Der heitere und unterrichtete Hausfreund für edle Familien und ihre Jugend [Reprint 2021 ed.] 9783112442623, 9783112442616


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Der heitere und unterrichtete Hausfreund für edle Familien und ihre Jugend [Reprint 2021 ed.]
 9783112442623, 9783112442616

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Der

heitere und unterrichtete

Hausfreund für

edle Familien und ihre Jugend.

Von

D. Gottlieb Prömmel, Dorsteher einer Erziehung-anstalt zu Wanvsbeck.

Leipzig, hei G. 2- Göschen, isi5«

Seinen frühern, entlassenen,

so wie seinen jetzigen

heranreifenden Zöglingen

widmet

diese Blätter zur Erinnerung

ihr Lehrer und Freund

G. P.

Euch, junge Leser, sofern Ihr noch eine«

unverdorbenen Geschmack und ein kindlich

Gemüth in Euch bewahrtet, Euch nimmt mein Buch zuerst in Anspruch.

Seid Ihr

uicht schon durch abenteuerliche Gegenstände verwöhnt, so darf ich hoffen, daß die

Lesung dieses Tüchelchens einige Eurer

Feierstunden,

von deren Anwendung

Euer künftiges Wohl und Weh oft eben

so sehr als von dem Fleiße in Euren Art beitsstunden abhängt, — angenehm

und nicht ohne Nutzen für Euch ausfüllen werde. Aber vielleicht findet auch Ihr, älter«

und erfahrnere Leser, — wenn die

Erfahrung nicht schon eine Rinde um Euer Herz gezogen, — darin manches, was

Euch freundlich anspricht. Wer ein offenes

Auge und Herz für die stillen, rührenden Schönheiten der Natur hat, findet gern Jemand, der mit ihm lieht, mit ihm em­

pfindet; wer die Freuden der Häuslichkeit kennt und schätzt, und fich gern noch sei­

ner frühern Jahre erinnert, wo er Kind

und kindlich froh war, hört eben so gern auch andere davon erzählen, indem er da­ durch in seinem Herzen oft manche Saite

berührt fühlt, die ihm wohl klingt, und angenehme, verwandte Töne aus der Ver­

gangenheit mithervorruft.

Wenn ich so auch meinen ältern Lesern

einige ihrer Feierstunden zu verschönern hoffen darf, so werde ich mich dadurch

doppelt für meine Arbeit belohnt halten.

Wände bcck, im Santinr, 1815.

G. Prömmel.

Inhalt

1.

Spayiergange der Familie von Dahldorf.

Die Bekanntschaft.

S. i

Der Weg nach Grundfeld.

— 22

Die Fürsteninsel.

— 47

Der Azerberg.

— 90

II. Tugend und Bescheidenheit.

—153

III. Das Gewissen. Eine Fabel.

—*157

IV. Die Deutschen in Amerika.

—159

V. Das Blümchen.

—179

VI. Die Fügung, eine Geschichte in Briefer.. —183

VII. An meines Julius zweitem Geburtstage. — 236

VIII. Freude und Glaube.

—237

Erster Spahiergang.

Die Bekanntschaft.

Schon di« Ueberschrift sagt meinen Lesern, daß hier soll spatzteren gegangen werden, und wol­ len St« Sich gütigst gefallen lassen, mit un< zu gehen, so bitte ich Sie, Sich mit mir der kleinen Familie in Gedanken anzuschließen, deren Nahmen der Titel nennt. ES ist eine liebe, herzige Familie, und ich stehe dafür, daß sie über diese unsichtbare Begleitung gar nicht bis« werden wird. Doch bevor meine Leser ihre künftige Gesell­ schaft und deren Wanderungen und Fahrten ken­ nen, müssen Sie Sich'S wohl gefallen lassen, erst mit mir allein einen kleinen Spatziergang zu machen. Denn «S wird nothwendig seyn daß wir zurrst nach dem Orte hinkommen, von'

wo wir wieder ausgehen, und daß wir zuerst eine kleine Bekanntschaft mit der Familie machen, die wir begleiten wollen. Die Reise wird kurz und schnell seyn, denn wir reisen auf dem schnellsten Fahrzeuge, daS «S giebt, auf den Flügeln der Gedanken. Doch steht eS meinen Lesern frei, sich nach Belieben irgend ein anderes Fuhrwerk zu wäh­ len , und ich habe nicht das Geringste dawider, ob man sich zu diesem Behuf den Mailand kai» serlichcn StaatSwagen in Paris, oder wenn man lieber zu Pferde reist, den stolzen DuzephaluS des Alexanders einbildet, oder wenn man das alles nicht will, nach Art der platonischen Men« schen in den Hühnerhöfen auf seinen zwei gesun­ den Füßen einherschreitet. Der Weg Ist kurz und führt uns ohn« alle Umschweife gerade biS zu einem alten Wart« thurm, der vor Dahldorf steht. Diese alte Ruine, ein Ueberbleibsel der rit­ terlichen Vorzeit, guckt mit seinen gothischen Fenstern auS einer recht angenehmen Daum­ gruppe hervor, die erst späterhin -die Natur darum pflanzte. DaS Ganze steht auf einem

mäßigen Hügel, der hin und wieder mit klei­

nem Gesträuch bewachsen ist, und dieser Hügel liegt wiederum' auf einer andern, nur ausge-

dehntern Anhöhe, welche grüne Kornfelder be­

decken.

Hat uns unsere Reise nicht zu sehr

ermüdet, so steigen wir hinauf, und sehen unS

dort oben ein wenig um.

Die Baume ver­

sprechen Schatten und Kühlung, und der Stand­

punkt auf der alten Warte läßt uns eine ange­ nehme Aussicht auf die umliegende Gegend hof­

fen.

Die Treppe, welche auf dle Zinne des

Thurms führt, ist halb_zerbrochen.

Dle Hände,

welche sie bauten, rühren sich gewiß nicht mehr, und die Füße, welche allmählich die Sletne

darin losgetreten haben, tragen ihre Besitzer gewiß nicht mehr so fri/ch und munter umher, wie uns die mistigen.

Nur mit Mühe klim­

men wir zum schönen Ziele hinauf; aber beloh­ nend ist auch der Genuß, der unö dort erwar­

tet.

Welche herrliche Aussicht nach allen Sei­

ten hin!

Es ist Abend, schon tief steht die Sonne.

Unter einer feuerrothen Wolke scheint sie wie am Saume M Himmels zu hangen.

