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German Pages 166 Year 2020
Der ethnographische Topos in der Alten Geschichte Annäherungen an ein omnipräsentes Phänomen
Herausgegeben von Michael Zerjadtke
Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne Band 10
Franz Steiner Verlag
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Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne Alessandro Bausi (Äthiopistik), Christof Berns (Archäologie), Christian Brockmann (Klassische Philologie), Christoph Dartmann (Mittelalterliche Geschichte), Philippe Depreux (Mittelalterliche Geschichte), Helmut Halfmann (Alte Geschichte), Kaja Harter-Uibopuu (Alte Geschichte), Stefan Heidemann (Islamwissenschaft), Ulla Kypta (Mittelalterliche Geschichte), Ulrich Moennig (Byzantinistik und Neugriechische Philologie), Barbara Müller (Kirchengeschichte), Sabine Panzram (Alte Geschichte), Werner Rieß (Alte Geschichte), Jürgen Sarnowsky (Mittelalterliche Geschichte), Claudia Schindler (Klassische Philologie), Martina Seifert (Klassische Archäologie), Giuseppe Veltri ( Jüdische Philosophie und Religion) Verantwortlicher Herausgeber für diesen Band: Werner Rieß Das Manuskript durchlief ein anonymes Peer-Review-Verfahren. Band 10
Der ethnographische Topos in der Alten Geschichte Annäherungen an ein omnipräsentes Phänomen Herausgegeben von Michael Zerjadtke
Franz Steiner Verlag
Umschlagabbildung: „Gallische Krieger“ von Jacques Onfroy de Breville, genannt Job (1858– 1931). Aus: Georges Montorgueil, France. Son Histoire, Paris, o. J. (um 1910). © akg images Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Druck: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12870-4 (Print) ISBN 978-3-515-12877-3 (E-Book)
EDITORIAL In der Reihe Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne haben sich geisteswissenschaftliche Fächer, die u. a. die vormodernen Gesellschaften erforschen (Äthiopistik, Alte Geschichte, Byzantinistik, Islamwissenschaft, Judaistik, Theologie- und Kirchengeschichte, Klassische Archäologie, Klassische und Neulateinische Philologie, Mittelalterliche Geschichte) in ihrer gesamten Breite zu einer gemeinsamen Publikationsplattform zusammengeschlossen. Chronologisch wird die Zeit von der griechisch-römischen Antike bis unmittelbar vor der Reformation abgedeckt. Thematisch hebt die Reihe zwei Postulate hervor: Zum einen betonen wir die Kontinuitäten zwischen Antike und Mittelalter bzw. beginnender Früher Neuzeit, und zwar vom Atlantik bis zum Hindukusch, die wir gemeinsam als „Vormoderne“ verstehen, zum anderen verfolgen wir einen dezidiert kulturgeschichtlichen Ansatz mit dem Rahmenthema „Sinnstiftende Elemente der Vormoderne“, das als Klammer zwischen den Disziplinen dienen soll. Es geht im weitesten Sinne um die Eruierung sinnstiftender Konstituenten in den von unseren Fächern behandelten Kulturen. Während Kontinuitäten für die Übergangszeit von der Spätantike ins Frühmittelalter und dann wieder vom ausgehenden Mittelalter in die Frühe Neuzeit als zumindest für das lateinische Europa relativ gut erforscht gelten können, soll eingehender der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Kulturen des Mittelalters im Allgemeinen auf die antiken Kulturen rekurrierten, sie fortgesetzt und weiterentwickelt haben. Diesen großen Bogen zu schließen, soll die neue Hamburger Reihe helfen. Es ist lohnenswert, diese längeren Linien nachzuzeichnen, gerade auch in größeren Räumen. Vielfältige Kohärenzen werden in einer geographisch weit verstandenen mediterranen Koine sichtbar werden, wobei sich die Perspektive vom Mittelmeerraum bis nach Zentralasien erstreckt, ein Raum, der für die prägende hellenistische Kultur durch Alexander den Großen erschlossen wurde; auch der Norden Europas steht wirtschaftlich und kulturell in Verbindung mit dem Mittelmeerraum und Zentralasien – sowohl aufgrund der Expansion der lateinischen Christenheit als auch über die Handelswege entlang des Dnepr und der Wolga. Der gemeinsame Impetus der zur Reihe beitragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besteht darin aufzuzeigen, dass soziale Praktiken, Texte aller Art und Artefakte/Bauwerke der Vormoderne im jeweiligen zeithistorischen und kulturellen Kontext ganz spezifische sinn- und identitätsstiftende Funktionen erfüllten. Die Gemeinsamkeiten und Alteritäten von Phänomenen – die unten Erwähnten stehen lediglich exempli gratia – zwischen Vormoderne und Moderne unter dieser Fragestellung herauszuarbeiten, stellt das Profil der Hamburger Reihe dar. Sinnstiftende Elemente von Strategien der Rechtsfindung und Rechtsprechung als Bestandteil der Verwaltung von Großreichen und des Entstehens von Staatlichkeit, gerade auch in Parallelität mit Strukturen in weiterhin kleinräumigen
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Editorial
Gemeinschaften, werden genauso untersucht wie Gewaltausübung, die Perzeption und Repräsentation von Gewalt, Krieg und Konfliktlösungsmechanismen. Bei der Genese von Staatlichkeit spielen die Strukturierung und Archivierung von Wissen eine besondere Rolle, bedingt durch ganz bestimmte Weltvorstellungen, die sich z. T. auch in der Kartographie konkret niederschlugen. Das Entstehen von Staatlichkeit ist selbstverständlich nicht nur als politischer Prozess zu verstehen, sondern als Gliederung des geistigen Kosmos zu bestimmten Epochen durch spezifische philosophische Ansätze, religiöse Bewegungen sowie Staats- und Gesellschaftstheorien. Diese Prozesse der longue durée beruhen auf einer Vielzahl symbolischer Kommunikation, die sich in unterschiedlichen Kulturen der Schriftlichkeit, der Kommunikation und des Verkehrs niedergeschlagen hat. Zentrum der Schriftlichkeit sind natürlich Texte verschiedenster Provenienz und Gattungen, deren Gehalt sich nicht nur auf der Inhaltsebene erschließen lässt, sondern deren Interpretation unter Berücksichtigung der spezifischen kulturellen und epochalen Prägung auch die rhetorische Diktion, die Topik, Motive und auktoriale Intentionen, wie die aemulatio, in Anschlag bringen muss. Damit wird die semantische Tiefendimension zeitlich weit entfernter Texte in ihrem auch symbolischen Gehalt erschlossen. Auch die für uns teilweise noch fremdartigen Wirtschaftssysteme der Vormoderne harren einer umfassenden Analyse. Sinnstiftende Elemente finden sich auch und v. a. in Bauwerken, Artefakten, Grabmonumenten und Strukturen der jeweiligen Urbanistik, die jeweils einen ganz bestimmten Sitz im Leben erfüllten. Techniken der Selbstdarstellung dienten dem Wettbewerb mit Nachbarn und anderen Städten. Glaubenssysteme und Kultpraktiken inklusive der „Magie“ sind gerade in ihrem Verhältnis zur Entstehung und Ausbreitung des Christentums, der islamischen Kultur und der Theologie dieser jeweiligen Religionen in ihrem Bedeutungsgehalt weiter zu erschließen. Eng verbunden mit der Religiosität sind Kulturen der Ritualisierung, der Performanz und des Theaters, Phänomenen, die viele soziale Praktiken auch jenseits der Kultausübung erklären helfen können. Und im intimsten Bereich der Menschen, der Sexualität, den Gender-Strukturen und dem Familienleben gilt es ebenfalls, sinn- und identitätsstiftenden Elementen nachzuspüren. Medizinische Methoden im Wandel der Zeiten sowie die Geschichte der Kindheit und Jugend sind weitere Themengebiete, deren Bedeutungsgehalt weiter erschlossen werden muss. Gemeinsamer Nenner bleibt das Herausarbeiten von symbolträchtigen Elementen und Strukturen der Sinnhaftigkeit in den zu untersuchenden Kulturen gerade im kulturhistorischen Vergleich zu heute. Die Herausgeber
VORWORT Der vorliegende Band fasst sieben der acht Beiträge der Tagung „Der Toposbegriff in der Alten Geschichte. Annährung an ein omnipräsentes Phänomen“ zusammen, die am 14. und 15. September 2018 an der Universität Hamburg stattfand. Die Idee, eine solche Konferenz zu konzipieren, entstand im Jahr zuvor im Rahmen zweier Gastvorträge über den Topos der „Sümpfe in Germanien“ an den Universitäten Halle und Trier, die mit anregenden Diskussionen abschlossen. 1 Es wurde schnell klar, dass das Phänomen der Topoi in den ethnographischen Quellen einer umfangreicheren Betrachtung bedarf. Daher fanden sich in kurzer Zeit auch einige der Diskussionsteilnehmer sowie weitere junge Wissenschaftler zusammen, um unterschiedliche Ansichten zu erörtern und mögliche analytische Herangehensweisen zu ergründen. Die zügige Planung und Vorbereitung der Tagung wurde dem Autor durch ein Postdoc-Stipendium der Claussen-Simon-Stiftung ermöglicht. Die Finanzierung der Tagung wurde ebenfalls von der Claussen-Simon-Stiftung übernommen sowie von der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung und der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg. Allen drei Einrichtungen sei herzlich gedankt. Ohne die finanzielle Unterstützung hätten weder die Tagung stattfinden, noch der Tagungsband fertiggestellt werden können. Weiterhin danke ich Prof. em. Dr. Helmut Halfmann und Prof. Dr. Kaja HarterUibopuu für ihre Unterstützung während des Stipendiums und der Planung der Tagung. Deren reibungsloser Ablauf wurde durch die Mitarbeit von Kevin Grotherr und Nathalie Klinck gewährleistet, wofür ich ihnen danken möchte. Frau Klinck verfasste zudem einen Tagungsbericht für H-Soz-Kult. Ich danke auch Julian Koppenstein, der alle eingegangenen Manuskripte korrekturgelesen hat sowie dem anonymen Reviewer, dessen Kommentare erheblich zur Schärfung der Argumentation beigetragen haben. Mein größter Dank gebührt Prof. Dr. Werner Rieß, dessen Hilfe essenziell für das Zustandekommen des vorliegenden Bandes war. Er stand in jeder Phase mit Rat und Tat zur Seite, redigierte das Manuskript und ermöglichte die Aufnahme in die Reihe „Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vorderne“. Abschließend möchte ich Katharina Stüdemann vom Franz-SteinerVerlag für ihre Betreuung bei der Endredaktion des Manuskriptes danken. Michael Zerjadtke Hamburg, August 2020
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Die entsprechende Studie liegt als Artikel vor: ZERJADTKE 2018.
INHALTSVERZEICHNIS Michael Zerjadtke Thematische Einführung. Der Problemkomplex „Topos“ und seine Facetten ......................................................................................................... 11 Alexander Free Bemerkungen zur Topik als unvermeidbarem Element antiker Geschichtsschreibung ................................................................................ 27 Julian Degen Herodot, Sisamnes und der Topos der grausamen persischen Monarchie .............................................................................................................. 39 Jan Köster Postfaktisches bei Pausanias. Ruinen als Zeugnisse für (re)konstruierte Geschichte .................................................................................... 57 Falk Wackerow „Weil die Römer geneigt waren, alles zu glauben, was ihnen über die Karthager zugetragen wurde“ (Vell. 1,12,2). Eine kritische Untersuchung dreier Aspekte des antiken Karthagerbildes ...................................................................................................... 69 Patrick Reinard „Eine Seuche, die die Welt bedroht?“. Bemerkungen zu Judentopoi in ausgewählten literarischen und papyrologischen Quellen ....................................................................................... 91 Michael Zerjadtke Topoi im antiken Germanenbild. Reale Beobachtung und fiktive Begründung? ..................................................................................... 111 Michael Zerjadtke Synthese und Ausblick......................................................................................... 135 Abstracts in englischer Sprache ........................................................................... 141 Literaturverzeichnis ............................................................................................. 145
THEMATISCHE EINFÜHRUNG Der Problemkomplex „Topos“ und seine Facetten 1 Michael Zerjadtke Die Begriffe „Topos“ und „topisch“ sind aus der althistorischen Forschungsliteratur nicht mehr wegzudenken. Sie finden am häufigsten in der Quellenkritik und der Diskursanalyse Verwendung, wobei das jeweilige Thema des Diskurses nicht entscheidend ist. Besondere Bedeutung erlangen die Topoi vor allem bei Aussagen über Gesellschaften außerhalb des griechisch-römischen Raumes, aus denen keine eigenen literarischen Quellen überliefert sind und deren kulturelle, soziale und politische Eigenschaften daher nur aus den Werken der antiken Autoren extrahiert werden können. Hier stellt sich bei der Bezeichnung einer Aussage als „Topos“ zugleich stets die Frage, ob damit die Information ein Element eines bereits existierenden, ideellen Konzeptes wiedergibt, wie beispielsweise dem allgemeinen Barbarenbild, oder ob sie einen Bezug zur historischen Wirklichkeit in der beschriebenen Gesellschaft hat. Somit ist die Identifikation eines Topos immer gleichbedeutend mit einer potentiellen inhaltlichen Entwertung. Die Ursache dieser Unsicherheit ist in der Doppeldeutigkeit des althistorischen Toposbegriffes zu finden, auf die Reinhard Wolters bereits 2006 hinwies: […] Die breite Subsumierung unterschiedlicher Erscheinungen unter einem Begriff [sc. dem des Topos] deckt allerdings wesentliche Unterschiede zu, insbesondere solche zwischen Form und Inhalt. Sie setzt die als Topos angesprochenen Textstellen in gleichem Maße einem Sprachgebrauch aus, der in seiner verbreiteten sorglosen Variante ‚Topos‘ mit ‚Klischee ohne Wahrheitsgehalt‘ synonym setzt. Derart mit der Frage nach der Glaubwürdigkeit einer Aussage verbunden, hat die philologische Toposforschung „eine Relativierung der antiken literarischen Aussagen eingeleitet“ [Zitat Dieter Timpe] und zumal für die Rekonstruktion von historischen Tatsächlichkeiten zu anhaltenden Unsicherheiten im Umgang mit den antiken Texten geführt. […] 2
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Der vorliegende Beitrag konnte nur durch die bereitwillige Hilfe weiterer Wissenschaftler entstehen. Ich danke Prof. Dr. Helmut Halfmann, der mich bei der Ergründung des Gesamtthemas unterstützte, Prof. Dr. Klaus Lennartz und Prof. Dr. Claudia Schindler von der Universität Hamburg sowie Dr. Thomas Zinsmaier von der Universität Tübingen, die mir beim Verständnis der philologischen Problematik halfen, Dr. Michael Schramm von der Universität Göttingen, der mir ein näheres Verständnis der aristotelischen Topik ermöglichte, Prof. Dr. Martin Wengeler von der Universität Trier, der mein Begreifen der germanistischen Perspektive förderte und Prof. Dr. Hans-Peter Erb von der Helmut-Schmidt-Universität, der mir bei der Erschließung der sozialpsychologischen Forschungsergebnisse zur Seite stand. WOLTERS 2006. Zitat aus: TIMPE 1989, 9.
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Die von Wolters formulierte Unterscheidung „zwischen Form und Inhalt“ ist leider aufgrund der Polymorphie des Toposbegriffes nicht sauber durchführbar. Bricht man das Problem jedoch auf den Kern herunter, so lässt sich die Verwirrung auf die Frage danach reduzieren, woher der Inhalt einer Aussage über ein fremdes Volk, die sich mehr als einmal in den Quellen finden lässt, stammt. Die unterschiedlichen Antworten auf diese Frage lassen sich auf die Arten der Analysen zurückführen. Bei der Quellenkritik stehen vor allem das Werk an sich sowie seine Abhängigkeiten und Vorbilder im Mittelpunkt. In der Diskursanalyse wird das Schreiben über einen Gegenstand in einem größeren Rahmen untersucht, wobei mehrere Texte einbezogen werden müssen, deren Verteilung sehr unterschiedlich sein kann. Es kann sich um die Texte eines einzigen Autors, einer Autorengruppe oder einer ganzen Epoche handeln. Wie auch immer das Gebiet der jeweiligen diskursanalytischen Studie abgesteckt ist, konzentriert sich die Betrachtung stets auf die Frage der Verwendung von Sprache. Ganz anders verhält es sich jedoch, wenn die historischen Gegebenheiten bei fremden Völkern untersucht werden sollen. In diesem Fall können mehrfach wiederkehrende Aussagen stets auch einen wirklichen, historischen Sachverhalt wiedergeben. Diese widersprüchlichen Erklärungen stehen augenscheinlich in direkter Konkurrenz zueinander, könnten jedoch durchaus miteinander in Einklang gebracht werden. Bisher lag die Deutungshoheit hauptsächlich bei den philologisch-literaturwissenschaftlichen Studien. Auch wenn in diesen die Historizität topischer Quelleninhalte eigentlich keine Rolle spielen sollte, werden sowohl in den Texten als auch in den Schlussfolgerungen häufig implizite oder explizite Aussagen darüber getätigt. 3 Wird eine Quelleninformation auf ein bestimmtes ideelles Konzept zurückgeführt, so kann implizit angenommen werden, dass sie nicht zugleich eine historische Tatsache wiedergibt. In Einzelfällen werden die Aussagen auch explizit als falsch bezeichnet. Die Begründungen sind nur teilweise hieb- und stichfest, teilweise methodisch fragwürdig. 4 Dem sich aus den unterschiedlichen Erklärungen der Herkunft mehrfach wiederkehrender Aussagen ergebenden Problemkomplex ist in der althistorischen Forschung bisher nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden. Im umfangreichen Überblickswerk zur antiken Ethnographie von Klaus Müller und dem Band zu neuen Forschungsansätzen, herausgegeben von Eran Almagor und Joseph Skinner, wird der Begriff zumeist als selbstverständlich vorausgesetzt und nicht gesondert
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Beispielsweise wird von HARTOG (1988) ein realer Kern des Skythenlogos bei Herodot überhaupt nicht in Betracht gezogen. Kritisiert in: PRITCHETT 1993. Vgl. IVANTCHIK 2011, 72f. Eine Aussage kann mit Sicherheit als falsch bezeichnet werden, wenn es klare archäologische Belege oder unabhängig voneinander entstandene, unmittelbare Überrestquellen gibt. Methodisch fragwürdig ist das Heranziehen weniger und weit entfernter Paralleldarstellungen, die nicht einmal die gleiche Region oder Völkerschaft beschreiben. Beispielsweise führt GÜNNEWIG (1998, 55f) die Angabe des Thukydides (1,5f), bei den frühen Griechen habe Räuberei nicht als Schande gegolten, als Beleg dafür an, dass Caesar mit seiner Aussage, bei den Germanen würden Raubzüge nicht als Schande gelten (Caes. Gall. 6,23,6–8), vorrangig die Primitivität der Germanen hervorheben wollte.
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erläutert. 5 Im frühen 20. Jahrhundert gab Karl Trüdinger seine eigene Definition, die sich allerdings nicht etablierte. Wirkmächtiger war Eduard Nordens „Wandermotiv“, das eher dem später genutzten Toposbegriff entspricht und von Klaus Bringmann mit dem von Ernst Curtius „begründeten Sprachgebrauch“ in Verbindung gebracht wird. Dessen Ausführungen liefern jedoch wenig Greifbares. 6 In einigen wenigen Texten ist auf die Problematik eingegangen worden. Die differenzierteste Betrachtung liefert Alexander Weiß mit seinem Beitrag „Nomaden jenseits der Topoi – anstelle einer Einführung“ sowie Reinhard Wolters mit seinem bereits erwähnten Artikel über „Topik und Glaubwürdigkeit der Quellen“. Ebenfalls von Bedeutung sind die Aufsätze von Dieter Timpe und Klaus Bringmann im Sammelband „Beiträge zum Verständnis der Germania des Tacitus, Teil 1“. Auch Beatrix Günnewig stellt am Beginn ihrer Dissertation über die Bilder der Germanen und Britannier wertvolle Überlegungen an. Irene Madreiter betrachtete in ihrer Analyse der griechischen Persika-Literatur zwar nicht den Toposbegriff, beschäftigt sich allerdings in einem längeren Kapitel mit dem Problem der Stereotypen. Als letztes ist der kurze Artikel von Bohumila Zasterova anzuführen, in dem das Problem schon vor den anderen genannten Studien skizziert wurde. 7 Dass potentiell topische Quellenaussagen durchaus historische Realitäten wiedergeben können, wurde in einer Reihe von verdienstvollen Einzelstudien gezeigt. Askold Ivantchik verglich die Bestattungen skythischer Eliten mit der Beschreibung bei Herodot und untersuchte die skythische Herrschaft über Kleinasien. Matthias Hardt analysierte die Hintergründe der „nomadische[n] Gier nach Gold“. Außerhalb der Ethnographie wären beispielsweise noch Jörg-Dieter Gauger, Manuel Royo, Sabine Schmidt und Paul Schrömbges anzuführen, die sich mit den Topoi über römische Kaiser oder dem „Tod des Verfolgers“ beschäftigten. Hervorzuheben ist auch Christoph Ulf, der anhand antiker Frauenbilder die komplexe Thematik ebenfalls anschaulich darlegte. 8 Der vorliegende Band erhebt nicht den Anspruch die Probleme der althistorischen Topik zu lösen. Stattdessen soll erstmals eine gründliche Problemanalyse erfolgen, an deren Beginn die Untersuchung des Begriffes selbst, seiner Herkunft und des Verhältnisses zum locus communis steht. Im Anschluss daran wird der Topos als Terminus technicus der Sprach- bzw. Literaturwissenschaft vorgestellt. Es folgt 5 6
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MÜLLER 1972; ders. 1980; ALMAGOR/SKINNER 2013. In Einzelstudien zu bestimmten ethnischen Bildern wird jedoch mitunter durchaus auf den Begriff, seine Geschichte und seine Ambivalenz eingegangen, wie etwa bei GÜNNEWIG 1998, 19–24. TRÜDINGERS (1918, 175) Topoi bezeichnen eher die in einer Ethnographie abgehandelten Themen und entsprechen den englischen „topics“. Zu den Wandermotiven: NORDEN 1959, 56. BRINGMANN 1989, 59f. Näheres zu Curtius’ Toposbegriff im Abschnitt „Topos in den Sprachund Literaturwissenschaften“. MADREITER 2012; WEIß 2007; WOLTERS 2006; TIMPE 1989; BRINGMANN 1989; ZASTEROVA 1985; GÜNNEWIG 1998. MADREITER (2012, 14, Anm. 23; 26) setzt den literarischen Topos einem festen Klischee gleich und verneint jeglichen Bezug zur Realität. Der Begriff „Topos“ wird bei ihr nur auf vier Seiten erwähnt und spielt daher eine untergeordnete Rolle. Zu ihrer abweichenden Wertung der sozialpsychologischen Forschungsergebnisse, s.u. Anm. 59. IVANTCHIK 1999; ders. 2011; HARDT 2007; GAUGER 2002; ROYO 2007; SCHMIDT 1989; SCHRÖMBGES 1988; ULF 2004.
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die Gegenüberstellung der in der Literatur oftmals synonym gebrauchten Begriffe Topos, Stereotyp und Klischee, bevor in einem letzten Abschnitt auf die sozialpsychologischen Hintergründe von Stereotypen eingegangen wird. Auf die vorliegende thematische Einführung folgen die Case Studies, in denen unterschiedliche Aspekte des Toposbegriffes untersucht werden. In der Synthese am Ende des Bandes werden deren Ergebnisse zusammengeführt, eine tentative Definition des Topos in der Alten Geschichte formuliert sowie einige seiner Merkmale vorgestellt. TOPOS UND LOCUS COMMUNIS IN DER ANTIKEN RHETORIK Der Topos bei Aristoteles Der in der Alten Geschichte verwendete Toposbegriff geht auf den Topos des Aristoteles zurück. 9 Dieser beschreibt den Begriff in seiner Rhetorik (τέχνη ῥητορική) und hat ihm mit der Topiké (Τόπικη) gar ein eigenes Werk gewidmet. Die Topik ist nach antikem Verständnis der wichtigste Teil der inventio, der ersten der fünf Entwicklungsstufen einer Rede, und diente dem Auffinden geeigneter Argumente. 10 Auch wenn Aristoteles die Topoi in einem längeren Abschnitt seiner Rhetorik und sogar einem eigenen Werk behandelte, ist in beiden Schriften dennoch keine klare Definition zu finden. 11 Bei genauer Analyse seiner Beispiele kann die Bedeutung 9
Breite Rezeption erfuhr der Begriff erst durch seine Verwendung in: CURTIUS 1948, 79f; 92. Jedoch verwendete er den Terminus unhistorisch, was allerdings durch die bereits in der Antike bestehende Unschärfe des Begriffes relativiert wird: GOLDMANN 1996, 134. Goldmann führt die Verwendung durch Curtius auf die Forschungen Eduard Nordens und die entstehende Toposforschung der Altphilologie um 1900 zurück. Zum Toposbegriff in der voraristotelischen Rhetorik und seiner Herleitung aus der antiken Mnemotechnik: RAPP 2002b, 270–272. Vgl. KIENPOINTNER 2017, 188. Im historischen Wörterbuch der Philosophie wird in der Antike zwischen einem mnemotechnischen, einem materiellen und einem rhetorischen Toposbegriff unterschieden: PRIMAVESI/KANN/GOLDMANN 1998. 10 Die inventio ist der erste von fünf Schritten der Entwicklung einer Rede. Die übrigen sind: dispositio (Gliederung des Vortrags), elocutio (Einkleiden der Gedanken in Worte, Einbau von Redeschmuck), memoria (Einprägen der Rede für den auswendigen Vortrag) und actio/pronuntiatio (der Vortrag selbst, bei dem stimmliche, mimische und gestische Mittel eingesetzt werden). Diese Schritte gelten für alle drei Typen von Reden gleichermaßen: Gerichtsrede, beratende Rede in der Volksversammlung und künstlerische Rede zum Vergnügen. Die Systematik wurde wesentlich von Aristoteles und Cicero entwickelt. CURTIUS 1948, 75–79; FUHRMANN 2011, 32–36; 50–64. Vgl. Übersicht: WEIßENBERGER 2001, 971–974. Allerdings wurden die Topiken der Lob- und Beratungsrede im Gegensatz zu der der Gerichtsrede kaum erläutert. FUHRMANN 2011, 81. Zur Topoi bzw. loci in der inventio: LAUSBERG 1990, 146ff, §260ff; 201ff, §37ff. 11 SCHRAMM 2004, 89. Zwar verweist er auf eine Aussage in der Rhetorik, die jedoch wenig zur Klärung beiträgt: „dasselbe nämlich meine ich mit ‚Element‘ und ‚Topos‘, denn Element und Topos sind das, worunter viele Enthymeme fallen“ (ÜS Rapp) Arist. Rhet. B26, 1403 a 17f. Zum Fehlen einer Definition in der Topik: WAGNER/RAPP 2004, 29; RAPP 2002b, 270; BORNSCHEUER 1976, 28. Es ist zudem anzumerken, dass die Topoi in beiden aristotelischen Werken
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dennoch ausreichend genau skizziert werden. Bei der Suche nach einer brauchbaren Definition in der Forschungsliteratur fällt das Ergebnis leider ähnlich dürftig aus. In der neueren Literatur bietet Michael Schramm eine solche, 12 die jedoch im Folgenden zum besseren Verständnis noch einmal vereinfacht werden soll. Hierfür wird auf die leichter verständlichen Beispiele aus Aristoteles’ Rhetorik zurückgegriffen. Der Topos steht dort in engem Zusammenhang mit weiteren Begriffen, nämlich Gnome, Endoxon, Prämisse, Enthymem sowie Syllogismus und er ist nur durch das Bedeutungsgeflecht dieser Termini zu verstehen. 13 Eine Gnome (γνώμη) bzw. Sentenz ist eine simple Aussage über einen bestimmten Sachverhalt, der als wahr anerkannt wird. Beispiele sind: „Es lebt kein Mensch, der allseits glücklich ist.“ oder „So ist kein Mensch auf dieser Erde frei!“. 14 Der Inhalt einer solchen Gnome soll eine glaubwürdige Annahme, ein Endoxon (ἔνδοξον) wiedergeben. Als glaubwürdig bezeichnet Aristoteles Sätze, wenn sie von Allen oder den Meisten oder von den Fachleuten und zwar bei diesen wiederum von allen oder von den meisten oder von den erfahrensten und glaubwürdigsten anerkannt werden. Die Meinung der Fachleute darf der der Menge allerdings nicht widersprechen. Diese Einschränkung betrifft jedoch nur einen Teil der Argumente, nämlich die „Kontraintuitiven”, also dem gesunden Menschenverstand entgegengesetzten. 15 Ist eine solche Aussage in einer logischen Schlussfolgerung verwendet, dann wird sie zur Vorannahme, zur Prämisse (πρότασις), wobei sich ihr Inhalt nicht ändert, sondern nur in anderer Art Verwendung findet. 16
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voneinander abweichen. „Die Mehrzahl der rhetorischen Topen dient ebenso der Konstruktion von Enthymemen wie die Topen der Topik der Konstruktion von dialektischen Deduktionen dienen.“ RAPP 2002b, 281f. „Er (s.c. der Topos) ist eine gemeinsame Form für viele Syllogismen mit konkreten Prämissen. Die Syllogismen sind aus ihm zusammengesetzt und enthalten ihn als Element, d. h. er ist eine Prämisse und zwar eine „allgemeine“, vielen Gegenständen gemeinsame Prämisse. Eine Prämisse ist zugleich eine Hypothese, eine Annahme, die entweder offensichtlich wahr ist oder die unbegründet vorausgesetzt wird, aber nicht notwendigerweise unbegründbar ist.“ SCHRAMM 2004, 94. KIENPOINTNER (2017, 192) nennt sie „semantische Schlussregeln […], die als generelle Prämissen Bestandteile von Argumentationsmustern sind […]. Argumentationsmuster wiederum werden in der modernen Argumentationstheorie verbreitet als zwar sehr allgemeine, aber auf semantischer Plausibilität und nicht auf formallogischer Gültigkeit beruhende inhaltliche Schlussschemata angesehen.“ Vgl. RAPP 2002a, 255–260. Über jeden dieser nachfolgenden Begriffe existiert weitere Literatur. Es soll an dieser Stelle jedoch auf die differenzierte Diskussion jedes Terminus verzichtet werden. Arist. Rhet. B21; 1394. Arist. Top. 1,1; 100a,25–100b,30. Die Terminologie bei Aristoteles ist nicht vollständig einheitlich. Jedoch beschreibt er in den Abschnitten die gleichen Grundelemente eines Argumentes. Im angegebenen Abschnitt in der Topik führt Aristoteles aus, dass eine Aussage als wahr anerkannt gilt, wenn sie von allen oder den meisten Menschen oder allen oder den meisten Fachleuten vertreten wird. Arist. Top. 100b 32–34; 104a 8–11. Vgl. WAGNER/RAPP 2004, 21f. Nähere Überlegungen zu den Endoxa: RAPP 2002b, 300–308. WAGNER/RAPP 2004, 25f. Vgl. Arist. Top. 100a 27–29. Vgl. BORNSCHEUER 1976, 26–37; bes. 100.
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Die zur Prämisse gewordene Aussage und die aus ihr gezogene Schlussfolgerung (Deduktion) ergeben zusammen ein Enthymem (ἐνθύμημα). Aristoteles nennt beispielsweise die Enthymeme: „Es gibt keinen der Menschen, welcher frei ist […] denn man ist Diener entweder des Geldes oder des Geschicks.“ oder „Niemals darf ein Mann mit gesundem Verstand seine Kinder zu übermäßiger Weisheit ausbilden, […] denn neben (dem Vorwurf) der Untätigkeit, den sie bekommen, erfahren sie bei den Mitbürgern (nur) übelgesinnten Neid.“ 17 Der Syllogismus (συλλογισμός) besteht aus einer ersten Prämisse (z. B. „alle Menschen sind sterblich“), einer zweiten Prämisse (z. B. „Sokrates ist ein Mensch“) und einer Schlussfolgerung (z. B. „Sokrates ist sterblich“). 18 Nun kommen wir zu den Topoi selbst. In einem Abschnitt der Rhetorik liefert der Autor eine Liste von Typen, die jeweils durch Beispiele erläutert sind. Anhand dieser lässt sich die Bedeutung des aristotelischen Toposbegriffes wohl am einfachsten nachvollziehen. Im Folgenden sollen nur einige exemplarisch aufgeführt werden: Ein beweisender Topos (ergibt sich) aus den konträren Gegensätzen; […] wie zum Beispiel: Besonnen zu sein ist gut; denn zügellos zu sein ist schädlich. Oder, wie es im Messeniakos heißt: „Wenn der Krieg Ursache für die gegenwärtigen Übel ist, dann muss man die Dinge mit Frieden wieder in Ordnung bringen"; (oder:) „Wenn es nämlich nicht gerecht ist, denen, die einem Übles getan haben, gegenüber in Zorn zu verfallen, wenn es unfreiwillig geschehen ist, dann ist es, wenn jemand einem gezwungenermaßen Gutes angetan hat, auch nicht geboten, diesem Dank abzustatten." […] Ein weiterer (Topos ergibt sich) aus den ähnlichen Beugungsformen; […] wie zum Beispiel: Das Gerechte ist nicht durchweg gut; denn dann müsste auch das Auf-gerechte-Weise (durchweg gut sein), nun ist es aber nicht wählenswert, auf gerechte Weise zu sterben. Ein weiterer (Topos ergibt sich) aus der wechselseitigen Relation; wenn nämlich dem einen zukommt, etwas auf schöne oder gerechte Weise getan zu haben, dann dem anderen, (es auf dieselbe Weise) erlitten zu haben, und (wenn es dem einen zukommt), einen Befehl gegeben zu haben, (dann kommt es dem anderen zu), ihn ausgeführt zu haben, wie zum Beispiel der Zolleintreiber Diomedon über die Zölle sagte: „Wenn es nämlich für euch nicht schändlich ist, sie zu bezahlen, dann auch nicht für uns, sie einzunehmen." Ein weiterer (Topos ergibt sich) aus dem Eher und Weniger, wie zum Beispiel: „Wenn schon die Götter nicht alles wissen, dann wohl kaum die Menschen.“ Denn das bedeutet: Wenn etwas dem, dem es eher zukommen könnte, nicht zukommt, dann ist offensichtlich, dass es auch nicht dem zukommt, dem es weniger zukommen könnte. 19
Die Typen von Topoi und die sie illustrierenden Beispiele zeigen, dass der Topos die Art und Weise bezeichnet, wie eine Sentenz argumentativ eingesetzt wird. Mit anderen Worten markiert ein Topos den Ort innerhalb des semantisch-logischen Bedeutungsgeflechtes einer Aussage, an dem ein Argument aufgegriffen wird. 20 17 Arist. Rhet. B21; 1394. 18 WAGNER/RAPP 2004, 23f. Vgl. Arist. Top. 100a 25–27. Diese „klassenlogisch bzw. prädikatenlogisch orientierte Syllogistik“ wurde erst später von Aristoteles entwickelt und ist in der Topik noch nicht enthalten. KIENPOINTNER 2017, 191f. 19 Arist. Rhet. B24; 1397a–1397b. Übersetzt von Christof Rapp. 20 Vgl. RAPP 2002b, 237f. „What is a Topos?“ fragt sich auch: RUBINELLI 2010, 12–21.
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Nach welchen Regeln solche Topoi konstruiert sind, wurde von Aristoteles in der Topik dargestellt, weshalb man wohl sagen könnte, dass die Topik die Logik der Rhetorik sei. 21 Manche sehen die Topoi in der Topik und jene in der Rhetorik als unterschiedliche Typen an. 22 Locus proprius und locus communis bei Cicero Der aristotelische Topos findet seine Entsprechung in den loci Ciceros, der ihnen mit der Topica ebenfalls eine eigene Schrift gewidmet hat. Darin werden die loci als sedes argumenti bezeichnet und in die beiden Typen locus proprius und locus communis aufgeteilt. 23 Auch Cicero liefert eine Vielzahl von Beispielen, aus deren juristischen Inhalten sich ableiten lässt, dass sein Leitfaden hauptsächlich für den Gebrauch vor Gericht gedacht war. Die loci proprii Ciceros beziehen sich auf den Gegenstand der Diskussion selbst, zumeist also die Verhandlungssache, und entsprechen im Wesentlichen den Topoi des Aristoteles, indem sie Möglichkeiten zur Konstruktion von Argumenten liefern. Anders verhält es sich mit den loci communes, deren Konzept im Werk Ciceros nicht einheitlich ist. In der Topica nennt er sie testimonia und führt als Beispiele unter anderem Aussagen zufälliger Zeugen, Orakel und guten Leumund an. Er nennt zudem eine Reihe von Aspekten, die diesen testimonia Glaubwürdigkeit vor Gericht verleihen, wie hohes Ansehen der Person, fachliche Autorität, hohes Alter oder aber auch Zwang durch Folter. 24 In De Inventione bezeichnet Cicero loci communes als argumenta, die sich auf viele Fälle übertragen lassen. Anders als in der Topica haben sie nun eher schmückenden Charakter und tragen kaum noch etwas zur Beweislage bei: Glanzstellen aber und Lichtpunkte erhält eine Rede vor allem, wenn man nur selten Gemeinplätze einführt und wenn ein Gemeinplatz schon durch ziemlich sichere Beweise bekräftigt ist. Denn es ist nur dann erlaubt, etwas Allgemeines zu sagen, wenn ein dem Fall eigentümlicher Gesichtspunkt sorgfältig behandelt ist und der Zuhörer erfrischt wird für das, was übrig ist, oder, wenn schon alles gesagt ist, erhoben wird. […] Jetzt will ich darstellen, welche Gemeinplätze gewöhnlich bei der auf einer Vermutung beruhenden Begründungsform einschlägig sind: Verdachtsmomente müsse man und dürfe man nicht glauben; Gerüchten müsse man und dürfe man nicht glauben; Zeugen müsse man und dürfe man nicht glauben; peinlichen Verhören müsse man und dürfe man nicht glauben; […] 21 Auf diese Weise fasste Michael Schramm die Beziehung der beiden Werke in einem Gespräch mit dem Autor zusammen. 22 WAGNER (2009, 608–611) erkennt dialektische Topoi (in Aristoteles Topik) und rhetorische Topoi (in seiner Rhetorik). Primavesi (in: PRIMAVESI/KANN/GOLDMANN 1998) nennt einen mnemotechnischen, einen materiellen und einen rhetorischen Toposbegriff. 23 Cic. Top. 2/7; 26/97. Von manchen wird bereits bei Aristoteles eine klare Zweiteilung in τόποι κοινοι und τόποι ἴδιοι angenommen. Dies wird von RUBINELLI (2010, 62–65) zu Recht kritisiert, wenngleich eine implizite begriffliche Unterscheidung erkennbar ist. Vgl. KIENPOINTNER 2017, 192. 24 Cic. Top. 19/72–20/78.
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Michael Zerjadtke Ein sicherer Gemeinplatz aber für den Ankläger ist der, durch den er das Abscheuliche der Tat besonders hervorhebt, und ein anderer, durch den er in Abrede stellt, daß man sich der Schlechten erbarmen dürfe; für den Verteidiger, durch den man auf die Schurkerei der Ankläger mit Empörung hinweist und durch den man mittels Wehklagen Mitleid zu gewinnen sucht. 25
Die Beispiele und Ausführungen Ciceros machen deutlich, dass der locus communis aus De Inventione keine Verbindung mehr zum Diskussionsgegenstand hat und mit dem „Gemeinplatz“ vergleichbar ist. 26 Weitere Autoren In den Schriften Tacitus’ und Lukians, die in Vorbereitung auf die vorliegende Einführung konsultiert wurden, waren keine detaillierten Ausführungen über Topoi zu finden und die modernen Abhandlungen über antike Topik erwähnen keinen weiteren kaiserzeitlichen Autor, von dem signifikante Beiträge in diesem Feld überliefert sind. 27 Quintilian verweist in seiner umfangreichen Schrift zur Ausbildung des Redners nur sehr knapp auf den locus communis und unterscheidet die Version des Cicero von der des Quintus Hortensius. Ohne, dass er auf beide Formen genauer eingeht, wird doch durch sein Beispiel „für Zeugen bzw. gegen Zeugen“ deutlich, dass sich seine Vorstellung an die aus Ciceros De Inventione anlehnt. An späterer Stelle geht Quintilian erneut in einem Absatz auf die loci communes ein. Dort beschreibt er sie als Spezifizierungen von Lastern, um einen Angeklagten entweder zu be- oder entlasten. Als Beispiel führt er die Möglichkeit an, einen Ehebrecher als blinden Ehebrecher zu bezeichnen, einen Spieler als armen Spieler oder einen Verschwender als alten Verschwender. Auf diese Weise könne man die Schuld von der Person auf das Laster selbst schieben. 28 Beim Vergleich der vorgestellten Konzepte von Topos bzw. locus wird deutlich, dass sich das Verständnis des dahinterstehenden Prinzips im Laufe der Zeit geändert hat. Es kann keinesfalls von einem einzigen antiken Toposbegriff bzw. locus communis gesprochen werden. Unter den Konzepten kommt der locus communis aus De Inventione dem Topos der Alten Geschichte am nächsten. Der aristotelische Toposbegriff hat hingegen nicht viel damit zu tun. TOPOS IN DEN SPRACH- UND LITERATURWISSENSCHAFTEN Die vorangegangenen Ausführungen machen deutlich, dass die Analyse der Quellen, aus denen der Terminus abgeleitet ist, nur partiell zum Verständnis des Prinzips 25 Cic. Inv. 2,48–51. Übersetzt von Theodor Nüßlein. 26 Vgl. KIENPOINTNER 2017, 195. 27 Erwähnt wird Fortunatian von Aquileia, der eine neue Gliederung der Topoi vornahm: MARTIN 1974, 116f. Zu Boethius: KIENPOINTNER 2017, 197ff. Für anknüpfende Studien sollen weitere Autoren durchgesehen werden. 28 Quint. 2,1,11; 2,2,22f.
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beitragen kann. Im nächsten Schritt soll ein Blick auf die Toposforschung in anderen wissenschaftlichen Disziplinen geworfen werden, deren Ansichten möglicherweise zum Verständnis beitragen können. Der in der Philologie und der Alten Geschichte verwendete Toposbegriff ist nicht einfach den aristotelischen Schriften entnommen, sondern leitet sich aus dem neuzeitlichen Diskurs ab. Als wichtigster Autor ist Ernst Robert Curtius zu nennen, der in seinem Werk zur europäischen Literatur und dem lateinischen Mittelalter maßgeblich zu dessen Verbreitung beigetragen hat. Stefan Goldmann hat gezeigt, dass er dabei auf den Arbeiten der Altphilologie aufbaute, die sich nach 1900 verstärkt mit den Topoi befasste. 29 Curtius bezeichnete Topoi als „gedankliche Themen, zu beliebiger Entwicklung und Abwandlung geeignet.“ Sie würden in der römischen Kaiserzeit zu „Klischees, die literarisch allgemein verwendbar sind, sie breiten sich über alle Gebiete des literarisch erfaßten und geformten Lebens aus.“ Als Beispiele führte er das Betonen der Unfähigkeit, dem Stoff gerecht zu werden und das Lob der Vorfahren und ihrer Taten (in einer Lobrede) an. Zudem erläutert er noch eine Reihe spezieller Topiken mit vielen Beispielen. 30 Er führte auch den Begriff der historischen Topik ein. Dieser beschreibt eine Methode, die „das »literaturbiologische« Werden und Vergehen von Topoi zu verfolgen sucht.“ 31 Vonseiten der Sprachwissenschaft wurde jedoch die Kritik laut, Curtius’ Toposbegriff sei „letztlich theorielos“. 32 In einer Reihe von Arbeiten, an deren inhaltlichem Ende die Studie Lothar Bornscheuers steht, wurde der Begriff tiefer analysiert. 33 Aus der Diskussion hat sich später eine differenziertere Ansicht entwickelt, die sich wieder dem aristotelischen Topos annähert. 34 In der klassischen Philologie blieb außerhalb der Arbeiten über die angeführten rhetorische Schriften und Studien zu Reden 35 eine tiefgehende Beschäftigung mit dem Terminus aus, welcher weiterhin wie von Curtius umschrieben verwendet
29 CURTIUS 1948; GOLDMAN 1996. Besonders wirkmächtig scheinen dabei die Arbeiten Eduard Nordens gewesen zu sein, der bereits 1903 einen Toposbegriff verwendete, der in seiner semantischen Breite nahe am Topos von Curtius liegt. GOLDMANN 1996, 137. 30 CURTIUS 1948, 77. Die behandelten Spezialtopiken sind: Topik der Trostrede, Historische Topik, affektierte Bescheidenheit, Exordialtopik, Schlusstopik, Naturanrufung, verkehrte Welt, Knabe und Greis, Greisin und Mädchen. Ebd. 87–113. 31 Zitat: BORNSCHEUER 1976, 142. Curtius’ historische Topik: CURTIUS 1948, 90. 32 Zitat: WENGELER 2003, 192. BORSCHEUER (1976, 146) schreibt: „Zwischen Deskription und Axiomatik, zwischen positivistischer und metaphysischer Apodiktik gewährt dieser [Curtius’] Toposbegriff keinerlei Kriterien dafür, wann er zum »Klischee«, wann zum »Archetypus« kristallisiert.“ 33 JEHN 1972; BAEUMER 1973; BORNSCHEUER 1976; BREUER/SCHANZE 1981. Lothar Bornscheuer entwickelt in seiner Arbeit vier Grundbestandteile, die jedem Topos eigen sind: Habitualität, Potentialität, Intentionalität, Symbolizität. Ebd. 91–108. 34 WAGNER 2009, 622–624. 35 Bspw. MUSURILLO 1938; PENCE 1986; ZINSMAIER 1998; VAN HENTEN 2005.
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wird 36 und eine Anzahl „literarischer Elemente wie Motive, Sentenzen, Formulierungen und Bilder“ umfasst. 37 In der sprachwissenschaftlichen Forschung wurde die Diskussion hingegen fortgesetzt mit dem Ergebnis, dass ein Konzept des Toposbegriffes entwickelt werden konnte, mit dem auch praktisch operiert werden kann. Martin Wengeler stellte dieses Konzept dar und wendete es auf den Migrationsdiskurs der 1960er bis 1980er Jahre an. 38 Das von ihm verwendete Konzept ist an den aristotelischen Topos angelehnt und besagt, dass Topoi „Aufschlüsse über kollektives gesellschaftliches Wissen“ geben können. 39 Hierbei bezieht er sich indirekt auf die Verbindung der Topoi mit den ihnen zugrundeliegenden Sentenzen, deren Inhalte als wahr anerkannte Endoxa wiedergeben müssen. 40 Daher könne man, so Wengeler, aus den häufig wiederkehrenden Aussagen implizit vorhandenes Wissen bzw. Annahmen rekonstruieren, ohne die ebenjene Aussagen unverständlich wären. Wengeler sieht eine enge Verbindung mit der Wissenssoziologie. 41 Neben diesem Toposverständnis der historischen Diskurssemantik, der sog. Düsseldorfer Schule, ist allerdings auch noch die kritische Diskursanalyse Wiener Prägung anzuführen, die eher auf die Schlüssigkeit von Argumentationen fokussiert. 42 Diese Doppeldeutigkeit zwischen „materiellem“ Topos als Element des kollektiven Wissens und „formalem“ Topos als Anleitung zur Formulierung einer Schlussfolgerung aus einer Aussage 36 Die Suche nach philologischer Literatur, in denen das Thema differenziert behandelt wird, blieb weitgehend fruchtlos. Es bleibt im Wesentlichen beim Referieren der antiken Darstellungen bei Aristoteles und Cicero. Als Ausnahme sind Studien zu Reden von beispielsweise Antiphon, Demosthenes oder bei Josephos anzuführen: MUSURILLO 1938; PENCE 1986; ZINSMAIER 1998; VAN HENTEN 2005. In den gängigen Lexika ist der Toposbegriff nur im Zusammenhang mit der Rhetorik abgehandelt worden. Während der Artikel zu Τόπος in der RE nur auf den Verwaltungsbezirk verweist (KORTENBEUTEL 1937) und im KlP überhaupt kein Lemma existiert, wird im DNP in einigem Umfang in einem separaten Artikel auf die Topik eingegangen (CALBOLI MONTEFUSCO 2002), während bei Topos selbst ebenfalls nichts für die Frage Relevantes zu finden ist (EDER 2002). In den Artikeln zur Rhetorik wird die Problematik ebenfalls angerissen, ohne in die Tiefe zu gehen: KROLL 1940; HOMMEL 1972; WEIßENBERGER 2001. Beispielhaft für die angewendete Deutung des Begriffes ist auch der Artikel „Topos and Topoi“ von SAÏD (2016) im Companion to Greek Literature. 37 WENGELER (2003, 199) resümiert, dass die Adaption des Toposbegriffes durch Curtius’ Nachfolger „allzu sehr auf den Gemeinplatz- und Klischee-Charakter von Topoi abhebt und ihren argumentativen Charakter vernachlässigt.“ Der umfangreiche Band von Peter VON MOOS (1988), der die Topik im Titel trägt, beschäftigt sich nicht mit dem Curtius’schen Begriff, sondern mit „meinungsmäßigem Wissen“ im Gegensatz zum Beweis: Ebd. IX. 38 WENGELER 2003; ders. 2007; ders. 2013. 39 WENGELER 2007, 165. Fritz HERMANNS (1994, 49f) nannte als Beispiele für unzeitgemäße Frauen-Topoi: „Frauen sind schwach“ oder „Frauen sind geschwätzig“. 40 Der zwingende Aufbau auf Endoxa ist mit BORNSCHEUERs „Habitualität“ gleichzusetzten, denn diese ist „der zentrale Wesenkern des Topos“ und gibt einen „Standard des von einer Gesellschaft jeweils internalisierten Bewusstseins-, Sprach- und/oder Verhaltenshabitus, ein Strukturelement des sprachlich-sozialen Kommunikationsgefüges, eine Determinante des in einer Gesellschaft jeweils herrschenden Selbstverständnisses und des seine Traditionen und Konventionen regenerierenden Bildungssystems“ wieder. Ebd. 96; 107. 41 WENGELER 2007, 165. Vgl. ders. 2013. 42 KIENPOINTNER 2017, 202f.
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(analog zu Aristoteles’ oben beschriebenen Topos) wird von Jörg Jost und Manfred Kienpointner problematisiert. 43 Auch in weiteren wissenschaftlichen Disziplinen wird der Toposbegriff in unterschiedlicher Bedeutung verwendet. Lothar Bornscheuer und Martin Wengeler haben in ihren Arbeiten eine Reihe von Ansichten und Definitionen zusammengefasst. Für die weitere Betrachtung sind diese Ausführungen jedoch wenig nutzbringend. Allein die Topik der Soziologie könnte in der Analyse ethnographischer Quellen sinnvoll Anwendung finden. 44 TOPOS, STEREOTYP UND KLISCHEE In der althistorischen Literatur über ethnographische Quellen wird der Begriff Topos bisweilen sorglos mit Klischee, Stereotyp und mitunter auch Narrativ substituiert. Allerdings sind all diese Termini keineswegs deckungsgleich und insbesondere in diskursanalytischen Arbeiten sollte idealerweise bewusst mit diesen technischen Begriffen umgegangen werden. Der Vorwurf Hayden Whites, die Geschichtswissenschaft würde sich „im Zustand der begrifflichen Anarchie“ befinden, ist demnach noch immer aktuell. 45 Im Folgenden soll daher kurz auf „Stereotyp“ und „Klischee“ eingegangen werden, um eine genauere Verwendung in zukünftigen Studien zu erleichtern. Anders als im Fall des Topos soll nicht auf die Begriffsgeschichten eingegangen werden und unterschiedliche Ansichten über ihre Definitionen sind nur partiell erwähnt. Um eine übermäßige Einengung der Nutzung zu vermeiden, soll nur auf einige wesentliche Unterschiede eingegangen werden. Der Begriff Stereotyp wurde von Walter Lippmann geprägt 46 und bezeichnet Bündel von Eigenschaften, die verallgemeinert jedem Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe zugeordnet werden. Es ist somit durchaus eine Art Klischee, doch anders als dieses beziehen sich Stereotype ausschließlich auf Menschen. Die stereotypen Merkmale einer Gruppe bilden in ihrer Gesamtheit das Idealbild eines Mitgliedes der Gruppe und sind als gängiges Konzept im kollektiven Gedächtnis präsent. 47 Das Stereotyp lässt sich vom Vorurteil abgrenzen, da bei ersterem die (negative) Einstellung gegenüber der Gruppe nicht obligatorisch ist. 48 Ein Problem,
43 JOST 2007, 265; KIENPOINTNER 2017, 205. 44 BORNSCHEUER (1976) und WENGELER (2003) führen Logik, Rechtswissenschaft, Politologie und Sozialwissenschaft an: Von Wengeler wird die Toposforschung als ein „Desiderat soziologischer und soziolinguistischer Forschung“ bezeichnet (Ebd. 221). 45 WHITE 1991, 28. 46 LIPPMANN 1922, 79–94; JOST 2007, 199–202; BORDALO/COFFMAN/GENNAIOLI/SHLEIFER 2016, 1753f. 47 Im Gegensatz dazu möchte QUASTHOFF (1973, 27f) nur die verbalen Äußerungen einer inneren Überzeugung als Stereotyp bezeichnen. 48 Das Stereotyp wird oft als „soziales Vorurteil“ verstanden. Ein Vorurteil bestehe aus einer (negativen) Einstellung gegenüber einer sozialen Gruppe und einer Überzeugung, dass bestimmte Merkmale allgemein zuträfen. Bei Stereotypen sei hingegen vorrangig die Überzeugung wich-
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das erst recht für die Antike unlösbar ist, stellt die Frage nach dem erforderlichen Verbreitungsgrad dar. 49 Ein weiterer Aspekt betrifft die Realität eines Stereotyps. Während es teilweise als intrinsische Eigenschaft des Stereotyps angesehen wird, weder auf vernünftiger Überlegung, noch auf wissenschaftlicher Betrachtung zu basieren, 50 wird in der Sozialpsychologie hingegen mitunter explizit darauf hingewiesen, dass die Merkmale, die durch Stereotype verallgemeinert werden, durchaus reale Bezüge haben können. 51 Für die Analyse antiker Quellen kann dieses Kriterium nicht definitorisch sein, da der Bezug zur historischen Realität unklar und zudem Hauptgrund für den vorliegenden Band ist. Das Klischee umfasst eine große Bandbreite an Erscheinungen, die nicht nur Personengruppen betreffen. Es kann als Oberbegriff gelten, der Stereotype beinhaltet, aber auch Phrasen, Motive und weiteres. Im Unterschiede zum Stereotyp wird ein Klischee deutlich häufiger verwendet, ist formelhafter, mangelt an kreativer Wandelbarkeit und wird erlernt, wohingegen ein Stereotyp durchaus aus eigenen Erfahrungen entstehen kann. 52 Schriftliche Klischees sind beispielsweise die Phrasen „Morgen ist auch noch ein Tag“ oder „Man weiß ja nie!“. Diese Beispiele illustrieren zudem, dass ein Klischee auch verwendet werden kann, wenn keine innere Überzeugung besteht. 53 STEREOTYP UND SOZIALPSYCHOLOGIE Der letzte inhaltliche Abschnitt der Einleitung ist dem Problem des Realitätsgehaltes von Stereotypen gewidmet. Wie zuvor ausgeführt, werden darunter kollektive Zuschreibungen gegenüber Gruppen verstanden, wobei sich die moderne Forschung hauptsächlich mit ethnischen Gruppen befasst. Die Sozialpsychologie spielt hierbei eine besondere Rolle, da sie als einzige Disziplin auch die Frage nach den Ursachen und dem Realitätsgehalt von Stereotypen stellt. 54 Für das Thema des vorliegenden Bandes sind ihre Forschungsergebnisse von hohem Wert, da durch sie die potentielle Möglichkeit von realen Bezügen beleuchtet wird.
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tig, nicht die Einstellung, so QUASTHOFF 1973, 24–27. Diese Unterscheidung wird von PÜMPEL-MADER (2010, 10) in ihrer Studie zu Personenstereotypen nicht weiterverfolgt, sollte jedoch zum Zwecke einer eindeutigen Terminologie einhalten werden. Kann man beispielsweise bei einem Verbreitungsgrad einer Ansicht über eine Gruppe von 33% oder gar nur 15% von einem Stereotyp sprechen? YOUNG 1957, 500. Siehe dazu im nachfolgenden Abschnitt über Stereotype und Sozialpsychologie. JOST 2007, 215–200. Seine Aussage, das Klischee sei der „sprachliche Ausdruck eines materiellen Topos“ (Ebd. 219) kann im Fall der antiken Quellen nur bedingt gelten, da topischen Aussagen oft der phrasenhafte Charakter fehlt. Zum Oberbegriff: KUNOW 1994, 54f. Weitere Zugänge zum Klischee, Ebd. 9–131. VON WILPERT 1964, 337. Allerdings fand auch innerhalb der Sozialpsychologie diese Fragestellung wenig Beachtung und die wiederholte Bestätigung der tendenziellen Richtigkeit von manchen Stereotypen war und ist für große Teile der Forschung schwer zu akzeptieren, obwohl es sich um „one of the largest and most replicable effects in all of social psychology“ handelt. So der Titel des Kapitels
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Allein die Omnipräsenz von Stereotypen zeigt, dass ihnen eine gewisse kognitive Aufgabe zukommt, wie bereits Walter Lippmann in seinem Grundlagenwerk darlegte. Sie würden zur Ökonomisierung und Vereinfachung des Denkens beitragen und seien für die Urteilsbildung und den Sprachgebrauch in gewisser Weise notwendig. 55 Heute hat sich eine generell negative Prägung des Begriffes etabliert, was dem eigentlichen Nutzen des Konzeptes jedoch nicht entspricht. Vielmehr wurde durch eine Anzahl von Studien festgestellt, dass gängige Stereotype unter bestimmten Voraussetzungen durchaus in der Realität wurzeln können. 56 Die für unsere Zwecke brauchbarste Herangehensweise ist die von Pedro Bordalo, Katherine Coffman, Nicola Gennaioli und Andrei Shleifer, die sie beschreiben als the ‚social cognition approach‘ [which] views social stereotypes as special cases of cognitive schemas or theories […]. These theories are intuitive generalizations that individuals routinely use in their everyday life, and they entail savings on cognitive resources. 57
Das von ihnen entwickelte Modell erklärt, unter welchen Umständen stereotype Annahmen über Gruppen entstehen, die einen „wahren Kern“ haben (kernel-oftruth-hypothesis). Dies trifft dann zu, wenn Merkmale als charakteristisch angesehen werden, die nachweislich häufiger in der betreffenden Gruppe vorkommen, als in der eigenen Referenzgruppe. Gleichzeitig werden diese Merkmale jedoch in ihrer Häufigkeit stark überschätzt, was wiederum zu einer Fehlcharakterisierung führt. Als elementare Kerneigenschaften der Stereotypisierung geben die Autoren an: 58
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von JUSSIM/CRAWFORD/ANGLIN/CHAMBERS/STEVENS/COHEN 2016. Zur Geschichte der schwierigen Akzeptanz dieser Ergebnisse: Ebd. 32–37. LIPPMANN 1922, Kap. VI, 79–94; ALLPORT 1954, 17–28. „Solange das gebildete Stereotyp auf Erfahrung beruht und im Großen und Ganzen stimmig ist, kann es sogar von Vorteil sein, um zum Beispiel mit komplexen Ereignissen besser umzugehen.“ ARONSON/WILSON/AKERT 2008, 425. KATZ/BRALY (1933, 280f) weisen darauf hin, dass sich Stereotype bzw. deren Eigenschaften am Namen der Gruppe festmachen. Somit könnte man sagen, dass die Definition einer Gruppe, der man einen Namen aufgrund einer bestimmten Gruppeneigenschaft gibt, bereits die Grundlage für ein Stereotyp legt. BORDALO/COFFMAN/GENNAIOLI/SHLEIFER 2016, 1753–1755. Sie führen eine Liste an Literatur auf, die beispielhaft zeigt, dass ethnische Stereotype auf realen, wenngleich geringen Unterschieden beruhen können: Ebd. 1757, Anm. 4. Stereotype basieren auf Wahrscheinlichkeiten: KAHNEMANN/TVERSKY 1972. Sie haben eine empirische Realität, aber enthalten auch Übertreibungen: JUDD/PARK 1993. Vgl. JUSSIM/CAIN/CRAWFORD/HARBER/COHEN 2009; JUSSIM/CRAWFORD/ANGLIN/CHAMBERS/STEVENS/COHEN 2016. Dieser Herangehensweise stehen zwei weitere gegenüber: „The economic approach […] sees stereotypes as a manifestation of statistical discrimination […] The sociological approach to stereotyping pertains only to social groups. It views stereotypes as fundamentally incorrect and derogatory generalizations of group traits, reflective of the stereotyper’s underlying prejudices […] or other internal motivations. BORDALO/COFFMAN/GENNAIOLI/SHLEIFER 2016, 1754f. Vgl. SCHNEIDER 2004; SCHNEIDER/HASTORF/ELLSWORTH 1979. BORDALO/COFFMAN/GENNAIOLI/SHLEIFER 2016, 1757. „When there are systematic differences between groups, stereotypes get the direction right but exaggerate differences.” Ebd. 1772.
