel der Armee-
Abteilung Falkenhausen sicherte das Korps Eberhardt (Donon-Abteilung, 30. Referve-Division, bayerische Ersatz-Division und Landwehr-Abteilung Ferling) die Bogesen-Pässe vom Donon bis südwestlich Markirch. Das Armee-Hauptquartier befand sich in Mörchingen. Der Feind war anscheinend hinter der Seille stehengeblieben. Man vermutete ihn weiterhin in der Linie nordöstlich Crbeviller—nördlich Hoeville—ForZt de Parroy. Biwaks und Truppenbewegungen in diesem Waldgelände sowie bei Einville
und Lunsville ließen hier noch auf Anwesenheit stärkerer Kräfte schließen. Bahntransporte waren nicht beobachtet worden. Vor dem linken Flügel der Armee-Abteilung war der Raum bis zur Linie Cmbermenil—Vlamont— Cirey frei vom Feinde. Vor dem Korps Cberhardt hatte sich der Gegner eingegraben. Am 17. September abends befahl General v. Falkenhausen, die vor-
geschobenen Teile des Gegners zurückzuwerfen, „soweit der Schutz der Artillerie und der Stellung reiche". Cr wurde in seinen offensiven Absichten bestärkt durch eine Anweisung der Obersten Heeresleitung vom 18. September abends, die häufige Offensivstöße verlangte, damit der Anschein erweckt werde, daß ein neuer deutscher Angriff in Lothringen bevor-
stehe. Erfolge sollten ausgenutzt werden, soweit dadurch die allgemein defensive Aufgabe der Armee-Abteilung nicht gefährdet werde. General v. Falkenhausen erweiterte darauf seine bisherigen Anordnungen dahin, daß die Vorstöße des rechten Flügels bis zur Seille ausgedehnt werden, der linke Flügel des Korps Twardowski und die 19. Crsatz-Division über die Reichsgrenze bis an die Vesouze vorgehen sollten. Die allgemeine Vor-
wärtsbewegung der Armee-Abteilung stieß nur auf geringen Widerstand. Vis zum 21.September erreichte der rechte Flügel die Seille und den
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
120
Loutre-Bach. Vortruppen wurden über diese Abschnitte hinweg vorgeschoben. Die Mitte gelangte bis zur Linie Arraeourt—Tures—nordwestlich Gondrexon. Vorgeschobene Abteilungen drangen in den Wald von Parroy ein. Der linke Flügel der Armee-Abteilung warf feindliche Truppen aus Domßvre und besetzte Vadonviller. Das Korps Cberhardt nahm Celles und wies westlich Provencheres Angriffe zurück. Für den 22.September ordnete General v. Falkenhausen einen Halt in den gewonnenen Stellungen an.
Angesichts des untätigen Verhaltens der Franzosen schwanden bei der Obersten Heeresleitung die letzten Besorgnisse vor einer Wiederausnähme der Offensive in Lothringen. Sie entschloß sich, dort noch weitere
Kräfte herauszuziehen, verlangte jedoch trotzdem, daß die demonstrative Betätigung der Armee-Abteilung Falkenhausen fortgesetzt werde. Als erster Truppenverband wurde am 21. September die 4. Ersatz-Division freigemacht und an Stelle des für die 6. Armee bestimmten XIV. Reservekorps zur Verfügung des Velagerungskorps vor Antwerpen gestellt.
Auf dem äußersten linken Flügel des Heeres beabsichtigte General der Infanterie G a e d e den ihm am 9. September erteilten Auftrag,
Schutz des Oberelsaß und des Oberrheins'), in der Weise zu lösen, daß er sich aus dem Kamm der Vogesen behauptete. Die zahlen-
mäßige Schwäche der ihm unterstellten Landwehrtruppen machte hierbei strenges Haushalten mit den vorhandenen Kräften zur zwingenden Not-
wendigkeit. Die noch im Gange befindlichen größeren Angriffshandlungen wurden daher im Laufe des 12. bis 14. September im wesentlichen zum
Abschluß gebracht und Verteidigungsstellungen ausgewählt, in denen sich die Truppen in den Tagen vom 15. bis 18. September ohne Kampf einrichteten. Cs erhielten zugewiesen die vorübergehend zu einer LandwehrDivision vereinigte 2. und 1. bayerische gemischte Landwehr-Brigade den Abschnitt von nördlich Diedolshaufen bis zum Münster-Tal (ausschließlich),
die Abteilung Frech (51. gemischte Landwehr-Brigade) das Münster- und Gebweiler-Tal, die Abteilung Mathy (55. Landwehr-Brigade) das Rimbach-Tal und die Linie Sennheim—Reiningen—Fröningen, die Abteilung Bodungen (Truppen der Kommandantur der Oberrhein-Befestigungen in Stärke einer gemischten Brigade) den Abschnitt Illsurt—Bettlach. Am 19. September erhielten die dem General Gaede unterstellten
Truppenverbände die Bezeichnung „Armee-Abteilung Gaede". Ihre Aufgäbe wurde noch einmal dahin festgelegt, daß sie unter Anschluß und in
Vereinbarung mit der Armee-Abteilung Falkenhausen das Oberelsaß und i) Band IV, S. 423.
Einstellung der Offensivtätigkeit der Armee-Abteilung Kaltenhausen Ende Septbr. 121
den Oberrhein zu sichern habe.
Häufige Offensivstöße wurden auch hier
gefordert, um beim Gegner in den nächsten Tagen den Anschein eines erneuten Vorgehens des deutschen linken Heeresflügels zu erwecken und
ein Fortziehen weiterer feindlicher Kräfte zu verhindern.
Die verlangte
Offensivtätigkeit der Armee-Abteilung setzte jedoch, da die Vorbereitungen einige Tage beanspruchten, erst am 22.September ein.
Bei der Armee-Abteilung Falkenhausen hatte sich in-22'September zwischen die Auffassung herausgebildet, daß die Franzosen sich vor dem linken Armeeflügel verstärkten. Eine am 23. September von der Obersten
Heeresleitung gestellte Anfrage, ob das I. bayerische Reservekorps abgegeben werden könne, beantwortete daher General v.Falkenhausen") verneinend. Die
Oberste Heeresleitung gab sich zunächst hiermit zufrieden. Die ungünstige Entwicklung der Lage auf dem rechten Heeresflügel zwang sie indes sehr bald, auf ihre Absicht zurückzukommen. Sie befahl am 24.September mittags, daß die Armee-Abteilung Falkenhausen nach Eroberung der Sperrforts an der mittleren Maas durch die Armee-Abteilung Strantz und nach deren Vor¬ gehen über die Maas die Sicherung gegen die Nordfront von Toul—Nancy mit zu übernehmen habe, und daß für diese Aufgabe das I.bayerischeReservekorps zu verwenden sei. Das Herauslösen des Korps, das sofort in die
Wege geleitet wurde, hatte zur Folge, daß die Armee-Abteilung ihre offen¬ sive Betätigung einstellen mußte. Die 19. Ersatz-Division, die in der Gegend Herbeviller (westlich Blamont)—Badonviller seit dem 23.Sep¬ tember in lebhafter Gefechtstätigkeit stand, wurde daher angewiesen, zusammen mit dem nördlich anschließenden Korps Twardowski in die Linie Lagarde—Blkmont—Cirey zurückzugehen und sich dort zu verschanzen. Der
Feind folgte nur zögernd mit schwachen Abteilungen. Der dringende Bedarf nach weiteren Kräften für den rechten Heeresflügel veranlaßte die Oberste Heeresleitung später zu einer weiteren durch¬ greifenden Maßnahme, die zur völligen Stillegung der Lothringer Front führen mußte. Sie entschloß sich, das I. bayerische Reservekorps und das XIV. Armeekorps nach dem rechten Heeresflügel abbefördern zu lassen. Die Armee-Abteilung Falkenhausen erhielt am 26. September Befehl, das
I. bayerische Reservekorps (ohne die bayerische Landwehr-Division) südlich Metz zum Abtransport bereitzustellen, zugleich das XIV. Armeekorps auf dem linken Flügel der Armee-Abteilung Strantz durch zwei Crsatz-Divisionen abzulösen und den Befehl über den Abschnitt nördlich Toul—Nancy zu übernehmen. In einer am
27.SeptemberstattfindendenBesprechungderGeneralstabschefs der Armee-Abteilungen Strantz und Falkenhausen und eines VerS. 103.
'
°
122
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
treters der Obersten Heeresleitung wurde vereinbart, daß die ArmeeAbteilung Falkenhausen nicht nur das XIV. Armeekorps, sondern auch noch die 5. bayerische Znfanterie-Division durch die Garde-, 8. und 10. ErsatzDivision im Laufe der nächsten Tage ablösen solle. Die neue Trennungslinie zwischen den Armee-Abteilungen Strantz und Falkenhausen verlief vom 2.Oktober ab längs der Straße Heudicourt—Apremont. Am 3. Oktober wurde auf Befehl der Obersten Heeresleitung auch noch die bayerische Ersatz-Division aus der Front des Generals v. Falkenhausen
herausgezogen und der Armee-Abteilung Strantz zugeführt. Die ArmeeAbteilung Falkenhausen hatte mithin im letzten Zeitabschnitt vier Divisionen abgegeben und sicherte in ihrem obendrein bedeutend erweiterten etwa 180 km breiten Abschnitt mit Landwehr- und Crsatztruppen in der Stärke von etwa neun Divisionen. Der Oberbefehlshaber siedelte am 30. September von Mörchingen nach Metz über. Die Gefechtstätigkeit auf der
Lothringer Front erlosch fast völlig, da sich auch die Franzosen ganz zurückhielten. Die Armee-Abteilung G a e d e entfaltete, dem Befehle der Obersten
Heeresleitung entsprechend, seit dem 22. September eine lebhaftere Gefechtstätigkeit. Auf dem Nordflügel wurden die Stellungen südlich Diedolshausen und zwischen Urbeis und Münster etwas vorgeschoben. Die weitergehende Forderung der Obersten Heeresleitung vom 24. September, zm Entlastung der Armee-Abteilung Falkenhausen die Gebirgspässe zu besetzen, lehnte General Gaede indessen mit dem Hinweise ab, daß ein derartiges Anternehmen nur unter schweren Verlusten ausführbar und das Gelingen durchaus
zweifelhaft sei. Die Oberste Heeresleitung schränkte darauf ihren Auftrag dahin ein, daß es sich lediglich um das Festhalten des Gegners handle; ver-
lustreiche Angriffe seien keineswegs beabsichtigt. Auf dem Südflügel ging die 55. Landwehr-Vrigade aus der Linie Sennheim—Fröningen bis halb¬ wegs Altthann—Nieder-Burnhaupt—südlich Bernweiler vor und grub sich hier ein. Die Abteilung Vodungen, die bisher hinter der III von Illfurt bis Vettlach gestanden hatte, gewann in der Zeit bis zum 10. Oktober den Raum nördlich Altkirch und die Gegend von Bisel und südlich davon. Am die Monatswende war es in den Vogesen und im Oberelsaß noch nicht zu so regungslosem Festliegen im Stellungskriege gekommen wie zwischen Noyon und Verdun. Es dauerte noch bis in den Dezember hinein, bis die Front hier völlig erstarrte. Die Gründe lagen in der Schwäche der Truppe auf beiden Seiten, die den Ausbau und die Besetzung
ausgedehnter Stellungen nicht erlaubte. Im allgemeinen begnügte man sich nach wie vor mit einer Vorpostenaufstellung und unterhielt lebhafte Patrouillentätigkeit in das Vorgelände hinein. Erst allmählich entstanden
Lage an der alliierten Front Mitte September.
123
an den wichtigsten Stellen, besonders auf dem Nordflügel der ArmeeAbteilung, einzelne ausgebaute Stellungen, die sich immer mehr ausdehnten und schließlich zu einem gruppenartigen Stellungssystem wurden.
5. Die Vorgänge beim Leinde vom 14. bis 27. September. Hierzu Karten 9 (1 : 1 000 000) sowie 2, 3 und 5 (1 :300 000)1).
a) Die französische und britische Führung in der Zeit vom 14. bis
20.September. Auf dem französischen rechten .Heeresflügel in Lothringen war die am'«, sept-mb-r. 12.September begonnene Vorwärtsbewegung am 14. September zum Stillstände gekommen. Die vorderste Linie der französischen l.Slrmc«2) verlief an diesem Tage über Dammerkirch—Thann—Münster—Col du Bon-
homme—St. Die, dann auf dem linken Meurthe-!lfer bis in die Gegend südöstlich von Lunsville. Nordwestlich davon schloß sich die Front der 2. Armee an in der
Linie Lunßville—Gegend östlich Maixe
—Courbessaux—Nomeny—Veaumont—St. Mihiel; schwächere Abtei¬ lungen waren stellenweise darüber hinaus vorgeschoben. Die am 13. September abends vom Höchstkommandierenden, General Ioffre, befohlene Umgruppierung beider Armeen-') sollte in der Nacht vom 13. zum 16. September in Kraft treten. Von diesem Zeitpunkt ab hatte der OberbefehlsHaber der 1. Armee, General Dubail, die Leitung der Operationen zwischen der Schweizer Grenze und der Mosel zu übernehmen; die neuzubildende 2. A r m e e unter General de Curisres de Castelnau sollte westlich
der Mosel gemeinsam mit der 3. Armee die rechte Flanke der zwischen Verdun
und Compiegne befindlichen sranzösisch-englischen Heereskräfte gegen Metz und Diedenhofen decken und die Gegend nördlich Toul sowie die WotzvreEbene vom Gegner säubern. Die Deutschen waren in den letzten Tagen Zurückgegangen. Ernstere Kämpfe hatten bei der 1. und 2. Armee am
14. September nicht stattgefunden. In der Mitte der französischen Heeresfront befand sich seit dem 13. September die 3. Armee unter Führung des Generals Sarrail in der Ver-
folgung eines Gegners, der in nördlicher Richtung abgezogen war. Die Armee hatte am 14. September, ohne daß es gelungen wäre, die Fühlung mit den deutschen Nachhuten wieder aufzunehmen, mit ihren Anfängen die *) Orte, die au$ technischen Gründen auf dieser Karte nicht einzutragen waren, sind aus den entsprechenden deutschen Karten 1 :300 000 und 1 :200 000 enthalten. Bei den Zeitangaben ist die in den Originalbefehlen angegebene französische Zeit eingeseht. Der Unterschied zur mitteleuropäischen Zeit beträgt etwa eine Stunde.
2) Zusammensetzung der feindlichen Armeen siehe Kriegsgliederung, Anlage 1. 3) Vd. IV, S. 493.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
124
Bahnlinie Verdun—Clermont erreicht. Die 4. Armee unter General de Langle de Cary war am 14. September zwischen Servon und Suippes
auf Widerstand gestoßen und hatte sich, ohne ihn brechen zu können, den feindlichen Stellungen gegenüber eingegraben. Westlich anschließend war es bei der seit dem 11. September im Vormarsch begriffenen 9. Armee unter dem Oberbefehl des Generals Foch schon am 13. September in der
Linie Suippes—Prosnes zu ernsteren Kämpfen mit deutschen Abteilungen gekommen.
Die Armee hatte am 14. September die Straße Souain—
Reims im allgemeinen nicht überschreiten können. Auf dem linken Heeresflügel war die 5. Armee unter General Franchet d'Efperey ebenfalls bereits am 13. September bei und Nordwest-
lich Reims auf starke deutsche Kräfte gestoßen, die einen weiteren Vormarsch verwehrten. Die Armee hatte es trotz ihrer Bemühungen am 14. Sep¬ tember nicht vermocht, über Reims und die Linie Vrimont—Berry au Bac
hinaus Gelände zu gewinnen; einzelne Teile hatten sogar einen Rückschlag erlitten.
Links stand die Armee in unmittelbarer Fühlung mit dem
britischen Expeditionskorps unter Feldmarschall Sir John French, das am 14. September in schwere Kämpfe um den Aisne-Abfchnitt verwickelt war. Während es dem rechten Flügel der Engländer gelungen war, den Angriff bis an den Chemin des Dames vorzutragen, waren Mitte und linker Flügel bei Vailly und westlich Conds nur mit schwachen Teilen über den Fluß gelangt und befanden sich mit der Hauptmasse noch auf dem Südufer. Auf dem äußersten linken Flügel hatte die französische 6. A r m e e unter
General Maunoury zwischen Soissons und Vic den Aisne-Abschnitt überschritten, lag aber am 14. September dicht nördlich des Flusses einem starken Gegner gegenüber, der ihr weiteres Vordringen verwehrte. Der linke Flügel der Armee hatte den anscheinend bei Rampcel stehenden deutschen Westflügel umfassend angreifen sollen; diese Bewegung war jedoch im Laufe des Tages noch nicht wirksam geworden. Hinter der 6. Armee hatte die von der S. Armee herangezogene 37. Division die Gegend nördlich Compisgne, das von der 1. Armee überwiesene XIII. Korps Ereil erreicht. Das Kavalleriekorps Vridoux war bis in die Gegend von Chaulnes vorgestoßen;
vier
Territorial-Divisionen des Generals d' Amade näherten sich aus südwestlicher Richtung Amiens. Bis zum Vormittage des 14. September herrschte in dem in CHAtillvn
sur Seine befindlichen Großen Hauptquartier des französischen Oberbefehlshabers, Generals Iossre, anscheinend der Eindruck vor, daß die Deutschen auf der gesamten Front im Rückzüge begriffen feien. Die französische Heeresleitung hatte in den operativen Weisungen
Beurteilung der Lage im französischen Großen Hauptquartier.
125
der letzten Tage eine frontale Verfolgung zwischen Verdun und Paris vorgesehen^). Der 3. Armee war der Sonderauftrag erteilt worden, zwischen Maas und den Argonnen vorzustoßen und möglichst die rückwärtigen Verbindungen des Gegners zu unterbrechen^). Ihre rechte Flanke sollte an der Maas südlich Verdun durch die neugebildete 2. Armee gesichert werden^). Die 6. Armee auf dem linken Flügel hatte mehrfach die Anweisung erhalten, den Angriffsschwerpunkt gegen den deutschen Westflügel zu richten. Sie sollte, falls der Gegner an der Aisne Widerstand leisten würde, ihn durch Vorgehen im Oife-Tal umfassen (deborder) oder noch weiter auf dem rechten Oise-Ufer herumgreifen''). Für das Kavalleriekorps Bridoux galt der bereits vor mehreren Tagen erteilte Auftrag, in die rückwärtigen Verbindungen des
deutschen Heeres hineinzustoßen.
Die vier Territorial-Divisionen des
Generals d'Amade hatten als Ziel Amiens erhalten").
In dem am 14. September, 3° nachmittags (französische Zeit), herausgegebenen Heeresbericht wurde die Rückwärtsbewegung der Deutschen zwischen Bogesen und Nancy als allgemein bezeichnet; in den Argonnen sei der dort stehende Gegner in nördlicher Richtung abgezogen, nördlich Reims und zwischen Soissons und Compisgne wären die letzten Nachhutstellungen von den Deutschen geräumt worden").
In dieser Lage entstand bei der französischen Regierung der Wunsch, daß sich nunmehr auch der russische Druck von Osten her auf Deutschland geltend machen möchte. Der Außenminister Delcasse sandte am 14. September früh an den französischen Botschafter am russischen Hose, Palsologue, die telegraphische Weisung, bei der russischen Regierung darauf zu drängen, daß die Offensive des russischen Heeres gegen Deutschland sich bald fühlbar mache"). Die Veranlassung hierzu lag in der Befürchtung, daß Rußland sich nach den in Galizien errungenen Erfolgen dazu verleiten lassen
würde, zunächst auf Wien vorzugehen. Der Botschafter suchte den russischen Kriegsminister Suchomlinow auf und erfuhr von diesem, daß die Vorbereitungen für eine größere Operation über die Linie Posen—Breslau auf Verlin noch eine gewisse Zeit erfordern würden. Im Verlauf der Unterredung wurde insofern Übereinstimmung hergestellt, als das Hauptziel des Krieges für Frankreich und Rußland in der Zertrümmerung Deutschlands bestehen sollte. Am 15. September erreichte der Botschafter bei einem Besuch beim russischen Außenminister Sasonow die Zusage des Zaren, daß die Offensive des russischen Heeres unmittelbar gegen i) Bd. IV, S. 491 und 494. — -) Hanotaux, XI, S. 220. — 3) Vd. IV, S. 493. — 4) Bd. IV, S. 501. — Hanotaux, XI, S. 220. — Hanotaux, XI, S. 221. — °) Recueil, S. 89. >)Paleologue, S. 128.
126
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
Deutschland sofort tatkräftig aufgenommen werden sollte, sobald die öfterreichisch-ungarischen Armeen in Galizien „abgetan" seien. Taktisch hatten die Verfolgungskämpfe des französischen Heeres in den letzten Tagen die Erfahrung gezeitigt, daß ein Anrennen gegen die in günstigen Stellungen zurückgebliebenen deutschen Nachhuten mit erheblichen Verlusten verbunden war. Die französische Heeresleitung ersuchte daher in einer am 14. September an die Armeen gerichteten Weisung,
die Truppen zu belehren, daß örtlicher Widerstand zweckmäßiger durch Amsassung als durch frontalen Angriff zu überwinden fei'). Anscheinend erst am Mittag des 14. September wurde im franzö-
fischen Großen Hauptquartier erkannt, daß die Deutschen wieder Front machten. Der 11° abends veröffentlichte Heeresbericht meldete, daß der Feind auf den Höhen nördlich und nordwestlich Reims sowie an der Aisne sich zu ernstem Widerstande zu stellen scheine^). In einer gegen Abend an die Armee-Oberkommandos gerichteten Mitteilung hieß es: „Cs scheint, als ob der Gegner im Begriff ist, eine neue Schlacht in vorbereiteten
Stellungen nördlich der Aisne anzunehmen. Infolgedessen handelt es sich jetzt nicht mehr um Verfolgung, sondern um methodischen Angriff unter AusNutzung aller uns zur Verfügung stehenden Mittel, bei dem jede Stellung,
sobald sie genommen ist, befestigt werden muß^)." Der französische Höchstkommandierende hatte die Auffassung gewonnen, daß die Deutschen an der Aisne eine Verteidigungsschlacht zu liefern beabsichtigten^). Im englischen Hauptquartier gewann — nach seiner eigenen Angabe — der Oberbefehlshaber Sir John French in der Nacht vom 14. zum 15. September zum ersten Male den Eindruck, daß die
Deutschen zu entschiedenem Widerstand entschlossen seien°). >5. September.
Ob die Erkenntnis, am Vorabend einer neuen großen Schlacht zu
stehen, im Laufe des 15. September die französische Heeresleitung zum Erlaß
besonderer Anordnungen für den Kampf veranlaßt hat, ist nicht bekannt. An die 5. Armee, die bereits in der Nacht vom 13. zum 14. September
den Befehl erhalten hatte, ihre Marschrichtung mehr nach Norden zu verlegen6), erging die Weisung, nach Eroberung der Höhen von Brimont ihre
Kräfte nordwestlich der Straße Reims—Neufchatel so bereitzustellen, daß sie auf dem rechten Aisne-Ufer zum Einsatz gelangen könnten'). ^ a) Sanotaux, XII, S. 154. — -) Recueil, S. 89. —
Englisches am«. Werk,
I, S. 367. — *) Palat, VII, S. 43. (Hinweis auf Madelin, Bataille de 1*Aisne" in Revue des D'eux Mondes, 1918, 1. August.) — =) French, S, 152. — ») 23b. IV, S. 504. — ') Palat, VII, S. 43.
Absicht der französischen Führung, den deutschen Westflügel zu umfassen.
127
Die Hoffnung, daß die 3. Arme e durch schnellen Vormarsch in nörd-
sicher Richtung den Deutschen den Rückweg verlegen würde, sollte sich nicht erfüllen. Die Armee gewann, trotzdem sie keine ernsteren Kämpfe zu bestehen hatte, nur langsam Gelände. Teile, die durch Verdun aus das rechte Maas-User übergegangen waren, blieben in der Gegend von Ornes—
Veaumont im Schußbereich der Forts stehen. Westlich des Flusses wurde die Linie Cumieres—Clermont nicht überschritten. Auf dem entgegengesetzten Flügel, bei Noyon, hatte die 6. Armee dem Wunsch der Heeresleitung, umfassend vorzugehen, nicht entsprechen können. Am 15. September standen sämtliche Teile der Armee, außer dem noch weiter zurück befindlichen XIII. Korps, östlich der Oise im Kampfe. Am folgenden Tage wurde das im Vormarsch auf Royon begriffene XIII. Korps in der Gegend von Ribseourt und Dreslincourt in ein ernstes Gefecht mit neuen, von
Norden her eintreffenden deutschen Kräften verwickelt. Das Kavalleriekorps Bridoux rückte am 15.September nach Peronne und unternahm am nächsten Tag mit Teilen einen Vorstoß auf St. Quentin, wurde aber
nordwestlich der Stadt durch schwache deutsche Abteilungen zur Umkehr gezwungen und biwakierte abends bei Roisel.
General Ioffre hielt zunächst noch an dem Gedanken fest, die deutsche Aisne-Front durch Umfassung des Westflügels zurückzuwerfen. An beiden Tagen ergingen an das Oberkommando der 6. Armee Weisungen, das
XIII. Korps zur Umfassung anzusetzen. Als Angriffsrichtung für dieses Korps wurde die Linie Royon—Guiscard—Villequier Aumont bestimmt'). Das Verhalten der Armee sei für den Ausgang des ganzen Kampfes von
entscheidender Bedeutung. Inzwischen war auf dem rechten Heeresflügel die Neugliederung ders-pt-mber. ftanzösischen 1. und 2. Armee in der Nacht vom 15. zum 16. September
in Kraft getreten. Im Großen Hauptquartier scheinen am 16. September Bedenken aufgetaucht zu sein, ob bei ernsterem deutschen Angriff von Metz her die der 2. Armee zur Verfügung stehenden Kräfte zm Abwehr genügen würden. Eine Bedrohung lag hier anscheinend vor. Am 16. September müssen bei der französischen Heeresleitung Meldungen von der Ansammlung deutscher Truppen um Metz und Diedenhofen eingegangen sein; denn General Ioffre leitete diese Nachrichten gegen Mittag telegraphisch an die 1. Armee weiter mit dem Hin-
zufügen, daß mit einem deutschen Vorstoß gegen die rechte Flanke der 2. Armee zu rechnen sei°). Die 1. Armee habe sich bereitzuhalten, um entweder beiderseits der Mosel oder in der Woövre-Cbene in nördlicher Rich!) Palat, VII, S. 73 und 74. — 2) Dubail, I, S. 119.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
128
tung „zu intervenieren". Zu diesem Zweck sei bei Nancy eine Reserve in Stärke von mindestens einem Korps auszuscheiden. Der Oberbefehlshaber,
General Dubail, meldete umgehend zurück, daß das XVI. Korps vom 17. September in der Gegend von Nancy bereitstehen werde und daß er versuchen wolle, noch weitere Verbände aus der Front zurückzuziehen. Dem Oberkommando der 2. A r m e e war anscheinend an diesem Tage der
Befehl erteilt worden, sich zunächst abwartend zu verhalten, wie aus einer Mitteilung ihres Oberbefehlshabers an General Sarrail geschlossen werden kann, nach der die 2. Armee „auf höheren Befehl" am 17. September in
ihrer bisherigen Aufstellung verbleiben werde^). 17. September.
Der 17. September brachte der französischen Heeresleitung eine Ent¬
täuschung: Cs wurde bekannt, daß bei der 6. Armee das zur Umfassung des deutschen Westflügels angesetzte XIII. Korps am Abend vorher etwa 10 km südwestlich Noyon beiderseits der Oise auf Gegner gestoßen war und
sich dort in schwerem Kampfe befand. Die 6. Armee konnte keine Hilfe bringen; denn sie stand selbst mit ihrem linken Flügel in ungünstigem Gefecht bei Carlepont.
Die von den anderen Oberkommandos ein-
gehenden Nachrichten zeigten, daß an keiner Stelle nennenswerte Fortschritte erzielt worden waren.
General Ioffre mußte in einer an diesem
Tage an die Armeen erlassenen „Instruction generale"2) zugeben, daß der Gegner auf der ganzen Front standhielte. „Die gegenwärtige Schlacht kann einige Tage dauern, bevor eine endgültige Entscheidung fällt." Die
Vorwärtsbewegung der eigenen Truppen verlangsame sich infolge der Feldbefeftigungen der Deutschen, halte aber an gewissen Stellen noch an.
Genommenes Gelände sei mit größter Sorgfalt zu befestigen. Unter AusNutzung dieser Anlagen seien bei jeder Armee Reserven hinter der Front auszuscheiden und den Truppen dadurch abwechselnd Ruhe zu gönnen. Von besonderer Bedeutung sei es, den Feind auch weiter unter der Drohung einer Offensive zu halten, um ihn an Kräfteverschiebungen zu hindern. Der
Lufterkundung falle jetzt die bedeutsame Aufgabe zu, Feststellungen über Heeresbewegungen hinter der feindlichen Front und damit Aufschluß über die operativen Absichten des Gegners zu bringen. Dieser Weisung kam insofern besondere Bedeutung zu, als in ihr von dem bisherigen Gedanken des allgemeinen Angriffs Ab st and genommen wurde. Von jetzt ab hatten die Armeen bis auf weiteres lediglich den Auftrag, den Gegner zu fesseln und ihn an der Verschiebung
erheblicher Kräfte zu verhindern. Damit hatte die französische Führung eingestanden, daß die großen Hoffnungen, die man nach dem Ausgang der i) Sarrail, S, 411. — y Hanotanx, XII, S. 191/192.
129
Stocken des französisch-englischen Angriffs.
Marneschlacht gehegt, sich nicht erfüllt hatten.
In der „Instruction
generale" vom 17. September war deutlich ausgesprochen, daß es dem deutschen Gegner gelungen sei, wieder Front zu machen, und zwar in Stellungen, die nur mit großen Verlusten angreifbar wären. Ob für diesen
Verzicht auf weiteren Angriff die Verluste der letzten Tage, die Erschöpfung der Truppe oder Munitionsmangel die wesentlichsten Ursachen waren, ist
nicht festzustellen. Daß der letztere Umstand erheblich mitgesprochen hat, ist anzunehmen; wies General Ioffre doch gerade am 17. September den
Kriegsminister in Bordeaux telegraphisch auf den bedrohlich werdenden Mangel an Munition hin, der sich auf der ganzen Front zeige, und bat um
schleunige Abhilfe^). Wieder richteten sich die Augen der französischen Regierung und des Volkes auf den russischen Bundesgenossen, von dem man tatkräftige Hilfe erwartete. Am 17. September sandte der russische Botschafter in Frankreich Iswolfki an den russischen Außenminister einen Bericht, in dem er zunächst einen kurzen Blick auf die Kampflage in Frankreich warf"). Nach einem Hinweise auf den geordneten Rückzug der Deutschen und
deren ungebrochene Kampfkraft schildert der Botschafter, daß die Erfolge Rußlands über Osterreich in Frankreich mit Begeisterung begrüßt worden seien, daß man aber mit einem baldigen Einsatz aller verfügbaren
Kräfte gegen Deutschland rechne. Daß dies bisher unterblieben sei, habe mehrfach abfällige Kritik hervorgerufen, weil man das Gefühl habe, daß Frankreich gegenwärtig fast allein den deutschen Druck aushalten müßte. Hieraus könnten leicht Mißverständnisse zwischen beiden Mächten entstehen, die unbedingt vermieden werden müßten. Cr schlage daher vor, daß die beiderseitigen Heeresleitungen künftig in unmittelbaren Gedankenaustausch treten möchten. Noch am gleichen Tage antwortete der Chef des russischen Generalstabes, General Ianuschkewitsch, daß Rußland demnächst mit dem größeren Teil seiner jetzt gegen Österreich eingesetzten Kräfte gegen Deutschland vorgehen werde, daß aber vorher die linke Flanke des Heeres durch eine endgültige Riederlage Österreichs gesichert sein müßte. Der russische Oberbefehlshaber, Großfürst Nikolaus, richtete an demselben Tage über den russischen Außenminister an General Ioffre ein Telegramm, in dem er
darauf hinwies, daß seiner Ansicht nach stärkere deutsche Truppentransporte von Westen nach Osten stattfänden, und die Vermutung aussprach, daß die Deutschen unter Umständen jetzt einen Hauptschlag gegen Rußland beabsichtigen könnten^). Er bat General Ioffre um seine Ansicht über diese Mög¬ *) Millerand, „Le Marechal Joffre" in La Revue hebdomadaire, 1919, 15. Fe¬ bruar. 2) Walentinen?, Teil I, S. 24 ff. — 3) S. 429. t Weltkrieg. V. Band.
9
130
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
lichkeit, sowie um Mitteilung, wie in diesem Falle die strategische Aufgabe der französischen Armee aufgefaßt würde. Der französische Oberbefehls¬ haber beantwortete die Anfrage erst am 20. September. Er erklärte, daß die auf dem linken französischen Heeresflügel entbrannten Kämpfe es den Deutschen ganz unmöglich machen würden, Kräfte von der West- an die Ostfront zu werfen. Gelinge es Frankreich, in diesen Kämpfen erfolgreich zu sein, so werde es den Vormarsch nach Deutschland hinein antreten und so weit vorrücken, daß die alliierten Mächte Genugtuung erhielten und eine Neuordnung in Europa schaffen könnten, die den allgemeinen Frieden gewährleisten würde"). Noch im Laufe des 17. September lüftete sich teilweise der Schleier, der bisher über den deutschen Bewegungen lag. Im französischen Großen Hauptquartier gingen Nachrichten des Prefet du Nord ein, nach denen am 16. September beträchtliche deutsche Truppenausladungen in der Gegend von Valenciennes—Denain stattgefunden haben sollten^). Aus anderer Quelle erfuhr die Heeresleitung, daß am 11. September 30000 bis 4000» Mann deutscher Truppen im Antransport von Aachen durch Lüttich nach Frankreich befördert feien3). Auch über Ausladungen bei Cambrai lagen
Meldungen vor*). Entsprachen diese Nachrichten den Tatsachen, so trat eine starke Ge¬ fährdung des linken Flügels des französisch-englischen Heeres ein. Zwar standen zur Zeit die T e r r i t o r i a l - D i v i s i o n e n des
Generals
d'Amade, deren Kommando am 17. September auf General Brugsre über¬ ging, in der Gegend östlich von Amiens mit dem am Tage zuvor erhaltenen
Auftrage, den linken Heeresflllgel zu decken und der Lage entsprechend entweder auf Cambrai oder Arras zu rücken oder bei Amiens stehenzubleiben^).
Sie waren aber infolge unzulänglicher Ausrüstung wenig beweglich und von
geringem Gefechtswert. Das Kavalleriekorps Vridoux, dessen Führer am 17. September fiel und dessen Führung in die Hände des
Generals Vuisson gelegt wurde, stand im Räume westlich St. Quentin"). Cs hatte gegen die Stadt vorstoßen und die Bahn Böham—-St. Quentin unterbrechen sollen. Beide Truppenkörper schienen angesichts der neuen
Bedrohung durch die Deutschen nicht genügend stark. Reserven standen hinter dem linken Flügel des Heeres nicht mehr zur Verfügung; es blieb also nur übrig, Kräfte aus anderen Teilen der Front herauszuziehen und an die gefährdete Stelle zu werfen. So gelangte General Ioffre im Laufe i) Walentinow, Teil I, Ende gefunden.
198
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
8. Das Ende der Schlacht um Arras vom 6. bis Jo. Oktober'!.
Trotz der wenig befriedigenden Abendmeldungen über den Verlauf der Kämpfe am Nachmittage des 5. Oktober war die Stimmung beim Ober-
kommando der 6. Armee siegeszuversichtlich geblieben. Der feste Wille, den Kampf um Arras mit allen Kräften zum erfolgreichen Ende zu führen und der aus Richtung La Vassee—Bethune drohenden neuen Gefahr') vorläufig
mit schwachen Abwehrkräften zu begegnen, wurde durch eine in der Rächt vom 5. zum 6. eintreffende Meldung des Höheren Kavalleriekommandeurs 4") auf eine harte Probe gestellt. Etwa 30 000 bis 40000 Engländer mit zahlreicher schwerer Artillerie sollten dieser Nachricht zufolge im Antransport auf Armentieres sein. Das Armee-Oberkommando glaubte jedoch, sich gegen diese Bedrohung durch Staffelung der im Anmarsch befindlichen Kräfte sichern zu können. Cs standen hierfür zur Verfügung die 13. Infanterie-Division des VII. Armeekorps, deren Ausladung bei Cambrai am Abend des 6. Oktober beendet sein mußte, und das XIV. Armeekorps, das am 7. Oktober zwischen Lille und Orchies ge¬
staffelt versammelt sein konnte.
Das weiterhin im Anmarsch befindliche
XIX. Armeekorps konnte günstigstenfalls erst drei Tage später den Kampfräum zwischen Lille und Arras erreichen. Eine unliebsame Störung der Absichten des Oberkommandos trat da-
durch ein, daß der Kommandierende General des XIV. Armeekorps selbständig die Vorverlegung der Ausladungen nach Douai veranlaßt hatte, um desien Versammlung zu beschleunigen. Hierdurch geriet das Korps nach Ansicht des Armee-Oberkommandos zu dicht an den Armeeflügel heran und
setzte sich frühzeitig der Gefahr der Umfassung aus. General v. Falkenhayn war durch das Auftreten der neuen feind-
lichen Kräfte bei La Vassee und Armentieres stärker beunruhigt als das Armee-Oberkommando und mahnte daher in einem Ferngespräch am Vor-
mittags des 6. Oktober General v. Krafft zur Vorsicht. Cr gab der Besorg-
nis Ausdruck, der Gegner sei nördlich Arras vielleicht absichtlich ausgewichen, um die Deutschen dort in eine Falle zu locken. Auch die beim Garde-
korps entstandene Lücke schien ihm bedenklich4). Das Armee-Oberkommando ließ sich jedoch durch diese Erwägungen von der rücksichtslosen DurchfühHierzu Karte 7 (1 :300 000). — -) S. 188 f.
3) Das 4. Kavalleriekorps hatte mit Beginn seiner Operationen das ArmeeOberkommando 6 über die Lage vor seiner Front und seine Absichten dauernd aus dem laufenden erhalten.
4) Durch das Vorgehen der zusammengesetzten Division Winckler auf Arras war beim Gardekorps eine breite Lücke entstanden.
Das Armee-Oberkommando 6 erhofft für den 6. Oktober die Entscheidung. 199
rung des Angriffs auf Arras mit allen zur Verfügung stehenden Kräften
nicht abhalten.
Der Armeebefehl für den 6. Oktober ging von der Voraussetzung aus, daß der Abmarsch des Gegners aus Arras in westlicher und südwestlicher Richtung bereits begonnen habe und nur noch durch Nachhuten gedeckt werde. Der Höhere Kavalleriekommandeur 2 sollte daher Bouvigny nörd> lich umgehen und gegen die Flanke des Feindes vorstoßen. Das 1. Kavalleriekorps wurde wieder selbständig gemacht und hatte in der Richtung auf La Vassse—Bethune zu sichern. Die 2. Kavallerie-Division blieb dem Gardekorps unterstellt. Das I. bayerische Reservekorps wurde mit dem linken Flügel auf Avesnes le Comte angesetzt, das IV. Armeekorps und die Gruppe Winckler
hatten zunächst gemeinsam den feindlichen Widerstand zu brechen, dann sollte das IV. Armeekorps mit dem rechten Flügel auf Doullens, mit dem linken über Verles au Bois—nordwestlich Souastre vorgehen, während die Gruppe Winckler sich wieder in südwestlicher Richtung an ihr Korps heranziehen sollte. Das XIV. Reservekorps und II. bayerische Armeekorps hatten sich dem Angriff anzuschließen. Voller Ungeduld wartete man auf das baldige Eingreifen des 4. Kavalleriekorps auf dem deutschen rechten Heeresflügel. Kronprinz Rupprecht und General v. Krafft waren der Anficht, daß die von der Obersten Heeresleitung gegebenen Ziele für dieses Korps zu weit ausholten. Sie hätten lieber gesehen, wenn es statt nach Westen mehr nach Südwesten vorgegangen wäre, um das wichtige Höhengelände zwischen Aire und Souchez bald in die Hand zu bekommen. Der Höhere Kavalleriekommandeur 1 hatte der 4. Kavallerie-Division befohlen, die Höhen nördlich um Lens zu halten. Die Garde-KavallerieDivision sollte nordwestlich Lens den im Vorgehen über Mazingarbe und
Grenay gemeldeten Gegner aufhalten und, soweit möglich, die südlich benachbarte 9. Kavallerie-Division des Höheren Kavalleriekommandeurs 2
unterstützen. Am Morgen des 6. Oktober trafen Meldungen ein, daß feindliche Infanterie und Kavallerie über Vermelles nach Osten vormarschierten. Das Oberkommando glaubte, aus diesen Bewegungen auf den Beginn des Angriffs des französischen XXI. Korps schließen zu müsien, das nach den vorliegenden Nachrichten im Räume Armentisres—Vethune aus¬ geladen war. Lebhafter Zugverkehr war zudem durch die Lufterkundung in den Nachmittagsstunden über Lillers in nördlicher Richtung auf Hazebrouck festgestellt worden. Zu ernster Sorge schien jedoch kein Anlaß, da das XIV. Armeekorps im Antransport war. Ihm wurde die Deckung der rechten
Armeeflanke übertragen. Auf Antrag des 1. Kavalleriekorps, desien Front
200
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
von Umfassung bedroht schien, wurde sogleich eine gemischte Brigade der 29. Division des XIV. Armeekorps nach Henin Listard vorgeschoben und
in Verlängerung der Kavalleriefront nach Osten südlich Pont ä Vendin eingesetzt. Im Laufe des Vormittages griffen feindliche Kräfte in Stärke etwa einer Division von Norden und Nordwesten her auf Lens an; jedoch konnten die 4. und die Garde-Kavallerie-Divifion in den bis zum Abend sich
hinziehenden Kämpfen ihre Stellungen behaupten. Dem zwischen Lens und Souchez eingezwängten 2. Kavalleriekorps gelang es nicht, Raum zu ge° Winnen. Cs stand am Abend nach Abwehr feindlicher Kräfte, die etwa in Stärke einer Brigade angriffen, in der Gegend Lisvin—Angres.
Das I. bayerische Reservekorps hatte für den 6. Oktober die „Verfolgung" nördlich an Arras vorbei in südwestlicher Richtung befohlen. Dieser Befehl wurde jedoch am 6. Oktober vormittags wieder rückgängig gemacht, nachdem man erfahren hatte, daß die Amsassungsbewegungen der Heereskavallerie am 6. Oktober bereits in den Anfängen steckengeblieben und feindliche Kräfte aus nördlicher und nordwestlicher Richtung im Anmarsch waren.
Die 5. Referve-Division wurde nunmehr angewiesen, mit ihrem
rechten Flügel im Zusammenwirken mit dem Kavalleriekorps Marwitz etwaige Angriffe des Gegners bei Souchez und Careney abzuweisen, der Rest des Korps sollte nach Südwesten zum Angriff einschwenken. Gegen den rechten Flügel der 5.Reserve-Division gingen die Franzosen bei Careney mehrfach zu starken Gegenangriffen über, die von den auf das äußerste erschöpften Truppen nicht ohne Mühe abgeschlagen wurden; der Angriff des linken Flügels scheiterte westlich Neuville in heftigem Artilleriefeuer. Auch die 1. bayerische Reserve-Division vermochte sich nicht in den Besitz von Ccurie und Roclincourt zu setzen. Ihr linker Flügel erreichte den Bahndamm westlich Athies. Südlich der Searpe fand das IV. Armeekorps am Morgen des 6. Oktober vor seinem rechten Flügel die Stellungen des Gegners geräumt. Die Franzosen waren hier bis Arras zurückgegangen, hatten sich aber in den östlichen Vororten zu neuem Widerstand gestellt. Der linke Flügel des Korps war aus Beaurains angesetzt. In überaus erbitterten Kämpfen, stark behindert durch den Mangel an Artilleriemunition, gelang es erst in der Rächt vom 6. zum 7. Oktober, diesen Ort zu besetzen. Beim Gardekorps kam die Gruppe Winckler angesichts überlegenen feindlichen Artilleriefeuers, das infolge Munitionsmangels nur
schwach erwidert werden konnte, bei Agny und Wailly nicht vorwärts. Die Gruppe Hutier nahm Gommscourt, konnte aber Hebuterne nicht erobern. Beiderseits der Somme erfuhr die Lage keine Veränderung. Von den im Antransport nach dem rechten Heeresflügel befindlichen Truppenverbänden
war
die
13. Infanterie-Division
am
Abend des
Der Angriff der 6. Armee kommt am 6. Oktober zum Stehen.
201
6. Oktober südwestlich Douai versammelt. Vom XIV. Armeekorps wurden in der Nacht vom 6. zum 7. Oktober die Ausladungen der fechtenden
Truppen der 28. Infanterie-Division bei Möns, St. Ghislain, Douai, sowie der 29. Division bei Valenciennes, Denain, Lourches und Douai
beendet. Nach den großen Erwartungen, die im Stabe des Armee-Ober- ?. Oktober,
kommandos 6 noch am 5. und 6. Oktober geherrscht hatten, trat im Laufe des 7. Oktober ein Rückschlag in der Stimmung ein. Wiederum hatte sich
die Hoffnung auf einen endlichen Erfolg der deutschen AmsassungsbestreHungen als trügerisch erwiesen. Das Ergebnis der heißen Kämpfe war lediglich eine weitere Verlängerung der Front nach Norden. Es mußte ein neuer Entschluß gefaßt werden, wie die Operationen fortgeführt werden sollten. Arras, das seit einer Reihe von Tagen von drei Seiten von den
deutschen Angriffen umbrandet war, steckte der deutschen Front „wie ein Pfahl im Fleisch". Die Einnahme der Stadt schien aber die Voraussetzung für die Weiterführung der großen Amsassungsoperation.
Sie war nur zu erreichen durch Einsatz neuer Kräfte. An frischen Truppenverbänden standen zunächst zur Verfügung die 13. Infanterie-Division und das XIV. Armeekorps. Äber die Verwendung dieser Truppen gingen die Ansichten beim Oberkommando auseinander. Sie konnten in Verlängerung der Kavalleriefront zwischen La Bassee und Lens eingesetzt werden, um von hier aus südlich einschwenkend, die Höhe westlich Souchez anzugreifen. Man geriet hierbei jedoch zum Teil in den Bereich des für Truppenbewegungen äußerst ungünstigen Kohlen- und Industriegebietes, in das „Häusermeer", in dem das Vorwärtskommen besonders erschwert wurde. Überdies störte das noch in Feindeshand befindliche Lille, das bereits halb im Rücken der Front lag. Man konnte die l1/2 Korps auch südlich von Lens auf Aix
Roulette—Souchez vorgehen lassen und versuchen, das beherrschende Höhengelände durch Angriff in westlicher Richtung in Besitz zu nehmen. Hierbei stand indes der von La Vassse—Vsthune anrückende Feind in Flanke und Rücken. Die endgültige Entscheidung wurde auf den Abend des 7. Oktober verschoben und von den bis dahin zu erwartenden Nachrichten aus der
rechten Heeresflanke abhängig gemacht. Neben der schwierigen Frage, wie man der wiederum eingetretenen Stockung Herr werden könne, und wo die neu eintreffenden Divisionen
dementsprechend einzusetzen seien, lastete auf dem Oberkommando noch die Sorge, ob die locker gefügte Front des Gardekorps etwaigen feindlichen Gegenangriffen gewachsen sein würde. Die nur durch die 2. KavallerieDivision gedeckte Lücke zwischen den Gruppen Winckler und Hutier verbreiterte sich immer mehr. Ihre festere Schließung war auch von General
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Die Operationen in Frankreich und Belgien.
v. Falkenhayn dringend empfohlen worden. General v. Winckler meldete vor der Südwestfront von Anas neuen Feind, auf eine Division bis ein
Armeekorps geschätzt, vielleicht Engländer, gegen die der Angriff wenig Ausficht biete. Fliegermeldungen brachten die Bestätigung, daß sich der Gegner, die Division Winckler nach Südwesten überflügelnd, in der Gegend AgnyWailly und bei Vienvillers erheblich, vor allem an Artillerie, verstärkt habe. Unter diesen Umständen befahl das Armee-Oberkommando das Herausziehen einer Division des IV. Armeekorps und ihren Einsatz zwischen den beiden Garde-Divisionen. Sie wurde dem Generalkommando des Gardekorps unterstellt, während die Gruppe Winckler sowie die 2. KavallerieDivision unter den Befehl des Generalkommandos des IV. Armeekorps traten.
Das XIV. Armeekorps hatte am Morgen des 7. Oktober von
seinen Ausladestationen den Vormarsch der 29. Division in die Gegend östlich Henin Listard, der 28. auf Carvin angesetzt. Ein Befehl zur Fortsetzung des allgemeinen Angriffs am 7. Oktober war seitens des Armee-Oberkommandos nicht erteilt worden.
Bevor ein neuer Anlauf genommen wurde, mutzte den Truppen eine kurze Atempause gewährt und die notwendigen Verschiebungen vorgenommen werden. Der
Tag verlief ziemlich ruhig. Auch die Franzosen fanden nicht die Kraft zu Gegenangriffen ernsterer Art. Vor der Front des 1. und 2. Kavalleriekorps blieb der Feind im allgemeinen untätig. Die Befürchtung, daß das
gesamte französische XXI. Korps aus der Richtung La Bassse—-Bethune
angreifen werde, fand keine Bestätigung. Anscheinend hatte die Kavallerie doch nur Teile dieses Truppenverbandes vor sich.
Dagegen stellte die in
nordwestlicher Richtung angesetzte Luftaufklärung in den Vormittagsstunden lebhaften Eisenbahnverkehr auf den Strecken St. Pol—Bethune und St. Pol—Lillers—Hazebrouck fest. Die in dichter Zugfolge anrollenden Transporte wiesen auf eine zum französischen Nordflügel gerichtete
Truppenverschiebung hin. Stärkere feindliche Kräfte schloffen im Räume Loos—La Bassse—Sainghin—westlich Carvin auf. Auch im Kampfabschnitt von Arras hatte die französische Front eine wesentliche Verstärkung
erfahren. Räch Fliegermeldungen hielten erhebliche feindliche Reserven hinter dem beherrschenden Höhenzuge Souchez—Houdain sowie im Räume westlich von Arras.
Reue südlich und nordwestlich Arras entstandene Geländeverstärkungen deuteten auf die Absicht des Gegners hin, diese wichtigen Kampfabschnitte hartnäckig zu verteidigen. Das XIV. Armeekorps rückte an die Kampffront heran. Die 28. Znfanterie-Division erreichte mit den Hauptkräften Wahagnies, die 29. Infan¬ terie-Division Lens—Henin Listard. Das I. bayerische Reservekorps hielt seine Stellungen. Beim IV. Armeekorps wurde die 8. Infanterie-Division
Kronprinz Rupprecht entschließt sich am 8. Oktbr. zur Wiederaufnahme d. Angriffs. 203
herausgezogen und in der Nacht vom 7. zum 8. Oktober in die Lücke zwischen den beiden getrennten Gruppen des Gardekorps eingesetzt. Die abgelöste
2. Kavallerie-Division bezog in Gomiecourt Unterkunft. Die 7.InfanterieDivision übernahm den Gesamtabschnitt des Korps. Dem Gardekorps wurde die gemischte Brigade des II. bayerischen Armeekorps (fünf Bataillone, fünf Feld- und zwei schwere Batterien)'), die bisher dem
XIV. Reservekorps unterstanden hatte, zur Verfügung gestellt. Gommecourt entwickelten sich schwere Kämpfe.
Um
Der Ort konnte nur unter
starken Verlusten gehalten werden. Bis zum Abend des 7. Oktober rang sich der Oberbefehlshaber der 6. Armee zu dem Entschluß durch, die 13. Infanterie-Division dem I. bayerischen Reservekorps zu unterstellen und das XIV. Armeekorps in unmittelbarem Anschluß hieran zwischen La Bassee und Lens einzusetzen. Der Angriff sollte am 8. Oktober auf der ganzen Front gegen die in Anlehnung an Arras nach Norden und Südwesten verlaufenden Stellungen des
Gegners wieder aufgenommen werden. Das I. bayerische Reservekorps mit der 13. Infanterie-Division hatte mit dem rechten Flügel über
Angres, Petit Servin auf Caueourt, nördlich davon die 29. InfanterieDivision des XIV. Armeekorps vorzugehen, während die 28. unter Siche-
rung gegen Lille rechts gestaffelt über Carvin auf Venifontaine folgen sollte. Beim verstärkten IV. Armeekorps hatte die 7. Infanterie-Division zusammen mit der Division Winckler Arras von Süden her anzugreifen.
Die Korps nördlich der Somme sollten nach Westen vorgehen, südlich der Somme hatte die Gruppe Velow den Durchbruchsversuch in der Richtung auf Amiens fortzusetzen^). An General v. der Marwitz, dem das 1. Kavalleriekorps wieder unterstellt wurde, erging am 8. Oktober eine Sonder- «. s«ob-r.
anweisung. Seine beiden Korps sollten zur Klärung der Lage bei und Westlich Lille nach Eintreffen des XIV. Armeekorps aus ihren Stellungen bei Lens herausgezogen werden und über Carvin—westlich Lille vorbei noch im Laufe des Tages die Gegend südlich Armentisres—Estaires erreichen. Mit dem Höheren Kavalleriekommandeur 4 war in der Richtung auf Bailleul
Verbindung zu suchen. Bestätigte sich die Anwesenheit starker feindlicher Truppen bei Armentieres nicht, so sollten die beiden Kavalleriekorps im Zusammenwirken mit dem Höheren Kavalleriekommandeur 4 in der Richtung auf Lillers gegen Flanke und Rücken des Gegners vorgehen. War dieses Ziel erreicht, so traten die früheren Aufträge — Bahnzerstörungen und Sperrungen im Rücken des Feindes und Vorgehen gegen die SommeÜbergänge unterhalb von Amiens — wieder in Kraft. J) S. 192. — -) S. 196.
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Die Operationen in Frankreich und Belgien.
Auch dieses Mal gelang es indes nicht, die seit Wochen vergeblich erstrebte große Umfassungsbewegung der Kavallerie in Fluß zu bringen. Cs wiederholten sich beim 1. und 2. Kavalleriekorps die gleichen Schwierigkeiten, die in den zurückliegenden Tagen schon das Loslösen der Heereskavallerie vom Infanterieflügel verhindert hatten. Von dem Wunsche beseelt, so rasch wie möglich aus dem für Kavallerieverwendung ungünstigen Industriegebiet um Lens herauszukommen und in der Gegend Armentiores—Cftaires
die Verbindung mit dem Höheren Kavalleriekommandeur 4 aufzunehmen, hatte General v. der Marwitz den Divisionen weite Ziele gesteckt. In seinem Befehle war der Auffassung Ausdruck gegeben, daß bei La Vassee und Mazingarbe nur feindliche Kavallerie stehe, und daß man in der Gegend von Arras gegen Nachhuten kämpfe. Das 1. Kavalleriekorps sollte stch 9" vormittags bei Hulluch, die 9. Kavallerie-Division in Gegend Loos, die
7. Kavallerie-Division hart nördlich Lisvin sammeln. Das Herausziehen der Divisionen aus dem Gefecht verzögerte sich jedoch, da sich die Ablösung durch die Truppen des XIV. Armeekorps nur langsam vollzog und durch feindliche Vorstöße immer wieder gestört wurde. Die bereits herausgezogene Garde-Kavallerie-Division wurde sogar auf Bitten des XIV. Armeekorps noch einmal eingesetzt. Die Truppe bedurfte überdies nach der ungewohnten Tätigkeit in den Schützengräben, bei dem Mangel an Feldküchen und Zelt ausrüstung dringend einiger Ruhe. Vis zum Abend erreichten die 4. und die Garde-Kavallerie-Division die Gegend um Carvin, die 9. und 7. Kaval-
lerie-Division gingen dicht südlich Lens zur Ruhe über. Auch im Kampfbereich des XIV. Armeekorps und I. bayerischen Reservekorps nahmen die Ereignisse einen Verlauf, der durchaus nicht den Erwartungen des Armee-Oberkommandos entsprach. Es war geplant, daß das XIV. Armeekorps weit gestaffelt mit dem rechten Flügel am La Vassee-
Kanal entlang nach Westen vorgehen sollte; der linke Flügel war auf Aix Roulette angesetzt. Links anschließend sollte die 13. Infanterie-Division über die Loretto-Höhe hinweg angreifen. Die Truppen der 28. Infanterie-Division waren gegen 3° morgens stark ermüdet östlich Carvin eingetroffen. Der Korpsbefehl für den 8. bezeichnete als nächstes Ziel für die Division Venisontaine, um von hier aus die Armeeflanke gegen Umfassungsversuche aus nördlicher Richtung zu schützen. Die Vorhut stieß am Kanal bei Vauvin und Meurchin auf Widerstand. Der langsam sich entwickelnde Angriff vermochte den Übergang bis zum Abend nicht zu erzwingen. Auch nächtliche Äbergangsversuche mißglückten. Die 29. Infanterie-Division hatte zunächst den Vormarsch über Pont ä Vendin—Annay angetreten. Da diese Angriffsrichtung den Absichten des Generalkommandos nicht entsprach, das engeren Anschluß nach Süden an
Das Eingreifen des XIV. Armeekorps am rechten Flügel der 6. Armee.
205
die 13. Infanterie-Division wünschte, bog das Gros der Division in süd-
westlicher Richtung auf Lievin ab. Der Angriff vermochte infolge dieser Reibungen nur geringe Fortschritte zu erzielen. Der rechte Flügel blieb bei Pont ä Vendin und bei Vendin le Vieil stehen. In der Mitte wurde Loos
genommen, aber vor Einbruch der Nacht freiwillig wieder geräumt, da seine Besetzung zu starke Kräfte in Anspruch nahm. Der linke Flügel der Division blieb in schwerem Kampfe nordwestlich Lievin liegen. Die 13. Infanterie-Division sollte über Notre Dame de Lorette den Höhenzug
westlich Souchez gewinnen. Das Vorgehen des rechten Flügels auf Aix Roulette wurde jedoch durch starkes Flankenfeuer von Norden her bald angehalten. Der Angriff über die Loretto-Höhe, die von den Bayern besetzt
blieb, gelangte nicht zur Entwicklung. Gegenüber dem I. bayerischen Reservekorps griffen die Franzosen in den Spätnachmittagsstunden mit starken Kräften Carency und Neuville an. Der Westrand von Carency ging zeitweilig verloren. Es entstand vorübergehend eine Krise. Nur durch Unterstützung von Teilen der 13. InfanterieDivision und der 1. bayerischen Reserve-Division konnte die Stellung Carency—Neuville gehalten und schließlich auch der Westrand von Carency wieder erobert werden. Die 1. bayerische Reserve-Division hatte Befehl, noch in der Nacht Roclincourt zu nehmen und dann unter dem Schutz der Dunkelheit alle verfügbaren Teile nach Norden zu verschieben, um über
Neuville auf Mont St. Cloy vorzugehen. Der nächtliche Angriff auf Roclincourt scheiterte jedoch unter blutigen Verlusten; infolgedessen kam auch das Vorgehen auf Mont St. Cloy nicht zur Ausführung. Die Division blieb zwischen Thslus und der Höhe Point du jour stehen. Der Korpsbefehl des IV. Armeekorps wies die 7. Infanterie-Division an, um 7° vor¬
mittags vorbrechend, den Ostrand von Arras, nördlich der Straße Beaurains—Arras, zu nehmen. Am Morgen des 8. Oktober tauchten indessen beim Kommandierenden General Bedenken auf, ob dieser Angriff zweckmäßig sei, und ob nicht die Vereinigung des IV. Armeekorps in der Gegend Ayette und ein Vorgehen auf Bienvillers bessere Aussichten biete. Das ArmeeOberkommando, dem der Vorschlag unterbreitet wurde, erhob zunächst Ein-
spruch, erklärte dann aber schließlich doch nach persönlicher Rücksprache mit General Sixt v. Armin, der die Schwierigkeiten des Ortskampfes in einer
so großen Stadt wie Arras darlegte, sein Einverständnis. Es wurde jetzt also mit verstärkten Kräften die Angriffsrichtung wieder aufgenommen, die unter sehr viel mehr erfolgverheißenden Umständen am 5. Oktober aufgegeben worden war*). Das Generalkommando des IV. Armeekorps beließ >) S. 191.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
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in den Stellungen südöstlich von Arras nur die 2. Kavallerie-Division, der ein Infanterie-Regiment und eine Abteilung Feldartillerie unterstellt wurde.
Die Masse der 7. Infanterie-Division marschierte nach Ayette. Auch der Angriff der Gruppe Winckler gegen die Südfront von Arras wurde unterKrochen. Ein Teil der Division — fünf Bataillone, sieben Feld- und vier schwere Batterien — wurde auf Voiry in Marsch gesetzt. Der Rest sicherte im Anschluß an die 2. Kavallerie-Division gegen Arras.
Für den nächsten Tag befahl das Armee-Oberkommando 6 die Fortsetzung des Angriffs mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß südwestlich und nordwestlich von Arras dieses Mal mit allen Kräften ein entscheidender
Schlag geführt werden müsse. Kronprinz Rupprecht hoffte, daß die Kräfte des XIV. Armeekorps, das am 8. Oktober wenig erfolgreich gekämpft hatte,
wenigstens zur Besitznahme des Höhengeländes zwischen Houdain und Souchez hinreichen würden, und daß man südlich Arras durch den Angriff des IV. Armeekorps und des Gardekorps in der neuen Richtung schließlich
doch noch zu einer Einschnürung von Arras und zum Einsturz dieses starken
Pfeilers gelangen werde. General v. der Marwitz hatte zunächst eine Versammlung der Divisionen in der Gegend von Earvin angeordnet. Es ballten sich infolgedessen ». Oktober, in den Morgenstunden des 9. Oktober gewaltige Kavalleriemassen mit einer
großen Zahl von Bagagen um diesen Ort zusammen. Sie boten, nachdem sich der Nebel um 9"° vormittags gelichtet hatte, ein klar erkennbares Ziel für den Bombenwurf feindlicher Flieger; es traten empfindliche Verluste ein. General v. der Marwitz wollte, der Weisung des Oberkommandos vom 8. Oktober entsprechend'), im Vormarsch gegen die Lys den Kanal bei Don, etwa in der Mitte zwischen Lille und Bethune, überschreiten. Zur Sicherung gegen Lille stark rechts gestaffelt, traten die Divi¬ sionen von Earvin an. Die Übergänge bei Don und östlich fielen ohne
Kampf in die Hand der Kavallerie, schwacher Widerstand nördlich des Kanals wurde schnell gebrochen. Die Divisionen ruhten beiderseits des Kanals; die 7. Kavallerie-Division blieb zur Deckung gegen Lille bei Gondecourt. Die 28. Infanterie-Division des XIV. Armeekorps hatte Befehl, den Übergang bei Bauvin für die Heereskavallerie zu öffnen und im übrigen den Schutz der rechten Armeeflanke gegen Lille zu übernehmen. Die Brücke wurde 11° vormittags besetzt, ohne daß sie von der Kavallerie benutzt wurde.
Gegen 1*° nachmittags befahl das Generalkommando, daß eine gemischte Brigade der Division auf Vermelles vorgehen, der Rest der Division den S. 203.
Am 9. Oktober werden bei Arras nur noch örtliche Erfolge erzielt.
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Flankenschutz gegen La Vassee in der Linie nördlich Courrieres—Vendin le Vieil—Straße Lens—Vethune übernehmen solle. Der Vormarsch wurde noch am Abend in zwei Kolonnen über Verclau und Wingles an-
getreten, wobei es zu heftigen nächtlichen Kämpfen in der Gegend von Douvrin kam. Die 29. Infanterie-Division zog die nach Norden eingesetzten Kräfte über Lievin heran, um sie gegen Aix Roulette in den Kampf zu werfen. Der Angriff kam aber nicht vorwärts. Auch die 13. InfanterieDivision gewann keinen Raum. Beim I. bayerischen Reservekorps kam es
zu keinen größeren Kampfhandlungen. Bei der Angriffsgruppe südlich Arras wurden ebenfalls nur gering-
fügige Fortschritte erzielt. Die Gruppe Winckler nahm Ransart, die 7. und 8. Division eroberten die Höhe südlich Hannescamps. Monchy au Vois fiel erst in der Nacht nach schwerem Häuserkampf. Hannescamps lag im eigenen und feindlichen Feuerbereich. Die Gruppe Hutier mit der vom II. bayerifchen Armeekorps zur Verfügung gestellten Brigade beteiligte sich an dem
Angriff durch Vorgehen auf Fonquevillers und die nördlich anschließenden Höhen. Cs gelang, in den Ort einzudringen, er konnte jedoch nicht gehalten werden.
Die von den Fliegerverbänden der Armeen des rechten Heeresflügels
durchgeführte weitreichende Erkundung erbrachte auch an diesem Tage wesentlichen Aufschluß über die Feindlage. Die am 8. Oktober vor der Front der 1. und 6. Armee in dem Räume von der Aisne bis La Vassee—
Vöthune—Hazebrouck beobachtete Truppenverschiebung") der Alliierten wurde auch am 9. Oktober weiter verfolgt. Während die Aufklärungsorgane der 1. Armee am 9. Oktober südlich der Aisne fortschreitenden
Stellungsbau und lebhaften Zugverkehr auf der Strecke Fere en Tardenois —La Ferte Milon—Compiegne sowie vor allem auf der Somme-Talbahn Amiens—Abbeville erkundeten, stellten die Fliegerverbände der 6. Armee das Zwischenstück dieser Transportbewegung von der Oise bis zur Somme fest: In dichter Folge rollten in den Vormittagsstunden des 9. Oktober lange Transportzüge auf den von Compisgne, Verberie und Creil in nördlicher Richtung auf Amiens führenden Eisenbahnen. Diese TransPortbewegung setzte sich nach Norden von St. Pol in der Richtung auf Vsthune und Aire zum feindlichen linken Heeresflügel fort; als nördlichster Truppenausladepunkt war Hazebrouck gemeldet worden. Gleichlaufend mit
dieser Cifenbahnbewegung vollzog sich eine Verschiebung feindlicher Kräfte durch Fußmarsch. Außerdem hatte der Höhere Kavalleriekommandeur 4, der mit Teilen im Kampfe bei Hazebrouck stand und in der Nacht zum S, 197 und 202.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
208
10. Oktober die Lys-Äbergänge bei Merville—Estaires erzwingen wollte, Gerüchte von englischen Landungen gemeldet. Wie der 9., so brachte auch der 10. Oktober keine Veränderung der Lage bei Arras. Auf dem äußersten Flügel setzten die drei Kavalleriekorps ihren Vormarsch fort. Die Divisionen des 1. und 2. Kavalleriekorps traten in der Richtung auf Lillers an und standen nach lebhaften Gefechten mit feindlichen Kavallerie- und Infanterie-Abteilungen am Abend mit den
vordersten Postierungen in Höhe der Chaussee Cstaires—La BaMe; der Ort La Vassee selbst befand sich noch in Feindeshand.
Sie trafen
am Abend südlich der Lys mit den Divisionen des Generals v. Hollen zusammen, der im Laufe des Tages bei Armentieres die Lys über-
schritten hatte^). Südlich des La Bassse-Kanals hatte der Angriff des XIV. Armeekorps auf dem rechten Flügel einige Fortschritte erzielt und stand hier vor Haisnes und Vermelles. Der linke Flügel lag in heftigem und unent-
fchiedenem Kampfe vor den stark befestigten Vergwerksanlagen nördlich Lievin. An der übrigen Armeefront blieb die Lage unverändert. Die 14. Infanterie-Division^) war als Armeereserve in die Gegend westlich Douai vorgezogen worden. In der Gegend Roys wurde die 31. Infanterie-
Division aus dem Abschnitt des XVIII. Armeekorps wieder herausgezogen und bei Chaulnes in Reserve gelegt. Am Abend des 10. Oktober war der neue Versuch, die Front um
Arras durch Umfassung im Norden zum Einsturz zu bringen, als gescheitert anzusehen. Das XIV. Armeekorps und die 13. Infanterie-Division kämpften ebenso wie die Korps weiter südlich nur noch um den Besitz ein¬
zelner Ortschaften. Inzwischen hatten bei der Obersten Heeresleitung Mue operative Entschlüsse von außerordentlicher Tragweite Gestalt gewonnen, in denen der 6. Armee eine andere Aufgabe zugedacht war.
9.Die Operationen
bee4.Aavalleriekorpsaufd
rechten Heeresflügel vom 4. bis JO. Oktober. Hierzu Karte 7 (1 :300 000) und Karte 8 (1 : 1 000 000).
Auf Grund der Weisungen der Obersten Heeresleitung an Generalleutnant Freiherrn v. Hollen vom 28. September^) hatte das 4. Kavalleriekorps am 2. und 3. Oktober seine Versammlung im Räume nördlich Valenciennes—Möns im wesentlichen beendet. Bereits am 1. Oktober hatte *) S, 213. — 2) Am 9. Oktober von der 2. Armee in Douai eingetroffen; S. 219. — 3) S. 152.
Der Versuch, Arras von Norden her zu nehmen, mißlingt.
209
der als Verbindungsoffizier der Obersten Heeresleitung zum Korps entsandte Oberst v. Dommes im Auftrage des Generals v. Falkenhayn folgenden Auftrag für General v. Hollen überbracht:
. . Der Höhere
Kavalleriekommandeur 4 hat die Aufgabe, unabhängig von der 6. Armee, obschon natürlich in ununterbrochener Verbindung mit ihr bleibend, weit ausholend gegen Flanke und Rücken des dem rechten Armeeflügel gegenüberstehenden Gegners vorzugehen, die Verbindungen, im besonderen die Eisenbahnen, die von der Küste und von Süden her in den Raum westlich der Linie Amiens—Lille—Alost führen, nachhaltig zu zerstören und unter Einsetzung des letzten Mannes und Pferdes dafür zu sorgen, daß feindliche Unternehmungen gegen unseren rechten Flügel auf jede Art behindert werden." Am 3. Oktober standen nach Beendigung der Ausladungen die 6. Kavallerie-Division östlich Tournai, die 3. bei Conds, die bayerische bei Valenciennes. Außerdem waren dem Höheren Kavalleriekommandeur 4 unterstellt worden: die Abteilung Wahnschaffe"), die am 3. Oktober ohne Kampf Tournai besetzt hatte, und die Abteilung Douai — zwei Bataillone und eine Batterie der 11. Landwehr-Brigade unter Oberst v. der Schulenbürg — in Douai.
Am 4. Oktober begann der Ritt des Kavalleriekorps, der tief in den 4. ««»»< ), XIX. A. K. (ohne % 24. I. D.),
XIV. 21. K., VII. A. K., I. bayer. R.K., IV.A.K., (S.K., Det. Wahnschaffe (3 — 1 — 2 t>on 11. gem. Ldw.Brig.-)), H. K. K. 1 (G. u. 4. K.D.) und H. K. K. 2
(2.,7. und 9. K. D.). 2. Armee:
XIV.R.K., II.bayer.A.K., I.bayer.A.K, XXI.A.K. und XVIII.A.K. 1. Armee: IX. R. K., II. A. K., IX. A. K., IV. R. K. und III. A. K. 7. Armee:
VII.R.K., XV.21.K., XII.A.K., X.A.K. und X.R.K. Z. Armee:
VI. A. K. (ohne 11.I. D., % schwere Artl. und V- Mun. Kol. und Trains), XII.R.K., V- 24.I. D. xix->), VIII.A.K., VIII.RK. S.K. D. 5. A r m e e:
Korps Steuben (XVIII.R.K. söhne 25.R. D.s und 11. i.d. vi mit % schwerer Artl. und % Mun. Kol. und Trains vi), 27.I. D, xiii mit % schwerer Artl. und V-Mun.Kol. und Trainsxm, XVI.A,K,, VI.R.K, V.R.K. und H. K. K. 2, 2. Landwehr-Division (Franke), dazu Armee-Abteilung Strantz. Dazu tritt XXIV.R.K. Armeegruppe Falkenhause n> ^ r Gaede J 4. Armee (in Belgien neu zu bilden): XXIII. R.K., XXVII. R.K., XXII. R. K., XXVI. R.K. und nach dem Fall von Antwerpen auch III.R.K. und 4.Crs. Div.
Cs bleiben zugeteilt: Dem Oberkommando der 2. Armee: Gen. der Fußartl. 3., Armee-Telegr. Abt. 2, Funk. Kdo. 2, schw. Funk. St. 6 und 23, Feldluftsch. Abt. 2, Flieg.
Abt. 23, fahrb. Wetterstation 1 und Kraftwag.-Gefchütz, dem Oberkommando der 4. Armee: Fußartl.Vrig.Kdo. 1, Stab Fußartl. 3, Gen. d. Pi. 4, Armee-Telegr. Abt. 4, Funk. Kdo. 4, schwere Funk.Station 9 und 14, Feldluftsch. Abt. 3, Flieg. Abt. 6, fahrb. Wetterstation 2.
1) Kriegsgliederung, Anlage 1. 2) Diese Angaben sind unzutreffend.
Die Truppen gehörten tatsächlich zur
41. Landwehr-Vrigade. Die Abteilung Douai (2 — 0—1) hat dem Detachement Wahnschaffe nur bis zum 10. Oktober 4° nachmittags unterstanden. 2) Bei der 3. Armee blieben folgende Teile des XIX.A.K. zurück: Stab
24.1. D., 48. Inf. Vrig., Zag. 12, l./lll. 18, Feldartl. R. 78, I./Pion. 22, Teile der Kol. und Trains.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
278
Die schwere Artl. und die Pi. Regtr. verbleiben im allgemeinen den Armeen, in deren Grenzen sie sich zur Zeit befinden; im einzelnen: b e i 6. Armee: II. (Mrs.)/Fußartl. Regt. 7 mit leichter Mun. Kol. und Mun.
Kol. Abtlg. (bisher 4. Armee), II. (10 om-Kan. 04)/bayer. Res. Fußartl. Regt. 1, Pi. Regt. 19 mit Pi. Velag.-Train. bei 2. Armee: III. (Mrs.)/Fußartl. Regt. 1 mit leichter Mun.Kol. und Mun
Kol. Abtlg., V- Stab und -/- I. (10 cm-Kan. 04) (3. und 4. Battr.)/Res. Fuß^ artl. Regt. 18 mit leichter Mun. Kol. (bisher 7. Armee), bayer. Pi. Regt, mit
Pi. Belag.-Train. bei 1. Armee: Regts.-Stab und II. (Mrs.)/Fußartl.Regt. 4 mit leichter Mun. Kol. und Mun. Kol. Abtlg., % Stab und % II. (10 cm-Kan. 04)/Res. Fuß. artl. Regt. 9 (5. und ö.Battr.), Pi. Regt. 18 mit Pi. Velag.-Train. bei 7. Armee: III. (Mrs.)/Fußartl. Regt. 4 mit leichter Mun.Kol. und Mun.
Kol. Abtlg., % II. (10 em-Kan. 04) (7. und 8. Battr.)/Res. Fußartl. Regt, g, 2.Vattr. (10 om-Kan. 04)/Res. Fußartl. 14, Pi. Regt. 31 mit Pi. Velag.Train.
bei 3. Armee: Regts.-Stab und III. (Mrs.)/Fußartl. Regt. 7 mit leichter Mun.
Kol. und Mun. Kol. Abtlg., zwei srz. 12om-Kan. 23attrn., Pi. Regt. 23 mit Pi. Belag.-Train, Pi. Regt. 30 mit Pi. Belag. Train, bei 5. Armee: wie bisher.
Im übrigen behalten die Armeen die ihnen zugeteilten Armeetruppen. An Ctappentruppen werden zugeteilt: der 6. Armee: die bisherigen und die 11. gem. Ldw. Brig. (Teile sind beim Det. Wahnschaffe, das II., III./Ldw. Ins. Regt. 35beim I. bayer. A. K. ein-
gesetzt). d e r 2. A r m e e: die 29. gem. Ldw. Brig.
der 1. Armee: die 10. und 27. gem. Ldw. Brig. und das IV./Ldw. Inf.
Regt. 75. der 7. Armee: die 25. gem. Ldw. Brig. der 3. Armee : die 47. und 49. gem. Ldw. Brig., die 1. und 2. Ldw. Pi. Kp. VII. A. Ks., die 1. und 2. Ldw. Pi. Kp. VIII. A. Ks. der 5. Armee: wie bisher.
l«.v«s lz.srDie grundlegenden Befehle für die neue Operation vom 9. Oktober (l*cr' wurden am 10. Oktober ergänzt durch eine Reihe wichtiger Anordnungen,
die den Zweck verfolgten, den Einsatz der aus verschiedenen Richtungen und zu verschiedenen Zeiten auf dem rechten Heeresflügel eintreffenden Verbände miteinander in Einklang zu bringen. In einer Zusammenkunft zwischen General v. Falkenhayn und General v. Krafft am 10. Oktober in
Msziöres wurde die Verwendung des
XIX. Armeekorps und des
zusammengesetzten XIII. Armeekorps (Korps Fabeck) festgelegt. Schon am Tage zuvor hatte General v. Falkenhayn dem Oberkommando 6 an-
geraten, die beiden Korps „gut nach Norden hinauf abzusetzen". Demgegenüber sprachen der Oberbefehlshaber und General v. Krafft sich jetzt dahin
Die 4. Armee soll bis zur Küste ausholen.
279
aus, daß „es mit einem Seitwärtshinausschieben der beiden Korps allein nicht getan sei, daß dabei Zeit und Gelände eine Nolle spielten". Der große Höhenrand, der sich von Arras südwestlich an Vethune und St. Omer vorbei auf Calais hinziehe, werde dem Feinde einen starken Rückhalt bieten. Die herankommende neue deutsche Armee werde Schwierigkeiten haben, ihn dort zu werfen. Der Angriff werde überdies besonders erschwert durch das dem
Höhenzuge vorgelagerte Industriegebiet mit seinem Häusermeer und weiter nach Norden durch das sumpfige, von Gräben und Kanälen durchzogene
flandrische Tiefland. Der Feind verschiebe weiter Truppen nach Norden. Er dürfe nicht ungestört eine neue Front aufbauen. Man müsse also die beiden Korps, ohne sie aufeinander warten zu lassen, und ohne jeden Amweg, in unmittelbarem Anschluß an das XIV. Armeekorps gegen das Höhengelände bei Bsthune ansetzen. Cs bleibe dann ein nicht allzu breiter Raum für den Vormarsch der 4. Armee zwischen dem Meer und der Lys.
Oberst Tappen sprach sich gegen diesen Vorschlag aus. Cr befürchtete, man werde wieder „aus der Hand in den Mund leben" und befürwortete
statt dessen das Zusammenhalten und den geschlossenen Einsatz aller Kräfte. General v. Falkenhayn schloß sich der Ansicht des Generals v. Krafft an. Cs wurde vereinbart, daß das XIX. Armeekorps nach Seclin mar-
schieren und dann mit dem linken Flügel über La Vassse auf Bsthune vorgeführt werden solle. Das XIII. Armeekorps sollte über Lille und dann
mit dem rechten Flügel südlich des Kanals Armentiöres—Cstaires—Merville vorgehen. Im Laufe des Tages traf der Oberbefehlshaber der 4. Armee, Herzog Albrecht von Württemberg, auf der Fahrt in sein neues Hauptquartier Brüssel zur Rücksprache in Mszieres ein. General v. Falkenhayn erteilte ihm in Ergänzung des schriftlichen Befehls dem Sinne nach folgende münd-
liche Weisung^): „Die neue 4. Armee hat ohne irgendwelche Rücksichtnahme auf Verluste vorzugehen, mit dem rechten Flügel an der Küste entlang, die Befestigungen bei Dünkirchen und Calais abzuschließen — genommen sollen sie erst später werden — und dann, St. Omer links liegen lassend, nach Süden ein-
zuschwenken." Die Aufgabe der 4. Armee war nunmehr dahin geklärt, daß sie in Anlehnung an das Meer so weit als möglich nach Westen auszuholen hatte. Das Schwergewicht der angestrebten neuen Amsassungsbewegung war in den Raum zwischen St. Omer und dem Meere gelegt. *) Schreiben des Herzogs Albrecht von Württemberg an das Reichsärchiv vom 8. Dezember 1923.
280
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
Nachmittags begab sich General v. Falkenhayn nach Brüssel, um münd. lich nähere Anordnungen für den Einsatz der bei Antwerpen freiwerdenden Kräfte zu treffen. Cs war inzwischen die ersehnte Nachricht von dem Fall der gewaltigen Festung eingegangen. General v. Beseler hatte am 9. Oktober
gemeldet: „Antwerpen besetzt. Alle militärischen Behörden verschwunden. Belagerungsarmee anscheinend in voller Auflösung geflohen. Den Resten der Abzug nach Westen bei Lokeren verlegt." Bereits am 9. Oktober, 8° abends, war General v. Beseler angewiesen
worden, das III. Reservekorps auf Courtrai heranzuführen. In der am Abend des 10. Oktober in Brüssel stattfindenden Besprechung zwischen General v. Falkenhayn und den Chefs des Armee-Oberkommandos 4, Generalmajor Ilse, des III. Reservekorps, Oberst Kabisch, und des Generalgouvernements, Generalmajor Freiherrn v. Lttttwitz (Arthur), wurde dann der Befehl dahin ergänzt, daß die 4. Crsatz-Division dem General v. Beseler unterstellt blieb, während die übrigen dem III. Reservekorps zugeteilten Truppen und Formationen des Generalgouvernements unter dessen Befehl zurücktraten. Sie sollten in der Linie Selzaete—Gent—Grammont die Aus¬ ladungen der 4. Armee decken und später deren Vormarsch folgen. Die Verwendung der schweren und schwersten Artillerie blieb zunächst vorbehalten. Am Abend des 10. Oktober Hatte General v. Falkenhayn alle Anord-
nungen für den großen Angriff im Westen getroffen. Das nächste Ziel, das unter staffelweisem Einsatz der anrückenden Reserven erreicht werden sollte, war das Höhengelände zwischen Calais und Souchez. Die am 9. und 10. Oktober getroffenen Maßnahmen konnten sich erst in einigen Tagen auswirken. Die im Verlauf der beiden nächsten Tage eintreffenden Nachrichten führten indes zu einer wesentlichen Änderung in
den operativen Absichten. Die Lage auf dem rechten Heeresflügel hatte bis zum 12.Oktober abends eine Entwicklung genommen, die den Erwartungen
der Obersten Heeresleitung nicht entsprach. Auch die Verhältnisse beim Feinde lagen anders, als man noch am 10. Oktober angenommen hatte. Die bis zum Morgen des 13. Oktober
einlaufenden Nachrichten ließen auf eine Zusammenballung starker Kräfte im Räume Dünkirchen—La Vassee schließen. Vor der 1. Armee war die Ablösung der Engländer anscheinend in vollem Gange. Vor der Heeres-
kavallerie, zwischen Meteren und La Bassee, verstärkte sich der Widerstand rasch. Cs stand dort jetzt nicht nur englische und französische Kavallerie, sondern auch bereits Infanterie. In St. Omer hatten Flieger Ausladungen festgestellt. Die Truppen kamen anscheinend von Calais. Aufgefundene Privatbriefe ließen auf Landungen von Engländern und Franzosen hier und
General v. Falkenhayn will den Gegner gegen die 6. Armee anlausen lassen. 281
in Dünkirchen schließen.
Hiernach schienen sich stärkere englische Kräfte
nördlich der Lys und beiderseits des La Bassse-Kanals zu versammeln.
Eine Verstärkung erfuhren diese englischen Kräfte durch die aus Antwerpen entkommene, allerdings in ihrem Zusammenhalt stark erschütterte belgische Armee, die nach den Ergebnissen der Luftausklärung das gesamte Gebiet zwischen Antwerpen und der Küste räumte.
Durch Flieger war der Ab-
transport erheblicher Teile auf Ostende sowie über Thourout—Dixmuide in westlicher Richtung erkannt worden; zudem lagen Meldungen über Truppenlandungen bei Ostende vor. Durch das Auftreten dieser neuen feindlichen Kampfgruppe wurde das Vild der Lage stark verschoben. General v. Falkenhayn hatte geglaubt, daß es dem XIX. und XIII. Armeekorps gelingen werde, das Höhengelände südlich der Linie Lillers—Böthune in Besitz zu nehmen und zu halten, bis die 4. Armee herangerückt sei. Angesichts des immer mehr sich versteifenden
Widerstandes zwischen Bailleul und Souchez schien indessen die Hoffnung, durch schnelles Zufasien den Höhenzug zu gewinnen, kaum noch berechtigt. Der Angriff des XIX. und XIII. Armeekorps auf die Höhe südwestlich Vöthune verlor um so mehr seine Grundlage, als er durch die aus Richtung Dünkirchen herankommenden feindlichen Reserven in der rechten Flanke be° droht wurde. Die Masse der 4. Armee konnte erst etwa am 17. Oktober im
Räume Brüssel—Alost—Lessines operationsbereit stehen, kam also wahrscheinlich zu spät, um einen Rückschlag auf dem rechten Flügel der 6. Armee zu verhindern. Im Zusammenhange mit diesen Erwägungen reifte in General v. Falkenhayn der Entschluß, diesmal den Gegner anlaufen zu lassen und über den Erschöpften dann mit den frischen Truppen der 4. Armee her-
zufallen. In Verfolg dieses Entschlusses, der eine Einstellung der Offensive auf dem rechten Flügel der 6. Armee bedingte, machte Oberst v. Dommes dem Armee-Oberkommando 6 im Auftrage der Obersten Heeresleitung am 13. Oktober die Mitteilung, daß es „erwünscht sei, die beiden letzten Korps, XIX. und XIII., nicht nach Westen einzusetzen. Sie sollten mehr die Front nach Norden gegen den feindlichen Angriff erhalten und dann zusammen mit dem III. Reservekorps den Feind angreifen. Die Oberste
Heeresleitung sei daher mit der Gruppierung, die das Armee-Oberkommando 6 einstweilen den beiden Korps gegeben habe, ganz einverstanden". Die Heereskavallerie solle die Linie, in der sie zur Zeit stehe, schließen und damit die Verschiebung der beiden Korps nach Norden decken. Falls es dem Höheren Kavalleriekommandeur 4 möglich sei, sich jetzt noch vom Feinde zu lösen, solle er sich mehr nach Norden ziehen, eine mehr
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
282
aufklärende Tätigkeit übernehmen und später zur 4. Armee treten. Sei das
aber nicht mehr möglich, so solle er im Anschluß an den Höheren Kavalleriekommandeur 2handeln und sich von der 6. Armee Befehle einholen. Die 4. Armee habe nach vollendetem Aufmarsch zwischen der Meeresküste und
Lille hindurch vorzugehen und später die Küstenplätze wegzunehmen. Cs war damit die gesamte Front der 6. Armee bis Lille herauf stillgelegt. In den nächsten Tagen war mit größeren Kampfhandlungen kaum zu rechnen. Die Entscheidungsschlacht war nun nicht mehr auf den Höhen von Vethune, sondern in dem Räume zwischen Lille und dem Meere zu erwarten. >4. Oltober. In der Nacht vom 13. zum 14. Oktober setzte General v. Falkenhayn
dem ins Große Hauptquartier befohlenen Ersten Generalstabsoffizier des Armee-Oberkommandos 6, Oberstleutnant v. Mertz, seine Auffassung der Lage eingehend auseinander^). Cr war bestrebt, wie er sich ausdrückte, „einen
vernichtenden Schlag zu führen". Dazu sollte der rechte Flügel der 6. Armee sich zunächst in breiter Verteidigung von Menin über Armentieres bis La Vassse aufstellen und den Gegner veranlassen, seinen linken Flügel bis über Menin ausgreifen zu lassen. Die 4. Armee würde ihm dann über Gent in Flanke und Rücken marschieren. Die 14. Insanterie-Division sei von der
6. Armee heranzuziehen. Ein feindlicher Durchbruch müßte jedoch mit allen Mitteln verhindert werden. Die Auswahl der Verbindungslinie in der Front, zwischen La Bassee und Armentieres, würde der 6. Armee selbst überlassen, von dort bis Menin aber das Halten der Flußlinie der Lys aus-
drücklich vorgeschrieben. Bedenken des Oberstleutnants v. Mertz, ob die neuen Korps der
4. Armee einer solch schweren Kampfaufgabe gewachsen sein würden, ließ General v. Falkenhayn mit Rücksicht auf ihre starke Ausstattung an schwerer Artillerie^) nicht gelten. Er meinte, daß die neuen Korps, wenn die 1) Nach Aufzeichnungen des Generals v. Krafft und Oberstleutnants v. Mertz. 2) Nach Zuteilung der Antwerpener Belagerungsartillerie am 12.Oktober be¬ saßen an schwerer Artillerie: III.
XXII.
XXIII.
XXVI.
XXVII.
Reservekorps
Reservekorps
Reservekorps
Reservekorps
Reservekorps
schwere Feldhaubitzen 6 Batterien 5Batterien 3 Batterien 3 Batterien 3 Batterien 21 «n-Mörser
.
4
2
Iv om-Kanonen
..2°
,
1
-
2
l
-
2-
2-
l
1-
12 Batterien 8 Batterien 6 Batterien 6 Batterien 6 Batterien
Außerdem wurden der 4. Armee unmittelbar unterstellt: zwei Batterien 13 cm-
Kanonen, eine Batterie schwere Küstenmörser, eine Batterie kurze Marine-Kanonen, zwei Batterien österreichische Motor-Mörser und zwei Pionier-Regimenter mit Pionier-Belagerungs-Trains. Siehe Kriegsgliederung, Anlage 1.
Der rechte Flügel der 6. Armee soll zurückgebogen werden.
2SZ
Operation sich planmäßig entwickele, voraussichtlich nichts Besonderes zu leisten haben würden. Ihr Geist sei im übrigen glänzend. Die anfänglich geplante Heranziehung des III. Reservekorps an den rechten Flügel der 6. Armee gelangte nicht zur Durchführung. General v. Beseler hatte sich am 12. Oktober auf die Meldung über den Rückzug der Belgier nach der Küste selbständig entschlossen, unter Festhaltung der Marschrichtung des linken Flügels auf Courtrai mit dem rechten Flügel in der Richtung auf Thourout vorzugehen^). General v. Falkenhayn hatte sich mit dieser Maßnahme einverstanden erklärt und entschloß sich jetzt, das Korps nicht auf dem rechten Flügel der 6., sondern der 4. Armee zu verwenden.