Dort auf

einem andern Hügel steht die Windmühle. Nur ein leiser Wind bewegt langsam die Flügel. Hinter derselben wogt ein weites, Unabsehbare« Kornfeld, und zwischen durch schlängelt sich die breite Landstraße, welche auch noch in der Fern« einzelne Daumgruppen bemerkbar machen, wo­ mit sie besetzt ist. Aber ein ganz anderes Schauspiel öffnet sich uns von der andern Seite. Wir sehen in ein Thal hinab, da« ring« von Hügeln umkränzt ist. DaS Thal selbst bildet ein großes, weites Amphitheater. Die Schönheit des römischen PrachkgebaudeS dieser Art war nichts gegen das, was hier die Natur schuf. Wir bemerken von unserer Seite vier große Terrassen, die wie vier ungeheure Treppen zu dem Thale hinablaufen. Unten liegt das stille, schöne Städtchen Dahldorf. Die Familie dieses Nahmens bewohnte vor Alters ein anderes Schloß, das auf einem Berge unweit dieses Städtchens lag. Aber die fried­ lichen Besitzer, deren sich da- Schloß in dem letzten Jahrhundert erfreut hatte, fanden mehr Genuß in dem stillen Dahldorf, daö zu ihren

Besitzungen gehörte, als auf der stolzen Höhe, von welcher daS noch stolzere Schloß herunter sah. Sie vernachlässigten dieses, zogen nach dem geliebter«» Dahldorf, da- ihren Nahmen trug, und wo sie an der Stelle eines alten Wohngebäudes des Wohnsitzes ihres ersten Ahn» Herrn, ein neue«, prächtiges Schloß aufführten. Der alte ritterliche Wohnsitz verfiel; die alles zerstörende Zeit und dir Unvorsichtigkeit eines alten Kaplans, durch den eine Feuersbrunst dar, in aufkam, beschleunigten den Verfall. Jetzt steht man nur noch die Ruine dieser Burg; aber auch noch in ihren Trümmern sieht man ihre ehemalige Pracht und Größe. Die hohen Mauern, dir dort in einem fernen matten Licht« jenseits drü Thales erscheinen, sind die Ueber» bleibsel deS alten Schlosses, wie mm» es nennt, daS zu seiner Zeit so Neu und schön war, al» das schöne Dahldorf da unten im Grunde nur immer seyn kann. Anfangs sah man in diescin Thalc nur bloß daS Schloß und dse Häuser oder Hütten der Landleute, die zum Schlosse gehörten. Aber «S fände«» bald mehrere die Lage so reihend, wie

unsere Familie von Dahldorf, und in kurzer Zelt

sah man hier eine Menge schöner Landhäuser sich erheben.

Die reichen Besitzer derselben

zogen wiederum andere nach sich, die von den erster» Arbeit und Unterhalt empfingen. Immer mehr Häuser und Häuserchen wuchsen gleichsam

aus dem grünen Boden hervor, und, was vor­

mals nur «in Dorf gewesen war, wurde in dem letzten Viertel unsers Jahrhunderts, durch be­

sondere Gnade des Landesfürsten zum Städt­ chen geadelt.

Aber das neue Städtchen behielt den Nah­ men des alten Dorfs.

Die jetzigen Dahldorfer

gaben an Bescheidenheit den ehemaligen nichts nach, und schämte« sich des vorigen niedrigen

NangeS ihrer Vorfahren nicht, wie manche thun, di« der Fürst adelt, und die mit dem alten

Nahmen ihre- ersten Ahnherrn auch die alte Tugend und da- alt« Verdienst ablegen. Nun seht im Geist, lieben Leser, in das

Thal hinab, auf da- schöne Dahldorf nieder. Wie freundlich da- Weist der Häuser gegen da­ frische Wiefengrün absticht, wie die rothen Dächer

so freundlich zwischen den dunkeln Bäumen her-

vorsehrn! Hier oben ist noch alle- Licht; aber schon scheint cs da unten zu dämmern; nur die Thurmfpitze vergolden noch die lchten Strah» len der sinkenden Sonne. Leichte Rauchwolken steigen empor. Der fleißige Arbeiter hat sein Tagewerk vollbracht, und die Gattin ober die Tochter bereiten ihm jetzt das Abendessen. Aber hört ihr's rauschen? Dort oben glänzt unter einem Laubdach von Bäumen ein Dach hervor, und stürzt sich ins Thal, läuft tn eini« gen Krümmungen durch die Wiesen, dann dlcht neben dem Städtchen vorbei, treibt hinter dem» selben die Schloßmühle, und verschwindet dann endlich wieder zwischen zwei der Anhöhen, welche das Thal umschließen. Einen wunderbaren Kontrast mit dem Rau­ schen beS Wasserfalls macht der Gesang unzäh­ liger Nachtigallen, der von der entgegengesetz­ ten Seite aus den dunkeln Gebüschen deS SchloßgartenS herauftönt. Alles athmet Freude! Dort treibt der Hirt pfeifend die Heerde von der Weide zurück; hier steht »ine Dirne hoch auf­ geschürzt an der Brücke, und spült das gewa­ schene Leinen. Dort bet der Mühle badet sich'

plätschernd im Wasser die muntere Jugend, hier ist sie zum Spiel unter einer alten Linde vor dem Kirchhofthor versammelt. Doch wir gehen den Fußsteig hinab, der die hohen Terrassen durchbricht. Ein dunkler Lmdengang führt unS quer über die Wiesen zu einer aschgrauen Brücke, welche sich über den Fluß roilbu Wlr gehen hinüber, öffnen da­ schwarze, eiserne Gitterthor mit vergoldeten Spitzen, und befinden uns auf einmahl in dem Schloßgarten der Familie von Dahldorf. Vor uns erhebt sich mit seinen Säulen und hohen, Hellen Spiegrlfenstern da- schöne Schloß. Aber noch trennt un- von dem Orte unserer Bestimmung eln weiter, geräumiges Becken, in dessen Wasserfläche wir die ganze schöne Masse noch einmahl verkehrt erblicken. Nicht weit vom Rande des Deckens dem Balkon deS Schlosses gegenüber sieht man den alten, bärtigen Neptun sich auf feinen Dreizack stützen, und um ihn ein ganzes Heer von Tri­ tonen und Wassernymphen sich lagern. Wlr gehen um die todte, steinerne Gesellschaft her­ um, und finden bald eine recht lebendige vor

der Thür tm Schloßhofe um den eben abgeräumten Thcrttsch versammelt. Meine Leser erlauben mir wohl, daß ich al« ein alter Bekannter der Familie hier die Hon­ neur« mache, und Ihnen sämmtliche Mitglie­ der der Reihe nach vorstelle. Da« Alter kommt zuerst, sagt eln alte« deutsche« Sprichwort. Zch fange daher mit der Großmutter an, die oben am Tische sitzt, und ein kleine«, muchwillige« Bübchen auf dem Schooße wiegt. — Diese gute, herzige Dame gehört Zu de« seltenen Erscheinungen in der Welt, in welchen die Natur von Zeit zu Zeit ihr Meisterstück zu wiederholen pflegt. Schon zählt sie mehr al« ei» halbe« Jahrhundert und noch findet sich bei ihr keine Spur von de» Fehlern und Schwächen, womit sonst ein Alter, wle da« ihrige, begleitet zu seyn pflegt. Noch nimmt sie an jedem Spatziergange der Familie Amheil, und läuft oft noch sogar scherzend mit ihren Enkeln um die Wette. Dabei ist ihre Sprache noch so munter und lebhaft und da« Gesicht noch so frisch, daß Fremde, die sie nicht ken-

nen, daö lustige Völkchen, das um ihren SchooA herum hüpft, eher für ihre Kinder, als für

ihre Enkel zu halten pflegen.