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1. Stereotype verstärken systematische Unterschiede zwischen Gruppen, auch wenn diese im Normalfall sehr klein sind. Wenn Gruppen sich im Mittelwert unterscheiden, dann übertreiben Stereotype diese Abweichung und ebenso, wenn die Gruppen im Mittelwert eines Merkmales zwar gleich sind, jedoch in den Extremen eine größere Varianzbreite auftritt. 2. Stereotype sind kontextabhängig. Die Wertung einer Zielgruppe hängt von der Referenzgruppe ab, mit der sie verglichen wird. Bei der Stereotypisierung werden allein Unterschiede betont, Gemeinsamkeiten bleiben unbeachtet. Statistisch überproportional auftretende Merkmale werden als repräsentativ für die gesamte Gruppe angesehen, wobei die Überbewertung stärker zu sein scheint, wenn das Merkmal selbst besonders extremer Art ist. Somit heben Stereotype die größten Unterschiede zwischen Gruppen hervor, die dann als charakteristisch angesehen werden. 59 Neben dieser erklärenden Theorie ist in der sozialpsychologischen Einführungsliteratur nur eine weitere potentielle Quelle erwähnt, der die materiellen Inhalte 60 von Stereotypen entstammen könnten: Dies ist im weitesten Sinne die Erziehung bzw. kulturelle Prägung. 61 Deutlich mehr Beachtung schenkt die Sozialpsychologie den Gründen für die Übernahme, die variierende Stärke und die Persistenz von Vorurteilen. 62 Neben der Erkenntnis, dass Stereotype durchaus aus Beobachtungen erwachsen können, lassen sich noch viele weitere Effekte nennen, die in der Sozialpsychologie beschrieben wurden und die für das Verständnis ethnographischer Topoi hilfreich sein können, wie beispielsweise die „Akzentuierungseffekte“, die „illusorische Korrelation“ oder der „fundamentale“ bzw. „ultimative Attributionsfehler“. 63 59 Ebd. 1758f; 1765–1769; 1790f. Als Merkmal „extremer Art“ führen die Autoren beispielsweise Terrorismus an: Ebd. 1769. MADREITER (2012, 17f; 25f) betrachtet die realen Hintergründe von Stereotypen in ihrer Studie nur am Rande und kommt abweichend zu dem Schluss, die kernel-of-truth Hypothese sei „nicht durch empirische Fakten zu belegen.“ (Ebd. 25) 60 Mit „materiellen“ Inhalten sind die kulturellen, physischen oder psychischen Eigenschaften gemeint, die einer Gruppen von Menschen bzw. einem Volk zugeordnet werden. 61 BIERHOFF 2006, 351–352; ARONSON/WILSON/AKERT 2008, 427–429. Auch bereits KATZ/BRALY 1933. PIONTKOWSKI (2011, 176–178) weist im Fall von Geschlechterstereotypen auf die mögliche Prägung durch Sozialisationsagenten (Mütter/Lehrer) hin. Im Falle der Feindbilder scheint es einen weltweit verbreiteten Standardkanon an Negativeigenschaften zu geben, dessen Elemente sich auch in vielen antiken ethnographischen Topoi wiederfinden, wie Aggressivität, Unehrlichkeit und Amoralität: BIERHOFF 2006, 356. 62 Als ursächlich werden angeführt: autoritäre Persönlichkeit und soziale Dominanzorientierung, wirtschaftliche und politische Konkurrenz bzw. „realistischer Gruppenkonflikt“, Bedarf eines gesellschaftlichen Sündenbockes oder Wunsch nach positiver Distinktheit (Theorie der sozialen Identität). JONAS/STROEBE/HEWSTONE 2014, 511–518; ARONSON/WILSON/AKERT 2008, 447–449; BIERHOFF 2006, 359f; 368–378. 63 Der „Akzentuierungseffekt“ (TAJFEL/WILKES 1963) besagt, dass Unterschiede zwischen Fremd- und Eigengruppe übertrieben, Ähnlichkeiten innerhalb der Fremdgruppe unterschätzt und innerhalb der Eigengruppe überschätzt werden: JONAS/STROEBE/HEWSTONE 2014, 519. Nach der „illusorische Korrelation“ werden Annahmen über Individuen nur akzeptiert, wenn
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Es ist zu betonen, dass Bordalo, Coffman, Gennaioli und Shleifer nur die materiellen Inhalte von Stereotypen untersucht haben, ohne die oft negative Bewertung der zugewiesenen Attribute miteinzubeziehen. In der Vorurteilsforschung wird explizit zwischen dem Stereotyp als der kognitiven, dem Vorurteil als der affektiven bzw. emotionalen und der Diskriminierung als der Verhaltenskomponente unterschieden. 64 Für unsere Frage nach dem Realitätsgehalt von Stereotypen sind die weiterführenden Forschungsergebnisse über Vorurteile und Diskriminierung jedoch momentan weniger von Bedeutung. ZUSAMMENFASSUNG Die Unklarheit des Toposbegriffes in der althistorischen Forschungsliteratur kann durch einen Blick auf seine antiken Ursprünge und seine Verwendung in den Sprachwissenschaften abgeschwächt werden. Durch Verbindung beider Gebiete und die Einbeziehung der Sozialpsychologie ist es möglich, auch eine Aussage über den potentielle Realitätsgehalt von Topoi zu tätigen. Zwar sind bei Aristoteles und Cicero keine eindeutigen Definitionen zu finden, doch wird das Spektrum der Bedeutungen auf zwei eingeengt, nämlich erstens den „formalen“ Topos, der beschreibt, wie aus einer Aussage eine Schlussfolgerung gezogen werden kann, sowie zweitens den „materiellen“ Topos, der ein Element des kollektiven Wissens wiedergibt und mit den aristotelischen Endoxa in Verbindung gebracht werden kann. In der althistorischen Forschung über fremde Völker wird Topos ausschließlich in der letzteren Form verwendet. Hier bietet sich ein Anknüpfungspunkt der sozialpsychologischen Forschung, in der die tendenzielle Richtigkeit stereotyper Aussagen klar dargelegt werden konnte. Die als Elemente des kollektiven Wissens beschriebenen Annahmen über bestimmte ethnische Gruppen können mit kulturellen Stereotypen, die in einer Gesellschaft verbreitet sind, gleichgesetzt werden. 65 Diese wiederum können richtig sein, insofern sie auf einem tatsächlichen Unterschied zwischen der anderen und der eigenen Gruppe aufbauen. Stereotype, die zugleich mit einer emotionalen Komponente verbunden sind, werden zum (zumeist) negativen Vorurteil gegenüber der anderen Gruppe. Bei diesem Prozess der Vorurteilsbildung können sich eine ganze sie das bestehende Bild bestätigen: ARONSON/WILSON/AKERT 2008, 439f. Der „ultimative Attributionsfehler“ (PETTIGREW 1979) bezeichnet die Zuordnung eines Verhaltens oder Merkmales zur „Persönlichkeit“ einer Gruppe und nicht zur Situation. Als Beispiel wird die Tätigkeit des Geldverleihens genannt, die manche Juden aufgrund vielfacher Einschränkungen und Berufsverbote in der Antike und im Mittelalter ausübten: ARONSON/WILSON/AKERT 2008, 441f. 64 PIONTKOWSKI 2011, 174f; ARONSON/WILSON/AKERT 2008, 424. ZICK/KÜPPER/HÖVERMANN (2011, 32–35) stellen in ihrer Studie zu Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung in Europa ein Dreistufenmodell vor. Am Beginn steht die Kategorisierung von Menschen in Eigengruppe (ingroup) und Fremdgruppe (outgroup), es folgt mit der Zuweisung bestimmter gruppenspezifischer Eigenschaften die Stereotypisierung und schließlich die Bewertung, zumeist Abwertung, der Individuen der jeweiligen outgroup. 65 JUSSIM/CAIN/CRAWFORD/HARBER/COHEN (2009, 203) unterscheiden cultural stereotypes von personal stereotypes, die nur von einzelnen Personen vertreten werden.
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Reihe von kognitiven Fehlern einschleichen, die den tatsächlichen Unterschied übertreiben und mit falschen Interpretationen oder Begründungen versehen. Am Ende besteht ein Vorurteil, dessen Kern einen realen Bezug hat, das jedoch in seiner Absolutheit falsch ist. Die Vorstellung der unterschiedlichen Disziplinen macht zudem die Notwendigkeit einer klaren und einheitlichen Terminologie deutlich. Für die Alte Geschichte liegt hier das Problem der Ambivalenz der philologischen und der rhetorischen Bedeutung von „Topos“ vor. Während in den altphilologischen Studien, die sich nicht der antiken Rhetorik widmen, Topos mit Sprachklischee oder Gemeinplatz gleichgesetzt werden kann, hat Topos in den philologischen Arbeiten zur Rhetorik eine andere Bedeutung. Dort entspricht er dem oben erwähnten „materiellen“ Topos der Sprachwissenschaften. Im Fall der althistorischen Erforschung fremder Völker kann diese Toposdefinition ebenfalls angewendet werden. Da es sich dann um Merkmalszuschreibungen zu einer Menschengruppe handelt, ist wiederum die Gleichsetzung mit Stereotypen gerechtfertigt, womit eine Brücke zur Sozialpsychologie geschlagen ist. Die Verwendung des Begriffes Klischee sollte nur dort erfolgen, wo eine starke Formelhaftigkeit der Aussage vorliegt und ausreichende Parallelstellen deutlich machen, dass es sich um eine sehr oft verwendete und sinnentleerte Phrase handelt. Die vorangegangenen Ausführungen ermöglichen es, den schwammigen althistorischen Toposbegriff ein wenig fassbarer zu machen. Er lässt sich durchaus an die Forschungen anderer Fächer anknüpfen und erhält auf diese Weise sinnvolle Eigenschaften, die es ermöglichen, ihn bewusst zu verwenden, wenn die entsprechenden Merkmale vorliegen. Dennoch bleiben viele Fragen offen, von denen einige in den nachfolgenden Beiträgen angerissen werden. Manche unklaren Punkte, wie die nötige Verbreitung eines Topos in der griechisch-römischen Bevölkerung, werden sich aufgrund der mangelhaften Quellenlage niemals klären lassen, doch sollte immerhin ein Mindestmaß an Parallelstellen vorliegen, bevor eine Aussage als gängiger Topos identifiziert wird. Dr. phil. Michael Zerjadtke, Professur für Alte Geschichte, Arbeitsbereich Geschichtswissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr/Universität der Bundeswehr Hamburg, Postfach 700822, 22008 Hamburg
BEMERKUNGEN ZUR TOPIK ALS UNVERMEIDBAREM ELEMENT ANTIKER GESCHICHTSSCHREIBUNG Alexander Free In einem aus dem Jahre 1994 stammenden Aufsatz mit dem Titel „In Defence of the Greek Historians“ beginnt der britische Althistoriker Peter J. Rhodes seine Ausführungen mit dem Hinweis, es sei ihm eine große Ehre und Freude gewesen, zu dem Vortrag, auf dem sein Aufsatz basiere, eingeladen worden zu sein. 1 Rhodes weist mit dieser zu Beginn vieler Vorträge üblichen Stellungnahme auf den topischen Charakter derartiger Bekundungen hin. Er spricht von der „only a topos fallacy“, der Täuschung, nur weil etwas topisch sei, schließe sich ein Wahrheitsgehalt aus. 2 Rhodes bemerkt: „The fact that a passage is a topos, that it says what is conventionally said in a particular situation, and perhaps expresses it in a conventional way, does not exclude the possibility that it is an authentic report, or that what is stated is true.” 3 Die von Rhodes ausgesprochene Danksagung und Äußerung von Freude und Ehre über die Vortragsituation negiert somit trotz ihres topischen Charakters nicht ihren Wahrheitsgehalt. Das Kernproblem der antiken Geschichtsschreibung, nämlich die Frage nach ihrer Glaubwürdigkeit und der damit verbundenen Akzeptanz oder Relativierung ihrer Inhalte ist durch das von Rhodes angeführte Beispiel direkt angesprochen. Rhodes schrieb seinen Aufsatz im Angesicht der sich zu seiner Zeit vollziehenden linguistischen Wende in den Altertumswissenschaften, durch die der antiken Historiographie zunehmend eine Rhetorizität nachgewiesen und ihr Anspruch auf wahrhafte Inhalte relativiert, wenn nicht sogar negiert wurde. 4 Das sich vor allem anhand der 1979 und 1988 publizierten Monographien „Clio’s Cosmetics“ von Timothy P. Wiseman und „Rhetoric in Classical Historiography“ von Anthony J. Woodman ausprägende differenzierte Textverständnis antiker Geschichtsschreibung ist in einer literaturwissenschaftlich orientierten Altertumswissenschaft seitdem unabdingbar geworden. Die narratologische Dekonstruktion antiker Historiographie hat in den letzten Jahrzehnten an Konjunktur gewonnen. 5 In gleicher Weise hat sich jedoch scheinbar auch ein gewisser Gegensatz zwischen eher positivistisch 1 2 3 4 5
RHODES 1994, 156. Ebd. 157. Ebd. 158. Zum sogenannten linguistic turn siehe nur einführend HANISCH 1996 und SCHÖTTLER 1997. Man beachte lediglich jüngste Sammelbände zu dem Thema wie ASH/MOSSMAN/TITCHENER 2015 oder LIOTSAKIS/FARRINGTON 2016. Vgl. ferner bereits die von RHODES 1994, 156 angeführten Arbeiten der 1980er Jahre. Schon TIMPE 1989, 9 führt in diesem Zusammenhang die für eine positivistisch gesinnte Altertumswissenschaft aufkommende Problematik einer Relativierung der literarischen Aussagen an. Dazu auch ZERJADTKE s.o. S. 11f.
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orientierten und relativistisch ausgerichteten Interpreten entwickelt. 6 Diese Polarität existiert indes bereits so lange, wie über die Gattung Geschichtsschreibung nachgedacht und diskutiert wird. Die Problematisierung des Anspruchs und der Wahrnehmung von Geschichtsschreibung ist somit nicht erst eine Erfindung der Postmoderne, sondern ein steter Begleiter dieser Schreibform seit der ersten Gattungsversuche durch Hekataios von Milet und Herodot von Halikarnassos.7 Geschichtsschreibung setzt sich Wahrheit als Ziel. Zugleich wir ihr jedoch unentwegt Lüge und Unwahrheit vorgeworfen. Wie kann das sein? Die folgenden Ausführungen sollen die These stützen, der antike Geschichtsschreiber könne lediglich einen hinreichenden Wahrheitsbegriff anstreben, da eine Verbindung der Gattung Historiographie mit einer absoluten Wahrheit in der Praxis nicht zu realisieren war. 8 So soll herausgestellt werden, dass Topik, wie auch generell die Verwendung narrativer Elemente, aus verschiedenen Gründen für die Abfassung von Historiographie notwendig war. Sowohl für die Methodologie der Gattung als auch für ihre Rezeption stellte Topik ein unvermeidbares Element dar. Bereits die antiken methodischen Reflexionen über das Vorgehen des Historiographen zeigen in dieser Hinsicht eine Unsicherheit in der adäquaten Stoffauffindung, die sich lediglich durch erzählerische Komponenten ausgleichen ließ. In einem ersten Schritt soll dieser Sachverhalt in den Blick genommen und anhand von theoretischen Äußerungen zur antiken Geschichtsschreibung das methodische Dilemma der Gattung vorgeführt werden. Die selbstverständliche Verwendung von loci communes durch die antiken Historiographen unterstreicht die Ambivalenz des Gattungsanspruches auf Wahrheit. 9 Unsicherheit und Mehrdeutigkeit in der Auslegung historischer Gegebenheiten eröffnen jedoch den Raum für eine Pluralität an Darstellungen. In einem zweiten Schritt soll dahingehend der kulturelle Kontext antiker Geschichtsschreibung näher gewürdigt werden. In was für einem literarischen Umfeld hatten sich neue Geschichtswerke zu behaupten? In diesem Zusammenhang wird sich herausstellen, dass die Gattungskonventionen Auslassungen von loci communes nicht zuließen. Die Beschreibung des Alexander-Historiographen Arrian von den goldgrabenden 6 7
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Zur rezenten Kontroverse zwischen Interpreten einer historisch-kritischen sowie einer literarisch-postmodernen Prägung siehe nur FREE 2018, 242–244. Zur antiken Diskussion über den Wahrheitsanspruch der Geschichtsschreibung, insbesondere bei Lukian von Samosata und Sextus Empiricus, siehe FREE 2018, 250–256. Bereits Hekataios FGrHist. 1 F1a weist indes darauf hin, aus den zahlreichen Erzählungen, die mitunter lächerlich seien, lediglich zu berichten, was nach seinem Dafürhalten wahr zu sein scheine. Herodot 7,152,3 stellt klar, er referiere, was ihm berichtet worden sei. Er sei aber nicht dazu verpflichtet, diese Erzählungen auch zu glauben. Siehe ferner auch Thuk. 1,20–22. Zur Diskussion in der Neuzeit vgl. nur einführend die Ausführungen von MOMIGLIANO 2011 (ursprünglich 1950). Insofern wählte BOSWORTH 2003 einen durchaus passenden Titel, als er seinen Aufsatz zu dieser Problematik mit dem französischen Sprichwort „Plus ça change …“ versah. Die Ausführungen bauen insofern auf den Überlegungen von FREE 2018 auf und führen diese fort. Topik wird in diesem Zusammenhang im Sinn eines diskursiven Wissens der historischen Diskurssemantik verstanden. Siehe WENGELER 2007 mit ZERJADTKE, s.o. S. 20f.
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Ameisen Indiens soll in dieser Hinsicht die Misslichkeit des Autors exemplifizieren, einen Kompromiss zwischen einer adäquaten historisch-kritischen Methode und den Konventionen des literarischen Betriebes auszuhandeln. ZUM HINREICHENDEN WAHRHEITSBEGRIFF ANTIKER GESCHICHTSSCHREIBUNG Die antike Geschichtsmethodologie befasst sich nicht näher mit der Verwendung von Topoi. Sie sind Elemente der rhetorischen Lehre und finden dadurch ihren Eingang in geschichtstheoretische Reflexionen vor allem über die besondere Nähe zwischen Rhetorik und Historiographie. 10 Geschichtsschreibung erweist sich in dieser Relation als hybrid und offenbart dadurch eine Diskrepanz zwischen dem Anspruch der Autoren und der praktischen Umsetzung ihrer Absichten. 11 Vorführen lässt sich dieser Sachverhalt bereits in der bekannten Äußerung über den Unterschied zwischen der Dichtung und der Historiographie des Aristoteles in seiner Poetik. 12 Aristoteles grenzt die beiden Gattungen nicht durch ihre gebundene oder ungebundene Form der Sprache voneinander ab, sondern durch die Fokussierung der Dichtung auf den Aspekt der Wahrscheinlichkeit (οἷα ἂν γένοιτο) sowie der Geschichtsschreibung auf jenen der Wirklichkeit (τὰ γενόμενα). 13 Die beiden Kategorien bilden für den Philosophen jedoch keine unvereinbaren Gegensätze. Gerade die Geschichtsschreibung benötigt nämlich rhetorisch-narrative Elemente, um die von ihr dargestellten γενόμενα auch plausibel zu fundieren oder in einer angemessenen Weise zu ergänzen, falls sie für den Historiographen nicht vollkommen offen einzusehen waren. 14 In der historischen inventio soll jenes Material, das der Historiograph kritisch geprüft und als vertrauenswürdig beurteilt hat, gerade durch sprachliche Plausibilität untermauert werden, um das Ziel einer wahrhaften Darstellung zu erreichen. 15 Auf eben diesen Aspekt zielt jedoch der Einsatz von Topik ab. Sie ist dafür gedacht, Aussagen schlüssig zu bekräftigen und ihnen Glaubwürdigkeit zu verleihen. In der Geschichtsschreibung kann sie daher bei eingestreuten Reden wie auch der Deutung oder Interpretation von Ereignissen durch den Historiographen an Relevanz gewinnen. Die von dem Geschichtsschreiber als wahrhaft eingestuften 10 Zum Fehlen detaillierter Reflexionen über Topoi in der Geschichtstheorie s.o. ZERJADTKE, S. 18. Eine exzellente Quellensammlung, die die antiken Äußerungen zur Abfassung von Geschichte zusammenführt, bietet MARINCOLA 2017. Über die Nähe von Rhetorik und Historiographie vgl. nur AX 1990. 11 Zu den nachfolgenden Ausführungen siehe maßgeblich die Überlegungen bei FREE 2018. 12 Zu dem oft interpretierten und sehr schwierig zu deutenden Abschnitt siehe ELSE 1957, 301– 314; BALDRY 1957; VON FRITZ 1958; HALLIWELL 1986, 78–80; HORN 1988 und 2000; DE STE. CROIX 1992; SCHWINGE 1996; KLOSS 2003; SCHMITT 2008, 372–392 sowie generell zu dem Umgang des Aristoteles mit Geschichte VON FRITZ 1956; ZOEPFFEL 1975 und BERTELLI 2014. 13 Siehe Aristot. poet. 9 1451b. Vgl. noch HELDMANN 2011, 53–58 zur Deutung von Wahrheit als Wirklichkeit. 14 Siehe dazu ausführlich FREE 2015, 88–90. 15 Über die historische inventio im Unterschied zur rhetorischen Stoffauffindung informiert FREE 2018, 251f.
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Ereignisse können mithilfe von Topoi somit sprachlich plausibel gefestigt werden, indem die durch sie erzeugten logischen Enthymeme zur überzeugenden Fundierung des Inhaltes dienen. Mit anderen Worten bedarf es des Wahrscheinlichen, um das Wirkliche zu erfassen. 16 Obgleich die Verwendung von Topoi also nicht direkt in der antiken Geschichtsmethodologie angesprochen wird, findet sie sich dennoch in dem geforderten Aspekt der Wahrscheinlichkeit wieder. Der Fokus auf die plausible Darstellung wahrhafter Ereignisse rückt die Geschichtsschreibung jedoch näher an die Dichtung heran als ihr Anspruch auf Wirklichkeit zunächst nahezulegen scheint. Nach Aristoteles konzentriere sich die Dichtung maßgeblich auf allgemeine Aussagen (τὰ καθόλου), während die Geschichtsschreibung ihr Augenmerk auf das Spezifische (τὰ καθ' ἕκαστον) richte. 17 Hiermit kann jedoch nicht gemeint sein, dass die Geschichtsschreibung das Allgemeine vollkommen auszublenden habe. Vielmehr ist sie darauf angewiesen, die Konzentration auf das Spezifische mit dem Allgemeinen zu kombinieren. Genaugenommen überlagern sich Wahrscheinlichkeit und Wirklichkeit in der Historiographie geradezu und können nicht eindeutig voneinander getrennt werden. Die beiden bedingen sich sogar. 18 Dieser Punkt kann insbesondere an dem von Aristoteles als τὰ καθ' ἕκαστον umschriebenen Aufgabenbereich der Geschichtsschreibung noch deutlicher ausgeführt werden. τὰ καθ' ἕκαστον beschreibt das, was jedes Einzelne betrifft. 19 Eben dieser Umstand entzieht sich jedoch oftmals insofern einer Verallgemeinerung als er nicht durch eine geeignete Methode in der Weise strukturiert werden kann, um daraus allgemeine Regeln abzuleiten. Nicht nur ist jedes Ereignis einzigartig, sondern jeder an einem Geschehen Beteiligte hat eine eigenständige Wahrnehmung, die sich von jener anderer Beteiligter unterscheidet. Ebenso bewertet jedoch auch jeder Geschichtsschreiber seine Quellen unterschiedlich. 20 Geschichte wird damit zu einer Angelegenheit jedes Einzelnen, wie auch die ideale Methode ihrer Aufdeckung, die Autopsie, jedem eine individuelle Auffassung von einem Ereignis verleiht. 21 Dass Sinneseindrücke indes nur eingeschränkt die volle Wahrheit erfassen können, wurde zwar innerhalb der antiken Philosophie thematisiert, die Historiographen begnügten sich in der Praxis aber lediglich mit dem Hinweis, die Stoffermittlung sei schwierig und mühsam gewesen. Weitergehend reflektieren sie nicht über ihre Methode, sondern suchen die Lösung in einer Analyse des Charakters sowohl des Historiographen selbst als auch seiner Zeugen. 22 In dieser Weise argu16 Über die Rolle der Topik zur Evozierung von Plausibilität handelt Aristot. top. 100b 21–34 sowie 104a 8–11. Aus diesem Grund bildet die Topik auch den wichtigsten Teil der inventio. Dazu s.o. ZERJADTKE, S. 14f. und 17f. 17 Aristot. poet. 9 1451b. 18 So auch die Schlussfolgerung von SCHMITT 2008, 387f., bes. 388: „Das Allgemeine ist dem Einzelnen immanent.“ Vgl. ferner VON FRITZ 1956, 116 und 122. 19 Aristot. poet. 9 1451b. 20 Vgl. dazu bereits die methodischen Äußerungen bei Thuk. 1,22,4. 21 Siehe in diesem Sinn auch S. Emp. adv. Math. 1,254–262. Die Sichtweise des Sextus Empiricus weist Anklänge an die Ausführungen des Aristoteles auf. Zur Autopsie als idealer Methode vgl. Lukian. hist. conscr. 47. 22 FREE 2018, 252.
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mentieren etwa der spätantike Historiograph Eunapios von Sardeis oder der Philosoph Seneca, die sich dezidiert dem Charakter des Geschichtsschreibers zuwenden. 23 Eunapios betont besonders die Überparteilichkeit des Historiographen und seinen Anspruch auf Wahrheit bei der Abfassung von Geschichte. Er legt damit Gewicht auf den faktualen Anteil der Gattung, die im Gegensatz zur juristischen oder politischen Rede nicht ohne weiteres auf fiktive Imagination zurückgreifen konnte. 24 Seneca betont dagegen die generelle Leichtgläubigkeit des Geschichtsschreibers und seine Affinität zur Lüge. Auch er legt den Fokus jedoch auf den Historiographen selbst und nicht auf sein Werk. 25 Sowohl Eunapios als auch Seneca verdeutlichen indes, dass das einem Geschichtswerk zugrunde liegende Material nicht der Willkür unterlag, sondern in der Darstellung des Autors überzeugen musste. Geschichtsschreibung wird dadurch zu mehr als bloßer Rhetorik, da sie auf das engste mit ihrem Verfasser und dessen Nachforschungen verbunden ist. Eine theoretische Fundierung der historischen inventio sucht man jedoch vergeblich. Weder wird irgendwo deutlich darüber reflektiert, welche Kriterien überzeugenden Quellen zugrunde liegen sollen noch garantiert naives Vertrauen in einen angeblichen Autopsiebericht die Tatsächlichkeit der Geschehnisse. 26 Eine geeignete Methode für die Handhabung des Stoffes liegt somit nicht vor. Die Ergebnisse der Historiographen führen zu falsifizierbaren und diskutablen Ergebnissen. Wahrheit muss aus diesem Grund unsicher bleiben. 27 Für den antiken Geschichtsschreiber hatte diese Unsicherheit zur Konsequenz, dass er sich lediglich mit einem hinreichenden Wahrheitsbegriff begnügen konnte. Narrative Techniken, wie etwa die Verwendung von Topoi, dienten in diesem Sinn zur Überbrückung der aristotelischen Idealtypen des τὰ καθόλου und des τὰ καθ' ἕκαστον. Der Wesenskern von Topoi bestand geradezu darin, von dem Einzelnen auf das Allgemeine zu schließen. Dadurch unterstützten Topoi letztendlich den Wahrheitsanspruch der Erzählung. 28 Die Einschränkung auf einen hinreichenden Wahrheitsbegriff bedeutete jedoch keine grundsätzliche Absage an den Aspekt der ἱστορίη, also der Nachforschung im herodoteischen Sinn, die ohne Ausnahme den Unterschied zwischen einem Geschichtsschreiber und einem Redner oder Dichter ausmachte. So betonen etwa Thukydides, Diodor oder Dionysios von Halikarnassos explizit die Schwierigkeiten und die intellektuelle Leistung in der Durchdringung ihrer Quellen. 29 Sie bemühen sich, eine quellenkritische Darstellung vorzulegen. Diese Darstellung muss für den Rezipienten indes dennoch unsicher bleiben. Da die Einschätzung der Quellenlage keine Genauigkeit garantierte, konnte sie kein 23 Siehe Eun. Hist. 1,1,39–42. Sen. nat. 7,16,1f. 24 Überparteilichkeit als Hauptcharakteristikum eines wahrhaften Geschichtswerkes in der Antike arbeitet LUCE 1989 heraus. 25 Zu der von Seneca angesprochenen Kritik vgl. vor allem WISEMAN 1993. 26 So im Grunde die Kritik Senecas. 27 So auch FREE 2018, 253. 28 Vgl. Aristot. top. 100a. Geschichtsschreibung charakterisiert sich in dieser Hinsicht als faktuale Erzählung. FREE 2018 spricht daher von der „Faktion“ antiker Historiographie. Siehe dazu maßgeblich BACKHAUS 2007 und 2012 sowie PELLING 1990, 40. 29 Siehe Thuk. 1,22,1–3; Diod. 1,4,1–2; 1,3,3–8 und Dion. Hal. ant. 1,7,2–3 mit FREE 2018, 247f.
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gleichbleibendes Fundament darstellen. Historische Erkenntnis konnte damit per se keinen Konsens voraussetzen. Die Unsicherheit historischer Wahrheit führte aus diesem Grund bereits in der Antike zu einer Pluralität an Perspektiven, sodass Historiographie in den Bereich der Thesen- und Meinungsliteratur rückte. 30 In der Konsequenz speiste sie sich zu einem großen Teil jedoch gerade aus dem Dissens dieser Thesen und Meinungen. DER DISSENS IN DER ANTIKEN GESCHICHTSSCHREIBUNG UND DER KONTEXT IHRER REZEPTION Für die Methode einer Geschichtsdarstellung, die sich das Prädikat wahrhaft anheften wollte, war die Verwendung von Topik also ein unerlässlicher Faktor. Mit ihrer Hilfe ließ sich die Erzählung plausibel untermauern. Der Rückgriff auf diskursives Wissen konnte zunächst auch unwahrscheinlich anmutende Gegebenheiten sinnvoll in ein Narrativ einfügen. Dennoch gab es Ereignisse oder Sachverhalte, die trotz kritischer Nachforschung unglaubwürdig und fantastisch erschienen und dadurch zu Kritik und Gegendarstellungen anregten. Eine sich im Verlauf des Hellenismus entwickelnde Lesekultur, die verschiedene Versionen ein und desselben Ereignisses aufmerksam zur Kenntnis nahm, achtete dabei auch genau auf die Verwendung von Topik, ja erwartete sie geradezu. 31 Die gelungene rhetorische Ausgestaltung eines Geschichtswerkes war für ein Lesevergnügen ebenso wichtig wie die von ihr angeführten Inhalte. Der Historiograph geriet dadurch in ein Dilemma, wie weit kritische Nachforschung in einem solchen Umfeld noch reichen sollte. Dissens als wichtiges Movens von Geschichtsschreibung spielt bereits in den Historiae Herodots eine Rolle. 32 Besonders augenfällig wird dieser Aspekt jedoch von Thukydides im Rahmen seiner methodischen Darlegungen formuliert. Thukydides geht hier auf Distanz zu Darstellungen, die seines Erachtens mehr auf die Hörlust als auf die Wahrheit ausgerichtet seien und dadurch ins Unglaubwürdige abdrifteten. 33 Der Geschichtsschreiber grenzt sich deutlich von alternativen Perspektiven ab und betont die Vorteile seiner eigenen Abhandlung. Die Auseinandersetzung mit abweichenden Anschauungen begegnet indes bei beinahe jedem Historiographen, unter denen die Kritik des Polybios an Ephoros, Theopompos oder Phylarchos noch das berühmteste Beispiel darstellt. 34 Informiert der antike Historiograph nur in den seltensten Fällen über seine Quellen und Vorlagen, so treten diese immer dann auf, wenn sich ein Autor in profilierender Absicht von ihnen abzugrenzen versucht. Die kritische Anführung anderer Urteile weist indes auf eine grundsätzliche Kenntnis der Parallelwerke hin. Die Kritik des Polybios an anderen Historiographen 30 31 32 33
So zurecht das Urteil von HELDMANN 2011, 19 und 79. Ein Höhepunkt dieser Lesekultur sah die römische Kaiserzeit, siehe JOHNSON 2010. Siehe Hdt. 1,5. Vgl. Thuk. 1,21,1 mit LENDLE 1992, 81 sowie GRETHLEIN 2010, 208–211 und 237–239, die Vorschläge anführen, wen Thukydides konkret mit seiner Kritik meinen könnte. 34 Siehe vor allem MEISTER 1975.
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setzt etwa voraus, dass der Rezipient mit diesen Werken etwas anfangen konnte. Andernfalls würde die Kritik ins Leere laufen und der von Polybios erhoffte Effekt der Darstellung seiner überlegenen Fähigkeiten ausbleiben. Die uns überlieferten Geschichtswerke müssen aus diesem Grund im Kontext einer Lesekultur betrachtet werden, die sie lediglich zu einer von mehreren Ausführungen zu dem gleichen Gegenstand macht. Arrian bringt diesen Aspekt im Proömium seiner Anabasis auf den Punkt und spricht den Kontext, in dem sein Werk zu beurteilen sei, direkt an. Sollte sich jemand fragen, weshalb er ein Geschichtswerk zu Alexander dem Großen verfasse, obgleich es ja bereits eine Vielzahl solcher Schriften gebe, so möge der Rezipient die Anabasis im direkten Vergleich zur übrigen Literatur lesen. Die Qualität seiner Ausführungen spreche für ihre Überlegenheit vor anderen Erzählungen zu dem gleichen Thema. 35 Der Geschichtsschreiber ist sich bewusst, dass seine Darstellung nur eine unter vielen ist. In der auch anderweitig in seinem Werk festzustellenden Überzeugung, er schreibe die maßgebliche Geschichte Alexanders, hat Arrian jedoch das Selbstvertrauen, den Leser darauf hinzuweisen, dass er die beste Perspektive auf den historischen Gegenstand liefere. 36 Wie Arrians Anabasis müssen jedoch auch die übrigen Geschichtswerke im Kontext einer Lesekultur betrachtet werden, die ein multiperspektivisches Interesse an historischen Gegenständen mit sich brachte, das auch Werke mit großem zeitlichem Abstand zueinander betraf. So schreibt etwa Cassius Dio eine Geschichte Roms, die sich dezidiert von jener des Livius abgrenzen sollte. Der severische Historiograph präsentierte seiner Leserschaft, die mit dem Werk des augusteischen Autors wohl vertraut war, damit gerade eine alternative Perspektive auf die römische Geschichte. 37 Darüber hinaus schrieb Cassius Dio sein Werk offenbar in bewusster Abgrenzung zu der ähnlich gearteten Geschichte Appians, die offenbar als nicht hinreichend genug empfunden wurde. 38 Wie bei Arrian und der Geschichtsschreibung zu Alexander dem Großen konnte der zeitgenössische Rezipient im Fall des Cassius Dio auch aus anderen Geschichtswerken auswählen, die ihm Informationen zur Geschichte Roms bieten konnten. Es war ihm dadurch möglich, sich einen weitaus umfassenderen Eindruck von Inhalt und Stil der verschiedenen Geschichtsschreiber zu machen als dies im Zuge ausbleibender Überlieferung heutzutage möglich ist. 39 Geschichtsschreibung muss daher im Kontext einer Kultur betrachtet werden, die in Lesekreisen Literatur mit einem tieferen Verständnis ihres Stils, Aufbaus, Inhalts und ihrer Einordnung in eine klassizistische Tradition rezipierte. 40 Die Inhalte wie auch die literarische Ausschmückung antiker Geschichtswerke richteten sich nach den Interessen eines grundsätzlich belesenen Publikums und reagierten 35 36 37 38 39
Arr. an. 1, praef. 3. Vgl. dazu ebd. 1,12,1–5 mit MOLES 1985. Zu einer solchen Sichtweise siehe maßgeblich ZECCHINI 2016. So HOSE 1994, 356. Vgl. zu diesem Aspekt nur die Ausführungen von STRASBURGER 1990 (ursprünglich 1977) zum weitgehenden Überlieferungsausfall der antiken Geschichtsschreibung. 40 So FREE 2019, 119.
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auf konkurrierende Perspektiven anderer Geschichtswerke. Ein Autor musste rhetorisch überzeugen sowie einen interessanten Inhalt präsentieren. Topik besaß in diesem Zusammenhang das Potential, das gelehrsame Wissen des Rezipienten zu aktivieren, die Literaturkenntnis des Autors selbst unter Beweis zu stellen und Ausdruck seines elaborierten Schreibstils zu sein. In einer Kultur der Bildung wurde sie zwingend erwartet. Die Nachfrage nach Bildungsinhalten konnte dem Anspruch der Historiographie als Gattung jedoch hinderlich sein, wie insbesondere das Beispiel der goldgrabenden Ameisen im Geschichtswerk Arrians demonstriert. Es zeigt die mitunter auftretende Unvereinbarkeit einer historisch-kritischen Methode mit den Konventionen des literarischen Betriebes der Zeit. In Anbetracht eines Publikums, das mit gewissen Inhalten auch bestimmte Erwartungen verknüpfte, konnte auch auf Topoi gänzlich unglaubwürdiger Natur nicht vollkommen verzichtet werden. DIE GOLDGRABENDEN AMEISEN ALS WIEDERKEHRENDES MOTIV EINES WUNDERSAMEN INDIENS Arrian beschreibt im 4. Kapitel des 5. Buches der Anabasis Alexanders Vordringen über den Indus. Er formuliert: Diesen Fluss, den Indus, überquerte Alexander beim Morgengrauen mit seinem Heer in das Land der Inder. Über sie habe ich in diesem Geschichtswerk weder geschrieben, welche Bräuche sie haben, noch ob ihr Land irgendwelche ungewöhnlichen Lebewesen hervorbringe, noch die Fische […] und nicht einmal die Ameisen, die ihnen das Gold erarbeiten, noch die Greifen, die als Wächter fungieren, und was sonst eher zum Vergnügen erdichtet wird als für den Tatsachenbericht. Denn wie ungewöhnlich man sich die Dinge über Indien auch zusammenlügen mag, sie werden von niemandem exakt geprüft werden. 41
Schon vor dem Feldzug Alexanders des Großen waren Nachrichten über Indien vor allem von den Autoren Skylax von Karyanda, Herodot von Halikarnassos und Ktesias von Knidos niedergeschrieben worden. Die Alexanderhistoriker bemühten sich, diese Kenntnisse zu verifizieren, bereicherten das Indienbild jedoch auch mit weiteren unglaublichen Geschichten. Indien bekam durch all diese Beschreibungen das Siegel eines Landes der Wunder, der Weisheit und der Utopie. 42 Dem Rezipienten Arrians waren diese Berichte bekannt. Gerade die von Arrian angesprochenen Ameisen gehörten in dieser Hinsicht zu den berühmtesten mirabilia aus Indien. Bereits durch Herodot in die griechische Literatur eingeführt, wurden sie auch von
41 Arr. an. 5,4,3: Τοῦτον τὸν ποταμὸν τὸν Ἰνδὸν ὑπὸ τὴν ἕω διέβαινε ξὺν τῇ στρατιᾷ Ἀλέξανδρος ἐς τῶν Ἰνδῶν τὴν γῆν· ὑπὲρ ὧν ἐγὼ οὔτε οἷστισι νόμοις διαχρῶνται ἐν τῇδε τῇ συγγραφῇ ἀνέγραψα, οὔτε ζῷα εἰ δή τινα ἄτοπα ἡ χώρα αὐτοῖς ἐκφέρει, οὔτε ἰχθύας […], οὐδὲ τοὺς μύρμηκας τοὺς τὸν χρυσόν σφισιν ἐργαζομένους, οὐδὲ τοὺς γρῦπας τοὺς φύλακας, οὐδὲ ὅσα ἄλλα ἐφ' ἡδονῇ μᾶλλόν τι πεποίηται ἢ ἐς ἀφήγησιν τῶν ὄντων, ὡς τά γε κατ' Ἰνδοὺς ὅσα ἂν ἄτοπα ψεύσωνται, οὐκ ἐξελεγχθησόμενα πρὸς οὐδαμῶν. (Ü.d.A.) 42 Zu Indien in der antiken Literatur siehe vor allem KARTTUNEN 1989 und 1997 sowie DIHLE 1984b (ursprünglich 1964). Vgl. vertiefend nur MÄNNLEIN-ROBERT 2009.
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Plinius dem Älteren, Aelian, Strabon und Dion Chrysostomos eingehend besprochen. 43 Arrian war aus diesem Grund genötigt, die Tiere zu erwähnen, da sie zum diskursiven Wissen über Indien dazugehörten. Sowohl die Zurschaustellung eigener Bildung als auch die Aktivierung von Vorwissen beim Leser führten zu der Repetition des Topos der goldgrabenden Ameisen. Der gebildete Leser kannte die Berichte über die Fauna Indiens und erwartete ihre Berücksichtigung in einer Darstellung dieses Landes. Der für sich eine kritisch nachforschende Methode reklamierende Arrian geriet dadurch in das Dilemma, die Ameisen zumindest ansprechen zu müssen. Wie schwierig die Kombination eines adäquaten methodischen Vorgehens mit der Anführung der notwendig anzubringenden Topik für den Geschichtsschreiber war, beweist dabei das lange Schweigen Arrians über jegliche Wunder Indiens. So hatte der Historiograph die Beschreibung des Landes bereits im vorherigen 4. Buch begonnen und war lange ohne jeglichen Hinweis auf Wunder ausgekommen. 44 Das Unbehagen des Geschichtsschreibers wird sodann noch einmal im Rahmen einer weiteren Beschreibung der Ameisen in den separat geschriebenen Indike deutlich. Hier führt Arrian den Admiral Alexanders des Großen, Nearchos, sowie den Gesandten Seleukos’ I., Megasthenes, als Gewährsmänner auf, die sich bemüht hatten, die Erzählung Herodots zu verifizieren. Nearchos habe indes lediglich die Felle der Tiere gesehen. Megasthenes wusste zwar ausführlicheres über ihre Lebensweise zu berichten, doch musste er eingestehen, dass seine Kenntnisse auf Hörensagen basierten. 45 So habe keiner der beiden Historiographen die Tiere mit eigenen Augen gesehen. Arrian beendet seine Ausführungen daraufhin mit der Aussage, auch er habe nichts Sicheres darüber mitzuteilen und schließe daher gern (ἑκών) den Abschnitt über die Ameisen. 46 Wie in der Anabasis impliziert die Stelle den Unmut Arrians darüber, die Ameisen überhaupt anzusprechen, da er ihre Darstellung für unglaubwürdig hält. Die Berichte des Nearchos und des Megasthenes konnte Arrian methodisch nur als unbefriedigend empfinden. Dennoch bestand die Konvention, den Topos der Ameisen zur Sprache zu bringen. 47 In der Konsequenz musste sich jedoch eine Skepsis ob der allzu fantastischen Berichte einstellen und dies zu einer Relativierung der Glaubwürdigkeit der Gewährsmänner führen. Arrians abschließender Satz verdeutlicht das methodische Dilemma der antiken Historiographie. Erzählungen über fantastische Wunderwesen Indiens erschienen bisweilen derart 43 Vgl. Hdt. 3,102; Plin. nat. 11,111; Ail. nat. 16,15; Strab. 2,1,9; 15,1,37 und 44; Dion. Chrys. 35,23f. mit BERRENS 2018, 96–143 und 312–329. 44 So beginnt die Darstellung Indiens bereits in Arr. an. 4,22, bevor Arrian in 5,4 das erste Mal mirabilia anführt. 45 Arr. Ind. 15,4–7. Über die Indike informiert STADTER 1980, 115–132. 46 Ebd. 15,7: ἀλλὰ τε ἀκοὴν ἀπηγέεται, καὶ ἐγὼ ὅτι οὐδὲν τούτου ἀτρεκέστερον ἀναγράψαι ἔχω, ἀπίημι ἑκὼν τὸν ὑπὲρ τῶν μυρμήκων λόγον. 47 So auch in anderem Kontext der Tenor bei Paus. 6,3,8 über den sportlichen Sieg eines gewissen Oibotas, der sich zeitlich mit dessen Teilnahme an der Schlacht von Plataiai überschnitt. Pausanias weist diesbezüglich darauf hin, er sei verpflichtet, zu referieren, was ihm mitgeteilt werde. Glauben müsse er es jedoch nicht. Vgl. dazu die wörtlichen Anklänge an Hdt. 7,152,3, die die Aussage des Periegeten wie auch den Unmut Arrians ins Topische gleiten lassen. Eben solche Erwähnungen fallen jedoch in den Bereich der von Rhodes angeführten „only a topos fallacy“.
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unwahrscheinlich, dass sie in den Bereich der Lüge fallen mussten. Andererseits beruhten sie auf Augenzeugenberichten der für das Land maßgeblichen Autoritäten. Zu ihrer Widerlegung könne daher, so Arrian, niemand in der Lage sein. 48 Die Erwartungshaltung des Publikums verschärfte das Problem darüber hinaus, da die Autorität der kanonischen Gewährsmänner eine völlige Ablehnung des Gegenstandes trotz Skepsis offenbar ausschloss, sodass die Erzählung immer weiter tradiert wurde. 49 So bestärkte ein solcher Umgang mit Autoritäten das Paradoxon der antiken Historiographie, die sich auf zuverlässige Augenzeugenberichte stützen wollte, aufgrund kanonischer Erwartungen an gewisse Sachverhalte jedoch umstrittene Informationen nicht konsequent genug widerlegte. 50 SCHLUSSBETRACHTUNG Die von Peter J. Rhodes angesprochene Problematik der Glaubwürdigkeit antiker Geschichtsschreibung speist sich insbesondere aus der Abhängigkeit der Gattung von rhetorischen Techniken mangels einer fehlerfreien Methode. Als faktuale Erzählung kann sie lediglich eine hinreichende Wahrheit als Ziel haben, unterläuft auf diese Weise jedoch auch die Erwartungshaltung von Rezipienten, die ein absolutes Wahrheitsideal an die Narrative stellen. Topik erweist sich in dieser Hinsicht aus mehreren Perspektiven als unvermeidbares Element der Gattung. 51 Aus methodologischer Sicht sollte die rhetorisch plausible Ausarbeitung des Stoffes auf die nachforschende inventio folgen. Mit als wahrhaft charakterisierten Fakten war es nicht getan, sofern diese nicht auch plausibel präsentiert werden konnten. Topik, die auf Allgemeines und Wahrscheinliches abzielte, konnte dadurch gerade Leerstellen der Analyse füllen und somit die Darstellungsweise des Geschichtsschreibers weitergehend fundieren. Dennoch bedeutete die rhetorische Ausarbeitung des Textes eine 48 S.o. Arr. an. 5,4,3. 49 Vgl. dazu auch DIHLE 1984a (ursprünglich 1980). 50 Um was für ein Tier es sich bei den Ameisen genau handelte, muss dabei weiterhin unsicher bleiben. Der Bericht des Nearchos über die vorgelegten Felle wie auch die detaillierten Beschreibungen der antiken Literatur erwecken den Eindruck, dass die Einheimischen den Alexanderhistorikern anhand des herodoteischen Berichtes zumindest irgendein Tier präsentierten, das ihnen vergleichbar erschien. BERRENS 2018, 96–143 weist indes darauf hin, dass die unterschiedlichen Beschreibungen sich auf verschiedene Tiere beziehen konnten. Die Ameisen weisen bisweilen etwa die Eigenschaften einer Großkatze auf und etymologisch bestehe in Sanskrit und Hindi eine Ähnlichkeit der Begriffe für Ameise und Leopard. Herodots Erzählung könne im Gegenzug eine Parallele im indischen Epos Mahabharata finden, das ebenfalls von goldgrabenden Ameisen berichtet. HENNIG 1930 plädiert wiederum für sogenannte Bobaks, eine Art Murmeltier. Festzuhalten bleibt bei diesen und weiteren Interpretationen das gleiche methodische Dilemma unsicherer Quellen und Schlussfolgerungen, das bereits Arrian beschäftigte. Im Gegensatz zu dem antiken Historiographen scheint jedoch durch den Vergleich zu lokalen Quellen eine größere Sicherheit im Umgang mit den Ameisen gewonnen worden zu sein. Zu fragen bleibt, ob es sich hierbei lediglich um eine trügerische Sicherheit handelt. 51 Dies scheint im Übrigen auch trotz der Negierung von Topoi, wie im Fall Arrians, zu gelten, der den Gemeinplatz ja dennoch anführt.
Bemerkungen zur Topik als unvermeidbarem Element antiker Geschichtsschreibung
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Interpretationsleistung des Autors, die seine Erzählung in vielen Bereichen zur Thesen- und Meinungsliteratur machte. In der Konsequenz bedeutete ein hinreichender Wahrheitsbegriff eine Pluralität an Perspektiven, die einen Konsens der Positionen grundsätzlich ausschloss. Antike Geschichtsschreibung erweist sich damit als Gattung, die auf Dissens beruht. Anhand der Beschreibung Indiens durch den Alexander-Historiographen Arrian lässt sich in dieser Hinsicht exemplarisch das Dilemma der antiken Geschichtsschreibung aufzeigen. Sie stützte die Zuverlässigkeit ihres Stoffes maßgeblich auf Autopsieberichte. Die Beschreibung Arrians von den goldgrabenden Ameisen Indiens führt allerdings die Probleme dieser Methode vor Augen. Die Tiere muteten derart fabelhaft an, dass sich ihre Existenz nicht eindeutig verifizieren ließ und es dadurch zu einer allgemeinen Skepsis gegenüber den Augenzeugen kam. Die Einschätzung der Berichte durch den Historiographen konnte lediglich auf einem Wahrscheinlichkeitsschluss beruhen. Dennoch war Arrian genötigt, sich mit dem Topos der goldgrabenden Ameisen auseinanderzusetzen, obgleich er einen gewissen Missmut ob der Aufnahme dieser Erzählung in seine Darstellung deutlich verbalisierte. Als Gemeinplatz diskursiven Wissens über Indien wurde die Behandlung dieses Gegenstandes zwingend erwartet. Die goldgrabenden Ameisen mussten daher in einer Darstellung des antiken Indien in jedem Fall ihren Platz finden. Arrian konnte jedoch zumindest seinen Unmut bekunden, dass er den Erzählungen der Gewährsmänner skeptisch gegenüberstehe. Methodisch waren ihm jedoch Grenzen gesetzt, die der Historiograph selbst formuliert. Die Unsicherheit antiker Geschichtsschreibung und das Dilemma einer herodoteischen ἱστορίη verleiten Arrian zu einer selbst wieder topisch anmutenden Rechtfertigung von Dingen, die sich der logischen Schlussfolgerung entziehen (ἄτοπος): „Was auch immer man an Ungewöhnlichem zusammenlügen mag, es wird von niemandem exakt überprüft werden.“ 52 Dr. phil. Alexander Free, Historisches Seminar, Alte Geschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München, Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München
52 Arr. an. 5,4,3: ὅσα ἂν ἄτοπα ψεύσωνται, οὐκ ἐξελεγχθησόμενα πρὸς οὐδαμῶν. Vgl. dazu Anm. 47. (Ü.d.A.)
HERODOT, SISAMNES UND DER TOPOS DER GRAUSAMEN PERSISCHEN MONARCHIE Julian Degen Die Bedeutung von Herodots Historien für die althistorische Beschäftigung mit dem achaimenidischen Imperium vermag man kaum zu überschätzen. Schließlich ist das Werk des Halikarnassiers oft unser einziges Licht auf die frühpersische Geschichte, ohne das eine Vielzahl an Informationen zu den altpersischen Dynastien der Teispiden und Achaimeniden wohl für immer im Dunkeln läge. 1 In diesem Zusammenhang aber wiegt der Umstand schwer, dass der pater historiae weniger eine historisch-ethnographische Dokumentation der Oikumene als Ziel verfolgte, als vielmehr eine mehrdimensionale und verwobene Darstellung der Beziehungen der ägäischen Welten zu den Kulturen Altvorderasiens. 2 Rezente Studien betonen in ihren Ergebnissen die Verwobenheit der asiatischen mit der griechischen Geschichte in den Historien, weshalb für ein tiefgreifendes Verständnis des herodoteischen Werks stets ein Auge auf den „Westen“ und eines auf den „Osten“ gerichtet sein muss. 3 Auf diese Weise werden neue Impulse für die zentrale Debatte in der Herodot-Forschung geliefert, die um die Frage kreist, wieviel Glaubwürdigkeit Herodot als Autor verdient. Obwohl sich die akademische Beschäftigung mit dieser Frage mittlerweile in einem kaum mehr überschaubaren Maß verkompliziert hat, lassen sich nach wie vor einige bislang wenig beachtete Themenfelder finden. Die Beschäftigung mit Herodot und seiner Welt ist deshalb noch lange nicht an ihr Ende gelangt. Obwohl Gelehrte von immer neuen Perspektiven aus auf die Historien blicken, weckte physische Gewalt als ubiquitäres Phänomen bei Herodot nur marginales Interesse in der Forschung. Zwar nahmen sich in letzter Zeit vermehrt Studien der Thematik Gewalt im breiten Feld der Altertumswissenschaften an, aber es liegen *
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Ich bin Robert Rollinger (Innsbruck) zu Dank für seine Durchsicht meiner Übersetzungen verpflichtet. Die verbliebenden Fehler sind meine. Folgende wiederkehrende Abkürzungen werden benutzt: ap. = Altpersisch; CAD = Mult. (Hrsg.), Chicago Assyrian Dictionary, Chicago, 1956–2010; RIMA = Mult. (Hrsg.), Royal Inscriptions of Mesopotamia Assyrian Periods, Winona Lake, IN; RINAP = Mult. (Hrsg.), Royal Inscriptions Neo-Assyrian Period, Winona Lake, IN. Zur Einteilung der persischen Geschichte in Achaimeniden und Teispiden siehe die Debatte ROLLINGER 1998a; JACOBS 2011; HENKELMAN 2011. Zur Bedeutung von Herodot als Quelle für die Geschichte des persischen Imperiums siehe die Einschätzung der Standardwerke KUHRT 2007; WIESEHÖFER 2005; BRIANT 2002. ROLLINGER/TRUSCHNEGG/BICHLER 2011. DEGEN/ROLLINGER 2019; DEGEN 2019; DEGEN 2017; KLINKOTT 2017; PANIANO 2003; ROLLINGER 2018; ROLLINGER 2014A; ROLLINGER 2012; SCHWAB 2017.
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nur wenige Arbeiten zur Rolle von Gewalt für Herodots Darstellung der Perser vor. 4 Von besonderer Bedeutung ist die literarische Verarbeitung von physischer Gewalt durch die antiken Historiographen zu so genannten Gewaltdarstellungen. Letzteren kommt im Werk des Halikarnassiers eine zweifache Bedeutung zu. Erstens werden basierend auf Herodots literarischer Verarbeitung von Gewalt immer noch moderne Urteile über historische Personen gefällt. 5 Zweitens zeigen die antiken Autoren ein reges Interesse an seinen Gewaltdarstellungen, die sie zur Ausmalung von Topoi für ihre Werke übernahmen. 6 Von besonderen Interesse sind die detailreichen und episodenhaften Beschreibungen von Gewalt, wofür Martin Zimmermann die Bezeichnung „extreme Formen von Gewalt“ gefunden hat. Mit diesen auffallenden Gewaltdarstellungen wollten die antiken Autoren die Transgression von Normen und Werten anhand der Gewaltausübung von Tätern kommunizieren. 7 Auf diese Weise bekommt Gewalt in der griechisch-römischen Historiographie die Funktion eines Instrumentes zur Publikumssteuerung, worin so genannte Topoi eine entscheidende Rolle spielen. Da unsere griechisch-römischen Quellen ein negatives Bild von den persischen Großkönigen anhand von extremen Formen von Gewalt zeichnen, liegt die Existenz des Topos des grausamen persischen Herrschers nahe. Ein wesentlicher Bestandteil des Letzteren sind Episoden in denen der persische Großkönig seine Untertanen häuten lässt. Aufgrund der häufigen Erwähnungen der Gewaltdarstellung kommt ihr in den Werken der griechisch-römischen Autoren die Bedeutung als festes literarisches Beschreibungselement in den Perserbildern zu. 8 In diesem Zusammenhang nimmt die Sisamnes-Episode bei Herodot als erste Erwähnung dieser Bestrafungsmethode für die Werke späterer Autoren eine Vorbildrolle ein. Ziel dieser Studie ist es anhand von Herodots Erzählung über Sisamnes die Konstruktion des Topos der grausamen persischen Monarchie anhand der Gewaltdarstellung „Häuten“ sowohl in einer griechisch-römischen als auch altorientalischen Perspektive nachzugehen.
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Ein Forschungsüberblick ist GILHAUS 2017. Spezialstudien zu Herodot sind ROLLINGER/DEGEN 2020a; MCPHEE 2018; KLINKOTT 2017; DARAYEE 2016; ROLLINGER 2014; SCHWINGHAMMER 2011a; SCHWINGHAMMER 2011b; ROLLINGER 2010; JACOBS 2009; LINCOLN 2007; LARSON 2006; STRID 2006; PARKER 2004; ROLLINGER 2004; DEPUYDT 1995; AMELING 1986; BROWN 1982. Vgl. das Kambyses-Bild der modernen Forschung: HINZ 1976–1980 (Negativbewertung auf Basis der Historien) contra KUHRT/SANCISI-WEERDENBURG 1999 (Neubewertung durch Vergleich mit ägyptischen Quellen). ZIMMERMANN 2013, 140. ZIMMERMANN 2009a, 155–156; 160–161; 190–192. Hdt. 5,25; Ktes. F 9 (6); F 9a; F 16 (66); F 26 (17, 7) nach STRONK 2010; Diod. 15,10,1; Val. Max. 6 ext. 3; Plut. Art. 17,5–6.