Cr ordnete dementsprechend am Abend des 13. Oktober ein Zu-
sammenziehen des Korps nach Norden an^). Diese Verschiebung verstärkte die Stoßkraft des Umfassungsflügels. Vor die 4. Armee rechts vorwärts gestaffelt, an der Küste entlang vorgehend, sollte das III. Reservekorps später den „Sack"3) von Norden her schließen, den man durch das Zurückbiegen des rechten Flügels der 6. Armee für den Feind geöffnet hatte. General v. Falkenhayn verfiel indes bald wieder in Zweifel, ob es gelingen werde, den Feind in die Falle zu locken, die man ihm stellen wollte. Am 14. Oktober ließ er dem Herzog Albrecht über seine Auffassung der Lage und die geplante neue Operation folgende Weisung zugehen: „Nach allen bisherigen Nachrichten muß angenommen werden, daß unsere Gegner bis in die jüngste Zeit beabsichtigt haben, starke Kräfte zur Am-
sassung unseres rechten Flügels in der Gegend südöstlich Dünkirchen zu versammeln. Ob diese Absicht jetzt noch besteht, ist zweifelhaft. Für alle Fälle ist aber angeordnet worden, daß die 6. Armee ihren rechten Flügel bis hinter die Lys etwa in Linie Menin—Armentieres—La Bassse zurücknimmt und sich dort nur verteidigungsweise behauptet. Sollte der Gegner hiergegen vorgehen, so wird es Sache der 4. Armee sein, nach vollendetem Aufmarsch der neuen Truppen gegen Flanke und Rücken des Gegners vorzustoßen. Zu diesem Zweck sollen die neuen Korps bis zum 17. dieses
Monats nicht in der mündlich mitgeteilten Linie Ceeloo—Anseghem,
sondern nachdem das III. Reservekorps heute auf Brügge vorgeschoben ist, in der Linie Ursel—Anseghem mit möglichst vielen Teten bereitgestellt werden. Cs wird geplant, die Armee am 18. Oktober mit dem als Offensiv-
flügel scharf vorgenommenen Korps Beseler längs des Meeres, mit dem linken Flügel über Menin in Richtung Merville marschieren zu lassen. '
*) S. 296. — 2) S. 297.
3) Dieser Ausdruck stammte ursprünglich nicht von General v. Falkenhayn, sondern von General v. Krafft.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
284
Das Korps Veseler und die ihm zugeteilte 4. Ersatz-Division werden der Armee von heute abend ab unterstellt, ebenso der Höhere Kavalleriekommandeur 4, der aber jetzt noch in Verbindung mit der 6. Armee in der Gegend südöstlich Bailleul kämpft und deshalb vorläufig an die Weisungen des Armee-Oberkommandos 6 gebunden bleiben muß1). Armee-Oberkommando 6 ist aufgefordert worden, den Höheren Kavalleriekommandeur 4, falls er vom
Gegner gedrängt werden sollte, in der allgemeinen Richtung auf Courtrai zurückzunehmen. Für den wahrscheinlicheren Fall, daß der Feind auf seine ursprüngliche Absicht, sobald ihm das Eintreffen der neuen Truppen bekannt wird, verzichtet, wird sich vermutlich in der der 4. Armee vorstehend gegebenen allgemeinen Anweisung für den Vormarsch nichts ändern. Der Armee würde in diesem Falle obliegen, den Feind — mag er nun in der
Linie Dünkirchen—Poperinghe—Höhen östlich Bailleul oder auf den CrHebungen südwestlich der Linie Ardres—St. Omer—Merville stehen — in
der Front anzugreifen, während es dann Aufgabe der 6. Armee bliebe, durch einen Durchbruch aus der allgemeinen Gegend von Arras her gegen Flanke und Rücken des Feindes einzuwirken. Bei dieser Gelegenheit möchte ich es nicht unterlassen. Euere Königliche Hoheit auf die Notwendigkeit aufmerksam zu machen, die Generalkommandos der neuen Armeekorps^) be°
sonders auf den zweckmäßigen Gebrauch der schweren Artillerie hinzuweisen. Auch dürfte es sich aus naheliegenden Gründen empfehlen, diesen Stellen von vornherein ernstlich klarzulegen, welche ausschlaggebende Bedeutung der
sparsamen Verwendung der Artilleriemunition beizulegen ist. Schließlich bitte ich die Marschleistungen der neuen Truppen der Marschfähigkeit derselben anpassen zu wollen." General v. Falkenhayn hielt es also bereits jetzt für wahrscheinlicher, daß die 4. Armee doch genötigt sein würde, den Gegner frontal anzugreifen. In diesem Falle sollte die 6. Armee versuchen, bei Arras durchzubrechen. Das Armee-Oberkommando 6 wurde schon jetzt auf diese Möglichkeit hingewiesen. Am Vormittage des 14. Oktober entsandte er General v. Wenninger zum Armee-Oberkommando 6 nach Douai mit folgendem Schreiben: „Wie Euere Königliche Hoheit durch den Oberstleutnant v. Mertz erfahren haben, beabsichtigt die O. H. L. zunächst den Versuch zu machen, den augenscheinlich bis in die jüngste Zeit vom Gegner festgehaltenen Plan, den deutschen rechten Flügel und Flanke anzufallen, für unsere Zwecke
auszunutzen. Zu diesem Ende habe ich Euere Königliche Hoheit bitten lassen, den rechten Flügel der 6. Armee in die allgemeine Linie Munin— Armentieres—La Vassse zu nehmen. Es würde auch nichts dagegen ein¬ *) S.282. -
2) Gemeint sind die neuen Reservekorps.
Aufgaben für die 4. und 6. Armee.
2SS
zuwenden sein, wenn derselbe bei überlegenen feindlichen Angriffen noch weiter zurückgebogen würde, also etwa bis in die Linie Tourcoing—Nord-
sorts von Lille—La Vassse. Je mehr der Gegner, nach Osten ausholend, sich hiergegen wenden würde, um so günstiger würde das für das Eingreifen der 4. Armee fein, die am 18. des Monats aus der ungefähren
Linie Ursel (15 km nordwestlich Gent)—Audenarde und mit einer scharf vorgenommenen Offensivflanke aus der Gegend von Ostende den Vor-
marsch nach Westen antreten soll. Anter diesen Umständen wird kein Wert darauf gelegt, daß die H.K.K.s 2 und 4 sich von überlegenen Kräften des Gegners vor der Front der 6. Armee erheblich schädigen lassen. Die
0.9).2. ist vielmehr damit einverstanden, daß Euere Königliche Hoheit, sobald solche Kräfte des Gegners gegen die Kavallerie eingesetzt werden, diese zurücknehmen. Ob dabei Z.K.K. 4 durch die Infanterielinien hindurch auf den rechten Flügel der Armee in Gegend von Courtrai gezogen wird, oder ob es, was günstiger wäre, möglich wird, ihn vor der Front des rechten Flügels der 6. Armee in Richtung Dpern bzw. Courtrai aus-
weichen zu lassen, ist von den Verhältnissen abhängig und muß Euer
Königlichen Hoheit Entscheidung anheimgestellt bleiben. Freilich wird kaum damit zu rechnen sein, daß der Gegner, wenn er von dem Aufmarsch der 4. Armee Nachricht erhält, bei seinem ursprüng¬ lichen Plan bleibt. In diesem Falle werden wir ihn hinter einem der Abschnitte vor der Front der 6. Armee finden, z. V. hinter dem Abschnitt Dünkirchen—Poperinghe—östlich Vailleul oder etwa hinter dem Ab-
schnitt südwestlich St. Omer—Bethune. Tritt diese Vermutung ein, so wird es Sache der 6. Armee sein, durch einen Durchbruch aus der Gegend von Arras her in nordwestlicher oder westlicher Richtung die Verbindungen des Feindes nach Frankreich zu bedrohen. Cs ist von größter Vedeutung, daß die Vorbereitungen hierzu rechtzeitig von dem A.O.K. 6 eingeleitet werden. Die nötigen Truppenkräfte ergeben sich einfach daraus, daß die 6. Armee beim Vorgehen der 4. Armee, die mit dem linken Flügel über Menin—Warneton—Merville angesetzt werden soll, sich zusammenschieben muß. Die erforderliche schwere Artillerie ist dem A.O.K. 6 durch Zuteilung des Mörser-Bataillons und der 30,5 ein-Batterie Buch überwiesen worden. Wenn die so zur Verfügung stehenden Kräfte nach Raum und Zeit fest zusammengefaßt und eingesetzt werden, ist auf einen Erfolg derselben zu hoffen. Die Ansammlung genügender Truppen an der für den Durchbruch in Aussicht genommenen Stelle wird um so weniger Schwierigkeiten machen können, als dem Gegner an vielen Stellen, sobald die Einwirkung der 4. Armee fühlbar wird, nur schwache Masken gegenüber zu bleiben brauchen ..."
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
286
Außer diesem Schreiben übermittelte General v. Wenninger noch
folgende in Stichworten mitgeschriebene mündliche Erläuterungen: „Sobald erkannt ist, daß der Feind auf das Vorgehen der 4. Armee reagiert und nicht weiter angreift, soll die 6. Armee sofort mit der Vorbereitung des Durchbruchs beginnen. Wo dieser bei Arras stattfinden soll, ob beiderseits, ob nur nördlich oder südlich der Stadt, bleibt der 6. Armee überlassen. Erster Akt: Wegnahme von Arras. Verdünnen der Linie in den verstärkten Abschnitten zur Gewinnung von Reserven. Der Durchbrach darf ja nicht zu früh erfolgen. Es muß erst die 4. Armee im vollen Kampfe stehen; dies kann frühestens am 21.Oktober der Fall sein. Es muß eine Zange gebildet werden, sonst hat der Durchbruch gar keinen Wert." Einen durch Oberst Groener am 14. Oktober übermittelten Vorschlag des Herzogs Albrecht, der 4. Armee das XIII. und XIX. Armeekorps zu überweisen, da die Leistungsfähigkeit der neuen Korps für eine so weit aus-
greifende Operation, wie sie der Armee zugedacht sei, nicht genüge, lehnte General v. Falkenhayn ab. Die Weisung der Obersten Heeresleitung für die 6. Armee vom
14. Oktober faßte zwei Möglichkeiten ins Auge. In dem Falle, daß der Feind ihren rechten Flügel in der Richtung Lille angriff, hatte sie den Anprall in ihrer neuen Aufstellung Menin—Armentieres—La Vassee anzunehmen. Wich er aber, was als wahrscheinlicher angesehen wurde, dem Stoß der 4. Armee aus, so sollte die 6. Armee seine Front in der Gegend Arras durchls.o«»ber. brechen. Aber diese beiden Möglichkeiten fanden zwischen dem 15. und 18. Oktober zwischen der Obersten Heeresleitung und dem Armee-Ober-
kommando 6 eingehende Auseinandersetzungen statt. Der geplante Durchbruch bei Amis*) fand bei den beteiligten Anterführern wenig Anklang. Insbesondere erklärte General Sixt v. Armin, daß er kein Vertrauen zu dem Gelingen des Unternehmens habe.
Die
Truppe sei völlig erschöpft. Die Wiederaufnahme des Angriffs dürfe erst nach umfassenden Vorbereitungen — Erholung und Auffüllung der Truppen, Ansammlung von Munition — erfolgen, sonst werde man auf
halbem Wege, gleich hinter Arras, wieder stehen bleiben müssen. Das Oberkommando übermittelte am Nachmittage des 15. Oktober diese Bedenken der
Obersten Heeresleitung. Da General v. Falkenhayn indes auf der Durchführung des Unternehmens bestand, entschloß es sich, den Hauptstoß nördlich Arras zu führen und hierzu das XIII. und XIX. Armeekorps heranzuziehen. Der Angriff sollte am 22.Oktober beginnen. Die bis zum Abend des 15. Oktober eingehenden Nachrichten stellten i) S. 285.
General v. Falkenhayn erwägt einen Durchbruch über Bethune.
287
vor der Heereskavallerie zwischen Armentisres und La Bassee zwei englische
und sechs französische Kavallerie-Divisionen, sowie die englische 3.,5. und 6. Infanterie-Division fest. Am 14. Oktober bei Z)pern ausgeladene seindliche Truppen waren nach Süden marschiert. Der Höhere Kavalleriekommandeur 4 war in der Nacht vom 14. zum 15. Oktober vor feindlichem
Druck hinter die Linie Armentieres—Cftaires ausgewichen. Cs entstand der Eindruck, daß der Gegner Kräfte zwischen Warneton und La Bassee, besonders am Nordteil dieser Linie, vereinige und die Absicht habe, den deutschen rechten Flügel über Armentieres anzugreifen. General v. Falkenhayn begann zu zweifeln, ob das Unternehmen der 6. Armee gegen Arras jetzt noch der Lage entspräche. In einem neuen Ferngespräch gegen 930 abends erklärte er dem Oberkommando, daß die 6. Armee
in der Freiheit ihres Handelns in keiner Weise gebunden sei. Wenn der Feind tatsächlich, wie es den Anschein habe, statt in östlicher, mehr in südöstlicher Richtung vorgehe, so sei in Erwägung zu ziehen, ob man nicht das XIII. und XIX. Armeekorps aus ihrer jetzigen Aufstellung von Osten her angreifen lassen solle. Bald darauf nahmen die Gedanken des Generals v. Falkenhayn aber wiederum eine andere Richtung. Cr erschien am 16. Oktober um 4° nachmittags im Armee-Hauptquartier in Douai, um den >«. sttoo«.
Kronprinzen Rupprecht für einen ganz neuen Plan zu gewinnen. Die engtische Armee stand bereits mit zwei Korps westlich und nordwestlich von Lille, ein weiteres wurde dort erwartet; nach neueren Meldungen mußte hier auch mit dem Austreten der englischen 7. und 8. Division gerechnet werden. General v. Falkenhayn beabsichtigte daher, die englische Armee durch einen Durchbruch über Bethune in nordwestlicher Richtung von den Franzosen zu trennen und gegen das Meer zu werfen, während gleichzeitig die 4. Armee von Osten her gegen sie vorgehen sollte. Dieser Gedanke fand indessen beim Armee-Oberkommando 6 wenig Anklang. Es neigte viel-
mehr, bestärkt durch seine Besprechungen mit den Kommandierenden Gene» ralen, der Auffassung zu, daß der Durchbruch sowohl bei Arras als auch weiter nördlich bei La Vassse in dem außerordentlich schwierigen Gelände nur wenig Aussicht aus Erfolg habe. General v. Krafft befürwortete statt dessen den am Abend des 15. Oktober von General v. Falkenhayn selbst vor»
geschlagenen Angriff des XIII. und XIX. Armeekorps aus der jetzigen Auf» stellung heraus, dem sich das Vorgehen der 4. Armee zeitlich und örtlich unmittelbar anschließen sollte. Cs sei von dieser Offensive zwar nicht die gleiche operative Wirkung zu erwarten wie von einem Durchbruch, sie sei
aber taktisch leichter ausführbar. Kronprinz Rupprecht unterstrich die Schwierigkeiten des Durchbruchs und entwickelte einen am Vormittage von ihm selbst entworfenen Plan
288
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
eines Angriffs, der am 18. Oktober beginnend, mit dem rechten Flügel dicht südlich der Lys, rein frontal gegen die Engländer geführt werden sollte. Zum mindesten werde man diese hierdurch fesseln und verhindern, sich dem umfassenden Angriff der 4. Armee zu entziehen. Oberst Tappen unterstützte
den Vorschlag und hob hervor, daß es wesentlich darauf ankomme, die Eng. länder von ihrer Verbindung mit dem Meere abzudrängen. General v. Fal-
kenhayn beharrte indes zunächst bei seiner Absicht. Bei einer erneuten Be¬ sprechung am Abend des Tages gelang es dem Kronprinzen Rupprecht dann aber doch, ihn für einen Angriff der 6. Armee zwischen der Lys und dem Kanal von La Bassse in westlicher Richtung zu gewinnen. Die Lage an der Kampffront hatte sich nur insofern geändert, als die
Heereskavallerie sich auf Befehl des Armee-Oberkommandos aus ihrer bisherigen Stellung gelöst hatte und hinter die am 15. Oktober von der Insanterie erreichte Linie zurückgenommen worden war. Die Nachrichten über den
Feind hatten eine Ergänzung dahin erfahren, daß jetzt das englische II. und III. Korps in der Gegend westlich und nordwestlich von Lille festgestellt waren, das I. wurde ebenfalls dort erwartet.
Die Anwesenheit der eng.
tischen 7. Infanterie-Division in Frankreich wurde erneut bestätigt. Eine Anfrage der Obersten Heeresleitung an die 4. Armee, ob die Übergänge über den Kanal von Nieuport bis einschließlich Voesinghe vom Feinde frei und benutzbar seien, wurde dahin beantwortet, daß man noch keinen Einblick in die dortige Gegend gewonnen habe; alle Nachrichten besagten, daß der Feind auf Dünkirchen zurückginge. Die 4. Armee werde morgen, am 17. Oktober, die Linie Middelkerke—Leke (nördlich Difchhof) und Brügge
(ausschließlich)—Thielt—Vichts erreichen.
Dem Obersten Kriegsherrn
meldete General v. Falkenhayn aus Douai, wo er die Nacht verbrachte:
„Äber englische Bewegungen noch keine Klarheit. Eine Kolonne marschierte von Z)pern Richtung Menin. Ernstlich angegriffen haben Engländer leider nirgends." 17. Ott«*«. Am 17. Oktober gelangten die Auseinandersetzungen über die von
der 6. Armee zu wählende Angriffsrichtung endlich zum Abschluß. Die ausschlaggebende Bedeutung, die General v. Falkenhayn ihrer Beteiligung
beimaß, läßt darauf schließen, daß die zahlreichen Zweifel, die allerorts über die volle Kriegsbrauchbarkeit der neuen Korps geäußert waren, ihren Eindruck auf ihn nicht verfehlt hatten. Zunächst begab er sich in der Frühe des 17. Oktober zum Armee-Oberkommando 4 nach Gent. Auf der Fahrt dorthin begegnete er Truppen der neuen Reservekorps, die im allgemeinen einen guten Eindruck machten. Bei seinem Eintreffen in Gent lagen dort Nachrichten vor, daß der Feind den Dpern-Kanal vor der ganzen Front der Armee besetzt habe, anscheinend mit Nachhuten. Die Kanalbrücken waren
Die 6. Armee soll den Feind fesseln.
289
vielfach gesprengt worden. Nach Telegrammen, die man auf dem inzwischen besetzten Postamt Ostende vorgefunden hatte, sammelte der belgische Kriegsminister den Rest der belgischen Armee bei Dttnkirchen und Calais. Vor dem linken Flügel des III. Reservekorps waren Teile der englischen
7. Infanterie-Division und die englische 3. Kavallerie-Division festgestellt worden. Dem III. Reservekorps war vormittags seitens des Armee-Ober¬ kommandos 4 befohlen worden, am 18. Oktober die Kanalübergänge zwischen Nieuport und Stuyvekenskerke^) in Besitz zu nehmen und, falls dies ohne
ernsten Kampf geschehen könne, bis Furnes vorzurücken. Rachmittags kehrte General v. Falkenhayn wieder nach Douai zum Armee-Ober-
kommando 6 zurück. Dort waren inzwischen Meldungen eingelaufen, daß der Feind seine Infanterie auf der ganzen Front von La Bassee bis Warneton näher an die deutschen Linien heranschob.
Cs bestand jetzt ein klares Bild über den Aufmarsch der englischen Armee. Bei Roulers war die englische 7. Infanterie-Division anzunehmen, nördlich Wervicq—Comines die verstärkte 1. Kavallerie-Division und
6. Infanterie-Division (III. Korps), anschließend von Warneton bis Armentisres die 4. Infanterie-Division (III. Korps) und die 2. KavallerieDivision. Südlich anschließend bis B6thune befand sich das englische II. Korps; das englische I. Korps fehlte noch.. Ob die englische Armee angreifen würde, war ungewiß. Nach Ansicht des Kronprinzen Rupprecht war der Augenblick noch nicht gekommen, um den rechten Flügel der 6. Armee vorgehen zu lassen. Es schien angebracht, den Angriff auf den 20. Oktober zu verschieben, bis man mit der 4. Armee unmittelbare Fühlung
gewonnen hatte. Sollte der Feind vorher zurückgehen, so war ein sofortiges Nachstoßen mit dem XIII., XIX. Armeekorps, der 14. Infanterie-Division und dem rechten Flügel des XIV. Armeekorps geboten, dem sich dann die ganze Front nördlich Arras anschließen sollte. General v. Falkenhayn hatte indessen den Gedanken eines Durchbruchs und der Absprengung der englifchen Armee noch nicht völlig aufgegeben; er kam bei der Besprechung am
17. Oktober erneut auf ihn zurück, obwohl sich sowohl Kronprinz Rupprecht als auch General v. Krafft mit aller Entschiedenheit gegen diesen Plan aussprachen. Sie glaubten nicht, daß man die erforderlichen Kräfte werde verfügbar machen können, um den Durchbruch genügend weit nach NordWesten ausdehnen zu können, besonders da das Gelände für den Angriff
ungünstig schien. Nach ihrer Meinung konnte die 6. Armee nicht mehr leisten, als den Feind fesseln. Die Hauptarbeit müsse der 4. Armee zufallen. Schließlich verständigte man sich auf folgende drei Fälle: Setzten ')Hierzu Karte 11 (1 :200 000). Weltkrieg. V. Land.
19
290
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
die Engländer ihre Umfassung gegen den rechten Flügel der 6. Armee in der
bisherigen Richtung fort, so hatte die Armee in ihrer gegenwärtigen Auf¬ stellung zu verbleiben und den Angriff nach Westen im Anschluß an die 4. Armee vorzubereiten. Wandten die Engländer sich vorzugsweise gegen
die 4. Armee, so sollte die 6. Armee versuchen, nach Westen vorzubrechen. Wichen die Engländer aus, so sollte die 6. Armee südlich der Lys nach¬ stoßen. Außerdem war für alle Fälle in der Gegend Souchez eine Nebenoperation vorzubereiten und hierfür die im Antransport von Antwerpen
befindliche schwere Artillerie bereitzustellen, um feindliche Kräfte zu binden. 18. Oktober.
Am Vormittage des 18. Oktober kehrte General v. Falkenhayn in
das Große Hauptquartier zurück. Dort erhielt er im Laufe des Nachmittags und Abends Meldungen, daß das III.Reservekorps") vor Nieuport, das vom
Gegner brückenkopfartig befestigt war, in ernsten Kampf getreten, auch Dirmude, Staden, Westroosebeke vom Feinde besetzt waren. Englische Kriegsschiffe hatten das Feuer gegen die rechte Flanke des III. Reservekorps bei Westende aufgenommen. Die 6. Armee meldete, daß auf La Bassöe starkes Feuer englischer und französischer Artillerie liege und man dort mit einem
feindlichen Angriff rechne.
Englische Infanterie hätte sich im Lause des
Tages gegen die Front der 14. Infanterie-D ivifion°) vorgearbeitet. Auch gegen das XIX. Armeekorps hätte der Feind vorgefühlt. Sein äußerster linker Flügel, die englische 7. Infanterie-Division, stand nach Osten zurückgebogen bei Vieux Ehien (10 km südöstlich Z)pern) und hatte nach einem
aufgefundenen Befehl Auftrag, sich vorläufig rittlings der Straße Dpern— Menin einzugraben.
Die 6. Armee wollte in der Nacht vom 18. zum
19. Oktober das XIII. Armeekorps durch das 4. Kavalleriekorps, das hier¬ für durch eine Division des Höheren Kavalleriekommandeurs 2 verstärkt werden sollte, ablösen lassen und in dem Räume um Lille zum Angriff füdlich des XIX. Armeekorps bereitstellen. Für den Nachmittag des 18. Oktober hatte General v. Falkenhayn die Chefs der 2., 1., 7. und 3. Armee zu einer Besprechung nach Mezisres berufen lassen. Cr wies darauf hin, daß ebenso wie die bisherigen Amfaffungsverfuche der 6. Armee so auch der bevorstehende Angriff der 4. Armee
nach den vorliegenden Nachrichten wahrscheinlich auf frontalen Widerstand stoßen würde. Zur Herbeiführung einer Entscheidung sei es daher erforderlich, die Umfassungsoperation durch einen Durchbruchsversuch zu ergänzen. Auf Vorschlag des Generalmajors v. Kühl wurde die alte Durchbruchsstelle westlich Roye dafür wieder in Aussicht genommen. Die Leitung S. 295 ff. — 2) S. 292 f.
Durchbruch über Roys als Crgänzungsoperation.
291
des Angriffs wurde Generaloberst v. Vülow übertragen. Die 1. Armee wollte außer dem IX. Reservekorps noch eine weitere Division, die 7. Armee das XV. Armeekorps zur Verfügung stellen. Die 3. Armee hatte dafür einen Teil der-Front der 7. Armee zu übernehmen. Das XV. Armeekorps sollte in der Nacht vom 19. zum 20.Oktober herausgelöst werden. Als Zeitpunkt des Angriffsbeginns wurde der 24. Oktober bestimmt. Am Abend des 18. Oktober war endlich nach langem und schwerem
Ringen der sich entgegenstehenden Anschauungen der letzte große Amfafsungsverfuch an der Westfront endgültig festgelegt. Cr ergab sich zu einem wesentlichen Teil aus dem Zwang der Lage, da es dem Feind gelungen war, starke Kräfte, anscheinend die Hauptteile der englischen Armee, der sich die aus Antwerpen entkommene belgische Armee und wohl auch französische Truppenverbände zugesellten, für den Endkampf in Flandern rechtzeitig verfügbar zu machen. Seine Absichten waren noch nicht ganz klar. Cs lag noch immer die Möglichkeit vor, daß die englische Armee in der Richtung Lille angreifen werde. Zwischen Apern und dem Meere hatte man bisher nur die Nachhuten der belgischen Armee und einige englische Verstärkungen festgestellt. Cs war aber nicht gelungen, Einblick in das Gelände westlich des
Jpern-Kanals zu gewinnen. In der Gegend von Nieuport hatten sich ernste Kämpfe entwickelt. Im ganzen aber schien die Lage nicht ungünstig.
?. Die Vorbereitungen zur Llandernoffensive bei der 6. Armee vom 14. bis 19.Oktober. Hierzu Karten 8 und 10 (1:1000 000).
Als beim Oberkommando der 6. Armee am 13. Oktober die Änderung ,z. Oktober,
in den operativen Absichten des Generals v. Falkenhayn") bekanntgeworden war, blieb nichts anderes übrig, als für den 14. Oktober die vorüber-
gehende Einstellung des Angriffs des rechten Armeeflügels, der durch die Heereskavallerie gedeckt werden sollte, anzuordnen. Die Offensive der 6. Armee, die am 23. September zwischen der Somme und der Oise be° gönnen und Anfang Oktober in den Kämpfen bei Arras ihren Höhepunkt
erreicht hatte, war damit als selbständige und entscheidend gedachte Hauptkampfhandlung zum Abschluß gelangt. Durch den in der Nacht vom 13. zum
14. Oktober in das Große Hauptquartier befohlenen Oberstleutnant v. Mertz hatte das Oberkommando genaueren Aufschluß über die veränderte Auffassung des Generals v. Falkenhayn und über seine neuen Absichten er-
halten^). Hiernach hatte sich die 6. Armee in der nächsten Zeit völlig defensiv zu verhalten. Die Oberste Heeresleitung hoffte, den Gegner in einen „Sack" i) 6.281 f. — 2) ®. 282.
19*
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
zu locken, der dann von Norden und Nordosten durch die 4. Armee ge-
schloffen werden sollte. Die für den 15. Oktober getroffenen Anordnungen des Armee-Oberkommandos, das am 14. Oktober sein Hauptquartier nach Douai verlegt hatte, trugen den Wünschen des Generals v. Falkenhayn Rechnung. Das XIII. Armeekorps sollte Menin—Warneton (ausschließ, lich), das XIX.anschließend Frslinghien—Westseite von Lille—Beau-
otmps*) (ausschließlich), die 14. Infanterie-Division Veaucamps—La Vassse (ausschließlich) besetzen. Die Lys-Äbergänge waren zu halten, in Armentisres blieben Vortruppen des XIX. Armeekorps. Der Höhere Kavalleriekommandeur 4 sollte, vom Feinde gedrängt, auf Menin ausweichen. Die Höheren Kavalleriekommandeure 2und 1 hatten möglichst lange in ihrer jetzigen Aufstellung zu verbleiben. ind is.or. An der Front hatten im Laufe des 14. Oktober die deutsche Heeres°ct* kavallerie und das XIV. Armeekorps feindliche Angriffe erfolgreich abgewehrt, nur der rechte Flügel des 2. Kavalleriekorps hatte gegen Abend vor
starkem feindlichen Druck nach Nordosten zurückgebogen werden müssen. Die Fliegererkundung hatte Truppenbewegungen von Z)pern auf Armentiöres gemeldet, außerdem wurden zwischen Vailleul und La Vassee die englische 3. und 5. Infanterie-Division festgestellt. Das 1. und 2. Kavalleriekorps glaubten sich auch am 15. Oktober noch in ihren Stellungen halten zu können, während das 4. Kavalleriekorps am Abend des 14. Oktober in die
Linie Armentieres—Sailly zurückgenommen wurde, da sich feindliche Kräfte gegen seine rechte Flanke vorschoben. Das XIII. Armeekorps marschierte in den Raum nördlich Lille und leitete die Erkundungen zur Besetzung der Lys-Linie ein. In der Nacht vom 15. zum 16. Oktober wurde dann die
gesamte Heereskavallerie hinter die Vorposten der 14. Infanterie-Division, die am 15. Oktober in die Linie Radinghem—Aubers—Richebourg ein-
gerückt waren, zurückgezogen und in den Raum südlich Lille (Höhere Kavalleriekommandeure 1 und 2) und nördlich Lille (Höherer Kavalleriekommandeur 4) in Ruhequartiere gelegt. Die Lage an der übrigen Armeefront war am 14. und 15. Oktober unverändert geblieben, das XIII. und
XIX. Armeekorps und die 14. Infanterie-Division hatten im Laufe des 15. Oktober die am vorhergehenden Abend befohlenen Stellungen besetzt, die 29. Infanterie-Division ihren rechten Flügel in der Nacht vom 15. zum 16. Oktober auf La Vassee zurückgebogen, um Anschluß an die 14. Infan-
terie-Division zu gewinnen. In den letzten Tagen waren reichliche Crsatztransporte bei den Korps eingetroffen, und es war hierdurch eine willkommene, wenn auch immer noch ungenügende Ausfüllung der geschwächten Verbände eingetreten. Am *) Hierzu Karte 7 (1 :300 000).
Der rechte Flügel der 6. Armee hält die Linie Menin—Warneton—La Bassee. 293
niedrigsten waren immer noch die Gefechtsstärken beim IV. Armeekorps mit 8000 Mann, das Gardekorps zählte 10 000, das XIII. Armeekorps 16 000, das I. bayerische Reservekorps 12 000, das XIX. Armeekorps (3 Brigaden) 12000 Mann Infanterie. Am 15. Oktober teilte General v. Falkenhayn mit, daß der Vormarsch der 4. Armee schon am 17. Oktober beginnen könne und daß sie dementsprechend voraussichtlich am 20. Oktober Fühlung mit dem Gegner ge° Winnen werde. Das Oberkommando 6 nahm daraufhin den 20. Oktober für die Eröffnung des Feuers gegen Arras, den 22. Oktober für den Beginn des
Infanterie-Angriffs in Aussicht. Der Hauptstoß sollte nördlich Arras durch das XIV., VII. Armeekorps und I. bayerische Reservekorps geführt werden, dem das XIII. und XIX. Armeekorps in zweiter Linie folgen sollten. Die
Fliegeraufklärung hatte festgestellt, daß bei Dünkirchen Verteidigungsvorbereitungen getroffen wurden und starke feindliche Kräfte aller Waffen im Bahntransport sowie mit Fußmarsch dem Räume südwestlich Apern von Norden und Süden her zustrebten. An der Front kam es am 16. Oktober zu keinen größeren Kämpfen 16< ®«o6ct*
mehr. Die vorgeschobene Stellung von Armentiöres wurde vor stärkerem feindlichen Druck vom XIX. Armeekorps aufgegeben.
Angesichts der Unklarheit der feindlichen Absichten, entschloß sich das Oberkommando, die Entwicklung in den nächsten Tagen noch abzuwarten, bevor endgültige Anordnungen getroffen würden. Im allgemeinen schien sich die Lage den Wünschen der Obersten Heeresleitung entsprechend zu gestalten. Die Engländer dehnten sich am 17. und 18. Oktober nach Osten bis in die Gegend von Roulers aus. Sie fühlten allerdings nach wie vor nur zögernd gegen den rechten Flügel der 6. Armee vor, ohne ernstlich anzugreifen. In der Mitte der Armee fanden am 17. Oktober nur
örtliche Kämpfe statt, in deren Verlauf die Vorposten der 14. InfanterieDivision auf die Hauptstellung zurückgedrückt wurden. Die 2. KavallerieDivision wurde aus der Gegend östlich Arras in den Raum westlich Orchies herangezogen und dem Höheren Kavalleriekommandeur 2 unterstellt. An der Front verliefen die Tage vom 17. bis zum 19. Oktober ohne besondere
Ereignisse. Das Oberkommando bereitete
entsprechend den Anordnungen der
Obersten Heeresleitung den Angriff des rechten Armeeflügels für den 20. Oktober vor.
Als Angriffstruppen wurden die Heereskavallerie, das
XIII., XIX. und aUdesVII.Armeekorpssowieeinezusammengesetzte Division des XIV. Armeekorps, bestimmt. Für den Fall, daß die Engländer zurückgingen, beabsichtigte der Oberbefehlshaber mit den ver-
ftigbaren Kräften, zunächst der Heereskavallerie, sofort nachzustoßen.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
294
Das XIII. Armeekorps war durch das 4. Kavalleriekorps abzulösen und in der Nacht vom 18. zum 19. Oktober in den Raum südwestlich Lille zu verschieben, um beim Beginn des Angriffs südlich des XIX. Armee-
korps eingesetzt zu werden. Die Ablösung sollte sich in der Weise vollziehen, daß die 3. Kavallerie-Division den Brückenkopf Menin, die 6. KavallerieDivision die Stellungen bei Halluin und Vousbecque, die bayerische Kavallerie-Division Wervicq—Comines, die 9. Kavallerie-Division die Stellungen bis Warneton übernahm. Für den Fall, daß der Gegner vor dem Angriff der 4. und 6. Armee auf die Höhenstellung St. Omer— Bethune zurückgehen würde, war ein Durchbruchsversuch in dem Gelände nordwestlich Arras bei Aix Roulette—Mont St. Cloy geplant, für den die Masse der schweren Artillerie der Armee, deren Feuer nach Raum und Zeit so stark als möglich zusammengefaßt werden sollte, einzusetzen war. Die Befürchtungen, daß die Engländer am 19. Oktober in Erkenntnis der ihnen von der 4. Armee drohenden Gefahr zurückgehen würden, fanden keine Be-
stätigung. Sie griffen allerdings auch nicht an, schanzten vielmehr auf der ganzen Front, wodurch sich die Aussicht auf ein rasches Vorwärtskommen des rechten Armeeflügels bei dem bevorstehenden Angriff sehr verminderte. Die für den Angriff in Aussicht gestellte Munitionsmenge genügte nur für ein zwei- bis dreitägiges starkes Feuer, war also nach Ansicht des Armee-
Oberkommandos viel zu gering. Auf defsen ernstliche Vorstellungen hin versprach General v. Falkenhayn, den Wünschen nach Möglichkeit Rechnung tragen zu wollen. Der am 19. Oktober um 12° mittags erlassene Angriffsbefehl für den 20. ordnete an, daß das XIX. Armeekorps beiderseits der Lys, linker Flügel
über Prsmesques—Cstaires, das XIII. Armeekorps anschließend mit linkem Flügel über Beaucamps—Aubers—Vieille Chapelle, weiterhin das VII. Armeekorps (ohne 1I213.Infanterie-Division)mitlinkemFlüge La Bassße—Givenchy (ausschließlich) vorgehen sollten. Das XIV. Armeekorps sollte sich ebenfalls am Angriff beteiligen. Die übrigen Korps hatten ihre Stellungen zu halten. Der Höhere Kavalleriekommandeur 4 mit unterstelltem Höheren Kavalleriekommandeur 1 und der 9. Kavallerie-Division
sollten die Lys überschreiten, den südlich Z)pern stehenden Feind fesseln und verfügbare Kräfte gegen Flanke und Rücken des vor dem XIX. Armeekorps
stehenden Feindes entsenden. Der Höhere Kavalleriekommandeur 2 blieb als Armeereserve in Gegend Seclin. Das I. bayerische Reservekorps wurde angewiesen, am 2V. Oktober den Angriff gegen die Linie Ceurie—St. Laurent zu beginnen und damit den geplanten Durchbruch nördlich Arras ein-
zuleiten. Am Abend des 19. Oktober wurden die Aussichten für die bevorstehende
Die 6. Armee befiehlt den Angriff für den 20. Oktober.
295
Entscheidungsschlacht günstig beurteilt. Es herrschte nach all den Schwankungen, die dem endgültigen Entschluß vorangegangen waren, jetzt volle Übereinstimmung zwischen der Obersten Heeresleitung und den beiden Oberkommandos. Der An- und Aufmarsch der Truppen war planmäßig durchgeführt. Die neue deutsche Angriffsgruppe stand in tiefem Bogen,
beide Flügel scharf vorwärtsgestaffelt, angriffsbereit. Die Hoffnung, daß der Feind in den „flandrischen Sack" hineingehen würde, hatte sich freilich nicht erfüllt.
Die erste Entscheidung lag nunmehr bei den alten kämpf-
erprobten Korps bei Nieuport und bei La Bassße—Armentisres. Die neuen
Reservekorps erwarteten voraussichtlich nur leichtere Kämpfe. Hatten die Flügel mit ihrem Angriff Erfolg, so fiel der Mitte nur die Aufgabe der Verfolgung zu.
4. Der Aufmarsch und Vormarsch der 4. Armee . bis zum 19. Oktober. Hierzu Karten 8 und 10 (1 : 1 000 000), 11 (1 : 200 000) und Skizze 4.
Wenige Stunden nachdem General v. Beseler am Abend des 9. Oktober g. otto&er.
der Obersten Heeresleitung die Besetzung von Antwerpen gemeldet hatte, erhielt er bereits von General v. Falkenhayn Befehl, sobald als möglich mit dem III. Reservekorps auf Courtrai vorzumarschieren"). Von den ihm unterstellten Truppen standen das III. Reservekorps, die Marine-Division und die 26. Landwehr-Brigade in und bei Antwerpen östlich der Scheide, die
verstärkte 4. Ersatz-Division mit Teilen (1. bayerische Landwehr-Brigade, 37. Landwehr-Brigade, 9. Ersatz-Brigade) im Räume Moerbeke—Lokeren und westlich davon, mit dem Rest (13. und 33. Ersatz-Brigade) Westlich Termonde. Die aus Gent in Marsch gesetzte 1. Reserve-ErsatzBrigade hatte in verlustreichen Kämpfen gegen überlegenen Feind Quat-
recht (10 km südöstlich Gent) genommen2).
Da die Divisionen dringend
eines Ruhetages zur Ordnung ihrer Verbände und zur Durchführung der
erforderlichen Ablösungen bedurften, konnte der befohlene Vormarsch auf Courtrai erst am 11. Oktober angetreten werden. Inzwischen ließ General v. Beseler, in der Hoffnung, doch noch Teile der belgischen Armee auf dem io. unt>«. westlichen Schelde-Afer abzuschneiden, am 19. Oktober die 4. Ersatz-Division to6et' von Lokeren in östlicher Richtung gegen die Westfront der Festung vorgehen. Die Division stand am Abend beiderseits St. Rieolas zwischen der Scheide
und der holländischen Grenze, ohne jedoch auf nennenswerte belgische Kräfte gestoßen zu sein. 1) 6.243 und 280. — 2) 0.241.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
296
Für den 11. Oktober befahl General v. Veseler, daß die 4. ErsatzDivision wieder in die Gegend von Lokeren zurückmarschieren solle, während die 5. Reserve-Division Termonde, die 6. Wolverthem zu erreichen hatten. Die Fliegererkundung meldete sämtliche nach Gent führenden und von
hier ausgehenden Straßen frei, die Stadt selbst durch einige Bataillone mit Artillerie schwach besetzt und durch Schützengräben verstärkt. Starker Zugverkehr von Gent auf den über Brügge und Thielt nach Ostende führenden
Bahnen ließ auf die Abzugsrichtung der belgischen Armee schließen. Ziernach war mit der Räumung des Genter Kanalabschnittes und dem weiteren
Rückzug der Belgier nach der flandrischen Küste zu rechnen. i2,otto&et.
Am 12. Oktober setzte das III. Reservekorps den Marsch fort. Die ihm unterstelltes 4. Ersatz-Division erreichte Gent, das vom Gegner geräumt war, die 5. Reserve-Division Zwynaerde (südlich Gent), die 6. ReserveDivision Oordegem (10 km westlich Alost). Die 37. Landwehr- und 1. bayerische Landwehr-Brigade, die den Vormarsch des III. Reservekorps mit Einverständnis des Generalfeldmarschalls Freiherrn v. der Goltz vor-
läufig begleiteten, waren auf Selzaete am Genter Kanal in Marsch gesetzt. Die weiteren Nachrichten, namentlich auch von der Luftaufklärung, über den Feind bestätigten feinen Rückzug nach der Küste sowie in der Richtung
Thourout—Dixmude. Bei Ostende waren schwache Befestigungsanlagen festgestellt. Im Hafen fanden Truppenverladungen statt, ob Ein- oder Ausladungen war mit Sicherheit nicht zu erkennen.
Die von der Obersten Heeresleitung befohlene Marschrichtung auf Courtrai entsprach nach Ansicht des Generals v. Beseler nicht der Lage. Cr war der Auffassung, daß ein mehr nördlicher Vormarsch die Aussicht biete, die auf die Küste zurückgehenden Teile der belgischen Armee gegen das Meer zu werfen. Am dem Befehl der Obersten Heeresleitung nicht entgegen zu handeln, wählte er den Ausweg, die Divisionen in breiter Front vorgehen
zu lassen, rechter Flügel auf Thourout, linker auf Courtrai; hiergegen erhob die Oberste Heeresleitung keine Einwendungen. i3. sttodcr.
Der Vormarsch am 13. Oktober erfolgte unter leichteren Kämpfen mit
feindlichen Nachhuten. Die Divisionen erreichten die Linie Ursel—Lostenhülle—Deynze—Gavere—Paulaethem. Die 1. bayerische LandwehrBrigade und die 37. Landwehr-Brigade besetzten Selzaete. Im Verhalten des Gegners war keine Veränderung festzustellen. Er setzte ohne Widerstand seinen Rückzug über Brügge—Thielt nach der Küste und in westlicher Richtung fort. Die Fliegeraufklärung meldete Brügge und Ooftcamp (südlich Brügge) besetzt und Zugverkehr von Brügge nach Thourout und Ostende.
i) S, 280.
Das III. Reservekorps soll sich im Vormarsch nach Norden zusammenziehen.
297
Für den 14. Oktober entschloß sich General v. Veseler im Einvernehmen i4. s«»ber.
mit Herzog Albrecht und Generalfeldmarschall Freiherrn v. der Goltz, das Korps unter Aufgabe der Richtung auf Courtrai in den Raum Brügge— Thielt zu verschieben. Die Ziele wurden kampflos erreicht. Am Abend stand die 4. Ersatz-Division in Brügge, die S. Referve-Division südlich bis in Gegend von Ruddervoorde, die 6. Referve-Division bei Thielt und Einste. Die 37. Landwehr-Brigade wmde bis Maldegem, die 1. bayerische Landwehr-Brigade dicht an die holländische Grenze bis St. Laurent nachgezogen; beide unterstanden noch dem Generalgouvernement. Inzwischen war bei der Obersten Heeresleitung der Entschluß gereift), den rechten Flügel der 6. Armee zunächst zu verhalten, um den Feind zu veranlassen, möglichst weit in Flandern vorzugehen und dann nach Süden
einzuschwenken. Die Entwicklung der Lage beim III. Reservekorps schien diesem Plan entgegenzukommen^). Es war erwünscht, den rechten Flügel der 4. Armee zu verstärken und nach rechts vorwärts zu staffeln, um im Ver-
lauf der Operation dem Feinde von Norden her den Rückzug zu verlegen. Dementsprechend hatte General v. Falkenhayn am 13. Oktober abends be-
fohlen, daß das III. Reservekorps sich nach Norden zusammenziehen und am 14. Oktober die Linie Brügge—Lootenhulle erreichen solle°). Am gleichen Tage wurde es der 4. Armee unterstellt.
Deren Oberbefehlshaber, Herzog Albrecht von Württemberg, war, wie erwähnt), am 10. Oktober mit seinem engeren Stabe in dem zukünftigen
Armee-Hauptquartier Brüssel eingetroffen.
Mit dem Beginn der Aus-
ladungen der im Antransport befindlichen Reservekorps war vom 13. Oktober ab zu rechnen. Bei planmäßigem Transportverlauf konnte der Vormarsch am 18. Oktober aus der Linie Lokeren—Lessines angetreten werden. Als Aus-
ladeorte waren bestimmt für das XXII. Reservekorps Termonde—Alost— Brüssel, für das XXIII. Reservekorps Denderleeuw—Brüssel, für das XXVI. Reservekorps Grammont—Cnghien, für das XXVII. Reservekorps Leuze—Ath. In einer bereits am 12.Oktober stattgehabten Besprechung mit vorausgesandten Generalstabsoffizieren der Korps hatte der Chef des Generalstabes der 4. Armee, Generalmajor Ilse, der Auffassung der Lage seitens des Oberkommandos 4 dahin Ausdruck gegeben, daß der linke Heeresflügel des Feindes in Gegend Lille sich dauernd verstärke; in Dünkirchen entstünden neue Besestigungen. Es sei beabsichtigt, die Armee aus ihrem breiten Aufmarschräum im Verlauf des Vormarsches nach Norden zusammenzuziehen. Werde 2) S. 281 f. — 2) 0.283. — 3) Veim Generalkommando des III. Reservekorps
lies dieser Befehl erst am 14. Oktober, 5° nachmittags, ein. am Tage zuvor erreicht worden. — 4) S. 279.
Lootenhulle war bereits
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
29s
der Gegner bei Lille aber zu stark, so müsse man die Kräfte mehr in dieser
Richtung zusammenfassen. Entscheidenden Widerstand frühestens in der Linie Dünkirchen—Lille zu finden.
erwarte man
Am 14. Oktober traf beim Oberkommando 4 die Anweisung^) des Generals v. Falkenhayn ein, am 18. Oktober nicht von Ceeloo—Anseghem, sondern aus der Linie Arsel—Anseghem anzutreten, mit dem linken Flügel über Menin auf Merville. Das der Armee unterstellte verstärkte
III. Reservekorps hatte auf deren rechtem Flügel scharf vorwärts gestaffelt längs des Meeres vorzumarschieren. Falls der Feind den deutschen Angriff in weiter rückwärts gelegenen Stellungen erwartete, hatte die 4. Armee frontal anzugreifen, während der 6. Armee die Aufgabe zufiel, die feindlichen Linien in der Gegend Arras zu durchbrechen. Auf die Notwendigkeit sparsamen Munitionsverbrauchs war eindringlich hingewiesen worden. Die geplante Verwendung des III. Reservekorps auf dem rechten Armeeflügel war dem Herzog Albrecht sehr willkommen. Es schien ihm jedoch notwendig, das weitere Vorgehen des Korps in engeren Zusammen¬ hang mit den Hauptkräften zu bringen. Er richtete dementsprechend am 15. Oktober. 15. Oktober 530 vormittags an General v. Veseler folgenden Befehl:
„Die Oberste Heeresleitung hat heute, den 14. Oktober 1914, 1030 abends, mitgeteilt, daß das III. Reservekorps und die ihm zugeteilte 4. Ersatz-Division der 4. Armee unterstellt worden ist. An dem für die Vorwärtsbewegung des verstärkten III. Reservekorps erlassenen Befehl für den 15. Oktober wird von feiten des Armee-Oberkommandos 4 nichts
geändert. Dagegen fordern die Nachrichten vom Feinde dazu auf, daß das III. Reservekorps seine Vorwärtsbewegung am 16. Oktober zunächst nicht fortsetzt, sondern, wenn irgend angängig, in der Linie Ostende—Thourout stehenbleibt. Ostende ist stark zu besetzen, Aufklärung gegen die Linie Dünkirchen—Cassel—Vailleul vorzutreiben. 4. Armee wird ihren Auf¬ marsch bis 16. Oktober abends vollendet haben und aus der Linie Arsel—
Anseghem den Vormarsch in allgemeiner Richtung Thielt—Z)pern—Zazebrouck (mittlere Vormarschlinie) am 17. Oktober morgens antreten.
Die
Absicht unseres rechten Heeresflügels nordwestlich von Lille besteht darin, die Linie Menin—Armentieres und südlich nicht zu überschreiten, sondern die Bewegung der 4. Armee und des III. Reservekorps abzuwarten. Nörd¬
lichster französischer Flügel steht bei Berthen, 6 km nordwestlich Bailleul. 3m Anmarsch sind gemeldet starke Kräfte von St. Omer auf Hazebrouck und von Dünkirchen auf Cassel. Auch die englische 8. Division soll bei Dünkirchen ausgeladen werden. Hieraus dürfte sich für Euer Exzellenz die Roti) S. 283f.
Der Vormarsch des III. Reservekorps wird angehalten.
299
wendigkeit ergeben, die Linie Ostende—Thourout zunächst nicht zu über-
schreiten."
Beim General v. Veseler hatten am 14. Oktober neue Nachrichten von
Belang über den Verbleib der belgischen Armee nicht vorgelegen. Cs bestand weiterhin der Eindruck, daß die Hauptteile von Brügge auf Ostende zurückgegangen seien. Nach Agentennachrichten war Ostende befestigt und mit schwerer Artillerie armiert. Cs war daher mit ernstem Widerstande zu rechnen. Die 4. Ersatz-Division und die 5. Reserve-Division erhielten AnWeisung, am 15. Oktober die Beschießung von Ostende einzuleiten. Die 6. Reserve-Division sollte die Gegend von Thourout erreichen. Diese Maßnahmen erwiesen sich indessen als überflüssig, da sich im Laufe des Vormittags des 13. Oktober herausstellte, daß Ostende geräumt war. Die 4. Ersatz-Division rückte in die Stadt ein und besetzte gleichzeitig Zeebrugge und Vlankenberghe. Es wurden erhebliche Mengen von Ausrüstungs- und
Verpflegungsgegenständen erbeutet, die auf eiligen Abzug des Feindes schließen ließen. Nach Cinwohneraussagen und aufgefundenen Briefen hatten sich die Belgier und Engländer nach Dünkirchen eingeschifft. Am Abend stand die 4. Erfatz-Division im Räume Vlankenberghe—Ostende— Brügge, die 5. Reserve-Division südlich und südöstlich Ostende bei Moerdyk—Cttelghem, die 6. Reserve-Division bei Thourout—Roulers, Sicherungen bis Cortemarck—Oostnieuwkerke vorgeschoben. General v. Veseler wollte am 16. Oktober den Vormarsch bis zur Wer
fortsetzen. Diese Absicht wurde durch den vorerwähnten Vefehl des Ober¬ kommandos 4 verhindert. In dem hierüber stattfindenden Gedankenaustausch wies Generalmajor Ilse darauf hin, daß es dem Oberkommando erwünscht sei, den Gegner die Äser überschreiten zu lassen und ihn erst östlich des Flusses anzugreifen, um eine bessere Flankenwirkung zu erzielen. Außer-
dem habe ein vorzeitiger Zusammenstoß des III. Reservekorps mit vielleicht
stark überlegenen Kräften erhebliche Bedenken. Die selbständige Tätigkeit des III. Reservekorps hatte damit ihr Ende erreicht. Der fast kampflose Vormarsch durch Nordbelgien bis zum Meere krönte das Werk der Eroberung von Antwerpen. Zum erstenmal in diesem Kriege stand ein stärkerer geschlossener Heeresverband an der belgischen
Küste. Für die Weiterführung des Seekrieges eröffneten sich damit bedeutsame Aussichten. Aber auch für den Landkrieg bedeutete der Tag der Besetzung Ostendes einen Markstein. Das Meer setzte jetzt der freien Operation die Grenze. Die Küste wies dem deutschen rechten Heeresflügel unverrückbar den Weg. Sie beseitigte zugleich aber auch den Alpdruck der Gefahr einer feindlichen Umfassung. Der Verlauf der Operationen war
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
300
jetzt unabänderlich festgelegt! Flandern führen.
Cr mußte zur letzten Entscheidung in
Die Hoffnung des Armee-Oberkommandos 4, zwischen Lille und dem Meere nur auf schwachen Gegner zu stoßen, schien sich in den nächsten Tagen erfüllen zu wollen. Der am rechten Flügel der 6. Armee stehende Höhere Kavalleriekommandeur 41) berichtete über Ausladungen am 15. Oktober in Z)pern und Bewegungen von dort nach Süden. Bei Menin
standen Aufklärungsabteilungen. Meldungen des III. Reservekorps über englische und belgische Truppen bei Wercken und über Abtransports von
Dixmude nach Westen ließen auf den weiteren Rückzug der belgischen Armee in Richtung Dünkirchen schließen. Das Oberkommando 6 teilte am ,6. Oktober. 16. Oktober mit, daß der Feind gegen den in der Linie Menin—Armentisres
stehenden Armeeflügel vorsichtig heranfühle. Allerdings war es wahrscheinlich, daß der Gegner das Auftreten der neuen deutschen Armee in seiner Flanke rechtzeitig bemerken werde, da er
durch die belgische Bevölkerung sehr bald Nachrichten erhalten mußte. Am so wichtiger schien es, den Vormarsch zu beschleunigen. Der glatte Verlauf der Transportbewegung^) — nur beim XXVII. Reservekorps trat eine etwa 24stündige Verzögerung ein — erlaubte es, den Beginn der Marsch-
bewegung aus der Linie Ursel—Anseghem bereits einen Tag ftüher als
beabsichtigt, auf den 17. Oktober, anzusetzen. Der am Abend des 16. Oktober aus dem Armee-Hauptquartier Gent
erlassene Armeebefehl ging von der Voraussetzung aus, daß man in den
nächsten Tagen auf stärkeren Gegner nicht stoßen werde. Cr legte die Tagesziele der Korps bis zum 19. Oktober und bis zur Linie Dünkirchen— Bergues (III. Reservekorps) — Leke — Beerst (XXII. Reservekorps)—
Wercken—Staden
(XXIII. Reservekorps)—Westroosebeke—Moorslede
(XXVI. Reservekorps)—Ledeghem—Moorseele (XXVII. Reservekorps) fest. Das 4. Kavalleriekorps, das in der Frühe des 16. Oktober von General v. Falkenhayn nunmehr der Armee unterstellt worden war*), wurde ange¬
wiesen, von Roubaix aus, östlich an Menin vorbei, vorzugehen, auf Dixmude—Z)pern aufzuklären und den Vormarsch der Armee zu verschleiern. Diese Anordnung gelangte indessen nicht zur Durchführung, da das Unterstellungsverhältnis bereits am nächsten Tage durch die Oberste Heeresleitung wieder aufgehoben worden war, eine Maßnahme, die sich für die Ver-
fchleierung der eigenen Bewegungen und für die Feststellung der feindlichen nachteilig auswirken sollte. Um den Abstand zu den anmarschierenden Korps zu verkürzen, war General v. Beseler angewiesen worden, den Vor¬ *) S. 292. - 2) „Das deutsche Feldeisenbahnwesen", S. 133. — --) S. 284.
Vormarsch der 4. Armee bis zum 17. Oktober.
301
marsch erst am 18. Oktober zu beginnen. Das Korps sollte sich am 17. Oktober nach Norden zusammenziehen, die Linie Middelkerke—
Slypebrug^St. Pierre Cappelle jedoch nach Westen nicht überschreiten. Cs hatte am 16. Oktober in der Gegend Ostende geruht und ledig-
lich Crkundungsabteilungen gegen die Z)ser entsandt.
Im Ausklärungs-
bereich der 6. Reserve-Division war bei Dixmude ein ernsteres Gefecht ent-
standen, in dessen Verlauf mehrere Infanterie-Bataillone und Batterien eingesetzt werden mußten. In der Austastung, daß es von Wert sei, möglichst schnell einen Übergang über das starke Hindernis der Z)ser zu gewinnen, wollte der Divisionskommandeur, Generalleutnant v. Schicksus, den Angriff auf Dixmude durchführen; auf den Hinweis des Generalkommandos, daß dies den operativen Absichten der Obersten Heeresleitung nicht entspreche, da diese den Feind in Richtung Menin ablenken wollte, um ihn dann mit der 4. Armee möglichst in Flanke und Rücken zu fassen, befahl er aber, das Gefecht abzubrechen. Da der Feind am Morgen des 17. Oktober indes selbst 17• Oktober,
angriff, sah sich der Divisionskommandeur dann doch genötigt, stärkere Kräfte einzusetzen. Der Rest der Division geriet bei seiner Verschiebung von Roulers nach Norden östlich des Houthulster-Waldes ebenfalls in Gefechtsberührung mit dem Gegner. Das XXII., XXIII., XXVI. und XXVII. Refervekorps erreichten ohne Kampf die für den 17. Oktober befohlene Linie Moerbrugge—Thielt—südlich Vichte. Beim Armee-Oberkommando befestigte sich am Vormittage des 17. Oktober der Eindruck, daß der Npern-Kanal vor der ganzen Front der Armee, vermutlich von Nach-
hüten, besetzt sei. Nach Telegrammen, die in Ostende vorgefunden waren, versammelte der belgische Kriegsminister die Neste seiner Armee bei DünArchen und Calais. Der Kommandierende General des linken Flügelkorps der Armee, General der Infanterie v. Carlowitz (XXVII. Reservekorps), wurde, gelegentlich einer Rücksprache im Armee-Hauptquartier, darüber unterrichtet, daß sein Korps sich in den Besitz von Z)pern zu setzen habe, um dort den Drehpunkt für die beabsichtigte Schwenkung der 4. Armee nach Südwesten zu bilden. General v. Carlowitz gewann aus den Ausführungen des Generalmajors Ilse den Eindruck, daß es sich zunächst um die Ver-
folgung eines weichenden Feindes handele. Dem III. Reservekorps wurde für den 18. Oktober befohlen, den Kanal bei Nieuport und Stuyvekenskerke zu überschreiten und bis Furnes vor-
zurücken, falls es ohne Kampf mit überlegenen Kräften möglich wäre. General v. Befeler, der nachmittags im Armee-Hauptquartier anwesend war, erfuhr hier, daß das Armee-Oberkommando an der Äser mit einem ernsteren
Widerstand rechne; das III. Reservekorps werde der Hammer sein, der das Loch schlagen und dann die übrigen Korps mit sich vorwärtsreißen müsse.
302
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
18. Oktober. Für den 18. Oktober hatte General v. Beseler die 4. Crsatz-Division von
Middelkerke auf Nieuport, die 5. Reserve-Diviston auf Mannekensvere angesetzt. Die 6. Reserve-Diviston hatte sich bei Dixmude vom Gegner vollends zu lösen und über Couckelaere—Leke auf Schoore zu marschieren, um den dortigen Übergang zu erzwingen. Die 4. Crsatz-Division stieß jedoch bereits bei Westende auf Widerstand und geriet in das Feuer eines engtischen Kreuzergeschwaders, das außerhalb der Reichweite der deutschen Landbatterien den ganzen Tag über das Küstengelände planmäßig beschoß. Am Abend lag die Division im Kampfe vor Westende—Lovie. Auch die 5. Reserve-Diviston blieb in Linie Molenbruggenhoek—Mannekensvere— Schoore in heftigem feindlichen Feuer vor der Z)ser liegen. Die 6. ReserveDivision rückte unbehelligt von Dixmude ab und lag am Abend ebenfalls im Gefecht östlich der Z)ser von Schoore bis Keyem. In Linie Lombartzyde—St. Georges, an der Z)ser bei Mannekensvere und Schoore sowie bei Dixmude wurden feindliche Geländeverstärkungen festgestellt. Die Brücken über die Z)fer waren größtenteils noch unzerstört. General v. Beseler befahl, den Übergang über die Z)ser im Morgengrauen des 19. Oktober zu erzwingen. Die Mitte und der linke Flügel der 4. Armee erreichten am 18. Oktober
kampflos die Linie Aertrycke—Thourout (XXII. Reservekorps)—LichterVelde und südöstlich (XXIII. Reservekorps)—Iseghem (XXVI. Reserve-
korps)—Lendelede—Courtrai (XXVII. Reservekorps). Beim Oberkommando bestand die Auffassung, daß sich die zurückgehenden belgischen und englischen Truppen an der Z)ser zwischen Nieuport und Wercken verschanzt hätten, um den Deutschen Aufenthalt zu bereiten, und daß Nieuport und Dixmude als Brückenköpfe besetzt seien. Bei Staden
—Westroosebeke—Moorslede standen anscheinend schwache vorgeschobene Kräfte. Weiter südlich bei Dadizeele—Vieux Chien, beiderseits der Straße Z)pern—Menin, verhielt sich der linke Flügel der englischen Armee bisher abwartend. Für den 19. Oktober befahl das Armee-Oberkommando dem
III. Reservekorps den Vormarsch auf Dünkirchen; es sei von Wichtigkeit, den Straßenknotenpunkt Furnes zu erreichen. Die Marschziele der übrigen Korps erfuhren keine Veränderung. Cs war damit zu rechnen, daß man aus der ganzen Front in Gefechtsberührung mit dem Feinde kommen werde, l». Oktober. Der Angriff des III. Reservekorps erzielte am 19. Oktober keine wesentlichen Fortschritte. Der Feind behauptete sich überall in seinen auf dem
rechten Afer-Ufer gelegenen Stellungen, unternahm sogar mehrfach lebhafte Angriffe. Die 4. Crsatz-Division wurde weiterhin durch das Feuer der eng-
tischen Kriegsschiffe stark gehemmt. Das XXII. Reservekorps stand am Abend nach leichteren Kämpfen beiderseits der Straße Thourout—Dixmude,
Befehl des Armee-Oberkommandos 4 für den Angriff am 20. Oktober.
303
hart östlich Beerst. Das XXIII. Reservekorps erreichte Wercken und Staden, mußte aber letzteren Ort nach heftigem Kampf wieder räumen. Das XXVI. Reservekorps warf den Gegner aus Oostnieuwkerke, seine linke Kolonne besetzte Moorslede.
Das XXVII. Reservekorps nahm nach leb-
hastem Gefecht Rolleghemcappelle sowie Ledeghem und Moorseele. Insgesamt schien der Verlauf des 19. Oktober die Auffassung des Armee-Oberkommandos 4 über die Lage beim Gegner zu bestätigen. Allerdings war der Widerstand vor dem III. Reservekorps stärker, als man erwartet hatte; es standen dort die aus Antwerpen entkommenen Teile der
belgischen Armee, von der bisher die belgische 2. und 4. Division festgestellt waren.
Vor der Mitte der 4. Armee aber und vor ihrem linken
Flügel schien der Feind nach wie vor schwach; vermutlich handelte es sich im wesentlichen nur um englische Kavallerie mit geringer Artillerie. Das Armee-Oberkommando rechnete hier auch am 20. Oktober nur mit Nachhutkämpfen. Entscheidender Widerstand war frühestens am Z)pern-Kanal zu erwarten. Es war dem Oberkommando sehr erwünscht, daß die neuen Korps zunächst nur vor leichtere Gefechtsaufgaben gestellt wurden und Gelegenheit
fanden, sich an den Krieg zu gewöhnen. Man hoffte, daß diese einleitenden Kämpfe wertvolle Gelegenheiten bieten würden, um Erfahrungen zu sammeln für die Zusammenarbeit der verschiedenen Waffengattungen, die Regelung der Befehlsverhältnisse, Erkennen und Ausschaltung all der Schwächen und Reibungen, die der unvollkommenen Schöpfung noch anhafteten. Die Truppen sollten daher auch am 20. Oktober nicht übereilt an den Feind geführt werden, sondern vorsichtig und abschnittsweise vorrücken und zunächst in einem gewissen Abstände von der Äser haltmachen. Rur das XXII. Reservekorps sollte den Kanal an der Seite des III. Reservekorps in der Gegend Dixmude bereits überschreiten. Es war von höchster Bedeutung, daß die Übergänge dort endlich in die Hand genommen wurden. Das Armee-Oberkommando 4 befahl für den 20. Oktober den allgemeinen Angriff. Das III. Reservekorps hatte mit dem linken Flügel von Keyem aus vorzugehen, das XXII. Reservekorps Dixmude von Norden und Süden umfassend anzugreifen. Die übrigen drei Korps sollten 9° morgens die Linie Handzaeme—Staden—Moorslede—Ledeghem überschreiten und zunächst die Linie Westrand des Houthulster Waldes—Poelkappelle— Gheluvelt erreichen. Linke Grenzen der Gefechtsstreifen: XXII. Reserve-
korps Zarren—Elercken—Serpenthoek, XXIII. Reservekorps Hooglede— Vixfchote, XXVI. Reservekorps Moorslede—Passchendaele—Brielen, XXVII. Reservekorps Ledeghem—Gheluvelt—Zillebeke. Der Armeeführer begab sich nach Ghistelles zum Generalkommando des III. Reservekorps, das Armee-Hauptquartier wurde nach Thielt verlegt.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
304
5. Die Rümpfe der 4. und 6. Armee vom 2o. bis 23• Oktobers. Hierzu Karten 10 (1 :1000 000) und 11 (1 :200 000).
2». Oktober.
In der am 20.Oktober zwischen dem Meere und La Bassee in
Flandern entbrannten Schlacht gewann die Eigenart des Geländes besondere Bedeutung; es ist sehr dicht besiedelt und mit größeren und kleineren
Ortschaften, einzelnen Gehöften, Waldstücken, Hecken, Baumgruppen übersät. Nördlich Dixmude ist es vollkommenes Tiefland, liegt als Polder zum Teil unter dem Meeresspiegel und wird von zahllosen Kanälen und
Gräben mit sumpfigem Untergrund durchschnitten. Die Z)ser ist auf ihrem ganzen Unterlauf kanalisiert und auf beiden Seiten von Dämmen begleitet. Die Flußbreite beträgt zwischen Dixmude und Nieuport 25bis 30 m, der Wasserspiegel liegt etwa auf der Höhe des gewachsenen Bodens; die Dämme überragen ihn um fast 2m. Der Grund¬
wasserstand ist in diesem Gelände sehr hoch; jeder Regen läßt ihn noch steigen.
Das ganze Gelände ist der Überschwemmung von See her aus¬
gesetzt. Entwässerung sowie Abschluß gegen das Meer erfolgen durch ein System von Kanälen und Schleusen, das zugleich die Möglichkeit bietet, das Land unter Wasser zu setzen. Eine Anzahl wichtiger Schleusen befindet sich bei Nieuport. Der Z)pern-Kanal durchschneidet südlich Z)pern die flandrische Hügelkette und läuft daher auf weiten Strecken in einem Bodeneinschnitt. Cr wird künstlich gespeist, so daß er auch trocken gelegt werden kann. Südlich Dixmude beginnen die Ausläufer der flandrischen Hügelkette, deren höchste Erhebungen zwischen Cassel und dem Kemmel (156 m) liegen und die sich über Hollebeke—Gheluvelt—Zonnebeke—Westroosebeke allmählich nach Osten abflachen. Das Hügelgelände im Kampfgebiete nördlich und südlich von Bpern hat eine durchschnittliche Höhe von 40—75 m. Nach der Lys zu wird es völlig eben. Trotz ihrer geringen Höhe gewannen
diese Hügelketten große Bedeutung für die Artilleriebeobachtung. Ihr Besitz hatte also hohen taktischen Wert. Vom Kemmel aus war das gesamte Gelände aus weite Entfernungen hin zu übersehen. Der allgemeine Boden-
charakter bot dem Angreifer einerseits die Möglichkeit gedeckter Annähemng, erschwerte aber andererseits das Zurechtfinden und schuf zahllose Hindernisse. Cr ermöglichte vor allem zähe, abschnittsweise Verteidigung. Selbst schwacher Gegner konnte ernstlichen Aufenthalt bereiten. Die ArtillerieverWendung war für den Angreifer und Verteidiger gleich schwierig, die Leitung größerer Artillerieverbände, Feuerverteilung und Beobachtung vielfach fast J) Einzelheiten über diese Kämpfe: Schlachten des Weltkrieges, Band 10: „Dpern" vonW.Veumelburg und Der große Krieg in Einzeldarstellungen, Heft 10: „Die Schlacht an der Yser und bei Ypern im Kerbst 1314." Von Hptm. Schmink (Verlag Stalling).
Der Angriff der 4. Armee am 20.Oktober.
305
unmöglich. Cs blieb oft nichts anderes übrig, als einzelne Batterien oder Züge der Infanterie zuzuteilen und sie in vorderster Linie einzusetzen.
Cs lag auf der Hand, daß kriegserfahrene, kampfgewohnte Truppen der außergewöhnlichen Schwierigkeiten des Geländes leichter Herr werden konnten als die unvollkommen ausgebildeten, jeder militärischen Erfahrung entbehrenden, milizartigen neuen deutschen Verbände, die stärker als die alten Truppen des dauernden unmittelbaren Einflusses ihrer Offiziere bedurften. Je mehr in dem unübersichtlichen Gelände der Überblick verlorenging und der einzelne Mann sich selbst überlassen war, um so schwieriger wmde die Aufrechterhaltung der Zucht und Ordnung, um so leichter konnten Paniken oder sonstige nicht vorherzusehende Ereignisse eintreten. So barg die Eigenart des Geländes für die neuen deutschen Truppen mancherlei besondere Gefahren. 5lm so entscheidender für das Gelingen der Operation war in den nächsten Tagen das rasche Vorwärtskommen der beiden aus bewährten aktiven und Reservetruppen bestehenden Flügelgruppen. Auf dem rechten Flügel der Schlachtfront verdoppelte das III. Reservekorps seine Anstrengungen, um den Übergang über die Z)ser zwischen NieuPort und Dixmude zu erzwingen. Das Schwergewicht des Angriffs lag im Vereich der 5. Reserve-Division bei Mannekensvere. Indes reichte die Wirkung des starken Vorbereitungsfeuers der Artillerie nicht aus, um in ausreichendem Maße die Widerstandskraft des Gegners zu lähmen. Zwar konnte dieser aus seinen Stellungen am rechten Äser ohne besondere Mühe verdrängt werden, das Überschreiten des Flusses gelang aber nicht. Die 4. Crsatz-Division war nach wie vor dem Feuer der englischen Schiffsgeschütze
nahezu wehrlos preisgegeben, wodurch ihre Angriffstätigkeit fast völlig unterbunden war. Die Belgier hielten sich in ihrer Brückenkopsstellung östlich Nieuport, nur aus Lombartzyde wurden sie verdrängt. Auf dem linken Flügel des Korps griff die 6. Reserve-Division am Flußbogen von Tervaete zwischen Schoore und Keyem an, konnte aber ebenfalls keinerlei
Fortschritte erzielen. Das XXII. Reservekorps ging über Beerst und Vladsloo—Cyns Dyk gegen das stark besetzte und befestigte Dixmude vor. Die 44. Reserve-Division geriet bei Beerst und am Vladsloo-Kanal ins
Stocken. Die 43. Reserve-Division überschritt den Kanal weiter südlich und drang bis Cessen—Cessen-Kasteel vor. Der Sturm auf Dixmude mußte auf den folgenden Tag verschoben werden. Die Mitte der Angriffsfront, "das XXIII., XXVI. und XXVII. Reservekorps, hatte, wie erwartet, nur unterlegene feindliche Kräfte vor sich. Trotzdem nahmen die Kämpfe vielfach einen sehr hartnäckigen Charakter an. Die ungestüm angreifenden neuen Truppen kamen ohne genügende Artillerieunterstützung nur langsam vorwärts. Cs zeigten sich bereits die Schwierigkeiten, die aus der unÜbersicht5 weitkrieg. V.Land.
20
306
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
lichen, mit Hindernissen besäten Gegend für die in der Geländebenutzung sehr unerfahrenen Mannschaften erwuchsen. Das XXIII. Reservekorps erreichte sein Tagesziel, Westrand des Houthulster Waldes, nicht ganz. Die 45. Reserve-Division gelangte nördlich des Waldes bis zur Straße Clercken —Houthulst, die 46., bei Staden durch vorgeschobene englische Truppen stark aufgehalten, blieb östlich des Waldes in Gegend Tolphoek—Vyfwege stehen, da das Durchschreiten des Waldgebietes angesichts der späten Tageszeit nicht mehr tunlich schien. Beim XXVI. Reservekorps gelang es der 51. Reserve-Division, sich in den Besitz von Poelkappelle zu setzen, das weitere Vorgehen auf Langemarck mißglückte indessen. Die 52. ReserveDivision kam nach schweren Kämpfen bei Pasfchendaele bis vor das Wegekreuz von Vroodseinde, Zonnebeke blieb in Feindeshand. Die Ziele des XXVII. Reservekorps lagen in Höhe der Straße Vroodseinde—Vecelaere. Die 53. Reserve-Division gelangte über Osthoek nicht hinaus, die 54. Reserve-Division erreichte Vecelaere. Die über den Feind vorliegenden Nachrichten ergaben, daß die gesamte belgische Armee, auf etwa vier Divisionen geschätzt), dem III. und XXII. Reservekorps im Räume zwischen dem Meere und Dixmude in verstärkter Stellung gegenüberstand. Weiter südlich bis in die Gegend östlich Apern
befanden sich nach Auffassung des Oberkommandos englische und französische Kavallerie und ftanzösifche Territorialtruppen. Alles in allem war man also bisher auf einen an Zahl und Kampfkraft durchaus unterlegenen Gegner gestoßen. Die Lage war operativ so günstig, wie sie überhaupt nur erwartet
werden konnte. Demgegenüber mußten die taktischen Ergebnisse des ersten Kampftages vor allem auf dem rechten Armeeflügel enttäuschen. Das als
ausgezeichnete Kampftruppe bewährte III. Reservekorps stand seit drei Tagen in völlig ergebnislosem Kampfe gegen die mit knapper Rot aus Ant¬ werpen entkommene belgische Armee, die zähen Widerstand leistete. Die
Erwartung, daß das Korps den jungen Truppen den Weg über den ÄserKanal-Abschnitt bahnen werde, hatte sich nicht erfüllt. Sein Vorsprung und seine Vorwärtsstaffelung, die ein Kernstück des ganzen Operationsplanes bilden sollte, war bereits verlorengegangen. Das Verhalten der jungen Truppen im Gefecht schien nicht unbesriedigend. Zwar waren die Ziele nicht überall erreicht, und das Vorgehen gegen den schwachen Gegner war vielfach nur langsam und unter starken Reibungen erfolgt, an einzelnen Stellen waren Rückschläge eingetreten, mit denen das Oberkommando gerechnet hatte, auf der anderen Seite aber waren der freudige Angriffswille, die Tapferkeit und seelische Schwungkraft ') Tatsächlich zählte die belgische Armee sechs Infanterie- und zwei KavallerieDivisionen, deren Gesechtskrast indes nur aus 1—2 Divisionen zu bewerten war. S. 400.
Die Kämpfe der 6. Armee am 20. Oktober.
307
der jungen Truppe hell in Erscheinung getreten, die in jenen ersten Kampftagen mehrfach das „Deutschlandlied singend vorstürmte. Das Ober-
kommando hoffte, daß erfolgreiche Kämpfe gegen schwächeren Feind, wie sie sich am 19. und 20. Oktober abgespielt hatten, besonders geeignet seien, nicht nm die Kriegserfahrung, sondern auch das Selbstvertrauen der jungen Truppen zu stärken und ihr allmähliches Gewöhnen an die Kampfeindrücke zu ermöglichen. General v. Falkenhayn drängte hingegen in einer am Abend eingehenden Drahtung auf schärferes und schnelleres Vorgehen: „Haupt-
erfordernis bleibt taktischer Sieg. Daher rücksichtslose Ausnutzung aller heute errungenen Fortschritte auf ganzer Front erforderlich, ohne Abwarten rechten Flügels." Auf dem linken Flügel der Schlachtfront, bei der 6. Armee, hatte der Kampf am 20.Oktober indes eine wenig erfolgverheißende Entwicklung genommen. Die Heereskavallerie, die zwischen den beiden Armeen die Ver-
bindung herstellen sollte, überschritt zwischen Menin und Warneton die Lys und entwickelte sich in der allgemeinen Richtung aus Apern. General v. Hollen, der den Befehl führte, beabsichtigte ursprünglich, das Herankommen des XXVII. Reservekorps abzuwarten, wurde aber im Laufe des Vormittages vom Oberkommando der 6. Armee angewiesen, den Angriff
sofort zu beginnen.
Auf dem rechten Flügel bei Menin ging der
Feind vor der 3. und der bayerischen Kavallerie-Division unter General v. Stetten bis zur Linie Vieux Chien—America—Tenbrielen zurück. Die 6.und 9. Kavallerie-Division unter General Egon v. Schmettow, die die Lys bei Warneton überschritten hatten, kamen in der Gegend Gapaard vor feindlichen Stellungen zum Stehen. Die Garde- und 4. Kavallerie-Division unter General v. Richthofen hatten den Auftrag, die linke Flanke der Angriffs-
bewegung zu decken; sie nahmen die feindlichen Stellungen westlich der Linie Warneton—Deülemont und blieben hier während der Nacht liegen. Das XIX. Armeekorps, das mit dem rechten Flügel von Deülemont etwa auf Vailleul, mit dem linken von Prsmesques") auf Cstaires vorgehen sollte, wurde schon zu Beginn seiner Bewegung bei Deulemont—FrÄinghien in heftige Kämpfe verwickelt. Der rechte Flügel der 40. InfanterieDivision blieb halbwegs zwischen Deülemont und Le Gheer liegen, der linke
wurde in Frslinghien selbst angegriffen. Weiter südlich gelangte die halbe 24. Infanterie-Division bis zur Linie südöstlich FrÄinghien—Straßenkreuz westlich PZrenchies—Prsmesques. Die während des Kampfes in der Mitte entstandene Lücke wurde durch Truppen der Abteilung Wahnschaffe geschloffen. Vor dem anschließenden XIII. Armeekorps, dessen linker Flügel von Veaucamps über Aubers auf Vieille Chapelle angesetzt war, hatte sich ') Hierzu Karte 13 (1 :300 000). 20*
308
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
der Gegner in der Linie Prömesques—Ennetisres—Eseobecques, nördlich Veaucamps, eingegraben. Die feindlichen Stellungen konnten zwar zum größten Teil genommen werden, darüber hinaus gewann das Korps aber nur mit den Truppen seines linken Flügels, die am Abend in den Südteil
von Radinghem eindrangen, noch Voden; auf der übrigen Front sah das Korps sich neuem, erbittertem Widerstande gegenüber. Die 14. InfanterieDivision, deren linker Flügel auf Violaines vorging, arbeitete sich in zähm Kampfe bis zur Linie 1 km nordöstlich Fournes—östlich Zerlies—Illies— östlich Violaines vor.
Beiderseits des La Vafsöe-Kanals wurden keine
wesentlichen Fortschritte erzielt. Das I. bayerische Reservekorps traf Vorbereitungen für den am 21. Oktober geplanten Angriff gegen die Front nördlich von Arras. Die Artillerie schoß sich ein. Im ganzen hatten die schweren Kämpfe auf dem rechten Flügel der 6. Armee entscheidenden Erfolg nicht gehabt. Cs war trotz vielfacher örtlicher Erfolge nicht gelungen, den feindlichen Widerstand zu brechen. Das Oberkommando gewann bis zum Abend über den wirklichen Stand der Dinge noch kein klares Bild. Das XIV. und VII. Armeekorps berichteten über fortschreitenden Angriff. Zum minbesten hoffte man, den Feind festgehalten und dadurch günstige Voraussetzungen für den Angriff der 4. Armee geschaffen zu haben.
Die oberste deutsche Führung hatte keinen Anlaß, mit dem Verlauf der Kämpfe am 20. Oktober zufrieden zu sein. Der starke Widerstand bei Rieuport—Dixmude und bei Warneton—La Vassse ließ deutlich erkennen, daß der Gegner die Absicht hatte, sich an der Z)ser und am Apern-Kanal zur Schlacht zu stellen. Es waren also auch in der Mitte der Angriffsfront, zwischen Dixmude und Apern, entscheidende Kämpfe zu erwarten. Die Vorwärtsstaffelung der Flügel, durch die man die Aufgabe der neuen
Reservekorps hatte erleichtern wollen, hatte sich ausgeglichen. Die Korps kämpften hinfort in der gleichen Front. Was den alten Truppen bisher nicht gelungen war, die Niederringung des feindlichen Widerstandes, wurde
jetzt den jungen Truppen angesichts eines außerordentlich schwierigen Geländes und eines nicht unbedeutenden Hindernisses, des Apern-Kanals, zugemutet. Der Angriff der 6. Armee hatte nur sehr geringe Fortschritte
erzielt. Gerade auf ihre Mitwirkung hatte General v. Falkenhayn besondere Erwartungen gesetzt. Cr war jetzt voller Sorge. Errang sie keine durchschlagenden Erfolge, so fiel die ganze Last der letzten großen Entscheidung auf die Reservekorps der 4. Armee. Anter diesen Umständen entstanden bei General v. Falkenhayn von neuem Zweifel, ob es möglich und zweckmäßig sei, an dem geplanten Durchbruch bei Roye festzuhalten. Lebhafte Sorge bereitete nach wie vor auch die Frage der Munitions-
Unbefriedigendes Ergebnis des ersten Angriffstages.
309
ergänzung. Die Reservekorps hatten im Eifer des ersten Gefechts und verführt durch die Feuergeschwindigkeit des Schnellfeuergeschützes einen unerwartet hohen Munitionsverbrauch gehabt und mußten immer wieder zu größter Sparsamkeit ermahnt werden. Auch General V. Krafft wieder¬ holte bei der Obersten Heeresleitung seine ernsten Vorstellungen über die
durchaus unzureichenden Munitionsbestände.
Der Durchbruchsversuch
des I. bayerischen Reservekorps bei Arras könne nicht zum Erfolg gelangen, wenn für ihn nicht wenigstens ein sechstägiger Munitionsbedarf bereit-
gestellt werde. Die Oberste Heeresleitung mußte demgegenüber darauf hinweisen, daß die Vorräte erschöpft seien. Es sei gelungen, die gesamten Artilleriekolonnen der beiden Kampfarmeen noch einmal aufzufüllen; dies stelle aber die letzte Reserve dar. Für den 21. Oktober wurde bei beiden Armeen die Fortsetzung des
Angriffs angeordnet. Das Armee-Oberkommando 4 hoffte, östlich des ApernKanals nur noch geringen feindlichen Widerstand zu finden, und befahl auf der ganzen Front der Armee die Erzwingung des Übergangs über die Z)ser und den Apern-Kanal von Nieuport bis Z)pern. Die Marine-Diviston wurde am 21.Oktober aus Antwerpen nach Brügge gezogen und übernahm vom 23.Oktober ab den Küstenschutz bei Ostende und Middelkerke. Vis
zum 28. Oktober blieb sie dem Generalgouvernement unterstellt. Ein Matrosen-Artillerie-Regiment blieb in Antwerpen zur Bedienung der
Festungsartillerie zurück^). Das III. Reservekorps legte auch an diesem Tage den Schwerpunkt 21. ottom.
des Angriffs auf den Abschnitt der 5. Reserve-Division und vereinigte das
Feuer seiner zahlreichen schweren Artillerie auf den Abschnitt St. Georges —Tervaete. Trotz verzweifelter Anstrengungen kamen die Truppen in dem Gewirr breiter und tiefer Wassergräben, die vielfach überbrückt werden mußten, nur ganz langsam vorwärts. Teile der 5. Reserve-Division waren am Abend unmittelbar bis an die Z)fer vorgedrungen, auch die 6. ReserveDivision stand am Flußbogen von Tervaete dicht am Ufer. Die 4. Ersatz-
Division war infolge des englischen Schiffsfeuers nach wie vor außerstande, sich an dem Angriff zu beteiligen.
General v. Beseler bat dringend um
Artillerieunterstützung durch die Marine und forderte weiterhin eine bei Antwerpen verfügbar gewordene und bereits seit dem 16. Oktober dort verladene 15 ein-Kanonen-Batterie in Schirmlafetten an. Der Angriff des XXII. Reservekorps auf Dixmude kam nicht von der Stelle. Sturmversuche der jungen Truppe gegen die Ost- und Südostfront der Stadt 1) An die (BteÜe der Marine-Division wurde die 1. bayerische Landwehr-Brigade nach Antwerpen gezogen.
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Die Operationen in Frankreich und Belgien.
scheiterten trotz aller heldenmütigen Hingabe unter blutigen Verlusten. Gute Fortschritte dagegen machte das XXIII. Reservekorps. In hartem Kampfe gelang es ihm, den Gegner nördlich des Houthulster Waldes zurückzudrängen. Das Korps stand am Abend an der Chaussee Dixmude—Bixschote, in Linie Rille—Roonehoek bis Merckem und von hier südöstlich zurück-
gebogen bis Mangelaare. Dagegen stieß das benachbarte XXVI. Reservekorps auf starken Widerstand. Die Truppe litt schwer unter dem seiudlichen Feuer und hatte große Verluste. Der rechte Flügel hielt sich zeitweise nur mühsam in den gestern genommenen Stellungen westlich Poelkappelle, der linke Flügel gelangte bis Vroodseinde. Auch beim XXVII. Reservekorps geriet der Angriff völlig ins Stocken. Auf seinem rechten Flügel kam es sogar vorübergehend zu rückgängigen Bewegungen.
Eine Meldung besagte, daß „die junge Truppe Anstrengungen noch wenig gewachsen" sei, sie „leide an Überanstrengung". Die 6. Armee machte nur ganz unwesentliche Fortschritte. Die Kavallerie errang zwar einige örtliche Erfolge, lag aber schließlich vor feind-
lichen Stellungen in Linie Vieux Chien—Kruiseik—Zandvoorde—Hollebeke—Messines fest, auch das XIX. und XIII. Armeekorps sowie die 14. Infanterie-Division stießen auf ungeschwächten Widerstand und konnten nur ganz geringen Geländegewinn erzielen. Im übrigen wurden bei der 14. Infanterie-Division am 21. Oktober englische Gegenangriffe abgewiesen. Ein erbeuteter Befehl ließ keinen Zweifel darüber, daß die Engländer um
die Entscheidung rangen. Das I. bayerische Reservekorps trat nach kräftiger Artillerievorbereitung 4° nachmittags zum Angriff gegen die Rordsront von Arras an, mußte sich jedoch ebenfalls mit einem örtlichen Erfolg, der Wegnahme des Ostrandes von St. Laurent, begnügen. Beim Oberkommando bestand am Vormittage vorübergehend der Cmdruck, daß der Angriff in Fluß komme. Bei einem Besuch des Generalkommandos des XIII. Armeekorps wurde Kronprinz Rupprecht mit der Meldung empfangen, daß der Feind zurückgehe, und daß das Generalkommando im Begriff sei, einen Stellungswechsel nach vorwärts vorzunehmen. Diese Nachricht wurde sofort an die 4. Armee und an die Heereskavallerie weitergegeben, das 2. Kavalleriekorps, das als letzte Reserve südlich Lille stand, wurde in westlicher Richtung auf Wavrin in
Marsch gesetzt. Bald darauf stellte sich aber die Meldung als irrig heraus. Das Oberkommando gelangte zu einer ungünstigen Auffassung der Lage. Man begann damit zu rechnen, daß der Angriff der 6. Armee wiederum zum Stehen gekommen sei. Zur Angriffskraft der 4. Armee hatte man ohnehin nur geringes Zutrauen. Am Abend des 21. Oktober befand sich die Schlacht bei Apen? auf
Fortsetzung des Angriffs am 21. Oktober.
311
einem kritischen Punkt. Die Lage beim Feind ließ sich ziemlich klar übersehen. Während die Masse der belgischen Armee im Schutze der Z)ser
zwischen Nieuport und Dixmude zähesten Widerstand leistete, hielten englische Kräfte, gemischt mit schwächeren französischen, in weitem Vogen östlich Apern sowie beiderseits der Lys zwischen Warneton und La Bassve dem deutschen Angriff stand. Seit dem 18. Oktober, dem Tage, an dem das Vorgehen des III. Reservekorps an der Z)ser ins Stocken geraten war, hatte
sich ein zwar langsamer, aber ungünstiger Umschwung der Lage vollzogen. Die Bewegungen hatten sich auch in der Mitte und auf dem linken Flügel der 4. Armee allmählich verlangsamt. Cs war denReservekorps nicht gelungen, die bis zum 20. Oktober nur lose gefügten feindlichen Truppen zwischen Dixmude und der Lys zu überrennen und wenigstens den Apern-Kanal zu erreichen. Jetzt war auch bei ihnen völliger Stillstand eingetreten. Mehrfach war der Gegner bereits seinerseits zum Gegenangriff übergegangen, und es waren vereinzelt sogar Rückschläge eingetreten. Ebenso vollzog sich die Entwicklung bei der 6. Armee. Cs spielten sich hier die gleichen mühsamen Kämpfe um einzelne Ortschaften und Gehöfte ab, wie sie seit Mitte September von Noyon bis La Bassse zu einer Tag
für Tag sich wiederholenden Erscheinung geworden waren. Die Möglichfeit, daß es zu einem endgültigen Stillstande kommen werde, ließ sich nicht mehr von der Hand weisen. Am das zu verhüten, mußte der Angriff unter Anspannung aller Kräfte bis zur Entscheidung durchgeführt werden. Cs gab keine anderen Möglichkeiten mehr.
Auch General v. Falkenhayn teilte diese Überzeugung. Die geringen Erfolge der Offensive auf der ganzen Front zwischen Nieuport und Arras am 21.Oktober hatten bei ihm die ernste Befürchtung ausgelöst, daß die Operation ins Stocken geraten werde. Bei der 4. Armee lagen Gefangenenaussagen vor, wonach der Feind zu äußerstem Widerstande am Kanal entschlossen war, ein bei der 6. Armee erbeuteter Befehl ließ erkennen,
daß die Engländer hier um die Entscheidung kämpften. General v. FalkenHayn war sich der Größe der Gefahr für den ganzen Verlauf des Krieges klar bewußt, wenn es jetzt nicht gelang, den Gegner niederzuringen und Bewegung in die erstarrten Fronten zu bringen. Ob die Reservekorps den schweren Forderungen, die man an sie stellen mußte, gewachsen sein würden, war nach den Ergebnissen des heutigen Tages zum mindesten zweifelhaft. Trotz aller Begeisterung und stürmischen Tapferkeit waren sie mit dem
zahlenmäßig unterlegenen Gegner nicht fertig geworden. Die Entscheidung lag jetzt allem Anschein nach bei der 6. Armee. In dem Bestreben, hinter der Hauptkampffront eine Reserve zu bilden.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
312
entschloß sich General v. Falkenhayn, das bei Metz befindliche Generalkommando und eine Division des XXIV. Reservekorps nach Lille abtransPortieren zu lassen, wo sie vom 24.Oktober ab eintreffen konnten"). Die neuaufgestellte 6. bayerische Reserve-Division, die vom 23. Oktober ab ebenfalls dort ausgeladen werden sollte, wurde am 22. Oktober nachmittags dem Generalkommando des XXIV. Reservekorps unterstellt. General v. Falken¬
hayn beabsichtigte, das zusammengesetzte Reservekorps bei dem geplanten Durchbruch bei Arras einzusetzen.