Was aber jedem, der mit ihr umgeht, vor­ züglich gefällt, ist ihr so gebildeter und so leben­

diger Geist, der über alles im Leben Interesse

zu verbreiten weiß, und ihr so edles und offnes Herz, daS in ihrem immer freundlichen und

liebreichen Gesichte wie in einem klaren Spiegel

sich darstellr.

Der Glückliche wie der Unglück­

liche sicht* stets-darin Theilnahme.

Sie freuet

sich mit dem einen und trauert mit dem andern. Aber nicht bloß scheinbar ist ihre Theilnahme am fremden Wohl und Weh.

Ihre liebevollen

Gesinnungen reden nicht bloß im Gesicht, son­

dern sprechen sich gern, wo.es möglich ist, auch in Thaten aus.

Nie geht der Glückliche, der

sich ihr vertraut, ohne Aufmunterung und Bei­ stand in der^ Erhaltung seines Glückö; der Un­ glückliche nie ohne Rath, der Hülfsbedürftige

nie ohne Hülfe von ihr hinweg.

Auch kennt

sie jedermanns Umstände und Schicksale in Dahl­ dorf, giebt in jeder Lage immer den besten Rath,

weisi immer noch einen Ausweg, ein Mittel,

wo alles schon schweigt, und behält Muth und Hoffnung-, wo alles schon verzweifelt.

Des­

halb ist sie auch angebetet im ganzen Dahldorf, und jedermann frägt und verehrt sie «le ein Orakel.

Aber sie liebt auch die Dahldvrfer,

und diese guten Menschen verkennen das nicht,

und räumen ihr so viel Gewalt über ihre Her­ zen «in, daß sie sie wie eine Mutter ihr« Äin«

der leitet.

Man pflegt sie daher oft wohl Im

Scherz die Mutter von Dahldorf zu nenne».

Das Bübchen, welches ihr auf dem Schooße sitzt, ist ihr jüngster Enkel, ein Kind voi» fünf

Iahreit.

Es läßt sich daher noch nicht viel

mehr von ihm sagen, als daß er «in r«cht niedliches Lärvchen trägt, auf welchem die Blicke der Großmutter oft mit Wohlgefallen ruhen.

Doch zeigt die junge Pflanze schon einige Schtßlinge, die wohl ahnden lassen, wo das Bäunü

chen hinaus will.

Der klein« Edgar, so heißt

er, ist voll von Possierlichkeiten.

Aber alles,

was er thut, steht ihm wohl an, und er weiß es, so jung er ist, schon mit einer Art von

Grazie zu thun.

Aber der kleine Schelm weiß

auch schon, daß er dieß weiß, und schon regt

fich bcr Dämon bet Eitelkeit in seinem Köpf­ chen.

Er zieht für alle Vorübergehenden seinen

Huth, auch für diejenigen, die er nicht kennt, weil eS ihm bet seinem Gruße mehr um fich, «tt um andere zu thun ist.

Er verschenkt seine

Höflichkeiten, wie mancher gutmüthige Verschwelt»

der sein Geld.

Zeder erhält ein freundliche-

„Guten Tag!" und ein« allerliebste Verben» gung, die, weil sie nicht befohlen und auch

nicht erlernt ist, auch da- schönste Kompliment

des schulgerechten TanzmetsterS bet weitem über» «risst-

Diese zu große Freigebigkeit mit seinen Höf­ lichkeiten ist ein kleiner Auswuchs selner Lttcl-

keit, den die sorgsam« Erziehung, die er erhält, schon wird zu beschneiden wissen.

Seine natür­

liche Grazie, verbunden mit einer ihm eben» falls angebornen Munterkeit und Gutmüthig-

keit, wird ihn einmahl zu einem lieben und angenehmen Gesellschafter machen.

Zn andern

Umgebungen und unter einer vernachlässigten, oder verkehrten Leitung, würde vielleicht nur einer der bunten Schmetterlinge aus ihm wer­

den, welche in großen Städten und Residenzen,

--------------

1“,

in allen Schauspielen, Redouten und Bällen zu

ganzen Leeren herumflattern. Wer die sanfte freundliche Dame da ist,

neben der Großmutter, werden meine Leser Hof» fenrlich schon errathen haben.

Es ist die Grä­

fin von Dahldorf, die Desttzerln des schöne»

Schlosses und

die Mutter unserer künftigen

kleinen Reisegesellschaft.

Zhr Gesicht scheint

ganz der Abdruck der schönen Gegend zu seyn,

welche sie «mgiebt.

Wenn angenehme Gefühle

die Seele bewegen, so sind ihre Züge mild

und sanft, wie die Farben des Thales, wenn es vom Abendlich» beschienen wird; aber Ernst und Erhabenheit blickt aus dem dunklen Ange, wie von der Höhe, zu der man hier ehrfurchts­

voll hinauf sieht, wenn ein großer Entschluß die

Seele ergreift, oder die Nachempfindung einer großen That sie begeistert.

Sie verbindet mit einem sehr edlen Gemüth

einen eben so ausgebildeten Verstand, mir einem Herzen voll Wohlwollen für die Menschheit,

einen so reichen Schatz von Kenntnissen, daß man sie eben so sehr lieben, als bewun­ dern muß.

Unter den Künsten liebt sie besonders die Tonkunst und die Mahlerei, und verdient in

beiden eine Meisterin genannt zu werden.

Die

Zimmer ihrer Kinder hat sie mit ihren eigenen und für dies« Oerter immer sehr passenden Ge­ mählden geschmückt. ' Auch kennen die Kinder

keine größere Belohnung des Fleiße-, und keine größer« Aufmunterung an ihren Geburtstagen, al- eine Zeichnung oder «in Gemählde von der

Mutter, worauf sie oft selbst in irgend einer

guten Handlung begriffen vvrgestellt sind. Ein schöner Genuß ist eS für den fühlen­ den Menschen., dl« Gräfin am Flügel spielen und singen zu hören.

Man hört nicht nur

ihre melodische Stimme und die Tön« des Zn»

struments, man sieht und liest noch deutli­ cher in ihrem Gesichte jede Empfindung, welche

die Musik auSdrückt.

Ihr verdankt sie auch

außer dem Umgang« mit ihren Kindern die

schönsten Stunden deS Tage-. Aber am liebenswürdigsten «rscheint sie in

diesem Umgänge.

Slp weiß jedes ihrer Kin­

der nach seinen Fähigkeiten und Neigungen zu

behandeln und zu ergehen.