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DER ENGERE KONTEXT: KAMBYSES UND SISAMNES BEI HERODOT Wesentlich für Herodots Darstellung der persischen Großkönige ist die Art und Weise, wie sie physische Gewalt anordnen oder auch selbst ausführen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Kontextualisierung von Gewaltdarstellungen anhand von vergleichbaren Episoden in den Historien. Letztere bieten eine Fülle an Episoden mit physischer Gewalt, in denen die Griechen am Häufigsten und die Perser am zweithäufigsten als Täter auftreten. 9 Obwohl Herodot sein Werk auf die Ermittlung der Gründe für die Perserkriege sowie auf den Ablauf des Konflikts konzentriert, ist der Grund für die auffallend hohe Gewalttätigkeit der Hellenen und Perser nicht ausschließlich seine Fokussierung auf die beiden Ethnien. Denn durch die Vergleichbarkeit von Gewaltdarstellungen in seinem Werk stellt der Halikarnassier seiner Leserschaft einen moralisch-ethischen Maßstab zur Verfügung, wodurch überhaupt erst eine Beurteilung von physischer Gewalt möglich wird. 10 Ein Beispiel für Vergleichbarkeit in den Historien ist die Paarung vom persischen Großkönig Kambyses II. aus der Dynastie der Teispiden und dem Spartanerkönig Kleomenes I. aus dem Haus der Agiaden. Beide Akteure fallen besonders wegen ihrer despotischen Herrschaftsausübung auf, was durch eine Reihe von symbolträchtigen Gewaltdarstellungen unterstrichen wird. Um die auffällige Verbindung zwischen den zwei Herrschern hervorzuheben, konzentriert sich Herodot auf das Auspeitschen als Bestrafungsmethode. 11 Da Kambyses sowohl die Leiche des Amasis als auch die ägyptischen Priester geißeln lässt, besteht eine auffällige Verbindung zu Kleomenes, der als einziger Grieche in den Historien eine Auspeitschung anordnet. 12 Der Einzelbefund im griechischen Kontext ist von besonderer Bedeutung und erlaubt deshalb die Ermittlung der Autorenperspektive. 13 Schließlich assoziierten die Griechen Geißeln mit despotischer Alleinherrschaft, weshalb bei Herodot beide Monarchen ihren angedachten Handlungsspielraum überdehnten. Dafür spricht, dass im Rechtsverständnis der Athener ausschließlich Sklaven mit 9 ROLLINGER 2010, 563–564 Tabelle 1. 10 ROLLINGER /DEGEN 2020a; ROLLINGER 2004. Zur Vergleichbarkeit von Herodots Beschreibung im Fall von Residenzen mit Herrschaftsformen siehe DEGEN 2017 u. BICHLER 2005. 11 Für den Gesamtbefund von „Auspeitschen/Geißeln“ in den Historien siehe ROLLINGER 2010, 595. 12 Ad Kambyses: Hdt. 3,16 (Leichnam des Amasis); 29 (ägyptische Priester). Ad Kleomenes: Hdt. 6,81 (Priester aus dem Heiligtum der Hera in Argos). 13 Durch die durchgängige Assoziation der persischen Herrscherpraxis mit Auspeitschen, kreiert Herodot das Bild des teispidisch-achaimenidischen Imperiums als despotischer Staat, an dessen Spitze der persische Großkönig als einzig freier Mann über seine unfreien Untertanen herrscht. Zur Dekonstruktion dieser Vorstellung siehe ROLLINGER 2012, 24. Bezüglich Kleomenes’ Anordnung in Hdt. 6, 81 die Priester auspeitschen zu lassen, argumentierte SCOTT 2005, 304 dafür, dass die Stelle lediglich ein weiterer Beleg für eine gängige spartanische Disziplinierungsmethode ist. Dagegen spricht die eindeutige Verbindung von Kleomenes und Kambyses in den Historien, als auch die genauere Inaugenscheinnahme der spartanischen Offiziersausrüstung. Zur Disziplinierung von Soldaten wurde von den Offizieren ein Stock (βακτηρία) und keine Peitsche eingesetzt. Siehe dazu HORNBLOWER 2009.
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der Peitsche bestraft wurden, weshalb sie zumindest im polisinternen Kontext ein wirkungsmächtiges Symbol für Unfreiheit war. 14 Aus diesem Grund stellt die Herrschaftspraxis von Kambyses und Kleomenes im athenischen Rechtsbewusstsein eine Transgression von Normen dar, wodurch die Verwandlung der Monarchen zu Despoten für Herodots Leserschaft begreifbar wird. 15 Schließlich beruhte in den Augen der Athener die Rechtmäßigkeit der Bestrafung ihrer Sklaven durch Auspeitschen auf dem Umstand, dass diese als unfreie Mitglieder des οἶκος der Willkür ihres Hausherren (δεσπότης) ausgesetzt waren. Der große Einfluss dieser Vorstellung auf Herodot geht aus seinem Vergleich zwischen den einzelnen persischen Großkönigen Kyros II., Dareios I. und Kambyses II. hervor. Während die Perser in Kyros einen πατήρ und in Dareios einen κάπηλος sahen, hätten sie sich an Kambyses als ihren δεσπότης erinnert. 16 Aus diesen Gründen ist die Frage nebensächlich, ob Kambyses und Kleomenes tatsächlich ihre Untertanen ausgepeitscht haben oder nicht. Vordergründig sind dagegen die Intentionen, die Herodot als Autor verfolgte, um seinen literarischen Portraits negative Züge durch die erzählerische Inszenierung von Gewalt zu verleihen. Das Beispiel „Auspeitschen“ legt deshalb den Schluss nahe, dass physische Gewalt bei Herodot auch eine Signalfunktion für auktoriale Eingriffe in die Erzählung hat. Die Gewaltdarstellungen in den Historien erlauben nicht nur Vergleiche zwischen einzelnen Herrschaftsformen, sondern stehen auch mit den Sitten und Gebräuchen von Ethnien in Verbindung. Beispielsweise lassen sich in Herodots Welt Formen von Gewalt finden, welche der Halikarnassier vorwiegend mit den Ethnien in Verbindung bringt, die weit von den ägäischen Welten entfernt beheimatet waren. Dabei stellt Hellas nicht den physisch-geographischen Mittelpunkt der herodoteischen Oikumene dar, sondern ihr mental-geographisches Zentrum. 17 Je weiter entfernt eine Ethnie von diesem Referenzpunkt lebt, desto größer sind die Unterschiede in ihren Sitten und Gebräuchen im Vergleich zu den griechischen Welten.18
14 FLAIG 2006, 32; HUNTER 2000, 13. Ein Brief auf einem Stück, welcher in das 4. Jhd. v. Chr. datiert und in Athen gefunden wurde, besitzt einiges an Aussagekraft für die athenische Auffassung von Geißeln. Im Text beschreibt der Sklave Lesis seine widrigen Lebensumstände in einer athenischen Schmiede. „Lesis sendet [ diesen] Brief an Xenokles und an seine Mutter mit der Bitte, unter keinen Umständen zuzulassen, daß er in der Schmiede elend zugrunde geht, sondern bei seinen Herren (δεσπότας) vorstellig zu werden und ein besseres Los für ihn zu finden. Denn ich bin in die Hände eines bösen Mannes gefallen. Ich komme um vor lauter Auspeitschen (μαστιγούμενος ἀπόλλυμαι), liege in Fesseln…“ Übersetzung von HEINRICHS 2006, 59 in der Edition von JORDAN 2000, 94. Obwohl HARVEY 2007 Kritik an der Einordnung des Briefs als Egodokument übt, lässt dieser nichtsdestotrotz an der Assoziation der Peitsche mit Despotie in Athen keinen Zweifel. Das Auspeitschen war in Athen im Wesentlichen den Sklaven vorbehalten: RIESS 2012, 87. Zum Sklavenjungen Lesis: Ebd., 89. 15 In der Forschung wird Kambyses teilweise unterschiedlich bewertet: WATERS 1971 (positiver Kambyses auf Basis von Herodot); BROWN 1982; WATERS 1985; BICHLER 2001, 277 (Betonung der Negativdarstellung bei Herodot); MCPHEE 2018 (werksinterne Mechanismen). 16 Hdt. 3,89,3: … Δαρεῖος μὲν ἦν κάπηλος, Καμβύσης δὲ δεσπότης, Κῦρος δὲ πατήρ… 17 SIEBERER 2017. 18 BICHLER 2004a.
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Herodot benutzt in diesem Zusammenhang Gewaltdarstellungen als wirkungsmächtige Beispiele, um sowohl fremdkulturelle Sitten und Gebräuche darzustellen als auch durch die Sprengung des Rahmen der legitimen Gewaltanwendung, i.e. transgressive Gewalt, sein Publikum zu Bewertungen zu animieren. 19 Schließlich bestimmen in Herodots Ethnographie ausschließlich die jeweiligen kulturellen Gepflogenheiten die Legitimität von physischer Gewalt. 20 In besonderer Weise tritt die Komplexität von Herodots ineinandergreifender Darstellung von fremdkulturellem Verhalten und Bestrafungsmethoden in zwei Fällen hervor, in denen das erzählerische Hauptaugenmerk auf die Häutung von Personen gerichtet ist. Das erste Beispiel stammt aus dem persischen Kontext und ist ein Einzelfall in Herodots persischer Geschichte. Obwohl Kambyses der einzige persische Großkönig ist, der Häutungen anordnet, mindert dieser Umstand in keiner Weise dessen Aussagekraft für Herodots Bild von dem Teispiden. Seiner Schilderung der Folgen des Ionischen Aufstandes fügt der Halikarnassier eine detailliierte Erzählung über die Häutung von Otanes’ Vater Sisamnes an: So sprach Dareios, setzte seinen Stiefbruder Artaphernes zum Statthalter von Sardes ein und zog mit Histiaios ab nach Susa. Zum Feldherrn der Streitkräfte an der Küste ernannte er Otanes. Den Vater dieses Otanes, Sisamnes, der ein Mitglied des königlichen Gerichtshofes gewesen war, hatte König Kambyses die Kehle durchschneiden und ihm die ganze Haut abziehen lassen; denn jener hatte sich bestechen lassen, ein ungerechtes Urteil zu fällen. Aus der Haut ließ Kambyses Riemen schneiden und überspannte damit den Sessel, auf dem er saß, wenn er Recht sprach. An Stelle dieses Sisamnes, den er hatte töten und schinden lassen, setzte Kambyses darauf dessen Sohn als Richter ein und mahnte ihn zu bedenken, auf welch einem Sessel er zu Gericht sitze. 21
Lassen wir den genauen Vorgang der Häutung zunächst noch unkommentiert und stellen diese Episode innerhalb der Historien in ihren größeren Zusammenhang. Grund für die Bestrafung war ein ungerechtes Urteil, das Sisamnes als persischer Richter gefällt hatte. Um die Schwere des Verbrechens einzuschätzen, sind zwei Details aus den Abschnitten der Historien, die über die persische Gesellschaft handeln, von entscheidender Bedeutung. Zum einen erklärt Herodot an einer anderen 19 ZIMMERMANN 2009b, 42: „Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang Schilderungen extremer Gewalt, denn sie lassen die Grenzen erkennen, innerhalb derer Gewalt akzeptiert wurde. Diese Grenzen verdeutlichen, […] den Bestand moralisch-ethischer, politischer und sozialer Ordnungsmuster einer Gesellschaft […] Daher sind Berichte, in denen Gewaltakte als Transgression rechtlicher, moralischer oder politisch gesetzter Schranken einer geschildert werden, durch Ekel, Grauen, Horror und Entsetzen gekennzeichnet.“ 20 Diese Vorstellung führt Herodot in 3,38 anhand des berühmten Pindar-Zitats νόμος ὁ πάντων βασιλεὺς θνατῶν τε καὶ ἀθανάτων (F 136 = Plat. Gorg. 484 B) aus. Dazu KINGSLEY 2018. 21 Hdt. 5,25: ταῦτα Δαρεῖος εἴπας, καὶ καταστήσας Ἀρταφρένεα ἀδελφεὸν ἑωυτοῦ ὁμοπάτριον ὕπαρχον εἶναι Σαρδίων, ἀπήλαυνε ἐς Σοῦσα ἅμα ἀγόμενος Ἱστιαῖον, Ὀτάνεα δὲ ἀποδέξας στρατηγὸν εἶναι τῶν παραθαλασσίων ἀνδρῶν: τοῦ τὸν πατέρα Σισάμνην βασιλεὺς Καμβύσης γενόμενον τῶν βασιληίων δικαστέων, ὅτι ἐπὶ χρήμασι δίκην ἄδικον ἐδίκασε, σφάξας ἀπέδειρε πᾶσαν τὴν ἀνθρωπέην, σπαδίξας δὲ αὐτοῦ τὸ δέρμα ἱμάντας ἐξ αὐτοῦ ἔταμε καὶ ἐνέτεινε τὸν θρόνον ἐς τὸν ἵζων ἐδίκαζε: ἐντανύσας δὲ ὁ Καμβύσης ἀπέδεξε δικαστὴν εἶναι ἀντὶ τοῦ Σισάμνεω, τὸν ἀποκτείνας ἀπέδειρε, τὸν παῖδα τοῦ Σισάμνεω, ἐντειλάμενός οἱ μεμνῆσθαι ἐν τῷ κατίζων θρόνῳ δικάζει. Übers. n. J. Feix mit leichten Veränderungen durch den Autor.
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Stelle, dass die persischen Richter ihr Amt entweder lebenslang ausüben oder bis sie des Amtsmissbrauches überführt werden. 22 Zum anderen erwähnt er bei einem früheren Exkurs über die Sitten und Gebräuche der Perser deren drei Kardinaltugenden. Laut dem Halikarnassier liegen die Schwerpunkte der persischen Erziehung auf dem Reiten, dem Bogenschießen und darin, die Wahrheit zu sagen. 23 Ziehen wir diese beiden Informationen in Betracht, dann rechtfertigen diese auf den ersten Blick das Urteil des Kambyses aufgrund von Sisamnes’ Missachtung von fundamentalen Grundsätzen der persischen Gesellschaft. Von nicht unerheblicher Bedeutung ist in diesem Fall aber die Tatsache, dass die Details aus Herodots Ethnographie mit der Herrscherideologie der Achaimeniden übereinstimmen. 24 In ihren Inschriften präsentieren die persischen Großkönige die Wahrheit (ap. arta-) als ein ideologisiertes Konzept, dessen Gegenpart die dämonisierte Lüge (ap. drauga-) ist. 25 In der Vorstellungswelt der achaimenidischen Herrscherideologie hat Sisamnes durch seinen Amtsmissbrauch die von der höchsten persischen Gottheit Ahuramazdā erschaffene Weltordnung gestört, weshalb es die Pflicht des persischen Großkönigs ist, gegen ihn vorzugehen. 26 Nichtsdestotrotz ist ein zweiter genauer Blick in die Historien notwendig, um die gesamte Komplexität der Sisamnes-Episode zu verstehen. An einer anderen Stelle über die Gesetze der Perser erklärt Herodot, dass nicht einmal der Großkönig das Recht hat, einen Menschen wegen eines Verbrechens ohne genaue Prüfung zu töten oder hart zu strafen. 27 Was Herodot an dieser Stelle als einen νόμος der Perser bezeichnet, lässt sich in der Auflistung der großköniglichen Tugenden in der Grabinschrift des Dareios I. wiederfinden. 28 Aus diesem Grund wiegt der Umstand schwer, dass in den Historien nichts auf eine Untersuchung des Amtsmissbrauchs von Sisamnes hinweist, weshalb die Hinrichtung des persischen Richters einem Willkürakt gleichkommt. 29 Alles führt daher zu dem Schluss, dass Kambyses’ Auftreten in der Sisamnes-Episode nicht nur den persischen Gesetzen des herodoteischen Kosmos widerspricht, sondern auch im Gegensatz zum achaimenidischen Herrscherideal steht.
22 Hdt. 3,31. 23 Hdt. 1,136,2. 24 Siehe dazu die untere Inschrift am Grab von Dareios I. in Našh-i Rustam (DNb [ap.]): §2 B–E: „Nach dem Willen Ahuramzadas bin ich solcherart, daß ich dem Recht(en) freund bin, dem Unrecht(en) (aber) nicht freund bin.“ DNb (ap.) § 9 C–D: „als Reiter bin ich ein guter Reiter; als Bogenschütze bin ich ein guter Bogenschütze, sowohl zu Fuß wie auch zu Pferd.“ Übers. u. Edition SCHMITT 2009, 106 u. 109. Zu Herodots guten Kenntnissen der altpersischen Herrscherideologie siehe ROLLINGER 2018; ROLLINGER 2014a; SCHWAB 2017. 25 ROLLINGER 2014b, 157; SCHWINGHAMMER 2011a; BRIANT 2002, 126–127; 241. 26 SCHWINGHAMMER 2011b; LINCOLN 2007, 83–96. 27 Hdt. 1,137. 28 DNb (ap.) § 5: m-⸢r⸣-t-i-y : t-y : p-r-i-y : m-r-t-i-y-m : θ-a-t-i-y : a-v : m-a-m : n-i-y : v-r-n-v-ti-y : y-a-t-a : u-b-a-n-a-m : ḫ-du-u-g-a-m : a-x-š-n-u-⸢v⸣-i-y : „Was ein Mann über einen (anderen) Mann sagt, das überzeugt mich nicht, bis ich den Bericht (die Aussage) beider höre.“ Übers. u. Edition SCHMITT 2009, 107. 29 ROLLINGER 2010, 578: „Der Großkönig hält sich hier jedenfalls nicht an die vorgeblich eigenen Normen.“
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In diesem Zusammenhang fällt auch das Fehlen einer rechtfertigenden Erklärung für die Häutung des Sisamnes sowohl in den Historien als auch in den persischen Herrscherinschriften auf. Schließlich geht aus der berühmten Behistun-Inschrift des Achaimeniden Dareios I. hervor, dass das Abschneiden von Ohren, der Nase oder das Ausstechen eines Auges und die anschließende öffentliche Zurschaustellung des Hingerichteten durch Pfählen die Strafen waren, welche den Delinquenten in einem genuin persischen Kontext mit drauga- in Verbindung brachten.30 Über die Bedeutung dieser Bestrafungspraktik besaß Herodot intime Kenntnisse, wie die Details seiner Episode über den Perser Zopyros verdeutlichen. Dieser stieg wegen seines selbstlosen Einsatzes für Dareios I. während der Belagerung von Babylon in den Kreis der einflussreichsten Perser auf. Um die Eroberung der Stadt zu ermöglichen, habe sich Zopyros dazu entschlossen, als Abtrünniger scheinbar von den Persern zu den Babyloniern überzulaufen und dadurch deren Verteidigung zu manipulieren. Für Glaubwürdigkeit an seinem Vorhaben sorgte Zopyros’ Selbstverstümmelung durch das Abschneiden seiner Nase, wodurch für die Babylonier auch kein Grund für Vorbehalte bestand. 31 Letztere Episode zerstreut somit jeden Zweifel an Herodots vorhandenen Kenntnissen von der Bedeutung der persischen Bestrafungsmethode. Da sich die Häutung des Sisamnes weder durch die Historien noch durch die achaimenidischen Quellen erklären lässt, ist ein genauer Blick auf den zweiten Fall einer Häutung in Herodots Werk notwendig. Letzterer lässt sich in der Beschreibung der skythischen Kriegersitten finden: Im Krieg haben sie folgende Sitten: Jeder Skythe trinkt vom Blut seines ersten erlegten Feindes. Die Köpfe aller, die er im Kampf tötet, bringt er dem König. Wenn er einen Kopf abliefert, erhält er einen Beuteanteil, sonst nicht. Sie ziehen den Köpfen die Haut ab, indem sie rings um die Ohren einen Einschnitt machen, dann die Haare fassen und den Kopf herausschütteln. Nachdem sie das Fleisch mit einer Rinderrippe abgekratzt haben, gerben sie die Haut mit den Händen. Wenn sie weich geknetet ist, gebrauchen sie sie als Handtuch. Der Reiter knüpft die Haut an die Zügel seines Reitpferdes und prahlt damit. Wer nämlich die meisten Handtücher aus Menschenhaut aufweist, gilt als der Tapferste. Viele von ihnen machen aus den abgezogenen Häuten sogar Kleider, indem sie diese wie die Hirtenkleider aus Ziegenfellen zusammennähen. Manche ziehen auch die Haut von der rechten Hand ihrer gefallenen Feinde samt den Fingernägeln ab und fertigen Überzüge für ihre Köcher daraus an. Tatsächlich war die Menschenhaut fest und glänzend, von allen Häuten fast am glänzendsten in ihrer weißen Farbe. Viele Skythen ziehen sogar ganzen Menschen die Haut ab, spannen sie auf Holz und nehmen sie auf ihren Pferden mit. 32
30 SCHWINGHAMMER 2011a; SCHWINGHAMMER 2011b. 31 Hdt. 3,153–158. 32 Hdt. 4,64: τὰ δ᾽ ἐς πόλεμον ἔχοντα ὧδέ σφι διακέαται: ἐπεὰν τὸν πρῶτον ἄνδρα καταβάλῃ ἀνὴρ Σκύθης, τοῦ αἵματος ἐμπίνει, ὅσους δ᾽ ἂν φονεύσῃ ἐν τῇ μάχῃ, τούτων τὰς κεφαλὰς ἀποφέρει τῷ βασιλέι. ἀπενείκας μὲν γὰρ κεφαλὴν τῆς ληίης μεταλαμβάνει τὴν ἂν λάβωσι, μὴ ἐνείκας δὲ οὔ. ἀποδείρει δὲ αὐτὴν τρόπῳ τοιῷδε: περιταμὼν κύκλῳ περὶ τὰ ὦτα καὶ λαβόμενος τῆς κεφαλῆς ἐκσείει, μετὰ δὲ σαρκίσας βοὸς πλευρῇ δέψει τῇσι χερσί, ὀργάσας δὲ αὐτὸ ἅτε χειρόμακτρον ἔκτηται, ἐκ δὲ τῶν χαλινῶν τοῦ ἵππου τὸν αὐτὸς ἐλαύνει, ἐκ τούτου ἐξάπτει καὶ ἀγάλλεται: ὃς γὰρ ἂν πλεῖστα δέρματα χειρόμακτρα ἔχῃ, ἀνὴρ ἄριστος οὗτος κέκριται. πολλοὶ δὲ αὐτῶν ἐκ τῶν ἀποδερμάτων καὶ χλαίνας ἐπείνυσθαι ποιεῦσι, συρράπτοντες κατά περ βαίτας.
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Obwohl sich die skythische Praktik von der persischen dahingehend unterscheidet, dass die eine auf die Gewinnung von Siegeszeichen gerichtet und die andere eine Bestrafungsmethode ist, erfolgen aber beide post mortem und verfolgen möglichst große Öffentlichkeitswirksamkeit als Ziel. Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Praktiken ist das Konservieren der Haut durch Gerben, um diese überhaupt zur Schau stellen zu können. Aufgrund der großen Ähnlichkeit der Praktiken können wir davon ausgehen, dass Herodot bewusst darauf abzielte, die persische Bestrafungsmethode mit der skythischen Kriegersitte gleich zu setzen. 33 Dieser Umstand wirkt sich daher auf die Interpretation der Sisamnes-Episode aus. Schließlich verortet Herodot das Häuten als kulturelle Gepflogenheit bei den Skythen, die zwar direkte Nachbarn der ägäischen Welten sind, aber in seinen Augen aufgrund ihrer Lebensweise einen Gegenpart zu seiner eigenen Lebenswelt darstellen. Obwohl der Halikarnassier speziell den Athenern in manchen Abschnitten seines Skythenlogos den Spiegel vorhält, lässt sich diese Gewaltdarstellung in seinem Werk nicht in einen griechischen Zusammenhang einordnen. 34 Da die verschiedenen Ethnien der Skythen alle am Rande der herodoteischen Oikumene beheimatet sind und aufgrund des dort herrschenden rauen Klimas sich in ihren kulturellen Gebräuchen von den Griechen unterscheiden, versinnbildlichen diese in der herodoteische Ethnographie in vielerlei Hinsicht extreme kulturelle Rohheit und Grausamkeit. 35 Durch die Assoziation der persischen Strafpraktik mit den skythischen Kriegersitten bewertet Herodot die Bestrafung von Sisamnes durch Kambyses als einen grausamen Akt, der nur bei den Skythen, und dort auch nur in einem anderen Kontext, legitim wäre. Der einzige Unterschied zwischen der Sisamnes-Episode und den skythischen Kriegersitten besteht in der Legitimität beziehungsweise Transgression der Gewaltausübung. Während das Abziehen und öffentliche Zur-Schau-Stellen der Haut von Feinden den kulturellen Gepflogenheiten der Skythen entspricht, gibt es in den Historien keinen einzigen Hinweis, der für die Legitimität von Häutungen bei den Persern spricht. Somit ist in Herodots Welt die Bestrafung des Sisamnes exzeptionell und stellt eine Transgression von Werten dar, durch welche der Autor seiner Leserschaft Kambyses als grausamen Despoten präsentiert. Für die Stichhaltigkeit dieser Beweisführung spricht, dass Herodot Kenntnisse über die einzige in der griechischen Welt verortete Häutung hatte und diese bewusst ausklammerte. Bei seiner Beschreibung der Polis Kelainai kommt er auf einen dort ausgestellten Lederschlauch zu sprechen, welcher angeblich aus der Haut des Marsyas hergestellt worden sei. 36 Da Herodot an keiner anderen Stelle seiner Historien die berühmte Häu-
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πολλοὶ δὲ ἀνδρῶν ἐχθρῶν τὰς δεξιὰς χεῖρας νεκρῶν ἐόντων ἀποδείραντες αὐτοῖσι ὄνυξι καλύπτρας τῶν φαρετρέων ποιεῦνται. δέρμα δὲ ἀνθρώπου καὶ παχὺ καὶ λαμπρὸν ἦν ἄρα, σχεδὸν δερμάτων πάντων λαμπρότατον λευκότητι. πολλοὶ δὲ καὶ ὅλους ἄνδρας ἐκδείραντες καὶ διατείναντες ἐπὶ ξύλων ἐπ᾽ ἵππων περιφέρουσι. Übers. n. J. Feix. Zur Verteidigung des realhistorischen Gehalts der skythischen kulturellen Gepflogenheiten siehe ASHERI/LLOYD/CORCELLA 2007, 628–629 u. SCHUOL 2017. HARTOG 1988. BICHLER 2001, 35–38; 69–73. Hdt. 7,26,3.
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tung des Satyrs erwähnt, liegt der Schluss nahe, dass der Autor diese Bestrafungsmethode ausschließlich mit nichtgriechischen Ethnien in Verbindung brachte. Dadurch bestätigt der Halikarnassier in der Sisamnes-Episode seiner Leserschaft nochmals den bereits gewonnen Eindruck von Kambyses als gewalttätigstem Despot seiner Historien, der sogar die Freveltaten des Xerxes in den Schatten stellt.37 Alles führt daher zu dem Schluss, dass die Komplexität der Sisamnes-Episode sich nicht nur auf den griechischen Diskurs über Herrschaftsformen reduzieren lässt, sondern auch eine deutlich erkennbare ethnische Bedeutungsdimension besitzt. HÄUTEN ALS PERSISCHE FORM DER GEWALT IN DER GRIECHISCHRÖMISCHEN LITERATUR 38 An Bedeutung gewinnt die Sisamnes-Episode im Hinblick auf ihre Rolle als stereotypisches Vorbild für die Perserbilder in der postherodoteischen Historiographie. Ktesias, Diodor, Valerius Maximus und Plutarch sahen in Anlehnung an die Historien das Häuten als transgressive Form von Gewalt an, mit welcher sie die Stigmatisierung der persischen Hofgesellschaft als grausam beabsichtigten. Wie wirkungsmächtig speziell Herodots Sisamnes-Episode für die späteren Autoren war, zeigt deren Erwähnung bei Diodor und Valerius Maximus, wo sie in beiden Fällen das Bild der grausamen persischen Monarchie evoziert. 39 Bereits im geringen zeitlichen Abstand zu Herodot galt das Häuten schon als nicht mehr weg zu denkendes Beispiel für die Grausamkeit der achaimenidischen Hofgesellschaft. Diesen Eindruck vermitteln insbesondere die erhaltenen Fragmente des Werks von Ktesias von Knidos (FGrH 688). 40 Für die Bruchstücke seiner Assyriaka und Persika ist die tendenziöse Darstellung sowohl von Asiens Geschichte als auch von der persischen Kultur charakteristisch, in der Stereotype eine große Rolle spielen. 41 Obwohl Ktesias behauptete, als Arzt am achaimenidischen Hof intime Informationen über die persische Hofgesellschaft erworben zu haben, ist die Präsentation von Persien und den Persern aber an Herodots Historien orientiert, mit welchen der Knidier recht frei umging. 42 Genauso wie Herodot verortet
37 Eine Auflistung von Gewaltdarstellungen, die Kambyses anordnete oder selbst begangen hat ist ROLLINGER 2010, 568 Tabelle 5. Zu Herodots Darstellung von Xerxes siehe ROLLINGER /DEGEN 2020b. 38 Die hier verwendeten Begriffe „Topos“ und „Stereotyp“ richten sich nach den Definitionen der thematischen Einführung des vorliegenden Bandes von Michael Zerjadtke, S. 11–26. 39 Diod. 15,10,1 (Kontextualisierung der Episode in die Regierungszeit von Artaxerxes II.); Val. Max. 6 ext. 3. 40 Die maßgeblichen Ausgaben der Fragmente mit Kommentar sind STRONK 2010 u. LENFANT 2004. 41 MADREITER 2012; WIESEHÖFER 2011; WIESEHÖFER/ROLLINGER/LANFRANCHI 2011. 42 Ad Ktesias und Herodot: BICHLER 2011; ders. 2004b. Obwohl die Onomastik in seinem Werk durchaus für Detailwissen spricht (MADREITER 2012, 43–49; SCHMITT 2011), überwiegt die stereotypische Darstellung der persischen Hofgesellschaft, siehe dazu WIESEHÖFER 2011.
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auch Ktesias Häutungen am persischen Hof, aber wie die zwei Fälle aus den erhaltenen Fragmenten zeigen, war diese Gewaltdarstellung darauf ausgelegt, die Grausamkeit persischer Hofintrigen zu illustrieren. Im ersten Fall lässt die medische Gemahlin des Kyros Amytis den Eunuchen Petesakes bei lebendigem Leib häuten und anschließend pfählen. 43 Das zweite Beispiel handelt von Bagapates (auch Mesabates), der deshalb Berühmtheit errungen hatte, weil er den Kopf und eine Hand von der Leiche Kyros’ des Jüngeren abtrennte. 44 Aus diesem Grund verlieh dessen Mutter Parysatis ihren Rachegefühlen dadurch Ausdruck, indem sie Bagapates in Babylon häuten und anschließend pfählen ließ. 45 Aller Wahrscheinlichkeit nach sah auch Ktesias’ Zeitgenosse Xenophon das Häuten als Form von transgressiver Gewalt an, wofür das generelle Ausklammern von asiatischen Bestrafungsmethoden in seiner Kyroupaidia spricht. Die Erzählung über Parysatis und Mesabates ist auch ein Bestandteil von Plutarchs Biographie des Artaxerxes I. Ob Plutarch die Persika des Ktesias an dieser Stelle als Quelle benutzte oder nicht, lässt sich nicht zweifelsfrei klären. Für die Annahme, dass der belesene Autor der Zweiten Sophistik einer anderen Vorlage folgte, sprechen sowohl der auffallende Detailreichtum seiner Schilderung, als auch die geänderte Rahmenhandlung. In seiner anekdotenhaften Erzählung gewinnt Patysatis durch ihren Sieg in einem Würfelspiel gegen Artaxerxes II. das Recht, einen seiner Eunuchen auszuwählen und über diesen frei zu verfügen. Sie wählte Mesabates, welchen die Königsmutter daraufhin lebendig häuten, seine Leiche pfählen und die Haut zu einem Teil aufspannen ließ. 46 Dem Schluss der Episode fügt Plutarch die Bemerkung hinzu, dass diese und andere Taten von Patysatis in seinen Augen grausam und gesetzeswidrig (ὠμῶς καὶ παρανόμως) seien. 47 Plutarchs Schilderung des Schicksals von Mesabates verdeutlicht, dass spätestens im 2. Jhd. n. Chr. die Häutung als extreme Form von Gewalt ein fester Bestandteil in den griechisch-römischen Vorstellungen vom Achaimenidenhof war. Anhand dieses Panoramas lässt sich feststellen, dass bereits in Herodots Historien der Typus des grausamen persischen Herrschers zu finden ist, der seine Untertanen willkürlich häuten lässt. 48 Die Erwähnung der Sisamnes-Episode in den Wer-
43 Ktes. F 9 (6); F 9a nach STRONK 2010. 44 Die unterschiedlichen Namen für ein und dieselbe Person gehen laut SCHMITT (2006, 156) auf die unterschiedliche Wiedergabe von Laut für Laut des altpersischen Namens *Baga-pātā- zurück. 45 Ktes. F 16 (66); F 26 (17, 7) nach STRONK 2010. 46 Plut. Art. 17,5. 47 Plut. Art. 17,6. Siehe dazu die Warnung von BINDER (2008, 257), aus der Stelle nicht den Rückschluss zu ziehen, dass die achaimenidische Hofgesellschaft grausamer gewesen wäre als andere. 48 BICHLER (2001, 359) wählte zur Beschreibung den Begriff „Typus“, den er bei der Diskussion einer anderen Stelle der Historien (7, 114) näher ausführt: „Der Typus des ‚orientalischen‘ Despoten, der seine Gegner vorzugsweise pfählen oder an Nase und Ohren verstümmeln läßt, erhält ein weibliches Gegenstück. Wie sein männliches Pendant demonstriert es die große Nähe, in die hellenische Gewaltherrscher – oder fallweise eben auch Herrscherinnen – zu die-
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ken späterer Autoren zeigt, dass die anekdotenhafte Erzählung zum festen Bestandteil der antiken literarischen Beschäftigung mit dem Perserreich zählte. In diesem Fall können wir vom Topos des persischen Herrschers sprechen, der seine Untertanen auf grausame Weise bestrafen lässt, wofür sich das Häuten als Beispiel eignete. Zu einem nicht geringen Maß dürfte dieser Umstand auf Herodots Autoritätsstatus für die antike Literatur bezüglich Persien und den Persern zurückzuführen sein.49 Die Entwicklung des Motives des persischen Willkürherrschers, der seine Untertanen häuten lässt, zu einem frei adaptierbaren Topos belegt schließlich Diodors Einordnung der Sisamnes-Episode in einen späteren persischen Kontext. Andere Autoren, wie etwa Ktesias und Plutarch, berichten ebenso über die Gewaltdarstellung „Häutung“, aber ihre Erzählungen weisen im Gegensatz zur Sisamnes-Episode sowohl einen größeren Detailreichtum auf, als auch eine geänderte Täterschaft. In ihren Werken ist der Topos der grausamen persischen Monarchie als Musterbeispiel zur Darstellung der achaimenidischen Hofgesellschaft zu finden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie hoch der realhistorische Gehalt der Gewaltdarstellung „Häutung“ in der griechisch-römischen Literatur einzuschätzen ist. Betrachten wir zu diesem Zweck die bereits behandelten Episoden durch die Vergleichsfolie keilschriftlicher Quellen aus dem 1. Jahrtausend v. Chr. DER WEITERE KONTEXT: HÄUTEN ALS ALTORIENTALISCHE BETRAFUNGSMETHODE Ergebnisse der rezenten Forschung betonen die Kontinuitäten von Strategien zur Repräsentation und Legitimation von Herrschaft der altorientalischen Imperien des 1. Jahrtausends v. Chr. bis in die teispidisch-achaimenidische Zeit. 50 Durch das Einordnen der wenigen autochthonen persischen Herrscherinschriften in einen größeren altorientalischen Kontext lassen sich neue Hintergründe gewinnen, vor welchen der hohe Quellenwert einiger Passagen aus der griechischen Historiographie erst erkennbar wird. 51 Letzterer Umstand trifft besonders auf Gewaltdarstellungen zu, denn wir finden einige Formen von Gewalt in neuassyrischen Herrscherinschriften
sem Typus barbarischer Brutalität treten können.“ Ausführlich dazu BICHLER 2007. Zum ethnographischen Typus, BICHLER 2001, 43 ad Hdt. 3,100: „Daß sie (scil. die Argippaier) keine Häuser bauen, entspricht dem Bild der Argippaier, gehört aber schon zum Typus der Primitivität.“ Dagegen verzichtet Herodot, laut Reinhold BICHLER, in den Historien sowohl auf einen „Amazonen-Typus“ (54), als auch auf einen „Typus des nackten Wilden“ (45). Ein weiteres Beispiel für einen solchen „Typus“ sind die Tyrannen bei Herodot, die ihre schwangeren Frauen misshandeln, siehe dazu AMELING 1986. 49 PRIESTLEY/ZALI 2016; BICHLER/ROLLINGER 2000, 114–119. 50 DANDAMAYEV 1997; DEGEN 2020a; HEAD 2010; JURSA 2013; ders. 2007; ROLLINGER 2018; ders. 2017; ders. 2016; ders. 2014a; ders. 2014b. 51 DEGEN 2020b; ders. 2019; KLINKOTT 2017; ROLLINGER 2018; SCHWAB 2017; SCHMITT 1988.
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wieder, welche die griechischen Autoren vorwiegend mit den persischen Großkönigen in Verbindung bringen. 52 Die Ausweitung unseres Betrachtungswinkels auf den altorientalischen Kontext der achaimenidischen Herrscherinschriften ist in diesem Fall der Schlüssel zum Verständnis des Verhältnisses der Großkönige zu physischer Gewalt. Der Umstand, dass die Achaimeniden eine Darstellungskonvention für ihre monumentale Repräsentation wählten, welche für die Wiedergabe von Gewalt nicht geeignet war, beweist deshalb in keiner Weise deren Friedfertigkeit. 53 Im Gegensatz dazu präsentieren nämlich andere Medien, wie etwa Siegel aus dem royalen und elitären Kontext, den Großkönig beim Besiegen von Feinden, wobei die Darstellung von Gewalt die martialischen Fähigkeiten des Herrschers unterstreicht. 54 Im Kontrast dazu steht die monumentale Repräsentation der neuassyrischen Herrscher. Bereits ein flüchtiger Blick in die Vorstellungswelt der neuassyrischen Inschriften erweckt den Eindruck, dass alle nur vorstellbaren Formen von Gewalt darin zur Sprache kommen. Aber auf diese Weise erhalten wir weniger einen stichhaltigen Beweis für die im Vergleich zu anderen antiken Herrschern als beispiellos erscheinende Grausamkeit der neuassyrischen Könige. Vielmehr erfahren wir, dass es in der assyrischen Herrscherrepräsentation eine hohe Legitimität der Bestrafung von Feinden mit extremen Formen von Gewalt gab. 55 Außerdem darf die Vielzahl an unterschiedlichen Bestrafungsmethoden nicht zu dem Schluss führen, dass die neuassyrischen Herrscher willkürlich gegen Übeltäter und Feinde vorgingen. 56 Bei genauer Inaugenscheinnahme der Kontexte der Gewaltdarstellung fällt auf, dass der Grund für die Vielzahl der Formen von Gewalt die große Vielfalt an Vergehen gegen den assyrischen Herrscher ist. Durch die spezifischen Bestrafungen für bestimmte Vergehen waren die königlichen Bestrafungsmethoden für ein assyrisches Publikum nachvollziehbar. 57 In diesem Zusammenhang hatte das Häuten von Delinquenten einen besonderen kommunikativen Wert für den assyrischen König. Beispielhaften Charakter besitzt die Darstellung von Kundibḫalê, dem König des Landes Katmuḫu, das während des 11./10. Jhds. von Assyrien abfiel und bis zum Feldzug von Aššur-dān II. (934–912) seine Souveränität behaupten konnte. 58 Von entscheidender Bedeutung ist die Stigmatisierung von Kundibḫalê zu einem Frevler bei der ersten Erwähnung seines Aufstandes im assyrischen Feldzugsbericht.
52 ROLLINGER 2010. Das betrifft besonders das Pfählen, siehe dazu KLINKOTT 2017; JACOBS 2009, 127–142. 53 JACOBS 2009. 54 XIN 2014; BRIANT 2002, 215 Abb. 18a–18f. 55 FUCHS 2009, passim, bes. 115–116. 56 Eine Auflistung einiger neuassyrischer Bestrafungspraktiken bietet ROLLINGER 2010, 601– 609. 57 RADNER 2015. 58 FRAHM 2017, 167–168.
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Kundibḫalê, [König des Landes Katmuḫu, ... rebellierte und] Abgaben (und) Tribut für [Aššur, meinen Herrn, verweigerte er ...] hochmütig [...] zu dem Gott Adad [und ...] ich bot auf [meine Truppen...] 59
Der Vorwurf, den Tribut für den assyrischen Hauptgott Aššur verweigert und hochmütig (ṣīrāte) über die Götter gesprochen zu haben, rechtfertigte in der Vorstellungswelt der assyrischen Herrscherinschriften nach der Eroberung von Katmuḫu folgende Bestrafung: Kundi[bḫal]ê, König des Landes Katmuḫu, [brachte ich in nach Assyrien,] in der Stadt Arbela wahrlich häutete ich ihn und überzog mit seiner Haut die Stadtmauer. 60
Ganz ähnlich wie in Herodots Beschreibungen der Sisamnes-Episode und der skythischen Kriegersitte ließ auch der assyrische König die abgezogene Haut von Kundibḫalê zum Zweck der Zurschaustellung konservieren. Dafür spricht das lexikalische Bedeutungsspektrum des entscheidenden Begriffs mašku, der nicht nur Haut, sondern auch gegerbtes Leder bedeutet. 61 Auf diese Weise erzielte die öffentlich an der Stadtmauer zur Schau gestellte Haut des besiegten Aufständischen eine hohe Abschreckungswirkung. 62 Letzteres verdeutlicht die Inszenierung des Sieges von Aššurnaṣirpal II. (883–859) über den von Aḫi-iababa geführten Aufstand der Stadt Sūru in seinem Feldzugsbericht. Nachdem er dank der göttlichen Führung die Aufständischen besiegt und einen neuen Provinzvorsteher (šaknu) eingesetzt hatte, wurden die Leichen der Besiegten in abschreckender Weise vor der Stadt und im restlichen Reich zur Schau gestellt. 63 Ich errichtete einen Leichenhaufen vor seinem Stadttor, ich häutete alle Anführer, die gegen mich rebellierten und überzog den Haufen mit ihren Häuten. Einige warf ich aufgepfählt mitten auf den Haufen, andere setzte ich auf Pfähle auf den Haufen, wiederum andere platzierte ich kreisförmig auf Pfählen um den Haufen herum. Viele häutete ich im Bereich meines Landes. Mit ihren Häuten bezog ich die Stadtmauern. Was die Eunuchen des Königs, die Frevler, betrifft, ihr Fleisch zerschnitt ich. Ich brachte Aḫi-iababa nach Niniveh, häutete ihn, mit seiner Haut bezog ich die Stadtmauern. Triumph und Stärke markierte ich im Lande Laqû. 64
59 RIMA 2 Aššur-dān II 2, 17’–22’: m⸢ku⸣-un-da-ab-ḫa-le-⸢e⸣ [šar KUR.kat-mu-ḫi ...] ⸢GUN⸣ mada-tu a-na [...] ṣi-ra-a-te i-na x [...] ⸢ša⸣ dIŠKUR ⸢ù⸣ [...] ad-ki [...] x [...]. Übers. Verfasser. 60 RIMA 2 Aššur-dān II 1, i 39’–41’: m]ku-un-di-⸢ib⸣-[ḫa]-⸢le⸣-e MAN KUR.kat-mu-ḫi [a-na KUR aš-šur ub-la i-na] arba-ìl lu ⸢a-ku⸣-[uṣ] KUŠ-šu [BÀD ša URU.x]-x-na-áš ⸢ú⸣-ḫa-al-lip. Übers. Verfasser. 61 CAD Ṣ s.v. mašku: „1. skin, 2. (raw) hide, leather (tanned), 3. leather in synecdochic use, 4. rind; from OAkk. on;” Siehe auch ROLLINGER/WIESEHÖFER 2012, 506. 62 RADNER 2015, 121–122. Generell zur hohen Bedeutung des topographischen Aspekts von Gewaltdarstellungen siehe RIESS 2016. 63 RIMA 2 Ashurnasirpal II 001, i 75’–89’. Siehe dazu die Besprechung in RADNER 2015, 107– 108. 64 RIMA 2 Ashurnasirpal II 1, i 89’–94a’: a-si-tu ina pu-ut KÁ.GAL-šú ar-ṣip LÚ.GAL.MEŠ am-mar ib-bal-ki-tu-ni a-ku-ṣu KUŠ.MEŠ-šú-nu a-si-tu ú-ḫal-lip a-nu-te ina lìb-bi a-si-te úma-gigi a-nu-te ina UGU i-si-te ina zi-qi-be ú-za-qip an-nu-te ina bat-tu-bat-ti šá a-si-te ina zi-qi-be ú-šal-bi ma-aʾ-du-te ina pi-rík KUR-ia a-ku-ṣu KUŠ.MEŠ-šú-nu BÀD.MEŠ-ni ú-ḫallip šá LÚ.šá-SAG.MEŠ šá LÚ.šá-SAG MAN.MEŠ-ni EN ḫi-i-ṭí UZU.MEŠ-šú-nu ú-ba-tiq ma-
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Die beiden Beispiele verdeutlichen, dass Häuten eine typische Bestrafung war, welche den Delinquenten publikumswirksam als einen frevlerischen Aufständischen zu erkennen gab. In diesem Zusammenhang sind die kontrastierenden Darstellungen der beiden Konfliktparteien in den Herrscherinschriften von besonderer Bedeutung. Dem von den Göttern auserwählten assyrischen Herrscher stehen frevlerische Rebellen gegenüber, die nicht nur dem assyrischen König Widerstand leisten, sondern auch den Göttern ihre Achtung versagen, weshalb die Wiederherstellung der assyrischen Macht mit der Verteidigung der göttlichen Ordnung einhergeht. 65 In den ohnehin formelhaften neuassyrischen Inschriften ist die Erwähnung der Bestrafung durch Häuten daher ein festes Beschreibungselement von Feldzugsberichten gegen Rebellen, wofür sich aber ganz im Gegensatz zum Pfählen kein Beispiel im praktizierten Recht finden lässt. 66 Beispielsweise charakterisierte über 200 Jahre nach Aššur-dān II. das Königsprisma von Sanherib (705–680) den Feind des assyrischen Königs Kirūa, der nach der Niederschlagung seiner Rebellion in Niniveh gehäutet wurde, als einen von seinen Göttern verlassenen Aufständischen. 67 Im Eponymat des Šulmu-Bēl, Statthalter der Stadt Tamusu, hetzte Kirūa, bēl ali von Illunru, der (einst) als Sklave mein Antlitz schaute, den (inzwischen) seine Götter verlassen hatten, die Menschen von Ḫilakku zur Rebellion auf und versammelte (sie) zur Schlacht. 68
Die Fälle von Häutungen in der gut dokumentierten Regierungszeit von Sanheribs Enkel Aššurbanipal bestätigen, dass in den Vorstellungswelten der assyrischen Herrscherinschriften diese Bestrafungsmethode die Antwort auf Rebellion und blasphemisches Verhalten war. 69 Aus diesem Grund kommt dem Häuten im assyrischen Kontext eine zweifache Bedeutung zu. Zum einen handelt es sich um eine Bestrafungsmethode, die ausschließlich in den Propagandatexten der neuassyrischen Herrscher fassbar ist. Aus diesem Grund lässt sich plausibel die Erwartungshaltung an einen assyrischen Herrscher vermuten, die Haut der frevlerischen Rebellen öffentlich zur Schau zu stellen, um im eigenen kulturellen Kontext als erfolgreich zu gelten. Zum anderen stellt die Gewaltdarstellung des Häutens auf einer rein literarischen Ebene ein festes Beschreibungselement in Feldzugsberichten gegen frevlerische Aufständische dar, weshalb hierfür die Bezeichnung Topos auf einer literarischen Ebene nicht fehl am Platz ist.
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ḫi-ia-ba-ba ana URU.ni-nu-a ub-la-šu a-ku-su KUŠ-šú BÀD šá URU.ni-nu-a ú-ḫal-lip li-ta ù dan-na-ni UGU KUR.la-qe-e al-ta-kan. Übers. Verfasser. DEGEN 2019; FUCHS 2011; PARPOLA 2010, 35–36; PARPOLA 1999; ODED 1992, 145–162. Zum formelhaften Charakter neu-assyrischer Inschriften siehe PARKER 2011, 359–364; PARPOLA 2010, 36–39; HOLLOWAY 2002, 178–193; VAN DE MIEROOP 1999, 76–85; 40–59 u. ODED 1992. Eine Belegsammlung von Häuten im neuassyrischen Kontext ist Rollinger 2010, 605. Zum Pfählen in der Rechtspraxis in neuassyrischer Zeit siehe RADNER 2015, 117–121. RINAP 3 Sennacherib 17, iv 82’–86’. RINAP 3 Sennacherib 17, iv 61’–65’: i-na li-mu mšùl-mu-EN LÚ.GAR.KUR URU.tal-mu-si m ki-ru-a LÚ.EN.URU ša URU.il-lu-ub-ri LÚ.ARAD da-gíl pa-ni-ia ša iz-zi-bu-šu DINGIR.MEŠ-šú ba-ḫu-la-te URU.ḫi-lak-ki uš-bal-kit-ma ik-ṣu-ra ta-ḫa-zu. Übers. Verfasser. RINAP 5 Ashurbanipal: 3, i 91; 4, i 76; 7, ii 44’’; 7, ix 1’; 11, i 134b; 11, x 1 (Rebellion); 3, vi 71; 4, vi 77; 6, vii 29’; 6, ix 8’’; 7, vii 21; 7, viii 75’; 8, x 1’; 36, 1 (Blasphemie); 7, ix 30’’; 8, vii 1’’ (Elamer; Vergeltung für Angriff/Ungehorsam).
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Die Persistenz neuassyrischer Herrschaftspraktiken in späterer Zeit lässt sich nicht nur durch die Orientierung nachfolgender Herrscher am Idealtypus des assyrischen Herrschers erklären, sondern auch durch die fortlaufende intellektuelle Beschäftigung mit ihrer herrschaftlichen Selbstsicht. Assyrische Vorstellungen von Herrschaft lebten beispielsweise durch die mesopotamische Schreiberkultur im persischen Reich weiter. 70 Daneben besaßen auch die postassyrischen Herrscher Kenntnisse von den Inschriften ihrer altorientalischen Vorgänger. Zum Beispiel liegen uns eine Vielzahl antiker Nachrichten über Ehrerweisung älterer Inschriften vor. Aus der Spätphase des neuassyrischen Reichs ist uns durch die Inschriften von Aššurbanipal die Entdeckung älterer Inschriften bei Renovierungsarbeiten bekannt. 71 Aus der persischen Zeit berichtet uns der so genannte Kyros-Zylinder über einen Fund einer Inschrift von Aššurbanipal. 72 Wie vielfältig der Einfluss des assyrisch-babylonischen intellektuellen Erbes auf die Achaimeniden war, zeigt unter anderem das philologische Arrangement ihrer Herrscherinschriften. Letztere waren bis auf wenige Ausnahmen Trilinguen in altpersischer, elamischer und babylonischer Sprache. 73 Dabei handelte es sich weniger um die Übertragung von einem Text in andere Sprachen, als vielmehr um eine Übersetzung in spezifische kulturelle Kontexte. Beispielsweise sind in der babylonischen Fassung der berühmten Behistun-Inschrift Textelemente zu finden, die wir nicht aus dem persischen Kontext kennen, sondern vorwiegend aus dem Assyrischen. 74 Der Einfluss des assyrischen Erbes auf die nachfolgenden altorientalischen Imperien sollte nicht als gering eingestuft werden, wie ein spätantikes Beispiel für die Persistenz der neuassyrischen Bestrafungsmethoden verdeutlicht. Der römische Kaiser Valerian erlitt in der Schlacht von Edessa im Jahr 260 n. Chr. eine verehrende Niederlage gegen den sassanidischen Herrscher Šābuhr I. und wurde daraufhin als Gefangener in den Iran deportiert, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Die Autoren der darüber berichtenden römischen Quellen sind sich einig, dass der Großkönig nach dem Tod die Leiche des Gefangenen häuten und konservieren ließ, um diese anschließend in einem Heiligtum auszustellen. 75 Obwohl wir keine autochthonen Zeugnisse aus dem teispidisch-achaimenidischen Imperium über das Praktizieren von Häutungen besitzen, legen die Gewaltdarstellung in den Werken der griechisch-römischen Autoren die Persistenz der Bestrafungspraktik in persischer Zeit nahe. Die Historiographie ist daher die einzige Quellengattung, die uns über persische Bestrafungsmethoden Auskunft gibt. 76 In 70 SCHAUDIG 2019; WAERZEGGERS 2015; PARPOLA 2010, 39–42; JURSA 2013; ders. 2007. Allgemein zum Fortleben des assyrischen intellektuellen Erbes ROLLINGER/VAN DONGEN 2015. 71 RINAP 4 Ashurbanipal 3, viii 78b; 4, viii 81; 5, v 13; 8, x 13’’. 72 K2.1. Z. 43’ in der Edition von SCHAUDIG 2001, 551–554. 73 TAVENIER 2017; SCHMITT 1998. 74 Das betrifft insbesondere die genauen Angaben über vernichtete Feinde und das Pfählen. Zu Letzteren siehe DB (bab.) §§ 19; 25; 26; 35; 39 in der Edition von MALBRAN-LABAT 1994. 75 Lact. mort. pers. 5,6; Petros Patrikios F 13 M; Malalas (chron. 12,35 = 304 Dind., 3–5). Siehe dazu die ausführliche Besprechung ROLLINGER/WIESEHÖFER 2012. 76 Laut Chares von Mytilene (FGrH 125 F 5 = Athen. 12,35 575A–F) waren Vorhänge und Gemälde wichtige Informationsträger.
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diesem Zusammenhang fällt aber auf, dass die griechischen Autoren die Häutung vor allem im Zuge von persischen Hofintrigen erwähnen und dadurch nicht gemäß der Kontexte wiedergeben, die wir aus neuassyrischen Zeugnissen kennen. Wollen wir den griechischen Darstellungen der achaimenidischen Hofgesellschaft Glauben schenken, dann lässt sich eine Veränderung in der Semantik des Häutens für die persische Zeit attestieren. Während in neuassyrischer Zeit Aufständische gehäutet und gepfählt wurden, scheinen im achaimenidischen Imperium Hofintrigen auf diese Weise bestraft worden zu sein. Für diesen Rückschluss spricht, dass Pfählen die einzige nachweisbare Bestrafungsmethode für Aufständische aus persischer Zeit ist. Ebenso ist von besonderer Bedeutung, dass Ktesias als Opfer der Häutungen ausschließlich Eunuchen nennt. Die griechischen Autoren benennen mit dem Begriff εὐνοῦχος pauschal hochrangige Mitglieder der achaimenidischen Hofgesellschaft, welche durch die Akkumulation von Ämtern entscheidenden Einfluss auf die achaimenidische Thronfolge hatten. 77 Vor diesem Hintergrund gewinnt Ktesias’ Darstellung als Quelle wesentliche Bedeutung, da in den erhaltenen Fragmenten seiner Persika ausschließlich Mitglieder der achaimenidischen Dynastie Eunuchen häuten lassen. Obwohl Ktesias’ Darstellungen von Häutungen somit nicht als rein fiktiv abgetan werden dürfen, stellen sie nichtsdestotrotz Zuspitzungen dar, welche dem Interesse des griechischen Publikums an extremen Formen persischer Gewalt geschuldet war. Dafür spricht, dass sich in den altorientalischen Quellen keine Erwähnung einer Häutung finden lässt, bei welcher der Delinquent am Leben war. Ktesias scheint in dieser Hinsicht die den Griechen aus Herodots SisamnesEpisode bekannte Bestrafungsmethode zusätzliche Grausamkeit verliehen zu haben. ZUSAMMENFASSUNG Der Topos des grausamen persischen Herrschers in der griechischen Historiographie lässt sich als komplexes Phänomen mit realhistorischem Hintergrund erklären. Am Beginn der neuassyrischen Zeit entstand das auf Abschreckung zielende Bild des assyrischen Königs, der Aufständische mittels Häuten und Pfählen bestraft. Obwohl Pfählen sich tatsächlich in der neuassyrischen Rechtspraktik nachweisen lässt, scheint Häuten dagegen ausschließlich für die öffentlichkeitswirksame Bestrafung von Rebellen zur Anwendung gekommen sein. In der Zeit des persischen Imperiums der Teispiden und Achaimeniden wurde die neuassyrische Praktik zwar übernommen, fand aber nicht ihren Weg in die Herrschaftsrepräsentation. Häutungen scheinen dagegen von dieser Zeit an als Bestrafungsmethode für Hofintrigen durch Mitglieder der achaimenidischen Familie am Achaimenidenhof praktiziert worden zu sein. Die griechischen Autoren besaßen Kenntnisse von der altorientalischen Bestrafungspraxis und setzten diese als Gewaltdarstellung intentional ein, um den 77 MADREITER 2012, 52–71; JURSA 2011; PRINGHUBER 2011. Zur Ämterakkumulation siehe die Besprechung der Rolle des ustarbaru in den babylonischen und elamischen Verwaltungstexten in TAVENIER 2014. Zu Hofintrigen und dynastischer Stabilität siehe WIESEHÖFER 1996.
Herodot, Sisamnes und der Topos der grausamen persischen Monarchie
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Charakter der grausamen Willkürherrschaft der teispidisch-achaimenidischen Monarchie zu attestieren. Der in Herodots Historien erstmals auftretende Typus des grausamen Herrschers wurde von Ktesias zu einem widerkehrenden Motiv in den Beschreibungen der achaimenidischen Hofgesellschaft transformiert und fand schließlich seinen Weg als nicht weg zu denkender Topos in die Darstellungen der Perser in der griechisch-römischen Historiographie. Dr. phil. Julian Degen, Institut für klassische Altertumskunde, Abteilung Alte Geschichte, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Leibnizstraße 8, 24118 Kiel
POSTFAKTISCHES BEI PAUSANIAS Ruinen als Zeugnisse für (re)konstruierte Geschichte Jan Köster, Berlin In seinen periegetischen Schriften beschreibt Pausanias Landschaften, Orte und Monumente Griechenlands. Sein Ansatz ist ein klar retrospektiver, der die ferne, als ruhmreich empfundene Vergangenheit, insbesondere die Archaik in den Vordergrund rückt. Eine Faszination, ja Sehnsucht für alles Heilige und Altehrwürdige spricht aus seinen Worten. Die Vergangenheit erscheint übergroß und vorbildhaft, gegenüber der die Gegenwart ernüchtern muss. 1 Sein Werk ist keine Gesamtdarstellung, sondern eine Selektion der Dinge und Ereignisse, die er für erwähnenswert erachtete. 2 Der große zeitliche Abstand von mehr als 500 Jahren zwischen Pausanias und dem Gegenstand seines primären Interesses macht seine Ausführungen naturgemäß anfällig für Ungenauigkeiten, spätere Erfindungen und falsche Assoziationen. So sehr sein Werk als ‚Fundgrube‘ insbesondere von Archäologen geschätzt wird, so sehr war man auch bemüht, diese Fehler aufzuspüren und zu korrigieren. Dieses Vorgehen birgt allerdings das Risiko, Pausanias’ Werk auf einen reinen Reiseführer zu reduzieren. Das wäre aber ebenso falsch, wie Herodot als einen Historiker im modernen Wortsinn aufzufassen. Pausanias geht es um mehr als das bloße Beschreiben oder Erzählen, es geht um das Nachspüren von Erinnerungen und den Geist der vergangenen Zeit: James Porter spricht in diesem Zusammenhang treffend davon, dass für Pausanias Landschaften und Monumente Texte seien, die gelesen werden müssten 3 – Pausanias als Vorleser, der seinem Leser hilft, die Geschichte eines Ortes zu entziffern. Dabei gilt es nach Christian Habicht zwei gleichrangige Ebenen zu beachten, die der logoi (das Überlieferte) und die der theoremata (das Sichtbare, physisch Greifbare). 4 Das Mit-, Neben- und Gegeneinander dieser beiden Ebenen bestimmen das Werk des Pausanias. Im Idealfall ergänzen sie sich, in anderen Fällen stehen sie im
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Mit dieser Haltung steht Pausanias freilich nicht allein. Sie wird nirgendwo so klar zum Ausdruck gebracht wie bei Dion, der sich in die Aussage versteigt, dass es für eine Stadt besser sei, in alter Zeit zerstört worden zu sein, anstatt ruhmlos bis in die Gegenwart zu existieren. Dion Chrys. 31,159. PORTER 2001, 67; 75f. „Pausanias scans the landscape and reads it for the traces of memory it contains: sites encountered become texts to be read, while encountered texts (inscriptions, oral histories, miracles, marvels, poetic accounts) are transformed into sites of memory.“ PORTER 2001, 69. HABICHT 1985, 33.