Cr wies am Abend des 21. Oktober das
Armee-Oberkommando 6 darauf hin, daß „von rücksichtsloser Offensive aller Teile der 6. Armee voraussichtlich die Entscheidung des Feldzuges" abhänge. 22. ottober.
Am 22. Oktober blieben im Vereich der 4. Armee die Kampfaufträge,
Erzwingung der Übergänge zwischen Nieuport und Z)Pern, unverändert. Die zwischen Merckem und Mangelaare stehende 46. Reserve-Division war angewiesen worden, in mehr südlicher Richtung anzugreifen, um das Vor¬ gehen des XXVI. Reservekorps zu erleichtern. Beim III. Reservekorps war die 4. Crsatz-Division durch die englische Schiffsartillerie so stark gelähmt, daß die Belgier, verstärkt durch Franzosen, einen Vorstoß auf Lombartzyde unternehmen und den Ort besetzen konnten. Ihr weiteres
Vorgehen auf Westende scheiterte. Die 5.Reserve-Division versuchte ohne Erfolg, die Z)ser zu überbrücken, während es der 6. Reserve-Division gelang,
auf einem fertig mitgeführten Vrückensteg im Tervaete-Vogen einige Bataillone über den Fluß zu setzen, die sich trotz verzweifelter feindlicher Gegenwehr auf dem linken Ufer hielten. Bei Dixmude hatte der Gegner in der Rächt und am Morgen des 22. Oktober heftig, wenn auch erfolglos
angegriffen. Das XXII. Reservekorps, dessen Truppen sehr durcheinander gekommen und der Ruhe bedürftig waren, verschob den Sturm auf den Brückenkopf auf den folgenden Tag, um zunächst die Verbände zu ordnen, das Gelände sorgfältig zu erkunden und eine gründliche Artillerievorbereitung vorzunehmen. Das XXIII. Reservekorps gewann unter schweren und ver-
lustreichen Kämpfen Luyghem und stürmte Vixschote, das aber durch Mi߬ verständnisse in der Nacht wieder geräumt wurde. Vorübergehend wurde auch der Nordrand von Langemarck genommen, er konnte indes nicht gehalten
werden.
Beim XXVI. Reservekorps stand die Truppe zunächst noch
unter dem Eindruck der heftigen Kämpfe vom
Oktober, die sich auch
noch in der Nacht fortgesetzt hatten. Nach vergeblichen Versuchen, die Truppe vorwärts zu bringen, befahl das Generalkommando um 420 nachmittags, den
Angriff einzustellen und sich einzugraben. Starke feindliche Angriffe wurden abgewiesen. Das XXVII. Neservekorps war im Laufe der Nacht teilweise *) Die Ausladungen in Lille und Tournai erfolgten vom 23.bis 25. Oktober.
Der Angriff der 4. Armee stockt am 22.Oktober.
313
etwas zurückgenommen worden, konnte aber am Morgen die alten Stellungen wieder besetzen. In der Truppe herrschte lebhafte Unruhe. Man befürchtete einen feindlichen Durchbruch längs der Chaussee Z)pern—Menin, und es war für die oberen Kommandostellen bereits schwierig, gegenüber den
sich mehrenden Zeichen der Unsicherheit, den Angriffswillen aufrechtzu¬ erhalten. Nennenswerte Fortschritte konnten nicht erzielt werden. Die Zeichen des Crmattens und einer gewissen Lockerung der Kampfdisziplin waren heute bei den neuen Korps noch deutlicher in Erscheinung getreten als am gestrigen Tage. Uber die schweren Kämpfe berichtet das
Kriegstagebuch des XXIII. Reservekorps: „Cs fehlte an Führern, die einzelnen Splitter zu neuen Verbänden zusammenzufassen. Die Truppe war entnervt. Das tagelange Vorgehen gegen einen unsichtbaren zähen Feind, die starken Verluste ... das mangelhafte Zusammenarbeiten zwischen Infanterie und Artillerie — das alles legte sich lähmend auf die unerfahrene
junge Truppe." Die Befürchtung, daß auch diese Offensive im StellungsKiege erstarren werde, mehrte sich. Das Armee-Oberkommando 4 setzte alle Hoffnungen auf das Vorwärtskommen des III. und XXII. Reservekorps über die Äser. Gelang es, den Ubergang zu erzwingen, so war zu hoffen, daß die erschütterte und geschwächte belgische Armee dem deutschen An-
griff nicht mehr standhalten würde. Das Armee-Oberkommando 6 setzte auf Wunsch der Obersten Heeresleitung seine letzte Reserve, das 2. Kavalleriekorps, ein, um dem linken Flügel der 4. Armee vorwärts zu helfen. General v. der Marwitz übernahm den Befehl über die gesamte Kavallerie, im ganzen acht Kavallerie-Divisionen. Cr ordnete an, daß die 3., 7. und bayerische Kavallerie-Division unter General v. Stetten im Einvernehmen mit dem XXVII. Reservekorps
nach Norden vorgehen, die 6., 9., 4. und Garde-Kavallerie-Division unter General v. Hollen den Feind bei Messines sesieln und im übrigen versuchen sollten, das XIX. Armeekorps zu unterstützen. Es fehlte indessen der Kavallerie an Stoßkraft und vor allem auch an ausreichender Artillerie, um
die starken feindlichen Stellungen mit Aussicht auf nachhaltigen Erfolg anzugreifen. Beim XIX. und XIII. Armeekorps sowie beim I. bayerischen Reservekorps blieb die Lage unverändert, nur der linke Flügel des XIII. Armeekorps und die 14. Infanterie-Division konnten Erfolge erringen. Der Hinweis der Obersten Heeresleitung vom Abend des 21. Oktober, daß von der Offensive der 6. Armee am 22. Oktober voraussichtlich die Ent-
scheidung des Feldzuges abhänge, hatte beim Armee-Oberkommando 6 tiefen Eindruck hinterlassen. Cs entnahm aus ihr die Bestätigung seiner eigenen Auffassung, daß die Reservekorps der 4. Armee der schweren Aufgabe, die ihnen zugemutet wurde, nicht gewachsen seien, und daß ihr Angriff sich fest-
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
314
zulaufen begann. Kronprinz Rupprecht entschloß sich, die Offensive der 6. Armee in noch verstärktem Maße fortzusetzen und den Hauptnachdruck in den Raum Lens—Bethune zu verlegen.
Schon am 21. Oktober nach,
mittags hatte General v. Claer, der mit den Vorbereitungen des Angriffs auf Arras betraut war. Bedenken gegen diesen geäußert, da die Grundlinie zu schmal sei und die Kräfte zur operativen Auswirkung fehlten. Diesen Bedenken stimmte das Oberkommando zu. Den am 22. Oktober von General v. Claer unterbreiteten Vorschlag, mit dem unter seiner Leitung vereinigten VII. und XIV. Armeekorps den Angriff nördlich La Bassee in nordwest¬
licher, statt in westlicher Richtung, rechter Flügel auf Aubers, fortzuführen, griff Kronprinz Rupprecht auf. Cs wurde hierfür der Gruppe Claer auch die Masse der der 6. Armee zugeteilten schweren Artillerie, 14 Batterien schwere Feldhaubitzen, vier Batterien 10 oin-Kanonen sowie ein Bataillon des Pionier-Regiments 19 überwiesen, zu denen nach Abschluß der Kämpfe bei Arras weitere zwei Bataillone schwere Feldhaubitzen, ein Bataillon 10 ern-Kanonen und das andere Bataillon des Pionier-Regiments 19 noch
hinzutreten sollten. Die Absicht eines Durchbruchs bei Arras wurde zurück¬
gestellt. Räch den über den Feind vorliegenden Nachrichten verstärkten sich die im Räume Dixmude—Apern stehenden Kräfte. Cs war hier das französische XXI. Armeekorps festgestellt, das, anscheinend mit englischen Verbänden
vermischt, dem Widerstand Halt gab. Flieger hatten gegen Mittag auf der Strecke Dünkirchen—Hazebrouck Zugverkehr beobachtet, im übrigen aber am
heutigen Tage keine Transport- oder Marschbewegungen von Dünkirchen nach Osten oder Süden festgestellt. Die Anzeichen, daß die jungen Truppen den schweren Anforderungen und seelischen Erschütterungen der Schlacht nicht voll gewachsen waren, lösten auch beim Oberkommando 6 ernste Besorgnisse aus. Demgegenüber wurde der Angriffswille und Unternehmungsgeist des Gegners von Stunde zu Stunde fühlbarer.
Vielfach waren die Deutschen bereits in die Ver-
teidigung gedrängt. Den einzigen Lichtblick bildete der Übergang schwacher Teile des III. Reservekorps über den Nser-Kanal. Auch bei der Ober st e n Heeresleitung hatte das Ergebnis der Kämpfe des 22. Oktober neue Enttäuschung hervorgerufen. Trotz aller Zweifel und Bedenken erhielt die 2. Armee doch den Befehl, den Durch-
bruchsverfuch bei Roye durchzuführen^). 2Z.Ottober.
Der Verlauf der Kämpfe am 23. Oktober bestätigte die Befürchtung,
daß der Angriff endgültig zum Stehen kommen werde. Rur auf dem rechten i) S. 290 f.
Fortschritte des HI. Reservekorps am 23. Oktober.
315
Mgel der 4. Armee konnten die am 22. Oktober errungenen Erfolge etwas erweitert werden, wenn auch nur in geringem Umfange. Cs gelang der
6. Reserve-Division bis zum Abend zehn Bataillone über den Fluß zu setzen und den ganzen Bogen von Tervaete in Besitz zu nehmen. Es bestand hier
bei der Truppe der Eindruck, daß die feindliche Widerstandskraft zu erlahmen beginne. Der 5. Reserve-Division gelang es dagegen auch an diesem Tage nicht, den Übergang bei Schoorbakke zu erzwingen, obgleich Teile der 4. Ersatz-Division zu ihrer Verstärkung herangezogen wurden. Versuche der 4. Ersatz-Division, Lombartzyde wiederzunehmen, schlugen fehl. Zur Bekämpfung der feindlichen Schiffe wurde in der Nacht vom 23. zum 24. Oktober in Gegend Middelkerke die von General v. Befeler angeforderte
15 em-Kanonen-Batterie in Schirmlafetten in Stellung gebracht). Beim YYTT. Reservekorps blieb die Lage unverändert. Das Armee-Oberkommando hegte bereits Befürchtungen, ob das Korps feindlichen Gegenangriffen gegenüber standhalten werde, und ersuchte das III. Reservekorps, zwei Brigaden hinter dessen rechten Flügel als Reserve bereitzustellen. Auf Bitten des Generals v. Befeler wurden jedoch statt dessen die 37.Land¬ wehr-Brigade und Teile der Marine-Division2) im Einvernehmen mit dem
Generalgouvemement in die Gegend Ichteghem—Thourout herangezogen. Das XXIII. Reservekorps lag den ganzen Tag über in starkem feindlichen Feuer und erlitt ernste Verluste. Die 46. Reserve-Division räumte ihre Stellungen südlich des Kortebeek-Baches, konnte aber nördlich des Vachlaufes angehalten und wieder geordnet werden. Am Nachmittage wurde ein Teil der verlorenen Stellungen zurückerobert. Die um 420 nachmittags erstattete Meldung des Generalkommandos ließ die Lage des Korps als ernst erscheinen: „Angriff 46. Reserve-Division ist nicht gelungen. Ein
Regiment steht noch nördlich Bixschote, die übrige Infanterie ist vor feindlichem Artilleriefeuer zurückgegangen nach Afchhoop (östlich Merckem) und Mangelaare, dabei ist feindliche Artillerie jedenfalls unterlegen. Absicht, in Linie Draaibank—Mangelaare zu schanzen. Rur wenig Schanzzeug. Bedürfnis ist: Ruhe und Essen." Auch das XXVI. Reservekorps kam nicht vorwärts. Der Feind schien sich verstärkt zu haben, Engländer und Fran-
zofen standen hier untermischt. Gefangene Engländer sagten aus, daß sie erst vor zwei Tagen an der Aisne abgelöst seien. Das Generalkommando
meldete: „Flieger haben festgestellt, daß die feindlichen Artilleriestellungen erheblich weiter hinten liegen, als bisher angenommen war; das eigene
Artilleriefeuer hat also wohl noch wenig Schaden getan. Später wird dann zum Angriff vorgegangen werden. Kein Schanzzeug oder wenigstens nicht genügend. Rechter Flügel der 51. Reserve-Division ist auf Koekhuyt zurück309. — 2) S. 309.
316
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
gegangen, wegen feindlichen Artilleriefeuers und wegen Rückzuges des rechten Nachbars, linker Flügel etwa 800 m östlich Langemarck." Ebenso unbefriedigend lauteten die Nachrichten vom XXVII. Reservekorps; es
berichtete, daß „nach Ansicht des Generalkommandos der Angriff auf Gheluvelt dadurch nicht vorwärtskomme, daß die Infanterie der vordersten Linie in ihrem inneren Halt durch die mehrtägigen Kämpfe gelitten habe, und daß es dringend erforderlich erscheine, daß der Druck von Norden gegen die linke Flanke des Gegners sich möglichst bald fühlbar mache, wenn ein Erfolg erzielt werden solle. Etwa 1500 Verwundete bis jetzt bei 54. Reserve-
Division". Vei der 6. Armee traten keine erheblichen Veränderungen ein. Auf dem rechten Flügel von der Straße Ypern—Menin bis in die Gegend westlich Lille machten die Angriffe keine nennenswerten Fortschritte. Man
mußte sich zunächst daraus beschränken, die Stellungen zu halten. Weiter südlich gewannen die 26. und 14. Infanterie-Division gegen schwächeren feindlichen Widerstand bis zum Abend Raum bis in die Linie Fromelles
und nordöstlich—Aubers—Wald östlich Reuve Ehapelle—Chausseekreuz öst¬ lich Richebourg—Violaines, anschließend nach Süden die 29. InfanterieDivision bis Givenchy (westlich La Vassse). Vor Arras trug das I. bayerische Reservekorps und das IV. Armeekorps den Angriff bis an und in die
östlichen Vororte vor.
Die Fliegererkundung hatte feindliche Verstär¬
kungen im Räume westlich Z)pern und Armentisres festgestellt.
Vei derOberstenHeeresleitung hatten die Meldungen über das Ergebnis der Kämpfe am 23. Oktober ernste Besorgnisse hervorgerufen.
Auch dieser vierte Schlachttag hatte keine Wendung zum Besseren gebracht. Die gesamte Schlachtfront stand bewegungslos, nur beim III. Reservekorps hatten Teile den Kanal überschritten. Die Ströme von Blut, die die flan¬
drische Erde tränkten, vermochten die Entscheidung nicht zu erzwingen. Bei den jungen deutschen Truppen hatten die nervenaufreibenden Eindrücke des Tag und Nacht andauernden Kampfes und die Enttäuschung über die geringen Erfolge trotz aller Tapferkeit und Hingabe bereits hier und dort zu schweren Erschütterungen und zu ernsten Krisen geführt. Der Ausgang der Schlacht wurde zweifelhaft. Auf die Anfrage des Generals v. FalkenHayn beim Oberkommando der 6. Armee, ob diese der bedrängten 4. Armee
nicht helfen könne, konnte Kronprinz Nupprecht eine Unterstützung nur durch Teile der Heereskavallerie und durch eine Landwehr-Brigade in Aussicht stellen. Mit einer Besserung der Verhältnisse war unter diesen Umständen kaum zu rechnen. Die Nachrichten über den Feind ließen erkennen, daß dieser weitere Verstärkungen heranzog; in der Gegend Hazebrouck war durch
Enttäuschung der Obersten Heeresleitung üb. das bisher. Ergebnis der Offensive. 517
die Lufterkundung lebhafter Bahn- und Kraftwagenverkehr festgestellt worden. Die Front zwischen La Vassee und Arras war stark besetzt, be-
sonders bei Arras wurde überlegener Feind angenommen. Südlich Soisfons hatten Flieger den Marsch einer Kolonne in Stärke einer Division aus dem
Räume östlich Vierzy nach Coeuvres et Valsery beobachtet. Die 1. Armee berichtete, daß vor der Front des III. Armeekorps nur noch zusammen-
gewürfelte, minderwertige Truppen stünden. Alles das machte die Annahme wahrscheinlich, daß man an der Hauptkampffront bald auf neue Ver-
stärkungen des Feindes stoßen werde. Die wenig günstige Lage an der Schlachtfront trieb General v. FalkenHayn zu neuen Anstrengungen, um unter allen Umständen den drohenden
Stillstand der Operation zwischen dem Meere und La Bassse zu verhüten. Auf den geplanten Durchbruch bei Roye legte er indes unter den gegen-
wältigen Verhältnissen keinen Wert mehr.
Cs schien ihm wichtiger, das
XV. Armeekorps nach Flandern heranzuführen.
Die Armee-Oberkom-
mandos 2 und 6 erhielten daher am Abend des 23. Oktober folgende Wei-
sung: „Lage auf dem rechten Flügel des Heeres macht Heranziehen des XV. Armeekorps dorthin notwendig. Die beabsichtigte Teiloffensive unter dem Befehl des Armee-Oberkommandos 2 muß daher vorläufig aufgegeben werden^). XV. Armeekorps ist mit möglichster Beschleunigung über Cambrai —Douai in mehreren Kolonnen auf Lille in Marsch zu setzen . .
Auch der Angriff auf Arras trat gegenüber der aufs äußerste gespannten Lage in Flandern in den Hintergrund. Schon am Vormittage hatte General v. Falkenhayn an das Oberkommando der 6. Armee telegraphiert: „Einsatz zusammengesetzten XXIV. Reservekorps bei Arras so lange nicht möglich,
wie Gegner östlich Z)pern hält. In Gegend Arras stehende Armeeteile müssen sich also zum zähesten Widerstand gegen etwaige Durchbruchsversuche einrichten. Auch ist möglichste Mitwirkung der 6. Armee gegen den
Feind östlich Jpern notwendig." Am Abend des 23. Oktober war der erste Anprall der neuen Korps am
Dpern-Kanal nach viertägiger Schlacht zum Stillstand gekommen. Nur im äußersten Norden war es dem III. Reservekorps gelungen, auf dem Westlichen Kanalufer festen Fuß zu fasten. Der Angriff der 6. Armee hatte bis-
her zu entscheidenden Erfolgen nicht geführt. Die Hoffnung, daß die deutsche 4. Armee durch Vorstoß in die ungenügend geschützte Flanke des Feindes eine baldige Entscheidung herbeiführen werde, hatte sich nicht erfüllt. Die Überraschung des anfänglich nur schwachen Gegners war schnell überwunden worden. Die sranzösisch-englische
Heeresleitung suchte offenbar gleichfalls die Entscheidung und setzte die letzten *) S. 290 f. und 314.
\
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
318
Kräfte dafür ein. Für die Kunst der höheren Führung war jetzt kein Raum mehr. Das letzte Wort sprach der kämpfende Soldat, das Maschinengewehr, das Geschütz. Voller Sorge war der Blick des verantwortlichen Führers auf die jungen Reservekorps, seine eigenste Schöpfung, gerichtet. Würden sie den
furchtbaren Anforderungen eines vielleicht wochenlangen erbitterten Kampfes gegen einen kriegsgewohnten, tapferen Feind gewachsen sein? Würde ihr Angriffswille den Sieg davontragen über die gewaltige Wirkung der modernen Waffen? Diese Frage, die seit anderthalb Monaten immer von neuem gestellt und zugunsten der Waffenwirkung entschieden war, mußte hm
ihre letzte schicksalsschwere Beantwortung finden. 6.
iDicKämpfeder 4. und 6. Armee vom 24. bis a) Die 4. Armee.
Oktober,
Hierzu Karten 11 und 12 (1:200
24. Oktober.
Das Armee-Oberkommando 4 wollte den Angriff am 24. Oktober fort¬
setzen. Rur in der Gegend von Vixfchote und Langemarck sollten sich die von den verlustreichen Angriffen der vorigen Tage erschöpften Divisionen
auf die Verteidigung beschränken. Größere Erfolge wurden nur am Nordflügel erzielt. Hier konnte rechts der 6. Neferve-Division nun auch die 5. Reserve-Division mit
der 9. Ersatz-Brigade westlich der Z)ser festen Fuß fassen.
Nördlich
Dixmude gelang es auch der 44. Reserve-Division, neun Bataillone über den Fluß zu werfen. Da die in aufopfernder Arbeit von den Pionieren
hergestellten Brücken vom feindlichen Artilleriefeuer wieder zerstört wurden, konnte Artillerie noch nicht nachgezogen werden. So blieb die Infanterie in schwieriger Lage dicht westlich des Abschnittes auf die eigene Kraft an-
gewiesen.
Mit Gegenangriffen des Feindes aus seinen Stützpunkten
in den Flanken der übergegangenen Truppen mußte um so mehr gerechnet werden, als man wußte, daß bei Nieuport die französische 42. Division eingetroffen war. Hier übernahm die schwere Artillerie mit Erfolg den Feuerschütz. Der Gegner fand nicht den Entschluß zum Angriff. Auch gegen das
lästige Artilleriefeuer der feindlichen Flotte wurde die Feuerüberlegenheit gewonnen, so daß sie verschwand. Dagegen brachen aus Dixmude Belgier und Franzosen zum Gegenangriff westlich der Z)ser vor, erlitten aber in der tapferen Abwehr der 44. Reserve-Division schwere Verluste und mußten nach Dixmude zurückkehren. Gegen diesen Ort erzielte die Artillerievorbereitung bei unsichtigem Wetter noch nicht solche Wirkung, daß die 43. ReserveDivision zum Angriff schreiten konnte; so sammelte sie in Ruhe ihre Kräfte für den nächsten Tag. Gegenüber dem XXIII. Reservekorps ging der
Angriff des Nordflügels über die Iser. Abwehr bei Ypern.
Zig
Gegner über den Apern-Kanal zurück, behielt aber Bixschote besetzt und legte starkes Artilleriefeuer auf die deutschen Linien, die stellenweise ein wenig zurückgenommen werden mußten. Teilvorstöße des Feindes wurden abgewiesen. Das XXVI. Reservekorps fand Gelegenheit, seine Stellungen auszubauen und seine Verbände zu ordnen; heftige Vorstöße gegen die SI.Referve-Division konnten am Abend abgewiesen werden. Östlich Apern hatte die 53. Reserve-Division des XXVII. Reservekorps Angriffe des Gegners aus Zonnebeke abzuwehren; die 54. Reserve-Division erstürmte Reutel und nahm 600 Engländer gefangen. Mit diesem Ergebnis des Tages konnte das Armee-Oberkommando 4 zufrieden sein: Der rechte Armeeflügel hatte Fortschritte gemacht; in der Mitte bei Dixmude war die Entscheidung hinausgeschoben; um Apern hatte der linke Flügel gehalten. Gegen Mittag war aber eine Meldung des XXII. Reservekorps eingegangen, daß einem aufgefangenen Befehl zufolge ein Angriff der Engländer in der Richtung von Bixschote und der Franzosen auf Passchen-
daele geplant sei. Einem solchen Vorstoß sah das Armee-Oberkommando nicht ohne Besorgnis entgegen. Rur geringe Reserven standen zur Verfügung: schwache Teile (P/2 Bataillone und 1 Batterie) der 38. LandwehrBrigade bei Dadizeele, die 2. Reserve-Ersatz-Brigade bei Deynze und die 37. Landwehr-Brigade bei Staden; alles Truppen, die Generalfeldmarschall v. der Goltz zur Verfügung gestellt hatte. Verstärkungen, mit denen das Armee-Oberkommando dem Angriff des III. Reservekorps wesentlichen Antrieb hätte verleihen können, waren nicht vorhanden. Anscheinend bestand beim Armee-Oberkommando 4 die Auffassung, daß die nördlich Dixmude eingesetzten Kräfte genügen würden, um den angebahnten Erfolg entscheidend zu
gestalten. Der seit Mittag im Gang befindliche feindliche Angriff über Langemarck und Zonnebeke rückte aber die Sorge um die Entlastung des
schwer mitgenommenen linken Armeeflügels in den Vordergrund. In der
doppelten Umfassung nördlich und südlich Dpern erblickte Herzog Albrecht von Württemberg das wirksamste Mittel für eine entscheidende Wendung der Kämpfe und schlug daher in einer 330 nachmittags abgehenden Meldung an die Oberste Heeresleitung über die Kämpfe vor der Front der 4. Armee eine neue Offensive von zwei frischen Armeekorps von
Süden her in der Richtung Z)pern—Poperinghe vor. Die 4. Armee könne sich bis zum Wirksamwerden des neuen Angriffs in ihren bisherigen
Stellungen halten, falls der Feind sich nicht weiter verstärke. In ihrer Antwort von 735 abends sicherte die Oberste Heeresleitung dem Armee-Oberkommando die gewünschte Unterstützung für den 28. Oktober zu, falls das Oberkommando sich verbürgte, bis dahin den Gegner aufzuhalten^). Als J) S. 328.
320
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
dieses sofort zusagte, ging kurz vor Mitternacht von der Obersten Heeres-
leitung folgender Befehl ein: „4. Armee muß sich mit Hilfe der Höheren Kavalleriekommandeure und der Landwehr-Vrigaden vier Tage lang bis zum Eintreffen starker Unterstützungen mindestens behaupten. Das »Wie« ist Sache der Armee." Mit diesem Befehl war die Aufgabe der Armee für die nächsten Tage festgelegt. Das Armee-Oberkommando war entschlossen, bei Dixmude und nördlich weiter anzugreifen, auf der übrigen Front die Stellungen zu halten und zu neuem Vorgehen bereit zu sein. Damit behielt die Führung die Initiative im Norden in der Hand, mußte sie aber im Süden zunächst dem Gegner überlassen; freilich in der Hoffnung, sie auch hier wieder an sich zu reißen, sobald die Lage es gestattete. 25. Oktober.
Der 25. Oktober brachte dem offensiven Nordflügel räumlich zwar nur geringen Gewinn. Es war aber der hingebenden Arbeit der Pioniere ge¬
lungen, mehrere Übergänge über die Wer herzustellen, so daß die Feldartillerie auf das westliche Äser nachgezogen werden konnte, ehe die Brücken vom Feinde wieder zerschossen wurden. Damit hatten die übergegangenen Divisionen — auch die Infanterie der 44. Referve-Division war inzwischen annähernd vollzählig über den Abschnitt gefolgt — erheblich an Kampfkraft
für die Fortsetzung des Angriffes gewonnen. Dieser Zuwachs war um so erwünschter, als der Gegner durch den Einsatz der französischen 42. Insanterie-Division an Widerstandskraft gewonnen hatte und auch die Gefahr, die von Dixmude her der linken Flanke des Brückenkopfes drohte, noch nicht hatte beseitigt werden können. Die Bedeutung von Dixmude lag auf der Hand. In zäher Tapferkeit wurde um diesen Stützpunkt der Kanalstellung gerungen. Zm Erweiterung der Durchbruchsstelle und Entlastung der 44. Reserve-Division legte die höhere Führung besonderen Wert auf den baldigen Besitz der Stadt. Am Nachmittage befahl das Generalkommando des XXII. Reservekorps den Angriff, doch kam die 43. Reserve-Division nur langsam vorwärts. Da zahlreiche Unterführer bereits gefallen waren, hatte die junge Truppe erheblich an Stoßkraft verloren. Außerdem stellte es sich heraus, daß der Derteidiger keineswegs erschüttert war, und daß seine Stellung unter der Artilleriebeschießung nur wenig gelitten hatte. Obwohl Teile des Angreisers in den Ort eindrangen, mußte die Division am Abend auf etwa 1000 Meter Entfernung vom Ostrande zurückgehen. Ungeachtet der erlittenen schweren Verluste trat die.tapfere Truppe in der Nacht nochmals zum Bajonettkampf an. Sie mußte auch diesmal wieder weichen. Die Führung gewann den Eindruck, daß bei Dixmude ein Erfolg erst nach
weiterer, sorgfältiger Artillerievorbereitung zu erringen sei.
Kampf um Dixmude; Einstellung des Angriffs auf Nieuport.
321
Gegen den südlichen Abwehrflügel der 4. Armee war ein groß an-
gelegter, einheitlicher Angriff des Gegners nicht zustande gekommen. Mehrfache Vorstöße, namentlich in der Nacht, waren vom XXIII. und XXVI. Reservekorps erfolgreich abgewehrt worden. Dagegen war der Feind auf dem rechten Flügel der 53. Reserve-Division in die Stellung des
XXVII. Reservekorps, östlich Zonnebeke, eingebrochen. Der Kommandierende General, General der Infanterie v. Earlowitz, der die verlorene Stellung am nächsten Tage wieder nehmen wollte, bat das Armee-Oberkommando
um Mitwirkung der rechts anschließenden 52.Reserve-Division und Über¬ weisung von Verstärkungen aus der Armeereserve. Herzog Albrecht entsprach der Bitte und bestimmte: „53. Reserve-Division hat Befehl, morgen früh die geräumten Stellungen wieder zu nehmen und unter allen Umständen
zu halten ..." Die Leitung des Angriffs wurde dem Kommandeur der 52. Reserve-Division übertragen, dem die 2. Reserve-Ersatz-Brigade sowie Teile der 37.Landwehr-Brigade (drei Bataillone, drei leichte und drei schwere Batterien) unterstellt wurden. Das Ergebnis des 25. Oktober hatte cm der bisherigen Beurteilung der Lage nichts geändert. Das ArmeeOberkommando glaubte, auch weiterhin an seinen Weisungen festhalten zu können. Bereits mittags hatte es der Obersten Heeresleitung gemeldet, daß man den nächsten Tagen voll Vertrauen entgegensehe. Die Erwartungen der höheren Führung sollten sich jedoch am nächsten 2s.ykt»b«r. Tage, dem 26. Oktober, nicht erfüllen. Die Stoßkraft des III. Reservekorps litt stark unter der Unsicherheit auf den Flügeln. Zwar war die 4. Ersatz-
Division angewiesen, Nieuport anzugreifen. Auch hatte das Armee-Oberkommando auf die Wichtigkeit der Unterstützung des III. Reservekorps durch kräftiges Vorgehen der 44. Reserve-Division hingewiesen. Zu einem Angriff der 4. Crsatz-Division kam es aber unter der Wirkung des Feuers der
feindlichen Schiffsartillerie, die von neuem in den Kampf eingegriffen hatte, nicht. General v. Befeler sah sich daher gezwungen, die Absicht der Ein-
nähme Nieuports durch die 4. Crsatz-Division aufzugeben und statt dessen den rechten Flügel der 5. Reserve-Division gegen Nieuport einschwenken zu lassen, was nur auf Kosten ihrer Stärke in der Front geschehen konnte.
Günstiger gestaltete sich die Lage auf dem Südflügel. Hier konnte sich die 44. Reserve-Division unter der Führung des Generals v. Dorrer so festsetzen, daß das III. Reservekorps nicht weiter gefährdet war. Allerdings waren Teile dieser Division durch Dixmude gebunden. Unter dem Schutz dieser Flügelsicherung gelang es dem III. Reservekorps, sich über den von starkem Regen durchweichten Boden stellenweise näher an den Feind heranzuarbeiten. Das Ziel, das sich das Generalkommando gesteckt hatte. Ein-
bruch in die feindliche Hauptstellung, wurde indes noch nicht erreicht. t Weltkrieg. V. Land,
21
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
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Auch auf dem anderen Brennpunkte des Kampfes, östlich Zonnebeke, blieben am 26. Oktober die Erfolge hinter den Erwartungen zurück. Dem geplanten Angriff der 52. und 53. Reserve-Diviston kam der Feind durch Angriffe gegen die 52. Reserve-Division zuvor. Mit den eingesetzten Armeereserven schritt der Kommandeur der 52. Reserve-Division, Generalleutnant Waldorf, zum Gegenangriff, der nur an wenigen Stellen einige Erfolge
brachte. Die tags zuvor verlorene Stellung wurde trotz schweren Kampfes, in dem Generalleutnant v. Meyer, der bewährte Führer der 37. Landwehr-
Brigade, den Heldentod fand, nicht zurückgewonnen. An den übrigen Teilen der Armeefront hielten sich die beiderseitigen Kräfte die Wage. Gegen Dixmude, wohin der Gegner anscheinend Verstärkungen zog, wurde schwerste Artillerie eingesetzt.
General v. Falkenhayn, der sich am Nachmittage beim Armee-Oberkommando in Thielt einfand, erkannte die Notwendigkeit, der 4. Armee
Reserven zuzuführen, und veranlaßte die Bereitstellung der 6. bayerischen Reserve-Division, die als Neuformation soeben aus der Heimat eingetroffen war, in der Gegend von Comines südlich der Lys'). Außerdem stellte Generalfeldmarschall v. der Goltz hilfsbereit den Rest der 38. LandwehrBrigade2) und weitere Teile der Marine-Division zur Verfügung. !7.Ottober.
Herzog Albrecht hielt auch am 27. Oktober an dem bisherigen leitenden
Gedanken fest: Angriff auf dem rechten Flügel, Abwehr auf dem linken. Wesentliche Fortschritte konnten indes an der Äser nicht erzielt werden; das III. Reservekorps lag auf einige hundert Meter Entfernung vor der bel-
gifchen Hauptkampfstellung am Bahndamm Nieuport—Dixmude.
Gegen
die 4. Crsatz-Division vor Nieuport war das Feuer schwerster Artillerie
der feindlichen Flotte auf weiteste Entfernung von so starker, vornehmlich moralischer Wirkung, daß die Division in geschützte Stellungen zurück¬ genommen werden mußte, und die bisherige Kampfstellung nur von Eiche-
rungstruppen beseht gehalten werden konnte.
Südlich des III. Reserve-
korps gewann die Stellung der 44. Reserve-Division weiter an Stärke. Dixmude wurde noch nicht für sturmreif gehalten und deshalb weiter unter
starkes Artilleriefeuer genommen. An der übrigen Front wurden einzelne
Teilvorstöße des Feindes abgewiesen. Aus dem Verlaus der Kämpfe des 27. Oktober gewann das ArmeeOberkommando den Eindruck, daß beim Gegner die Angriffskraft erlahme. Man wußte auch, daß der Feind unter Munitionsmangel litt. Am so mehr -) S. 312.
2) Bisher Fesiungsbesatzung von Lüttich. Teile der Brigade befanden sich seit dem 3». September im Felde, zunächst beim III. Reservekorps vor Antwerpen. Vgl. auch S. 319.
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Erfolge auf beiden Flügeln.
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durfte man hoffen, daß der geplante Stoß von Südosten auf Apern die feindliche Front zum Wanken bringen würde; bis dahin sollten Kraft und Munition aufgespart werden. In Erwartung dieses entscheidenden Angriffs änderte sich die Lage an 28. der Front im Laufe des 28. Oktober nicht wesentlich. Westlich der Vser gewannen die 6. und 44. Reserve-Division nur wenig Raum. „(Es geht sehr
langsam vorwärts," schrieb General v. Veseler in sein Tagebuch, „aber es geht doch vorwärts." Da man beobachtet hatte, daß der Gegner Kräfte von Nieuport nach Süden verschob und das Gelände nordöstlich der Stadt räumte, zog General v. Veseler die 13. Ersatz-Brigade der 4. Ersatz-
Division hinter die Mitte seines Abschnittes, um sie alsdann westlich der Ufer am Nordflügel der 6. Reserve-Division einzusetzen. In der Gegend von Nieuport stand nun nur noch eine Brigade der 4. Ersatz-Division. Gegen Dixmude wirkten neu eingetroffene Minenwerfer mit gutem
Erfolge. Doch hielt Generalmajor v. Runckel, der die Führung der 43. Reserve-Division übernommen hatte, angesichts der mit allen Mitteln der Feldbefestigung sehr stark ausgebauten Stellung des Feindes einen von Abschnitt zu Abschnitt vorgetragenen Angriff für geboten. An der Front um Z)pern kam es, abgesehen von Artilleriekämpfen, nur
auf dem äußersten linken Flügel zum Infanterieangriff. Der 54. Reserve» Division gelang es, nordöstlich Gheluvelt einige Gräben zu nehmen. Um den Erfolg weiter auszubauen, stellte das Armee-Oberkommando Teile der bei Dadizeele stehenden 6. bayerischen Reserve-Division zur Verfügung; doch verschob General v. Schubert, der an Stelle des erkrankten Generals
v. Earlowitz die Führung des XXVII. Reservekorps übernommen hatte, die Fortsetzung des Angriffs auf den nächsten Tag. Tatsächlich erzielte die 54. Reserve-Division am 29. Oktober hier einen 29.
schönen Erfolg. Sie nahm einen feindlichen Stützpunkt, konnte bis dicht an Gheluvelt herankommen und 200 Gefangene und 8 Maschinengewehre erbeuten.
Im Norden, westlich der Z)fer, hatte General v. Beseler gehofft, am 29. Oktober die feindliche Stellung stürmen zu können. Der Befehl dazu war gegeben. Doch erwies sich weder die Stellung sturmreif noch die
Artillerie des Gegners genügend niedergekämpft. Wenngleich nach FliegerMeldungen beim Feinde gewisse Anzeichen für eine sich allmählich vorbereitende rückgängige Bewegung vorlagen, so konnten doch bis zum Abend nur geringe Fortschritte erzielt werden. Mühsam arbeiteten sich die Divisionen auf 300 bis 400 in an die Stellung heran. Die Nässe des
Bodens begann bereits alle Bewegungen der Truppe außerordentlich zu erschweren. Vor Nieuport wurde die 33. Ersatz-Brigade durch das Feuer 21*
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
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der Schiffsartillerie niedergehalten. Sie konnte deshalb nichts unternehmen, obwohl das Gelände östlich der Yser vom Feinde frei und auch die Stadt Rieuport selbst anscheinend unbesetzt war.
Irgendeine entscheidende Wendung hatten die Kämpfe der 4. Armee während der letzten sechs Tage nicht genommen. An der Z)ser schien das III. Reservekorps dicht vor einer Entscheidung zu stehen. Dixmude blieb nach wie vor fest in der Hand des Feindes. In den erfolgreichen Abwehrkämpfen bei Z)pern hatte sich das Selbstvertrauen der jungen Korps wieder gehoben.
Auch der Feind hatte keinerlei nennenswerte Erfolge erzielen können. Seine wiederholten, wenig einheitlichen Angriffe im Apernbogen deuteten nicht auf die Absicht einer größeren planmäßigen Unternehmung hin. Ob eine Agentenmeldung über eine baldige Landung starker Kräfte bei Ostende sich bewahrheiten würde, blieb dahingestellt. Immerhin mußte das Armee-Oberkommando einer solchen Möglichkeit Rechnung tragen. Die abgezweigten Teile der Marine-Division, die seit dem 28. Oktober der 4. Armee unterstellt war, wurden daher dieser wieder zur Verfügung gestellt. Außerdem
wurde die 38. Landwehr-Vrigade nach der Küste in Marsch gesetzt). Man hatte also gegen eine etwaige Landung im Rahmen des Möglichen
alle Gegenmaßnahmen getroffen. Diese Bedrohung von der Seeseite her vermochte indes das Vertrauen der höheren Führung aus den glücklichen Ausgang des geplanten Angriffs nicht zu erschüttern.
b) Die Kavalleriegruppe Marwitz. Südlich der Straße Z)pern—Menin schloß sich an den linken Flügel des XXVII. Reservekorps die Kavalleriegruppe des Generals v. der Marnütz-) an. Sie unterstand der 6. Armee und war, durch den Lys-Abschnitt
von dieser getrennt, in nordwestlicher Richtung auf Apern angesetzt. So standen ihre Kämpfe mit denen der hier angreifenden 4. Armee in unmittelbarem Zusammenhange. Das Armee-Oberkommando 6 versprach sich viel von dem Einsatz dieser acht Kavallerie-Divisionen, denen am 25. Oktober noch die 11. LandwehrBrigade zugeführt wurde. Die Stoßrichtung der Gruppe Marwitz wies sehr günstig gegen die Flanke des feindlichen Brückenkopfes östlich Z)PM> Die Kavallerie war aber vor eine Aufgabe gestellt, der sie nicht mehr ge-
wachsen sein konnte, wenngleich die abgesessenen Reiter ihr Bestes hergaben. Mit der Lanze auf der Schulter gingen sie zu Fuß in Stellung und griffen in einem Gelände an, das der bestgeschulten und gewandtesten Infanterie *) Die Brigade war von Lüttich her am 28. Oktober in Roulers eingetroffen. Vgl. S. 322. — 2) S. 313.
Kämpfe der Kavalleriegruppe Marwitz.
325
die größten Schwierigkeiten bereiten mußte. Ihr Auftrag war offensiv. Die Führung hoffte, daß der Druck von der Lys her dem linken Flügel der 4. Armee vorwärts helfen würde. Zweimal, am 24. und 26. Oktober, wies auch General v. Falkenhayn auf die Bedeutung und die Notwendigkeit des
Angriffs der Gruppe Marwitz zur Entlastung des benachbarten Flügels der 4. Armee hin. Der 26. Oktober bildete hier den Höhepunkt der Kämpfe, östlich Zonnebeke sollte beim XXVI. und XXVII. Reservekorps der tags zuvor eingebrochene Feind wieder herausgeworfen werden. Die Oberste Heeresleitung hatte zur Unterstützung der 4. Armee tatkräftiges Vorgehen
der Kavallerie befohlen. Während starke feindliche Angriffe von Messines her gegen den linken Flügel abgewiesen wurden, nahm auf dem rechten
Flügel die 11. Landwehr-Brigade unter ihrem bewährten Führer, Oberst v. der Schulenburg, im Verein mit der 25. (Hessischen) Kavallerie-Brigade
in glänzendem Angriff Kruiseik und machte mehrere hundert Engländer zu Gefangenen. Trotz dieses bemerkenswerten örtlichen Erfolges vermochte jedoch die Gruppe Marwitz der Kampflage südöstlich Vpern keine entscheidende Wendung zu geben. Ihre Stoßkraft war erschöpft. Durch die Behauptung der gewonnenen Stellungen während der nächsten Tage erfüllte sie indes eine wichtige Aufgabe: sie verschleierte die Vereitstellung der neuen
Angriffsgruppe.
c) Die 6. Armee1).
Der Angriff der 6. Armee am 23. Oktober hatte zwar einige Fort- 24.«« 2g. or. schritte, aber nicht die vom Armee-Oberkommando mit der Stoßgruppe des to6"*
Generals v. Elaer nördlich der Linie Lens—Bsthune gesuchte Entscheidung gebracht). Hier wie bei der 4. Armee war der Angriff durch die starke GegenWirkung des Feindes zum Stehen gekommen. Am 24. Oktober wollte das Armee-Oberkommando den Angriff fortsetzen. Ebenso wie beim ArmeeOberkommando 4 bestand auch hier die Auffassung, daß nur der Neueinsatz mehrerer Korps auf dem Nordflügel der Lage eine entscheidende Wendung geben könnte. Als daher am Nachmittage des 24. Oktober General v. Falkenhayn mit
Rücksicht auf die schwierig erscheinende Lage der 4. Armee dem Armee-Oberkommando 6 befahl, ein Korps zum Einsatz bei der 4. Armee aus der Front zu ziehen, erhob General v. Krafft sofort telephonisch Einspruch. Bei der engen Gefechtsberührung auf der ganzen Front sei das Herausziehen von Kräften aus der Gefechtslinie nicht ungefährlich, zumal da die Korpsabschnitte sehr breit seien und Reserven nicht zur Verfügung stünden; im übrigen könnten die herausgenommenen Kräfte am 25. Oktober früh noch nicht verwendungsbereit sein. Cr sei der Ansicht, daß eine wirksame Ent') Hierzu Karte 13 (1 :300 000). — -) S. 316.
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Die Operationen in Frankreich und Belgien.
lastung der 4. Armee am ehesten durch weiteren energischen Angriff der 6. Armee gewährleistet würde. Die Oberste Heeresleitung ließ daraufhin
zunächst ihre Absicht fallen, behielt sich jedoch die endgültige Entscheidung vor. Nach Fühlungnahme mit dem Armee-Oberkommando 4 sandte General v. Falkenhayn um 10° abends folgende Antwort an General v. Krafft: „Eni-
t!»ber'
sprechend dortigen Wünschen wird auf Einsatz von Kräften aus der Front der Armee zur Unterstützung rechten Nachbars unter der Voraussetzung verzichtet, daß 6. Armee durch entschiedenes Vortragen des Angriffes in der Front und durch Vortreiben der Kavallerie und der Landwehr-Vrigade zm Entlastung des Nachbars alles, was überhaupt möglich ist, tut." In diesem Befehl war der 6. Armee ihre Aufgabe für die nächsten Tage klar vorgezeichnet: Bindung der gegenüberstehenden starken feindlichen Kräfte zur Entlastung der 4. Armee. Dem trugen die Kämpfe der 6. Armee in den Tagen vom 24. bis zum 29. Oktober Rechnung. Am 25. Oktober nahm die 24. Infanterie-Division die Häusergruppe 21/2 km östlich Bois Grenier, die 26. Infanterie-Division konnte ihren linken Flügel etwas vorschieben, die 29. Znfanterie-Division drang in Givenchy^) ein, und die 1. bayerische Reserve-Division setzte sich vor Arms im Westrande von St. Laurent fest, nachdem tags zuvor heftige französische Angriffe von ihr und der 7.Infanterie-Division abgewiesen waren. Auf die Meldung von diesen Erfolgen ließ General v. Falkenhayn dem Armee-Oberkommando antworten, daß die Fortsetzung des Angriffs mit
letzter Kraft „durchaus der Ansicht der Heeresleitung entspräche". Die Erfolge der nächsten Tage blieben in engen Grenzen. Das XIX. Armeekorps nahm am 26. Oktober Frslinghien und am Tage darauf
Pont Ballot"). Vom XIII. Armeekorps stürmte die 25.Reserve-Division am 26. Oktober die Ortschaften und Gehöfte südlich und südöstlich Bois Grenier, während sich die 26. Infanterie-Division bei La Boutillerie und südwestlich auf Sturmentfernung an die feindliche Stellung heranarbeitete. Besonders erbittert wurde um Neuve Ehapelle gekämpft, das am 27.Oktober in die
Hand der 14. Infanterie-Division fiel; hierbei wurden vier englische Geschütze erbeutet. Alle diese schönen, mit größter Aufopferung errungenen Teilerfolge änderten indes das Bild der Lage an der Armeefront bis zum 29. Oktober
nicht wesentlich. Wurden auch feindliche Gräben, Gehöfte, auch einzelne Dörfer genommen, so beschränkten sich doch selbst bei Arras und vor der Gruppe Elaer, wo nach wie vor die Brennpunkte der Kampfhandlung lagen,
die Fortschritte auf örtliches Zurückdrängen des Gegners. Ihr Wert lag neben dem Zweck der Fesselung des Feindes vor allem auf moralischem a) Givenchy war in der Nacht vom 15. zum 16. Oktober aufgegeben worden. S. 292. — 2) Östlich Armentieres.
Kämpfe der 6. Armee vom 24. bis 29. Oktober.
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Gebiet. Der Angriffswille und die Opferfreudigkeit, die die Truppe auch in diesen Tagen bewiesen, rechtfertigten das Vertrauen der höheren Führung in deren Leistungsfähigkeit und zeigten dem Feinde erneut, daß er es mit einem ungebrochenen Gegner zu tun hatte. Die von der Obersten Heeres-
>.
leitung befohlene Ablösung des Generalkommandos des XIII. Armeekorps und der 26. Infanterie-Division durch das Generalkommando XXIV. Reservekorps und die 48. Reserve-Division verlief am 27. Oktober reibungslos und ohne die vom Armee-Oberkommando 6 befürchteten Folgen'). Angesichts der bevorstehenden Ablösung hatte das XIII. Armeekorps den für den 25. Oktober angesetzten Sturm auf La Boutillerie und die ll/2 km
südwestlich davon gelegene Ferme abgesagt und die Sturmtruppen auf 600 m vom Feinde zurückgenommen. Immerhin führte der Wechsel zu einer Unterbrechung der Angriffstätigkeit an diesem Frontteil und schwächte
ebenso wie die Abgabe zahlreicher schwerer Artillerie, die Kampfkraft der 6. Armee in der bisherigen Angriffsfront. Um sich neue Reserven zu schaffen, sah sich das Armee-Oberkommando gezwungen, am 29. Oktober beim Garde- und IV. Armeekorps je eine Infanterie-Brigade mit einiger Artillerie aus der Front herauszuziehen.
7. Die (Oberste Heeresleitung und die Bildung
der Armeegruppe Fabeck. Hierzu Karten 10 (1 : 1 000 000), 13 (1 :300 000) und 12 (1 :200 000).
Am 23. Oktober hatte sich General von Falkenhayn entschlossen, unter Verzicht auf den Durchbruchsversuch in der Gegend von Roye allein auf dem Nordflügel der Heeresfront mit Einsatz frischer Kräfte die dort bisher ver-
geblich gesuchte Entscheidung herbeizuführen. Zu diesem Zweck war das XV. Armeekorps mit möglichster Beschleunigung über Cambrai—Douai in mehreren Kolonnen auf Lille in Marsch gesetzt worden^). Auf das Anerbieten des Armee-Oberkommandos 2, auch das ihm unterstehende II. bayerische Armeekorps nach dem rechten Heeresflügel zu verschieben, ging General v. Falkenhayn sofort ein und wies am Morgen des 24. Oktober die 2. Armee 24. Oktober,
an, „alle verfügbaren Kräfte, aber schlagkräftige und daher, wenn möglich, geschlossene Formationen unverzüglich in Richtung Lille in Marsch zu setzen". Das Armee-Oberkommando 2meldete, daß das XV. und II. bayerische Armeekorps am 25.Oktober abends mit ihren Anfängen Esnes und Crsvecoeur (südöstlich Cambrai) bzw. Vourlou und Moeuvres (westlich
Cambrai) erreichen würden. Es mußten also noch Tage vergehen, bis die herangeführten frischen 6. 329 f. — 2) S. 317.
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Die Operationen in Frankreich und Belgien.
Kräfte zum Einsatz kommen konnten. Vis dahin galt es, die Lage auf dem Nordflügel zum mindesten im Gleichgewicht zu halten. An das ArmeeOberkommando 4 erging daher am 24. Oktober um 1030 vormittags die Weisung, „falls Zustand der Truppen des XXVI. und XXVII. Reserve-
korps nach Ansicht des Armee-Oberkommandos die Fortsetzung der Offensive dieser Korps nicht aussichtsreich erscheinen lasse, sei die Oberste Heeresleitung mit defensivem Verhalten einverstanden". In den bis zum frühen Nachmittage eingehenden Meldungen der 4. Armee und des Generals v. der Marwitz lag kein Anlaß zu irgendwelchen Besorgnissen. Um so überraschender wirkte einige Stunden später eine neue Meldung des Armee-Oberkommandos 4, nach der der Feind seit Mittag über Langemarck und Zonnebeke, also gegen den linken Flügel des XXIII. und gegen
das XXVI. Reservekorps, angriff. Wörtlich hieß es dann: „Die Armee glaubt halten zu können, wenn Feind nicht weiter verstärkt, hält baldige
Offensive zweier Armeekorps von Süden, Richtung Apern—Poperinghe, für entscheidend, besonders gegen Engländer." General v. Falkenhayn griff diese neue Anregung des Armee-Oberkommandos 4 um so bereitwilliger aus, als ihm die von der 2. Armee zur Verfügung gestellten beiden Armee¬
korps die Ausführung wesentlich erleichterten.
Am Abend erging daher
eine zustimmende Antwort an das Armee-Oberkommando 4*). Auch bei der 6. Armee hatte der 24. Oktober einen für die geplante Entwicklung der
Dinge nicht ungünstigen Verlauf genommen. An der übrigen Heeresfront war die Lage zufriedenstellend. Die AbendMeldung des Armee-Oberkommandos 1 eröffnete die Aussicht, bei Vailly trotz der dort vorbereiteten starken Stellungen den als „minderwertig" be¬ zeichneten Feind auf die Aisne zurückzuwerfen und demnächst auf Soupir vorzudringen. Dadurch konnten auch der 7. Armee der Weg zur Aisne geöffnet und starke Kräfte des Feindes gefesselt werden. In einer Besprechung mit dem Generalstabschef der 5. Armee, General Schmidt v. Knobelsdorf, in Möziöres wurden Einzelheiten des geplanten
Angriffs auf die Festung Verdun^) erörtert, als Zeitpunkt für seinen Beginn der 1. November in Aussicht genommen. Auch das im Laufe des 25. Oktober aus den Meldungen der ArmeeOberkommandos 4 und 6 gewonnene Bild der Lage rief im ganzen günstige Eindrücke hervor, ja, die vom Armee-Oberkommando 6 am Abend erstattete
Meldung über erhebliche örtliche Fortschritte besonders bei der Angriffsgruppe des Generals v. Elaer erweckte bei der Obersten Heeresleitung die
Hoffnung auf „allmähliches Mürbewerden des Gegners". i) S. 319 f. - -) S, 355 f.
Erwägungen über den Einsatz der Gruppe Fabeck.
329
Am Nachmittage des 25.Oktober hatte General v. Falkenhayn über den 25- setober.
Einsatz der neuen Verstärkungen eine eingehende Besprechung mit dem nach Mözisres berufenen General v. Krafft. Dieser erörterte dabei in aussühr-
lichem Vortrage verschiedene Möglichkeiten. Am einfachsten und naheliegendsten erschien der Einsatz am Nordflügel der Angriffsgruppe des Generals v. Claer südlich der Lys in der Richtung auf Cstaires—Merville,
wobei schwierige Verschiebungen, insbesondere auch der schweren Artillerie, vermieden würden. Indessen seien hier große taktische Erfolge schwer zu erringen, eine Reihe ausgebauter Stellungen müßte nacheinander in rein frontalem Angriff überwunden werden, wobei übrigens ständig die linke Flanke von Bethune her bedroht sei. Schließlich treffe man auf den schwie¬ rigen Lys-Abschnitt und das dahinterliegende bergige Gelände. Eine unmittelbare Unterstützung der 4. Armee sei hierbei nicht zu erwarten. General v. Krafft gab daher dem Einsatz der neuen Korps aus der zur Zeit von der Heereskavallerie des Generals v. der Marwitz gehaltenen Aufstellung nordwestlich der Linie Menin—Warneton gegen die aus-
springende Ecke der feindlichen Front südlich Apern den Vorzug, obwohl die hierzu erforderliche Umgruppierung der Kräfte mehr Zeit in Anspruch nahm. Cr schlug vor, diese Operation, zu der außer dem XV. und II. bayerischen Armeekorps auch die Heereskavallerie und ein durch das XXIV. Reservekorps abzulösendes Armeekorps der 6. Armee herangezogen werden könne, in der Richtung über Kemmel auf Cassel zu führen und dadurch die feindliche Lys-Stellung nördlich zu umgehen. General v. Falkenhayn stimmte dem Einsatz an dieser Stelle zu, entschied sich indessen für die Weiterführung des Angriffs in der schon tags zuvor vom ArmeeOberkommando 4 vorgeschlagenen, mehr nördlichen Richtung auf Apern— Poperinghe, um dadurch der 4. Armee eine unmittelbare Unterstützung zu geben und ein engeres taktisches Zusammenwirken mit deren rechtem Offensivflügel zu erreichen. Ob er hierbei nach den Erfahrungen der letzten Wochen noch an das Erreichen eines großen operativen Zieles geglaubt hat, mag dahingestellt bleiben; jedenfalls kam es ihm jetzt vor allem auf einen großen taktischen Waffenerfolg an, der um so sicherer erschien, je begrenzter der Raum wurde. Die Leitung der geplanten Durchbruchsoperation sollte dem Kommandierenden General des XIII. Armeekorps, General v. Fabeck, übertragen und hierzu dieses Generalkommando und die 26. Infanterie-Division aus der jetzigen Front südlich Armentisres herausgelöst werden. General
v. Krafft gab der Befürchtung Ausdruck, daß das Herausziehen gerade dieser Truppe die Behauptung der bisher bei der Angriffsgruppe des Generals v. Claer errungenen Erfolge in Frage stellen könnte. General v. Falkenhayn behielt sich die Entscheidung noch vor.
330
2«. Oktober.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
Da sich auf der übrigen Heeresfront im Laufe des 26. Oktober Creig. nisse von Bedeutung nicht abspielten, konnte sich die ganze Aufmerksamkeit der Obersten Heeresleitung nach wie vor dem Verlauf der Kämpfe am rechten Heeresflügel und den Vorbereitungen des hier geplanten neuen Angrisfs zuwenden. Die Teilnahme des Generalkommandos des XIII. Armeekorps und der 26. Infanterie-Division wurde am 26. Oktober endgültig entschieden; die 26. Infanterie-Division war bis zum Morgen des 28. Oktober
dicht nordwestlich Lille unterzubringen. Z7.O«t»ber.
Am Morgen des 27. Oktober traf General v. Falkenhayn im Hauptquartier des Armee-Oberkommandos 6 in Douai ein. In der bald darauf stattfindenden Besprechung, an der zum Teil auch die Kommandierenden Generale v. Fabeck, v. Deimling und v. Martini teilnahmen, wurden die
Grundzüge für den beabsichtigten Durchbruch festgelegt. Zur Verfügung standen 21/2 Korps, das XV., II. bayerische und die 26. Infanterie-Division. Die Mitwirkung der 6. bayerischen Reserve-Division, die tags zuvor der 4. Armee zur Verfügung gestellt worden war, hing davon ab, ob diese ihrer
Unterstützung nicht bedurfte. Der mit der Leitung des Unternehmens be¬ auftragte General v. Fabeck beabsichtigte, vier Divisionen in einer Breite von
9 km nebeneinander einzusetzen, die fünfte Division in zweiter Linie folgen zu lassen. Abweichend von der ursprünglichen Absicht des Generals v. Fal-
kenhayn wurde beschlossen, den Angriff zunächst gegen die Linie Z)pern (Süd) —Kemmel zu richten, da man glaubte, die überragende Höhenstellung des Kemmel nicht unberücksichtigt in der linken Flanke liegen lassen zu dürfen. Der Beginn des Unternehmens wurde auf den 3l). Oktober festgesetzt. Nach seiner Rückkehr nach Mezieres am Abend des 27. Oktober erließ General v. Falkenhayn den grundlegenden Befehl für die geplante Operation:
„Die Lage auf dem rechten Heeresflügel macht die Herbeiführung baldiger Entscheidung erforderlich. Neben dem Angriff der 4. und 6. Armee soll ein Durchbruch zwischen der 4. und 6. Armee erfolgen. Zu diesem
Zweck werden XV., II. bayerisches Armeekorps, 26. Infanterie-Division und 6. bayerische Reserve-Division (letztere, soweit noch nicht bei der 4. Armee eingesetzt) zu einheitlichem Angriff unter General v. Fabeck dem Armee-Oberkommando 6 unterstellt. Der Angriff hat am 36. Oktober aus
der allgemeinen Linie Wervicq—Deülemont in nordwestlicher Richtung zu erfolgen. Die Armeekorps sind vom Armee-Oberkommando 6 bis zum
29. Oktober abends gefechtsbereit zu versammeln. Alle verfügbare schwere Artillerie der 6. Armee ist für den Durchbruch heranzuziehen, desgleichen ist Verstärkung des rechten Flügelkorps der 6. Armee eventuell unter Verzicht auf Offensive beim VII. und XIV. Armeekorps vom 29. Oktober ab geboten.
Befehl der Obersten Heeresleitung zum Einsatz der Gruppe Fabeck.
331
Eine den Durchbruch vorbereitende Artillerietätigkeit mit schwerstem Kaliber gegen Messines und den Wald von Ploegsteert durch rechten Flügel der 6. Armee wird der Erwägung des Armee-Oberkommandos 6 anHeim-
gestellt. Einheitliches Handeln 4. und 6. Armee ist für das Gelingen des Unternehmens Grundbedingung. Höhere Kavalleriekommandeure 1, 2 und 4 bleiben Armee-Oberkommando 6 unterstellt." Nach diesem Befehl war der Durchbruch der Gruppe Fabeck als entscheidender Akt im Rahmen einer einheitlichen Angriffshandlung der 4. und 6. Armee gedacht. Der Verlauf des 27.Oktober stellte es indes in Frage, ob eine wirkungsvolle Beteiligung der Anschlußfronten möglich sein würde. Nach den bis zum Abend eingegangenen Meldungen des Armee-Oberkommandos 4 konnte sich die Oberste Heeresleitung nicht verhehlen, daß nunmehr auch auf dem rechten Flügel der 4. Armee die Vorwärtsbewegung jenseits des Kanals zum mindesten ins Stocken geraten war. Auch der Angriff der 6. Armee hatte, abgesehen von Teilerfolgen bei der
Heereskavallerie des Generals v. der Marwitz, nirgends mehr Fortschritte erzielt.
Auf der übrigen Heeresfront beschränkte sich die Kampftätigkeit meist auf Artilleriefeuer, das von feindlicher Seite im allgemeinen lebhafter unterhalten wurde, als von deutscher. Aus der Abendmeldung des ArmeeOberkommandos 1 war zu ersehen, daß der geplantes Angriff des III. Armeekorps gegen Vailly in der Nacht vom 29. zum 30. Oktober durchgeführt und am 31. durch Vorgehen gegen Soupir erweitert werden sollte. Dieses Unternehmen war um so willkommener, als es zweifellos stärkeren Feind an
jener Front fesselte. Angesichts des schleppenden Verlaufs der Kämpfe an der Front der W. Oktober.
4. und 6. Armee auch während des 28. Oktober setzte General v. Falkenhayn
seine ganze Hoffnung auf den bevorstehenden Durchbruch der Gruppe Fabeck. Er war daher bestrebt, dem Stoß dieser Gruppe durch Zuführung weiterer Kräfte vermehrten Nachdruck zu geben. Da solche aus der 2. Armee nicht mehr flüssig zu machen waren, entschloß er sich, einer Anregung des Generalstabschefs dieser Armee, Generals v. Lauenstein, folgend, auf Teile des II. Armeekorps der 1. Armee zurückzugreifen,
das vom Armee-
Oberkommando 1 zur etwaigen Unterstützung des geplanten Vorstoßes des III. Armeekorps auf Vailly ausersehen und bereits aus der Front herausgelöst worden war. In der Annahme, daß durch die Inanspruchnahme einer Division des Korps für andere Zwecke das Gelingen des Angriffs an der Aisne-Front nicht in Frage gestellt werden würde, erteilte General v.Falkenhayn der I.Armee am 28. Oktober den Befehl, eine Division des *) S. 328.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
332
II. Armeekorps mit der Bahn nach Lille zur Verfügung des Armee-Oberkommandos 6 abbefördern zu lassen. Generaloberst v. Kluck bestimmte hierfür die 3. Infanterie-Division. Mit ihrem Eintreffen in und bei Lille war vom Nachmittag des 29. Oktober an zu rechnen.
Die am 29. Oktober eingehenden Meldungen der 4. Armee waren
geeignet, die Hoffnungen auf deren wirkungsvolle Beteiligung am Cntfcheidungskampf neu zu beleben').
An der Front der 6. Armee war der
Tag im allgemeinen ruhig verlaufen. Hier war offenbar nach den erbitterten und verlustreichen Kämpfen der letzten Wochen die deutsche Angriffskraft im Erlahmen.
Die Kampftätigkeit an der gesamten übrigen Heeresfront hatte in diesen Tagen immer mehr das Gepräge des Stellungskrieges angenommen. Als Brennpunkte zähen und erbitterten Ringens um rein örtliche Erfolge schienen sich besonders im Bereich der 5. Armee der Argonner-Wald, bei der Armee-Abteilung Strantz die Combres-Höhe und das Waldgelände aus
den Maas-Höhen westlich Apremont herauszubilden. In voller Zuversicht auf einen großen Erfolg an der FlandernFront begab sich General v. Falkenhayn am Nachmittag« des 29. Oktober
nach Berlin, wohin ihn die schwierige Lage im Osten zu wichtigen Besprechungen mit den dortigen Führern gerufen hatte*). Hierdurch wurde seine unmittelbare Einwirkung auf den Gang der Ereignisse des westlichen Kriegsschauplatzes, insbesondere auf die Gestaltung der Operation in Flandern, für kurze Zeit unterbrochen. 8. Die Nämpfe der 4. und Armee vom 30. Oktober bis 3. November. Hierzu Karten 12 (1 :200 000) und 13 (1 :300 000).
Die entscheidende Bedeutung, die das Armee-Oberkommando 4 dem mit Einsatz der Armeegruppe Fabeck neu beginnenden Ningen beilegte, kam im Angriffsbefehl für den 30. Oktober deutlich zum Ausdruck. „Ich
erwarte," so hieß es hier, „daß alle Divisionen rücksichtslos angreifen und sich nicht dadurch vom Vorgehen abhalten lassen, daß ihre Nachbarn etwa nicht gleichen Schritt mit ihnen halten .... Allen Offizieren und Mann-
fchaften ist bekanntzugeben, daß das Gelingen des Angriffs voraussichtlich die Hauptentscheidung des Feldzuges bringen wird." Bei der 4. Armee lag der Schwerpunkt des Angriffs auf dem Nordflügel, der bereits westlich
der Äser kämpfte. Herzog Albrecht hatte bei der Aussichtslosigkeit des Frontalangriffs gegen Dixmude befohlen, daß die 43. Referve-Divifion i) S. 324. — -) S. 555 ff.
III. Reservekorps dringt in die Stellung am Bahndamm ein.
unter Belassung schwacher Kräfte östlich der Äser mit der Masse nördlich der Stadt der 44. Reserve-Division über den Fluß folgen und den Ort von
rückwärts angreifen sollte.
Diese Bewegung mußte auch die Front des
Generals v. Beseler entlasten. Wenn es dem Nordflügel gelang, den Wider-
stand des Feindes, den man für stark erschüttert halten durfte, endgültig zu brechen, fo konnte durch Eindrehen des Nordflügels nach Südwesten im Verein mit dem siegreichen Vorstoß der Armeegruppe Fabeck nach Nordwesten, die seit Wochen im Gang befindliche große Flügeloperation endlich durch einen nachhaltigen Erfolg gekrönt werden. Nicht der Feind, sondern Naturgewalten waren es, die das Vorwärtskommen der deutschen Truppen hemmen und allen Opfern und Anstrengungen ein Ziel setzen sollten. Die 33. Ersatz-Vrigade, die allein noch von der 4. Ersatz-Division bei Westende stand, fand am 30. Oktober nach wie vor das Gelände bis zur Z)ser vom Feinde frei, lag aber im Feuer der feindlichen Schiffsartillerie und schwerer Batterien aus der Gegend von
Nieuport. Eine Kompagnie, die zur gewaltsamen Erkundung aus Nieuport vorgeschickt wurde, überschritt die Brücken und ging bis an den Rand der
Stadt heran. Hier geriet sie aber überraschend in Infanteriefeuer und mußte wieder zurückweichen, wobei sie die Hälfte ihrer Mannschaft als Gefangene in Feindeshand ließ. Die wichtigen Schleusen, die dem Meere den Weg ins Inland sperrten, waren also nicht besetzt, lagen aber unmittelbar vor
der belgischen Stellung im Bereich wirksamen Infanteriefeuers. Da General v. Vefeler der Überzeugung war, daß ein Frontalangriff gegen Nieuport nur unter schweren Verlusten durchführbar sei, beschloß er, die Brigade (ohne ein Bataillon und eine Batterie) von Westende fortzuziehen, um sie
weiter südlich einzusetzen. Westlich der Z)ser mußte sich das III. Reservekorps am 30. Oktober durch Wasser und schlammigen Boden über Drahthindernisse und Bohlensperren den Weg an den zäh verteidigten Bahndamm Nieuport—Dixmude unter schweren Verlusten bahnen. Die zahlreichen Entwässerungsgräben mit ständig steigendem Wasserspiegel konnten nur auf mitgeführtem Schnellbrttckengerät überwunden werden. £lm 815 vormittags meldete das General-
kommando dem Armee-Oberkommando: „Gräben überschwemmt, anscheinend infolge Sprengen der Schleusen von Nieuport." Trotz aller dieser Schwierigkeiten stürmten die brandenburgischen Regimenter der 5. Reserve-Division in strömendem Regen den Bahndamm und faßten in Ramscappelle festen Fuß. Am Mittag wurden zwei Gegenangriffe der Belgier und
farbiger französischer Truppen abgewiesen. Der Nordflügel der Division nahm Front gegen Nieuport, wo noch feindliche Infanterie erkannt war. Auf dem Südflügel der Division wurde flankierende Wirkung gegen Per-
334
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
vyse angestrebt. Die 4. Ersatz-Division konnte, wie das III. Reservekorps um 8" vormittags dem Armee-Oberkommando meldete, nicht weiter vor-
wärtskommen, „weil die Gräben vor ihrer Front stark überschwemmt" waren; es sei beabsichtigt, „alle noch verfügbaren Teile der 4. Ersatz-Division nach Süden zu nehmen und hinter der 6. Reserve-Division herüberzunehmen". Bei dieser hatte General v. Iacobi die Unmöglichkeit erkannt, in dem versumpften Gelände über Wassergräben in breiter Front zu stürmen. Cr ließ deshalb auf der Chaussee Schoorbakke—Pervyse von seiner II. Reserve-Insanterie-Brigade eine Sturmkolonne von neun Kompagnien
vorgehen, deren vorderste Teile auch am Bahndamm in die vordersten Häuser — freilich nur vorübergehend — eindrangen.
In der Nacht sollte
der Sturm wiederholt werden. Auch schwache Teile der 12. Reserve-Infanterie-Vrigade waren in die feindliche Stellung eingedrungen, blieben aber ohne weitere Unterstützung und fielen in die Hand des Feindes. Roch um 9° abends erteilte General v. Veseler den Befehl zur Fortsetzung des Angriffs. Das Wasser war aber weiter gestiegen. Mit dem Wasserstande in den zahlreichen Gräben hob sich auch der Grundwasserspiegel. Die
Flieger meldeten, daß das Gelände teilweise Seen gliche. Die Truppe stand und kämpfte in ein« weiten Wasserwüste. Feuerabgabe und Deckung gegen das feindliche Feuer waren daher sehr erschwert, so daß sich die Verluste
außerordentlich mehrten. Ebenso stieß der Versuch, Maschinengewehre und Geschütze in Stellung zu bringen, auf immer größere Schwierigkeiten. Angesichts der hereinbrechenden Nacht mußte ein Entschluß gefaßt werden. Die Generalstabsoffiziere beider Divisionen fuhren noch spät abends zu mündlicher Berichterstattung über die Lage zum Generalkommando des III. Reservekorps. Schweren Herzens mußte sich General v. Beseler ent° schließen, den mit viel Blut erkauften Vodengewinn preiszugeben und die Truppe so weit zurückzunehmen, als es die Überschwemmung erforderte. Das bedeutete den Verzicht auf die Durchführung des aussichtsreichen Angriffs an dieser entscheidenden Stelle. Im Begriffe, die Früchte der tagelangen, schweren Kämpfe zu ernten, mußte die tapfere Truppe das heiß erkämpfte Schlachtfeld räumen. Mit Toten und Verwundeten, Waffen und Munition durch Gräben und knietiefes Wasser watend, ging sie unbehelligt vom Feinde über die Z)ser zurück. Weiter südlich hatte sich die 43. Reserve-Division (ohne vier Bataillone, eine Batterie Mörser und eine Batterie schwere Feldhaubitzen) in der Nacht zum 30. Oktober aus der Front vor Dixmude losgelöst und unter Vermeidung
der im feindlichen Artilleriefeuer liegenden Chaussee Vladsloo—Beerst die Z)ser ohne Verluste überschritten. Beide Divisionen des XXII. Reservekorps griffen dann am Nachmittage des 30. Oktober an, kamen aber nur
Die Überschwemmung gebietet der Offensive des rechten Flügels Halt.
335
schwer und langsam vorwärts. Alsbald nach der verhängnisvollen Meldung des III. Reservekorps hatte das Armee-Oberkommando in der Nacht zum ZI. Oktober dem XXII. Reservekorps anheimgegeben, ebenfalls zurückzugehen, wenn es durch das Steigen des Wassers dazu gezwungen würde. Doch war die Flut noch nicht bis in dessen Kampfbereich vorgedrungen. Die Divisionen blieben daher vorläufig noch westlich des Flusses. Auch die übrigen Korps der 4. Armee hatten am 30. Oktober an¬
gegriffen; ihre Teilerfolge konnten indes die Gesamtlage nicht wesentlich beeinflussen. Die beiden Divisionen des XXIII. Reservekorps waren beider-
seits Vixfchote zum Angriff angesetzt und nahmen den Ort nach schwerem Häuserkampf, mußten ihn aber wieder aufgeben; 500 Franzosen waren als Gefangene in ihre Hand gefallen. Das Generalkommando des XXVI. Reservekorps kam dem Befehl des Armee-Oberkommandos') nicht in vollem Umfange nach. Cs war noch nicht möglich gewesen, die Ordnung der nach den bisherigen verlustreichen Kämpfen stark durcheinandergekommenen Verbände durchzuführen. General Freiherr v. Hügel befahl deshalb seinen Divisionen, in ihren Stellungen bereit zu stehen, um einen Durchbruch des Gegners abzuweisen oder die Verfolgung des abziehenden Gegners aufzunehmen. Beide Divisionen mit der dort stehenden 2. Referve-ErfatzBrigade wurden von starkem Artilleriefeuer niedergehalten und hatten Angriffe abzuweisen. Eigene Angriffsversuche blieben in den ersten An-
sängen stecken. Besonders heftige Kämpfe fanden beim XXVII. Reservekorps statt, das im Anschluß an die Gruppe Fabeck vorzugehen hatte. Der Angriff lief sich in den vordersten Häusern von Gheluvelt fest. Auf sein weiteres Vortragen legte die Führung den größten Wert. Allein trotz allen Drängens und trotz aller Hingabe und Tapferkeit der Truppe gelang es nicht, größere Fortschritte zu erringen. Nachdem durch die Gewalt der Elemente alle Hoffnungen, die man »>> Gruppe
bei der 4. Armee auf den nördlichen Stoßflügel an der Z)fer gesetzt hatte, zunichte gemacht waren, hing das Schicksal des Angriffs gegen den Apernbogen nunmehr allein von den Erfolgen der im Süden angesetzten Armeegruppe des Generals v. Fabeck ab. Am 28. Oktober 7° abends hatte das Armee-Oberkommando 6 den
Befehl für den Einsatz dieser Gruppe gegeben. Aufgabe des Generals v. Fabeck war es, seine Divisionen im Ausmarschraume zu gruppieren und
zum Angriff anzusetzen. S. 332.
Angriffsziel war der Abschnitt der feindlichen
Fabeck. °f'
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
336
Stellung zwischen Kruiseik und Messines. Durch Zuweisungen aus dem Bereich der 6. Armee wurde die schwere Artillerie der Gruppe auf 21 Vatte-
rien schwerer Feldhaubitzen, zwei Batterien 10 om-Kanonen, acht Batterien Mörser und eine schwerste Batterie gebracht. Der Armeebefehl regelte ferner die Verwendung der Kavalleriegruppe Marwitz. Ihre Aufgabe war es zunächst, bis zum 29. Oktober abends den Aufmarsch der neuen Stoßgruppe zu verschleiern und zu sichern; in der Nacht zum 30. Oktober sollte sie durch deren Vortruppen abgelöst werden. Die Kavallerie des Generals v. Stettens sollte sich hinter dem rechten Armeeflügel bereit halten, eine etwa entstehende Lücke zwischen der 4. und 6. Armee zu schließen; Generalleutnant v. NichtHofen hatte sich mit der Garde- und 4. Kavallerie-Division am rechten Flügel des XIX. Armeekorps, durch zwei Bataillone dieses Korps verstärkt, dem Angriff anzuschließen. Der Rest der Kavallerie sollte sich nach der Ablösung unter dem Befehl des Generals v. der Marwitz bei Lomines und Wervicq als Armeereserve sammeln. Die 11. Landwehr-Brigade und die JägerBataillone wurden vom 30. Oktober ab General v. Fabeck zur Verfügung gestellt; er sollte die 6. bayerische Reserve-Division im Benehmen mit dem Armee-Oberkommando 4 heranziehen. Spät abends ging die Mit-
teilung der Obersten Heeresleitung ein, daß die 3. Infanterie-Division vom 29. Oktober nachmittags ab mit der Bahn bei Lille „zur Verfügung des
Armee-Oberkommandos 6 für das beabsichtigte Unternehmen" eintreffen würde.
Von den zum Durchbruch bestimmten Truppen standen zu dieser Zeit das XV. Armeekorps in der Gegend dicht südlich Roubaix, das II. baye¬
rische Armeekorps hart nördlich Lille. Westlich davon hatte die 26. InfanterieDivision nach ihrer Herauslösung aus der Front Unterkunft bezogen. Die vom Armee-Oberkommando 4 nach Dadizeele gezogene 6. bayerische Reserve-
Division stand dort noch bereit. Den Schwerpunkt des Angriffs wollte General v. Fabeck in die Mitte
zum II. bayerischen Armeekorps legen und nach Eintreffen der 3. Infanterie-Division auch auf den linken Flügel. Das XV. Armeekorps rechts neben dem II. bayerischen Armeekorps und die 26. Insanterie-Division links davon sollten sich auf den inneren Flügeln staffeln, „um", wie es in dem Vefehl vom Abend des 28. Oktober hieß, „den Schutz der Flanken des II. bayerischen Armeekorps übernehmen zu können, wenn dieses die scheinbar schwache Mitte der feindlichen Stellung durchbricht". Als Armeereserve wurde die 6. bayerische Reserve-Division (ohne ein Regiments) nach i) 3., 7. und bayerische Kavallerie-Division; 4.,9., 10. Jäger-Bataillon. -) S. 323.
Ansatz der Gruppe Fabeck zum Durchbruch.
Menin gezogen.
337
Das Generalkommando XIII. Armeekorps wurde nach
Linselles verlegt. Die Luftbeobachtung hatte an, 29. Oktober im Laufe des Vormittags die Versammlung starker Kräfte in der Gegend von Apern festgestellt. Lebhafter Zugverkehr war von Dünkirchen auf Hazebrouck, Kolonnen
im Marsch nach Poperinghe beobachtet worden, ferner starke Truppenansammlungen dort und bei Npern. Auch mittags liefen wieder Meldungen über Truppenbewegungen aus nordwestlicher Richtung auf Ypern ein. Wenngleich die deutsche Führung mit starker Gegenwirkung des Feindes bei den kommenden Kämpfen rechnete, so sah sie ihnen doch um so zuversichtlicher entgegen, als man hoffte, durch die mächtige Artillerie der Gruppe FabeÄ der Infanterie den Weg in die feindlichen Stellungen bahnen zu können. General v. Fabeck hatte von Anfang an mit der Möglichkeit gerechnet, daß der Gegner „in die anscheinend schon vorbereitete Stellung Z)pern—
Messines" ausweiche, und für diesen Fall eine Schwenkung nach Westen ins Auge gefaßt. „Es dringen dann nach", so hatte es in seinem Befehl vom Abend des 29. Oktober geheißen, „XV. Armeekorps mit rechtem Flügel im Anschluß an 4. Armee, mit starkem linken Flügel über Zandvoorde—
Kanalknie nördlich Hollebeke in Richtung Voormezeele (einschließlich), II. bayerisches Armeekorps mit linkem Flügel auf Wytfchaete, dort Anter-
stühung des Angriffs der 26. Infanterie-D ivision." Diese Bewegung hatte zur Voraussetzung, daß die beiden inneren Flügel der 4. und 6. Armee von
Gheluvelt her Schulter an Schulter frontal auf Z)pern vordrangen; andernfalls mußte die Front an irgendeiner Stelle auseinanderreißen. Außerdem barg diese Anordnung die Gefahr, daß die Mitte das Vorwärtskommen des Schwenkungsflügels abwartete. Tatsächlich trat im Laufe des Kampfes beides ein. In das Vorwärtsstürmen der 39. Infanterie-Division des XV. Armeekorps kam am 30. Oktober nördlich Zandvoorde ein vorübergehender Halt, weil die rechte
Rachbar-Division noch südöstlich Gheluvelt abhing. Auch auf das Vorgehen des II. bayerischen Armeekorps blieb das Abhängen des rechten
Flügels nicht ohne Einfluß. Im übrigen hatte der erste Angriffstag lediglich Zandvoorde—Hollebeke und Wambeke in deutschen Besitz gebracht. St. Aves, von der Gruppe des Generals v. Richthofen (Garde-, 4. Kavallerie-Division, zwei Bataillone des XIX. Armeekorps) genommen, mußte wieder aufgegeben werden. Die Enttäuschung über diesen geringen Erfolg war um so größer, als nach den Truppenmeldungen die genommenen Stellungen zwar stark ausgebaut, aber nur schwach besetzt gewesen waren.
Vorläufig waren, darüber konnte
kaum ein Zweifel bestehen, erst vorgeschobene Stellungen des Gegners get Weltkrieg. V. Land.
22
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
338
Wonnen worden, und der schwerste Kampf, der nunmehr ohne den Vorteil der
Überraschung durchgefochten werden mußte, stand noch bevor. Daß es sich nicht um eilig aufgeworfene Schützengräben, sondern um eine sorgfältig be-
festigte, in mehrere Linien tief gegliederte Stellung handelte, hatte der erste Tag gelehrt; nach den Meldungen der Flieger waren südöstlich Ypern und östlich Poperinghe große Befestigungsanlagen erkannt worden. ZI. Oktober.
Am 31. Oktober 1*° morgens meldete General v. Vefeler dem Armee-
a> 4. Armee. Oberkommando 4: „Infolge stetig zunehmender Überflutung des Geländes
östlich des Bahndammes zwischen Nieuport und Pervyse müssen Truppen zurückgezogen werden. Fortsetzung des Angriffs voraussichtlich unmöglich." Diese überraschende Meldung rief beim Armee-Oberkommando eine um
so schwerere Enttäuschung hervor, als von dem Vorgehen des rechten Armeeflügels gerade der entscheidende Erfolg erhofft war. Die Gewalt der Elemente hatte der Schlacht eine verhängnisvolle Wendung gegeben, gegen die menschlicher Wille nichts auszurichten vermochte. Am 5° morgens wurde dem Generalkommando anheimgegeben, nach eigenem Ermessen zu handeln; das Armee-Oberkommando behalte sich weitere Entschließungen über die demnächstige Verwendung des Korps vor. Der Obersten Heeresleitung wurde unverzüglich Meldung erstattet: „Rasches Steigen in dem durch Sprengung der Rieuporter Schleuse') überschwemmten Gebiete zwischen Bahn und Kanal macht Zurücknehmen III. Reservekorps nötig. Feind wird dort weiter festgehalten. Demnächst Einsatz des III. Reservekorps nach Süden be-
absichtigt." Der Rückzug des III. Reservekorps erfolgte in der Rächt zum 31. Oktober unter großen Schwierigkeiten, aber ohne Störung durch den Feind. Sämtliche Verwundete und Geschütze wurden geborgen, Sicherungen
blieben auf dem Westufer der Äser. Die drei Divisionen des Korps sammelten sich im Laufe des Tages östlich des Flusses, während das XXII. Reservekorps noch westlich stand. Es vermochte aber nach dem Rückzuge des III. Reservekorps nicht weiter anzugreifen, mußte vielmehr den rechten Flügel an die Z)ser zurückbiegen. Die beiden Korps an der Rordostsrönt des Dpernbogens, das XXIII. und XXVI. Reservekorps, lagen auch am 31. Oktober in schwerem Artilleriefeuer des Feindes und sahen sich in die Abwehr gedrängt. Rur beim linken Flügelkorps der 4. Armee kam es zu größeren Kampfhandlungen. Zusammen
mit dem rechten Flügel der 30. Infanterie-Division stießen württembergische J) Tatsächlich war die Schleuse nicht gesprengt, sondern nur geöffnet worden.
Vgl. S.390.
Umgruppierung auf dem rechten Flügel der 4. Armee.
339
Regimenter des XXVII. Reservekorps zwar durch Gheluvelt durch, westlich des Ortes leisteten jedoch die Engländer zähen Widerstand und gingen sogar wieder zum Gegenangriff vor, der sie vorübergehend in den Besitz des Ortes brachte. Die Beute des Tages waren 800 Gefangene, drei Geschütze und ein Maschinengewehr.
Der Wassereinbruch bei Nieuport hatte die Lage der 4. Armee völlig verändert. Das Gebiet, in dem bisher der Brennpunkt des Kampfes gelegen hatte, war zur toten Front geworden, so daß die hier eingesetzten Kräfte frei wurden. Die Fortschritte aus der übrigen Front waren gering, und die
Truppe so erschöpft, daß ohne Einsatz von Verstärkungen durchschlagende Erfolge hier vorläufig nicht mehr zu erwarten waren. Wenngleich sich das Armee-Oberkommando 4 vorübergehend zur reinen Abwehr entschließen mußte, so hoffte es doch, in den nächsten Tagen durch Einsatz des III. Reservekorps an anderer Stelle den Angriff zur unmittelbaren Anter-
stützung der Gruppe Fabeck wieder aufnehmen zu können. In diesem Sinne erging der Befehl für den 1. November. Das III. Reservekorps wurde nach Süden gezogen, um gemeinsam mit dem XXIII. und XXVI. Reservekorps wieder anzugreifen. Der Schutz an der Aser-Front blieb der 4. Ersatz-
Division überlassen. Das XXII. Reservekorps sollte seine Stellungen halten, während das XXVII. Reservekorps sich dem fortschreitenden Angriff der Gruppe Fabeck anzuschließen hatte. In einer „Besonderen Anweisung für den gemeinsamen Angriff des III., XXIII. und XXVI. Reservekorps" wurden vom Armee-Oberkommando 4 am 31. Oktober
abends nähere Anordnungen für den geplanten Angriff getroffen. „Es ist beabsichtigt," so hieß es, „je nach der taktischen Lage entweder am 2. oder 3. November den allgemeinen Angriff fortzusetzen und hierbei das III. Reservekorps zwischen dem XXIII. und XXVI. Neservekorps derart
einzuschieben, daß es in dem Gefechtsstreifen rechts Mangelaare— Voefinghe, links Poelkappelle—St. Julien (sämtliche Orte dem III. Reservekorps) zum Angriff vorgeht. Die drei Korps haben im Lause des 1. November 1914 alle hierfür erforderlichen Vereinbarungen untereinander zu treffen." Die Fortschritte der Gruppe Fabeck waren auch am 31. nicht erheblich. >. Oktober,
oberste Führung die Frage verfolgt, wie sich die Aufmarschbewegung der Engländer am linken Heeresflügel vollziehen, und vor allem ob es
gelingen werde, die Belgier zum Stehenbleiben und Frontmachen zu bewegen.
Die Anfänge des britischen Expeditionskorps trafen, wenn auch unter gewissen, durch die Ermüdung der Truppe und Schwierig¬ keiten beim Transport entstandenen Verspätungen, im allgemeinen ohne Störung ein"). Das englische II. Korps erreichte am Abend i) S. 121. — -) S, 122. — -) French, S. 202.
358
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
des 11. Oktober den Kanalabschnitt Bsthune—Hinges—Mont Vernenchon und nahm mit dem linken Flügel der französischen 10. Armee bei
Vermelles und der französischen Heereskavallerie bei Festubert Verbindung auf.
Die englische Kavallerie rückte links vom II. Korps in die Front
Merville—Hazebrouck ein"). Das III. Korps schob seine zuerst ausgeladenen Truppen bis in die. Gegend halbwegs Hazebrouck—St. Omer vor.
Ein großer Teil' war noch in der Heranbeförderung begriffen^).
Die französische Heereskavallerie deckte mit dem 1. Kavalleriekorps rechts vorwärts des britischen II. Korps in der Gegend nordwestlich von La Bassöe, mit dem 2. Kavalleriekorps vor dem linken Flügel der Engländer
südöstlich Hazebrouck die Vormarschbewegung und hatte dort zum Teil hef> tige Kämpfe mit deutscher Kavallerie zu bestehen^). Der englische Ober¬ befehlshaber hegte die Absicht, am 12. Oktober vorzugehen, und ordnete an, daß das II. Korps die Linie Lorgies—Cstaires, die Kavallerie das
Höhengelände bei Berthen (nordwestlich Bailleul) und das III. Korps mit seinen Anfängen die Gegend östlich Hazebrouck zu erreichen hätten. Die weiteren Ausladungen des III. Korps sollten baldmöglichst von St. Omer nach Hazebrouck vorverlegt werden^). Die belgischeHeeresleitung stand am 11. Oktober vor einem
schweren Entschluß.
Der Zustand der Truppen war besorgniserregend.
„Die Infanterie hatte ihren inneren Halt noch nicht wiedergewonnen; die Artillerie und die bespannten Kolonnen, die im Fußmarsch herankamen, waren äußerst erschöpft; die Verwirrung im Nachschub war naturgemäß erheblich^)." Andererseits erhob die französische Heeresleitung die unzwei-
deutige Forderung stehenzubleiben. war
bisher nur in der Nähe
Der Rückzug der belgischen Truppen von Antwerpen vom Gegner gestört
worden. Nach eingehender Beratung mit den Unterführern sowie mit den Generälen Paü und Rawlinson faßte der König gegen Abend den Entschluß, sich der Forderung der Franzosen zu fügen und die Armee im Räume Dixmude^Rieuport—Furnes—Rousbrugge zu versammeln. Die Bewegung sollte sich unter dem Schutz der bisher bei Gent stehenden englisch-sranzösischen Truppen, die in der Linie Roulers—Thielt, und der bel-
zischen Kavallerie, die an der Lys die Deckung durchführen sollte, vollziehen"). General Pau konnte am späten Abend General Iossre melden, daß die bel¬ gische Armee auf eigenem Boden stehenbleiben würde, und daß das belgische Oberkommando — ebenso wie das britische — glücklich sei, Anweisungen
des französischen Großen Hauptquartiers zu erhalten^). i) Engl. amtl. Werk, II, ©.72. — -) Ebenda, S. 71. — 3) Palat, VII, 6. 330. — Conneau, S. 107. — 4) Engl. amtl. Werk, II, S. 502. 5) La Belgique, S. 179. — °) Ebenda, S. 178. — ') Hanotaux, XIII, 6.31.
Französische Bemühungen, die Belgier zum Halten zu bringen.
359
Nach dem Durchmarsch der Belgier rückten gegen 6'° abends die französischen Marinetruppen, etwas später auch die Engländer von Gent ab. Die britischen Nachhuten wurden noch von deutschen Abteilungen angegriffen, vermochten sich aber ohne ernstliche Verluste vom Gegner zu
lösen'). An der französischen Front traten an diesem Tage keine wesentlichen Veränderungen ein.
Vei der 5. u n d 2. A r m e e glaubte man
Anzeichen für den Abmarsch deutscher Kräfte bemerkt zu haben"), und vermutete, daß sie für den deutschen Nordflügel bestimmt waren. Auch vor der 10. Armee wurden beim Gegner Truppenbewegungen in nord-
westlicher Richtung beobachtet). Vei Vermelles fanden heftige Kämpfe statt. La Vassse mußte von einer vorgeschobenen Abteilung geräumt werden. Am 12.Oktober sandte General Ioffre an General Foch nähere 12.o«o»er.