Mit dem einen

ver-

verliert sie sich ins Gebiet der Geschichte, ober öffnet ihm die Schätze der Naturwissenschaft, mit dem andern baut sie Hauserchen und Städte, und freuet sich eben so ausrichtig mit, wenn der Dau glücklich vollendet ist, und ein kleineKarlsruhe oder Manheim sich aus dem Tisch erhebt. Nicht- übertrifft ihre Liebe für ihre Kin­ der. Diese Liebe ist ihr fast jur Leidenschaft geworden, und kein Opfer ist ihr zu schwer, wenn sie es einem ihrer Lieblinge bringt. Um diese zur Erlernung der lateinischen Sprache aufzuniuntern, kannte sie kein bessere- Mittel, als selbst Latein mit ihnen zu lernen, über­ haupt weiß sie ihre Kinder fast allein durch die Kraft de- Beispiels zu erziehen. Sie geht ihnen in allem voran, und was sie von ihnen »erlangt, leistet sie zuerst. Da- rothbäckigte Männchen, da- neben ihr steht, ist der siebenjährige Zäsar. Er hat sein Lesebuch, ein Geschenk vom letzten Geburtstage, neben der Mutter Stricktörbchen niedergelegt, und läßt sich jetzt von ihr über die Geschieht» chen examiniern, die er darin gelesen hat. Denn Pr. F. 2

alö Zäsar kaum 5 Zahr alt war, wußte er schon ziemlich zu lesen, und jetzt liest er mit vieler Fertigkeit, und akcentuirt so richtig, pflegt die Großmutter zu sagen, wie ein Lektor auf der Universität. Geschichtchcn auS der Geschichte sind seine Lieblingsfach«, und wenn sein Lehrer ihm au« derselben etwas erzählt, so hätte der heilige Pabst, wenn er sich einmahl von seinem erha­ benen Sitze herabließ und der lieben Christen­ heit predigte, keine aufmerksamern Zuhörer haben können» Bisweilen fällt der kleine Geschichtsforscher selber über seinen lieben Decker her, und dann kann er halbe Tage lang darüber liegen, und man hat Mühe ihn wieder davon wegzubrlngen. Mit einem recht bunten Quodlibet von Geschichten kommt et dann zur Mutter und erzählt. Mannichfaltig genug ist sein Gemählde, aber was Ordnung und Zeitfolge betrifft, so bekümmert sich der kleine Erzähler wenig dar­ um, und eS begegnet ihm nicht selten, daß er seinen Nahmensvetter Zäsar mit dem Kaiser von Marokko für gleichzeitig annimmt, weil

«r in einer Viertelstunde von beiden etwas gelesen halte.

Zch gehe weitet und stelle Meinen Lesern jetzt das dritte und letzte Paar vor.

Der schwarze Herr da, an der Sette der Großmutter, ist Herr Hilmar, der Lehrer im gräflichen Hause, und der neben ihm steht und ein Buch in der Hand hält, ist Fedor, sei« ältester Zögling, der ihn um die Erklärung einer Stelle in Phädrus -Fabeln bittet. Denn Fedor ist rin gewaltiger Lateiner, und weiß Schellers Vokabularium mit allen seinen Derivativen so gut auswendig, als der kleine Edgar sein A D C- Die lateinische Sprache ist sein Stecken­ pferd, womit er sich den ganzen Tag herum­ tummelt , und unter allen römischen Helden sieht er seinen geliebten Fabeldichter PhadruS für den ersten an, und kann recht stolz darauf werden, wenn ihn nach einer gelungenen lateinischen Ueber* setzung Herr Hilmar seinen zweiten PhädruS nennt. Auch läßt er es sich von der Groß­ mutter nicht abdisputiren, daß dieser Nahme mit dem scinigen die größte Aehnlichkeik habe.

und baß man mit Bequemlichkeit diesen von

dem erster» ableiten könne. Fedor's Lehrer ist nicht der letzte in dieser trefflichen Familie, ob ich ihn gleich, seine Be­

scheidenheit nachahmend, hier zuletzt vorstelle.

Herr Hilmar scheint kalt und verschlossen, und

ist bloß höflich, wenn er in eine Gesellschaft tritt, die er nicht kennt.

Aber findet er Per­

sonen, die er schätzen kann, so tritt an die Stelle der anscheinenden Kälte ein sanfter Ernst, und anstatt der Höflichkeit zeigt er deutsche

Grobheit und Vertrauen.

Er ist viel in der

Welt und unter Menschen gewesen, und hat viel Unangenehme- und Traurige- unter ihnen

erfahren.

Diese Erfahrungen find nicht ohne

Einfluß auf seine Stimmung geblieben, und

scheinen «ine gewisse Rinde um sein Herz ge­

zogen zu haben.

Wenn ihn ein Fremder da­

her unter Fremden sieht, so hält er ihn keiner

warmen Gefühle fähig.

Aber in diesem Her­

zen wohnt eine Giuth von Empfindungen, die

sich augenblicklich offenbart, wo man ihm mit

Vertrauen zuvorkimmt, oder wenn «in großer, edler Gedanke den innern Sinn belebt.

Unter

Freunden zerreißt er gern alle Ketten der Kon» venienz, und ist nichts lieber alS Mensch im reinsten und edelsten Sinne deS Worts. Aber immer hat er sich in seiner Gewalt, und weiß, wenn es seyn muß, den Ausbruch seiner hef­ tigsten Empfindungen zu unterdrücken. Aber die hellsehende Großmutter will ihm doch dabei Immer einen kleinen Kampf anmerken, und pflegt ihn dann wohl im Scherz den glühen­ den Hekla zu nennen, der sein Feuer unterm Eise verbirgt. Das ist di« Familie, in deren Gesellschaft ich meine Leser fpatzieren zu führen versprochen habe. Ob die Familie auch noch einen Vater hat, fragen meine Leser vielleicht? Za wohl, und «inen recht braven Vater, der sie alle recht herz­ lich lieb hat; aber ein nothwendiges Berufs­ geschäft hält ihn schon seit Monathen von sei­ nen Lieblingen und den Penaten entfernt. Doch werden meine Leser vielleicht späterhin auch noch sein« Bekanntschaft machen; für jetzt müssen sie sich mit dieser Spatztergesellschaft begnüge».

m

Bmeittt Spatziergang. Der Weg nach Grundfeld.