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Widerspruch zueinander. Diese Synergien und Spannungen durchziehen seine Ausführungen und machen sicher auch einen Teil ihres Reizes aus. Auf manche Unstimmigkeiten weist Pausanias selbst hin, andere scheinen ihm hingegen nicht bewusst zu sein – oder er ignoriert sie absichtlich. Der skizzierte Mechanismus lässt sich an vielen Stellen beobachten. Exemplarisch soll er im Folgenden anhand von Zeugnissen der Perserkriege näher betrachtet werden. Denn hier treffen wirkmächtige Topoi, die sich aus Überlieferungen speisen, in besonders starker Form auf das von Pausanias Gesehene. PAUSANIAS’ WAHRNEHMUNG VON ZEUGNISSEN DER PERSERKRIEGE Pausanias kommt in seinem Werk des Öfteren auf die Perserkriege zu sprechen, wenn auch seltener, als man in Anbetracht seiner Vorliebe für die ruhmreiche Vergangenheit Griechenlands vielleicht erwarten würde. Von einer besonderen Obsession für die Perserkriege kann keine Rede sein. Vermeintlichen Artefakten begegnet er zuweilen sogar durchaus skeptisch, was sich z.B. während seines Besuchs der Athener Akropolis beobachten lässt. Auf seinem Rundgang beschreibt er mehrere alte Votivgaben, darunter auch Relikte der Perserkriege: den Brustpanzer des Masistios und den Dolch des Mardonios. 5 Die Brustplatte betrachtet Pausanias als unproblematisch, da er wisse, 6 dass Masistios von der athenischen Kavallerie bezwungen worden sei. Mardonios sei dagegen von einem Spartaner getötet worden. 7 Die Athener hätten seinen Dolch nach dem Kampf also nicht erbeuten können und die Spartaner hätten ihnen die prestigeträchtige Waffe wohl kaum überlassen – so zumindest die Argumentation des Pausanias. Die Frage, ob der Dolch nun Mardonios gehörte oder nicht, ist dabei müßig und letztendlich irrelevant. Entscheidend
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„In dem Tempel der Polias steht ein hölzerner Hermes […] Von bemerkenswerten Weihgeschenken sind da unter den alten ein Klappstuhl, Werk des Daidalos, und aus der Perserbeute der Panzer des Masistios, der bei Plataeae die Reiterei befehligte, und der angebliche Dolch des Mardonios. Bei Masistios weiß ich, daß er von den athenischen Reitern getötet wurde; da aber Mardionios gegen die Spartaner kämpfte und durch einen Spartaner fiel, können die Athener ihn weder ursprünglich erbeutet haben, noch hätten die Spartaner wohl die Athener den Dolch mitnehmen lassen.“ Paus. 1,27,1. Vermutlich stützt er sein Wissen auf Herodot: „Nach längerem Kampf fand das Gefecht dadurch sein Ende, daß während der Angriffe der Reitergeschwader das Pferd des vorausreitenden Masistios von einem Pfeil in die Rippen getroffen wurde, sich vor Schmerzen bäumte und Masistios abwarf. Sofort fielen die Athener über den am Boden Liegenden her. Sie erbeuteten das Pferd und töteten nach tapferer Gegenwehr mit vieler Mühe den Reiter. Seine Rüstung bestand nämlich aus einem goldenen Schuppenpanzer, über den er ein Pupurkleid gezogen hatte. Die Hiebe auf den Panzer verletzten ihn nicht, bis einer den Grund entdeckte und ihn ins Auge stieß. So fiel und starb denn Masistios.“ Hdt. 9,22. Auch diese Episode findet sich bei Herodot: „Mardonios fiel von der Hand des Arimnestos, eines angesehenen Spartiaten, der nach den Perserkriegen bei Stenykleros mit dreihundert Mann gegen die ganze messenische Heeresmacht kämpfte und samt den dreihundert gefallen ist.“ Hdt. 9,64.
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ist, dass Pausanias die aus seiner Sicht falsche Überlieferung als solche kennzeichnet. Das ist kein Einzelfall, sondern lässt sich auch an anderer Stelle beobachten. So weist er bei der Behandlung der Statue des Oibotas auf die Widersprüchlichkeit der Überlieferung hin und distanziert sich von den Aussagen seiner lokalen Quellen. 8 Wenn Pausanias Unstimmigkeiten dieser Art ausdrücklich benennt und sich gegenüber seinem Leser als kritischer, aufmerksamer Beobachter inszenieren möchte, wird man wohl davon ausgehen dürfen, dass er allem, was er unkommentiert wiedergibt, implizit zustimmt oder es zumindest als unstrittig erachtet. Vor diesem Hintergrund ist es auffallend, wie unkritisch sich Pausanias gegenüber Zeugnissen verhält, die (vermeintliche) physische Spuren der mit ihnen verbundenen Geschichte aufweisen. Zu dieser Gruppe zählen z.B. Athenastatuen, denen er ebenfalls auf der Athener Akropolis begegnete und die von der Zerstörung durch die Perser 480 v. Chr. herrührende Beschädigungen gezeigt hätten. 9 Der scheinbar ungewöhnlichen Brandbeschädigung 10 zum Trotz präsentiert Pausanias die Statuen als Relikte des Angriffs auf die Akropolis. 11 Während die Athener nach Salamis geflohen waren und den Angriff der Perser nur aus der Ferne verfolgen konnten, seien diese Statuen zurückgeblieben und hätten den Angriff gewissermaßen am eigenen Leib erfahren. So wirken sie bei Pausanias wie die eigentlichen Zeugen des Geschehens, wobei die (für jeden) sichtbaren Spuren zum physischen Beweis für die Authentizität seiner Erzählung werden. Diese Gegenüberstellung bewirkt eine scheinbar zwingende Kausalität und eine vermeintliche Objektivierung der Überlieferung. Ob die Beschädigungen tatsächlich von jenem Ereignis herrühren und nicht vielleicht anderen Ursprungs sein könnten, wird von Pausanias nicht diskutiert. Für ihn scheint sich diese Frage überhaupt nicht zu stellen. Die Schäden sprechen gewissermaßen für sich selbst. Logoi und theoremata sind im Einklang.
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„Das Standbild des Oibotas stellten die Achaeer auf Weisung des Apollon in Delphi in der 80. Olympiade auf; der Stadionsieg des Oibotas war an der 6. Olympiade gewesen. Wie kann da nun Oibotas mit den Griechen an der Schlacht bei Plataeae teilgenommen haben? Die Niederlage des Mardonios und der Perser bei Plataeae geschah nämlich in der 75. Olympiade. Ich muß eben das berichten, was von den Griechen gesagt wird, muß aber durchaus nicht alles glauben.“ Paus. 6,3,8. 9 „Es sind da auch alte Athenastatuen, und von ihnen ist nichts abgeschmolzen, nur sind sie schwärzer geworden und weniger widerstandsfähig gegen Stöße. Denn auch sie hat die Flamme berührt, als die Athener auf die Schiffe gegangen waren und der Großkönig die Stadt, die von Erwachsenen leer war, einnahm.“ Paus. 1,27,6. Siehe auch SCHOLL 2010, 255f. 10 Die Beschreibung wirkt in sich widersprüchlich. Schwärzung und eine verringere Widerstandsfähigkeit gegen Stöße sind typische Eigenschaften von Kalkstein bzw. Marmor, der zu großer Hitze ausgesetzt wurde. Der Hinweis, es fehle an Abschmelzungen, spricht aber klar für Bronze. Eventuell waren die Statuen verbeult? 11 Das Motiv der sichtbaren Perserzerstörung erinnert an Herodot: „Die Ketten, mit denen sie gefesselt gewesen, wurden auf der Akropolis aufgehängt und waren noch zu meiner Zeit vorhanden. Sie hingen an einer Mauer, die beim Brande der Akropolis in den Perserkriegen stehen geblieben war, gegenüber dem nach Westen zu gelegenen Tempelhaus.“ Hdt. 5,77,3.
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(RE)KONSTRUIERTE VERGANGENHEIT Pausanias kommt noch an anderer Stelle auf Spuren der Perserzerstörung zu sprechen. Allerdings sind diese nicht immer so klar sichtbar wie im Fall der Athenastatuen. Bemerkenswert und fast ein wenig absurd wirken seine Ausführungen zum Heiligtum von Abai, welches seiner Erzählung nach von Xerxes niedergebrannt worden sei. 12 Schon Herodot hatte Xerxes die Zerstörung von Abai zugeschrieben. 13 Pausanias geht aber über Herodot hinaus. Er führt auch die Zerstörung der Heiligtümer im Umland von Haliartos sowie des Athena- und des Demetertempels in Athen, welche noch immer Spuren des Brandes aufgewiesen hätten, auf die Perser zurück. 14 Dieser kurze Einschub irritiert zunächst, erfüllt aber eine wichtige Funktion: Er soll Pausanias’ Lesern durch ein seiner Meinung nach passendes Vergleichsbeispiel eine Vorstellung des ursprünglichen Schadensbildes vermitteln, welches sich zu seiner Zeit aufgrund späterer Ereignisse offensichtlich schon nicht mehr erkennen ließ (wobei sich die Frage stellt, wie eine ausgebrannte Ruine ein zweites Mal ausbrennen kann). Seine Parallelbeispiele sind nicht unbedingt geschickt gewählt: Das DemeterHeiligtum hatte Pausanias bereits an früherer Stelle erwähnt, 15 ohne allerdings auf irgendwelche Zerstörungen hinzuweisen. Über den Heratempel sagt er, dass er von Mardonios zerstört worden sei und, dass es ihm an Dach sowie Türen fehle. 16 Ohne Dach (und Kultbilder) seien auch die Tempel im Gebiet von Haliartos, 17 Brandschäden erwähnt Pausanias allerdings nicht. Eine Brandzerstörung durch die Perser lässt sich allenfalls aus einer früheren Notiz ableiten, wonach Xerxes das Gebiet
12 „[…] das Heer des Xerxes verbrannte auch das Heiligtum in Abai. Die Griechen, die dem Barbaren Widerstand geleistet hatten, beschlossen, die verbrannten Heiligtümer nicht wieder aufzubauen, sondern für alle Zukunft als Denkmäler des Hasses zu belassen; und deshalb stehen die Tempel des Gebiet von Haliartos und bei Athen der Tempel der Hera an der phalerischen Straße und der der Demeter in Phaleron noch jetzt halbverbrannt da.“ Paus. 10,35,2. 13 „Auf diesem Zerstörungszuge hielten sie sich am Ufer des Kephisos und verbrannten folgende Städte: Drymos, Triteia, Elateia, Hyampolis, Parapotamioi und Abai, wo ein reicher Apollontempel lag mit vielen Schatzhäusern und Weihgeschenken. Es war auch eine Orakelstätte dort, die noch jetzt besteht. Auch dies Heiligtum plünderten und verbrannten sie […]“ Hdt. 8,33. 14 „Das ist nach meiner Meinung damals auch das Aussehen des Heiligtums in Abai gewesen bis zu dem Zeitpunkt, wo die Thebaner im Phokischen Kriege […] das Heiligtum zum zweitenmal also nach den Persern dem Feuer überlieferten; es stand also noch bis zu meiner Zeit ein ganz bescheidener Teil der Gebäude, die die Flamme verzehrt hatte, zuerst im Perserbrand beschädigt und dann vom boeotischen Feuer ganz vernichtet.“ Paus. 10,35,3. 15 Paus. 1,1,4. 16 „Am Weg nach Athen von Phaleron steht ein Heratempel ohne Türen und Dach; den soll Mardonios, der Sohn des Gobryas, verbrannt haben.“ Paus. 1,1,5. 17 Paus. 9,33,4.
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der Haliartier verheert habe. 18 Sehr viel wahrscheinlicher ist allerdings, dass Haliartos nicht durch die Perser, sondern erst 171 v. Chr. im Feldzug der Römer gegen Perseus von Makedonien zerstört wurde. 19 Diese Unstimmigkeiten waren Pausanias entweder nicht bewusst oder sie störten ihn nicht. Tatsächlich geht es an dieser Stelle auch nicht primär darum, das faktische Ausmaß der Perserzerstörung zu skizzieren, vielmehr will er ein bestimmtes Bild vermitteln, um einem bestimmten Topos gerecht zu werden. Da sich die (seiner Ansicht nach) typische Situation einer Tempelruine ohne Dach in Abai nicht mehr vorfinden lässt, musste er sie rekonstruieren. Dies ist mehr als eine Geste gegenüber seinem Leser, es ist der Versuch, die physische Evidenz von Haliartos und Phaleron auf Abai zu übertragen. Das Resultat ist ein konstruiertes Schadensbild mit dem Anstrich des Authentischen. Pausanias erschafft eine künstliche Ruine der Perserzerstörung, die es so nicht mehr gab – und mutmaßlich auch nie gegeben hat. DER EID VON PLATAIAI Haliartos und Phaleron sind nur ein Aspekt der Abai-Episode, ein anderer ist ein angeblicher Beschluss der Griechen, ihre von den Persern niedergebrannten Heiligtümer nicht wiederaufzubauen, womit Pausanias wohl auf den sog. Eid von Plataiai rekurriert. Während der vorherige Vergleich auf das Visuelle abzielt, knüpft die Erwähnung des Eides stärker an das emotionale Moment an. Die Ruine wird geradezu mit Gefühl(en) aufgeladen und in den großen geschichtlichen Rahmen eingebettet. Der Eid von Plataiai gehört zu den eher problematischen Episoden der Perserkriege und war bereits in der Antike Gegenstand von Diskussionen. Mancher, wie Theopomp, lehnte ihn gar als athenische Erfindung ab. 20 Allerdings taucht er bereits bei Herodot auf und ist somit keine Randnotiz späterer Zeit. 21 Was bei Herodot allerdings nicht auftaucht ist eine Eidklausel, die sich auf niedergebrannte Heiligtümer bezieht. Ein solcher Passus, der für Pausanias’ Darstellung essentiell ist, tritt erst bei Isokrates in dessen ideologisch stark aufgeladenen Schriften in Erscheinung. Er behauptet, die Ionier hätten nach der Niederschlagung des Ionischen Aufstands und der Schändung ihrer Heiligtümer geschworen, 22 die Ruinen als Mahnmale für die Nachwelt zu bewahren, um an das frevelhafte Verhalten der Perser zu 18 Paus. 9,32,5. 19 Schon Hitzig hatte darauf hingewiesen, dass Pausanias’ Ausführungen zu Haliartos einige Ungereimtheiten aufwiesen. Er weist darauf hin, dass sich die Region eigentlich Xerxes unterworfen habe. HITZIG 1910, 823. 20 Vgl. SIEWERT 1972, 14f. 21 Auf Grundlage des Eides zieht der Hellenbund nach der Schlacht von Plataiai gegen die Thebaner, die sich mit den Persern verbündet hatten (Hdt. 9.86–88). 22 Herodot überliefert, dass die ionischen Heiligtümer nach Niederschlagung des Ionischen Aufstands 494 v. Chr. von den Persern geplündert und niedergebrannt worden seien (Hdt. 6.32). Zu den Hintergründen des Ionischen Aufstands siehe beispielhaft MURRAY 1988, WALTER
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erinnern. 23 Ein direkter Bezug zu Plataiai scheint zwar nicht gegeben, doch begegnet hier das Motiv eines Eides, die niedergebrannten Tempel in ihrem Zustand zu belassen. Dass es einen solchen Eid der Ionier in dieser Form gegeben hat, ist eher unwahrscheinlich. Zwar zeichnet sich im archäologischen Befund ein durchaus widersprüchliches Bild ab, 24 letztendlich lassen sich aber zu viele Bau- und Wiederherstellungsmaßnahmen in der Zeit nach den Perserkriegen fassen, 25 als dass es ein generelles Neu- oder Wiederaufbauverbot gegeben haben könnte. Es drängt sich die Vermutung auf, dass der von Isokrates abgelehnte Mangel an (finanziellen) Ressourcen der eigentliche (bzw. von seiner Hörerschaft vermutete) Grund und die Schaffung von Mahnmalen nur ein gesichtswahrender Vorwand war. Ob Isokrates selbst schöpferisch tätig geworden ist oder an eine bereits kursierende Erzählung angeknüpft hat, ist schwer zu beurteilen, zumal sein Werk und dessen Motivation nicht unproblematisch sind. 26 Lykurg zitiert in einer seiner Gerichtsreden schließlich eine Fassung des Eids von Plataiai, die einen fast gleich lautenden Passus bezüglich der niedergebrannten Tempel enthält. 27 Lykurg ist wie Isokrates keine neutrale Quelle, 28 es ist aber nur 1993, CAWKWELL 2005, KÖSTER 2020. 23 „Was in unserem Land ist ihnen [den Persern] denn nicht feind – ihnen, die es wagten, im früheren Krieg die Sitze der Götter und die Tempel zu plündern und niederzubrennen? Darum verdienen auch die Ionier Lob, und zwar aus folgendem Grund: Wenn irgendjemand an den niedergebrannten Tempeln etwas änderte oder sie gar wieder restaurieren wollte, wie sie früher waren, verfluchten sie ihn, nicht etwa aus Mangel an Material – nein, diese Tempel sollten für die Nachwelt ein Mahnmal für barbarische Gottlosigkeit sein und keiner sollte den Menschen Vertrauen schenken, die es gewagt hatten, solche Frevel gegenüber den Heiligtümern der Götter zu verüben. Jeder sollte sich vor solchen Menschen in acht nehmen und sie fürchten, wenn er sehen könne, daß die Perser nicht nur gegen uns persönlich, sondern auch gegen Heiligtümer Krieg geführt haben.“ Isokr. or. 4,155–6. 24 Zur archäologischen Problematik der Eidformel: KREUTZ 2001. 25 Beispielhaft sei an dieser Stelle nur das 494 v. Chr. von den Persern zerstörte Milet herausgegriffen (Hdt. 6,18). Dessen zentrales Heiligtum, das Delphinion wurde bereits im 1. Viertel des 5. Jhs. v. Chr. wiederaufgebaut. HERDA 2005, 263. Auch in Athen lassen sich nur wenige Jahre nach Ende der Perserkriege entsprechende Baumaßnahmen greifen. FERRARI 2002, 26. 26 Isokrates’ Rede propagiert die Idee des Panhellenismus, aber es ist ein Panhellenismus unter athenischer Dominanz. Diesen Führungsanspruch zu rechtfertigen, ist eines der Hauptziele von Isokrates. Eine Möglichkeit bestand darin, auf die (echten oder vermeintlichen) Verdienste in den Perserkriegen zu verweisen und das erlittene Unheil durch die Hand der Perser zu überhöhen, um eben jene Verdienste noch wichtiger erscheinen zu lassen. LOW 2018, 457. Insofern müssen aber eben diesen Referenzen mit Vorsicht genossen werden. 27 „Deswegen haben auch, ihr Richter, alle Griechen, welche bereits in Schlachtordnung aufgestellt waren und im Begriff standen, gegen die Streitmacht des Xerxes zu kämpfen, sich untereinander dieses Gelöbnis gegeben, dessen Wortlaut nicht von ihnen selbst erfunden wurde, sondern sie haben die Eidesformel zum Gebrauch genommen, die bei euch in Gebrauch war. […] Ich werde kein einziges der Heiligtümer, die von den Barbaren niedergebrannt und zerstört worden sind, wieder aufbauen, sondern sie als Zeichen der Erinnerung an die frevelhafte Gottlosigkeit der Barbaren für die nachkommenden Generationen zurücklassen.“ Lykurg 80f. 28 So streicht Low heraus, dass Lykurg den Beitrag nicht-athenischer Griechen zum Sieg über die Perser so weit herunterspielt, dass er fast bedeutungslos wird. LOW 2018, 461.
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schwer vorstellbar, dass er die Glaubwürdigkeit seiner Rede vor Gericht riskiert hätte, indem er den Richtern einen frei erfundenen Eid präsentierte, zumal die konkrete Klausel für seine Argumentation ohne Bedeutung war und somit problemlos hätte weggelassen werden können. Dass er dies nicht tat, spricht dafür, dass dieses Motiv ungeachtet seiner Historizität zu Lykurgs Zeiten bereits derart etabliert war, dass Lykurg es bedenkenlos erwähnten konnte (wenn es ihm nicht sogar zum Vorteil gereichte). Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird man von einem gängigen Topos sprechen dürfen. Es war offensichtlich allgemein akzeptiert, dass man Tempel zur Erinnerung an die Perserzerstörung in Ruinen belassen habe. Der vermeintliche Eid war eine willkommene Erklärung für ruinöse Tempel. Während Geldmangel wenig ehrenhaft war, bot das Bild vom Mahnmal eine dem griechischen Selbstbewusstsein zuträgliche Begründung für den beklagenswerten Zustand eines Heiligtums. Insofern ist es nicht überraschend, dass das Motiv nicht verschwindet, sondern mit der Zeit sogar an Strahlkraft gewinnt – sicher auch, weil spätestens zu Beginn des 4. Jh.s v. Chr. die letzten Zeitzeugen der Perserkriege verstorben und einem freieren Umgang mit den Erinnerungen an jene Zeit somit Tür und Tor geöffnet waren. 29 FIKTIVE PERSERZERSTÖRUNG (?) Bei Pausanias ist der Topos so wirkmächtig, dass er dort, wo er auf einen sichtbaren Anhaltspunkt wie einen Brandschaden trifft, sogar ältere, eigentlich stärkere Überlieferungen überlagern kann. Das Beispiel Abai hat bereits gezeigt, wie kreativ Pausanias mit der Perserzerstörung und den damit verbundenen Bildern hantieren konnte. Doch immerhin wurde Abai wohl tatsächlich von den Persern zerstört, auch wenn das zu Pausanias’ Zeiten seinen eigenen Worten zufolge nicht mehr nachvollziehbar war. Es gibt in seinem Werk allerdings auch Nennungen von mutmaßlich fiktiver Perserzerstörung, so etwa bei seinem Exkurs zu Ionien. 30 Pausanias nennt hier Phokaia und Samos als von den Persern sichtbar beschädigte, aber noch immer eindrucksvolle Heiligtümer. Phokaia hatte er bereits an früherer Stelle erwähnt. 31 Pausanias äußert 29 Auch Buchert streicht heraus, dass die Präsenz des Eides in den Quellen späterer Jahrhunderte kein Beleg für die Historizität desselben ist. BUCHERT 2000, 214 f. 30 „Das Land der Ionier besitzt die günstigste Klimamischung und hat auch Heiligtümer, wie es anderswo keine gibt, zuerst das der ephesischen Göttin wegen seiner Größe und seines sonstigen Reichtums, dazu zwei nicht fertiggestellte des Apollon, das in Branchidai im Gebiet von Milet und in Klaros bei Kolophon. Zwei andere Tempel in Ionien sind von den Persern eingeäschert worden, der Heratempel in Samos und in Phokaia der Athenatempel. Ein Wunder waren sie aber auch noch trotz ihrer Beschädigungen durch das Feuer. Freuen kann man sich auch über das Herakleion in Erythrai und den Athenatempel in Priene […]“ Paus. 7,5,4–5. 31 „Das Heiligtum des Apollon Thearios hat, wie sie sagten, Pittheus eingerichtet, und es ist das älteste, das ich sah. Alt ist auch der Athenatempel in Phokaia in Ionien, den der Meder Harpagos einst verbrannte, alt auch in Samos der des Apollon Pythios; sie wurden aber viel später als der troizenische gebaut.“ Paus. 2,31,6.
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sich dort zwar nicht zu noch immer sichtbaren Schäden, erwähnt aber eine Brandzerstörung des Tempels durch den persischen Feldherrn Harpagos. Diese zusätzliche Information erscheint auf den ersten Blick überflüssig. Pausanias berichtet über die Argolis und führt Phokaia lediglich als Beispiel für einen weiteren alten Apollon-Tempel an. Man wird die Aussage daher so verstehen müssen, dass die Erwähnung der Zerstörung durch die Perser das hohe Alter des Heiligtums belegen soll. Denn um von den Persern 494 v. Chr. zerstört worden zu sein, müsste seine Tradition bis in archaische Zeit zurückreichen. Pausanias’ Ausführungen zur Phokaia haben aber schon früh das Misstrauen der Kommentatoren auf sich gezogen. 32 So überliefert Herodot zwar, dass Harpagos Phokaia belagert habe, dieses aber kampflos habe einnehmen können, da die Bevölkerung ihr Heil in der Flucht gesucht hätte. 33 Es fehlt nicht nur die Erwähnung einer Brandzerstörung, auch ereignete sich die Belagerung bereits Mitte des 6. Jh.s v. Chr. als Reaktion auf die Rebellion des Paktyes kurz nach der Eroberung Lydiens durch Kyros. 34 Die berühmte Zerstörung der ionischen Tempel am Ende des Ionischen Aufstandes erfolgte erst 494 v. Chr. Harpagos war zu diesem Zeitpunkt schon verstorben oder zumindest bereits zu alt, als dass er sich an dieser Aktion hätte beteiligen können. 35 Herodot erwähnt einen weiteren persischen Feldherrn namens Harpagos im Zuge der Festsetzung des Histaios, einem der Protagonisten des Ionischen Aufstands. 36 Allerdings tritt dieser in der Folge nicht mehr in Erscheinung. Als Brandstifter Phokaias wird er an keiner Stelle bezeichnet – wie überhaupt nirgendwo eine Zerstörung Phokaias durch die Perser ausdrücklich überliefert wird. Sie lässt sich allenfalls indirekt aus der Äußerung ableiten, dass 494 v. Chr. alle ionischen Tempel niedergebrannt worden seien. 37 Während eine Zerstörung durch die Perser in der Literatur ansonsten unerwähnt bleibt, ist aber ein anderes Ereignis überliefert: Laut Xenophon brannte der AthenaTempel von Phokaia im Jahr 408 infolge eines Blitzschlages ab. 38 Dieser Zwischenfall muss eine gewisse Prominenz in der Wahrnehmung der Zeitgenossen besessen haben, da Xenophon ihn zur Datierung heranzieht. Selbst wenn es also Schäden
32 Vgl. HITZIG 1910, 632 33 „Während nun Harpagos sein Heer zurückzog, zogen die Phokaier ihre Fünzigruderer in See, schifften Kinder, Weiber und alles Hausgerät ein, ebenso die Götterbilder in den Tempeln und die übrigen Weihgeschenke außer Erz-, Marmor- und gemalten Bildern, stiegen dann, nachdem alles an Bord war, selber ein und segelten nach Chios. Das menschenleere Phokaia nahmen die Perser ein.“ Hdt. 1,164,3. 34 Hdt. 1,161–2. 35 Harpagos war bereits ein Erwachsener, als Kyros geboren wurde: Hdt. 1,108,3. Herodot betont, dass es eben dieser Harpagos war, der Phokaia belagerte: Hdt. 1,162. Daher ist es höchstunwahrscheinlich, dass er sich 494 v. Chr. an der Zerstörung der ionischen Tempel beteiligt haben könnte. 36 Hdt. 6,28,2; 6,30,1. 37 Hdt. 6,32. 38 Xen. hell. 1,3,1. Ob der Tempel zu diesem Zeitpunkt in Ruinen lag, geht aus der Stelle nicht hervor. Ein Brand infolge eines Blitzschlages impliziert allerdings brennbares Material und somit eine Renovierung des Baus.
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durch eine wie auch immer geartete persische Brandschatzung an dem Tempel gegeben haben sollte, wäre sie durch das spätere Naturereignis zweifellos verfälscht oder gänzlich unkenntlich gemacht worden. Mit dem gleichen Problem hatte sich Pausanias in Abai konfrontiert gesehen, nur hatte er dort auf die sekundäre Zerstörung ausdrücklich hingewiesen und einen gewissen Aufwand betrieben, um seinem Leser eine Vorstellung des vermeintlichen Aussehens der Perserruine zu vermitteln. Im Fall von Phokaia tut er dies nicht. Nicht weniger problematisch sind seine Ausführungen zu Samos. Herodot sagt über die Samier ausdrücklich, dass sie die einzigen Ionier gewesen seien, deren Tempel von den Persern verschont worden sind, weil sie in der entscheidenden Seeschlacht von Lade die Seiten gewechselt und sich den Persern angeschlossen hätten. 39 Dieser Verrat ist auch Pausanias bekannt. 40 Er erwähnt sogar die elf Schiffskapitäne, die der ionischen Sache treu geblieben seien und welche schon von Herodot genannt wurden. 41 Da ihm dieses Detail bekannt war, erscheint es nur logisch, dass ihm auch die weiteren Aspekte dieser Episode, wie die Schonung der Heiligtümer, bekannt waren. Bezieht sich Pausanias womöglich nicht auf den Ionischen Aufstand, sondern auf eine frühere Episode, nämlich die Eroberung von Samos einige Jahre zuvor?42 Herodot berichtet immerhin von einer Belagerung der Akropolis, verbunden mit Gewalttaten in den Heiligtümern. 43 Von einer Schändung der Heiligtümer ist allerdings keine Rede und würde in diesem Kontext auch keinen Sinn ergeben, da die Ausgangsbedingungen und die Ziele der Perser andere waren, als beim Ionischen Aufstand. Pausanias’ selbstverständlich wirkende Anmerkung, dass der samische Hera-Tempel persische Brandspuren aufweise, findet keinen Halt in der gängigen Überlieferung, und der archäologische Befund zeigt ebenfalls keinerlei Anzeichen
39 „Nach der Seeschlacht bei Milet führten die Phoiniker auf persischen Befehl den Aiakes, Sylosonos Sohn, nach Samos zurück, weil er sich so große Verdienste um Persien erworben hatte. Samos war die einzige unter den von Dareios abgefallenen Städten, der wegen ihrer Abfahrt aus der Seeschlacht weder Stadt noch Heiligtümer verbrannt wurden.“ Hdt. 6,25. 40 Paus. 7,10,1. 41 „Die Samier jedenfalls, so heißt es, hißten, getreu der Verabredung mit Aiakes, die Segel, verließen die Schlachtreihe und segelten nach Samos. Nur elf von ihren Schiffen blieben und nahmen an dem Kampf teil, gegen den Befehl ihrer Feldherren. Wegen dieses Entschlusses wurden die Namen ihrer Führer samt Vatersnamen von der Stadt Samos in eine Säule gemeißelt, als Anerkennung für ihre edle tapfere Gesinnung. Diese Säule steht auf dem Marktplatz. […]“ Hdt. 6,14,2–3. 42 Hdt. 3,139,1. 43 „Als Otanes sah, wie übel man den Persern mitgespielt hatte, vergaß er die Befehle, die ihm Dareios gegeben hatte, daß er nämlich keinen Samier töten oder zum Sklaven machen, sondern die Insel unversehrt dem Syloson übergeben sollte. Daran dachte er nicht mehr, sondern gab Befehl, daß seine Soldaten jeden, den sie fänden, Männer oder Kinder, töten sollten. Ein Teil des Heeres belagerte die Burg, der andere tötete alles, was ihm ihn den Weg kam, auch die, welche sich in die Heiligtümer geflüchtet hatten.“ Hdt. 3,147.
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für eine persische Zerstörung. 44 Wie schon bei Phokaia ist zwar ein genereller Bezug zum Konflikt zwischen Ioniern und Persern gegeben, die Details passen aber nicht. BEFUND UND ÜBERLIEFERUNG Nun wäre es ein Leichtes, Pausanias Unwissenheit, Leichtfertigkeit oder sogar Ignoranz vorzuwerfen und es bei der Feststellung der Fehler zu belassen, doch würde man es sich damit zu einfach machen. Ein einzelner Lapsus kann immer passieren. Dass Pausanias aber gleich zwei Flüchtigkeitsfehler hintereinander unterlaufen sein sollen, ist unwahrscheinlich. Es muss einen anderen Grund geben und der hängt maßgeblich mit der Wahrnehmung des Sichtbaren zusammen 45. Pausanias bezeichnet beide Tempel als Wunder, obwohl sie Spuren der Brandzerstörung aufwiesen. Die Formulierung impliziert eine Autopsie durch den Periegeten. Es ist daher davon auszugehen, dass beide Tempel tatsächlich irgendeine Form von Beschädigungen aufwiesen. Wären diese nicht (mehr) sichtbar gewesen, hätte Pausanias wie im Fall von Abai mit Sicherheit versucht, das Aussehen für seinen Leser zu rekonstruieren. Einen solchen Versuch unternimmt er an dieser Stelle nicht, sondern belässt es bei einer kurzen Erwähnung. Er hat es selbst gesehen, daher muss er es auch nicht diskutieren. Die wie auch immer geartete Beschädigung lässt sich zwar nicht mehr rekonstruieren, es wird sie aber tatsächlich gegeben haben. 46 Sie ist ein theorema, auf das Pausanias reagiert. Nicht die sichtbaren Beschädigungen, sondern seine Assoziation und Deutung sind problematisch. Denn es liegt offensichtlich ein Widerspruch zwischen seiner Interpretation des Befundes als Perserzerstörung und der älteren Überlieferung vor, die ein solches Ereignis nicht kennt, wenn nicht sogar verneint. An anderer Stelle, nämlich bei dem bereits erwähnten Dolch des Mardonios, hatte Pausanias ausdrücklich auf derartige Unstimmigkeiten hingewiesen. Die ihm vor Ort präsentierte Interpretation des Objektes konnte er nicht mit den ihm vertrauten Überlieferungen in Einklang bringen. Er fasste seine Zweifel in deutliche Worte und gab der älteren Tradition den Vorzug. Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Dolch und den Tempeln: der Dolch scheint keinerlei physisch greifbare Details aufgewiesen zu haben, die ihn als dem Mardonios gehörig ausgezeichnet hätten (z. B. in Form 44 Schon Boardman hatte auf die Unmöglichkeit von Pausanias’ Ausführungen zu Samos hingewiesen. BOARDMAN 1959, 200. 45 Hierbei ist zu beachten, dass die „Opsis“, die persönliche visuelle Inspektion des Gegenstandes, schon seit Herodot ein zentrales methodisches Element der antiken Geschichtsschreibung bildet, welchem besonderes Gewicht zukommt. GEHRKE 2010, 25. 46 Angesichts des hohen Alters der Heiligtümer zu Pausanias’ Zeiten wäre es verwunderlich, würde die Bausubstanz infolge von natürlichem Verfall und Unglücken (Blitzschlag, kleinere Brände, Erdbeben etc.) keine Schäden aufweisen. Ihrer Altehrwürdigkeit dürfte ein solch angeschlagener Zustand sogar zuträglich gewesen sein, da sie sich so sichtbar von jüngeren Neubauten, insbesondere jenen der römischen Zeit abhoben.
Postfaktisches bei Pausanias
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einer Inschrift). Es ist einfach nur irgendein Dolch, dem diese Eigenschaft zugesprochen wurde. Anders verhält es sich mit den Athenastatuen. Ihnen wurde nicht einfach nur nachgesagt, dass sie zum Zeitpunkt der Brandzerstörung durch die Perser auf der Akropolis gestanden hätten, sie wiesen vielmehr für jeden sichtbare Beschädigungen auf. Dieser Befund forderte gewissermaßen die Interpretation als Perserzerstörung. Ähnlich verhielt es sich wohl mit den besagten Tempeln. Pausanias – und allem Anschein nach nicht nur er, sondern auch seine Zeitgenossen – hatten eine gewisse Vorstellung, wie eine typische Ruine der Perserkriege auszusehen hatte. Es ist ein diffuses Bild, das sich nur schwer konkretisieren lässt. Lediglich Brandspuren scheinen ein entscheidendes Kriterium gewesen zu sein. 47 Des Weiteren konnten, Pausanias nach zu urteilen, der Ruine Dächer und Türen fehlen, was letztendlich aber, da sie aus brennbarem Holz bestanden, ebenfalls eine Art Brandbeschädigung ist. Vereinzelt wird auch das Fehlen von Kultbildern erwähnt, wobei diese in der gängigen Vorstellung wohl eher von den Persern geraubt bzw. verschleppt denn zerstört worden waren. 48 Es geht also nicht um Details, sondern um den Gesamteindruck der Ruine. Ist dieser stimmig, kann ein solcher Ort eine beeindruckende Symbolkraft entfalten. 49 Das Bild der Ruine als „Mahnmal des Hasses“, das aus einer fiktiven Klausel des Eides von Plataiai resultiert, ist ein gutes Beispiel für diese Strahlkraft. Denn damit ist die emotionale Ebene berührt. Die Ruine wird nicht nur mit Geschichte, sondern auch mit Emotionen aufgeladen. In die Trauer über den Verlust mischen sich Zorn, Trotz und – vor dem Hintergrund des Sieges über die Perser – ein Gefühl des Triumphs. Hierbei muss man sich vergegenwärtigen, dass die Perserkriege ein
47 Rachel Kousser überspitzt es durchaus treffend: „There thus arose in the fourth century, if not earlier, a very consistent and frequently replicated literary discourse linking the ruins to memory, with each smoke-scarred temple functioning as a memorial (hypomnema) to Oriental violence and impiety.“ KOUSSER 2009, 269f. 48 Pausanias berichtet vom Raub des Kultbildes der Artemis im athenischen Brauron, welches später durch Seleukos zurückgegeben worden sei. Paus. 3,16,7–8 (siehe auch Stewart 2008, 591). Weitere prominente Beispiele sind der (vermeintliche) Raub der babylonischen Mardukstatue durch Xerxes (zur Problematik der Episode: ROLLINGER 1998b, 352–355) oder die von Kanachos geschaffene Apollon-Statue, die von den Persern aus dem Tempel von Didyma geraubt und später ebenfalls von Seleukos zurückgebracht worden sein soll. HAHLAND 1964, 142f. 49 So beobachtet Klose mit Blick auf die Wirkkraft von Ruinen in römischer Zeit: „Weitere Quellen der späten Republik und der römischen Kaiserzeit belegen die Vielfältigkeit der möglichen Sinnzuschreibungen an Hinterlassenschaften kriegerischer Auseinandersetzungen. So können Ruinen etwa den Sieg der eigenen Partei oder aber – und allein diese Nuance ist aufschlussreich – die Niederlage des Feindes markieren. [Cic. leg. agr. 1,5] Darüber hinaus konnten einzelne Relikte einer zerstörten Stadt aber auch als Zeichen der Wehrhaftigkeit des Gegners gelten, wodurch die für den militärischen Sieg erforderliche Leistung aufgewertet und anschaulich gemacht wurde [Ios. bell. Iud. 7,1,1].“ KLOSE 2012/2013, 307.
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gesamt-griechisches Ereignis von zeitenüberspannender Bedeutung waren. Das bedeutet, dass eine Perserkiegsruine unweigerlich jeden Menschen, der sich als Grieche verstand, berühren musste 50. Eine (vermeintliche) Tempelruine der Perserzeit war mehr als ein Relikt, nämlich die Verkörperung eines überaus vielschichtigen, wirkmächtigen Topos, dem sich auch Pausanias nicht entziehen konnte. Der Topos war so stark, dass er manche Unstimmigkeiten ohne Weiteres überstrahlen konnte. Das Faktische, dem ohnehin ein modernes und nicht unbedingt antikes Verständnis zugrunde liegt, tritt dabei in den Hintergrund. Wenn ein Bauwerk nach Herodot nicht zerstört wurde, aber typische Zerstörungsspuren aufwies, dann ist nach dem Konzept des Pausanias dem Sichtbaren der Vorzug zu geben: es muss so sein, weil er es so gesehen hat. Es ist gewissermaßen eine Objektivierung der eignen subjektiven Wahrnehmung. Das kann man durchaus mit dem in modernen Debatten beliebten Etikett des „Postfaktischen“ versehen, denn es geht nicht um eine nüchterne Darstellung der Fakten. Stattdessen soll die Gefühlswelt des Publikums durch gefällige oder anrührende Bilder und Topoi bedient werden 51. Pausanias war dabei keineswegs der Erfinder dieser Assoziationen. Angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der er den Tempeln von Phokaia und Samos eine Zerstörung durch die Perser nachsagt, ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Zuschreibung schon lange vor ihm vorgenommen wurde. Gerade im Fall von Samos ist zu bedenken, dass der Verrat bei der Seeschlacht von Lade für die Samier eine Schande gewesen sein dürfte – dies umso mehr, als es den Griechen schließlich gelang, die Perser zu besiegen, und Verbündete der Perser in der Folge mit dem ehrrührigen Status des „Perserfreundes“ leben mussten. Brandschäden im Heiligtum boten die Möglichkeit, Besuchern einen physischen „Beweis“ für den eigenen Kampf gegen die Perser zu präsentieren – denn warum sollten die Perser das Heiligtum zerstört haben, wenn nicht, weil man ihnen tapfer Widerstand geleistet hatte? Es ist nicht auszuschließen, dass Pausanias diese Täuschung aufgrund seiner Herodot-Kenntnis durchschaute, aber bewusst darauf verzichtete, sie offenzulegen. Dass er in seinem Ionien-Exkurs ausdrücklich Samos hervorhob, könnte ein Hinweis darauf sein, dass er hier absichtlich zu Gunsten der Samier handelte. Vielleicht war er aber auch so stark von dem Topos der „Perserruine“ geprägt, dass er die Unstimmigkeiten gar nicht wahrnahm. So oder so zeigt das Beispiel eindrucksvoll, welche Strahlkraft Topoi dieser Art entfalten können. Jan Köster, M.A., TELOTA IT/DH, Corpus Nummorum, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Jägerstraße 22/23, 10117 Berlin
50 Solche identitätsstiftenden Elemente waren gerade für eine kulturelle Gemeinschaft wie die der antiken Griechen von immenser Bedeutung. GEHRKE 2010, 16. 51 Siehe hierzu auch das von Hans-Joachim Gehrke entwickelte Konzept der „intentionalen Geschichte“. GEHRKE 2010.
„WEIL DIE RÖMER GENEIGT WAREN, ALLES ZU GLAUBEN, WAS IHNEN ÜBER DIE KARTHAGER ZUGETRAGEN WURDE“ (VELL. 1,12,2) Eine kritische Untersuchung dreier Aspekte des antiken Karthagerbildes Falk Wackerow Der im Titel zitierte Halbsatz des Velleius Paterculus bringt sehr schön die Hauptproblematik der Karthagerforschung auf den Punkt. Aufgrund der langen Feindschaft und der blutigen Auseinandersetzungen mit den Puniern verwundert das über sie in Rom gezeichnete, überwiegend negative Bild nicht. 1 Die Tendenz zur Dämonisierung des Gegners ist wohl vielmehr eine weit verbreitete, gewissermaßen natürliche Abwehrreaktion in Kriegen, die den Kampf gegen einen entmenschlichten Feind erleichtern sollte. Somit ist ein negatives Feindbild freilich kein Alleinstellungsmerkmal der Punischen Kriege. Man denke nur an die englische Propaganda des Ersten Weltkriegs, in der die Deutschen als Hunnen dargestellt wurden, oder an das „Gespenst des Bolschewismus“ im Nationalsozialismus. Einzigartig ist jedoch die Einseitigkeit der Quellenlage infolge der fehlenden Überlieferung punischer Schriften. Bekanntlich schreibt der Sieger die Geschichte und so haben sich die von Römern und Griechen kolportierten (Vor-) Urteile bezüglich der Karthager über die zeitnahe Historiografie bis in die neuere Forschung gehalten. Die daraus entstandene Verzerrung des Karthagerbildes erschwert die Karthagerforschung bis heute. 2 Spätestens seit Gerhard Waldherr sind viele Karthagertopoi systematisch erfasst und diskutiert, darunter Gier, Händlertum, Grausamkeit und Treulosigkeit. Ebenso hob sein Artikel hervor, welch starken Schwankungen das Karthagerbild zu verschiedenen Zeiten unterlag. Herrschte anfangs die Furcht vor dem fremden Feind, der metus punicus, vor, und wurde er mittels der genannten Vorwürfe verunglimpft, so gab es mit wachsendem zeitlichen Abstand zu den Punischen Kriegen auch andere Stimmen, die sich positiv oder gar bewundernd äußerten. 3 Im Folgenden soll es vor allem um einige Topoi gehen, die bisher in der Forschung wenig Aufmerksamkeit gefunden und bis in heutige Tage keine nennenswerte Kritik erfahren haben: die karthagische Seemacht, die Aussetzungen widerspenstiger Söldner auf einsamen Inseln und die Darstellung des legendären Söldnerführers und Retters von Karthago Xanthippos. Die folgende Untersuchung soll
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BURCK 1943; DUBUISSON 1983; WALDHERR 2000; MODROW 2017. TRAPP 2003. Einen guten Überblick der Rezeptionsgeschichte bietet BOLDER-BOOS 2019. WALDHERR 2000, 205–210. Er übernimmt dabei die von Linda-Marie Günther aufgestellte These, die Antike habe nicht wesentlich zwischen Phöniziern und Karthagern unterschieden.
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zeigen, dass die bisher vielfach in der Forschung gemachten Annahmen auf falschen Quellenaussagen bzw. -deutungen beruhen und das Karthagerbild einer entsprechenden Überarbeitung bedarf. Weiterhin müssen sowohl die mangelnde Neutralität der Quellen wie das unzureichende Wissen ihrer Verfasser bezüglich der innerkarthagischen Verhältnisse herausgestellt werden. Wie eingangs erwähnt, überlebten keinerlei Aufzeichnungen der Karthager, sodass heutige Historiker überwiegend auf propagandistisch gefärbte Berichte der Feindmächte zurückgreifen müssen und nur einige wenige Fragmente prokarthagischer Autoren zur Verfügung haben. 4 Höchstwahrscheinlich besuchte keiner der romfreundlichen Schriftsteller jemals ein feindliches Heerlager oder sprach mit gegnerischen Offizieren und Heerführern. 5 Ihr Wissen hatten sie folglich bestenfalls aus zweiter Hand. Die aussagekräftigsten Quellen für die Auseinandersetzungen zwischen Griechen und Karthagern bzw. Römern und Karthagern sind Polybios, Diodor und Livius. Keiner der drei erlebte den ersten oder zweiten Punischen Krieg, nur Polybios war Zeitund möglicherweise sogar Augenzeuge des Dritten. Wie groß der Einfluss der sog. Hannibalhistoriker Silenos von Kaleakte und Sosylos von Lakedaimon, die Hannibal auf seinen Feldzügen persönlich begleiteten, auf deren Werke war, lässt sich kaum mehr ermessen. 6 Aufgrund der beschriebenen einseitigen Quellenlage und der Voreingenommenheit der prorömischen Autoren ist festzustellen, dass sich in den heute vorhandenen wichtigsten Schriftquellen zu den Punischen Kriegen eine Tendenz erhalten hat, die Karthager negativ darzustellen. DIE SEEMACHT KARTHAGO Karthago gilt basierend auf der Beurteilung des Polybios 7 bis heute unter Historikern als Inbegriff der antiken Seemacht. 8 Quasi alle Darstellungen in der Forschung stimmen darin überein, dass Karthago eine Seemacht mit einer überlegenen Flotte gewesen sei. 9 Darin offenbart sich erneut die Intention der Quellen, es als Widerpart der Landmacht Rom zu charakterisieren. Die im Vergleich zur Schilderung über Aktionen der Landstreitkräfte wenigen Passagen, die sich auf die Flotte beziehen, 4 5 6
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FGrH 174–177. Lediglich Polybios übermittelt an einigen Stellen Informationen, die er von karthagischen Bürgern erhalten haben will (z. B. Pol. 9,25). Diese besitzen allerdings eher den Charakter von Gerüchten und Verleumdungen. Nur wenige Passagen bei den drei Autoren wurden sicher mit Silenos oder Sosylos überein gebracht, vgl. FgrH 176T2f; 176F2; 175F6. SCHMIDT (1991, 20–22) argumentiert gegen MEISTER (1975, 155–159) und eine Identifikation einer unbekannten Quelle bei Polybios mit Silenos. Er stimmt aber mit ihm überein, dass es sich bei der Primärquelle auch nicht um Sosylos handelt. Das Wissen über die anderen prokarthagischen Hannibalhistoriker Chaireas (FGrH 177) und Eumachos von Neapel ist mangels Fragmenten noch geringer. Pol. 6,52,1. Ähnlich HÖCKMANN 2004, 96. MEIJER (2015, 64; 67) spricht von einem Unbesiegbarkeitsmythos und großer Überlegenheit. z. B. MODROW 2017, 71; MEYER 1965, 642; HUSS 1985, 479. Abwägend HOYOS 2015), 23.
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berichten fast ausschließlich von kriegerischen Auseinandersetzungen zur See. Organisatorische Details können nur erahnt werden, der Status der teilnehmenden Seeleute und Soldaten bleibt zumeist völlig im Dunklen. 10 Dies sind wohl auch die Gründe dafür, dass weit weniger Forschungsliteratur zur karthagischen Flotte existiert als zu anderen Themenbereichen des Kosmos Karthago. Das Bild der überlegenen Seemacht Karthago gründet sich unzweifelhaft auf ihre Vorfahren, die Phönizier, und hängt untrennbar mit dem Topos des Fernhändlerstaates zusammen. 11 Seit dem endgültigen Verlust ihrer Unabhängigkeit im sechsten Jahrhundert v. Chr. 12 stellten die Phönizier einen erheblichen Teil der persischen Kriegsflotte. Es ist keine Überraschung, dass ein Verbund von mit dem Seehandel vertrauten Küstenstädten über eine beachtliche Kriegsflotte verfügte. Doch macht dies Phönizien tatsächlich zu einer Seemacht? 13 Man sollte annehmen, eine große Marine verfüge auch über genügend Schlagkraft, Seesiege zu erringen. Dies ist im Falle Phöniziens jedoch eine Falschannahme, was – wie sich weiter unten zeigen wird – auch für Karthago gilt. Für das Invasionsheer des Xerxes stellten die phönizischen Städte angeblich 300 Schiffe. 14 Bei der verheerenden Niederlage von Salamis waren sie die ersten, die zurück nach Asien flohen. Eine bei Diodor überlieferte athenische Inschrift belegt eine weitere große Niederlage der Phönizier unter persischer Flagge gegen die Athener um das Jahr 469. 15 Trotz des immer wieder betonten Kampfgeistes und herausragender nautischer Fähigkeiten unterlagen die Phönizier ihren Gegnern in fast allen Auseinandersetzungen trotz anzunehmender Überzahl. 16 Lediglich die Seeschlachten von Lade 494 und das Patt bei Artemision 480 endeten nicht in einer schweren Niederlage der Perser. Erst in der Schlacht von Knidos 394 konnten sie einen großen Sieg erringen, der allerdings durch die vorzeitige Flucht der spartanischen Verbündeten erleichtert wurde. 17 Während des makedonisch-persischen Krieges kam es nicht zu größeren Auseinandersetzungen zur See. Bei der Belagerung der karthagischen Mutterstadt Tyros 332 war die gemeinsame Kriegführung der phönizischen Städte bereits vorüber. Ein-
10 Obgleich einige Forscher behaupten, nur die größeren Flotten seien nicht ausschließlich von karthagischen Bürgern bemannt worden, z. B. HOYOS 2015, 22. Vgl. die Aufstellung bei AMELING 1993, 195. 11 Mit Recht betont MEIJER (2015, 61f) die Verquickungen von Marine und Handelsflotte. 12 Da sämtliche Datierungen dieses Aufsatzes sich auf vorchristliche Zeit beschränken, wird der Zusatz „v. Chr.“ im restlichen Text weggelassen. 13 Es ist gewagt, von „einem“ Phönizien statt mehrerer lose miteinander verbundener Stadtstaaten zu sprechen, für die historische Zeit spätestens seit der Eroberung durch die Assyrer trifft die Zusammenfassung der phönizischen Städte jedoch zu. Siehe dazu: MOSCATI 1988a, 24f; BONDI 1988. 14 Hdt. 7,89. Die Angaben sind aber zweifellos übertrieben. 15 Diod. 11,62,3. 16 z. B. Hdt. 6,6. Vgl. DELBRÜCK 1920, 95. Nach den Quellen besaß die phönizisch-persische Flotte stets die numerische Überlegenheit über ihre Gegner. 17 vgl. Diod. 14,83,6; Xen. Hell. 4,3,12.
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zelne Kontingente kämpften stattdessen aufseiten Alexanders gegen die Tyrier. Deren Flotte ging zusammen mit der Stadt unter. Dieser kurze Abriss zeigt, dass die Phönizier somit alles andere als erfolgreich in der Seekriegsführung waren. Auch ihre karthagischen Nachfahren waren durch diese Schwäche gekennzeichnet. Evident wurde dies zwar erst mit der Serie großer Niederlagen gegen die Römer im Ersten Punischen Krieg, aber bereits in den Jahrhunderten zuvor war es der karthagischen Marine trotz bester Voraussetzungen schwergefallen, sich gegen ihre Feinde durchzusetzen. Übereinstimmend schildern die Quellen die Karthager als überragende Seeleute, was nicht zuletzt in den waghalsigen Erkundungsfahrten des Hanno und Himilko Bestätigung fand. 18 Auch in den Schlachtberichten findet das nautische Vermögen die Anerkennung der Autoren. 19 Die Lage Karthagos und der Aufbau des weitverzweigten Reiches begünstigten und bedingten den Unterhalt einer starken Kriegsflotte. Über den noch heute sichtbaren, runden Kriegshafen aus der Zeit der Punischen Kriege weiß man recht gut Bescheid: Die Organisation erfolgte von der auf der zentralen Insel gelegenen Admiralität aus, die das Ufer säumenden Bootshäuser waren für etwa 200 Schiffe ausgelegt. 20 Die künstlich angelegte Admiralitätsinsel, die zahlreichen Trockendocks und die Sicherung durch eine doppelte Befestigungsmauer geben Aufschluss über die wichtige Rolle, welche die Marine in den Plänen der karthagischen Obrigkeit über lange Zeit besaß. Trotz eines so gut ausgestatteten Hafens und trotz der mächtigen Kriegsflotte gingen fast alle bedeutenden Seegefechte verloren. Der Kontrast zwischen Aufwand und Ertrag der karthagischen Seepolitik ist evident. Von 30 größeren Auseinandersetzungen zur See in der Zeit zwischen 540 und 147 gewannen die Karthager nur neun. 21 Schon der Sieg in der ersten ungefähr datierbaren Seeschlacht der karthagischen Geschichte bei Alalia wurde unter ausgesprochen günstigen Bedingungen errungen, da die Koalition aus Etruskern und Karthagern ihren phokäischen Gegnern zwei zu eins überlegen war. 22 Auch bei der Belagerung des sizilischen Akragas 406 war die karthagische Flotte wohl zahlenmäßig weit überlegen und erlitt dennoch höhere Verluste. Der erste bedeutende und
18 Von ersterem hat sich ein Bericht erhalten, dazu PICARD 1992. 19 z. B. Pol. 1,27; 46f; 51; 54; Paus. 1,12,5. 20 PICARD 1983, 32–37; HÖCKMANN 2015, 96. Die heute sichtbaren Ausmaße des Hafenbeckens sind jedoch bei weitem nicht ausreichend für eine Anlage dieser Größenordnung. Picard hat zweifellos recht, wenn er schreibt: „Seit mehr als hundert Jahren ist das Problem der Häfen von Karthago für die Archäologen ein Rätsel […].“ AMELING (1993, 199) geht von etwa 150 Schiffen aus. Höckmann weist darauf hin, dass der heute sichtbare Rest der Hafenanlagen den Zustand des Jahres 146 wiedergibt und die (wahrscheinlich größeren) Häfen aus der Großmachtzeit sich nicht erhalten haben. 21 Sowohl Datierungen als auch Ergebnisse einzelner Kämpfe weichen mitunter ab, z. B. bei der Seeschlacht vor Alalia, die um 540 stattfand und mal als Sieg der Karthager und Etrusker, mal als Patt, mal als Sieg der Phokäer dargestellt wurde. Vgl. AMELING 2004, 88; HASE 2004, 71; MOSCATI 1988b, 54; HUSS 1985, 68. Wie HOYOS (2015, 22) zur Einschätzung kommt, die Hälfte sei gewonnen worden, ist nicht nachvollziehbar. 22 Hdt. 1,166f.
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klare Seesieg ereignete sich während des dritten Karthagisch-Sikeliotischen Krieges 397 bei Katane in Ostsizilien. Mit etwa 100 vernichteten feindlichen Schiffen war dieser Sieg einer der größten karthagischen Erfolge zur See überhaupt. Darauf folgte jedoch eine Reihe von Fehlschlägen, die entscheidend zur Niederlage im Krieg beitrugen. Es ist wahrscheinlich, dass diese Misserfolge auch zu einer Abkehr der dualen Strategie des koordinierten Einsatzes von Landheer und Flotte im weiteren Verlauf des Krieges beitrugen, denn für die Zeit von 397 bis 392 finden nur sehr geringe Seestreitkräfte der Karthager Erwähnung. 23 Auch in den darauffolgenden 85 Jahren kam es aus verschiedenen Gründen zu keiner einzigen Seeschlacht, jedoch zu zahlreichen Gefechten zu Lande mit den Sikelioten. Dies zeigt nicht zuletzt, dass den Aktionen der Landstreitkräfte auch in Karthago eine größere Bedeutung beigemessen wurde. Erst in der Auseinandersetzung mit dem syrakusanischen Tyrannen Agathokles 308 ereignete sich ein weiteres Seegefecht, das die Karthager jedoch verloren. Der vorletzte große Seesieg der Karthager ereignete sich rund dreißig Jahre später, als sie dem Epiroten Pyrrhos in der Straße von Messana den Rückweg abschnitten und einen Großteil seiner Flotte versenkten. Mit diesem Erfolg endeten die bewaffneten Konflikte zwischen Griechen und Karthagern, nicht jedoch die karthagische Pechsträhne zur See. Im bald darauf folgenden Ersten Punischen Krieg 24 offenbarte sich die karthagische Schwäche in katastrophalem und kriegsentscheidendem Ausmaß. Bis auf das unbedeutende erste Aufeinandertreffen bei den Liparischen Inseln, in dessen Verlauf die römischen Schiffsbesatzungen panisch und übereilt ihre Schiffe verließen, sodass es gar nicht zu einem Kampf kam, gingen sämtliche Seeschlachten mit Ausnahme derjenigen bei Drepana deutlich verloren. 25 Die Erklärungsversuche der karthagischen Schwäche bzw. römischen Stärke können mangels diesbezüglicher Quellenaussagen nicht über Hypothesen hinausgehen. Bekanntermaßen verlegten sich die in maritimer Kriegsführung unerfahrenen Römer, die bis dato auf die Hilfestellung ihrer Bundesgenossen angewiesen gewesen waren, auf die Verwandlung der Seegefechte in Landgefechte. Dies geschah mittels der corvi genannten Enterbrücken, über die die römischen Legionäre die gegnerischen Schiffe stürmten. 26 Zu welchem Zeitpunkt und aus welchen Gründen diese offenbar äußerst effektiven Instrumente abgeschafft wurden, ist unklar. Die Quellen schweigen sich darüber aus. Die naheliegende Vermutung stark erhöhter Topplastigkeit durch die Brücken, die immense Verluste in den schweren Stürmen nach sich zog, ist bezweifelt worden. 27 Daneben tragen auch die Stürme topische Züge. Insgesamt drei Mal, in den Jahren 254, 253 und 249, wurden römische Flotten in den Quellen durch Unwetter voll-
23 Vgl. HUSS 1985, 135. 24 Hier wurde zugunsten der bekannteren Namensgebung entschieden, obwohl die bei HUSS (1985) geführte Bezeichnung „Römische Kriege“ eigentlich die treffendere ist. 25 260 am „Italischen Kap“, 260 bei Mylai, 258 bei Sulci, 257 bei Tyndaris, 256 bei Eknomos, 255 bei Kap Bon/Hermaeum, 241 bei den Ägatischen Inseln. 26 Pol. 1,22. Ausführlich zu den corvi: THIEL 1954, 101–108; WALLINGA 1956. 27 Ebd., 78.
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ständig vernichtet. Karthagische Flotten gerieten wohl seltener in Stürme und erlitten auch dann keine so tragischen Verluste. 28 Möglicherweise dienten die Darstellungen der romfreundlichen Quellen dem Zweck, das Durchhaltevermögen der Römer hervorzuheben, die selbst nach solchen verheerenden Schicksalsschlägen nicht aufgaben. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Verlustangaben durch das Wetter über-, die durch die gefürchtete karthagische Marine untertrieben sind. 29 Eine eher allgemein gehaltene Aussage Diodors zum Ersten Punischen Krieg scheint diese Annahme zu bestätigen. 30 Er spricht von mehreren großen Seeschlachten, in denen allein an Römern und ihren Bundesgenossen über 100.000 umgekommen seien. Die Stürme erwähnt er hingegen mit Ausnahme desjenigen nach der Schlacht bei Drepana nicht. Möglicherweise verschwiegen die prorömischen Autoren karthagische Erfolge, um den römischen Sieg vollständiger wirken zu lassen. Auch eine weitere Seeschlacht bei Phintias kurz nach jener bei Drepana, die ebenfalls für die Römer verloren ging, überliefert nur Diodor. 31 Interessanterweise geht Polybios auch in keiner Weise darauf ein, dass der Sieg bei Drepana der einzige der Karthager gewesen sei und welche Auswirkungen der Schock der ungewohnten Niederlage auf die Römer hatte. 32 Dies alles könnte darauf hindeuten, dass Niederlagen der Römer zur See bewusst verschleiert wurden, was jedoch für unsere augenblickliche Betrachtung und die Aussagekraft der Ausgangsthese nicht allzu sehr ins Gewicht fällt. Die Quellen betonen immer wieder die Überlegenheit der römischen Seesoldaten im Nahkampf, weswegen die Verluste der Karthager durch Versenkung sich in Grenzen hielten und die meisten ihrer Schiffe gekapert wurden. 33 Wahrscheinlich setzten die Karthager als erfahrene Seeleute (und auch zur Vermeidung von Nahkämpfen gegen überlegene Gegner) auf die nautisch komplexere Rammtaktik, die geschicktes Segeln bzw. Rudern voraussetzte. 34 Warum sie trotz der Misserfolge 28 Livius erwähnt zwei Begebenheiten: 21,49,2; 23,40,6, Diodor zwei weitere: 11,20,2 (die jedoch zu recht von MEISTER (1967, 42) angezweifelt wird), sowie 19,106,2. Diese Geschehnisse sind allerdings über mehrere Jahrhunderte verteilt. 29 Bei Zon. 8,8 verliert der Konsul Gaius (in Wirklichkeit Appius) Claudius Caudex „infolge der zahlenmäßigen Überlegenheit der Karthager und ihrer größeren Geschicklichkeit, vor allem aber wegen der heftigen Strömung und eines plötzlich aufkommenden Sturms“ einige Schiffe. Erneut tritt ein Unwetter hervor. Die Manöver der karthagischen Flotte werden dagegen marginalisiert. Weder der Sturm noch das Ereignis als Ganzes werden von einem der anderen Autoren erwähnt. 30 Diod. 23,15,4. Auch bei Zon. 8,17 heißt es, die Römer kämpften bei den Ägatischen Inseln 241, um „ihre früheren Niederlagen wiedergutzumachen.“ Damit kann nicht nur die verlorene Schlacht bei Drepana gemeint sein. 31 Ebd. 24,1,7. 32 Vgl. Pol. 1,52,2. Lediglich der ruinierte Ruf des Befehlshabers Publius Claudius Pulcher findet Erwähnung. Dies ist aber kein Hinweis auf eine Ausnahmestellung der Niederlage von Drepana. 33 Pol. 1,27,12; 1,28,14; 1,36,11; 1,61,6; Cass. Dio 11,43,17. 34 Zon. 8,11; Pol. 1,23,9f; 1,25,2–4; 1,27,10f. Zu den Manövern diekplous und periplous MEIJER 2015, 62.