Anweisungen für die künftige Mitwirkung der Belgier4). Entsprechend den am Tage vorher getroffenen Verabredungen sollte der Belegungsraum
der belgischen Truppen durch General Foch im Einvernehmen mit dem bel¬ gischen Generalstabe festgelegt werden. Die Rekrutendepots und die zeitweise
nicht kampffähigen Mannschaften sollten auf dem Seewege nach Le Havre übergeführt werden. Für die Versorgung der Belgier käme als EtappenHauptort Calais in Frage. Vorübergehend könne als Verpflegungsbasis Dünkirchen in Anspruch genommen werden. Boulogne bleibe ausschließlich den Engländern vorbehalten. Diese Anordnungen waren auffallenderweise nicht an die belgische Heeresleitung, sondern an General Foch zur weiteren Veranlassung gerichtet worden, so daß die Annahme berechtigt erscheint, daß er schon damals von General Ioffre als Oberbefehlshaber für den gesamten Nordflügel der ver° bündeten Streitkräfte betrachtet wurde. An der Front ereignete sich nichts von besonderer Bedeutung. Die vor den Engländern befindliche französische Heereskavallerie wurde am 12. Oktober zu einer Kavalleriegruppe unter dem Befehle
des Generals Eonneau vereinigt). Sie erhielt um 10° vormittags von der
übergeordneten 10. Armee die Weisung, nach Lille, das vom Feinde
hart bedrängt werde, vorzustoßen"). Der Versuch mißlang jedoch. Kaum hatten sich die Reiterverbände in Marsch gesetzt, als sie überall auf deutsche Kräfte stießen, die einen weiteren Vormarsch verwehrten. Am Nachmittage brachte eine Brieftaube dem Oberkommando der 10. Armee die Nachricht, daß die Besatzung von Lille infolge Munitionsmangels die ') Palat. VII, S. 319. — -) Palat, VII, S. 334. — 3) Ebenda, S. 331. —
4) Hanotaux. XIII, S. 31. — °) Franz. amtl. Werk, X, 1, S. 941. — °) Conneau,
4.Ottober.
General Iossre erfuhr am 14. Oktober von dem Entschluß der
Belgier, hinter die Z)ser zurückzugehen. Cr erkannte die Gefahr für die beabsichtigte Offensive und suchte unverzüglich Maßnahmen zur Schließung der zwischen Engländern und Belgiern entstehenden Lücke zu treffen. An General Foch erging die Weisung, „den linken Flügel der französisch1) La Belgique, S. 181. — -) Ebenda, S. 180. — ») La Belgique, S. 180. —
4) Ebenda, S. 181. — °) Ebenda, 6.182.
Entschluß der belgischen Heeresleitung, hinter der Dscr Front zu machen. ZßZ
englischen Stellung durch ein Kavalleriekorps zu decken und auf dem rechten Flügel der Belgier irgend etwas zu unternehmen").
General Foch glaubte indes anscheinend, die Kavallerie zwischen den beiden englischen Korps zunächst noch belassen zu müssen, und erteilte der wieder vereinigten Kavalleriegruppe Conneau den Vesehl, den Gegner im Räume von Merris mit äußerster Entschlossenheit anzugreifen"). Um die Stoßkraft der 10. A r m e e zu heben, wurde ihr Abschnitt im
Süden verkürzt; die 2.Armee übernahm fortan die Front südlich der
Scarpe°). Von der neugebildeten Gruppe Vidon vereinigten sich am 14. Oktober die 87. und 89. Territorial-Division im Räume Z)pern—
Poperinghe^). Der Verlauf der Kämpfe am 14. Oktober entsprach keineswegs den Erwartungen der französischen Führung. Die 10. Armee kam trotz aller
Angriffsversuche nicht vorwärts; ihre vorderste Linie blieb fast unverändert. Die französische Heereskavallerie erzielte nur geringe örtliche Erfolge; sie nahm Neus Verquin und drang bis in die Gegend nördlich Cstaires vor°). Beim englifchenCxpeditionskorps vermochte das II. Korps fast gar keine Fortschritte zu erringen. Feldmarschall French suchte am Nachmittage General Smith Dorrien auf und fand ihn in gedrückter Stimmung^). Der Kommandierende General des II. Korps berichtete, daß seine Truppen völlig erschöpft seien und wenig Angriffsgeist zeigten; zudem hielt er seinen Frontabschnitt für zu ausgedehnt. Um dem Korps zu helfen, wandte der Marschall sich an General Foch und bat ihn, die
englischen Truppen südlich des La Vassee-Kanals durch französische Kräfte abzulösen').
Der französische Führer erteilte eine zusagende Ant-
wort, und in der Nacht vom 14. zum 15. Oktober fand der Austausch
der Verbände statt. Das englische III. Korps gewann unter lebhaften Kämpfen die Linie Le Verrier—Vailleul°). Das Kavalleriekorps Allenby stieß bis in die Gegend von Wytschaete vor und vereinigte sich dort mit der
3. Kavallerie-Division des IV. Korps, das seinerseits auf Jpern zurückging und sich östlich davon eingrub. Bei den Belgiern wurden die in der Stellung Cortemarck—
Cerneghem zurückgelassenen Truppen an diesem Tage nicht angegriffen. Dagegen mußte die westlich Thielt sichernde 1. Kavallerie-Division vor starken deutschen Kräften in die Gegend nordwestlich Roulers zurück¬ ') Sanotaux, XIII, S. 34. — -) Conneau, S. 110. — Palat, VII, S. 350. —
3) Franz, amtl. Werk, X, 1, S. 93. — 4) Hanotaux, XIII, S. 35. — -) Conneau, S, III. — «) French, S. 210. — 7) Engl. amtl. Werk, II, S. 82. — «) Ebenda, S. 98.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
364
weichen'). Vom Gros der Armee rückten die 2. und 3. Diviston auf das Westufer der Z)ser, die 6. wurde zur Verbindung mit den Engländern in die Gegend von Vixfchote, die S. nach Zarren (östlich Dixmude) gezogen. Die über den Gegner im Laufe des Tages eingegangenen Nachrichten besagten, daß drei stärkere Kolonnen, etwa 40 000 bis 50 000 Mann, aus der Richtung von Antwerpen auf Menin, Roulers und Ostende im
Anmarsch begriffen seien2). Die Engländer glaubten, Teile des deutschen XIII. Korps vor ihrer Front zu Habens. Den im belgischen Hauptquartier
eingelaufenen Meldungen zufolge sollten Teile des deutschen XIX. und XII. Korps zwischen Armentwres und Menin am Lys-Abschnitt festgestellt sein und das 4. Kavalleriekorps zwischen Vailleul und Jpern stehen^). Diese letzte Nachricht mußte als überholt erkannt werden, weil ja die britische
Kavallerie bereits Wytschaete erreicht hatte'). Die belgische Heeresl e i t u n g gewann am Abend den Eindruck, daß der Südflügel der Corte-
marck-Stellung bedroht sei, und erteilte noch während der Nacht zum 15. Oktober den Befehl, mit den dortigen Kräften hinter die Bser zurück¬ zugehen. Nur die 5. und 6. Division wurden noch südlich bzw. östlich von Dixmude belasten, die Marine-Brigade Ronare'h auf Dixmude zurück¬
genommen"). Oktober.
Am 15. Oktober vermochte sich General Iossre nach Empfang der Nachricht vom endgültigen Nückzuge des belgischen Heeres hinter die Zlser der Überzeugung nicht zu verschließen, daß auf dessen Hilfe bei den kommenden Operationen nicht mehr zu rechnen sei. Eine Besetzung der Kanalhäfen von Zeebrugge und Ostende durch den Gegner war nicht mehr zu verhindern. Schon trafen belgische Nachrichten ein, nach denen mit einem bevorstehenden deutschen Angriff über die Linie Iseghem—Brügge zu rechnen war. Das französische Große Hauptquartier leitete diese Meldung am Vormittage an General Foch weiter. General Ioffre erklärte, daß die belgische Armee, wenn sie nach dem Arteil des Generals Foch nicht mehr in der Lage sei, einem solchen Angriff standzuhalten, gestützt werden müsse, damit der linke britische Flügel nicht in der Luft schwebe. Cr wies General Foch an, baldigst mit Marschall French in Verbindung zu treten und auf ein Eingreifen der englischen Flotte an der Küste hin-
zuwirken'). Für alle Fälle müßte Dünkirchen seine vollständige Kriegsbesatzung zur Verfügung stehen und die Festung in einen uneinnehmbaren J) La Belgique, S. 281. — --) Palat, VII, S. 348. — ->) Engl. amtl. Werk, II, S. 99. — 4) La Belgique, S. 182. — Palat, VII, S. 348. — °) S. 363. — «) Hanotaux.
XIII, S.32. — ') Hanotaux, XIII, S.34. — Madelin, ) Ebenda u. Hanotaux, XIII, S. 52.
4) ©.370. — 5) Hanotaux, XIII, S. 52. — La Belgique, S. 210. —
°) Palat, VIII, S. 109. — ) Palat, VIII, S. 176. — -) Ebenda. — 3) Ebenda, S. 158. — 4) Ebenda, S. 157.
u. 173ff.— s) Engl. amtl. Werk, II, S. 92. — Es wurden vier Batlne. und drei Battr.
sowie vom Kavalleriekorps Eouneau ein Iägerbatl., eine stärkere Schühenabtl., eine Radsahrabtl. u. neun Battr. zur Verfügung gestellt. — ®) Palat, VIII, S. 163. t weltdieg. V. Band.
25
of*
386
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
starker Erschöpfung besonders mitgenommen. Marschall French mußte sich am 26. Oktober persönlich davon überzeugen und entschloß sich nach einer eingehenden Besprechung mit den Unterführern am 28. Oktober, das II. Korps aus der Front herauszuziehen, und es durch das inzwischen voll-
zählig eingetroffene indische Korps zu ersetzen'). Das englische IV. Korps verlor am 26. Oktober am rechten Flügel einige Gräben.
Das I. Korps
vermochte keine Fortschritte zu erzielen. Trotzdem beurteilte der Oberbefehlshaber in einer Meldung an Lord Kitchener vom Abend des 26. Oktober die Lage nicht ungünstig^).
Cr sprach die Ansicht aus, daß die Deutschen infolge ihrer Verluste völlig außerstande seien, noch einen stärkeren Angriff durchzuführen. Sie könnten nur noch mit Hilfe ihrer zahlreichen Artillerie ihre Stellungen halten. Angesichts der eigenen hohen Verluste bat Marschall French um baldige Absendung von Ersatz oder Verstärkungen und erhielt daraufhin die
Zusicherung, daß zunächst sechs Territorial-Vataillone zur Ablösung der am meisten geschwächten aktiven Bataillone eintreffen würden.
Am die
Ankunft der immer noch nicht auf französischem Boden erschienenen 8. Division des IV. Korps zu beschleunigen, sandte der englische Führer am 27. Oktober General Rawlinson in die Heimat und unterstellte für die Dauer seiner Abwesenheit die 7. Division dem I. Korps; die bereits beim Kavalleriekorps befindliche 3. Kavallerie-Division beließ er dort°). Am gleichen Tage verlor das II. Korps Neuve Chapelle. Hier mußten die vom
Kavalleriekorps Conneau gesandten Verstärkungen in den Kampf geworfen werden^). Am 29. Oktober wurde das 1. Korps bei Gheluvelt stärker an-
gegriffen, konnte aber seine Stellungen behaupten. Inzwischen war die Munitionslage beim Expeditionskorps immer
ernster geworden. Mehrfach schon hatte Marschall French die maßgebenden heimischen Dienststellen um Lieferung größerer Rachschubmengen gebeten. Nach französischer Angabe betrug am 29. Oktober die im Höchstfall zu ver-
feuernde Tagesrate für ein britisches Geschütz 20 Schutz^)! In einer Besprechung am 29. Oktober mit General Foch sah der englische Höch st kommandierende die Lage wieder erheblich ungünstiger an; er wies darauf hin, daß sich die Deutschen vor seiner Front anscheinend verstärkten. Cr glaube, im Augenblick keine andere Aufgabe erfüllen zu können, als seine Stellungen zu behaupten. Gleichzeitig gab er der Hoffnung Ausdruck, daß die Überschwemmung vor der belgischen Front, für die er immer eingetreten sei, bald wirksam werden würde"). x) Palat, VIII, S. 163 u. engl. amtl. Werk, II, S. 221. — 2) Engl. amtl. Werk, II, S. 252. — s) Ebenda, S, 254. — . Oktober ab setzten an der englischen Front bei Apern neue
deutsche Angriffe ein, die bis zum 3. November fast ununterbrochen und mit größter Heftigkeit geführt wurden und nicht nur die englische, sondern auch die französische Führung auf eine harte Probe stellen. Die vom General Foch für den 30. Oktober erlassenen Befehle hatten der Armee-Abteilung „Belgien" die gleiche Aufgabe wie an den Vor-
tagen zugewiesen. Als erstes Ziel war die Wegnahme von Poelkappelle, *) La Belgique, S. 213. — -) Ebenda. — 3) Palat, VIII, S, 160. — 4) Ebenda, ®. 159. — 5) Ebenda, S. 167. — 6) Ebenda, S. 166. — 7) Franz. amtl. Werk, X, l, S. 832. — Vgl. S. 242. — ») Ebenda, X, 2, S. 308, u. Palat, VIII, S. 166.
Schwierige Lage des britischen I. Korps, bei Upern.
389
demnächst ein Einschwenken auf Westroosebeke gefordert^). Der engtische Führer hatte an seinen bestehenden Anordnungen nichts geändert'). Die Deutschen kamen jedoch an diesem Tage jeder Offensive zuvor. Vom frühen Morgen ab erfolgten heftige Angriffe in dem ganzen Abschnitt zwischen Messines und Langemarck, die von schwerem Artilleriefeuer begleitet waren.
Vis gegen Mittag war zwischen Messines und
Zandvoorde ein Einbruch erfolgt und die englische Front geworfen. Eiligst wurden von britischer Seite alle irgend verfügbaren Reserven, auch die der
Nachbarabschnitte, herangezogen; sie vermochten zwar die Einbruchsstelle abzuriegeln, jedoch nicht das verlorene Gelände wiederzugewinnen. Nördlich der Straße Menin—Apern hielt das englische I. Korps mühsam dem Ansturm der Deutschen stand. Links davon stieß das französische IX. Korps und Teile des Korps de Mitry bei Beginn ihrer Bewegung mit dem Gegner zusammen. Das IX. Korps blieb vor seiner vordersten Stellung liegen und mußte sich eingraben. Den Truppen de Mitrys wurde Vixfchote von den Deutschen wieder entrissen. Als im Laufe des Tages die Lage bedrohlich wurde, sah sich General d'Urhal
gezwungen, die zuerst eingetroffenen Teile der 32.Division unverzüglich hier in den Kampf zu werfen"). Mehrfach hatte gegen Mittag das englische I.Korps den General Dubois (IX. Korps) um Unterstützung gebeten^). Dieser stellte angesichts des Cmstes der Lage feine gesamten Reserven (drei Bataillone, zwei Kavallerie-Brigaden) zur Verfügung^). Der Oberbefehlshaber, General d'Arbal, entsandte außerdem zwei Zuaven-Vataillone der 38. Division dorthin^). General Foch erhielt gegen Abend von der gefahrdrohenden Gestaltung der Lage an der britischen Kampffront Kenntnis. Cr begab sich kurz nach Mitternacht in das Hauptquartier des Marschalls French nach St. Omer und stellte den Engländern acht Bataillone der 32. Division zur Verfügung^). Da die französischen Verstärkungstruppen zum größten Teil erst am nächsten Morgen auf dem Schlachtfelde eintreffen konnten, die Kämpfe aber während der Nacht mit ungeminderter Heftigkeit anhielten, blieb die Lage der Engländer bedrohlich. Z)pern, der wichtigste Punkt der gesamten rückwärtigen Verbindungen der in schwerem Ringen stehenden Front, war stark gefährdet. An der belgischen Front traf ein von
stärkstem Artilleriefeuer begleiteter Ansturm deutscher Kräfte die französischbelgischen Stellungen 'am Bahndamm. Ramseappelle ging an den Gegner Palat, VIII, S. 182, u. Dubois, II, S. 45. — 2) Engl. amtl. Werk, II, S. 522. - 3) Palat, VIII, S. 182. — 4) Ebenda, S. 184. — 5) Ebenda. — 6) Ebenda, S. 191. —
') Ebenda, 6.188. — Nach engl. amtl. Werk, II, S. 297, Anm. 3: fünf Batl. und drei
Battr,, die erst in der Nacht zum 1. November bei St. Elvi und Wytschaete eintrafen.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
390
verloren, Gegenangriffe scheiterten. Anter starken Verlusten hielten die Truppen mühsam stand. Die letzten belgischen Reserven wurden eingesetzt. Der Führer des französischen XXXII. Korps, General Humbert, konnte keine nennenswerten Kräfte zur Unterstützung senden. Cr erhielt außerdem vom Oberkommando d'Urbal am Nachmittage die Weisung, sich nicht durch die Hilferufe der Belgier beeinflussen zu lassen. Wenn dringend erforderlich, müßte ein Bataillon und eine Abteilung Artillerie als Unterstützung genügen. Cr werde bei den weiteren Operationen sich daran gewöhnen
müssen, daß „seine linke Schulter weh täte"1). In der größten Not kam den Belgiern die gerade jetzt wirksam werdende Überschwemmung zu Hilfe. In der Nacht vom 29. zum 30. Oktober war es einem Radfahrertrupp gelungen, unbemerkt vom Gegner die am Ostrande von Nieuport vor der eigenen
Linie liegenden Wehre des dort befindlichen Reservoirs zu öffnen und sie bei Beendigung der Flut wieder zu schließen^). Im Laufe des Tages stieg infolgedessen in dem gesamten Angriffsgelände das Wasser und reichte dem Angreifer teilweise bereits bis an die Knie. Die Überflutung hinderte die Deutschen am Hinlegen, so daß schwere Verluste entstanden. Trotzdem waren bis zum Abend noch keine Anzeichen bemerkbar, die ein Nachlassen im Angriff erkennen ließen. Zt.oiwv«.
Am 31. Oktober wurden die deutschen Angriffe bei Z)pern mit unverminderter Kraft fortgesetzt. Mit besonderer Entschlossenheit wurde am Vor-
mittags Messines, anschließend die gesamte Front bis Zonnebeke angegriffen. Mit Hilfe der von allen Seiten herbeiströmenden Verstärkungen gelang es südlich Z)pern, wenn auch unter schweren Verlusten, die Stellungen im all-
gemeinen zu halten; Messines ging jedoch verloren; ein Gegenstoß brachte nur den Westrand wieder in eigenen Besitz. Aufs äußerste wurde die bei Gheluvelt fechtende englische 7. Division bedrängt. Der Divisionskomman¬ deur traf mittags den Führer der 2. Division und mußte ihm mitteilen:
„Meine Linie ist durchbrochen." Gleich darauf wurden beide Divisionskommandeure und ein Teil der Offiziere ihrer Stäbe durch Artilleriefeuer schwer verwundet.
Als der
britische Oberbefehlshaber, Marschall
F r e n ch, gegen 1" nachmittags vom Kavalleriekorps Allenby, wo dank des
Einsatzes französischer Unterstützungen die äußerste Gefahr beseitigt zu sein schien, durch Apern zum I. Korps fuhr, begegneten ihm in der Stadt zahl*) Madelin, S. 113, u. Palat, VIII, S. 179. — -) Der gleiche Versuch wurde am
30. Oktober und in den folgenden Tagen noch mehrfach mit Erfolg ohne Störung durch die Deutschen wiederholt.
Verlust von Messines; Rückzugsabsichten des britischen I.Korps.
391
reiche, in Anordnung zurückjagende Kolonnen; östlich der Stadt sah er
schwere Artillerie im Zurückgehen begriffen.
Der Marschall hatte nach
seinen eigenen Angaben den Eindruck, „als ob das ganze I. Korps in Ver¬
wirrung auf Ypern zurückginge'"). General Haig hatte unter dem Druck der Lage tatsächlich 1'° nachmittags Befehle zum Zurückgehen in die Linie Klein-Zillebeke— Frezenberg gegeben^). Um 2" nachmittags ordnete er an, daß, wenn auch diese Stellung nicht gehalten werden könnte, die Truppen noch weiter in die Höhe von Zillebeke zurückgenommen werden sollten^). Der Feldmarschall, der bei Ausgabe dieser Weisung zugegen war, glaubte, sich in das Unvermeidliche fügen zu müssen, da ihm keine einzige Reserve mehr zur Ver¬ fügung stand. In dem Augenblick, als er im Begriff war, sich zu General Foch zu begeben, lief von der Front die Meldung ein, daß an der gefährdetsten Stelle bei Gheluvelt ein Gegenstoß der drei letzten verfügbaren Kompagnien Erfolg gehabt habe, und daß die Linie hier annähernd wiederhergestellt fei4). Ein weiterer deutscher Stoß traf am Nachmittage die südlich Gheluvelt anschließende 7. Division und die rechts davon eingesetzten französischen Hilfstruppen. Auch hier wurde die vordere Linie überrannt, ihre Reste bis hinter die bisherigen Artilleriestellungen in den Wald von Klein-Zillebeke zurückgeworfen"). Wie durch ein Wunder gelang es in dem sich entspinnenden Waldgefecht einem letzten Reservetrupp von 80 Mann, ein weiteres Vordringen des Gegners aufzuhalten und ihm dann mit Hilfe eines weiteren von General Haig gesandten Kavallerie-Negiments das gewonnene Gelände wieder zu entreißen.
Am Abend war es gelungen, trotz aller Anstürme der
Deutschen einen Durchbruch zu verhindern. Erschreckend hatten sich jedoch die eigenen Verluste gesteigert; die Erschöpfung der Truppe war sehr groß. Der Angriff des französischen IX. Korps kam wiederum nicht vorwärts"). Als General Dubois am frühen Nachmittage von den Ereig-
mssen beim englischen I. Korps und der Absicht des Generals Haig, zurückzugehen, erfuhr, sandte er ihm — wie schon erwähnt — alle verfügbaren
Reserven zu Hilfe und begab sich dann in das Hauptquartier des Generals d'Urbal nach Vlamertinghe, wo er den Oberbefehlshaber, General Foch, an-
traf. Kurze Zeit darauf erschien auch der britische Höchstkommandierende^). Die Kampfereignisse und ihre operativen Auswirkungen wurden ein-
gehend beraten. Marschall French war nach seinen eigenen Angaben der Überzeugung, daß vorbeugende Maßnahmen getroffen werden ') French, S. 249. — -) Engl. amtl. Werk, II, S. 326, u. French, S. 251. — 3) Engl. amtl. Werk, II, S. 326. — *) Ebenda, S. 328, u. French, S. 253. — °) Engl, «mtl. Werk, II, S. 332. — «) Palat, VIII, S. 195. — 7) Engl. amtl. Werk, II, S. 342.
Danach fand die Zusammenkunft in Poperinghe statt.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
392
müßten, um eine Wiederholung der Rückschläge dieses Tages zu ver-
hindern^). Er hatte anscheinend zu diesem Zweck bereits eine Zurücknahme der östlich von Ypern stehenden Truppen ernstlich in Erwägung gezogen').
General Foch aber setzte sich mit rücksichtsloser Entschlossenheit für ein Halten der Stellungen ein3). Er wies auf die große Gefahr hin, die bei einem Rückzüge aus dem Bogen für die eigenen Truppen entstehen würde und versprach, wenn die Engländer standhielten, am folgenden Tage beiderseits des britischen I. Korps mit französischen Truppen anzugreifen*). Es gelang ihm, den englischen Führer für seine Ansicht zu gewinnen. Ob — wie von französischen Quellen behauptet wird°) — General Foch
selbst den Entwurf für die entsprechenden Befehle an das englische I. Korps geschrieben und der Marschall sie unterzeichnet weitergegeben hat, oder ob — nach englischer Angabe") — die Anschauungen Fochs in Form eines
Memorandums den eigenen Weisungen beigelegt wurden, ist von unter¬
geordneter Bedeutung. Sicher ist, daß in diesem kritischen Augenblick allem die Haltung des Generals Foch den britischen Höchstkommandierenden von
einem Zurückgehen abgehalten hat. So ergingen als Ergebnis dieser bedeutungsvollen Besprechung am Nachmittage des 31. Oktober an Sir Douglas Haig die Anordnungen, seine gegenwärtigen Stellungen um jeden Preis zu halten^); General d'Ürbal erließ im Sinne Fochs Befehle zum Angriffs). Eine von Gene-
ralFocham 31. Oktober abends schriftlich niedergelegte Beurteilung der Lage besagte, daß „die Situation sehr günstig erscheine, da die großen vom Gegner seit zwei Tagen gemachten Anstrengungen kein Ergebnis erzielt
hätten"8). Inzwischen war nicht durch Maßnahmen der Führung, sondern lediglich durch die Truppe selbst an den am meisten gefährdeten Stellen das Äußerste abgewandt worden. Infolge der sichtlich auch bei den Deutschen in Erscheinung tretenden Erschöpfung gelang es, die Lücken in vorderer Linie notdürftig zu schließen und während der Nacht die Stellungen zu halten. Gheluvelt, in das man im Gegenstoß wieder eingedrungen war, wurde bei Einbruch der Dunkelheit auf Befehl des Generals Sir Douglas Haig wieder aufgegeben; es wurde in eine etwas weiter westlich gelegene Linie zurückgegangen"). Beim französischen IX.Korps wurden, wo l) French, 6.255. — 2) Palat, VIII, 6.197. — Reeouly, 6.144. — 3) (Engl, amtl. Werk. II, 6.342. — French, 6.255. — Palat, VIII, 6.197. — 4) Ebenda, Fußnote. — Engl. amtl. Werk, II, 6.342. — °) Palat, VIII, 6.197. — Madelin. 6.163. — Puaux. 6.93. — Reeouly, 6.145. — «) Engl. amtl. Werk, II. S. 342. — 7) Ebenda. — ») Ebenda, 6.343. — Palat, VIII. 6.210. — 9) Ebenda, 6 211. —
10) Engl. amtl. Werk, II, Karte 28.
General Foch veranlaßt die Engländer auszuharren.
ZSZ
es irgend möglich war, zur Durchführung von Gegenstößen kleinere Reserve-
Abteilungen gebildet und zahlreiche Stützpunkte angelegt). An der Z) s er bemerkten die Belgier am Morgen des 31. Oktober, daß die Deutschen Ramscappelle in der Nacht geräumt hatten, weil anscheinend die immer
höher steigenden Fluten ihnen ein weiteres Ausharren unmöglich gemacht hatten. Weiter südlich ging ein großer Teil der gegenüberstehenden deutschen Kräfte (III. Reservekorps) im Laufe des Tages aus dem gleichen Grunde über die Z)ser zurück, während andere Teile (XXII. Reservekorps) noch stehenblieben und von Norden her Dixmude angriffen. Ihre Versuche, sich der heiß umstrittenen Stadt zu bemächtigen, konnten jedoch abgewiesen werden.
Am Abend atmete die belgische Heeresleitung auf.
Cs
war jetzt klar, daß dieltberschwemmung di,e belgische Armee vor einer schweren Augenblick bewahrt hatte.
Niederlage im letzten Als am folgenden Tage, am
1. November, das Westufer der Jfer auch vom deutschen XXII. Reservekorps geräumt worden war, hörte die Gefechtstätigkeit an diesem Teile der Front nahezu völlig auf; die Schlacht an der Z)fer war beendet. Im Anschluß an die Unterredung mit Marschall French hatte '.November. GeneralFoch nach der Rückkehr in sein Hauptquartier mit dem dorthin vom englischen Oberkommando entsandten General Wilson vereinbart, daß das Expeditionskorps am 1. November seine augenblicklichen Stellungen befestigen und halten sollte^). Der britische Abschnitt wurde im Norden bis zum Straßenkreuz östlich Zonnebeke beschränkt. Von einer Beteiligung der Engländer am beabsichtigten Angriff war nicht mehr die Rede. Dagegen wurde die Forderung erhoben, daß die bei Klein-Zillebeke ein-
gesetzten und dem englischen I. Korps unterstellten französischen Truppen — mehrere Bataillone — entweder sich am Vorgehen beteiligen oder dem
General d'Arbal wieder zur Verfügung gestellt werden sollten. Für die französischen Truppen wurden die Angriffsziele bestimmt: der 32. Division und 9. Kavallerie-Division Hollebeke, dem IX. Korps Beeelaere, dem XXXII. Korps Woumen—Zarren. Auch das Korps
de Mitry erhielt die Weisung, auf seiner ganzen Front anzugreifen^). Fieberhaft arbeiteten hinter der Front der Verbündeten Bahn und Kraftwagen daran, neue Verstärkungen heranzubringen. Bei Jpern begannen im Laufe des Tages die Masse der 32. Division (XXI. Korps) und die 43. Division (XVI. Korps) einzutreffen^); außer¬ l) Palat, VIII, 6. 195. — 2) Ebenda, S. 210. — Engl. amtl. Werk, II, S. 343. - 3) Palat, VIII, S. 216. — *) Ebenda, S. 211 u, 214.
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
394
dem kamen weitere Einheiten schwerer Artillerie an. Auf Veranlassung des französischen Höchstkommandierenden wurde bei der 2.Armee das XX. Korps aus der Front zurückgezogen, um zum linken Heeresflügel ab-
befördert zu werden"). Wieder stießen im Laufe des 1. November die französischen Angriffe mit denen der Deutschen zusammen. Schon am Vormittags mußte das englische Kavalleriekorps den taktisch wichtigen Höhenrücken Messines—Wytschaete räumen und in eine Stellung weiter westlich zurückgehen. Dadurch wurde auch das südlich anschließende III. Korps gezwungen, bei Neuve Cglise seinen linken Flügel zurückzubiegen^). Eiligst vom II. Korps herangeholte Verstärkungen wmden in die Linie der geschwächten Kavallerie eingeschoben. Trotzdem geriet der beherrschende Kemmel-Berg in die Gefahr, in deutsche Hand zu fallen. Im letzten Augenblick wurde er durch das Eingreifen der
vordersten Truppen der gerade auf dem Gefechtsfelde eintreffenden französifchen 32. Division gerettet"). An der übrigen Front wurden zahlreiche Vorstöße des Gegners abgewiesen. Schwer lag das deutsche Artilleriefeuer auf den englisch-ftanzösischen Gräben und hinderte jedes Vorwärtskommen. Weder das IX. Korps, noch die Truppen de Mitrys, noch das XXXII. Korps vermochten Gelände zu gewinnen. Bei einer am Abend in Vlamertinghe stattfindenden Zusammenkunft zwischen den Generalen Foch und d'tlrbal sowie dem Marschall French
ergab sich, daß der französische Angriff keine greifbaren Erfolge gezeitigt hatte. Marschall French erhielt auf seine Bitten zur Unterstützung des I. Korps zwei Zuaven-Vataillone zur Verfügung gestellt. General d'Arbal teilte mit, daß von der neu ankommenden 39. Division bereits fünf
Bataillone verwendungsbereit feien. General Foch gab bekannt, daß er dem noch bei Merville stehenden Kavalleriekorps Eonneau Befehl gesandt habe, auf Apern heranzurücken. An den erlassenen Anordnungen wurde von beiden Führern nichts geändert^).
Marschall French hatte an diesem Tage zahlreiche Meldungen erhalten, die nur zu deutlich erkennen ließen, daß die englischen Truppen am Ende ihrer Kraft waren"). Die Verluste hatten sich weiterhin zu be-
trächtlicher Höhe gesteigert. Die 7. Division (IV. Korps) zählte angeblich nur noch 2000 Mann8).
Am 1. November wurden deutsche Funksprüche aufgefangen, die die Anwesenheit des Deutschen Kaisers in Courtrai und — fälschlicherweise — 0 Palat, VIII, S. 211. — -) Engl. amtl. Werk, II, S. 349. — 3) Ebenda, S. 352. — 4) Ebenda, S. 361. — -) Ebenda, S. 361. — ") Palat, VIII, S. 225. — Fran¬
zösische Angabe.
Schwierige Lage südlich Dpern.
395
in Gheluwe und Hollebeke anzeigten"). Auf die genannten Orte wurden
daraufhin Bombenangriffe durch Luftgeschwader angesetzt, Zonnebeke durch Artillerie stark beschossen. Im übrigen glaubte die Führung der alliierten Heere aus der Anwesenheit des Kaisers darauf schließen zu dürfen, daß die Deutschen nach wie vor die Entscheidung zu erringen strebten. Am 2.November hatte sich das Kräfteverhältnis der englischen und 2. November,
französischen Truppen im Dpern-Vogen bereits stark zugunsten der letzteren verschoben. Der britische Oberbefehlshaber hatte am frühen Morgen telegraphisch den am Tage vorher eingetretenen Verlust von Messines nach
London gemeldet, mit dem Hinzufügen, daß sich der Gegner jetzt weniger Mg zeige. Gleichzeitig hatte er beim britischen Kriegsministerium ernste Vorstellungen wegen des immer bedrohlicher werdenden Munitionsmangels
erhoben^). Für die Fortsetzung ihres Angriffs an diesem Tage setzten die Franzosen außer der Kavallerie sechs Infanterie- und eine Territorial-Division an. Wiederum sollte rechts und links des britischen I. Korps vorgegangen werden, und zwar wurden als Ziele bestimmt: der 39. Division in Verbindung mit Teilen des Korps Conneau nach Ablösung der englischen Kavallerie Messines, der 32. Division Houthem, den bei Klein-Zillebeke
stehenden gemischten Verbänden Schloß Hollebeke, dem IX. Korps Gheluvelt, dem Korps de Mitry Mangelaare, der 38. Division Merckem, der 89. Territorial-Division die Gegend nördlich davon, der 42. Division die
Richtung Dixmude auf Woumen—Clercken. Zur Ausführung der Offensive kam es jedoch nicht. Seit dem ftühen Morgen griffen die D e u t f ch e n auf der ganzen Front an. Bei Tagesanbruch wurden die bei Klein-Zillebeke
stehenden französischen Truppen auf St. Elvi zurückgeworfen. Der Gegner drängte nach, wurde aber kurz vor dem Orte durch eiligst in Kraftwagen herangeholte Bataillone und durch den Einsatz eines Kavallerie-Regiments an weiterem Vorgehen behindert. Die hart mitgenommene englische 7. Division
mußte sich wiederholter schwerer Sturmangriffe erwehren. Bei Gheluvelt erfolgte am Vormittage ein deutscher Vorstoß gegen einen von Teilen des
L Korps besetzten Kampfabschnitt. Der Gegner überrannte die dünne Linie und drang in ein Waldstück hinter der Front ein, wurde aber am frühen
Nachmittage durch einen Gegenstoß britischer und französischer Truppen wieder zurückgeworfen^). Südlich der Straße Moorslede—Zonnebeke zwangen deutsche Sturmtruppen die aus englischen Bataillonen und französischer Kavallerie bestehende vordere Linie nach hartem Kampfe zum Zurückweichen. Aber auch hier konnten eiligst zusammengeraffte örtliche Reserven die Be') Engl. amtl. Werk, II, S. 348. — -Palat, VIII, S. 216 u. 222. — -) Engl, «mtl. Werk, II, S, 360. — -) Ebenda, S. 366.
396
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
wegung zum Stehen bringen und die Linie wieder schließen^). Beim Korps de Mitry nahm die 5. Kavallerie-Division Vixschote. Die 42. Division erhielt Befehl, ihre Unternehmung bei Dixmude aufzugeben, und in südlicher Richtung nach Oostvleteren abzurücken, um sich dort bereitzustellen. Die 89. Territorial-Division übernahm ihren Abschnitt. Ob an diesem Tage der Kommandierende General des englischen
I.Korps, Sir Douglas Haig, wie eine französische Quelle angibt'), abermals einen Rückzug auf Apern in Erwägung gezogen hat, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Die Lage an seiner Front war ernst genug; sowohl der Gefechtsstand des Generalkommandos östlich Z)pern als auch das in dieser Stadt befindliche Korps-Hauptquartier wurden von
deutscher Artillerie beschossen und mußten nach rückwärts verlegt werden^). Am Abend hatte sich der Zustand der verbündeten Truppen weiterhin
verschlechtert. Anzeichen stärkster Ermattung machten sich geltend4). Die Vermischung der Truppenteile war aufs äußerste gestiegen. Die eintreffenden Verstärkungen mußten in kleinen Abteilungen, meist bataillonsweise, dort hinein geworfen werden, wo die Rot am größten war. Vergeblich
wartete Feldmarschall French auf Unterstützung aus der Heimat. Cr berichtete nach London über die Lage und bat um sofortige Ab-
fendung der 8. Division.
Wenn möglich, möchte ihm außerdem noch
eine Neomanry-Division zur Verfügung gestellt werden^).
Die von Lord
Kitchener angekündigten schwachen Territorialverbände°) in Stärke von etwa drei Bataillonen und geringer Artillerie trafen an diesem Tage in
Dünkirchen ein. Sie konnten die entstandenen Lücken nicht annähernd ausfüllen. Marschall French richtete unter Schilderung seiner Lage an General Foch die Anfrage, ob er weitere Verstärkungen erhalten könnte; dieses Mal wurde ihm jedoch vom französischen Oberbefehlshaber eine ablehnende Antwort zuteil^). So konnte der englische Höchstkommandierende nichts weiter veranlassen, als in zwei Tagesbefehlen die Truppen zum Ausharren zu ermahnen und ihnen für die übermenschlichen Anstrengungen seinen und des englischen Volkes Dank auszusprechen^). Die
Belgier stellten durch Erkundung fest, daß das deutsche III. Reservekorps anscheinend südwärts gezogen wurde. z. November.
In der Frühe des 3. November setzte der deutsche Ansturm wiederum auf der ganzen Front ein. Anbekümmert um die bisherigen Mißerfolge und um die eigenen Verluste hatte General d'Urbal wiederum den Angriff ') Palat, VIII, S. 232.- -) Ebenda, S. 242.— ->) Engl. am«. Werk, II, 6.374. — 4) Palat, VIII, 0.246. — °) Engl. amtl. Werk, II, S.373. — °) French. 6.271. - ') Ebenda, S. 265. — -) Ebenda, S. 266. — Engl. amtl. Werk, II, S. 371.
Drohender Einsturz der alliierten Front bei Wytschaete.
297
befohlen. Die unterstellten Verbände behielten ihre bisherigen Ausgaben^). Die Engländer beschränkten sich auch an diesem Tage auf völlige Defensive. Sie versuchten, überall kleinere Abteilungen als Reserven für
erforderliche Gegenstöße auszuscheiden. Dicht hinter der vordersten Linie wurde eine Anzahl fester Blockhäuser als Stützpunkte angelegt). Besonders heftig richtete sich der Ansturm gegen den Abschnitt Wytschaete—Klein-Zillebeke, wo die dort eingesetzten einzelnen französischen Divisionen unter dem Befehl des Generalkommandos des XVI. Korps (General Taverna) getreten waren. Cs wäre fast zu einem neuen Durchbruch gekommen, wenn nicht von Mittag ab die eben eintreffende 43. Division mit ihren vordersten Teilen in den Kampf eingegriffen hätte. Mit
ihrer Hilfe konnten die Stellungen gehalten und zum Teil wiedergenommen werden, nur der rechte Flügel hatte Gelände verloren"). Östlich von Apern änderte sich die Lage nicht. Hier, wie nördlich anschließend beim
französischen IX. Korps, mußten zahlreiche deutsche Sturmangriffe abgewiesen werden^). Das von General d'Arbal angeordnete Vorgehen blieb
jedoch unausführbar. Auch die Truppen de Mitrys hatten einen schweren Stand; ihr linker Flügel erlitt einen Rückschlag und mußte Bixschote wieder aufgeben^). Weiter nördlich traten die 38. Division und die 89. TerritorialDivision überhaupt nicht an. Die bei Dixmude stehende 42. Division, bei
der vermutlich der Befehl zum Abrücken nach Süden rückgängig gemacht worden war, versuchte vergeblich, durch die Stadt in südöstlicher Richtung
anzugreifen"). General Foch sandte im Laufe des Tages einen Offizier seines Stabes zum Generalkommando des britischen I. Korps mit dem Auftrage, sich von dem Zustande der Truppen zu unterrichten. Cr ließ Sir Douglas
Haig versichern, daß es nur noch nötig sei, wenige Tage durchzuhalten. Starke französische Unterstützungen würden erwartet; es sei jedoch beabsichtigt, sie nicht einzeln zur Füllung der Lücken zu verwenden, sondern sie für einen großen geplanten Gegenangriff zu versammeln^). Marschall French wurde von Lord Kitchener die demnächstige Absendung der 8. Division und weiterer elf Territorial-Bataillone angekündigt). Im englischen Hauptquartier ging im Laufe des Tages eine Meldung ein, nach der die Deutschen sich bei Dixmude und Nieuport zurückzuziehen schienen. Britische Flieger hatten auf den Bahnhöfen von Roulers und Lichtervelde starke Anhäufung von rollendem Material sowie bei LichterVelde und Thourout Einladungen von Truppen beobachtet, die anscheinend l) Palat, VIII, S. 249. — -) Engl. amtl. Werk, II, S. 377 u. 525. — 3) Palat, VIII, S. 254. - 4) Ebenda, S. 252. —
') Engl. amtl. Werk, II, S. 378. — 8) Ebenda, S. 378.
5)Ebenda,S.251.—«)Ebenda,S.250.—
398
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
von Norden kamen'). Wahrscheinlich auf Grund dieser Erkundungsergebnisie richtete der englische Oberbefehlshaber nachts an Lord Kitchener die telegraphische Meldung, daß er und General Foch über-
einstimmend der Ansicht seien, daß die Deutschen im Begriffe ständen, Truppen nach dem östlichen Kriegsschauplatz abzubesördern, und daß sie in der Richtung auf Apern und Calais keine Erfolge mehr erzielen würden.
Selbst wenn noch heftige Angriffe stattfänden, fo würden diese vermutlich nur zur Deckung des Rückzuges erfolgen^). General d'Urbal hatte schon vorher Anzeichen für ein gewisses Nachlassen in der Wucht der deutschen Angriffe zu bemerken geglaubt. Am 1. November hatten Ge-
fangene ausgesagt, daß sie seit drei Tagen ohne Verpflegung seien'). Am folgenden Tage war eine Nachricht eingegangen, nach der auf deutscher Seite zwischen dem 31. Oktober und 2. November 30 000 Verwundet- auf
Gent und Brügge abbefördert sein sollten4). Mehrfach war in den letzten
Tagen beobachtet worden, daß die Sturmangriffe des Gegners nicht mehr in Schützenlinien, sondern dichten, tiefen Kolonnen erfolgten^). Aus diesen Anzeichen gewann die französische Führung am 3. November die Über-
zeugung, daß die deutsche Offensive auf Z)pern mißglückt sei"). Während der ganzen Dauer der Schlacht in Flandern hatte — wie bereits erwähnt — der englische Oberbefehlshaber in seinen
wiederholten Berichten nach London die Lage stets günstig beurteilt. Seine nachträglichen Niederschriften lauten indes wesentlich anders. Cr gibt darin zu, daß er der Überzeugung gewesen sei, daß am 31. Oktober und
1. November das britische Imperium in größter Gefahr geschwebt hätte'); die ganze Küstenlinie von Ost ende bis Le Ha vre sei um ein Haar im Begriff gewesen, in die Hände der Deutschen zu fallen.
Die sehr tatkräftige und rührige Führung des Generals Foch hatte es verstanden, aus der zusammengewürfelten Kampffront das letzte herauszuholen und die Engländer zum Ausharren zu bewegen. Wiederholt standen, als Nachrichten von deutschen Durchbrüchen durch die vorderste Linie der Alliierten eintrafen, keine Reserven mehr zur Verfügung, um die Lage wiederherzustellen. Daß es trotzdem gelang, die äußerste Gefahr abzuwenden und ein weiteres Vordringen des Gegners auf Apern zu ver¬ hindern, war neben mancherlei glücklichen Zufällen vornehmlich dem mit
leidenschaftlichem Siegeswillen erfüllten General Foch zu danken. Ob die französischeOber st e Heeresleitung die am linken ») Engl. amtl. Werk, II, S. 378. — -) Ebenda. — s) Ebenda, 6. 361. — 4) Palat, VIII, 6.232. — 5) Ebenda, 6.246. — ->) Madelin, 6.190. — Palat, VIII, 0.255. - >) French, 6.260.
Einwirkung der Führung bei den Alliierten während der Schlacht.
299
.Heeresflügel entstehende Gefahr rechtzeitig erkannt hatte, ist zweifelhaft. Die von ihr dorthin geworfenen Reserven kamen stets in letzter Minute an und
mußten, ohne jede Rücksicht auf die Zugehörigkeit der Verbände, unausgeruht und kaum über die Lage unterrichtet, in den Kampf geworfen werden.
Es darf hierbei jedoch nicht unbeachtet bleiben, daß die Cifenbahnlage hinter dem Nordflügel nicht besonders günstig war. Zwischen Arras und der Meeresküste führte nur ein voll leistungsfähiger, zweigleisiger Schienenweg von Süden nach Norden, der zeitweise durch die Transporte der englischen Korps von der Aisne zum linken Flügel voll in Anspruch genommen war. Von einer Truppenbeförderung zu Schiff wurde, soweit
sich feststellen läßt, nur vereinzelt Gebrauch gemacht. Dagegen fanden Kraftwagenkolonnen in ausgedehntem Maße für Truppenverschiebungen auch auf weiten Entfernungen Verwendung. Am 1. November hatte in Dünkirchen eine Zusammenkunft Lord
Kitcheners mit dem Präsidenten der Französischen Republik stattgefunden, der die Generale Ioffre und Foch beigewohnt hatten"). Bei Erörterung der Frage, in welchem Grade die beteiligten Mächte ihre Armeen verstärken könnten, hatte Lord Kitchener erklärt, daß es fast einem „Morde" gleichkommen würde, unausgebildete Mannschaften in den Kampf zu schicken. Aus diesem Grunde könnten vor dem späteren Frühjahr 1915 keine wesentlichen
britischen Verstärkungen auf dem Festlande erscheinen.
Von da ab aber
werde ein ununterbrochener Zufluß neuer Truppen erfolgen. Das Cxpeditionskorps würde im Sommer 1917 seine größte Stärke erreichen —
eine Äußerung, die deutlich erkennen ließ, mit welcher langen Dauer des Krieges führende Männer in England bereits damals rechneten.
12.Betrachtungen zur ersten Flandern schlacht. Mit dem Einsatz der neuen Reservekorps zur Offensive in Flandern
hatte General v. Falkenhayn einen Entschluß von hoher Verantwortung auf sich genommen.
Nicht nur wurde damit die letzte zur Zeit zur Verfügung
stehende Reserve verausgabt, sondern wertvolle Volkskraft, unersetzbares künftiges Führermaterial gegen den Feind geführt in einem Stande der
Ausbildung und Festigung, der weit zurückblieb hinter den Forderungen, die bisher im deutschen Heere an die Kriegsbereitschaft von Kampftruppen gestellt worden waren.
Eine derartige Verantwortung ließ sich nur tragen, wenn damit ein operativer Erfolg großen Ausmaßes erzielt wurde. Ihn konnte General Falkenhayn, als er sich in der ersten Oktoberhälfte zur Heranziehung der l) Engl. am«. Werk, II, S. 345. — Palat, VIII, S. 354.
400
Die Operationen in Frankreich und Belgien.
neuen Reservekorps auf den westlichen Kriegsschauplatz entschloß, wohl erwarten. Auch dann, wenn es nicht zu einem Zusammenbruch der feindlichen
Front nördlich der Somme kam, bildete die Eroberung der französischen Kanalküste ein Ziel von so großer Bedeutung, daß es den Einsatz aller Kräfte rechtfertigte. Die Verbindung zwischen den beiden Alliierten wäre auf das
ernsteste gestört, Truppenüberführungen der Engländer im weiteren Verlauf der Ereignisse in hohem Maß erschwert worden. Rein zahlenmäßig betrachtet begünstigte das Kräfteverhältnis das Gelingen einer solchen Operation zu diesem Zeitpunkt ganz außerordentlich. Unmittelbar vor Veginn der Offensive standen aus dem Entscheidungsflügel 111/« Divisionen der deutschen 4. Armee in voller Gefechtsstärke und mit starker Artillerie gegen eine frische englische Division, zwei bereits abgekämpfte französische Territorial-Divisionen mit einer Marine-Vrigade sowie die völlig erschöpfte
belgische Armee'). Der Zusammenprall der beiderseitigen Kräfte erfolgte zum Teil im Begegnungskampfe; das verzweifelte Ringen um jeden Fußbreit Boden
endete schließlich auch hier im Erlahmen jeder Bewegung, im Stellungskriege. Zeitweise war bei General v. Falkenhayn der Gedanke wieder auf-
getaucht, die Amfassungsoperation in Flandern mit einem Durchbruch bei Roye zu verbinden und dadurch die feindliche Front zwischen dem Meere und Noyon zu zertrümmern. Zu einer Operation von solchen Aus-
maßen, die bei glücklichem Ausgang vielleicht feldzugentscheidende Ve-
deutung hätte gewinnen können, reichte indessen die flüssig gemachte Kraft auch jetzt nicht hin. Wenige Tage nach der Einleitung wurden die Vorbereitungen zum Durchbruch bei Roye wieder abgebrochen und die dadurch freiwerdenden Kräfte nach Norden herangezogen. Gegen Ende Oktober vereinigte der Führer des Westheeres alle Anstrengungen lediglich auf den Kampf in Flandern und verzichtete auf alle anderen Anternehmungen: sowohl auf ein Vorgehen der Armee-Abteilung Strantz über die Maas wie auf die Weiterführung der Unternehmung der 1. Armee östlich Soissons und auf den Angriff der 5. Armee gegen Verdun. Der gemeinsame
Angriff der Gruppe Fabeck und der 4. Armee sollte jetzt auf dem äußersten rechten Flügel einen Erfolg bringen, der den gegenüberstehenden Feind mindestens zur Räumung großer Strecken des Küstenlandes zwingen konnte. Bei der offensichtlichen Erschöpfung des Gegners glaubte General v. FalkenHain Aussichten auf geradezu kriegsentscheidende Folgen zu erkennen. In der Tat ist es der Führung der verbündeten Franzosen, Briten und
Belgier nur unter höchsten Anstrengungen gelungen, den deutschen Ansturm !) Sie zählte damals nur 48 000 Gewehre, ihre artilleristische Kraft war äußerst
gering. Vgl. S. 306.
Betrachtungen zur ersten Schlacht in Flandern.
401
abzuwehren und einen schweren Rückschlag zu verhindern, und auch dies nur dadurch, daß den Alliierten durch die Überschwemmungen der Z)ferNiederung in der Gewalt der Elemente ein unverhoffter Verbündeter von
unschätzbarem Werte erwachsen war. Ihre Absicht, östlich Z)pern durchzubrechen und dem deutschen Heere eine Katastrophe zu bereiten, konnte nicht verwirklicht werden. Der erstrebte große operative Erfolg blieb also beiden Gegnern versagt; für beide kam damit das Ergebnis der Flandern-Offensive einem Mißerfolg gleich. Auf deutscher Seite hätte das Erreichte, die Schließung der Lücke bis zum Meere, sich wohl ohne den offensiven Einsatz der neugebildeten Reservekorps mit weit geringeren Opfern erzielen lassen. Der Eindruck dieser Vorgänge wurde verstärkt durch das offensichtliche Schwinden nicht bloß der Munitionsbestände, sondern auch der Stärken und der Kampfkraft der Truppen durch die blutigen Verluste; sie betrugen in dem Zeitraum von etwa Mitte Oktober bis etwa Anfang November annähernd^) bei der 4. Armee 39 000 Tote und Verwundete sowie 13 000 Vermißte, bei der 6. Armee 27 000 Tote und Verwundete (darunter allein bei der Gruppe
Fabeck 17 250) und rund 1000 Vermißte, insgesamt also bei beiden Armeen 80 000 Mann.
Es war jetzt nicht mehr zu verkennen, daß selbst ein örtlicher Erfolg nur unter besonders günstigen Umständen auf dem Westkriegsschauplatz noch erreichbar war. Wenn überhaupt, so bestand eine solche Möglichkeit am ehesten gegenüber dem östlich Apern vorspringenden Feindbogen. Sollte General v. Falkenhayn auf diese letzte — sicherlich nicht kriegsentscheidende, aber für die Hebung des Selbstvertrauens der Truppe bedeutsame — Mög-
lichkeit verzichten? Diese Frage ließ sich nur bei eingehender Würdigung der Gesamtkriegslage, insbesondere der inzwischen eingetretenen Vorgänge auf dem östlichen Kriegsschauplatz, beantworten. ') Regelmäßige und genaue Truppenmeldungen über die Verlustzahlen während der genannten Zeit liegen nur für einen Teil der in Frage kommenden Verbände vor; sür die übrigen sind die Verlustzahlen nur für einen größeren oder kleineren Zeitabschnitt bekannt; bei ihnen konnten die Zahlen daher nur annähernd errechnet werden.
t Weltkrieg. V. Land.
26
III. Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 19 J4.'» A. Die Operationen zur Entlastung des österreichischungarischen Heeres in Güdpolen. J. Der Vormarsch gegen die mittlere Weichsel bis zum 5. Oktober.
a) Die Aufstellung der deutschen 9. Armee^). Hierzu Skizze 5und Karte 14.
io.unbii.ee*>.
tembcr.
Mit dem Rückzüge des deutschen Heeres von der Marne war die Cnt-
^e^ung gegen Frankreich in unbestimmte Ferne gerückt, eine Unterstützung des Ostens durch Kräfte aus dem Westen daher zunächst nicht zu erwarten. Das österreichisch-ungarische Heer rang zu dieser Zeit bei Lemberg noch um die Entscheidung, während sich die deutsche 8. Armee in OstPreußen, nach der Vernichtung der Rarew-Armee bei Tannenberg, gegen die russische Rjemen-Armee gewandt hatte. Generaloberst v. Hinden-
bürg hoffte, sie durch die eingeleitete Umfassung so entscheidend zu schlagen, daß er sich dann nach Süden, gegen den Rarew, wenden könne, um den
Verbündeten die ihnen schon im Frieden zugesagte und ihrerseits seit Beginn der Operationen immer wieder erbetene Unterstützung zu bringen. Da trat in der Nacht zum 10. September die russische Rjemen-Armee den Rückzug
an; General v. Rennenkampf wich der Entscheidung in Ostpreußen aus, bevor er vernichtend geschlagen werden konnte. Generaloberst v. Hindenbürg mußte mit der Möglichkeit rechnen, daß der an Zahl weit überlegene
Gegner auch fernerhin an Kampfkraft nicht entscheidend geschwächt im Rücken der deutschen Armee in Ostpreußen bleiben werde. Dann aber war
die Rarew-Operation nicht durchführbar. Die österreichisch- ungarische Heeresleitung, das „Armee-Oberkommando"^), hatte aber auch schon^) unmittelbare Anterstützung durch deutsche Truppen erbeten, indem sie unter anderem darauf
hinwies, daß sich starke russische Kräfte in Polen westlich der Weichsel sammelten und damit nicht nur die österreichisch-ungarische Heeresflanke, *) Anschluß an die Darstellung in Band II. — 2) Vgl. S. 2f.
8) Da die Bezeichnung „Armee-Oberkommando" im deutschen Heere eine andere Bedeutung hatte (— Oberkommando einer einzelnen Armee), ist sie in dieser Darstellung durch „Heeresleitung" ersetzt worden. — .*) Band II, S, 261 f.
Operation aus Schlesien oder über den Narew?
403
sondern auch die preußischen Provinzen Schlesien und Posen bedrohten. Diese Gefahr schätzte man zwar beim Oberkommando der deutschen 8. Armee
einstweilen nicht sehr hoch ein. Wenn aber die Rarew-Operation nicht mehr möglich war und die Unterstützung des verbündeten Heeres — wie es der
Fall zu sein schien — sich nicht mehr länger aufschieben ließ, dann mußte sie von Schlesien und Posen aus erfolgen. So fragte Generalmajor Ludendorff, als Generalstabschef der 8. Armee, am Abend des 10. September — noch ohne Kenntnis von der veränderten Lage im Westen — bei der
Obersten Heeresleitung an, ob für eine in Schlesien zu bildende Armee auf weitere Verstärkungen zu rechnen sei. Aus Ostpreußen, das aus miliMischen und wirtschaftlichen Gründen gehalten werden mußte, könnten zwei Armeekorps abgegeben werden. Am 11. September wurde von der in östlicher Richtung verfolgenden 8. Armee als erster Teil die Hauptreserve der Festung Posen angehalten; sie sollte an die Ostgrenze der Provinz
Posen zurückbefördert und nach Polen hinein vorgeschoben werden. Inzwischen war an der galizifchen Front die Entscheidung zuungunsten der Verbündeten gefallen; damit wurde deutsche Hilfe dort noch dringender. Am 11. September hatte das ganze österreichisch-ungarische Heer den Rück-
zug begonnen; der Oberbefehlshaber, Erzherzog Friedrich, wollte den Gegner nunmehr zunächst am San abwehren^).
Hinter diesem von Natur
starken Abschnitt konnte er hoffen, gestützt auf die große Festung Pschemysl und die behelfsmäßig ausgebauten Brückenköpfe von Iaroslau und Sieni-
awa, die russische Übermacht mindestens vorübergehend aufzuhalten und die eigenen Truppen neu zu ordnen. Von einer deutschen Operation über den Narew versprach sich aber die verbündete Heeresleitung unter den
veränderten Verhältnissen keine rechtzeitige Wirkung mehr. Sie sah jetzt in der unmittelbaren Unterstützung durch Antransport deutscher Truppen nach Galizien die einzig mögliche Hilfe und wurde in diesem Sinne bei der
deutschen Obersten Heeresleitung vorstellig. Der Bevollmächtigte deutsche General im österreichisch-ungarischen Hauptquartier, Generalleutnant Freihm V. Freytag-Loringhoven, der schon vorher den Wunsch der Verbündeten
auf Zuführung aktiver deutscher Truppen nach Galizien unterstützt hatte, schloß sich dieser Auffassung in. einer Drahtung an die Oberste Heeresleitung vom 12. September an.
Vei der deutschen 8. Armee aber hatte sich die Auffassung darüber, wie >2. septemv-r.
den Verbündeten zu helfen fei, inzwischen geändert; denn der Erfolg über die russische Rjemen-Armee zeigte sich doch weit größer, als man am 10- September angenommen hatte. Von dieser feindlichen Armee war für
die nächste Zeit nicht mehr viel zu befürchten, und die in den letzten Tagen *) Heeresbefehl vom 11. September 1914, Conrad IV, S. 702.
404
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
gegen Ostpreußens Südgrenze vorstoßenden Russen hatten so geringe Kampf, kraft gezeigt, daß das Gelingen eines Angriffs der ganzen deutschen 8. Armee über den Narew nicht zweifelhaft schien. Von den dortigen Befestigungen war, nach den Erfolgen, die man im Westen gegen weit stärkere Anlagen erzielt hatte, kein wesentlicher Aufenthalt zu erwarten. Nur gegen Ossowjez, das aber seitwärts der Stoßrichtung über den Narew lag, war schwerste Artillerie erforderlich; sie wurde am 12.September bei der Obersten Heeresleitung beantragt. Gegen die anderen Plätze genügten schwere Feldhaubitzen und die in Königsberg vorhandenen Mörser (21 cm). So schien jetzt doch die Zeit gekommen für die verbündeterseits so oft erbetene Operation über
den Narew auf Sjedlez, sie mußte schneller und kräftiger wirken als ein Vorstoß aus Schlesien und Posen. Voraussetzung war allerdings, daß sich das österreichisch-ungarische Heer am San so lange hielt, bis die Hilfe vom Narew her im Rücken der Russen wirksam wurde. Daß sich diese Voraussetzung erfüllen werde, hielt man beim Oberkommando der deutschen 8. Armee aber doch nicht für ganz sicher; man mußte die verbündete Heeres13. September, leitung hören. Zur Einleitung der neuen Operation stand am 13. Sep.
tember als erster größerer Verband das Garde-Reservekorps bereit. Inzwischen war die Wendung der Dinge im Westen bekannt geworden. Generaloberst v. Hindenburg ließ daher, bevor er Weiteres anordnete, an diesem Tage um 11° vormittags bei der Obersten Heeresleitung anfragen,
auf wieviel Kräfte der Osten weiterhin rechnen könne, und fügte hinzu: „für Defensive in Preußen drei Armeekorps erforderlich". Diese Anfrage kreuzte sich mit einer Entscheidung der Obersten Heeresleitung, die sich auf Grund österreichisch-ungarischen Drängens und eigener Beurteilung der Lage schon entschlossen hatte, die Front der Verbündeten unmittelbar zu stützen, um ihr weiteres Zurückweichen zu
verhindern. Ihnen sollten die zwei Armeekorps der 8. Armee zur Verfügung gestellt werden, die diese — aber bei anderer Lage in Ostpreußen — am
10. September für eine in Schlesien zu bildende Armee verfügbar gemeldet hatte.
Der 8. Armee war daher am 13. September um 1°° nachmittags
befohlen worden: „Baldigst zwei Armeekorps freimachen und bereitstellen zum Abttansport nach Krakau. Antwort, wann Bereitstellung möglich." Gleichzeitig war die Bitte um schwerste Artillerie gegen Ossowjez abgelehnt worden. Beim Oberkommando der 8. A r m e e konnte man diese Entscheidung
mit der oben erwähnten eigenen Anfrage nicht in Einklang bringen und vermochte sich daher kein klares Bild von den Absichten der Obersten Heeresleitung zu machen: Sollten die beiden Korps allein nach Krakau gehen und
dort der österreichisch-ungarischen Heeresleitung zur Verfügung gestellt
Operation aus Schlesien oder über den Narew?
werden? Dagegen hatte man Bedenken.
405
Wenn man deutsche Kräfte zur
unmittelbaren Unterstützung der Verbündeten entsandte, dann wünschte man sie so stark, daß sie das österreichisch-ungarische Heer nicht nur stützen, sondern ihm den Anstoß zu neuer Offensive geben konnten. Nur durch Angriff war es möglich, sich der russischen Übermacht in den weiten Gefilden des Ostens weiterhin zu erwehren. In Ostpreußen, wo sich der Crfolg gegen Nennenkampf zu immer größerem Umfange auswuchs, konnte man schließlich vorübergehend mit noch geringeren Kräften auskommen, als für diesen Kriegsschauplatz noch vor einigen Tagen für nötig gehalten wurden. Dann ließen sich vier Armeekorps und eine Kavallerie-Division zur Unterstützung der Verbündeten freimachen. Wenn aber diese Verbände in voller Stärke nach Galizien gefahren werden sollten, dann mußte
bei den hierfür wenig günstigen österreichischen Bahnverhältnissen sehr viel Zeit vergehen, bis sie wirksam wurden, mehr Zeit jedenfalls als bei einer Operation über den Narew. Ob das verbündete Heer imstande sein werde, die San°Linie bis dahin zu behaupten, war fraglich. Generaloberst v. Hindenburg sah es unter solchen Umständen als seine Pflicht an, auch der Obersten Heeresleitung diese Auffassung darzulegen, und ließ noch an demselben Abend, am 13. September um 9*°, nach Luxemburg drahten: .. Offensive gegen Narew in entscheidender Richtung in etwa zehn Tagen möglich. Osterreich aber erbittet wegen Rumänien direkte Unterstützung dmch Verlegung der Armee nach Krakau und Oberschlesien. Verfügbar dazu vier Armeekorps und eine Kavallerie-Division. Bahntransport dauert etwa 20 Tage. Lange Märsche nach österreichischem linken Flügel. Hilfe kommt dort zu spät. Bitte um Entscheidung. Armee müßte dort jeden-
falls Selbständigkeit behalten." Der österreichisch-ungarische Generalstabschef, General der Infanterie Freiherr Conrad v. Hötzendorf, hatte seinen Flügeladjutanten, den Hauptmann im Generalstabe Fleischmann v. Theißruck, dem Oberkommando der deutschen 8. Armee zugeteilt und war daher über Auffassung und Absichten des Generalobersten v. Hindenburg dauernd auf dem laufenden. So hatte General v. Conrad am 13. September schon um 1220 mittags in einer
Drahtung an die deutsche Oberste Heeresleitung vorbeugend nochmals betont: „Für weiteren Erfolg, insbesondere auch für direkte Deckung Posens und Preußifch-Schlesiens ist Sendung möglichst starker Kräfte über Krakau zu ehestem Anschluß an unseren linken Flügel dringend. fammlung in Schlesien läge viel zu weit zurück . .
Deutsche VerEtwa gleichzeitig
aber hatte General v. Conrad die österreichifch-ungarifchen Vertreter bei der deutschen Obersten Heeresleitung wie beim Oberkommando in
406
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
Ostpreußen angewiesen, unverzüglich eine Unterstützung durch vier Korps und eine Kavallerie-Division anzufordern'), die — wie er gehört hatte -
in Ostpreußen verfügbar werden würden.
Darauf hatte Hauptmann
v. Fleischmann seinem Generalstabschef am Abend des Tages gedrahtet), das Oberkommando der deutschen 8. Armee beabsichtige immer noch die Narew-Operation. Cr schlug daher vor, der Forderung auf Einsatz der deutschen Kräfte in Galizien nunmehr durch sofortiges drahtliches Ansuchen beim Deutschen Kaiser Nachdruck zu verleihen und dabei auf die „sichere Möglichkeit des Haltens" der San-Linie hinzuweisen, denn nur dadurch schien ihm ein geordneter Einsatz der deutschen Verstärkungen gewährleistet. Als diese Drahtung des Hauptmanns v. Fleischmann in der Nacht ».September.vom 13. zum 14. September bei der inzwischen nach Neu-Sandez
verlegten verbündeten Heeresleitung eintraf, befand sich das österreichisch, ungarische Heer mit alleiniger Ausnahme der linken Flügelarmee noch östlich des San. Ob Erzherzog Friedrich je die Absicht gehabt hat, an diesem Flußabschnitt e r n st l i ch Widerstand zu leisten, ist fraglich. Sein Generalstabschef, General v. Conrad, berichtet, die Fortsetzung des Rückzuges sei abhängig gewesen vom Verhalten des Feindes und vom Eintreffen der beantragten deutschen Verstärkungen. Als „Retablierungslinie", in der er
den Truppen zunächst einmal Ruhe gönnen und ihre arg gelichteten Einheiten und Verbände ordnen und wieder ausfüllen wollte, habe er zunächst den Dunajez (mehr als 100 km westlich des San) in Aussicht genommen gehabt, „äußersten Falles die Höhe von Krakau". „Sollte aber säumiges
Vorgehen des Feindes die Festsetzung schon früher ermöglichen, so blieb dies willkommen"^). Der Entschluß, den Rückzug weit nach Westen fort¬ zusetzen, ist dem General V.Conrad schwer genug geworden. Man müsse Herz und Verstand trennen, hat er damals zu seiner Umgebung geäußert; das Herz spräche gegen das Zurückgehen, der Verstand aber dasür^). Angesichts des zunächst dichtauf folgenden Feindes schien es unmöglich, die Abwehr am San ausreichend vorzubereiten; da das linke Weichsel-Afer von allen öfterreichisch-ungarischen Truppen entblößt war, drohte von dort Umfassung und Umgehung"). Anter solchen Verhältnisien ließ der Zustand des Heeres *) Kriegsarchiv Wien, Studie des Oberstleutnants v. Ioly. — 2) Ebenda. 3) Conrad IV, ©.705 und 711. — Anders lautende Angaben, wie sie in einigen
der ersten Befehle und amtlichen Mitteilungen enthalten sind (z. B. auch vom 13. September an den Felbmarfchalleutnant Ritter v. Marterer von der Militär-
Kanzlei des Kaisers Franz Josef, Conrad IV, S.737), haben wohl nur den Zweck gehabt, den großen Ernst der Lage nicht allgemein bekannt werden zu lassen. 4) 21. a. O. S. 752.
Kriegsarchiv Wien, Studie des Oberstleutnants v. Zoly. Die Darstellung, die General v. Conrad im Gespräch mit General Ludendorff am 18. September gab
Der Verzicht aus die Narew-Operation.
407
schon beim Erreichen des San den Entschluß reifen, auf jede Verteidigung dieser Flußlinie zu verzichten. Am 14. September vormittags drahtete der Erzherzog an den Deutschen Kaiser: „Österreichisch-ungarische Armee wird angesichts Heranziehens deutscher Kräfte 8. Armee erst dann und dort schlagen, wenn Vereinigung mit diesen Kräften gesichert ist. Operation über Narew ist jetzt keinesfalls mehr wirksam. Nur Vereinigung in Westgalizien kommt in Betracht. Ich bitte daher, Abtransport über Krakau je eher, je besser Allerhöchst verfügen zu wollen." Vermutlich^) etwa gleichzeitig mit dieser Nachricht war im Großen Hauptquartier in Luxemburg auch ein Bericht des Generals v. Freytag eingegangen. Obgleich schon am 10. September, noch vor Beginn des öfter-
reichisch-ungarischenRückzuges, geschrieben, gab er doch schon eine recht wenig zuversichtliche Schilderung vom Zustande des verbündeten Heeres. Dieses werde „zu sehr hohen Leistungen aus eigener Kraft nicht auf die Dauer besähigt bleiben.
Deshalb gestattete ich mir gestern" — so hieß es weiter —
„von mir aus nochmals die unmittelbare Unterstützung des Kaiserlichen und
Königlichen Heeres in Galizien durch aktive deutsche Truppen, die ihm einen starken Rückhalt und frischen Mut zuführen würden, als Wünschenswert zu bezeichnen ..." Mit der Drahtung des Erzherzogs war entschieden, daß die Narew-
Operation für die deutsche Armee in Ostpreußen nicht mehr in Frage komme. Die von General v. Conrad gewünschte Verschiebung nach Krakau
aber hätte die Armee hinter die weichende österreichisch-ungarische Front und damit in eine in jeder Hinsicht ungünstige Lage geführt. So entschied die deutsche Oberste Heeresleitung am 14. September um l20 nachmittags in einer Weisung an das Oberkommando der 8. Armee: „Operation über den Narew wird in jetziger Lage der Österreicher nicht für er-
folgversprechend gehalten. Unmittelbare Unterstützung der Österreicher ist politisch erforderlich. Operationen aus Oberschlesien kommen in Frage. Zuführung von Truppen aus dem Westen ist nicht beabsichtigt. Äber Zahl der in Schlesien zu verwendenden Kräfte folgt noch Bestimmung. Selbständigkeit der Armee bleibt auch bei gemeinsamer Operation mit den Oster-
reichern bestehen." Angesichts der Lage bei den Bundesgenossen fand man sich bei der deutschen 8. Armee, wenn auch innerlich widerstrebend, mit dieser Cnt(Conrad IV, S. 796), „daß wir, falls auf keine deutsche Mithilfe zu rechnen gewesen wäre, hinter dem San, geschützt durch Pschemysl, den Feind erwartet und geschlagen hätten" — ist damit schwer zu vereinen, enthält aber wohl eine zur Wahrung des
Ansehens gegenüber dem Bundesgenossen damals für nötig gehaltene Färbung.
*) Sicheres hat sich nicht feststellen lassen.
408
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
scheidung der Obersten Heeresleitung ab. Man hielt es aber für nötig, sich nochmals mit ihr auszusprechen über Stärke und Aufgabe der zur Unterstühung der Verbündeten bestimmten Kräfte.
Wenn diese — wie es an-
scheinend geplant war — in unmittelbarem Anschluß an das verbündete
Heer aufmarschierten, so konnte ihr Vorgehen die feindliche Amfaffungsbewegung höchstens vorübergehend zum Stehen bringen, aber nicht zu einem weiter reichenden Erfolge führen. Dazu mußte man mehr abgesetzt vom
österreichisch-ungarischen linken Flügel vormarschieren.
Diese Gedanken
trug General Ludendorff am Abend des 14. September am Fernsprecher dem Generalobersten v. Moltke vor und beantragte, die Masse der 8. Armee
unter ihrem bisherigen Oberbefehlshaber nach Oberschlesien und Posen zu senden, um von hier aus, abgesetzt vom österreichisch-ungarischen Heere, eine ganz neue Operation einleiten zu können. Generaloberst v. Moltke stellte die Prüfung des Vorschlages in Aussicht;
die weitere Behandlung der Angelegenheit aber fiel seinem Nachfolger, dem Generalleutnant v. Falkenhayn, zu, der gerade an diesem Abend die Ver¬
tretung des schwer erkrankten bisherigen Chefs des Generalstabes des Feld¬ heeres übernommen hatte*). 15,September.
Am Abend des 15. September ließ General v. Falkenhayn an das Oberkommando der 8. Armee mitteilen: „Seine Majestät befehlen:
Zu gemeinsamer Verwendung mit dem österreichischen Heere wird eine 9. Armee unter General v. Schuberts gebildet. Zum Stabe des Oberkommandos der 9. Armee tritt als Chef des Generalstabes der Generalmajor Ludendorff ..." Zur 9. Armee sollten, wie es weiter hieß, nach näherer
Bestimmung des Oberkommandos 8, zunächst zwei Armeekorps, darunter das Garde-Reservekorps, und eine Kavallerie-Division treten. Sie sollten, wie es auch dem Vorschlage des bisherigen Oberkommandos der 8. Armee entsprach, mit der Bahn an die schlesisch-posensche Grenze gefahren werden,
je ein Armeekorps nach Tarnowitz—Beuthen und nach Lublinitz—Rosenberg, die Kavallerie-Division nach Kempen in Posen. Außer diesen zur 9. Armee tretenden Verbänden sollten zwei weitere Armeekorps in OstPreußen zum Abtransport an der Bahn bereitgestellt werden. Die 9. Armee war, wie in einer gleichzeitigen Weisung an General v. Schubert gesagt
wurde, „nach Vereinbarung mit dem österreichischen Oberbefehlshaber möglichst gegen Flanke und Rücken der zunächst erreichbaren russischen Streit-
kräste vorzuführen". Diese Anordnungen wurden in den folgenden Tagen ergänzt und geändert. Aus einer neuerlichen Anfrage des Hauptmanns v. Fleischmann nach den Aussichten des Widerstandes am San ersah General v. Comad, ") Vgl. S. 1. - 2) 6. 501, Anm, 2.
Neugliederung des Ostheeres.
409
daß die deutschen Verstärkungen doch nicht über Krakau vorgeführt, sondern an der schlesisch-posenschen Grenze ausgeladen werden sollten, und daß man von da aus eine selbständige Operation durchführen wolle, zu der sogar die Mitwirkung öfterreichisch-ungarischer Kräfte nördlich der Weichsel er-
hofft werde. Das entsprach durchaus nicht den Plänen der österreichischungarischen Heeresleitung. Erzherzog Friedrich drahtete am 15. September nochmals an den Deutschen Kaiser und bat erneut um Ausladung bei Krakau—Tarnow und um Unterstellung der deutschen Armee unter öfter-
reichisch-ungarischen Oberbefehl. Das Eingreifen dieser Armee sei sobald als möglich bei und nördlich Tarnow erforderlich, „wenn gemeinsames
Handeln gesichert sein soll". Welcher operative Gedanke dieser Forderung des verbündeten Oberbefehlshabers zugrunde lag, vermochte man bei der deutschen Obersten Heeresleitung nicht recht zu erkennen. Auch wies General
v. Freytag in zwei Drahtungen dringend darauf hin, daß nach den bisherigen Erfahrungen eine getrennte Verwendung aller deutschen Truppenkörper, als besondere linke Flügelgruppe, unbedingt besser sei, als eine Untermischung mit österreichisch-ungarischen Verbänden, wie sie vielleicht den Wünschen der Verbündeten entspreche.
Am 17. September befahl die deutsche Oberste Heeresleitung end->«-bisis.Septcut^ct gültig, auch die beiden in Ostpreußen bereitgestellten Armeekorps zur 9. Armee abzubesördern; sie bestimmte dabei — den dringenden Forderungen der Verbündeten entsprechend —, daß das zuletzt eintreffende Korps nun doch bei Krakau ausgeladen werden solle. Die vom Oberkommando der
8. Armee vorgeschlagene, abgesetzt vom österreichisch-ungarischen Heere zu führende Operation wurde damit unmöglich gemacht. Gleichzeitig aber er¬ nannte der Deutsche Kaiser an Stelle des Generals v. Schubert den General-
obersten v. Hindenburg zum Oberbefehlshaber der 9. Armee und schaffte damit auch die Frage des österreichisch-ungarischen Oberbefehls aus der Welt,
denn der Generaloberst stand im Dienstrange höher als der Oberste Befehlshaber des verbündeten Heeres. „Ich übertrage Ihnen", so hieß es in dem Befehl weiter, „die Gesamtleitung aller Operationen im Osten. Die 8. Armee, welche General v. Schubert übernimmt, bleibt Ihnen auch unterstellt. Direktiven für Zusammenwirken mit österreichischer Armee und Operationen in Preußen behalte ich mir vor." General Ludendorff war, noch ohne Kenntnis von diesen letzten Ent-
scheidungen, bereits am 16. September früh von Insterburg nach Breslau abgefahren, um die Versammlung der neuen Armee vorzubereiten. Dorthin folgte ihm nun am 18. September auch der Generaloberst selbst mit dem größten Teile des Stabes des bisherigen Oberkommandos. Generaloberst
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
410
v. Hindenburg und sein Generalstabschef empfanden es mit Genugtuung, daß sie durch die neuen Befehle des Kaisers wieder zu gemeinsamer Tätigkeit berufen wurden.
Beide Männer waren durch ihr bisheriges, unter
schwierigsten Verhältnissen begonnenes erfolgreiches Zusammenwirken so sehr miteinander verbunden, daß sie die zuerst befohlene Trennung schwer empfunden hatten. Das deutsche Ost Heer gliederte sich für die weiteren Operationen in: Die 9. A r m e e1) unter Generaloberst v. Hindenburg, der zugleich
Oberbefehlshaber sämtlicher Streitkräfte im Osten war; Chef des Generalstabes Generalmajor Ludendorff. Zu dieser Armee gehörten: Garde-Reservekorps XI. Armeekorps XVII. Armeekorps
—11 Divisionen
XX. Armeekorps
|
Infanterie,
Landwehrkorps
1 Kavallerie-
Hauptreserve Posen HöhererKavalleriekommandeur
Division,
Nr. 3 mit 8.Kavallerie-Division Stellvertretende Generalkommandos des IL, V., VI. Armeekorps mit den Festungen und Truppen ihres Bereiches, letztere unter Ausschluß derjenigen, die für die neu aufzustellenden Reservekorps^) bestimmt waren, sowie der nicht zu mobiler Ver-
Wendung bestimmten Crsatz-Truppenteile. Die 8. Armee^) unter General der Artillerie v. Schubert, Chef des Generalstabes Generalmajor G r ü n e r t. Zu dieser Armee gehörten: I. Arm ee k o r p s
I. Reservekorps 3. Referve-Divifion
35. Referve-Divifion (Hauptreserve
Thorn) Landwehr-Division Goltz 6. und 70.Landwehr-Brigade
—9
1I2Divisionen
Infanterie, 1 Kavallerie-
Division,
Hauptreserven Königsberg und
Graudenz 1. K a v a l l erie-Divifion l) Kriegsgliederung f. Anl. 1. - -) S. 5. —
Kriegsgliederung s. Anl. 1.
Neugliederung des Ostheeres.
411
Stellvertretende Generalkommandos des L, XVII., XX. Armeekorps mit den Festungen und Truppen ihres Bereiches in demselben Umfange wie bei der 9. Armee.
Die Aufgaben des Ostheeres wurden in einem Vesehl der Obersten Heeresleitung vom 17. September endgültig dahin festgelegt, daß die „9. Armee selbständig im Einvernehmen mit der öfterreichischen Heeresleitung gegen Flanke und Rücken
der zunächst erreichbaren, den Österreichern folgenden russischen Heeresgruppe vorzugehen" habe. — Die 8. Armee sollte „Ost- und We st Preußen gegen erneuten
russischen Einfall" schützen. Die Hauptreserven von Posen, Thorn und Graudenz hatten „Grenzsicherungen gegenüber ihren Festungen zu übernehmen, zu späterem offensiven Vorgehen bereit". Als Generaloberst v. Hindenburg Ostpreußen verließ, hatte er den AnOrdnungen, die er dort bisher als Oberbefehlshaber der 8. Armee getroffen
hatte, nichts hinzuzufügen. Die nächste Aufgabe dieser Armee sollte ein Vorstoß gegen die wichtige russische Aufmarschbahn Grodno—Warschau sein'). über die Führung der Operationen der 9. Armee hatte inzwischen General Ludendorff die nötigen Vereinbarungen mit der österreichisch-
ungarischen Heeresleitung getroffen. b) Die Abmachungen mit den Verbündeten. — Stellung zur Obersten
Heeresleitung. Hierzu Karte 14 und Skizze 6.
Wilde Gerüchte über das Schicksal des deutschen Landwehrkorps, dasi«. September,
im Rahmen des österreichisch-ungarischen Heeres durch Galizien zurückging, waren nach Schlesien gedrungen, hatten sich aber nicht bestätigt. Der Kommandierende General, General der Infanterie v. Woyrsch, ließ melden, man habe trotz schwerer Verluste keine Achtung vor den Russen, die „mäßig im
Angriff, leidlich in der Verteidigung" seien. Am 18. September fuhr Generalmajor Ludendorff von
Breslau nach Reu-Sandez ins österreichis ch-ungaris che Hauptquartier; er war bester Zuversicht. An der österreichisch-ungarischen Front drängten die Russen nicht mehr, und die letzten Meldungen ließen den
Zustand der einzelnen Armeen in günstigem Lichte erscheinen, weit besser, als es der harten Wirklichkeit entsprach. Die Stimmung bei der verbündeten
Heeresleitung hatte sich dementsprechend aufgehellt).
So fand General
l) 6.501 ff. — 2) Kriegsarchiv Wien, Studie des Oberstleutnants v. Ioly.
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
412
Ludendorff in Reu-Sandez, wie er an die Oberste Heeresleitung meldete,
eine trotz der schweren Verluste „durchaus zuversichtliche Auffassung". Das Bild, das er von der Schlagfertigkeit des verbündeten Heeres gewann, war
aber wenig günstig, und doch zeigte es noch nicht die ganze Schwäche dieses
Heeres. Das österreichisch-ungarische Heer (2., 3., 4. und 1. Armee, bei letzterer das deutsche Landwehrkorps) hatte mit 48") Divisionen Infanterie (davon 81/2 Divisionen Landsturm)2) und 11 Kavallerie-Divisionen das westliche San-Ufer erreicht. Seine Front war damit von südlich Pschemysl bis zur Weichsel oberhalb Sandomir auf etwa 150 km Breite zusammen¬
gedrängt. Weiter östlich hielten geringe Landsturmkräfte (deutscher Land¬ wehr entsprechend) die Karpaten-Pässe. Nördlich der Weichsel befanden sich lediglich schwache Grenz- und Vahnschutzabteilungen, aber noch keine kampfkräftigen Verbände, nicht einmal Reiterei. Der Gegner drängte zunächst nicht. General v. Conrad rechnete aber damit, daß die Russen die Offensive in der Richtung auf Krakau alsbald wieder aufnehmen würden. Inzwischen wollte er sich wegen der verminderten Gefechtskraft seiner Armeen vom Feinde absetzen, um den Kampf erst dort wieder aufzunehmen, wo die „unmittelbare Schlachtunterstützung" durch reichsdeutsche Verstärkungen gesichert war. Dabei blieb dann die große Festung Pschemysl vor der Front. Die 2. Armee sollte nach Süden in die Karpaten ausweichen, während die drei Armeen des linken Flügels hinter die Viala und den Dunajez auf die nur etwa 50 km breite, von Natur starke Stellung Grybow
—Tarnow zurückzugehen hatten.
Diese besonders für eine Rückzugs-
bewegung sehr enge Vereinigung von drei ganzen Armeen setzte den deutschen General in Erstaunen. General v. Conrad begründete sie aber mit den
außerordentlich großen Lücken, die die Truppen aufwiesen; die „Gefechtsstärke" des Heeres in Galizien betrug im ganzen nur noch 400 000 Maring. Von den Russen wußte man, daß sie nur langsam folgten. Vorsichtig näherten sie sich den Außenwerken der Festung Pschemysl und den SanBrückenköpfen von Iaroslau und Sieniawa, weiter unterhalb aber hatten
sie den Fluß, da Widerstand nicht versucht wurde, nach dem Abzug der Österreicher und Ungarn schon am 15. September überschritten. General v. Conrad nahm an, daß rechts (südöstlich) der Weichsel im ganzen fünf russische Armeen die allgemeine Linie Kalusch—San-Mündung erreicht hätten, vom südöstlichen Flügel beginnend die 7., 8., 3., 5. und 4. Armee, während sich die 9. in zweiter Linie dahinter etwa in der Gegend südöstlich *) Je 2 einzelne Brigaden find — 1 Division gerechnet.
2) Der österreichisch-ungarische Landsturm entsprach deutscher Landwehr. 3) Conrad IV, S. 805.
Besprechung in Neu-Sandez, 18. September.
413
von Iwangorod sammele. Alles in allem rechnete er mit 57 bis 58 russischen
Infanterie-Divisionen, davon sechs durch Pschemysl gebunden, so daß im ganzen 51 bis 52 Divisionen den Vormarsch fortsetzen würden^).
Die
Russen konnten dabei über die Karpaten-Pässe nach Angarn einfallen oder sich gegen Krakau und Schlesien wenden. Das erstere erschien dem General Ludendorff für die weitere Gestaltung der militärische:? Gesamtlage im Osten nicht unerwünscht, aber es war doch das weniger Wahrscheinliche. Auf dem linken Weichsel-Afer nahm General v. Conrad etwa ein russisches Korps nordwestlich der San-Mündung sowie drei bis vier Kavallerie-Divisionen und Grenzwach-Abteilungen im westlichen Polen an; von Warschau sollten große Bahntransporte nach Süden, in der Rich-
tung auf Kjelzy, stattfinden. Eine unmittelbare Gefahr für den österreichischungarischen Nordflügel lag aber angesichts des Herannahens der deutschen 9. Armee nicht mehr vor. Wenn der Gegner dem verbündeten Heere weiter folgte, mußte es etwa am Dunajez zur Schlacht kommen. Dann konnte die deutsche 9. Armee auf
dem nördlichen Flügel durch Umfassung die Entscheidung bringen. Stellte der Gegner seinen Vormarsch aber vorher ein oder wandte er sich gar nach Ungarn, dann wollte General v. Conrad gemeinsam mit der Armee Hin-
denburg wieder zum Angriff vorgehen. In jedem Falle war ein starker Nordflügel nötig, um einen entscheidenden Schlag führen zu können. General Ludendorff regte daher die Ausdehnung des österreichisch-ungarischen Heeres von Tarnow nach Norden bis an die Weichsel und die Verstärkung dieses Nordflügels durch Teile der 2. Armee aus den Karpaten an. Auch bat er, baldigst österreichifch-ungarifche Kavallerie auf das linke
Weichsel-!lfer zu senden, die dort zur Verschleierung des deutschen Auf-
marsches dringend nötig sei. Die Besprechung ergab schließlich Übereinstimmung in der Gesamtbeurteilung der Lage wie in den nächsten Absichten; es kam zu folgender
Abmachung: „1. Falls die Russen drängen, gehen die österreichischungarischen Armeen mit nördlichem Flügel längs der Weichsel in Richtung auf Krakau zurück. Österreichisch-ungarische Kavallerie wird von Süden auf Kjelzy vorgeschoben. — 2. Die deutsche 9. Armee versammelt sich nördlich Krakau. — 3. Beide Armeen ergreifen sofort nach Beendigung der Ver-
sammlung der 9. Armee die Offensive." Während General Ludendorff in Reu-Sandez verhandelte, war Generaloberst v. Hindenburg in Breslau eingetroffen. Nachdem über das Zusammenwirken mit dem österreichisch-ungarischen Heer Klarheit ge*) Conrad. IV, S. 807.
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
414
schaffen war, galt es, die Gesamtkriegführung der beiden deutschen Ostarmeen in Einklang zu bringen.
Von der 9. Armee
hatte das Garde-Reservekorps gerade begonnen, westlich von Kattowitz auszuladen, das XX. Armeekorps war im Amollen nach Tschenstochau, die übri>S. September, gen Teile der Armee sollten folgen. Am 19. September erhielt die Haupt.
reserve Posen Befehl, von Kalisch auf Sjerads anzutreten, gleichzeitig sollte der posensche Grenzschutz ostwärts gegen die Warthe vorgeschoben werden. Tags darauf wurde die 35. Reserve-Division (Hauptreserve Thorn) der 8. Armee, die noch südlich von Mlawa stand, zum Transport nach Thorn bestimmt, um von hier auf dem linken Weichsel-5lfer über Wlozlawek in der
Richtung auf Warschau vorzustoßen. Cs schien aber erforderlich, auch von Ostpreußen aus weiterhin „einen möglichst starken Druck in Richtung Warschau auszuüben". Daher sollte die 8. Armee sich darauf vorbereiten, „nach dem Vorstoß gegen die Grodno-Warfchauer Bahn starke Teile — vielleicht ein bis zwei Divisionen — in die Gegend von Mlawa zu führen, um von
dort aus offensiv zu werden". Ob es bei solcher Schwächung der 8. Armee
zugunsten der Operation in Polen möglich sein werde, Ostpreußen auf die Dauer gegen neuen russischen Einbruch zu schützen, stand dahin. Um so nachhaltiger sollten hier Verteidigungsanlagen vorbereitet werden. Gleichzeitig mit diesen Maßnahmen der örtlichen Führung war auch die Oberste Heeresleitung darauf bedacht, die Lage an der Ostfront zu erleichtern. Auf Anregung des Generalleutnants v. Falkenhayn wurde eine größere Flottenunternehmung gegen die russische Ostseeküste vorbereitet, um an dieser — wie man wußte — für die Russen besonders
empfindlichen Stelle Kräfte zu binden, die dann an der Landkampfftont aus-
fielen'). 2l. September.
Am 21. September wurde das Oberkommando der deutschen
9. Armee nach Beuchen in den Aufmarschraum der anrollenden Truppen verlegt. Cs zeigte sich immer klarer, daß die Russen die unmittelbare Verfolgung des österreichisch-ungarischen Heeres am San eingestellt hatten; nur zögernd waren Teile weiter vorgegangen. Damit fiel der einzige Grund fort, der — ganz gegen die Absichten der deutschen Führung im Osten —
den Entschluß ausgelöst hatte, die 9. Armee mit dem rechten Flügel bei Krakau zu versammeln. Aber es bot sich schließlich auch jetzt noch die Möglichkeit, die Operation aus einer mehr nördlichen Richtung anzusetzen.
So drahtete Generaloberst v. Hindenburg am 21. September an
die österreichisch-ungarische Heeresleitung: „Es ist für Fortführung der Operationen von entscheidender Bedeutung, daß starke österreichische Armee l) S, 11, 505 und 520 s.
Der Aufmarsch der 9. Armee.
415
nördlich der Weichsel geschoben wird, um mit deutscher Armee gemeinsam hier Offensive zu ergreifen. Rechter Flügel deutscher Armee etwa über Kjelzy. — Südlich der Weichsel Offensive der anderen österreichischen
Armeen mit gestaffeltem rechten Flügel." Auf einen solchen Plan glaubte aber General v. Conrad jetzt noch nicht eingehen zu können^). Das öfter-
reichisch-ungarische Heer hatte gerade die Wisloka erreicht, der Rückzug sollte aber noch zwei Tagemärsche weiter bis an die Viala und den unteren
Dunajez fortgesetzt werden. Erst westlich der Dunajez-Mündung wollte der
österreichisch-ungarische Generalstabschef zunächst einmal eine KavallerieDivision, mit Infanterie als Rückhalt, auf das nördliche Weichsel-Ufer schieben. Im übrigen sollten die Armeen Ergänzungen heranziehen und die Ankunft der deutschend. Armee erwarten. Von der bevorstehenden gemeinsamen Operation erhoffte General v. Conrad — wie er schon am 20. September an Generaloberst v. Moltke geschrieben hattet — die „Feldzugs-
entscheidung im Osten". Er hatte daher gleichzeitig den Einsatz weiterer deutscher Kräfte, wenn auch nur zweiter oder dritter Linie, für die Offensive nach Polen erbeten. Demgegenüber bestand Generaloberst v. Hindenburg am 22.S e p - 22. «nd2Z.S°p-
tember darauf, daß „schon jetzt der Entschluß gefaßt werde und zur Aus-
führung gelangen müsse, im Rückzüge eine möglichst starke österreichischungarische Armee auf das nördliche Weichsel-Ufer zu bringen". Cr entsandte den Oberquartiermeifter der Armee, Obersten v. Sauberzweig, nach Neu-Sandez und legte auch dem österreichisch-ungarischen Hauptmann v. Fleifchmann dar, daß die deutsche 9. Armee sich schon im Vormarsch so weit nördlich schieben müsse, daß ein großer Erfolg über die
Russen durch Umfassung gewährleistet sei. „Schiebt Österreich nicht starke Kräfte über die Weichsel, so können zu der Umfassung nur schwächere Teile *) Gras Conrad schrieb darüber später (Conrad IV, S.832): „Für Generaloberst v. Hindenburg lag es nahe, möglichst starke Kräfte aus dem linken Weichselllser zu vereinen, insbesondere auch, weil sich dadurch die Deckung Preußisch-Schlestens erhöhte. Ich aber mußte mit der Möglichkeit rechnen, daß die Russen nur eine Gruppe aus dem linken Weichsel-Ufer vorgehen lassen, mit der Hauptmasse aber den Stoß südlich der Weichsel führen würden, was, wenn es gelänge, von schwerwiegender Folge werden konnte,
überdies war eine eigene Offensive rechts der Weichsel die
wirksamste Bedrohung der Russen. Ich mußte daher die allmähliche Klärung abwarten, ehe ich mich entscheiden konnte, wie viele österreichisch-ungarische Kräfte aus das nördliche User zu verschieben wären." 2) Conrad, IV, S. 818. Daß inzwischen General v. Falkenhayn die Geschäfte des deutschen Generalstabschefs in vollem Umfange übernommen hatte, war der verblindsten Heeresleitung ebenso wie der deutschen 9. Artnee einstweilen noch nicht
bekannt.
tcm6et*
416
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
zur Wirkung gelangen . .
Hauptmann v. Fleischmann fuhr persönlich
nach Neu-Sandez, um diese Auffassung zu vertreten, und fügte dabei noch
hinzu, deutscherseits sei auch die Möglichkeit erörtert worden, mit der 9. Armee eine selbständige Operation gegen Zwangorod—Warschau zu
unternehmen, falls nicht österreichisch-ungarische Kräfte auf das linke Weichsel-User entsandt würden.
Daraufhin sagte General v. Conrad am
23. September zu, daß er außer dem deutschen Landwehrkorps noch fünf, vielleicht sogar sechs österreichisch-ungarische Divisionen der 1. Armee auf das nördliche Weichsel-User schicken werde. Die ganze I.Armee nördlich der Weichsel einzusetzen, lehnte er jedoch ab, da die Hauptmacht der Russen noch südlich des Flusses stehe, wo Gelände und eigener Mangel an Artillerie
zahlreiche schmale Divisionsabschnitte nötig mache.
Auf dem linken
Weichsel-User, wo General v. Conrad nunmehr „starke russische Kräfte,
wahrscheinlich die russische 9. Armee, in Versammlung'") annahm, sollten die österreichisch-ungarischen Divisionen bis zum 30. September hinter der Linie Dunajez-Mündung—Pintschow bereitstehen, um am Vorgehen
zur Umfassung des russischen Nordflügels teilzunehmen. „Dies", wie es in der Antwort hieß, „unter strikter Voraussetzung, daß die deutsche 9. Armee diese Operation in direktem Zusammenwirken mit österreichischen Kräften durchführt, wobei als Ziel der ganzen Operation gilt, Erfolg
durch Umfassung der gegen österreichische Armeen vorgehenden russischen Hauptkräfte herbeizuführen. Gegen diese russischen Kräfte werden im Ein-
klang mit Vorgehen nördlich der Weichsel auch die österreichischen Armeen
auf südlichem Weichsel-User vorrücken." Der Vormarsch der deutschen 9. Armee wurde diesen Ab-
sichten entsprechend so geregelt, daß der rechte Flügel bis zum 30. September die Gegend von Pintschow erreichte. Dazu mußten die Korps von ihren Ausladepunkten in nordöstlicher, das XI. Armeekorps von Krakau zunächst
sogar in fast nördlicher Richtung vorgezogen werden.
Auf diese Weise
wurde auch allen sonstigen Möglichkeiten der Lage Rechnung getragen, soweit das bei dem nun einmal festliegenden Cisenbahnausmarsch noch möglich war. Gleichzeitig machte sich für die weit ausholende Offensive das
Bedürfnis geltend, die offene Nordflanke des Vormarsches durch tiefere Staffelung unmittelbar zu schützen. Generaloberst v. Hindenburg entschloß sich daher, die 33. Reserve-Division (Hauptreserve von Thorn), die nach dem Befehl der Obersten Heeresleitung vom 17.September die Grenz¬ sicherung im Vorgelände ihrer Festung hatte übernehmen sollen, der 8. Armee *) Österreichisch-ungarischer Heeresbefehl vom 23.September 1914. — Conrad IV, S. 840.
417
9. Armee und Oberste Heeresleitung.
ganz fortzunehmen, um sie unmittelbar an den Nordflügel der 9. Armee
heranzuziehen. Dagegen mußte der Gedanke eines Vorstoßes von Teilen der 8. Armee von Mlawa auf Warschau vorläufig aufgegeben werden. Diese Armee gebrauchte ihre geringen Kräfte zunächst sämtlich für die Abwehr an der ostpreußischen Ostgrenze. Durch sie hoffte man, wenn sie auf
russischem Boden und angriffsweise geführt wurdet, ebenso starke, vielleicht sogar stärkere russische Kräfte zu binden, als durch einen Vorstoß schwacher Teile von Mlawa auf Warschau. Als die deutsche Oberste Heeresleitung die neuen mit General 24. «ept-mb-r.
v. Conrad getroffenen Abmachungen erfuhr, wünschte sie, den unter anderen
Voraussetzungen befohlenen und schon rollenden Cisenbahnausmarsch der 9. Armee, soweit noch möglich, der neuen Lage anzupassen. Vielleicht ließ sich wenigstens das nach Krakau bestimmte XI. Armeekorps, dessen Abtransport erst am 23. September bei Insterburg beginnen sollte, noch umleiten und weiter nördlich ausladen. In diesem Sinne drahtete General t>. Falkenhayn am 24. September an das Armee-Oberkommando 9; er
fügte hinzu: „Cs ist angenommen, daß hierfür der Lage beim Feinde entsprechende Vereinbarungen mit Österreichern bereits getroffen sind." Diese
Anregung der Obersten Heeresleitung entsprach vollauf den ursprünglichen Absichten des Oberkommandos 9, mit denen es aber nicht durchgedrungen war. Jetzt kam die Änderung der Obersten Heeresleitung zu spät, denn die Transporte waren auf Veranlassung des Generalobersten v. Aindenburg derart beschleunigt worden, daß die Ausladung des XI. Armeekorps bei Krakau schon in vollem Gange war. So wirkte das Telegramm der Obersten Heeresleitung beim Oberkommando 9 nur verstimmend. Dieses antwortete:
„Ausladung in Krakau ersolgt gegen diesseitige Absicht, lediglich auf aus-
drücklichen Befehl des Großen Hauptquartiers. Ausladung jetzt nicht mehr Zu ändern, da im Gange. Armee wird nach Ausladung nach Norden verschoben, um damit die hier stets als richtig erkannte Basis zu gewinnen." An demselben 24. September wurde aber in einem „Oberste Heeres-
leitung" unterzeichneten Telegramme auch Aufklärung gefordert über die Heranziehung der 35. Referve-Division (Hauptreserve Thorn) zur 9. Armee. Dieser vom Oberkommando 9 noch gar nicht gemeldete Entschluß war der
Obersten Heeresleitung auf dem Dienstwege über die Feldeisenbahnbehörden bekanntgeworden. Ihr Eingreifen erregte bei den an völlige Selbständigkeit gewöhnten Siegern von Tannenberg und den Mafurifchen Seen Befremden. Daß Generaloberst v. Moltke ausgeschaltet war, wußte man noch nicht; denn nach wie vor waren die einlaufenden Drahtungen J) Bericht der 8. Armee vom 24. und Antwort des Generalobersten v. Hinden-
bürg vom 26. September, vgl. S.S06f. t Weltkrieg. V. Band.
27
418
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
mit „Moltke" unterzeichnet gewesen. Generaloberst v.Hindenburg antwortete daher: „Generaloberst v. Moltke: Oberste Heeresleitung zieht mich wegen Heranziehung der Hauptreserve Thorn an linken Flügel der 9. Armee und ihrer Richtbelassung bei Thorn zur Verantwortung." Es folgten die Gründe
für die Heranziehung. Das Telegramm schloß: „Ich beabsichtige, es bei der von mir getroffenen Anordnung zu belasten und bitte Euere Exzellenz, mir die erforderliche Selbständigkeit bei Leitung des neuen Feldzuges ebenso zu belasten, wie bei meinen bisherigen Operationen." — Eine zustimmende und
die Anfrage erläuternde Antwort des Generals v. Falkenhayn folgte sofort, vermochte aber die nun einmal zwischen den beiden hohen Kommandobehörden entstandene Spannung nicht mehr ganz aufzuheben. Sie übertrug sich auch auf das Verhältnis des Armee-Oberkommandos 9 zum General v. Freytag, der sich für die Verwendung der deutschen Truppen im unmittelbaren Anschluß an die verbündeten Armeen besonders stark eingesetzt hatte.
c) Beginn der Bewegungen und Gefecht bei Opatow, 30. September bis 5.Oktober. Hierzu Karte 14 und Skizze 7.
ZV.September.
Am 30. September stand das österreichisch-ungarische H e e r mit der 2.Armee unter General v. Böhm-Crmolli in den Karpaten,
mit der 3. unter General v. Boroevic, der 4. unter General Erzherzog
Josef Ferdinand und der 1. unter General Dankl anschließend daran an der Biala und am Dunajez. Dabei befand sich die Kavallerie, die
besonders schwer gelitten hatte und ruhebedürftig war, mit ihrer Masse — sieben Divisionen — zunächst hinter der Mitte, teilweise auch hinter
dem rechten Flügel der Heeresfront. Der linke Flügel der 1. Armee (572 Infanterie- und 2 Kavallerie-Divisionen) war auf das nördliche Weichsel-Afer geschoben worden und hatte den Nida-Abschnitt südlich von
Pintschow erreicht. Die Festung Pfchemyfl, zu deren Besatzung drei Divi¬ sionen Infanterie (dabei vier Landsturm-Brigaden) gehörten, lag 9V km vor der Front des Heeres. An den Karpaten-Pässen und nördlich der Weichsel, hier erst beim Herangehen an den Nida-Abschnitt, war es zu unbedeutenden Zusammenstößen mit dem Gegner gekommen; im übrigen
hatten die Truppen, soweit sie nicht auf das nördliche Weichsel-Afer abgerückt waren, etwa eine Woche Ruhe und Zeit gehabt, ihre Verbände zu ordnen und zu ergänzen. Dabei störte, daß gleichzeitig Ruhr und Cholera
umfassende ärztliche Vorbeugungsmaßnahmen nötig machten; allein die 2. Armee hatte mehr als 2000 Cholerakranke, von denen über die Hälfte starb. Am wieder kampfkräftige Verbände zu schaffen, hatte man eine Land-
sturm-Division sowie die Marsch-Brigaden und -Regimenter, die bei
Das österreichisch-ungarische Heer.
419
Ktiegsbeginn als selbständige Truppenkörper ins Feld gerückt waren, auflösen müssen. Vei dem geringen Bestände an ausgebildeten Mann¬ schaften war es aber auch durch diese Maßnahme nicht möglich gewesen, die Einheiten der Infanterie wieder auf volle Stärke zu bringen; bei der Kavallerie mußte man sich mit einer Schwadronsstärke von 100 Reitern
begnügen. Die Geschützverluste waren bis auf 14 Kanonen, die der 2. Armee noch fehlten, ersetzt, die Munition ergänzt. So hatte das öfterreichisch-ungarische Feldheer an der russischen Front bis zum 1. Oktober wieder eine Stärke von 477 000 Mann Infanterie, 27 000 Reitern und
1578 Geschützen erreicht, blieb damit aber doch noch um fast ein Viertel hinter dem Stande bei Kriegsbeginn zurück. Im ganzen standen 42 Divi-
sionen Infanterie (davon 1 Division und 9 einzelne Brigaden Landsturm) und 11 Kavallerie-Divifionen zum Vormarsch bereit).
Dieses Heer durch Abgaben von der serbischen Front zu verstärken, hatte General v. Conrad nicht verlangt; er hätte damit in Wien allerdings auch kaum Erfolg gehabt. Obgleich ein Stillstand in den Operationen gegen Serbien eingetreten war, standen dort jetzt etwa 16 österreichifch-ungarifche
Divisionen (davon 3 Brigaden Landsturm) gegen kaum so starken Feinds. Der Aufmarsch der deutschen Kräfte in unmittelbarer Fühlung mit dem österreichifch-ungarifchen Nordflügel hatte Selbstvertrauen und Angriffsgeist bei der verbündeten Heeresleitung wie auch bei den Truppen wieder
gehoben.
Der Oberbefehlshaber, Erzherzog Friedrich, gab seiner zuver-
sichtlichen Stimmung im Armeebefehl vom 30. September mit den Worten Ausdruck: „Im Feuer der Schlachten gehärtet und von Zuversicht erfüllt, werdet Ihr den endgültigen Sieg erringen und den Feind über die Grenzen unseres Vaterlandes verjagen. Cure Tapferkeit und unbeugsame Ausdauer
verbürgt den Erfolg^)." Solche Hoffnung verlieh dem österreichifch-ungarifchen Heerführer die Kraft, seine Truppen trotz der vorhergegangenen schweren Erschütterungen wieder zum Angriff zu führen. Der Entschluß dazu muß ihm hoch angerechnet werden. Bei der deutschen 9. Armee schätzte man die Aussichten des
bevorstehenden Feldzuges nicht ganz so hoch ein wie beim verbündeten Heere. Auch jetzt konnte das Ziel des Kampfes im Osten zunächst nur Zeitgewinn sein. Im Innern Deutschlands näherten sich die in der Auf*) Außerdem standen 3y2 Divisionen Infanterie in den Festungen Pschemysl und Krakau und eine besondere Abteilung als Sicherung in Siebenbürgen. Bei der Be-
rcchmmg sind ebenso wie bei den reichsdeutschen Verbänden zwei selbständige Brigaden — eine Division gesetzt.
2) Vgl. S, 550 und Band II, S. 258. — -) Conrad, IV, S. 905. 27*
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
420
stellung begriffenen neuen Korps ihrer Verwendungsbereitschaft"); aber noch
darüber hinaus galt es, die russischen Massen in Schach zu halten, damit man auch für den Einsatz dieser Korps möglichst freie Hand behielt. Anter diesen Gesichtspunkten beurteilten die deutsche Oberste Heeresleitung wie Generaloberst v. Hindenburg die kommenden Operationen gegen die Russen. Immerhin hofften sie, daß es gelingen werde, den unmittelbar vor der öfterreichisch-ungarischen Front stehenden Armeen einen wirksamen Schlag zu versetzen.
Nur durch besonderen Glücksfall war mit den verfügbaren ge-
ringen eigenen und den durch Verluste geschwächten österreichisch-ungarischen Kräften mehr zu erreichen. Am 30. September hatte die deutsche 9. Armee mit ihrer Masse — in vorderer Linie XL Armeekorps, Garde-Reservekorps und XX. Armeekorps, hinter dem XI. Armeekorps in zweiter Linie das Landwehrkorps — etwas
vorwärts des österreichisch-ungarischen Nordflügels die Gegend von Chmjelnik
—Kjelzy und nordwestlich dieser Orte erreicht. Zum Schutze der Nordflanke rückwärts gestaffelt, war das XVII. Armeekorps bis westlich Konsk, das „Korps Frommel" bis Petrikau und westlich gelangt. Dieses Korps — zunächst nur aus der als „Division Bredow" bezeichneten Hauptreserve Posen und der 8. Kavallerie-Division bestehend — war durch die 21. Land¬
wehr-Brigade (Hauptreserve Breslau) und durch die anrollende 35. ReserveDivision verstärkt worden. Diese Kräfte sollten den Nordflügel des VorMarsches bilden. Den Raum zwischen ihnen und dem Grenzschutz der Festung Thorn deckte Landsturm der Stellvertretenden Generalkommandos des V. und II. Armeekorps von Sjerads bis zur Weichsel. Die für den Vormarsch bereiten Kräfte der 9. Armee zählten insgesamt: 12"/- Divisionen
Infanterie (darunter 4x/2 Divisionen Landwehr) und 1 Kavallerie-Division mit einer Stärke von 133 000 Mann Infanterie, 8000 Reitern und
837 Geschützen.
Der Vormarsch führte durch ein Gebiet, dessen Vevölkerung nur gezwungen die russische Herrschaft ertrug. Eine Proklamation von russischer Seite, die als Belohnung für treue Mithilfe an der gemeinfamen slawischen Sache größere Freiheiten versprach, war wirkungslos verhallt"). Aber auch die Hoffnung der Mittelmächte, eine Auflehnung gegen
die russische Herrschaft hervorrufen zu können^), hatte sich bisher nicht erfüllt. Selbst die in Russisch-Polen verwendeten österreichischen Truppen hatten für ihre „Befreierkünste" keine Gegenliebe gesunden^). Die bei ihnen 1) S. 5. — 2) Danilow, S. 292ff. — ->) Band II, S. 48. — 4) Brief des Generals v. Bolsras an General v. Conrad vom 28. September 1914 (Conrad IV, S. 874/75).
Der polnische Kriegsschauplatz.
421
gebildete „Polnische Segion1)" übte keine Anziehungskraft aus und bestand nach wie vor fast ausschließlich aus solchen Polen, die österreichische Staatsangehörige waren und sich somit ihrer eigentlichen Wehrpflicht entzogen hatten. Die politische Zuverlässigkeit dieser Legion war ebenso fragwürdig wie ihr Kampfwert; ihr Ersuchen um Anerkennung ist aus politischen Gründen vom Oberkommando der deutschen 9. Armee trotzdem nicht abgelehnt
worden. Cs schien immerhin nicht ausgeschlossen, daß sich die Legion, ihrem Anerbieten entsprechend, bei erfolgreichem Vormarsch der Verbündeten im Nachrichtendienst und durch Unternehmungen gegen rückwärtige Verbindungen der Russen nützlich machte, vielleicht sogar doch noch eine Erhebung in den größeren Städten, vor allem in Warschau selbst, fördern half. Auf Widerstand seitens der Bevölkerung war beim Vormarsch kaum zu rechnen; die August-Vorkommnisse in Kalisch und Tschenstochau waren
Einzelfälle geblieben, für die bisher eine ausreichende Erklärung fehlte^). Ein weites und für deutsche Begriffe wegearmes Gebiet war zu durch-
schreiten; denn gerade das polnische Land westlich der Weichsel hatten die Russen mit Rücksicht auf die Landesverteidigung geflissentlich mit Straßenund Verkehrsbauten vernachlässigt. An die 90 km breite Stromstrecke von
der San°Mündung bis Iwangorod führte auch nicht eine einzige durchlaufende Straße mit festem Unterbau heran. So war man fast ausschließlich auf die in Rußland üblichen Wege angewiesen, die zwar sehr breit, aber nicht befestigt waren. Sie hatten sich durch den Regen, der auch Anfang Oktober noch anhielt, bei dem zähen Lehmboden des Vormarschgebietes in grundlosen Morast verwandelt. Der Kraftwagenverkehr war daher auf wenige, meist quer oder schräg zur Front laufende Straßen be¬ schränkt. Als Ersatz für die schweren deutschen Feldfahrzeuge war von der verbündeten Heeresleitung die Vereitstellung landesüblicher galizischer Fuhrwerke mit einheimischen Fahrern und Pferden schon frühzeitig erbeten worden. Mehr als 3000 solcher, mit kleinen bedürfnislosen Pferden befpannter „Panje"-Fahrzeuge waren nötig, um den Nachschub aufrechtzuerhalten. Cr konnte sich im übrigen auf die zweigleisige Eisenbahn^) Kattowitz—Kjelzy—Radom—Iwangorod stützen, die aber erst auf deutsche Spur umgenagelt und durch Beseitigung der vorgefundenen Zerstörungen fahrbar gemacht werden mußte. Vor allem kostete die Ausräumung des von
den Russen und dann gründlicher von den Österreichern bei ihrem Rückzuge zerstörten Tunnels von Mjechow viel Arbeit. Cs gelang aber doch, aller Schwierigkeiten so weit Herr zu werden, daß der Verkehr schon in den
ersten Oktobertagen bis über den Tunnel hinaus aufgenommen werden Band II, S. 253, Anm. 1. — 2) Band II, S. 49. — 3) Vgl. „Das deutsche
Feldeisenbahnwesen". Band I, S. ISS ff.
422
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
konnte. Der von verbündeter Seite geäußerte Wunsch, das Etappengebiet in Südpolen auch hinter der deutschen Front zu übernehmen, konnte nicht¬ erfüllt werden, denn er war mit deutschen Belangen unvereinbar').
Die Befehls- und Nachrichtenübermittlung zeigte sich im Vergleich zu den Verhältnissen in Ostpreußen sehr erschwert. Nur wenige Drahtleitungen waren vorhanden, fast alles mußte neu geschaffen werden. Ange-
sichts der überall streifenden russischen Reiterei und des schon geschilderten Zustandes der Wege waren auch Kraftfahrzeuge und Meldereiter behindert und mußten oft große Umwege machen. Funkenstationen, mit denen die
Armee inzwischen reichlicher ausgestattet worden war (fast bei jedem Generalkommando eine Station), boten vielfach die einzige Möglichkeit, Nachrichten und Befehle schnell an ihre Bestimmung zu bringen. Nördlich der Weichsel sollte der Vormarsch am 1. Oktober angetreten werden, s ü d l i ch des Flusses wollte die Masse des österreichischungarischen Heeres am 3. Oktober folgen; dessen rechte Flügelarmee — die 2. — sollte aus den Karpaten gegen den linken Flügel der Russen südlich
Pfchemyfl vorgehen.
Die Vorwärtsbewegung zielte somit zunächst auf
doppelte Umfassung der auf linkem San- und Weichsel-User von Pschemysl bis südlich Iwangorod angenommenen russischen Kräfte ab. Der Plan gründete sich auf die am 18. und 23. September mit der österreichisch-
ungarischen Heeresleitung getroffenen Verabredungen^).
Inzwischen be-
gann sich das Bild der Lage beim Gegner zu klären. Man war über die Maßnahmen der Russen ungewöhnlich gut unter¬ richtet, Sie gaben zwar seit der Schlacht von Tannenberg nur noch verzifferte Funksprüche, doch war es dem Archäologen, Professor Deubner, und
Dolmetschern der Ostfront sowie auch dem österreichisch-ungarischen Generalstabe durch rastloses Bemühen gelungen, die Schlüssel der russischen Verzifferungen herauszufinden. Damit bildeten russische Funksprüche, soweit sie aufgefangen werden konnten, kein Geheimnis mehr für die deutsche und öfterreichifch-ungarische Führung. Rur wenn die Russen den Schlüssel wech¬ selten, trat eine — aber meist nur kurze Pause ein, bis auch der neue
Schlüssel ermittelt war. Daneben erwies sich in Polen bei den weiten von
Truppen freien Räumen und der Rußland wenig geneigten Bevölkerung der Agentendienst ergiebiger als an anderen Fronten. Solche besonders günstigen Umstände glichen die im Verhältnis zur Ausdehnung des Gebietes wie zur Stärke des Gegners geringe Zahl links der Weichsel verfügbarer deutscher und österreichisch-ungarischer Reiterei und Luftstreitkräfte in *) Vgl. Ludendorff, Kriegserinnerungen, S. 61. — 2) S. 411 ff. und 415 f.
9. Armee — Nachrichten vom Feind.
423
mancher Hinsicht aus. Immerhin waren die Fliegerabteilungen der deutschen 9. Armee auf Drängen des Armee-Oberkommandos, dank der unermüd¬
lichen Arbeit des Majors Thomfen^), durch Neuaufstellungen vermehrt worden. So fiel die Abberufung des Schütte-Lanz-Luftfchiffes „Liegnitz" nach der Westfront kaum ins Gewicht; wohl aber setzten die WitterungsVerhältnisse des polnischen Herbstes der Ausnutzung der Luftstreitkräfte Grenzen. Der deutsche Aufmarsch nördlich der oberen Weichsel konnte den Russen nicht verborgen bleiben, da er durch keinerlei österreichisch-ungarische Truppen verschleiert war. Schon am 25.September hatte der Gegner, wie man aus
seinen Funksprüchen erfuhr, zahlreiche Meldungen über den „Vormarsch der Deutschen aus Schlesien gegen Osten".
Cr hatte dann von einem in
Gefangenschaft geratenen deutschen Reiter die Ankunft des Garde-Reservekorps aus Ostpreußen erfahren. Man vermutete beim Oberkommando der
deutschen 9. Armee, daß vielleicht deswegen der russische Vormarsch über die Wisloka nicht hinausgegangen war.
Rund vier russische Korps waren
vor Pschemysl festgehalten, ein weiteres marschierte seit dem 25.September von der Wisloka nach Osten zurück. Am 28.September besagte eine
Agentennachricht, daß die russische Zufuhr infolge schlechter Wege seit etwa einer Woche stocke. Gleichzeitig klärte sich das Vild dahin, daß große Verschiebungen nach Norden stattfänden, wobei die russische 9. Armee mit mindestens drei Korps (Gardekorps, XIV. und XVIII. Korps) eine neue Front an der Weichsel westlich von Krasnik bilden sollte, und zwar allem
Anschein nach zunächst zur Abwehr. Darüber aber, daß das Endziel dieser Bewegungen des Gegners eine neue große Offensive sein müsse, konnte nach der Gesamtlage der Entente kein Zweifel sein; fraglich war nur der Zeitpunkt ihres Beginns und das Maß ihrer Ausdehnung nach Norden. Andererseits war sicher, daß vor dem österreichisch-ungarischen Heere rechts der Weichsel mindestens acht russische Korps ausgefallen waren. Es stellte
sich ferner heraus, daß auf dem linken Weichsel-Ufer in Südpolen, wie es das Oberkommando der deutschen 9. Armee schon bisher vermutete, zunächst nm russische Kavallerie und Abteilungen der Grenzwache gestanden hatten; erst am 25.September schien auch eine Infanterie-Brigade dicht unterhalb
der Wisloka-Mündung auf das nördliche Weichsel-Afer hinübergegangen zu sein. Dort war im übrigen ein 5x/2 Divisionen starkes Kavalleriekorps unter General Nowikow vereinigt. Wie man aus seinen Funksprüchen wußte, hatte dieser General — ursprünglich zur überholenden Verfolgung *) Langjähriger Chef der technischen Sektion der Aufmarschabteilung des Großen Generalstabes und als solcher — im Gegensatz zum Kriegsministerium — Verfechter
des Flugzeuges an Stelle der Lenklustschiffe.
424
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
angesetzt —, sobald er den Anmarsch der Deutschen aus Schlesien erkannte,
den ihm befohlenen Übergang auf das südliche Weichsel-Ufer aufgegeben und beschränkte sich auf Abwehr und Verschleierung nördlich des Flusses. Seit Ende September wich er unter Nachhutkämpfen mit einer südlichen Gruppe von drei Kavallerie-Divisionen (5., 8. und 14.) und einer Infan¬ terie-Brigade längs der Weichsel, mit einer nördlichen von 21/2 Kavallerie-
Divisionen (4. und 5. Don-Kosaken-Division und turkestanifche KosakenBrigade) in der Richtung auf Radom aus.
Weiter nördlich war in der
Gegend westlich von Lods die kaukasische Kavallerie-Division festgestellt. Da sich die Russen südlich der oberen Weichsel erheblich geschwächt hatten, war die Angriffsaufgabe des österreichisch-ungarischen Heeres erleichtert, sofern der Gegner nicht etwa dem ihm zugedachten Schlage auswich. In diesem Falle aber mußten auch die nördlich der Weichsel vorgehenden deutschen Kräfte mit der Möglichkeit rechnen, daß es zum Einschwenken
nach Süden zunächst gar nicht komme, daß der Kampf vielmehr erst an der Weichsel unterhalb der San-Mündung entbrennen werde. Dazu standen dann im ganzen 5% österreichisch-ungarische und 12% deutsche Divisionen zur Verfügung, von denen aber Teile für den Flankenschutz gegen Warschau abzurechnen waren. Mit dieser deutschen Auffassung von der Lage deckte sich die Abficht des Generals v. Comad.
Cr wollte, wie er
später schrieb^), mit zusammengefaßter Stoßkraft von rund 330 000 Gewehren in der Mitte vorgehen, zunächst — so hieß es in seinem Heeresbefehle vom 1. Oktober — „um den im Räume westlich, südwestlich und süd¬
lich Pschemysl vorgerückten Feind anzugreifen"").
Seine weitere Absicht
aber war, „bei und abwärts Pschemysl über den San zu stoßen, indes die deutsche 9. und der Rordflügel der österreichisch-ungarischen 1. Armee um¬
fassend oder deckend eingreifen würden". Dabei schwebte ihm für seine 4. und möglichst auch die 3. Armee die „spätere Vorrückung nach Norden" als
Ziel vor°). Von größter Bedeutung für die bevorstehenden Operationen mußte die Haltung Rumäniens sein. Gerade jetzt, wo der russische Vormarsch zum Stillstand gekommen war und die Armeen der Mittelmächte gemeinsam zu neuem Angriffe antraten, schien den Führern im Osten der Augenblick ge¬
kommen, den abtrünnigen Verbündeten doch noch zu gewinnen. Gerade wegen Rumänien hatte ja die österreichisch-ungarische Heeresleitung seinerzeit die unmittelbare deutsche Unterstützung in Galizien verlangt^), und so hatte denn auch Generaloberst v. Hindenburg am 28. September an die
Oberste Heeresleitung gedrahtet, eine Einwirkung auf Rumänien sei drin*) Conrad V, S. 19. — -) Ebenda, S,
— -) Ebenda, S.
4) 6 405.
Vormarsch der 9. Armee.
425
gend erwünscht; sein „Eingreifen könnte auf hiesigem Kriegsschauplatz in kürzester Frist von entscheidender Bedeutung sein""). Am I.Oktober traten die Verbündeten in Südpolen in einerot* Stärke von insgesamt 18 Divisionen Infanterie und 3 Kavallerie-Divisionen den Vormarsch an. Die Nachrichten vom Feinde schienen weitere
Klärung über dessen Absichten zu bringen. Vis zum Nachmittag hatte man aus mitgehörten Funksprüchen erfahren, daß die russische GardeSchützen-Vrigade bei Sandomir die Weichsel überschritten habe, um nach Opatow vorzugehen. Weitere Kräfte waren im Nachrücken auf Sandomir; von ihnen sollte die 2. Schützen-Vrigade als Vorhut des XIV. Korps am 2. Oktober ebenfalls den Strom überschreiten, während das russische Gardekorps auf dem östlichen Weichsel-User über den San nach Norden mar-
schierte.
Aus diesen Bewegungen, vielleicht auch noch aus anderen, heute nicht
mehr nachzuweisenden Nachrichten, gewann das Oberkommando der deutschen 9. Armee den Eindruck, daß jetzt die neue Offensive der Russen beginne.
Damit schienen sich die gehegten Hoffnungen zu erfüllen. Im Armeebefehl vom 1. Oktober wurde den Truppen mitgeteilt, die russische 9. Armee habe die Absicht, zwischen der San-Mündung und Iwangorod „die Weichsel zu überschreiten und gegen die öfterreichisch-deutschen Armeen nördlich der Weichsel offensiv zu werden". Der Befehl sprach weiter als eigene Absicht aus, „die feindliche Armee beim Weichsel-Äbergang anzugreifen. Schnelles Zufassen ist geboten und von entscheidender Bedeutung". Der bisher etwa gleichlaufend mit der oberen Weichsel nach Nord osten gerichtete Vormarsch wurde mehr ostwärts abgebogen.
Für die auf dem linken Weichsel-Afer vorgehenden österreichisch-ungarischen Kräfte und den Südflügel der deutschen 9. Armee wurde es nötig, die
Marschkolonnen enger aneinander zu schieben. Auf dem Nordflügel dieser Armee hatte das Korps Frommel weiterhin längs der Piliza vorzugehen, noch weiter nördlich sollten zur Sicherung der ungeschützten Flanke alle Bahnlinien nachhaltig zerstört werden. Am 2. Oktober schien sich die Auffassung des deutschen Oberkommandos zu bestätigen: General Nowikow hatte feinen beiden Kavalleriegruppen befohlen, Verstärkungen heranzuziehen und nach Möglichkeit zu halten, „um den Schützen Zeit zu geben, ihre Stellung bei Opatow zu verstärken und den Übergang der Vorhut nach dem linken Weichsel-Äser zu
erleichtern"").
Man erfuhr, daß sich auch die russische 5. Armee nach
J) Näheres sieheS. 13f.— 2) Funkspruch des Generals Nowikow vom 1. Oktober.
426
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
Norden, auf Sandomir, zusammenziehe, während die 9. dort und weiter nördlich noch in der Versammlung begriffen sei. Das nächste Angriffsziel für die deutsche 9. Armee bildeten somit die russischen Kräfte beiOPatow; man rechnete mit ihrer weiteren Verstärkung und erwartete für den 4. Oktober den ersten Zusammenstoß. Das inzwischen in die vordere Linie gezogene Landwehrkorps, das XI. Armeekorps und das Garde-Reservekorps wurden im Anschluß an die
Österreicher und Ungarn in der allgemeinen Richtung auf Opatow angesetzt, und auch das XX. Armeekorps sollte sich bereithalten, mit einer Division dorthin einzugreifen. Gegen Radom, wo ebenfalls auf stärkeren Widerstand gerechnet wurde, wollte man sich zunächst abwartend verhalten, z.Sttober.
Am 3. Oktober hatte das Landwehrkorps, in einer Kolonne
marschierend, die Gegend 20km südwestlich von Opatow erreicht; rechts schloß etwa auf gleicher Höhe bis zur Wisloka-Mündung der Nordflügel der österreichisch-ungarischen 1. Armee an. Links vorwärts vom Landwehr-
korps war das XI. Armeekorps, mit beiden Divisionen nebeneinander, von Westen her schon bis auf etwa 8 km an Opatow herangekommen; es hatte
besetzte russische Stellungen nahe vor sich. Das Garde-Reservekorps, ebenfalls beide Divisionen nebeneinander, war mit den vordersten Teilen bereits
bis in die Gegend nördlich Opatow, linker Flügel nach Ostrowjez, gelangt, noch weiter nördlich das XX. Armeekorps mit der 37. Infanterie-Division bis über Ilsha hinaus, während die andere Division dieses Korps und das XVII. Armeekorps mehr rückwärts gestaffelt standen. Die an diesem Tage eingegangenen Meldungen hätten — soweit sie uns bekannt sind — eine
andere Auffassung über den Gegner erwecken können. Bei Sandomir waren bisher nur die 8V. Reserve-Division und ein bis zwei Schützen-Brigaden
(Garde- und 2.) auf dem linken Weichsel-User festgestellt. Flieger hatten außer einer Brücke bei Sandomir auch eine solche nördlich der San-Miindung bei Annopol gemeldet, in Höhe dieser Brücke aber auf östlichem
Weichsel-Üfer russische Kolonnen im Marsche nach Norden beobachtet. Der Gegner war mit dem Übergang vielleicht doch noch nicht so weit, wie man bisher angenommen hatte. Cr schob seinen rechten Flügel immer weiter nach Norden; man rechnete mit dessen Übergang bei Zosesow und unterhalb. Andererseits lag ein Funkspruch des russischen Gardekorps vor, der — soweit die Entzifferung gelungen war — besagte: „Bei Annopol ist der Übergang
vorzunehmen. Dieser Punkt ist für den Übergang des Korps zu sichern." Generaloberst v. Hindenburg rechnete damit, am 4. Oktober bei Opatow Feind in Stärke von mindestens zwei russischen Korps anzutreffen, dabei außer den eben genannten Kräften auch Teile der 38. Infanterie-Division des XIX. Korps, ferner vom Kavalleriekorps Nowikow drei Divisionen
427
9. Armee — Gefecht bei Opatow.
und etwa eine zugeteilte Infanterie-Vrigade und schließlich eine Garde-
Kavallerie-Brigade. Das nächste Ziel der deutschen Führung blieb daher unverändert: Vernichtung dieser bei Opatow und südlich mit dem Strom
im Rücken stehenden Teile des Feindes. Schon jetzt ließ sich aber übersehen, daß das nur eine Teilaufgabe sein werde, nach deren Lösung die Armee wahrscheinlich in mehr nördlicher Richtung verwendet werden müsse.
Der Armeebefehl für den 4. Oktober setzte das Landwehrkorps südlich an Opatow vorbei, das XI. Armeekorps über Opatow, das Garde-Reservekorps nördlich davon in der Richtung auf die Weichsel an, um den westlich des Stromes stehenden Feind zu vernichten.
Cs
hieß weiter: „Andererseits dürfen die kämpfenden Armeeteile sich nicht zusammendrängen, sondern es muß ihr Vorführen nach Norden gewährleistet sein . .
Als man dann noch erfuhr, daß der Gegner „in
einer stark verschanzten Stellung bei Opatow" stehe, wurden das XI. Armeekorps und das Garde-Reservekorps darauf hingewiesen, daß sie „in erster Linie den Feind bei Opatow in engem Zusammenwirken zu ver-
nichten" hätten; dann erst solle das Garde-Reservekorps in der durch den
Armeebefehl angegebenen Richtung vorgehen. Am Morgen des 4. Oktober stieß das XI. Armeekorps zunächst allein auf die befestigte Stellung der Russen westlich von Opatow. Am den Gegner in beiderseitiger Umfassung zu vernichten, wollte General v. Plüskow das Herankommen des rechts von ihm noch etwas zurück
befindlichen Landwehrkorps abwarten und rief auch das Garde-Reservekorps zur unmittelbaren Unterstützung herbei. Der verhältnismäßig schwache Gegners wartete jedoch die Wirkung der deutschen Umfassung nicht ab, sondern begann sich ihr schon gegen Mittag zu entziehen. Rur durch scharfes Eindrehen von Teilen des Garde-Reservekorps nach Süden gelang es noch, stärkere Teile des Feindes abzuschneiden. Dabei drängten sich — wie es bei dem Gefechtsverlauf kaum anders möglich war — die drei
deutschen Korps im umfassenden Angriff schließlich auf engstem Räume zusammen und teilweise ineinander. Cs ist ein beredtes Zeugnis für die Wendigkeit der Truppen, daß es trotzdem gelang, die Verfolgung am
5. Oktober ohne Verzug aufzunehmen; sie führte die vordersten Teile des XI. Armeekorps an diesem Tage bis an den Weichsel-Abschnitt
Sawichost—Iosesow, während das Landwehrkorps und
das
Garde-
') Garde-Schützen-Brigade mit selbständiger Garde-Kavallerie-Brigade und
2.Schützen-Brigade. Die ursprünglich unmittelbar nördlich anschließende russische 5- Kavallerie-Division war vorher abgerückt; dafür war die bisher gegen die Öfter-
reicher und Angarn stehende selbständige Garde-Kavallerie-Brigade auf den Nordstügel gezogen worden. Vgl. im übrigen S. 432 ff.
^ot"
428
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
Reservekorps schon vorher angehalten und zur Verschiebung nach Norden bereitgestellt wurden. Nördlich vom Kamjenna-Abschnitt näherte sich das XX. Armeekorps mit seiner 37. Infanterie-Division dem Strome. Der Gegner war teils südostwärts über Sandomir auf das rechte WeichselÄser ausgewichen, teils über eine Brücke in der Gegend von Annopol, die
er dann zerstört hatte. Nach Cinwohneraussagen sollten hier zahlreiche Russen beim Übergang ertrunken sein. Als Beute von Opatow wurden etwa 5000 Gefangene und 16 Geschütze gezählt; im ganzen hatten die Russen mehr als 7000 Mann verloren'). Im Norden hatte inzwischen das deutsche XVII. Armeekorps am 5. Oktober Radom besetzt.
Auch hier war der Gegner — zwei Bataillone
der 75. Reserve-Division (Hauptreserve Zwangorod) und zwei KosakenDivisionen —, ohne sich auf emsten Kampf einzulassen, nach Osten ausgewichen. Hinter dem deutschen Nordflügel stand das Korps Fromme! nordwestlich Radom bis zur Piliza; feine 8. Kavallerie-Division war nördlich dieses Flusses bis in die Gegend von Rawa und östlich gekommen. Die hier anscheinend allein gegenüberstehende kaukasische Kavallerie-Division war in der Richtung auf die Weichsel ausgewichen.
Durch das Vorgehen des deutschen rechten Flügels über Opatow auf Sawichost war der Nordflügel der österreichisch-ungarischen 1. Armee, der ursprünglich auf Annopol angesetzt gewesen war, nach Süden abgedrängt worden. Cr hatte kämpfend die russische 80. Reserve-Division auf Sandomir zurückgeworfen. Dieser Ort selbst und seine Brücken blieben aber am 5. Oktober noch in Feindeshand.
Südlich der Weichsel hatte das österreichisch-ungarische Heer den Vormarsch erst am 4. Oktober angetreten. Hier wichen russische Vortruppen ohne Kampf zunächst bis hinter die untere Wisloka und den oberen San aus. Es war klar, daß der Gegner hinter San und Weichsel weitere Kräfte nach Norden zog. General v. Conrad wünschte daher, daß der Nordflügel
seiner I.Armee nicht noch weiter nach Süden zusammengedrängt werde'). Andererseits hatte er Meldungen, daß der Gegner alle Vorbereitungen zu gewaltsamem Angriff auf Pschemysl treffe. Cr wollte daher die Hoffnung nicht aufgeben, daß es den österreichisch-ungarischen Hauptkräften doch noch *) Korolkow, Warschau—Zwangorod, S. 66. — In dieser amtlichen russischen Darstellung wird über die Vorgänge beim Rückzug der russischen Schützen-Brigaden berichtet: „Da die Bewachung einiger zufällig gemachter Gefangener erschwert war, wurde befohlen, sie zu erstechen." 2) Conrad V, S. 41/42.
Die 9. Armee erreicht die Weichsel.
429
gelingen werde, starke Teile der Russen mit dem San im Rücken zum Kampfe zu stellen und ihnen gleichzeitig über Sandomir mit Teilen der 1. Armee in den Rücken zu stoßen^).
d) Maßnahmen der Russen und Ergebnis des deutschen Vormarsches. Hierzu Karte 14, Skizze 5und 7.
Die August- und Septemberkämpfe hatten die Russen ihrem großen
«ttw
Ziele, den Angriff tief nach Deutschland hineinzuführen, nicht näher gebracht.^'emew6et* Sie waren aber, entsprechend der Londoner Abmachung vom 4. Septembers,
entschlossen, den Krieg mit allem Rachdruck weiterzuführen. Der Zar selbst sagte am 23. September: „Ich werde den Krieg bis zum äußersten fortsetzen. Um Deutschland aufzureiben, werde ich meine Hilfsquellen erschöpfen; ich werde, wenn es sein muß, bis an die Wolga zurückweichen^)." Wegen der schweren Niederlagen in Ostpreußen und der großen Ver-
luste auch in Galizien glaubte der Großfürst Rikolaus Rikolajewitsch als Oberster Befehlshaber zunächst das Eintreffen von Verstärkungen und Crgänzungsmannschaften abwarten zu müssen, bevor er den
Angriff wieder aufnahm. So wurde auch Frankreichs) auf später vertröstet, als es — angesichts drohenden eigenen Munitionsmangels — um Mitte
September abermals^) möglichst baldige Verlegung der Kriegshandlung auf das linke Weichsel-Afer und Einmarsch nach Deutschland erbat. Amgekehrt forderte jetzt die russische Heeresleitung von den Franzosen, daß sie die Überführung weiterer deutscher Kräfte nach dem Osten verhinderten^). Lähmend wirkte auf alle Entschlüsse der Russen, daß Ostpreußen in der Hand der Deutschen geblieben war. Diese wurden als der gefährlichere und beweglichere Gegner angesehen und konnten nun, gestützt auf ein für öst-
liche Verhältnisse besonders leistungsfähiges Eisenbahnnetz, gerade von Ostpreußen aus jede Offensive des russischen Heeres auf dem linken Weichsel-Ufer wie auch eine solche nach Österreich-Ungarn hinein in Flanke und Rücken fassen und damit lahmlegen. So hatten die russischen Erfolge an der Südwestfront den Mißerfolg in Ostpreußen keineswegs auszugleichen
vermocht). x) Kriegsarchiv Wien, Studie des Oberstleutnants v. Ioly. Vgl. auch die EinZeichnung bei Conrad V, S. 48, 50, 52und Anl. 5. 2) In London hatten sich England, Frankreich und Rußland verpflichtet, keinen Sonderfrieden zu schließen. Näheres bringt der demnächst erscheinende Bd. VI. 3) Paleologue, I, S. 133 f. — *) Vgl. S. 125 und 129.
6) Erstmals Anfang August (Band II, S. 36 und 65). °) Danilow, S. 289 ff. — ') Ebenda, S.281f.
430
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
In Galizien war es den Armeen der „Südwestsront" (9., 4., 5., Z. und 8. Armee mit zusammen 49V2 Infanterie-") und 21 Kavallerie-Divi¬ sionen) nicht gelungen, das Ergebnis der errungenen Siege durch die Verfolgung wesentlich zu steigern. Diese Armeen litten einerseits unter der ungünstigen Gruppierung ihrer Kräfte, die sich im Angriff gegen den San zusammengeballt hatten, andererseits unter Nachschubschwierigkeiten und unter den schweren Verlusten an Menschen und Gerät, durch die auch ihre
Reihen gelichtet waren.
Das Ergebnis dreiwöchiger Kämpfe war, daß
„sich die Sieger von den Besiegten kaum unterschieden"^. Im ganzen fehlten der Südwestfront 225 000 Mann an der Sollstärke von 909 000s). Vom Regenwetter in Morast verwandelte Wege und plötzlich einsetzendes
Hochwasser auf Weichsel und San hemmten die Vorwärtsbewegung. So kam die Verfolgung, wenn sie auch noch einige Veüte einbrachte — die
Russen weisen seit dem 14. September 1599 Gefangene und 199 ver¬ altete Geschütze aus den San-Vrückenköpfen nach") —, in der Hauptsache doch um Mitte September am San zum Stehen.
Rur in seinem unteren
Teile ist dieser Fluß überschritten worden, und zwar ohne Kampf von der russischen 9. Armee. Links der Weichsel befand sich außer Grenzwachabteilungen zunächst nur das Kavalleriekorps Rowikow mit 31/2 Divi¬ sionen, zu dem erst am 17. September eine Brigade der 75. Reserve-
Division15) als Rückhalt trat.
Der Oberbefehlshaber der Südwestfront,
General Iwanow, beabsichtigte, nach Abschließung der Festung Pschemysl weiter gegen Krakau vorzugehen. Dazu sollten zwei Kavallerie-Divisionen das Kavalleriekorps Rowikow verstärken und im Laufe der Operationen 9 bis 19 Korps auf das linke Weichsel-Äser übergehen. Da aber die Einschließung von Pschemysl die Zeit bis zum 39. September in Anspruch nehmen würde und da weiterhin die Auffüllung der Truppenteile, bei denen der neue Ersatz vielfach ohne Waffen eintraf, erst bis etwa Mitte Oktober beendet sein konnte, so mußte bis zum Beginn des Vorgehens noch geraume Zeit verstreichen. Einstweilen erließ der Großfürst eine Bekanntmachung an die Völker der Donau-Monarchie, in der er sie aufforderte, das Joch der Habsburger abzuschütteln und ihre nationalen Ansprüche zu ver-
wirklichen"). Der russische Außenminister suchte auf Rumänien einzuwirken, J) Ohne 1% Divisionen in Iwangorod und Vrest-Litowsk, die in Band II, S. 373, mitgerechnet sind. — Korolkow, Überblick, S. 5/6, nimmt nur 47'/- Infanterie-
Divisionen an. Wie seine Berechnung zustande kam, ist nicht bekannt. 2) Korolkow, Warschau-Iwangorod, S. 5. —
Korolkow, Überblick, 6.5/6. —
*) Korolkow, Überblick, S. 14 und 17. °) Deutscherseits hatte man irrtümlicherweise eine Brigade der 38. InfanterieDivision angenommen (vgl. S. 426). — °) Paleologue, I, S. 131.
Maßnahmen der Russen bis 19. September.
451
damit es Siebenbürgen und zusammen mit russischen Truppen die Vukowina besetze').
An der „N ordwestsront" standen im ganzen 32l/2 Infanterieund lOVi Kavallerie-Divisionen zur Verfügung2). Spätestens am 17. September hatte General Rußki, der neue Oberbefehlshaber, erkannt, daß die
deutsche Verfolgung gegen den Rjemen eingestellt sei; stärkere deutsche Kräfte waren dort im Rückmarsch beobachtet worden. Bei Mlawa dagegen wurde eine Verstärkung des Feindes gemeldet. Seitdem rechnete General
Rußki bestimmt damit, daß die Deutschen ihren Angriff nunmehr aus OstPreußen nach Süden weiterführen würden. Hier stand neben der russischen 2.Armee, die sich von dem Schlage bei Tannenberg noch nicht wieder erholt hatte, nur die ebenfalls schon mitgenommene und noch nicht voll versammelte 10. Armee. So entschloß sich der Oberbefehlshaber der Nordwestfront, um der Gefahr einer neuen Niederlage vorzubeugen, unter Preisgabe der Narew-Linie mit dem linken Flügel bis Bjelfk (40 km südlich Vjelostok)
auszuweichen.
Westlich davon sollte nur die „Abteilung Warschau"
(3 Reserve- und
laUKavallerie-Divisionen) den Raum um diese Stadt und
die Festung Nowogeorgiewsk halten. „Bei starkem feindlichen Druck" aber wollte General Rußki auch Warschau aufgeben und dann mit einer von den
beiden dortigen Divisionen die Besatzung von Nowogeorgiewsk auf zwei Divisionen verstärken, mit der anderen auf Iwangorod ausweichen. Mit diefen Absichten hat sich die russische Oberste Heeresleitung einverstanden erklärt3); der Großfürst selbst weilte mit seinem Generalstabschef am 19. S e p t e m b e r in Vjelostok beim General Rußki.
Die Bewegung war
schon im Gange, als schließlich der Oberbefehlshaber der Südwestfront gegen eine solche Entblößung seiner Flanke ernste Bedenken erhob. General Iwanow besorgte für das von ihm geplante Vorgehen auf Krakau geradezu eine Bedrohung seines Rückens. Dabei mag mitgesprochen haben, daß inzwischen auch Nachrichten über das Auftreten deutscher Infanterie an der Warthe bei Kolo und Sjerads und über die Ankunft von „täglich 37 Truppenzügen" in Tschenstochau vorlagen4). Daher verlangte General J) Rußland im Weltkriege, S. 178ff. 2) Von den in Band II, S. 370, aufgeführten 34% Infanterie-Divisionen waren inzwischen 6V2 (XIII. und XV. Korps sowie % 2., 54. und 72. Division) vernichtet
ober aufgelöst. Dafür war die Nordwestfront durch 4% Infanterie-Divisionen . Oktober abends°), denn von diesem Zeitpunkte an sah man klar, was kommen mußte. *) S. 414. — -) Vgl, hierzu S.417 und 506 f.
3) Näheres siehe „Das deutsche Feldeisenbahnwesen", Band I, S. 159ss.
449
Garde-Reservekorps vor Iwangorod, 11. Oktober.
An der Weichsel beiderseits von Iwangorod ging der Angriff zur Vertreibung des Gegners vom westlichen Ufer weiter. Das Armee-Oberkommando hatte für den 11. Oktober die Unterstützung
der 4. Landwehr-Division") durch das Garde-Reservekorps, auf dessen rechtem Flügel die 3. Landwehr-Division focht, angeordnet. Die Maßnahme erübrigte sich, als die wieder vorfühlenden Abteilungen der 4. Landwehr-Division am Vormittage des 11. Oktober das Westufer der
Weichsel bei Kasimjerfh vom Feinde schon geräumt fanden. Die Truppen der 3. Landwehr- und der 3. Garde-Divifion nahmen den Brückenkopf von
Nowo-Alexandria und machten Gefangene. An beiden Stellen hatten die Russen ihre Truppen in der Nacht, soweit möglich, auf das Ostufer zurückgenommen, bei Nowo-Alexandria aber büßte das Grenadierkorps doch mehr als 3000 Gefangene und 17 Geschütze ein°). Die Brücken waren russischer-
seits abgebrochen worden, die bei Nowo-Alexandria, nachdem sie anscheinend vorher schon durch einen Treffer der deutschen Artillerie unbrauchbar geworden war°).
Damit war die Gefahr südlich von Iwangorod beseitigt,
und die aktive 3. Garde-Division, allerdings nach erheblichen Anstrengungen und Verlusten, seit dem Nachmittage des 11. Oktober frei zur Verwendung an anderer Stelle. Insgesamt hatten die Kämpfe bei Kasimjerfh und Nowo-Alexandria mehr als 2000 Mann gekostet.
Bei Iwangorod selbst blieb der Gegner ruhig, obgleich ihm hier zwei Brücken und die Befestigungen auf dem Westufer der Weichsel günstige Übergangs- und Entfaltungsmöglichkeiten boten. Die Flugzeugerkundung hatte den Eindruck ergeben, daß keine größeren Truppenmengen im Bereiche der Festung ständen. Die Abschließung ihrer Westfront war aber in ihrem nördlichen Teile noch nicht durchgeführt. Hier fließt die Weichsel durch eine breite Niederung, die durch Regengüsse teilweise in Sumpf verwandelt war. Der Strom selbst wird auf dem linken Ufer von einem hohen Damm begleitet, der den Blick auf die Wasserfläche und das Ostufer abschließt und gleichzeitig eine starke Verteidigungsstellung bot. Von diesem Damm war man durchweg noch mehrere Kilometer ab; bei Kosjenize hielt ihn stärkerer Gegner in einer Breite von etwa 7 km besetzt. Generalmajor Schaer hatte hier mit seiner 72. Infanterie-Brigade bis zum Abend des 11. Oktober nur geringe Erfolge erringen können. Man lag den Russen rein frontal gegenüber, wurde von ihnen sogar teilweise überflügelt. Verstärkung war dringend erforderlich, wenn man den sich zäh wehrenden und wahrscheinlich immer mehr verstärkenden Gegner vertreiben wollte. *) S. 441. — 2) Näheres über den Gegner siehe S. 459 f. S) Knox, S. 145. — Uber die Wirkung der deutschen Artillerie gegen die Bahnlmie vgl. S. 493. t tDcltftieg.
V. Land.
29
450
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
Gegen Warschau hatte General V.Mackensen den Angriff am 11. Oktober fortsetzen wollen, ungeachtet der dort festgestellten stärkeren seindlichen Kräfte, und zwar mit dem Schwerpunkt auf dem rechten Flügel des XVII. Armeekorps. Gleichzeitig aber hatte er sich entschließen müssen, die ihm inzwischen unterstellten l1/* Divisionen des XX. Armeekorps nach Osten gegen die Weichsel abzudrehen, wo nach dem erbeuteten russischen Befehl ein Brückenschlag an der Piliza-Mündung zu erwarten war. Ihn zu
verhindern, hatte der Kommandierende General dieses Korps, General v. Scholtz, bereits vom Armee-Oberkommando Befehl erhalten. General v. Mackensen trug ihm im übrigen auf, mit dem Gegner bei Gora-Kalwaria
rasch abzurechnen, da das für die Durchführung des Angriffs gegen Warschau von entscheidender Bedeutung war. Nach den Marschanstrengungen der letzten Tage kam aber der Angriff bei Gora-Kalwaria nicht so bald in Gang.
Die hierhin abgezweigte halbe 41. Infanterie-Division (74. InfanterieBrigade) war nach kurzer Ruhe fchon um 6° vormittags wieder aufgebrochen
und gegen den auf dem westlichen Weichsel-Ufer verschanzten Gegner nach 15 km Anmarsch erst mittags in den Kampf getreten. Später griff, beiderseits verlängernd, die 37. Infanterie-Division (ohne das gegen die PilizaMündung entsandte Infanterie-Regiment 147 der 73. Infanterie-Brigade) in das Gefecht ein. Dann aber zwang die hereinbrechende Dunkelheit, die
Durchführung des Angriffs auf den nächsten Tag zu verschieben. Inzwischen waren das XVII. Armeekorps und das Korps
Frommelim Vorgehen gegen Warschau am 11. Oktober auf hartnäckigen Widerstand gestoßen. Bei Piafetfchno verstärkte sich der Gegner. So kam der Angriff der 35. Infanterie-Division hier nur wenig vorwärts, der Ort selbst blieb in russischer Hand. Auch die 36. Infanterie-Division und die Division Bredow konnten die Russen vor ihrer Front nur bis in die Wal-
düngen nordöstlich und nördlich Radarfhyn zurückwerfen. Die 35. ReserveDivision, deren Vorgehen den Gegner vor der Division Bredow erst locker gemacht hatte, kam kämpfend bis Brwinow (halbwegs Radarfhyn—Blonje) und hatte damit die Bahn Warschau—Skjernewize in der Hand; 2500 Gefangene und 10 Geschütze waren ihre Beute'). Vis zum Abend des 11. Oktober war man dem äußeren Fortgürtel von Warschau auf etwa 10 km nahe gekommen. Das Armee-Oberkommando hatte schon um 630 vor¬
mittags darauf hinweisen lassen, daß es sich jetzt nicht mehr um die Wegnähme der Stadt handeln könne, sondern nur darum, den Gegner in die Stadt hineinzuwerfen und ihn dort abzuschließen. Dementsprechend hatte General v. Mackensen angeordnet, taktische Erfolge noch auszunutzen, sich im x)Nach Korolkow, Warschau-Iwangorod, S. 101, kämpfte hier die 5.sibirische Division; sie verlor im ganzen gegen 5000 Gefangene u. 20 Geschütze (vgl. Anm. S. 451).
General v. Mackensen vor Warschau, 11. Oktober.
451
übrigen aber in der allgemeinen Linie Piasetfchno—Vrwinow zur Abwehr
einzurichten. Dabei blieb die linke Flanke zunächst ungedeckt; Vlonje und die Bahn Warschau—Lowitsch waren noch nicht erreicht. Die in dieser Richtung angesetzte 8. Kavallerie-Division hatte seit zwei Tagen gegen den bei Skjernewize erkannten Feind gefochten; es war ihr aber nicht gelungen,
ihm den Abzug auf Warschau zu verlegen'). Die Diviston stand mit stark ermüdeten Pferden am 11. Oktober etwa 10 km östlich Skjernewize noch in
derselben Gegend, die sie schon am 8. erreicht hatte. Generalleutnant v. Wrochem hatte mit der 21. Landwehr-Brigade den Marsch bis Skjernewize fortgesetzt; die Landsturm-Brigade Hoffmann war ihm unterstellt worden und bis Lowitsch gelangt. Beim Armee-Oberkommando hatte der 11. Oktober das Bild des drohenden russischen Angriffs vervollständigt und gleichzeitig die Cnttäuschung gebracht, daß die österreichisch-ungarische 1. Armee den San-Äbergang abermals um zwei Tage, auf den 13. Oktober, verschoben hatte, da schwere Artillerie und Brückentrains infolge der Wegeverhältnisse auch jetzt noch nicht zur Stelle waren. Ob und wann auf Durchführung des Übergangs zu rechnen sei, wurde immer fraglicher. Andererseits aber
wurde klar, daß sich die Russen nördlich der San-Mündung sehr geschwächt hatten. So entstand beim deutschen Oberkommando der Gedanke, nunmehr auch Kräfte des verbündeten Heeres nordwärts zu schieben, um die Front gegen Warschau zu verstärken. Generaloberst v. Hindenburg erbat dazu am 11. Oktober zwei Divisionen von der österreichisch-ungarischen 1. Armee im
Austausch gegen das dieser Armee unterstellte deutsche XI. Armeekorps^). Mit dem Einsatz der beiden Divisionen in der Richtung Warschau war aber General v. Conrad nicht einverstanden. Cr wollte seine Truppen nicht so weit aus der Hand geben und sie nur dazu verwendet wissen, um weiter
südlich an der Weichsel deutsche Kräfte freizumachen. Der damit verbundene Zeitverlust mußte in Kauf genommen werden, obgleich sich die Lage im Norden immer mehr zuspitzte. Noch am 11. Oktober, um 9° abends, hatte man im deutschen Armee-
Oberkommando damit gerechnet, daß es unschwer gelingen werde, den Gegner auch bei K o s j e n i z e vom westlichen Weichsel-User zu vertreiben.
Das
Garde- Reservekorps, das den Abschnitt von Rowo-Alexandria an das Landwehrkorps abzugeben hatte, war zur Verwendung gegen Warschau in Aussicht genommen. Da wurde ein aufgefangener feindlicher i) Nach Korolkow, Warschau-Iwangorod, S. 99, hat hier die Vorhut der 5. sibirischen Division gegenübergestanden; deutsche Nachrichten über Regimenter 23 und 253, die hier gemeldet wurden, scheinen dagegen nicht zu stimmen. — 2) S. 446. 29*
452
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
Funkspruch bekannt, nach dem bei Kosjenize, wo bisher nur Teile des III. kaukasischen Korps angenommen wurden, nunmehr in der Nacht zum
12.Oktober auch das russische XVII. Korps über die Weichsel gehen wolle. Die Lage erschien jetzt ernst. Cs kam alles darauf an, ausreichende Kräfte nach Kosjenize zu werfen, bevor der Gegner sich dort allzu sehr verstärkte. Um 1° nachts erhielt das Garde-Reservekorps die Weisung, sofort mit möglichst starken Teilen dorthin abzumarschieren; ein Feldartillerie-Regiment mußte
allerdings zur Verfügung des artilleristisch schwachen Landwehrkorps zurückbleiben. Die als Armeereserve bei Swolen liegende 43. Infanterie-Brigade der 22.Infanterie-Division des XI. Armeekorps wurde alarmiert und zur
Verfügung des Garde-Reservekorps ebenfalls nach Norden in Marsch gesetzt; da ihre Truppen auf zahlreichen Einzelhöfen untergebracht waren, dauerte es aber geraume Zeit, bis sie den Marsch antreten konnte. Inzwischen hatte General v. Gallwitz schon die 15. Reserve-Infanterie-Brigade der 1. Garde-
Reserve-Division und, ihr folgend, die 3. Garde-Infanterie-Division in Marsch gesetzt, die, ermüdet von den Kämpfen der beiden letzten Tage, eben
erst zur Ruhe gekommen waren. Bei strömendem Regen, auf grundlosen Wegen, meist mit leerem Magen und nach unzureichender Ruhe, ging der Marsch durch die Dunkelheit nur langsam nordwärts. Die 72. Infanterie-Brigade hatte vom Armee-Oberkommando unmittelbar einen Befehl erhalten, nach dem sie den Weichsel-Äbergang der Russen „unbedingt zu verhindern" Hatte; ohne Kenntnis von diesem Befehl
hatte ihr General v. Gallwitz später befohlen, „vor Überlegenheit nach Westen" auszuweichen. Er hoffte, dem nachfolgenden Gegner dann von Süden wirksam in die Flanke stoßen zu können. Als die Truppen des Generals v. Gallwitz am Morgen des 12. Oktober herankamen, stand die Brigade noch in ihrer bisherigen Stellung, nur den linken Flügel hatte Generalmajor Schaer vor drohender Überflügelung etwas zurückgenommen;
feine Truppen waren sehr ermüdet. Der Gegner, der sich bisher zurück¬
gehalten hatte, versuchte jetzt anzugreifen.
Generalmajor Schaer richtete
daher um 9" vormittags einen dringenden Hilferuf an General v. Gall-
witz und veranlaßte ihn zu schnellstem Einsatz seiner vordersten Truppen. So blieb im wesentlichen nur noch ein Frontalangriff übrig. Der Kom¬ mandierende General wollte dabei das Schwergewicht auf den linken Flügel legen, wo er hoffen konnte, die feindliche Umfassung zu treffen.
Zunächst aber setzte er auf dem rechten Flügel die zuerst eintreffende 15. Reserve-Infanterie-Brigade ein, um der 72. Brigade rasch die erste Hilfe zu bringen. Das Vorgehen der Reserve-Brigade vollzog sich unter besonders ungünstigen Bedingungen, führte zu schweren Verlusten und endete schließlich mit einem Rückschläge, denn der Gegner griff inzwischen
453
Gardc-Reservekorps bei Kosjenize, 12.Oktober.
auch aus dem erweiterten Brückenkopfe von Iwangorod längs des WeichselDammes
an.
Links
von
der
15. Reserve-Vrigade
hatte
General
v. Gallwitz die 3. Garde-Infanterie-Division, mit der 43. Infanterie-
Brigade als äußerstem linken Flügel, auf Tyrsynska-Wolka und nordwestlich angesetzt. Da aber die Garde-Division in der Marschkolonne hinter der 15. Reserve-Vrigade marschiert war und ihre Artillerie in dem
aufgeweichten Niederungsland nur schwer Stellung fand, kam ihr Angriff erst spät in Gang. Cr stieß auf den gleichzeitigen Angriff der Russen") und blieb angesichts des feindlichen Feuers, des Einbruchs der Dunkelheit und andauernden Regens bald auf der ganzen Front im Morast der
Weichsel-Riederung stecken. Am Abend lagen Deutsche und Russen einander dicht gegenüber. Eine zusammenhängende russische Stellung zog sich, bei Sjezjechow an die Außenstellungen der Festung Iwangorod anschließend, am Weichsel-Damm und am Westrande der anliegenden Ort-
schasten bis zur Weichsel-Viegung nordöstlich Kosjenize hin. Hier hatten Flieger eine von Pawlowize her über die Weichsel geschlagene Brücke festgestellt. Die feindliche Front hatte jetzt eine Breite von mehr als 10 km.
Es war kein Zweifel mehr, daß schon recht starke russische Kräfte über den Fluß herüber waren; kaum auffindbare und schwer zu fassende Batterien
unterstützten sie vom Ostufer her. General v. Gallwitz hielt die Lage mit Recht für ernst. Eine mittags
eingehende, völlig überraschende Fliegermeldung, daß der Gegner auch nördlich Nowo-Alexandria erneut mit starken Kräften im Äbergang sei, mag die ungünstige Auffassung verstärkt, eine durch diese Meldung veranlaßte vorwurfsvolle Rückfrage des Armee-Oberkommandos wegen der früheren
Vorgänge bei Iwangorod verstimmend gewirkt haben. Der Kommandierende General wollte nichts unversucht lasien und entschloß sich, wie es inzwischen auch vom Oberkommando selbst angeregt worden war, den
Angriff nunmehr in der Rächt durchzuführen. Kam die eigene Truppe dabei nicht vorwärts, dann sollte wenigstens der Gegner in Atem gehalten und von weiterem Vorgehen abgeschreckt werden. Ob Befehle rechtzeitig durchdringen würden, war fraglich; das Signal „Rasch vorwärts" sollte die Angrisisbewegung gegen Mitternacht wieder in Gang bringen. Es verhallte im Wind und Regen der stockdunklen Rächt. Den todmüden, zum Teil halb im Wasser liegenden, von Nässe und Kälte fast erstarrten Truppen war es unmöglich, den Angriff fortzusetzen; er war buchstäblich
im Schlamm steckengeblieben.
General v. Gallwitz befahl daraufhin die
Verteidigung. ') Über den Gegner stehe Seite 461 f.
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
454
lZ. Oktober.
Am 13. Oktober um 6°° früh traf beim Garde-Reservekorps eine Weisung des Oberkommandos vom Abend vorher ein: „Armee-Ober-
kommando bestehlt, daß der Feind am 13. Oktober unter allen Umständen
beim frühesten Morgengrauen angegriffen und in die Weichsel geworfen wird."
Gleichzeitig ging eine Meldung vom Generalmajor v. Hülsen
(43. Infanterie-Brigade) ein, seine Brigade habe den Feind vor sich zurückgeworfen und stehe mit dem linken Flügel an der Weichsel. Cr habe den Eindruck, daß der Widerstand der Russen nur noch gering anzuschlagen sei. General v. Gallwitz war sofort entschlossen, den Angriff wieder aufzunehmen; um 7°vormittags gab er den Befehl dazu für die 3. Garde-InfanterieDivision und die 43. Infanterie-Brigade. Diese Brigade sollte gegen die Vrückenstelle vorstoßen und den Gegner längs des Weichsel-Dammes von
Nordwesten her auftollen. Aber schon bald darauf erschien Generalmajor v. Hülsen selbst, um seine zuversichtliche Meldung auf Grund neuer Eindrücke zu widerrufen. General v. Gallwitz sah sich genötigt, um 9° vormittags an das Armee-Oberkommando zu melden: „Habe gestern nach-
mittag, heute nacht und heute morgen den Angriff gegen feindliche Stellung befohlen; er ist in keinem Falle über die erste Einleitung hinausgekommen. Meine Unterführer erklären, daß nicht der Wille der Führer oder die Moral der Truppe der Durchführung entgegenständen, sondern lediglich die physische Unmöglichkeit, in dem morastigen Boden und über die hochgeschwollenen Bachläufe den Angriff so durchzuführen, wie es gegen die vor-
trefflich eingerichtete und gut besetzte Stellung des Gegners nötig ist. Die Infanterie kann nicht laufen, sondern nur schleichen; die Artillerie ist schon zum Teil liegengeblieben, auch hat sie keine Stellungen, aus denen die jen» seits der Weichsel stehende feindliche schwere Artillerie wirksam bekämpft werden könnte.
Ich habe ein Aufrollen der feindlichen Stellung von der
schmalen Westseite beabsichtigt. Der dort stehende General v. Hülsen erklärt auch dies nicht für angängig, weil die Truppe in ihrem derzeitigen Zustand, selbst wenn sie Herr der diesseitigen Weichsel-Verschanzungen werden sollte, ein Opfer der jenseitigen feindlichen Linie und der dort stehenden schweren Artillerie werden müßte. Es fehlte mir nicht an Truppen,
die Zahl ist ausreichend, daher kann auch die Entsendung des Landwehrkorps keine Änderung mehr bringen. Ich bitte hiernach um Befehl, ob ich den Angriff ä tout prix anordnen soll, für dessen Gelingen keiner der Generale einzustehen in der Lage ist, oder ob ich in der von mir gewählten Stellung verbleiben oder unter Belassung von Deckungstruppen zu einer anderen Verwendung abmarschieren soll. — Die Truppe befindet sich heute an ihrem vierten Gefechtstage und hat in diesen Tagen teils notdürftig, teils gar nicht Verpflegung erhalten."
4SS
9. Armee vor Iwangorod.
Anter diesen Umständen mußte Generaloberst v. Hin den bürg
darauf verzichten, den Gegner bei Kosjenize über die Weichsel zurückzuwerfen. Das Garde-Reservekorps sollte aber für vollständigen und lückenlosen Abschluß sorgen. Das ergab für dieses zur Zeit durch zwei InfanterieBrigaden (43. und 72.) verstärkte Korps von südlich Iwangorod bis nördlich Kosjenize eine insgesamt etwa 25km lange Abwehrfront. Der Gegner lag im befestigten Vorgelände von Iwangorod in zahlreichen Ortschaften und am Weichsel-Damm gegenüber. Äber zwei Brücken in Iwangorod (davon eine Cisenbahnbrücke) und eine bei Pawlowize konnten ihm dauernd
Verstärkungen zufließen. Beim Armee-Oberkommando
hatte die
schon
erwähnte »2.und».or.
Fliegermeldung vom 12. Oktober mittags^), daß der Gegner auch südlich von Iwangorod, bei Nowo-Alexandria, von neuem im Übergang sei, vor-
übergehend sehr ernste Besorgnisse wachgerufen und eine Reihe von Maßnahmen ausgelöst, die den Gang der Operationen störten. Von Norden war das XX. Armeekorps zur Hilfeleistung in Bewegung gesetzt worden, von Süden kurzerhand auch die 44. Infanterie-Brigade des XI. Armeekorps, obgleich das Korps zu dieser Zeit der österreichisch-ungarischen 1. Armee unterstand. Auch im Verkehr mit der verbündeten Heeresleitung ist die zeitweilig recht schwere Beunruhigung der Führung zum Ausdruck gekommen. Erst nachmittags klärte sich durch Meldungen des Landwehrkorps auf, daß eine Ortsverwechslung des Fliegers — er hatte den Übergang bei Pawlowize beobachtet — vorlag. Hauptmann v. Fleischmann, der bei seiner Heeres-
leitung sofort auch die Zuführung der österreichisch-ungarischen 5. InfanterieDivision beantragt hatte, meldete als Begründung dafür noch abends^): „Die Situation war höchst kritisch. Die Landwehr hat sich schlecht ge-
schlagen"3). Der an der Piliza-Mündung erwartete Brückenschlag, gegen den schon
das Infanterie-Regiment 147 angesetzt gewesen war, schien auszubleiben. Dagegen hatte ein Flieger bereits am 12. Oktober mittags die Anfänge
einer Brücke bei Rytschywol erkannt; durch russisches Feuer zur Notlandung gezwungen, hatte er seine Meldung aber erst am 13. Oktober bis an das Armee-Oberkommando durchbringen können. Nunmehr erhielt das Garde-
Reservekorps um 215 nachmittags den Befehl, den Gegner bei Rytfchywol durch eine Abteilung aller Waffen zurückzuwerfen. General v. Gallwitz bestimmte dazu die verstärkte 72. Infanterie-Brigade, die damit wieder in S. 453. — -) Conrad V, S. 123.
3) Das war ein durch die falsche Fliegermeldung hervorgerufener Irrtum; die Landwehr war gar nicht angegriffen worden und hatte daher auch gar nicht gekämpft.
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
456
den Vereich ihres Armeekorps zurückkehren sollte. Sie war aber nach erfolgter Ablösung erst am Morgen des 14. Oktober bei Kosjenize abmarschbereit).
Inzwischen waren die Kämpfe bei der Armeegruppe Mackens e n am 12. und 13. Oktober weitergegangen.
Die vom XX. Armeekorps an die Piliza-Mündung entsandte
Abteilung hatte festgestellt, daß dort kein Übergang stattfinde. Vei GoraKalwaria hatte der Gegner die Durchführung des deutschen Angriffs nicht abgewartet, sondern in der Nacht zum 12.Oktober das westliche Weichsel-Afer geräumt und die Brücke abgebrochen. Cr ließ 400 Gefangene zurück. So konnte General v. Scholtz seine 37. Infanterie-Division alsbald zur Unterstützung des XVII. Armeekorps nach Norden auf Piasetschno ansetzen. Zur Ausführung dieser Bewegung kam es indes nicht, da das Armeekorps — mit Ausnahme der verstärkten 73. Infanterie-Brigade, die zum XVII. Armeekorps treten sollte — wegen des bei Nowo-Alexandria
gemeldeten neuen russischen Überganges vom Armee-Oberkommando in-
zwischen wieder nach Süden zurückgerufen wurde. Als sich dann herausstellte, daß bei Nowo-Alexandria ein Irrtum der Luftbeobachtung vorgelegen hatte und außerdem General v. Gallwitz am 13. Oktober morgens meldete,
daß bei Kosjenize auch mit Verstärkungen kein Erfolg zu erreichen sei, wurde dem XX. Armeekorps zunächst der Schutz der Weichsel-Strecke Rytschywol —Gora-Kalwaria übertragen. Vor Warschau hatte die 35. Insanterie-Division am 12. O k t o b e r
vormittags Piasetschno genommen; auch auf der übrigen Front der Gruppe Mackensen waren die Truppen des XVII. Armeekorps und des Korps
Frommel noch einige Kilometer vorgedrungen, dann hatten sie mit dem Ausbau von Stellungen begonnen. Auf ihrem linken Flügel war die 8. Kavallerie-Division auch an diesem Tage nur bis etwa 10 km südwest¬
lich Blonje gelangt. Die marschmüden Truppen des Generalleutnants v. Wrochem (21. Landwehr-Brigade und Landsturm-Brigade Hoffmann) lagen noch bei Skjernewize und Lowitsch. Beim Armee-Oberkommando entstanden Zweifel, ob es ohne
das nach Süden abgedrehte XX. Armeekorps möglich sein werde, sich dicht vor Warschau zu halten; vor allem war man wegen des äußersten linken
Flügels in Sorge.
Vom Gegner waren bis zum 12. Oktober südlich von
Warschau mindestens
21/2Korpsfestgestellt,dasL,sowieV21.undII.sibi¬
risches Korps. Am 13. Oktober wurde Oberst v. Sauberzweig zum General v. Mackensen entsandt, um sich an Ort und Stelle zu unterrichten. Cr nahm einen Befehlsentwurf mit, der das Zurückgehen in die Linie Grojez— -) s. 469^
General v, Mackensen vor Warschau.
457
Mschtschonow und hinter die Pisia anordnete. General v. Mackensen war
schon im Begriff, der veränderten Lage entsprechend, kampfkräftigere Truppen auf den linken Flügel zu schieben. Cr sah die Lage trotz vorliegender Nachrichten über Verstärkung des Gegners durch BahntransPorte von Warschau her zuversichtlich an und besorgte vom Zurückgehen ein Sinken der Stimmung in den eigenen Reihen und wachsende feindliche
Siegeszuversicht. Auch hielt er die jetzige Stellung seiner Truppen taktisch für günstiger, als die weiter rückwärts. Er entschloß sich, stehenzubleiben und seinen linken Flügel unter Heranziehung der Truppen des Generalleutnants v. Wrochem hinter Atrata und Bsura bis zur Weichsel auszudehnen. Dort sollten auf Weisung des Oberkommandos von den Grenzschutztruppen des Stellvertretenden Generalkommandos des II. Armeekorps und der Festung Thorn die Landsturm-Brigade Rintelen bei Gombin, die Landsturm-Brigade Westernhagen bei Wlozlawek anschließen. Ohne vom Gegner gestört zu werden, begannen die Verschiebungen am 13. Oktober.
e) Maßnahmen der Russen"). Hierzu Karte 14 und 15.
Die russische Ober st e Heeresleitung war durch den Zustand ihrer Armeen um Mitte September zunächst zu hinhaltender Kriegführung veranlaßt worden, doch hatte der Großfürst die Wiederaufnahme der allgemeinen Offensive niemals aus dem Auge verloren.
Seit er mit einem
deutschen Vormarsch aus Schlesien gegen die mittlere Weichsel rechnen mußte, war sein nächstes Ziel, die hier erwarteten Kräfte vernichtend zu
treffen. Wenn das gelang, lag der Weg nach Deutschland frei; Ostpreußen und alle großen deutschen Ostfestungen konnten im Süden umgangen werden. So entwickelte sich nach und nach aus der Lage heraus und aus dem Meinungsaustausch mit den Heeresgruppen der Nordwest- und SüdWestfront der Plan, unter Schwächung in Ostpreußen und Galizien, alle verfügbaren Kräfte hinter der mittleren Weichsel zu einem großen Schlage gegen die deutsche Armee in Polen bereitzustellen. Die schon erwähnte Besprechung am 26. September in Cholm^) führte zu den ersten Wei-2«.September, fungen der Obersten Heeresleitung in dieser Richtung. Hauptaufgabe der Südwestfront sollte es sein, den Angriff von der mittleren Weichsel gegen die obere Oder zum Einbruch nach Deutschland vorzubereiten. Um die Nordflanke dieses Angriffs zu decken, war die Heeresgruppe der Nordwestfront schon dabei, die Offensive gegen die Masurischen Seen wieder auf¬ 1) Anschluß an S. 433 f. — 2) S. 433. — Korolkow, Überblick, S. 24 und 31, und
Warschau-Iwangorod, G. 17 s.
458
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
zunehmen; ihre 2. Armee sollte sie im Anschluß an die Armeen der Südwestfront von Warschau aus vorgehen lassen, um auf dem linken Weichsel-User eine „Angriffsgruppe von zehn bis zwölf Korps zu bilden mit dem Ziele
Posen—Breslau"^). M.S-ptemb-r.
Am 30. September ersah man aus dem Tagebuch eines gefallenen deutschen Offiziers, daß von sechs Korps, die an den Masurischen Seen gekämpft hatten, nur noch zwei in Ostpreußen seien, ferner einige einzelne
Divisionen und Landwehr-Brigaden^. Die russische Oberste Heeresleitung rechnete seither mit einer deutschen Truppenstärke von insgesamt höchstens vier Korps") in Ostpreußen, ihnen gegenüber zehn russische (1. und 10. Armee), — ferner unbedeutende deutsche Kräfte bei Mlawa und Thorn, denen mehr als vier russische Korps von der 2. Armee und der Abteilung Warschau gegenüberstanden —, und „bedeutende feindliche Kräfte versammelt im Räume Lods—Kjelzy, bei Krakau und hinter den Karpaten". Dabei wurde die Gruppe bei Lods—Kjelzy als „die gefährlichste" angesprochen. 5lm sie zu schlagen, sollten die russische 4., 5. und 9. Armee von
der mittleren Weichsel her ihre Front angreifen, die durch zwei bis drei Korps zu verstärkende 2. Armee ihr von Warschau her in die Flanke stoßen. Alle am Angriff beteiligten Kräfte und die Weichfel-Feftungen bis Nowogeorgiewfk einschließlich wurden dem Oberbefehl des Generals Iwanow unterstellt.
General Iwanow wollte mit dem Angriff warten, bis alle Kräfte versammelt seien. Cr schob seine 4. und 9. Armee auf dem rechten WeichselUfer nordwärts, während er die 5.dahinter bei Lublin versammelte, um sie dann mit der Bahn in den Raum zwischen der 2. und 4. Armee, zwischen
Warschau und Iwangorod, vorzufahren. Während bei Warschau für die 2. Armee und in beschränktem Maße auch bei Iwangorod für die 4. Armee ständige Befestigungen auf dem linken Weichsel-User und über diese hinaus
vorgeschobene Verteidigungsstellungen das Vorbrechen zum Angriff sicherten, fehlten solche Brückenköpfe auf der übrigen Front. Am 8. Oktober hatte General Iwanow folgendes, ziemlich falsche Bild vom Gegners: Bei *) Brief des Generalstabschefs Generalleutnant Zanufchkewitfch an den Kriegsminister vom 28. September 1914 (Kraßny-Archiv I, S. 251). 2) Danilow, S. 299. 3) Korolkow, Überblick, S. 28, und Warschau-Iwangorod, S. 36. — Der Gleich¬ mäßigkeit halber ist in diesem Abschnitt auch weiterhin nur nach ganzen Korps, ohne
Berücksichtigung einzelner selbständiger Divisionen und Brigaden, gerechnet. 4) Die zahlreichen Irrtümer der russischen Ausfassung sind vermutlich auf das Erscheinen deutscher Reserve-, Landwehr- und Crsatzsormationen mit entsprechenden Regimentsnummern zurückzuführen.
Russischer Angriff über die Weichsel.
459
Thorn Truppen vom XVII. und XIX. Reservekorps und Aufstellung eines XI. Reservekorps, bei Kalisch Teile vom XVII. Armeekorps und min-
destens acht Landwehr-Brigaden, in der Linie Radom—Sandomir Truppen vom XIX., XX., XI. Armeekorps, vom Garde-Reservekorps, vom Landwehrkorps und von einem österreichischen Korps. Während sich — nach damaliger russischer Auffassung — die österreichisch-ungarifchen Kräfte bei Sandomir und am San besonders tätig zeigten, schienen sich weiter nörd-
lich die deutschen Korps mehr zurückzuhalten. General Iwanow glaubte Zeit zu haben, um sich ihnen gegenüber auf dem westlichen Weichsel-Ufer in breiter Front festzusetzen; dazu befahl er den Stromübergang der bisher bereiten Kräfte für den 10. Oktober. Mit ernstem Kampf scheint er
nicht gerechnet zu haben. Im Anschluß an die Vortruppen der 2. Armee südlich Warschau
(II. sibirisches Korps bei Skjernewize, Mschtschonow und Grojez) sollten das XXIII/) und II.*) Korps, beide vorübergehend der 5. Armee zugeteilt, als deren Vorhut bei Gora-Kalwaria über den Strom gehen und am 11. Oktober die Linie Grojez—Warka erreichen. Die 4. Armee sollte im Abschnitt Kosjenize—Iwangorod übergehen und möglichst bis zum 12. Oktober die Linie Iedlinsk—Swolen—Ilshanka-Mündung gewinnen, also den ganzen Weichfel-Vogen westlich von Iwangorod und RowoAlexandria als Brückenkopf in die Hand nehmen. Dazu sollte das III. kaukasische Korps über Iwangorod vorgehen, über Rowo-Alexandria das
Grenadierkorps, über Kasimjersh das XVI. Korps. Als dann am 9. Oktober die vor der Front aufklärende Ural- «. Oktober.
Kosaken-Division den deutschen Anmarsch meldete und deutsche Artillerie am Abend des Tages die russischen Verteidigungslinien westlich Iwangorod unter Feuer nahm, wurde eine Brigade des kaukasischen Korps zum Äbergang weiter nördlich, über Pawlowize auf Kosjenize, angesetzt. In der Nacht zum 10. Oktober sollten drei neue Weichsel-Brücken entstehen, aber nur die bei Rowo-Alexandria wurde bis Tagesanbruch fertig, die bei
Kasimjersh erst gegen 11° vormittags, die bei Kosjenize anscheinend noch sehr viel später*). So drang das Grenadierkorps als erstes nach Westen vor; da aber das XVI. Korps noch zurück war, blieb seine Südflanke ungedeckt. Die Grenadiere wichen daher nachmittags vor dem Angriff der deutschen 3. Landwehr- und 3. Garde-Infanterie-Division auf die Brückenstelle zurück. In¬ *) Bisher 2. Armee. — 2) Bisher 1. Armee.
3) Korolkow, Warschau-Iwangorod, S. 89ff., und Überblick S. 48ff. — Die
Angaben dieser beiden Stellen weichen in vielen Einzelheiten erheblich voneinander ab; welche von beiden Darstellungen die richtige ist, hat sich dabei nicht immer fest-
stellen lassen.
460
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
zwischen hatte das XVI. Korps vollen Erfolg und drängte mit 1V2 Divi¬ sionen Teile der deutschen 4. Landwehr-Division zurück. Aus Iwangorod aber, wo man doch einen festen Brückenkopf mit zwei Brücken und etwa 3*/„ Divisionen (IV2 vom III. kaukasischen Korps, 75. und 81. Reserve-
Division, Ural-Kosaken-Division) zur Verfügung haben konnte, ist der Angriff gegen die dort zeitweise ganz allein stehende deutsche 1. Garde-Reserve-
Infanterie-Brigade überhaupt nicht versucht worden.
Vom kaukasischen
Korps zog sich eine Brigade im Schutze der Festungswerke auf dem linken Weichsel-Üfer längs des Stromes nach Westen, eine andere begann bei Pawlowize den Übergang; dorthin schob der Kommandierende General den Rest seiner Truppen nach. Vis zum Abend konnten sich bei Pawlowize Truppen der 21.Infanterie-Division von mindestens Vrigadestärke, im wesentlichen aber nur Infanterie, in brückenkopfartiger Stellung auf dem
linken Stromufer festsetzen und zunächst ungestört einrichten. Das Mißgeschick des Grenadierkorps veranlaßte den OberbefehlsHaber der 4. Armee, General C w e r t, nachmittags auch den Erfolg des
XVI. Korps wieder preiszugeben. Cr befahl für beide Korps den Rückzug auf das rechte Weichsel-Ufer und das Abbrechen der Brücken, So II.Ottober. hatten die Russen am 11. Oktober morgens, außer im Brückenköpfe von
Iwangorod selbst, nur noch bei Kosjenize den Fuß auf dem linken Stromufer. General Ewert befahl aber abends auch für diese Teile den Rückzug und das Abbrechen der Brücke. Doch der Kommandierende General des
kaukasischen Korps, der dort bisher keinen Feind vor sich hatte, ließ seine Truppen ttotzdem auf dem Westufer des Stromes. Als diese dann im Laufe des Tages angegriffen wurden, hielt sich die halbe 21. InfanterieDivision, wenn auch unter schweren Verlusten. Der plötzliche und völlig unerwartete Angriff der Deutschen gegen
Warschau hatte weitere ernste Sorgen gebracht. Der Oberbefehlshaber der 2. Armee, General Scheidemann, hatte am 11. Oktober süd-
lich Warschau 21/2Korps(I.,V2I.sibirischesundII.sibirisches)zur Verfügung, weitere Truppen standen in Warschau (XXVII. Korps) oder waren im Eintreffen; vor allem aber rechnete er auf die Mitwirkung des XXIII. und II. Korps von Gora-Kalwaria her. Als aber bis zum Abend
des Tages der rechte Flügel der Armee bei Brwinow unter schweren Verlusten in Auflösung gewichen war, während die Unterstützung von GoraKalwaria ausblieb, wollte es General Scheidemann auf weiteren Kampf
gegen die vermeintliche deutsche Übermacht nicht ankommen lassen. „44 furchtbare Stunden hielten die sibirischen Korps die Deutschen zurück", —
Mißlingen des russischen Angriffs.
4SI
so schrieb damals ein in Warschau anwesender amerikanischer Kriegsberichterstatter') — „die Verluste waren entsetzlich.
Ganze Regimenter wurden
vollständig vernichtet oder verloren alle Offiziere."
General Scheidemann
führte in der Nacht zum 12 Oktober seine Truppen in die Linie der ehe- 12.Oktober,
maligen Forts der Festung zurück, damit sie „nach den starken Crschütterangen durch die deutsche schwere Artillerie Zeit fanden, wieder zu sich zu kommen"°). „Die Straßen Warschaus" — so fährt der amerikanische Vericht fort — „waren vollgepfropft mit flüchtenden oder verwundeten Sol-
daten. Hungrige, abgezehrte Truppen strömten Tag und Nacht in die Stadt — alles Deserteure, viele ohne Waffen."
Bei Gora-Kalwaria, wo zwei Korps der ö. Armee über den Strom
gehen sollten, hatte zunächst nur eine Brigade des russischen XXIII. Korps das westliche Weichsel-User erreicht, da sich der Bau der Brücke bis zum 11. Oktober mittags hinauszog.
Vis zum Abend des Tages war aber
das ganze Korps auf das Westufer gelangt und der Anfang des II. Korps hatte gerade begonnen, überzugehen, — da kam Gegenbefehl von der Heeresgruppe, der veranlaßte, dieses Ufer schon von Mitternacht an wieder zu räumen.
Wohl konnte die 2. Armee bei Warschau einschließlich der Festungsbesatzung schon am 12. Oktober mindestens vier Korps versammelt haben.
Oberste Heeresleitung und Oberbefehlshaber der Südwestfront waren aber trotzdem in ernster Sorge um diesen wichtigen Platz und um die Durchführung des von dort her beabsichtigten Angriffs gegen die
deutsche Flanke. General Iwanow hatte daher das II. und XXIII. Korps der 5. Armee bei Gora-Kalwaria auf das rechte WeichselAfer zurück gerufen, um sie nunmehr hinter dem Strome auf Warschau in Marsch zu setzen. Zur Entlastung der 2. Armee befahl er der 4. Armee, bei K 0 f j e n i z e weiter anzugreifen. Dazu wurde hier am 12. Oktober außer dem ganzen III. kaukasischen Korps auch die gerade mit der Bahn an-
langende vorderste Brigade des XVII. Korps der 5. Armee eingesetzt, während die 75. und 81. Reserve-Division nach wie vor auf dem
rechten Weichsel-Ufer und in Iwangorod zurückgehalten wurden. Am 13. Oktober griff auch der Nest des XVII. Korps in den Kampf ein; bei Kofjenize und Iwangorod standen von da an im ganzen 61/2 rus¬ sische Divisionen gegen nur drei deutsche zur Verfügung. Trotzdem gelang es den Russen nur gerade, sich zu halten. Der deutsche Druck war so stark, daß der Kommandierende General des russischen XVII. *) Chicago Daily News vom Spätherbst 1914. — 2) Korolkow, Warschau-
Zwangorod, S. 101s.
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
462
Korps am Abend des Tages schon den Rückzug auf das rechte WeichselUfer befohlen hatte, als der Armeeführer eingriff und die Bewegung wieder
anhielt'). Die Sorge um Warschau war inzwischen behoben, denn am IZ. Oktober. 13. Oktober hatten die Russen ihre Stellungen nach Eintreffen von Ver-
stärkungen fast ohne Kampf wieder weit über den Fortsgürtel hinaus vorschieben können, da die Deutschen nicht gefolgt waren. Der deutschen Ausklärung war der vorübergehende völlige Rückzug entgangen; die Werke der Festung und die Sorge vor weittragendem Feuer hatten dazu mit-
gewirkt. Z. Das Eingreifen der österreichisch-ungarischen
Armee.
a) Verhandlungen und Ereignisse vom 13. bis 19. Oktober. Hierzu Karten 14, 15 und Skizze 9.
Btsz«mls.sr. Die Frage, wie die Operationen der deutschen tober. 9. Armee weiterzuführen seien, war brennend geworden, seit man wußte, daß die Russen von Warschau her zu einem großen Gegenschlage
ausholten. Die Lage hatte sich bis zum 13. Oktober täglich schwieriger ge¬ staltet: Bei Iwangorod und nördlich hielt der Gegner in etwa 25 km
breiter Front das Westufer der Weichsel. Vorläufig bestand kaum Aussicht, ihn hier wieder zu vertreiben. Zwei Brücken im Bereiche der Festung und eine gegenüber Kosjenize gaben ihm die Möglichkeit, sich rasch weiter zu verstärken. Bei Warschau wuchs der Widerstand des Feindes und die
Zahl seiner Kräfte zusehends; Flieger meldeten auf dem östlichen WeichselUfer Truppenbewegungen mit Fußmarsch und Bahn in der Richtung nach der Stadt.
Inzwischen aber mehrten sich auch die Schwierigkeiten für den Übergang der österreichisch-ungarischen 1. Armee über den San. Angesichts der
ungünstigen Wasser- und Wegeverhältnisse schien es nötig, das übergehen auf das rechte Flügelkorps der Armee zu beschränken. Aber auch die weiter oberhalb anschließende 4. Armee war über den Fluß bisher nicht hinübergekommen. General v. Conrad hoffte auf das Wirksamwerden der noch weiter südlich kämpfenden 3. Armee. Über die Kräfteverteilung hatte er sich am 11. O k t o b e r das Bild gemacht, daß — ungerechnet die öfter-
reichifch-ungarifchen Landsturm-Brigaden — rechts der Weichsel 35 öster¬
reichisch-ungarische gegen 26 russische Divisionen ständen, links des Stromes aber gegen ebenfalls 26 russische Divisionen nur 16V- Divisionen der x) Korolkow, Überblick, S. 51, und Warschau-Iwangorod, S. 116.
Auffassung des Generals v. Conrad.
Verbündeten').
463
Am 12. Oktober hatte die 1. Armee gemeldet, „daß
eine San-Forcierung infolge des hohen Wasserstandes und der sehr starken Stellung der Russen mit einem Mißerfolg enden würde"^); unter solchen Umständen war in Neu-Sandez erwogen worden, ein weiteres österreichisch-
ungarisches Korps auf dem linken Weichsel-User zu verwenden, so daß von der 1. Armee nur noch das X. Korps am San blieb.
Als dann gerade an
diesem Tage die schon erwähnte irrige Fliegermeldung3), daß die Russen bei Rowo-Alexandria wieder in vollem Übergänge seien, das deutsche Oberkommando zu einer Bitte um Unterstützung veranlaßte, ließ General v. Conrad seine nördlichste, die 5. Infanterie-Division sofort nach Norden in Marsch setzen und ordnete das Nachrücken von drei weiteren Divisionen (V. Korps der 1. Armee) auf das linke Weichsel-User an. Den Übergang der 1. Armee über den San aber verschob er endgültig bis zum Eingreifen der 3. und 4. Armee; die letztere sollte am 13. Oktober 50 km oberhalb
der Mündung mit dem Übergang beginnen. Seine Gesamtauffassung legte der österreichisch-ungarische Generalstabsches in einem Briefe nieder, den er am 12. Oktober an General v. Volf-
ras, den Chef der Militärkanzlei seines Kaisers, schrieb*): „Jetzt dürfte eine große russische Offensive von der Weichsel aus in der Strecke von der
San-Mündung bis Warschau einsetzen; hoffentlich halten ihr die Deutschen, durch Teile unserer 1. Armee verstärkt, westlich der Weichsel so lange stand, bis unsere Offensive östlich der Weichsel den entscheidenden Erfolg aufweist." Diese Auffassung des Generals v. Conrad deckte sich durchaus mit der des deutschen Oberkommandos. Die Frage, wie die Aufgabe an
der mittleren Weichsel weiterhin zu lösen sei, drängte zur Entscheidung. Die Hoffnung auf deutsche Verstärkungen vom westlichen Kriegsschauplatz mußt« von vornherein ausscheiden. Dorthin war die Masse der neugebildeten Reservekorps gerade im Aufmarsch, um der Gesamtlage eine entscheidende Wendung zu geben5). Andererseits aber rollte seit dem 11. Oktober das ebenfalls neu aufgestellte XXV. Reservekorps zur 8. Armee nach Ostpreußen, wo der Oberbefehl am 4. Oktober dem General v. Fran^ois übertragen worden war°). Dieser hatte am
8. Oktober angesichts der großen russischen Überlegenheit beim Generalobersten v. Hindenburg und zugleich auch bei der O b e t st e n Heeres¬
leitung unmittelbar angefragt, ob er auf Verstärkungen rechnen könne7), Conrad V, S. 99. — -) Ebenda, S. 103. — 3) S. 455. — 4) Conrad V, S. III. - 5) S. 275. — °) S. 527. — 7) S. 530.
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
464
und General v. Falkenhayn, der sich von der Operation in Polen ohnehin
keine größeren Erfolge mehr versprach, hatte das einzige noch verfügbare neue Reservekorps nach Ostpreußen bestimmt. Generaloberst v. Hindenburg war bei dieser Maßnahme nicht gefragt worden, obgleich auch die 8. Armee seinem Oberbefehl unterstand; er hatte aber, damals noch ohne Kenntnis von den russischen Massenansammlungen bei Warschau, gegen den Einsatz des XXV. Reservekorps in Ostpreußen auch keinen Einspruch erhoben. Cr vertrat die Ansicht, daß das für die Weiterführung des Krieges im Osten so überaus wichtige ostpreußische Gebiet unbedingt gehalten werden müsse und daß dabei ein Zurückweichen auf die zu dieser Zeit erst unvollkommen ausgebaute Seen-Linie nur im äußersten Notfalle zulässig sei.
Die von,
General v. Frangois angriffsweise geführte Verteidigung schien wesentliche Kräfte der Russen zu fesseln und damit von den Kämpfen an der Weichsel fernzuhalten. - Schließlich aber war gerade das XXV. Reservekorps von allen neuen Korps am wenigsten kriegsbereit. Sein Kommandierender
General, General der Infanterie Freiherr v. Scheffer-Boyadel, hatte am 10. Oktober gemeldet, daß den Truppen noch große Teile der Ausrüstung,
der Waffen und des Gerätes fehlten: „Kann, trotz dringendem Wunsch, an Feind zu kommen, Reservekorps nicht verwendungsfähig bezeichnen." Eine solche Truppe konnte im Bewegungskriege tief in Feindesland kaum mit Nutzen eingesetzt werden. In den Tagen nach dem 10. Oktober stellte sich heraus, daß der Russe doch Kräfte von der ostpreußischen Front nach Warschau heranzog, und die Lage an der Weichsel verschärfte sich immer mehr.
So drahtete General-
oberst v. Hindenburg am 13. Oktober an die 8. Armee: „Es muß erwogen werden, eine Division des I. Armeekorps nach Eintreffen
XXV. Reservekorps aus Ostpreußen hierher zu ziehen." General v. Frantzois, dessen Unterstellungsverhältnis unter den Generalobersten nach allem
Vorhergegangenen") nicht völlig klar war, antwortete ausweichend: „Alle Kräfte gebunden gegen etwa dreifache Überlegenheit. Freiwerden eventuell möglich, wenn Entscheidung durch Eingreifen neuen Korps herbeigeführt." Auf weitere Anfragen meldete er am 15. Oktober nach Teilerfolgen bei Lyck und Schirwindt: „. . . Komme zur Unterstützung nach Waffenerfolg,
der nächster Tage angestrebt wird')." Rur zwei von der 9. Armee erbetene Mörserbatterien wollte er sofort absenden. Damit brach der Gedankenaus-
tausch über Heranziehung von Kräften der 8. Armee nach Polen zunächst wieder ab.
Um dieselbe Zeit begann sich die schon seit Wochen bestehende Muni2) Vgl. S. 409, 417, 527 und 530. — 2) Vgl. S. 531 f. und 537.
Gesamtlage im Osten Mitte Oktober.
465
tionsknappheit^) auch im Osten fühlbar zu machen; der Nachschub floß spärlicher. Die an sich schon schwierige Lage der deutschen Ostarmeen spitzte sich dadurch weiter zu. An der mittleren Weichsel hing seit Mitte Oktober fast alles vom Ein- 15. Oktober,
greifen der heranrückenden österreichisch-ungarischen Kräfte ab. Über die Frage, wie sie auf dem linken Weichsel-Ufer zu verwenden wären, entstanden zwischen dem Generalobersten v. Hindenburg und General v. Conrad Meinungsverschiedenheiten: der Generaloberst vertrat die Auffassung, daß es möglich sei, den Gegner an der Weichsel oberhalb Warschau mit den bisherigen Kräften in Schach zu halten, da er aus diesem Abschnitte immer weitere Kräfte (am 15. Oktober war als letztes
das XVII. Korps gemeldet worden) nordwärts schob. Bei Warschau dagegen, wo er sich dauernd verstärkte, mußte die Lage der deutschen Kräfte unter General v. Mackensen schließlich unhaltbar werden. Hier konnten die
schon im Marsch nach Norden befindlichen Teile der österreichisch-ungarischen 1. Armee, vor allem das I. Korps mit der 12.und 46. Infanterie-Division,
vielleicht auch noch die dahinter folgende 33. Infanterie-Division, außerdem das Kavalleriekorps Korda, wirksame Hilfe bringen, wenn sie, zusammen mit deutschen Truppen, die bisher an der Weichsel deckten, zum Angriff nach Norden vorgeführt wurden.
Die Stoßrichtung war dabei hart am Strome
entlang auf Warschau gedacht. Eine solche Operation schien große Ergebnisse zu versprechen, hatte aber zur Voraussetzung, daß die beteiligten österreichisch-ungarischen Truppen dem Generalobersten v. Hindenburg unterstellt wurden.
Wohl erkannte auch die österreichisch-ungarische Heeresleitung die dringende Notwendigkeit an, die Truppen vor Warschau zu verstärken, doch sollten dazu ihres Crachtens deutsche Kräfte — nötigenfalls aus dem Westen oder von der 8. Armee aus Ostpreußen — herangezogen, oder es follte ein
Vorstoß dieser Armee über den Narew unternommen werden. Solange General v. Conrad unter dem Eindruck stand, daß bei Nowo-Alexandria und Iwangorod eine unmittelbare Gefahr vorliege, hatte er der deutschen Führung sofort bereitwillig zur Verfügung gestellt, was er gerade konnte; weiterhin wollte er seine eigenen Truppen jedoch nicht aus der Hand geben. Cr meinte: „Die fortwährenden schweren russischen Angriffe ließen einen Ein-
satz der österreichisch-ungarischen Kräfte zur Füllung der in der deutschen Front entstandenen Lücke befürchten, was eine Verzettelung derselben bedeutet hätte"'"). In einer Anweisung an Hauptmann v. Fleischmann vom ') Vgl. S. 6 f. und 308 f. — 2) Kriegsarchiv Wien, Studie des Oberstlts. v. Ioly. 30
t Weltkrieg. V. Land.
466
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
15. Oktober 1914 hieß es, er denke sich das „Eingreifen der von Süden
herankommenden Kräfte nicht als frontales, tropfenweises Cntgegenwerfen, sondern als einheitlichen Stoß von Süden gegen Flanke des über die
Weichsel gelangten Gegners"^). Dieser Plan fand schließlich klaren Aus,e. Oktober, druck in der tags darauf, am 16. Oktober, an das deutsche Ober-
kommando gerichteten Mitteilung: „Nach hiesiger Ansicht müßte sich deutsche Armeegruppe vor Warschau unbedingt halten, während die der
Weichsel-Strecke Kasimjersh—Iwangorod—Kosjenize gegenüber befindliche deutsche Gruppe gegen Westen ausweichen kann, um dadurch dem Stoß der 1. Armee von Süden her gegen Norden die Chance zu einem Flanken¬
angriff zu eröffnen. Von diesem Stoß hängt hier einzig und allein eine durchgreifende Entscheidung ab, es ist daher unerläßlich, daß er mit allen Kräften der 1. Armee einheitlich geführt werde." Die 1. Armee solle in die Linie Weichsel—Radom einrücken, dürfe aber nicht mehr durch Abgaben für die Abwehr an der Weichsel selbst geschwächt werden; diese Aufgabe müsse vielmehr in der Hand der bisher dafür eingesetzten deutschen Truppen (Landwehrkorps) bleiben. Zufälligerweise und völlig unabhängig von dem österreichisch-ungarischen Plan, den er gar nicht kannte, äußerte sich gerade am Mittage desselben 16. Oktober der Kommandierende General des vor Iwangorod liegenden Garde-Reservekorps in einem Ferngespräch mit General Ludendorff in ähnlichem Sinne wie die verbündete Heeresleitung. Von der Lage seines eigenen Korps ausgehend, meinte General v. Gallwitz, der
Angriff gegen die russischen Brückenköpfe sei zu schwer. Cr bezweifelte, daß durch die bisherige „Absperrungstaktik" ein „positiver Erfolg" zu erreichen sei; sie koste Zeit und Kräfte; man müsse sie aufgeben und alles zu einem großen Schlage zusammenfassen. Der Oberquartiermeister der Armee, Oberst v. Sauberzweig, vertrat eine ähnliche Auffassung. Anders der Oberbefehlshaber und General Ludendorff: Sie waren der
Ansicht, daß der Gegner bei Iwangorod wahrscheinlich nur vorsichtig über die Weichsel folgen und sich alsbald wieder eingraben werde. Auch befürchteten sie vom Zurückgehen an dieser Stelle eine ungünstige Wirkung auf die unmittelbar benachbarte Front der Verbündeten. Seitdem der öfter-
reichifch-ungarifche Angriff über den San sich von Tag zu Tag hinauszögerte, zweifelten sie, ob die verbündeten Truppen, für den Fall, daß die Russen wirklich in Massen über den Strom kämen, ausreichende Kraft zum Gegenangriff besäßen. So teilten sie die Hoffnungen nicht, die General v. Conrad auf den Stoß gegen die aus Iwangorod „hervorquellenden" *) Kriegsarchiv Wien, Studie des Oberstleutnants v. Ioly,
Der Plan des Generals v. Conrad.
Russen setzte.
467
Im Kriegstagebuch des Oberkommandos heißt es über
die Auffassung des Generals Ludendorff unter dem 16. Oktober: „Zunächst wäre es durchaus zweifelhaft, ob der Russe in das ihm westlich
Iwangorod gelassene Loch geht.
Gehe der Feind hinein, könnte überdies
nur ein taktischer Erfolg erzielt werden. Cs müßte vielmehr — unter Ab¬ sperrung der Weichsel in Gegend Iwangorod und südlich — mit allen verfüg¬
baren Kräften, auch den österreichischen, über Warschau eine einheitliche und starke Offensive ergriffen werden. Da aber die österreichische 1. Armee dem
deutschen Armeeführer nicht unterstellt ist, hat die deutsche Armeeleitung keinen Einfluß auf die Operation. — Die österreichische Ablehnung der Ver-
wendung von Truppen in Richtung auf Warschau zwang das Armee-Oberkommando, eine Zurücknahme der Gruppe Mackensen ins Auge zu fassen..." In diesem Sinne erging am 16. Oktober eine „geheime Orientierung" an
General v. Mackensen, in der im übrigen gesagt war: Es sei natürlich
wünschenswert, daß die „rückgängige Bewegung so spät als möglich" erfolge; das Garde-Reservekorps halte bei Iwangorod sehr gut, so daß dort kein Durchbruch zu erwarten sei; mindestens noch 48 Stunden müsse vor Warschau gehalten werden. Die Auseinandersetzungen und Vereinbarungen mit den Verbündeten
steigerten die Schwierigkeiten der Lage in wachsendem Maße und nahmen die Arbeitskraft des Armee-Oberkommandos nachgerade derart in Anspruch, daß General Ludendorff und Oberstleutnant Hoffmann am 17. Oktober
in Ferngesprächen mit der Obersten Heeresleitung scharf auf diesen Mißstand hinwiesen. In Mezieres wurde darüber „dem Sinne nach" ausgezeichnet: „Hauptschwierigkeit im Osten besteht in Führung verbündeter Truppen. Dadurch Zeitverlust, da Österreicher nicht unterstellt sind. Dies von hier aus anzuregen, ist aussichtslos. Die österreichische 1. Armee würde
sich der Unterstellung gern unterwerfen. Haupthindernis ist Conrad. Direktes Kaiserliches Telegramm ist dringend erforderlich, um Anterstellung der österreichischen 1. Armee unter 9. Armee zu erreichen. — Da
9. Armee in schwer st emKampf gegen bedeutende Überlegenheit, hängt vielleicht alles von der Einheitlichkeit der Führung ab." In der Rächt zum 18. Oktober drahtete der D e u t s ch e K et i s e r
an Kaiser Franz Joses und bat, die 1. Armee „für die Operationen in
Kongreß-Polen sogleich dem General Hindenburg zu unterstellen".
In
Wien wollte man die Entscheidung nicht treffen, ohne General v. Conrad zu
hören. Dieser sprach sich scharf gegen die Unterstellung aus: „Die Sorge, daß die Kaiserliche und Königliche 1. Armee lediglich für einseitige deutsche Interessen aus der Hand gegeben werden könnte, und die Überzeugung, daß mit deren Unterstellung unter das deutsche Oberkommando 9 in operativer
bis w. vk-
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
468
Hinsicht nichts gewonnen würde, bei beiderseits gutem Willen aber das gegenseitige Einvernehmen ausreichte, bestimmten meine Anschauung und die Antwort an Seine Majestät"^). Weitere Gründe hat General v. Conrad
dem General v. Freytag gegenüber in den Vordergrund geschoben. Dieser berichtete: General v. Conrad habe ihm gesagt, daß die Unterstellung von seinem Kaiser „nicht gutgeheißen worden sei, nachdem eine von öfterreichischer Seite angeregte Unterstellung unserer 9. Armee unter öfterreichischen Befehl unsererseits abgelehnt worden sei aus Gründen, die er,
Exzellenz Conrad, übrigens zu würdigen wisse"2)Die Antwort des Kaisers Franz Joses ging am 19. O k t o b e r ab und
lautete: „Auf meinen gestrigen Befehl, zur Unterstützung Deiner 9. Armee zu veranlassen, was möglich ist, hat Erzherzog Friedrich das 1. ArmeeKommando angewiesen, in vollem Einvernehmen mit deutschem 9. ArmeeOberkommando gegen den dieser Armee gegenüber befindlichen Feind vor-
zudringen." Dann folgten Einzelheiten über die Verteilung und Stärke der öfterreichisch-ungarischen Kräfte in Nussisch-Polen, und am Schluß hieß es: „Somit glaube ich, daß Deinem mir werten Wunsche entsprochen ist." Der Kernpunkt der Bitte des Deutschen Kaisers, die Unterstellung der I.Armee unter deutschen Oberbefehl, war absichtlich") nicht berührt worden. Es blieb alles beim alten.
Während der Dauer dieser Verhandlungen mit dem Verbündeten hatte sich die Gesamtlage, ohne daß sich an der Front Wesentliches er-
eignet hätte, doch immer ungünstiger gestaltet: Obgleich die Russen aus Galizien nach und nach zehn Korps fortgezogen hatten, war der Angriff des öfterreichisch-ungarischen Heeres kaum nennenswert über die Linie hinausgekommen, in der die Russen den Rückzug eingestellt hatten. Munitionsmangel hatte dabei wesentlich mitgesprochen. Bei Thyrow griff der Russe seit dem 14. Oktober sogar schon wieder an; die Hage war hier besonders schwierig, da es noch nicht gelungen war, die Bahn über die Karpaten wieder herzustellen. So lag der rechte Flügel des verbündeten Heeres im Gebirge und vor den russischen Einschließungsstellungen östlich Pschemysl fest, seine Mitte am San. Das Oberkommando der deutschen 9. Armee gewann aus den einlaufenden Nachrichten den Eindruck, daß das verbündete Heer tatsächlich nicht mehr die Kraft besitze, um durch seinen
Angriff eine entscheidende Wendung auf dem galizisch-polnischen Kriegs¬ schauplätze herbeizuführen. Um aber in der aufs höchste gespannten Lage 1) Conrad V, S. 181 f. und 220 f. — 2) Vgl. S. 409. 3) Brief des Generals v, Bolfras vom 18. Oktober 1914 (Conrad V, S. 220 f.).
Verhandlungen mit den Verbündeten.
469
sicher zu gehen, hatte General Ludendorff am 17. Oktober auch noch das persönliche Arteil eines dem General v. Freytag zugeteilten deutschen Generalstabsoffiziers über die österreichisch-ungarischen Angriffsabsichten ein¬
geholt. Der Befragte, Hauptmann Hasse, hielt zwar „allmähliches Fortschreiten der gesamten österreichischen Offensive für wahrscheinlich", die Cntscheidung werde aber „erst nach schweren und lange dauernden Kämpfen errungen werden; Zeitpunkt daher nicht abzusehen", denn man stehe überall
mit zu schwacher eigener Artillerie vor stark verschanzten russischen Stellungen. Die Hoffnung, daß die österreichisch-ungarische Offensive in Galizien in naher Zeit einen Sieg und damit eine Entlastung für die deutsche 9. Armee bringen könne, mußte aufgegeben werden. Langsames Vorwärtsdrücken oder
gar bloßes Halten reichte angesichts der Gesamtlage nicht aus. Inzwischen hatte sich die Lage an der deutschen Front im einzelnen wie folgt entwickelt: An der Weichsel unterhalb von Iwangor od waren russische An¬ griffe, die am 14. Oktober begannen und täglich erneuert wurden, im'«-bis is.scSumpf und Morast der Niederung und im deutschen Abwehrfeuer ebenso tot,er' liegengeblieben wie vorher die deutschen Angriffe. Cs hatten nur noch ört¬ liche Zusammenstöße stattgefunden, bei denen die 3. Garde-Division am
16. Oktober in Bfhefniza 1000 Gefangene machte. Im übrigen beschränkte sich die Kampftätigkeit im wesentlichen auf die beiderseitigen Artillerien. Seit dem 18. Oktober mußte aber auf deutscher Seite auch deren Tätig¬ keit wegen Munitionsknappheit eingeschränkt werden. Daß die russische Brücke bei Pawlowize durch Treffer der mit Fliegerbeobachtung schießenden deutschen 10 oin-Kanonen wohl zwei Tage lang unbenutzbar geworden war, konnte angesichts der Gesamtverhältnisse nicht ausgenutzt werden. Der Gegner hatte sich immer mehr verstärkt; man rechnete mit sechs russischen Divisionen (XVII. Korps, III. kaukasisches Korps, 75.und 81. Reserve-Division) auf dem linken Stromufer gegen nur 21/2 deutsche Divisionen des Generals v. Gallwitz. So mußte man zufrieden sein, wenn es gelang, weiteres Vor-
dringen des Gegners zu verhindern. Die überaus ungünstigen Witterungsund Bodenverhältnisse kamen dabei der Abwehr zugute, stellten aber auch fast übermenschliche Anforderungen an die seelischen und körperlichen Kräfte
der deutschen Verteidiger. Ihre Verluste waren seit Beginn der Kämpfe an dieser Stelle auf etwa 4000 Mann, vielleicht auch mehr, angewachsen. Nördlich vom Garde-Refervekorps hatte die verstärkte 72. InfanterieBrigade des XX. Armeekorps^) am 14. Oktober mittags bei Rytfchywol *) Vgl. S. 456.
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
470
nur noch ganz schwachen Feind angetroffen, der sofort über die Weichsel auswich. Seither schützte das Korps mit anderthalb, später mit nur einer Infanterie-Division"), zusammen mit der österreichisch-ungarischen 3. Kavallerie-Division die Weichsel-Front bis gegen Gora-Kalwaria. Vor Warschau hatten die Truppen des Generals v. Mackensen, dabei seit dem 15. Oktober die ganze 37. Infanterie-Division des XX. Armeekorps, ihre weit vorgeschobenen Stellungen unter örtlichen Kämpfen gehalten. Nur auf den äußeren Flügeln war es dem Gegner gelungen, Raum zu gewinnen. So drängte er dicht an der Weichsel, wo er
sich verstärkt hatte, am 16. Oktober eine bei Iesiorna den gleichnamigen
Flußabschnitt verteidigende deutsche Kompagnie zurück. Der Versuch, die Russen hier am 18. Oktober durch einen Angriff der verstärkten 87. Insanterie-Brigade, dabei die österreichische 3. Kavallerie-Division, unter Generalmajor v. Hahn wieder zurückzuwerfen, scheiterte. Der Gegner schien bis zum Abend des Tages auf diesem Flügel in Stärke etwa einer Division die Straße Gora-Kalwaria—Piasetschno erreicht zu Habens und hinter dieser Front westlich von Kartschew eine Brücke über die Weichsel zu
schlagen. Inzwischen verlängerten die Russen aber auch ihren rechten Flügel Westlich von Warschau, wie man annahm, um dort die deutsche Flanke zu um-
fassen. Sie gingen gegen Vlonje vor und drückten mit starker Kavallerie auch noch weiter westlich gegen die Atrata-Äbergänge, bevor die 21. Landwehr-Brigade, die Landsturm-Vrigade Hoffmann und die 8. KavallerieDivision, die nur langsam vorwärts gekommen waren, dort wirksam abgesperrt hatten. So entspann sich eine Reihe von Kämpfen um den AtrataAbschnitt, in die östlich Vlonje schon am 14. Oktober nachmittags die vordersten Teile der vom rechten Flügel heraneilenden aktiven deutschen 36. Insanterie-Division eingriffen. Bei Vlonje selbst geriet am 15. Okt o b e r die 21. Landwehr-Brigade durch den Angriff weit überlegenen Geg¬ ners ins Wanken, die aktive Division unter Generalleutnant v. Heineceius
stellte aber die Lage wieder her. Der Ort Blonje wurde gehalten, doch gelang es nicht, die dortigen Utrata-Äbergänge wieder in die Hand zu bekommen; auch reichten die deutschen Kräfte bei weitem nicht aus, um den Atrata- und Bsura-Abschnitt westlich von Vlonje bis zur Weichsel, insgesamt über 40 km Front, zu sperren. So konnte russische Kavallerie *) Die 73. Infanterie-Brigade der 37. Infanterie-Division war beim XVII. Armeekorps verblieben (S. 456), der Rest dieser Division wurde am 15. Oktober dorthin abgegeben. — 2) Nach russischen Quellen soll er tatsächlich über die Iesiorna
kaum hinausgekommen sein (Korolkow, Überblick, S. 58, und Warschau-Iwangorod, S. 144).
General v. Mackensen vor Warschau.
471
— nach deutschen Meldungen zwei Divisionen — am 17. Oktober
Sochatschew nehmen.
Gerade an diesem Tage aber traf als Verstärkung
die österreichisch-ungarische 7. Kavallerie-Division ein; sie hatte den 180 km weiten Marsch aus der Gegend von Opatow in sechs Tagen zurückgelegt. Ihrem Kommandeur, Feldmarschalleutnant Cdlem v. Korda, wurde die deutsche 8. Kavallerie-Division unterstellt. Das so gebildete Kavalleriekorps vertrieb den Gegner am 18. Oktober wieder aus Sochatschew,
aber die russische Kavallerie wich von dort nicht nach Norden zurück, sondern
hatte sich, soweit deutscherseits festgestellt werden konnte, nach Südwesten auf Lowitsch gewandt und blieb damit tief in der Flanke der deutschen Truppen. Während dieser Tage höchster Spannung war General v. Macken-
sen in seinen Entschlüssen und in seiner Zuversicht durch seine Flieger wesentlich unterstützt worden. Sie hatten bei günstiger Witterung noch am 16. Oktober melden können, daß das Gelände westlich der Linie Blonje— Nowogeorgiewsk vom Feinde frei sei. Am 17. Oktober hatte General v. Mackensen die unterstellten Führer auf Grund der geheimen Weisung des Armee-Oberkommandos von diesem Tage trotzdem in vertraulicher
Weise auf den bevorstehenden Rückzug vorbereiten müssen, denn er wußte jetzt fünf bis fechs russische Korps vor der 45 km langen Front seiner alles in allem nur 21j2KorpsstarkenKräfte.ObgleichderDruckderfeindlichen Übermacht besonders gegen beide Flügel immer stärker wurde, war General v. Mackensen entschlossen, doch noch bis zum Nachmittage des 19. Oktober auszuharren. Erst in der Nacht zum 20. Oktober wurde im Einvernehmen mit dem Armee-Oberkommando nach Zurückführung der Verwundeten^), der Munition und allen Gerätes und nach gründlicher Zerstörung aller Cifenbahnanlagen, Drahtleitungen und Brücken der Rückzug angetreten. General V.Mackensen „verschwand wie ein Geist und ließ zurück kein Geschütz, kein Gewehr, keine Patrone und nur wenig Marschunfähige" — so schrieb damals ein amerikanischer Berichterstatter^). Als nächstes Ziel war der Gruppe Mackensen vom Armee-Oberkommando die
Linie Grojez—Mschtschonow gewiesen. Die Bewegung dorthin verlief ohne Reibung und ohne Störung durch den Feind. b) Der Angriff der österreichisch-ungarischen 1. Armee bei Iwangorod. Hierzu Karten 14, 15 und Skizze 10.
Das Vorgehen des österreichisch-ungarischen H ee-Bts-umls.sk. res in Galizien war nach und nach völlig zum Stehen gekommen. *) Nur bei den mit Sanitätstruppen ungenügend ausgestatteten Landwehrtruppen sind Verwundete zurückgeblieben. Die Russen meldeten 500 Gefangene. 2) Vgl. S. 461 Anm. 1.
472
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
Die 3. Armee hatte zunächst zusammen mit der 2. den Gegner östlich und
südöstlich von Pschemysl zurückwerfen sollen, Überaus ungünstiges Wetter: Schneefall in den Karpaten, Regen, angeschwollene Wasserläufe und grundlose Wege erschwerten das Vorwärtskommen. Die den Russen gegenüber
bestehende artilleristische Unterlegenheit wurde durch Schwierigkeiten der Munitionszufuhr wie des Munitionsersatzes noch vergrößert. Als die Versuche der 4. Armee, den San gewaltsam zu überschreiten, scheiterten, gab General v. Conrad am 17. Oktober den Angriff über den
San endgültig auf und ging dort zur Abwehr über"). Gleichzeitig verringerte sich die Aussicht auf entscheidende Erfolge der 3. und 2. Armee von Tag zu Tag. Die 2. Armee erwehrte sich auf ihrem rechten Flügel nur mit Mühe russischer Gegenangriffe, die 3. lag gegenüber den bisherigen Einschließungsstellungen der Russen vor der Ostfront von Pschemysl endgültig fest. Die Hoffnung des Generals v. Conrad, daß der Angriff des öfterreichisch-ungarischen Heeres im Süden dem Vorgehen des Feindes über die Weichsel im Norden Halt gebieten würdet, hatte sich nicht erfüllt. Angesichts des Stillstandes im eigenen Angriff und der gleichzeitigen schweren Bedrohungen des deutschen linken Flügels bei Warschau hatte der österreichisch-ungarische Generalstabschef schon seit dem 14. Oktober den Eindruck gewonnen, daß sich eine völlige Änderung der Gesamtläge vorbereite, die auch einen neuen Operationsplan nötig machen werde: „Die direkte Unterstützung der 9. Armee trat in den Vordergrund"^). Drei Tage später schrieb er an General v. Volsras:
. . Jetzt bleibt uns nichts
übrig, als zur Degagierung der Deutschen einzugreifen, da ja ihre etwaige Niederlage auch für uns ein schwerer Nachteil wäre"*). Für diese Auf¬ gabe beabsichtigte er die 1. Armee möglichst geschlossen und einheitlich ein¬ zusetzen, nachdem man — seinem schon erwähnten Plane entsprechend^) —
den Russen bei Iwangorod den Weichsel-ttbergang freigegeben habe; das X. Korps und drei Kavallerie-Divisionen sollten den übrigen Teilen der Armee nach Norden folgen. Im übrigen hatte General v. Conrad ge-
wünscht, daß die deutschen Truppen an der Weichsel oberhalb Iwangorod auch weiterhin dort belassen würden, damit die österreichisch-ungarische 1. Armee den Angriff ohne jede Abzweigung von Kräften unter ihrem
Flankenschutz ausführen könne. Solche Belassung deutscher Truppen ober¬ halb von Iwangorod hatte Generaloberst v. Hindenburg am 16. Oktober auch in Aussicht gestellt, als es sich noch um den Einsatz der öfter-
reichisch-ungarischen 1. Armee gegen Warschau handelte.
Unter den jetzt
i) Conrad V, S. 172. — 2) Ebenda, S. 105; vgl. ferner die Übersicht S. 550 dieses Bandes. — -) Ebenda, S. 121.— •*) Ebenda, S. 178. — 5) 6. 466.
Vorbereitung des Einsatzes der österreichisch-ungarischen 1. Armee.
473
völlig veränderten Voraussetzungen machte es ihm die Lage unmöglich, dem Eonradschen Wunsche zu entsprechen. Cr konnte die gegen Warschau unabweisbar nötigen Verstärkungen nur noch gewinnen, wenn der deutsche Südflügel C/ü XI. Armeekorps und Landwehrkorps) an der Weichsel durch verbündete Kräfte abgelöst wurde. General v. Conrad konnte sich dem Zwange dieser Lage nicht entziehen, da auch die Russen immer mehr Kräfte aus der Gegend oberhalb von Iwangorod nordwärts zu verschieben schienen. Cr übernahm die WeichselSicherung oberhalb Iwangorod, die jetzt nur noch geringste Kräfte erforderte.
Minder kampffähige Landsturmverbände übernahmen hier den Schutz, so daß für den Angriff bei Iwangorod die von Anfang an dafür in Aussicht genommene Zahl von sieben Infanterie-Divisionen schließlich doch zur Ver-
fügung blieb; das noch am San eingesetzte X.Korps konnte ohnehin nicht rechtzeitig heran sein. Bis zum 19. Oktober war die Ablösung der deutschen Truppen so weit durchgeführt, daß südlich von Iwangorod nur noch
österreichisch-ungarische Verbände standen. Das deutsche XI. Armeekorps, dieses unter Heranziehung seiner abgezweigten Teile, und das Landwehrkorps sollten zur Vereinigung mit den Truppen des Generals v. Mackensen nordwestwärts abmarschieren^). Beim Oberkommando der deutschen 9. Armee sah man das beib>s 21.se-
Zwangorod geplante Unternehmen nach wie vor als wenig aussichtsvoll an2), war aber bestrebt, nach Möglichkeit zu helfen. Der hart umstrittene und blutgetränkte Boden des westlichen Weichsel-Users beiderseits Iwangorod von Kasimjersh bis zur Piliza mußte geräumt werden, um das Angriffsfeld für die österreichifch-ungarifche 1. Armee freizumachen. Am 19. Oktober früh ließ Generaloberst v. Hindenburg beim General v. Comad anfragen, welchen Auftrag diese Armee habe und ob mit dem Beginn ihres Angriffs am 21.Oktober gerechnet werden könne; es sei beabsichtigt, das Garde-Reservekorps in der Nacht zu diesem Tage zurückzunehmen, mit dem Südsiügel in der Richtung auf Radom. General v. Conrad antwortete, am 21. Oktober werde der Raum zum Vorstoß der
l. Armee noch zu gering sein, da der Südflügel des deutschen Garde-Reservekorps, wie er höre, bis zu diesem Tage erst Politschna erreichen könne. Um starke feindliche Kräfte zu fassen, erscheine es zweckmäßig, „für den Angriff der 1. Armee westwärts mehr Raum zu geben; danach wird der Einklang im Handeln zwischen dem Armee-Oberkommando 9 und dem 1. Armee-Kom-
mando festzustellen sein". J) S. 485 f. — -) S. 466 f.
474
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
Vis zum Morgen des 20. Oktober ergab sich, daß die österreichischungarische 1. Armee ihren Angriff am 22.Oktober mit dem linken Flügel über Iedlnia auf Kosjenize zu führen gedachte. Sie wünschte, das GardeReservekorps möge dementsprechend die Front freimachen und sich zur MitWirkung beim Angriff bei Glowatschow und südlich bereitstellen. Als am 20. Oktober um 9™ vormittags eine dahin lautende Weisung des deutschen
Armee-Oberkommandos beim Garde-Reservekorps einging, waren die Vorbereitungen für den Rückmarsch auf Radom schon im Gange. Der im
Sumpfgelände östlich Kosjenize besonders ungünstig liegende linke Flügel der Korpsfront war in der vorhergehenden Nacht bis zu diesem Orte zurück-
genommen worden. In der folgenden Nacht sollte der allgemeine Abmarsch angetreten und am 21. Oktober in der Richtung auf Radom—Iedlinsk fortgesetzt werden^). Als nun das Armee-Oberkommando, dem Wunsche der Verbündeten entsprechend, verlangte, daß das Korps am 21. Oktober abends
schon mit den Hauptkräften bei Glowatschow, im übrigen südlich dieses Ortes stehe, um am 22. anzugreifen, entschloß sich General v. Gallwitz, sein Korps auf dem linken Radomka-Aser in der Linie „Iedlinsk— Glowatschow" zu versammeln. Das aber erforderte einen Rückzug schräg zu der bisher nach Nordosten gerichteten Front; der vielfach sumpfige Radomka-Grund mit wenigen mangelhaften und unzuverlässigen Brücken mußte überschritten werden. General v. Gallwitz sah keine Möglichkeit, diese Bewegung an-
gesichts des wahrscheinlich nachdrängenden Gegners auf grundlosen Waldwegen, dazu noch bei Nacht, auszuführen. Nur der linke Flügel, die 3. Garde-Infanterie-Division, konnte das linke Radomka-Aser rechtzeitig erreichen, der rechte Flügel mußte über Radom ausholen. Dazu kam, daß das Korps nach ununterbrochenen elftägigen Kämpfen unter schwierigsten Witterungs- und Geländeverhältnissen derart erschöpft war, daß es dringend eines Ruhetages bedurfte, bevor es von neuem angreifen konnte.
Solchen
Vorstellungen konnte sich das Armee-Oberkommando nicht verschließen. Es hielt rasches Nachrücken der Russen ohnehin für unwahrscheinlich und änderte daher seine Weisung dahin, daß das Garde-Reservekorps am 21. Oktober den Österreichern die Front freizumachen habe; am 22. solle es sich «in Gegend Glowatschow und südlich zusammenschieben, um am 23. Oktober bereit zu sein, an einer Offensive der Österreicher gegen die Russen teil-
zunehmen, falls diese über die Weichsel vorgehen sollten". Daraufhin regelte General v. Gallwitz die Rückzugsbewegung derart, daß bis zum Abend des 21. Oktober die 1. Garde-Reserve-Division bei Radom unterkommen
sollte, die 3. Garde-Infanterie-Division nordöstlich davon auf dem linken 40 bis 50 km Marsch.
Am Vorabend der Schlacht bei Iwangorod.
475
Radomka--Ufer bis Glowatschow einschließlich. Dahinter sollte die zum Abmarsch nach Nordwesten bestimmte 22. Infanterie-Division des XI. Armeekorps, von der schon bisher eine Brigade beim Garde-Refervekorps gefochten hatte, einem Befehl des Oberkommandos entsprechend, die Gegend westlich Radom erreichen, so daß sie nötigenfalls am nächsten Tage auch zur Hand war. Am Abend des 20. Oktober, in tiefschwarzer Nacht, zogen die deutschen Truppen vor Iwangorod und bei Kosjenize aus den Stellungen ab, die sie
nun bald zehn Tage lang in schwerem und verlustreichem Kampfe gehalten hatten. Die Lichtkegel der Scheinwerfer von Iwangorod und das Störungs-
feuer weittragender russischer Geschütze begleiteten sie. Die österreichisch-ungarische I.Armee unter General der Kavallerie Dan kl sollte am Abend des 21. Oktober mit dem V. und
I. Korps, zusammen sechs Infanterie-Divisionen^), in einer Linie zum Angriff bereitstehen, die sich von der Ilshanka-Mllndung, südwestlich an Swolen vorbei, bis zur Eisenbahn 15 km östlich Radom hinzog. Hinter der Mitte dieser Front sollte die 43. Infanterie-Division bei Ilsha als Reserve stehen. Im Anschluß an den rechten Flügel sicherte österreichischer Landsturm, 35. Brigade und 106. Division, an der Weichsel. Die weiteren Kräfte, X. Korps und drei Kavallerie-Divisionen, die vom San her nachrücken sollten, waren in letzter Stunde dort wieder festgehalten worden, denn es war den Russen gelungen, den wegen des Hochwassers
noch kurz vorher für unpassierbar gehaltenen Flußabschnitt ihrerseits an etwa fünf Stellen zu überschreiten^) und sich auf dem linken Ufer festzusetzen. Aber auch ohne den zugedachten Kräftezuwachs, der doch erst später hätte zur Geltung kommen können, verfügte General Dankl in seinen sieben InfanterieDivisionen über eine stattliche Truppenmacht, die seit dem 9. September,
also seit sechs Wochen, wohl größere Märsche, aber doch keine ernsteren Kämpfe mehr zu bestehen gehabt hatte. Die Verluste waren ersetzt. Am 21. Oktober morgens teilte General Dankl dem deutschen Oberkommando seinen Angriffsbefehl mit. Er war zu dieser Zeit noch ohne Kenntnis davon, daß das Garde-Reservekorps erst am 23. Oktober zum Angriff bereit sein werde. Cr nahm nach wie vor an, daß die Russen dem
ausweichenden deutschen Korps scharf folgen würden, und hatte befohlen, x) I. Korps mit 5., 12., 46. Infanterie-Division, V. Korps mit 14., 33., 37. In-
fanterie-Division. 2) Das deutsche Oberkommando erfuhr davon erst am 21. Oktober.
Tatsächlich
waren über den San gegangen: das russische XXI. Korps in der Nacht vom 17./18., das XI., IX. und y2 X. Korps in der Nacht vom 18./19. Oktober.
476
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
daß das V. und I. Korps am Morgen des 22. Oktober in breiter Front zum Angriff antreten sollten, wobei der linke Flügel des I. Korps um 8° vor¬ mittags Iedlnia zu durchschreiten und weiter auf der großen Straße gegen
Kosjenize vorzurücken hatte. Im Befehl für den Angriff war ferner gesagt: „Das Garde-Reservekorps, welches bei und südlich Glowatschow steht, wird aufgefordert werden, sobald sich eine Kampffront bildet, gegen den westlichen Flügel einzugreifen ... (es folgten Angaben über Nachführen der österreichischen 43. Infanterie-Division) ...
Der Kampf ist ge¬
mäß der allgemeinen Kriegslage derart zu führen, daß die Russen noch im Laufe des 22. Oktober ge¬ worfen werde n"1).
Während somit General Dankl entschlossen war, den Stoß gegen die Weichsel schon am 22. Oktober mit voller Kraft durchzuführen, bezweifelte man beim Oberkommando der deutschen 9. Armee nach wie vor, daß
es schon an diesem Tage zu entscheidenden Kämpfen kommen werde. Nach den bis zum Abend des 21. Oktober vorliegenden Nachrichten folgte der Gegner nur mit Vortruppen in großem Abstände. Am 6° abends befahl
Generaloberst v. Hindenburg: „Das Garde-Reservekorps rangiert sich morgen links gestaffelt westlich der Radomka, bereit, zur Unterstützung der Österreicher einzugreifen (— voraussichtlich am 23. Oktober)." Die Auf¬ gabe des Garde-Reservekorps aber war inzwischen noch schwieriger ge¬ worden, denn inzwischen waren andere russische Kräfte gegen den Rücken des befohlenen Bereitstellungsraumes im Anmarsch gemeldet, von GoraKalwaria her längs der Weichsel und auch von Norden auf Warka gegen den Piliza-Abfchnitt. Dort deckte in großer Breite das XX. Armeekorps zusammen mit der ihm unterstellten österreichisch-ungarischen 3. Kavallerie-
Division. Diese stand Warka gegenüber auf dem südlichen Piliza-Afer, das XX. Armeekorps selbst links von ihr an der großen Straße Radom—
Grojez und noch weiter westlich.
Für alle Fälle hatte Generaloberst
v. Hindenburg auch die bei Radom vereinigte 22. Infanterie-Division des XI. Armeekorps für den 22. Oktober als Verfügungstruppe festgehalten.
Der österreichifch-ungarifche Armeeführer sah dem bevorstehenden Angriff seiner Truppen mit Zuversicht entgegen. Am guten Ausgang zweifelte General Dankl nicht und teilte daher noch am Abend des 21. Oktober dem
deutschen Oberkommando mit, er habe von seiner Heeresleitung Weisung, nach gelungenem Vorstoß gegen Iwangorod „an den Operationen der 9. Armee an deren Ostflügel mitzuwirken". Cr bat jetzt schon um die „für
diese Operation vorwaltenden Gesichtspunkte", um sich ihr rechtzeitig an*) Sperrdruck bedeutet Unterstreichung im Urtext.
Der Angriff der österreichisch-ungarischen l. Armee.
schließen zu können.
477
Wenn der Stoß gegen Iwangorod den verbündeter-
seits erhofften Erfolg hatte, mochte sich somit doch noch Aussicht auf MitWirkung der österreichisch-ungarischen 1. Armee gegen Warschau bieten. Am 22.Oktober ließ General D ankl seine 1. Armee in etwa 35 km 22.srt»v«r. breiter Front, mit sechs Divisionen in vorderer Linie und einer als Reserve
hinter der Mitte, zum Angriff antreten. Der rechte Flügel fand so gut wie keinen Gegner vor sich, die Mitte gewann, zunächst gegen schwächeren
Feind kämpfend, Boden, auf dem linken Flügel aber stieß die österreichischungarische 12. Infanterie-Division bei Iedlnia schon frühmorgens auf Widerstand, den sie nicht gleich zu brechen vermochte. Man schätzte den Gegner hier auf eine Brigade. Cr hatte sich am Westrand des großen Waldgebietes festgesetzt, das sich von Iedlnia nach Nordosten 12 Km tief bis gegen Kosjenize hinzieht. Die erste Mitteilung über die Lage bei Jedlnia erhielt das deutsche Garde-Reservekorps um II30 vormittags vom österreichischen General der Kavallerie Freiherrn v. Kirchbach auf Lauterbach, dem Kom-
mandierenden General des I. Korps. Die Mitteilung schloß mit dem Satze: „Eingreifen des Garde-Refervekorps mit einer Division aus
Richtung Glowatfchow gegen Stanislawize erwünscht, damit feindliche Brigade vollkommen abgeschnitten werden kann." Das Garde-Reservekorps war aber zu dieser Zeit noch nicht in der Lage, mit stärkeren Kräften in den Kampf der Verbündeten einzugreifen: Bei Glowatfchow und südwestlich hatte in der Nacht zum 22. Oktober die 3. Garde-Insan-
terie-Division gelegen. Die 1. Garde-Reserve-Division hatte Befehl, im Laufe dieses Tages in einen Unterkunftsraum links der Radomka nachzurücken, der sich von Glowatschow bis 20 km südwestlich dieses Ortes erstreckte; die 3. Garde-Division sollte sich entsprechend enger zusammenschieben. Als dann der österreichisch-ungarische Angriffsbefehl bekannt wurde, hatte General v. Gollwitz diese Division angewiesen, dafür zu sorgen, daß „Befehle des Generalkommandos für eine Alarmierung und Bereitstellung sie jederzeit erreichen". Schließlich hatte er ihr am Morgen des 22. Oktober, als Meldungen vorlagen, nach denen der Gegner sich auf dem rechten Radomka-Ufer schon bis etwa 20km von der Weichsel nach Westen ausgebreitet habe, um 945 befohlen, die 5. Garde-Brigade bei
Glowatschow bereitzustellen, damit sie auf besonderen Befehl den Angriff der Verbündeten in der Richtung auf Kosjenize unterstütze, während die 6. Garde-Brigade den Schutz des Armeekorps gegen Norden übernehmen sollte. An ernsten Kampf an diesem Tage glaubte General v. Gallwitz aber
noch nicht. Die Weisung schloß daher: „Der für heute nacht angeordnete
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
478
Anterkunftsraum der 3. Garde-Infanterie-Division wird für die Nacht vor¬ aussichtlich eingenommen werden können . .
An die 1. Garde-Reserve-
Division erging überhaupt kein neuer Befehl; diese, besonders stark erschöpft, trat daher erst in den späteren Vormittagsstunden gruppenweise den Ab¬ marsch in ihren neuen Unterkunftsraum an. So war zunächst nur das Eingreifen einer einzigen deutschen InfanterieBrigade möglich, als um 11°° vormittags die erwähnte Bitte des Generals
v. Kirchbach einging. Der Entschluß, diese Brigade nunmehr sofort von Glowatschow nach Südosten zum Stoß über die Radomka auf Staniflawize anzusetzen, um die Russen bei Iedlnia abzuschneiden, wurde aber inzwischen schon durch andere Nachrichten erschwert: Der Gegner hatte, von Norden kommend, mit einigen Bataillonen Rytschywol an der Radomka-Mündung erreicht. Ferner besagte eine um 11" mittags eingehende Mitteilung des Armee-Oberkommandos, die österreichisch-ungarische 3. Kavallerie-Division melde bei Tarnow zwischen der Radomka- und Piliza-Mündung eine Brücke über die Weichsel und bei Warka an der Piliza russische Besetzung. Das Oberkommando selbst war zu dieser Zeit gerade im Begriff, von Radom in das neue Armee-Hauptquartier Konsk abzufahren. Mit ernster Vedrohung der 3. Garde-Division von Osten und Norden war jetzt zu rechnen. Trotzdem befahl General v. Gallwitz um 1220 mittags den Angriff der
5. Garde-Brigade über Bfhufa auf Staniflawize. Gleich darauf teilte jedoch das XX. Armeekorps mit, die österreichisch-ungarische KavallerieDivision stehe nicht mehr wie bisher gegenüber von Warka, sondern gehe nach einem etwa 16 km südwestlich davon gelegenen Orte zurück. Da außerdem gemeldet wurde, daß die Ortschaften des rechten Radomka-Asers südlich von Bfhufa schon vom Gegner besetzt seien, wurde der Angriffs¬ befehl wieder zurückgezogen. General v. Gallwitz hoffte aber, den Angriff nach Heranziehung der 1. Garde-Neferve-Division am folgenden Tage doch
noch durchzuführen, und wünschte dazu, daß die österreichisch-ungarische Kavallerie die Sperrung bei Warka, wo der Feind das Südufer der Piliza
bisher noch nicht betreten hatte, wieder übernähme. Südlich vom Garde-Refervekorps war der Kampf der öfterreichisch.ungarischen Truppen weitergegangen. Bis zum Abend des 22. Oktober hatte die 12. Infanterie-Division den russischen
Widerstand bei Iedlnia gebrochen; sie meldete 1200 Gefangene. In ihrer Gesamtheit war die Armee des Generals Dankl bis zur Linie WeichselHöhen
westlich
Nowo°Alexandria — Boguzin — Gegend 8 km westlich
Kosjenize vorgedrungen, sie wollte den Angriff am folgenden Tage fort¬ setzen. Bisher waren als Gegner nur die schon seit mehr als einer Woche
bei Iwangorod und Kosjenize kämpfenden Truppen des XVII. und
Die Schlacht bei Iwangorod.
479
III. kaukasischen Korps sowie der 75.und 81. Reserve-Division festgestellt. Vor dem rechten Flügel waren die Russen schwach gewesen. Weiter südlich hatten bei Iosefow feindliche Mergangsversuche zurückgewiesen werden müssen; weitere Versuche dieser Art waren nachmittags bei Kasimjersh erkannt worden. Vor dem linken Flügel hielt sich der Feind in unbekannter Stärke im Waldgebiet südlich und westlich von Kosjenize bis zur Radomka. Drei Brücken bei Iwangorod und Pawlowize und jetzt eine vierte bei Tarnow standen ihm für das Nachführen neuer Kräfte zur Verfügung. Beim deutschen Garde -Reservekorps hatte der Gegner im Laufe des Nachmittags weder von der Weichsel noch von der Piliza her vorwärtsgedrängt. Die durch Gewaltmärsche und Sicherungsdienst erschöpfte öfterreichifch-ungarifche 3. Kavallerie-Division aber hatte gegen das Ersuchen, die Sicherung bei Warka wieder zu übernehmen, Einspruch erhoben. Als General v. Gallwitz hiervon Meldung erhielt und außerdem erfuhr, daß ein nach Bshusa vorgeschobenes Garde-Bataillon von einer russischen Brigade wieder über die Radomka zurückgedrängt worden sei, wurde es ihm immer zweifelhafter, ob der Angriff nach Süden noch möglich sein werde. Als Ergebnis eines mit dem Armee-Oberkommando geführten Ferngesprächs wurde über die Aufgabe des Korps um 745 abends folgendes
in Stichworten aufgezeichnet: „In erster Linie unsere Pflicht, Flanke der Österreicher decken. Es darf aber nicht dazu kommen, daß Garde-Refervekorps im Kampf bei Iwangorod und Kosjenize derart verwickelt, daß abgedrängt und Anschluß an XX. verliert."
Das bedeutete eine wesentliche
Einschränkung der ursprünglichen Angriffsaufgabe. Etwa um dieselbe Zeit erfuhr General v. Gallwitz vom XX. Armeekorps aber auch, daß die verbündete 3. Kavallerie-Division Befehl habe, „morgen erneut auf Warka vorzugehen"; der Gegner solle dort nur schwach sein; der rechte Flügel des Korps, 41. Insanterie-Division, bei Vjelobshegi, bleibe stehen. !lm 8'° abends ließ General v. Kirchbach mitteilen, daß sein linker Flügel, 12. Infanterie-Division, Befehl habe, am 23. Oktober auf Lutschinow (5 km nordnordwestlich Kosjenize)^) vorzugehen. Cr ließ — angesichts der schwie-
rigen Lage des Garde-Reservekorps, unter wesentlicher Einschränkung früherer Wünsche — hinzufügen: „Erfolg morgen möglich, wenn GardeReservekorps 1. nach Osten offensiv wird und nach Norden abwehrt — oder 2. umgekehrt verfährt. .." General v. Gallwitz ordnete nunmehr die Versammlung seines Korps für den 23. Oktober früh bei Glowatfchow an. Den
Entschluß, ob dann in der Richtung auf Kosjenize, auf Rytfchywol oder auf Warka angegriffen werde, behielt er sich vor, bis die Lage am folgenden
Morgen durch Lufterkundung geklärt sei. *) Auf der Karte nicht eingetragen.
480
23.Oktober.
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
Am 23. Oktober nahm die österreichisch-ungarische 1. Armee den Angriff mit Tagesanbruch auf der ganzen Front wieder auf. General Dankl hatte seinen linken Flügel verstärkt, da er den rechten an der Weichsel ausreichend gesichert glaubte. Im Laufe der Nacht aber hatten die Russen neue Kräfte nachgezogen und griffen nun auch ihrerseits an. Schon um 6™ vormittags begannen schwere Kämpfe in der Mitte und am linken Flügel. Bis die Lage vor dem Garde-Reservekorps so weit geklärt war, daß General v. Gallwitz den Angriffsbefehl gab, wurde es 9° vor-
mittags. Flieger hatten zwei Bataillone erkannt, die von Rytschywol am
südlichen Nadomka-Ufer aufwärts marschierten, während weitere Insanterie noch nördlich des Flusses bei Rytschywol lag. Der Feind bei Warka schien sich mit allen Teilen auf dem nördlichen Piliza-5lfer nach Westen gewendet zu haben; die österreichisch-ungarische Kavallerie-Division aber stand zunächst noch 15 km südwestlich Warka bei Stromjez. In dieser Lage wurde der 3. Garde-Division befohlen, „zur Unterstützung der bei Arsynow und Stanislawow^) kämpfenden Teile der österreichischen 12. Division über
Glowatschow auf Bfhufa und über Rogofhek auf Adamow"°) vorzugehen. Die immer noch zurück befindliche 1. Garde-Reserve-Division sollte auf Glowatschow und nördlich nachrücken, um die Deckung gegen Rorden zu übernehmen. Bis dahin blieb der linke Flügel der 3. Garde-Division durch Deckungsaufgaben gegen Rytschywol an der Radomka gebunden. Der Angriff dieser Division kam daher zunächst nur bei der auf dem rechten Flügel befindlichen 6. Garde-Brigade in Gang, erst am Nachmittag ging auch der linke vor. In südöstlicher Richtung angreifend, warf die 3. GardeDivision unter Generalleutnant Litzmann, ihrem neuernannten Kommandeur, bis zum Abend russische Infanterie und Artillerie aus ihren Stellungen an den Waldrändern 3 km östlich von Bshusa. Rechts daneben war
die neueingesetzte österreichische 43. Insanterie-Division bis auf gleiche Höhe vorgekommen. Mit diesen Erfolgen war jedoch noch nichts Entscheidendes erreicht, die Lage im Rücken des Garde-Refervekorps aber hatte sich bedrohlicher gestaltet. Wohl war die österreichisch-ungarische 3. Kavallerie-Division unter Feldmarschalleutnant Ritter v. Brudermann inzwischen wieder oft-
wärts vorgegangen und hatte südlich Warka starke russische Kavallerie zurückgetrieben; seit Mittag aber wußte General v. Gallwitz aus Fliegermeldun*) Beide Orte auf der Karte nicht eingetragen; sie liegen etwa 6 Km südöstlich der Radomka-Brücke von Bshusa.
2) Beide Orte nicht auf der Karte; Rogofhek liegt 3 Km nordwestlich Glowatfchow auf linkem Radomka-5lfer, Adamow gegenüber von Rogofhek auf dem rechten !lfer.
Die Schlacht bei Iwangorod.
4SI
gen, daß außer diesem Gegner noch ein ganzes russisches Korps bei Tarnow in vollem Übergange über die Weichsel war. Sein eigenes Korps stand mit der Front nach Osten, Norden und Nordwesten um Vshusa und Glo-
watschow. Die österreichisch-ungarische I.Armee hatte am 23.Ok¬
tober keine nennenswerten Fortschritte gemacht. Der russische Widerstand hatte sich versteift; die Lage des eigenen rechten Flügels war sogar recht ernst geworden. Hier hatte der Gegner, anscheinend Teile der 70. ReserveDivision, von Nowo-Alexandria her auf dem linken Weichsel-Afer festen Fuß fassen können, außerdem hatte er aber auch bei Kasimjersh den Brückenschlag begonnen. Das V. Korps unter Feldzeugmeister Puhallo v. Brlog hatte gegen diesen Feind im wesentlichen nur noch die ungarische 37.Infan¬ terie-Division einzusetzen gehabt; das X. Korps, das nun doch nach Norden marschierte, war noch weit ab. Cs gelang bis zum Abend nicht, den Gegner über die Weichsel zurückzuwerfen. Trotzdem wollte General Dankl den Angriff am nächsten Tage auf der ganzen Front fortsetzen. Auf wesentliche Unterstützung durch das deutsche Garde-Reservekorps rechnete er dabei angesichts der Lage in dessen Rücken nicht mehr.
Der 24.Oktober brachte Rückschläge auf beiden Flügeln der öfter-24-unb 25* reichisch-ungarischen 1. Armee.
Vor Nowo-Alexandria schien
die Lage vorübergehend so bedrohlich, daß General Dankl den Rückzug erwog; auf die zuversichtlichen Meldungen seiner beiden Kommandierenden Generale hin verschob er den endgültigen Entschluß aber auf den nächsten Morgen. Am 25. O k t o b e r wurden die Angriffe der Russen seltener und
schwächer; auch der Gegner war von den Kämpfen der letzten drei Tage ermattet. Die österreichisch-ungarische Armee konnte ihre Stellungen an diesem Tage halten. General Dankl wollte den Kampf auch am 26.fortsetzen,
nachdem inzwischen als Verstärkung hinter seinem rechten Flügel die ungarische 11. Kavallerie-Division eingetroffen war und für den 27.Oktober das Herankommen der vordersten Division des X. Korps zu erwarten stand. Am 29. sollten die beiden anderen Divisionen dieses Korps folgen, zwei weitere Kavallerie-Divisionen waren im Anmarsch hinter die Mitte der Armee. Eine Anregung des deutschen Armee-Oberkommandos auf noch weitere Verstärkung der verbündeten Armee vor Iwangorod hatte General v. Conrad aber schon am 24. Oktober mit der Begründung abgelehnt, „da
Entscheidung im schweren festungsartigen Kampf südlich Pschemysl noch
nicht abzusehen". Das deutsche Garde-Reservekorps war inzwischen immer mehr durch den von Rytschywol und Warka her drohenden Feind in Ant weltlrieg, V. Land.
31
" et*
482
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
spruch genommen worden, so daß schließlich nur die 5. Garde-Brigade unter Generalmajor v. Velow zur Unterstützung des verbündeten I. Korps auf dem rechten Radomka-User stand. Sie war am 24. Oktober im Walde
kämpfend noch einige Kilometer weiter nach Osten vorgedrungen, irgendwelche Entscheidung war hier aber nicht gefallen. Inzwischen rückten die Russen — wie es schien, mindestens eine Infanterie- und eine KavallerieDivision stark — von Rytschywol, Tarnow und Warka her gegen die
linke Flanke und den Rücken des Korps an. General v. Gallwitz führte am 25.0 k t o b e r 1V2 Divisionen zum Angriff gegen sie vor. Er stieß auf
beide Divisionen des russischen Grenadierkorps, gegen die sein Korps schon bei Nowo-Alexandria gefochten hatte. Weiter nördlich kämpfte eine gemischte Brigade der 41. Infanterie-Division des deutschen XX. Armeekorps unter Generalmajor v. Vöckmann und die österreichisch-ungarische 3. Kavallerie-Division in der Hauptsache gegen russische Kavallerie. Der 6. Garde-Infanterie-Brigade unter Generalmajor v. Friedeburg und der 1. Garde-Reserve-Division unter Generalmajor Albrecht gelang es, die
russischen Grenadiere, teilweise in schwerem Kampfe, einige Kilometer zurückzuwerfen und ihnen 1600 Gefangene abzunehmen'). Aber auch die eigenen Verluste waren beträchtlich; sie betrugen allein bei der 1. GardeReserve-Division mehr als 600 Mann. Eine volle Entscheidung war trotz
des schönen Anfangserfolges noch nicht erreicht. General v. Gallwitz wollte den Angriff am 26. Oktober fortsetzen, um den Gegner von Westen her gegen die Radomka zu werfen. Generaloberst v. Hindenburg war ein-
verstanden, trotz ernster Zweifel, ob sich die österreichisch-ungarische Armee vor Iwangorod weiterhin werde halten können, und trotz des bedrohlichen
Anwachsens des russischen Flügels westlich Warschau, das demnächst zur Verschiebung auch des Garde-Reservekorps nach Westen zwingen mußte. 2«.Oktober.
Der 26. Oktober brachte die Wendung: Vor dem GardeReservekorps war der Gegner nördlich der Radomka in der Nacht
auf eine weiter rückwärts gelegene Stellung ausgewichen. Andererseits mußte sich General D a n k l entschließen, dem dauernd wachsenden russischen Drucke nachzugeben. Cr wollte am folgenden Tage den Rückzug antreten. Doch die Ereignisse waren stärker: Die Russen hatten inzwischen auch südlich der IlshaM bei Solez auf dem linken Weichsel-Afer Fuß x)Korolkow, Warschau-Iwangorod, S. 216, gibt den Gesamtverlust des Korps auf 5000 Mann an und bemerkt dabei, der deutsche Angriff sei so heftig gewesen, daß das Grenadierkorps „zurückzufluten begann und nur mit Mühe zum Halten gebracht werden konnte".
Ende der Schlacht bei Iwangorod.
483
gefaßt. Schon gegen Mittag begann der rechte Flügel des österreichisch» ungarischen V. Korps südlich von Iwangorod zu weichen, und in den ersten Nachmittagsstunden traf auch das I. Korps ein Stoß, der südwestlich von Kosjenize den rechten Flügel der österreichischen 43. Infanterie-Division zum Einsturz brachte. Diese mit ihrem anderen Flügel an das deutsche Garde-Reservekorps angelehnte Division ging zurück, die übrigen Teile des I. Korps schlössen sich ihr an. So stellte der von General Dankl am 26. Oktober um 1° mittags ausgegebene Befehl zur Einleitung des Rückzuges tatsächlich nur noch die Genehmigung zu den schon im Gange befindlichen Bewegungen dar. Sie sollten am Abend dieses Tages bis in die allgemeine Linie Swolen—Iedlnia, am 27. bis Kasanow—Radom durch-
geführt werden. Gleichzeitig mit der Ausgabe an die eigenen Truppen hatte der Rückzugsbesehl auch an das deutsche Garde-Reservekorps, das man noch im An-
griff wußte, mitgeteilt werden sollen^). Beim Versuch, diese Nachricht über das deutsche XX. Armeekorps, zu dem man die zuverlässigste Fern-
fprechverbindung hatte, durchzubringen, griff dessen Generalstabschef ein. Oberst Hell hatte gerade Meldung erhalten vom günstigen Fortschreiten des Kampfes beim General v. Böckmann und sah auch die Gesamtlage nicht als unmittelbar bedrohlich an. Cr meinte daher, man solle das
Garde-Reservekorps nicht in seinem erfolgversprechenden Angriff stören, solle ihm den Befehl erst später mitteilen. Dem gab man von verbündeter Seite Folge-). Inzwischen aber erhielt das deutsche Oberkommando etwa um 4° nachmittags folgende Meldung des Führers der deutschen Fernsprechstelle in Radom an Oberstleutnant Hoffmann: „Ich habe eben einen
österreichischen Armeebefehl mitangehört, der hier durchgegangen ist und von dem ich annehme, daß er Sie interessieren wird. Die 1. österreichische Armee soll sogleich den Rückzug antreten; es soll dies aber dem deutschen GardeReservekorps nicht vor 6° abends gesagt werden"3). Diese Meldung
erweckte beim deutschen Oberkommando, das die Zusammenhänge nicht kannte, den irrigen Eindruck, daß die Mitteilung des Rückzugsbefehls von österreichifch-ungarischer Seite in eigennütziger Absicht verzögert werde. Auch sofortige Anordnungen des Generals Dankl zur Deckung der durch den Rückzug gefährdeten Flanke des deutschen Korps und nachfolgende Aufklämng vermochten den ersten Eindruck nicht zu verwischen. Cr wirkte beim Oberkommando um so nachhaltiger, als Klagen des Landwehrkorps über J) Kriegsarchiv Wien, Studie des Oberstleutnants v. Ioly. 2) Vgl. Conrad V, S. 265—285, wo dieser Hergang einwandfrei nachgewiesen ist. 3) Hoffmann, Krieg, S. 61. 31*
484
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
ungünstige Erfahrungen mit der Nachbarschaft österreichisch-ungarischer Truppen von Tarnawka her") noch in frischer Erinnerung waren. Für das Garde-Reservekorps blieb die Verzögerung in der Mitteilung des Rückzugsbefehls ohne jede Folge; der Russe drängte nirgends. General v. Gallwitz hatte das Vorgehen gegen die Front der neuen russischen Stellungen nördlich der Radomka mit Rücksicht auf die Gesamtlage schon am Vormittag angehalten. Rur die links anschließenden Teile des XX. Armeekorps nebst verbündeter 3. Kavallerie-Division,
unterstützt durch Teile der 1. Garde-Reserve-Division, standen südlich Warka im Kampfe. Eine Entscheidung war hier bisher nicht gefallen. Ohne irgendwie gestört zu werden, setzten sich die deutschen Truppen am Abend des 26. Oktober vom Gegner ab.
In der Nacht vom 26. zum 27. Oktober stand die österreichischungarische 1. Armee von der Ilshanka-Mündung über Swolen bis Iedlnia,
das deutsche Garde-Reservekorps links vorwärts gestaffelt bei Glowatschow und nordwestlich dieses Ortes. Der Gegner hielt sich zurück. Am Morgen des 27. Oktober sollte der Abzug fortgesetzt werden. Die von deutscher Seite mit Zweifeln, von österreichisch-ungarischer
mit Zuversicht begonnene Operation hatte nach fünftägigen, teilweise schweren Kämpfen mit einer Beute von fast 15 000 Gefangenen — davon mindestens 3000 durch das deutsche Garde-Reservekorps — abgebrochen
werden müssen. Die österreichisch-ungarische 1. Armee hatte 40000 bis 80 000 Mann verloren"), das Garde-Reservekorps 1000 Mann. Die Erwartung der österreichisch-ungarischen Heeresleitung, daß die feindlichen Massen über den Strom „hervorquellen" würden, sobald man die Übergangsstellen freigebe, war in Erfüllung gegangen. Dieses früh-
zeitige Nachdrängen hatte sich daraus ergeben, daß die Russen^) für den 20. Oktober ohnehin schon den Angriff befohlen hatten. Ihre Stärke wuchs aber, seit sie den Weichsel-Übergang unbehelligt vollziehen konnten, so rasch, daß sie alsbald eine erdrückende Überlegenheit gewannen. Ohnehin aber hätte die Lage westlich Warschau weiteres Verweilen vor Iwangorod bald unmöglich gemacht; nur durch einen großen Sieg an dieser Stelle oder auf dem österreichisch-ungarischen rechten Heeresflügel in Galizien wäre die Gesamtlage noch zu wenden gewesen. Statt dessen war das verbündete Heer inzwischen auch in Galizien in die Abwehr i) Band II, S. 334. — 2) Conrad V, S. 399. General Knox, der an den Kämpfen bei
dem über Iwangorod angreifenden russischen Gardekorps teilgenommen hat, zeichnete am 26. Oktober auf, das russische XXV. und XIV. Korps habe in vier Tagen 5000 Gefan¬ gene gemacht (Knox, S. 158). — 3) Näheres über die russischen Operationen siehe S. 494 f.
Ende der Schlacht bei Iwangorod.
485
gedrängt worden^). Seit dem 18. Oktober griffen die Russen auch am unteren San an und suchten gleichzeitig den österreichisch-ungarischen rechten Flügel in den Karpaten zu umfassen. Unter stellenweise großen Munitions-
und Verpflegungsschwierigkeiten hielten sich die verbündeten Truppen.
4. Der Rückzug aus Polen. a) Die Kämpfe auf dem Westflügel der 9. Armee und die Einleitung des Rückzuges. Hierzu Karten 15 und 17.
Solange die verbündete österreichisch-ungarische I.Armee vor Iwan-^'
gorod standhielt, hatte Generaloberst v. Hindenburg die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß sich der Angriff gegen die Russen nördlich der Piliza vielleicht doch noch ausführen lasse. Seit dem Ausweichen der Gruppe Mackensen vor Warschau in der Nacht zum 20. O k t o b e r2) hatte er die Masse seiner Armee in der fast 90 km breiten Front Vjelobshegi— Rawa—Gegend 15 km südlich von Lowitsch bereitgestellt, um zunächst ein-
mal den erwarteten Ansturm der Russen abzufangen. Auf dem rechten Flügel stand das wieder vereinigte XX. Armeekorps in ausgedehnter Front hinter der breiten und vielfach sumpfigen Niederung der Piliza, zwischen Nowe-Mjasto und Rawa schloß sich das Landwehrkorps an und dann folgte die Gruppe Mackensen, in deren Mitte — von den beiden Divi-
sionen des XVII. Armeekorps eingerahmt — das Korps Frommel. Weiter links war der fast 50 km breite Raum bis zur Weichsel nur durch zwei
Kavallerie-Divisionen und Landsturm gedeckt. Das XI. Armeekorps lag noch bei Radom und westlich. Schon am 20. Oktober hatten die Russen begonnen, den Truppen des Generals v. Mackensen in breiter Front zu folgen. Wie man beim deutschen
Oberkommando die Lage in den darauf folgenden Tagen auffaßte, ergibt eine Aufzeichnung im Kriegstagebuch vom 23. Oktober: „Nach
den Meldungen der Korps und den zahlreichen aufgefangenen russischen
Funksprüchen ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß die Russen füdlich Warschau verhältnismäßig schwach, an der Rawka und Vsura aber sehr stark sind. Entweder fürchten sie eine Umfassung ihres rechten Flügels von Thorn her — oder, was bei ihrer Stärke wahrscheinlicher, sie beabsichtigen
eine Offensive unter Umfassung des deutschen linken Flügels und gleichzeitiger Festhaltung der verbündeten Kräfte vor Iwangorod. — Trotz des
heutigen Erfolges vor Iwangorod hat sich die Lage der deutschen Armee *) Vgl. S. 472 und die Übersicht auf S. SSV. — 2) S. 471.
485
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
wegen der Verhältnisse auf dem linken Flügel und der weiter zunehmenden
numerischen Überlegenheit nicht gebessert. Außerdem glaubt Armee-Oberkommando für bevorstehende Entscheidung auf eine österreichische Mitwir. kung kaum rechnen zu können."
Ob der geplante Stoß über die untere
Piliza gegen Warschau") noch möglich sei, war daher immer fraglicher geworden. Das zur Mitwirkung dabei in Aussicht genommene XI. Armee,
korps hatte nach dem bedrohten äußersten linken Flügel in Marsch gesetzt werden müssen, und General v. Mackensen hatte Weisung erhalten^ die weitere Zurücknahme dieses Flügels vorzubereiten. Am 24. Oktober, als der Gegner an die Stellungen der Gruppe Mackensen dicht herangekommen war, wich diese aus, mit ihrem äuße-
ren Flügel nach Kolazinek, südlich von Lowitsch. Weiter nördlich gingen das Kavalleriekorps und Landsturm, die Russen abwehrend, nach Westen zurück. Nur nahe der Stadt Rawa, wo sich der Druck des Gegners schon tags zuvor am stärksten fühlbar gemacht hatte, kam es zu einem Zwischenfall: hier waren Teile der 21. Landwehr-Brigade in die Front der 35. InfanterieDivision eingeschoben. Infolge von Unstimmigkeiten in der Befehlsübermittlung rückte die Landwehr-Infanterie ab, während Batterien der aktiven
Division stehenblieben; elf Geschütze fielen dem scharf drängenden russischen I. Korps in die Hand. Der Gegner erschien stellenweise schon am 25. Oktober vor den neuen Stellungen des Generals v. Mackensen. Gegen sie und das rechts anschließende Landwehrkorps unternahm er heftige, aber unzufammen-
hängende Angriffe. Dabei gelang es Teilen der russischen 22. InfanterieDivision vom I. Korps, bei Gluchow, westlich Rawa, im Morgennebel auf der Grenze zwischen deutscher 35. Infanterie-Division und 21. Landwehr-Vrigade tief in die Stellung einzudringen; ein Gegenstoß, den der Kommandeur der 87. Insanterie-Vrigade, Generalmajor v. Hahn, mit
geringen Reserven führte, schnitt die eingedrungenen Russen ab; ihre Reste fielen in Gefangenschaft. Gleichzeitig bedrohten aber russische Kräfte aus der Gegend nördlich von Lods auch schon den westlichen Flügel der Gruppe Mackensen. Hier war inzwischen das deutsche XI. Armeekorps unter General v. Plüskow im Anmarsch. Seine vordere, 38. Infanterie-Division unter Generalleutnant Wagner griff bei Strykow an und warf den Gegner; die 22. Infanterie-Division war noch weiter zurück^).
Beim Armee-Oberkommando hatten sich inzwischen die Nachrichten über das Anwachsen des russischen rechten Heeresflügels immer mehr verdichtet. Dieser schien geradeaus nach Westen zu marschieren, er S. 465 und 467. — -) S. 476.
487
9. Armee, Operationen südwestlich Warschau.
war bis zum 25.Oktober zwischen Rawa und der Weichsel in Stärke
von mindestens zehn Infanterie-Divisionen festgestellt: I., IV., XXIII., II. Korps, 50. Infanterie-Division und 79. Reserve-Division. Damit schon
stand die große zahlenmäßige Überlegenheit 5es Gegners auf diesem Flügel zweifelsfrei fest; vielleicht waren aber dort noch weitere Kräfte im An-
marsch: das VI. Korps, das bisher nördlich Rowogeorgiewsk gestanden hatte, und das II. sibirische Korps.
Schließlich hieß es in einem der
gerade in diesen Tagen besonders zahlreich aufgefangenen russischen Funksprüche, der als „sehr dringend" an das II. Korps gerichtet war: „vom 25. zum 26. Oktober werden Teile der neuen Rennenkampffchen Armee, der Stab bei der 6. sibirischen Division, V. sibirisches Korps, an die untere Weichsel vorgehen"^). Auch wenn dieser Funkspruch — was man damals beim Armee-Oberkommando für möglich hielt — ein „Bluff" war, so hatte
sich die Lage auf dem deutschen Westflügel doch so ernst gestaltet, daß sie ohne baldigen Erfolg des österreichisch-ungarischen Heeres unhaltbar wurde.
Die Hoffnung auf solche Wendung bestand aber kaum noch. Andererseits war ein Rückzug nach Westen, der dem Gegner den nächsten Weg in das
Herz der deutschen Heimat verwehrt hätte, schon jetzt nicht mehr möglich. Man konnte nur noch in s ü d westlicher Richtung ausweichen, wobei man sich von der Richtung auf Verlin, die dann in der linken Flanke blieb, mit
jedem Schritte weiter entfernte. Als erste Vorbereitung für solchen Rückzug war an das Stellvertretende Generalkommando des VI. Armeekorps in Breslau bereits am 20. Oktober der Befehl ergangen, die aus der Linie
Kjelzy—Roworadomfk nach Süden führenden Straßen instand zu setzen. Als es am 25. Oktober zweifelhaft wurde, ob sich die österreichisch-ungarische l. Armee weiterhin auch nur behaupten könne, folgten an dasselbe Generalkommando und an die Etappen-Inspektion in Roworadomfk Weisungen für
den sofortigen Ausbau einer Stellung durch Pioniere und Zivilbevölkerung in der Linie Roworadomfk—Wjelun. Die deutsche 9. Armee war mit ihrem Ausharren bis an die Grenze 2s.s«ober.
des Möglichen gegangen. Für sie fiel mit dem Rückzüge der österreichischungarischen 1. Armee von Iwangorod am 26. O k to be r die Entscheidung.
Die deutsche Armee ohne Aussicht auf baldige Wendung noch länger den Gefahren der Umklammerung auszusetzen, hätte sich nicht verantworten lassen. Was weiter werden sollte, war zunächst ungeklärt.
Die vorberei-
teten umfangreichen Bahn- und Wegezerstörungen') sollten den feindlichen Vormarsch aufhalten; beim Oberkommando rechnete man damit, daß er *) Wortlaut der Übertragung so in den Akten. — -) S. 425. 442 und 448.
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
488
nach IVO, allenfalls 120 km zum mindesten für einige Tage zum Stehen kommen müsse"). Der Wunsch, unter Ausnützung dieser Pause einen neuen
Schlag zu führen, beseelte die Armeeführung, denn sie fühlte sich nach wie vor als Sieger und dem Gegner überlegen, wenn nur das Zahlenverhältnis
nicht allzu ungünstig war. Wie ernst man die Lage aber doch auffaßte, zeigt folgende Meldung, die am 26. Oktober um 1" mittags an die Oberste Heeresleitung ging, als man gerade erfahren hatte, daß die verbündete 1. Armee am folgen¬
den Tage zurückgehen wollet: „Österreicher gehen 27. Oktober von Iwan-
gorod zurück. Deutsche Offensive über Piliza daher ausgeschlossen. Auch 9. Armee wird zurückgehen müssen. — 8. Armee aufgefordert, alle ver¬
fügbaren Teile nach Thorn zu senden. Alle noch im Inlande befindlichen Formationen nach Posen erbeten. Vor 9. Armee 14 russische Korps, von denen 4 bis 5 unseren linken Flügel überragen.
Vormarsch dieser
gegen deutsche Grenze kann von Armee nicht gehindert werden. — Von
österreichischer Armee nichts zu erwarten. Eigene Landwehr läßt teilweise nach." Als sich dann am Nachmittag des 26. Oktober herausstellte, daß die verbündete 1. Armee dem russischen Druck schonandiesemTage
nachgegeben hatte, erschien die Lage noch bedrohlicher. Der Obersten Heeresleitung wurde um 730 abends weiter gemeldet: „Eigene Armee heute
alle russischen Angriffe zurückgeschlagen. Osterreichische Armee bei Iwangorod von Russen durchbrochen und geworfen. 9. Armee muß deshalb vom
rechten Flügel Rückzug beginnen. Wo österreichische Armee zum Stehen zu bringen, läßt sich noch nicht übersehen"3). Durch Fernsprecher wurde bei der Obersten Heeresleitung angefragt, ob und wann etwa auf Verstärkungen für den Osten zu rechnen sei. Es galt vor allem, die Besatzungen der Ostfestungen wieder zu ergänzen, nachdem sie ihre kampfkräftigsten Teile, die Hauptreferven und die bespannte schwere Artillerie, zur Ver¬ wendung im freien Felde abgegeben hatten^), wo sie auch fernerhin nicht entbehrt werden konnten.
Zu dieser Zeit war die deutsche Offensive in Flandern3) noch in vollem Gange.
General v. Falkenhayn antwortete: „Im Inlande gegen¬
wärtig gefechtsfähige Formationen nicht vorhanden. Heeresleitung anheimi) Hoffmann, Krieg, S. 63. — 2) S. 482 f.
3) Die in diesen Meldungen enthaltenen Werturteile über österreichisch-unga¬ rische Truppen geben lediglich den Eindruck wieder, den das Oberkommando der deutschen 9. Armee unter Zugrundelegung der an die eigenen Truppen gestellten An-
sorderungen damals hatte. 4) 35. Reserve-Division von Thorn, Landwehr-Divisiou Bredow von Posen, 21. Landwehr-Brigade von Breslau. — 5) S. 321 f. und 329s.
9. Armee — Der Rückzugsbefehl.
489
stellt, Crsatzformationen dortiger Korps in die Ostfestungen zu werfen. Die Wichtigkeit, die Ostfestungen mit Besatzungen zu versehen, wird ArmeeOberkommando 9 klar sein. Von hier geht 5.Kavallerie-Division in etwa drei Tagen mit Bahntransport Richtung Posen ab. Aufrechterhaltung innigen Verhältnisses zu Österreichern von größter politischer Bedeutung. Im übrigen können von hier aus Weisungen für dortige Maßnahmen nicht
gegeben werden, die in bester Hand liegen." Am folgenden Tage stellte General v. Falkenhayn für den Osten „rund 40 000 ausgebildete Leute ohne
Offiziere und mit wenig Unteroffizieren" zur Verfügung; sie wurden vom Armee-Oberkommando je zur Hälfte für die Auffüllung der fechtenden Truppen^) und der Festungsbesatzungen bestimmt. Am 27. Oktober um 9° vormittags befahl G eneral-27* ob er st v. Hindenburg den Rückzug.
Cr mußte von dem am
meisten bedrohten rechten Armeeflügel beginnen, während der linke bei Lods noch zu halten hatte. Hier schob General v. Plüskow, der Kommandierende General des XI. Armeekorps, nach dem Erfolge bei Strykow seine hintere 22.Infanterie-Division westwärts hinaus und hielt so auch noch den 28.0 k t o b e r über die Gegend nördlich von Lods.
Inzwischen hatte
sich der rechte Armeeflügel nach und nach dem Rückzüge der österreichischungarischen 1. Armee und des Garde-Reservekorps angeschlossen. In der Nacht zum 28. Oktober wichen auch das Landwehrkorps und die Gruppe Mackensen aus, noch einen Tag später folgte als letzter Verband das XI. Armeekorps. Der Feind drängte nicht. Der deutsche Rückzug führte im Anschluß an die verbündete 1. Armee für das Garde-Reservekorps, das XX. Armeekorps und das Landwehrkorps zunächst in die Linie Kjelzy—Roworadomsk, während die GruppeMackensen, nunmehr XVII. Armeekorps, Korps Frommel, XI. Armeekorps und Kavalleriekorps Korda umfassend, in die vorbereitete Stellung Rowo-
radomsk—Wjelun zurückgehen sollte. In der linken Flanke wurde Grenzschütz vom Stellvertretenden Generalkommando des V. und II. Armeekorps gegen die obere Warthe und nördlich vorgeschoben; er bestand fast nur aus Landsturm mit sehr schwacher Artillerie und sollte in der über 160 km
breiten Lücke zwischen Wjelun und der Außenabteilung der Festung Thorn bei Wlozlawek an der Weichsel verschleiern und gedrängt auf die Grenze
zurückweichen. Die Ostfestungen machten sich für den Empfang des Geg¬ *) Das Garde-Reservekorps erhielt 5000, das XI. Armeekorps 3000, das XVII.
und XX. Armeekorps je 6000, die Festungen Breslau, Posen, Thorn und Graudenz je 5000 Mann.
30* '
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
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ners bereit.
Die Zuweisung von Ergänzungsmannschaften und die Rück-
gäbe eines Teiles ihrer bei der Feldarmee befindlichen bespannten Artillerie hob ihre Verteidigungskraft, soweit das eben möglich war. Die Weichsel oberhalb von Thorn sollte durch Minen gesperrt werden. Die 8. Armee in Ostpreußen") hatte man den ganzen Ernst der
Lage in Polen zunächst noch nicht wissen lassen. Für ihre geringen Kräfte bestand vorläufig keine unmittelbare Gefahr; mit der Bahn, Teile auch über die Nehrung und auf dem Wasserwege, konnte man sie nötigenfalls
noch in letzter Stunde zurücknehmen. Je länger General v. Francis sich hielt, um so mehr entlastete er auch die Front der 9. Armee. Auf die am 26. Oktober vom Generalobersten v. Hindenburg an ihn gesandte Auf. forderung, alle verfügbaren Kräfte nach Thorn zu schicken, war keine Antwort eingegangen. Am 28. Oktober meldete General v. Franyois an die Oberste Heeresleitung auf eine unmittelbare Anfrage von dort, er befinde sich „im
fortschreitenden Angriff gegen überlegenen verschanzten Feind.
Entschei-
dung etwa in acht Tagen zu erwarten. Nach Waffenerfolg Abtransport von Teilen nach Thorn für 9. Armee. Höhe der Abgaben an 9. Armee abhängig von Umfang des Erfolges. Rest bleibt auf russischem Boden zum Schutze von Ostpreußen." Angesichts der Gesamtlage erregten diese Absichten beim General v. Falkenhayn doch starke Bedenken. Als er dem Generalobersten v. Hindenburg, der seitens der 8. Armee bisher
noch nicht unterrichtet war, von ihnen Kenntnis gab, ließ dieser am 28.0 k t o b e r abends an General v. Franczois drahten: „Lage wird Einsatz
starker Kräfte 8. Armee zum Schutze Westpreußens baldigst nötig machen. Ersuche um eingehende Meldung über Verhältnisse bei 8. Armee." General v. Frantzois antwortete am 29. O k t o b e r, es sei noch nicht zu übersehen,
wann die Entscheidung falle; „nach Waffenerfolg Abtransport von ein bis
zwei Armeekorps nach Thorn beabsichtigt. Muß Angriff vorzeitig aufgegeben werden wegen Westpreußen, voraussichtlich allmählicher Rückzug und damit Freigabe von ostpreußischem Gebiet erforderlich.
Bitte 8. Armee dauernd
über dortige Absichten und Stellung zu unterrichten." In dieser Antwort sah man beim Armee-Oberkommando 9 ein abermaliges Ausweichen und
bat die Oberste Heeresleitung, einzugreifen. Da meldete General v. Franyois am 39. O k t o b e r, er könne den Angriff wegen Mangel an Munition nicht
weiterführen. Erst hiermit kam an der ostpreußischen Front die Frage des Rückzuges hinter die Seen und der Abgabe von Truppen nach Thorn in Fluß. Inzwischen hatte die deutsche 9. Armee den Rückzug unbehindert ') Vgl. 6. 540.
9. Armee — Der Rückzug aus Polen.
4SI
fortgesetzt. Ein Vorschlag des Generals v. Mackensen, der vor allem mit
Rücksicht auf die eigene Truppe auf baldiges Wiederfrontmachen abzielte und auch der Auffassung des Generals v. Gallwitz entsprach, war vom Generaloberst v. Hindenburg abgelehnt worden. Nur wenn man sich weit vom Gegner absetzte, bot sich die Möglichkeit, wieder Operationsfreiheit zu erlangen. So näherte sich die Armee in den letzten Oktobertagen den Grenzen Schlesiens. Im Anschluß an sie war die I.Armee des öfter-
reichisch-ungarischen Heeres im langsamen Ausweichen, während rechts der Weichsel die verbündete Front noch stand. Bei ihr hatten sich die Aussichten seit dem 27. Oktober sogar etwas gebessert; die Karpatenbahn war bis Chyrow wieder instand gebracht. Der Nachschub zu der dort stehenden 2. Armee floß reichlicher. General v. Vöhm-Ermolli hatte daher am 28. Oktober wieder zum Angriff übergehen können. Cr hatte örtliche Erfolge erzielt, die aber an der Gesamtlage nichts Entscheidendes mehr zu Ändern vermochten.
b) Die russischen Operationen und Würdigung des Oktober-Feldzuges. Hierzu Karten 14 bis 17.
Nach den Rückschlägen des 10. und 11. Oktober^) hatte General 10- bis 14. oi. Zwanow beim Großfürsten eine neue persönliche Aussprache in Cholm^) °et*
angeregt; sie fand am 12. Oktober statt. Bei dieser Gelegenheit wies General Iwanow vor allem darauf hin, wie sehr sich die Zuführung von
Verstärkungen der Nordwestfront nach Warschau verzögere. Diese Klagen, die bisherige Entwicklung der Lage und ein gewisses, nach den Mißerfolgen an der Weichsel-Linie erklärliches Mißtrauen gegen die Führung des Generals Iwanows, besonders aber die Sorge um Warschau, das man
zu diesem Zeitpunkte ernstlich gefährdet glaubte, veranlaßten den Obersten Befehlshaber, die Leitung des großen Angriffs nunmehr selbst in die Hand zu nehmen. Der Großfürst war der „Meinung, daß sich an der Weichsel das Schicksal der ganzen ersten Kriegsperiode entscheiden müßte, weshalb zur
Erreichung eines Erfolges hier ein Höchstmaß an Kraftanstrengung erforderlich war. Unter diesen Umständen war es nicht mehr angängig, weiterhin in der Rolle eines Beobachters zu verharren"^). Am 13. Oktober
befahl die Oberste Heeresleitung, daß General Rußki, dem jetzt die RarewGruppe (—bisherige Abteilung Warschau), die 2. Armee, das Kavalleriekorps Nowikow und auch noch die 5.Armee unterstellt wurden, von Warschau her den Hauptschlag gegen die deutsche linke Flanke führen solle. 4) Anschluß an 6.462. — 2) Korolkow, Überblick, S. 52; Danilow, S. 315 ff. — *) Ebenda, S. 317. — *) Ebenda.
492
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
während General Iwanow mit der 4. und 9. Armee südlich der Piliza in
der Front anzugreifen habe.
Als Zeitpunkt der allgemeinen Offensive
wurde der 18. Oktober festgesetzt.
Inzwischen gingen die schon geschilderten örtlichen Kämpfe bei Warschau und Iwangorod weiter.
Südlich von Warschau^) hatte die noch in der Versammlung begriffene russische 2. Armee zunächst gar nicht erkannt, daß die Truppen des Generals v. Mackensen seit dem 11. Oktober abends zur Abwehr übergegangen waren. Am 14. Oktober wurde bei einem abgeschossenen deut-
schen Flieger eine Karte mit Cinzeichnung der deutschen Kräfte zwischen Sochatschew und Iwangorod erbeutet. Trotzdem erweckte das Eingreifen der 36. Infanterie-Division an demselben Tage bei Vlonje und das An¬ rücken der 21. Landwehr-Brigade und der Landsturm-Brigade Hoffmann
beim General Scheidemann den Eindruck eines großen deutschen Umfassungsangriffs gegen den eigenen Westflügel, da der Nachrichtendienst immer wieder die Aufstellung zweier neuer deutscher Korps bei Thorn meldete. So dienten die russischen Angriffe an diesem Frontabschnitte zunächst nur der Abwehr, während weiter nördlich das VI. und das I. turkestanische Korps, bisher zur 10. Armee gehörig, Flanke und Rücken gegen Ostpreußen deckten^). General Scheidemann zog das XXIII. Korps, die 50. Infanterie-, die 13. sibirische Schützen-Division und das Kavalleriekorps Nowikow (5., 8., 14. Kavallerie-Division), die am 14. Oktober im
Warschauer Festungsbereich eintrafen, als Verstärkung hinter seinen rechten bis^is.or-Mügel. Am 16. Oktober mußte das bisherige rechte Flügelkorps, II. sibirisches, angesichts deutscher Gegenangriffe durch die 1. SchützenBrigade des XXIII. Korps gestützt werden, und das ostwärts anschließende IV. Korps konnte seine Stellungen nur mit Mühe behaupten, obgleich jetzt südlich und westlich von Warschau 121/2 russische Infanterie- und 5 Kavallerie-Divisionen gegen nur 51j2 deutsche Infanterie- und 1 Kavallerie-
Division standen^). General Scheidemann befahl hartnäckige Verteidigung. Auch am 18. Oktober hielt sich der russische rechte Flügel noch für angegriffen und „konnte sich kaum halten". Das Kavalleriekorps Nowikow und Kavallerie der 2. Armee stießen an der unteren Vsura auf
deutsche Infanterie; zur Unterstützung wurde die 79. Reserve-Division, Hauptreserve von Nowogeorgiewsk, in Marsch gesetzt, während eine Brigade des XXIII. Korps auch weiterhin als Besatzung in der Festung blieb. Unterhalb von Iwangorod^) wurde der auf dem westlichen *) S. 450 f., 456 f. und 470. — 2) Vgl. S. 545. — 3) Korolkow, Warschau-Iwangorod, S. 127. — *)S.469ff.
Angriffsplan und Vorbereitungen der Russen.
493
Weichsel-!lfer gewonnene Brückenkopf unter ständigen Kämpfen weiter ausgebaut. Neue Truppen rückten über den Strom nach. Gegenüber von Kosjenize hatte sich das XVII. Korps festgesetzt, weiter südlich das III. kaukasische, bei ihnen befanden sich die 61. und die */2 75. Reserve-Division. Abgesehen von der Artillerie der Festung Iwangorod (34 schwere Geschütze), standen etwa 350 russische Geschütze gegen nur etwa 170 deutsche. Trotzdem
wurden alle weitergehenden russischen Angriffsversuche durch das überlegene deutsche Artilleriefeuer erstickt. General Cwert mußte an Haushalten mit der Munition erinnern. Am 17. Oktober spitzte sich die Lage durch Anschwellen der Weichsel zu einer ernsten Krisis zu; die Brücke von Pawlowize drohte zu reißen. Der allgemeine Angriff der 2., 5. und 9. Armee war auf den 18. Ok-
tober festgesetzt; dieser Tag aber ließ sich nicht innehalten. Die Versammlung der Truppen beanspruchte mehr Zeit, als man dafür in Ansatz ge-
bracht hatte. Daß der Vahnverkehr Lublin—Iwangorod— Warschau bei Rowo-Alexandria durch deutsches Artilleriefeuer mehrere Tage hindurch gestört, vielleicht sogar ganz unterbrochen wurde, scheint die Schwierigkeiten wesentlich erhöht zu Habens. Die Verschiebungen nach Norden legten den Truppen der 5., 4. und 9. Armee ganz außerordentliche Anstrengungen und Entbehrungen auf. Die 5. Armee, die zum großen Teil mit der Bahn vom San in den Raum südöstlich von Warschau gefahren wurde, soll
sechs Tage ohne Brot gewesen sein^). Man mußte sich entschließen, den allgemeinen Angriff hinauszuschieben; inzwischen sollte aber wenigstens der linke Flügel der 2. Armee weiter vorgehen, damit er der 5. Armee den Äbergang über die Weichsel öffne. So traten am 18. Oktober das I. Korps
und das I. sibirische Korps, dieses noch verstärkt durch die 13. sibirische Schützen-Division, längs des Stromes zum Angriff nach Süden an. Hinter ihrer Front begann das XIX. Korps, das nördlichste der 5. Armee, bei
Kartschew auf das linke Flußufer überzusetzen. Der russische Angriff, der auf dm Gegenangriff der deutschen 87. Infanterie-Brigade traf"), fand „hartnäckigsten Widerstand" und kam än diesem Tage nur wenige Kilometer vorwärts. Am 19. Oktober wurde er nicht weiter fortgesetzt, da
sich der Übergang der 5. Armee inzwischen weiter verzögerte; ihr Brücken*) Danilow, S. 314. — Knox berichtet unter dem 12.Oktober, daß die Bahn am 11. abends durch deutsches Artilleriefeuer beschädigt wurde, am 12.nachmittags aber wieder hergestellt war (S. 144), — ferner unter dem 16. Oktober, die Strecke sei „wegen
deutschen Feuers für den Verkehr noch gesperrt" (S. 149). 2) Knox, S. 142. — -) S. 470.
494
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
gerät war vom San her verspätet eingetroffen und kam auf grundlosen Wegen nicht vorwärts; bis zum Abend des Tages hatten vom XIX. Korps nur Infanterie und zwölf Geschütze übergesetzt werden können.
Nun aber erweckte die Verschiebung öfterreichisch-ungarischer Kräfte nach Norden in die Gegend von Iwangorod bei der russischen Obersten Heeresleitung Besorgnisse. Auch mit der Möglichkeit des Eintreffens deut° scher Verstärkungen wurde wieder gerechnet; der Abtransport der in Deutschland neuaufgestellten Reservekorps mag den Anstoß dazu gegeben haben. Ein neuer großer Angriff des Gegners schien bevorzustehen. Der Großfürst entschloß sich, nicht mehr länger zu warten; er setzte den russi-
schenallgemeinenAngriffaufden20. Oktoberfest. Obgleich auch zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs alles dafür bereit sein konnte, begann die Vorwärtsbewegung doch wie befohlen. 'tob^rS''
Das Ausweichen der Gruppe Mackensen in der Nacht zum 20.und des Garde-Reservekorps in der Nacht zum 21. Oktober war für die Russen
eine völlige Überraschung.
Sie folgten vorsichtig; ihre 2. und 5. Armee
kamen auf zerstörten Wegen nur langsam vorwärts; am 22. Oktober
legte General Rußki für sie einen Ruhetag ein, während die 4. Armee bei Iwangorod auf den Gegenangriff des Generals Dankl stieß. Roch ohne Kenntnis von der Bedeutung der Kämpfe, die sich hieraus entwickelten, gab der Großfürst an diesem Tage einen Verfolgungsbefehl, der den Angriffsarmeen (2., 5., 4. und 9.) die Linie Kutno—Tomaschow (an der Piliza)—Sandomir als Ziel setzte.
Durch Wegezerstörungen und Kämpfe gegen deutsche Nachhuten aufgehalten, langten die aus der Richtung von Warschau vorgehenden Truppen des Generals Rußki am 24. Oktober vor den deutschen Stellungen an, die sich, südlich von Lowitsch beginnend, über Rawa und
Rowe-Mjasto nach Vjelobshegi hinzogen. Mit 18V2 Infanterie- und 6j/4 Kavallerie-Divisionen') begannen die Russen hier den Angriff gegen 8 deutsche Infanterie-Divisionen, davon die Hälfte Landwehr, und 2 Kavallerie-Divisionen^). Deutsche Vortruppen wurden zurückgedrängt, an die Hauptstellung kamen die Russen aber an diesem Tage noch nirgends heran. Als der Angriff am 25. Oktober fortgesetzt werden sollte, hatten die *) %XXVII. Korps und 79. Reserve-Division der Narew-Gruppe; — II., XXIII., II. sibirisches, IV., I. Korps der 2. Armee; — I. sibirisches, XIX. Korps, 69. und 13. sibirische Division der 5.Armee.
2) VzXX.Armeekorps,Landwehrkorps, Gruppe Mackensen, % XI. Armeekorps und Kavalleriekorps Korda.
Der große russische Angriff.
495
Deutschen vor der 2.Armee ihre Stellungen geräumt. Weiter östlich kam das Vorgehen an der Piliza zum Stehen. Mit der 2.Armee nahm General
Scheidemann die Verfolgung mit Nachdruck auf und erschien stellenweise schon am Abend des Tages vor den neuen Stellungen der Gruppe Mackensen und des Landwehrkorps, die sich von Kolazinek südlich an Rawa vorbei zur Piliza zogen. Als die Russen am 26. Oktober gegen diese Stellungen
zum Angriff ansetzten, wurden sie unter ernsten Verlusten abgewiesen. Inzwischen aber hatten die Ereignisse bei Iwangorod auch auf die Lage südlich von Warschau einzuwirken begonnen. Bei Iwangorod hatte die 4.Armee, entsprechend dem Befehle des Großfürsten zum allgemeinen Angriff, am Morgen des 20. r bei Kosjenize und südlich mit dem XVII. und dem III. kaukasischen Korps in einer Gesamtstärke von 572 Divisionen den Angriff wieder ausgenommen')
und bald erkannt, daß die Deutschen ihre bisherigen Stellungen teilweise geräumt hatten; das Artilleriefeuer der Deutschen schien schwächer; man konnte abends bis auf wenige hundert Schritt an ihre Stellungen herankommen. So gewann der Oberbefehlshaber der Südwestfront bereits am Abend des 20. Oktober den Eindruck, daß die Deutschen abzögen. Cr war
seitdem bemüht, den Stromübergang seiner Truppen zu beschleunigen. S russische Divisionen folgten den abziehenden Verbündeten von Kosjenize und Iwangorod schon am 21. Oktober unmittelbar, wenn auch ohne zu
drängen. Abends erreichte das XVII. Korps die Linie Waldrand östlich Vshusa—Iedlnia, südlich davon war das III. kaukasische Korps noch zurück; zwischen beiden Korps war eine größere Lücke entstanden. Nur der durch den nächtlichen Abmarsch des deutschen Garde-Reservekorps gewonnene Vorsprung trennte Freund und Feind. Am 22. Oktober sollte der russische Vormarsch mit allen Kräften fortgesetzt werden; die UralKosaken-Division und hinter ihr das XVI. Korps sollten über die Brücke von Pawlowize folgen, das Grenadierkorps und die Transbaikal-KofakenBrigade weiter nördlich bei Tarnow über den Strom gehen. Der Gegen-
angriff der Armee Dankl brachte die russische Vorwärtsbewegung zum Stehen und führte zu ernsten Rückschlägen, obgleich die Russen bei Iedlnia durchaus in der Äbermacht waren. Als dann das deutsche Garde-Reservekorps von Radom her über Glowatschow gerade gegen die Naht der beiden
Heeresgruppen zwischen 5.und 4. Armee vorwärtsdrückte, geriet die russische Oberste Heeresleitung in Sorge, denn der auf Gora-Kalwaria angesetzte linke Flügel der 5. Armee, V. Korps, war infolge verspäteten Weichsel-
Überganges noch zurück. *) Vgl, S. 477.
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
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Durch Befehl vom 25. Oktober") ließ der Großfürst die aus-
sichtsreiche, nach Westen gerichtete Vorwärtsbewegung des umfassenden Heeresflügels, 2. und 5. Armee, anhalten. „Man mußte natürlich annehmen, daß der Gegner die Offensive nur aufgegeben und den Rückzug angetreten habe, um durch Umgruppierung ein neues Manöver zu unternehmen. Es wäre daher gewagt gewesen, wenn jede der beiden Heeres-
gruppen für sich die Verfolgung fortsetzte, um so mehr, als sich durch das Zurückbleiben des V. und des Grenadierkorps schon eine Lücke zwischen ihnen gebildet hatte*)."
Zunächst wollte man „das Ergebnis gegen die
Österreicher abwarten"3) und dazu den Gegner bei Radom schlagen; der linke Flügel der 5. Armee sollte ihm über die Piliza in den Rücken stoßen, während das Grenadierkorps, rechter Flügel der 4. Armee, zwischen Piliza und Radomka über die Weichsel angriff. Dieser Versuch scheiterte am Widerstande des deutschen XX. Armeekorps und am Gegenstoß des
Garde-Reservekorps. Inzwischen aber waren bei Pawlowize und Iwan-gorod das russische XVI. Korps und das Gardekorps über die Weichsel gefolgt, bei Nowo-Alexandria begann das XXV. Korps den Übergang, ihm folgte das XIV. Bis zum 26. Oktober wuchsen die russischen
Kräfte auf dem linken Weichsel-Ufer südlich der Piliza auf 173/4 Divisionen an4) und gewannen damit gegen 21/2 deutsche und 7 artilleristisch schwache
österreichisch-ungarische Divisionen ein erdrückendes Übergewicht.
Die
Armee Dankl mußte den Rückzug antreten. An demselben 26. Oktober war der Angriff des rechten Heeresflügels (2. Armee) vor den deutschen Stellungen östlich Lods abgewiesen worden. Cr wurde zunächst nicht wieder aufgenommen. Damit trat gerade auf dem zur Umfassung angesetzten, entscheidenden Flügel in dem Augenblick ein Stillstand ein, als der Gegner vor Iwangorod wich; der Flügel sollte erst verstärkt werden. Die vom deutschen Oberkommando mit Mißtrauen aufgenommene Nachricht von der „neuen Rennenkampf-Armee"°) war zutreffend gewesen. Seit dem 26. Oktober bildete sich nordwestlich Warschau tatsäch*) Korolkow, Überblick, S. 68. — 2) Bei Korolkow, Warschau-Iwangorod, S. 183, werden diese Gründe, wenn auch in etwas anderem Zusammenhange, angeführt. —
s) Danilow, S. 327.
4) Vom rechten Flügel beginnend: Grenadierkorps nebst % 7. InfanterieDivision, Transbaikal - Kosaken - Brigade und Ural ° Kosaken - Division, XVI. Korps,
XV 1,1. Korps nebst 61. Reserve-Division (die 81. Reserve-Division war noch auf dem
rechten !Iser), III. kaukasisches Korps nebst 75.Reserve-Division, Gardekorps mit Garde - Schützen-
und
selbständiger
Garde - Kavallerie - Brigade,
XXV. Korps,
XIV. Korps nebst 2.Schützen-Brigade, 1. Don-Kosaken- und 13. Kavallerie-Division. °) S. 487.
Die russische Verfolgung läuft sich fest.
497
lich eine neue 1. Armee, während an der ostpreußischen Ostfront die 10. Armee mit entsprechend verändertem Bestände allein blieb. Vor Iwangorod erkannten die Russen den am 26. Oktober eingeleiteten21 •
Rückzug der Verbündeten erst am nächsten Tage. Für die Verfolgung wiederholte die Oberste Heeresleitung das schon am 22.Oktober gegebene Ziel: Kutno—Tomaschow—Sandomir. Die 2. Armee hatte diese Linie aber schon erreicht; so wurde durch den Befehl zunächst nur die in der Mitte zurückhängende Front wieder ausgerichtet.
Erst die am 27. und 28. O k -
tober bei der Nordwestfront einlaufenden zahlreichen Meldungen über deutsche Rückzugsbewegungen auch vor dem rechten Flügel veranlaßten den General Rußki, diesen Flügel am 29. wieder in Bewegung zu setzen. Äber die Linie Kutno—Lods—Tomaschow—Sandomir kam die russische Front bis zum 31. Oktober im ganzen aber doch kaum hinaus. Die Fühlung mit dem Feinde war verlorengegangen, „selbst der Reiterei gelang es nicht, ihn einzuholen"^). Die russische Oberste Heeresleitung stand vor neuen Cnt-
Müssen. In der Richtung auf die untere Weichsel klaffte offenbar eine große Lücke in der feindlichen Gesamtfront, aber man wagte nicht, kühn in
sie hineinzustoßen; Zerstörungen hemmten die Vorwärtsbewegung, der Nachschub kam nicht mehr mit; vor allem aber schienen die Flügel der eigenen Heeresfront in Ostpreußen und Galizien noch zu weit zurück. So blieb die Gelegenheit zum großen strategischen Durchbruch ungenutzt. General Iwanow drängte auf Einschwenken gegen Galizien, wo der Gegner
am San noch hielt; während die Südwestfront hier reinen Tisch machte, konnte die Nordwestfront unter Wiederholung des im August versuchten Verfahrens Ostpreußen erobern. Dann aber kamen Bedenken: die soeben von der mittleren Weichsel vertriebenen Truppen des Generals v. Hindenbürg gewannen wieder volle Bewegungsfreiheit und konnten das deutsche Vahnnetz ausnutzen. Diese Besorgnis führte dazu, daß die Armeen der Mitte (2., 5., 4. und 9.) am 31. Oktober doch schon wieder in Bewegung gefetzt wurden; aber auch dieses Mal wurden ihnen nur etwa 30 km vorwärts gelegene Ziele angewiesen. Am 2. November fand
die Verfolgungsbewegung ihren Abschluß. Während in Ostpreußen und Galizien der Angriff weiterging, mußten in Russisch-Polen erst Bahnen und Straßen wieder hergestellt werden, bevor man aufs neue antreten konnte.
Der Oktoberfeldzug im Weichfel-Bogen hat keine große Entscheidung gebracht und wohl auch nicht bringen können. Auf Seite der Mittelmächte haben die in einem Bündniskriege kaum vermeidbaren Reibungen l) Korolkow, Überblick. S. 73—75. f Weltkrieg.
V. Band.
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Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
die Führung erschwert. Der Feldzug krankte daher schon an der ersten Ver-
sammlung: die Masse des österreichisch-ungarischen Heeres hatte sich zwischen Karpaten und oberer Weichsel auf engstem Räume zusammengeballt, die deutsche 9. Armee aber mußte gegen den Willen ihrer Führer in unmittelbarer Anlehnung daran aufmarschieren. Politische Gründe hatten dabei ent¬ scheidend mitgesprochen. Im weiteren Verlaufe war die große zahlen¬ mäßige Überlegenheit des russischen Heeres einerseits, die verminderte Stoßkraft des öfterreichifch-ungarifchen Heeres andererseits ausschlaggebend. San und Weichsel, vom Regen angeschwollen,
boten den Russen sicheren Schutz für jede Umgruppierung ihrer Kräfte, die befestigten Brückenköpfe von Iwangorod und Warschau erleichterten ein Wiedervorbrechen zum Angriff. In dem Gebiet unmittelbar östlich der mittleren Weichsel hatten die Russen ein verhältnismäßig gut ausgebautes Bahn- und Straßennetz, während das „Weichsel-Vorland" west¬ lich des Stromes in jeder Hinsicht geflissentlich vernachlässigt worden war, um einem eindringenden Gegner Schwierigkeiten zu machen.
So waren
alle Vorteile des Kriegsschauplatzes in Polen den Russen, alle Rachteile
^>en Truppen der Mittelmächte zugefallen. Als Generalmajor Ludendorff am 13. September den gemeinsamen Operationsplan mit General v. Conrad besprach, hofften beide, daß sich Gelegenheit zu einem Schlage gegen die rechte Flanke der Russen bieten werde. Diese aber waren nach den Erfahrungen von Tannenberg und den
Mafurischen Seen, soweit deutsche Truppen ihnen gegenüber standen, noch zurückhaltender geworden, als sie es schon gewesen waren. Sie haben sich dem Schlage, der ihnen westlich von San und Weichsel zugedacht war, recht-
zeitig entzogen; so wurde der deutsche Angriff bei Opatow ein Luftstoß. Vorsichtiges Ausweichen und zahlenmäßige Überlegenheit ermöglichten es den Russen, trotz aller Langsamkeit ihrer Bewegungen, hinter dem Weichsel-Strom eine neue übermächtige Angriffsfront mit starkem
rechten Flügel aufzubauen. Dabei hatte aber der Großfürst aus Galizien schließlich so starke Kräfte weggezogen, daß die Rollen der deutschen 9. Armee und des österreichisch-ungarischen Heeres gegeneinander vertauscht waren. Das war ungünstig. General v. Freytag berichtete darüber damals am 19. Oktober: „Die vom Kaiserlichen und Königlichen Heere gemeinsam mit unserer 9. Armee eingeleitete Offensive mußte von
vornherein den unvermeidlichen Abelstand in Kauf nehmen, daß sie für unsere 9. Armee und für Teile der österreichischen 1. gegen die Weichsel
führte, während den auf dem rechten Weichsel-!lfer befindlichen Hauptkräften des Kaiserlichen und Königlichen Heeres zufiel, durch ihren Druck auf die gegenüber befindlichen russischen Kräfte dem Feinde eine
Würdigung des Feldzuges gegen die Weichsel.
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längere Behauptung der Weichsel-Linie unmöglich zu machen.
Damit
fiel demjenigen der verbündeten Heere, das die geringere Stoßkraft besaß, die Hauptrolle zu . .
Wie gering diese Stoßkraft war, vermochte das
Oberkommando der deutschen 9. Armee bei Beginn der Operationen allerdings noch nicht voll zu übersehen. Cs war noch voller Hoffnung. Als sich die Offensive der Mittelmächte dann um Mitte Oktober auf der ganzen Front von den Karpaten bis Warschau festgelaufen hatte, während die Russen sich bei dieser Stadt und westlich von ihr immer mehr verstärkten, plante die deutsche Armeeführung den Angriff über die untere Piliza längs der Weichsel auf Warschau. Das war eine außerordentlich kühne Durchbruchsoperation, deren Gelingen auch gegen Ende Oktober die Gesamtlage in Polen noch retten konnte. Cs wäre dazu allerdings ein Schlag nötig gewesen, der schnell und tief in die feindliche Front südlich von Warschau eindrang. Ob die Kräfte auch der reichsdeutschen Truppen nach allem, was vorangegangen war, im letzten Oktoberdrittel zu
solchem Schlage noch ausgereicht hätten, wird sich kaum sicher entscheiden lassen. Da General v. Conrad die Beteiligung am Angriff nördlich der Piliza ablehnte, ist er unterblieben. Cs konnte sich seitdem im
wesentlichen nur noch um hinhaltenden Kampf handeln.
Diese Aufgabe
hat die deutsche 9. Armee vorbildlich gelöst. Cs war nun schon der dritte neue Gegner, dem Generaloberst v. Hindenburg immer wieder mit den-
selben, an Zahl jedesmal unterlegenen, eigenen Truppen gegenüberstand. Als dann schließlich die russischen Massen — volle fünf Wochen, nachdem ihre große Anfangsoffensive in Galizien zum Abschluß gekommen war — zu neuem entscheidenden Stoß antraten, da entzog sich der kecke deutsche
Angreifer im letzten Augenblick der drohenden Umklammerung und brachte durch planmäßige Zerstörung von Straßen und Bahnen die Vorwärts-
bewegung der übermächtigen russischen Front alsbald wieder zum Stehen. Die Russen haben daher den deutschen Rückzug auch keineswegs als die Auswirkung einer Niederlage angesehen'). Die beabsichtigte entscheidende Operation war ihnen ebensowenig geglückt, wie der kleinen deutschen Armee ihr kühner Versuch, den übermächtigen Gegner nachhaltig zu treffen. And doch konnte diese Armee stolz sein auf das, was sie einem an Zahl weit überlegenen Feinde gegenüber abermals geleistet hattet. Der Feldherrnruhm, der die deutschen Führer seit ihren Siegen in Ostpreußen umstrahlte, hatte die Aufgabe der deutschen Armee in Polen erleichtert. Das zeigte sich in dem fast ängstlichen Verhalten der russischen Führung beim Weichsel-Äbergang wie später bei der Verfolgung. Immer Danilow, 6.321. — -) Vgl, die Übersicht auf S.550. 32*
500
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
wieder wurden ganze Korps, die den Strom schon überschritten hatten, zurückgenommen, immer wieder wurde die Verfolgung angehalten, um die Front auszurichten. Über die Kämpfe vor Warschau urteilte die russische Geschichtschreibung"): „Im ganzen war die Überlegenheit an Zahl auf feiten der Russen; gegen Ende des Kampfes betrug sie mehr als das Doppelte, aber bei der außergewöhnlichen Aktivität der Deutschen führte dieses Mehr an Zahl doch nur zum Gleichgewicht im Kampferfolge."
Cs ist schwer, sich heute noch ein zutreffendes Vild zu machen von den Schwierigkeiten und Gefahren der damaligen Lage der 9. Armee. Hören wir, was der Erste Generalstabsoffizier des Oberkommandos am 12. Ok-
tober inmitten der Kriegshandlung nach Hause schrieb^): „Die Russen haben sich mit vier Armeen auf uns geworfen, d. h. sie wollten es. Wir find ihnen mit kolossaler Frechheit, von der die Geschichte sprechen wird, zuvorgekommen, haben ihre Vortruppen zurückgeworfen und lassen sie nun nicht über die Weichsel... Es war wohl die schwerste Zeit, die ich durchgemacht; Tag und Nacht die Aufregung und permanent die Aufregungen und Paniken . . . Ludendorff und ich stützen uns gegenseitig ..." — And dann
am 18. Oktober voll Stolz über das Erreichte: „Cs war die schönste Operation unseres Feldzuges." — Und am 29. auf dem Rückzüge: „Vor
den Russen haben wir keine Angst, und wenn sie wie jetzt in dreifacher Überzahl kommen." Die deutsche 9. Armee hatte ihre Kräfte durch Beweglichkeit vervielfältigt. Dabei war sie trotz schlechtester Verbindungen und größter Aus-
dehnung fest in der Hand der Führung geblieben. Dieser Leistung steht gleichwertig die der Truppe gegenüber, die bei Herbstregen in einem Gebiete kämpfte, blutete und aushielt, das russischerseits zur Räumung im Kriegsfall bestimmt, grundsätzlich in allem vernachlässigt war und daher weder Anterkunft noch Straßen bot. Anerhörte Anstrengungen und Entbehrungen sind damals, vor allem von den vor Iwangorod eingesetzten Truppen im tiefen
Schlamm der Weichsel-Niederung ertragen worden, während sich die blutigen Verluste fast überall in erträglichen Grenzen hielten. Insgesamt hatte die Armee in vierwöchigem Feldzuge rund 15 000 Mann im Kampfe verloren, davon ein reichliches Drittel bei Iwangorod, etwas weniger gegen
Warschau; sehr hoch aber war infolge der außerordentlichen Anstrengungen der Gesamtabgang gewesen^). Der Gegner aber hatte neben seinen blutigen Verlusten allein an die deutschen Truppen etwa 20 000 Gefangene und 60 Geschütze verloren. i) Korolkow, Warschau-Iwangorod, S. 146 s. — 2) Hoffmann, Aufzeichnungen l, S. 37 ff. — 3) Vgl. S. 489, Anm. über zugeteilten Ersatz.
B. Die Operationen in Oftpreußen bis zum Rückzug in die Bötzen-Angerapp-Gtellung. 5. Die kämpfe unter General v. Schubert. a) Lage, Aufgabe und Absichten der neuen 8. Armee. Hierzu Skizzen 5und 11.
Durch den Befehl der Obersten Heeresleitung vom 17. Scpfein6cr,7'6wa tCUtvCt^ waren Zusammensetzung und Befehlsverhältnisse der in Ostpreußen verbleibenden deutschen 8. Armee neu geregelt worden^). Dieser Armee fiel
die schwere Aufgabe zu, mit fast auf die Hälfte verminderten Kräften, insgesamt 91/2 Divisionen Infanterie — dabei an aktiven und Reservetruppen nur das I. Armeekorps, das I. Reservekorps und die 3. Reserve-Division — und einer Kavallerie-Division, die bei Tannenberg und an den Masurischen
Seen errungenen Erfolge gegen den sich dauernd verstärkenden Feind fest-
zuhalten. Generaloberst v. Hindenburg hatte diese Aufgabe so lange als möglich angriffsweise lösen wollen. Reben der Absicht, die kleine, aber
wichtige und starke Bobr-Festung Ossowjez wegzunehmen, hatte ihn der Gedanke beschäftigt, auch gegen die große Festung Grodno vorzugehen. Am 17. September, im letzten Armeebefehl vor seiner Ernennung zum Oberbefehlshaber der 9. Armee, hatte der Generaloberst weiteres Vorgehen auf Prasnysch, Vorbereitung der Beschießung von Ossowjez, Sicherung des Augustower Forstes und Unterbrechung der Bahn Vjelostok—Grodno angeordnet.
Der neue Oberbefehlshaber, General der Artillerie v. Schuberts,
traf am 19. September im Armee-Hauptquartier Insterburg ein.
Generalmajor Grünert, der Oberquartiermeister der bisherigen 8. Armee, trat ihm als Generalstabschef zur Seite. folgende Lage vor:
Das neue Oberkommando fand
Nach einer Weisung der Obersten Heeresleitung vom 16. September waren „alle Mittel in Bewegung zu setzen, um die im Be-
reich der 8. Armee befindlichen russischen Eisenbahnen nachhaltig zu zerstören" und darüber hinaus „in weitestem Umfange gründliche EisenbahnZerstörungen in Rußland durch Agenten" zu veranlassen. Der Befehl vom S. 410f. und Kriegsgliederung (Anl. 1). — 2) Vis 1911 Inspekteur der Feld¬
artillerie, dann im Ruhestand, seit Kriegsbeginn Kommandierender General des XIV. Reservekorps (7. Armee) in den Nordvogesen.
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
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17. September bezeichnete nochmals ausdrücklich die „Sicherung Ost- und Westpreußens gegen erneuten russischen Einfall" als Aufgabe der neuen
8. Armee.
Dabei sollten die Hauptreserven von Thorn und Graudenz
„Grenzsicherungen gegenüber ihren Festungen übernehmen, zu späterem offensiven Vorgehen bereit". Die Kräfte der Armee standen in Ausführung der letzten Weisungen des Generalobersten v. Hindenburg wie folgt"):
Beiderseits der Weichsel hatte die Festung Thorn Teile ihrer
Besatzung auf russischen Boden vorgeschoben. Die 35. Neserve-Division (Hauptreserve Thorn), die Hauptreserve Graudenz und die 70. Landw ehr-Brigade
standen südlich Zjechanow und bei Prasnyfch. Die Landwehr-Division Goltz hatte von Lyck her im Vorgehen gegen Ossowjez die Reichsgrenze überschritten. Von der Festung wußte man, daß in den letzten Iahren eifrig daran gearbeitet worden war, ihre veralteten Anlagen neuzeitlich auszubauen; die artilleristische Ausrüstung war nicht bekannt. Die Festung hatte nur eine einzige, 6 km breite Front, die, gegen Nordwesten gerichtet, durch die versumpfte und weithin freigelegte Bobr-Riederung so gut wie unangreifbar war. In der im Frieden aufgestellten Denkschrift des Generalstabes hieß es daher: „Ein Angriff über den Bobr ist nur möglich bei starkem Frost oder anhaltender Dürre.
Sonst kann die Festung nur genommen werden, wenn an anderer
Stelle ein Übergang über die Rjemen—Bobr—Rarew-Linie gelungen ist." Generalleutnant Freiherr v. der Goltz sollte die Übergabe der Festung fordern und die Beschießung vorbereiten. Bis zur Feuereröffnung mußten
einige Tage vergehen. Die 3. Reserve-Division mit der 1. Kavallerie-Brig a d e lag um Augustow und hatte Befehl, Abteilungen bis an den Südost-
rand des Augustower Forstes vorzutreiben. Die Hoffnung, von hier aus das Südufer des Bobr und damit den Weg in den Rücken von Offowjez zu gewinnen, schien sich aber nach den letzten Meldungen der Division nicht
zu erfüllen. Die Russen standen im Waldgelände dicht gegenüber; dieses aber war, wie Generalleutnant v. Morgen berichtete, „vollständig ver-
sumpft" und außerhalb der Straßen „für alle Waffen unbetretbar". Der General empfahl, den Wald über Seiny zu umgehen. Das I. Armeekorps hatte im Marsch von Mariampol nach Süden die Gegend von Kalwaria und westlich davon erreicht, die 1. Kaval-
lerie-Division (ohne 1. Brigade) Suwalki. Das I. Reservekorps mit der Landwehr-Division i) Vgl. Band II, 6. 303—305.
Lage in Ostpreußen, 19. September.
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Königsberg (Hauptreserve der Festung) deckte beiderseits derKownoer Bahn auf russischem Boden die Nordflanke der Armee. Die 9. Landwehr-Brigade hielt Tilsit besetzt; nördlich davon sicherte Landsturm der Festung Königsberg gegen die russische Grenze. Hinter der Front war bei Insterburg die 6. Landwehr-Brigade mit dem Abtransport von Gefangenen und Beute beschäftigt. Sie sollte am
22. September Goldap erreichen. Als Ergänzung der ständigen Befestigungen Ostpreußens war der Bau einer Stellung für etwa ein Armeekorps an der Südgrenze bei Mlawa an-
geordnet, eine ebensolche Stellung follte an der Ostgrenze bei Wirballen geschaffen werden. Vor allem aber wurde mit Nachdruck an den erweiterten
Anlagen von Lützen gearbeitet. Von See her war nichts zu befürchten; dort hatte die deutsche Flotte unbedingt die Oberhand. Vom Gegner war, soweit man auf deutscher Seite wußte, die bei
Tannenberg schwer geschlagene 2.Armee mit mindestens 6y2 Infanterieund 3 Kavallerie-Divisionen, ungerechnet die teils vernichteten, teils in Gefangenfchaft geratenen Korps XIII und XV sowie die nach der Schlacht eingetroffenen Reserve-Divisionen, gegen den Narew zurückgegangen. Die russische 10. Armee, etwa 6 Infanterie-Divisionen und 1 KavallerieDivision, nahm man am oberen Bobr an, und zwar das XXII. und
das III. sibirische Korps nach unglücklichen Kämpfen bei Ossowjez und vor Augustow, das neu eingetroffene II. kaukasische Korps dahinter bei
Dombrowo, die 1. Kavallerie-Division bei Sopozkinje.
Zwischen der
10. Armee und dem Südflügel der 1. Armee bei Olita schien eine weite Lücke zu sein. Die soeben erst an den Mafurischen Seen geschlagene 1. Armee, etwa
81/2 Infanterie-, 8 Reserve- und 41/2 Kavallerie-Divisionen, war hinter den Njemen ausgewichen. Bei Olita war das XX. Korps, nördlich davon das IV. und bei Kowno das III. Korps festgestellt, südwestlich Olita die 2. und 3. Kavallerie-Division; auf Olita war, wie man wußte, auch das II. Korps
zurückgegangen, das besonders schwer gelitten hatte.
Die 68. Reserve-
Division war in der Gegend von Tauroggen—Schaulen zu suchen. Vermutlich befanden sich bei der Armee außerdem noch die 5. Schützen-Brigade,
sieben an den letzten Kämpfen beteiligte Reserve-Divisionen (53., 54., 56., 57.,72., 73. und 76.) und die beiden Garde-Kavallerie-Divisionen. Gegen 10 deutsche Insanterie-Divisionen (davon die Hälfte Landwehrund Crfatztruppen) und 1 Kavallerie-Division mußte östlich der Weichsel mit der erdrückenden, etwa dreifachen russischen Übermacht von mindestens 29 Insanterie-Divisionen (davon nur etwa ein Drittel Reserve) und
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
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8y2Kavallerie-Divisionen gerechnet werden. Trotzdem pflichtete der neue Oberbefehlshaber der deutschen 8. Armee der Auffassung bei, die ihm sein Generalstabschef als Kenner der Verhältnisse vortrug. Sie ging dahin, daß der Gegner nach seinen schweren Niederlagen so bald nicht wieder zu neuen Unternehmungen fähig sein werde; planmäßigen, kraftvollen Infanterieangriff habe er, selbst als er noch ungeschwächt war, niemals durchgeführt, auch seine Widerstandskrast in der Abwehr sei vor¬
läufig noch gering einzuschätzen. General v. Schubert sah es als seine Aufgabe an, das Fortziehen eigener Kräfte zu verschleiern und den Feind in dem Glauben zu halten, daß er die 8. Armee noch in bisheriger Stärke vor sich habe. Das mußte auch den Operationen der neuen 9. Armee in Südpolen zugute kommen. Cr wollte, durchaus im Sinne seines Vorgängers, die Siege in Ostpreußen, so lange es noch möglich war, weiter ausbauen. Nur durch kühnes und schnelles Handeln war solches zu erreichen; die Rücksicht auf die eigenen Truppen, die zur Hebung ihrer Kampfkraft der Nuhe fast ebenso dringend wie die Russen
bedurft hätten, mußte zurücktreten; die schon eingeleiteten Unternehmungen sollten kräftig weitergeführt werden. 2«.bis22.Sep. tcmber.
Diese Absichten fanden im Armeebefehlvom 20. September Niederschlag. Der Grundgedanke war: Angriff auf dem rechten Flügel und in der Mitte, Abwehr im Norden. Man hielt fest an dein Gedanken, den Fall der Festung Ossowjez durch Vorstoß der 3. Reserve-Division von Augustow über den oberen Vobr herbeizuführen. Hm ihr den schwierigen Weg durch das Sumpfgelände des Augustower Forstes zu öffnen, sollte das I. Armeekorps von Suwalki aus über Seiny—Sopozkinje diese Wal-
düngen östlich umgehen.
Die Möglichkeit, sich dabei durch Handstreich
sogar der Festung Grodno zu bemächtigen, erschien dem Armee-Oberkommando nicht ausgeschlossen. Der 1. Kavallerie-Division wmde die Unterbrechung der von Grodno und Kowno nach Wilna führenden Bahnen aufgetragen.
Schon die nächsten Tage stellten das Oberkommando vor neue Ent¬ schlüsse. Am 21. September abends ging die Weisung des Generalobersten v. Hindenburg ein, die die 35.Reserve-Division von Mlawa
nach Thorn zurückrief und zum Vorgehen auf dem linken Weichsel-llfer bestimmte*). Nach dieser Weisung sollte aber außerdem von der 8. Armee ein möglichst starker Druck in der Richtung auf Warschau ausgeübt und dazu, nach dem Vorstoß gegen die Bahn Warschau—Grodno, ein Vorgehen von ein bis zwei Divisionen aus der Gegend von Mlawa nach Süden vor¬ i) Vgl. S. 414.
Ostpreußen — Absichten des Generals v. Schubert.
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bereitet werden; die damit verbundene Schwächung der ostpreußischen Ostfront war durch den fortschreitenden Ausbau befestigter Stellungen auszugleichen. Bei einem „ja doch immerhin möglichen erneuten Einbruch" der Russen sollten die Bahnen von Mlawa auf Warschau und von Lyck auf
Ossowjez gründlich zerstört werden. Andererseits hatte die Oberste Heeresleitung ein Flottenunternehmen gegen die russische Küste angeregt, das auch die Lage in Ostpreußen erleichtern konnte^). General v. Schubert entschloß sich, den Grenzschutz bei Soldau— Neidenburg nunmehr zunächst in reiner Abwehr zu führen, die Gewinnung des Bobr-Abschnittes aber wollte er weiter versuchen.
Am 22.September
wurde das Armee-Hauptquartier hinter den rechten Flügel nach Lyck verlegt.
Inzwischen hatten sich beim Vorgehen gegen den oberen^ ^ep^mb»
Vobr doch größere Schwierigkeiten gezeigt, als General v. Schubert zunächst angenommen hatte. Vor Ossowjez hatte die Landwehr-Division Goltz den Gegner bis zum 21. September so weit zurückgedrückt, daß der Aufmarsch der Artillerie beginnen konnte. Zwei Batterien Mörser (21 ein), elf Batterien schwere
Feldhaubitzen (15 cm) und zwei Batterien 10 oin-Kanonen, insgesamt rund 60 Geschütze, standen zur Verfügung; sie rollten größtenteils mit der
Bahn aus Königsberg heran. östlich von Ossowjez kam aber die zum Vorgehen durch den Augustower Forst angesetzte 3. Reserve-Division nicht mehr vorwärts, und auch die Hoffnung, daß die Einwirkung des I. Armeekorps ihr den Weg öffnen werde, schwand mehr und mehr. Der Gedanke, über den oberen Bobr in den Rücken von Ossowjez zu gelangen, mußte aufgegeben werden. Gegen diese Festung konnte es sich seitdem nur noch um ein Scheinunternehmen handeln. Der Landwehr-Division Goltz wurde zum Schutze ihrer von
Lomsha her bedrohten rechten Flanke die 1. Kavallerie-Brigade überwiesen, für die sich im Augustower Forst keine Verwendung mehr fand. Das I. Armeekorps hatte am 20. September auf dem Marsche von Kalwaria nach Augustow den Befehl des Armee-Oberkommandos zum
Abbiegen nach Südosten, über Seiny auf Sopozkinje, bekommen, um den Augustower Forst zu umgehen. In diesem Befehl schien aber dem General v. F r a n tz o i s die Bedeutung der Festung Grodno nicht genügend
gewürdigt. Cr war der Ansicht, daß ein Scheinangriff gegen die Festung zwecklos, ein entscheidender Angriff aber mit den verfügbaren Mitteln „nahezu ausgeschlossen" sei, da die Lufterkundung außer den ständigen Werken ') Vgl. S. 414 und S20f.
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Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
ausgedehnte feldmäßige Anlagen festgestellt hatte. Der Kommandierende General wollte deshalb nicht aus Seiny, sondern mehr westlich, auf Suwalki, marschieren, um von dort „je nach der Lage gegen den wieder über den
Njemen vorbrechenden Feind verwendet zu werden".
Diese Absicht ließ
er dem Armee-Oberkommando aber erst am 21.September melden, als die
1. Infanterie-Division bereits im Marsche nach Suwalki war. Notgedrungen gab General v. Schubert sein Einverständnis. Den Gedanken, mit dem 1. Armeekorps das südliche Bobr-Afer zu gewinnen und an die Bahn
Warschau—Grodno heranzukommen, ließ er fallen, bestand aber auf einem „Vorstoß mit starker Vorhut bis Sopozkinje". Das I. Armeekorps konnte dann gegen die Bahn Grodno—Wilna angesetzt werden. Zwar
standen schon westlich des Njemen russische Sicherungen, es handelte sich aber, wie man beim Armee-Oberkommando annahm, in dieser Richtung doch nur um Truppen, die soeben erst an den Masurischen Seen schwer geschlagen worden waren; ein Vorstoß über den Njemen schien durchführbar. Mit diesem Plane kam General v. Schubert am 22. September nach Suwalki zum Generalkommando des I. Armeekorps. Das Korps hatte
am 21. September, zum Teil in sehr anstrengendem Marsche auf schlechten Feldwegen, mit der 1. Infanterie-Division Suwalki, mit Vortruppen der 2. Infanterie-Division Seiny erreicht; die Truppe bedurfte dringend der Ruhe. General v. Franczois erhob ernste Bedenken gegen die Absichten des Oberbefehlshabers; er war der Ansicht, daß es dem Zustande der Truppe
mehr entspreche, den Gegner in der Linie Suwalki—Wilkowischki gegen eine auszubauende Stellung anlaufen zu lassen, wozu die Russen die nötige Kraft kaum aufbringen würden. Nach eingehender Aussprache blieb aber der Oberbefehlshaber bei seinem Entschluß. Das I. Armeekorps, dem die 1. Kavallerie-Division unterstellt wurde, sollte am 24. September Druskjeniki am Njemen erreichen und östlich des Flusses
die Bahn Grodno—Wilna „gründlichst zerstören". Dazu sollte eine Division übergehen und auch das Generalkommando seine Flagge auf dem rechten Ufer des Njemen zeigen. Die rechte Flanke schien bei Augustow durch die 3. Reserve-Division gesichert, die linke mußte offen bleiben. Diesen Nachteil nahm General v. Schubert bewußt in Kauf. Cr hegte, wie er am 24. September an Generaloberst v. Hindenburg berichtete,
„die Hoffnung, daß der Feind sich durch diese Unternehmung zu einer vorzeitigen Offensive von Olita, sogar von Kowno aus, könnte ver¬
leiten lassen und sich die Möglichkeit ergeben würde, mit seinem rechten Flügel in der Gegend südlich Kalwaria abzurechnen". Bei Wirballen sollte sich das I. Reservekorps bereithalten, in den Kampf einzugreifen. Brachte der Stoß über den Njemen nicht die erhoffte Gelegenheit zu einem lohnen¬
8. Armee — Entschluß zum Vorstoß über den Njemen.
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den Schlage, so wollte General v. Schubert das I. Armeekorps wieder
zurücknehmen und in der Linie Suwalki—Wilkowischki das Vorgehen der Russen abwarten.
Diese Pläne hatten zur Voraussetzung, daß die schon jetzt kaum ausreichenden Kräfte der Armee nicht weiter geschwächt wurden. Die vom Generalobersten v. Hindenburg für später verlangte Abgabe von ein bis
zwei Divisionen nach Mlawa mußte die Lage völlig ändern. General v. Schubert sprach daher in dem erwähnten Berichte vom 24. September an den Generalobersten die Hoffnung aus, „daß für die nächsten acht Tage die Notwendigkeit dieser Entsendung nicht eintreten" würde, sondern erst, „nachdem Erfolge gegen den vom Njemen her anrückenden Gegner erreicht wären". In der am 26. S e p t e m b e r eingehenden Antwort des General-
obersten v. Hindenburg hieß es: „Bei den augenblicklichen Maßnahmen des Feindes handelt es sich für die 8. Armee in erster Linie um Schutz der Provinz Ostpreußen gegen einen Angriff etwa aus der Linie
Grodno—Kowno. Eine Schwächung der Armee durch Entsendung auf Mlawa erscheint auch mir zur Zeit noch nicht angängig. Euere Exzellenz bitte ich daher, bei Lösung Ihrer Aufgabe mit allen Ihnen zur Verfügung stehenden Streitkräften zu rechnen. Eine Verwendung von Teilen der 8. Armee in Richtung Warschau kann erst nach weiterer Klärung der Lage vor der Front der 8. Armee erfolgen." Der Generaloberst wies nochmals hin auf „Geländeverstärkungen in denkbar weitestem Umfange" bei Wirballen und gründliche Vahnzerstörungen auf feindlichem und auch auf eigenem Gebiete, falls die 8. Armee zurückgehen müsse. „In der planmäßigen Zerstörung der Eisenbahnen" — so war erläuternd hinzugefügt —
„sehe ich ein sehr wesentliches Mittel, eine neue überlegene russische Offensive in entscheidender Weise zu beeinflussen." General v. Schubert konnte somit für die nächste Zeit unein¬ geschränkt über seine Truppen verfügen. Cr zog von Prasnyfch auch die letzte Feldtruppe, die 70. Landwehr-Brigade, zur Armee nach Grajewo heran und beschränkte sich von Thorn bis südlich Lyck auf den unmittelbaren Schutz der Grenze gegen die russische 2. Armee durch Festungstruppen und Land-
stürm. Die kleine, aber kampferprobte und von Siegesbewußtsein erfüllte deutsche 8. Armee bot die Gewähr, daß gegen den zahlenmäßig weit über-
legenen Feind das Menschenmögliche geleistet werde. Wie lange es allerdings gelingen würde, ihn in Schach zu halten, ließ sich schwer voraussehen. Die eigenen Reihen waren — vor allem an Offizieren — stark
gelichtet; die gewaltigen Anstrengungen dreier Schlachten hatten die Kräfte
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Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
der Menschen und wohl noch mehr die der Pferde mitgenommen. Cs kam hinzu, daß man das deutsche Gebiet mit seinen guten Straßen und Anterkünsten jetzt Verlasien hatte und den Kampf auf russischem Boden weiterzuführen hatte, bei spärlichen und schlechten Wegen, armen Ortschaften, großen Sumpf- und Waldgebieten. Die Kräfte des Feindes aber mußten
von Tag zu Tag wachsen. Seine in Ostpreußen geschlagenen Armeen konnten sich hinter befestigten Flußabschnitten ordnen, Mannschaften und Gerät ergänzen, ohne daß man es hindern konnte; frische Truppen aus Kaukasien, Turkestan und Sibirien begannen einzutreffen. So hing das Gelingen der weiteren Operationen auf deutscher Seite vor allem von Ee-
schick und Willensstärke der Führung ab. b) Die Kämpfe von Ende September bis 3. Oktober 1914. Die Beschießung von Ossowjez^). Hierzu Skizze 11 und Karte 18.
2Z.vtsZ«.Sep° tember.
Am 23. September hatte die Landwehr-Division Goltz Kavallerie abgewiesen, die auf Schtschutschin vorstieß, dann hatte die 1. Kavallerie-Brigade die Sicherung der rechten Flanke übernommen. Am 24. September stellte das Luftschiff „Z IV" fest, daß die Festung Osiowjez zur Zeit völlig von Wasier und Sumpf umgeben sei. Mannschasten und Pferde der Landwehr mußten mithelfen, die Belagerungs.batterien und ihre Munition in Stellung zu bringen. Am 26. September ließ Generalleutnant Freiherr v. der Goltz das Feuer gegen die Festung eröffnen, am 27. September wurde es aus weiter vorgeschobenen Stellun-
gen fortgesetzt. Ein Vorstoß der Russen tief in die linke Flanke der Divi¬ sion, gegen die Straße Grajewo—Augustow, wurde an demselben Tage abgewiesen, zeigte aber doch die ganze Gefahr des Unternehmens; sie war um so größer, als die schweren Batterien auf den vom Regen aufgeweichten Wegen nur unter großem Aufwand von Hilfskräften und Zeit wieder zu-
rückgezogen werden konnten.
Vis zum 29. September traf die 79. Land-
wehr-Vrigade als Verstärkung ein. Die Gesamtlage hatte sich jedoch bereits wesentlich geändert. Angesichts der inzwischen bei Augustow entbrannten Kämpfe^) sollte die Beschießung von Osiowjez abgebrochen werden. Als am 28. September festgestellt wurde, daß der Gegner sich auch von
Lomsha her wieder näher heranschob und daher mit plötzlichem Vorbrechen stärkerer feindlicher Kräfte gegen die rechte Flanke der Division Goltz zu rechnen war, befahl General v. Schubert, mit dem Zurückziehen der Velagerungsartillerie zu beginnen. Schon am folgenden Morgen, am 29. Sepi) Vgl. 6.502 und 6.505. — 2) 6.513 ff.
Die Landwehr vor Ossowjez.
609
tember, rückten mehrere russische Kolonnen vom Narew auf Schtschuschin
vor; die bei Stawischki stehende 1. Kavallerie-Brigade mußte ausweichen. General v. der Goltz erhielt die Aufgabe, südwestlich von Grajewo die rechte Flanke der Armee zu decken.
Am 30. September mittags griff der Gegner die Landwehr bei Grajewo an. Da gleichzeitig Meldungen über den Weitermarsch russischer Kolonnen von Schtschutschin nach Norden vorlagen, beabsichtigte General v. der Goltz, auf Lyck auszuweichen. Der Oberbefehlshaber war damit aber
nicht einverstanden; er befahl, die Russen durch Gegenangriff zurückzuwerfen, und entsandte seinen Ersten Generalstabsoffizier, Major Cngelien, nach Grajewo. Der Gegenangriff kam trotzdem nicht mehr zur Durchführung. Da der Gegner von Schtschutschin in der Richtung auf Lyck schon einen Vorsprung haben mußte, entschloß sich General v. der Goltz im Einvernehmen mit Major Engelien, ostwärts über den Lyck-Fluß auf Raigrod auszuweichen; man konnte dann vielleicht am nächsten Tage in den Kampf bei Augustow eingreifen. Als der Divisionsstab schon bei Dunkelheit als letzter Teil Grajewo verlassen wollte, um über die nur notdürftig wieder-
hergestellten Brücken des Lyck-Flusses seinen Truppen zu folgen, traf ihn noch im Orte ein heftiger Feuerüberfall. Mit knapper Not entkam der Stab; Kraftwagen, ein Geschütz und sonstige Fahrzeuge gingen bei dem
ziemlich ungeregelten Abzüge verloren. In der Nacht zum 1. Oktober ruhte die Landwehr bei Raigrod und westlich; die 1. Kavallerie-Brigade war bei Prostken über den Lyck-Fluß nach Nordosten ausgewichen. Die Straße Grajewo—Lyck, und damit der Weg in den Rücken der Armee, war für den Gegner frei'). Der Vorstoß gegen den Njemen. Hierzu Karte 18.
Nach den vom Armee-Oberkommando gegebenen Befehlen^) sollte das
I.Armeekorps am 24. September den Njemen bei Druskjeniki erreichen; das^' waren von Seiny, wo die vordersten Teile der 2. Infanterie-Division lagen,
noch fast 50 Kilometer Anmarfch auf teilweise schlechten Wegen durch schwieriges Seengelände. Dann sollte das Korps den Übergang erzwingen und die noch weitere 18 Kilometer entfernte Bahn unterbrechen; gleichzeitig sollte eine starke Abteilung aller Waffen zur Ablenkung des Gegners gegen Sopozkinje vorstoßen. Beim I. Armeekorps hatte man nach wie vor ernste Bedenken gegen eine so ausgedehnte Unternehmung. Angesichts der vorhergegangenen außerordentlichen Anstrengungen bat General v. F r a n *) Über den Gegner vgl. S. 522 ff. — 2) S. 506.
i s das
Bis zum
510
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
Armee-Oberkommando am Abend des 22.September nochmals, zu
erwägen, „ob es zweckmäßig ist, mit dem Armeekorps weiter in östlicher Richtung vorzugehen und dadurch dem Gegner die Möglichkeit einer Flan¬ kierung aus Richtung Dombrowo und Olita zu geben", also von Süden und von Norden zugleich. Er hielt es für ratsamer, die Russen herauszulocken und dann über sie herzufallen. Auch gegenüber diesen erneuten Einwänden hielt General v. Schubert seinen Befehl aufrecht. General v. Franczois aber entschloß sich, seinem Korps am 23. September zunächst noch Ruhe zu gönnen. Vis zum Abend des 23. September hatte General V. Francis
Meldungen, die ihm die Erfüllung feines Auftrages recht schwierig er¬ scheinen ließen. In der rechten Flanke des befohlenen Vormarsches standen russische Sicherungen am Augustower Kanal, dahinter war an der Straße
Augustow—Grodno die Versammlung starker Truppen, auf ein Korps geschätzt, und nördlich Sopozkinje starke Kavallerie gemeldet. Schon westlich des Njemen waren die Streifabteilungen der 1. Kavallerie-Division mit
Verlusten abgewiesen worden, halbwegs zwischen Seiny und dem Fluß sollten an den wichtigsten Straßen gemischte feindliche Abteilungen stehen. Vei Druskjeniki selbst ließ ein Fesselballon auf stärkeren Feind schließen. Nördlich davon stand Gegner in Meretsch, nordöstlich von Sereje und in Simno. Bei Olita mußte mit einem feindlichen Korps und zwei KavallerieDivisionen gerechnet werden. Anter Hinweis auf diese Lage schlug General v. Franyois dem Oberbefehlshaber abermals vor, auf den Vorstoß über den Njemen, also tief in die feindliche Aufstellung hinein, zu verzichten und nur Teilvorstöße auf Druskjeniki und Sopozkinje anzusetzen. General v. Schubert aber stand auch an diesem Tage zu seinen Anordnungen; er
schätzte Stärke, Kampfkraft und Kampfwillen des Gegners weniger hoch ein als General v. Francis.
Cr wies darauf hin, daß die Bahnunter-
brechung größte Bedeutung habe; es seien dazu „durchaus zureichende Kräfte" einzusetzen; wenn keine Furt vorhanden wäre, sei eine Brücke zu
schlagen. Cr halte es für geboten, die Masse der vordersten Division für den Übergang zu bestimmen. Als Rückhalt werde die 3. Referve-Divifion von Augustow nach Seiny nachgezogen werden. Wenn der Gegner durch den Stoß des I. Armeekorps zum Gegenangriff veranlaßt würde, so sei das nur erwünscht.
24.uiid25.SepAm 24. September trat das I. Armeekorps den Vormarsch von Seiny cm an und näherte sich Druskjeniki bis auf etwa 20 km; es war der Tag,
an dem das Korps nach dem ersten ihm gewordenen Befehle diesen Ort schon hätte erreichen sollen. In der linken Flanke sicherte die 1. Kavallerie-Division (ohne 1. Brigade) schon seit zwei Tagen bei Sereje;
Der Vorstoß des I. Armeekorps gegen den Njemen.
SN
gegen Überraschungen aus dem Waldgelände im Süden wurde ein Regiment der 2. Division gegen Sopozkinje vorgeschoben. Die 3. Referve-Divi-
sion (ohne ein Regiment, das in Augustow blieb) erreichte die Gegend südlich von Seiny und schob Teile bis Kopziowo vor.
Am 25.September stellte die 2. Infanterie-Division fest, daß bei
Druskjeniki Gegner in verstärkter Stellung auf dem östlichen Njemen-Ufer stand. General v. Franyois setzte den Angriff auf den nächsten Tag fest und zog die Hintere, 1. Infanterie-Division links neben die 2. Division auf Sereje vor. Die 1. Kavallerie-Division rückte von dort nach Süden, um zum Vorstoß gegen die Bahn bereit zu sein. Eine Erkundung der
Division gegen Meretsch führte zu Kämpfen; der Gegner schien sich im dortigen Njemen-Vogen einen weiten Brückenkopf auf dem Westufer geschaffen zu haben, aus dem er jederzeit vorstoßen könnt«. Als General v. Fran«zois schließlich am 26. September mittags2s.und27.sepnach den letzten Vorbereitungen den Befehl zum Angriff auf Druskjeniki tem6cr* geben wollte, ging eine Fliegermeldung bei ihm ein, nach der die große Straße auf dem östlichen Njemen-Ufer von Olita über Meretsch fast bis Druskjeniki hin von einer Kolonne aller Waffen bedeckt war, die süd¬ wärts marschierte und auf ein Armeekorps geschätzt wurde. General v. Frangois entschloß sich, auf den Übergang über den Njemen zu verzichten. Von Süden drückte der Gegner gegen die Kanalübergänge bei Augustow und die
Seen-Cngen südlich Seiny vor. Das Armee-Oberkommando hielt die Lage des I. Armeekorps am Njemen trotzdem noch nicht für bedenklich. Das Unternehmen gegen die Eisenbahn sollte zwar aufgegeben werden, dafür aber sollte das Korps am 27. September am Njemen Übergangsabsichten vortäuschen, um den Gegner an etwa geplanten Abtransporten zu hindern.
Zum Schutze der Flanken wurde die inzwischen in Suwalki eingetroffene 6. Landwehr-Brigade auf Augustow, die 1. Reserve-Division des I. Reservekorps von Kalwaria auf Simno angesetzt. Beim I. Armeekorps befahl General v. Franczois für die 2. Infanterie-Division Scheinangriffe gegen Sopozkinje und Druskjeniki, für die 1. Kavallerie-Division gegen den
Brückenkopf westlich Meretsch.
Die 1. Infanterie-Division sollte von
Sereje her die Kavallerie unterstützen und mit schwachen Teilen gegen die feindlichen Stellungen an der Straße nach Olita vorfühlen. Diese Anordnungen führten am 27. September zu kleineren Gefechten bei Druskjeniki, westlich Meretsch und südwestlich Olita, wo der Gegner vor der 1. Reserve-Division zurückwich. Einstweilen lag an der Njemen-Front selbst kein Anlaß zu Besorgnissen vor. Dagegen drängte der Feind scharf gegen Augustow, wo er südlich der Stadt auf dem Westufer des Kanals festen Fuß faßte und gegen die Straße Augustow—Grajewo vor¬
512
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
stieß. Um die wichtigen Übergänge von Augustow in der Hand zu behalten, sollte die 3. Reserve-Division von Seiny auf der geraden Straße durch den Wald wieder dorthin rücken. Inzwischen hatte der Gegner jedoch die Brücken dieser Straße zerstört. Am späten Abend mußte der Befehl abgeändert werden; die Division sollte Augustow am 28. September auf dem Umwege über Suwalki, fast 60 statt 42 km. Marsch, erreichen. Mit der Freigabe von Seiny aber verlor das I. Armeekorps den Flankenschutz gegen das große Waldgebiet, in dem es drei russische Korps vermutete. So mußte sich General v. Schubert am 27. September abends doch entschließen, das
1. Armeekorps zurückzunehmen; er hoffte, daß der Feind folgen und daß sich dabei Gelegenheit zum Angriff gegen seine rechte Flanke bieten werde. Als der Armeebefehl: „I. Armeekorps hat allmählich in die Linie Seiny—Nordende Galadus-See zurückzugehen" am Abend des 27. September bei General v. Fran^ois einging, hatte er für den 28. schon die
Fortsetzung der Unternehmungen gegen Sopozkinje, Druskjeniki und Meretsch angeordnet. Cr ließ es zunächst bei diesem Befehl und schob nur für die abberufene 3. Reserve-Division Teile seines Korps nach Seiny
zurück. 28.und2g.Sep-
In der Frühe des 28. September räumten die zur Verteidigung von Augustow eingesetzten deutschen Truppen — ein Regiment der 3. Reserve-Division und 6. Landwehr-Brigade — den Ort vor den von
Süden und Osten vordrängenden Rusien und wichen nach Norden zurück, General v. Schubert setzte die 36. Reserve-Division des I. Reservekorps zur Verstärkung des Südflügels nach Suwalki in Marsch. Dem I. Armeekorps befahl er, „so bald als möglich" in die schon tags zuvor befohlene Linie zurückzugehen.
General v. Franczois ordnete den Abmarsch für die
2. Infanterie-Division in zwei Kolonnen über Kopziowo und nördlich aus Seiny an, für die 1. Infanterie-Division noch weiter nördlich von Sereje nach Westen. Die 1. Kavallerie-Division sollte die Bewegung ver-
schleiern. Der Rückmarsch gestaltete sich auf teilweise schlechten und aufgeweichten Wegen schwierig. Aus dem großen Walde im Süden machte der Feind Vorstöße gegen die über Kopziowo führende südlichste Rückzugsstraße des Korps, Verluste traten ein. Man mußte nordwärts auf grundlose Feldwege ausbiegen, die zwischen Sumpf und Seen über mangelhafte, oft unter den Fahrzeugen zusammenbrechende Brücken nach Westen führten. Bei strömendem Regen gelangte das Korps erst am 29. September hinter den Galadus-See. Die 1. Kavallerie-Division hielt sich vor dem linken Flügel des Korps. Die Operation gegen den Rjemen hatte damit ihren Abschluß erreicht. Sie verdankte ihre Entstehung dem berechtigten Gefühle der moralischen
8. Armee —
Der Rückzug vom Njemen.
513
Überlegenheit über den Feind und einer zu Anfang des Krieges häufigen Überschätzung der Bedeutung einzelner Bahnunterbrechungen. Sie verlangte Höchstleistungen der Truppe an Beweglichkeit. Deren Kraft war aber nach allem, was vorangegangen war, doch nicht mehr dieselbe wie zu Kriegsbeginn, wenn sie auch willig das Letzte hergab. Dazu kamen Munitionsmangel und Regenwetter! Der Kommandierende General wie seine Generalstabsoffiziere sahen in dem Vorstoß über den Njemen einen „Zufarenritt", zu dessen gutem Ausgange sie von vornherein kein Vertrauen hatten. Erst zwei Tage später, als vom Oberkommando in Aussicht ge° nommen, erreichten die vordersten Teile des Korps den Njemen bei Drufkjeniki; damit war der Vorteil der Überraschung in Frage gestellt. Der
Widerstand der Russen hatte sich inzwischen versteift, das Unternehmen war schwieriger und gefahrvoller geworden. Der Druck der Russen gegen Augustow brachte das I. Armeekorps schließlich in eine recht schwierige
Lage. Die Verluste am Njemen und beim Rückzug waren nicht leicht*) und
gaben zu denken; die Flankenbedrohung hatte die Nerven auf eine harte Probe gestellt. Kampfkraft und Geist der Truppe waren durch den Rückzug bei Regenwetter auf grundlosen Wegen nicht gefördert worden^). Die Kämpfe
bei Augustow — Suwalki vom tember bis 3. Oktober.
29. Sep¬
Hierzu Skizze 11 und Karte 18.
Der Vorstoß des I. Armeekorps hatte die erhoffte Gelegenheit zu einem 2s.undZv.sep Schlage gegen den Feind nicht gebracht. Da er im Norden nach wie vor Ruhe hielt und die 36. Neserve-Division schon im Marsch nach Süden auf Suwalki war, wollte General v. S ch u b e r t die sich jetzt bietende Gelegen-
heit ausnutzen, um den Feind anzugreifen, der sich bei Augustow weit vor-
zuwagen schien. Am 29. September erreichte die 36. Reserve-Division, über Suwalki südwestwärts hinaus marschierend, mit dem Anfange Ratfchki. In Suwalki lag Generalleutnant v. Morgen mit der Hälfte der 3. ReserveDivision, ein Regiment hielt sich zusammen mit der 6. Landwehr-Brigade
noch halbwegs Suwalki—Augustow bei Olschanka, das letzte Regiment befand sich beim I. Armeekorps. Im Laufe des Tages hatten sich die Anzeichen dafür gemehrt, daß der Gegner seinerseits von Augustow nach Norden weiter angreifen wolle: nach aufgefangenen Funksprüchen sollten r) Zuverlässige Angaben über die Höhe der Verluste haben sich bisher nicht ermitteln lassen. — 2) Wer den Feind vgl. S. 522ff. t Weltkrieg. V. Land.
33
514
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
etwa IV- russische Korps auf Suwalki vorgehen, Infanterie mit Kavallerie stand schon jetzt in den Waldungen dicht südlich der Straße Seiny—Su¬ walki in der Flanke der erschöpften Truppen des I. Armeekorps. Generai v. Schubert wollte daher die mit der Front nach Osten bei Seiny—Simno stehenden Truppen am 30. September bis an die Straße Suwalki—Kalwaria zurücknehmen. General v. Morgen aber sollte mit den beiden bei
Suwalki vereinigten Reserve-Divisionen (3. und 36.) den Feind bei
Augustow angreifen. Für den 30. September setzte General v. Morgen die 36. Reserve-Division (ohne ein Regiment") westlich des Rospuda-Abschnittes von Ratschki aus Augustow an, die 3. Reserve-Division (ohne das Regiment beim I. Armeekorps) sollte dahinter folgen. Man selbst bekam dadurch den Rücken wieder gegen Westen und konnte aus wirksamster
Richtung des Gegners Flanke fassen; die 6. Landwehr-Vrigade hatte ihre Stellung bei Olschanka an der Straße Suwalki—Augustow nunmehr allein zu verteidigen. Die 36. Reserve-Division unter Generalmajor Kruge
traf 8 km nordwestlich von Augustow auf schanzenden Gegner; General v. Morgen drehte den Anfang der 3. Reserve-Division nach Südwesten ab, um die 36. rechts zu verlängern. Da eröffnete russische Artillerie ihr Feuer gegen das Ende der Marschkolonne bei Ratschki; auch der Gegner war im Vormarsch, und zwar ö st l i ch der Rospuda auf Suwalki. Rasch entschlossen wandte General v. Morgen die 3. Reserve-Division nunmehr nach Osten, um den Gegner bei Ratschki anzugreifen; die 36. ReserveDivision hatte gegen Augustow eine Abwehrflanke zu bilden. Am den Rospuda-Abschnitt beiderseits von Ratschki entbrannte ein heftiger Kampf, der aber bis zum Abend des 30. September ohne Entscheidung blieb; der Gegner westlich von Augustow hielt sich ruhig. Am 1. Oktober gingder Kampf bei Ratschki weiter. Cs gelang, russische Umfassungsversuche nördlich des Ortes abzuwehren und hier die Rospuda zu überschreiten. Aber auch an diesem zweiten Gefechtstage glückte es nicht, den Gegner, der von verdeckt stehender Artillerie unterstützt wurde, aus seinen von Natur starken Stellungen zu werfen. Inzwischen hatte von Suwalki her auch das I. Armeekorps in den Kampf eingegriffen. Sein Rückmarsch war am 30. September abermals äußerst beschwerlich gewesen. Als General v. Fran^ois in
Suwalki eintraf, hatte ihn eine Meldung der 6. Landwehr-Vrigade erreicht, daß sie sich bei Olschanka „gegen starke Überlegenheit" zwar halte, aber bereits alle Reserven verausgabt habe. Cr hatte daher die zuerst einJ) Ein Regiment war beim I. Reservekorps zurückgeblieben.
8. Armee — Das Gefecht bei Ratschki.
SIS
treffende Truppe, das Regiment der 3. Reserve-Division, der Landwehr zu Hilfe gesandt. Gleichzeitig drückte die Sorge um die 2. InfanterieDivision, die mit übermüdeten Truppen und erschöpften Pferden auf der einzigen vorhandenen Straße durch Sümpfe und Seen westwärts zog, dauernd bedroht vom Gegner im Süden, der ihren Marsch zeitweise sogar dmch Artilleriefeuer belästigte. Wenn General v. Franczois auch ent-
schlössen war, diesen Feind nötigenfalls dmch Angriff zurückzuweisen, so zeigte sich doch — wie es im Kriegstagebuch des Korps heißt — „nach
Durchschreiten der Enge von Tartak das Gefühl allseitiger Erleichterung". Von Osten drängte der Gegner nicht. Das I. Armeekorps machte bei Suwalki und nordöstlich davon halt. Es sollte nach den Weisungen des Armee-Oberkommandos auch am folgenden Tage dort stehen bleiben, denn es bedurfte nach den vorangegangenen Anstrengungen dringend der Ruhe.
„Große, für russische Wegeverhältnisse außerordentliche Marschleistungen" — so heißt es im Kriegstagebuch darüber weiter — „in Verbindung mit
kurzer Nachtruhe und dürftiger Unterkunft stellten an die Truppe höhere Anforderungen als in den Verfolgungstagen von Tannenberg und Goldap. Die ungünstige Witterung machte die im Anfang leidlichen Wege nahezu unbenutzbar. Besondere Anstrengungen mußten von der 2., zum NjemenÜbergang angesetzten Division gefordert werden." Am stärksten mitgenommen war aber die 1. Kavallerie-Division; sie meldete am 30. Sep-
tember: „Drei Regenbiwaks ohne Hafer, Land ausgesogen. Durch seit Tagen fehlende Verpflegung und Hafer und tiefe Wege ist Artillerie jetzt
gefechtsunfähig. Rur Schritt auf Straße möglich." Vei solchem Zustande der Truppe ging in der Nacht zum I.Oktober um 230 die Meldung ein, daß die 6. Landwehr-Vrigade von Olschanka „in Auflösung" nach Norden zurückgehe. General v. Fran^ois alarmierte die 2. Infanterie-Division und setzte sie von Suwalki nach Süden zum Gegen-
angriff an. Zwischen den beiden nach Ratschki und Augustow führenden Straßen kam es südlich Olschanka zum Kamps; eine Entscheidung fiel bis zum Abend nicht. Die Hälfte der 1. Infanterie-Division wurde nachgezogen, die andere Hälfte dieser Division mußte ihren Nordflügel an die Südspitze des Selment-Sees') zurückbiegen, da inzwischen auch von Osten feindliche Infanterie im Anmarsch gemeldet war. Die 1. KavallerieDivision sicherte an der Straßenkreuzung halbwegs Suwalki—Kalwaria die linke Flanke. General v. Schubert, der schon am 29. September entschlossen >-«nd2.se. gewesen war, sein Hauptquartier mehr hinter die Mitte der Armee, von to6et* J) Nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen See östlich Lyct. 33*
516
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
Lyck nach Goldap, zu verlegen, hatte diesen Wechsel wegen der Ereignisse auf dem Südflügel bis zum 1. Oktober hinausgeschoben. Inzwischen hatte sich die Gesamtlage der Armee immer schwieriger gestaltet. Der Gegner hatte nicht nur bei Suwalki angegriffen, sondern auch bei Grajewo, wo ihm der Abzug der Landwehr-Division Goltz nach Raigrod den Weg in den Rücken der Armee freigegeben hatte; außerdem setzte er sich jetzt auch gegen den Nordflügel der Armee in Bewegung. Weit überlegener Feind schien in zusammenhängender Front im Vormarsch. Die eigene Armee aber war mit ihren geringen Kräften in einer Breite von 80 km ausein.
andergezogen und hatte keine Reserven. Zerrieb sie sich in Teilgefechten auf russischem Boden, so konnte jeder ernstere Rückschlag verhängnisvoll werden. Solche Erwägungen brachten General v. Schubert schon in der Nacht zum 1. Oktober zu der Überzeugung, daß es nötig sei, die Armee allmählich in die Lützen—Angerapp-Stellung zurückzuführen. Die Ereignisse des 1. Oktober zerstreuten auch die letzten Bedenken: Von der LandwehrDivision Goltz (dabei auch die 70. Landwehr-Brigade) trafen ernste Nachrichten ein; sie war am 1. Oktober früh von Raigrod nicht nach Osten auf Augustow weiter marschiert, sondern vor einem von Süden gemeldeten Gegner nordwärts über die Reichsgrenze nach Kallinowen ausgewichen
und meldete, sie stehe dort „gänzlich erschöpft, sowohl gefechts- wie bewegungsunfähig" und habe Mangel an Verpflegung und Munition. Weiter lag die Nachricht vom Zurückweichen der 6. Landwehr-Brigade vor. Die Lage beim General v. Morgen war noch ungeklärt.
Das I. Armee-
korps, durch die vorhergegangenen Anstrengungen ermattet, focht mit Teilen gegen Süden und war außerdem durch überlegenen Feind gebunden, der jetzt in breiter Front von Osten zu folgen schien. Zu alledem aber meldete abends General Otto v. Below, der Kommandierende General des I. Reservekorps, daß er vor drohender Umfassung den Rückmarsch von Kalwaria und Mariampol auf Wirballen antrete. Dem Verlangen des Oberkommandos, statt dessen die 1. Reserve-Division zur Unterstützung des I. Armeekorps von Kalwaria nach Süden anzusetzen und nur die Landwehr-Division Königsberg auf Wirballen zurückzunehmen, vermochte er nicht mehr zu entsprechen. Die bei Ratfchki—Suwalki kämpfende Mitte der deutschen Armee war im Süden wie im Norden ihres Flankenschutzes beraubt. Mit acht bis neun Korps schien der Gegner im Vorgehen, um diese Mitte zu umfassen. Von den eigenen Kräften aber waren vier Landwehr-Brigaden, mit denen der
Armeeführer bisher gerechnet hatte, offenbar in einem Zustande, der ihre weitere Verwendung im fteien Felde für die nächste Zeit ausschloß. In dieser Lage faßte General v. Schubert den Entschluß, mit dem Nückzug in die Angerapp-Stellun g nicht mehr länger zu warten; dort
8. Armee. — Gefecht bei Ratschki.
517
konnten die Landwehrtruppen eine ihrer Leistungsfähigkeit entsprechende Verwendung finden, die aktiven und Reserve-Truppen als Stoßgruppe auf dem Nordslügel vereinigt werden. Am Abend des 1. Oktober meldete General
v. Schubert an die Oberste Heeresleitung: „Feindlicher Vormarsch heute
auf
Front
Pilwischki—Mariampol—Ludwiuow—Seiny—Augustow—
Grajewo—Schtschutschin festgestellt. Davon nördlich des Waldes von Augustow 1. Armee mit vier Korps, darunter neu das XVIII. Korps") und einige Reserve-Divisionen, im und südwestlich des Waldes von Augustow 10. Armee mit etwa vier bis fünf Korps. Heute für uns günstiger Kampf zwischen Augustow und Suwalki, der auch noch morgen dauert. Alsdann allmähliches Ausweichen vor Umfassung auf erweiterte Lützen- und AngerappStellung. Dort voraussichtlich Entscheidungsschlacht. Landwehr infolge
dauernder Kämpfe und durch schlechte Witterung sowie tief aufgeweichten Boden nur noch sehr bedingt verwendungsfähig." — Der Armeebefehl für
den 2. Oktober regelte die Vorbereitungen für den Rückzug. Landwehr, Trains und Troß wurden westwärts auf Lützen vorausgesandt, das Korps Velow hatte die Stellungen bei Wirballen zu halten, während das Korps Morgen und das I. Armeekorps den Kampf bei Ratschki „zum Abschluß" bringen sollten, denn hier war vielleicht noch ein Erfolg zu erreichen. Lange aber konnte man sich auch dabei nicht mehr aufhalten; im Befehl hieß es
daher: „Ganze Lage zwingt dazu, möglichst schnell mit dem Gegner zu Ende zu kommen. Wenn erforderlich, muß sich das I. Armeekorps mit einem Nachtmarsch einer überlegenen Umfassung des Gegners von Norden und Osten auf Filipowo entziehen.
. . . Korps Morgen, von hier aus nicht
erreichbar2), muß nach Umständen handeln." Beim Korps Morgen begann der 2. Oktober mit heftigem Angriff der Russen gegen den linken Flügel der 3. Reserve-Division nörd¬ lich Ratschki. Gleichzeitig gelang es aber dem rechten Flügel dieser Divi-
sion, nunmehr auch südlich Ratschki die Rospuda-Äbergänge zu gewinnen. Vis zum Abend war der Gegner auf der ganzen Divisionsfront über den
Scheberka-Abschnitt zurückgeworfen. General v. Morgen hatte den Eindruck, daß der russische Widerstand gebrochen sei. „Ich werde meinen Erfolg rücksichtslos ausnutzen" — meldete er abends dem Oberbefehls-
haber — „und hoffe dadurch, die Armee in eine so günstige Lage zu bringen,
daß sie nicht nötig hat, den weiteren Rückzug anzutreten und wieder die Grenze zu überschreiten.
. . . Zch hoffe, daß sich auch die übrigen Teile
Euerer Exzellenz Armee des überlegenen Gegners erwehren werden. *) Hier lag ein Irrtum vor. 2) Fernsprechverbindung bestand nicht.
Im übrigen kann es sich nur um eine
ganz kurzfristige Unerreichbarkeit gehandelt haben.
518
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
... Um diesen Gegner ganz zu vernichten, rechne ich auf ein Eingreifen der 2.Infanterie-Division. .
Statt dessen erhielt er am 3. Oktober
von seinem zum I. Armeekorps entsandten Offizier um 4" vormittags die
Meldung, daß dieses Korps „auf Befehl des Armee-Oberkommandos" den Rückmarsch von Suwalki nach Westen bereits angetreten habe. Damit mußte auch General v. Morgen den weiteren Kampf aufgeben. Nach Vestattung der Toten trat er den Rückzug an; seine Truppen hatten 46 Offi. ziere und 1571 Mann an Toten, Verwundeten und Vermißten verloren. Beim I. Armeekorps hatte General v. Fran^ois für den 2. Oktober die Fortsetzung des Angriffs auf Augustow befohlen, zur Ausführung aber war es nicht gekommen. Der Ostflügel der 2. InfanterieDivision war im Laufe des Tages von starkem Gegner nach Norden zurückgedrängt worden; erst in einer Stellung 5 km südlich Suwalki war es dem Divisionskommandeur, Generalleutnant v. Falk, gelungen, auf diesem Flügel die Abwehr neu zu ordnen. Der rechte Flügel hatte sich dagegen
gehalten; ihm hatte der fortschreitende Angriff der 3. Reserve-Division drei bespannte russische Batterien (18 Geschütze) und mehr als 2000 Mann als Beute in die Arme getrieben. Inzwischen war General v. Franeois durch einen Fernspruch vom Armee-Oberkommando schon um 9° vormittags darauf hingewiesen worden,
er solle sich „auf eine Ausnutzung seines Erfolges südlich Suwalki nicht einlassen; der Herr Oberbefehlshaber legt mehr Wert darauf, daß das Armeekorps in gutem Zustande aus dem Kampf gezogen werden kann, um für neue Aufgaben befähigt zu fein"1). Angesichts der Gesamtlage seines Korps und des Rückschlages auf dem linken Flügel der 2. InfanterieDivision, aber noch ohne Kenntnis von den Erfolgen auf deren rechtem Flügel und beim Korps Morgen, hatte General v. Fran^ois daher bereits um 330 nachmittags den Abmarsch nach Westen angeordnet.
Etwa um
5° rückte die 1. Infanterie-Division ab, in der Rächt folgte die 2.; der Gegner drängte nicht. Der Abmarsch des I. Armeekorps ist dem Armee-Oberkommando, ob-
gleich Fernsprechverbindung bestand, nicht gemeldet worden.
So erfuhr
General v. Schubert zunächst nichts davon. Cr war noch am 1. Oktober von der Obersten Heeresleitung an den Femsprecher gerufen worden. General v. Falkenhayn wollte wissen, ob er nicht gegen einen
der russischen Flügel eine umfassende Operation ausführen könne. General i) Aufzeichnung beim I. Armeekorps. — Generaloberst v. Schubert hat in einer
Zuschrift an das Reichsarchiv vom Frühjahr 1928 bezweifelt, daß dieser Fernspruch mit seiner Genehmigung gegeben worden sei; jedenfalls habe er nur besorgt, daß das I. Armeekorps zu weit nach Süden vorstoßen könne.
519
8. Armee — Rückzugsgedanken.
D. Schubert hatte erwidert, seine Lage sei dafür zur Zeit nicht gerade günstig, er sei selbst umfaßt; man solle ihn aber nur gewähren lassen; er werde sich schon „herauswickeln und später die verlangte Operation ausführen". Als dann der Gegner am 2. Oktober an keiner Stelle der
Armeefront stark drängte, schien ihm der Rückzug nicht mehr eilig. Cr ließ den Abmarsch der Landwehr anhalten und wollte, wie er abends an die
Oberste Heeresleitung zugleich mit dem Siege von Ratschki meldete, „morgen an der Grenze auf russischem Gebiet ruhen".
Der Kampf bei
Ratschki sollte zum vollen Abschluß gebracht werden.
Im Armeebefehl
für den 3. Oktober hieß es: Das Korps Morgen geht mit Tagesanbruch zum Angriff in östlicher Richtung vor, wirft den gegenüberstehenden Feind
zusammen mit der 2. Infanterie-Division in das Waldgelände zurück." Dann erst sollte sich das I. Armeekorps in der Richtung auf Ratschki sammeln, bereit, einen Vorstoß des Feindes von Süden abzuwehren; die 2. Infanterie-Division sollte der nach Westen abziehenden 1. InfanterieDivision folgen. Erst als dieser Armeebefehl gegen Mitternacht beim I. Armeekorps in Filipowo einging, erfuhr der Armeeführer, daß das Korps bereits in vollem Rückzüge war. Am 3. Oktober festigte sich die zuversichtlichere Beurteilung der 3* ttn6 4-
Lage. Es ergab sich, daß das III. sibirische Korps bei Ratschki geschlagen war; 3500 unverwundete Gefangene und 24 Geschütze waren als Beute
gemeldet worden. Bei Grajewo hielt sich der Gegner immer noch zurück, und im Norden entfaltete er sich nur langsam gegen das Korps Below.
General v. Schubert begab sich zum General v. Franczois nach Filipowo. Auf der Fahrt dorthin zeigte sich besonders augenfällig die hohe Verteidi¬ gungsfähigkeit der Grenzseen; an solchen Geländeabschnitten konnte auch Landwehr den Gegner abwehren. Als der Oberbefehlshaber dann in Filipowo erfuhr, daß der Feind von Suwalki kaum gefolgt war, stand bei ihm der Entschluß fest, die bis dahin an der Angerapp beabsichtigte Abwehr schon an der Landesgrenze durchzuführen. „Run aber keinen Schritt weiter zurück!" — lautete feine mündliche Weisung an das I. Armeekorps.
Da der Gegner im Süden nicht zu fassen war, entschloß sich General v. Schubert nunmehr zu einem Schlage im Norden.
Das entsprach einem
gleichzeitigen Vorschlage des Generals v. Below, der umfassenden Angriff gegen die auf Wirballen vorgehende russische Nordgruppe empfahl. Alle verfügbaren Kräfte wollte General v. Schubert gegen sie zusammenziehen, während der Südflügel inzwischen in der Abwehr blieb. Diesen unterstellte er am 4. Oktober vormittags dem Generalleutnant v. Morgen,
der mit seiner 3. Reserve-Division, der Landwehr-Division und der 6. und 70. Landwehr-Brigade den von Natur starken Verteidigungsabschnitt bis
to6"'
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
520
Filipowo übernehmen sollte. Am Angriff gegen die feindliche Nordgruppe sollten außer dem I. Reservekorps (einschließlich 36. Reserve-Division) möglichst das ganze aktive I. Armeekorps teilnehmen, ferner die LandwehrDivision Königsberg und die bisher bei Tilsit stehende 9. Landwehr-Vrigäbe, alles in allem.etwa 5y2 Divisionen Infanterie. Diese Pläne erfuhren am 4. Oktober eine Änderung. Als der Gegner gegen Vakalarschewo und Filipowo weiter vorging, wollte General v. Francis den vom Oberkommando angeordneten Abmarsch der 1. Insanterie-Division nach Norden verschieben, um vorher mit diesem
Feinde „aufzuräumen". General v. Schubert konnte sich dieser Notwendigkeit nicht ganz verschließen; er ordnete an, das I. Armeekorps solle den
Gegner abweisen, ihn aber über feine gegenwärtigen Stellungen hinaus nicht verfolgen. An dem Entschluß zum späteren Angriff auf dem Nordflügel aber hielt der Oberbefehlshaber fest. Im Armeebefehl von 2°nach¬ mittags hieß es: „Das Armee-Oberkommando will bei Wirballen die Ent-
fcheidung suchen; dazu rückt 1. Insanterie-Division, wie gestern für heute befohlen, sofort ab. General v. Frangois übernimmt mit 2.InfanterieDivision, 6. Landwehr-Brigade und Landwehr-Division Goltz den Schutz gegen Suwalki von südlich der Romintenschen Heide an bis einschließlich Vakalarschewo." Dabei sollte das I. Armeekorps aber auch ferner die Loslösung der 2. Insanterie-Division und ihre Vereitstellung hinter dem linken Flügel im Auge behalten, um sie gleichfalls nach Norden abmarschieren zu
lassen. Dieser Armeebefehl war der letzte, der die Unterschrift des Generals v. Schubert trug. Kurz danach traf ein Telegramm der Obersten Heeres¬
leitung ein, das ihn „zu persönlicher Rücksprache" ins Große Hauptquartier rief. Cr ist von dort nicht wieder auf seinen Posten zurückgekehrt). Der Nachfolger, General v. Fran^ois, ließ den Gedanken des Angriffs auf dem
Nordflügel sofort fallen. c) Eine Unternehmung gegen die russische Küste"). Hierzu Karte 14.
24. September.
Für das Landungsunternehmen der Flotte hatte die Oberste Heeresleitung im Einvernehmen mit dem Chef des Admiralstabes den kleinen Hafen Windau an der Küste von Kurland als Ziel bestimmt. Die OstseeStreitkräfte wurden aus der Nordsee durch das IV. und V.Geschwader der x)Vgl.6.526s. 2) Vgl. S. 414 und 505. — Näheres über die seemännische Ausführung des Unter-
nehmens enthält: Der Krieg zur See 1914—1918, herausgegeben vom Marinearchiv; Der Krieg in der Ostsee, I. Band, S. 135ff.