Es war ein schöner Tag km Zunimonath, als die Gräfin von Dahldorf ihrer kleinen Familie «inen Spahtergang für den Nachmittag ver­ schlug. Man kam zusammen, sich darüber zu besprechen. Das kleine versammelte Parlament hörte mit Freuden den Vorschlag an, und das Oberhaus, wozu die Großmutter und Herr Hil­ mar gehörten, stimmten so ganz überein mit den Wünschen der übrigen Mitglieder, daß die Bill sogleich ohne alle Debatten durchging. Das MittagSessen wurde nun etwas früher bestellt, als gewöhnlich. Die Kleinen aßen fast nichts. Die Freude schien sie schon gesättigrt zu haben. Mit dem Geiste, der voraus ging, schienen auch die jungen Adagen entfloh» zu seyn. Wie jubelte man, als daS Zeichen zum Auf­ bruch geschah. Di« Großmutter wollte di«

Geduld der Kleinen nicht länger prüfen, und rückte den Stuhl. Alles erhob sich, und die Gräfin ging, nur noch einige Geschäfte im Hauswesen zu besorgen. Endlich war auch sie fertig, und kehrte zu der schon längst fertigen und mit Ungeduld harrenden Gesellschaft zurück. Mein« gütigen Leser verzeihen ihr gewiß gern diese kleine Ungeduld, wenn sie hören, baß der heutige Spatziergang gar kein alltäglicher war. Der Fürst des schönen glücklichen Ländchen-, wo unsere Familie wohnte, besaß nicht weit von dem Wohnsitze der letztern in einer sehr reitzem den Gegend ein Schloß, wo er fast die ganz« angenehme Hälfte des ZahreS zuzubringett Pflegte. Bei dem Schlosse breitete sich ein beträcht» licher Landsee aus, und auf demselben lag eine Znscl, welche der Fürst vorzüglich liebte, und welche unsere Spatziergänger heute zu ihrem Ziel gewählt harten. Denn der Fürst war heute, was sehr selten geschah, abwesend; man konnte sich desto ungestörter feinem Genusse im Beschauen dieser schönen Gegend überlassen.

Zum gemeinschaftlichen Genusse aber wollte man vorher den Pastor tn Grundfeld rlnladen, der mit seiner einjtge« Tochter, einer jüngern Freun« dtn der Gräfin, und seinen friedlichen Dorfbe­ wohnern am Ufer des See'- wohnte. Munter und leicht, well man nicht-, als flch selbst zu tragen hatt«, zog di« klein« Kara« walt« über den Schloßhof. Edgar ergriff die Hand der Großmutter, die ihm von den schö­ nen, rotheil Erdbeeren erzählte, welche auf der Insel wüchsen. Fedor, der den heutlgen Spaziergang zu» gleich zu einer Zagdparthie machen wollte, hatt« seine Schmetterlingsklappe dazu mitgebracht. Da aber jetzt noch keine Schmetterlinge zu fangen waren, so überließ er sie gern seinem jüngern Bruder Zäsar, der sie einstweilen als Reitpferd benutzt«, und neben der Mutter her« galloptrte, die mit Hilmar und Fedor ein Kapi­ tel aus der Naturgeschichte abhandelte. Bei Tlsche nämlich war die Rede von Austern gewesen, und Zäsar, der sie kannte und liebte, hatte dies« nicht für Thiere halten wollen, weil sie, wie er sagte, nicht Fleisch

85

--------------

und Blut hätten, wie die Pferde und Hunde und Schaafe, von deren Eigenschaften allein er den Begriff Thier zusammen gefetzt zu haben schien.

Zäsar wurde eines bessern belehrt, und

in der kleinen Republik dann festgesetzt, künftig den Naturhistorikern zu Gefallen, alles mit dem Nahmen Thier zu beehren, was Empfindung

zeigte, und sich willkührltch bewegen könnte.

Damit schien nun die Sache ad Acta ge­

legt ; aber der grübelnde Fedor brachte sie jetzt auf dem Spahiergange wieder zur Sprache.

Es wat ihm eingefallen, daß eö den Austern an willkührlicher Bewegung mangelte, weil sie an Felsen, Pflanzen und Daumwurzeln fest­ säßen, und nur durch fremden Einfluß den allen Platz verändern könnten.

Auch erinnerte

er sich einmahl von Austernsäen gehört zu haben, und dieß stimmte ihn völlig so um, daß

er Zäsars Sache wieder aufnahm, und behaup­ tete, daß die Austern zwar Thiere, aber doch

«eit minder Thiere seyn müßten, als der Hund und da« Schaaf.

Herr Hilmar freute sich über Fedor's Nach­

denken , und suchte seine Urtheile zu berichtigen.

s6 „Was das Austernsäe,« betrifft," sagte er, „so hat es damit eine ganz andere Br» wandniß, als mit dem Säe« unsers NoggenS und Walzens. Da nicht jedes Wasser ihnen zuträglich ist, so nimmt man häufig jung« Austern von den Stellen weg, die ihnen der Zufall angewiesen hak, und bringt sic an einen Ort, wo sie besser gedeihen und schmackhafter werden. An den holländischen Küsten z. D. kommen sie nicht gut fort, weil sie in dem lehmigen Boden des MeereS durch di« Ebbe und Fluth leicht verschlämmt werde». Ge­ wöhnlich streut man sie daher an Orten ins Meer, wo das Wasser reiner, und durch eine stärkere Bewegung, wie an der Mündung eines Flusses, immer frisch erhalten wird. Dieß, nennt man Austern säen, und weil die Austern sich mit der klebrigen Schale sogleich sesthängrn, und wie die Fische im Frühling laichen, so pflegt man auf diese Art sogenannte Austerbänke anzulegen."

Fedyr war hierdurch nur erst zur Hälfte belehrt, und sah Herrn Hilmar mit einem

Blicke an, der ihn um weitere Erklärung bat.

Dieser fuhr daher fort:

„Dieses Säen der Austern berechtigt uns als»

nicht, ihnen den Rang unter den Thieren strei­

tig j» machen.

WaS die willkührliche Bewe­

gung betrifft, so kann man ihnen diese nicht ganz absprrchen.

Wo die Auster einmahl sitzt,

da bleibt sie zwar Zeitlebens, aber doch kann sie willkührlich ihre Schalen zuweilen öffnen, um Luft zu schöpfen und frisches Wasser ein-

zunehmcn.

Indeß da dieß die einzige will­

kührliche Bewegung ist, deren die Austern fähig

sind, so scheint sie höchst unvollkommen, und die Auster daher allerdings, wie Fedor meint, minder Thier zu seyn, als ZäfarS Hund oder Schaaf.

Auch ich bin dieser Meinung und

glaube, daß eS unendliche Grade und Abstu­

fungen in der Thierheit giebt.

Ein Znsekt

ist weniger Thier, als ein Hund; «ine Auster

weniger als ein Infekt; bk Meernessel, die in

Gestalt einer Blume im Meere aufrecht steht? und der Polyp, der Augen treibt, und sproßt

und wächst, wie eine Pflanze, sind eS noch weniger, als die Auster;

und eS

ist nicht

unwahrscheinlich, daß cS bei den unendlichen Schattirungen in der Natur noch andere Thier« -lebt, die noch weniger Thier sind, al« rin Polyp, und die den Uebergang des Thierreichs zum Pflanzenreich so ollmählig machen, daß er dem menschlichen Auge endlich ganz unbemerkbar wird. Vergebens ist e« überhaupt, den Unterschied zwischen Thier, Pflanze und Mineral, und die Grenzlinien zwischen den sogenannten drei Rei­ chen der Natur und ihren Klassen genau be­ stimmen zu wollen. Es giebt Wesen, von welchen man nicht bestimmt sagen kann, zu welchem Reiche, oder zu welcher ihrer Klassen sie gehören. Sie scheinen als Schattirungen zwischen zweien, wie der Polyp zwischen dem Thier und der Pflanze mitten inne zu stehen. Aber wir finden auch die Eiutheilung der Dinge in Reiche und Klassen nicht in der Natur, sondern diese ist bloß ein Werk unsers Ver­ standes, .ein Fachwerk, das der menschliche Geist erfand, um sich das Studium der Natur leichter zu machen. Er suchte Aehnlichkeiten auf unter den Dingen und legte sie in Gedanken

zusammen in ein Fach, waS ihm einerlei Merk­ mahle zu enthalten schien. nährt,

fortpflanzt,

WaS wächst, sich

willkührlich bewegt unk»

empfindet, war ihm ein Thier;

waS wächst,

sich nährt und fortpflanzt, aber sich nicht will­ kührlich bewegt und nicht empfindet,

eine

Pflanze; und was keine dieser Eigenschaften

hak, und höchstens nur durch Anhäufung ande­

rer Theile von außen zu wachsen scheint, war ihm ein Mineral-

So entstanden die sogenann­

ten Reiche der Natur, und auf ähnliche Weise di« Unterabtheilungen derselben in Klaffen und

Arten und Unterarten.

Nur unser Verstand

und unsere Art zu sehen, schloß die Natur' in

diese Grenzen, um sich eine deutlichere Ueber­ sicht der so wannichfaltigen Dinge in derselben

zu verschaffen. So theilt Irtan die Sterne in Sternbilder,

um sie leichter zu übersehen, und sich am Him­

mel zu «rientirrn.

So ist die Seele des Men­

schen nur eine einzige untheilbare Kraft; aber

als sie sich selbst zum Gegenstände ihrer Be­ trachtungen machte, bemerkte sie bald ein» große Verschiedenheit i» ihren Aeußerungen, und gab

jeder derselben auch einen verschiedenen Nahmen. So entstanden die Benennungen, Einbildung«,, Gedächtniß«, Erinnerung« » und Urcheilekraft, Witz, Scharfsinn rc., obgleich diese Nahmen, eben so wenig wie in der Natur, etwa« Abge> sonderte« andeuten, sondern nur bloß der schwa­ chen Einsicht de« Menschen zu Hülfe komme» sollen." Unter diesen Gesprächen hatte unsere philosophirende und reitende und erzäh­ le n d e Gesellschaft den Schloßhof und den Gar­ ten passtet, und trat jetzt an den Ort, wo der Fluß de« Städtchen« zwischen zwei Anhöhen au« dem Thäte verschwindet. Ein glatter, schma­ ler Fußsteig führte unsere Spahiergänger unter einem schattigen Laubengang von Bäumen, wo­ mit da« Ufer des Flüßchen« besetzt, ist, die Schlucht hindurch. Da breitete sich vor ihren Augen eine Helle, freundliche Wiese aus. Zn einem abgezäunten Bezirk lag wiederkäuend der Stier, und die jungen Schönen kehrten mit der Mittagsmilch in den blank ge­ scheuerten Eimern nach dem Städtchen zurück. Die stelßig« Dien« sammelte Honig, und ,der

In tausend Farben schimmernde Schmetterling flatterte von Blume zu Blume. Da griff Fedor hastig nach seiner Klappe, Und Wie ein zweiter Nimrod kam er bald mit dieser, bald mit jener'Beute zur Gesellschaft zurück. Aber er that nie einem- dieser Thiere wehe. Er fing fie nur, um sie näher zu be­ trachten, und sich an ihren mannichfaltigen Farben zu erfreuen. Fröhlich überließ er dann seine Deute dem Bruder Edgar, der sich eine Lust daraus machte r dem kleinen Gefangenen die süße Freiheit wieder zu schenken. Fedor kennt alle Schmetterlinge seiner Gtt gend, aber nie tödtet er einen derselben, «ine Sammlung damit zu schmücken. Er liebt diese Todtengruft nicht, womit andere ihre Zimmer zieren. Seine Schmetterlinge sieht er nicht als Mumien hinter dem Glase; eS ist ihm un­ endlich süßer, diese fröhlichen Wesen in der freien, weiten Natur herumfiattern zu sehen. Wenn er auch da« Anschaun seiner Lieblinge den Winter über entbehrt, so findet er doch die alten Bekannten mit jedem Frühlinge frisch und leben­ dig wieder.

Aber das ist nicht die einzige Freud«, di« dem immer suchenden und forschenden Fcdor der Frühling ziirücksührt. Die ganze Natur breitet sich auS, und zeigt ihm auf allen Wegen und Feldern und Wiesen, in allen Thälern und auf allen Bergen, in Flüssen und in Seen, Blu­ men und Pflanzen, di« sein« Neugierde reizen. Fedor ist «in leidenschaftlicher Botaniker, und sein Lieblingsstudium, die lateinische Sprache, kommt ihm hier sehr zu Hülfe, die Menge schwere Nahmen zu behalten, wodurch andere sich von dem Studium der Pflanzenkunde so leicht abfchrecken lassen. Seine Freude, wenn sein spähende- Auge «in neue- Blümchen oder eine noch unbekannt gebliebene Pflanz« entdeckt, ist dem Entzücken des sinnigen Rousseau gleich, al- er einst auf einer botanischen Wanderung da- längstgesucht« Stnngrün (Vinca minor) entdeckte. KeineMorde- schuldig, mit der reinsten Freude, trägt er dann seine Deute nach Haus«. Zede Pflanze bäucht ihm eine Sieg-trophäe, di« er ohne schmerzhafte Wunden zu schlagen > auf dem ret, chen Felde der Natur erobert; oder sie scheint ihm

tijm eine neue Freundin, eine Verwandte feinet frühern Bekannten, die er gastfreundlich auf­ nimmt, ihre Züge, ihre Phpsionomie, ihre Kennzeichen studirt, und ihr dann in seinem Herbarium einen Platz neben ihrer Familie anweist. Aber damit diese neuen Ankömmlinge ihr Ansehen so wenig als möglich verändern, so pflegt er sie vorher zwischen zwei großen Lösch­ blättern zu pressen und auSzutrocknen, indem er ihnen immer einen Grad von Wärme znkommen läßt, der ihm Mit der Menge ihrer wäßrichten Theile in Verhältniß zu stehen scheint. Hält er sie dann für trocken genug, so pflegt er die Gefangenen wieder hervor zu holen, und jeden derselben auf eine gefällige und angenehme Art auf einem besondern Dogen weißen Papiers auszubreiten, und ihn dann wieder auf immer in dieser Attitüde, wie die Götter einst den Prometheus an einen Felsen schmiedeten, nur mit leichtern Banden, mit einem Zwirnfaden, oder mit Keinen Papierstreifen, die er mit Gummi bestreicht, an der weißen Fläche zu befestigen. Pr. F.

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Zuweilen auch giebt per kleine Botaniker seinen Fund der reichen Natur wieder zurück.