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nicht davon abwichen, bleibt ungeklärt. Den großen Erfolg bei Drepana erreichte die karthagische Marine jedoch gerade nicht mit der Rammtaktik, sondern der „römischen“ Entertaktik. Zum ersten Mal kaperten die Karthager erheblich mehr Schiffe als sie versenkten und erlitten keine Verluste. 35 Es scheint also, als seien auch die Karthager mit der Entertaktik wesentlich erfolgreicher gewesen als mit der Rammtaktik, für die sie bekannt waren. Auch diesen Widerspruch aufzuklären helfen die antiken Berichte nicht. Aber nicht nur taktisch, sondern auch strategisch war die karthagische Flotte alles andere als erfolgreich. Wie Werner Huss richtigerweise anmerkt, 36 gelang es ihr zweimal nicht, feindliche Invasionsflotten am Übersetzen zu hindern, was beide Male, in den Jahren 345/4 und 278, zu folgenreichen Kriegen und dem Verlust der Vorherrschaft auf Sizilien führte. Dem hinzuzufügen wären die noch schwerer wiegende, nicht verhinderte Überfahrt des Agathokles nach Afrika 310, aufgrund derer Karthago erstmals in seiner Geschichte von einer überseeischen Macht in seinem Kernland ernsthaft bedroht wurde, sowie die 255 erfolgte Invasion des Regulus, die ähnlich gefährlich verlief. Im Diktatfrieden von 241 bestanden die Römer nicht auf einer drastischen Reduzierung der feindlichen Flotte. Dies ist nur dadurch zu erklären, dass sie die schwache karthagische Marine nicht zu fürchten brauchten, umso weniger nach der unzweifelhaften Schwächung der Stadt im zurückliegenden Konflikt. Auf der anderen Seite gaben sich auch die Karthager keinen großen Illusionen hin, die Römer in einem weiteren Krieg zur See schlagen zu können, weswegen ein großangelegter Flottenneubau unterblieb. Dies ist auch ein Grund dafür, dass im Zweiten Punischen Krieg nur sehr wenige und kleinere Gefechte der Kriegsflotten beider Parteien berichtet werden. Aus den Erfahrungen im Ersten Punischen Krieg hatten die Karthager gelernt, dass die Römer zwar zur See kaum zu schlagen waren, zu Lande hingegen schon. Nicht nur die letztlich erfolgreiche Vernichtung des Invasionsheers unter Regulus, sondern auch der hinhaltende Widerstand des Hamilkar Barkas auf Sizilien, dessen Truppen bis zuletzt unbesiegt geblieben waren, zeigen die Richtigkeit dieser Annahmen. Weiteren Aufwind werden diese Überlegungen durch die überraschenden Niederlagen der Römer im Keltenkrieg 225–222 erhalten haben. Die gewaltigen Erfolge gegen römische Landtruppen im Zweiten Punischen Krieg, vor allem unter Hannibal, machten dann deutlich, dass die strategischen Schlussfolgerungen ihre Berechtigung hatten. Die traditionsreiche Seemacht war zur Landmacht geworden. Dieser auf den ersten Blick umfassend scheinende strategische Richtungswechsel folgte bei näherer Betrachtung längst etablierten Bahnen. Eine Analyse aller vorangegangenen Kriege und Invasionen der Karthager offenbart, dass die Flotten meist zur Unterstützung oder gar nur als Geleitschutz der Landtruppen eingesetzt worden waren. Das Heer, nicht die Flotte, zeichnete für die Eroberungen auf Sizilien und später der Iberischen Halbinsel verantwortlich. Schiffsverbände spielten 35 Pol. 1,49,12 gibt 93 Schiffe als gekapert und „viele weitere“ als versenkt an. Diod. 24,1,5 spricht von 117 insgesamt. Die Zahlen stimmen also recht genau überein. 36 HUSS 1985, 212.
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für diese wichtigen Operationen nur eine untergeordnete Rolle. 37 Nicht das Überwiegen von Landoperationen im Zweiten Punischen Krieg, sondern die Bedeutung der maritimen Kriegführung im Ersten stellt die Ausnahme in der karthagischen Strategie dar. Als abschließendes Argument bietet sich ein Vergleich der Schlachten zu Lande mit den oben erörterten Auseinandersetzungen auf dem Wasser an. Eine ähnlich detaillierte Untersuchung würde allerdings den Rahmen dieser Betrachtung sprengen, sodass sie hier nur in knapper, rein quantitativer, aber dennoch aussagekräftiger Weise dargelegt werden kann. Nicht nur liegt die Zahl der Landgefechte im gleichen Betrachtungszeitraum weit höher, auch die Siege der Karthager sind im Verhältnis zu den Niederlagen wesentlich zahlreicher. Insgesamt wurden in der Zeit zwischen der Mitte des sechsten Jahrhunderts und 146 v. Chr. 93 Landkämpfe geführt, wovon 49 siegreich ausgingen. 38 Festzuhalten ist somit nicht nur eine unabhängig vom Zeitpunkt höhere Frequenz von Landkämpfen, sondern auch eine deutlich höhere Erfolgsrate. Nicht umsonst baut der metus Punicus auf der Furcht vor den Truppen Hannibals auf, die die Landschaften Italiens verwüsteten, ohne dass die römischen Soldaten ihnen Einhalt gebieten konnten. 39 Dies alles zeigt, dass die Beschreibung Karthagos als überragende Seemacht einer berechtigten Grundlage entbehrt. Die antiken Feinde der Karthager hätten eher Grund gehabt, sie als starke Landmacht zu charakterisieren. 40 AUSSETZUNGEN AUF INSELN Die nächste Untersuchung beruht auf einer Vermischung zweier Teilaspekte des antiken Karthagerbildes: der Grausamkeit und der Söldnerarmee. Bei der Aussetzung widerspenstiger oder anderweitig unbequemer Söldner handelt es sich um ein Phänomen, das nur in Zusammenhang mit Karthago auftaucht. Die Evidenz beschränkt sich dabei auf drei Passagen in den Quellen, nämlich im fünften Buch des Diodor sowie an zwei verschiedenen Stellen der Epitome des Cassius Dio bei Zonaras. Es ist dabei unklar, ob es sich, insbesondere bei den zwei Zonaras-Passagen, um Dubletten handelt, die ein und dasselbe Ereignis wiedergeben. Betrachten wir zunächst die entsprechenden Stellen in chronologischer Reihenfolge:
37 Anders HUSS (1985, 165), der die Flotte als „das wichtigste Instrument der karthagischen Außenpolitik“ zumindest für die Zeit vor den Punischen Kriegen bezeichnet. 38 Belagerungsschlachten, kleinere Scharmützel und solche, die auf zweifelhaften Berichten beruhen, nicht mitgezählt. Es fehlt aufgrund unsicherer Quellenlage möglicherweise eine beträchtliche Anzahl militärischer Auseinandersetzungen, besonders für das sechste Jahrhundert. Allein der Feldherr Hasdrubal soll in dieser Zeit elf Feldzüge geführt haben (Iust. 19,1,7). Im Gegensatz dazu ist die Aufzählung der Seeschlachten wohl annähernd vollständig. Weiteres s. Anhang. 39 Zum metus Punicus: MODROW 2017, bes. 98–111; 167–171. 40 Vgl. HOYOS 2015, 23.
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Was die Bundesgenossen der Karthager anlangte, so war deren Behandlung höchst grausam. Finanziell nicht in der Lage, ihnen den versprochenen Sold zu zahlen, schickten sie die Leute mit der Zusage weg, sie würden ihnen den Lohn in Bälde zukommen lassen. Ihre Begleitmannschaften aber erhielten Befehl, sie auf irgendeiner verlassenen Insel auszusetzen und dann heimlich abzufahren. 41
Es handelt sich hier um eine Begebenheit, die inmitten der Schilderung der Invasion des Marcus Atilius Regulus im Ersten Punischen Krieg 256/5 auftaucht. Die Männer waren wohl an den Kämpfen gegen Regulus unmittelbar beteiligt gewesen, da das Schicksal Xanthippos’ in den darauffolgenden Sätzen behandelt wird. 42 Die näheren Begleitumstände sind dabei allerdings völlig unklar. Aus den Worten Cassius Dios bzw. Zonaras’ wird weder deutlich, welcher Herkunft die ausgesetzten Soldaten waren, noch, ob es sich tatsächlich um Söldner oder aber Verbündete handelte. Wenig mehr Klarheit bringt die anschließende Stelle 8,16, in der von einer sehr ähnlichen Begebenheit berichtet wird: Dort meuterten dann seine [Karthalos] Söldner wegen ihrer Löhnung, doch brachte er eine große Zahl zu dauerndem Verbleib auf einsame Inseln, viele schickte er auch nach Karthago weg. 43
Es ist nicht ganz klar, ob es sich um denselben Karthalo handelt. Die Fragmente Cassius Dios sind sehr lückenhaft, die Ereignisse zischen dem ersten Zitat (255) und dem zweiten (248) füllen wenige Seiten. Da auch die entsprechenden Passagen Diodors fragmentarisch sind, ist eine Beurteilung nicht ohne Schwierigkeit. Der Heerführer Karthalo wirkte unmittelbar nach dem Sieg über Regulus auf dem sizilischen Kriegsschauplatz. Entgegen der Darstellung des Cassius Dio, er habe weder auf Sizilien noch bei Raubzügen entlang der Küste Italiens irgendetwas erreicht, berichtet Diodor, er habe sowohl Akragas erobert als auch die Römer aus ihren Belagerungsstellungen rund um Drepana vertrieben. 44 Zu der Aussetzung der Söldner auf der einsamen Insel bietet Diodor leider keine Parallelüberlieferung, möglicherweise war diese jedoch in den verlorenen Teilen seines Werkes enthalten. Die eindeutige zeitliche Differenz der beiden Ereignisse voneinander schließt eine Dublette zwar nicht vollständig aus, lässt diese Möglichkeit allerdings wenig plausibel erscheinen. Die dritte Beschreibung einer Aussetzung widerspenstiger Söldner fällt in einem anderen Zusammenhang: In der Zeit, da die Karthager mit den Syrakusanern viele große Kriege führten und bedeutende Land- wie Seestreitkräfte einsetzten, hatten sie bei diesen Gelegenheiten auch zahlreiche Söldner unterschiedlicher Nationalitäten in ihrem Dienst; derartige Einheiten sind aber stets Unruhestifter und gewohnt, zahlreiche große Aufstände anzuzetteln, und zwar vor allem, wenn sie ihren Sold nicht rechtzeitig erhalten. Auch damals bewiesen sie wieder ihre gewohnte Arglist und Verwegenheit. Es waren etwa 6000 Mann an Zahl, die ihren Sold nicht bekamen, sich deshalb zunächst zusammenrotteten und laute Anklage gegen ihre Feldherren erhoben. Diese
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Zon. 8,13. Zum spartanischen Söldnerführer Xanthippos und seinem Schicksal siehe unten. Zon. 8,16. Ebd.; Diod. 23,18,2f.
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Falk Wackerow hatten aber kein Geld und schoben immer wieder die Zahlung hinaus, worauf die Söldner drohten, mit Waffengewalt Rache an den Karthagern zu nehmen, ja sogar Hand an ihre Führer legten. Als der Rat (in Karthago) mit Appellen antwortete, der Streit aber immer heftiger entbrannte, erteilte die oberste Behörde den Feldherren heimlich den Befehl, die Meuterer insgesamt zu beseitigen. Und die Generäle brachten der Weisung entsprechend die Söldner auf die Schiffe und stachen wie zu einem kriegerischen Zweck in See. Dann landeten sie auf der vorgenannten Insel [ein kleines Eiland bei Lipara, wegen dieses Vorfalls Knocheninsel genannt], setzten dort sämtliche Söldner aus und fuhren wieder ab, nachdem sie die Meuterer auf dem Eiland zurückgelassen hatten. 45
Der Autor erwähnt leider nur den groben Zeitrahmen der sieben karthagisch-sikeliotischen Kriege, die zwischen 480 und 306 geführt wurden. In welchen der Konflikte die tradierte Geschichte zu datieren ist, ist nicht erkennbar, da Diodor sie im Rahmen seiner geografisch orientierten Beschreibung der Mittelmeerwelt am Anfang seines Werkes bringt. Anders als bei den obigen Stellen des Cassius Dio lässt sich also nicht aus dem Kontext erschließen, zu welchem Zeitpunkt das Geschehnis stattgefunden hat. Dennoch scheint es sich wiederum um ein von den beiden anderen Episoden unabhängiges Ereignis zu handeln. Immerhin gibt Diodor aber die Zahl der Ausgesetzten an, die mit 6000 beachtlich ist. Auch der eigentliche Auftraggeber, der karthagische Rat (gerousia), ist genannt. In allen drei Texten wird deutlich, dass die Soldaten wegen der ausbleibenden Bezahlung revoltierten, die Konsequenz ist die Aussetzung auf den unbewohnten Eilanden und die heimliche Abfahrt. Die Grausamkeit dieser Praxis tritt nur ansatzweise bei der Diodorstelle hervor, wenn er erläutert, dies sei der Anlass gewesen, der die Insel ihren Namen verdankte. Die moderne Forschung hat Osteodes mit Ustica identifiziert, einer etwa 66 km von der Nordwestspitze Siziliens entfernten Insel. Archäologische Berichte erwähnen zwar verschiedene Niederlassungen, eine kontinuierliche Besiedlung hat aber offenbar nicht stattgefunden. 46 In den Grabungsberichten ist von Spuren der Söldner keine Rede, nicht einmal die Möglichkeit wird dort erörtert. In der sonstigen Fachliteratur werden die Aussetzungen nur anekdotisch wiedergegeben und nicht infrage gestellt. 47 Kritisch gegenüber der Historizität äußerte sich allein Konrat Ziegler. Laut seinem Artikel in der RE stamme der Name „Osteodes“ von der ursprünglichen (nicht-indogermanischen) Bezeichnung der Insel, bedeute demzufolge auch nicht „Insel der Knochen“ (ὀστέον). Die Geschichte der Aussetzungen sei erfunden worden, um den griechischen Namen zu erklären. 48 Wie steht es um den Wahrheitsgehalt der Berichte? Ist von Tatsachen die Rede oder dienten sie einmal mehr der Zurschaustellung der Grausamkeit des Feindes? Es gibt gewichtige Gründe, die gegen die Historizität der Geschehnisse in den zitierten
45 Diod. 5,11,1–3. 46 Zuletzt LEIGHTON 2004. 47 z. B. bei HUSS (1985, 246) nur als Randnotiz. HOYOS 2015, 60f. TERMER (1925, 25) ist als Geograf verständlicherweise eher an der Siedlungsgeschichte interessiert. 48 ZIEGLER 1942, 1647.
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Passagen sprechen. Neben den allgemeinen Bedenken aufgrund der Voreingenommenheit gegen die Karthager und des Quellenwertes, der bei beiden Autoren nicht sehr hoch anzusetzen ist, sind es ganz praktische Erwägungen, die skeptisch stimmen sollten. 49 Zum einen betrifft dies den Vorgang des Aussetzens. Nicht nur mussten die Befehlshaber den ohnehin erzürnten Söldnern vorgaukeln, es handele sich bei der Seefahrt um eine militärische Angelegenheit. Es ist fraglich, warum die Söldner sich mit einer solchen Feindfahrt einverstanden erklärt haben sollen, solange sie nicht den ihnen zustehenden Sold erhalten hatten. Wie aber ist es zu bewerkstelligen, 6000 Männer auf eine Insel überschaubarer Größe, ohne Siedlung oder strategische Bedeutung, auf hoher See außer Sichtweite Siziliens zu locken und im Anschluss daran einfach unbemerkt und unbehelligt abzufahren, ohne dass die Söldner dies zu verhindern wussten? 50 Die antiken Autoren bleiben aus gutem Grund eine genaue Erläuterung der Vorgänge schuldig. Dass eine solch hochriskante Unternehmung gleich dreimal ohne Probleme glückt, ist nicht glaubhaft. Die Söldner werden spätestens dann gemerkt haben, dass etwas nicht stimmt, als sie der Insel ansichtig wurden. Ihre Arglosigkeit wäre vor allem angesichts ihrer wegen der ausstehenden Zahlungen erhöhten Sensibilität gegenüber ihren Dienstherren absolut unglaubwürdig. Zudem stellt sich die Frage nach dem Motiv der Karthager. Was hätten sie davon gehabt, ihren Söldnern, die ihnen gute Dienste leisteten, die Bezahlung zu verweigern? Ein Mangel an finanziellen Mitteln kann nicht als Begründung gelten, da sie nach der dritten angeblichen Aussetzung den Ersten Punischen Krieg noch ganze vierzehn Jahre weiterführten. Wenn schon eine Verweigerung der Zahlung des Soldes weitere Söldner davon abgehalten hätte, sich für Karthago zu engagieren, welche Auswirkungen hätten dann erst die beiden Aussetzungen auf die Reputation Karthagos als Dienstherr gehabt? Zum Zeitpunkt der zweiten bei Cassius Dio bzw. Zonaras überlieferten Aussetzung konnten die Karthager bei der Auswahl ihrer Söldner nicht wählerisch sein. Sie hatten bereits mehrere Seeschlachten verloren, sämtliche Besitzungen auf Sizilien waren mit Ausnahme der drei Festungsstädte Lilybaion, Drepana und Panormos verloren gegangen. Zudem hatten sie gerade erst unter großen Mühen und Verlusten die Invasoren unter Regulus im eigenen Kernland zurückgeschlagen. Alles in allem also kein geeigneter Zeitpunkt, den vorhandenen Söldnern die Entlohnung vorzuenthalten, sie auf einsamen Inseln verhungern zu lassen und damit andere abzuschrecken. 51 Zu dieser Beobachtung,
49 RATHMANNs (2016) Ergebnisse, die Diodor in ein deutlich besseres Licht stellen, überzeugen nur teilweise. Noch immer stören die Kritiklosigkeit und zu vermutende Abhängigkeit des Diodor von seinen Quellen. 50 Die natürliche Skepsis des Historikers gegenüber antiken Zahlenangaben ist hier nicht zielführend; ob es sich um 6000 oder nur um einige hundert Söldner gehandelt hat, ändert nichts an der Schwierigkeit der Durchführung. 51 Zonaras berichtet im unmittelbaren Anschluss an die oben (Anm. 43) zitierte Stelle: „Als der Rest von deren Schicksal hörte, waren die Leute erbittert und wollten sich empören. Da ließ Hamilkar, Karthalos Nachfolger, bei Nacht zahlreiche Söldner niederhauen, viele auch ertränken.“ Diese durchaus realistische Schilderung erhöht jedoch nicht die Wahrscheinlichkeit des
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wie zu Zieglers These, ließe sich nach obiger Analyse der Stelle bei Diodor noch das Motiv der karthagerfeindlichen Propaganda ergänzen. Möglicherweise war Diodors Bericht der Anreiz für Cassius Dio, ähnliche Geschehnisse zu beschreiben, die aber nie stattgefunden haben. Denn nicht zuletzt findet sich in keiner anderen Überlieferung ein Hinweis auf die Vorgänge. Dadurch erhalten die Schilderungen stark topischen Charakter, sind also mit äußerster Vorsicht zu behandeln. XANTHIPPOS Xanthippos erscheint in den Quellen als eine Lichtgestalt in den für Karthago dunkelsten Zeiten des Ersten Punischen Krieges und verschwand nach seinem Einsatz für die Karthager spurlos. Trotz seiner fantastisch anmutenden Biografie stieß die historische Figur des spartanischen Söldnerführers in der Forschung nirgendwo auf Kritik. 52 Abgesehen von Lexikonartikeln war die Person des Xanthippos nie Gegenstand einer eigenständigen Untersuchung. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Historizität des Xanthippos äußerst zweifelhaft ist. Er tritt bei allen Hauptquellen zum Ersten Punischen Krieg hervor, sowohl bei Polybios, Diodor und Cassius Dio, als auch bei Appian und Livius. Weiterhin wird er von Cicero und in einem Strategem des Frontinus erwähnt. 53 Der Retter Karthagos betrat im achten Jahr des Ersten Punischen Krieges die Bildfläche. Nachdem ein Versuch fehlgeschlagen war, die Invasionsflotte des Konsuls Marcus Atilius Regulus bereits auf See zu vernichten (s. o.), landeten die Invasoren unbehelligt auf afrikanischem Boden. Damit war der römisch-karthagische Konflikt auf eine höhere Ebene gelangt. Aus dem sizilischen Regionalkrieg hatte sich ein Kampf um die Vorherrschaft im westlichen Mittelmeerraum und sogar um das Überleben einer der beiden Mächte entwickelt. Den besten und ausführlichsten Bericht über die Geschehnisse während der Invasion in den Jahren 256/5 liefert Polybios, allerdings ohne dabei allzu sehr in die Tiefe zu gehen. 54 Zunächst belagerten und stürmten die Römer die Stadt Aspis, in deren Nähe sie angelandet waren. Damit sicherten sie sich zugleich eine vorzügliche Seefestung. Die Karthager sahen
Gesamtereignisses. Das beschriebene Grundproblem der Karthager, durch ihr Vorgehen weitere Söldner vom Dienst abzuschrecken, bestünde nicht nur weiterhin, sondern würde durch ein solches Vorgehen noch weiter verschlimmert. 52 GSELL (1928, 85) hält eine Übertreibung immerhin für möglich, zieht daraus aber keine Konsequenz. Ähnlich HOYOS (2015, 49f). Auch andere kritische Forscher wie SEIBERT (1993, 8) sehen keine Probleme in der Übernahme der Überlieferung, einzig DELBRÜCK (1920, 350) äußert zaghafte Bedenken. MOMMSEN (1888, 523f) bezeichnet den Bericht als gefärbt und unwahrscheinlich. Allerdings geht auch er nicht den nächsten Schritt, Xanthippos’ Existenz insgesamt anzuzweifeln. 53 Die Aufzählung aller weiteren Quellen wäre nicht zielführend, da ihr Wert für die historische Forschung bezüglich Xanthippos gegen null tendiert. Sie sind zeitlich zu weit entfernt und obendrein von den erstgenannten direkt abhängig. 54 Pol. 1,29–36.
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dieser Entwicklung hilflos zu, da der Großteil ihrer Truppen noch auf Sizilien stand. Es nahm einige Zeit in Anspruch, ein Heer zu versammeln, das stark genug schien, um die Römer zu bekämpfen. Man wählte drei Feldherren, von denen nur Hamilkar bereits zuvor erwähnt worden war. Schon Mommsen hob die Überheblichkeit der Römer hervor, die, den Sieg vor Augen, die Hälfte der Truppen und Schiffe zurück nach Rom beorderten. 55 Mit einer zahlenmäßig eher geringen Stärke von 15.000 Fußsoldaten und nur 500 Reitern gelang es Regulus ohne Schwierigkeiten, die Schlacht von Adys für sich zu entscheiden. Die Quellen stimmen darin überein, dass Hamilkar, obgleich ein erfahrener Feldherr, sein Lager bewusst in hügeligem Gelände aufgeschlagen habe, in dem Kavallerie und Elefanten ineffektiv waren. Es spricht jedoch alles dafür, dass die Karthager in dieser Schlacht zahlenmäßig deutlich unterlegen waren. Zunächst einmal werden außer den 5000 Infanteristen und 500 Reitern, die Hamilkar von Sizilien mitgebracht hatte sowie einer unbekannten Anzahl Elefanten keine weiteren Truppen erwähnt. 56 Die Zeit, größere Truppenkontingente auszuheben bzw. anzuwerben, war knapp, denn die Schlacht dürfte nicht lange nach der Ankunft der Römer stattgefunden haben. Nicht einmal numidische und libysche Bundesgenossen werden erwähnt, obwohl die Karthager bisher in jeder ihrer Auseinandersetzungen auf deren Dienste zurückgegriffen hatten. Aus dem Bericht des Polybios wird die Eile der karthagischen Maßnahmen ersichtlich. Die drei Befehlshaber wollten unbedingt verhindern, dass mit Adys eine weitere größere Stadt in feindliche Hände fiel. 57 Weiterhin besetzte Hamilkar eine defensive Position auf einem gut zu verteidigenden Hügel, der die Ebene beherrschte. Von dort aus hoffte er, die Stadt sichern zu können. Die Römer gingen jedoch sofort hügelaufwärts zum Angriff über, ein weiteres Indiz für ihre Übermacht. Der Kampf ging für die Karthager also eher aufgrund zahlenmäßiger Unterlegenheit als der Unfähigkeit ihrer Generäle verloren. Da Polybios keine Verluste erwähnt, bleibt die Beurteilung der Größenordnung der Auseinandersetzung schwierig, es wird aber wohl kein allzu triumphaler Erfolg der Römer gewesen sein. Daher sind auch die Schilderungen der Schockstarre, die in Karthago mit dem Bekanntwerden der Niederlage ausbrach, vermutlich übertrieben. Zweifellos sammelten die Karthager weiterhin Truppen, die den Römern in einer „richtigen“ Feldschlacht gegenübertreten sollten. Mit seiner kleinen Armee konnte Regulus kaum hoffen, Karthago selbst durch Belagerung zu bezwingen, weswegen er ein Friedensangebot unterbreitete. 58 Dieses wurde jedoch von den Karthagern wegen zu harscher Bedingungen zurückgewiesen. 55 MOMMSEN 1888, 523. 56 Elefanten, sollten die Karthager tatsächlich welche eingesetzt haben, und Kavallerie flohen jedoch ohne Feindberührung und ohne Verluste. 57 Pol. 1,30,6. HOYOS (2015, 48) vermutet Unstimmigkeiten der drei Feldherren als Ursache. Der Bericht legt aber nahe, dass Hamilkar den anderen gegenüber weisungsbefugt war. 58 Er wollte wohl zudem die Schwächung Karthagos durch die bei Polybios erwähnte Seuche und den Aufstand der numidischen Verbündeten ausnutzen. Die Schwierigkeiten der weitaus größeren römischen Armee des Dritten Punischen Krieges bei der Belagerung zeigen die Unmöglichkeit eines Erfolges durch Regulus’ Truppen.
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In dieser Situation erschien in der Stadt zusammen mit anderen Griechen ein Lakedaimonier namens Xanthippos. Bei den Details seiner Ankunft und Anwerbung gehen die Berichte auseinander. Es gibt zwei unterschiedliche Versionen, die wahrscheinlich auf verschiedenen Quellen beruhen. Bei Diodor und Appian steht explizit, er sei als Feldherr angeworben worden. 59 Aus den Berichten des Polybios und des Cassius Dio geht hingegen keine auf irgendeine Weise herausragende Stellung des Xanthippos hervor. 60 Eine solche erreichte er jedoch, wenn man den Quellen Glauben schenken will, innerhalb kürzester Zeit. Bei Polybios und Cassius Dio heißt es, er habe den Kommandeuren die Schuld an dem verlorenen Kampf gegeben, und hätte daraufhin vor dem Rat vorgesprochen. Dieser ernannte ihn mit Zustimmung der drei Generäle zum alleinigen Befehlshaber der Streitkräfte. Da allerdings auch karthagische Generäle an persönlichem Ruhm interessiert waren, ist es unwahrscheinlich, dass sie hinter einen Fremden zurücktraten. Dass die Karthager in der vorangegangenen Schlacht in der Ebene hätten kämpfen sollen, um dort die Überlegenheit ihrer Kavallerie und Elefanten auszunutzen, wie Xanthippos im Nachhinein dem Rat erzählte, war nicht innovativ, sondern kaum mehr als eine Binsenweisheit. So viel grundlegendes Wissen wird man selbst unerfahrenen Kommandeuren unterstellen dürfen, und zumindest Hamilkar hatte bereits einige praktische Kriegserfahrung auf Sizilien gesammelt. Zudem wäre Xanthippos der einzige ausländische Befehlshaber der karthagischen Geschichte. Der Mythos des griechischen Ausnahmegenerals stammt vermutlich aus der Feder eines griechischen Geschichtsschreibers, möglicherweise Philinos von Akragas. 61 Durch solcherlei Heldengeschichten wurde das militärische Potenzial der Griechen idealisiert, jenes der Karthager bagatellisiert. Dafür spricht auch die Herkunft des Xanthippos. Obgleich politisch und militärisch längst auf den Status einer unbedeutenden Regionalmacht geschrumpft, hielt der Nimbus des zu Lande unbesiegbaren Sparta unzweifelhaft an. Die Heldentaten der Perserkriege, der lange Atem und letztendliche Sieg im Peloponnesischen Krieg sowie die strenge agoge übten noch immer eine Faszination auf die Menschen aus. Nicht umsonst betont Polybios, Xanthippos habe die „lakonische Erziehung genossen und sich tüchtige Erfahrung im Kriegswesen erworben“. 62 Keine der Quellen erläutert jedoch, worin diese Erfahrungen bestanden hätten. Besonders sein geschulter Umgang mit den Kriegselefanten der Karthager verwundert. Woher sollte ein Spartaner wissen, wie mit diesen Tieren umzugehen war? Sparta selbst hat niemals Kriegselefanten eingesetzt. Die einzige Macht, die im Westen außer Karthago auf die mächtigen Tiere zurückgriff, war Epirus. König Pyrrhos I. waren von den Ptolemäern speziell für seinen Italienzug 50 Kriegselefanten zum Geschenk gemacht worden, von denen er 20 tatsächlich auch dorthin führte. In den drei Schlachten, die Pyrrhos gegen die Römer schlug, setzte er jedes Mal die Elefanten ein. Bei diesen Gelegenheiten sowie dem missglückten Angriff 59 60 61 62
Diod. 23,15,7; App. Lib. 1,3. Von GSELL (1928, 84) verworfen. Pol. 1,32; Zon. 8,13. DELBRÜCK 1920, 350. Pol. 1,30,1.
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auf Sparta 272, der den Tod Pyrrhos’ zur Folge hatte, hätte Xanthippos Erfahrungen im Einsatz von Kriegselefanten sammeln können. 63 Mit keinem Wort erwähnen die Quellen jedoch die Anwesenheit eines Xanthippos in den Reihen der Offiziere des Pyrrhos oder seiner Gegner. Es würde verwundern, wenn die früheren Aktivitäten einer historischen Person, die in einem späteren Konflikt noch von entscheidender Bedeutung gewesen ist, keine Erwähnung fände. Xanthippos wird jedoch weder in den Quellen zu Pyrrhos genannt, noch finden sich in jenen zu seinen Taten im ersten Punischen Krieg Verweise auf etwaige Erfahrungen in vorangegangen Kämpfen. 64 Die letzte Möglichkeit, wie der Spartaner sich im Umgang mit Kriegselefanten Erfahrung hätte aneignen können, stellen die Konflikte der Diadochen dar. Während seiner hypothetischen militärischen Karriere, deren Beginn frühestens 290 anzusetzen ist, wurden aber auch im Osten keine Kriegselefanten eingesetzt. Woher also hätte Xanthippos sein Wissen über deren Verwendung in der Schlacht beziehen sollen? Somit hätten die Karthager also trotz der Verfügbarkeit eigener erfahrener Generäle einem völlig Fremden das letzte Aufgebot anvertraut, das zwischen Regulus’ Armee und der Stadt stand, nur, weil Xanthippos ihnen einen Grund für die vorherige Niederlage aufgezeigt hatte, der doch ohnehin auf der Hand lag. Durch die vorgenommenen „Reformen“ des Spartaners konnte man die entscheidende Auseinandersetzung vor den Toren der Stadt Tunes für sich entscheiden, wobei die Elefanten eine entscheidende Rolle spielten, für deren Verwendung Xanthippos ein Experte gewesen zu sein scheint. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Karthager die Zeit genutzt hatten, um die militärischen Rüstungen weit genug voranzutreiben, um sich den Römern damit in einer Feldschlacht stellen zu können. 65 Anders als bei Adys waren sie dieses Mal nicht in der Unterzahl, was im Schlachtverlauf deutlich wird. Im Vertrauen auf ihre immense Überlegenheit an Reiterei konnten sie ohne Zögern zum Angriff übergehen. Nach hartem Kampf wurden die Römer vernichtend geschlagen. 66 Bald darauf berichten die Quellen übereinstimmend von Xanthippos’ Verschwinden. Die Details gehen indessen erneut weit auseinander. Zunächst stellt sich die Frage, warum die Karthager einen so hervorragenden Feldherrn nach seinem großartigen Sieg einfach gehen ließen, statt ihn weiter zu beschäftigen. Die Quellen bleiben eine Antwort schuldig. Die von Diodor gebrachte Begründung, die Karthager seien neidisch auf seine Erfolge gewesen und hätten daher seine Ermordung in Auftrag gegeben,
63 Plut. Pyrrh. 15,1–34,3. 64 Anders war dies z. B. bei Pyrrhos selbst, der in der Schlacht bei Ipsos anwesend und von den dort eingesetzten Elefanten so beeindruckt war, dass er sie in sein Heer übernehmen wollte, vgl. SEIBERT 1973, 356. 65 Diese Deutung widerspricht den Quellen nicht zwangsweise. Cicero (off. 3,99) berichtet, Xanthippos habe das Kommando, Hamilkar jedoch den Oberbefehl innegehabt, was noch eher den karthagischen Gewohnheiten entspräche. 66 Der Schlachtbericht ist jedoch zweifelhaft, Polybios schreibt lediglich über die Vorgänge auf dem linken karthagischen Flügel, während er diejenigen auf der gegenüberliegenden Seite überhaupt nicht kommentiert. Vgl. Pol. 1,33,6–1,34,10.
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ist eher ein Widerhall antikarthagischer Klischees (fides Punica) als seriöse Geschichtsschreibung. 67 In dem Fragment, das durch den byzantinischen Gelehrten Johannes Tzetzes überliefert wurde, verbindet Diodor die Schicksale des Regulus und des Xanthippos, die beide von den Bewohnern Lilybaions heimtückisch ermordet worden seien. 68 Dabei erschien Xanthippos kurz vor Kriegsende je nach Quelle allein, mit fünfzig oder hundert Männern in der von den Römern belagerten Stadt, stellte auch hier den Kampfgeist und die Effektivität der Truppen wieder her, bezwang die Römer in einer Schlacht und wurde anschließend von den undankbaren Karthagern in einem lecken Boot ausgesetzt, das mit ihm in den Tiefen des Meeres versank. In Wahrheit war die Belagerung Lilybaions allerdings erfolgreich, keine römische Armee wurde zur fraglichen Zeit von den Karthagern geschlagen. Der drastische Ton und die Fantastereien lassen auf eine besonders karthagerfeindliche Quelle, wahrscheinlich Timaios von Tauromenion, schließen. Quellenwert besitzt die Schilderung Diodors kaum. Polybios überliefert eine andere Version. In dieser segelte Xanthippos unbehelligt zurück in die Heimat, weil er den Verrat der Karthager bemerkt hatte. 69 Auch Cassius Dio überliefert zwei Varianten: In der ersten verfolgten die missgünstigen Karthager das Schiff des Xanthippos und versenkten es, in der zweiten gaben sie ihm ein leckes Gefährt in der Hoffnung, dass es sinke. Xanthippos jedoch erkannte die Gefahr und entkam. 70 All diese Darstellungen des unrühmlichen Endes des Xanthippos dienen wohl lediglich dazu, den Umstand zu erklären, dass der wichtige Feldherr später nie wieder in Erscheinung trat. Sollten sich die Autoren die Figur des Xanthippos ausgedacht haben, läge es nahe, dass sie sich Versatzstücke aus den Viten anderer spartanischer Söldnerführer herausgegriffen haben. Aus diesem Grunde soll im Folgenden ein kurzer Blick auf zwei dem Xanthippos ähnliche Persönlichkeiten geworfen werden. Die Lakedaimonier Dexippos und Gylippos – die Namensähnlichkeit mag Zufall sein – traten beide Ende des fünften Jahrhunderts auf Sizilien in Erscheinung. Ersterer führte im zweiten Punisch-Syrakusanischen Konflikt (409–405) eine Söldnertruppe an, die die Stadt Akragas vor den Karthagern verteidigen sollte. Wie Diodor betont, war er aufgrund seiner spartanischen Provenienz als vorzüglicher Militär angesehen. 71 Von seinem weiteren Lebensweg ist allerdings nur bekannt, dass er von Dionysios I. nach Abschluss des Friedensvertrages zurück in die Heimat geschickt wurde, wonach man nie mehr von ihm hörte. Gylippos hingegen, der wohl zweifellos eine historische Figur darstellt, wurde im Peloponnesischen Krieg, genauer während der 67 Ähnlich bereits MOMMSEN (1888, 524), der jedoch davon ausgeht, Xanthippos habe sich nach Ägypten abgesetzt. In der Tat sandte Ptolemaios III. Euergetes einen gewissen Xanthippos als Statthalter in die transeuphratischen Gebiete seines Reiches. Ähnlich HOYOS 2015, 51. Eine Gleichsetzung mit dem karthagischen Xanthippos ist jedoch rein spekulativ, vgl. SCHAEFER 1967, 1350f. 68 Diod. 23,16,1. 69 Pol. 1,36,2. Er wolle an späterer Stelle eine zweite Version angeben, was jedoch nie geschieht. 70 Zon. 8,13f. 71 Diod. 13,85,3. Interessanterweise zitiert Diodor hier Timaios, von dem auch Teile des Xanthippos-Mythos stammen mögen.
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Athenischen Sizilienexpedition, von Sparta zur Unterstützung der syrakusanischen Verbündeten entsandt. Das heißt, anders als Dexippos, der wohl auf eigene Faust die gelaischen Söldner anführte, und Xanthippos, der ebensowenig vom spartanischen Staat entsandt wurde, war Gylippos in offizieller Funktion unterwegs. Er zeichnete sich bei der Abwehr des athenischen Angriffs auf Syrakus aus und kehrte lebend in die Heimat zurück, wo er allerdings später wegen Veruntreuung zum Tode verurteilt wurde. 72 Die Gemeinsamkeiten in den Lebensläufen der drei Protagonisten sind offensichtlich. Zu betonen sind jedoch sowohl die zeitliche Differenz zwischen Gylippos und Dexippos auf der einen Seite und Xanthippos auf der anderen als auch die stark voneinander abweichenden Überlieferungen bezüglich Xanthippos. Während Sparta zu Zeiten des Gylippos und Dexippos noch eine führende Rolle in der Welt besaß, hatte es zu Xanthippos’ Lebzeiten wenig mehr als seine ruhmvolle Vergangenheit vorzuweisen. Und während die Quellen sich bei den Lebensgeschichten seiner beiden Vorgänger verhältnismäßig einig sind, gibt es bei Xanthippos sehr viele verschiedene Überlieferungen, die allesamt unwahrscheinlich klingen. Weiterhin fraglich bleibt im Fall von Xanthippos die Überwindung der Sprachbarriere. Dexippos und Gylippos konnten mit ihren eigenen Männern und Verbündeten Griechisch sprechen. Es ist hingegen unklar, warum Xanthippos fließend Punisch gesprochen haben sollte, und unwahrscheinlich, dass ein Großteil der karthagischen Soldaten unter seinem Kommando des Griechischen mächtig war. Weiterhin auffällig ist, dass keine einzige Quelle trotz der unbestreitbaren Ähnlichkeiten und der sich deshalb geradezu aufdrängenden Vergleichsmöglichkeiten Bezüge zwischen den drei Spartanern hergestellt hat. Dies alles zeigt, wie zweifelhaft die überlieferte Geschichte des Xanthippos und seiner Taten im Ersten Punischen Krieg sind. Letztendlich kann seine Existenz nicht widerlegt, aber auch kaum bewiesen werden.73 Historiker sollten jedoch vorsichtig sein und die antiken Berichte bezüglich seiner Person nicht für bare Münze nehmen. ZUSAMMENFASSUNG Die Untersuchung der drei Aspekte des Karthagerbildes hat ergeben, dass dieses infolge einseitiger Quellenlage und zahlreicher Topoi ein anspruchsvolles Arbeitsfeld darstellt. Da die Quellen Begebenheiten aus der griechisch-römischen Sicht darstellen und den Autoren daran gelegen war, die aktuellen oder ehemaligen Feinde schlecht darzustellen, hat dies negative Auswirkungen auf die Qualität der 72 Vgl. Thuk. 6,93–13,13. 73 SEIBERT (1993, 33) merkt zwar an, Hannibal habe militärische Schriften des Xanthippos gelesen, was ein Beleg für dessen Existenz wäre, doch gibt er als Quelle lediglich die praefatio des dritten Buches des Vegetius an, in der zwar allgemein von lakedaimonischer Militärschriftstellerei die Rede ist und auch Xanthippos erwähnt wird. Die Verbindung von beidem ist jedoch spekulativ, zumal Vegetius als spätantiker, allgemein Militärisches behandelnder Autor einen geringen Quellenwert für die Punischen Kriege besitzt.
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Falk Wackerow
Überlieferungen. Im ersten Abschnitt hat die kritische Auseinandersetzung mit dem Seemachtstopos ergeben, dass die Karthager zwar über eine große Kriegsflotte geboten, dies sich aber nicht in einer Seeherrschaft oder großen Erfolgen im Seekrieg niederschlug, da die Mehrzahl der Schlachten verloren ging. Der Vergleich mit den Auseinandersetzungen zu Lande wiederum hat die Fokusverschiebung der antiken Autoren deutlich gemacht, die die Karthager aufgrund ihrer Erfolge eher als starke Landmacht hätten schildern müssen. In der Analyse der Quellen zu den Aussetzungen von Söldnergruppen auf einsamen Inseln hat sich gezeigt, dass diese Berichte kaum auf einer oder mehreren tatsächlichen Begebenheiten beruhen, sondern der Illustration der Grausamkeit und des Geizes der Karthager dienten. Die Unstimmigkeiten in den einzelnen Schilderungen, fehlende archäologische Funde und Bedenken bezüglich der Wirkung solcher Aussetzungen auf den Ruf Karthagos als Dienstherr von Söldnern belegen die Unwahrscheinlichkeit der von den antiken Autoren geschilderten Ereignisse und damit ihre verzerrte Sicht auf Karthago als Ganzes. In der letzten Untersuchung hat sich gezeigt, dass die von der Forschung als historisch angesehene Gestalt des spartanischen Söldnerführers Xanthippos nicht ohne Weiteres als authentisch behandelt werden kann, da zu viele Ungereimtheiten in seinem Lebenslauf existieren. Seine Herkunft, seine zweifelhaften Fähigkeiten, sein plötzlicher, rasanter Aufstieg und sein ebenso schnelles, in vielen voneinander abweichenden Versionen überliefertes Ende sprechen eher für eine Konstruktion griechischer Autoren. Eine solche kann sich bei den Viten anderer namhafter spartanischer Söldnerführer wie Gylippos und Dexippos bedient haben und hatte zum Zweck, den Kriegsruhm der Karthager zugunsten der Griechen zu schmälern. Falk Wackerow, M.A., Arbeitsbereich Alte Geschichte, Fachbereich Geschichte, Universtät Hamburg, Überseering 35 #5, 22297 Hamburg
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„Weil die Römer geneigt waren, alles zu glauben, […]“
AUSEINANDERSETZUNGEN ZUR SEE Jahr
Ort
Sieger
Kommentar
~6. Jhdt.
Westliches Mittelmeer
Massalia
ein oder zwei Schlachten
~540
Alalia
Karthager/Etrusker
wohl weit überlegen
406
Eryx
Syrakusaner
406
Akragas
Karthager
398/7
Motye
Syrakusaner
397
Katane
Karthager
397
Syrakus
Griechen
397
Syrakus
Syrakusaner
397
Syrakus/Dascon
Syrakusaner
Überraschungsangriff/Karthager durch Seuche geschwächt
~309
Syrakus
Karthager
unbedeutend
~308
Syrakus
Syrakusaner/Etrusker
276
Straße von Messana
Karthager
deutlich
260
Liparische Inseln
Karthager
eher unbedeutend
260
„Italische Landspitze“
Römer
deutlich
260
Mylai
Römer
deutlich
258
Sulci
Römer
deutlich
257
Tyndaris
Römer
knapp, eher unbedeutend
256
Eknomos
Römer
deutlich
255
Kap Bon/Hermaeum
Römer
vernichtend
249
Drepana
Karthager
deutlich
249
Phintias
Karthager
deutlich, nur Diod.
241
Ägatische Inseln
Römer
vernichtend
218
Straße von Messana
Syrakusaner
unbedeutend
218
Lilybaion
Römer
217
Ebromündung
Römer
208
Clupea
Römer
207
Mittelmeer zw. Afrika und Sizilien
Römer
206
Carteia
Römer
147
Karthago
Karthager
147
Karthago
Römer
weit überlegen, trotzdem höhere Verluste
deutlich
unbedeutend, zweifelhaft, nur Liv.
88
Falk Wackerow
AUSEINANDERSETZUNGEN ZU LAND Jahr
Ort
Sieger
Kommentar
~550
Westsizilien
Karthager
unter Malchos
Mitte 6. Jhdt.
Sardinien
Sarden
Ende 6. Jhdt.
Selinus
Karthager
~500
Sizilien
Karthager
480
Himera
Karthager
480
Himera
Griechen
409
Himera
Griechen
406
am Himeras
Griechen
405
Gela
Karthager
397
Syrakus
Syrakusaner
Karthager durch Seuche geschwächt
393
Abakainon
Syrakusaner
Gefecht
gegen Dorieus vernichtend
~382
Kabala
Sikelioten
~382–374 nach Kabala
Kronion
Karthager
deutlich
342
am Krimisos
Griechen
vernichtend
~342
Messana
Karthager
341/0
Iaitos
Karthager
310
am Himeras bei Eknomon
Karthager
deutlich
310/09
Karthago
Syrakusaner
eher unbedeutend
309/8
Syrakus
Syrakusaner
309/8
Tunes
Syrakusaner
308
Numidien
Syrakusaner
~308/7
karthagisches Hinterland
Karthager
~308/7
karthagisches Hinterland
Karthager
~307
Tunes (?)
Karthager
Anfang 3. Jhdt.
Terias
Karthager
264
Messana
Römer
Bedeutung fraglich
262
Akragas
Römer
unbedeutende Verluste
~262
Heracleia
Karthager
eher unbedeutend
~262
Heracleia
Römer
eher unbedeutend
259
Therma
Karthager
deutlich überlegen
256
Adys
Römer
unbedeutende Verluste
255
Tunes
Karthager
vernichtend
89
„Weil die Römer geneigt waren, alles zu glauben, […]“ Jahr
Ort
Sieger
Kommentar
251
Panormos
Römer
Verluste wohl mäßig außer 140 Elefanten
Karthager
250
Lilybaion
247–241
(West-)Sizilien
unbedeutende Verluste
240
Ityke
Karthager
240
Ityke
Söldner/Libyer
240
am Bagradas
Karthager
deutlich
240
karthagisches Hinterland
Karthager
deutlich
238
bei der „Säge“
Karthager
vernichtend
238
Tunes
Söldner/Libyer
238
Lepcis
Karthager
mehrere Gefechte
238
Tunes
Karthager
vernichtend
frühestens ~236
Südiberien
Karthager
deutlich
frühestens ~236
Iberien
Karthager
deutlich
frühestens 236/5
Numidien
Karthager
Niederschlagung einer Revolte
229
Helike
Iberer (Vettonen, Orisser)
229/8
Iberien
Karthager
gegen Orisser
220
am Tagus
Karthager
deutlich
218
am Ticinus
Karthager
218
an der Trebia
Römer
unbedeutend
218
an der Trebia
Karthager
deutlich
218
Placentia
Römer
mehrere Gefechte
218
Cissa
Römer
218
Italienische Küste
Karthager
217
am Trasimenischen See
Karthager
217
Casilinum
Römer
217
Allifae/Ager Falernus
Karthager
217
Gereonium
Karthager
216
Cannae
Karthager
216
Litanawald
Karthager
215
Casilinum
Römer
215
Grumentum
Römer
erfolgreiche Guerillakriegsführung Hamilkars mit unbekannter Zahl an Gefechten deutlich
deutlich
vernichtend
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Falk Wackerow Jahr
Ort
Sieger
215
Sardinien
Römer
215
Intibili/Iber (?)
Römer
Kommentar mit hohen Verlusten
215
Beneventum
Römer
deutlich
~214
Iberien
Karthager
gegen Scipionen
~214
Italien
Karthager
unter Hanno
~214
Beneventum
Römer
gegen Hanno
212
Turii
Karthager
212
Capua
Karthager
212
Herdonea
Karthager
212
Castulo
Karthager
212
Ilorica
Karthager
212
Agrigent
Römer
211
Capua
Römer
211
Tarent
Römer
210
Herdonea
Karthager
209
Canusium
Karthager
209
Neu-Karthago
Römer
208
Baecula
Römer
208
Tarent
Karthager
208
Lokroi
Karthager
207
am Metaurus
Römer
207
Orongis
Römer
~206
am Baetis
Römer
~206
Kap Bon
Römer
~206
Salaeca
Römer
203
Große Felder
Römer
deutlich
202
Zama
Römer
deutlich
151/0
karthagisches Hinterland
Numider
149
See von Tunes
Karthager
148
Nepheris
Karthager
147
Nepheris
Römer
deutlich
146
Karthago
Römer
deutlich
deutlich
deutlich
deutlich
„EINE SEUCHE, DIE DIE WELT BEDROHT?“ Bemerkungen zu Judentopoi in ausgewählten literarischen und papyrologischen Quellen Patrick Reinard Der unergründliche Nil, die glückverheißende Nilschwemme, der märchenhafte Getreidereichtum, die grotesken Tierkulte oder die berühmten, zu den Sieben Weltwundern zählenden Pyramiden sowie der sagenhafte Pharos – Ägypten galt in der Antike als Wunderland! Dies hatte zur Folge, dass das Nilland in der antiken Literatur häufig Beachtung gefunden hat. Neben geographisch-ethnographischen Berichten, wie sie von Herodot und Strabon überliefert sind, liegen auch zahlreiche kürzere und weniger beachtete Literaturquellen, bspw. Diodor, Tacitus, Cassius Dio u.a., vor. In diesen Quellen werden nicht nur die ‚Wunder Ägyptens‘, sondern teilweise auch die Lebensweise verschiedener Bevölkerungsgruppen – wobei zu sagen ist, dass in Ägypten seit Alters eine multiethnische Bevölkerung lebte 1 – thematisiert und häufig in knappen Ausführungen negativ konnotiert. 2 Dabei werden in der Forschung verschiedene Inhalte der Beschreibung von Ägyptern, Juden, Nomaden, Libyern oder Arabern oft als stereotype Topoi angesehen, die von den antiken Autoren intentionell eingesetzt werden, um dem Erwartungshorizont des gebildeten Leserpublikums zu entsprechen. 3 Demzufolge soll es sich bei den Beschreibungen 1 2 3
Vgl. etwa PFEIFFER 2004a; HEINEN 2007. Vgl. zum römischen Ägyptenbild z.B. CLAUSS 2005; MADERNA 2005; SONNABEND 1986, 69ff. Es sei angemerkt, dass ‚Topoi‘ hier verstanden werden als loci communes (vgl. z.B. Cic., Brut. 46f.; Cic., inv. 2,48ff.; Cic., de orat. 3,10f.; Quint., inst. 3,1,1) „in der Bedeutung eines vielfach verwendbaren fertigen Arguments“; diese können als vermeintlich gesicherte Tatsache losgelöst von einem konkreten Sachverhalt oder bestimmten Individuum „in vielen ähnlichen Situationen anwendbar“ sein (LUCIA CALBOLI MONTEFUSCO, DNP 12,1, 2002, Sp. 692f.), da es sich um eine semantisch fest etablierte Redefigur handelt. Literaturwissenschaftlich wird ‚Topos‘ auch definiert als „die Kunst, in konkreten Situationen allgemein anerkannte Gesichtspunkte als Beweisgründe für die eigenen Interessen zu finden“ (VON WILPERT 2001, 837). Darüber hinaus ist für die hier verfolgte Fragestellung eine sprachwissenschaftliche Perspektive wichtig: „Da der Topos auf alltagslogischen Denkmustern oder konventionellem Erfahrungswissen beruht, hat er auch bei routinemäßigem Gebrauch Überzeugungskraft“ (BUßMANN 2002, 706f.). Ursprünglich meinte ‚Topos‘ die „Orte, an denen man bestimmten Redeschmuck finden kann; dann metonymisch übertragen auf einzelne Redefiguren“ (KLUGE 2002, 921). Man kann also generell festhalten, dass ein ‚Topos‘ eine verallgemeinernde und pauschalisierende, durch stete Wiederholung konventionell gebrauchte und allgemein verständliche Aussage über Gruppen, Einzelpersonen, Orte oder Sachverhalte ist, die ein am Diskurs Partizipierender ohne eine weitere Notwendigkeit einer Beweisführung als Tatsache darstellen kann, um
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Patrick Reinard
ägyptischer Bevölkerungsgruppen zumeist um literarische Spielereien handeln, die der Textgattung des ethnographischen Berichts entsprechen würden, sich aber in der täglichen Lebenswirklichkeit kaum nachweisen ließen. Fragen hinsichtlich eines realen Bezuges – was war der ‚Sitz im Leben‘ solcher ethnographischen Topoi? – werden durch eine Verortung der Topoi in eine literarische Diskursebene erschwert oder gar gänzlich negiert. Bemerkenswert ist allerdings, dass die reiche papyrologische Überlieferung Ägyptens eine andere Perspektive auf pauschal anmutende ethnographische Äußerungen eröffnet. In unmittelbar überlieferten Privatbriefen dokumentarischen Charakters lassen sich z.B. polemische Äußerungen über bestimmte Bevölkerungsgruppen erkennen, von denen sich die Absender distanzieren wollen. In P.Up.Frid. 10, einem Privatbrief aus der 2. Hälfte 3. Jh. n. Chr., liest man etwa, dass alle Ägypter „unempfänglich“/„dumm“ (ἀναίσθητοί) seien. 4 In P.Oxy. 14/1681, einem ebenfalls aus dem 3. Jh. n. Chr. stammenden Brief, entschuldigt sich der Absender für ausstehende Erledigungen. 5 Er eröffnet den Hauptteil seines Briefes mit: „Vielleicht hältst Du mich, Bruder, für irgendeinen Barbaren oder einen nicht-menschlichen Ägypter. Aber ich schwöre, dem ist nicht so“. 6 Barbaren und Ägypter, so die durch den Brief ersichtliche kommunikative Konvention, gelten pauschal also als Menschen, die Zusagen nicht einhalten. 7 Die Zugehörigkeit zu ethnischen und kulturellen Gruppen wurde im multikulturellen Ägypten auch nach Jahrhunderten des Zusammenlebens im Alltag bewusst wahrgenommen und war Teil einer kommunikativen Kultur, die Eingang in die papyrologische Überlieferung gefunden hat. Dabei deuten bereits die beiden zitierten Beispiele P.Up.Frid. 10 und P.Oxy. 14/1681, die man mit abfälligen Äußerungen über Ägypter in der antiken Literatur vergleichen könnte, an, dass ethnische Unterscheidungen in der Alltagskommunikation in aller Regel intentionell verwendet wurden – man grenzte sich ab und drückte dadurch seine eigene Identität aus. Dies kann nur dann kommunikativ funktionieren, wenn erstens eine negative Konnotation der ethnographischen Topoi und zweitens eine Kommunikationskonvention über die genutzte Polemik vorherrscht, es also üblich war, die ‚Redefiguren‘ zu verwenden. Die beiden Beispiele P.Up.Frid. 10 und P.Oxy. 14/1681 deuten dies bereits an, denn die kommunikative Intention dieser Briefe funktioniert nur, wenn die beiden genannten Kriterien erfüllt sind.
4 5 6 7
eine eigene Intention im kommunikativen Austausch zu erreichen; zur Verwendung des ToposBegriffs in der antiken Rhetorik vgl. auch UEDING 2005, 35 u. 82. P.Up.Frid. 10 Z. 9f.: π̣[ά]ντες γὰ̣ρ ἐγύ/[π]τ̣ι̣[οι] (l. Αἰγύ/[π]τι[οι]) [α]ν̣έ̣σθη̣τ[ο]ι (l. [ἀ]ναίσθητ[ο]ί) ἰσιν (l. εἰσιν). Vgl. SelPap. 1/152. P.Oxy. 14/1681 Z. 6–8: ἴσως με νομίζετε, / ἀδελφ[ο]ί, βάρβαρόν τι/να ἢ Αἰγύπτιον ἀνάν/θρωπον εἶναι. ἀλλὰ ἀ/ξιῶ μὴ οὕτως̣ [ἔ]χ̣ειν. Dabei konnte ‚Barbaren‘ auch durchaus als Selbstbezeichnung von nomadischen Gruppen in der östlichen Wüste verwendet werden und der Terminus war, entgegen der modernen Semantik, nicht durchgehend negativ konnotiert; vgl. REINARD 2018; CUVIGNY 2014.