Teile der Flotte vor Windau.
521
Hochseeflotte verstärkt; Großadmiral Prinz Heinrich von Preußen hatte die Führung des gesamten Verbandes übernommen. Auf die ursprünglich
beabsichtigte Mitwirkung einer verstärkten Infanterie-Brigade von sechs Bataillonen, zwei Schwadronen und drei Batterien hatte man aber verzichten müssen, da die Herrichtung der dazu nötigen Transportschiffe zu lange Zeit in Anspruch genommen hätte. Die geplante Landung eines gemischten Truppenverbandes mußte damit ausfallen; das Unternehmen sollte sich nunmehr „auf eine Demonstration mit den verfügbaren Seestreitkräften . . .,
gegebenenfalls auch kleine Landungsunternehmungen" beschränken. Dazu wurde in Danzig ein Ersatz-Bataillon von 750 noch in der Ausbildung begriffenen Mannschaften auf den Linienschiffen des V. Geschwaders ein-
geschifft.
Am 24.September erschienen Teile der Flotte vor Windau und begannen mit vorbereitenden Maßnahmen für eine Landung; am folgenden
Tage sollte das Unternehmen fortgesetzt werden. Als aber in der Nacht Nachrichten kamen, die übereinstimmend das Einlaufen englischer Seestreitkräfte in das Kattegatt meldeten, sah sich der Großadmiral genötigt, schleunigst in die westliche Ostsee zurückzukehren, um sich gegen den neuen Feind zu wenden. Auch als sich die erwähnten Nachrichten bald darauf als falsch erwiesen, wurde das einmal abgebrochene Unternehmen angesichts der bei Windau erkannten Landungsschwierigkeiten nicht wieder aufgenommen.
Ob durch dieses kurze Scheinunternehmen irgendwelche Wirkung erzielt worden ist, steht dahin. In einer russischen Darstellung') heißt es: „Was die deutschen Schiffe veranlaßt hat, der Küste so nahe zu kommen, blieb ungeklärt, denn nach kurzer Zeit entfernten sie sich, ohne etwas unter¬ nommen zu haben". Bei Durchführung der zuerst geplanten Landung einer ganzen Brigade wäre das Ergebnis ein anderes und damit eine Entlastung der Kampffront wohl möglich gewesen. Aber auch so hat die Sorge vor
einer deutschen Landung, die seit Kriegsbeginn auf der russischen Führung lastete, dauernd Kräfte an der baltischen Küste gefesselt, die ihr dafür an
anderer Stelle fehlten. 6) Die Absichten des Gegners^) und Würdigung der bisherigen
deutschen Operationen. Hierzu Skizze 11 und Karte 18.
Nach den Niederlagen bei Tannenberg und an den Masurischen Seen Ms M.sephatten die Armeen der russischen Nordwestfront der Ruhe bedurft, um ihre cm
außerordentlich schweren Verluste zu ersetzen und die gesunkene Sieges*) Graf, S. 29. — -) Im Anschluß an S. 431 f. und Bd. II, S. 312.
522
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
Zuversicht der Truppe wieder zu beleben. Äber den Eindruck, den der Großfürst Nikolaus als Oberster Befehlshaber am 19. Sept e m b e r bei einem Besuche im Hauptquartier der Nordwestfront in Bje-
lostok erhielt, schrieb sein Generalstabschef tags darauf an den Kriegsminister'): „Die Lage ist nicht sonderlich, da die 1. Armee nicht kampffähig ist. Cs gibt Divisionen in Stärke von 3 500 Mann!! mit 18 Geschützen!! Trotz aller Anstrengungen ist der Verbleib des IV. und XXVI. Korps noch ungeklärt." Die 2. Armee war seit Tannenberg schwer geschwächt; am frischesten war die 10. Armee.
Der neue Oberbefehlshaber der Nord-
Westfront, General Rußki, wollte daher zunächst in der Verteidigung bleiben und dazu seinen linken Flügel unter Preisgabe der befestigten Narew-Linie sogar bis in die Gegend von Vjelostok zurücknehmen. Nur das
Eingreifen der Obersten Heeresleitung hat die Durchführung dieser Absicht verhindert. In Erwartung eines deutschen Angriffs aus Ostpreußen nach Süden hatte der Großfürst am 25.September angeordnet, daß der rechte Flügel der Nordwestfront, 1. und 10. Armee, wieder angreifen, dazu am 3. Oktober an die Grenze vorrücken und den Gegner hinter die Linie
der Mafurischen Seen zurückdrängen solle. Als General Rußki diesen Auftrag erhielt, waren seine Armeen mit 36 Divisionen Infanterie und 11 Kavallerie-Divisionen auf mehr als 500 km Frontbreite von Riga bis Nowogeorgiewsk wie folgt verteilt: Die 1. Armee unter General v. Rennenkampf stand mit 1% Kaval¬ lerie-Divisionen des Generals Rauch, dem III., IV., IT., XX. Korps und dem XXVI. (Reserve-)Korps, der 2. und 3. Kavallerie-Division am Njemen von Kowno bis südlich Meretsch. Die Armee hatte einschließlich der bei Riga und Schauten zum Küstenschutz bereitgehaltenen Kräfte und der Besatzung von Kowno im ganzen 141/., Divisionen Infanterie und 4 Kavallerie-Divisionen. Die 10. Armee unter General Flug stand mit dem XXII., II. kaukasischen, III. sibirischen und I. turkestanischen Korps von Druskjeniki bis westlich Vjelostok. Sie zählte einschließlich der Besatzungen von Grodno und Ossowjez 10 Divsionen Infanterie und 2 Kavallerie-Divisionen.
Ihre Truppen hatten bisher am wenigsten gelitten, zwei ihrer Korps über-
Haupt noch nicht gefochten. Die 2. Armee unter General Scheidemann stand mit Vorhuten am Narew, mit den Gros des VI., XXIII. und I. Korps südlich von
Lomsha bis zum Bug; dahinter traf das II. sibirische Korps bei Kleschtscheli ein. Diese Armee umfaßte 8 Divisionen Infanterie und 3 KavallerieDivisionen. *) Briefwechsel Ianuschkewitsch-Suchomlinow im Kraßny-Archiv I, S. 245.
Operationen der russischen Nordwestfront.
523
Die Abteilung Warschau, dabei das XXVII. (Reserve-) Korps, deckte mit 3^ Infanterie- und l3/4 Kavallerie-Divisionen Warschau und Rowogeorgiewsk, vor allem auf dem westlichen Weichsel-Afer. Als die russische Oberste Heeresleitung dann die Verschiebung^' starker deutscher Kräfte nach Oberschlesien erkanntes, wies sie schon am m 27. September auf baldige Versammlung starker Kräfte der Nordwestfront bei Warschau hin, um den in Südpolen erwarteten deutschen
Angriff in der Flanke zu fassen. General Rußki hielt die Zeit zu solcher Umgruppierung seiner Kräfte zwar noch nicht für gekommen, da er immer noch sechs bis sieben deutsche Korps vor sich habe. Er entschloß sich aber, um den deutschen Vorstoß gegen Druskjeniki und Ofsowjez abzuwehren, den Angriff seiner 1. und 10. Armee ohne Rücksicht aus die noch unvollendeten Vorbereitungen nicht erst am 3. Oktober, sondern sofort beginnen zu lassen. Am 28. September traten diese beiden Armeen, insgesamt 16 Divisionen Infanterie und 3V2 Kavallerie-Divisionen mit einer Gefechtsstärke von 145000 Mann und 750 Geschützen^), in 250 km breiter Front den Vormarsch an. Über den Njemen ging die 1. Armee vor, rechter
Flügel über Kowno, linker über Druskjeniki. Durch den Wald von Augustow ging die 10. Armee; von ihr wandten sich das II. kaukasische und das XXII. Korps nebst 1. Kavallerie-Division gegen Kopziowo—Seiny, das durch eine Brigade verstärkte III. sibirische Korps, eine KavallerieBrigade und die Hälfte des I. turkestanischen Korps gegen Augustow, die andere Hälfte dieses Korps gegen die Deutschen vor Osiowjez. Gegen sie setzten sich tags darauf auch Teile der 2. Armee, VI. Korps und 4. Kavallerie-Division, von Lomfha her wieder nach vorwärts in Bewegung, während diese Armee im übrigen die linke Heeresflanke zu decken hatte. Dieses Vorgehen bedrohte die drei Landwehr-Brigaden des Generals v. der Goltz°) bei Grajewo mit Umfassung. Ob die Kampfkraft der Landwehr ausgereicht hätte, die schwierige Lage in kühnem Gegenstoß wenigstens
vorübergehend zu meistern, erscheint fraglich trotz der zahlreichen schweren Artillerie, über die der deutsche Führer hier verfügte. Der Vormarsch der russischen 10. Armee gegen die Flanke des damals
noch vor Druskjeniki stehenden deutschen I. Armeekorps^) bedeutete für dieses eine überaus ernste Gefahr; sie ist nur dadurch gemildert worden, daß die Russen nicht wagten, dem rechten Flügel ihrer Armee von Haus aus eine mehr nordwestliche Richtung zu geben. Schon am Abend des 28. September stand mehr als ein ganzes russisches Korps bei Augustow, *) S. 457. — 2) Brief des Generals Ianuschkewitsch vom 28. September 1914, Kraßny-Archiv I, ^0 v. Below den Gegner nördlich der Nomintenschen Heide abgewehrt.
Seit dem 2.Oktober morgens standen seine Truppen, zunächst nur das I. Reservekorps (ohne 36. Reserve-Division) und, nördlich an dieses an-
schließend, die Landwehr-Division Königsberg auf russischem Boden in etwa 20 km breiter Stellung östlich Wirballen. Auf weitere Ausdehnung der Stellung nach Süden oder Norden hatte General v. Velow verzichtet, um seine Kräfte nicht zu zersplittern. Kavallerie sicherte den 15 km breiten Raum zwischen dem Wischtyter See und dem Südflügel des Korps, etwa 8 km nördlich vom linken Flügel war der Grenzort Wladislawow
schwach besetzt. Die 36. Reserve-Division war von Süden im Anrollen'), von Norden sollte die bisher bei Tilsit verwendete 9. Landwehr-Vrigade heranrücken. Aus aufgefangenen Funksprüchen wußte man das russische XX. und III. Korps, die 5. Schützenbrigade und die 56. Reserve-Division vor der Front.
Am 4. Oktober fühlte der Gegner vorsichtig an die deutschen Stellungen heran. General v. Velow schlug unter Einsatz von Ver° ftärkungen einen großangelegten Gegenangriff vor. Der Oberbefehlshaber, damals noch General v. Schubert, trug sich mit derselben Absicht. Sie kam aber — wie schon geschildert^) — infolge des Wechsels im Oberkommando
nicht zur Durchführung. General v. Velow blieb auf seine eigenen Kräfte angewiesen. Der Gegner aber drängte vorwärts. Am 5.Oktober wurden Wladislawow und Schirwindt planmäßig den Russen überlassen. Vor der ausgebauten Stellung von Wirballen hielt sich der Gegner im allgemeinen zurück, im Süden aber drang er östlich Pillupönen tief in die Flanke vor. Gegen diese drohende Umfassung konnte am 6. O k t o b e r der Anfang der gerade eintreffenden 36. Reserve-
Division angesetzt werden. Inzwischen aber wurde die Lage auch in der Mitte und namentlich auf dem Nordflügel ernster. Gegen den linken Flügel der 1. Reserve-Division und gegen die Division Königsberg kamen die Russen in wiederholten Angriffen bis auf nahe Entfernungen heran, wurden aber, teilweise unter schweren Verlusten, abgewiesen. Im Norden konnte die anrückende 9. Landwehr-Vrigade den deutschen Grenzort Schir-
windt erst nach Kampf wieder besetzen. Am 7. Oktober mußte Schirwindt vor neuem russischen Angriff x) 6.528. — -) Ebenda und S. 520.
Die Kämpfe des Korps Below.
537
abermals aufgegeben werden; die 9. Landwehr-Vrigade wich auf Willuhnen aus, der Gegner folgte. Inzwischen aber war die Amfassungsgefahr auf dem Südflügel abgewendet; General v. Velow hatte die Masse der 36. Reserve-Division daher nach und nach als Reserve hinter den Rordflügel ziehen können und setzte sie hier am 8. Oktober nachmittags zusammen mit Teilen der Division Königsberg zum Gegenangriff an. Cs gelang, die Russen in der Richtung auf Wladislawow—Schirwindt zurückzudrängen. Gegen diese Orte ließ General v. Velow am 9. Oktober Teile der 36. Reserve-Division und der Division Königsberg sowie die 9. Landwehr-Brigade von Süden und Westen zu umfassendem Angriff vor¬ gehen. Der Gegner wurde geworfen, die Verfolgung führte über Wladislawow wohl 4 km ostwärts hinaus. Mehr als tausend Gefangene der russischen 56. Reserve-Division und der 5. Schützen-Vrigade wurden eingebracht. General v. Below beabsichtigte aber nicht, die jetzt gewonnene Linie dauernd zu halten; er nahm die 36. Reserve-Division als Verfügungstruppe nach Süden zurück; die 9. Landwehr-Vrigade wich vor erneutem Vorgehen überlegenen Gegners am Abend des 10. Oktober planmäßig wieder nach
Westen auf Willuhnen aus. Als der Gegner am 11. Oktober von neuem über Schirwindt vor-
ging, setzte General v. Velow seine Truppen sofort wieder zum Gegenangriff an, dieses Mal mit dem Ziele, den Feind einzukreisen. Westlich der Grenze kam Generalleutnant Clausius mit der 9. Landwehr-Brigade gut vorwärts; die 70. Reserve-Brigade unter Generalmajor Vett warf auch den Gegner südöstlich Schirwindt. Der entscheidende Stoß aber, den Teile der 69. Reserve-Brigade östlich der Grenze von Süden her in den Rücken
des Gegners führen sollten, traf schon am Scheimena-Abschnitt auf zähen Widerstand, der erst am nächsten Tage gebrochen werden konnte.
In-
zwischen hatte sich der Nordflügel bei Schirwindt mit Erfolg russischer Gegenangriffe erwehrt. Der Gegner hatte einen kräftigen Schlag erhalten, wenn auch die geplante Einkreisung nicht geglückt war. Die Beute der bisherigen Kämpfe zählte 3500 Gefangene und etwa 30 Geschütze. Die Angriffskraft der Russen war auf diesem Teil der Kampffront gebrochen; es trat Ruhe ein. Bei grundlosen Wegen und naßkaltem Wetter waren aber die letzten Gefechtstage auch für die deutschen Truppen außerordentlich anstrengend gewesen. Auf weitere Ausnutzung des Sieges mußte verzichtet werden. Die Gegend um Schirwindt betrachtete General v. Velow — wie er berichtet) — auch weiterhin „als unser Manövrierfeld,
auf dem wir nicht zum Stellungskampf übergehen, fondern im Bewegungs*) Zuschrift an das Reichsarchiv von 1927.
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
538
krieg bleiben wollten, denn in ihm fühlten wir uns überlegen". Am 13. Oktober wurden die Truppen, bis auf eine schwache Besetzung, von Schirwindt wieder zurückgenommen, und bald darauf die Versügungstruppen auf den jetzt vor allem bedrohten rechten Flügel der Front geschoben. Als dann General v. F r a n
goisam26.Oktob
nach Süden wegzog, blieben nördlich derRomintenschen Heide nur 2l/2 Divisionen, davon mehr als die Hälfte Landwehr, dem Gegner gegenüber. Aber auch die Russen schienen sich an dieser Front geschwächt und ihre Kräfte siidwärts verschoben zu Habens.
6) Der Entschluß zum Rückzüge in die Lötzen—Angerapp-Stellung. Hierzu Skizze 13 und Karte 17.
2«. Oktober bis
Am 28. Oktober schienen am Wischtyter See die erwarteten Durch-
2. November, hx^ch^versuche der Russen zu beginnen.
Man wußte dort mehrere Divi-
sionen vor der Front. Ihr Stoß traf die schwache Mitte der deutschen 8. Armee, wo zwischen Hantscha- und Wischtyter-See die 1. KavallerieDivision allein stand. Sie wich auf Szittkehmen aus. Das I. Armeekorps) mußte nördlich Pscherosl die 6. Landwehr-Brigade als Nordflanke scharf
zurückbiegen. Der russische Angriff schien auch auf das Korps Below überzugreifen, kam hier aber nicht zur Entwicklung. General v. F r a n 000 Mann entfielen 2500 Vermißte. — 2) Vgl. S. 558.
542
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
stellen, daß augenblicklich keine Gefahr mehr bestand. Aber ohne Reserven und damit ohne die Aussicht, den Feind hier endgültig zurückzuwerfen, war die 100 km lange Armeefront im freien Felde nicht zu halten. General v. Frantzois mußte sich entschließen, nun doch in die Lötzen—Angerapp. Stellung zurückzugehen, in der er auch mit geringeren Kräften für längere Zeit auskommen konnte. Mit dem Rückzüge war das Aufgeben oftpreußischen Gebiets verbunden, und das ist dem bisherigen Kommandierenden General des Königsberger Armeekorps besonders schwer geworden, dessen Truppen seit Kriegsbeginn in drei großen Schlachten und zahlreichen kleineren Gefechten für die Verteidigung ihrer unmittelbaren Heimat gesiegt und geblutet hatten. Aber auch General v. Francis sah keine andere Möglichkeit mehr. Am 2.November abends meldete er an den
Oberbefehlshaber Ost: „Angriff heute in Gegend Rominter Heide erfolgreich fortgesetzt. In letzten Tagen rund 3000 Gefangene gemacht, vier Maschinengewehre erbeutet — Abtransport der drei Divisionen beginnt 6. November abends.
. . . Dmch Abtransport Unmöglichkeit, ostpreußische
Grenze zu schützen. Allmählicher Rückzug zunächst hinter Angerapp erforderlich. Artilleriemunition dauernd knapp." Am Abend des 2. November begann auf dem Südflügel der Armee, vom Gegner ungestört, die Rückzugsbewegung.
e) Die russischen Operationen im Oktober) und Würdigung der deutschen Operationen. Hierzu Karte 17, Skizzen 12, 13 und 14.
l.bis«.sk. Am 1. Okto ber hatte dierussischeObersteHeeresleitung to6"' den übertritt der 2. Armee und der Abteilung Warschau, seither „RarewGruppe" genannt, von der Rordwestsront zur Südwestfront angeordnet; diese Heeresteile sollten an der großen Amsassungsoperation an der Weichsel
teilnehmen^). Für dieselbe Aufgabe rollte auch schon das II. sibirische Korps der 10. Armee nach Warschau. Diesem Korps hatten nun noch zwei weitere zu folgen; General R u ß k i bestimmte dazu nach einigem Sträuben das II. und IV. Korps, die bisher hinter der 1. Armee in zweiter Linie standen. Schließlich sollte er aber auch noch das VI. Korps, das sich, der 10. Armee zugeteilt, bei Grajewo an der aussichtsreichsten Stelle der An-
griffssront befand, von dort nach Lomsha und westlich verschieben, um die Lücke zwischen 10. und 2, Armee zu schließen.
General Rußki verfügte somit für die weiteren Operationen gegen Ost¬ 1) Anschluß an S. 525. — -) Vgl. S. 458.
Russische Operationen gegen Ostpreußen.
543
preußen — ungerechnet das VI. Korps — nur noch über 21 Divistonen
Infanterie und 8 Kavallerie-Divisionen der 1. und 10. Armee. Den Auftrag, mit diesen Kräften Rücken und rechte Flanke der Weichsel-Operation zu decken, glaubte er durch Fortführung des einmal begonnenen Angriffs am wirksamsten zu erfüllen. Cr nahm dabei in Kauf, daß dieser nun im wesentlichen rein frontal geführt werden mußte, denn in der Flanke
der deutschen Front südlich Lyck stand außer Kavallerie einstweilen nur noch die 11. sibirische Division des I. turkestanischen Korps1) zur
Verfügung. Der Versuch, bei Suwalki, dessen Räumung man erst am 3. Oktober
früh erkannte, größere Teile der deutschen Armee durch Umfassung vernichtend zu treffen, hatte dazu geführt, daß sich dort vier Korps der 1. und 10. Armee auf engem Räume zusammendrängten. General Rußki wollte den weiteren Vormarsch aus Gründen, die vermutlich in erlittenen Verlusten und entstandenen Reibungen zu suchen sind, erst am 7. Oktober aus
der Linie Wladislawow—Suwalki—Augustow wieder aufnehmen. In der Annahme, daß die Deutschen den Rückzug bis in die Linie der Masurischen Seen fortsetzen würden, dachte er, bis zum 11. Oktober die Linie Insterburg—Arys—Iohannisburg und südlich zu erreichen, um dann die Seenstellung von Norden und Süden gleichzeitig umfassend anzugreifen. Dazu kam es nun allerdings nicht. Da die Deutschen an der Grenze halt machten, entbrannten vom 5. Oktober an schon hier schwere neue Kämpfe. Nördlich der Romintenschen Heide war die 1. Armee unter General v. Rennenkampf zum An-
griff angesetzt, mit Ausnahme des XXVI. (Reserve-) Korps, das zur Anterstützung der 10. Armee nach Süden abgezweigt war. So gingen zunächst die 5. Schützen-Vrigade, l1/« Garde-Kavallerie-Divisionen und, ihnen folgend, die 56. Reserve-Diviston gegen den Nordflügel des Generals v. Below°), das III. Korps gegen seine Mitte, das XX. Korps und die 2.und 3. Kavallerie-Division gegen den Südflügel vor. Da aber schon am 8. Oktober das russische XX. Korps dem XXVI. nach Süden folgte und das III. Korps vor den vorbereiteten deutschen Stellungen liegen blieb, hat der Druck gegen den Südflügel und die Mitte des Korps Below bald nachgelassen. Dagegen griff im Norden seit dem 10. Oktober die
53. Reserve-Division aus Kowno zur Unterstützung ein. Hier wogte der Kampf hin und her. Die nördlich des Njemen angesetzte russische 68. Reserve-Division nebst 1. selbständiger Kavallerie-Brigade aber haben *) Vgl. Anm. 1 auf S. 532. Die beiden turkestanischen Brigaden des Korps waren weiter nördlich eingesetzt. — -) Vgl. S. 536.
544
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
sich über die Grenze überhaupt nicht vorgewagt, obgleich ihnen auf deutscher Seite nur Landsturm gegenüberstand. Die 10. Armee unter General Flug versuchte, frontal von Osten und auch umfassend von Süden gegen Filipowo—Lyck vorwärts zu kommen. Dabei rannten das XXVI., II. kaukasische, XXII. Korps und die Hälfte
des III. sibirischen Korps gegen die Stellungen des deutschen I. Armeekorps und des Korps Morgen an, die andere Hälfte des III. sibirischen
und die Masse des I. turkestanischen Korps nebst stärkerer Kavallerie
wandten sich gegen die fast völlig ungeschützte deutsche Südflanke. Trotz¬ dem gelangten die Russen hier erst am 7. Oktober nach Lyck, ihre 4. Kavallerie-Division nach Bialla. Inzwischen aber waren ihre Frontalangriffe, da sie nicht einheitlich geführt wurden, trotz fast doppelter Überlegenheit unter schweren Verlusten zusammengebrochen; der Oberbefehlshaber der Armee war am 6. Oktober durch den General Siewers ersetzt worden').
Cs
gelang aber auch diesem nicht, im Frontalangriff weiter vorzukommen. Die Verluste waren bis zum 10. Oktober bei manchen Regimentern auf 75 v. H. der Offiziere und 50 v. H. der Mannschaften gestiegen. Kaum vermochte die Eisenbahn den Abtransport der Verwundetenmassen zu be¬
wältigen, obgleich ihretwegen der Nachschub für vier Tage eingestellt wurde. Die Pferde bekamen schon lange Zeit kaum noch Hafer; die Korps klagten, sie könnten nicht die Hälfte ihrer Artillerie bespannen. >».undtt.orAm 10. Oktober entschloß sich General Rußki, die Offensive an° zuhalten, obgleich gerade an diesem Tage das I. turkestanische Korps von Lyck her bis vor Marggrabowa, die 4. Kavallerie-Division bis vor Arys
gekommen war. Man stand hier tief in des Feindes Flanke und brauchte nur nach Norden weiterzumarschieren, um in den Rücken der deutschen
Front, zwischen diese und die Seenstellungen, zu gelangen. Solcher Vormarsch hätte unter Heranziehung des VI. Korps mit fünf Divisionen Jnfanterie ausgeführt werden können und damals kaum nennenswerten Wider-
stand gefunden, denn das deutsche XXV. Reservekorps war noch nicht heran. Die Zurückhaltung der russischen Führung hat die deutsche 8. Armee in diesen Tagen vor Anheil bewahrt. Die erwähnten Schwierigkeiten des Angriffs können aber dessen Einstellung nur zum Teil erklären. Den Ausschlag hat vermutlich die Oberste Heeresleitung gegeben, die nicht starke Kräfte an der ostpreußischen Front belassen wollte, während die Sorge um Warschau und der Gedanke an die neue große Offensive über die mittlere Weichsel sie voll beschäftigtes.
Die deutscherseits ausgestreuten Nachrichten über nach Ostpreußen rollende ') Vgl. 6.525. — -) S. 460 f.
Die russischen Operationen gegen Ostpreußen.
545
bedeutende Verstärkungen^) mögen mitgewirkt haben. Man entschloß sich, alle Kraft bei Warschau zu vereinigen. Am 11. Oktober befahl General Rußki: Der rechte Flügel der 1. Armee solle noch die Gegend von Wirballen erobern, im übrigen habe sich diese Armee einzugraben, während die 10. Armee in der Nacht zum 12. Oktober sogar zurückgehen und in der bisherigen Stellung nur Nachhüten belassen sollte. Die 1. Armee vermochte aber auch die ihr jetzt gestellte beschränkte Aufgabe nicht zu lösen. Bei Wirballen behauptete General v. Below das Schlachtfeld. Die bewegliche deutsche Abwehr hatte sich bewährt. Die russische 10. Armee war inzwischen mit ihren Gros in die Linie 1l) km nördlich Suwalki—Ratfchki—Pissanitzen, mit
dem I. turkestanifchen Korps auf Grajewo—Schtfchutschin zurückgewichen. Nur das II. kaukasische Korps hatte ganz in seiner bisherigen Stellung westlich von Suwalki belassen werden müssen, denn es hatte — wie es in
der amtlichen russischen Darstellung heißt^) — zu schwere Verluste erlitten, um eine Nachhut von genügender Stärke überhaupt ausscheiden zu können. Am 13. Oktober beauftragte die Oberste Heeresleitung den Ober-13-m °(* befehlshaber der Nordwestfront mit der Führung des Hauptangriffs über tobcc° die mittlere Weichsel gegen die deutsche 9. Armee"). Damit wurde General Nußki von der gegen Ostpreußen zu lösenden Aufgabe abgezogen. Cr nahm der 10. Armee sofort das I. turkestanische und das VI. Korps, um die Narew-Gruppe zu verstärken. Die entstehende große Lücke wurde durch Verschiebungen innerhalb der 10. und 1. Armee erst nach und nach wieder ausgefüllt. Der Vorstoß des deutschen XXV. Reservekorps gegen Gra-
jewo fand daher nur verhältnismäßig schwachen Widerstand. Als am 20. Oktober der allgemeine russische Angriff an der
Weichsel begann, sollte auch die Offensive in Ostpreußen wieder aufgenommen werden. General Rußki beauftragte die inzwischen aus der 1. Armee verstärkte 10. Armee mit der Fortführung des Angriffs in der
bisherigen Richtung. Die Einwände des Generals Siewers, der für Amgehung der Mafurifchen Seen-Front im Süden eintrat, wurden abgewiesen. Auf Drängen der Obersten Heeresleitung wie des Generals Rußki mußte er den Angriff am 22.Oktober durch Vorgehen gegen das deutsche
XXV. Reservekorps bei Grajewo beginnen. Das inzwischen auf diesen Flügel verschobene und auf 3l/2 Divisionen verstärkte III. sibirische Korps drückte die deutschen Deckungstruppen, eine verstärkte Brigade der öl). Reserve-Division, ohne Schwierigkeit zurück. Beiderseits des Gr. Sel*) Vgl. S. 530. — -) Korolkow, Überblick, S. 39. — 8)Vgl, S. 491. t Weltkrieg. V. Land.
35
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
54a
ment-Sees kam aber der Angriff vor den deutschen Hauptkräften zum Stehen und war trotz allen Drängens von höherer Seite zunächst nicht wieder in
Gang zu bringen. 25. vi« z«. vlAm 25. Oktober unterstellte Großfürst Nikolaus sämtliche Truppen ****** der 1. und 10. Armee dem General Siewers, während das Oberkommando Rennenkampf zur Bildung einer neuen 1. Armee in den Raum von
Warschau abbefördert wurde. Damit blieben gegenüber der deutschen 8. Armee ohne die Besatzungen der Njemen-Festungen (vermutlich drei Reserve-Divisionen) im ganzen 17 Divisionen Infanterie und 8 KavallerieDivisionen.
Die russischen Verbände waren aber zum Teil nur von
geringer Stärke; z. V. soll die 53.Reserve-Division nur 7000 (statt
16 000) Gewehre gehabt haben. Seinen Gegner berechnete General Siewers zutreffend auf sieben Divisionen sowie einige Landwehr- und LandsturmBrigaden. Die Oberste Heeresleitung verlangte die Fortsetzung der Offensive spätestens am 27. Oktober.
Dazu fühlte sich aber General Siewers
trotz doppelter Überlegenheit an Zahl erst nach umfassender Umgruppierung seiner Kräfte imstande. Am 28. Oktober befahl er, daß zum Angriff vorgehen sollten: nördlich des Wischtyter Sees das III. Korps und das drei Divisionen starke Kavalleriekorps Gurko, südlich davon das XX. und das II. kaukasische Korps, wobei das letztere von Suwalki in allgemein West-
licher Richtung angesetzt wurde; noch weiter südlich sollten das XXII. und das XXVI. (Reserve-) Korps ihre Stellungen halten; das III. sibirische Korps hatte sich „des Raumes des Gr. Selment-Sees" zu bemächtigen. Am folgenden Tage stellte die Oberste Heeresleitung der Armee die Aufgabe, den deutschen Widerstand zu brechen und den Weg zur unteren Weichsel freizumachen; General Rußki wurde angewiesen, in diesem Sinne auf die 10. Armee einzuwirken.
Am 29. Oktober morgens sollte der Angriff beginnen. Doch wurde an diesem Morgen nördlich des Wischtyter Sees das III. Korps, wie es
russischerseits dargestellt wird, selbst angegriffen^); es hielt feine Stellungen. Das XX. Korps, das auf die Lücke der deutschen Aufstellung traf, drang südlich des Sees kämpfend langsam vorwärts; das II. kaukasische Korps aber, das sich in der Nacht deutscher Angriffe zu erwehren gehabt hatte, trat „infolge von Erschöpfung"") gar nicht zur Offensive an, und auch das
III. sibirische Korps kam gegen Pissanitzen nicht vorwärts. Der 30. Oktober brachte lediglich beim XX. Korps, und auch hier nur geringe Fortschritte; zugleich aber zeigte sich immer fühlbarer werdender J) Tatsächlich ist dort von deutscher Seite kein Angriff erfolgt. 2) Korolkow, Überblick, S. 105.
Würdigung der deutschen Operationen in Ostpreußen.
547
Munitionsmangel. General Siewers rechnete mit dem Eintreffen weiterer deutscher Verstärkungen und wollte den Angriff wieder einstellen, um Ersatz und Munition abzuwarten. Da schien sich auf dem Nordflügel doch noch Hoffnung auf Erfolg zu bieten. Die 1. selbständige Kavallerie-Brigade hatte nördlich von Wladislawow die Landesgrenze erreicht, das Kavalleriekorps Gurko die Gegend nördlich des Wischtyter Sees; man hoffte, die bei Wirballen stehende deutsche Nordgruppe umfassen zu können. General Siewers befahl für das III. und XX. Korps die Fortsetzung des Angriffs. Der äußerste Nordflügel kam am 31. Oktober bei Wladislawow etwas
vorwärts; in der Front aber kam der Angriff des III. Korps gegen die Stellungen des deutschen Korps Velow überhaupt kaum zur Entwicklung. Gurkos Kavallerie wich vor der deutschen 1. Kavallerie-Division zurück. Das XX. Korps drang im Südostteil der Romintenschen Heide langsam weiter vor. Am 1. November ließ General Siewers den Angriff fortsetzen. Cr kam aber an diesem und auch am folgenden Tage nicht mehr wesentlich weiter.
Die amtliche russische Darstellung über diesen Abschnitt des Feldzuges in Ostpreußen schließt mit der Feststellung'): „Der Kampf der Deutschen gegen die Russen, die an Zahl fast immer in doppelter Übermacht waren, zeigt alle Eigenarten der deutschen Taktik. Die russischen Operationen wurden, seit General Siewers den Befehl übernommen hatte, zwar langsam, aber folgerichtig geführt. Schritt für Schritt dem Ziele entgegen." Dieses Verfahren fand die Anerkennung des Oberbefehlshabers der NordWestfront.
'
Der deutschen 8. Armee war es gelungen, die Russen bis Ende
Oktober vom ostpreußischen Boden fernzuhalten.
Beträchtliche feindliche
Übermacht war an Ostpreußens Ostgrenze gefesselt; schwer waren die Ver-
lüfte ihrer vergeblichen Anstürme gewesen.
Einen entscheidenden Sieg
hat aber General v. Frangois ebensowenig wie General v. Schubert zu
erringen vermocht. Alle Versuche, dem Gegner das Gesetz vorzuschreiben und die Operationen beweglich zu erhalten, haben sehr bald wieder zur Erstarrung der Linien geführt. General v. Francis griff die russische Mitte an. Vielleicht hätten starre Abwehr an den zahlreichen Seenlinien im Süden und Angriff mit zusammengefaßter Kraft gegen den ver-
hältnismäßig schwachen russischen Nordflügel besseren Erfolg gebracht und auch die Kräfte der deutschen Truppe mehr geschont. Solchen Angriff hatte General v. Schubert, als er abberufen wurde, schon vorbereitet, die Generale Otto v. Velow und v. Morgen haben ihn mehrfach vorgeschlagen. Auf die *) Korolkow, Überblick, S. 107. 35*
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
548
Dauer war aber die zahlenmäßige Übermacht des Gegners doch zu groß; sie ließ die größere Tüchtigkeit der deutschen Truppen nicht zu d e r Wirkung kommen, die die obere Führung erhoffte. Die alten, in großen Schlachten bewährten Divisionen waren in fortgesetzten Kämpfen und anstrengenden
Märschen bei ungünstiger Witterung schließlich so zusammengeschmolzen, daß die Bataillone teilweise noch nicht 300 Mann und kaum ein halbes Dutzend
Offiziere zählten. Dafür hatten Landwehrverbände, schnell zusammengeraffte Crsatzformationen und junge Truppen in schwere Kämpfe geführt werden müssen, bei denen sie infolge ungünstiger Zusammensetzung, mangelhafter Ausrüstung und Bewaffnung trotz besten Wollens schnell an Kampfwert einbüßten. Da seit Wochen auf der ganzen Front Gefechtsberührung mit dem Gegner bestand, hatte es weder Ablösung aus der Kampflinie noch Ruhe gegeben. In zäher Verteidigung des heimatlichen Bodens haben aktive, Reserveund Landwehr-Verbände, Crsatztruppen, Landsturm und neuaufgestellte, zum großen Teil aus jungen Freiwilligen bestehende Formationen ihr Bestes hergegeben. Daß der übermächtige Gegner bis Anfang November nur unbedeutende deutsche Grenzstriche besetzen konnte, bleibt ihr Verdienst und das der willensstarken und rastlos tätigen Armeeführung des Generals v. Schubert wie des Generals v. Franyois. Der Aufenthalt, den der Gegner an der Grenze erlitt, hat die Zeit verschafft, die Lötzen-Angerapp-Stellung
zu einem so starken Bollwerk auszubauen, daß die Abwehr dort künftig mit geringsten Kräften durchgeführt werden konnte.
Über die deutschen Gefechtsverluste hat sich Sicheres nicht feststellen lassen, bei überschläglicher Berechnung kommt man auf 15000 bis 20000 Mann. Dem standen — neben den schweren blutigen Verlusten der Russen — gegen 20000 Gefangene und etwa 50 Geschütze als Beute
gegenüber.
C. Betrachtungen über die Gesamtoperationen im Dsten. Hierzu Karten 14 und 17.
Um Mitte September waren drei russische Armeen, in Ostpreußen schwer geschlagen, auf dem Rückzüge, — fünf russische Armeen folgten als
Sieger dem zurückweichenden österreichisch-ungarischen Heere in Galizien. Damals hätte sich durch eine deutsche Offensive aus Ostpreußen über den Narew wahrscheinlich Großes erreichen lassen1). Die dringenden Hilferufe der verbündeten Heeresleitung veranlaßten, daß man auf diese Operation verzichtete. Die dann in Südpolen begonnene Offensive krankte von Haus aus daran, daß sie nicht — wie vom Generalobersten v. Hindenburg gewünscht — weit abgesetzt vom österreichisch-ungarischen Flügel auf Iwan-
gorod und Warschau geführt werden durfte. Warschau mit seinen Eisenbahnen und gesicherten Weichsel-Brücken war — wie sich bald ergab — der
Schlüssel zur gesamten russischen Weichsel-Front.
Die Gefahr, die von
dort der Nordflanke der deutschen 9. Armee drohte, konnte — so wie sich die Lage weiter entwickelte — nur noch wettgemacht werden durch raschen und
entscheidenden Sieg, den das durch den deutschen Vorstoß entlastete österreichisch-ungarische Heer dann allein zu erringen hatte.
Die Ver-
Hältnisse hatten sich so gestaltet, daß die Entscheidung abhing vom Erfolge des an Stoßkraft schwächeren Teiles der gemeinsamen Front.
Der folgende Vergleich der Stärkeverhältnisse im Osten am 1. und am 26. Oktober nach Divisionen^) zeigt, wie sich die russischen Massen im Laufe des Monats Oktober an der
mittleren Weichsel zusammenballten: *)Vgl. S. 434. 2) Vei den Mittelmächten sind alle aktiven Reserve- und Landwehr- (öfter-
reichisch-ungarische „Landsturm"-) Verbände mitgerechnet, nicht aber deutscher Landstürm; bei den Russen sind nur aktive und Reserve-Verbände gerechnet. Selbständige Brigaden sind als halbe Divisionen angerechnet. Die russischen Insanterie-Divisionen zählten durchweg 16 Bataillone und 48 Geschütze, die deutschen und österreichischungarischen Divisionen nur ausnahmsweise mehr als 12 Bataillone, ferner an Artillerie die deutschen aktiven Divisionen 72 Geschütze, die österreichisch-ungarischen
Divisionen durchschnittlich 42, die deutschen Reserve- und Landwehr-Divisionen höchstens 36.
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Res. Inf. Regt. 206
43. Res. Div.^) (13 Btl., 2 Esk., 9 Battr., 1 Pi. Komp.) Res. Inf. Regt. 203 Res. Inf. Regt. 201
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Res. Inf. Regt. 204
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Res. Kav. Abtlg. 44
Res. Inf. Regt. 202
Res. Kav. Abtlg. 43
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Res. Feldart. Regt. 43
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i|> iv. Bar bot, Div. de Vassart), 41. Ins. Div., 71. Res. Div., Festung Belfort mit 57. Res. Div. und 1 aktiven Brig., Festung Epinal.
2. Armee. (IOV2 Div. Inf., 1 Kav. Div.) Oberbefehlshaber: General de Curieres de Castelnau. Chef d. Gen. St.: General Anthoine.
XVI. Korps (ZI., 32. Inf. Div.), XX. Korps (II., 39. Inf. Div.), 2. Gruppe Res. Div. (59*, 64., 68. Res. Div.), 70., 73., 74. Res. Div., 2. Kav. Div., Festung Toul mit 1 aktiven
Brig.
z. Armee. (IOV2 Div. Inf., 1 Kav. Div.)
Oberbefehlshaber: General Sarrail. Chef d. Gen. St.: Oberst Lebouc.
V. Korps (9., 10. Inf. Div.), VI. Korps (12., 40. Inf. Div.), XV. Storps (29., 30. Inf. Div.), Z.Gruppe Ref. Div. (65., 67., 75. Res. Div.), 7. Kav. Div., Festung Verdun mit 72, Res. Div. und 1 aktiven Brig.
4. Armee. (8 Div. Inf.) Oberbefehlshaber: General de Langle de Cary. Chef d. Gen. St.: Oberst Rudant.
II. Korps (3., 4. Inf. Div.), XII. Korps (23., 24. Inf. Div.), XVII. Korps (33., 34. Inf. Div.), Kolonialkorps (2., 3. Kol. Div.). 5. Armee. (12 Div. Inf., 3 Kav. Div.) Oberbefehlshaber: General Franchet d'Esperey. Chef d. Gen. St.: General Hely d'Oissel.
l.Korps (1., 2. Inf. Div.), III. Korps (5., 6. Inf. Div.), X.Korps (19., 20. Inf. Div.), XVIII. Korps (35., 36. Inf. Div.), 4. Gruppe Ref. Div. (53., 69. Res. Div.), 33. Inf. Div., 51. Res. Div., Kav. Korps Conneau (4., 8., 10. Kav. Div.).
6. Armee. (1272 Div. Inf. 3Vs Kav. Div.) Oberbefehlshaber: General Maunoury. Chef d. Gen. St.: Oberst Guillemin.
IV. Korps (7., 8. Inf. Div.), VII. Korps (14. Inf. Div., 63. Res. Div.), XIII. Korps (25., 26. Inf. Div.), 5. Gruppe Res. Div. (55., 56. Res. Div.), 6. Gruppe Res. Div. (61., 62. Res. Div.), 37., 45. Inf. Div., 1 marokk. Brig., Kav. Storps Bridoux (1., 5. Kav. Div.), 3. Kav. Div., 1 Spahi-Brig. x) Soweit an der Kampffront eingesetzt.
Kriegsgliederung.
598
9. Armee. (10 Div. Inf. 2 Kav. Div.) Oberbefehlshaber: General Foch. Chef d. Gen. St.: Oberst Weygand. IX. Korps (17., 13. Inf. Div.), Xl. Korps (21., 22. Inf. Div.), XXI. Korps (13., 43. Znf.Div.), 42. Inf. Div., marokk. Div., 52., 60. Res. Div., 6., 9. Kav. Div.
Gruppe der Territorial^Divisionen. (4 Div. Inf., 1 Kav. Div.) Oberbefehlshaber: General d'Amade. Chef d. Gen. St.: Oberstlt. Morier. 31., 32., 34., 33. Terr. Div., Kav. Div. Beaudemoulin.
Heeresreserve: VIII. Korps (15., 16. Inf. Div.).
(2 Div. Inf.)
Das französische Heer^) am JO.Oktober
Oberste Führung: wie am 15. September. Hinzugetreten seit 4. Ottober: General Foch (adjoint au commandant en chef), beauftragt mit der Führung der groupe provisoire du nord.
1. Armee. (13 Div. Inf., 1 Kav. Div.) Vogesengruppe (41. Inf. Div., 66. Res. Div.), Vitt. Korps (15., 16. Inf. Div.2)), Korps Selötoille (64. Res. Div., Div. de Vassart), 2. Gruppe Res. Div. (59., 63., 74. Res. Div.), 31. Inf. Div., 71., 73. Res. Div., 2. Kav. Div., die Festungen Belfort (mit 57. Res. Div.), Epinal und Toul.
2. Armee. (18 Div. Inf., 1 Kav. Div.) IV. Korps (7., 3. Inf. Div.), XI. Korps (21., 22. Inf. Div.), XIII. Korps (25., 26. Inf. Div.), XIV. Korps (27., 28. Inf. Div.), XX. Korps (11., 39. Inf. Div.), Gruppe der Territorial-Viv. (31., 82., 84., 88. Terr. Div.), 53., 56., 53., 62. Res. Div., 8 Kav. Div.
Z. Armee*). (11 Div. Inf.) V. Korps (9., 10. Inf. Div.), VI. Korps (12., 40. Inf. Div.), XV. Korps (29., 30. Inf. Div.), Z. Gruppe Nes. Div. (65., 67., 75. Res. Div.), 72. Res. Div., Festung Verdun mit 1 Marsch-Div.
4. Armee. (12 Div. Inf.) II. Korps (3., 4. Inf. Div.), IX. Korps (17., 18. Inf. Div.), XII. Korps (23., 24. Inf. Div.), XVII. Korps (33., 34. Inf. Div.), Kol. Korps (2., 3. Kol. Div.), 60. Res. Div., 91. Terr.Div.
5. Armee*). (11 Div. Ins., 1 Kav. Div.) 1.Korps (1., 2. Inf. Div.), III. Korps (5., 6. Inf. Div.), XVIII. Korps (35., 36. Inf. Div.), komb. Korps Humbert (42. Inf. Div., marokk. Div., 52. Res. Div.), 38. Inf. Div.,
51. Res. Div., 9. Kav. Div.
i) Soweit an der Kampffront eingesetzt. a) Verstärkt um fünf Bataillone der attiven Vrig. Belfort. 3) Vom 25. September ab dem Armee-Oberkommando der 1. Armee hinsichtlich der Operationen südlich Verdun unterstellt. 4) Chef d. Gen. St.: statt Gen. H6ly d'Oissel Obstlt. de Lardemelle.
Das britische Expeditionskorps. — Das belgische Äeer.
599
6. Armee. (7 Div. Inf.) VII. Korps (14. Inf. Div., 63. Res, Div.), XVI. Korps (32. Inf. Div.!)), 5. Gruppe Nes.Viv. (55. Res. Div?)), 6. Gruppe Nes. 9iv. (61. Res. Div?)), 37. Inf. Div., 69. Res. Div.
S. Armee. (Arn 7. Oktober aufgelöst.)
10. Armee*). (9 Div. Inf., 7 Kav. Div.) Oberbefehlshaber: General de Maud'huy. Chef d. Gen. St.: Oberst des Valliöres.
X. Korps (19., 20. Inf. Div.), XXI. Korps (13., 43. Inf. Div.), Korps d'Urbal (45. Inf. Div., 70. Nes. Div., Div. Barbot), 87., 92. Terr. Div., 1. Kav. Korps (1., 3., 10. Kav. Div.),
2. Kav. Korps (4., 5., 6. Kav. Div.), 7. Kav. Div. Die 2. und 10. Armee waren zur
Provisorischen Heeresgruppe Nord zusammengefaßt. Sie bestand aus: Oberbefehlshaber: General Foch. Chef d. Gen. St.: Oberst Weygand. 2. Armee, 10. Armee, Festung Vünkirchen mit 89. Terr. Div.
Das britische Expeditionskorps am 15- September. (672 Div. Inf., 2 Kav. Div.)
Oberbefehlshaber: Feldmarschall Sir John French. Chef d. Gen. St.: Genlt. Sir Archibald Murray. 1. Gen. St. Offizier: Genmaj. Wilson.
I.Korps (1., 2. Inf. Div.), II. Korps (3., 5. Inf. Div.), III. Korps (4., 6. Inf. Div.),
19. Inf. Brig., Kav. Div. (ohne 3. und 5. Kav. Brig., die unter General Gough zu einer besonderen Abteilung vereinigt waren).
am JO. Oktober. (772 Div. Inf., 2 Kav. Div.) I. Korps (1., 2. Inf. Div.), II. Korps (3., 5. Inf. Div.), III. Korps (4., 6. Inf. Div.), IV. Korps^) (7. Inf. Div., 3. Kav. Div.), 19. Inf. Brig., Kav. Korps (1., 2. Kav. Div.). Außerdem 2 Veomanry- und 2 Territorial-Negimenter.
Dem Führer des Expeditionskorps nicht unterstellt: Marine-Viv. (3 Brig. in Antwerpen) und Indisches Korps (Lahore- und Meerut-Div.^)).
Das belgische Heer am 55. September und JO. Oktober. (6 Div. Inf., 1 (2) Kav. Div.) Oberbefehlshaber: König Albert von Belgien. Chef d. Gen. St.: General Wielemanns.
1., 2., 3., 4., 5., 6. Inf. Div., Kav. Div.*), Festung Antwerpens. x) 31. Inf. Div. bis 12. November bei 1. Armee. — 2) 56. Res. Div. bei 2. Armee.
— 3) 62. Res. Div. bei 2. Armee. — *) am 5. Oktober gebildet aus dem seit dem 1. Ok¬ tober bestehenden D^tachernent d'arm^e de Maud'huy. — 5) am 10. Oktober gebildet. —
6) seit dem 26. September in Marseille im Eintreffen begriffen. — 7) um den 10. Oktober zu 2 Kav. Div. formiert. — 8) am 10. Oktober kapituliert.
600
Kriegsgliederung.
Das deutsche Ostheer am I. Oktober J9J4. (Spätere Verstärkungen in lateinischer Schrift.)
8. Armee. Dem Oberbefehlshaber der 9. Armee unterstellt.
(9 [später 11] Div. Inf., 1 Kav. Div.) Oberbefehlshaber: Gen. d. Art. v. Schubert (ab 4. Okt. Gen. d. Fnf. v. Francis). Chef d. Gen. St.: Genmaj. Grünert. I.Armeekorps: Gen. d. Inf. v. Francis (ab 4. Okt. Genlt. v. Falk, ab 12. Okt. Genlt.
Kosch); 1., 2. Inf. Div.
I. Neservekorps: Gen. d. Inf. Otto v. Below; 1., 36. Res. Div.
3. Res. Div.
Ldw. Div. Goltz (ab 3. Okt. Ldw. Div. Einem, ab 14. Okt. Ldw. Div. Iacobi)^).
Ldw. Div. (Hauptreserve) Königsbergs. 6., 9. und 70.^) Ldw. Brig.
Hauptreserve Graudenz (eine gemischte Ersatz-Brigade). 1. Kav. Div.
Festungen: Königsberg, Pillau, Lotzen, Thorn, Kulm, Graudenz und Marienburg.
Bespannte Fußartillerie aus den Festungen, nach Bedarf auf die Verbände verteilt: II./1. G. Res. R., 1/2 II-/2. G. Res. N., Res. R. 1 und 4, 1/2 I./Res. 6, II./Ref. 15, I. und V2 II-/Res. 17. Ab 12. Oktober: XXV. Reservekorps: Gen. d. Inf. Frhr. v. Scheffer-Boyadel; 49., 50. Res. Div.3),
x) Ab 14. Okt. wurden 34. und 70. Ldw. Brig. in der Division vereinigt, 33. Ldw. Brig. selbständig. — 2) 2. Ldw. Brig., Ldw. Inf. R. 9, 2. Ldw. Ers. Btl.; Kav. Brig. Charisius
(Ers. und Ldw. Kav.); Artillerie (9 leichte, 6 schwere Res., Ers. und Ldw. Battr.). —3) Das XXV. Reservekorps (26 Btl., 6 Esk., 19 Battr.) hatte eine ähnliche Gliederung Wiedas gleichzeitig ausgestellte XXII. Reservekorps (vgl. S. 596). Es bestand aus: 49. Res. Div.: Res. Inf. R. 225, 226 (später 97. Res. Inf. Brig.); 227und 228 (später 98. Res. Inf. Brig.); Res. Iäg. Btl. 21; Res. Kav. R. 49; Res. Feldart. R. 49 (6 Kan., 3 Haub. Battr.); Res. Pi. Komp. 49. — 50. Res. Div.: Res. Inf. R. 229, 230 (später 99. Res. Inf. Brig.); 231, 232 (später 100. Res. Ins. Brig.); Res. Iäg. Btl. 22; Res. Kav. R. 50; Res. Feldart. R. 50 (6 Kan., 3 Haub. Battr.); Res. Pi. Komp. 50. — Fußartillerie: Res. Battr. 25.
9. Armee. (I2V2 Div. Ins., 1 Kav. Div.) Oberbefehlshaber: Generaloberst v. Beneckendorff und v. Hindenburg. Chef d. Gen. St.: Genmaj. Ludendorff. Garde-Neservekorps: Gen. d. Art. v. Gallwitz; 3. G. Inf. Div., 1. G. Res. Div.^). XI. Armeekorps: Gen. d. Inf. v. Plüskow; 22., 38. Inf. Div. XVII. Armeekorps: Gen. d. Kav. v.Mackensen; 35., 36. Inf. Div. XX. Armeekorps: Gen. d. Art. v. Scholtz; 37., 41. Inf. Div. Landwehrkorps: Gen. d. Inf. v. Woyrsch; 3., 4. Ldw. Div.*)2).
35. Res. Div. (ehem. Hauptres. Thorn; aus Landwehrtruppen bestehend). Ldw. Div. Bredow (ehem. Hauptres. Posen). 21. Ldw. Brig. (ehem. Hauptres. Breslau)3).
Höherer Kavalleriekommandeur Z: Gen. d. Kav. Ritter v. Frommel; 8. Kav. Div. Bon den Stellv. Gen. Kdos. des II. und V. Armeekorps und der Festung
Thorn: Ldst. Brig. Rintelen"), Hossmann^) und Westernhagen«).
Festungen: Posen, Breslau und Glogau. Bespannte Fußartillerie aus den Festungen, nach Bedarf auf die Verbände verteilt:
Vi II./2. G. Res., I./Res. 5, II. /Res. 6, 3/41./Res. 11, 4./Ref. 15, V2 II-/Res. 17. Ab Mitte Oktober: öster. ung. 3. und 7. Kav. Div.
x) I./5. G. Feldart. R. trat Mitte Oktober zum Landwehr kor ps. — 2) Ohne 21. Ers. Brig., die aufgelöst worden war; 17. Ers. Brig. nur noch zu 4 Btl. — 3) Ldw. Inf. R. 10 und 38, 2 Est, 2 Battr. — 4) 4 Btl., 3 Est, 1 Bttr. — 5) Einige Btl., Esk. und Battr. — «) 51/2 Btl., 3 Esk., 3 Battr.
Das österreichisch-ungarische Äccr.
601
Das österreichisch-ungarische Heer*) am J. Oktober
Oberster Befehlshaber: Gen. d. Inf. Erzherzog Friedrich von Österreich. Chef d. Gen. St.: Gen. d. Inf. Frhr. Conrad v. Hohendorf.
Gegen Rußland: (4672 Div. Inf., 11 Kav. Div.)
1. Armee. (137a Div. Inf., 3 Kav. Div.1)2)) Oberbefehlshaber: Gen. d. Kav. Dankl. Chef d. Gen. St.: Gemaj. v. Kochanowski.
I.Korps: Gen.d.Kav.Frhr.v.Kirchbach (5., 12.,46. Inf.Div.; 35. Ldst. Brig.; Po ln. -Legion). V.Korps: Feldzeugm. v. Puhallo (14., 33. Inf. Div.; 1. Ldst. Brig.). X. Korps: Gen. d. Inf. v. Meixner (2., 24., 45. Inf. Div.). 37. und 43. Inf. Div.,- 106. Ldst. Div.; 100., 101. und 110. Ldst. Brig. 3.i), 7.1), 9. Kav. Div. 1) Abgaben: 11. Okt. 3. und 7. Kav. Div. zur deutschen 9. A. 2) Verstärkungen: 10. Okt. 2. Kav. Div. von 4. A., 22. Okt. 11. Kav. Div. von 4. A.
2. Armee. (IOV2 Div. Inf., 3 Kav. Div.) Oberbefehlshaber: Gen. d. Kav. v. Böhm-Ermolli.
IV., VII., XI!. $orps. I,, 5., 8. Kav. Div.
^ äi/
Z. Armee. (8V2 Div. Inf., 1 Kav. Div.)
Oberbefehlshaber: Gen. d. Inf. Boroevio v. Bojna.
III., IX., XI. Storps. 44. Inf. Div.; 88. Schütz. Brig. 4. Kav. Div.
4. Armee. (10 Div. Inf., 4 Kav. Dt*).1))
Oberbefehlshaber: Gen. d. Inf. Erzherzog Josef Ferdinand. II., VI., XIV., XVII. Korps. 2.i), 6., 10., ll.i) Kav. Div. x) Abgaben: 10. Okt. 2. Kav. Div. zur 1. A.; 22. Okt. 11. Kav. Div. zur 1. A.
Armeegruppe des Gen. d. Kav. Frhr. v. Pflanzer-Baltin (aus Truppen zweiter Ordnung in der Aufstellung begriffen).
Festungsbesatzungen. (4 Div. Inf.)
Pschemysl: Feldmarschalleutnant v. Kusmanek. — 23. Inf. Div.; 93., 97., 108., 111. Ldst. Brig. Krakau: 36., 95. Ldst. Brig.
Gegen Serbien: (16 Div. Inf.)
Oberbefehlshaber: Feldzeugm. Potiorek. 5. Armee: viii., xin. Korps. 6. Armee: xv., xvi. Korps. Ferner später aufgestellt: Armeegruppe Syrmien^Banat. *) Österreichisch-ungarischer Landsturm entspricht deutscher Landwehr.
602
Kriegsgliederung.
Das russische Heer (110V2 Div. 3nf *), 39 Kav. Div.) am 5. Oktober 5914.
Oberster Befehlshaber: Gen. der Kav. Großfürst Nikolaus Nitolajewitsch von Nutzland. Chef d. Gen. St.: Genlt. Ianuschkewitsch. Gen. Quart. Mstr. u. Chef d. Oper. Abt.: Genlt. Danilow.
Heeresgruppe der Nordwestfront^): (Z6V2 Div. Inf.*), 103/4 Kav. Div.) Oberbefehlshaber: Gen. d. Inf. Rußki. Chef d. Gen. St.: Genlt. Oranowski. i) Verstärkungen: 14. Okt. 5.Armee und Kav. Korps Nowikow von der SW-Front.
1. Armee. (14x/2 Div. Inf., 41/2 Kdt>. Div.1)2); am 2b. Oktober umgebildet zu neuer I.Armee^).) Oberbefehlshaber: Gen. d. Kav. v. Rennenkampf.
II.1), III., IV.1), XX., XXVI. (Res.)1) Korps. 5. Scbütz. Brig.
53., 56., 68., 73., Inf. (Res.) Div.
1. und 2. Garde-, 2., 3. Kav. Div.; 1. selbst. Kav. Vrig. *) Abgaben: 3. bzw. 5. Okt. II. und IV. Korps zur 2. A.;18. Okt. XXVI. (Res.) Korps
zur 10. A. 2) Verstärkungen: 14. Okt. 1. Kav. Div. von 10. A.; aus 1., 2. und 3. Kav. Div. wird
das Kav. Korps Gurko gebildet.
3) Neubildung der Armee am 26. Okt. aus Teilen der 2. Armee, der Narew»
Gruppe und anrollenden sibirischen Truppen, nämlich: VI., I.turkest., V. sib. Korps (50. Ins.Div. und 79. Inf. (Res.) Div.) und VI. sib. (Res.) Korps (13. und 14. sib. (Res.) Div.); 6. Kav., Garde-Kos. und 4. Don Kos. Div.
2. Armee. (6 Div. Inf., 1 Kav. Div.*)5*)) Oberbefehlshaber: Gen. d. Kav. Scheidemann. I., XXIII»), II. sib. Korps. 6. Kav. Div.1).
x) Abgaben: Anf. Okt. 6. Kav. Div. zur Narew-Gr. (weitere Abgaben s. unter Ver¬
stärkungen).
3) Verstärkungen: Anf. Okt. II. und IV. Korps von I.A., I. sib. Korps aus Asien anrollend (am 19. Okt. zur 5. A.), kauk. Kav. Div., Garde-Kos. Brig. und Astr. Kos. R. (später als Garde-Kos. Div. zusammengefaßt und am 26. Okt. zur neuen 1. A.) von Narew-
Gr.; 8. Okt. 50. Inf. Div. von 6. A.; 12. Okt. 13. sib. (Res.) Div. aus Asien. (Diese beiden Divisionen am 26. Okt. als Teile des V. bzw. VI. sib. (Res.) Korps zur neuen 1. A.)
3) ohne 1/2 2. Inf. Div., dafür verstärkt durch 1. Schütz. Brig.
*) ohne XIII. und XV. Korps, 54. und 72. Inf. (Res.) Div., die in Ostpreußen ver¬
nichtet oder infolge hoher Verluste aufgelöst worden waren.
Das russische Äeer.
60Z
10. Armee. (I21/2 Div. Inf., 3V2 Kav. Div?)-)) Oberbefehlshaber: Gen. d. Inf. Flug, vom 6. Okt. ab Gen. d. Inf. Siewers.
VI.1), XXII., II. fruit, I. turkest?), III. sib. Korps. 1. kauk. Schütz. Brig. 59., 76. Inf. (Res.) Div. 1.i), 4., 15. Kav. Div.; 4. selbst. Kav. Brig.
Festung Ossowjez (näheres nicht bekannt).
i) Abgaben: 14. Okt. VI. und I. turkest. Korps zur Narew-Gr., 1. Kav. Div. zur 1. A. 3) Verstärkungen: 18. Okt. XXVI. (Res.) Korps von 1. A.; 26. Okt. III. u. XX. Korps,
5. Schütz. Brig., 53., 56., 68., 73. Inf. (Res.) Div., 1. u. 2. Garde-Kav. Div., Kav.-Korps Gurko, 1. selbst. Kav. Brig., sämtlich von 1. A. und 84. Inf. (Res.) Div. von 6. A.
Abteilung Warschau, vom 2. Okt. ab Narew^Gruppe. (31/2 Div. Inf., P/4 Kar>. Div?)-)) Oberbefehlshaber: Gen. d. Inf. Olchowski, vom 2. Okt. ab Gen. d. Inf. Bobyr, Kdt. der
Festung Rowogeorgiewsk. XXVII. (Res.) Korps. (63. u. 77. (Res.) Div.) 1/2 2. Inf. Div., 79. Inf. (Res.) Div?) Kauk. Kav. Div?); Garde-Kos. Brig?) und 1. Astrachan-Kos. R?). Festung Warschau: Kdt. Genlt. Turbin. x) 26. Ott 2) von 10.
Abgaben: Anf. Okt. Kauk. Kav. Div., Garde-Kos. Brig. und Astr. Kos. R. zur 2. A.; 79. Inf. (Res.) Div. zur neuen 1. A. (weitere Abgaben s. unter Verstärkungen). Verstärkungen: Anf. Okt. 6. Kav. Div. von 2. A.; 14. Okt. VI. und I. turk. Korps A., 4. Don-Kos. Div. vom Kav. Korps Rowikow (SW-Front); diese Verstärkungen
am 26. Okt. sämtlich zur neuen 1. A.
Heeresgruppe der Südwestfront 9: (51 Div. Inf., 21 Kav. Div.) Oberbefehlshaber: Gen. d. Art. Iwanow. Chef d. Gen. St.: Genlt. Alexejew. x) Abgaben: 14. Okt. 5. Armee u. Kav.-Korps Nowikow zur NW-Front. — Die
Verschiebungen innerhalb der Südwestfront sind nur insoweit aufgenommen, als sie zum Verständnis der in diesem Bande geschilderten Kämpfe von Bedeutung sind.
Z. Armee. (10 Div. Inf., 5 Kav. Div.) Oberbefehlshaber: Gen. d. Inf. Radko-Dmitrijew.
VII., IX., X., XI., XXI. Korps.
7., 11. und zusges. Kav. Div., 3. Don- und 3. kauk. Kos. Div.
4. Armee. (8 Div. Inf., 1 Kav. Div?)) Oberbefehlshaber: Gen. d. Inf. Ewert. Gren., XVI., III. kauk. Korps. 75., 81. Inf. (Res.) Div.
Aral-Kos. Div.
x) Verstärkungen: 12. Okt. XVII. Korps und 61. Inf. (Res.) Div. von 5. A.,- 19. Okt. 1. Transbaikal-Kos. Brig. aus Asien.
604
Kriegsgliederung.
5. Armee. (10 Div. Inf., 1 Kav. Div. ^2)) am 14. Okt. zur NW-Front.) Oberbefehlshaber: Gen. d. Kav. Plehwe.
V., XVII.1), XIX., XXV.1) Korps. 61.1), 70. Inf. (Res.) Div. 1. Don-Kos. Div.1).
51 Div. Don-Kos. 1. 8. A.,9. zur Korps XXV. Okt. 2. Abgaben: ^
A. 4. zur Div. (Res.) Inf. 61. und Korps XVII. Okt. 12.
Kav.-Korps vom Brig. Kos. turkest. und Div. Don-Kos. 5. Okt. 8. Verstärkungen: 3) A. 2. von Korps sib. I. Okt. 19. Nowikow,-
8. Armee. (9 Div. Inf., 6 Kav. Div.1)) Oberbefehlshaber: Gen. d. Kav. Brussilow. VIII., XII., XXIV. Korps. 3., 4. Schütz. Brig. 65., 71. Inf. (Res.) Div. 10., 12. Kav. Div., 2. zusges. Kos. Div., 1. und 2. Kuban-, 1. Terek-Kos. Div. *) Verstärkungen: 29. Okt. 12. sib. (Res.) Div. aus Asien.
S. Armee. (9 Div. Inf., I1/2 Kav. Div.1)) Oberbefehlshaber: Gen. d. Inf. Letschizki.
Garde, XIV., XVIII. Korps. Garde- und 2. Schütz. Brig.
80., 83. Inf. (Res.) Div.
13. Kav. Div.; selbst. Garde-Kav. Brig. 1) Verstärkungen: 2. Okt. XXV. Korps von 5. A.; 8. Okt. 1. Don-Kos. Div. von 5. A.
Belagerungsarmee vor Pschemysl. (5 Div. Inf., 1 Kav. Div.1)) Oberbefehlshaber: Gen. d. Inf. Seliwanow.
58., 60., 69., 78., 82. Inf. (Res.) Div.1). 9. Kav. Div.
x) 7. Okt. zusammengefaßt in XXVIII. und XXIX. (Res.) Korps.
Kavalleriekorps Nowikow. (5V2 Kav. Div.1); am 14. Okt. zur NW-Front.) Führer: Genlt. Nowikow.
5., 8., 14. Kav. Div., 4.1), 5. Don-Kos. Div.1),- turkest. Kos. Brig.1). 1) Abgaben: 8. Okt. 5. Don-Kos. Div. und turkest. Kos. Brig. zur 5. A.; 14. Ott. 4. Don-Kos. Div. zur Narew-Gr.
Festung gwangorod. Kommandant: Genlt. Schwarz,- Fußartillerie: 34 15 oin-Haub. und 10 cm-Kan., außerdem Geschütze des Panzerforts Wannowski.
Das russische Äeer.
SOS
Außerdem verfügbar: (23 Div. Ins., 71/«Kav. Div.^)) Reste der ursprünglichen ß. Armee (Petersburg). Oberbefehlshaber: Gen. d. Art. van der Vliet.
50. Inf. Div.^). 55., 67., 74., 84. Inf. (Res.) Div.'). Orenburg-Kos. Div.
i) Abgaben: 8. Okt. 50. Inf. Div. zur 2. A.,- 26. Okt. 84. Inf. (Res.) Div. zur 10. A.
Reste der ursprünglichen I.Armee (Odessa). Oberbefehlshaber: Gen. d. Art. Nikitin. 62. Inf. (Res.) Div. und 7. Don-Kos. R.
Außer Armeeverband: 1. kauk., II. turkest., I.1), IV., V. sib. Korps.
66. Inf. (Res.) Div., 12.*), 13.1), 14. sib. (Res.) Dtv.1).
2. kauk., 3., 6. turkest. Schütz. Brig. 1., 2., 3. Kuban-Kos. Brig. zu Fuh. 1., 2. kauk., 1/2 turkest. Kos. Div., kauk. Eingeb. Reiter-Div.
Transkasp., sib., 1.*), 2. Transbaikal-Kos. Brig., Assuri-Reit. Brig.
Landwehrtruppen^): 658 Btl., 114 Schwadr. nebst Artillerie und Hilfswaffen) aus einem Teil dieser Einheiten wurden bis zum 18. Okt. 63 gemischte Brigaden zu je 6 Btl., 1 Esk., 1 Battr. gebildet.
1) Abgaben: Ans. Okt. I. sib. Korps zur 2. A. (NW-Front); 12. Okt. 13. sib. (Res.) Div. zur 2. A. (NW-Front); 19. Okt. 1. Transbaik. Kos. Brig. zur 4. A. (SW-Front); 26. Okt. 14. sib. (Res.) Div. zur neuen I.A. (NW-Front); 29. Okt. 12. sib. (Res.) Div. zur 8. A.
(SW-Front).
2) Auch als „Reichswehr" (Opoltschenie) bezeichnet.
606
Truppenverschiebungen an der deutschen Westfront.
Truppen an der deutschen 5Vestfront vom
K
Art der
Verband
von
zur
oT 1. XV. A. K.
7. Armee
neugebilde¬ ten 7. Armee(Aisne)
(Lothrin¬ gen)
Einladezeit
a) Einlade-
bzw.
bahnhöse Truppen¬ verschiebung Beginn der b) Abgangs¬ orte Bewegung
Bahn¬
transport
S.—14.9.
Dt.Avricourt, Rixingen, Heming, Rieding;
61. I. B.
Breusch-
2. I. bayr. A.K. 6. Armee
neugebilde¬ ten 6. Armee (Nord-
(Lothringen)
a) Bahn-
transport
14.-17.9.
frankreich)
b) Fußmarsch
Talbahn
a) Metz, Sablon, Woippy, Peltre
Weitermarsch b) Wäpion, I. bayr. A. K. (ohne 4.
— Dinant
bayr. F.B.) 3. XII. A. K.
3. Armee
2. Armee
Fußmarsch
18.9. 14. 9.
Raum südlich B6theni-
ville 4. XVIII. A.K. 4. Armee
5. XIV. A. K.
6. Gen. Kdo. VI. A. K.
6. Armee
(Lothringen)
4. Armee
14. 9.
Semide —
17. 9.
südlich Dieuze
17. 9.
Autry
17.9.
Amifontaine
yy
18.9.
südwestlich
„
19.9.
Quierzy
»
23. 9.
Berrieux
Aure
Armee-Abt.
Strantz (5. Armee)
3. Armee
F. D.
7. 2. K. D.
2/Mmee
8. 9. K. D.
1. Armee
9. 4. K. D.
„
10. G. K. D.
2. Armee
] zum rechten >
Heeres-
J flügel
6. Armee
S07
Truppenverschiebungen an der deutschen Westfront.
Anlage 2.
Verschiebungen 14. September bis Z. November 5914. a) Bahnlinien b) Marschstratzen
Ausladezeit bzw. Ausladeorte
Beendigung
Anmerkungen
der
Bewegung a) Trier —
Gerolstein —
Aachen—Lüttich—Löwen —Brüssel—Möns—33a-
Cambrai,
Busigny,
10.—17.9.
St. Quentin, Ham, Rest erst am ab 15. 9. Tergnier,
23. 9.
Tergnier—La Före
18.—21. 9.
a) Luxemburg—Libramont Fambes, Naninne, — Marloie — Richtung Assesse, Ciney, Leig-
14.-19.9.
lenciennes
ab 19. 9. Laon. 61. F. B. an Strecke
61. I. B.
z. T. Umleitungen des XV. A. K. über (Strec¬
ken Malmedy-Rivage und Namur—Charle¬ roi—Möns.
und Laon Namur
non
Weiterfahrt 4. bayr. g. 4. bayr. F. B. Terg¬ 4. bayr. F. B. die 4. bayr. I. B. wurde B. ab IS. 9. von Namur
nier und Noyon
18.-19.9.
über Charleroi—Möns— St. Quentin
b) über Florennes—Aves-
am 19.9. dem IX. R.
K. (I.Armee) unterstellt und trat am 16. 10. zum I. bayr. A. K. 23.9.
(2. Armee) zurück.
nes—Busigny—Roisel
Warmeriville—Neufchatel
Abend des 14.9.
das XII. A. K. trat be¬ reits am Abend des
15. 9. zur 7. Armee über.
Anserweiler—Comy
Abend des 15.9. 19.9.
S^chault—Semide—
18./19. 9.
Neuflize—Roizy (Nordostlich Reims)
Moronvilliers
das auf dem Marsch von der 5. Armee zum
rechten
Heeresflügel
befindliche
VI. A. K.
war am 14.9. von der
O. H. L. der 4. Armee zur Verfügung ge¬
Bruyöres (südöstlich Laon) —Coucy leChat.—Ercheu Coucy le Chat.—Chauny—
20.9.
St. Simon—Roupy—
20.9.
Noyon—südöstlich Roye
Levergies Vendeuil—St. Quentin—
Vermand—P6ronne
stellt worden. 9. K. D. wurde am
19.9.
1H.25.K. 9.K. der 2 m.6.2.,Armee 7. u. unterstellt.
4. K. D. wurde am
25.9.
1H.24.K.9.K.der1 6.m. Armee G. u. unterstellt.
608
Truppenverschiebungen an der deutschen Westfront.
Art der Verband
11. 7. K. D. 12. XXI. A.
von
I.Armee 6. Armee
(£otf>ringen)
zur
6. Armee neugebilde¬ ten 6. Ar¬ mee (Nord¬
Fußmarsch Bahn¬
transport
d) Fußmarsch 6. Armee
Bahn-
(Lothringen) Armee-Abt.
FalkenHausen 16. XVIII. A.K. 2. Armee
(ohne
50. g.B.) 17. 50. F. B. . 18.
25.9. ab 17. 9.
transport
^) Bahn¬
(Lothringen)
15. 4. E. D.
bzw.
TruppenVerschiebung Beginn der Bewegung
frankreich)
13. II. bayr.A.K. 6. Armee
14. XIV. N.
Einladezeit
transport
Belage-
(Antwerpen)
7. Armee
(XVIII.A.K.)
21.-25. 9.
Fußmarsch
22. 9.
Bahn¬
27.9.
transport
I.bayr.R.K. Armee-Abt.
19.9.
22.-24. 9.
rungskorps Beseler
6. Armee
18.-21.9.
27.-29. 9.
Falken¬ hausen 19. IV. A. K.
1. Armee
Fußmarsch
20. G.K.
2. Armee
a) Bahn-
transport
28. 9.
28.9.-2.10.
(Infanterie) 27.9.-1.10. d) Fu߬ marsch (be¬ rittene
21. Bayr. K. D.
Armee-Abt.
Strantz (5. Armee) 22. ö. K. T>.
4. Armee
23. 3. K. D.
4. Armee
Waffen)
zum rechten Bahn¬
Heeres¬ flügel (in
transport
30.9.-1.10.
der Gegend
von -Lille)
1.-2.10.
609
Truppenverschiebungen an der deutschen Westfront.
Ausladezeit
a) Bahnlinien b) Marschstraßen
bzw.
Ausladeorte
Beendigung der
lnmerkungen
Bewegung Nesle—Cartigny
Trier—Gerolstein—Aachen St.Quentin, Vusigny, ab23.9.St.Quentin, —Lüttich—Namur—
Charleroi—Möns—Va-
lenciennes—Cambrai, ab
25.9. 20.—28.9.
vgl. Anmert. zu 7.
Ham
24. 9. über Namur—
Charleroi—Maubeuge— Vusigny a) Luxemburg—Libramont Fambes, Naninne, Assesse, Ciney, Lei—Marloie—Richtung Namur
19.—23.9.
gnon
25.9.
b) Philippeville—Bohain —Nurlu
Trier—Gerolstein—Aachen Vusigny, Cambrai, Lourches, Denain —Lüttich—Namur— Charleroi—Möns—
24.-29. 9.
Luxemburg—Libramont— Brüssel Marloie—Lüttich
24.-27. 9.
Valenciennes
25.9.
Laon—La Före—Guiscard —südl. Nesle La Före—Tergnier
Die 50. I. B. trat vor¬
übergehend zur 7. Ar¬ mee über.
Ham
Luxemburg—Libramont— an strecke Valen¬ ciennes—Cambrai Marloie—Lüttich— Namur—Charleroi—
27.-28. 9.
29. 9.-2.10.
Möns
30. 9.
Guiscard—Ham—P^ronne —östl. Bapaume Laon—Tergnier
St.Quentin, Teile Cambrai
30.9.-3.10.
Grandlup—St.Quentin
Trier—Gerolstein—Aachen
—Lüttich—Löwen-
Brüssel—Möns
Libramont—MarloieNamur—Charleroi Libramont—Marloie-
Namur—Charleroi f Weltkrieg. V. Land.
29.9.-3.10.
Valenciennes, Denain, Lourches
2.-3.10.
H. K. K. 4 (3., 6. und bayr. K. D.) verblieb
Möns, Manage
1.-2.10.
Möns, Manage, später St. Ghislain
3.-4.10.
zunächst der O.H.L.
unterstellt.
39
Truppenverschiebungen an der deutschen Westfront.
aio
Art der
&
Verband
von
TruppenVerschiebung
zur
«O
S7 24. 28. F. D.
(XIV.A.K.)
25. 29. I. D.
Armee-Abt.
6. Armee
Bahn¬ transport
Strantz (5. Armee)
„
„
Einladezeit bzw.
a) Einladebahnhöfe Beginn der b) Abgangs-
Bewegung
orte
3.-5.10.
Sablon, Woippy Vantoux,
„
Vigy, Wieb¬
(XIV.A.K.)
26. VII. A. K. 27.
XIX. A. K.
2. Armee
3. Armee
Fußmarsch
(ohne
48. F. B.)
28. Bayr. E. D. Armee-Abt.
Falken-
Hausen
lingen Guignicourt
4.-8.10.
»
Armee-Abt.
Strantz (5. Armee)
Bahn¬
Ste. Marie
. 4.10.
s. Py und
Somme Py
3.-5.10.
an Breusch-
transport
Talbahn
sowie
Schlettstadt, Dambach
und Mar-
29. 26. g. D.
5. Armee
6. Armee
Jt
7.-9.10.
(KorpsFabeck)
30. 25. R. D.
31. XXII. N. K. Heimat
(43.R.D.U. 44. N. D.)
32. XXIII. N.K.
8.-10.10.
w
(KorpsFabeck)
11.10.
neugebilde-
ten 4. Ar¬
mee
0 „
(45.R.D.U. 46. R. D.)
J
TruppenÜbungsplatz
Zossen TruppenÜbungsplatz
Jüterbog u.
Lockstedt
33. XXIV. N.K.
Armee-Abt.
(47.R.D.U.
Strantz (5. Armee)
48. N. D.)
Challerange,
( Autry
Döberitz u.
)t
„
kirch
}1
Truppen¬ übungsplatz Heuberg unfr Darm-
stadt 34. XXVI. R.K.
(51.N.D.U. 52. N. D.)
neugebilde-
Truppen-
Übungsplatz Ohrdruf
ten 4. Ar¬ mee
und Senne¬ 35. XXVII.R.K.
(53.N.D.U.
54. R. D.)
lager
n
w
Dresden und
Truppen¬
übungsplatz Münsingen
Truppenverschiebungen an der deutschen Westfront.
a) Bahnlinien b) Marschstraßen
Ausladeorte
Ausladezeit bzw. Beendigung der
611
Anmerkungen
Bewegung Luxemburg—Libramont— Möns, St. Ghislain, Marloie—Namur—Char- ab 6.10. Douai
4.-8.10.
Trier—Gerolstein—Aachen Valeneiennes, De—Lüttich—Löwennain, Lourches, ab S. 10. Douai Brüssel—Möns Cambrai Laon—Tergnier—St.
5.-8.10.
leroi
bis 10.10.
Quentin
Chsteau Porcien—Nozoy—
Abend des 11. 10.
Le Nouvion—Denain—
Orchies—südöstl. Lille Bensdorf—Metz u. Saar¬
gemünd—Hargarten— Dudenhofen
Ars, NovSant, Cham-
4.-7. 10.
bley, Mars la Tour, Batilly u. Conflans
Amagne Lucquy—Charle-
ville-Hirs on; Fußmars ch;
Weiterfahrt von Sains und Avesnes über Aulnoye—Maubeuge—Va-
Valeneiennes, St. Amand
8.-10. 10.
lenciennes, ab 9.10. über direkte Strecke Aulnoye— Valens ennes
Hannover—Hamm—Mün¬ Termonde, Gent
chen-Gladbach—Aachen— Lüttich—Brüssel
13.-18. 10.
Verlin—Wittenberge— Hamburg—Münster—
Denderleeuw, Scheldewindeke, Burst
Immendingen—Hausach —
Metz
12.-14.10.
Grammont, Sötte-
13.-18.10.
Düsseldorf—Köln— Aachen—Lüttich— Brüssel
Straßburg—Obermo¬
dern—Saargemünd—
Metz mit Heranführung:
Darmstadt—Friedrichs-
feld—Karlsruhe—Röschwoog—Obermodern Bebra-Kassel—BestwigElberfeld— Köln—Fün-
kerath—Lommersweiler
gem
—Gouvy—Libramont—
Namur—Charleroi
Hof—Bamberg—Würz-
bürg—Frankfurt ct.M.— Niederlahnstein—Trier—
Lessines—Leuze
Luxemburg—Libramont
39*
Truppenverschiebungen an der deutschen Westfront.
612
Art der
K
Verband
von
zur
£7
Antwerpen
4. Armee
37. 22. g. B.
5. Armee
3. Armee
38. 48. F. B.
3. Armee
6. Armee
36.
Verstärktes
III. R. K.
Einladezeit bzw.
a) Einlade¬
11.10.
Antwerpen
17.10.
Cond6-Autry
bahnhöfe
Truppen- Beginn der b) AbgangsVerschiebung orte Bewegung
Fußmarsch
(5.N. D.,
6. N. D. u.
4. E. D.)
(VI. A. K.)
(XIX. A.K.)
39. Marine-Div. Antwerpen
Bahntransport
20.-21.10. Pont Faverger,
SommePy
21.-22.10. Antwerpen
4. Armee
(bisher Be¬
satzung von
Antwer-
pen) 40. XV. A. K. 41.
7. Armee
6. Armee
Fußmarsch Bahntransport
S.bayr.R.D. Heimat
20.10.
nördlich
Craonne
21.-22.10. in den Linien-
gebieten München
u.Nürnberg 42. Gen. Kdo.
XXIV.N.K. u. 48. N. D.
Armee-Abt.
Strantz
(5. Armee)
Fußmarsch
43. II. bayr.A.K. 2. Armee
44. 3. I. D.
(II. A. K.)
22.-24.10. Metz
"
I.Armee
»
Bahn¬ transport
24.10.
nordöstlich
Chaulnes
29.-31.10. Tergnier,
Noyon, Laon
613
Truppenverschiebungen an der deutschen Westfront.
Ausladezeit bzw.
a) Bahnlinien b) Marschstraßen
Ausladeorte
Beendigung der
Anmerkungen
Bewegung
—Namur—Charleroi mit
Heranführung: Ulm—
Bietigheim—Bruchsal—
Heidelberg—Mannheim —Bischofsheim
IS. 10.
6. R. D. Alost—Pau-
Das III. R. K. wurde am
14. 10. der 4. Armee
laethem—Ginste—Roulers—Zarren—Keyem
unterstellt.
und Alost—Gavere—
Thielt—Thourout—Leke
5. R. D. Termonde—
Deynze—Ruddervoorde
—Schoore und Nevele—
Oostcamp—Ettelghem—Mannekensvere
4. E. D. Lokeren—Gent
—Aeltre—Brügge—Ost¬ ende—Middelkerke
und
Hülst—Ursel—Brügge—
Blankenberghe S^chault-St. Souplet— Pont Faverger—Nauroy Amagne Lucquy—Charleville—Liart—Laon—
Die 11. g. D— 21. und 22. g. B. — war am
26. 9. der 5. Armee unterstellt worden.
Lille
21.—23.10.
Brügge, Ostende
21.-22.10. Die M.D. blieb zunächst
Tergnier—Cambrai— Valenciennes
Brüssel
dem
Generalgouver¬
nement Belgien unter¬
stellt; sie trat am 23.10. unter den Befehl der 4. Armee. 29.10.
Laon—La Före—Cambrai — Noubaix — nordwestl.
Tourcoing
Heidelberg—Mainz—Köln Tournai, Lille —Aachen—Lüttich— Brüssel
23.-25.10. Die 6. bayr. R. D. trat
Luxemburg—Namur—
23.-25.10.
Charleroi
Lille, Templeuve Orchies
4. Armee über.
28.10.
Gouzeaucourt—Douai— Pont a Marcq—nördl. Lille
Cambrai—Valenciennes
vorübergehend zur
Das II. bayr. A. K. war
durch die Neueintei¬
lung des Westheeres Lille
29.10.1.11.
aml0.10.zur2.Armee getreten.
614
Truppenverschiebungen beim Gegner an der Westfront.
Truppenbeim Gegner an der N)estfront vom (Angaben nach dem amtlichen französischen*) und englischen Wert Art der &
Verband
von
zur
SS
sr i. XIII. Korps
I.Armee
b. Armee
2.
i.
2.
VIII.
„
..
Einladezeit bzw.
Truppen¬ oder verschiebung Beginn der Bewegung Abgangsorte Bahntransport
ab "l9. 9.:
ab 11.9.
Epinal
ab 14.9.
Gegend Charmes— Bayon
3. Armee 3.
xiv.
w
i.
..
neuen
2. Armee
4. Kav. Korps Conneau 5. IV. Korps
5.
..
6-
..
6. A. O. K. 2
„
Fußmarsch w
—
Einlade¬ bahnhöfe
Bahn¬ transport u. mit Kraft¬
ab 13. 9.*)
Gegend Bayon
18. 9.
Gegend west¬
Nacht
Carlepont
19.9.
Toul
13./19. 9
lich Reims
wagen
7. XX. Korps
2. Armee
neuen
2. Armee 8.
VIII.
„
3.
„
9.
XI.
„
9.
„
10.
VIII.
„
Heeresreserve hinter 4. Armee
11.
X.
„
5. Armee
Heeresreserve hint.4.Armee ö. Armee
ab 25.9.: 2. Armee 3. Armee
n
Fußmarsch Bahn¬ transport Bahn-
ab 19.9.
Toul, Nancy
ab 19.9. oder 20. 9. 21.9. ab 25.9.
St. Mihiel u.
25. 9.3)
(Fayolle)
*) Bd. X.
I.Armee
Compiegne Gegend Ste.
(Teile wahr¬ Mnehould Fußmarsch scheinlichem früher) 25. 9. Gegend west¬ Heeresreserve Fußmarsch
Bahn¬ transport
lich Reims
ab 23.9. ab 28. 9.
(A. Abt. de
13. 70. Res. D.
südlich
Reims
transport u.
ab 29.9.: 2. Armee 2. Armee
12. Div. Barbot
Bahn¬ transport
Maud'huy) 2. Armee Bahn¬ (A. Abt. de transport
Maud^huy)
ab 28.9.
Verberie —
Compiögne Charmes, Chatel, Thaon Nancy
Truppenverschiebungen beim Gegner an der Westfront.
SIS
Verschiebungen September bis Z. November 5914. sowie nach Hanotaux. Vollständigkeit und Richtigkeit nicht gewährleistet.)
Bahnlinien Ausladeorte
oder
Ausladezeit bzw. Beendigung der
Marschstraben
Bewegung
Vaivre—Gray—Villes les Gegend von Creil
14.-16.9.
Pots — Dijon — Ville-
neuve—Triage—Noisy—
Pantin—St. Denis
Darnieulles —
Anmerkungen
Gegend St. Mihiel
Iussey —
Vaivre — Gray—Villers
Clermont, St. Just, Beauvais
anschl. Fußmarsch übet Compiögne
ab 14.9. etwa
20.—23.9.
i) nach anderer Angabe am 19.9.
les Pots ^-Villeneuve— Zcoisy — Pantin—Saint
Denis—Creil Villers
Cotterets — Com- Conchy
les Pots —
Wacquemoulin
piögne—Roye
Lompiegne
Lataule—Trieot
Domgermain — Varisey —
Creil, Poix, Aban-
Vricon—Troyes—Flam-
court
20.9. 20.9. 20.9. u.
folg. Tage
boin — Montereau —
Melun—Corbeil—Iuvisy —Versailles — Plaisir— Grignon
—
Mantes
—
Sotteville les Rouen—
Darnetal—Serqueux
wie A. O. K. 2
Gegend Conty —
Grandvilliers^)
Gegend Ste. M6ne-
hould
Gegend Compiögne
Creil—Longueau
Longueau
teils Lörouville—
Sampigny, teils
20.-25.9. 20.9.
25.9. u.
folg. Tage
Gegend Verberie
28 9.
Gegend Amiens4)
ab 50.9.
wie XIV. Korps bis Creil, Gegend Arras dann Arras
30. 9.-1.10.
wie XX. Korps bis Ser- Gegend Lens queux, dann Amiens—
1.10.
Arras
Poix-Abancourt
25.9. 26.—28.9.
Brabant
Creil—Longueau
2) nach Hanotaux bei
3) Quellen wider¬
sprechend!
4) nach Hanotaux bei Longueau — Villers
Vretonneux
616
Truppenverschiebungen beim Gegner an der Westfront.
Art der
K
Verband
von
zlir
jd
14. 8. Kav. Div.
6.
15. 4.
5.
„
2. Armee
Fußmarsch
2.
Bahn¬
„
(A. Abt. de
16. 92. Terr. Div.
Paris
Truppen¬ verschiebung
Maud^huy) 2. Armee
Fußmarsch, wagen
2.
„
Fußmarsch,
9.
„
2.
„
(A. Abt. de 19. 62. Res. Div. 20. 7. K. D.
Maud^huy)
6. 1.
„ „
2. Armee 2. Armee
(A. Abt. de
bahnhöfe oder
Bewegung
Abgangsorte
30. 9.
ab 30.9.
Cropy en Valois
Epernay
1.10. 9.10.
Amiens
1.10.
Gegend
Paris
Soissons
Bahn¬
ab 2.10.
Compiögne
Bahn-
ab 1.10.
Chklons s.M.
Bahn¬
ab 2.10. ab 2.10.
Compiögne Sorcy—Voib
2.10.
Gegend Före
transport
18. XXI. Korps
Einlade-
Beginn der
transport
mit Kraft-
17. 56. Res. Div. 6. Armee
Einladezeit bzw.
transport
transport
Maud^huy)
21. 2. brit. K. D.
Aisne-Front zum l. Heeres- Fußmarsch flügel
22. 1. brit. K. D. 23. 6. K. D. 9. Armee
n
2. Armee
(A. Abt. de
Bahn¬
en Tarde-
nois
2.10. ab 3.10.
transport
Före Cham-
Maud^huy) 24. 45. I. D. 25. 53. R. D.
b. 5.
„ „
2. Armee
penoise
mit Kraftwagen,
Bahn-
ab 3. 10. 4.10.
Heeresgr.
Fußmarsch
—
—
Obertdo.
5.10.
4.10.
Chalons s. M.
4. od. 5.10.
?
wagen u.
Foch 27. 69. R. D.
mit Kraft¬
?
gonchery s.V. Compiögne
transport u.
26.
Sommesous,
5. Armee
28. II. brit.Korps Aisne-Front
Bahn¬ transport
6. Armee
mit Kraftwagen
zum l. Heeres¬
Bahn¬
flügel
ab 5.10.
transport
Fußmarsch
u.mit Kraft¬ wagen
9.10.
Longueil,
Pont Ste. Maxence Abbeville
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