Aber dann sucht er da- Andenken daran sich durch eine Zeichnung, die er selbst, oder dse

Mutter ihm macht,, oder durch einen Abdruck

zu bewahren. Dieß letztere weiß er selbst aus eine recht

leichte Art zu bewerkstelligen.

Er überstreicht

«inen starken Bogen Papier dünn und gleich­ mäßig mit einer schwarzen Farbe, die er aus

Kienruß und Baumöhl mischt, legt dann dir Pflanze, oder da- Daumblatt, was er abdrücke»

will, mit der untern Seite (weil sich hier die Adern und Fäserchen mehr zu erheben pflegen) auf dt.e überstrtchene Fläche, drückt eS mit den Fingern, und um sich die Hand nicht zu be­ schmutzen, vermittelst eines dazwischen gelegte«

Papiers fest darauf, nimmt das nun auf der

untern -Seite geschwärzte Baumblatt wieder hervor, und preßt eS auf ähnliche Weife, indem

er mit dem Finger nach allen Seite» hin dar« auf reibt, noch einmahl ziemlich stark auf ein untergrlegteS, feine-, weißes Stück Postpapier.

Dann hebt er behutsam das geschwärzte, Daum«

Statt wieder auf, und auf dem feinen Papier zeigt sich der feinste und genaueste Abdruck des»

selben mit allen Wendungen und Verschlingun-en auch der kleinsten Aederchen, welche es

enthielt.

Auf diese Weise hat Feder Abdrücke vor­ züglich von Blättern und kleinen Zweigen aller

um ihn wachsender Daumarten auszuweisen, und weil ihm diese Druckerei - Vergnügen macht, so

konnte es nicht fehlen, daß er bald so viel

Abdrücke erhielt, daß er damit, wie die Grund» schm Erben mit den Hamburgischen Zeitungs­

blättern das halbe Europa, das halbe Dahl­ dorf versorgte.

Sei« eigenes Zimmer und bet

Platz vor demselben bis zur Treppe ist ganz auSiapezirt mit diesen PflanzenpottraitS, und,

man -tarnt ihm kein« größere Freude machen,,

als wenn man sie, wie eS viele Fremde thun, für Zeichnungen hält, -die mit schwarzer Kreid­

gemacht wären.

Wir haben unsere Spatztergänger ein wenig allein gehen lassen.

Wir wollen sie jetzt wie­

der einholen, und auf ihrem weitern Weg«

verfolgen.

Sie hatten die Wiese immer dem Flüßchen entlang in mancher Krümmung durchwandert. Jetzt fing der grüne Teppich an, sich allmäh, lig wieder zu erheben, und sich mit, schönem

Laubwerk zu bekleide''.

Der Dach, ihr treuer

Begleiter, verlor sich links unter Erttngcbüfchen, und rin schmaler Pfad führte die Wan,

derer immer höher und höher. Die Großmutter nahm Hilmars Arm, und

Edgar bot der Mutter den seinigen, nicht, sie zu führen, sondern sich von ihr führen zu lassen.

Zetzt bestiegen sie dle letzte Anhöhe und

nach wenigen Schritten befand sich dl« kleine Karawane auf dem Gipfel eines Berges, der

nach vorn hin «inen freien, und selbst demwelcher diese Gegenden schon kennt, immer noch

überraschenden Anblick gewährt.

Selbst Edgar kennte sich nicht enthalten,

erst einen langen Blick In die weite, frei«, liebe Natur zu thun, bevor er der Einladung eine­ schattigen Baum- Gehör gab, bet ihn» , unter, seinen herabhängenden Zweigen und« »uf -einem

bequemen Rasensitzr Kühlung und Ruhe bot.'

Aber die Natur fordert« bald ihre Rechte. Neu« Kräfte sammelnd setzte er sich nieder/ während di« Gesellschaft noch sah und bewun» drrte, und ließ da- schlank« Reitpferdchen neben sich ruhen, das ihm die Großmutter vorher unten im Hasclnußbusche geschnitten hatte. Aber jetzt führ« ich meine Leser zu der übrigen Gesellschaft an die Spitze dieses erha­ benen Wunderplätzchens. Tief und steil mit Felsen untermischt läuft der Berg hier hinunter.' Das Aug« schaut hinab, und verliert sich in die'Menge der Gegenstände, welche sich ihm auf einmahl darbieten. Unten schimmert die wette, ruhige Fläche «ineS ausgebrciteten Landsee's. Links zwischen dunklem Gesträuch und bemoosten Steinen glänzt der heimathliche Fluß wieder hervor, scheint noch einen freundlichen Blick des Wiedersehens unsern Dahldorfern zuwerfen zu wollen, und rauscht dann schäumend über einige Felsenmas­ se» hinweg in dte größere Fluth, di« ihn auf immer verschlingt. Links umschließen den See felsige Anhöhen, di« durch tief« Kluften durchbrochen sind, und

buschige Hügel. Dann senkt sich allmLhlig brr Boden zu einer schönern Ebene. Man sieht waldige Duchten, grasreiche Wiesen mit wei­ denden Blehheerdrn, Fischerhütten unter ein­ zelnen beschattenden Bäumen, und weiter vom Ufer zurück, wogend« Kornfelder, mahlerisch untermischt mit Dörfern und waldigen Hügeln. Auf der entgegenstehenden Seit« verdeckt di« Ufer zur Hälfte ein« meist mit Bäumen bekleidet« Insel, die fast in der Witte wie ein hervor gezauberter Feenwald aus der zurückspie, gelnden Flilth hervorsteigt. Man nennt sie die Fürsteninsel, weil der Fürst sie vorzüglich zu seinen Spahiergängen wählt, die trefflichsten Anlagen hier gemacht, und sie mit allem ge­ schmückt hat, was die schöne Kunst einer ohne­ hin schon schönen Natur geben kann.

Zur Rechten erblickt man auf einem ebenen aber etwas erhabenen Ufer nach hinten zu, an einen hohen waldbewachfenen Bergrücken ge­ lehnt, den fürstlichen Wohnsitz, ein langes, nicht hohes Gebäude, im edelsten Styl aufgeführt. Seine weißen Wände und glänzende» Kuppeln

geben einen schLnen Kontrast mit dem man»

nlchfalttgen Grün, von dem eS umgeben ist. Hier In der ruhigen schLnen Natur legt der

Fürst gern seine Würde mit dem Stern und

der Krone nieder, und tritt gern eine Zeitlang in die Stille des Privatlebens ein.

Den größ­

ten Theil des bunten Schwarms, der ihn ermü­

det, pflegt er In der Residenz zurück zu lassen, und sich hier ungestört der Zärtlichkeit seiner

Familie imb den reinernhöhern Genüssen der Freundschaft hinzugeben, von der drückenden

Last der öffentlichen Geschäfte sich zu erholen, sich an- den sanften Freuden der Natur zu

erquicken, gern zu vergessen, daß er Fürst ist, und sich menschlich unter Menschen zu freuen.