„Eine Seuche, die die Welt bedroht?“
93
Eine negative Konnotation sowie eine Konvention über die verwendeten Topoi liegen zweifellos auch der Verwendung solcher Topoi in der antiken Literatur zugrunde. Daraus folgen historische Fragen und Aufgaben, die in dem vorliegenden Aufsatz anhand des Beispiels der Juden-Topoi bearbeitet werden sollen: Zunächst muss aufgezeigt werden, dass in den unmittelbar überlieferten dokumentarischen Quellen aus Ägypten ganz ähnliche negative Juden-Topoi wie in der literarischen Überlieferung zu lesen sind. Wie ist eine Übereinstimmung ‚topischer‘ Elemente zwischen alltagsbrieflichen ‚Überrest‘- und literarischen ‚Tradition‘-Quellen zu deuten? Wurden die ‚Topoi‘ der antiken Literatur eventuell aus einer ägyptischen Alltagskultur rezipiert? Daraus resultiert dann auch die Frage, ob man polemische Topoi in den Literaturquellen hinsichtlich ihrer Authentizität disqualifizieren darf, wenn sie in Alltagsdokumenten ebenfalls in ähnlicher Form unmittelbar überliefert sind. Als weitere Fragen folgen dann zwingend: Woher kommen diese in der Alltagskommunikation greifbaren Topoi? Welche realen Inhalte haben diese verbreiteten Topoi bedingt? ANTIJÜDISCHE ÄUßERUNGEN: DER TACITEISCHE JUDENEXKURS UND VERWANDTE QUELLEN Die kaiserzeitliche Literatur bietet diverse polemisch-abwertende Äußerungen über die jüdische Religion und Bevölkerung, die stets deutliche Ablehnung und Distanz zum Ausdruck bringen. Herausragend ist zweifellos der in trajanischer Zeit verfasste sog. ‚Judenexkurs‘ des Tacitus: Um sich des Volkes für die Zukunft zu versichern, führte Moses neue religiöse Bräuche ein, die mit den sonst auf der Welt üblichen im Widerspruch standen. Dort bei den Juden ist alles unheilig, was bei uns heilig ist; anderseits ist bei ihnen gestattet, was wir als Gräuel betrachten. Im Allerheiligsten stellten sie das Weihebild eines der Tiere auf, die ihnen den erlösenden Weg aus Herumirren und Verschmachtung gewiesen hatten; dabei wurde wie zum Hohn auf Ammon ein Widder geschlachtet. Auch Stieropfer bringen sie dar, da ja die Ägypter den Apis verehren. Des Genusses von Schweinefleisch enthalten sich die Juden in Erinnerung an die einstige Heimsuchung; war doch über sie selbst seinerzeit der schreckliche Aussatz gekommen, von dem dieses Tier befallen zu werden pflegt. Zeugnis von ihrer einstigen langen Hungersnot gibt noch jetzt ihr häufiges Fasten, und zum Beweis dafür, daß sie einmal Feldfrüchte rauben mußten, hält man am Genuß des ohne Sauerteig bereiteten jüdischen Brotes fest. Jeweils den siebten Tag zur Ruhe zu bestimmen, sagte ihnen angeblich deshalb zu, weil dieser Tag das Ende ihrer Mühsal gebracht habe. Daß sie weiterhin auch jedes siebte Jahr dem Müßiggang weihten, soll von ihrer Freude am Nichtstun herrühren. […] Die erwähnten Gebräuche, woher sie auch immer stammen mögen, rechtfertigt ihr hohes Alter; die übrigen Einrichtungen, verwerflich und abscheulich wie sie sind, setzten sich eben wegen ihrer Verkehrtheit durch. Gerade die schlechtesten Elemente waren es nämlich, die ihren heimischen Glauben schmählich aufgaben und Tempelsteuern sowie sonstige Spenden dort anhäuften, wodurch sich die Macht der Juden gewaltig hob. Das kam auch daher, weil in den Kreisen der Juden unerschütterlich treuer Zusammenhalt und hilfsbereites Mitleid herrschen, während allen anderen Menschen gegenüber feindseliger Haß hervortritt. […] Dazu aber wollen die Bräuche nicht passen; denn die von dem
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Patrick Reinard Gott Liber eingeführten Zeremonien sind festlich und fröhlich, die Art der Juden aber abgeschmackt und schäbig. 8
Die jüdische Religion wird von Tacitus, der hier ägyptische Quellenvorlagen verwendet, 9 ganz plakativ zunächst als gänzlich abwegig und unverständlich dargestellt. Alles sei bei den Juden anders, ihre Kultpraxis stehe jeder üblichen Norm konträr gegenüber. Dabei hat der Judenexkurs in den taciteischen Historien einen herausgehobenen Platz inne. Er steht als Einschub vor der Schilderung der Belagerung von Jerusalem durch Titus, also an einer prominenten Stelle innerhalb der Darstellung des Jüdischen Kriegs. 10 Die Ausmalung der Andersartigkeit und des vermeintlichen Hasses der Juden auf andere Menschen dient zweifellos der Rechtfertigung der römischen Maßnahmen gegen die jüdische Aufstandsbewegung. Tacitus schrieb in einer Zeit, in welcher die mediale Verkündung des flavischen Sieges über die Juden und die Wahrnehmung der jüdischen Bevölkerung als unterworfener und damit minderwertiger Gruppe innerhalb des Römischen Reiches weit verbreitet waren. Deutlichstes dauerhaftes Beispiel einer solchen ‚Erniedrigung‘ der besiegten Juden waren natürlich die berühmten Reliefs des sog. Titusbogens an der Via Sacra auf dem Forum Romanum. 11 Nennen muss man aber auch den eigentlichen Triumphbogen für den flavischen Judensieg, der im Rund des Circus Maximus stand; 12 seine Inschrift verkündete, dass man das jüdische Volk beherrscht und als erstes Jerusalem eingenommen habe. 13 Ferner verkündeten verschiedene flavische Münztypen Sieg und Beherrschung der Juden. 14 Die breite mediale Nutzung des flavischen Judensieges korrespondiert mit einer in den literarischen Quellen weithin greifbaren Judenfeindlichkeit und dürfte selbige weiter verstetigt haben. Über die
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14
Tac., hist. 5,4f. Übers. n. Joseph BORST; vgl. zum Judenexkurs des Tacitus grundlegend BLOCH 2002, 65ff.; HERHOLT 2009, 79ff.; PFEIFFER 2009, 111f.; ferner ASSMANN 2004, 63 u. 94 sowie – mit einem Fokus auf dem Exodus-Mythos – auch ASSMANN 1997, 22. Ausführlich: HEINEN 1992. Zum Jüdischen Krieg vgl. allgemein BRINGMANN 2005, 238ff; PFEIFFER 2009, 101ff; KRÜGER 2012, 340ff. u. 420ff; SCHWARTZ 2014, 75ff; LEITHOFF 2014, 57ff. Zum Bogen grundlegend: PFANNER 1983; BRINGMANN 2005, 259; PFEIFFER 2009, 41ff; ders. 2012, 30f; ferner auch HANSEN 2014, 21f. u. WEIKERT 2016, 68ff. Zu erwähnen ist auch die Ausstellung der jüdischen Kultgeräte im Templum Pacis; vgl. PFEIFFER 2009, 29. CARANDINI 2012, II Tab. 175f. CIL VI 944 = ILS 264: Senatus populusq(ue) Romanus / Imp(eratori) Tito Caesari divi Vespasiani f(ilio) Vespasian[o] Augusto / pontif(ici) max(imo) trib(unicia) pot(estate) X imp(eratori) XVII [c]o(n)s(uli) VIII p(atri) p(atriae) principi suo / quod praeceptis patri consiliisq(ue) et auspiciis gentem / Iudaeorum domuit et urbem Hierusolymam omnibus ante / se ducibus regibus gentibus aut frustra petitam aut / omnino intemptatam delevit; vgl. WALSER 1987, Nr. 29; PFEIFFER 2009, 44. Z.B. RIC Vespasian 15f, 393, 424ff, 428, 430ff; RIC Titus 367, 608, 620; BRINGMANN 2005, 258; PFEIFFER 2012, 28f.; Die flavischen Siegesmünzen, die man anlässlich des Erfolgs über Iudaea prägte, wurden später unter Trajan nochmals als Restitutionsmünzen aufgelegt; vgl. KOMNICK 2001, 129–131, Nr. *64f. u. *68f.
„Eine Seuche, die die Welt bedroht?“
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Juden und ihre in den Augen pantheistischer Römer absonderliche Religion konnte man sich erheben und sie mittels polemischer Topoi verunglimpfen. 15 Der taciteische Judenexkurs ist vor diesem Hintergrund zu verstehen und dürfte ein allgemeines, von einer breiten gesellschaftlichen Konvention getragenes Meinungsbild spiegeln: Diese abscheuliche Religion spricht nur schlimmste Unmenschen an. Die Götter werden verachtet, das eigene Vaterland vergessen und Loyalität zur Familie missachtet. Tacitus umschreibt hier ein grundlegendes Problem, welches der römische Staat mit monotheistischen Religionen hatte. Diese religiöse Gemeinschaft sei eine in sich geschlossene Gruppe, deren – aus der Sicht eines Römers gesprochen – geheime Machenschaften losgelöst von Vaterland und Familie nur Böses hervorbringen würde. Feindseliger Hass sei alles, was man von dieser unheimlichen Religion zu erwarten habe. Zutreffend bewertet Jan Assmann die Ausführung des Tacitus, in dessen Exkurs „die Charakterisierung der jüdischen Religion als einer Gegenreligion, [...] ihren Höhepunkt“ gefunden habe. 16 Wie bereits gesagt, verwendet Tacitus sehr wahrscheinlich eine ägyptische Vorlage. Die Verhöhnung Ammons und der Ägypter spricht das (stadt)römische Lesepublikum, an welches das taciteische Werk adressiert ist, nicht direkt an. Denkt man etwa an die Ablehnung, welche Augustus gegenüber dem ägyptischen Kult artikuliert haben soll, 17 ergibt sich ein Kontrast: Die ägyptische Religion dürfte weiten Teilen der römischen Gesellschaft wahrscheinlich auch abwegig und befremdlich erschienen sein. Allerdings richtet sich Tacitus hier lediglich gegen die Juden, er polemisiert nicht gegen die Ägypter. Religion und Brauchtum der Juden sind so schlecht und abwegig, ja sogar so bösartig, dass sie andere heidnische Religionen, hier sinnbildhaft durch Ammon und die Stieropfer für Apis dargestellt, blasphemisch verhöhnen. Dies ist bemerkenswert! Der von Tacitus gebotene Inhalt scheint nicht mit dem Adressatenkreis und Lesepublikum des römischen Historikers vereinbar zu sein. Warum wird die ägyptische Religion hier als kontrastierendes Gegenbeispiel zum Irrglauben der Juden herangezogen? Tacitus schöpft hier ägyptische Äußerungen über die Juden ab. Das zitierte ‚Bild (eines Tieres)‘ bezieht sich mit Sicherheit auf einen Esel. Ein in der Antike weiter verbreitetes Vorurteil gegenüber Juden und Christen – beide Religionen wurden von römischer Seite bis ins 2. Jh. n. Chr. bekanntlich nicht genau unterschieden 18 – lautete, dass diese einen Eselkopf anbeten würden. Tertullian
15 Sichtbares Zeichen dieser Erhebung über Iudaea war sicherlich auch das Colosseum, in dessen Bauinschrift – nach der Rekonstruktion von ALFÖLDY 1995 – Vespasian zum Ausdruck brachte, dass der Bau aus Kriegsbeute (ex manubis) finanziert worden sei. Auch ohne explizite Nennung war zweifellos allgemein bekannt, um welche Beute es sich handelte; vgl. HANSEN 2014, 21; PFEIFFER 2009, 31; PFEIFFER 2012, 24f. Auch der Kapitolstempel wurde unter den Flaviern mittels der eingezogenen Judensteuer wiedererrichtet, was ebenfalls die Erhebung über die Juden symbolisiert haben muss. 16 ASSMANN 2004, 64. 17 Vgl. Cass. Dio 61,16,5; Suet., Aug. 93; PFEIFFER 2010, 42f. 18 Vgl. zu Christen und Judenchristen: PFEIFFER 2009, 115f.
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belegt ein als Karikatur gedachtes Gemälde, welches Christus dargestellt mit Eselsohren und als in einer Toga gekleideten Lehrer mit einem Buch gezeigt haben soll (nat. 1,14 u. apol. 16). Betitelt war das Gemälde mit Onocoetes („Eselpriester“ oder „der bei Eseln schläft“; letzteres bezieht sich wohl auf die Geburt Jesu). 19 Der angebliche Eselkult wird auch von Minucius Felix erwähnt (9,3) und als Vorwurf gegenüber den Juden gleichfalls von Flavius Josephus in seiner Schrift gegen Apion erwähnt. 20 Apion, der bekanntlich aus Alexandria stammte und 40 n. Chr. als Mitglied einer Gesandtschaft vor Caligula vorsprach, 21 führte die kultische Verehrung eines Eselkopfs gegen die Juden als polemische Verunglimpfung an. Auch dieser Quellenbefund verweist auf die ägyptische Herkunft der taciteischen Vorlage. Woher hatte Apion diesen ‚Topos‘? Wann er erstmals aufgekommen ist, bleibt ungeklärt. Eines der frühesten literarischen Zeugnisse für den ‚Esel-Topos‘ geht – neben Posidonius von Apamea 22 – auf Apollonios Molon zurück, dessen polemische Schrift gegen die Juden aus der Zeit um 100 v. Chr. stammen soll. 23 Sie beinhaltet auch den Vorwurf, die Juden hätten in ihrem Tempel einen Eselkopf verehrt. Die Schrift hat Apion, der wiederum durch Flavius Jospehus indirekt bekannt ist, als Vorlage gedient; dass das Werk von Apollonios Molon in Ägypten, d.h. in der alexandrinischen Bibliothek, bekannt war, muss zwingend angenommen werden. Allerdings ist auch zu bemerken, dass es sehr gut sein kann, dass Apion diesen Vorwurf aus in Alexandria im 1. Jh. n. Chr. gängigen antijüdischen Beleidigungen entnommen hat (s.u.). Der ‚Esel-Topos‘ muss nicht zwingend aus einer Literaturvorlage stammen, sondern könnte vielleicht auch aus ‚gelebten‘ Alltagsdiskursen bzw. erlebten Anfeindungen übernommen sein. Eine Erklärung für den Ursprung dieses Topos bietet eine Tradition in der antiken Überlieferung, die von Tacitus rezipiert wurde: In dem bereits zitierten Judenexkurs sagt er, dass die Juden beim Auszug aus Ägypten an Wassermangel leidend nur durch die Spuren einer Eselherde, die zu einer Wasserstelle führten, gerettet worden seien. Auch Plutarch folgt dieser Tradition und führt an anderer Stelle aus, die Juden hätten den ägyptischen Gott Seth, der in Eselgestalt dargestellt wird, mit Jahwe gleichgesetzt. 24 Beide den Ursprung des Topos thematisierende Berichte 19 Im Lukas-Evangelium wird die Futterkrippe erwähnt (Lk 2,7), allerdings keine Tiere. Jedoch lässt sich bereits sehr früh eine Tradition fassen, die Esel und Ochse als anwesende Tiere bei der Geburt Jesu benennen. Im apokryphen Pseudo-Matthäus-Evangelium werden beide Tiere genannt (PsMt 14). Zum Pseudoevangelium nach Matthäus, das als anekdotisches Kindheitsevangelium des wohl 4. Jh. n. Chr. anzusprechen ist, vgl. EHLEN 2012 (mit deutscher Übersetzung). 20 Jos., Ap. 2,114f. 21 Vgl. zu Apion: NIRENBERG 2017, 51ff; zum weiteren Kontext allgemein: WINTERLING 2004, 148. 22 Diod. 34/35,1–5; vgl. BAR-KOCHVA 2010, 441ff. 23 Vgl. Jos., Ap. 2,145–148; FGrH 728; M. Weißenberger, DNP 9, 2000, Sp. 347; BAR-KOCHVA 2010, 441ff. u. 471ff. Apollonios Molon hatte auf einflussreiche Römer wie Cicero, Caesar oder andere Wirkung; vgl. GELZER 2014, 25. Vielleicht gelangte der Esel-Topos über ihn in die Vorstellungswelt römischer Autoren. 24 Plut., quaest. conviv. 4,5,2; mor. 3,2,740.
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verweisen auf Ägypten bzw. auf Geschichten, die mit dem Nilland in Verbindung stehen und in der dortigen Erinnerungs- und Diskurskultur lebendig gewesen sein dürften. Sehr bemerkenswert ist, dass aus Ägypten Tonlampen und Terrakotten bekannt sind, die einen eselköpfigen Lehrer vorstellen, der vielleicht als Christus, Moses 25 oder allgemein als Jude zu deuten ist.26 Diese Kleinfigurinen deuten an, dass die Aussagen von Autoren wie Tacitus, Flavius Josephus oder Minucius Felix auch in polemischen Anfeindungen im Alltag eine Rolle gespielt haben könnten. Besonders deutlich wird dies durch den berühmten sog. Alexamenos-Graffito vom Palatin in Rom, der aus einer Zeichnung und einem kurzen Text besteht: Es zeigt einen Menschen mit Eselkopf, der gekreuzigt ist. Links des Gekreuzigten bzw. perspektivisch vor ihm steht eine männliche Figur, die die linke Hand wie in einem Anspracheoder Anbetungsgestus erhoben hat. Ein Graffitotext teilt mit, was genau in der Zeichnung festgehalten ist: ΑΛΕ/ΞΑΜΕΝΟΣ / ΣΕΒΕΤΕ (= σέβεται) / ΘΕΟΝ.27 Die ganze Szene ist als polemische Karikatur zu verstehen, mittels welcher ein Alexamenos persönlich beleidigt werden sollte. Durch die Existenz der Graffitozeichnung, aber auch durch die Überlieferung der alexandrinischen Statuetten wird verdeutlicht, dass Tertullians Beschreibung des Onocoetes-Gemäldes keine literarische Fiktion gewesen sein dürfte. Solche der Polemik zweckdienlichen Kunstwerke hat es offensichtlich gegeben und sie konnten – so wie gegen Alexamenos – in alltäglichen Anfeindungen eingesetzt werden, da über das Verständnis ihrer Bildersprache eine breite gesellschaftliche Konvention vorherrschte. Der ‚Esel-Topos‘ speist sich zudem noch aus einer zweiten Tradition, die zunächst nicht religiös aufgeladen war. In den antiken Fabeln wird die Figur des Esels als eher schlichter oder dummer Protagonist eingesetzt. 28 Im Werk des frühkaiserzeitlichen Fabelautors Phaedrus wird der Esel zum Lehrer, der sich gegen die römische Religion ausspricht. Auch ohne die religiöse Dimension liegt der ‚Witz‘ in dem Kontrast der Dummheit der Figur und ihrer lehrenden Tätigkeit. Genau dieses humoristische Element findet sich auch in dokumentarischen Quellen; aus Pompeji 25 In der durch Diodor (34/35,1–5) fassbaren Posidonius-Tradition wird eine Statue aus Stein erwähnt, die einen bärtigen Moses mit einem Buch in der Hand auf einem Esel darstellen soll; vgl. BAR-KOCHVA 2010, 442. Die Statuetten, aber auch das von Tertullian erwähnte Gemälde, könnten polemische künstlerische Rezeptionen dieses verformten ‚Bildes‘ darstellen. 26 KAUFMANN 1913, Nr. 94; VOGT (1924, 55) beschreibt die Statuetten – vielleicht nicht frei von einem antijudaistischen Zeitgeist? – mit folgenden Worten: „Die Karikatur tritt da auf, wo körperliche Fehler besonders hervorgehoben, seelische Affekte einseitig betont werden in der Absicht durch das Absonderliche die Wirkung des Komischen zu erreichen. Der Quadratschädel […], der Sonderling […] mit seiner riesigen Nase und seinem unendlich breiten Mund, die kahlköpfigen Gesellen […] mit ihren Schlappohren sind nicht nur körperlich entstellt, sondern scheinen auch geistig gestört zu sein. Die Besorgnis bei […] ist mürrisches Wesen, der Tiefsinn bei […] grenzt an Verblödung.“ (Die dreigliedrigen Katalogkürzel wurden im Zitat zwecks Lesbarkeit getilgt) 27 LANGNER 2001, Nr. 1242. 28 Aus dieser Tradition ist der Esel als Synonym für ‚Dummkopf‘ fest in die europäische Phraseologie etabliert worden; vgl. RÖHRICH 2003, I 393f.
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ist etwa der Graffito mulus hic muscellas docuit erhalten. 29 Der antimonotheistische Esel-Topos konnte an den allgemeinen Topos des ‚dummen‘ Esels sehr gut anknüpfen und vor diesem Hintergrund weite Rezeption erfahren. ZWISCHENFAZIT Die bisher angeführten Quellen, die allesamt eine gleiche oder vergleichbare Darstellung sowie eine gemeinsame anti-jüdische Intention verfolgen – letztlich also der gleichen Konvention entstammen –, werden in der Forschung zumeist als Topoi aufgefasst. Womit dann in der Regel gemeint wird, dass es sich um bewusste Übertreibungen pauschaler Wesenszuschreibungen einer Personengruppe handelt, welche im Zuge einer Narrativ-Ausbildung zahlreich kopiert und wiederholt werden, bis sie in der Erwartungshaltung eines Rezipientenkreises bzw. Publikums verankert sind und damit quasi einen sicheren Platz im kulturellen Gedächtnis erobert haben, was eine Verstetigung und damit überhaupt erst die Ausbildung einer konstanten topischen Figur erlaubt. Wichtig ist dabei auch, dass die topischen Behauptungen keine authentischen und überprüfbaren Inhalte haben. Der Judenexkurs des Tacitus bietet keine sachlich-inhaltlichen Argumente oder weist auf Widersprüchliches oder Unglaubwürdiges in der jüdischen Religion und Kultur hin oder differenziert qualitativ zwischen bestimmten jüdischen Gruppen. Es werden lediglich stereotype (Gegen)Bilder referiert, die eine ganz und gar negative Darstellung aller Juden aufrufen sollen. 30 Hinsichtlich des Religionsdiskurses zwischen Christen, Juden und Heiden/Paganen hat Dodds in seinem Standardwerk „Christen und Heiden in einem Zeitalter der Angst“ einst sehr pointiert festgehalten: „Für den Dialog auf der populären Ebene ist >Argument< kaum das richtige Wort: er bestand hauptsächlich aus Beschimpfungen“. 31 Die Tatsache, dass die Topoi auf plakative diskriminierende Aussagen reduziert sind, zeigt, dass es sich um seit langer Zeit festetablierte ‚Urteile‘ und ‚Ansichten‘ handelt. Aber waren es übertriebene ‚Ansichten‘, die jedermann als solche erkannte? Und ging man im täglichen Leben neutraler und differenzierter miteinander um? Waren Topoi ‚nur‘ literarische Figuren, die im Alltag der Menschen keine Rolle spielten? Eine Berücksichtigung der dokumentarischen Quellen erlaubt hier tiefgehende Einblicke in die Gestaltung solcher Topoi sowie ihren konkreten alltäglichen Gebrauch. Bereits die alexandrinischen Statuetten sowie der Alexamenos-Graffito deuten an, dass man den Einsatz der JudenTopoi auch im Alltagsleben anzunehmen hat. In der Folge sollen papyrologische Quellen aus Ägypten vorgestellt werden, wobei in erster Linie Beispiele aus dem 1. und 2. Jh. n. Chr. behandelt werden, also Quellen aus etwa der Zeit, in welcher der taciteische Judenexkurs basierend auf ägyptischen Vorlagen entstand. 29 Phaed. 5,4; vgl. auch 1,21,11. CIL IV 2016; Regio VII,11,11. 30 SCHÄFER (2010, 227) führt zu der Situation zwischen Juden und Alexandrinern allgemein aus: „Der Konflikt zwischen Juden, Griechen und Ägyptern in Alexandria war in erster Linie ein politischer; es gibt keinerlei Hinweise darauf, daß religiöse Fragen involviert gewesen seien.“ 31 DODDS 1992, 98.
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ANTIJÜDISCHE QUELLEN: DIE PAPYROLOGISCHE EVIDENZ Besonders deutlich wird der in Ägypten verbreitete Antijudaismus in dem Papyrus CPJ 3/520 = PSI 8/982. 32 Dieses ‚Frammento di Profezia‘ aus der Mailänder Sammlung stammt aus dem Umfeld der Töpfer-Orakel und datiert wahrscheinlich in das 3. Jh. n. Chr., der Inhalt ist aber vermutlich in früherer Zeit entstanden und wurde mehrmals kopiert. In der Forschung wurde der Text vereinzelt auf die Revolte von 115–117 n. Chr. bezogen, wofür es jedoch keine Beweise, sondern nur indizielle Annahmen gibt. Basierend auf der Erwähnung eines Kultbaus (τὰ ἱερά; Z. 3) wurde vorgeschlagen, eine Verbindung der Prophetie mit dem literarisch bezeugten und vielleicht archäologisch nachgewiesenem Tempel des Onias in der Nähe von Leontopolis in Erwägung zu ziehen. 33 Der Tempelbezirk wurde mit einer Mauern befestigt und lag ca. 20 km vom heutigen Kairo entfernt. Im Arabischen heißt der Ort heute noch Tell el-Yahudiya bzw. el-Jahudija („Hügel der Juden“). 34 Gesichert ist dieser Bezug von Z. 3 auf den Onias-Tempel allerdings nicht. Dennoch ist der Papyrus aufschlussreich, da er eindringlich den plakativen Judenhass, wie er in der Kaiserzeit vorherrschte, dokumentiert: Man soll gegen die Juden vorgehen (ἔπελθε οὖν Ἰου[δαίοις; Z. 4), denn Ägypten sei unglücklich (τάλενα Αἴγυπ[τος; Z. 2), Städte seien entvölkert/verlassen (πόλιν ἔρημον γενέσθαι; Z. 5), Gesetzlosigkeit (?) herrsche vor (ἀνομί[α (?); Z. 6), anstelle von Propheten seien Gesetzesbrecher zugegen (καὶ ἀντὶ προφητῶν οἱ παράνομοι; Z. 7) und deshalb habe Isis die Juden aus dem Land vertrieben (ἐξ Ἐγύπτου ἐγβεβλημένοι / κατὰ χώλον Ἴσιδος; Z. 8f.). Eine Interpretation des fragmentarischen Textes ist natürlich mit Vorsicht auszuführen, doch lässt der erhaltene Wortlaut keinen Zweifel daran, dass hier eine mit polemischen Äußerungen angefüllte Verunglimpfung der Juden, die als „Wider-den-Gesetzen-handelnde-Menschen“ (παράνομοι; Z. 7) bezeichnet werden, vorliegt. Auch wenn wir den Gebrauch solcher Orakel-Texte im Kontext alltäglicher Religionsausübung nachvollziehen können, so muss man über den Charakter des Textes dennoch sagen, dass es sich natürlich hierbei um einen (semi-)literarischen, nicht gänzlich dokumentarischen Text handelt. Solche Orakeltexte wurden vervielfältigt, da sie einen Publikumscharakter hatten. Es handelt sich somit in gewisser Weise um Literatur. Allerdings ist die konkrete Funktion solcher Texte aufgrund von Vergleichsbeispielen bekannt. Sie wurde von Priestern, aber auch von Privatpersonen als Gebetstext verwendet. Daraus folgt: Polemische anti-jüdische Äußerungen waren – dies bezeugt das Mailänder „Frammento di Profezia“ zweifelsfrei – ein Bestandteil paganer Kulthandlungen. Wir sehen in diesem Fall also, dass das, was im taciteischen Judenexkurs als Topoi einer literarischen Tradition erscheint, im ägyptischen Alltag teilweise einen lebendigen Platz einnahm, da polemische Auslassung
32 Vgl. zu dieser Quelle auch ASSMANN 2004, 71; vgl. allgemein zum alexandrinischen Antijudaismus auch YAVETZ 1997, 63ff. 33 Vgl. Flav., Iud. Bell. 7,426–429; A.-P. ZIVIE, in: LÄ 6, 1986, Sp. 333. 34 A.-P. ZIVIE, in: LÄ 6, 1986, Sp. 331–335.
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über Juden, die als wider die natürliche Ordnung Agierende angesehen wurden, Teil des eigenen religiösen Ritus waren. Ein sehr wichtiges Quellenzeugnis stellt auch der Brief BGU 4/1079 da, der im Jahr 41 n. Chr. verfasst wurde. 35 Der Adressat steht vor einer geschäftlichen Reise nach Alexandria, es geht um Geldleihgeschäfte, die beiden Briefpartner scheinen verschuldet zu sein. Der Absender warnt nun eindringlich: „Hüte auch Du Dich, wie es alle tun, vor den Juden“. 36 Die Formulierung lässt keine Zweifel daran, dass BGU 4/1079 keine Einzelmeinung überliefert, sondern eine weit verbreitete Ansicht teilt (ὡς ἂν πάντες; Z. 24). Alle meiden die Juden in Alexandria. Dies könnte einerseits bedeuten, dass der Adressat sich von dem jüdischen Stadtviertel, das Viertel Δ im Osten der Stadt, 37 fernhalten soll. Andererseits könnte auch ein Bezug zu den Geldleihgeschäften bestehen. Offensichtlich benötigten die Briefpartner dringend Geld, jedoch soll – so eine mögliche Interpretation – der Adressat keine Kreditgeschäfte mit Juden eingehen. Wie dem auch immer gewesen sein mag, der Brief deutet allgemein Spannungen und Konflikte zwischen Griechen und Juden in Alexandria an. Dabei wird deutlich, dass man undifferenziert vor der ganzen jüdischen Bevölkerung zu warnen scheint, es also eine Verallgemeinerung gegeben hat, die von großen Teilen der Gesellschaft geteilt wurde. Ebenfalls aus dem Jahr 41 n. Chr. stammt der Herrscherbrief P.Lond. 6/1912 = CPJ 2/153, den Claudius nach Alexandria schickte, um Konflikte und gewalttätige Übergriffe zwischen Alexandrinern und Juden zu schlichten. 38 Im hier verfolgten Kontext sind die Z. 81–104 aus Kolumne IV–V relevant: In Bezug auf die Verantwortlichkeit für die Unruhe und die Tumulte oder – um eigentlich die Wahrheit zu sagen – für den Krieg gegen die Juden, auch wenn eure Gesandten, insbesondere Dionysios, der Sohn des Theon, energisch und ausführlich in der Verhandlung argumentiert haben, habe ich nicht die Absicht, eine genaue Untersuchung durchführen zu lassen. Aber ich hege in mir eine Sammlung unveränderbarer Empörung gegen diejenigen, die den Streit erneut befeuern. Ich sage das lediglich, bis ihr diese zerstörerische und starrköpfige Feindschaft aufgebt, oder ich werde gezwungen sein, euch zu zeigen, zu was ein wohltätiger Herrscher imstande ist, wenn er sich zu gerechter Empörung veranlasst sieht. Sogar jetzt noch, weise ich deshalb die Alexandriner an, sich gegenüber den Juden, die seit vielen Jahren die gleiche Stadt bewohnen, rücksichtvoll und nett zu verhalten, und (ich weise die Alexandriner an,) keinen ihrer religiösen Opferbräuche für ihren Gott zu entehren, sondern ihnen zu erlauben, ihre eigene Lebensart zu behalten, genauso wie sie es in der Zeit des göttlichen Augustus getan haben und wie es von mir, nachdem ich beide Seiten angehört habe, beschlossen wurde. Den Juden, auf der anderen Seite, befehle ich, nicht mehr zu verlangen als sie bisher gehabt haben und zukünftig nicht zwei Gesandtschaften zu schicken, so als würden sie in zwei Städten leben – etwas, das noch nie vorgekommen ist – und (ich befehle), dass sie sich nicht in die Spiele einschleichen dürfen, denen die Gymnasiarchen und Kosmeten vorsitzen, da sie das genießen sollen, was ihnen gehört, und in einer Stadt, die ihnen nicht gehört, genießen sie eine Fülle an guten
35 36 37 38
Vgl. W.Chr. 60; SelPap. 1/107; CPJ 2/152. Z. 24–26: ἐὰν μή, ὡς ἂν πάντες καὶ σὺ βλέ/πε σατὸν (l. σεαυτὸν) ἀπὸ τῶν Ἰου/δαίων. CLAUSS 2002, 155ff; SCHÄFER 2010, 203f. Vgl. SelPap. 2/212; PFEIFFER 2010, 76ff; BRINGMANN 2005, 227ff; SCHÄFER 2010, 214ff; für den weiteren Kontext der Konflikte in der Zeit des Caligula und Claudius vgl. PFEIFFER 2004b; YAVETZ 1997, 101ff.
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Sachen. Des Weiteren dürfen sie keine anderen Juden aus Syrien oder Ägypten (in die Stadt) einladen, oder ich bin gezwungen, intensiveren Verdacht (gegen sie) zu entwickeln. Sollten sie das missachten, werde ich auf jede denkbare Art und Weise gegen sie vorgehen, so wie gegen eine um sich greifende Plage, die die Welt bedroht. Wenn ihr beide eure aktuelle Einstellung aufgebt und gewillt seid, in Freundlichkeit und Rücksicht miteinander zu leben, werde ich so gut es mir möglich ist für das Wohlergehen der Stadt Sorge tragen, so als ob sie schon lange mit uns eng verbunden sei.
Die wesentlichen Inhalte des kaiserlichen Entscheids sind also folgende: 1) Bezüglich der letzten Unruhen und Tumulte soll es keine genaue Untersuchung mehr geben; 2) Zukünftige Konflikte soll es nicht mehr geben; die Verursacher werden zukünftig hart bestraft werden; 3) Die Alexandriner sollen sich gegenüber den Juden aufrichtig und fair verhalten und nicht ihre Religion angreifen oder Religionsausübung behindern; beide Religionen sollen wie unter Augustus erlaubt sein; 39 4) Juden dürfen sich nicht mehr in die Spiele einschleichen, sich also nicht Rechte anmaßen, die ihnen nicht zustehen, da die Stadt schließlich nicht ihnen gehört; 5) Juden dürfen keine anderen Juden aus Syrien oder dem übrigen Ägypten nach Alexandria einladen und aufnehmen; 40 6) Claudius vergleicht die Juden, sofern sie seinen Anweisungen keine Folge leisten sollten, mit einer Plage/Seuche, die die Welt bedrohe und gegen die er vorgehen müsse; 41 7) Abschließend verlangt der Kaiser von beiden Parteien, in Rücksicht aufeinander in der Stadt zu leben. P.Lond. 6/1912 = CPJ 2/153 ist eine gesetzesgleiche Anordnung des Kaisers, ein Herrscherschreiben, das vervielfältigt und in Ägypten bekannt gemacht wurde. Es zeigt den Herrscher als neutralen Richter, der ein friedliches Zusammenleben beider Religions- und Volksgruppen erreichen möchte. Die polemischen Topoi des taciteischen Judenexkurses sowie des Mailänder Orakel-Fragments, aber auch die von Judenhass geprägte Äußerung aus dem zitierten Privatbrief BGU 4/1079, sind mit der Anordnung des Claudius nicht vergleichbar. Er äußert keine einseitige Polemik, sondern versucht mit Verweis auf bestehende Gesetze und Anordnungen die angespannte Situation zu entschärfen. Lediglich die ausgesprochene Drohung, er werde – sofern die Juden sich nicht korrekt verhalten – gegen sie vorgehen wie gegen eine die Welt bedrohende Seuche, verdeutlicht eine klare Parteinahme. Der Kaiser stellt sich notfalls in dem Konflikt auf die Seite der alexandrinisch-ägyptischen Mehrheit und wendet sich gegen die jüdische Minderheit. Gemeinsam hat P.Lond. 6/1912 = CPJ 2/153 mit den bisher angeführten Quellen die verallgemeinerte Sicht, dass die Juden als eine geschlossene Bevölkerungsgruppe angesehen
39 Vgl. zur Stellung der Juden unter Augustus: SCHUOL 2007. 40 Für dieses demographische Argument und die dahinterstehende Angst der Griechen, innerhalb der Stadt irgendwann in der Minderheit zu sein, wurde in der Forschung auch bewusst das moderne, aber durchaus passende Wort der „Überfremdungsfurcht“ verwendet; vgl. SCHÄFER (2010, 229) mit der weiteren Literatur. 41 Ein solches Vorgehen hatte er – folgt man Sueton (Iudaeos impulsore Chrestos assidue tumultuantis Roma expulit; Claud. 25,4) – in der Stadt Rom bereits in die Tat umgesetzt.
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werden. 42 Die Formulierung, die Juden seien als eine die Welt bedrohende Seuche anzusehen, ist inhaltlich nicht weit von der taciteischen Polemik entfernt. Wichtig ist aber auch, dass P.Lond. 6/1912 eine weitergehende Kontextualisierung von BGU 4/1079 denkbar macht: Die Anweisung an den Adressaten, sich vor den Juden zu hüten, könnte mit den Unruhen und Konflikten zusammenhängen, auf welche Claudius durch seinen Herrscherbrief zu reagieren versucht. Claudius spricht in seinem Herrscherbrief Gesandtschaftsreisen der Alexandriner und Juden an, die vor ihm über die Konflikte und Unruhen verhandelt hätten. Semi-literarische Papyrustexte von solchen Gesandtschaftsreisen – die sog. paganen Märtyrerakten bzw. Acta Alexandrinorum 43 – liegen mit CPJ 2/156a–d für die Zeit des Claudius vor; es handelt sich um die sog. Acta Isidori. 44 Diese Texte entstammen einer alexandrinischen Oberschicht und sind auch für eine solche geschrieben, sie kennzeichnen sich u.a. durch eine bewusste Kaiserkritik und verfolgen die Intention, die Alexandriner als vom Kaiser benachteiligte Partei darzustellen. Deshalb sind sie nicht unkritisch als Quelle für reale Geschehen während der Verhandlungen vor dem Kaiser, sehr wohl aber als direkte Quelle für die alexandrinischen Judentopoi verwertbar. Neben der Verunglimpfung „Drei-Obolen-Juden“, 45 die von einem Alexandriner gegenüber dem jüdischen König Agrippa, einem Freund des Claudius, artikuliert wird, ist der dialogische Gesandtschaftsbericht hier aufgrund der folgenden Textstelle beachtenswert: Von der griechischen Gesandtschaft wird der Vorwurf vorgetragen, dass die Juden „die ganze Welt in Aufruhr versetzen wollen“. 46 Außerdem seien „sie nicht von derselben Natur wie die Alexandriner“, sondern leben eher „nach der Art und Weise der Ägypter“. 47 Die Aussage des claudischen Herrscherbriefes, explizit die Seuchen-Gleichsetzung, ist in dem Punkt, dass die Juden die ganze Welt bedrohen könnten, sehr nahe mit dem semi-literarischen Gesandtschaftsbericht zu verbinden. Ganz bewusst wird zudem deutlich, dass die Juden gegenüber den Alexandrinern als minderwertig anzusehen seien. Wie P.Lond. 6/1912 = CPJ 2/153 deutlich zeigt, gab es neben der Religionsausübung weitere öffentliche Bereiche, in denen Juden ausgegrenzt wurden. Die 42 Es ist bemerkenswert, dass Claudius sich zukünftig das zeitgleiche Aussenden von zwei jüdischen Gesandtschaften aus Alexandria verbittet (Col. V Z. 89f.). Offensichtlich gab es innerhalb der jüdischen Gemeinschaft verschiedene politische Lager. Der Kaiser hätte hier vielleicht einen diplomatischen ‚Hebel‘ ansetzen können, um manche Teile enger an die römische Obrigkeit zu binden und so innerhalb der jüdischen Gruppe eine Befriedung und Schlichtung zu erreichen. Man gewinnt jedoch den Eindruck, dass Claudius die Juden als eine geschlossene Gruppe wahrnimmt. 43 Vgl. MUSURILLO 1979; VEGA NAVARRETE 2017. 44 MUSURILLO 1979, 18ff, Nr. 4; VEGA NAVARRETE 2017, 124ff; vgl. auch SCHÄFER 2010, 222ff. u. NIRENBERG 2017, 49. 45 Col. I Z. 18: ὑπὲρ Ἀγρίπ]που Ἰουδαίου τριβολείου; vgl. MUSURILLO 1979, 21; zu Interpretationsmöglichkeiten dieses Schimpfwortes, vgl. SCHÄFER 2010, 223. 46 Col. II Z. 23: κ]αὶ ὅλην τὴν οἰκουμένην [ἐπιχειροῦσιν παράσ]σειν; vgl. MUSURILLO 1979, 23. 47 Col. II Z. 25: οὔκ εἰσιν Ἀλεξανδρεῦσιν ὁμοιοπαθεῖς; und Z. 26: τρόπῳ δὲ Αἰγυπτ[ίων ὁμοῖοι; vgl. MUSURILLO 1979, 23f.
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Ermahnung, Juden dürften sich in keinem Fall zu den Spielen einschleichen, spiegelt sehr wahrscheinlich eine offizielle Klage der Alexandriner wider. Die Juden sollen hier rigoros ausgeschlossen sein, nur den griechischen Einwohnern Alexandrias war der Besuch erlaubt. Ausgrenzung, die man in gewisser Hinsicht auch als Stigmatisierung ansehen kann, kann auch in anderen offiziellen Dokumenten erkannt werden. BGU 4/1140 ist eine Petition in Steuerangelegenheiten aus dem Jahr 4 v. Chr., von welcher hier lediglich die Z. 1–5 interessant sind: An Gaius Turranius von Helenos, (Sohn) des Tryphon, \(ein) Juden aus Alexandria/ ⟦Alexandrinischer Bürger⟧. \Höchstgeehrter/ Statthalter, auch wenn mein Vater Alexandrinischer Bürger war, (und) ich immer hier die ganze Zeit gelebt habe … 48
Der Petitionssteller Helenos hat fälschlich angegeben, er sei alexandrinischer Bürger, oder dieser Fehler ist einem Schreiber unterlaufen. Dies wurde korrigiert, man tilgte ⟦Ἀλεξανδρέω(ς)⟧ und schrieb oberhalb der Zeile \Ἰουδαίου τῶν ἀπὸ Ἀλεξανδρε(ίας)/ auf das Papyrusblatt. Dieser in einem offiziellen Dokument ersichtliche Statusunterschied zwischen einem Einwohner Alexandrias mit Bürgerrecht und einem Juden, der in Alexandria nur ein Wohnrecht besaß, wurde zweifellos auch in der allgemeinen Polemisierung zwischen den beiden Gruppen im öffentlichen Raum aufgegriffen. Der Befund der Petition BGU 4/1140 zeigt deutlich, was Claudius meint, wenn er sagt, die Juden dürften zwar in Alexandria leben, aber dies sei nicht ihre Stadt. Dies korrespondiert auch mit dem semi-literarischen Gesandtschaftsbericht CPJ 2/156a–d, in welchem die Aussage zu lesen ist, dass die Juden nur auf dem Stand der Ägypter, also gegenüber den Griechen minderwertig seien. Die hier greifbare, bewusst kenntlich gemachte Separierung von Griechen/Alexandrinern auf der einen und Juden auf der anderen Seite, stellt die Grundlage dar für die verallgemeinernden Judentopoi und für die Gleichsetzung mit einer „Seuche, die die Welt bedroht“. Hier ist zu betonen, dass diese Gleichsetzung die Juden in gewisser Hinsicht entmenschlicht, sie werden zu etwas Lebensfeindlichem, das Menschen bedroht und zugleich selbst nicht mehr zum Menschengeschlecht gehört. 49 Wie sehr der durch BGU 4/1079 unmittelbar und durch P.Lond. 6/1912 = CPJ 2/153, CPJ 2/156a–d und BGU 4/1140 mittelbar ersichtliche Konflikt zwischen Juden und Griechen in Alexandria im Alltag gelebt wurde, verdeutlichen mit besonderem Nachdruck Briefzeugnisse aus der Zeit des Diaspora-Aufstands zwischen
48 Γαίωι Τυρρανίωι / παρὰ Ἑλένου το(ῦ) Τρύφωνο(ς) \Ἰουδαίου τῶν ἀπὸ Ἀλεξανδρε(ίας)/ ⟦Ἀλεξανδρέω(ς)⟧. / ἡγεμὼ(ν) \μέγιστε/ ⟦βέλτιστε⟧, ὢν ἐκ πατρὸς Ἀλεξανδρέ(ως) / ⟦καὶ⟧ διατρείψας (l. διατρίψας) ἐνταῦθα τὸν πάντα χρόνον / μεταλαβὼν … 49 Ein äußeres Unterscheidungsmerkmal, mittels welchem die Juden von den Alexandrinern abgesetzt wurden, kann auch in der jährlich zu entrichtenden Judensteuer gesehen werden, die durch viele Steuerquittungen (z.B. O.Deiss. 33; O.Edfou 1/69; O.Edfou 2/138 od. O.Edfou 2/268f.) dokumentiert ist; vgl. REINARD 2016, 67ff; zur literarischen und numismatischen Evidenz für die Judensteuer vgl. GÜNTHER 2014a u. ders. 2014b.
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115 und 117 n. Chr. 50 In P.Brem. 1 = CPJ 2/438 aus dem Apollonios-Archiv werden die Juden als ‚gottlos‘ bezeichnet, womit die u.a. im taciteischen Exkurs aufgeführten Topoi anklingen. In dem Brief geht es um den militärischen Einsatz von Dorfund Chora-Bewohnern, die sich in einer Art Miliz gegen die jüdische Aufstandsbewegung gestellt haben: „Die einzige Hoffnung und noch übrige Erwartung war der Vorstoß der zusammengeschlossenen Dörfler aus unserem Gau gegen die gottlosen Juden, wovon jetzt das Gegenteil sich ereignet hat.“ 51 In einem anderen Brief (P.Giss. 41) heißt es: „Wegen der Angriffe der gottlosen Juden benötigt praktisch alles, was ich in den Dörfern des Hermopolites und in der Metropolis besitze, meine Anwesenheit.“ 52 Mit ἀνοσίος, was neben der Bedeutung ‚gottlos‘ auch als ‚gesetzlos‘ verstanden werden kann, werden die Juden attribuiert. Hinsichtlich dieser Darstellung scheint es eine Konvention gegeben zu haben, die sich in den Jahren des Aufstands 115–117 n. Chr. gewiss leicht durch die Kampfhandlungen und Zerstörungen erklären lässt, aber die zweifellos auch schon in früheren Jahrzehnten, etwa in den Konflikten in der Zeit des Caligula und Claudius, ganz allgemein üblich gewesen ist. In einem Brief aus dem Tiberianus-Archiv (P.Mich. 8/478) nennt der in der römischen Armee dienende Absender Claudius Terentianus einen großen Aufstand (θόρυ]βον το[σο]ῦτον; Z. 14), der anscheinend – der fragmentarische Textzustand verhindert eine letzte Sicherheit – von Gesetzesbrechern (τ[οὺς] τ[ῶν] νόμ[ων παραβάτας; Z. 16) verursacht wurde, gegen welche die Armee vorgegangen ist (cf. Z. 15f.). Sehr wahrscheinlich bezieht sich Claudius Terentianus ebenfalls auf die jüdische Aufstandsbewegung, 53 seine Formulierung kann als Umschreibung des Attributs ἀνοσίος angesehen werden. Zu erinnern ist auch an die Erwähnung von παράνομοι und ἀνομί[α] (?) in CPJ 3/520 = PSI 8/982 (Z. 6f.). Hinsichtlich der Frage nach der Anwendung von Topoi in literarischen Quellen sowie in konkreter, unmittelbar überlieferter Alltagskommunikation ist ein Vergleich zwischen einem Exzerpt aus dem Geschichtswerk des Cassius Dio und einem weiteren Brief aus dem Apollonios-Archiv aufschlussreich. Beide Quellen beziehen sich auf den besagten Aufstand von 115–117 n. Chr. Cassius Dio, der uns hier nur durch Xiphilinos überliefert ist, berichtet über den Aufstand wie folgt: 54
50 Zum Aufstand vgl. CLAUSS. 2002, 160ff; BRINGMANN 2005, 266ff; PUCCI BEN ZEEV 2005a; HORBURY 2014, 164ff; WEIKERT 2016, 190ff; STROBEL 2019, 454ff; zu den Folgen: REINARD 2016. 51 Z. 1–5: μία ἦν ἐλπὶς καὶ λοιπὴ προσ/δοκία ἡ τῶν ἀπὸ τοῦ νομοῦ / ἡμῶν ἀθρώων (l. ἀθρόων) κωμητῶν / [πρ]ὸς τοὺς ἀνοσίους Ἰο[υδαί]ους / ὠ̣σμή (?), ἀφ’ ἧς τὰ ἐνα[ν]τία / νῦν ἐξέβη. 52 Col. II Z. 4–7: παρὰ τὴν τῶν ἀνοσίων [Ἰου]/δα̣ίω ̣ [ν ἔ]φοδον σ̣χεδὸν πά[ν]τ̣[α ὅσα] / ἔχ[ω ἔν τε ταῖ]ς κώμ̣αις τοῦ [Ἑρμοπο]/λίτο[υ κ]αὶ ἐν τῆ[ι μη]τ̣ρ̣ο̣πόλε[ι … ; vgl. SelPap. 2/298; CPJ 2/443; W.Chr. 18. 53 STRASSI 2008, 87ff. 54 Cass. Dio 58,32,1–3. Bei Xiphilinos 240,15–241,27 R. St. Übers. n. OTTO VEH. Der Dio-Bericht wird in der Regel als topisch überzeichnet angesehen; vgl. z.B. WEIKERT 2016, 196.
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Die Juden in der Landschaft Kyrene hatten inzwischen einen gewissen Andreas zu ihrem Führer gemacht und waren dabei, Römer und Griechen zu töten. Sie verspeisten ihr Fleisch, fertigten sich aus ihren Eingeweiden Gürtel, bestrichen sich mit ihrem Blute und benützten ihre Haut für Kleidungsstücke. Viele sägten sie vom Haupte aus mittendurch in zwei Teile. (2) Andere warfen sie wilden Tieren zum Fraße vor, und wieder andere mußten als Gladiatoren miteinander fechten. Insgesamt fielen ihnen so 220.000 Menschen zum Opfer. In Ägypten verübten die Juden gleichfalls zahlreiche Untaten ähnlicher Art, nicht minder in Zypern, und zwar unter Führung eines gewissen Artemion. (3) Auch hier fanden 240.000 den Tod, weshalb kein Jude mehr die Insel betreten darf; selbst wenn einer vom Sturm an ihre Küste verschlagen wird, hat er mit dem Tod zu rechnen. Doch Lusius, neben anderen von Trajan entsandt, unterwarf die Juden.
Cassius Dio breitet Barbarentopoi aus: Verspeisen der getöteten Feinde, 55 Anfertigung von Gürtel aus Eingeweiden sowie Kleidung aus Haut oder Bemalung des Körpers mit Feindesblut. Ferner werden wohl Reminiszenzen an römische Hinrichtungen in der Arena deutlich, wenn das Durchsägen der Gefangenen oder – hier deutlich durch römische Amphitheater-Bilder beeinflusst – die Tötungen durch wilde Tiere oder im Zuge von Gladiatorenkämpfen genannt werden. Bewusst wird hier eine verdrehte Gegenwelt konstruiert. All dies scheinen Übertreibungen zu sein, die vermutlich anzeigen sollen, wie grausam und unmenschlich die Aufstandsbewegung gegen die Provinzbevölkerung in der Kyrenaika, Ägypten sowie auf Zypern vorgegangen ist. Gerade die Darstellung der Juden als Kannibalen, die zudem ihren Körper mit Feindesblut schmücken und Eingeweide und Haut als Körperbekleidung tragen, erzeugt eine Entmenschlichung und Entrückung der Juden in die Welt des völlig Abnormalen. Es ist bemerkenswert, dass es hierfür in den unmittelbar überlieferten Papyrusbriefen eine Vergleichsstelle gibt. In P.Giss. 24 = P.Giss.Apoll. 7 aus dem Apollonios-Archiv schreibt Eudaimonis, die Mutter des Apollonios, an ihren im Kampfeinsatz gegen die Juden befindlichen Sohn: 56 … wenn die Götter und insbesondere der unbesiegbare Hermes Dir gewogen sind, werden sie Dich gewiss nicht braten. Und schließlich sei für mich gesund, mit all den Deinen. Euch grüßt Heraidus, die Tochter, die keinen Schaden erleiden wird.
Dass neben den Göttern hier Hermes explizit genannt wird, dürfte an dem Aufenthaltsort der Mutter im Hermopolites, dem Heimatgau der Apollonios-Familie, lie-
55 Der Kannibalismusvorwurf ist als Topos auch in Polemiken gegen Christen greifbar; vgl. DEGEN 2015. Man darf diskutieren, ob – wie Michael Zerjadtke in der Einleitung dieses Bandes thematisiert – ein falsches Verständnis religiöser Praktiken durch Pagane zu der Ausformung eines polemischen Topos geführt haben könnte. Zu den antiken Kannibalen-Topoi vgl. die Aufsätze in dem Sammelband PÖHL/FINK 2015 sowie zur epochenübergreifenden Konstruktion des Kannibalen-Bildes in der historischen Forschung die Beiträge in FINK/PÖHL/REBITSCH 2017. 56 Z. 1–8: … τ]ῶν θε̣ῶν / [οὖ]ν̣ θελόντων καὶ μάλι̣σ̣τα / τ̣οῦ ἀνικήτο̣υ Ἑρμοῦ οὐ μή / σε ὀ̣π̣τήσωσι {σι}. τὰ δʼ ἄλ/λα ἔρ̣ρωσό μοι σὺν τοῖς σοῖς / π̣ᾶσι. ἀσπάζεται ὑμᾶς Ἡρα/ιδο̣ῦς ἡ ἀβάσκαντος θυ/γά̣τηρ; vgl. CPJ 2/437.
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gen. Dass Hermes als „unbesiegbar“ attribuiert wird, zeigt den Kontext der erflehten Hilfe an: Die Götter sollen im Kampf gegen die Juden, die – wie andere Quellen zeigen (s.o.) – als ‚gottlos‘ angesehen werden, beistehen und den filius beschützen. Ausgesprochen bemerkenswert ist aber die Aussage … οὐ μή / σε ὀ̣πτ̣ ήσωσι{σι}.57 Die in den Papyri nicht häufige Konstruktion οὐ μή plus Konjunktiv Aorist drückt eine entschiedene emphatische Verneinung aus. 58 Das Verb ὀπτάω 59 meint „braten“, „rösten“ oder „dörren“. 60 Häufig wird das „Braten/Rösten von Fleisch“, „Braten/Rösten von Käse“ oder „Backen von Brot“ mit ὀπτάω ausgedrückt, wobei zumeist der Kontext der Nahrungszubereitung im Zusammenhang mit Feuer vorherrscht. Es kommt in den Papyri sehr selten vor, 61 ist aber in aller Regel auch im kulinarischen Zusammenhang gebraucht. Eine zweite Bedeutungsebene besteht im ‚Ausdorren des Bodens durch die Sonnenhitze‘, was in P.Giss. 24 sicher nicht gemeint sein kann. Der Kontext des ‚Bratens/Röstens von Menschenfleisch‘, der hier eindeutig ausgedrückt wird, ist ansonsten nicht bezeugt. Preisigke schlägt in WB II 192 vor, die Stelle in P.Giss 24 mit „töten“ zu übersetzen, was als neutrale Interpretation durchaus überzeugt. Allerdings stellt sich die Frage, warum Eudaimonis ein solches Verb verwendet haben soll, wenn es doch viel schlichtere Synonyme gegeben hätte, die kein solch fürchterliches Bild erzeugen. Bemerkenswert ist auch, dass Eudaimonis sich bei ὀ̣π̣τήσωσι{σι} verschrieben hat, es liegt Dittographie vor, was vielleicht an der unüblichen und selten verwendeten Konstruktion, dem in diesem Kontext sehr ungewöhnlichen Verb oder eher an ihrem innerlichen Zustand –
57 Vgl. zu der Stelle auch PUCCI BEN ZEEV 2005a, 171f. 58 Vgl. P.Giss.Apoll. 7, Zeilenkommentar mit Verweis auf MAYSER 1970, II.1 233. 59 Es muss daraufhin gewiesen werden, dass die Lesung der ersten beiden Buchstaben, wie am Original geprüft, sehr problematisch ist. In der Forschung wurde auch vorgeschlagen, statt ὀπτάω das Verb ἡττάω anzunehmen; vgl. CLARYSSE 1989, 97 u. 169, Anm. 18; PUCCI BEN ZEEV 2005a, 171ff; PUCCI BEN ZEEV 2005b; PUCCI BEN ZEEV 2005c; BL VII 59. KORTUS führt jedoch im Zeilenkommntar von P.Giss.Apoll. 7 aus: „Der erste Buchstabe ist zwar nur schwach zu erkennen, doch ist jedenfalls unten eine Querhaste sichtbar, die im vorliegenden Papyrus bei η nicht zu beobachten ist. Zum ο paßt sie dagegen gut. Die linke senkrechte Haste des π fehlt, da der Papyrus dort einen Riß aufweist. Insgesamt scheint aber ein für den Brief typisch weit auseinandergezogenes π dort gestanden zu haben“; vgl. auch Taf. 2 in P.Giss.Apoll. Zu Recht wird auch angemerkt, dass der Erhaltungszustand bei der Erstedition, in welcher dank Wilcken ebenfalls ὀ̣π̣τήσωσι{σι} gelesen wurde, noch besser war. Auch in CPJ 2/437 folgt man der Lesung der Erstedition, verweist aber auf das durchaus aufbrausende Wesen der Eudaimonis, was vielleicht ursächlich für eine unter Stress getätigte Aussage sein könnte (zu Eudaimonis und ihrer durchaus eindrücklichen Persönlichkeit sowie ihrem in den Briefen ersichtlichen Verhalten vgl. auch RUFFING 2006). Würde man trotzdem ἡττάω statt ὀπτάω rekonstruieren wollen, würde sich der Vergleich mit der Aussage des Dio-Exzpertes verbieten, da Eudaimonis dann ‚nur‘ hoffen würde, dass Apollonios nicht besiegt wird. Allerdings sind die Argumente gegen die Lesung ὀ̣π̣τήσωσι{σι} keinesfalls zwingend und die Erstlesung scheint weiterhin überzeugend zu sein. 60 WB II 191f.; LSJ 1242. 61 Vgl. WL 486.
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zweifellos war sie aufgewühlt und in tiefer Sorge um das Wohlergehen ihres Sohnes 62 – gelegen haben könnte. Es stellt sich die Frage, warum Eudaimonis überhaupt diese Aussage in einem Brief an ihren Sohn ausgeführt hat. Hätten Worte wie „die Götter und der unbesiegbare Hermes sind Dir gewogen“ als Aufmunterung und gutes Zureden nicht ausgereicht? Zu beachten ist hier, dass durch den Genitiv τ]ῶν θε̣ῶν / [οὖ]ν̣ θελόντων καὶ μάλι̣σ̣τα / τ̣οῦ ἀνικήτο̣υ Ἑρμοῦ deutlich wird, dass das Schicksal des Sohnes in der Hand der Götter liegt. Die Aussage ist nicht, ‚die Götter und Hermes werden Dir beistehen‘, sondern hier wird eine Bedingung für den Erfolg und das Überleben des Sohnes ausgedrückt: nur ‚wenn die Götter und Hermes Dir beistehen […].‘ Das durch ὀπτάω aufgeworfene Bild, der Sohn wird von den Juden über Feuer „gebraten/geröstet“, dient ganz sicher nicht der Beruhigung des Briefadressaten. Ohne Grund hätte die Mutter, trotz aller innerer Aufwühlung und tiefer Sorge, sicher nicht an ihren Sohn geschrieben, dass er schon nicht ‚gebraten‘ werden wird, sofern die Götter ihm denn gewogen sein sollten. Man muss wegen der Formulierung bzgl. der Götter sowie wegen des ὀπτάω-Bildes davon ausgehen, dass Eudaimonis vermutlich auf eine Aussage des Sohnes in einer Vorgängernachricht Bezug nimmt. Hatte Apollonios vielleicht selbst Ängste vor den Juden und eine konkrete Furcht, von den ‚Gottlosen‘ gefasst und über Feuer gebraten und geröstet zu werden, gegenüber seiner Mutter ausgesprochen? Der Wortlaut in P.Giss. 24 würde dadurch verständlich und erklärlicher, als wenn man ihn als eigenmotivierte Aussage der Mutter ansieht, deren Anliegen zweifellos ein Mut-Zusprechen gewesen sein dürfte. Vor diesem Hintergrund zeigt P.Giss. 24 an, dass es während des Aufstands der Jahre 115–117 n. Chr. das Gerücht gab, dass die Juden ihre Gegner über Feuer ‚braten‘ bzw. ‚rösten‘ würden. Der Vergleich zum Kannibalen-Topos im Werk des Cassius Dio drängt sich hier auf. Gleiche Inhalte eines topischen Beschreibungselements werden hier einerseits in der literarischen Überlieferung, andererseits in einem unmittelbar überlieferten Alltagsdokument annehmbar. Dass Gerüchte über die Aufstandsbewegung und sicher auch über Gewaltaten der Juden damals durch die Provinz kursierten, bestätigen zahlreiche Papyri. In dem Brief P.Giss. 10 schreibt Aline, dass sie u.a. „wegen der Gerüchte zur Lage, die verbreitet werden,
62 Vgl. z.B. P.Giss.Alex. 58. In diesem Brief schreibt Eudaimonis, dass sie die Unruhe bei ihnen im Hermopolites nicht ertragen könne und tags und nachts beten würde. P.Brem. 1 = CPJ 2/438 überliefert Kampfhandlungen im Heimatgau der Familie. SB 10/10277 überliefert indirekt die Aussage eines Militärangehörigen, nach welcher Hermopolis während des Aufstands bedroht sei. Berücksichtigt man weiterhin die Briefe, die von Aline, der Gattin des Apollonios geschrieben sind (z.B. P.Giss. 19), wird eindringlich deutlich, wie angespannt die Situation im Hermopolites gewesen sein muss. Die Gemütslage der Familienmitglieder muss in dieser Stresssituation sehr angespannt gewesen sein, was sich in den Briefzeugnissen spiegelt. Auf Zerstörungen im Hermopolites weisen viele Archivtexte hin: P.Brem. 14 = CPJ 2/446; P.Ryl. 2/233 = SelPap. 1/123; P.Brem. 11 = CPJ 2/444; P.Giss. 20; P.Giss. 41; P.Giss. 67. Die in den Briefen der Aline und Eudaimonis ersichtliche Angst und Anspannung war also nicht unbegründet.
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tief beunruhigt“ sei. 63 Dass sich Schreckensszenarien über begangene Gräueltaten in kursierenden Gerüchten ‚verschlimmert‘ haben, ist anzunehmen. Der Ursprung für die Vorstellung, von Juden ‚gebraten‘ zu werden, könnte vielleicht in Feuer- und Brandkatastrophen liegen, die sich während des Aufstands ereignet haben. In P.Mil.Vogl. 2/47 = CPJ 2/435, einem Edikt des Statthalters Rutilius Lupus, wird der Vorwurf gegenüber den Juden artikuliert, diese würden Feuer und Waffen gegen die Alexandriner vorbereiten. 64 In dem Prozess-Protokoll P.Oxy. 4/707 = CPJ 2/447 wird dokumentiert, dass während des Aufstands in der Tat Gebäude bzw. Gebäudeteile niedergebrannt wurden. Die Zerstörungen während des Aufstands lassen sich in der Kyrenaika, besonders in Kyrene, anhand epigraphischer und archäologischer Quellen und Befunde sehr deutlich fassen. In Ägypten dokumentieren papyrologische Quellen, wie gesagt, vielfache Zerstörungen und durch literarische Nachrichten sind auch Verwüstungen und die Zerstörung des Nemesis-Heiligtums östlich von Alexandria bekannt. 65 Vielleicht hatte Eudaimonis Zerstörungen durch Feuer, eventuell Situationen, die sie im Hermopolites selbst erlebt oder deren Folgen sie gesehen hatte, vor Augen, als sie den Brief an ihren Sohn schrieb. Man muss an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass – so wie oben ausgeführt – zwar mit ὀπτάω gewiss ein Vergleich zu der Aussage des Dio-Exzerpts evoziert wird. Allerdings könnte man vielleicht die Bewertung der Verwendung von ὀπτάω auch dahingehend orientieren, dass man hinter dem Verb eine Hinrichtung durch Feuer, aber keineswegs ein Verspeisen des gebratenen Kriegsgegners sehen kann. Eudaimonis – und wohl auch Apollonios in einer Vorgängernachricht – geht es konkret um die Todesgefahr, der sich der Sohn im Kampf gegen die Aufrührer aussetzt. Der Wortlaut des Briefes könnte also auf den Tod durch Feuer hinweisen. Wichtig ist zudem, dass man sicher von einer schrecklichen Brutalität ausgehen sollte, die sich während des Aufstands bahngebrochen hat. Cassius Dios ‚topische Übertreibungen‘ betonen dies; auch Orosius beschreibt, dass die Juden in ausgesprochen grausamen Kämpfen (atrocissima bella) gegen die Provinzeinwohner vorgegangen seien. 66 Natürlich herrschte während der Aufstandsjahre eine extreme Ausnahmesituation vor, die Erhebung kostete viele Menschen – sowohl Juden als auch Graeko-Ägypter – das Leben; die literarischen und papyrologischen Quellen
63 Z. 3f.: εγάλως [ἀγ]ωνιῶσα περί σου διὰ τὰ ὄν/[τα τ]οῦ καιρ̣[ο]ῦ φημιζόμενα. Vgl. auch P.Giss. 27 = P.Giss.Apoll. 9, SB 10/10277 oder P.Brem. 1 = CPJ 2/438, die allesamt als Zeugnisse aus dem Apollonios-Archiv das Kursieren von Gerüchten über die Aufstandsbewegung und die Gegenmaßnahmen dokumentieren. Auch Papyrustexte, die nicht zum Archiv gehören, stützen diesen Befund: In P.Sarap. 85 Z. 9f. werden Gerüchte über Bewegungen einer Militäreinheit explizit erwähnt. 64 Col. II Z. 27–Col. III Z. 1: κα]ὶ πῦρ καθ‘ ἡμῶν / ἑτοιμάζουσι καὶ σίδηρον. 65 Vgl. REINARD (2016, 48ff) für weitere Quellen, die Zerstörungen im Zuge des Juden-Aufstands belegt. Für den Hermopolites, vgl. die Quellen in Anm. 62. 66 Oros. 7,12,6.
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belegen dies klar. 67 Hier ist auch darüber nachzudenken, inwiefern die Wahrnehmung dieser Ereignisse durch jüdische Äußerungen beeinflusst gewesen sein könnte. In der berühmten sog, ‚Kriegsrolle‘ aus Qumran können beispielsweise folgende Aussagen gelesen werden: 68 Aber die da zerschlagenen Geistes sind, läßt Du entbrennen wie eine Feuerfackel in Garben, sie frißt den Frevel und hört nicht auf, bis daß vertilgt ist die Schuld. Setz deine Hand an den Nacken Deiner Feinde, Deinen Fuß auf Hügel Erschlagener! Zerschmett’re die Völker, Deine Bedränger und Dein Schwert fresse das schuldige Fleisch. Wie das Feuer Seines Grimmes wider die Götzen Ägyptens. Nachdem sie von den Erschlagenen weggegangen, um ins Lager zu kommen, sollen sie alle den Rückkehr-Lobgesang singen. Am Morgen reinigen sie ihre Kleider und waschen sich (rein) vom Blut der Leichen der Schuld.
Solche Äußerungen und ihr theologisch-eschatologischer Kontext der Endzeitschlacht könnten in der damaligen Situation von einer generell judenfeindlich eingestellten graeko-ägyptischen Bevölkerung wörtlich und damit – unbewusst oder aber auch absichtlich – falsch verstanden und bewusst weiter intentionell verformt worden sein; dies gilt ganz sicher erst recht für die Ausnahmesituation während des Aufstands. 69 Einzelne bildhafte Motive aus den Auszügen der ‚Kriegsrolle‘ könnten als Grundlage für die ‚topischen‘ Ausführungen in dem Dio-Exzerpt, aber vielleicht auch als Erklärung für die Äußerungen der von Angst um den Sohn erfüllten Eudaimonis, die zudem Zerstörungen im Hermopolites erlebt haben könnte, angesehen werden. Dr. phil. Patrick Reinard, Universität Trier, Fachbereich III - Alte Geschichte, Raum: BZ 24, 54286 Trier
67 REINARD 2016, 75ff. 68 1QM XI,10f; 1QM XII,10–12; vgl. 1QM XIX,3f; 1QM XIV,1; 1QM XIV,2. Die zitierte Übersetzung folgt MAIER/SCHUBERT 1991, 245ff; vgl. auch MAIER 1995, I 125–156; GARCÍA MARTINEZ 1994, 95–125; STROBEL 2019, 457 u. 471. Indirekt wird das Motiv des Feindesbluts auf den Körpern der kämpfenden Juden auch in 1QM IX,7f. greifbar. 69 Dass entsprechende jüdische ‚Narrative‘ bzw. religiöse Motive in jüdischen Texten wie der Qumran-Kriegsrolle in der Zeit des trajanischen Diaspora-Aufstands eine Rolle gespielt haben, darf man mit guten Gründen vermuten. Die literarischen Quellen wie Cassius Dio oder Michael Syros berichten von einem König, der die Aufstandsbewegung(en) angeführt hat. Auch der Papyrus P.Par. 68 nennt einen basileus, der damals in dem von der Aufstandsbewegung nicht eroberten Alexandria in einem satirischen Theaterspiel verhöhnt wurde (Col. I Z. 3–7). Anführer der Juden müssen damals – ebenso wie später Simon Bar-Kochba – bestrebt gewesen sein, sich religiös-theologisch zu legitimieren, um eine breite Anhängerschaft zu gewinnen. Aus der Zeit des Bar-Kochba-Aufstands ist auch ein Briefzeugnis bekannt, dass zeigt, wie drastisch das Gewaltpotenzial damals gewesen und in der schriftlichen Kommunikation thematisiert worden ist. Dazu SMALLWOOD 1966, 48, Nr. 81.
TOPOI IM ANTIKEN GERMANENBILD Reale Beobachtung und fiktive Begründung? Michael Zerjadtke Die germanische Gesellschaft ist aus nachvollziehbaren Gründen im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beinahe vollständig aus dem Blickfeld der althistorischen Forschung verschwunden. Im Gegenzug entstanden aufgrund des zunehmenden Interesses an der Diskursanalyse eine ganze Reihe von Studien zum Germanenbild bzw. der Darstellung der Germanen in den Quellen. 1 Der Interessenfokus hat sich von den historischen Gegebenheiten weg und hin zur Wertung und Herkunft der Aussagen der Autoren verschoben. Passagen oder ganze Werke über die Germanen, wie über andere fremde Völker, wurden verstärkt als literarische Kunstwerke gesehen, womit zugleich das Bestreben, nach historischen Tatsächlichkeiten zu suchen, in den Hintergrund gedrängt wurde. Die Inhalte der Aussagen antiker Autoren wurden kaum noch als Informationen über die Verhältnisse in den beschriebenen Gesellschaften aufgefasst, sondern vorrangig als Ausdruck ihres Bestrebens, durch die gezielte Nutzung bestimmter Ausdrücke oder Eigenheiten entweder das jeweilige Volk oder eine Person anderer ethnischer Herkunft in konkreter Weise zu charakterisieren und damit gleichfalls implizite 1
Die grundlegende, kritische Arbeit legte NORDEN (1959) im Jahr 1920 vor. Eine kurze Studie mit durchaus ausgewogener Analyse einiger Topoi verfasste RUDBERG (1933). Ganz anders argumentierte jedoch WALSER (1951; 1956), der in seinen Studien die Zuverlässigkeit von Caesar und Tacitus gänzlich in Zweifel zog. Einen detaillierten Forschungsüberblick bis 1990 bietet: TRZASKA-RICHTER 1991, 11–18. LUND (1990), TRZASKA-RICHTER (1991), GÜNNEWIG (1998; 2009) und VON SEE (1994) koppeln die Topoi im Germanendiskurs weitgehend von der historischen Realität ab und äußern sich unterschiedlich oft explizit über den Wahrheitsgehalt der Aussagen. Dabei sind Lund, Günnewig und von See die Historizität betreffend kritischer als Trzaska-Richter. In den jüngeren Arbeiten von ANDREOCCI (2008) und SCHUHMANN (2006) wird nunmehr bereits betont, dass einige Aussagen, auch wenn sie topisch sein mögen, belegbar reale Beobachtungen wiedergeben. An diesem Punkt wird mit der vorliegenden Darstellung angeschlossen. Neben diesen, auf die Germanenbilder in den antiken Quellen fokussierten Arbeiten, sind eine Vielzahl weiterer Abhandlungen zu Konstruktion und Funktion des Germanenbildes und -mythos in der Neuzeit erschienen. Seit 1980 wären u.a. zu nennen: In der Germanistik: ENGSTER 1986. In der Altertumsforschung: WIWJORRA 2006. In der Rechtsgeschichte: BUSCH 2004. Im Frühhumanismus: KRAPF 1979. In der Literatur des 18 und 19. Jh.: DÜWEL/ZIMMERMANN 1986; VON ESSEN 1998. In der Kaiserzeit und den kaiserzeitlichen Zeitschriften: KIPPER 2002; LEROY 2004. Im Nationalsozialismus: LUND 1995; BECK/ALTHOFF 2015. Identität in Deutschland bis 1933: EHRINGHAUS 1996. Nicht berücksichtigt wurde die umfangreiche Literatur zum Terminus „Germanen“ bzw. zum „Germanenbegriff“.
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Kommentare über politische Sachverhalte abzugeben. Da viele Aussagen mit Wertungen oder unglaubhaften Begründungen versehen wurden, ist klar, dass es sich mitnichten um neutrale Berichte handelt, weshalb ihre Deutung als literarischer Ausdruck geistiger Einstellungen nachvollziehbar und im Wesentlichen richtig ist. Dennoch lassen sich einige Informationen, die häufiger in den Quellen zu finden sind, tendenziell verifizieren, was zeigt, dass das Verhältnis von Quelleninhalten und historischen Sachverhalten keinesfalls so einfach ist, wie oft implizit vorausgesetzt wird. TOPOI IM GERMANENBILD Die Germanen eigenen sich als Case Study zu diesem Problemfeld ganz ausgezeichnet, da das Quellenkorpus auf der einen Seite ausreichend umfangreich ist, um gängige Informationen identifizieren zu können und auf der anderen Seite nicht zu groß, sodass ein Gesamtüberblick tatsächlich möglich ist. 2 Zudem stellen die Germanen insofern einen Sonderfall dar, als dass der Beginn des intensiven Kontaktes mit dem griechisch-römischen Kulturkreis in die Zeit hoher Dichte von hervorragend überlieferten Quellen fällt und daher die Entwicklung des Bildes verhältnismäßig gut nachvollzogen werden kann. 3 Anders als bei weiteren Gesellschaften, wie Persern, Kelten oder Nomaden, war es den Autoren in der frühen Phase des „Kennenlernens“ der nördlichen Nachbarn nicht möglich, auf bereits existierende Germanenstereotype zurückzugreifen, wenngleich sie sich der allgemeinen Barbarentopoi oder der etwas spezifischeren Nordbarbarentopoi bedienen konnten. 4 Dennoch werden bereits bei den ersten Autoren, die über Germanien schrieben, Topoi konstatiert, von denen einige auch noch viel später Verwendung fanden. Manche dieser Topoi werden in vielen Studien erwähnt, andere so selten, dass sich die Frage stellt, ob noch von echten Topoi gesprochen werden kann. Einigkeit darüber, welche Topoi über Germanen gängig waren und welche nicht, besteht offenbar nicht. Daher soll im Folgenden erst einmal eine Übersicht gegeben werden, welche Informationen in der Literatur als topisch bezeichnet werden. Die Liste kann keine Vollständigkeit beanspruchen, sondern soll vielmehr einen Überblick über die Vielfalt der angenommenen Topoi bieten. Hierfür wurden die Studien von Allan Lund, Klaus von See, Christine Trzaska-Richter und Beatrix
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Für die vorliegende Studie wurden die Quellen vom Kimbernsturm bis zum Markomannenkrieg analysiert. Überblick bis Caesar: BLECKMANN 2009, 48–88. Merkmale der Barbaren allgemein: Irrationalität, Wildheit, Grausamkeit, Kriegslüsternheit, Streitsüchtigkeit, Prahlerei, generelle Unterlegenheit: DAUGE 1981, 429–449; 602–604. Vgl. NIPPEL 1990; DIEHLE 1994; WOOLF 2011. Kennzeichnend für Nordbarbaren sind u.a. Tiervergleiche, raue Stimmen, Fehlen von staatlicher Organisation, von Herrschaft oder von Rechtssystemen, Freiheitsdrang, Treue gegenüber den eigenen Anführern und Sittenreinheit: VON SEE 1994, 32–46. Vgl. KRIERER 2009; WOLTERS 2009.
Topoi im antiken Germanenbild
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Günnewig durchgesehen und in Einzelfällen weitere Publikationen zurate gezogen. 5 Physische Merkmale von Land und Leuten − − − −
Landschaft (Wald und Sumpf) Seltenheit von Eisen Große Anzahl Körpergröße
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Aussehen (Augen & Haare) Körperkraft Raue Stimmen Scharfer Blick 6
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Tragen von Waffen Geringer Handel Geringschätzung von Silber Todesstrafe, v.a. Versenken im Sumpf Religion/Götter/Kultpraxis Menschenopfer Machtkampf unter Fürsten Betrunken beraten, nüchtern überprüfen Gefolgschaft Durchführen von Raubzügen Raubzüge keine Schande 7
Gesellschaft und Verhaltensweisen − − − − − − − − − − − −
Landnahme Wohnortwechseln/Nomadismus Dörfliches Siedeln/keine Städte Vorratsgebäude mit Kellerraum Ackerbau und Grundbesitz Jagden Trink- und Essgewohnheiten Tragen von Fellen Sexuelle Enthaltsamkeit Offener Umgang von Mann und Frau Gastfreundlichkeit Übergabe der Waffen
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LUND 1990; TRZASKA-RICHTER 1991; VON SEE 1994; GÜNNEWIG 1998. Landschaft (Wald/Sumpf): GÜNNEWIG 2009, 32f; 70; VON SEE 1994, 39f; 351; TRZASKARICHTER 1991, 223f; RUDBERG 1933, 5; 26; 30. Siehe dazu: ZERJADTKE 2018. – Seltenheit von Eisen: GÜNNEWIG 1998, 159. – Große Anzahl: GÜNNEWIG 1998, 42f; TRZASKA-RICHTER 1991, 142; LUND 1990, 60f. – Körpergröße: ANDREOCCI 2008, 42; GÜNNEWIG 1998, 33f; 45– 47; 49f; TRZASKA-RICHTER 1991, 43f; 107; 182; RUDBERG 1933, 14; vgl. BORCA 1997; ders. 2003. – Aussehen (Augen & Haare): GÜNNEWIG 1998, 87; 157f; VON SEE 1994, 32; TRZASKA-RICHTER 1991, 107; 182; LUND 1990, 50f. – Körperkraft: GÜNNEWIG 1998, 86; TRZASKA-RICHTER 1991, 166. – Raue Stimmen: VON SEE 1994, 32; 42; TRZASKA-RICHTER 1991, 50; LUND 1990, 51. – Scharfer Blick: TRZASKA-RICHTER 1991, 107. Landnahme: GÜNNEWIG 1998, 84. – Nomadismus: GÜNNEWIG 1998, 49; 123; LUND 1990, 62. – Dörfliches siedeln/keine Städte: GÜNNEWIG 1998, 161; VON SEE 1994, 40. – Vorratsgebäude: ANDREOCCI 2008, 127; GÜNNEWIG 1998, 161; VON SEE 1994, 349. – Ackerbau & Grundbesitz: GÜNNEWIG 1998, 49; TRZASKA-RICHTER 1991, 43f; 86f; LUND 1990, 63–69. – Jagden: VON SEE 1994, 44. – Trink- und Essgewohnheiten: GÜNNEWIG 1998, 35f; 47; LUND 1990, 67f. – Tragen von Fellen: GÜNNEWIG 1998, 49f. – Enthaltsamkeit: GÜNNEWIG 1998, 47f. – Umgang von Mann & Frau: LUND 1990, 67. – Gastfreundlichkeit: GÜNNEWIG 1998, 126f. – Übergabe der Waffen: VON SEE 1994, 36. – Tragen von Waffen: VON SEE 1994, 44. – Geringer Handel: GÜNNEWIG 1998, 48f. – Geringschätzung von Silber: GÜNNEWIG 1998, 158. – Todesstrafe: VON SEE 1994, 47; 353. – Religion/Götter/Verehrung: GÜNNEWIG 1998, 55. – Menschenopfer: GÜNNEWIG 1998, 128. – Machtkampf unter Fürsten: GÜNNEWIG 1998, 83. – Betrunken beraten, nüchtern überprüfen: VON SEE 1994, 349f. – Gefolgschaft: GÜNNEWIG 1998, 161; LUND 1991, 1899; VON SEE 1994, 45. – Durchführen von Raubzügen: GÜNNEWIG 1998, 84; LUND 1990, 69f. – Raubzüge keine Schande: GÜNNEWIG 1998, 56.
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Michael Zerjadtke
Bewaffnung und Kriegführung − − − − − − − −
Art der Bewaffnung Nackter Oberkörper im Kampf Militärisches Verhalten Taktische Nutzung der Landschaft Aufstellung in cunei Herausragende Anführer haben wachen Verstand Inhalte von Feldherrnreden Zechen und Provozieren vor Kampf
− − −
Heranstürmen zum Kampf Nur erster Ansturm gefährlich Beutegier im Kampf Geringe Ausdauer (im Kampf) Ablauf der Schlacht: Angriff, tapferes Kämpfen, Flucht Anwesenheit von Frauen beim Kampf Scheinfluchten und Hinterhalte Verlieren des Schildes 8
− − − − − − − − − − −
Stolz Tapferkeit Triebhaftigkeit Trotzigkeit Trunksucht Überheblichkeit/Hochmut Übermütigkeit Unbeherrschtheit Uneinigkeit Unüberlegtheit Vergnügungssucht 9
− − − − −
Charaktereigenschaften − − − − − − − − − − −
Aggressivität Disziplinlosigkeit Dummheit/Stumpfsinn Faulheit feritas/Wildheit Freiheitsdrang Grausamkeit Jähzorn Kampfeslust perfidia/Treulosigkeit/Heimtücke Prahlerei
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Art der Bewaffnung: GÜNNEWIG 1998, 76; TRZASKA-RICHTER 1991, 188. – Nackter Oberkörper im Kampf: TRZASKA-RICHTER 1991, 188. – Militärisches Verhalten: VON SEE 1994, 49. – Taktische Nutzung der Landschaft: GÜNNEWIG 1998, 105. – Aufstellung in cunei: TRZASKA-RICHTER 1991, 193f. – Herausragende Anführer haben wachen Verstand: GÜNNEWIG 1998, 70f. – Inhalte von Feldherrnreden: GÜNNEWIG 1998, 95. – Zechen und Provozieren vor Kampf: VON SEE 1994, 49; TRZASKA-RICHTER 1991, 195. – Heranstürmen zum Kampf: GÜNNEWIG 1998, 36; 50; 69; VON SEE 1994, 50; TRZASKA-RICHTER 1991, 187f. – Nur erster Ansturm gefährlich: GÜNNEWIG 1998, 36. – Beutegier im Kampf: GÜNNEWIG 1998, 74; 94; TRZASKA-RICHTER 1991, 194f. – Geringe Ausdauer: GÜNNEWIG 1998, 37; 69. – Ablauf der Schlacht: GÜNNEWIG 1998, 119f; VON SEE 1994, 50. – Anwesenheit von Frauen beim Kampf: GÜNNEWIG 1998, 101; TRZASKA-RICHTER 1991, 138f; 192. – Scheinfluchten & Hinterhalte: GÜNNEWIG 1998, 80; 159. – Verlieren des Schildes: VON SEE 1994, 33. Aggressivität: GÜNNEWIG 1998, 36; LUND 1990, 32; 60f. – Disziplinlosigkeit: TRZASKARICHTER 1991, 195; 201f. – Dummheit/Stumpfsinn: GÜNNEWIG 1998, 37f; 41; 116; 118; TRZASKA-RICHTER 1991, 212. – Faulheit: LUND 1990, 66. – feritas/Wildheit: GÜNNEWIG 1998: 49; 68f; 104f; TRZASKA-RICHTER 1991, 138; 143; 183. Vgl. WOLTERS 2009, 87f. – Freiheitsdrang: GÜNNEWIG 1998, 73; VON SEE 1994, 46f. – Grausamkeit: GÜNNEWIG 1998, 74; 94f; TRZASKA-RICHTER 1991, 51; 149; LUND 1990, 61. – Jähzorn: VON SEE 1994, 354. – Kampfeslust: GÜNNEWIG 1998, 74; 109; 126. – perfidia: GÜNNEWIG 1998, 51–54; 62; 68f; 80; VON SEE 1994, 42; TRZASKA-RICHTER 1991, 143; 191; LEIPRECHT 1932. – Prahlerei: GÜNNEWIG 1998, 83; Trzaska-Richter 1991, 43f; 174. – Stolz: Günnewig 1998, 72f; von See 1994, 46; TRZASKA-RICHTER 1991, 43f. – Tapferkeit: GÜNNEWIG 1998, 46. – Triebhaftigkeit: GÜNNEWIG 1998, 74; 84–86; 94. – Trotzigkeit: GÜNNEWIG 1998, 72f. – Trunksucht: GÜNNEWIG 1998, 74f. – Überheblichkeit/Hochmut: GÜNNEWIG 1998, 36; 62; 74; TRZASKA-
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Die topischen Eigenschaften der letzten Liste lassen sich im Wesentlichen auf vier Charakterzüge reduzieren, nämlich die Unfähigkeit sich an Regeln zu halten, die Unfähigkeit Maß zu halten, Unüberlegtheit und Hinterhältigkeit. Entsprechend des kriegerischen Fokus der antiken Darstellungen sind die Topoi über Bewaffnung und Kriegführung verhältnismäßig zahlreich, wohingegen andere Bereiche ausgespart blieben. Auch gibt es eine deutliche Schwankung in der Häufigkeit der aufgeführten Topoi, wobei zu unterscheiden ist zwischen einerseits Aussagen, die nur selten bei den antiken Autoren auftauchen (z.B. Vorratsbauten mit abgetieftem Kellerraum) und andererseits Aussagen, die nur selten als Topoi bezeichnet werden (z.B. die Aufstellung in cunei nach Stamm oder Verwandtschaft). Andere Merkmale, die ebenfalls relativ häufig in den Quellen in Erscheinung treten, wurden von keinem der konsultierten Autoren explizit als Topos bezeichnet, wie Beispielsweise die Treue. 10 Die aufgeführten Toposlisten können in unterschiedlicher Weise als Grundlage weiterer Untersuchungen dienen. So wäre es aufschlussreich, die Topoi nach ihrem Spezifizierungsgrad zu ordnen und „germanische“ von „nordbarbarischen“ oder „allgemein barbarischen“ Topoi bzw. Feindbildern zu trennen. Im Folgenden soll jedoch der Aspekt des Realitätsbezuges im Mittelpunkt stehen. Hierfür werden vier Topoi untersucht, von denen drei häufig in den Quellen auftreten und als Standardmerkmale der Germanen gesehen werden können, nämlich der hohe Wuchs, der stürmische Angriff und die geringe Ausdauer im Kampf. Als weniger häufiger Topos wurde die Darstellung des Ackerbaues ausgewählt. Mit diesen Beispielen wurden Topoi ausgesucht, die aufgrund ihres Themas unterschiedliche Kategorien abdecken: Topoi über physische Eigenschaften der Personen, über sichtbare kulturelle Merkmale und über Verhaltensweisen. Die Kategorie der Topoi über charakterliche Eigenschaften wurden nicht mit in die vorliegende Analyse aufgenommen. 11 Die Möglichkeit der Untersuchung des Realitätsgehaltes der jeweiligen topischen Inhalte ist von der Kategorie abhängig. Während die physischen Eigenschaften der Personen noch relativ einfach abgeglichen werden können, sind die Verhaltensweisen schon schwieriger zu deuten. Die Charaktertopoi stellen den Forscher bei diesem Vorhaben vor die größten Probleme, weshalb sie vorerst außen vor bleiben sollen.
RICHTER 1991, 193; Lund 1990, 61. – Übermütigkeit: Trzaska-Richter 1991, 202. – Unbeherrschtheit: GÜNNEWIG 1998, 86; TRZASKA-RICHTER 1991, 51; 174. – Uneinigkeit: GÜNNEWIG 1998, 88. – Unüberlegtheit: TRZASKA-RICHTER 1991, 196. – Vergnügungssucht: GÜNNEWIG 1998, 74. 10 Vgl. Ios. ant. Iud. 19,1,15; Sueton, Galba 12,2; Tac. Ann. 1,55,1; 1,58,3; 2,24,3; 11,17,2; 12,30,2; 13,55,1. Tac. Hist. 3,5,1; 4,28,2; Cass. Dio 65,21,1. 11 Es ist jedoch geplant, diese letzte Kategorie der Charaktertopoi am Beispiel der perfidia in einer separaten Studie zu untersuchen.
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DER HOHE WUCHS DER GERMANEN Der vermutlich gängigste Topos über die Germanen thematisiert deren Körpergröße, wobei der hohe Wuchs im Mittelpunkt steht, aber auch die Ausmaße bzw. Länge der Körperglieder beschrieben werden. Der Topos findet sowohl in den allgemeinen Beschreibungen Erwähnung als auch in den Berichten über die Schlachten gegen die Römer. Hierbei wird er oftmals nicht als neutrale Information genannt, sondern in teilweise ironischer Weise übertrieben. In einigen Fällen werden mit der Lebensweise und dem Speiseplan auch Begründungen für die Statur und die Körpergröße genannt. 12 Folgende Passagen sollen die unterschiedlichen Formen des Topos illustrieren: Das nährt dank der Art der Nahrung, der täglichen Übung und des freien Lebens – sie (sc. die Sueben) sind nämlich von Kind auf an keine Pflicht oder Zucht gewöhnt und machen überhaupt nichts gegen ihren Willen – ihre Kräfte und macht sie zu Menschen von gewaltiger Körpergröße. 13 Dagegen waren die Cherusker Schlachten in den Sümpfen gewohnt, ihre langen Gliedmaßen und ihre gewaltigen Lanzen (eigneten sich dazu), schon von weitem Wunden beizubringen. 14 Mit ihren gewaltigen Körpern und ihren überlangen Lanzen durchbohrten sie die schwankenden und zu sinken beginnenden Soldaten aus der Entfernung; 15
In der Forschungsliteratur wird die Verwendung dieses Topos unterschiedlich erklärt. Der hohe Wuchs gehöre zum Kanon der Standardmerkmale des Nordvölkerbildes. 16 Allan Lund bezeichnet die taciteischen Germanen als Giganten, womit er – sicherlich nicht unbewusst – den Kampf gegen sie auf eine mythische Ebene hebt. 17 Die Körpergröße würde als topisches Element zur Illustration der Gefahr oder in überzeichneter Form zu ihrer Relativierung sowie zur Überhöhung des
12 Die Überzeugung, dass das Klima der Heimat auf den Körper einwirkt, ist Teil der antiken Klimazonentheorie, dazu: LUND 1990; 36–39; ZERJADTKE 2018, 264f. Beispielsweise bei Horaz und Tacitus: TRZASKA-RICHTER 1991, 133f; 223f. 13 Quae res et cibi genere et cotidiana exercitatione et libertate vitae, quod a pueris nullo officio aut disciplina adsuefacti nihil omnino contra voluntatem faciunt, et vires alit et immani corporum magnitudine homines efficit. Caes. Gall. 4,1,9. Sämtliche Übersetzungen nach: GOETZ/WELWEI 1995. 14 Contra Cheruscis sueta apud paludes proelia, procera membra hastae ingentes ad vulnera facienda quamvis procul. Tac. Ann. 1,64,2. 15 immensis corporibus et praelongis hastis fluitantem labantemque militem eminus fodiebant; Tac. Hist. 5,18,1. 16 Zu Aussagen bei Polybios, Caesar, Velleius und Tacitus: vgl. TRZASKA-RICHTER 1991, 40; 107; 142; 166f; 202; RUDBERG 1933, 14; 33. 17 „Zu den Mirabilien der Natur Germaniens gehören auch die Bewohner. Die Germanen sind Giganten, und das gilt gleichermaßen für Frau und Mann, deren angeblich fehlender sexueller Dimorphismus sehr auffällig ist: […]“ Lund 1990, 27. Vgl. Tac. Germ. 20,2.
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Sieges herangezogen. 18 Wie schon in der älteren griechischen Literatur, wurde auch bei den Germanen ein Zusammenhang zwischen der körperlichen Erscheinung und dem Klima hergestellt. Caesar führt die Kost aus Milch und Fleisch sowie die freiheitliche Lebensführung an, womit er vielleicht auf stoische Theorien zurückgriff. 19 Die umfangreichsten Analysen hierzu legte Federico Borca vor, der vor allem auf die Herleitung aus der antiken Klimazonentheorie und die Verbindung der Größe der Germanen mit der Weite des germanischen Landes eingeht. 20 Nur selten gehen moderne Autoren auf den Realitätsbezug des Topos ein. 21 Die hierfür erforderliche Untersuchung der Körpergrößen von Germanen und Römern wird durch eine Reihe von Faktoren massiv erschwert. An erster Stelle ist die Praxis der Leichenverbrennung zu nennen, die in der vorrömischen Eisenzeit sowohl im germanischen Raum, 22 als auch im römischen Reich im ersten Jahrhundert vorherrschte. Im Reich wurde die Körperbestattung im frühen zweiten Jahrhundert wieder beliebter und avancierte zur dominanten Bestattungsform.23 Somit ist die Basis für statistische Untersuchungen stark eingeschränkt. Einzelbefunde von Körperbestattungen eignen sich nicht, um daraus auf die durchschnittliche Körpergröße zu schließen, da stets das Risiko besteht, dass es sich um untypische Individuen gehandelt haben könnte. 24 Als weitere Unsicherheit kommt hinzu, dass sich die durchschnittliche Körpergröße bereits innerhalb weniger Generationen deutlich verändern kann. 25 Dieses Problem wird jedoch durch einige größere Metastudien relativiert, in denen die Durchschnittsgrößen aus den Jahrhunderten zuvor und danach aufgeführt sind und in denen sich keine signifikanten Sprünge 18 Betonung der Gefahr: GÜNNEWIG 1998, 46; 74; TRZASKA-RICHTER 1991, 107; RUDBERG 1933, 33. Überzeichnung: GÜNNEWIG 1998, 50. Überhöhung des Sieges: GÜNNEWIG 1998, 64. 19 GÜNNEWIG 1998, 34; 47f. 20 BORCA 1997; ders. 2004, 49–76. Eine weitere Studie ist an der pseudohippokratischen Schrift De aeribus, aquis et locis orientiert: BORCA 2003. 21 „Klischeehafte Denkweise und reale Beobachtung sind dabei eng miteinander verknüpft. Selbstverständlich nahm gerade ein Römer die blonden Haare und den vergleichsweise größeren Wuchs einer Mehrheit der Germanen wahr. Nur wie viel davon entspricht eigener Erfahrung, was ist Theorie?“ GÜNNEWIG 2009, 32. ANDREOCCI (2008, 43, Anm. 119) führt an, dass Nordeuropäer auch heute noch im Durchschnitt größer als Südeuropäer sind. 22 Zur Jastorfkultur: BRÄUNIG 2014. Zu den seltenen Körperbestattungen: Ebd. 88. Für die untere Region unterer Saale und Mittelelbe: MÜLLER 1985,44–47. Vgl. PÄFFGEN et al. 2004, 474. 23 Nachdem in der frühen Republik Körperbestattung vorherrschte, war die Verbrennung seit dem 5. bzw. 4. Jh. v. Chr. dominierend, doch kehrte sich der Trend im frühen 2. Jh. n. Chr. wieder zugunsten der Körperbestattung um. In den Provinzen wurden daneben auch die althergebrachten Bestattungsformen praktiziert. SCHRUMPF 2006, 70–72; 76f. 24 Als Beispiele seien die männlichen Moorleichen von Hunteburg in Norddeutschland genannt, die 185 bis 190 cm maßen. PIEPER 2002, 224. 25 STAUB und RÜHLI (2013) konnten anhand der Analyse der Körpergrößen männlicher Schweizer aus den Geburtsjahrgängen zwischen den 1870er und den 1970er Jahren einen durchschnittlichen Zuwachs von 15cm belegen. Sie nennen die Verdoppelung des Milchkonsums in dieser Zeit als einen der wichtigsten Faktoren, was bemerkenswerterweise Caesars topische Begründung, die Körpergröße sei der fleisch- und milchlastigen Kost geschuldet, bestätigt.
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ausmachen lassen. Die theoretische Möglichkeit, dass sich die Größe aufgrund äußerer Faktoren innerhalb kürzester Zeit massiv geändert hat, um sich dann wieder ebenso plötzlich an das vorherige Niveau anzugleichen, wird an dieser Stelle vernachlässigt. Trotz der schwierigen Datenlage lassen sich in der Literatur dennoch Durchschnittsangaben zur Körpergröße finden, mitunter für Männer und Frauen separat. Bei der Deutung zwecks Abgleich mit dem Topos der großen Germanen ist allerdings zu beachten, dass sich eventuell nicht die durchschnittlichen Vertreter der beiden Kulturen gegenüberstanden. In Germanien könnten größere und kräftigere Männer in den vorderen Reihen gekämpft haben, die somit das Bild verzerrten. Auf römischer Seite standen professionelle Legionäre, die zuvor eine Musterung durchlaufen haben und körperliche Standards zu erfüllen hatten. Vegetius’ Angabe des Mindestmaßes von 172 cm kann wohl nur für die Eliteeinheiten gegolten haben. Eine Mindestgröße von 165 cm, wie sie im Codex Theodosianus vermerkt ist, dürfte näher an der Realität gelegen haben. Somit müsste der durchschnittliche Legionär über 165 cm groß gewesen sein. 26 Die nachfolgenden Angaben sind den vergleichenden Metastudien von Frank Siegmund und Christopher Ruff sowie der Untersuchung von Geoffrey Kron entnommen. Bei den zugrundeliegenden Daten handelt es sich um berechnete Körpergrößen, die mittels diverser Methoden ermittelt wurden. Die Ergebnisse dieser unterschiedlichen Schätzmethoden weichen bei gleichen Grunddaten leicht voneinander ab. Bei diesen Grunddaten handelt es sich um die Maße bestimmter Langknochen, zumeist des Oberschenkelknochens (Femur) und des Schienbeins (Tibia). 27 Auch wenn somit die Durchschnittsgrößen nicht sicher ermittelt werden können, so sind sie dennoch für den Abgleich mit der Annahme unterschiedlicher Größen von Germanen und Römern verwendbar, da sich die Abweichungen in beiden Fällen gleich auswirken und somit eine gewisse Vergleichbarkeit gewährleistet bleibt. In den Studien sind die Durchschnittsgrößen in Zeitabschnitte unterteilt, die mehrere Jahrhunderte umfassen und für die jeweils eine Durchschnittsangabe errechnet wurde.
26 […] VI pedum uel certe V et X unciarum […] Veg. Mil. 1,5. Der römische Fuß entsprach in etwa einer Länge von 296 mm, womit eine Mindestgröße von 5 Fuß und 10 uncia (10 Zwölftel Fuß) heute 1,72 m wäre. Römisches Fuß: ROTTLÄNDER 1979, 93. In quinque pedibus et septem unciis usualibus delectus habeatur. Cod. Theod. 7,13,3. Vgl. ROTH 1999, 9f. 27 Übersicht über Schätzformeln und praktische Anwendung mit Fehleranalyse: SIEGMUND 2010, 6–33. Die Langknochen können nicht nur zur Berechnung der Körperhöhe verwendet werden, sondern geben durch ihren Umfang auch einen Hinweis auf die „Robustheit“ des Individuums. SCHWIDETZKY 1973, 354.
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Germanischer Raum:
Männer
Frauen
Eisenzeit (750–20 v. Chr.) Röm. Epoche (20 v.–450 n. Chr.)
166,0 cm 165,6 cm
156,1 cm 153,3 cm
Eisenzeit Mitteleuropa Eisenzeit Dänemark (1–400 n. Chr.)
165,2 cm 171,9 cm
154,2 cm 160,9 cm
Siegmund 2010 28 Ruff 2018 29
Die Analyse der Situation im römischen Reich wird durch dessen ethnische und soziale Diversität erschwert. Allerdings können zumindest die regionalen Unterschiede in gewissem Maße ignoriert werden. Da die römischen Legionäre in der späten Republik und in der frühen Kaiserzeit hauptsächlich in Italien rekrutiert wurden 30 und die römische Oberschicht, der die höheren Offiziere und Schriftsteller entstammen, ebenfalls beinahe ausschließlich aus Italien stammte, sind vor allem die Daten von der Apenninhalbinsel von Bedeutung. Italische Halbinsel: Ruff 2018 31 Kron 2005 32
Eisenzeit Frankreich und Italien
Laurence 2005 33
500 v.–500 n. Chr. Italien Pompeji/Herculaneum
Männer
Frauen
162,1 cm
155,3 cm
168 cm
–
166/169 cm
154/155 cm
28 Es handelt sich bei den 4 Angaben der Größen von Männern und Frauen in Eisenzeit und römischer Epoche jeweils um eine kombinierte Schätzung von 4 Einzelberechnungen unterschiedlicher Methodik. Für jede Zahl wird eine Fehlertoleranz angegeben, die in der Übersicht nicht genannt ist. Sie beträgt für die Männer ± 0,7 und ± 1,9 cm sowie für die Frauen ± 2,3 und 1,4 cm. SIEGMUND 2010, 84f. 29 RUFF 2018, 324f; 362f. Der Datensatz zur Eisenzeit in Dänemark soll laut Kapitelüberschrift zwar die Situation in Skandinavien und Finnland wiedergeben, doch stammt der absolut überwiegende Teil der Daten aus Dänemark. 30 In augusteischer Zeit war der Anteil italischer Legionäre noch sehr hoch, sank aber schon im Laufe des ersten Jahrhunderts stark ab zugunsten anderer Regionen. Die Hilfstruppen wurden im Hauptsächlich aus dem Westeuropäischen Raum rekrutiert, vor allem in Gallien, aber auch in den Donauprovinzen. LE BOHEC 1993, 86–93; 102–108. 31 RUFF 2010, 245f. Aus dem Datensatz geht nicht hervor, ob die Individuen aus Italien und Frankreich vielleicht deutliche Größenunterschiede aufweisen. Dies würde die Diskrepanz zur Angabe Krons erklären. 32 KRON 2005, 72; 77; 81. Dieser Durchschnittswert basiert auf einem Datensatz von 927 Individuen, was deutlich mehr ist, als in den meisten anderen Studien. In seinem Aufsatz verweist er zudem auf die Arbeit von BORGOGNINI und MAZZOTTA (1986) über die italische Bevölkerung von 2.000 v. bis 1.000 n. Chr. Im Gesamtvergleich ergibt sich auch hier eine Durchschnittsgröße für Männer von 167,46 cm. 33 LAURENCE 2005, 85. Die Angaben aus Pompeji und Herculaneum sind auch in der Studie von KRON (2005) enthalten. Laurence wurde hier dennoch zusätzlich genannt, da er auch die Größe der Frauen angibt.
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Hier ergibt sich dennoch ein uneinheitliches Bild, da die Daten von Christoph Ruff deutlich von den Angaben Geoffrey Krons abweichen. In der großen Metastudie von Nikola Koepke sind die Durchschnittsgrößen im Mittelmeerraum denen in Westmitteleuropa und Nordosteuropa gegenübergestellt, wobei nicht zwischen Männern und Frauen unterschieden wird. Im ersten bis dritten Jahrhundert sind die Größen für den Mittelmeerraum etwa 1,5 bis 2 cm geringer als jene in Westmitteleuropa, die nochmals zirka 1 cm geringer als in Nordosteuropa sind. 34 Der signifikante Unterschied zwischen den Werten Ruffs und Krons in der Tabelle zu Italien lässt sich partiell wahrscheinlich durch die unterschiedlichen sozialen Hintergründe der Bestatteten erklären und resultiert nicht aus der Art der Berechnung. 35 Der Durchschnittswert bei Ruff ist aus 64 Individuen von drei Orten berechnet, nämlich der gallorömischen Nekropole von Rue Jacques Brel sowie den Friedhöfen von Lucus Feroniae und Quadrella in Italien. In den Gräbern der letzteren beiden wurden kaum Grabbeigaben gefunden, was auf freigelassene Sklaven oder ehemalige Soldaten hindeutet. 36 Es handelte sich somit vielleicht um Personen, die in widrigen Umständen aufwuchsen und in den entscheidenden Wachstumsphasen der ersten Lebensjahre eventuell unter Mangelernährung oder Krankheiten litten, welche das Wachstum hemmten. 37 Die Daten von Kron stammen hingegen von mehreren Friedhöfen, wobei angenommen werden kann, dass der Anteil an finanziell besser gestellten Bestatteten auf diesen höher war als in der Gesamtbevölkerung. 38 Diese Vermutung wird durch die relativ großen Größen von Individuen bei Laurence gestützt, die in den verhältnismäßig wohlhabenden Orten Herculaneum und Pompeji wohnten und vielleicht ebenfalls zur Mittel-
34 Die Angaben sind am entsprechenden Graph bei KOEPKE (2016, 83, Fig. 4.1) ablesbar. 35 KRON (2005, 80) nutzte die Methode von Olivier und Tissier, die weniger dazu tendiert, die Körpergröße zu überschätzen. Zu den Methoden bei RUFF (2018), siehe Ebd. 16f. 36 RUFF 2010, 242f, 64. Vgl. MANZI et al., 1997; BELCASTRO et al., 2007. 37 In heutiger Zeit entsteht der Größenunterschied zwischen Bewohnern der Entwicklungsländer und der entwickelten Welt hauptsächlich in der Phase zwischen 6 Monaten und 3 Jahren. Neben Mangelernährung können auch Krankheiten das Wachstum hemmen. Wenn nach der Genesung keine ausreichende zusätzliche Nahrungszufuhr erfolgt, wird dieser Rückstand nicht wieder ausgeglichen. TANNER 1994, 2f. Bei den nicht in jeder Hinsicht mit der antiken Situation vergleichbaren Sklaven im neuzeitlichen Nordamerika ist eine ausnehmend geringe Körpergröße bei jüngeren Kindern festzustellen, die sich aber im Laufe des Aufwachsens zum Teil wieder erholte. Dazu: STECKEL 2016, 212–214. 38 Die Körperbestattung war bei ihrem erneuten Aufkommen am Ende des 1. Jh. n. Chr. ein Trend der Oberschicht. SCHRUMPF 2006, 75f. Armenbestattungen erfolgten häufig wenig aufwendig, weshalb die Überreste schneller vergingen. Sklaven wurden zudem oft in bereits genutzten Gräbern von Familiengruften ohne eigene Inschrift bestattet, mitunter Duzende in einem Grabplatz. Die Ärmsten der Armen, die auf den Straßen starben, wurden vielfach in staatlich finanzierten Massengräbern beigesetzt. Ebd. 119–128. Der Vergleich der von Kron angegebenen Durchschnittsgröße mit den Daten bei KOEPKE (2016, 83, Fig. 4.1) macht die Abweichung deutlich. Allerdings sind bei letzterem auch Individuen außerhalb Italiens einbezogen.
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bzw. Oberschicht gehörten. 39 Es wird deutlich, wie schwierig ein „Normalmaß“ eines Römers zu ermitteln ist, der mit den Germanen als Legionär, Offizier, Händler oder Beamter Kontakt hatte. Die durchschnittliche Größe dürfte sich zwischen 166 und 168 cm bewegt haben, was leicht über dem Wert für Mitteleuropa liegt. Wie in der thematischen Einleitung erläutert wurde, können Merkmale von Stereotypen auf einen wahren Kern zurückgehen und auf systematische Unterschiede verweisen, auch wenn diese sehr klein sind. 40 Der Vergleich der Ergebnisse weist jedoch nicht auf einen erwähnenswerten Größenunterschied hin. Nur auf den dänischen Gräberfeldern lassen sich deutlich größere Männer finden als im römischen Italien. Daher fällt als Ursache ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Germanen und Römern aus. Für eine Beurteilung der Varianzbreite bzw. der Häufigkeit besonders großer Germanen ist die Datengrundlage nicht ausreichend. Für das erste Jahrhundert kann somit ein wahrer Kern des Topos der hochgewachsenen Germanen nicht bestätigt werden. Aufgrund der dürftigen Befundlage dürfen die oben aufgeführten Größenangaben für den germanischen Raum nicht überbewertet werden, da die Angaben in der Studie von Christoph Ruff sich auf Gräberfelder in Mitteldeutschland, Tschechien und Österreich stützen und keine Angaben aus dem nordwestdeutsch-niederländischen Raum enthalten, deren germanische Bewohner mit den Römern im ersten Jahrhundert am intensivsten in Kontakt standen. Möglicherweise hätte sich dort eine andere Durchschnittsgröße ergeben. Abschließend sei auf eine weitere Möglichkeit hingewiesen, nämlich auf die Bestätigung des Topos der hochgewachsenen Nordvölker durch die traumatische Begegnung mit den Kimbern und Teutonen. 41 Die antiken Autoren berichten übereinstimmend über die Herkunft der Kimbern aus dem Raum Dänemark und Schleswig-Holstein. 42 Die auch heute als kimbrische Halbinsel bezeichnete Region ist vermutlich zum Teil mit der von Klaudios Ptolemaios genannten Κιμβρική χερσόνησος identisch. 43 Sollten die antiken Nachrichten korrekt sein, dass viele der Krieger des Kimbernzuges des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts aus die39 Vgl. PIROZZI 2003 25–27. Überblick Herculaneum: DEISS 1966, 37–46; 80–93. Allerdings existierte in beiden Städten auch ein großer Anteil an Mietshäusern für untere Schichten: PIRSON 1999, 161–173. 40 Nach der kernel-of-truth-These von BORDALO et al. (2016, 1757), siehe in der thematischen Einleitung des vorliegenden Bandes, S. 11–26. 41 Zu den Kimbern und Teutonen sowie dem Konflikt mit Rom, siehe: BLECKMANN 2009, 54– 63; SCHNEIDER 2008, 35–38; TIMPE 1994. Der sprichwörtlichen furor Teutonicus scheint jedoch nicht unmittelbar mit den Erfahrungen mit den Kimbern und Teutonen in Zusammenhang zu stehen: TIMPE 1998. TRZASKA-RICHTER (1991) erwähnt den Terminus furor Teutonicus in ihrer Zusammenfassung nicht, obwohl er für ihre Arbeit titelgebend war. 42 R. Gest. div. Aug. 26; Strab. 7,2,1; Ptol. 2,11,2; Plin. nat. 4,97; Plut. Marius 11. Wenngleich Plutarch eine komplexe mythische Herkunft konstruiert. Zur Kimbrischen Halbinsel bei Ptolemaios: KLEINEBERG et. al. 2011; 24, 38–40. Eine Übersicht der wichtigsten Quellen bietet: TIMPE 1994, 23–28. Zur Kritik an der Überlieferung, Ebd. 33f. Zu den Kimbern und der kimbrischen Halbinsel bei Ptolemaios, siehe: BERNECKER 1989, 439–443. 43 Ptol. 2,11,7.
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sem Gebiet stammten, dann könnten diese durchaus einen höheren Wuchs gehabt haben, wie die oben genannten Daten von dänischen Gräberfeldern andeuten. Verbunden mit dem tiefen Eindruck, den die mehrfach siegreichen Feinde bei den Römern hinterließen, 44 wäre es durchaus denkbar, dass der schon vorher literarisch bekannte Topos der größeren Barbaren des Nordens eine eindringliche Bestätigung fand. Spätestens im ersten Jahrhundert musste den Römern, die im oder in der Nähe des germanischen Raumes aktiv waren, jedoch gegenwärtig gewesen sein, dass dessen Bewohner keinesfalls „Giganten“ waren, wie Allan Lund schrieb. 45 Stattdessen war der von den Autoren ständig wiederholte Topos tatsächlich zu einem literarischen Versatzstück geworden. LANDWIRTSCHAFT Die mitunter als Topoi angesehenen Beschreibungen des germanischen Ackerbaues sind relativ selten und beschränken sich auf wenige Inhalte. Dabei sind die Aussagen der Autoren nicht stringent, sondern widersprechen sich mitunter. Die in der Literatur zu findende Behauptung, die Autoren würden den Germanen das Praktizieren von Ackerbau generell absprechen, ist jedoch nachweislich falsch. 46 Neben der allgemeinen Primitivität der Landwirtschaft werden hauptsächlich drei Punkte betont, nämlich: – – –
Felderwechsel einfache Techniken des Ackerbaues geringer Wert von Grundbesitz bzw. Fehlen von Großgrundbesitz 47
In manchen Fällen sind die Aussagen noch mit Begründungen versehen, wobei zwischen zwei Typen unterschieden werden muss, nämlich erstens der praktischen und zweitens der ethisch-moralischen Begründung. Während die praktischen Erklärungen oftmals schwer nachvollziehbar und teilweise wohl erdacht sind, können die ethischen-moralischen Begründungen als Transportvehikel für politische oder kulturelle Botschaften genutzt werden. Eine besonders umfangrei-
44 Vgl. CALLIES 1971. 45 Lund 1990, 27. 46 Dies schreibt: Lund 1990, 68. Caesar (Gall. 6,22,1; 6; 29,1) schreibt zwar, man würde sich nicht um den Ackerbau bemühen (agri culturae non student bzw. minime omnes Germani agri culturae student), doch ein Fehlen von Ackerbau wird nur einmal von Strabon (7,1,3) erwähnt (μὴ γεωργεῖν), während Getreide- oder Landwirtschaft durch andere Nennungen als selbstverständlich erscheint: Caes. Gall. 4,1,2; 4,19,1; 6,22,1–4; 6,29,1; Tac. Germ. 16,3; 26,2; 45,3; Plin. nat. 17,27; 18,149. 47 Wechsel der Felder bzw. Wohnsitze: Caes. Gall. 4,1,7; 6,22,1–4; Strab. 7,1,3; Tac. Germ. 26,3. Primitiver Ackerbau: Caes. Gall. 6,22,1–4; Strab. 7,1,3; Tac. Germ. 26,3; Privater Grundbesitz von geringem Wert: Caes. Gall. 4,1,7; 6,22,1–4; Tac. Germ. 26,2.
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che, aber im Prinzip durchaus beispielhafte Aussage findet sich im allgemeinen Germanenexkurs Caesars: Ackerbau betreiben sie nicht (sonderlich), der größere Teil ihrer Nahrung besteht aus Milch, Käse und Fleisch. Auch besitzt keiner ein festes Maß an Land oder eigenen Boden, vielmehr kommen die Amtsträger und Fürsten jedes Jahr zusammen, teilen jeder Familie und Sippe der Menschen beliebig viel Land an einem beliebigen Platz zu und zwingen sie, im Jahr darauf anderswohin zu gehen. Dafür führen sie viele Gründe an: damit sie nicht durch beständige Gewöhnung ihr Interesse am Krieg mit der Landwirtschaft vertauschten; damit sie nicht danach strebten, ihr Gebiet zu erweitern, und die Mächtigeren die Niedrigeren von ihrem Besitz vertrieben; damit sie nicht sorgfältiger bauten, um Kälte und Hitze abzuhalten; damit nicht etwa das Verlangen nach Geld aufkäme, woraus nur Parteiungen und Meinungsverschiedenheiten erwachsen; damit sie das Volk durch ihre Gemütsruhe im Zaum hielten, wenn jeder einzelne sähe, daß seine Mittel sich mit denen der Mächtigsten messen ließen. 48
Die praktischen Erklärungen für den Felderwechsel, die relative Primitivität der Landwirtschaft und der geringe Wert von Grundbesitz halten der Überprüfung nicht stand. Aus den Informationen der Autoren lässt sich kein schlüssiges Konzept entwickeln. 49 Die ethisch-moralischen Begründungen lassen sich auf die Kernelemente der kriegerischen Volksnatur, des Willens zur sozialen Gleichheit und der körperlichen Abhärtung zurückführen. Caesar ordnete den Germanen diese Eigenschaften zu, um sie als besonders gefährliche Gegner zu charakterisieren. Andere nach ihm wollten womöglich der in ihren Augen unkriegerisch und weich gewordenen, gespaltenen und auf persönlichen Vorteil bedachten kaiserzeitlichen Gesellschaft ein Gegenbeispiel vor Augen führen (die sog. Sittenspiegeltheorie). Die zugrundeliegenden Fakten müssen jedoch nicht als falsch angesehen werden, nur, weil ihre Erklärungen zweifelhaft sind. Im Folgenden sollen die drei vorgestellten Elemente der Landwirtschaftsbeschreibung untersucht werden. Hierbei können die Aussagen der Autoren allerdings nicht wörtlich genommen, sondern müssen stattdessen auf ihren tendenziellen Inhalt und aus römischer Perspektive, d.h. im Vergleich mit den römischen Verhältnissen, überprüft werden. Wie bereits andere Autoren betont haben, hängt die Nennung des Wechsels der Felder, teilweise mit dem Wechsel der Wohnorte verbunden, vermutlich in vielen Fällen mit dem älteren Topos des barbarischen Nomadismus zusammen. 50 In der Literatur zum Ackerbau und zu den Flurformen wird von einem abwechselnden Bestellen der eng nebeneinander liegenden Felder ausgegangen. 51 Dass ein solcher Wechsel den Bodenertrag förderte, war aller48 Caes. Gall. 6,22,1–4. Bei GOETZ/WELWEI (1995, Band 1, 74, Anm. 18) wird zwar darauf hingewiesen, dass durch die dichten Hinweise auf Haltung von Rindern tatsächlich von einem höheren Konsum von Milchprodukten ausgegangen werden kann, doch stellt der Speiseplan „Milch, Käse und Fleisch“ ebenso einen bekannten Topos aus der Nomadenbeschreibung dar. Vgl. TAUBE 2013, 42. RAAFLAUB (2017, 187f) erwägt auf Grundlage von Parallelquellen die Richtigkeit von Caesars Aussage, man habe der Landwirtschaft gering geschätzt. 49 TIMPE 1979. 50 LUND 1990, 62–65. Vgl. TIMPE 1994, 46f. 51 MÜLLER-WILLE (1965, 96f) vermutet einen Wechsel von Anbau und Weidenutzung und damit ein Brachjahr (Feldgras- oder Dreeschsystem). JÄGER (1973, 39f) nennt die Varianten
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dings auch in Rom bekannt. 52 Der Hinweis auf diese Praxis allein würde demnach verwundern, böte sich nicht die Gelegenheit, die nomadische Tendenz der Germanen zu betonen. Die Primitivität der germanischen Agrarwirtschaft ist bei Tacitus näher ausgeführt, indem er schreibt, die Germanen würden […] nicht in (mühevoller) Arbeit mit dem Reichtum und der Weite des Bodens [streiten], um Obstgärten anzulegen, Wiesen abzutrennen und Gärten zu bewässern: Allein die Saat wird der Erde anbefohlen. 53
In der Tat war die von der archäologischen Forschung rekonstruierte Anbautechnik der jüngeren vorrömischen Eisenzeit in den Küstengebieten und auf Jütland seit der Bronzezeit kaum verändert. 54 Die Felder wurden durch Stein- oder Erdwälle in unterschiedlich große und geformte Parzellen aufgeteilt (celtic fields) und zumeist mit einem Arder bzw. Ritzpflug kreuzförmig bearbeitet, der nicht dazu geeignet war, die Erdschollen zu wenden. Bodenwendende Pflüge sind selten und nur in wenigen Fällen mit Eisenbeschlägen versehen. 55 Im Gegensatz dazu existierten im römischen Reich neben den Kleinbauern auch profitorientierte Großbetriebe in Form von Latifundien, deren Organisation effektiv und genau durchdacht war. 56 Dort war zwar auch ein hölzerner Pflug in Gebrauch, doch berichtet Plinius über unterschiedliche Formen und Innovationen für verschiedene Böden. Auch beschreibt er ein in Gallien genutztes Erntegerät, das eventuell mit einer Maschine auf einem Relief im belgischen Buzenol identisch ist. 57 Obstgärten sind im germanischen Raum archäologisch nicht belegt, doch sind absichtliche Anpflanzungen nicht auszuschließen. Tacitus wird allerdings eher die Obstplantagen römi-
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Feld-Gras-Wechsel, Feld-Ödland-Wechsel und Feld-Wald-Wechsel. Vgl. ZIMMERMANN 1984, 245. Im kaiserzeitlichen Rom galt der zweijährige Fruchtwechsel mit intensiver Düngung als fortschrittlich, doch auch ein dreijähriger Wechsel ist bekannt. Die Dreifelderwirtschaft mit einem Brachjahr wurde jedoch wohl nicht praktiziert. SCHRÖDER-LEMBKE 1963, 27–33. Vgl. JÄGER 1978; FLACH 1990, 251. nec enim cum ubertate et amplitudine soli labore contendunt, ut pomaria conserant et prata separent et hortos rigent: sola terrae seges imperator. Tac. Germ. 26,3. MÜLLER-WILLE 1973, 42f. Zu den Fluren: HATT 1949; MÜLLER-WILLE 1965. Pfluggeräte: MÜLLER-WILLE 1965, 98– 108. Kreuz und quer pflügen: Ebd. 112. Zur Bodenbearbeitung wurden auch hölzerne, selten mit Eisenbeschlägen verstärkte Spaten genutzt: ZIMMERMANN 1984, 252–257. KEHOE 2007, 550–559; ERDKAMP 2005. Anders als im germanischen Raum, wo Subsistenzwirtschaft vorherrschte, waren viele Landwirtschaftsbetriebe im römischen Reich marktorientiert. Zudem griff der Staat auch aktiv in die Landwirtschaft ein, wodurch ein komplexes marktwirtschaftliches System entstand. Vgl. KEHOE 2013. Einen umfassenden Überblick mit einer Typologie der Güter nach Größe und Arten von Nutzpflanzen liefert: WHITE 1970. Zur Organisation eines Gutsbetriebes nach den antiken Autoren: GUMMERUS 1906. Zur von den Autoren nicht explizit erwähnten Tierzucht im römischen Reich: PETERS 1988. Zu den Bauern in der römischen Gesellschaft: GARNSEY 1998, 91–106. FLACH 1990, 253. Plin. nat. 18, 171–173; 296. Zum Vergleich römischer und germanischer Pflüge auch: HATT 1949, 169–171.