Aber noch sieht man zur Rechten durch Gebüsch von -dem Schlosse getrennt m>d halb hinter Bäumen versteckt die Meierei und die fürstlichen WirthschaftSgebäude.

Daran schließt

sich eilt'freundliches Dörfchen, das mit feinet) weißen Schornsteinen und der vergoldeten Thurm­

spitze aus seinen dickbelaubten Daumgruppen

hervoisieht. Dies' ist Grundfeld, da- erste Ziel, das sich

unsere Wanderer gesteckt hatten.

Hier wollte

die Familie einen alten Freund ihre- Hauses,

die Gräfin eine jüngere Zugendgefpielin, und

Hilmar in diesen Heiden einen künftigen Vater und eine Verlobte begrüßen. Der Pastor von Grundfeld ist ein ehrwür»

diger Greis weißem Haar.

mit schon kahler Scheitel und

Schon beinahe fünfzig Zähre

ist et Lehrer und Führer der ihm anvertrau­ ten kleinen Heerde, und noch immer betritt er den Lehrstuhl, und spricht mit jugendlichem

Feuer vor der versammelten Gemeinde.

Schon

manches Band unter zwei Glücklichen hat sein

Segensspruch geheiligt, und manchem, den er

bei der Taufe empfangen und tm Leben beglei­ tet hat, ist er auch zum Grabe gefolgt.

Zm-

mer treu feinem Beruf und den Bewohnern

seines Dörfchens, die et wie feine Kinder liebt, und die ihn als Vater verehren, gleicht er dem

Ulmbaum, der vor seiner Thür steht, und, ein­ uralter Zeuge bei den Spielen der Dorfjugend, und siegend über das Alter, den Kindern noch den Schatten bietet, den er schon dem Groß­

vater geliehen.

Durch seinen stets weisen Rath

und durch seine unaussprechliche HerzenSgüte

ist er dem Dörfchen gleichsam eine andere Vor­

sehung geworden.

Auch die bescheidenste Ar­

muth kann sich seinem Auge nicht verbergen,

seiner helfenden Hand nicht entziehen,

und

wie manche- Unglück mag er schon verhütet, wie manche unredliche That verhindert haben, indem er so geschickt jedem Bedürfnisse zuvor

zu kommen weiß.

Nie braucht er das Anse­

hen, worin er bei allen Dorfbewohnern steht,

als zur Beförderung ihres eignen Wohls, und oftmahls sah man schon zwei Menschen, die sich

feindselig einander verfolgten, von seinem gast­

freien Tische als Freunde wieder hinweg gehen. — Dies ist das Bild unsers neuen, ehrwür­

digen Freunde» in Grundfeld.

Meine Leser

können sich vorstellen, wie geliebt und geehrt ein solcher Mann in der Familie Dahldorf seyn

muß, wo jedes Mitglied ein offnes Auge für das Schöns und ein empfängliches Herz für alles Gute zeigt.

Auch war der Greis früher

der Lehrer der Gräfin gewesen, welche er mit seiner eigenen etwas jüngern Tochter zugleich

eine Zeitlang unterrichtet hatte.

5m Haus« des Greises selbst herrscht Liebe

und stille Eintracht.

Nur ei-n Sinn herrscht

«nter allen, die unter «inem Dache wohnen.

— Spät erst hatte sich dem Greif« aus Ach» tung und Dankbarkeit ein treues Mädchen ver» bunden, und früh riß ihm das Berhängniß die

treue Gefährtin wieder von der Seite; aber

die Zett hat die Wunden geheilt, die ihm ihr Tod schlug/ und in dem aufblühenden Kinde sah er die Selige gleichsam wieder auferstehen

iinb den Hinterlassenen trösten:

Und dieser süße

Trost war ihm geblieben. Die Natur hatte die Tochter mit den schön­

sten -GeisteSgaben geschmückt, und der weise Gartner bcbauete sorgfältig

den fruchtbaren

Emma ist jetzt Jungfrau geworden,

Boden.

und hat seine frohesten Erwartungen nicht ge­

täuscht.

Sie ist dem Greise das einzige theure

Kleinod, für das er tausend Leben mlt Freuden

hingeben würde-

Und sie sucht diese Liebe durch

die sorgfältigste Pflege

des Vaters,

durch

di« innigste Anhänglichkeit,, durch das unbe­ schränkteste Vertrauen, daS sie ihm zeigt, zu

verdienen.

Mit welcher Aufmerksamkeit lauscht

sie auf seine Winke, welche Seligkeit leuchtet au- ihren Augen, wenn sie glücklich seinem

Wunsche begegnet, oder noch glücklicher dem»

selben zuvorkommt!

Wie sorgfältig thut sie

alle«, wa- sie für ihn thut, welcher Auf» Opferungen ist sie fähig, wenn sie ihm eine

Freude bereiten kann, und wie geschickt und bescheiden weiß sie den dankbaren Blicken deVater- durch eine neue Aufmerksamkeit für ihn

au-zuweichen!

Auch ist Emma geliebt von allen, welche

sie kennen.

Ehrfurchtsvoll und schüchtern grüßt

sie jeder Zängllng im Dorfe, und die Greise grüßen sie freundlich, und die Mütter zeigen

sie ihren Töchtern, wenn sie vorüber ist, al-

ein Muster der Nachahmung.

Vor allen liebt

und schätzt sie da- Dahldorfer Hau-, und be» sonder- scheint Hilmar die Stunden, die er in

ihrer Gesellschaft zubringen darf, zu seinen

schönsten und glücklichsten zu zählen.

Denn

Emma zeichnet ein edle- Gemüth au-, da- der

zartesten, sanftesten Empfindungen fähig ist, und aus dem sich jeder Gegenstand, der c- berührt, reiner und schöner gleichsam zurückspiegelt.

Ihren Geist hat sie durch eine ausgewählte Lektüre gebildet, und mit Kenntnissen auS allen Feldern des Wissens bereichert. Sie ist kein« Gelehrte, aber sie hat von allem, wie die Biene den Honig gesammelt, und ihr Wissen gleicht einer Dlumenlese, wo man von allem Schönen und Nützlichen das Schönste und Nützlichste geschmackvoll vereinigt findet. Dies alles wird noch in seinem Reize erhöht durch den Schleier der Bescheidenheit, womit sie es bedeckt, wie der dämmernde Abend mit feinem Flor eine schöne Landschaft verhüllt. Auch glücklich ist Emma durch die Liebe ihres Vater«, durch die Achtung, die sie überall genießt, und durch einen stet- heitern und fröhlichen Sinn, welchen di« reiche Mutter Natur der Tochter zum Geschenk mit auf die Welt gab. Alles sieht sie in einem Hellern und schönern Lichte, und nie noch hat eine traurige, schmerzhaft« Erfahrung diesen rosen­ farbenen Spiegel getrübt. Ihre Mutter ver­ lor sie früh, ehe sie noch fähig war, sie zu beweinen, und erhielt schon, als sie kaum der Kindheit entwachsen war, ein Glück, «he sie