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scher Art vor Augen gehabt haben, die aufwändig angelegt und gepflegt wurden. 58 Da nicht genau klar ist, was Tacitus mit prata meinte, kann kein Vergleich erfolgen. Der archäologische Befund zeigt jedenfalls deutlich, dass fest abgegrenzte Felder existierten. Der angenommene, geringe Wert von Grundbesitz und das Fehlen von Großgrundbesitz sollen anhand einiger Punkte in Relation gesetzt werden. Von einem „Agrarkommunismus“, in dem es keine privat genutzten Grundstücke gab, kann nicht ausgegangen werden, wenngleich die gemeinschaftliche Nutzung von bestimmten Ackerflächen nicht ausgeschlossen werden kann. 59 Die Flächen der abgegrenzten Felder in den festländischen Nordseegebieten schwanken recht stark zwischen 200 und 7.000 m². Bei einer Einteilung nach Flächengrößen ist die Gruppe der Felder mit Größen von 1.000 bis 2.000 m² am größten und im Mittel ergibt sich ein durchschnittlicher Wert von 1.837 m². 60 Allerdings bearbeiteten die einzelnen Haushalte der Dörfer jeweils mehrere Flächen. Einige vollständig dokumentierte Siedlungen mit angeschlossenen Ackerflächen ermöglichen Schätzungen, welche Gesamtflächen jedem einzelnen Hof zur Verfügung standen. Deren Größe ist nicht mit Sicherheit feststellbar, da die Größen der Häuser und damit einhergehenden Haushalte verschieden waren und die Praxis des Felderwechsels nicht ausreichend genau bekannt ist. Daher schwanken die Schätzungen zwischen 3 und 15 ha. 61 Die Flächen scheinen nur wenig von den Ackergrößen abzuweichen, die römische Kleinbauern zur Verfügung hatten. Nach der Gesetzgebung des Tiberius Gracchus sollten Neusiedlern 15 iugera (3,5 ha) Land zugewiesen werden und Caesar teilte auf dem ager Campanus wohl jedem Mann bzw. Familienvater 10 iugera (2,5 ha) zu. In der lex Agraria von 111 v. Chr. wird eine Bemessungsgrenze von 30 iugera (7,5 ha) als geschützter Mindestbesitz angegeben. 62 Bauern, die über ein Gespann Ochsen verfügten, waren bereits bessergestellt und konnten bis zu 200 iugera (50 ha) bewirtschaften. 63 Ganz anders fällt jedoch der Vergleich mit 58 FLACH 1990, 258–274. 59 WÜHRER 1973. 60 MÜLLER-WILLE 1965, 41–44. ZIMMERMANN (1984, 249) gibt eine Feldergröße von 100 bis 3.500 m² an. 61 Bei MÜLLER-WILLE (1965, 83f) sind unterschiedliche Annahmen über die Haushaltsgröße zwischen 4 und 7 Personen je Hof zu finden. Ein Hof mit 7 Bewohnern habe wohl eine Fläche von 3–4 ha Ackerland gehabt, woraus sich bei 2–4 Höfen in einer Siedlung ein Bedarf von 8–16 ha ergebe. Im Fall der Siedlung Skörbaek Hede hatten 4 Höfe 60 ha Land zur Verfügung, womit ein Hof 15 ha beackern konnte. Müller-Wille erklärt diesen höheren Bedarf an Land durch die eisenzeitliche Wechselwirtschaft (Anbau-Wiese-Binnenweide-Wechsel). Laut ZIMMERMANN (1984, 251f) ergebe sich eine Fläche von 2–4 ha pro Hof bei einer Bebauung der Wälle zwischen den Feldern als Ackerbeete, die dann als Daueräcker hätten genutzt werden müssten. 62 FLACH 1990, 40; 58; 80f. Bereits in der späten Republik war jedoch nur noch ein kleiner Teil der Bevölkerung selbst auf den eigenen Feldern tätig. Wer sein Land nicht verkauft oder verloren hatte, beschäftigte Sklaven oder Lohnarbeiter auf dem eigenen Gut. Ebd. 125. 63 ERDKAMP 2005, 18.
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den Latifundien im Besitz der römischen Oberschicht aus. Seit dem 2. Jh. v. Chr. nahm die Zahl der mittleren und größeren Agrarbetriebe stetig zu. Auf den Gütern dieser villae befanden sich neben Getreidefeldern auch Obstplantagen, Olivenbäume sowie diverse Handwerkstätten. Sie wurden zumeist von eigenen Verwaltern betreut, während die Besitzer in den Städten verweilten. 64 Einige römische Autoren wie Cato, Varro, Columella und Vitruv liefern detaillierte Anweisungen über bauliche Gestaltung und Organisation solcher Betriebe. Cato beschreibt u.a. Ölgüter von 240 iugera (60 ha) und Weingüter von 100 iugera (25 ha), Columella rechnet mit Größen von 200 iugera (50 ha). 65 Aus republikanischer Zeit sind zwar gesetzlich festgelegte Höchstgrößen von 500 iugera Ackerland und 1800 iugera Weidefläche (zusammen 575 ha) bekannt, doch werden in der Literatur erst Betriebe von über 500 iugera als groß angesehen. 66 Aus Afrika ist mit 1.600 ha ein besonders großes Landgut überliefert. Zudem besaßen Mitglieder der Oberschicht zumeist mehrere fundi, aus denen sie ihre Einnahmen bezogen. 67 Über den pekuniären Wert von Äckern in der germanischen Gesellschaft gibt es keine Angaben, doch wurde keinesfalls der gesamte potentiell bestellbare Boden bereits genutzt. Wie erwähnt, umfassten die um die Siedlungen im jütländischen und Nordseeküstenraum dokumentierten, abgegrenzten Felder nur relativ geringe Bereiche. Bei Bedarf wurden neue Ackerflächen durch Waldrodung o.ä. gewonnen. 68 Somit bestand höchstwahrscheinlich weder Mangel an Land, noch wurde Ackerland in größerem Maße gehandelt. In Rom war ganz im Gegensatz dazu die Versorgung der ärmeren Bevölkerung und der Veteranen mit Land bereits seit spätestens mittelrepublikanischer Zeit ein großes Problem, dem man durch diverse leges agrariae mit unterschiedlichem Erfolg entgegenwirken wollte. 69 Manche besonders hochqualitative und aufwändig bewirtschaftete Ländereien erzielten enorme Preise. So berichtet Plinius vom 60 iugera (15 ha) großen Weingut des Acilius Sthenelus, das für 400.000 Sesterze den Besitzer wechselte. 70 Die Gegenüberstellung zeigt, dass die Kerninformationen der antiken Autoren in ihrer Tendenz durchaus einen Realitätsbezug hatten. Allein die Betonung des Wechsels der Äcker bleibt angesichts des auch in Rom praktizierten Felderwechsels nur durch den Verweis auf den Nomadentopos erklärbar. Hingegen ist die relative Primitivität der germanischen Landwirtschaft im Vergleich mit den fortschrittlichen römischen Agrarbetrieben durchaus erkennbar. Ebenso ist die von den römischen Autoren angeführte Geringschätzung von Grundbesitz durch die Germanen nachvollziehbar, wenn die Perspektive der römischen Oberschicht eingenommen wird, der die Feldherren und Schriftsteller allesamt entstammten. Ihr 64 FLACH 1990, 125–154. KELLER (2004, 142) meint, die zunehmende Villenwirtschaft habe die Preise der Agrarprodukte zu Ungunsten der Kleinbauern verändert. 65 Cato. agr. 10,1; 11,1; Colum. 2,12,8f. 66 WHITE 1970, 384–388; FLACH 1990, 32; 184. Vgl. DOHR 1965, 11f; 31f. 67 ERDKAMP 2005, 18f. 68 MÜLLER-WILLE 1965, 89f. 69 Übersicht: FLACH 1990, 29–81. 70 Plin. nat. 14,84.
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Maßstab waren großflächige fundi, die teuer erworben werden konnten und die im Reich nur in begrenzter Menge zur Verfügung standen. Demgegenüber trafen die Römer in Germanien auf kleinformatige celtic fields und weite, unkultivierte Flächen. Von diesen realen Bezügen sind jedoch die u.a. von Caesar gelieferten Begründungen, warum die Germanen auf diese Weise Landwirtschaft betrieben, scharf zu trennen. STÜRMISCHER ANGRIFF UND GERINGE AUSDAUER IM KAMPF Diese von Beatrix Günnewig identifizierten Topoi 71 sollen im Folgenden in einem Abschnitt zusammen analysiert werden, da sich die Hintergründe kausal verknüpfen lassen. In den Quellen lassen sich neben dem von ihr angeführten Zitat von Cassius Dio noch zwei weitere Passagen finden, in denen die beiden Merkmale zusammen genannt werden. Appian verwendete sie bei seiner Beschreibung der Krieger Ariovists 72 und Tacitus legt ähnliche Worte dem Germanicus in einer Rede im Rahmen der Schlacht bei den pontes longi in den Mund. 73 Abweichend äußert sich Seneca, der sowohl die Heftigkeit des Angriffes als auch die Ausdauer betonte. 74 Insgesamt wird letztere jedoch nur sehr selten thematisiert und über die vorgestellten Quellen hinaus nur noch einmal bei Tacitus erwähnt, der den Germanen eine geringe Ausdauer bei der Arbeit und eine höhere im Kampf zuschrieb. 75 Die beiden letztgenannten Quellen bringen die geringe Ausdauer nach der Klimatheorie mit den Verhältnissen des Heimatlandes in Verbindung. Deutlich häufiger wird hingegen auf den heftigen Ansturm bzw. die Schnelligkeit im Angriff hingewiesen, die im Gegensatz zur relativ geringen Ausdauer
71 GÜNNEWIG 1998, 37; 50; 76. Sie bezieht sich beim stürmischen Angriff auf eine bei Cassius Dio überlieferte Rede Caesars vor der Schlacht gegen Ariovists Truppen, welche „in blindem Ungestüm ohne Ordnung auf alles losstürmen […] ihr Ansturm aber – anfangs unbändig und wild – erschlafft leicht und behält nur kurze Zeit seine Stärke.“ Cass. Dio 38,45,4f. Die geringe Ausdauer sei ein Topos, der speziell für die Völker der nördlichen Region häufig gebraucht würde (mit Quellen): GÜNNEWIG 1998, 37. Vgl. KREMER 1994, 31–49. 72 „[…] sie waren aber offenbar im Kampf nicht ausdauernd und fochten ohne Überlegung und Taktik, indem sie sich wie Tiere nur auf ihren Mut verließen; daher unterlagen sie der Kriegskunst und Zähigkeit der Römer, denn sie stürmten zwar mit größter Wucht auf die Römer ein und drängten deren Schlachtreihe ein Stück zurück; […]“ Appian, Celtica fr. 1,9 73 „Wenn ihr Körper auch grausig aussehe und bei einem kurzen Angriff Kräfte entwickele, so ertrage er doch keinerlei Wunden: Ohne sich der Schande zu schämen, ohne auf die Heerführer Rücksicht zu nehmen, gäben sie auf und flöhen;“ Tac. Ann. 2,14,3. 74 „Was ist beherzter als die Germanen? Was heftiger im Angriff? […] Was ist abgehärteter zu jeder Ausdauer, weil ja bei ihnen großenteils nicht für die Bedeckung des Körpers gesorgt ist und (es) keine Zuflucht gegen das dauerhaft strenge Klima (gibt).“ Seneca, de ira 1,3. 75 „Daher haben sie trotz ihrer großen Menschenzahl alle die gleiche körperliche Erscheinung: […] die großen und nur zum Angriff tauglichen Körper. Bei Arbeit und Mühe (beweisen sie) nicht die gleiche Ausdauer und sind am wenigsten gewohnt, Durst und Hitze, (wohl aber) klima- oder bodenbedingt Frost und Hunger zu ertragen.“ Tac. Germ. 4.
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im Kampf somit tatsächlich als ein Kernmerkmal germanischen Verhaltens angesehen werden können. 76 Manche Autoren verbinden diese Verhaltensweise mit einer generellen Wildheit bzw. zivilisationsfernen Unbeherrschtheit oder auch Disziplinlosig- und Unkontrollierbarkeit. 77 Insbesondere bei der Verknüpfung mit feritas ergibt sich ein Zusammenhang mit einem weiteren topischen Themenfeld, nämlich dem der tierähnlichen Primitivität. 78 Andere Autoren erwähnen den stürmischen Angriff der Germanen hingegen mit einer gewissen Anerkennung. 79 Somit reichte die Verwendung des Motivs des stürmischen Angriffes allein noch nicht zur Diffamierung der Germanen aus, da manche darin eine durchaus lobenswerte Verhaltensweise sahen, sondern es musste noch zusätzlich mit einer negativen Wertung versehen werden. Die drei Erwähnungen des schnellen Ansturmes und der geringen Ausdauer im Kampf beinhalten, wie die meisten weiteren Nennungen des stürmischen Angriffes, keine Abwertung der Germanen. Somit tragen diese Aussagen nicht vorrangig zur Konstruktion eines negativen Germanenbildes bei, sondern geben vielmehr Elemente des Stereotyps der germanischen Krieger wieder. Im Folgenden soll versucht werden, in der Kampfweise der Germanen mögliche Ursachen für die Betonung des Angriffes und der geringen Ausdauer zu finden. Hierfür müssen die literarischen Quellen zusammen mit den archäologischen gedeutet werden. Doch zuerst muss der Maßstab festgelegt werden, an dem die Merkmale ihrer Kampfpraxis gemessen werden muss. Auch wenn „schneller“ bzw. „stürmischer“ Angriff und „geringe“ Ausdauer absolut formuliert sind, meinen sie in Wahrheit schneller, stürmischer und weniger ausdauernd als die römischen Truppen. Dementsprechend muss zuerst ein Blick auf die Kampfpraxis in der römischen Legion geworfen werden. Diese suchte im Idealfall die Entscheidung in der offenen Feldschlacht, da in dieser Form des Aufeinandertreffens ihre Stärken am besten zur Geltung kamen. 80 76 Ansturm mit unwiderstehbarer Härte: Plut. Marius 11,13. Sturmangriff: Plut. Marius 20,7– 21,1. Maßloser Angriffsdrang: Cass. Dio 40,39,3. Ansturm der Germanenkohorten: Tac. Hist. 2,22,1. Erfolgreicher erster Angriff: Jos. Ant. Jud. 19,1,15 (§120). Schnelle germanische Infanterie: Caes. Gall. 8,36,2f. Chatten schnell im Kampf: Tac. Germ. 30,3. Ansturm der Reiterei über die Felder: Tac. Hist. 4,22,2. 77 Sie verließen sich wie Tiere nur auf ihren Mut: Appian, Celtica fr. 1,9. Blinder Ansturm: Tac. Hist. 2,22,1. Unbedachter Angriff nach Weingenuss: Tac. Hist. 4,29,1. Die Germanen ließen sich nichts befehlen und sich nicht leiten: Tac. Hist. 4,76,2. 78 Verwendung von feritas beispielweise bei: Caes. Gall. 8,25,1; Flor. 2,30,31; Vell. Pat. 118,1. Germanien sei fera: Ovid, Trista 4,2,1. Marbod mit animo ferox: Vell. Pat. 2,118,2. Vergleich mit fera animalia: Tac. Hist. 4,64,2. Die Eigenschaft ferox muss jedoch keinesfalls stets negativ bewertet sein. So bei Vergil: WRIGHT 1997. Auch trugen einige Römer das Cognomen Ferox, wie bspw. Ti. Iulius Ferox (RE 228) und Cn. Pompeius Ferox Licinianus (RE 81). 79 Caes. Gall. 8,36,2f; Cass. Dio 40,39,3; Jos. Ant. Jud. 19,1,15 (§120). Eventuell auch bei: Seneca, de ira 1,3; Plut. Marius 11,13. 80 In der Feldschlacht konnten die Einheiten sich ideal formieren, die Generäle ein vorteilhaftes Gelände auswählen und das Schlachtfeld ggf. durch Fallen präparieren. GILLIVER 1999,105– 144.
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Zu Beginn eines Kampfes wurde im Normalfall eine pilum-Salve geworfen und im Anschluss in Formation gegen den Feind marschiert. Mitunter wurden die letzten Meter im Laufschritt zurückgelegt, um den Gegner zu verunsichern und idealerweise in Unordnung zu bringen. 81 Viele Kämpfe mit den Germanen liefen jedoch anders ab. In den wenigen Feldschlachten gegen die Römer übernahmen sie teilweise die Initiative und stürmten auf die Reihen der Legionäre an. 82 Die meisten bewaffneten Konfrontationen fanden jedoch ohnehin im Rahmen von Überfällen oder Scharmützeln statt, in denen die römischen Soldaten stets versuchten, ihre Formationen einzunehmen. 83 Die Kampfformation der Legionäre war lockerer als die enge griechische Phalanx und ermöglichte daher einerseits ein relativ dynamisches Fechten aber bot andererseits dennoch Schutz durch die Nebenmänner. 84 Im Handgemenge wurde darauf geachtet, die Schlachtreihe einzuhalten, um die Vorteile der Formation nicht zu verlieren. Um den kämpfenden Soldaten Ruhepausen zu ermöglichen, hatte sich in der Legion ein Wechselsystem etabliert, bei dem erschöpfte oder auch verwundete Soldaten durch die relativ locker aufgestellten Reihen zurückweichen konnten, sodass stets ausgeruhte Krieger gegen den Feind kämpften. 85 Auf diese Weise konnten die römischen Einheiten ihre Effektivität in Schlachten über einen relativ langen Zeitraum hinweg bewahren. 86 Auf germanischer Seite wurde eine weitaus dynamischere Kampfweise praktiziert. Anstatt einer Reihe, die jedoch in Einzelfällen durchaus erwähnt wird, 87 81 Zum Ablauf einer Feldschlacht: LE BOHEC 1993, 160–164. Die von ihm betonte Wichtigkeit der Reiterei und dem Schwächen des Gegners durch Artilleriebeschuss ist für Germanien zu relativieren, da die germanische Kavallerie der römischen überlegen war und in vielen Schlachten, die entweder überfallartig begannen oder in bewaldetem Gebiet stattfanden, die römischen Geschütze ihre Wirkung nicht voll entfalten konnten. Zum Ansturm auf den letzten Metern: JUNKELMANN 2003, 239f. 82 Ariovists Truppen und in der Schlacht bei Idistaviso: Caes. Gall. 1,52,3f; Tac. Ann. 2,17,1–4. 83 Beispielsweise während der Schlachten im Teutoburger Wald (Cass. Dio 56,21,2) und bei den pontes longi (Tac. Ann. 1,63,2; 1,64,5f; 1,65,6). 84 Polybios (18,28–30) berichtet, der Legionär habe freier gefochten und dafür in jede Richtung 3 Fuß Platz gehabt, sowohl zu jeder Seite als auch nach hinten und nach vorn. Vegetius (mil. 3,14) gibt abweichend an, einem Legionär hätten nur 3 Fuß Breite zugestanden, nennt jedoch auch 6 Fuß in der Tiefe. Die modernen Autoren sind sich uneinig, welche Angabe richtig ist. JUNKELMANN (2003, 238f) hält eine Breite von 3 Fuß für möglich, GOLDSWORTHY (1998, 179f) nimmt an, dass ein Legionär 6 Fuß in der Breite zur Verfügung gehabt habe. Weiteres zur Kampftechnik, siehe: Ebd. 176–247. CONNOLLY (1991) rekonstruiert anhand der Helme und Schwerter der Legionäre bis zur Mitte des 1. Jh. eine stärk gebückte Haltung im Kampf, die dann in einen aufrechteren Stand abgewandelt wurde. Ursache seien die mit Lanzen statt Schwertern kämpfenden Germanen gewesen. Die neue Form des scutum und die lorica segmentata seien Teil dieser Anpassung der Kampftechnik gewesen. 85 Liv. 8,8. JUNKELMANN 2003, 239. 86 Es scheint in einer längeren Feldschlacht nicht ungewöhnlich gewesen zu sein, dass sich beide Seiten für einige Zeit trennten, um wieder zu Atem zu kommen. Manche Schlachten zogen sich über mehrere Stunden hin. GOLDSWORTHY 1998, 224–227. 87 Neben den großen Schlachten gegen die Kimbern und Teutonen bspw. gegen Ariovist, die Usipeter und Tenkterer, bei Idistaviso und am Angrivarierwall. Caes. Gall. 1,51–53; 4,14f;
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fand die Schlacht im Wesentlichen wohl eher in der Form zahlreicher Einzelkämpfe oder Ausfälle kleinerer Gruppen statt. Dabei sprangen die germanischen Krieger nach vorn, führten Finten aus und täuschten bisweilen die Flucht vor. 88 Ihre Bewaffnung bestand zumeist nur aus Lanze und Schild, einige führten zudem ein Schwert. Helme und Körperpanzer wurden nicht getragen, obwohl durch Beute und Importe durchaus die Möglichkeit bestanden hätte, zusätzliche Defensivwaffen führen. 89 Doch man zog eine leichtere Ausrüstung einer schwereren Rüstung vor, um den Agilitätsvorteil nicht zu verlieren. Ein weiterer bestimmender Faktor für die Kampfweise waren die Gründe, die die Germanen dazu brachten, überhaupt in die Schlacht zu ziehen. Da die Römer nur in wenigen Fällen eine unmittelbar existenzielle Bedrohung darstellten, zog der Großteil der Krieger nicht aus Gründen der Selbstverteidigung in die Schlacht. Für sie spielten vielmehr Sozialprestige und Beute eine Rolle. Insbesondere die erfolgreiche Teilnahme am Kampf oder die Teilnahme an einer Gefolgschaft ermöglichte die Steigerung des Ansehens. 90 In den Kriegergruppen bestand ein entsprechender Wettstreit, der sich im Großen auch in der agonalen Konkurrenz der gentes wiederfand, die sich getrennt aufstellten, wodurch eine Vergleichbarkeit ihrer Leistungen gewährleistet war. 91 Die stürmischen Angriffe germanischer Truppen müssen im Kontext dieser Kampftechnik und dieses Kriegerethos gedeutet werden. Sie waren
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Tac. Ann. 2,16f; 20–22. Caesars Angabe, die Truppen Ariovists würden sich ex consuetudine in Phalanx aufstellen, ist allein deswegen nicht zu hoch zu werten, weil es sich um das erste größere Aufeinandertreffen seit den Kimbernkriegen handelte und daher gar keine Vergleichsmöglichkeit gegeben war. Die Schlacht gegen die Usipeter und Tenkterer fand zwar als Feldschlacht statt, wurde laut Caesars Bericht von den Germanen jedoch nicht erwartet. Bei der Beschreibung des Kampfes am Angrivarierwall (Tac. Ann. 2,21) macht Tacitus deutlich, dass die ungewohnt enge Aufstellung für die Niederlage der Germanen mitverantwortlich war. Während des Bataveraufstandes fochten die römisch ausgebildeten Bataverkohorten schon häufiger auf offenem Feld. Tac. Germ. 6,6; Cass. Dio. 56,21,4f; Caes. Civ. 3,52,2. Vgl. ADLER 1993, 187–191; WOLTERS 2000, 208; GUNDEL 1937, 29; THOMPSON 1965, 111–115. Die Veränderung der Form und Häufigkeit von Schwertern in den Waffengräbern könnte auch auf einen Bedeutungszuwachs des Formationskampfes hindeuten. Ebd. 260–262. Ein weiterer Hinweis auf die dynamische Kampfweise ist die Form der eisernen Schildbuckel, die über eine Art Dorn verfügten, durch den die Schilde offensiv eingesetzt werden konnten. Vgl. Tac. Agr. 36. Tac. Germ. 6,1; 6,3. Vgl. Cass. Dio 56,21,4; Tac. Hist. 2,22,1. ADLER 1993, 187–190. Da spätestens seit der Varusschlacht Tausende von Helmen und Rüstungen im Westgermanischen Raum kursierten und auch Waffen importiert wurden, kann nur geschlussfolgert werden, dass die leichte Ausrüstung nicht aus Mangel, sondern mit Absicht weiterhin beibehalten wurde. Vgl. STEUER 2003. Die Bedeutung von Beute wird von den Autoren häufig hervorgehoben: Vgl. Tac. Ann. 1,68,1; 1,57,4f; 12,27,3; Tac. Hist. 4,76,2; 4,78,1; 5,17,1 Tac. Germ. 33; Cass. Dio. 56,22,3; Caes. Gall. 4,9,3. Das im Kampf erlangte Prestige wird von Tacitus (Germ. 11,5) als decus bellorum bezeichnet. Vgl. Tac. Germ. 13,3–14,1. Kampfesruhm und Beute waren in der römischen Republik in ähnlicher Form bedeutend: WOLTERS 2008, 28. Vgl. ZERJADTKE 2017. Innerhalb der Gefolgschaft: Tac. Germ. 13,3; 14,1. Aufstellung nach gentes: Caes. Gall 1,51,2; Tac. Germ. 7,3; Tac. Hist. 4,23,2; 5,16,1.
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ein Weg, den Gegner durch den ersten Aufprall in Unordnung zu bringen und im Idealfall ängstlichere Feinde schon durch den Ansturm in die Flucht zu schlagen. Die Schlachten der Germanen waren nicht darauf ausgelegt, den Gegner auszumanövrieren, sondern durch die Massierung individueller Kampfkraft zu schlagen. 92 Weiterhin sorgte der Wettstreit unter den Kriegern dafür, dass diese sich im Kampf nicht zurückhielten und es schwierig war, Reserven zu bilden. 93 Im Vergleich römischer und germanischer Kampfweisen lässt sich für die Angriffspraxis somit die Aussage der Autoren bestätigen. Während sich römische Legionäre in der Regel im Marschtempo auf den Gegner zu bewegten, zwischendurch mitunter pausierten, um ihre pila zu werfen oder auf das Aufschließen anderer Formationen zu warten und nur auf den letzten Metern sprinteten – und das auch nur, wenn sie den Angriff initiierten – stürmten die Germanen auch über längere Strecken heran. Hierbei bildeten sie von den Römern cunei genannte Abteilungen, die allerdings keine spezifischen Formen hatten. 94 Auch die geringere Ausdauer im Kampf, die allerdings seltener betont wurde, ist erklärbar. Die germanischen Krieger waren zum Gewinn von Prestige und Beute auf persönlichen Kampferfolg angewiesen und die Fechtweise war individuell und dynamisch. Auf römischer Seite gab es hingegen das Bestreben stets nur einen Teil der Legionäre im Kampf zu halten und regelmäßig gegen ausgeruhte Kameraden auszutauschen. Zudem wurde auf römischer Seite deutlich höherer Wert auf Disziplin und das Halten der Formation gelegt. Somit ist durchaus wahrscheinlich, dass die germanischen Krieger mit ihrem aggressiven Vorgehen schneller erschöpft waren als die römischen Soldaten. Diese realen und von den Römern wahrnehmbaren Unterschiede wurden aufgrund ihrer eigenen Perspektive als absolut wahrgenommen: die Germanen greifen stürmisch an, haben aber im Kampf eine geringe Ausdauer. In der Instrumentalisierung oder Erklärung dieser Merkmale gab es jedoch deutliche Unterschiede. Insbesondere der Angriff, verbunden mit der aggressiven Kampfweise, konnte leicht mit Wildheit, Zivilisationslosigkeit und damit tierischem Verhalten verbunden werden. Auf diese Weise wurden die genannten Eigenheiten mit einer unterstellten Mentalität verbunden, anstatt die wirklichen Ursachen zu benennen.
92 Als Ausnahmen wären das Gefecht zwischen Arminius und Marbod zu nennen, in der die Truppen sich, gänzlich untypisch für Germanen, in Reihen aufgestellt und Reserven gebildet haben sollen (Tac. Ann. 2,45,2) sowie die große Schlacht um einen salzführenden Fluss zwischen Hermunduren und Chatten (Tac. Ann. 13,57,1f). Da beide Ereignisse tief im germanischen Raum stattfanden ist unklar, inwiefern Tacitus hier tatsächlich historische Informationen liefert. 93 Vgl. die Beschreibung der von Civilis erwarteten germanischen Truppen: Tac. Hist. 4,76,2. Neben den Reserven in der Schlacht zwischen Arminius und Marbod, die von Tacitus als exzeptionell bezeichnet werden, sind ebensolche auch im Bataveraufstand erwähnt: Tac. Ann. 2,45,2; Tac. Hist. 4,33,1; 4,79,2. 94 GUNDEL 1939.
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ZUSAMMENFASSUNG Wie eingangs dargelegt wurde, ist die Menge der von den modernen Autoren als Topoi identifizierten Quellenpassagen über Germanien und Germanen ausnehmend hoch. Manche dieser vermeintlichen Topoi sind jedoch nur äußerst selten in den antiken Texten zu finden, weshalb fraglich ist, inwiefern es sich tatsächlich um gängige Topoi handelte. Die Topoi lassen sich entsprechend des Abstraktionsgrades ihres Gegenstandes in drei Kategorien einteilen, nämlich in Topoi über physische Merkmale wie Größe, Architektur, Wälder oder Sümpfe, Topoi über Verhaltensweisen und Topoi über Charaktereigenschaften. Auch deutet die Analyse an, dass die Topoi in unterschiedlicher Weise spezifisch waren und entweder Teil des stereotypen Germanenbildes, des etwas allgemeineren Nordbarbarenbildes oder des universellen Barbarenbildes sein konnten. Die Übersicht macht zudem deutlich, dass viele der von der modernen Forschung angenommenen Topoi den kriegerischen Bereich betreffen, was dem Darstellungsfokus der antiken Autoren geschuldet ist. Der Versuch, den Realitätsbezug der Topoi des höheren Wuchses, der primitiven Landwirtschaft und des schnellen Angriffes mit kurzer Ausdauer zu ermitteln, fiel ambivalent aus. Im Fall des hohen Wuchses ergab der Vergleich einiger Metanalysen einen Unterschied, der als marginal bezeichnet werden kann oder aber sogar zugunsten der durchschnittlich größeren Römer ausfällt. Da jedoch zu wenige Daten aus dem nordwestgermanischen Raum und von römischen Legionären vorliegen, sondern die Zahlen aus jeweils anderen Regionen oder sozialen Schichten stammen, ist nicht zu ermitteln, ob bei den Feldzügen des frühen ersten Jahrhunderts nicht vielleicht doch ein umgekehrter Unterschied bestand. Möglicherweise ist auch der höhere Wuchs der Kimbern und Teutonen, in deren vermuteter Heimat deutlich höhere Individuen zu finden waren, für die Zählebigkeit des Topos verantwortlich. In der Zeit des Tacitus war dieser jedenfalls nur mehr literarisches Versatzstück. Die drei untersuchten Aspekte der Landwirtschaft ließen sich nicht alle in gleicher Weise verifizieren. Der Felderwechsel wurde höchstwahrscheinlich praktiziert, doch war er auch in Rom bekannt, weshalb hier vielleicht eine Verbindung zum Topos der mangelnden Sesshaftigkeit bestehen könnte. Die relative Primitivität entsprach aus römischer Perspektive durchaus der Realität. Auch die relativ geringe Wertschätzung von Ackerboden und das Fehlen von Großgrundbesitz sind im Vergleich mit den Verhältnissen der römischen Oberschicht nachvollziehbar. Römische Kleinbauern besaßen zwar ähnlich kleine Flächen wie einem Hof im germanischen Raum zugehörig waren, doch aufgrund der dortigen Einteilung in celtic fields könnte aus römischer Sicht das Missverständnis aufgekommen sein, dass es sich jeweils um einzelne Besitzungen gehandelt hätte, die dann deutlich kleiner gewesen wären. Auch die stürmischen Angriffe der Germanen und ihre geringe Ausdauer im Kampf müssen im Vergleich mit der römischen Kampftaktik gedeutet werden. Während auf römischer Seite das Halten der Schlachtformation an erster Stelle stand, setzten die germanischen Krieger auf einen dynamischen Kampf, der seine
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Wirkung durch die Intensität erzielte. Dadurch lässt sich auch das geringere Durchhaltevermögen erklären. Zwar sind die Kampfbeschreibung im Vergleich mit den beiden vorangegangenen Topoi noch mehr durch Instrumentalisierung und ethisch-kulturelle Deutungen verzerrt, doch lassen sich die Beobachtungen durchaus zu einem abgerundeten Bild der Kampfweise zusammensetzen. Die Fallstudien zeigen, dass in manchen Fällen echte Beobachtungen von Merkmalen oder Verhaltensweisen aufgegriffen wurden. Oftmals wurden diese Merkmale dann als negativ, in Einzelfällen auch positiv, bewertet und teilweise mit Erklärungen verknüpft, die im Wesentlichen mit dem Charakter oder der Moral der Germanen verbunden wurden. Die Germanen würden beispielsweise keinen Großgrundbesitz zulassen, um Geldgier zu unterbinden und sich auf den Gegner stürzen, weil sie sich unüberlegt und wie Tiere nur auf ihren Mut verließen.95 Es zeichnet sich ab, dass die Autoren sich dabei nur weniger Motive bedienten, wie Primitivität, Wildheit und Hinterlist, die teilweise zum bereits etablierten, allgemeinen Barbarenbild gehörten. 96 Die von den Autoren gelieferten ethisch-moralischen und charakterlichen Begründungen fanden Akzeptanz, weil sie die Leser in ihrem erhöhten Selbstbild und ihren Vorstellungen eines barbarischen Volkes bestätigten. Ihre starke Wirkung und lange Fortdauer resultierten aus der Nachprüfbarkeit der beobachtbaren Indizien, die die Autoren überhaupt erst als Belege für ihre charakterlichen Zuschreibungen anführten. Die Germanen badeten eben tatsächlich oft in Flüssen, hatten keinen Großgrundbesitz und bevorzugten den Sturmangriff. Jeder erneute Bericht über die Merkmale und Verhaltensweisen bestätigte die einmal gelieferten Erklärungen. Daher müssen beim Versuch, die realen Kerne der von den Autoren getroffenen Aussagen zu erfassen, stets die Erklärungen bzw. Begründungen außer Acht gelassen werden. Weiterhin ist die Perspektive der antiken Autoren zu bedenken, die zumeist keine objektiven, sondern vergleichende Aussagen tätigten, wenngleich oftmals indirekt. 97 Überdies betonten die Autoren die Unterschiede zwischen römischen und germanischen Merkmalen und verschwiegen die Gemeinsamkeiten, die ihnen wohl nicht berichtenswert erschienen. Somit lieferten sie keinesfalls ein vollständiges Bild ab. Aus den oben durchgeführten exemplarischen Analysen der drei Topoi lässt sich weiterhin eine Hypothese ableiten, die in weiteren Studien getestet werden könnte. Alle drei beziehen sich auf Merkmale, die leicht mit bloßen Augen zu verifizieren gewesen wären. Dennoch ließ sich gerade der einfachste Topos des höheren Wuchses nicht bestätigen und der auch in Rom bekannte Felderwechsel wurde als fremd angesehen. Möglicherweise wurden die Topoi in diesen Fällen 95 Fehlender Grundbesitz: Caes. Gall. 6,22,3f. Tierischer Mut: Appian, Celtica fr. 1,9. 96 Vgl. DAUGE 1981, 429–449; 602–604. 97 Wie im Fall der „primitiven“ Landwirtschaft, des „stürmischen“ Angriffes. In jedem Fall muss die Perspektive lauten: „als die Römer“. Somit nimmt nach dem Modell von BORDALO/COFFMAN/GENNAIOLI/SHLEIFER (2016, 1757) die römische Leserschaft die Rolle der Referenzgruppe ein, an der die Zielgruppe der Germanen gemessen wird. Mehr dazu in der thematischen Einleitung des vorliegenden Bandes, S.11–26.
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wider besseren Wissens dennoch verwendet, weil es sich bereits zur Zeit Caesars schon um etablierte Topoi für die Nordbarbaren handelte, auf die man ohne Weiteres zurückgreifen konnte. In den spezifischeren Fällen der kleinen Felder, der primitiven Landwirtschaft und der germanischen Kampfweise wurden hingegen wohl tatsächlich Beobachtungen aufgenommen und in das sich etablierende Germanenbild eingewoben, wo sie neben Merkmalen standen, die aus dem Nordbarbarenbild übernommen worden waren. So wäre auch zu erklären, warum die Autoren in manchen Fällen widersprüchliche Informationen liefern, indem sie manche aus dem Bild der Nordbarbaren entnahmen, andere hingegen aus dem teilweise auf Beobachtungen basierenden Bild der Germanen. Weiterführende Analysen könnten helfen, diesen Problemkomplex besser zu verstehen. Abschließend muss für die Möglichkeit, aus den topischen, oft wiederholten Aussagen der Autoren auf die realen Verhältnisse zu schließen, eine wichtige Einschränkung gemacht werden. Ein solches Ansinnen kann nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn die entsprechenden Quellen gut informiert sind und zeitlich verhältnismäßig nahe am Kennenlernen der entsprechenden Gesellschaft liegen. Nur dann bestehen ausreichend gute Chancen, dass die verarbeiteten Beobachtungen rezent genug sind und sich auf noch immer angewendete Praktiken und vorhandene Verhältnisse zurückführen lassen. Je länger Volk bereits bekannt war und beschrieben wurde, desto größer wird die Gefahr von Anachronismen und Vermengungen von Informationen aus gänzlich unterschiedlichen Zeiten. Dr. phil. Michael Zerjadtke, Arbeitsbereich Geschichtswissenschaft, Professur für Alte Geschichte, Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr/Universität der Bundeswehr Hamburg, Postfach 700822, 22008 Hamburg
SYNTHESE UND AUSBLICK Michael Zerjadtke Abschließend sollen die Ergebnisse der Beiträge des vorliegenden Bandes noch einmal kurz zusammengetragen werden. Wie in der thematischen Einführung deutlich wurde, gibt es keine eindeutige Definition des Toposbegriffes, allerdings einige Ansätze in unterschiedlichen Disziplinen. Für die althistorische Forschung, insbesondere ethnographische Texte betreffend, scheint der mit den aristotelischen Betrachtungen verbundene „materielle“ Topos der Sprachwissenschaften am ehesten verwendbar zu sein. Auch zeigen die Ergebnisse der Sozialpsychologie, dass Stereotypen, und damit eine mögliche Herleitung von ethnographischen Topoi, durchaus einen wahren Kern haben können. Dies eröffnet die potentielle Möglichkeit, aus gängigen Völkertopoi Inhalte zu extrahieren, die über einen Wahrheitsgehalt verfügen. Alexander Free verwies auf die Notwendigkeit der Verwendung topischer Elemente in der Historiographie. Einerseits waren sie unabdingbar, um die Lücken in der Erzählung zu füllen oder Aussagen schlüssig erscheinen zu lassen. Gängige Topoi gaben diskursives Wissen wieder und halfen somit dabei, die Erzählung in der Vorstellungswelt der antiken Rezipienten zu verankern. Auf diese Weise konnte der Autor seine Glaubwürdigkeit steigern, doch näherte sich seine Geschichtsschreibung zugleich auch der Dichtung an. Andererseits waren etablierte Topoi Teil der Erwartungshaltung der Leser und wurden auch dann erwähnt, wenn der Autor ihren Wahrheitsgehalt stark bezweifelte. Antike Geschichtswerke standen oft in Konkurrenz zu anderen Darstellungen und mussten daher mindestens den dortigen Wissensstand referieren. Dadurch waren die Autoren nicht gänzlich frei in der Gestaltung ihrer Werke. Julian Degen analysierte die Verbindung des Perserhofes mit der extrem gewalttätigen und entmenschlichenden Praxis der Häutung. Diese Strafe für Aufständische ist bereits in neoassyrischen Texten überliefert und war ein festes Element in den Feldzugsberichten gegen Rebellen. Im Achaimenidenreich scheint dann die Häutung als Strafe für Hofintrigen Anwendung gefunden zu haben. Diese Strafpraxis war den griechischen Autoren bekannt und sie griffen sie auf, um die teispidisch-achaimenidische Monarchie als grausame Willkürherrschaft zu charakterisieren. Herodots Geschichtswerk hatte hierbei eine Vorbildwirkung. Andere Autoren griffen seine Darstellung auf und erhoben durch Wiederholung die Verbindung des Perserhofes mit der Häutung zu einem definierenden Element. Dabei bedienten sie das Interesse des Publikums an dieser extremen Form von Gewalt und etablierten das Häuten als frei adaptierbaren Topos der persischen Herrschaft. Jan Köster untersuchte in seinem Beitrag die Verwendung des Topos der Perserzerstörung im Werk des Pausanias. Die persischen Truppen zerstörten bei ihrem
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Vormarsch viele Tempel, deren verbrannte Ruinen oftmals als Mahnmale in ihrem Zustand belassen wurden. Mit ihnen verband sich die Erinnerung der Abwehr des persischen Feindes, wodurch das Bild der Tempelruine mit Brandspuren zu einem wirkmächtigen, emotional aufgeladenen Topos wurde. Seine Bekanntheit und Akzeptanz waren so hoch, dass manche Städte ihre verfallenen Tempel mit der Perserzerstörung verbanden, auch wenn die Gebäude aus anderen Gründen zerstört worden waren, oder die Städte sogar mit den Persern kollaboriert hatten. Der Wirkkraft dieses Topos konnte sich auch Pausanias nicht entziehen, der manche Tempelruine ohne Zweifel zu äußern mit der Perserzerstörung in Verbindung brachte, auch wenn diese Begründung fraglich war oder alternative Erklärungen für den Zustand bekannt waren. Entscheidend war für ihn vorrangig das Aussehen eines ausgebrannten Tempelgebäudes, das ihn so stark an andere von den Persern verheerte Ruinen erinnerte, dass er diese Begründung ohne stichhaltige Belege oder sogar trotz anderer Informationen favorisierte. Falk Wackerow untersuchte drei gängige Topoi über die Karthager, denen die Forschung bisher wenig Beachtung geschenkt hat. Die wenig hinterfragte Aussage, die nordafrikanische Stadt sei eine bedeutende Seemacht gewesen, muss bei genauer Analyse der bekannten Flotteneinsätze relativiert werden. Bei der Gegenüberstellung von Siegen und Niederlagen schnitten die karthagischen Flotten keinesfalls sehr gut ab, stattdessen deutet der Vergleich mit der Bilanz des Landheeres an, dass vielmehr das Heer der maßgebliche Erfolgsfaktor gewesen zu sein scheint. Bei der Untersuchung der mehrfach in den Quellen erwähnten Aussetzung von Söldnern auf einsamen Inseln zeigten sich einige logische Schwierigkeiten, die diese Episoden mehr als zweifelhaft erscheinen lassen. Ähnliches gilt auch für die Person des Xanthippos und dessen Wirken im ersten punischen Krieg. Da deutliche Ähnlichkeiten mit anderen Berichten über spartanische Söldnerführer erkennbar sind, könnten Elemente oder die gesamte Episode von diesen abgeleitet worden sein. Patrick Reinard spürte den Topoi über Juden in Alexandria in der Kaiserzeit nach. Die negativen Stereotype gegenüber der jüdischen Bevölkerung sind in Tacitus’ sogenanntem Judenexkurs prominent überliefert. Mitunter nimmt man an, dass das vom Autor bezeichnete Bild vorrangig in der Literatur präsent war, jedoch wenig Bezug zur Alltagskommunikation hatte. Doch der Vergleich mit dokumentarischen Papyri aus dem kaiserzeitlichen Ägypten deutet einen anderen Zusammenhang an. Dort wird den Juden ebenfalls Gesetzlosigkeit, Unzuverlässigkeit, Geldgier und bisweilen sogar Kannibalismus vorgeworfen. In einem offiziellen Schreiben des Kaisers Claudius werden sie mit einer Plage bzw. Seuche verglichen. Im Zusammenhang mit dem Aufstand von 115–117 n. Chr. werden auch gängige Topoi über grausame Barbaren wiedergegeben, die Menschen auf das Schlimmste misshandeln. Manche dieser Zuschreibungen könnten mit realen Zerstörungen und Gewaltakten im Zuge des Aufstandes in Verbindung zu bringen sein, doch auch – vielleicht absichtliche – Fehldeutungen von Aussagen, wie sie aus der Kriegsrolle von Qumran bekannt sind, können eine Rolle gespielt haben.
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Michael Zerjadtke trug eine Reihe von Topoi über Germanen zusammen und stellte heraus, dass nur ein Teil der in der Literatur als topisch angesehenen Aussagen und Merkmale tatsächlich häufiger in Erscheinung tritt. Zudem lassen sich die Topoi in unterschiedliche Gruppen aufteilen, wobei der Abgleich mit der historischen Wirklichkeit in unterschiedlichem Maße möglich ist. Beispielhaft wurden drei gängige Zuschreibungen in den Blick genommen. Im Fall des hohen Wuchses konnte ein realer Kern nicht bestätigt werden, stattdessen deuten die wenigen Durchschnittsdaten für den germanischen und italischen Raum eher ein umgekehrtes Verhältnis an. Anders verhält es sich beim Ackerbau, der im Vergleich mit den römischen Standards tatsächlich primitiver war und dessen Felder deutlich kleiner waren. Bei den Topoi des stürmischen Angriffes der Germanen und der relativ geringen Ausdauer im Kampf scheinen bei einer Gegenüberstellung der Taktiken von germanischen und römischen Heeren beide Merkmale tatsächlich plausibel. Von der teilweisen Bestätigung der Inhalte sind jedoch die von den Autoren mitgelieferten technischen oder ethisch-moralischen Begründungen strikt zu trennen, die weitgehend als fiktiv anzusehen sind. DEFINITION, MERKMALE UND HERANGEHENSWEISE Anhand der Beiträge und der Abschlussdiskussion am Ende der diesem Band zugrundeliegenden Tagung soll eine Definition für den Toposbegriff in der althistorischen Forschung zur Ethnographie vorgeschlagen werden: Topos in ethnographischem Zusammenhang bezeichnet eine Aussage über eine Einzelperson, eine gesamte Gruppe oder über ein Land. Er kann dabei physische Merkmale oder Verhaltensweisen wiedergeben und zusätzlich noch mit technischen oder ethnisch-moralischen Begründungen versehen sein, oder explizite Charaktereigenschaften nennen. Ein Topos enthält eine explizite Verallgemeinerung oder eine nachweisbar bekannte Eigenschaft 1 und ist zusätzlich noch mit einer normativ aufgeladenen Metaebene verbunden. Mittels letzterer werden durch die Nennung der Eigenschaft weitere Bilder, Merkmale und Wertungen aktiviert, die den Rezipienten aufgrund der Teilnahme am entsprechenden Diskurs geläufig sind, weil sie bekannte Elemente des kollektiven Wissens darstellen. 2 Insbesondere physische Merkmale oder Verhaltensweisen können dabei auf einen realen Kern zurückzuführen sein und entweder reale Eigenschaften oder Abweichungen von den Standards der Oberschicht des griechisch-römischen Kulturraumes aufgreifen, die zeitgenössisch waren oder in vorheriger Zeit bestanden. 1 2
Im Gegensatz zu einer bisher wenig oder nicht bekannten Eigenschaft, die ein Gewährsmann oder der Autor selbst gesehen bzw. wahrgenommen hat. Vgl. die inhaltlich ähnliche Definition zu „Personenstereotypen“ bei PÜMPEL-MADER 2010, 9. Der Terminus Topos ist hier jedoch zu bevorzugen, da das hauptsächlich in der Sozialpsychologie betrachtete Phänomen des Stereotyps per se als neutral gilt und noch nicht wertend ist. Dazu QUASTHOFF 1973, 24–27; ARONSON/WILSON/AKERT 2008, 424; PIONTKOWSKI 2011, 174f; ZICK/KÜPPER/HÖVERMANN 2011, 32–35.
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Entscheidend dafür, ob es sich bei einer Aussage um einen Topos handelt, ist nicht ihre äußere Form, sondern ihre Verknüpfung mit weiteren Vorstellungen. Durch diesen Definitionsversuch ist es potentiell möglich, zu entscheiden, ob es sich bei einer Aussage um einen Topos handelt oder nicht. Gerade letzteres ist von Bedeutung, da nunmehr die Möglichkeit gegeben ist, die Identifizierung einer Information als Topos zu falsifizieren. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da andernfalls automatisch alle Äußerungen über fremde Völker in die Kategorie Topoi fallen würden, womit die Bezeichnung nutzlos würde. 3 Aufgrund unserer oftmals nur sehr begrenzten Überlieferungslage bezüglich bestimmter Gruppen, kann nicht immer eine Entscheidung darüber gefällt werden, ob eine Aussage in der beschriebenen Weise weitere Assoziationen hervorrief und daher als Topos bezeichnet werden kann. Aus den Beiträgen des vorliegenden Bandes lassen sich allerdings folgende Verallgemeinerungen formulieren: – – – – – – – – –
Topoi können auf reale Merkmale oder Unterschiede zu griechisch-römischen Standards zurückgehen. Topoi, die einen realen Kern hatten, können auch weiterhin fortbestehen, wenn sich die gesellschaftlichen Eigenschaften und Praktiken bereits geändert haben. Topoi können von Autoren auch wider besseren Wissens angeführt werden, um die Erwartungshaltung der Leser zu bedienen. In historiographischen Werken zu findende Topoi können auch in der Alltagskommunikation verwendet worden sein. Allgemein bekannte und akzeptierte Topoi konnten aktiv genutzt werden, um bestimmte Effekte zu erreichen. Ausreichend wirkmächtige Topoi können andere, tatsächliche Merkmale oder kausale Zusammenhänge überstrahlen. Antike Autoren mussten sich bei Verwendung eines Topos nicht zwingend bewusst sein, dass es sich um einen Topos handelte. Nicht alle in der Forschungsliteratur behaupteten Topoi sind auch tatsächlich in der antiken Literatur häufig genug zu finden, um diese Behauptung zu stützen. Manche Topoi, die heute noch immer von der Forschung unkritisch akzeptiert werden, sind bei genauer Betrachtung nicht nachvollziehbar.
Beim Umgang mit Topoi ist die jeweilige Forschungsfrage zu beachten. In Arbeiten mit diskursanalytischem Schwerpunkt kann der potentielle Realitätsgehalt von Topoi vernachlässigt werden, wenn keine Aussagen darüber getroffen werden sollen. Wird jedoch die Herleitung von Topoi thematisiert, dann ist stets mit der Möglichkeit zu rechnen, dass sie tatsächlich auf einen wahren Kern zurückgehen, der demnach auch untersucht werde muss. Dabei ist auf verschiedene Punkte zu achten:
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Zur Bedeutung der Falsifizierbarkeit für das wissenschaftliche Arbeiten: POPPER 2005, 16–19; 54–68.
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Die Autoren der Quellen geben keinesfalls absolute Urteile ab, sondern jede Aussage ist aus der Perspektive der griechischen oder römischen Oberschicht zu sehen. Sie sind aus sozialpsychologischer Sicht die Eigengruppe bzw. Ingroup. Speziell in den ethnographischen Exkursen werden vorrangig Sachverhalte berichtet, die von den griechisch-römischen Standards abweichen. Ähnlichkeiten werden zumeist nicht beachtet. In den ethnographischen Exkursen und bei topischen Aussagen über fremde Völker ist mit Verzerrungen und Übertreibungen zu rechnen, die beim Versuch der Überprüfung und Deutung mit einkalkuliert werden müssen. Bei der Suche nach Eigenschaften, die mit den realen Gegebenheiten abgeglichen werden sollen, muss zwischen dem potentiell überprüfbaren Inhalt eines Topos und seiner technischen oder ethisch-moralischen Begründung unterschieden werden.
Die genaue Analyse von ethnographischen Topoi und der Versuch des Abgleiches ihrer Inhalte mit den Gegebenheiten im entsprechenden geographischen Raum können neben möglichen Erkenntnissen über die beschriebenen Gesellschaften selbst auch neue Perspektiven in der Forschung zum Barbarendiskurs und zur Historiographie eröffnen. Durch die Untersuchungen der Entstehungszusammenhänge bestimmter Topoi kann ihre Wirkungskraft und -dauer besser fassbar werden. Zugleich wird es möglich, bei Wandeln in den Völkern und Regionen die Resistenz der Topoi gegen kontrastierende Informationen abzuschätzen. Der Vergleich der Verbreitung von Topoi bei unterschiedlichen Autoren oder auch in verschiedenen Quellengattungen ermöglicht eventuell Rückschlüsse auf die Dynamiken in diskursiven Systemen. Bei negativen Ergebnissen des Abgleiches mit den historischen Verhältnissen kann der Grad der Verzerrung oder Loslösung von der zeitgenössischen Realität deutlich gemacht werden. In der bisherigen Forschung wurden Topoi allzu oft mit einem Hinweis auf ihre normative Färbung abgetan. Umfangreichere und tiefgehende Analysen einzelner Topoi oder ganzer Toposkataloge könnten allerdings noch deutlich mehr leisten. Mit dem vorliegenden Band wurde versucht, einen ersten Schritt in diese Richtung zu gehen. Dr. phil. Michael Zerjadtke, Professur für Alte Geschichte, Arbeitsbereich Geschichtswissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr/Universität der Bundeswehr Hamburg, Postfach 700822, 22008 Hamburg
ABSTRACTS Michael Zerjadtke: Introduction to the problems and facets of “topos” While the term “topos” is commonly used in the literature on ancient history, no clear definition of its characteristics yet exists. The works of Aristotle and Cicero – in which topos and its Latin equivalent, “locus”, are described – demonstrate inconsistent usages of the terms, which are applied to describe different phenomena. Classical and German philology are equally unhelpful when it comes to interpreting ethnographical “topoi”; however, these disciplines can be useful in delimiting topos from the related terms of “stereotype” and “cliché”. Research results in the field of social psychology are of great importance in explaining ethnographical topoi as they demonstrate that stereotypes based on personal experience often have a kernel of truth. If this finding is kept in mind when analysing documents from antiquity, certain topoi that result from observations could be found to stem from real differences between cultures and would thus not necessarily be purely literary constructs. Alexander Free: Comments on topoi as a central element of ancient historiography Using Aristotle’s famous passage on the difference between poetry and historiography in his Poetics, this essay focuses on the inevitability of topical elements in ancient historiography. On the one hand, these elements were necessary to fill gaps in the narrative or to make statements appear conclusive. Common topoi reflected discursive knowledge and thus helped to anchor the narrative in the imagination of the ancient audience. In this way, authors were able to increase their credibility, but their writing of history also converged on poetry. On the other hand, established topoi were part of the readers’ expectations and were mentioned even when the author strongly doubted their truthfulness. Ancient historical works often competed for an audience with other forms of historical descriptions and therefore at the very least had to refer to the state of knowledge at the time. Historiography was a genre of dissent, and historiographers thus often dealt explicitly with their predecessors in their works. However, since historiography converged on poetry, the usage of topoi served as the target of criticism, as is illustrated in Arrian’s account of ancient India.
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Julian Degen: Herodot, Sisamnes, and the topos of the gruesome Persian monarchy The present paper discusses the topos of the gruesome Persian Great King in Greek and Roman historiography by analysing episodes of human flaying in Asia. The discussion is centred on a single episode from the Histories of Herodotus, in which the Great King Cambyses flays his judge, Sisamnes. This episode significantly impacted later authors, such as Diodorus and Valerius Maximus. As early as one generation after Herodotus, human flaying became an essential characteristic of the Greek perception of the Achaemenid Empire, as attested in extant fragments by the author Ctesias. Nevertheless, cuneiform sources from the 1st Millennium BCE reveal that flaying was indeed used in different contexts and mainly served as a form of propaganda. Herodotus is known to have constructed the literary figure of the gruesome Persian Great King flaying his subjects, which was used as a stereotype by Ctesias for his description of Persian court culture. As the representation of Persians in the later works of Diodorus, Valerius Maximus, and Plutarch illustrates, human flaying – as an embodiment of the theme of “Asian rage” – became a fixed element in the post-Herodotean era. Jan Köster: Post-truth in Pausanias: Ruins as evidence of (re)constructed history In his Periegetian writings, Pausanias depicts landscapes, places, and monuments of Greece with a special focus on the glorious past of the Greeks (i.e. the archaic and Early Classical periods). The great temporal distance of more than 500 years between Pausanias and the object of his primary interest makes his writings naturally prone to inaccuracies, later inventions, and false associations. In addition, Pausanias does not merely want to tell stories and describe events, but rather to highlight emotions and memories. The landscapes and monuments mentioned in his works serve as testimonies to history that must be deciphered on the basis of tradition and Pausanias’ expertise, thereby yielding two levels of meaning: physically tangible and visible items on the one hand and imparted knowledge on the other hand. These levels sometimes complement and sometimes contradict each other. Moreover, synergies and tensions between the two levels abound in Pausanias’ works and constitute part of the author’s charm. These contrasts are particularly evident in the case of the temples that had supposedly been destroyed by the Persians during the Greco-Persian wars. On several occasions, Pausanias mentions buildings that still show traces of a fire or that even no longer have a roof. He does not mention any concrete details, yet he sketches an almost romantic picture of a “typical” Persian ruin. Remarkably, at least some of the damage Pausanias describes could very likely not have come from the Persians. The motif of the shrine burnt down by the Persians appears to have been so popular during Pausanias’ time that it managed to eclipse older, contradictory literary traditions.
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Falk Wackerow: “Because the Romans were ready to believe any rumour concerning the Carthaginians” (Vell. 1.12.2): A critical examination of three aspects of the ancient Carthaginian image This article uses interpretations of three aspects of Carthaginian military history to demonstrate the difficulty in determining Punic history. A critical examination and comparison of the sources is therefore needed to develop a clearer view of ancient Carthage. In the first section, the issue of Carthage as a naval power is discussed. While Carthage was once clearly able to marshal considerable marine forces, its navy lost most battles and smaller engagements in which it was involved, especially against the Romans. On the other hand, although Carthage is seldom seen as a major land power, it won most its land battles. The second thesis involves the topos of the abandonment of insubordinate mercenary troops on isolated islands, an act that occurs on three different occasions in the sources. Inconsistencies between the sources can be found, and the likelihood of the described events is called into question as they can be demonstrated to be unhistorical. Furthermore, the third chapter examines the representation of the Spartan mercenary captain Xanthippus and casts doubt on his existence. Patrick Reinard: “A plague that threatens the world?” Remarks on Judaic topoi in selected literary and papyrological sources Polemic Judaic topoi in literary sources of the Greco-Roman period have often been the subject of discussion, although everyday documentary tradition has rarely been used for comparison. However, the papyrological sources reveal that the conventional semantics of the topoi must have been widespread and common in everyday life. Consequently, the topoi are not merely figures or images used in literary discourse; rather, they should be understood to have been present in everyday communication. Some of these topoi likely originated from a false understanding of religious and cultural rites that may have been formed for the purpose of polemic hostility. In terms of everyday life, these “topoi” became part of cultural continuity and memory. Michael Zerjadtke: Topoi in the literature on ancient Germans: Real observation and fictitious reasoning The literature on the portrayal of ancient Germans portrays well-known topoi and is assumed to have little connection with historical reality. Upon closer examination of the sources, only a fraction of the assumed topoi can actually be found multiple times. In this text, three common topoi of the ancient Germans are analysed in order to estimate the degree to which they are based on actual conditions in ancient times. Regarding the often-stressed above-average physical height of ancient German warriors, no evidence has been found to suggest that they were in fact taller than their
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Roman counterparts. However, statements on ancient German agriculture seem to reflect real differences to Roman practices and technology. The same can be said about the allegedly fast attacking skills and low levels of endurance of ancient German warriors in close combat – elements that need to be interpreted in comparison with Roman tactics and skills. When assessing the historical reality behind certain topoi, it is critical to distinguish between factual content and moral or technical explanations given by the ancient authors.
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Die literaturwissenschaftliche Ausrichtung der althistorischen Quellenkritik in den letzten Jahrzehnten hatte fundamentale Auswirkungen auf die Deutung ethnographischer Texte. Durch diesen Forschungsfokus ist die Analyse möglicher Realitätsbezüge weitgehend in den Hintergrund getreten. Bisweilen wird den Aussagen über fremde Völker sogar jedweder Wahrheitsgehalt abgesprochen. Ein wichtiges Element dieser Forschungsproblematik sind Topoi, die in den antiken Texten praktisch omnipräsent sind. Trotz dieser besonderen
Bedeutung liegt bis heute keine umfangreiche Betrachtung zum Toposbegriff aus Perspektive der Alten Geschichte vor. Die Autoren analysieren das Phänomen aus unterschiedlichen Blickwinkeln und nähern sich interdisziplinär dem Toposbegriff an. In Einzelstudien betrachten sie die Begriffsherkunft, untersuchen die Topoi über Perser, Karthager, Juden und Germanen und arbeiten den Wahrheitsanspruch antiker Autoren heraus, um so Merkmale des althistorischen Toposbegriffes zusammenzufassen.
ISBN 978-3-515-12870-4
9 783515 128704
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag