Der Dom zu Xanten und seine Kunstschätze [Reprint 2020 ed.] 9783112360668, 9783112360651


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German Pages 156 [166] Year 1930

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Der Dom zu Xanten und seine Kunstschätze [Reprint 2020 ed.]
 9783112360668, 9783112360651

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VERÖFFENTLICHUNG DES X A N T E N E R D O M B A U Y E R E I N S I DER D O M ZU XANTEN UND SEINE KUNSTSCHÄTZE

Iii

BLICK VOM SÜDTURM DES DOMES AUF DEN NORDTURM UND DAS CLEVER TOR

RICHARD

KLAPHECK

DER DOM ZU XANTEN UND S E I N E

KUNSTSCHÄTZE

MIT A U F N A H M E N WALTER

VON

HEGE

¿A*

DEUTSCHER KUNSTVERLAG B E R L I N 1930

PAPIER : SCHEUFELEN, OBERLENNINGEN. DRUCKSTÖCKE : MEISENBACH, RIFFARTH & CO., BERLIN. D R U C K : A. W O H L F E I . D , M A G D E B U R G . EINBAND: H.SPERLING,BERLIN. ZEICHNUNG AUF DEM EINBAND: P R O F E S S O R E R N S T BÖHM, B E R L I N . UMSCHLAG : ERNST HERMANN, BERLIN.

DEM VORSITZENDEN DES DENKMALRATES DER RHEINPROVINZ

PAUL

CLEMEN

INHALT VETERA-COLONIA TRAJANA-TROJA FRANCORUM-AD SANCTOSXANTEN DER BAU DES VIKTORSDOMES

1 12

1. Der Romanische Westbau

12

2. Der Gotische Neubau 3. Die Anbauten

37

4. Gewachsenes und Verpflanztes

43

DIE AUSSTATTUNG DES VIKTORSDOMES

49

1. Glasmalerei

50

2. Steinplastik

56

3. Altäre

100

4. Chorausstattung

119

VIKTORSTADT UND XANTEN

139

Anmerkungen Seite 151. Grundriß am Schluß des Bandes.

FOTOGRAFISCHE

VORLAGEN

stellten dankenswerterweise zur Verfügung: Bildarchiv des Kreises Moers, S. 147; Rheinisches Museum zu Köln, Seite 76, 77, 82, 83, 91, 114, 115, 116, 117, 124, 125, 135, 148, 149; Landesb a u r a t Wildeman, Bonn, S. 1; Eugen Coubillier, Köln, S. 88.

DRUCKSTÖCKE aus folgenden Werken des Verlages L. Schwann zu Düsseldorf d u r f t e n benutzt werden: Paul Clemen, Kunstdenkmäler des Kreises Moers (1892), V I I I . 23; Heinrich Oidtmann, Rheinische Glasmalerei vom 12. bis zum 16. J a h r h u n d e r t (1912, 1928) 50—55; Richard Klapheck, Kunstreise auf dem Rhein (1928, 2. Aufl.) 12, 138, 139. Das Urheberrecht an sämtlichen von Walter Hege f ü r dieses Werk gemachten Aufnahmen besitzt

der

Verein

zur

E r h a l t u n g

des

X a n t e n e r

W iedergabe ist nur mit seiner Genehmigung gestattet.

Domes

E. V.

INHALT VETERA-COLONIA TRAJANA-TROJA FRANCORUM-AD SANCTOSXANTEN DER BAU DES VIKTORSDOMES

1 12

1. Der Romanische Westbau

12

2. Der Gotische Neubau 3. Die Anbauten

37

4. Gewachsenes und Verpflanztes

43

DIE AUSSTATTUNG DES VIKTORSDOMES

49

1. Glasmalerei

50

2. Steinplastik

56

3. Altäre

100

4. Chorausstattung

119

VIKTORSTADT UND XANTEN

139

Anmerkungen Seite 151. Grundriß am Schluß des Bandes.

FOTOGRAFISCHE

VORLAGEN

stellten dankenswerterweise zur Verfügung: Bildarchiv des Kreises Moers, S. 147; Rheinisches Museum zu Köln, Seite 76, 77, 82, 83, 91, 114, 115, 116, 117, 124, 125, 135, 148, 149; Landesb a u r a t Wildeman, Bonn, S. 1; Eugen Coubillier, Köln, S. 88.

DRUCKSTÖCKE aus folgenden Werken des Verlages L. Schwann zu Düsseldorf d u r f t e n benutzt werden: Paul Clemen, Kunstdenkmäler des Kreises Moers (1892), V I I I . 23; Heinrich Oidtmann, Rheinische Glasmalerei vom 12. bis zum 16. J a h r h u n d e r t (1912, 1928) 50—55; Richard Klapheck, Kunstreise auf dem Rhein (1928, 2. Aufl.) 12, 138, 139. Das Urheberrecht an sämtlichen von Walter Hege f ü r dieses Werk gemachten Aufnahmen besitzt

der

Verein

zur

E r h a l t u n g

des

X a n t e n e r

W iedergabe ist nur mit seiner Genehmigung gestattet.

Domes

E. V.

INHALT VETERA-COLONIA TRAJANA-TROJA FRANCORUM-AD SANCTOSXANTEN DER BAU DES VIKTORSDOMES

1 12

1. Der Romanische Westbau

12

2. Der Gotische Neubau 3. Die Anbauten

37

4. Gewachsenes und Verpflanztes

43

DIE AUSSTATTUNG DES VIKTORSDOMES

49

1. Glasmalerei

50

2. Steinplastik

56

3. Altäre

100

4. Chorausstattung

119

VIKTORSTADT UND XANTEN

139

Anmerkungen Seite 151. Grundriß am Schluß des Bandes.

FOTOGRAFISCHE

VORLAGEN

stellten dankenswerterweise zur Verfügung: Bildarchiv des Kreises Moers, S. 147; Rheinisches Museum zu Köln, Seite 76, 77, 82, 83, 91, 114, 115, 116, 117, 124, 125, 135, 148, 149; Landesb a u r a t Wildeman, Bonn, S. 1; Eugen Coubillier, Köln, S. 88.

DRUCKSTÖCKE aus folgenden Werken des Verlages L. Schwann zu Düsseldorf d u r f t e n benutzt werden: Paul Clemen, Kunstdenkmäler des Kreises Moers (1892), V I I I . 23; Heinrich Oidtmann, Rheinische Glasmalerei vom 12. bis zum 16. J a h r h u n d e r t (1912, 1928) 50—55; Richard Klapheck, Kunstreise auf dem Rhein (1928, 2. Aufl.) 12, 138, 139. Das Urheberrecht an sämtlichen von Walter Hege f ü r dieses Werk gemachten Aufnahmen besitzt

der

Verein

zur

E r h a l t u n g

des

X a n t e n e r

W iedergabe ist nur mit seiner Genehmigung gestattet.

Domes

E. V.

VORWORT Ein „ K o m p e n d i u m der rheinischen Baugeschichte durch vier J a h r h u n d e r t e " nennt Paul Clemen den Viktorsdom zu X a n t e n , der nächst dem Dom zu Köln die bedeutendste und umfangreichste Schöpfung kirchlicher Baukunst am Niederrhein ist. Aber der Viktorsdom ist auch ein Kompendium niederrheinischer Plastik durch viele J a h r h u n d e r t e .

Er ist ein Magnet der dekorativen Künste,

der Stein-, Holz- und Metallplastik, der Gemälde und Wandteppiche.

Mit dem Reichtum seiner

Paramentenkammer, dem besonderen Stolz des Domes, kann kaum ein anderes kirchliches Bauwerk in Deutschland wetteifern. Der verstorbene Jesuitenpater S t e p h a n

B e i s s e l h a t das große Verdienst, schon vor J a h r -

zehnten das Xantener Domarchiv, diese unerschöpfliche Quellensammlung, mit unermüdlichem Bienenfleiß durchforscht und alle Rechnungen und Urkunden untersucht zu haben. Doch trotz

Beissels aufschlußreichen Forschungen ist der Dom des Niederrheins so wenig

bekannt, weil selten der Fremde, der in die Rheinlande k o m m t , die entlegene Stätte aufsucht und Beissels Archivstudien in den „ S t i m m e n aus Maria L a a c h " nur den engeren Fachgenossen bekannt sein können; und vor allem, weil dem Dom und seinen Kunstschätzen bisher eine anschauliche, eingehende Darstellung mit ausführlichen Bildwiedergaben gefehlt hat.

Das ist die

Aufgabe des vorliegenden Buches. Die Überfülle der Kunstschätze verlangt aber ein Sichbeschränken auf Dom und Anbauten und die unmittelbar zur Ausstattung der Viktorskirche gehörenden Dinge, Wandplastik und Altäre, Glasmalerei und Gestühl. Der Domschatz, die Paramentenkammer und die Wandteppiche müssen einer besonderen Darstellung überlassen bleiben. Das vorliegende Buch h a t t e einen besonderen Förderer in dem Landrat des Kreises Moers, Herrn G ü n t h e r

van

E n d e r t , der aus dem Kreisbildarchiv bereitwilligst

alles Material zur

Verfügung stellte. In ähnlich dankenswerter Weise hat das Rheinische Museum zu Köln die Arbeit unterstützt. Die Großherzigkeit des Provinzialausschusses der Rheinprovinz ermöglichte die Ausstattung des Buches noch mit besonders wertvollen Aufnahmen des Herrn W a l t e r H e g e

aus

Naumburg, dank der Fürsprache des für alle kulturellen und geschichtlichen Belange der Rheinlande

stets

interessierten

Landeshauptmannes

der

Rheinprovinz,

Herrn

Dr. Dr.

Johannes

H o r i o n , und seines Fachdezernenten, Herrn Landesverwaltungsrates Dr. J o s e p h B u s l e y .

Der

Leiter des Deutschen Kunstverlags, Herr Dr. B u r k h a r d M e i e r , war vom ersten Augenblick an der Verständnis- und teilnahmsvolle Förderer des neuen Buches. Ich habe allen diesen Männern auf das herzlichste zu danken! D Ü S S E L D O R F , im November 1929

RICHARD

KLAPHECK

A N S I C H T VON N O R D « E S T E N

VETERA — COLONIA TRAJANA AD SANCTOS — X A N T E N

-

TROJA

FRANCORUM



Die S t a d t X a n t e n ist neu u n d klein. Die große alte K i r c h e t h r o n t in ihr wie ein königlicher Gast aus einer f r e m d e n Welt. . . Es gibt künstlerisch b e d e u t e n d e r e u n d es gibt besser e r h a l t e n e K i r c h e n als die X a n t e n e r , allein ich k e n n e keine, « e i c h e so schön und vollständig erhalten zugleich wäre. HKINRICH

WILHELM

IUKill.

Am ¡schönsten ist die A n f a h r t nach X a n t e n vom Rhein her. W e n n das große Erlebnis der gewaltigen I n d u s t r i e zu beiden Seiten des S t r o m e s in D u i s b u r g . R h e i n h a u s e n . H o m b e r g , R u h r o r t u n d H a m b o r n wie t r a u m h a f t e Bilder an u n s vorübergezogen, u m f ä n g t uns die Stille des Niederrheins; meilenweit die g r ü n e f r u c h t b a r e E b e n e , hier u n d da am Horizont in perlgrauer F e r n e der z i t t e r n d e U m r i ß des K i r c h t u r m s eines v e r t r ä u m t e n Ortes oder ein einsames B a c k s t e i n b a u e r n h a u s , bes c h ü t z t von P a p p e l n u n d ^ eiden. Orte b e r ü h r e n n u r selten noch die Ufer des S t r o m e s . Bald h i n t e r Wesel steigt vor uns eine bewaldete Anhöhe auf, der F ü r s t e n b e r g . Wie eine Kulisse schiebt sie sieh aus dem R h e i n zur Seite, u n d aus d e m L a n d s c h a f t s b i l d e ragt auf, gleich einer plötzlichen Erscheinung, der V i k t o r s d o m zu X a n t e n (Bild S. 1). H ö h e r u n d h ö h e r reckt sich das T u r m p a a r , den Blick a n s a u g e n d wie ein Magnet. H i n t e r den H o c h f l u t d ä m m e n melden sich kleinere T u r m b a u t e n zu Seiten des Domes u n d u m s t e h e n ihn wie Schildwachen (Bild S. 3). E i n schmaler S t r a ß e n z u g schlichter B ü r g e r h ä u s e r , d a n n öffnet sich der lange M a r k t p l a t z , d a h i n t e r v e r b o r g e n von alten S t i f t s h ä u s e r n die eigentliche V i k t o r s t a d t . Sie u n d X a n t e n sind zweierlei; die V i k t o r s t a d t , d. h. der D o m m i t seinen S t i f t s h ä u s e r n , die hier u n d 1

ANSICHT VON WESTEN. LINKS DAS CLEVER TOB.

da durch reizvolle Erker oder angebaute Gartenhäuschen Ausschau halten auf das größere Xanten, das sie umschließt (Bild S. 142,143,151). Wie eine Stadt hat auch die Viktorstadt Stadttore in ihrem Mauerbering. Da steht vor den Domtürmen das Michaelstor (Bild S. 144, 145). Unter einem Kirchlein, der Michaelskapelle, führt vom Marktplatz ein gewölbter Durchgang, von einer breiten und hohen Nische eingerahmt. Hinter dem düsternden Gewölbe baumumstanden die Gruppe des Gekreuzigten mit den Schächern und die Gottesmutter mit Johannes, Maria Magdalena und dem Stifter ihnen zu Füßen: sie weisen auf das reichausgestattete Südportal des Domes (Bild S. 89). Links und rechts vom Portal noch große plastische Steingruppen, Stationsbilder. Darüber aufsteigend die großen Baumassen der Kirche. Um sie weitet sich der stimmungsvolle Domplatz mit den Gärten der Stiftshäuser. Diese Stätte und ihre nähere Umgebung sind geweiht durch fromme Legende, Sage und Geschichte. Bilder noch vorchristlicher Zeiten ziehen an unseren Augen vorüber: Octavianus Augustus, erster römischer Kaiser, und sein Stiefsohn Drusus, der Feldherr; Quinctilius Varus und die vor dem Cheruskerfürsten Armin aus dem Teutoburger Walde zurückflutenden Beste seiner geschlagenen Legionen; der Heilige Viktor und seine Getreuen der Thebaischen Legion, die mit ihm den Märtyrertod erlitten; Jungsiegfried, germanische Lichtgestalt, Held des deutschen Nationalepos. Castra Vetera, Colonia Trajana, Colonia Trojana, Troja minor, Troja Francorum, op 2

i

A N S I C H T V O N N O R D O S T E N . IM V O R D E R G R Ü N D E A L T E S T A D T M A U E R U N D

KARTHAUSE

de aide Burg, ad Sanctos, ze S a n t e n , X a n t e n — das alles u m s c h r e i b t die S t ä t t e , aus deren Mitte der D o m des Heiligen Viktor seine b e i d e n T u r m r i e s e n aus d e m stillver1 r ä u m t e n Lande aufragen läßt. R o m s K a m p f gegen die G e r m a n e n ist der U r s p r u n g X a n t e n s . I m J a h r e 16 v. Chr. h a t t e n germanische S t ä m m e den R h e i n ü b e r s c h r i t t e n u n d der Y. r ö m i s c h e n Legion den Adler entrissen. F u r c h t b a r e S c h m a c h , die V e r g e l t u n g f o r d e r t e . I m f o l g e n d e n J a h r e weilte Kaiser A u g u s t u s persönlich a m Niederrhein, u m den R a c h e f e l d z u g vorzuber e i t e n . Bis zur E l b e sollte j e t z t das L a n d u n t e r w o r f e n w e r d e n . Zwei g e s c h ü t z t e u n d befestigte WafFenplätze sollten die Operationsbasis der großangelegten F e l d z ü g e w e r d e n . I m Süden M o g u n t i a c u m , das heutige M a i n z ; a m N i e d e r r h e i n ein L a g e r g e g e n ü b e r der L i p p e m ü n d u n g . Das L i p p e t a l w a r als die n a t ü r l i c h e E i n f a l l s t r a ß e in das rechtsrheinische G e r m a n i e n vorgesehen. T a c i t u s beschreibt in seinen „ A n n a l e n " L a g e u n d N a m e n des r ö m i s c h e n L a g e r s : 60 römische Meilen nördlich v o n K ö l n , „ s e x a g e s i m u m a p u d l a p i d e m " , in d e m O r t e V e t e r a , „loco V e t e r a n o m e n e s t " . A u s g r a b u n g e n h a b e n s p ä t e r T a c i t u s ' u n d a n d e r e r Schriftsteller A n g a b e n b e s t ä t i g t . Vetera lag südlich der h e u t i g e n S t a d t X a n t e n auf d e m F ü r s t e n b e r g . Von hier u n t e r n a h m D r u s u s seine Feldzüge nach G e r m a n i e n . Von hier zog V a r u s in die Unglücksschlacht im T e u t o b u r g e r W a l d e . Südlich v o n Vetera lag die römische B e g r ä b n i s s t ä t t e . H i e r h a t m a n den E r i n n e r u n g s s t e i n des Marcus Caelius g e f u n d e n , den h e u t e das B o n n e r

3

A N S I C H T VON

SÜDWESTEN

Provinzialmuseum bewahrt, eines Offiziers der X V I I I . Legion, die im Teutoburger Walde aufgerieben wurde. U m die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. ist Vetera weiter ausgebaut worden. Außerhalb seiner Wälle lag im heutigen Orte Birten die offene Lagerstadt mit dem noch erhaltenen Amphitheater. Wohl kennt man durch Ausgrabungen die Maße der rechteckigen Lageranlage, in der bequem zwei Legionen zu je 6000 Mann Winterquartiere beziehen konnten. Aber was einst alles innerhalb der Wälle stand, hat der Spaten noch nicht ganz freilegen können. Doch was er bisher aufdeckte, ist größte Überraschung: die Fülle kunstvoll geschnittener Gemmen und Trinkgefäße, dann die F u n d a m e n t e der beiden weiträumigen mit Säulenhallen geschmückten Paläste des Legaten der V. Legion und des Praetoriums. Rudolf Schulze und Hermann Mylius in B o n n haben für das Provinzialmuseum an der Hand der Ausgrabungsergebnisse die beiden Paläste in plastischem Modell überzeugend wiedererstehen lassen. Ist angesichts dieser ausgedehnten südländischen Bauschöpfungen Hans Lehners These so sehr gewagt, wenn er die B a u t e n mit dem älteren Plinius, dem Geschichtsschreiber, in Zusammenhang bringt, zumal Plinius als römischer Präfekt am Rhein genannt wird und auf die aus X a n t e n stammenden versilberten und mit Büsten verzierten Bronzescheiben im Britischen Museum zu London eingezeichnet ist „Plinio praefec(to)" ? — „Plinius ist nur ein N a m e , " sagt Lehner, „der das ganze 4

ANSICHT VON SÜDOSTEN

Milieu a n d e u t e t , in d e m dieser B a u l u x u s der rheinischen S t a n d l a g e r in der zweiten H ä l f t e des 1. J a h r h u n d e r t s e n t s t a n d e n ist u n d aus d e m h e r a u s wir ihn allein v e r s t e h e n k ö n n e n . U n d diesem Bilde f ü g e n sich Dinge, wie der Hildesheimer S i l b e r f u n d u n d der X a n t e n e r K n a b e in Berlin, zwanglos e i n . " (Anm.) Der „ X a n t e n e r K n a b e " i m Berliner M u s e u m ist bisher v o n allem die k ü n s t lerisch b e d e u t e n d s t e E r i n n e r u n g a n das römische X a n t e n . Fischer f a n d e n im J a h r e 1858 die schöne B r o n z e s t a t u e bei niedrigem W a s s e r s t a n d e des R h e i n s auf einer Sandb a n k . W a r es die S t a t u e eines Siegers im W a g e n r e n n e n ? U n d w e n n a u c h der rechte A r m u n d teilweise der K r a n z i m H a a r verloren sind u n d die eingesetzten Augen nicht m e h r l e u c h t e n , die k ü n s t l e r i s c h e S c h ö n h e i t der lebendig d u r c h g e b i l d e t e n S t a t u e klingt noch i m m e r d u r c h das W e r k , das wie kein a n d e r e r F u n d ein Bild der k ü n s t lerischen A u s g e s t a l t u n g des r ö m i s c h e n X a n t e n s wiedergibt (Anm.). A u s g r a b u n g e n in den J a h r e n 1880—1888 v o r d e m Clever T o r , d. h. nördlich v o n X a n t e n , h a b e n eine zweite römische Anlage in ihren Umrissen freigelegt, weit ausged e h n t e r als das Lager auf dem F ü r s t e n b e r g ; u n d i n n e r h a l b des Mauerzuges k a m e n die F u n d a m e n t e großer B a u l i c h k e i t e n zu Tage. Man g l a u b t e , hier die C o l o n i a U l p i a T r a j a n a g e f u n d e n zu h a b e n , die Kolonie des Kaisers Ulpius T r a j a n u s (98—117), 5

eine Militär- und Veteranenstadt mit eigenem Recht, ähnlich Köln und Trier (Anm.). Ein Teil des Geländes heißt seit altersher „op de aide Burg". Ist das die Stätte der ehemaligen fränkischen Königsburg innerhalb der alten Römerstadt ? Die Stätte, wohin die Sage Siegfrieds Jugendzeit verlegt ? Do wuohs in Niderlanden eines edelen küneges kint, des vater der hiez Sigemunt, sin muoter Sigelint, in einer riehen bürge, witen wol bekant nidene bi dem Rine: diu was ze S a n t e n genant. Mag Siegfrieds Gestalt, halb mythischer Herkunft, auch Sage sein, die Erzählung von der „reichen Burg unten am Rhein zu Xanten genannt" wird dennoch einen geschichtlichen Kern enthalten. Die ersten fränkischen Könige richteten ihre Burgen auf dem linken Rheinufer in verlassenen römischen Monumentalbauten ein, so in Köln und Trier, denn die eindringenden Franken kannten nicht die Kunst des monumentalen Steinbaus. Xanten war aber einer der bedeutendsten Stützpunkte der Römer am Niederrhein, und dieser Stützpunkt mag den Franken wichtig genug erschienen sein. Das Frühmittelalter spann noch andere interessante Beziehungen zwischen Colonia Trajana und Xanten. Aus der Colonia Trajana wurde C o l o n i a T r o j a n a . Man mag das als eine Lautverschiebung erklären, aber andererseits geht die Verbindung mit dem alten Troja auf alte sagenhafte Uberlieferung zurück. Schon Tacitus (f 117) erzählt von den Angaben der Bewohner des Niederrheins, Odysseus habe Asciburgium, das heutige Asberg bei Moers, gegründet und dort dem Andenken seines Vaters Laertes einen Altar errichtet. Die „Peutingersche K a r t e " aus dem 5. Jahrhundert und der „Kosmograph von Ravenna" im 6. Jahrhundert nennen bei Veteribus oder Beurtina, d. h. bei Birten, bereits den Ort Troja oder Colonia Trojana, der, wie Fredegar (f 658) mitteilt, von dem sagenhaften König Franko, dem Stammvater der fränkischen Könige, nachdem er die Trojaner durch Europa geführt habe, gegründet worden sei. Der Stolz der niederrheinischen Franken auf ihre trojanische Abstammung weiß von nun ab die Sage weiter zu pflegen. Otto von Freising ( f l l 5 8 ) , die Lebensbeschreibung des heiligen Norbert aus dem 12. Jahrhundert oder der Zisterziensermönch Helinand um 1200 berichten alle das gleiche: Xanten habe früher Troja geheißen nach den Vorfahren der Franken. In den Darstellungen des 12. und 13. Jahrhunderts vom Trojanischen Kriege in der höfischen Dichtkunst wird Xanten „Troja minor" oder „Troja Francorum" genannt. Das Annolied, das Loblied des 12. Jahrhunderts auf den Heiligen Anno von Köln, besingt König Franko in „lutzele Troie nider bi Rini", in Klein-Troja unten am Rhein an dem Bache X a n t e gelegen, den man so genannt habe in Erinnerung an den Fluß Xanthos des alten Trojas. Homer wurde dem Abendlande erst im 15. Jahrhundert bekannt. Bis dahin spann die Sage von der trojanischen Abstammung der niederrheinischen Franken weiter die seltsamsten Ranken, denn noch im 15. Jahrhundert erzählt ein Xantener Rechtsbuch, daß „Hektor von Troja, den wir nennen Hagen vonTronjen, der Sohn des Priamus", Xanten gegründet habe. Alle diese sagenhaften Berichte sind nicht unwichtig für die Bedeutung Xantens und seine Sonderstellung, aus der sich ja auch die Anteilnahme der fränkischen Kaiser am Viktorsdom und am Archidiakonat Xanten erklärt. In allen Xantener Quellen, vor allem in den Rechten und Gewohnheiten des Bischofshofes kehrt diese Sonderstellung der Abstammung vom alten Troja wieder. Erzbischof Heinrich II. 6

von Köln (f 1056) ließ Münzen schlagen mit dem Bilde der Xantener Kirche und der Unterschrift „SCA TROIA", d.h. Heiliges Troja. Als der Erzbischof im Jahre 1047 den deutschen Kaiser Heinrich III. in Xanten als Gast empfing, unterschrieb der Kaiser eine Urkunde: „Gegebenzu Troja, das auch Xanten genannt wird". Stolz auf die Einnahme Trojas am Niederrhein im Jahre 1444 nennt sich Herzog Johann von Kleve „König der Trojaner" und die von ihm zur Erinnerung an den Sieg geschlagenen Denkmünzen „Geld aus Klein-Troja": JOHANNES TROJANORUM REX. MONETA TROIE MINORIS. Und nun zusammenfassend: die Überlieferung „op de aide Burg" in der angeblichen Colonia Trajana wird wahrscheinlich doch die Tatsache einer fränkischen Königsburg umschreiben. Die Bezeichnung ist urkundlich zwar nicht älter als das Jahr 1371. In den Baurechnungen des Xantener Domes des Jahres erfahren wir, daß „opper Alderborg" Steine für den Viktorsdom gebrochen wurden. Wie Vetera auf dem Fürstenberg, so hat auch die fränkische Königsburg jahrhundertelang zum Bau des Viktorsdomes dienen müssen. Im Dom zu Xanten wurde S i e g f r i e d am Sonnenwendtage zum Ritter geschlagen. „Do gie ze einem münster vil manec rxcher kneht und manec edel ritter". Über dem Torbogen der Michaelskapelle stehen zwei romanische Sandsteinskulpturen der Jahrtausendwende, Gepanzerte, die auf einem Löwen und einem Drachen stehen und sie mit dem Speer durchbohren (Bild S. 9). Der Drachentöter ist in der Volksvorstellung natürlich Siegfried (Anm.). In Wirklichkeit sind die Dargestellten der Heilige Viktor und der Heilige Gereon. Auch sonst haben sich in der Volksvorstellung die Gestalten des Heiligen Viktor und des Drachentöters Siegfried miteinander verwoben: Siegfried, der das Geschlecht der Nibelungen, der Herren des Nebelreiches, besiegte; die mythische germanische Lichtgestalt, der Frühlingsgott Sigfrid der Weisung, der die schlafende und von der Waberlohe eingeschlossene Jungfrau erweckte und sich ihr vermählte, Sonnengott und Erdenjungfrau; Siegfrieds Mannentreue und Tod. Viktor, d. h. Sieger, der Glaubensheld; der Drache ihm zu Füßen das Symbol des Sieges des Christentums über Unglaube und Heidentum; Viktors Märtyrertod für seinen Glauben. Der H e i l i g e V i k t o r soll einer der Führer der sog. „Thebaischen Legion" gewesen sein. Sie bestand aus orientalischen Christen und war Ende des 3. Jahrhunderts in Agaunum im heutigen Kanton Wallis in der Schweiz. Kaiser Maximian hatte im Jahre 286 vor einem neuen Kriegszuge in Octodurum, dem heutigen Martinach, ebenfalls im Kanton Wallis, seinen Legionen befohlen, den heidnischen Göttern zu opfern. Die Thebaer weigerten sich. Auf Befehl des Kaisers erlitten sie den Opfertod, auch der Legionsführer Mauritius. Der Heilige gab später der Opferstätte Agaunum den Namen, St. Moritz. Teile der Legion waren schon vorher nach Norden abgerückt, nach Solothurn unter Ursus, nach Bonn unter Cassius und Florentius, nach Köln unter Gereon und schließlich unter Viktor nach Xanten. Sie erlitten aber das gleiche Schicksal wie der Kern der Legion. Viktor starb mit 360 seiner Gefährten den Märtyrertod in der Arena bei Birten. Über den Gebeinen der heiligen Schar wurde später vor den Toren der Colonia Trajana ein Gotteshaus errichtet, wie die Legende berichtet, schon Anfang des 4. Jahrhunderts durch die Heilige Helena (f 326), die Mutter Constantins des Großen, die ja auch über den Gebeinen der Thebaischen Märtyrer Gereon, Cassius und Florentius in Köln und Bonn eine Kirche erbaut haben soll. Die Märtyrerverehrung gab 7

auch X a n t e n später den N a m e n : „ a d S a n c t o s " , wie es 864 in den Xantener Annalen heißt, und schon im 6. J a h r h u n d e r t bei dem Geschichtsschreiber der Franken Gregor von Tours ,,zi den S a n t u n " , zu den Sankten, X a n t e n . Die X a n t e n e r Annalen berichten weiter, daß die Normannen im 9. J a h r h u n d e r t X a n t e n zerstört und die Kirche in B r a n d gesteckt hätten, ein prächtig aufgeführtes Werk, „ecclesiam opere mirifico c o n s t r u c t a m " . Man muß annehmen, daß die von den Normannen 864 zerstörte Kirche schon der zweite B a u gewesen ist und daß die ursprüngliche Anlage der Heiligen Helena bereits im 5. oder 6. J a h r h u n d e r t ihren Untergang gefunden hat. B a l d nach dem Brande vom J a h r e 1080 überfiel den Viktorsdom 1109 eine vierte Feuersbrunst, aber dieses Mal so verheerend, daß der B a u restlos zerstört w u r d e : M C I X f a c t a est combustio ecclesiae sancti Victoris X a n t e n s i s q u a r t o , also berichtet das X a n t e n e r K a l e n d a r i u m . Abermals erstand eine n e u e K i r c h e , weiträumiger und prächtiger als zuvor. Aber erst im J a h r e 1128 konnte der Ostbau v o m Heiligen Norbert, dem Erzbischof von Magdeburg und früheren Stiftsherrn von X a n t e n , geweiht werden, 1165 das Langhaus von R a i n a l d von Dassel, dem Erzbischof von Köln. D a n n trat eine Pause ein. I m J a h r e 1190 begann M a g i s t e r B e r t h o l d u s , ,,auctor novi operis", wie er im X a n t e n e r Necrologium genannt wird, mit dem B a u der Westfassade. 1213 war sie vollendet, d a m a l s nur die drei unteren Geschosse (Bild S. 10, 11). Der S ü d t u r m wurde wohl in der ersten H ä l f t e des 13. J a h r h u n d e r t s noch u m zwei Geschosse erhöht. \ on da ab ruhte alle Arbeit wieder. Ganz neue B a u p r o j e k t e reiften zu Beginn des 6. J a h r zehntes heran. D a m a l s war Propst und Archidiakon des X a n t e n e r Stiftes Friedrich von Hochstaden (1260—1265), der Bruder des mächtigen und einflußreichen Kölner Erzbischofs K o n r a d von Hochstaden, des Gründers des Kölner Domes. D a s gewaltige Kölner Dombauunternehmen v o m J a h r e 1248 wirkte sich bald in der weiteren U m g e b u n g aus. Im J a h r e 1255 begannen die Zisterzienser in Altenberg mit einem gotischen N e u b a u ; etwa um dieselbe Zeit die Benediktiner in München-Gladbach. In dieser baulustigen Zeit konnte das Archidiakonat von X a n t e n nicht zurückstehen. Der B a u des erzbischöflichen Bruders reizte den P r o p s t des Viktorstiftes. Nächst dem Kölner D o m sollte das L a n d am Niederrhein in X a n t e n das größte kirchliche B a u w e r k erhalten. Fünfzehn J a h r e nach dem Kölner D o m legte man im J a h r e 1263 den Grundstein zum neuen Viktorsdom, und wie üblich begann man mit dem Chor. Und als endlich das L a n g h a u s zu Beginn des 16. J a h r h u n d e r t s vollendet war und den Anschluß an die romanische Westfassade, die man nicht niederlegen wollte, gefunden hatte, führte man die Anbauten aui. So ist uns der Dom zu X a n t e n überkommen, ein Denkmal der Macht und Bedeutung des Archidiakonates X a n t e n , das schon im J a h r e 873 vom Kölner Erzbischof Selbstverwaltung errungen und seitdem seinen Einfluß weiter auszubauen verstanden hatte und schließlich durch seine Sonderstellung einem kleinen B i s t u m glich. Um die Mitte des 15. J a h r h u n d e r t s waren dem Viktorstifte die D e k a n a t e von X a n t e n , Duisburg, Süchteln, Straelen und Nymwegen mit 136 Pfarrern unterstellt. Auf der Synode zu Köln hatte der Propst von X a n t e n vor allen anderen Pröpsten und Dechanten der Diözese nächst dem Propst und Dechanten der Domkirche zu K ö l n den Vortritt. In der Liste der ehemaligen X a n t e n e r Stiftspröpste spiegelt sich die B e d e u t u n g und hohe Würde eines X a n t e n e r Stiftspropstes wieder: Heinrich von Geldern wurde Bischof von Lüttich, Heinrich von

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F R f H R O M A N I S C H E R E L I E F S AN D E R

MICHAELSKAPELLE

Klingenberg 1393 Bischof v o n K o n s t a n z , J o h a n n v o n V i r n e b u r g 1304 Erzbischof v o n Köln, sein N a c h f o l g e r T h e o d o r v o n der M a r k A d m i n i s t r a t o r v o n O s n a b r ü c k , D a m i a n von der Leyen 1675 K u r f ü r s t v o n Mainz, d a n n f ü n f K a r d i n ä l e , u n t e r i h n e n der g e f ü r c h t e t e K a r d i n a l - E r z b i s c h o f Granvella v o n Mecheln (f 1585) u n d zwei, die die päpstliche T i a r a e r r a n g e n . Aneas Sylvius Piccolomini, der s p ä t e r e P a p s t Pius I I . (1458—1468), u n d Pius I I I . (f 1503). Vetera, Colonia T r a j a n a , T r o j a m i n o r , J u n g s i e g f r i e d u n d die f r ä n k i s c h e K ö n i g s b u r g , ad sanctos, X a n t e n — welch reiche u n d b u n t b e l e b t e Vergangenheit zieht mit diesen N a m e n a n uns v o r ü b e r ! Geblieben v o n allem ist n u r der a l t e h r w ü r d i g e V i k t o r s d o m m i t seinem herrlichen r o m a n i s c h e n T u r m p a a r u n d d e m w e i t r ä u m i g e n gotischen N e u b a u dreier J a h r h u n d e r t e A r b e i t .

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WESTFRONT

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B L I C K AI S DEM W E S T B A I

DER

BAU

DES

IN D A S I . A N G I I A U S

V I K T O R S D O M E S Ave miles invietissime. Ave mnrtyr sanetissime. Ave pie proteetor. sancte Victor.

1. D E R R O M A N I S C H E

WESTBAU

Vor der monumentalen Westfassade des Domes weichen die niedrigen Stiftshäuser, die Langhaus, Chor, Kreuzgang und dessen Kapitelhaus und Anbauten eng umstellen, respektvoll zurück (Bild S. 10,11). Nicht nur von Ferne sollte man den stolzen Wuchs des Turmpaares bewundern, auch die frommen Bewohner der Stiftshäuser der Viktorstadt sollten ungestört sich seiner freuen können, wenn spätnachmittags die scheidende Sonne mit seinen Wandgliederungen spielt, die nach oben in immer reicheren und schlankeren Formen sich verjüngen. DieTürme sind nicht quadratisch, sondern rechteckig im Grundriß; an der Westfassade und nach Osten zum Langhaus die einzelnen Geschosse belebt mit drei Bogenstellungen, an den Seiten mit ihrer vier. Im Erdgeschoß der Reigen schlichter Rundbogenblenden. Sie greifen über die Turmkörper hinaus und rahmen seitlich das Westportal. Viermal abgetreppt sind dessen Wangen. Ihre Ecken füllen Säulen, die nach oben sich auch über das Portalrund fortsetzen. Ihre romanischen Kapitelle bilden das schön belebte Horizontalband der Portalwangen. So ist der Blendbogenreigen des Erdgeschosses gemeinsam für Türme und Mittelschiff das breit gelagerte Sockelgeschoß, oben abgeschlossen mit einem kräftigen Horizontalprofil. Dann erst beginnt aufstrebend die Trennung von Türmen und Mittelschiff. Im zweiten Geschoß der Türme zieren Kleeblattbogen das Innere der Rundblenden, im dritten Rundsäulen mit Kelchkapitellen und Rundbogenstab. Die folgenden Stockwerke legen die geschossetrennenden Horizontalgesimse beiseite. Das gibt dem Aufbau

leichteren Wuchs. Im vierten Geschoß, schmäler und höher und dadurch schlanker. Kleeblattblenden um Doppelrundbogenblenden gelegt, im fünften Rundbogenblenden in rechteckige Rahmen gebettet, deren oberer Horizontalabschluß sich mit einem Arkadenfries schmückt. Das Obergeschoß schließlich entwickelt den reichsten Wandschmuck. Statt der aufteilenden vertikalen Wandpfeiler eine gemeinsame rechteckige Blende für das ganze Geschoß, oben mit ununterbrochenem Arkadenfries. Die Spitzbogenblenden eng aneinandergereiht, aber abweichend in der Zeichnung bei beiden Türmen. Beim Südturm unter dem Spitzbogen Kleeblattbogen mit Rundstabprofil, darunter Doppelarkaden mit Säulen, und ebenfalls Säulen für die äußeren Spitzbogen. A m Nordturm fallen diese Säulen und auch die Kleeblattblenden fort, dafür sind die Wangen mehrfach abgetreppt, im InnerenDoppelarkaden mit rundpaßartigem Abschluß. D a n n wieder gleiche Stirnbänder der Balustraden. Dahinter senden die Turmriesen hohe und spitze Turmhelme in die Lüfte, zu Form gew ordene Fanfarenstöße zu Ehren des Heiligen Viktors: Ave miles invictissime! Zwischen den Türmen über dem Untergeschoß und bis zum fünften Turmgeschoß reichend in hohem rechteckigem Rahmen das große gotische Fenster, vier Fensterbahnen, und diese wieder durch Yertikalstäbe geteilt. Fischblasen mit Nasen bilden das reich belebte Maßwerk des Spitzbogens. Gotische Krabben klettern die Dachschrägen des Mittelschiffsgiebels hinauf bis zur Kreuzblume auf dem First. Und wieder gotisches Maßwerk als Schmuck der Giebelfläche. Der gotische Mittelteil der Fassade ist ein späterer Einbruch in den romanischen Westbau, u m mit dem gotischen Langhause nach dessen Vollendung einen Ausgleich zu schaffen. Alles andere aber scheint aus einem Guß entstanden und die reicheren Gliederungen der oberen Geschosse nur Zeichen der Entwicklung der Bauformen v o m romanischen zum spätromanischen und Ubergangsstil. In Wirklichkeit aber war man mit zeitlich reichen Unterbrechungen über 300 Jahre mit dem Ausbau der Türme beschäftigt. Und was noch mehr überrascht: die drei oberen romanischen Geschosse des Nordturmes sind gleichzeitig, zum Teil sogar noch später als das große gotische Mittelschiffsfenster und dessen Giebel entstanden. Die Baugeschichte des Westbaues ist kurz diese: M e i s t e r B e r t h o l d u s ' im Jahre 1190 begonnene und 1213 vollendete Fassade war nur dreigeschossig. Der Mittelschiffsgiebel ragte nur wenig über die flach gedeckten Seitentürme hinaus. Daß im Giebel sich ein Rundfenster befand, ergibt sich aus einer Rechnung v o m Jahre 1396 wegen einer neuen Verglasung „pro fenestra rotunda"; daß die Blendbogen des ersten Obergeschosses der Türme sich über das Mittelschiff" fortspannen, ergibt sich aus den von dem gotischen Fenster durchschnittenen Ansätzen und entspricht auch ganz romanischem Formgefühl, ebenso daß man sich das Horizontalprofil über dem ersten Obergeschoß auch über das Mittelschiff fortgezogen zu denken hat. Die alten Ansätze des früheren Mittelschiffsgiebels sind ebenfalls an den Türmen noch zu sehen. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurden dem Südturm noch zwei Geschosse aufgestockt. Die Pläne eines gotischen Neubaus ließen aber bald jede weitere Ausgestaltung der Westfassade ruhen, bis nach etwa 150 Jahren ein Brand das Stift zwang, sich von neuem mit dem Westbau zu beschäftigen. In den Erbfolgestreitigkeiten wegen des Herzogtums Geldern hatten im Jahre 1372 die Herren von Moers und Erkel als Gegner des Grafen Adolf von Kleve X a n t e n gestürmt und die Stadt zum größten Teil einge13

äschert, „combusserunt quasi totum oppidum". Der Brand war auf den Südturm übergesprungen. Der Turmhelm war ein Raub der Flammen. Die Gewölbe wurden zerstört. 1375 berief man den Baumeister der Stiftskirche zu Kleve, Meister K o n r a d v o n K l e v e , um die Schäden der Westfassade wiederherzustellen und den Südturm auszubauen; und obwohl schon vom Dombau ein großer Teil des geräumigen gotischen Chores vollendet war, setzte Konrad von Kleve in den Jahren 1378—1380 dem Südturm ein sechstes Geschoß in veralteten spätromanischen Übergangsformen auf. Im J a h r e 1389 war auch der neue spitze Turmhelm vollendet. So schaute über hundert Jahre der hohe Südturm auf den niedrigeren, nur dreigeschossigen Nordturm herab. Als aber die Wölbung der nördlichen Seitenschiffe des Domes gegen Ende des 15. Jahrhunderts bis an den Nordturm herangerückt war, wurde dessen Anbau schon aus Gründen der Widerlagerung der Gewölbe spruchreif (s. Grundriß). Indes schon 1486, als man noch mit den Arbeiten der letzten Joche der nördlichen Seitenschiffe beschäftigt war und man noch vor der Wölbung des Mittelschiffes stand, hatte man sich Gedanken gemacht, wie man den Viktorsdom nach Westen zum Abschluß bringen sollte. Man berief aus Wesel Meister H e i n r i c h B l a n k e n b y l als Gutachter, im folgenden Jahre noch den damaligen Kölner Dombaumeister, vermutlich ist Meister J o h a n n v o n F r a n k e n b e r g gemeint, und den Steinmetzermeister A d a m . Man beschloß, die Westfassade beizubehalten, aber das Gewölbe des Mittelschiffes bis an die Westfront durchzuführen. Meister J o h a n n v o n L a n g e n b e r g , der letzte Dombaumeister von Xanten, in dessen Hände seit 1492 die Ausbauarbeiten ruhten, hat im Jahre 1516 das Mittelschiff in der vorgeschlagenen Weise vollendet. Die niedrigeren alten romanischen Gewölbe des Westbaus mußten vorher herausgeschlagen werden. 1517 schnitt Johann von Langenberg das hohe gotische Fenster in die Westfassade. Vorher war der Ausbau des Nordturmes in Angriff genommen worden, von 1519—1522 folgte das letzte Obergeschoß, und zwar ganz entsprechend dem schon zu seiner Entstehung altmodischen Ausbau des Südturmes vom J a h r e 1378 und 1523—1525 ebenfalls übereinstimmend der spitze Nordhelm. 1530 war die Westfassade vollendet. 1550 erhielt das Langhaus am Fuße des Daches in gleichen Formen der Turmgalerien gotische Balustraden, um eine bessere Bindung des romanischen Westbaus an das gotische Langhaus zu gewinnen (Bild S. 11). Doch interessanter ist im Inneren der Zusammenhang von Westbau und Langhaus, weil er nicht nur äußerlich formaler, sondern räumlicher und konstruktiver Natur ist. Man betritt das Innere durch das reich gegliederte und reich geschmückte Südportal, unmittelbar hinter dem Südturm gegenüber dem Michaelstor (Bild S. 89). Ein Säulenwald tut sich beim Eintritt vor unseren Augen auf mit der Fülle malerischer Durchblicke in die fünf Schiffe, die in Kapellen endigen. Schlank aufsteigende Pfeiler- und Säulenbiindel senden über den Kranz ihrer Kapitelle seitlich das Geäst der Rippen in die Höhe. Uber uns abwechslungsvolle Gewölbezeichnungen. Vor den Pfeilerbündeln der Reichtum der Altäre. Und wie diese Altäre verschiedener Zeiten und das barocke Gestühl ihnen zu Füßen sich ohne Störung zueinander finden, noch ungestörter ist der Blick aus dem gotischen Langhaus in den romanischen Westbau (Bild S. 33, 34). Ungehindert verliert sich das Auge durch die großen Bogenöffnungen aus den Seitenschiffen in den Westbau, denn deren seitliche Turmhallen sind auf das geschickteste in die Raumwirkung der beiden inneren Seitenschiffe einbezogen worden, und das große 15

gotische Fenster der Westfassade schafft bis zum Chor eine einheitlich durchgebildete Mittelschiffshalle. E s ist bewundernswert, wie das erreicht worden ist (Bild S. 12). Deutlich sind noch die alten romanischen Pfeiler zu erkennen dort, wo gotisches Langhaus und romanischer Westbau sich begegnen. Die Kapitelle der vorgelegten romanischen Säulen, niedriger als die gotischen Spitzbogen zu den Seitenschiffen, zeigen auch, wie wesentlich niedriger früher das romanische noch flach gedeckte Mittelschiff aufstieg (Bild S. 14). Bis zum J a h r e 1517 lagen die Gewölbe der drei Joche des Westbaus gleich hoch. Die beiden Bögen vom mittleren J o c h zu den beiden seitlichen Turmhallen mögen die frühere Höhe andeuten (Bild S. 14). Über den alten romanischen Rundbögen, die aus den Turmhallen zu den Seitenschiffen führen, sieht man je ein romanisches Rundfenster (Bild S. 12). Die Fenster sind heute vermauert, weil sie nach außen doch nicht mehr frei liegen. Aber als sie noch ins Freie schauen konnten, sahen sie auf romanische Seitenschiffsdächer hinab, die wesentlich niedriger lagen als die jetzigen gotischen. Die Rundfenster entsprechen in Höhe und Form der „fenestra rotunda" in Meister Bertholdus' ehemaligem Westgiebel. Vom großen Westfenster und dem Gewölbedurchbruch abgesehen hat der Westbau im Inneren noch ziemlich seine alte Wandgliederung, zweigeschossig wie die Außengliederung der beiden unteren Stockwerke der Türme. In das Untergeschoß haben sich tiefe Rundnischen eingehöhlt. Aus den Nischen an den westlichen Turmecken führen Wendeltreppen durch das Mauerwerk hinauf bis zum Dachstuhl (s. Grundriß). Im Obergeschoß der Wandaufteilung läuft über den Nischen rings an den Wänden des Westbaus entlang eine offene Galerie, an den Wänden der beiden Turmkörper oben mit zwei Rundarkaden beschlossen (Bild S. 14). Vielleicht mag ähnlich der Abschluß an der Westwand des Mitteljoches gewesen sein, bevor man das große gotische Fenster einbrach. Im Jahre 1480 zog man vor die Galerie die gotische Brustwehr. Gegenüber den Wendeltreppen im Westen sind im Osten am Ende des Umganges des Obergeschosses nochkleine Kapellen in dasMauerwerkeingebaut (s. Grundriß). Aus Gründen ungestörten räumlichen Zusammenfließens des Westbaus mit dem gotischen Langhaus hat man später den Boden des Westbaus tiefer gelegt, aber dadurch die früheren schönen Verhältnisse der Wandaufteilung nicht günstig geändert. Bis zum Jahre 1493 stand vor dem Südportal des Langhauses neben dem Südturm eine Vorhalle, die auch als Gerichtsstätte diente, und entsprechend neben dem Nordturm bis zum Jahre 1497 eine Johanniskapelle.

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2. D E R G O T I S C H E N E U B A U . Wie der Westbau außen sich präsentiert als einheitlich durchgebildetes Werk und seine verschiedenen Bauabschnitte und langen Baupausen zu verschleiern weiß, so wirken auch Chor und Langhaus des gotischen Neubaus wie nach einheitlichem Plane entstanden. Ein Blick in dieGewölbe zeigt indessen klar zwei verschiedene Bauabschnitte: westlich vomLettnerliat dasGewölbereichereZeichnung erhalten,und das letzte, das vom Mittelschiff in denWestbau eingebrochen wurde, eine weitere Bereicherung des Gewölbenetzes (s. Grundriß). Die Bauzeit vom Beginn des Hauptchores bis zum Lettner, also der ganze Ostteil, dauerte mit Unterbrechungen von 1263—1437; vom Lettner bis zum Westbau von 1449 bis um 1530, und zwar ebenfalls mit langen Unterbrechungen. Diese Unterbrechungen sind nicht allein auf den Brand vom Jahre 1372 oder kriegerische Ereignisse oder sonstige Unruhen zurückzuführen. Die Baupausen kamen mit der Geldnot. Man baute halt nur so weit, als eben Mittel vorhanden waren. Das Mittelalter hatte aber ein probates Mittel, für Kirchenbauten immer wieder an Gelder zu kommen: 1281 erließ der Erzbischof von Köln allen, die zum Bau des Xantener Domes Geldbeiträge lieferten, 40 Tage Ablaß. 1421 war es dem Xantener Kapitel gelungen, von 64 Kardinälen und Bischöfen, selbst vom Heiligen Stuhl Ablaßbriefe zu erhalten. Die Dome zu Köln und Altenberg bedienten sich für ihre Bauführung derselben Mittel. Doch das ließ sich nicht dauernd wiederholen. Dann versuchte man mit Hauskollekten oder frommen Stiftungen den Bau zu fördern. Aber auch damit konnte man ohne längere Baupausen nicht auskommen. Die Geschichte des gotischen Neubaus ist den Daten des Grundrisses abzulesen. Der erste Baumeister war M e i s t e r J a c o b u s . Man begann, wie in Köln und Altenberg, 1263 mit dem C h o r b a u (Bild S. 18). Da in Xanten das Chorrund weit nach Osten über den alten Bau hinausragte, ließ man einstweilen die romanische Kirche noch lange bestehen. Auch das entspricht der Baugeschichte der Dome zu Köln und Altenberg. Nun wird berichtet, daß Albertus Magnus, damals Weihbischof von Köln, in den bereits fertiggestellten Teilen des Chores einen Altar errichtet habe. Der große Dominikaner starb 1280. Demnach müßten ja schon vor diesem Jahre zum mindesten Hauptchorapsis mit den beiden anschließenden Seitenchörchen und vielleicht auch dem dazwischen liegenden Gewölbejoch vollendet gewesen sein. Das Jahr 1311 sah noch fertiggestellt nach Westen je ein Gewölbejoch vor dem Bauabschnitt vor 1280. Dann setzte die erste größere Baupause ein (s. Grundriß). Erst mit dem Jahre 1356 beginnen wieder die Baurechnungen. Ein M a g i s t e r J a c o b u s leitet die Bauarbeiten. Es kann aber nicht mehr der erste Dombaumeister sein. Stephan Beissel dachte an dessen Enkel. Im Jahre 1359 ist die Arbeit vollendet. Es ist das äußere südliche Seitenchörchen mit den beiden davorliegenden Gewölbejochen (s. Grundriß). Der Querschnitt durch die Gewölbe der beiden äußeren Seitenchörchen auf S. 23 zeigt, daß mit dem letzten Ausbau eine Planänderung eingesetzt haben muß. Das äußere Seitenschiff ist breiter als das innere. Der Strebebogen vom Mittelschiffsgewölbe bis zum Strebepfeiler des inneren Seitenschiffes kann daher nicht geradlinig fortgeführt werden. Die Weiterführung über das äußere Seitenschiff muß mit einem 19

SÜDSEITE DES DOMES. LINKS DIE MICHAELSKAPELI.E

Innenknick am inneren Strebepfeiler ansetzen. Verlängert man aber den inneren Strebebogen, so ergeben sich ungefähr gleich breite Seitenschiffe. Das mag auch die ursprüngliche Absicht gewesen sein. Die besondere Zweckaufgabe aber, die das äußere südliche Seitenchörchen mit den davorliegenden und gleichzeitig entstandenen beiden Jochen übernehmen sollte, führte möglicherweise zu der jetzt vorhandenen Lösung. Die beiden Joche vor dem äußeren südlichen Seitenchörchen sollten nämlich die Sakristei aufnehmen. Das erklärt dann auch eine Eigentümlichkeit der drei Säulen dieses Bauteils. Die übrigen Seitenschiffssäulen bestehen aus einem Säulenbündel von vier großen und vier kleineren Diensten. Die drei Stützen des 1359 vollendeten Ausbaus bestehen aber aus einem breiten massiven Pfeilerkern, an den die entsprechenden Dienste der anderen Säulen angemauert sind. Die Pfeilerkerne sind deutlich erkennbar nichts anderes als Reste einer Mauer, die früher die drei Gewölbestützer. verband und von der westlichsten Stütze rechtwinklig nach Süden umbog und dadurch die Sakristei räumlich ausschnitt (s. Grundriß). 1358 arbeitet ein M e i s t e r J o h a n n von D o u a i in der Xantener Dombauhütte, nach ihm M e i s t e r R i q u i n u s . 1360 verläßt M e i s t e r J a c o b u s Xanten. Sein Nachfolger wird sein Bruder M e i s t e r H e i n r i c h von M a i n z . Die Arbeit der genannten Baukünstler, die 1361 vollendet ist, bezieht sich auf das neue Kapitelhaus, für das 20

SÜDOSTANSICHT

damals das äußere nördliche Seitenchörchen bestimmt war. Das große Brandunglück vom J a h r e 1372 unterbrach von neuem den gotischen Ausbau (s. S. 15). Erst im J a h r e 1396 können die Arbeiten am Chor wieder aufgenommen werden. Man beruft aus Köln die M e i s t e r G e r a r d und K o n r a d K r e g e l i n . Es handelt sich um den Ausbau der Joche vor den drei mittleren Chorkapellen (s. Grundriß). Bis dahin stand friedlich und auch noch benutzt in gotischer Ummantelung das alte romanische Chor. Erst im J a h r e 1398 fielen seine Reste. Im J a h r e 1402 können Lettner und Chorschranken aufgerichtet werden. Zwischen Lettner und Chornischen fehlen aber immer noch die Wölbungen der beiden letzten westlichen Joche. 1406 wird M e i s t e r G i s b e r t v o n K r a n e n b u r g für diese Arbeiten berufen. Er arbeitet gleichzeitig an seiner Stiftskirche zu Kranenburg. Die Arbeiten in Xanten beginnen 1417, Von 1418—1421 ruht wieder alles. Von 1421—1423 wird, entsprechend den Wölbungen von 1417. das südliche Gewölbesystem vollendet oder ausgebessert oder verbessert und geschmückt, dann erst nach zehn Jahren, von 1434—1437, das nördliche. Nach einer Bauzeit von fast 175Jahren ist endlich der Ostbau vollendet. 21

Ganz selbstverständlich hinterläßt die lange Bautätigkeit mit so großen Unterbrechungen und dem Wechsel verschiedener Meister Spuren der Wandlung. Als Meister Konrad Kregelin um 1400 die beiden westlichen Joche vor den drei Mittelchören entwirft, bedient er sich ganz anderer S ä u l e n f o r m e n . Das hundert Jahre ältere östliche Säulenpaar des Mittelschiffes v o n M e i s t e r J a c o b u s vor dem Hauptchor zeigt zwischen vier großen Eckdiensten je drei kleinere. M e i s t e r K o n r a d K r e g e l i n weiß aber durch Vereinfachen der Vertikalprofile mit je zwei kleinen Diensten zwischen den vier größeren an den Ecken auszukommen. Die beiden Zwischensäulen, d. h. die zwischen den vier westlichen von Meister Kregelin und den ältesten östlichen vonMeister Jacobus vor dem Hauptchor, müssen den Ausgleich schaffen: nach Osten zeigen sie nach altem Schema drei kleinere Dienste, nach Westen nur zwei (Bild S. 32, 33). Dieses Säulenpaar ist auch sonst deutlich als Bauabschnitt zu erkennen. Zunächst liegt im Chor der L a u f g a n g vor den Oberfenstern tiefer. Die Zeichnung der Blätter in der Kehle unter dem Laufgang hat in dem neueren Teil des Meisters Kregelin ganz anderen Charakter als im älteren Bauabschnitt. Sie steigen nicht mehr plastisch auf, sondern sind horizontaler Flächenschmuck geworden. Auch die Brüstung ladet jetzt mehr aus, die Hohlkehle darunter wird größer und tiefer. Und weiterhin zeigt sich in der W a n d b e h a n d l u n g eine Wandlung der Formen. Das Pfostenwerk der Fenster hat keine Kapitelle mehr, und ebenso sind verschwunden im neueren Teil der abwechselungsreiche und zum Teil originelle plastische Schmuck in den Hohlkehlen unter den Bögen über den Pfeilerdurchgängen hinter der Brüstung des Obergeschosses (Bild S. 35, 56, 57) und die seitlichen Säulen der Fensternischen. Und schließlich der Wechsel im M a ß w e r k der Fenster. Im Hauptchor noch ganz schlicht und streng (Bild S. 18, 35,118,123). Im Untergeschoß ein rundbogiger Vierpaß über zwei spitzbogigen Dreipässen, und damit verwandt das Maßwerk der Seitenkapellen. Im Obergeschoß des Hauptchors ein rundbogiger Fünfpaß über zwei spitzbogigen Dreipässen. Die nach innen gezogenen westlichen Strebepfeiler des Hauptchors, die, zugänglich aus den beiden inneren Seitenkapellen, Wendeltreppen fassen, werden in gleicher Weise mit Blendarkaden geschmückt (s. Grundriß). Das vierteilige Maßwerk der ehemaligen Sakristei im äußeren südlichen Seitenschiff um 1355 ist im Grunde nur eine Verdoppelung der älteren in den Seitenkapellen. So weit die Entwürfe der beiden M e i s t e r J a c o b u s . Das Maßwerk im nördlichen Seitenschiff von M e i s t e r K o n r a d v o n K l e v e , bald nach 1384 entworfen, zeigt als Mittelstück einen spitzbogigen Dreipaß, an deren Spitzen rundbogige Vierpässe ansetzen. Das Maßwerk des dritten und vierten Mittelschiffensters darüber von M e i s t e r G i s b e r t v o n K r a n e n b u r g um 1400 ist lediglich eine Variation des Entwurfs von Meister Konrad von Kleve (Bild S. 38, 39). In den Zwischenräumen oben zum ersten Male Fischblasen. Nach Vollendung des Ostbaus im Jahre 1437 trat wieder eine lange Baupause ein. Jahrzehntelang schaute das niedrigere romanische Langhaus zum hohen Chor auf, wie am Münster zu Aachen, an der Liebfrauenkirche zu Münster i. W. und an St. Jakob im Haag. Und so wäre der Xantener Dom vielleicht auch geblieben, wenn in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Stiftskapitel nicht eine treibende Kraft gewesen wäre, die immer wieder von neuem auf den Ausbau des Domes gedrängt hätte, der K a n o n i k u s 22

G e r a r d V a i c k . Er wußte es durchzusetzen, daß er im Jahre 1464 vom Kapitel zum „magister fabricae" ernannt wurde, d. h. nach der Xantener Kapitelverfassung zum Organisator und Verwalter aller Bauangelegenheiten. Er brachte selbst große Geldopfer. Aber auch die anderen Kanoniker mußten in ihren Privatbeutel greifen und neue Glasfenster stiften. Daß seine Verwaltung das Kapitel hier und da schon in Schulden stürzte, störte ihn anscheinend in seinen Bauunternehmungen wenig. Er stellte den verwahrlosten Westbau wieder her, ließ auf dem Stiftsfriedhof 1467 eine neue Totenkapelle aufführen, dann in den Jahren 1472—1478 die neue Michaelskapelle mit dem Michaelstor zum Marktplatz (Bild S. 144,145). Der Dom erhielt neue Bänke, neue Chorstühle und neue Altäre, das Chor neuen Fußbodenbelag. Vaick störten die Mauern der alten Sakristei im Innern des Domes. Er wollte das Gesamtbild des Chores geräumiger haben, die Sakristeimauern niederlegen lassen und so den Weiterbau nach Westen vorbereiten. Seine weiteren Ausbaupläne vereitelte 1480 der Tod. Sein unermüdliches Werben für die Vollendung des Domes wirkte aber über seinen Tod hinaus fort, und schon ein Jahr später, 1481, also nach einer Baupause von 45 Jahren, begann endlich der Ausbau. Vom Jahre 1481 liegt einVertrag vor mit M e i s t e r M a r t i n A i d e . Er soll innerhalb zweier Jahre eine Säule herstellen entsprechend den nördlichen Seitenschiffsäulen im Ostbau. Es handelt sich also um eine Säule für den Weiterbau der nördlichen Seitenschiffe nachWesten. 1483 wird M e i s t e r G e r a r d L o e m e r aus Köln gewonnen. Loemer, der vertraglich auch die Materiallieferung übernimmt, muß ein gerissener Geselle gewesen sein. Er läßt sich zunächst eine Abschlagssumme geben, aber dann zwei Jahre 23

lang mit faulen Ausreden auf die Materiallieferung warten. Vaicks Nachfolger, Gerard von Goch, muß sich schließlich in eigener Person auf den Weg nach Köln machen. Als dort endlich das Baumaterial auf das Schiff verladen ist, wird ihm nachts noch allerlei heruntergestohlen; und als Loemer unvorsichtigerweise ohne Quittung eine weitere Zahlung erhalten hat, leugnet er das dreist ab, und das Kapitel muß ihn von neuem auszahlen. Es macht aber noch andere böse Erfahrungen mit dem unzuverlässigen Kölner. Er beliefert es mit minderwertigem Material, so daß man ihm 1488 alle Sachlieferungen nimmt, nachdem man ihm schon vorher die Bauleitung genommen hatte. Die Scherereien ziehen sich hin bis zum Jahre 1490, wo man ihn endlich gegen eine „Generalquittung" los wird. Die Materiallieferung übernimmt jetzt der Steinmetz M e i s t e r A d a m aus Köln, die Bauleitung M e i s t e r W i l h e l m B a c k e r w e r d aus Utrecht. Schon nach vier Jahren löst 1492 M e i s t e r J o h a n n e s v o n L a n g e n b e r g aus Köln den Utrechter Architekten ab. Er vollendet im nächsten Jahre die b e i d e n n ö r d l i c h e n S e i t e n s c h i f f e bis zum Westbau. Die vom Ostbau abweichende reichere Gewölbezeichnung mag von W i l h e l m B a c k e r w e r d stammen, die Form der Säule von Meister M a r t i n A i d e und G e r a r d L o e m e r (s. Grundriß). Der quadratische Grundriß hat durch Herausarbeiten der kleinen Dienste eine achteckige Form gewonnen. Im s ü d l i c h e n S e i t e n s c h i f f hatte man schon 1449 mit der Anlage einer „Marienkapelle" begonnen, den beiden ersten Jochen westlich vom Lettner. Die Einwölbung folgte aber erst Jahrzehnte später. 1506 waren die beiden südlichen Seitenschiffe vollendet. J o h a n n v o n L a n g e n b e r g stand vor der Bekrönung des Dombaus, dem A u s b a u d e s M i t t e l s c h i f f e s . Von 1508-—1511 stiegen die beiden ersten Joche vor dem Lettner und ihr Strebewerk auf, von 1512—1516 die beiden folgenden. Erst dann, 1517, konnte, so wie auf der Baumeisterversammlung im Jahre 1487 beschlossen war (s. S. 15), die Weiterführung des Mittelschiffes in den Westbau hinein in Angriff genommen werden. Von der Umwandelung der Westfassade im Anschluß an den Durchbruch des Mittelschiffes war oben schon die Rede (s. S. 15f.). Auch im Langhaus hebt sich die Tätigkeit der einzelnen Baumeister erkennbar voneinander ab. Der älteste Teil, die beiden Joche der Marienkapelle im südlichen Seitenschiff vom Jahre 1449, zeigt M a ß w e r k f o r m e n ganz anderen Entwurfes als die folgenden, wohl aber verwandt denen des nördlichen Seitenschiffes im Ostbau und der beiden Mittelschiffsjoche östlich vomLettner, die v o n M e i s t e r G i s b e r t v o n K r a n e n b u r g stammen. M e i s t e r G e r a r d L o e m e r s Maßwerk im nördlichen Seitenschiff des Langhauses zeigt als Hauptfiguren bewegte Fischblasen (Bild S. 38, 39). Man vergleiche damit das Maßwerk der Chorfenster vom Anfang des 14. Jahrhunderts, um den großen Zeitunterschied fühlen zu können, die Wandlung von der straffen Zeichnung der herben, aufstrebenden Frühgotik zur Spätgotik, die sich in die Breite verliert (Bild S. 18). Meister J o h a n n v o n L a n g e n b e r g s Maßwerk in den drei westlichen Fenstern des südlichen Seitenschiffes und den Mittelschiffsfenstern zeigt den Ausgang der Entwicklung. Das Seitenschiffsmaßwerk geht ohne große Erfindungsgabe auf ältere Xantener Entwürfe zurück, ist aber breiter und gedrückter, noch mehr das Maßwerk der Mittelschiffsfenster, bei denen die Fischblasen an Kraft der Bewegung nachgelassen haben (Bild S. 89). Nur noch einmal zuckt es wieder auf von gotischer Energie 24

S T R E B E W E R K AM CHOR

im Maßwerk des g r o ß e n F e n s t e r s der W e s t f a s s a d e , dem mehrfachen Echo des Bildes vom Ostchor mit dem Reigen der Spitzbogenarkaden des Mittelschiffes und der vielen vertikalen Streben des Langhauses (Bild S. 33). S t a t t der nüchternen Überschneidungen der Spitzbogen im südlichen Seitenschiff, was über diesen Bogen einen neuen breit gedrückten Rundbogen ergab und hoch oben und seitlich die Fischblasen isolierte, ein lebendiges Ineinanderfließen und Aufstreben der Fensterbahnen mit ihren Pässen und des Krönungspasses aus Fischblasen. Aber dann ließ auch die Lebendigkeit der Maßwerkformen bei den späteren Arbeiten nach, dem Blendbogen über dem Fenster außen an der Westfassade und an den Anbauten (Bild S. 10, 21). Aus derselben Neigung der Spätzeit zur Breite und Weiträumigkeit, die aber schon von Haus aus dem Niederrhein nahe lag, zog man nach Johann von Langenbergs Tode in den Jahren 1533—1536 um den ganzen Innenraum vor den Obergeschoßfenstern die breite Horizontale der Laufgangsbrüstung (Bild S. 33). Auch am A u ß e n b a u sind die einzelnen Bauabschnitte der j e rund hundert J a h r e auseinander liegenden Baumeister Jacobus, Gisbert von Kranenburg und Johann von Langenberg deutlich zu erkennen. Der älteste Teil, das H a u p t c h o r , ist in seiner ganzen Haltung und Sprache ein Werk für sich, abgekehrt von dem völlig anders gearteten Langhaus (Bild S. 18). Im Inneren fällt das gar nicht so auf, da die später eingebaute Galerie vor dem Laufgang der Fenster des Obergeschosses das Chor fest an das Langhaus bindet. Aber außen

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machen die entsprechenden horizontalen Galerien über den Seitenschiffen vor dem Hauptchor halt. Wohl trennen zwei Horizontalbänder Unter- und Oberfenster des Außenchors. Aber diese Querbänder wagen nicht verkröpfend die Strebepfeiler zu überziehen. Sie laufen sich vor den Strebepfeilern tot, wie die Galerien außen über den Seitenschiffen vor dem Hauptchor. So bleiben die Vertikalen der Strebepfeiler das Bestimmende des Bildes, steigen aus gemeinsamem Chorsockelgeschoß ungehindert hoch, fünfmal in Treppenabsätzen sich verjüngend bis zu dem Kranzgesims unter der Galerie des Daches. Erst diesem Kranzgesims ist es erlaubt, sein Blattwerk zart um die Strebepfeiler zu winden. Darüber hinaus senden die Strebepfeiler ihre Fialen in die Luft, viereckige Körper, geschmückt mit Maßwerk, Zwergfialen, krabbenbesetzt wie die Rippen der Haube mit der krönenden Kreuzblume. Die beiden Treppentürme in den westlichen Strebepfeilern des Chores treiben ihre achtseitigen Turmhauben noch höher hinaus. Die Dachgalerie ist das zusammenhaltende Band. Unter dem schönen Stirnschmuck der Fialen, Galerien und des laubverzierten Kranzgesimses herrscht größte Schlichtheit. Schmucklose Blendbogen um die Fenster des Obergeschosses, im Untergeschoß profilierte Bogen von Rundsäulen mit Kapitellen getragen. Der Wechsel im Material des Unter- und Obergeschosses mag uns von zwei getrennten Bauperioden erzählen. Diese herbe schlichte Schönheit, die auf weiteren Schmuck verzichten kann und so eindringlich in der Energie ihrer aufstrebenden architektonischen Gliederung zu uns redet, kennen die L a n g s e i t e n nicht. Die Treppentürme sind der feste Einschnitt in das Baubild. Sie haben noch den schlanken Auftrieb, dem sich der Stab- und Maßwerkschmuck an den freiliegenden Seiten anzupassen hat. Aber die größere Zierfreude führt zu der reicheren Gliederung der Langhausseiten über (Bild S . 2 0 , 2 1 ) . Hier ist auch nichts mehr v o n dem jugendfrischen Aufstreben des Chores. Die breit lastende Galerie der Seitenschiffe und das Echo der Galerie am Mittelschiff tragen eine ganz andere Tonart in die Bildkomposition in ähnlicherWeise, wie die Brüstung im Inneren alles zeitlich Trennende zusammenfassend zu verwischen suchte; und doch lösen sich dem Auge bald der verschiedenen Hände Werk. Was zunächst auffällt: die vier westlichen seitlich abgewalniten Dächer der Seitenschiffe sind höher gezogen als die östlichen, d. h. westlich ist das jüngere Werk Meister Johann von Langenbergs, östlich das ältere des Meisters Gisbert v o n Kranenburg. Zwischen beiden läuft vertikal über die Seitenschiffswand eine N a h t verschieden zugerichteten Baumaterials, das auch am Langhaus ein Fingerzeig der einzelnen Bauabschnitte ist. A m S ü d p o r t a l , dem ersten westlichen Joch des südlichen Seitenschiffes, konnte Johann von Langenberg seine ganze Schmuckfreudigkeit entfalten (Bild S. 89). Der Entwurf v o m Jahre 1493 gefiel dem Stiftskapitel so gut, daß der Baumeister „pro bibalibus" noch eine besondere Vergütung erhielt. Johann v o n Langenberg hatte sich dem gegebenen R a h m e n der Seitenschiffsfenster angepaßt. D a waren dreimal abgetreppte Strebepfeiler, unter dem Wasserspeier das schöne Kranzgesims verkröpft herumgelegt, darüber die reich gegliederten Fialen. Von Strebepfeiler zu Strebepfeiler zieht sich über die Fenster ein weiter Blendspitzbogen, sein Profil zwei Rundstäbe und eine Hohlkehle, belebt mit Laubwerk. Der Bogen in den Ecken getragen von Sockeln mit amüsanten Drolerien, hockenden Gestalten, Steinmetzen, Musikanten, Kentauern usw. (Bild S. 89). Diesen gegebenen Architekturrahmen hat Johann von Langenberg 31

nicht ungeschickt dekorativ weiterentwickelt. Wasserspeier und Verkröpfung des Kranzgesimses fallen bei dem Südportal fort, denn im oberen Strebepfeilergeschoß standen einst links und rechts die Statuen der Verkündigung. Die Sockel sind noch zu sehen, aber die Baldachine sind mit den Statuen bei einer „ R e s t a u r a t i o n " entfernt worden. Leider, denn wirkt nicht heute der obere Teil des Strebepfeilers etwas überschlank ? Das Stabwerk des Strebepfeilers verdichtet sich nach unten von Treppenabsatz zu Treppenabsatz in reicheren Gliederungen an Maßwerk, Wimpergen, Ecksäulen und Fialen. Das Untergeschoß schließlich ist ganz ummantelt von Pfeilerund Säulenbündeln. Hier stehen in einer kunstvoll gerahmten Nische auf hohem Sockel die Kirchenpatrone Viktor und Helena. Das ist der wirkungsvolle Auftakt zum Eintritt in den Dom, denn in gleicher Höhe stehen auch in den Nischen der Pfeilerinnenseiten Statuen. In den Portalwangen folgen je zwei andere auf gleichen Sockeln wie die der Pfeilerstatuen. Über ihnen der Reigen der Baldachine. Vor dem Mitteltürpfosten unter hohem schlanken Baldachin, der bis zum Scheitel des Portalbogens reicht, die Statue des Erlösers; zwischen ihm und den Kirchenpatronen die vier Evangelisten und Petrus und Paulus. Aber nur die vier inneren Statuen und die des Erlösers sind noch alt. Wir wissen leider nicht, wer nach Johann von Langenbergs Entwürfen die Statuen ausgeführt hat. Man könnte nun fragen, ob ein höher gezogenes Portal, beginnend etwa mit dem zweiten Treppenabsatz der Strebepfeiler, und mit dem Eselsbogen des oberen Fensters nicht viel wirkungsvoller geworden wäre, ein klangvollerer Übergang von den Westtürmen zum Langhause ? Aber erstlich lag der Zeit um 1500 nicht mehr dieses Halleluja früher Gotik, und außerdem verbot die räumliche Voraussetzung eine solche Anlage. Das äußere Seitenschiff läuft sich nämlich gegen die innere Turmmauer tot. Es verlangt Licht über dem Portal. J o h a n n von Langenberg behielt daher das alte Fenster bei. Aber an Stelle des breiten Blendbogens trat reichere Profilierung der Fensterrahmen, zweimal Hohlkehlen mit Laubwerk verziert. Links und rechts über Eck gestellte Pfeiler, aus denen der krabbenbesetzte Eselsbogen bis zur doppelten Kreuzblume über die Dachgalerie hinaus aufsteigt. Davor die Plattform mit der Maßwerkbalustrade, Verbindung zu den Pfeilern, die sich seitlich bis zum Fenster mit Blendarkaden schmücken. In der Verjüngung des Aufbaus der Streben und der Eselsbogen liegt schon ein großer dekorativer Reiz spätgotischer Gliederungskunst. Und wäre die Gruppe der Verkündigung hoch oben noch vorhanden, dann führten beide Eselsbogen und der Ausklang des Portalbaus künstlerisch ein noch ansprechenderes Leben. Bald nach Vollendung des Portals erkrankte der Meister. Der Ausbau des Mittelschiffs von 1508—1516 zeigt deutlich ein Nachlassen an künstlerischer Gestaltungskraft. Das große Fenster der Westfassade von 1517 war „ein letztes Aufflackern der Lebenskraft des alternden Meisters und seiner absterbenden K u n s t " . Der Ausbau des Nordturmes der Westfassade war sein letztes Werk (Bild S. 10,11). E r s t a r b 1522, einenTag nach Maria Lichtmeß. Mit seinem Tode war im großen und ganzen der Viktorsdom vollendet.

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3. D I E

ANBAUTEN

Nach Johann von Langenbergs Heimgang wurde 1528 aus Wesel wegen Umbaus der S a k r i s t e i M e i s t e r G e r w i n u s berufen. Schon in den Jahren 1475—1480 hatte der „Baumeister des Herzogs von Kleve" an das südliche Außenchörchen eine neue Sakristei gebaut (Grundriß E). Die Zwischenmauern der alten Sakristei im südlichen Seitenschiff konnten daraufhin niedergelegt werden. Die neue Sakristei wurde 1519—1522 nach Nordosten erweitert (D). Durch den Anbau hatte aber der ältere Teil gelitten. Meister Gerwinus aus Wesel sollte den Schaden ausbessern. M e i s t e r H e r m a n n L e u k e n malte den Raum aus, grüne distelartige Arabesken und stilisierte Blüten in den dreieckigen Gewölbefeldern. Der Bau zeigt außen in großen Rundbogenblenden das typische Maßwerk der Spätzeit, durcheinander geschobene Stäbe (Bild S. 21). Die Balustrade des Seitenschiffes des Domes zieht sich auch um die Stirn der Sakristei, die im Obergeschoß noch einen Abstellraum enthält. Heute dient der Bau als Paramentenkammer. Er beeinträchtigt leider sehr das schöne Bild der Nebenchöre. A m K a p i t e l s a a l (Grundriß G) nördlich vom Chor, für den im Jahre 1528 M e i s t e r G e r w i n u s v o n W e s e l ebenfalls die Pläne lieferte, arbeitete noch im Jahre 1545 M e i s t e r H e i n r i c h H a e ß . Die Schönheit des Raumes hat nicht unwesentlich gelitten, als man für die Zwecke einer Sakristei, und das ist der R a u m heute noch, die neue Querwand zog. Drei schlanke achteckige und kapitellose Pfeiler und die Rippen, die sie aussenden und die sich in Rosetten als Schlußsteine verbinden, tragen die acht Kreuzgewölbe. Vor der alten Holzverkleidung ziehen sich noch die alten Holzbänke der Stiftsherrn rings um den Raum, und an der Nordwand des einst so schönen Saales ist auch noch der spätgotische Kamin erhalten. An der Nordwestecke führt eine Wendeltreppe hinauf zu dem reichen Stiftsarchiv, das, obwohl im Jahre 1828 viele wichtige Dokumente an das Staatsarchiv zu Düsseldorf abgegeben werden mußten, heute noch über 3000 Urkunden bewahrt. An das Kapitelhaus reiht sich die K a p i t e l s c h u l e (Grundriß H ) . Sie wurde 1537—1540 wiederhergestellt. Sie ist als Einrichtung uralt, und unter den Scholastikern, d. h. den Meistern der Schule, finden wir auch den magister scholarum Bertholdus, den Schöpfer des romanischen Westbaus; dann den Kreuzprediger Johannes, der 1215 bei der Kaiserkrönung zu Aachen Friedrich II. durch seine Predigt zum Kreuzzug bewegte; schließlich den gelehrten Humanisten Stephan Pighius. Er war der Lehrer des zukunftsvollen, leider in der Blüte der Jahre von den Blattern in Rom hingerafften Thronfolgers von Kleve-Jülich-Berg Karl Friedrich. Und auch dessen Bruder, der später vertrottelte Johann Wilhelm, mit dem das Herrscherhaus ausstarb, wurde von seinem Vater Wilhelm dem Reichen (1539—1592) auf die Xantener Kapitelschule geschickt. Im rechten Winkel schließt sich an die Schule die im Jahre 1440 erbaute Kellerei (J). Neben ihr läuft ein gewölbter Durchgang in den Kreuzgang. Die aus dem Südschiff des Domes zugängliche H e i l i g e - G e i s t - K a p e l l e ( F ) , geweiht 1544, ist durch die Wiederherstellung des 19. Jahrhunderts ihres früheren Reizes beraubt. In den Jahren 1543—1546 führte man dann, an der Ostseite beginnend, an der Südseite fortgesetzt, den K r e u z g a n g auf (Bild S. 38—42). Wir wandern unter 35 Kreuzgewölben, in der Zeichnung verwandt den Gewölbenetzen des Langhauses im Dom. Konsolen an den Wänden tragen ihre Rippen. An den Wänden der reizvolle Schmuck der 37

Epitaphien der Stiftsherren vom 15.—18. Jahrhundert, darunter auch das des verdienten Kanonikers Gerard Vaick (s. S. 23). Schlichtes Maßwerk mit Nasen ziert die Bogenöffnungen zum Garten. Gegenüber Kapitelhaus und Schule ist über dem Westflügel des Kreuzganges langgestreckt und mit zehn Kreuzfenstern dem Hof sich öffnend die K a p i t e l s b i b l i o t h e k untergebracht (Bild S. 39). Manches wertvolle Stück ist längst hier nicht mehr anzutreffen, und doch mag man noch blättern in großen miniaturengeschmückten kostbaren Chorbüchern des 15. und 16. Jahrhunderts. Aus den Fenstern überschaut man die ganze Anlage. Noch einmal genießt man das Bild des Domes. Die Satteldächer des Kreuzgangsflügels vor der Nordseite des Domes sind der geschickte Übergang zu der in Maßwerk und Strebebogen sich auflösenden Baumasse des Domes (Bild S. 38, 39, 41). Sie sollen gleichzeitig dafür sorgen, daß dem Nordschiff das Licht nicht versperrt wird. In der Mitte des stimmungsvollen Klosterhofes das schlanke Hochkreuz.

KREIJZGANG

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KREUZGANG

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4. G E W A C H S E N E S U N D

VERPFLANZTES

Weit und breit im Umkreise des Niederrheines steht der Viktorsdom für sich allein. Ist er ein Denkmal gewachsener, bodenständiger Kunst oder das Werk verpflanzter Kunst der Nachbarländer, das stolze romanische Turmpaar, das strenge gotische Chor, das querschifflose, fünfschiffige breite Langhaus ? Neben einheimischen Baumeistern v o m Niederrhein waren ja am D o m b a u die verschiedenen Meister aus Köln, Holland und Flandern tätig. Zunächst der W e s t b a u . Er ist mehr als nur ein Portalbau mit weiter Vorhalle. Die Stiftsakten reden von einem „Westchor", einem „chorus occidentalis" oder „chorus novus". Hier stand früher im Mittelbau das Grab des heiligen Viktor und dahinter in der Portalnische der Taufbrunnen (Grundriß B). Das Portal war üblicherweise vermauert und öffnete sich, wie die Jubiläumspforte an St. Peter in Rom, nur an ganz besonderen Festtagen, in X a n t e n zu den Feierlichkeiten der „Viktorstracht", wenn die Prozession mit dem Schrein des Heiligen den D o m verließ und durch die Stadt hinauf zur ehemaligen Zisterzienserinnenklosterkirche auf den Fürstenberg und wieder in den D o m zurückzog. Dann vermauerte sich auf lange Zeit von neuem das Westportal. I m Mittelbau stand ferner bis zur Übertragung in die erwähnte Marienkapelle v o m Jahre 1449 der Marienaltar. Er war das Ziel der Prozessionen im Dom, die im Ostchor ihren Ausgang nahmen. Von den Tribünen des Obergeschosses mögen bevorzugte Gäste der Feier zugeschaut haben (Bild S. 14, 86). Die Frage der Doppelchörigkeit ist mit zwei Patronen, denen je ein Altar geweiht war, oder einem Märtyrer oder Stiftergrab nicht immer beantwortet. Chorgebet und Meßopfer sollten in den großen Stiftskirchen mit ihren zahlreichen Meßopfernden streng getrennt bleiben. Das Westchor in X a n t e n war ja auch für sich abgeschlossen wie das Ostchor, denn der übliche Eingang lag schon in romanischer Zeit im südlichen Seitenschiff. In ähnlicher Weise, zwar einschiffig nur, aber auch mit sich totlaufenden Seitenschiffen des Langhauses war zu Beginn des 13. Jahrhunderts der Westbau von St. G e o r g in K ö l n entworfen worden, und höchstwahrscheinlich für denselben Zweck. Die Verwandtschaft ist auch im Inneren zu verfolgen: im Untergeschoß Nischen in den Wänden, im Obergeschoß, zugänglich durch Wendeltreppen im Mauerwerk, Umgänge, die sich ebenfalls dem Innenraum in Bogenstellungen öffnen (Anm.). Doppelchöre und Doppelquerschiffe kannte schon die Karolingerzeit. Wir wissen nach alter Bildwiedergabe, wie der karolingische Dom zu Köln aussah. Der im Jahre 943 vollendete Westbau der ehemaligen Abteikirche zu W e r d e n an der Ruhr hatte den besonderen Auftrag, für das Sendgericht zu dienen, d. h. das Gericht zur Aburteilung über Vergehen der Geistlichkeit. Verwandt ist in Köln der Westbau von S t . P a n t a l e o n , der Lieblings- und Grabeskirche des besonderen Gönners des Xantener Viktorsdomes, des Heiligen Bruno von Köln. Ob nun die 1109 vernichtete karolingisch-ottonische Viktorskirche zu X a n t e n für Chorgebet und Märtyrergrab auch ein verwandtes Westhaus hatte, das dann die Anregung für MagisterBertholdus' Neubau g a b ? Ohne Nachgrabungen ist freilich die Frage in X a n t e n nicht zu beantworten; aber sie ist nicht unberechtigt, denn „seit etwa a. 1150", schreibt Georg Dehio, „wird (die doppelchörige Anlage) bei neuen Stiftungen selten und bald gar nicht mehr angewandt; so oft wir Westapsiden in spätromanischen Bauformen erblicken, müssen sie in der Regel als von älteren Gründungen ihrer Disposition nach herüber genommen gelten". 43

Westbauteil sind vor allem im Gebiet des M a a s t a l s verbreitet. Das 12. Jahrhundert hat sie mit stattlichen Türmen ausgebaut, so St. Denis und St. Johann Baptist in Lüttich und in Maastricht Liebfrauenkirche und St. Servatius. Meist handelt es sich um einen breiten Mittelturm, neben dem die beiden schmäleren Treppentürme aufsteigen, wie auch in Köln an St. Pantaleon oder St. Maria im Kapitol oder an der Abteikirche zu Brauweiler. In S t . S e r v a t i u s in M a a s t r i c h t aber, diesem imposanten Westbau, breiter und tiefer noch als der Xantener Westbau angelegt, steigen zwei quadratische Ecktürme auf. Die Verwandtschaft der ganzen Anlage des Grundrisses und inneren Aufbaus der Nischen, Emporen und Wendeltreppen mit Xanten ist überraschend (Anm.). In Maastricht haben wir uns aber gar nicht aus dem Bereich der niederrheinischen romanischen Bauschule begeben, deren ausstrahlender Mittelpunkt das kirchenreiche Heilige Köln war, das auch die Maastalkirchen in seinen Bann zog, denn wie das Marienmünster in Roermond und die Liebfrauenkirche in Maastricht, so hat auch St. Servatius nach kölnischem Vorbilde seine Chorkonchen mit Säulenblendbogen und Zwerggalerien geschmückt. Der Heilige Servatius von Maastricht wurde in Xanten besonders verehrt. Wir finden seine Statue unter den Figuren an den Chorschranken, wie am Matthias-Altar im Langhaus. K ö l n selbst hat nun keine zweitürmige Westfassade aufzuweisen. Das liegt einerseits am engmaschigen alten Straßennetz der Stadt und damit am Mangel monumentaler Entfaltungsmöglichkeiten eines Westbaus aus dem Straßenbilde heraus, andererseits an Kölns Neigung der Ausgestaltung reich gegliederter kleeblattförmiger Chorbauten, die sich in malerischem Umriß und monumentaler Gliederung von Türmen flankiert zum Rheinstrom präsentieren. So ist denn auch der Westbau von S t . A n d r e a s , der mit seinem gefächerten Rundfenster im Giebel und in der Fassadenaufteilung verwandtschaftliche Züge mit der ehemaligen dreigeschossigen Fassade vom Jahre 1213 in Xanten zeigt, turmlos (Anm.). Die engsten formalen Beziehungen, vor allem im Unterbau, bestehen im Norden und Süden des Erzstiftes Köln zwischen dem Westbau von Xanten und der Westfassade der Liebfrauenkirche zu A n d e r n a c h . Hier waren eben örtlich, d. h. westöstlich, ganz andere Voraussetzungen gegeben als in Köln. Die Liebfrauenkirche zu Andernach hat vor Xanten den Vorzug ansprechenderer und schönerer Bauverhältnisse. Sie ist eben aus einem Guß entstanden. Die Xantener Domfassade dagegen ist das Ergebnis weit auseinanderliegender Bauperioden. Im ursprünglichen Entwurf war sie, wenn man die drei unteren Geschosse abschätzt, vielleicht gar nicht höher geplant (Bild S. 10, 11). Der Ausbau des 4. und 5. Geschosses des Südturmes trug im Laufe des 13. Jahrhunderts durchaus anders geartete Verhältnisse in die Komposition. Das spätere gotische Langhaus trieb dann die Türme zwangsläufig noch weiter in die Höhe. Gegenüber der Liebfrauenkirche zu Andernach sind aber die Gesamtverhältnisse am Viktorsdom von vornherein breiter und monumentaler angelegt. Man wollte zu Ehren des heiligen Viktor weit die Ebene beherrschend einen Denkmalsbau schaffen. Das war auch den späteren Baumeistern, abgesehen von konstruktiven Notwendigkeiten durch das vorrückende gotische Langhaus, wichtiger als die Rücksicht auf Magister Bertholdus' dreigeschossige Fassade. Die Verwandtschaft der ursprünglichen Fassade in Xanten mit der ganzen Gliederung 44

der ungefähr gleichzeitig zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstandenen Westfront in Andernach ist immerhin so eng, daß man fragen möchte: welche von beiden ist älter ? Auch d i e Frage bleibt einstweilen offen, ebenso bei den Andernach benachbarten Turmfassaden St. Kastor und Liebfrauenkirche in Koblenz. Andernach und Xanten sind die beiden monumentalen Denkmalsbauten am Südund Nordpol der blühenden niederrheinischen Bauschule der kunstfreudigen Stauferzeit. Köln, die Metropole, gab Xanten den Schmuck seines Westbaus. Bei dem got i s c h e n N e u b a u läßt aber, eigentlich seltsam bei den engen Beziehungen zu Xanten, der dominierende Einfluß Kölns nach. Friedrich von Hochstaden, der Gründer des gotischen Neubaus, lebte bis zu seiner Berufung nach Xanten im Jahre 1260 in Köln. Er war Kanonikus an St. Andreas und seit 1238 Propst von St. Maria imKapitol. Er sah das Kölner Domchor aus den Fundamenten aufwachsen und kannte unzweifelhaft die großen Dombaupläne seines Bruders, des Kölner Erzbischofs, und dessen Baumeisters. Aber trotz der engen Verwandtschaft der beiden Domgründer und Friedrichs jahrzehntelangem Leben in Köln hat der Kölner Dom keinen wesentlichen Einfluß auf Anlage, Aufbau und Formgestaltung des Viktorsdomes gewinnen können. Daran änderte in den Wesenszügen auch wenig die spätere Berufung Kölner Baumeister nach X a n t e n : 1396 Meister Gerard von Köln, 1483 Meister Gerard Loemer, 1487 Johann von Frankenberg und Meister Adam, schließlich 1492 der Vollender des Dombaus Johann von Langenberg. Im Gegensatz zu Köln hat Xanten kein Querschiff und keinen Umgang mit Kapellen um das Chor. Das Chor und seine Nebenchöre nehmen unmittelbar Mittelschiff und Seitenschiffe auf. Das Gesamtchor ein Halbkreis mit polygonaler Abeckung der einzelnen Chornischen, aus dem nur die mittlere Chornische vorragt. Ähnlich, aber doch wesentlich vereinfachter sind die benachbarten Choranlagen der dreischifflgen Stiftskirchen zu Kleve und Kranenburg und an St. Nikolai in Kalkar. Doch diese Bauten sind jünger als das Chor von St. Viktor. Woher stammt nun die so ganz unkölnische Anlage ? Diese Frage hat zuerst Stephan Beissel beantwortet. Er hat zeichnerisch nebeneinandergestellt die Grundrisse des Viktorsdomes und der älteren Choranlagen von S t . Y v e d de B r a i s n e von 1180—1216, zwischen Soissons und Reims gelegen, von S t . M a r t i n in Y p e r n von 1221 und der L i e b f r a u e n k i r c h e in T r i e r von 1227 —1243. Der Vergleich ist überzeugend. Abgesehen vom Querschiff besteht der Unterschied der Chorgrundrisse nur darin, daß St. Yved de Braisne und Liebfrauenkirche zu Trier zwischen Mittelchornische und Mittelschiff noch ein rechteckiges Gewölbe einschieben und St. Martin in Ypern zwei. In Trier ist vor dem Fünfchornischenkranz wie bei St. Yved de Braisne ein Querschiff gelegt. Nach Westen wiederholt sich vor diesem Querschiff das Chorbild, so daß ein Rundbau entsteht. Die Zusammenhänge der Planung von Xanten, Braisne, Ypern und Trier sind ebenso überzeugend, wie die von Köln und Amiens. Stephan Beissel weist darauf hin, daß St. Yved de Braisne ,,den Prämonstratensern gehörte, also durch den Heiligen Norbert (den Ordensstifter) mit Xanten verwandt war". Die Kirchen zu Ypern und Trier mögen Ausstrahlungen von St. Yved de Braisne darstellen. Für Xanten liegt es indessen näher, an das flandrische Ypern zu denken. Das sind uralte niederrheinische Beziehungen. Aus Flandern stammen die Grafen von Kleve. Der aufblühende Handel des 13. Jahrhunderts zog 45

immer engere Fäden zum Westen, die in spätgotischer Zeit künstlerisch noch greifbarer zu verfolgen sind. Xanten unterscheidet sich von seinen Vorbildern St. Yved de Braisne und St. Martin zu Ypern vor allem dadurch, daß es kein QuerschifF hat und statt dreier Langhausschiffe fünf aufweist. „Daß dieses (drei Schiffe) auch für Xanten beabsichtigt war," meint Georg Dehio, „halte ich um so mehr für wahrscheinlich, als die Breitenmaße des Chores auf genauen Anschluß an die Turmhalle berechnet sind — der jetzt verfehlt ist". Aber woher wissen wir so bestimmt, daß der Baumeister des Chores mit der Beibehaltung des romanischen Westbaus gerechnet hat ? „Bei der verspäteten Ausführung wurde das Querschiff aufgegeben und wurde nach den durch das Chor fixierten Richtlinien ein fünfschiffiges Langhaus angelegt, offenbar im Wettbewerb mit dem Kölner Dom." Dann an anderer Stelle: „Die Fortsetzer des Werkes im 14. Jahrhundert haben das Original nicht mehr gekannt; sonst hätten sie schwerlich den Mißgriff begangen, das Querschiff wegzulassen, dessen gerade dieses Chorschema zur Entwicklung seiner spezifischen Schönheiten durchaus bedarf." Schon Stephan Beissel hatte die Frage eines ursprünglich vorgesehenen Querschiffes aufgeworfen, das dann aufgegeben worden sei, als man im Jahre 1316 den Plan faßte, westlich vor der südlichen äußeren Chorkappe die Sakristei anzulegen (s. S. 20). Die breitere Anlage dieser und der entsprechenden nördlichen Chorkappe als der inneren Chorkappen und deren Seitenschiffe habe dann auch die Jocheänderung zur Folge gehabt. Stephan Beissel fährt dann weiter fort: wäre das geplante Querschiff ausgeführt worden und hätte man die anfänglichen Maße für Mittel- und Seitenschiffe, d. h. 11,40 m und 5,70 m bei einem dreischiffigen Langhause beibehalten, „dann wäre der ganze Grundriß regelmäßig, während er jetzt unregelmäßig ist". Aber „so bemerkenswert auch die Gründe zur Annahme einer Änderung des alten Bauplanes scheinen, so sind sie doch nicht zwingend", meint vorsichtig der gelehrte Pater am Schlüsse seiner Ausführungen. Er läßt damit die Frage eines beabsichtigten Querhauses klugerweise offen (Anm.). Die Anregung der fünfschiffigen Langhausanlage zu Xanten, ganz gleichgültig, ob von Anfang an geplant oder später erst entstanden, pflegt man auf den Kölner Dom zurückzuführen. Das ist schon naheliegend, weil für das Langhaus zwei Kölner Meister nach Xanten gerufen waren, Gerard Loemer und Johann von Langenberg, nachdem die einheimischen Meister Konrad von Kleve und Gisbert von Kranenburg, den Ostbau vollendet hatten. Eine äußere Anregung von Köln mag da auch wohl mitgeredet haben. Man könnte aus gleichen Gründen mit Köln in Zusammenhang bringen die beiden Xanten benachbarten rechtsrheinischen fünfschiffigen gotischen Bauten der Willibrordikirche zu Wesel (1424—1470) und die im Jahre 1817 niedergelegte ehemalige Kollegiatskirche zu Rees aus dem 13. und 15. Jahrhundert, dann stromabwärts den Dom zu Utrecht (1254—1267). Holland und das Kleverland sind kunstgeschichtlich gar nicht voneinander zu trennen. Vom alten Herzogtum Geldern liegt heute nur das sog. Oberquartier in Deutschland, der größere Teil dagegen in Holland. Wirtschaftliche Beziehungen und die Verwandtschaft im Charakter der Landschaft und des Menschenschlages hatten im Laufe der Zeit von selbst die engsten Zusammenhänge ergeben. Und was auch nicht unwichtig ist für die Grabeskirche des heiligen Viktor: gerade in Holland und Friesland erfreute er sich besonderer Verehrung. Manche Mark 46

floß von dorther als Ablaßgeld zum Weiterbau des Xantener Domes. Und mit den Gläubigen aus den Nachbarländern kamen auch Predigtbrüder aus Nymwegen, Utrecht und Mecheln zu den Festtagen der „Viktorstracht" nach Xanten. Als man im 15. Jahrhundert das Xantener Langhaus aufführte, war Köln für das Klever Land, den niederländischen Niederrhein und das Maastal nicht mehr der ausschließlich gebende Teil. Man muß nur einmal verfolgen, was damals an beweglicher Kunst aus Holland und Flandern den Weg an den Niederrhein fand. Die politische Gegnerschaft der Herzöge von Kleve zum Erzstift Köln wegen des Besitzes von Xanten spann noch besondere Beziehungen zu den Niederlanden, die auch für Xanten nicht bedeutungslos waren, vor allem Beziehungen zum Stifte U t r e c h t . In Kalkar residierte der Utrechter SufFraganbischof. Aus Utrecht stammten die Predigtherren und Rektoren der Lateinschule in Kalkar. Für einen neuen Hochaltar in Kalkar sandte man eine Kommission mit einem Zeichner studienhalber in das Utrechter Land. Aus Utrecht kamen der Glockengießer Gerard deWou, dann nicht unwahrscheinlich Arnt vonTricht, der Meister des Johannesaltars in Kalkar und der letzten Pfeilerstatuen im Dom zu X a n t e n ; aus Utrecht berief man im J a h r e 1488 Meister Wilhelm Backerwerd nach Xanten. Die Gewölbezeichnung im nördlichen Seitenschiff ist nicht mehr schlicht kreuzförmig wie im Ostbau oder im Kölner Dom, sondern reicher in der Linienkomposition, Formen, wie sie die damalige Baukunst in Holland und am Niederrhein liebte (s. Grundriß). Und kaum ist Johann von Langenberg 1492 in Xanten angelangt, als er sich nach Herzogenbusch begibt und sich längere Zeit in Holland aufhält. Er kannte jedenfalls die beiden bedeutendsten gotischen Schöpfungen Hollands, St. Johann in Herzogenbusch (1419—1450) und den Dom zu Utrecht, er wird auch wohl den schon im Jahre 1272 begonnenen und im 14. und 15. Jahrhundert ausgebauten Chorbau von St. Stephan im benachbarten Nymwegen gekannt haben. Er hatte wohl noch eine Anzahl Kölner Steinmetzen zur Seite, was mit der Bearbeitung des harten Trachyts vom Drachenfels zusammenhängen mag, wie man für den weicheren münsterischen Sandstein westfälische Steinmetzen berief. Aber neben niederrheinischen Steinmetzen notieren die Stiftsakten auch noch zahlreiche Mitarbeiter aus Utrecht, Brüssel, Brabant, Roermond usw. Nehmen wir nun an, der Dom zu Köln hätte äußerlich die Anregung zu dem fünfschiffigen Langhause in X a n t e n gegeben. Das Ergebnis war doch ein wesentlich anderes. Durch die Hallen des Viktorsdomes geht ein ganz anderer Atem. Nichts von dem Himmelanragenden der ungehindert ansteigenden Pfeiler und Dienste, die keine Horizontale zu unterbrechen wagt, denn auch der Laufgang über den schmalen, hohen Mittelschiffsarkaden in Köln, die Triforien, können sich dem Diktat der Vertikalen nicht entziehen; darüber bis an die hohen Gewölbe die von gleichem Auftrieb erfüllten Fenster des Obergeschosses. In Xanten drücken dagegen die Brüstungsbalustraden v o r den zurückliegenden Oberfenstern den R a u m (Bild S. 33). Sie stammen freilich erst aus dem 16. Jahrhundert nach der Vollendung des Domes. Bis dahin mögen unauffällig schlichte Eisenstäbe oder dergleichen den Laufgang von Pfeiler zu Pfeiler begleitet haben. Das Innere wirkte dadurch früher schlanker. Aber dennoch waren durch die Obergeschoßmaße und den Fortfall enggestellter hoher Zwischengliederungen der Triforien ganz andere Raumverhältnisse geschaffen als in den Domen zu Köln und Altenberg. Die Höhenmaße des Mittelschiffes zu Köln und Xanten verhalten sich wie 47

2:1, die Breitenmaße dagegen wie 5:4. Alles ist in X a n t e n weiträumiger gestimmt. Der quergestellte Lettner unterstreicht noch die lastende Horizontale der Obergeschoßbalustrade. — Das ist der breite Atem des unteren Niederrheins, der Rhythmus des weiten, stillen Landes. Georg Dehio meint zwar: „ D e m Aufbau des Querschnittes gereicht die Planänderung (die nachträgliche fünfschiffige Anlage) nicht zum Vorteil". Aber was man, losgelöst von der Landschaft, in Xanten als Nachteil ansehen mag, das ist im Zusammenhange mit der Landschaft höchst stilecht: In Kalkar und Kranenburg baute man Hallenkirchen; die Stiftskirche zu Kleve, St. Matena in Wesel und St. Aldegundis in Emmerich sind eigenartige Mischungen von Hallenkirchen und Basiliken. Iin angrenzenden Holland und Friesland finden wir verwandte Züge wieder. Die weite Raumwirkung im Inneren entsprach mehr den nüchternen Holländern und Friesen. Dazu kamen noch technische Erwägungen, die in den Bodenverhältnissen begründet sind. Nicht selten hat die Vorliebe für Weiträumigkeit nachträglich erst zu einer Verdoppelung der Seitenschiffe geführt. Charakteristisch ist auch im Zusammenhang mit Xanten, daß an Stelle der Triforien der offene Laufgang getreten ist (Bild S. 35). Auch der Außenbau des Xantener Domes ist ganz anderen Charakters als der zu Köln. Nicht reiches Strebewerk und weit vortretende Strebepfeiler, was ja ein Hauptreiz in Köln ist, sind das Dominierende. Ein Kristallgebilde wie der Dom zu Köln wäre in der stillen Ebene um X a n t e n ein Fremdkörper gewesen. Nicht schlanker Wuchs und Zierlichkeit der Gliederung, sondern wuchtende Monumentalität der Massen, die weithin das Landschaftsbild beherrschen, so wollte es der schwere Rhythmus des gedehnten Landes (Bild S. lff.). Das heimische Baumaterial, der Backstein, begünstigte wie in Holland, Friesland und Münsterland, den angeborenen Sinn für große Flächenwirkung und beeinflußte auch die Formengebung des Hausteinbaus am Xantener Dom, denn zwei der Xantener Baumeister hatten, gleichzeitig während sie am Viktorsdome tätig waren, die Bauleitung zweier charakteristischer Backsteinbauten im Kleverland, der Stiftskirchen zu Kleve und Kranenburg, die Meister Konrad von Kleve und Gisbert von Kranenburg. Der Vollender des Viktorsdomes Johann von Langenberg war am Bau der dritten größeren Klever Backsteinkirche tätig, an St. Nikolai zu Kalkar. So geriet denn auch der Kölner Baumeister von Langenberg in den Bann niederrheinisch-niederländischer Kunstübung. Aber in seinem Prunkstück, dem reich gegliederten Südportal, konnte er sich noch einmal als Kölner ausweisen (Bild S. 89). Der Entwurf lag bald nach seiner Ankunft in Xanten dem Stiftskapitel vor und hat in der allgemeinen Anordnung und Gliederung durchaus Verwandtes mit den Portalen des Kölner Domes. Aus den spitzen Wimpergen sind breite Eselsbogen geworden. Doch das ist Ausdruck des großen Zeitunterschiedes zwischen beiden Schöpfungen. Und nun zusammenfassend: trotz S t . Y v e d de Braisne oder St. Martin zu Ypern, trotz dem Kölner D o m und den aus Köln stammenden Baumeistern und Steinmetzen — Chor und Langhaus des Viktorsdomes zu X a n t e n sind ein Gewächs des Niederrheins. Alle Anregungen von auswärts haben sich erst der Eigenart des stillen Landes anpassen müssen.

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DIE

AUSSTATTUNG

E t c a n a m u s Victor Ave In a e t e r n a gloria, T u u m n o m e n est s u a v e V i c t o r a Victoria.

DES

VIKTORSDOMES

E n singhen Victor s y n gegrüyt I n der ewigen glorien, W a n t d y n n a e m die is soe s ü y t , Victor v a n victorien.

1. G L A S M A L E R E I

G E B l T R T l"ND A N B E T U N G D E R HIRTEN. G L A S M A L E R E I UM 1300 IM CHOR

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A. D. 1566 — In den Niederlanden rast das kirchliche Puritanertum. Zu Ehren Gottes und im Namen des ogeläuterten Glaubens zerschlägt man die Heiligenstatuen an den Kirchenportalen, die geschnitzten Bilder an den Altären, vernichtet die Malereien an den Wänden, auf den Altarbildern und die farbigen Fenster. Unabschätzbares Kunstgut opfert man dem Glaubensfanatismus. Die Wellen der Erregung schlagen verwüstend auch über die Klever Landesgrenzen. — Der Dom zu Xanten bleibt aber, Gott sei Dank, verschont. Auch die Französische Revolution, die im Namen der Göttin der Vernunft Heiligen- und Königsstatuen an den Kathedralen enthaupten läßt und im benachbarten Kleve entsetzlich wüstet, geht an Xanten gnädig vorüber. Und schließlich auch der Bildersturm des 19. Jahrhunderts, der „Purismus" der Restaurationen, der alles Nachmittelalterliche in unseren Gotteshäusern zu beseitigen sucht und den Lettner einer ehemaligen Stiftskirche als störend für den Pfarrgottesdienst ansah. So ist dreimal am Xantener Dom das Wunder geschehen, daß ein Bildersturm ihn nicht erreichte. „Wenn seine Kanoniker mit ihrem Propst und ihrem Dechanten zurückkehrten," sagt Stephan Beissel, „so könnten sie in den Chorstühlen ihren alten Platz einnehmen; ihre Vikare könnten auf den Lettner steigen, um das Evangelium zu singen, und sie würden keinen ihrer Altäre vermissen." J a , sie sähen im Chor auch noch an alter Stelle über dem Chorgestühl die kunstvollen Wandteppiche und vor dem Hochaltar den prachtvollen Leuchterbogen und schwebend im Raum die alte

Leuchtermadonna; sie würden in der Paramentenkammer noch den größten Teil ihrer kostbaren, reich bestickten Chormäntel vorfinden und feststellen, daß auch noch die wertvollsten Stücke ihres Domschatzes erhalten sind. Aber eines würden sie kopfschüttelnd und höchst unangenehm überrascht bestaunen: das n e u e g r o ß e F e n s t e r über dem W e s t p o r t a l , ein gut gemeintes Geschenk Wilhelms I. von Preußen, aber auch ein grausiges Kunstdenkmal der 70er J a h r e des vergangenen Jahrhunderts (Bild S. 33). Man denke nur einmal an das alte grandiose Westfenster im Dom zu Altenberg! Vom Chor über das Langhaus, von diskreter Grisaillemalerei über farbigere, aber noch im Ton zurückhaltende Glasmalerei, wird man dort vorbereitet auf die herrliche Sphärenmusik, die dasWestfenster anstimmt und den ganzen Raum erfüllt, eine Farbensymphonie blaugoldiger Töne, in die sich, unsagbar schön, silbrige verweben. Doch statt dieser stimmungsvolIenFarbigkeit fällt grelle Buntheit durch das neue Westfenster in den Xantener Dom. Es beeinträchtigt zu sehr die Wirkung der alten Fenster, über die man sich eingehend in Heinrich Oidtmanns Werk „ Die Rheinischen Glasmalereien" unterrichten mag. H i n t e r d e m H o c h a l t a r im Chor leuchten noch in herrlichem Blau und Rot die Bilder der ältesten Fenster, um 1300 etwa entstanden und verwandt den gleichzeitigenBibelfenstern zu München-Gladbach, in St. Florian zu Koblenz und in der Stephanuskapelle des Kölner Domes (Bild S. 50 u. 51). Älteste frühgotische Glasmalerei in den Rheinlanden, fünf Bilder,

G E I S S E L l NG. GLASMALEREI UM 1300 IM CHOR

GLASGEMÄLDE I M 1360 IM CHOR

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KREUZIGUNG. G L A S G E M Ä L D E MITTE D E S 16. J A H R H U N D E R T S .

PARAMENTENKAMMER

freilich R e s t e n u r n o c h einer f r ü h e r e n Serie, die in einer D o p p e l r e i h e S z e n e n des A l t e n u n d N e u e n T e s t a m e n t s v o r f ü h r t e n . I n A c h t p a ß r a h m e n die G e b u r t des H e r r n u n d die A n b e t u n g d e r K ö n i g e , u n g e z w u n g e n i n d e r H a l t u n g d e r D a r g e s t e l l t e n ; in r u n d e n Medaillons die G e i ß e l u n g , K r e u z t r a g u n g u n d K r e u z i g u n g . Bei d e n G l a s m a l e r e i e n i m ä u ß e r e n N o r d c h ö r c h e n — P e t r u s , P a u l u s m i t der heiligen B a r b a r a u n d A n d r e a s , d a n n d e r A n b e t u n g der K ö n i g e m i t d e m S t i f t e r u n d d e r S t i f t e r i n s c h r i f t „ E v e r a r d u s H a g n e d o r n e S c h o l a s t i c u s " (Bild S. 51b) — k o n n t e S t e p h a n Beissel w i e d e r a u s d e n S t i f t s a k t e n d e n K ü n s t l e r n a m e n n a c h w e i s e n : M e i s t e r J a c o b u s , d e r 1349 bis 1363 a u c h in K ö l n g e n a n n t w i r d . Die A r b e i t e n s t a m m e n a u s d e n 6 0 e r J a h r e n des 14. J a h r h u n d e r t s . 52

TOD D E R M A R I A . G L A S G E M Ä L D E I M 1520 IM NÖRDLICHEN

SEITENSCHIFF

Die Glasgemälde der Mitte des 15. Jahrhunderts im n ö r d l i c h e n S e i t e n s c h i f f — Albertus Magnus, die heilige Barbara und Johannes der Täufer mit drei Stifterbildern, dann das Fenster des heiligen Viktor mit den Heiligen Antonius und Petrus und zwei Stiftern (Bild S. 54) — schlagen eine ganz andere Tonart an, als die farbig stärkeren, älteren Fenster. Spärlich die Farbtöne Rot, Blau und Gelb, aber leuchtend silberschimmernd die Figuren, technisch vollendete Arbeiten. In der Darstellung der Personen, wie in dem metallisch silbrigen Tonklang liegt es nahe, an Beziehungen zu dem Altenb e u e r Domfenster zu denken. 53

D E R H E I L I G E VIKTOR U N D D I E H E I L I G E N A N T O N I U S U N D P E T R U S MIT S T I F T E R N . G L A S G E M Ä L D E MITTE D E S 15. J A H R H U N D E R T S IM N Ö R D L I C H E N S E I T E N S C H I F F

Die ersten J a h r z e h n t e des folgenden J a h r h u n d e r t s bereicherten den X a n t e n e r D o m m i t g r o ß e n Bildkompositionen, die zu den besten Arbeiten der Zeit in den R h e i n l a n d e n zählen. Der „ T o d der Maria" im nördlichen Seitenschiff, ein großer I n n e n r a u m mit den geschäftigen Aposteln, wird zurückgehen auf das gleichnamige Bild des sog. Meisters v o m Tode der Maria, J o o s v a n der Beke aus Kleve, v o m J a h r e 1519 in der A l t e n P i n a k o t h e k zu München (Bild S. 53). I n der P a r a m e n t e n k a m m e r leuchtet das p r a c h t v o l l e Kreuzigungsbild (Bild S. 52). Die e i n r a h m e n d e n Balustersäulen in j e n e r charakteristischen H ä u f u n g von K n ä u f e n u n d Schaftringen, wie a n den gleichzeitigen niederrheinischen Schnitzaltären. E i n anderes F e n s t e r der P a r a m e n t e n k a m m e r m i t S p h i n x e n , P u t t e n u n d Meergestalten ü b e r flachem Eselsbogen zeigt noch deutlicher die D u r c h s e t z u n g mit F r ü h r e n a i s s a n c e o r n a m e n t e n . F a r b e n g l ü h e n d im s ü d l i c h e n O b e r g a d e n d a n n die A n b e t u n g der Könige, seitlich die Stifter mit ihren P a t r o n e n in freiem u n g e z w u n g e n e m Renaissancecharakter (Bild S.55). U n d schließlich im s ü d l i c h e n S e i t e n c h o r P r a c h t s t ü c k e der Leidensgeschichte des H e r r n , ausgezeichnete K o m p o sitionen, vortrefflich in der N a t u r b e o b a c h t u n g wie im F a r b e n k l a n g . Auch hier wie

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A N B K T l ' N G DER K O N I G E MIT S T I F T E R N l ND PATRONEN. GLASGEMÄLDE I M 1520 IM O B E R G A D E N

bei den letzten Bildern f ü h l t m a n die starke V e r w a n d t s c h a f t mit niederländischer Malerei, deren Einfluß den Kölns ablöst. So f ü h r t die Glasmalerei noch einmal die Geschichte des D o m b a u s u n d ihrer nachbarlichen Beziehungen vor. I n gleicher Weise die Steinplastik der Viktorskirche.

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KONSOLEN IM OBERGESCHOSS DES CHORES

2.

STEINPLASTIK

I m Gegensatz zu W e s t f a l e n mit seinen S a n d s t e i n b r ü c h e n der B a u m b e r g e be M ü n s t e r , im Gegensatz zum Mittelrhein u n d Maastal ist der steinarme, aber eins a u ß e r o r d e n t l i c h holzreiche Niederrhein das eigentliche Gebiet der Holzschneidekunst W a s er a n wertvoller Steinplastik aufzuweisen h a t , ist f a s t alles in u n d u m St. Viktoi zu X a n t e n vereinigt, eine f ü r den Niederrhein u n d die N i e d e r l a n d e einzigartige, aus g e d e h n t e Ubersicht v o n der Gotik bis z u m Barock. Diese E i n s a m k e i t h a t der u n e r meßliche Verlust a n K u n s t g u t in den nördlichen u n d südlichen N i e d e r l a n d e n durch der unglückseligen F a n a t i s m u s des Bildersturmes v o m J a h r e 1566 noch vergrößert. Dei Verlust erschwert den Einblick in die kunstgeschichtlichen Z u s a m m e n h ä n g e . Frager t r e t e n auf, die nicht i m m e r ganz einfach zu b e a n t w o r t e n sind. U n d doch ergibt siel i m großen u n d ganzen dasselbe Bild wie bei der B a u g e s c h i c h t e : a n Stelle des Einflusses v o n K ö l n t r i t t der desWestens, bis sich u m X a n t e n die klevischen S t ä d t e W e s e l , Kaikai u n d die L a n d e s h a u p t s t a d t zu b l ü h e n d e n einheimisch-niederrheinischen K u n s t z e n t r e r entwickeln. Vor den 24 Pfeilern des Mittelschiffes u n d der Mittelschiffchorfenster schweben auf abwechslungsreich modellierten Konsolen u n t e r B a l d a c h i n e n 28 Heiligenstatuen, Der Beigen beginnt im Chor mit den A p o s t e l n u n d den G r u p p e n d e r V e r k ü n d i g u n g u n d H e i m s u c h u n g (Bild S. 58ff.). Leider h a t ein roher g r a u e r Ö l a n s t r i c h des farbenfeindlichen Klassizismus am Ausgang des 18. J a h r h u n d e r t s der Schönheit der Bildwerke großen A b b r u c h getan. Spuren alter B e m a l u n g sind aber noch zu e r k e n n e n , vor allem

KONSOLEN IM OBERGESCHOSS DES CHORES

an den Augen. Die Madonna der Verkündigung ist ganz und gar erstauntes Aufhorchen ob der himmlischen Botschaft des Engels, der Körper zurückgebogen, und die Diagonalfalten des Mantels sein Echo. Gesenkten Hauptes lauscht die Jungfrau den Engelsworten (Bild S. 62). Leider fehlt heute die rechte Hand, die den seelischen Vorgang vervollständigen würde. Die Gruppe der Begegnung der beiden hoffenden Frauen ist das schönste und ansprechendste Werk der ganzen Folge: das tief ineinander Versenken der Augen, die Art, wie die ältere Frau die jüngere mit ihrem rechten Arm umschließt und ihre Linke freudig bewegt Marias Hand teilnehmend ergreift: „Woher kommt mir das, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt ? " (Bild S. 63). Ernste Apostel umstehen die beiden Gruppen, nachdenklich ruhige Gestalten, einfach schlicht der Faltenwurf, bei einigen der Körper nur leicht ausgebogen, auffallend klein der Kopf, flach der Brustkasten und schmal die Schultern (Bild S. 58, 59). Urkundliche Unterlagen für den oder die Meister der Xantener Statuen und über die Zeit der Herstellung der Bildwerke sind bisher im Xantener Domarchiv nicht gefunden worden. Daß bei den ersten acht östlichen Statuen Sockel und Baldachine, wie deutlich zu erkennen, gleichzeitig mit dem Chorbau entstanden sind, also noch vor 1300, besagt für die Datierung der Statuen noch nichts, denn die Sockel können lange Zeit unbesetzt geblieben sein. Es kann daher auch der figürliche Sockelschmuck nicht zum Vergleich herangezogen werden. E s sind Genre- und Tierbilder; an der Epistelund Südseite unter der ersten Statue ein Mann, der sich gegen die Wand stemmt, um die Last der Andreasstatue zu tragen; dann ein Steinmetz, der das Blattwerk ausmeißelt (Bild S. 66, 67); dann ein K a m p f mit dem Drachen. Stephan Beissel sah in den 57

CHORPFEILERSTATUEN DER NORDSEITE. THOMAS. DIE MADONNA DER VERKÜNDIGUNG, DIE BEGEGNUNG UND PETRUS

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beiden ersten Darstellungen die Bildnisse des ersten Baumeisters und seines Steinmetzen, wie er über den Durchgängen im Umgang des Obergeschosses die beiden Männergestalten, Tragefiguren für die einrahmenden Fenstersäulen, die etwa um 1300 entstanden sein können, als den späteren Baumeister und seinen Steinmetzen deuten wollte (Bild S. 57); — möglich. Für die Datierung der Pfeilerstatuen hat man, der Baugeschichte entsprechend, bisher das erste Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts angenommen. Aber wer will das bei der konservativen Einstellung der Kunst des 14. Jahrhunderts am Niederrhein bestimmt sagen ? Wohl werden sie mit großer Wahrscheinlichkeit noch der ersten Hälfte des Jahrhunderts angehören. Es wird auch wohl von Anfang an ein festgelegtes Thema der Darstellung der Statuenfolge vorgelegen haben. Die beiden Gruppen der Verkündigung und Begegnung liegen sehr wahrscheinlich zeitlich von den Apostelstatuen auseinander; und wenn der ganze Kreis auch einer Schulgemeinschaft zuzurechnen ist, so zeigen die beiden Mariengruppen vielleicht doch eine andere Künstlerhand als die Apostel. Sie werden jünger sein. Woher stammen nun der oder die Meister dieser plastischen Bildwerke, wenn der Niederrhein von Natur aus kein Land der Steinbildnerei ist ? Xanten gegenüber führt am anderen Rheinufer die Lippe nach Westfalen. Das Münsterland lieferte für die dekorativen Teile des Xantener Domes „Monsterstein", d. h. den weichen Sandstein der Baumberge, und am Dombau waren urkundlich auch westfälische Steinmetzen tätig. Aber von den älteren Xantener Dompfeilerstatuen führt anscheinend keinerlei Verbindung zu den gleichzeitigen oder früheren oder späteren münsterischen Arbeiten. Als nächstes kämen die Chorpfeilerstatuen im Kölner Dom in Erwägung, und was sich um diese Dinge sammelt. Doch wie beim Bau der beiden Dome zu Köln und Xanten, so ist auch in den Chorpfeilerstatuen der Gegensatz Köln und unterer Niederrhein deutlich zu fühlen. In Köln die Gestalten so hoch über uns schwebend, daß das Auge sie kaum sieht, oder wie Ernst Bertram in seiner wunderbaren Dichtung „Straßburg" den „Steinbildner" am Münster besingt: „Viel zu hoch, als daß es Erdenaugen je beglückte, hat der weisere Meister meinem Werk den Stand am Turm bemessen. Nicht für unser bald geschmolzen Auge, also lehrt er uns, sind unsere Bilder: Einzig für den Blick des Weltenmeisters, Opferweihe unserer Bildnerdemut". Schöner und treffender ist der Charakter der Domplastik des 14. Jahrhunderts nicht umschrieben worden. Die ältere Xantener Pfeilerplastik wurzelt aber noch im 13. Jahrhundert, d.h. die wird unserem Auge näher gebracht, ebenso wie die Statuen zu Naumburg und Bamberg. Sie ist auch trotz schmaler Schulter, flacher Brust und dem leichten Ausbiegen der Körper „statuarischer", d. h. erdenschwerer als die Kölner Pfeilerfiguren, sie hat nicht deren wunderbare Wellenbewegung, andere Haar- und Bartbehandlung, andere Faltengebung und nichts von der Liebenswürdigkeit des Gesichtsausdrucks dieser vornehmsten Gestalten des 14. Jahrhunderts in Deutschland. Wohl sind die Xantener Bildwerke im Gegensatz zu der Plastik von Naumburg und Bamberg dem architektonischen Rahmen des Innenraumes angepaßt, d. h. sie leben nicht, wie diese, für sich. Aber ihre ganze Gesinnung ist noch im vorausgegangenen Jahrhundert verankert. Das ist niederrheinische Schwere, die Breite und Raum liebt, die die Gewölbe des Xantener Domes nicht himmelanragend aufwachsen ließ wie in Köln und die noch blockhaft plastisch wie das 13. Jahrhundert ihre Statuen formt und nur zaghaft sich der weich geschwungenen S-Linie

der Gestalten des 14. Jahrhunderts anpaßt. Kommt nun weder Köln mit seinen Domchorpfeilerstatuen, noch die Steinplastik des Münsterlandes für die Herkunft der am Niederrhein vereinzelt dastehenden Xantener Arbeiten in Frage, so muß man sich schon nach Zusammenhängen mit dem Westen umschauen. Üblicherweise, und so auch in Köln, stehen in unseren Domen an den mittleren Chorpfeilern die' Statuen Christi und der Maria, um die sich die zwölf Apostel, die „Säulen der Kirche" reihen. Neben Christus auf der Epistelseite Petrus und dessen Bruder Andreas; neben Maria auf der Evangelienseite Johannes und dessen Bruder J a k o b u s d. Ä . ; dann zu beiden Seiten die übrigen Apostel. In Xanten aber fehlen Christus und einer der Jünger. Dafür sind die Gruppen der Verkündigung und der Heimsuchung aufgenommen worden. Sie sind der Mittelpunkt der Anordnung, stehen aber nicht im Chor, sondern an den Pfeilern, deren Bogen zu dem nördlichen Nebenchor führt (Bild S. 58). Damit ergibt sich eine Umgruppierung der Apostel: westlich der beiden Mariengruppen steht Thomas; östlich die beiden Apostelfürsten Petrus und Paulus; an den mittleren Chorpfeilern Johannes undAndreas; weiter auf der Epistelseite Philippus, J a k o b u s d. Ä., J a k o b u s d. J . , ein anderer Apostel, Bartholomäus und, Thomas auf der Evangelienseite gegenüber, Matthias. In St. Yved de Braisne ist das nördliche Nebenchörchen der Maria geweiht. Den entsprechenden Zugang aus dem Hauptchor zu Xanten schmücken die beiden Mariendarstellungen. Man hat daher die Pfeilerplastik aus Frankreich herleiten wollen, wie die Statuen am Westportal der Liebfrauenkirche zu Trier der nordfranzösischen Welt entstammen. Der untere Niederrhein ist aber geographisch anders orientiert zu Frankreich als Trier. Flandern, Brabant und das Maastal legen sich zwischen beide. Die Beziehungen waren nie unmittelbarer Natur, und bei den großen Verlusten der südlichen Niederlande durch den Bildersturm vom Jahre 1566 ist die Frage der künstlerischen Zusammenhänge nicht ganz einfach zu beantworten. Daß es sich bei der „übernationalen" Baukunst der Gotik nie um wörtliche Entlehnungen aus Frankreich gehandelt hat, sondern um selbständige Umbildung, dem Charakter von Landschaft und Menschen entsprechend, zeigen die Dombauwerke zu Köln und Xanten. Das wird auch für die monumentale, architektonisch gebundene Plastik gelten. Indirekte Beziehungen zu Frankreich durch die Vermittlung Kölns und des Maastales haben freilich auch in Xanten stattgefunden. Elfenbeinreliefs und Elfenbeinmadonnen mögen den geschwungenen diagonalen Faltenwurf der Madonna der Verkündigung oder das Profil der Madonna der Begegnung beeinflußt haben. Der Engel der Verkündigung in X a n t e n verrät auch, daß es sich um eine fremde Entlehnung handeln muß (Bild S. 62). Dem malerischen Faltenmotiv zuliebe, das nicht Erfindung des Xantener Meisters war, kommt eine Unklarheit in den Aufbau. Wo setzt das rechte Bein an ? Aber aus diesen äußerlichen Anregungen durch Werke beweglicher Kunst sollte man für die Monumentalplastik keine bindenden „Schulzusammenhänge" konstruieren. Auch in der Gruppe der Begegnung möchte man in Einzelheiten Entlehnungen feststellen; diese Entlehnungen sollen auch gar nicht in Abrede gestellt werden. Aber als Ganzes steht die Xantener Begegnung einstweilen noch für sich. Die Gruppe ist in ihrer wunderbaren Geschlossenheit, trotz Ubermalung und Beschädigung und nicht immer sorgfältiger Einzelbehandlung (was j a so leicht auf Entlehnungen schließen läßt) 64

P F E I L E R STATU EÌV. D I E MADONNA DER V E R K Ü N D I G U N G

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KONSOLEN DER CHORPFEILERSTATUEN

von einer dramatischen Größe, die in der Tat in Deutschland in derselben Zeit ihres gleichen sucht; und sie ist, trotz veralteter Einzelzüge, wegen des starken Stimmungsgehaltes wohl schon der Mitte des 14. Jahrhunderts nahezusetzen. Das ist freilich rein persönliche Abschätzung, so wie ich die konservative Formentwicklung in meiner niederrheinischen Heimat und Land und Leute meines Schlages zu kennen glaube. In der Kölner wie in der Xantener Chorpfeilerplastik ist der Durchbruch einer heimischen Formensprache zu verfolgen; und zwar redet man in Köln kölnisch; niederrheinisch wie das breite Dominnere reden auch in Xanten die Apostelstatuen. Glaubt man nicht, den Gestalten schon einmal in Wirklichkeit am Niederrhein begegnet zu sein? In der Ummantelung veralteter Formen äußert sich hier der Wirklichkeitssinn des Landes. Der Vergleich mit der mondain eleganten Kölner Domchorplastik ist charakteristisch. (Anm.) Abgesehen von dem starrblockmäßigen der Apostelgestalten redet auch die Kopf-, Haar- und Bartbehandlung in ihrer Schnittigkeit oder geriffelten oder gekräuselten Durcharbeitung von der altertümelnd konservativen Einstellung niederrheinischer Kunst. Man könnte an Entlehnungen von Metallarbeit denken. Der lange Hals des Johannes wirkt wie Treibarbeit (Bild S.61). Hier liegen auch höchst wahrscheinlich Zusammenhänge vor. Kein Land der mittelalterlichen Kunstgeschichte hat einen solchen Reichtum an Reliquienschreinen und anderen Metallarbeiten mit figürlicher Plastik aufzuweisen, wie das Gebiet zwischen Niederrhein und Maas — Xanten, Kaiserswerth, Deutz, Köln, Siegburg, Aachen, Maastricht, Stavelot, Visé, Huy usw. Und wie die Figuren des Viktorschreines zu Xanten vom Jahre 1129 verwandt 66

KONSOLEN DER CHORPFEILERSTATUEN

sind denen der berühmten Holztür an St. Maria im Kapitol zu Köln, so werden sich auch spätere Formbeeinflussungen nachweisen lassen. Man sollte diesen Zusammenhängen einmal genauer nachgehen. Hat es im übrigen nicht den Anschein, als wenn einige der Apostelköpfe später überarbeitet worden wären, der vielleicht dadurch zu klein geratene Kopf des Matthias und der des Johannes ? (Bild S. 59, 61.) Zeitlich folgen am nächsten Pfeilerpaar die Heiligen V i k t o r und H e l e n a (Bild S.68, 74, 75). Eine andere Welt tut sich auf. Der ernste, oft mürrische Zug der Apostel ist verflogen. Breit sind die lächelnden Gesichter mit den kleinen Augen und dem spitzen Kinnbuckel, die Locken plastisch herausgearbeitet und zur Seile gestrichen. Die kunstgeschichtliche Einreihung der beiden Statuen ist weniger schwierig als die der Apostel. Das etwa gleichzeitige Grabdenkmal des Grafen Arnold von Kleve und der Gräfin Ida in der Klever Stiftskirche, ehemals in der Prämonstratenserklosterkirche zu Bedburg bei Kleve, zeigt eine auffallende Verwandtschaft, ebenso das Grabmal der Grafen Gottfried und Otto von Kappenberg in der ehemaligen Prämonstratenserkirche zu Kappenberg. Diese Verwandtschaft ist leicht erklärt. Die Beziehungen zwischen Xanten und Kappenberg sind uralt. Gräfin Emeza von Kappenberg, angeblich die Tochter Karls des Großen, war die besondere Gönnerin des Viktorstiftes. Ihr verdankt es den großen Länderbesitz bei Dorsten in Westfalen. Der im Jahre 1082 in Xanten geborene und dort als Stiftsherr tätig gewesene heilige Norbert verband von neuem Haus Kappenberg mit Xanten. Er ist der Gründer des Prämonstratenserordens. Seine Freunde Gottfried und Otto von Kappenberg und Arnold von Kleve ("j" 1126 u. 1150) stifteten die Ordensniederlassungen zu Kappenberg und Bedburg. Die Mitte des 14. Jahrhunderts 67

setzte ihnen die schönen Grabdenkmäler. Daran reihen sich verwandte Grabdenkmäler des Grafen Otto von Ravensberg mit Frau und Kind in der Marienkirche zu Bielefeld, und in der Elisabethkirche zu Marburg das des Landgrafen Heinrich I. und das Doppelgrab der Otto und Johann von Hessen. Die Dargestellten wirken mehr stehend als liegend, plastisch herausgearbeitete Figuren. Wie Portal- und Pfeilerstatuen zeigen sie reiche architektonische Einrahmung, über den Häuptern Baldachine oder Wimperge. Auch die Dargestellten waren untereinander verwandt: Heinrich I., erster Graf von Hessen aus dem Hause Brabant (f 1308), war vermählt mit Mechthildis von Kleve; Otto von Hessen (f 1328) mit Adelheid, der Tochter des in der Bielefelder Kirche beigesetzten Otto von Ravensberg (f 1305). In diese Gruppe gehören auch die Xantener Dompfeilerstatuen der Heiligen Viktor und Helena. Die Helena zeigt freilich ein reicheres Spiel von Horizontal- und Vertikalfalten als die Gräfin Ida auf dem Bedburger Grabmal. Das ergibt sich aus dem Tragen des Kirchenmodells und des Kreuzes. Dafür hätten wir seit der „Vierge dorée" in Amiens am Rhein wie an der Maas zahlreiche Parallelen in Madonnendarstellungen. Man vertausche Kirchenmodell und Kreuz mit Christusknaben und Szepter! Das nächste Gegenstück für Xanten wäre das Marienbild im Kunstgewerbemuseum zu Köln. Die Helena- wie Viktoriastatue gehen auf gleiche Anregung zurück. Es handelt sich um eine Gruppe plastischer Arbeiten des 14. Jahrhunderts, die freilich ihren Ausgang nahm von französischen Madonnendarstellungen und französischen Grabdenkmälern, die sich aber wandelte auf ihrem Weg über Lothringen und das Maastal an den Niederrhein, nach Hessen und Westfalen (Anm.). Das Maastal ist die natürliche Verbindung der Niederlande und des Niederrheins nach Frankreich (Anm.). Dem Jahrhundert der Viktor- und Helenastatuen gehören noch an die H e i l i g e n f i g u r e n über den seitlichen Lettnerausgängen im Chor zu Xanten. An der Südseite über der Tür die Heiligen Stephan und Barbara, daneben über Baldachinen die Heiligen Laurentius, Apollonia, Servatius von Maastricht und Agnes (Bild S. 69, 137). Die vier letzten Statuen und Baldachine stammen von M a g i s t e r J a c o b u s l a p i c i d a , dem damaligen Dombaumeister, 1360 und 1361. Verwandt sind die Statuen auf der gegenüberliegenden Seite, Johannes der Täufer und die Heiligen Katharina, Cäcilia und Martinus. Neben Magister Jacobus lapicida wird im Jahre 1360 noch angeführt „sein Genosse, der andere Steinmetz". Das ist, wie wir aus Rechnungsbelegen wissen, sein Bruder „Magister Henricus de Moguntia", M e i s t e r H e i n r i c h v o n Mainz, der in Jacobus' Abwesenheit die Bauaufgaben leitete (s. S. 21). „Vielleicht erklärt der Mainzer Ursprung des Meisters die Sonderstellung dieser zehn Figuren" (Eugen Lüthgen). Sie heben sich auch von den bisher behandelten Pfeilerfiguren ab, gedrungen untersetzte Gestalten. Die Ausführung ist mehr handwerksmäßig, der künstlerische Wert nicht sehr hoch, ebenso bei der verwandten Gruppe der V e r k ü n d i g u n g über dem Domportal im K r e u z g a n g , die einige wenige Jahre jünger sein mag. Interessanter ist aber der Schmuck des gotischen D r e i s i t z e s vom Ausgange des 14. Jahrhunderts an der Südseite im Chor, ein zierlich schönes Werk (Bild S. 71, 136). Vier freistehende Säulen tragen den Aufbau, krabbenbesetzte Wimperge über den Spitzbogen der Säulen, dazwischen Fialen. Die vier Wasserspeier des Dachaufbaus sind Evangelistensymbole. In den Wimpergen sind drei sitzende gekrönte Frauen

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dargestellt: in der Mitte die Gottesmutter mit dem Christusknaben, rechts eine Frau mit Buch und Kelch, links nur mit einem Buch, an den Schmalseiten David und Salomo. Aber wie sind diese Gestalten später behandelt worden! Ein roher Ölanstrich läßt die einstige Schönheit der Fig uren nur noch ahnen. Ein viel weicherer Faltenzug ist ihnen eigen, als den Statuen der Magister Jacobus und Heinrich. Zum Schluß das H o c h k r e u z vom Jahrhundertausgang im Garten des Kreuzganges (Bild S. 39,41). Zierlich wie Goldschmiedearbeit an Turmreliquiaren der Oberbau mit Fialen, Strebebogen und musizierenden Engeln unter Baldachinen an den Ecken. Immer kehrt wieder die Erinnerung an Goldschmiedearbeit! Im Untergeschoß in Hochrelief die Gestalten der Heiligen Michael, Helena, Viktor und Christopherus. Darüber viermal dieselbe Kreuzigungsgruppe. Aber leider nur eine ergänzte Kopie vom Jahre 1903. Das stark verwitterte Original des Hochkreuzes bewahrt seitdem das Provinzialmuseum zu Bonn (Anm.). An den vier westlichen Chorpfeilern des Domes stehen die K i r c h e n v ä t e r Ambrosius und Gregorius, Augustinus und Hieronymus (Bild S. 74—77,81,82). Hier endigt die eigentliche Stiftskirche der Kanoniker. Westlich vom Lettner die Gemeindekirche der Laien. Auch hier ist am ersten westlichen Pfeiler der Evangelienseite ein Muttergottesbild der Mittelpunkt der plastischen Ausstattung (Bild S.86). Gegenüber am ersten westlichen Pfeiler der Epistelseite, am Südportal, und auch beim Eintritt durch das Westportal die erste Begrüßung neben dem Anblick der Madonnenstatue, der Christophorus mit dem Christusknaben, denn der gläubige Anblick des Heiligen beim Betreten des Gotteshauses bewahrt vor plötzlichem, unvorbereitetem Tode (Bild S. 87). Auf der Evangelienseite nahen sich der Madonna verehrungsvoll zwei der heiligen drei Könige (Bild S. 99). Der Mohr steht auf der Epistelseite dem Heiligen Christophorus gegenüber. Die drei folgenden Pfeiler bis zum Lettner besetzen die Heiligen Martinus, Cornelius und Viktor; den Patron des Domes wollte man auch in der Gemeindekirche nicht missen. Die Aufstellung der Statue des heiligen Hieronymus wird 1470 erwähnt, die Anfertigung der Heiligen Ambrosius und Viktor 1486, der heilige Martinus 1488, die Madonna 1496, die beiden ersten der heiligen drei Könige 1551. Das 15. Jahrhundert ist ein Zeitalter materiellen und künstlerischen Aufschwungs, wie ihn das niederrheinische Land kaum ein zweites Mal erlebt hat. 1417 war Kleve Herzogtum geworden. Herzog Adolf ( f 1448) hatte Maria von Burgund heimgeführt, die Tochter Johanns des Unerschrockenen (1404—1419), die Enkelin Philipps des Kühnen (1361—1404), der durch seine Heirat mit der Erbtochter des Grafen von Flandern den Grund legte zur Herrschaft des Hauses Burgund in den Niederlanden. Der Hof zu Burgund in Dijon mit Claus Sluyter und anderen Meistern war eine einzigartige Sammelstätte der bildenden Künste nördlich der Alpen geworden. Unter Johann dem Unerschrockenen und dessen Nachfolger Philipp dem Guten (1419 bis 1467) hatte Burgund den Höhepunkt seiner Macht erreicht; Brabant, Limburg, Holland, Seeland, Hennegau und Luxemburg waren mit ihm vereinigt; Brügge und Gent ebenso blühende Handelsstädte wie ausstrahlende Kunstzentren. Johann I. von Kleve (f 1481), Adolfs Nachfolger, war am burgundischen Hof erzogen worden und mit Elisabeth von Burgund vermählt. Johann II. (f 1521) hatte ebenfalls seine Jugend am Hofe zu Burgund verlebt. So öffnete sich der Klever Hof der Prunk- und Kunstliebe 72

von Burgund. Unter Herzog Adolf entstand um die prächtig ausgebaute und reich ausgestattete Schwanenburg zu Kleve weit im Lande die Fülle niederrheinischer Schloßbauten und Burgen. Unter den beiden Johann, echten Renaissancemenschen, setzte sich mehr und mehr der Einfluß flandrischer und brabanter Kunst im Klever Lande durch, und die alten künstlerischen Beziehungen zu Köln lockerten sich. Das Vorbild des Hofes wirkte sich auch auf die klever Städte aus. Duisburg, Emmerich, Hamborn, Kalkar, Kleve, Kranenburg, Rees, Wesel und Weeze erhielten damals ihre typisch niederrheinischen Kirchenbauten. Bruderschaften und Gilden wetteiferten miteinander, sie mit Altären und Bildwerken auszustatten. Kalkar, Rees und Wesel sahen ihre bürgerstolzen Rathäuser erstehen. Im Mauerring der Städte wuchsen imposante Stadttore auf. Die Straßenzüge füllten sich mit Backsteinhäusern und erhielten damit ihr charakteristisches niederrheinisches Gesicht. Unter Johann III. sind 1521 die niederrheinischen Herzogtümer Kleve, Jülich und Berg, dazu die Grafschaften Mark und Ravensberg in einer Hand vereinigt. Welch eine Stellung gegenüber den Erzbischöfen von Köln! Ein Königreich am Niederrhein. Johanns III. Nachfolger nennt daher die Geschichte Wilhelm den Reichen (f 1592). Seine Klever Burg war eine Pflanzstätte des Humanismus geworden. Die Zeit dieser Herzöge von Kleve ist die Blüte der Bildnerei am Niederrhein, die man nach dem Reichtum der Nikolaikirche zu Kalkar — aber man darf nicht den Verlust der anderen niederrheinischen Städte durch den Bildersturm vom Jahre 1566 übersehen — gewöhnt ist, „Kalkarer Schule" zu nennen. Mit M e i s t e r H e i n r i c h B l a n k e b y l s Viktorsstatue vom Jahre 1468 außen am Kapitelsplatz an der Bannita beginnt nach rund hundertjähriger Pause der neue Schmuck der Steinbildnerei in Xanten (Bild S. 140). Die Statue ist noch spätgotisch befangen, zeigt aber statt gotischer Eckigkeit schon das feste Stehen der Renaissancegestalten. Der zwei Jahre jüngere heilige Hieronymus von 1470 wächst darüber hinaus (Bild S. 80). Statt der verträumten Züge des Viktors an der Bannita ein durchgeistigtes Gesicht, tiefliegende Augen, durchfurchte Stirn, scharf betontes Kinn. Die Viktorsstatue im Dom vom Jahre 1486 zeigt den Abstand von Blankebyls Viktorsstatue noch klarer, dieses ganz andere Fassen und Halten von Schild und Lanze, ein Schreiten, das dröhnt, das durchwühlte Gesicht eines echten Renaissancebandenführers (Bild S. 79). Und schließlich die durchgearbeiteten Köpfe der Heiligen Ambrosius und Gregorius, glaubensfeste, unbeirrbare, ausdrucksvolle niederrheinische Bauernköpfe, die aufmerksam unten den Vorlesungen der Domvikare auf den Lettnerkanzeln folgen, während ihre Hand den Text im Evangelium verfolgt (Bild S. 74—77). Kinn, Jochbein, Schläfe und Schädel scharf herausgearbeitet, tief die Furchen von der Nase zu den Kinnladen. Augustinus, Hieronymus und Cornelius weniger Kampfnaturen, als überlegene geistige Denker (Bild S. 79, 80, 82). Die schönste der Statuen ist die des heiligen Martinus (Bild S. 83, 85). Sie ist zeitlich wohl die letzte der Reihe und hat noch einen besonderen Reiz durch die Gestalt des Bettlers. Man vergleiche damit die 18 Jahre ältere Gruppe des Hieronymus mit dem Löwen (Bild S. 80). In dem malerischen Reichtum der Gewandbehandlung, der Eindringlichkeit plastischer Gestaltung und der Tiefe geistigen Ausdrucks stellt der ganze Zyklus dieser späteren Pfeilerplastik den Höhepunkt der Bildnerei des 15. Jahrhunderts am Niederrhein dar. Man kann ihr Auftreten nur allgemein mit der kulturellen Blüte im Herzogtum Kleve 78

und in den benachbarten Niederlanden erklären. Letzte Darstellung der Zusammenhänge, wenn sie seit dem Bildersturm überhaupt möglich ist, muß der Sonderforschung überlassen bleiben. Die malerische weiche Gewandbehandlung und der gesteigerte geistige Ausdruck burgundischer Kunst zeigen sich in der Klever Stiftskirche schon bei den Resten der schönen Seitenfiguren an der Tumba des Grafen Adolf von Kleve ( f 1394) und seiner Frau Margaretha von Berg ("{"1425). Das Denkmal ist erst nach dem Tode der Gräfin errichtet worden. Damals saß auf dem Stuhl der Herzoginnen von Kleve Maria von Burgund (Anm.). Aus diesen niederländisch-burgundischen Beziehungen entwickelte das Klever Land eine eigene Kunstblüte. Die Statuen der vier Kirchenväter und der drei folgenden Heiligen werden wohl das Werk eines Meisters sein. Man hat in ihm M e i s t e r J o h a n n v o n G o c h aus Wesel sehen wollen. Aber das geht keinesfalls bestimmt aus Stephan Beissels Quellenstudien hervor, der nur berichtet, daß „1488 Meister Johann von Goch für den Münsterstein, woraus das Bild des heiligen Martinus gemacht werden sollte", vier Mark erhalten habe. Johann von Goch wird dann noch im folgenden Jahre in Xanten erwähnt, aber ohne Angabe bestimmter Arbeit. Daß er aber aus Wesel stammt und dort tätig war, ist für die Zeit und unseren Zusammenhang nicht unwichtig. Aus Wesel kam auch Meister Heinrich Blankebyl, dann Meister Heinrich Bernts, der Schöpfer der Chorstüble und des Kronleuchters in St. Nikolai in Kalkar. Wesel war im 14. und 15. Jahrhundert eines der niederrheinischen Kunstzentren, der Stapelplatz des Münstersteines, den die Lippe stromabwärts aus dem Münsterlandc brachte. Eugen Lüthgen verweist auf ein reiches Urkundenmaterial für die künstlerische Bedeutung der Stadt im Staatsarchiv zu Düsseldorf. Aber das Bild läßt sich weiter nicht verdichten, denn was ist an plastischen Bildwerken der Zeit heute noch in Wesel erhalten ? Klarer ist das Bild der künstlerischen Bedeutung der beiden Nachbarstädte Kalkar und Kleve. Aus Kleve liefert 1496 Andreas Holthuys die Madonnenstatue für den nördlichen Westpfeiler des Xantener Domes. Aus Kalkar stammt Meister Heinrich Holt, der in den Jahren 1514—1517 den plastischen Schmuck der Schlußsteine besorgt, und Arnold von Tricht, der Meister der beiden heiligen drei Könige von 1551, ferner die Holzplastiker, die für den Dom zu Xanten tätig sind. A n d r e a s H o l t h u y s ' Madonna wird man nach der photographischen Wiedergabe sicherlich für eine Holzstatue halten. Haarringel wie das Gewand, dieser Wechsel großer Flächen und tiefer Unterschneidungen wirken, wie mit dem Messer aus dem Holz geschnitzt (Bild S. 86). Das ist bezeichnend für die Bildnerei der Zeit am Niederrhein. Die Hochblüte der heimischen Holzschneidekunst beginnt. Auch die farbige Madonna über dem nördlichen Lettnerausgang in Xanten könnte man für eine Holzplastik halten, ebenso den Christopherus, der Pfeilermadonna gegenüber (Bild S. 87). Der Typ der Lettnermadonna fällt wohl aus dem Vorstellungskreis niederrheinischer Kunst heraus, er könnte vielleicht auf süddeutsche Anregungen zurückgehen. Holthuys' wirkungsvoll schöne Madonna ist auch noch nach anderer Richtung charakteristisch für die Bildnerei am Niederrhein. Sie ist noch voller spätgotischer Erinnerungen, aber die hoheitsvolle Haltung läßt spätgotische Knitterigkeit nicht mehr zu Worte kommen wie früher und sucht Ruhe und Übersicht in den Reichtum der Gewandfalten zu bringen. Andreas Holthuys ist ein Meister der Ubergangszeit. 84

P F E I L E R STATT EN. D E R H E I L I G E MARTINUS

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KALVARIENBERG

Über den plastischen Schmuck des in den Jahren 1494—1509 ausgeführten Südportals war bei der Baugeschichte schon die Rede (s. S. 31f.). Wie der letzte Dombaumeister Johannes von Langenberg aus Köln sich in X a n t e n wandelte zu niederrheinisch-niederländischer Bauauffassung, so auch Johannes von Langenberg als Meister der Entwurfszeichnungen für den plastischen Schmuck des Südportals. Einheimisch niederrheinische Steinmetzen mögen seine ausführenden Mitarbeiter gewesen sein. Die Statuen der Evangelisten Petrus und Johannes zeigen in der gelockten Haarbehandlung typische Züge niederrheinischer Holzplastik (Bild S. 89). In den Jahren 1525—1536 erhielt das Südportal die wunderbare Einrahmung durch die vier plastischen S t a t i o n s b i l d e r und den K a l v a r i e n b e r g , ein Geschenk des Kanonikers Gerhard Berendonck (Bild S. 88—97). E r wohnte dem Südportal gegenüber, westlich neben der Michaelskapelle, und konnte aus seinem Fenster beobachten, wie die Fremden seine hochherzige Stiftung bewunderten. In jeder der fünf Szenen ist er selbst dargestellt. Am Kreuz des Herrn auf dem Kalvarienberg steht die Jahreszahl 1525, am letzten Stationsbild, der Auferstehung, 1536. Man muß, und so war es auch gedacht, die Kreuzigung in die geschichtliche Folge der vier übrigen Stationsbilder einreihen.

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SÜDPORTAL MIT STATIONSBILDERN. RECHTS KALVARIENBERG

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MARIA MAGDALENA U N D JOHANNES VOM KALVARIENBERG

Das Drama von Golgatha hat selten wieder eine so eindrucksvolle zusammenhängende Darstellung in der Bildnerei gefunden, nicht zum wenigsten durch verschiedene Umstände der örtlichen Gegebenheiten des Stiftsplatzes, durch die die künstlerische Vorführung erst recht zur Geltung kommt. Das Michaelstor der Eingang zu dem stimmungsvollen Freilichttheater (Bild S. 144); die Langseite des Domes, der breite Hintergrund, im Mittelpunkt das reiche Südportal, Ausklang und Erfüllung, der Erlöser mit den Evangelisten, zu Seiten der heilige Dompatron und die heilige Domstifterin (Bild S. 89). Man male sich nur einmal aus, wieviel reicher früher diese Hintergrundkulisse war (s. S. 36). Und schließlich die feierliche Ruhe, in der man ungestört den fünf Akten lauscht. Der Ö l b e r g (Bild S. 91). — Im Vordergrunde schlafend die drei Jünger, ausgezeichnet beobachtet. Behutsam beschleicht die Schar der Häscher die Szene, ausdrucksvolle Gestalten. Moment höchster Spannung. Im nächsten Augenblick muß sich das Bild ändern. Es ist sehr geschickt aufgebaut, der leicht verbindende Fluß der Linien des schlafenden Petrus, die Uberleitung der Johannes und Jakobus zu der Erscheinung des Engels und den einbrechenden Häschern. Im Mittelpunkt die klar umschriebene Silhouette des übernächtigten Herrn, auf den der Flug des Engels und die sich verständigende Handbewegung des Judas und des Ältesten hinweisen. Der Wirklichkeitssinn der niederrheinisch-niederländischen Bildnerei hat sich oft durch gesteigerten Ausdruck der Menschendarstellung und Uberhäufen der Szene 90

STATIONSBILDER. DIE VERSPOTTUNG

um die letzteWirkung gebracht. Hier aber weiß eine ordnende Hand durch die Klarheit und Geschlossenheit des Bildaufbaues uns den ersten A k t des Dramas anschaulich nahe zu bringen. E c c e h o m o (Bild S. 92, 93). — Pilatus schlägt den Mantel des Herrn zurück. Schreiender Lärm der höhnenden Menge erfüllt die Szene. Zwei Gestalten, die man später irrigerweise als Luther und Calvin deuten wollte, rahmen seitlich den Auftritt ein. Durch die Schrägstellung der beiden seitlichen Zugänge wird der Künstler Herr der Schwierigkeiten der Raumdarstellung. Im Hintergrunde die Szenen der Dornenkrönung und Geißelung wie ein Wandbild. Diese lastende Horizontale in der Schulterhöhe des Herrn neben Pilatus läßt den Gemarterten noch erbärmlicher erscheinen. Die K r e u z i g u n g zwischen Michaelstor und Südportal des Domes (Bild S. 88). — „Es ist vollbracht." Ängstlich fragend schaut Johannes mit geöffneten Lippen hinauf zu dem Gekreuzigten. In seinen Armen bricht ohnmächtig die Mutter zusammen (Bild S. 94, 96). Ergreifendes Bild, man denkt an Grünwald. Rechts vom Kreuz naht schluchzend verweint die reich gekleidete Maria Magdalena. Dahinter kniet die schöne Statue des Stifters (Bild S. 97). Zu Füßen des Herrn hat er später seine letzte Ruhe 92

STATIONSBILDER. SCHLAFENDER K R I E G S K N E C H T AUS DER AUFERSTEHUNG UND MARIA MAGDALENA AUS DER GRABLEGUNG

gefunden. Leider hat 1771 ein grauer Ölfarbenanstrich den Kalvarienberg, wie die übrigen Stationsbilder, um ihre einstige farbige Schönheit gebracht. Und heute nagt besorgniserregend die Verwitterung an den Gestalten des Kalvarienberges wie an den plastischen Gliederungen des Südportals. Für die G r a b l e g u n g lag dem Künstler ein überliefertes Schema vor, dem wir des öfteren in rheinischen Kirchen begegnen (Bild S. 9 4 b ) . Aber die Linienschönheit der Leidtragenden hebt das Xantener Bildwerk vor allen anderen rheinischen Arbeiten hervor. Die A u f e r s t e h u n g schließlich, zeitlich auch das letzte Werk, ist trotz gotischer Wölbung des Raumes und gotischer Zierformen des Sarkophages am stärksten durchtränkt von neuer Formauffassung der Renaissancekunst (Bild S. 94a). Uber den Meister der fünf Bildwerke wissen wir leider nichts. Wir haben am Niederrhein wie in den Niederlanden undWestfalen zeitlich kein gleich bedeutsames Gegenstück zu seinemWerk. Das erste Stationsbild stand ursprünglich auf dem Stiftsfriedhof, d. h. vor der Westfassade des Domes. 1553 wurde es an die jetzige Stelle übertragen. Stephan Beissel bringt in dem Zusammenhang die interessante Rechnungsnotiz, daß „dem M e i s t e r A r n o l d v o n T r i c h t und seinen beiden Gesellen aus K a l k a r und dem J o h a n n Michaelis, die an dem Bilde des Herrn arbeiteten, es erneuerten und in die Mauer des Herrn Robert Wachtendonck setzten, für l 1 / 2 T a g zusammen 1.50 Mark" gezahlt wurden. Arnold von Tricht, „ein Bürger von K a l k a r " , der Meister des schönen Johannesaltars dort, arbeitete damals an den Statuen der zwei der heiligen drei 94

Könige für die Mittelschiffspfeiler in Xanten (Bild S.99). 1552 schuf er im Kreuzgang das Epitaphium des Theoderich Luthgeri, 1555 die Steinstatuen der Heiligen Viktor, Mauritius und Gereon über der kleineren östlichen Südtür des Domes — die Originale heute im Inneren des Domes und an Ort und Stelle durch Kopien ersetzt — und endlich 1556 für den Bronzeleuchterbogen vor dem Hochaltar die Madonnenstatuette (Bild S. 128). Was der Meister der Berendonckschen Stationsbilder noch an gotischen Erinnerungen in seine Kompositionen einfließen ließ, ist nun ganz überwunden. Der Schmuck der Figurensockel und Baldachine redet deutlich davon. Die Zeit verfügt über alle Darstellungsmittel körperlichen Gestaltens und stofflicher Wiedergabe. Der Mohr unter den heiligen drei Königen, der zwar nicht von Arnold von Tricht zu stammen braucht, ist glänzend charakterisiert (Bild S. 99 a). Die beiden anderen Könige sind repräsentative, reich gekleidete niederrheinisch-niederländische Fürsten der Renaissance (Bild S. 99 b). Noch deutlicher als bei diesen beiden schreitenden Königen aus dem Morgenlande kommt bei den stehenden Heiligen Viktor, Mauritius und Gereon das neue Körpergefühl zum Ausdruck. Man denkt an Fürstenstandbilder des 16. Jahrhunderts. Arnold von Tricht stellt den Gipfelpunkt der niederrheinischen Bildnerei seit Beginn des 15. Jahrhunderts dar. Die reiche äußerliche Behandlung der Statuen weist aber schon auf den kommenden Ausgang der Entwicklung. Die Bildnerei verliert sich in Dekoration. Aus den Freiplastikern werden dekorative Bauplastiker (Anm.). Eine einzigartige Sammlung ist auch der Wandschmuck des stimmungsvollen Kreuzganges. 40 E p i t a p h i e n der Kanoniker und Domvikare vom Ausgange des 15. bis zum 18. Jahrhundert. Es sind die Miniaturen der Xantener Monumentalplastik und trotz ihres oft arg beschädigten Zustandes höchst bedeutungsvoll für die Erforschung der Zusammenhänge niederrheinischer Bildnerei, vor allem des 16. Jahrhunderts. Noch einmal zieht übersichtlich die ganze Entwicklung an unserem Auge vorüber. Darstellungen von gotischer Gebundenheit in schwerer Architekturumrahmung oder leichtem spätgotischen Stabwerk; die Freude an den zierlich reichen Gliederungen der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit Laubwerk, Balustersäulen, Kartuschen, Muscheln, Putten, Bockskerlen, Delphinen und groteskem Pilasterschmuck, wie ihn oberitalienische Kunst auf dem Wege über die Niederlande vermittelte; schließlich die klassizistisch strengere Einrahmung der Spätzeit des Jahrhunderts mit exakt gezeichneten Gebälken und Profilen, antikisierenden Säulen und Karyatiden, Ausstrahlungen der benachbarten Schule des Colyne de Nole in Utrecht oder der Florisschule zu Antwerpen (Anm.). Die beiden letzten Steinbildnereien in Xanten, der S a k r a m e n t s a l t a r von 1667 im Mittelschiff vor dem gotischen Lettner und diesem glücklich angepaßt (Bild S. 119), und das S a k r a m e n t s h ä u s c h e n von 1714 im Chor mit modisch weltlich gekleideten Heiligengestalten sind typische südniederländische dekorative Stücke der Zeit (Bild S. 128). Der Altar stammt von M e i s t e r J o h a n n B a d i s B u i s aus Antwerpen. Flandrischer Herkunft sind auch die meisten der übrigen späteren Altarwerke.

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MARIENALTAR. WURZEL J E S S E DER PREDELLA

3. A L T Ä R E Der Viktorsdom besitzt noch immer seine alten 24, in der Hauptsache holzgeschnitzten Altäre. J e d e Gilde oder Bruderschaft verehrte ihren eigenen Altarpatron. Die Schiffer beteten vor dem Nikolausaltar, die Schreiner vor dem Thomasaltar, die Sticker und Schneider vor dem Annenaltar, die Schuster vor dem Crispinus- und Crispinianusaltar, die Schützen und Weber vor dem Altare der Heiligen Severus und Sebastianus, die Bäcker vor dem Stephanusaltar, und das Landvolk, wegen der Schweinemast, zum heiligen Antonius. So entstand seit der zweiten Hälfte des 15. J a h r hunderts eine Massennachfrage nach Schnitzaltären, die nur durch fabrikmäßige Herstellung befriedigt werden konnte. Brüssel, Mecheln, vor allem aber Antwerpen waren damals Handelszentren blühender „Kirchlicher Kunstanstalten", die weit nach Frankreich, England, Skandinavien und den Ostseeländern exportierten. Daß der benachbarte Niederrhein von Antwerpener Schnitzaltären, erkenntlich an der eingebrannten Handelsmarke einer ausgestreckten Hand, dem Zeichen der Antwerpener St. Lukasgilde, geradezu überschwemmt wurde, liegt nahe. Die Anzahl der heute noch erhaltenen Antwerpener Altäre am Niederrhein wird der in den Niederlanden wohl kaum nachstehen (Anm.). Auch der Xantener Dom bestellte in einer Antwerpener Werkstatt einen A l t a r a u f b a u , den M ä r t y r e r a l t a r von 1525 (Bild S. 101, 107). Ganz unvermeidlich tritt bei den sich wiederholenden Darstellungen der Massenanfertigung in den Antwerpener W e r k s t ä t t e n das persönlich gestaltete Kunstwerk zurück; und doch hat handwerkliche Geschicklichkeit diese Exportware nicht um ihren künstlerischen Reiz gebracht. Bei dem Märtyreraltar bringt die Mittelachse —• unten in der Predella die Reliquienbüste, die ausdrucksvollste und schönste Arbeit am ganzen Altar, oben die über die Seitenstücke hinausragende Kreuzigungsgruppe, darüber die Christophorusstatue — Ordnung in die an sich wenig übersichtliche 100

Anhäufung der Szenen, die der Reichtum an geschnitzten Baldachinen noch verwirrender gestaltet. Unten seitlich der Reliquienbüste die Statuetten der Heiligen Viktor und Gereon, daneben das Martyrium des heiligen Erasmus und der 10000 Krieger. Über der Reliquienbüste J e s s e mit vier Propheten. Aus seinen Lenden wächst der S t a m m b a u m auf und berankt mit den Bildnissen der Könige die Kreuzigungsszene bis hoch oben zu dem sitzenden Bild der Madonna. Die Geburt des Herrn, die Beschneidung, die Anbetung der Könige und Darstellung im Tempel rahmen den schlafenden J e s s e ein; Kreuztragung und Kreuzabnahme, darüber die Kreuzigungsgruppe. Die gemalten Tafeln der seitlichen Klappflügel holen weiter aus in der Darstellung der Passionsgeschichte und bringen sie zum Abschluß. Der M a r i e n a l t a r vom J a h r e 1536 von H e i n r i c h D o u v e r m a n n aus Kalkar, unmittelbar östlich hinter dem Märtyreraltar im südlichen Seitenschiff, lehnt sich ganz an das Vorbild der Antwerpener Exportaltäre an (Bild S. 103—106): das aufsteigende Pfostenwerk, das mit seinen Säulenbündeln und Statuetten unter Baldachinen das Mittelstück einrahmt ; die kastenförmige Aufteilung des Altars für die einzelnen Szenen mit betontem wagerechtem Abschluß ; die plastische Raumdarstellung mit ansteigendem Boden; die Wurzel Jesse, die sich mit den Bildnissen der Könige bis hoch oben zur Madonna hinrankt; schließlich die gemalten Tafeln der Klappflügel, die in ähnlicher Weise wie beim Märtyreraltar die Geschehnisse der plastischen Darstellungen ergänzen. Die Einzelstatue der Madonna und das herausragende Mittelstück des Altaraufbaus, bekrönt mit der Statue der Himmelskönigin, betont wieder die Mittelachse und damit die eigentliche inhaltliche Idee des Altars. Der belesene Eugen Lüthgen führt noch andere interessante Hinweise auf Zusammenhänge mit flandrischen Altären an. Und doch, was besagen schließlich alle diese Hinweise gegenüber der künstlerisch persönlichen Tat Douvermanns! Ist nicht die Geschichte griechischer Tempelplastik die Geschichte der formalen Weiterentwicklung gleicher Darstellungsthemen, denen der feste Rahmen des Giebels vorgeschrieben war ? So hält auch Douvermann sich an einen übernommenen Rahmen für seinen Altaraufbau, wie auch die thematische Folge der einzelnen Szenen der Überlieferung entspricht. Aber wie er diesen Dingen eine eigene Darstellungs- und Ausdrucksweise verleiht, das macht seine große künstlerische Bedeutung in der Geschichte der niederrheinischen Bildnerei aus! Der Liebfrauenaltar in der Stiftskirche zu Kleve, den Heinrich Douvermann 1510 begonnen und den ab 1513 J a k o b Dericks vollendet hat, ist, auch in der Einzelform, noch gotisch-niederländisch befangen. Douvermanns Kalkarer Altar der Siebenschmerzen der Madonna von 1521, in A u f b a u und Aufteilung auf das engste verwandt mit dem Xantener Marienaltar, sieht ihn auf dem Wege der persönlichen Neugestaltung. Das Xantener Altarwerk ist sein stärkster künstlerischer Ausdruck. Heinrich Douvermann ist der letzte der spätgotischen Meister von Kalkar, aber auch der stärkste Erneuerer formalen und seelischen Gestaltens der niederrheinischen Holzschnitzerei im Zeitalter der Renaissance (Anm.). Was hat er, im Gegensatz zu den Antwerpener Altären, aus der Wurzel Jesse gemacht ? Dort in einem Kasten der schlafende Stammvater mit den vier Propheten (Bild S.101). Hier dagegen nimmt die Wurzel den ganzen Altaruntersatz ein, ein Geäst 102

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MARIENALTAR

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MARIENALTAR. TEIL AUS DER WURZEL J E S S E DER PREDELLA

M ARI E N A L T A R . T E I L A l S D E R W U R Z E L J E S S E D E R P R E D E L L A

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und Rankenwerk, handwerklich eine der größten Bravourleistungen deutscher Holzschneidekunst v o n einer kalligraphischen Schönheit eines kunstvollen Schlußschnörkels unter einem wichtigen Staatsakt der Barockzeit (Bild S. 100, 104, 105). Man glaubt eher an Metallarbeit denn an Schnitzarbeit. Douvermanns Virtuosität ringt dem Eichenholz die phantastischsten Kleingebilde ab. Aus den verschlungenen Ranken lugen drei prächtige, rundplastische, reichgekleidete Renaissancegestalten, Jesse und seitlich D a v i d und Salomo. Den kleineren Ranken entwachsen, mit verblüffender Ungezwungenheit und Feinheit dem rollenden Linienzuge angepaßt, sieben weitere Propheten- und Königsbilder. Das Auge sucht in dem Märchengebilde des Rankengärtleins nach neuen Überraschungen. Und nun rankt der Stammbaum, wieder im Gegensatz zu den Antwerpener Arbeiten, um den ganzen Altar in der Hohlkehle seines Rahmens hoch. Die Knospen haben sich zu breitem Blattwerk entfaltet. Auch hier bewundert man, mit welcher Geschicklichkeit die Propheten- und Königsbilder sich mit dem Blatt- und Rankenwerk verbinden, und den abwechslungsvollen Reichtum der einzelnen Gestalten (Bild S. 106). Im ganzen ist das Rankenwerk des Stammbaumes, wie das der einzelnen Szenen aus dem Marienleben und das vertikale Stabwerk des mittleren Altaraufbaus noch voll gotischer Erinnerungen, aber die Einzelheit des Schmuckes ist diktiert von der lebensvollen Frische der Frührenaissanceformen des Niederrheins, eng verwandt natürlich flandrischen Formen, die mit der Lombardei zusammenhängen. Uber den spitz zulaufenden Rahmenenden der drei Altarteile schlägt der Stammbaum neue Ranken. Sie umspinnen über dem Mittelstück das Postament der Himmelskönigin, links und rechts die Szenen der Sybille mit Kaiser Augustus und des Engels mit Johannes dem Evangelisten. An den vertikalen Pfosten des Altarmittelstücks umstehen Johannes und Maria Magdalena mit je zwei Engeln die Madonnenstatue. Uber ihr sind Tod und Krönung der Gottesmutter dargestellt. Die Szenen des linken Altarteiles unten beginnend: Joachims Opfer zurückgewiesen, die Geburt Marias und der Tempelgang; rechts: Verkündigung, die Begegnung der beiden Frauen und ein „ikonographisches Rätsel". Die plastischen Szenen sind aber nicht von einer Hand. Douvermann bediente sich zu dem vielgestaltigen Altarauftrage der Mitarbeit von Gesellen. Von ihm selbst werden wohl nur die plastischen Arbeiten des mittleren Altarstückes stammen, Tod und Krönung der Maria. Die Marienstatue wurde später durch ein neues Werk ersetzt. Die Szenen links und die oberste Szene rechts heben sich deutlich von Douvermanns eigenen Arbeiten ab. Der Vergleich der beiden Schlafzimmerdarstellungen der Geburt und des Todes der Gottesmutter zeigt am anschaulichsten den Unterschied in der Raumgestaltung, Komposition, Körper- und Gewandbehandlung und Charakterisierung der Dargestellten. Wir wissen nicht, wer Douvermanns Mitarbeiter der linken Szenen war, wohl aber darf man für die beiden unteren Szenen rechts, Verkündigung und Heimsuchung, D o u v e r m a n n s S o h n J o h a n n e s , der in den Xantener Rechnungen auch als „statuarius" genannt wird, als Schöpfer annehmen (Bild S.106b). Die beiden Arbeiten haben wenig gemein mit dem Stil des älteren Douvermann, aber auch nicht mit den gedrängten, schmalbrüstigen Gestalten des linken Altarteiles. Geziert die Frauen der Begegnung, stürmisch der Vorgang der

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M A R T I N I S A L T A R I ND A N T O N I l SALTAR

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Verkündigung. Johannes Douvermann ist ein ganz anders geartetes Temperament als der Vater. Die aufgewirbelten Gewandfalten sind das Echo der bewegten Darstellung. Die Raumgestaltung und Raumausstattung, das plastische Verhältnis der beiden Figuren zum Raum und das „nasse Gewand", das den Körper plastisch durchmodelliert, alles weist wieder auf lombardische Einwirkung hin, die niederländische Romanisten, vor allem Antwerpener Maler vermittelten. Die gemalten Klappflügel des Altars schuf um 1550 der Antwerpener Meister R u d o l p h L o e s e n . Die geographische Lage des Niederrheins hatte aber vielerlei Verbindungen, durch die Lippe nach Westfalen, durch den Rheinstrom nach Süddeutschland. Douvermanns Marienaltar ist übrigens der einzige der Xantener Altäre, der das Antwerpener Altarschema übernommen hat. Die anderen zeigen statt plastischer Szenen große rundplastische Einzelfiguren. Der A n t o n i u s a l t a r , an sich der älteste der Xantener Altäre und schon im Jahre 1374 erwähnt, erhielt gegen Ausgang des 15. Jahrhunderts den neuen Altaraufsatz (Bild S. 109). In vier gotischen Nischen stehen die Statuen der Heiligen Thomas, Dionysius, Antonius und Maria Magdalena, daneben links und rechts die kleineren Statuen des heiligen Hieronymus und eines Apostels. Der enthauptete Dionysius, der sein Haupt in den Händen trägt, ist geschickt den Nachbarfiguren angepaßt. Die Statuetten über den Pfosten, die die Nischen trennen, die Heiligen Viktor und Helena und eine andere Heilige, stehen vor einem abwechslungsreichen spätgotischen Rankellhintergrund der Baldachine. Das Ganze ist wieder umrankt von der Wurzel Jesse mit dem Stammbaum der Könige. Hoch oben das Bild der Strahlenmadonna, umgeben von Gottvater mit musizierenden Engeln, von zwei Propheten und zwei Königen. Der Meister des Altars ist unbekannt. Der Stammbaum wird später wohl entstanden sein (Bild S. 55). Die beiden M a t t h i a s - und H e l e n a - A l t ä r e begnügen sich mit drei großen vollplastischen Statuen. Matthias, Cornelius und Servatius am Matthiasaltar (Bild S. 113). Die kleinere Verkündigungsszene unter der Matthiasstatue und der Erlöser als Abschluß des Altars sind nachträglich, 1531, an das im Jahre 1525 vollendete Altarwerk durch Meister H e i n r i c h v o n H o l t angefügt worden. Heinrich von Holt hatte vorher schon, 1514, für die westlichen Gewölbe des Domes die plastischen Schlußsteine ausgeführt. Die Verkündigung wie die kleinen Rahmenfiguren stammen aber wohl von einer anderen Hand als die drei Hauptfiguren. Der Helena-Altar, dessen Aufsatz um 1518 entstanden sein mag, hat im 17. Jahrhundert eine barocke neue Einrahmung erhalten. Es war der Altar der Schneiderzunft; ihr Wappenschild, von einem Engel getragen, ist daher auch unter der Helenastatue angebracht. Rechts von der Patronin steht die Statue des Heiligen Urban, links die Schutzpatronin gegen Zahnschmerzen, die realistische Marterszene der Heiligen Apollonia, der der Henker die Zähne ausstößt. Der M a r t i n u s a l t a r , geweiht 1477, ist ein fast quadratischer Aufbau ohne aufsteigendes Mittelstück. Das entspricht der plastischen Anordnung: die breite Mittelnische mit dem reitenden Martinus läßt links und rechts nur wenig Raum noch für die Nischen der Heiligen Maternus und Bonifatius, die später erst hier Aufstellung fanden (Bild S. 108). Die Predellaplastik und die kleineren Rahmenstatuetten sind neu. 110

Dazu gesellen sich im D o m verteilt noch zahlreiche interessante Einzelskulpturen. Im Westbau ein ergreifender Kruzifixus des frühen 15. Jahrhunderts, umstellt von zwei dekorativen wappenhaltenden Engeln des folgenden Jahrhunderts. Sie schauen trauernd hinab auf den Christus im Grabe v o m Ausgange des 15. Jahrhunderts. Gegenüber an der Nordseite des Westbaus eine Pieta der 2. Hälfte des Jahrhunderts, und auf einem Beichtstuhl eine Heilige, eine köstliche Modefigur v o m Beginn des 16. Jahrhunderts. Im SüdschifF des Langhauses ein sitzendes Annenbild, vielleicht Teil einer früheren Gruppe u m 1500. Im nördlichen Seitenschiff ein heiliger Georg zu Roß als Drachentöter, ein amüsantes Stück des frühen 15. Jahrhunderts. A m Eingang zur Taufkapelle die zackige Statue eines heiligen Sebastianus. In der Taufkapelle drei vortreffliche Arbeiten eines Antonius, Ambrosius und Christopherus usw. Vielleicht mögen diese Dinge teilweise früher mit Altarbauten z u s a m m e n gehangen haben. So ziert heute noch den B a r b a r a - A l t a r von 1668 eine zierliche Barbarastatue v o m Ausgange des 15. Jahrhunderts. Der neue A u f b a u des J o h a n n e s a l t a r s von 1672 zeigt ebenfalls noch einige charakteristische Holzstatuen der Zeit u m 1500 und als Abschluß eine wundervolle spanisch-maurische Fayenceschüssel mit dem Haupt Johannes des Täufers. Die späteren Altäre des 17. und 18. Jahrhunderts spinnen wieder die engsten Fäden zu Antwerpen. Der schon erwähnte Meister J o h a n n B a d i s B u i s aus Antwerpen entwirft außer dem S a k r a m e n t s a l t a r v o n 1657 den barocken Altar der heiligen drei Könige mit den Statuen der Apostel Paulus und Jakobus. Ein dritter Auftrag des Meisters im Jahre 1659 redet v o n einem „bunt bemalten Bild des Heiligen Viktor". Bilder der Rubensschule zieren die neuen Altäre. Goldschmiedearbeit des frühen Mittelalters, man erinnere sich der älteren Chorpfeilerstatuen im D o m zu X a n t e n , hat nicht allein die Formengebung mittelalterlicher Monumentalplastik beeinflußt, sondern auch Aufteilung und farbige Behandlung der späteren Altaraufbauten. Auf dem Altartisch zu X a n t e n stand aus ottonischer Zeit die sog. „Goldene Tafel", die „pala d'oro", verwandt der Aachener Goldenen Tafel. Wagerechte und senkrechte Emailbänder teilen die Aachener in rechteckige Felder mit getriebenen Reliefs. Diese Kastenaufteilung kehrt in X a n t e n beim Märtyreraltar und Marienaltar wieder, im benachbarten Kalkar beim Marien- und Siebenschmerzenaltar. Die ehemalige X a n t e n e r Goldene Tafel zeigte statt Reliefs in den einzelnen Feldern getriebene Bildnisse der Evangelisten und Propheten, des Täufers und von Moses, Aaron und David. Später trat hinzu der Viktorschrein mit seinen fast vollplastischen Figuren. An Stelle der kostspieligen Gold- und Emailarbeiten ist dann die Holzschnitzerei und deren f a r b i g e B e h a n d l u n g getreten. Aber die farbige Uberlieferung der älteren Arbeiten wirkte noch lange nach. Beim Märtyreraltar leuchtendes Gold der vorstehenden Teile gegen blauen Hintergrund. Helena- und Martinusaltar haben wie die Steinplastik des Xantener Domes im 18. Jahrhundert leider ihre Farbigkeit unter einer grauweißen Ölfarbe eingebüßt. Man hat sie in unserer Zeit neu gefaßt. Man findet die neue farbige Behandlung aufdringlich. Das hat nicht allein seinen Grund darin, daß unser Auge seit der irrigen Vorstellung des 18. Jahrhunderts von der Farblosigkeit der Antike klassizistisch verdorben ist, auch nicht in dem Mangel an Patina der neuen Fassung, sondern in erster Linie darin, daß für den Künstler die Tradition farbiger Plastik verloren war (Anm.). Die farbige

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Behandlung der Altäre war früher eine höchst wichtige künstlerische Angelegenheit: und wie in der Blüte griechischer Kunst ein Praxiteles die seiner Statuen für die beste erklärte, die der große Nikias bemalt hatte, so legten auch die Altarkünstler des ausgehenden Mittelalters und der Renaissance größten Wert auf die Wahl des farbigen Mitarbeiters. X a n t e n besitzt noch einen Altar in alter Fassung, den Matthiasaltar. Die Bemalung besorgte 1531 Meister T h e o d e r i c h S c h e r r e aus Duisburg. Der Vergleich mit der neuen Fassung der Helena- und Martinusaltäre ist lehrreich (Bild S. 113). Farbe ist nicht naturalistischer Selbstzweck. Die antike wie die mittelalterliche Baukunst und Plastik verwandten Farben, die in naturalistischer Bindung selten vorkommen, um eben gegenüber der Natur als selbständige Kunstform sich behaupten zu können und aufzufallen. Die Farbe ist da, um plastische Formen gegen einander abzuheben; sie tritt also da ein, wo die Form allein nicht mehr deutlich redet, z. B. farbiger Hintergrund für Plastik, die sonst in gleichem farbigem Material ertrinken würde, oder farbiger Gegensatz der Außen- und Innenseite des Gewandes. Es ist uralte künstlerische Erfahrung des Altertums, wenn die mittelalterlichen Künstler R o t und Blau für die optische Formenklarheit liebten und Gold als Vermittlung beider Farben. Das warme Rot hat die Führung, k o m m t also der Hauptfigur zu. So hebt der rote Mantel die Matthiasstatue hervor. Die beiden anderen Heiligen treten gegen das konzentrierte Rot diskret zurück mit goldenen, blauen und weißen Tönen, die mit roten durchschossen sind. Das Gold der beiden Gestalten klingt im Untergewand des Matthias wieder auf, wie ja auch das geringe Rot der beiden Seitenfiguren zu der Hauptfigur zurückführt. Die warmen Töne Rot und Gold stehen gegen das kalte Blau des Hintergrundes, dessen schmale Gliederungsteile an Maßwerk und Gewölberippen der klaren Sichtbarmachung wegen wieder rot gehalten sind und dadurch auch vermitteln zu Matthias' leuchtendem Mantel. In den Baldachinen begegnen sich alle drei Töne. Mit anderen Worten: statt naturalistischer Buntheit, mit nur drei Tönen die Harmonie von Farbenzusammenhängen im Interesse kompositioneller plastischer Klarheit. Meister Theoderich Scherre wurde wegen seiner feinsinnigen dekorativen Begabung in der Zeit von 1531—1557 fast jedes Jahr v o n Duisburg nach X a n t e n gerufen. Er bemalte das Orgelgehäuse, Statuen am Hochaltar, die Viktorstatue außerhalb des Domes (Bild S. 140), Schlußsteine, die Verkündigung und das Luthgeriepitaph des Arnt von Tricht im Kreuzgang, Berendoncks Kreuzigungsgruppe vor dem Südportal und an dem kleineren Südportal Arnt von Trichts Statuen der Heiligen Viktor, Gereon und Mauritius. Diese Aufzählung zeigt, wie farbenfreudig früher außen und innen der Viktorsdom sich darbot. Douvermanns Marienaltar hat wohl einen blauen Hintergrund, aber die Schnitzereien selbst zeigen ihr Natureichenholz. Ich glaube auch nicht, daß man jemals an eine farbige Behandlung gedacht hat, da auch ohne Farbe durch das reiche barocke Spiel der Unter- und Überschneidungen und durch das Spiel v o n Licht und Schatten die plastischen Formen klar sich abheben. Aus diesem Grunde bedurfte ja auch später die barocke Baukunst und Plastik nicht mehr in dem Maße der Farbe wie die vorausgegangenen Jahrhunderte. Nach der Bemalung der Plastik 1531 erhielt der Matthiasaltar im Jahre 1544 b e m a l t e S e i t e n f l ü g e l mit den Darstellungen der Predigt und Steinigung des 112

MATTHIASALTAR

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MARTINUSALTAR. INNENFLÜGEL

Heiligen. Diese Szenen sollen aber auch farbig kompositioneil mit dem plastischen Mittelstück und dessen Hauptfigur in Einklang gebracht werden und diesen sich unterordnen. Rot und Blau von Gelb unterbrochen sind wieder die leitenden Töne, aber sie treten einzeln noch weniger konzentriert auf, als bei den plastischen Seitenfiguren der Matthiasstatue. Ist der Altar geschlossen, so ist kaltes Grauweiß der gemalten Bildnisse der Heiligen Cornelius, Servatius, Petrus und Matthias die führende Farbe. Nicht der künstlerische Eigenwert der bemalten Tafeln ist das Entscheidende, sondern die farbige Anpassung durch Unterordnen, die harmonische Steigerung vom geschlossenen zum geöffneten Altar, damit die Statue des höher gestellten Hauptpatrons sich auch farbig als Mittelpunkt aus der Gesamtkomposition heraushebt. Dieser Takt der Anpassung und Unterordnung im Sinne eines einheitlichen Kunstwerkes, bei dem die Einzelheit nur den Wert eines für sich gleichgültigen Verses in einem Gedicht hat, wo also die Verse nur im Zusammenhang Bedeutung haben, dieser Sinn für farbig dekorative Wirkung ist dem 19. Jahrhundert verloren gegangen. Naturalistische Betonung des Einzelstückes oder unharmonische Farbenkonzentration an verschiedenen

Stellen brachten, an Stelle toniger Gesamtwirkung, farbige Buntheit. Die Altäre der Antonius und Martinus haben künstlerisch unvergleichlich bedeutendere Flügelbilder als der Matthiasaltar, aber sie klingen am besten nur für sich, weniger im Zusammenhang mit den farbigen Schnitzereien. Freilich darf man beim Martinusaltar nicht übersehen, daß die schönen Seitenflügel erst nachträglich hierhin versetzt worden sind. Sie waren früher im Chor aufgestellt. Und bei dem Antoniusaltar mag die neue, etwas bunte Fassung der Plastik den farbigen Zusammenklang beeinträchtigen (Bild S. 108). 114

Die gemalten Seitenflügel der Antonius- und Martinusaltäre stammen von dem anonymen Meistervon Kappenberg,so genannt von Ludwig Scheibler nach dem Altarwerk in der Schloßkapelle zu Kappenberg in Westfalen. Er ist der letzte der westfälischen spätgotischen Meister (um 1510—1530) aus jener Dortmunder Werkstatt, die auch am Niederrhein tätig war und irrtümlieh nach Meister Dünwege benannt wurde(Anm.).Die künstlerischen Beziehungen Xantens und des Klever Landes zu Westfalen, uralt und von Natur gegeben, und die besonderen Zusammenhänge des Xantener Stiftes mit den Grafen von Kappenberg sind oben schon erwähnt worden (s. S. 67). Politische Verhältnisse verdichteten im 15. Jahrhundert diese westfälischen Beziehungen, als die Herzöge von Kleve mit den Erzbischöfen von Köln u m den Besitz von X a n t e n stritten und die Stadt Soest ihr Verbündeter war. Wesel, Dorsten und Kappenberg waren natürliche Verbindungsstationen von Xanten nach Dortmund und Soest.

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Die Bilder der Antonius- und Martinusaltäre zählen zu den wichtigsten Arbeiten des Meisters ' "T. von Kappenberg, geschickt im MARTINUSALTAR. INNENFLÜGEL Aufbau, ansprechend in der großzügigen Gewandbehandlung und dem Sinn für landschaftliche Wiedergabe, besonders aber in der vornehmen farbigen Haltung (Bild S. 117). Bei den beiden I n n e n b i l d e r n des A n t o n i u s a l t a r s gibt der dunkle Ton des Gewandes des Heiligen im Mittelpunkt und in den vier Ecken den vielszenigen Bildern den orientierenden kompositioneilen Halt, der Landschaft, Gewänder und Gestalten der übrigen Figuren zum Leuchten bringt, feinsinnig und wirkungsvoll gegeneinander abgestimmt: das saftige Dunkelgrün der Landschaft, der Farbenschmelz der Gewänder und Teufelsgestalten. Dargestellt 115

ANTONIUSALTAR. INNENSEITE EINES FLÜGELS

ist das Leben des Heiligen nach den Schilderungen des heiligen Anathasius von Alexandrien. Auf den Außenseiten der Flügel stehen im Gespräch links Maria Magdalena und der heilige Dionysius, rechts die Heiligen Antonius und Thomas, ausdrucksvolle Köpfe. Zwischen ihnen ein Ausblick auf die Landschaft mit der Himmelfahrt der Maria Magdalena und wieder einer Versuchung des heiligen Antonius. Doch trotz der plastischen Monumentalität der großen Außenfiguren und der Charakterisierung der einzelnen Köpfe und der Bedeutung, die das Landschaftsbild auf den beiden Flügeln erhalten hat, sind die Bilder des Antoniusaltars im Aufbau der Vielszenigkeit und der Darstellung von Baulichkeiten noch gotisch befangen. Neuzeitlicher im Sinne der Zeit um 1520 sind die gemalten F l ü g e l b i l d e r des M a r t i n u s a l t a r s (Bild S. 114 u. 115). Der Bildinhalt zeigt, da er ohne Zusammenhang mit dem geschnitzten Altaraufbau ist, daß die Gemälde früher einem

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ANTONIUSALTAK. INNENSEITE EINES F L Ü G E L S

Annen- oder Sippenaltar angehört haben. Die heilige Anna war dreimal verheiratet, und zwar mit Joachim, Kleophas und Salome. Aus jeder Ehe stammt eine Maria. Die älteste, die Gottesmutter, heiratete Joseph; die zweite den Alphäus; die dritte den Zebedäus. So sind auf den Außenflügeln dargestellt Joachim und Anna mit der Jungfrau, und Maria und Joseph mit dem Christusknaben; auf den Innenflügeln Zebedäus und Maria Salome mit ihren Kindern Jakobus dem Älteren und Johannes (Bild S. 114), und Alphäus und Maria Kleophe mit ihren Kindern Jakobus dem Jüngeren, Joseph dem Gerechten, Simon Zelotes und Judas Thadäus (Bild S. 115). Nach Vollendung der Gemälde am Antonius- und ehemaligen Annenaltar schloß das Xantener Kapitel im J a h r e 1529 einen Vertrag mit Meister B a r t h e l B r u y n zu Köln wegen neuer Altarflügel am H o c h a l t a r . — Man muß das Werk im Zusammenhang mit der Gesamtausstattung des Chores bewundern. 117

I . E T T N K R K R L Z I F I X UNI) BLICK. IN DAS CHOR

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LETTNER U N D SAKRAMENTSALTAR

4. D A S

CHOR

D a s Chor ist eine W e l t f ü r sich, eine k o s t b a r a u s g e s t a t t e t e , w e i t r ä u m i g e K a p e l l e im D o m , abgeschlossen gegen d e n L a i e n r a u m d u r c h den L e t t n e r . Z u m L a n g h a u s w ä c h s t v o r der S t i r n w a n d des L e t t n e r s ein T r i u m p h t o r a u f : ü b e r d e m S a k r a m e n t s a l t a r das Bild des G e k r e u z i g t e n , u m s t a n d e n v o n Maria u n d J o h a n n e s , u n d seitlich des A l t a r s b a r o c k v e r z i e r t e T o r e i n g ä n g e (Bild S. 118, 119). D e r a u s s t r a h l e n d e M i t t e l p u n k t des Chores ist der H o c h a l t a r (Bild S. 118, 123). E r h a t seine eigene große Geschichte, die noch ü b e r das Alter des r o m a n i s c h e n W e s t b a u s h i n a u s g e h t . Sein ältestes S t ü c k ist leider ein O p f e r der F r a n z ö s i s c h e n R e v o l u t i o n gew o r d e n , die von Erzbischof B r u n o v o n K ö l n , K a i s e r O t t o s I. B r u d e r , g e s t i f t e t e u n d im J a h r e 969 n a c h seinem T o d e v o l l e n d e t e G o l d e n e T a f e l . W i r k e n n e n sie a b e r n a c h alten B e s c h r e i b u n g e n u n d Z e i c h n u n g e n in D o m i n i k u s Pels' z w e i t e m S a m m e l b a n d v o m J a h r e 1734 i m D o m a r c h i v zu X a n t e n (Anm.). An Stelle der Goldenen T a f e l h a t m a n s p ä t e r a m H o c h a l t a r den dreiteiligen R e n a i s s a n c e r a h m e n mit d e m Bilde der Mad o n n a , einer ausgezeichneten W i e d e r h o l u n g des Gemäldes v o n J a n Gossaert Mabuse (1470—1541), u n d d e n beiden B i s c h o f s b i l d e r n a n g e b r a c h t . 119

Im Jahre 1129 erhielt die Goldene Tafel eine neue Umrahmung, als sich zu ihr gesellte der im gleichen Jahre vollendete V i k t o r s c h r e i n , ein 1,42 m langer, mit vergoldetem Silberblech überzogener und reich mit Edelsteinen und Emails geschmückter Kasten (Bild S. 121). Er ist leider nicht mehr im alten Zustande erhalten. Auf der Flucht vor den Franzosen im Jahre 1389 hatte er so gelitten, daß er 1391 durch den „Goldschmied von Wesel" wieder hergestellt werden mußte. Die Pultdächer erhielten neue gotische Reliefs der klugen und törichten Jungfrauen in Vierpaßumrahmung, dazu neuen Firstschmuck. 1593 und 1604 vergingen sich Diebe an dem Schrein, Edelsteine wurden ausgebrochen, sogar eine ganze Langseite mit den Figuren der Madonna und sechs Apostel: Bei der Wiederherstellung im Jahre 1749 mußte der plastische Schmuck der verschonten Langseite mit Christus und den sechs anderen Aposteln die Gesamtausstattung des Schreins übernehmen. So kamen an jede Langseite zwischen vier leere Felder drei Apostel von emaillierten Wandpfeilern berahmt, und Christus an die hintere Schmalseite. Die vordere Schmalseite war früher, wie uns handschriftliche Aufzeichnungen des Pfarrers Tack vom Ausgange des 18. Jahrhunderts im Domarchiv zu Xanten erzählen, auch reicher geschmückt als heute. Die aus Goldblech getriebenen Gestalten der Apostel mit eng anliegenden Gewändern und vorgebeugten Köpfen sind noch frühromanisch befangen. Aber gegenüber den reicheren und entwickelteren, zahlreich erhaltenen Prachtschreinen zu Deutz, Aachen, Siegburg, Köln und Kaiserswerth hat der Viktorsdom den Stolz, wenn auch des ursprünglichen Glanzes beraubt, doch den ältesten dieser rheinischen Schreine zu besitzen (Bild S. 121 u. Anm.). Zu der Goldenen Tafel und dem Viktorschrein kamen noch vergoldete plastische Brustbilder aus der Schar der Thebaischen Legion des heiligen Viktor. Bei hohen Festtagen muß man sich den früheren Hochalter noch reicher ausgestattet denken, wenn die Kostbarkeiten des D o m s c h a t z e s ihn zierten, Dinge, die mehr oder weniger sich auf die Verehrung des Stiftspatrons beziehen. Heute ist der Xantener Domschatz noch immer der reichste unter den niederrheinischen Kirchen. Da ist ein emailliertes Reliquiengefäß vom Ende des 12. Jahrhunderts in der Form eines Tragaltars. Christus, Maria und die Apostel, sitzende Figuren, schmücken die Seiten, Emailbilder auf wechselnd hellem und dunklem Blau auf vergoldetem Kupferblech, getrennt durch grüne und weiße Säulen. Auf dem Deckel in Medaillons, wechselnd auf blauem und grünem Grund, die Evangelistensymbole und Brustbilder mit Heiligen. Das Mittelstück ist später ausgebrochen und durch eine Silbertafel ersetzt worden mit der Inschrift: In hac Capsula Sunt de Veste et de Chlamide Sti Victoris patroni Nostri particulae. Renovatum 1725. Nur die beiden Seitenfiguren des Mittelstückes, Melchisedech und Abraham, ganze Figuren, sind erhalten geblieben. Dann das interessante Bronzereliquiar, ebenfalls aus dem 12. Jahrhundert Vor durchbrochenem Grund reich ziselierte Figuren, der thronende Weltenrichter in der Mandorla, umgeben von den Evangelistenzeichen, der Darstellung der Verkündigung und der Apostel. An den Ecken des Deckels massive sitzende Gestalten mit geöffnetem Buch im Schoß. Zwischen diesen Eckfiguren nimmt man ursprünglich als Abschluß eine Kreuzigungsgruppe an. Dann ein ovales Reliquiar. Auf vergoldetem Silber getriebene Halbfiguren Christi und der Thebäer Gereon, Candidus, Florentius, Mauritius, Mallusius, Cassius und Viktor. 120

D E R V I K T O R S C H R E I N IM HOCHALTAR

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Auf dem Deckel in Niello die Geburt des Herrn und die reizvoll bewegte Szene des Engels bei den Hirten. Das byzantinische Elfenbeinkästchen um das Jahr 1000 mit Rosetteneinrahmung der vertieften Felder für Reliefs mit Kriegerdarstellungen enthielt Schlüssel. Durch Stephan Beissel erfahren wir, daß auch der Kasten mit dem Siegel des Stiftskapitels im Hochaltar aufbewahrt wurde. Schließlich noch das ansprechend schöne Stück aus dem Anfange des 15. Jahrhunderts, die vergoldete S i l b e r - M a d o n n a , ein Hohlguß. Dazu kamen Monstranzen, Kelche, Kruzifixe und Leuchter. Kunstvoll gewebte oder gestickte, heute zum Teil noch erhaltene Lesepultdecken und Vorhänge des Altarunterbaus ergänzten an Festtagen die Ausstattung. Nachts und zur Fastenzeit schlössen reich vergoldete und bemalte Flügeltüren den Altar und seine Schätze. Als der Dombau in der Hauptsache vollendet war, begann 1529 die große Umgestaltung des Hochaltars. B a r t h e l B r u y n aus Köln schuf die neuen Doppelflügel zu Meister W i l h e l m v o n R o e r m o n d s neuem Altarschrein. 1534 war das Werk vollendet. In den folgenden Jahren stattete H e i n r i c h D o u v e r m a n n mit Hilfe seines Sohnes Johannes die Nischen mit Büsten aus (Bild S. 127). Der Hochaltar ist die letzte große künstlerische Darstellung der Verbindung von Schnitzaltar und gemalten Flügelbildern am Niederrhein (Anm.). Wilhelm von Roermond wohnte in Köln und hat dort auch den A l t a r s c h r e i n gearbeitet. 1533 konnten die einzelnen Schnitzereien in Kisten verpackt die Schiffsreise nach Xanten antreten. Wilhelm von Roermond baute dann an Ort und Stelle den Altar auf. Zur selben Zeit etwa entstand im Chor der Krypta von St. Gereon zu Köln der Renaissancealtar, der in der Ornamentierung der Vertikalrahmen mit Masken und Blattwerk und in den Medaillons an den Pfeileruntersätzen dem Xantener Altar nahe steht (Anm.). Das bedeutet aber an sich nichts typisch Kölnisches. Flandrische Stichvorlagen waren die Vermittler des Rahmen- und Medaillonschmucks, und Köln stand im 16. Jahrhundert durch Import oder eingewanderte Künstler ganz im Banne flandrischer Kunst (Anm.). Die an sich kleinliche Nischenaufteilung des Xantener Altarschreins geht zurück auf den alten Altar und seine Reliquienbüsten. In dem neuen Altarentwurf des Wilhelm von Roermond erhielt der Viktorschrein, der bisher seine Langseite über der Goldenen Tafel zeigte, eine andere Aufstellung. Durch den Nischenschmuck hat er auch als Dekorationsmittelpunkt an Bedeutung verloren. Seitlich umstehen ihn Douvermanns B ü s t e n der Heiligen Viktor und Helena (Bild S. 127 von 1533). Die beiden Büsten der unschuldigen Kinder darüber stammen noch vom älteren Hochaltar. Die übrigen Büsten stellen dar, unten beginnend: zwei der Thebäer, den heiligen Marcellinus und Sylvester, den heiligen Mauritius und Constantin den Großen, die Gottesmutter und Johannes. Diese beiden letzten Büsten waren 1544 vollendet. Vier Jahre vorher hatte Heinrich Douvermann den halbrunden Altarabschluß entworfen, den seitlich in Renaissancegehäusen die Statuen der Heiligen Viktor und Helena umstehen. Den Dachaufbau beleben Krieger der Thebaischen Legion. Die bekrönende Christusstatue hoch oben über dem Halbrund stammt ebenfalls noch vom alten Hochaltar. Sie war im Jahre 1476 zu Kalkar in Auftrag gegeben worden. Die farbige Behandlung des Altars gibt den glücklichen Zusammenhang mit den gold und rotbraun gestimmten Flügelbildern. Vergoldetes Ornament gegen blauen 122

•S/säSäSv

DAS

DOMCHOR

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HOCHALTAR. E I N F L Ü G E L

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HOCHALTAR. TF.II. EINKS F l . f GELS

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Grund, silberne Büsten mit goldenen Haaren, goldenen Zeichen und Gewandsäumen in roten Nischen, überleitend die Kehlen des Schreins ebenfalls rot gehalten (Bild S. 127). Ist der Altar geschlossen, so beschützen ihn, grau in grau gemalt, lebensgroß stehende Gestalten der Heiligen Viktor, Maria, Gereon, Sylvester, Helena und Konstantin. Öffnet man die Außenflügel, so bleibt der Altarschrein noch verdeckt, und vor uns breitet sich aus ein zehn Meter langer und an zwei Meter hoher G e m ä l d e z y k l u s , gleich einem festlichen Wandteppich kunstvoller Figurenwebereien, Bilder aus der Legende der Heiligen Viktor und Helena, d. h. die Innenseiten der Außenflügel und die Außenseiten der Innenflügel nebeneinander. — öffnet man nun noch die Innenflügel, so umrahmen den freigelegten Altarschrein zwei Tafeln mit der Darstellung und Auferstehung des Herrn. Diese beiden letzten Bilder geben von Barthel Bruyns Kunst ein falsches Bild, seitdem sie 1761 durch Martin Ranz „restauriert" worden sind. Am besten präsentiert sich der Meister in den Bildern der Viktor- und Helenalegende. B a r t h e l B r u y n , der letzte Großmeister der Kölner Malerschule, der 1555 als Ratsherr der Freien Reichsstadt Köln starb und zu dessen Ehren man 1539 eine Denkmünze mit seinem Porträt hat schlagen lassen, ein seltenes und in Sammlerkreisen sehr gesuchtes Stück, ist gerade in seinem Xantener Altarwerk der charakteristische Vertreter des Ausganges der Kölner Malerschule(Anm.).Es zeigt seineWandlung durch den Einfluß italienischer Kunst. In den Viktor- und Helenabildern kann man an verschiedenen Stellen nachweisen, wie Raffaelschen Gemälden Motive entlehnt worden sind. Aber Barthel Bruyn braucht selbst nicht in Italien gewesen zu sein. Römische Studien aus dem Kreise des Jan van Scorel in Utrecht mögen ihm vorgelegen haben. Die Xantener Bilder der Helenalegende gaben ihm, dem gefeierten Porträtisten des Kölner Patriziates, eine erwünschte Gelegenheit, seine große Begabung als Porträtist zu zeigen. 1533 begleitete er Meister Wilhelm von Roermond von Köln nach Xanten, um auf seinen Bildern noch die Bildnisse der Kanoniker zu malen. Sie bilden das Gefolge der heiligen Helena (Bild S. 124, 125). Dazu gesellen sich Bürgermeister und Schöffen von Xanten und der Maler selbst. Da die besondere Wohltäterin des Xantener Stiftes, die Gräfin Emeza von Kappenberg, im Gefolge der Helena nicht fehlen soll, kommen nun auch noch die Frauen der Bürgermeister und Schöffen und deren Töchter auf das Bild und ebenso, rechts im Hintergrunde neben ihrem Ehemann Meister Barthel, Frau Agnes Bruyn (Bild S. 124). Was ist das für eine Galerie prächtiger Charakterköpfe! Sie sind das künstlerisch Wertvollste der ganzen Bilderfolge, gleichzeitig aber auch ein wichtiges Geschichtsdokument, das anschaulicher und intimer von den Xantener Stiftsherren der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu erzählen weiß, als die gelehrtesten Archivstudien. Der Vergleich mit Jan von Scorels Porträtkunst drängt sich einem immer wieder auf. Kunstvolle schmiedeeiserne Stützen tragen die ausladenden Flügelbilder. Sie sind das Werk des Xantener Kunstschmiedes Meister Gisbert. Zum Allerheiligsten gehört Licht, das auch im Dunkel der Nacht flackert und geheimnisvoll den heiligen Ort beleuchtet. Licht hat im alten wie im neuen Bunde besondere Bedeutung. Es ist mehr als Ausdruck des Feierlichen. Es bedeutet Trost und Hilfe, weil die Gefahren im Dunkeln einherschleichen. Es ist Symbol höheren geläuterten Geistes und ewigen Lebens. Man gab ihm daher die prächtigste Einfassung. 126

HOCHALTAR. BÜSTEN

— A b e r u n s e r e d u r c h die starre, leblose Grelle neuer B e l e u c h t u n g v e r d o r b e n e n A u g e n k ö n n e n sich h e u t e k a u m noch a u s m a l e n , was f r ü h e r die Fülle v o n Licht in der Leb e n d i g k e i t des F l a c k e r n s u n s e r e n G o t t e s h ä u s e r n an geheimnisvoller Feierlichkeit g a b , w e n n d a s Licht des Tages, das sich d u r c h farbige F e n s t e r b r a c h , zur Neige gegangen w a r . A m K a l v a r i e n b e r g v o r d e m S ü d p o r t a l in X a n t e n flackerte N a c h t f ü r N a c h t ü b e r d e m G r a b e des K a n o n i k u s B e r e n d o n c k die Seelenleuchte. I m K r e u z g a n g h u s c h t e Licht ü b e r die G r a b s t e i n e der K a n o n i k e r , so auch a m G r a b e des heiligen Viktor i m W e s t b a u des D o m e s , a n den A l t ä r e n u n d vor allem im Chor, wo das Gold des Altarschreins m i t den zahlreichen L i c h t e r n spielte. Sechs B a r o c k l e u c h t e r auf dem Altartisch. Seitlich zu d e n S t u f e n des A l t a r s zwei schwere m a n n s h o h e , m i t K n ä u f e n u n d R i n g e n verzierte L e u c h t e r auf Marmorsockeln, ein Geschenk des K a n o n i k u s J o h a n n v o n Orsoy v o m J a h r e 1509. F r ü h e r s t a n d noch ein großer hoher K r o n l e u c h t e r vor dem H o c h a l t a r , der aber n u r a n h o h e n F e s t t a g e n e r s t r a h l t e . Drei Löwen h a l t e n v o r der Mitte des H o c h a l t a r s die O s t e r l e u c h t e aus dem 18. J a h r h u n d e r t . Vor i h m s p a n n t der große L e u c h t e r b o g e n mit 24 L i c h t e r n seine Bogen, u n t e r denen m a n einher gehen k a n n , d u r c h die ganze Breite des Chores, u n d v o m Gewölbe h e r a b schwebt in die Mitte des Chores der H ä n g e l e u c h t e r m i t der Doppelfigur der M a d o n n a , u m g e b e n von den Aposteln (Bild S. 123,134). Die M a d o n n a u n d einige der Apostel s t a m m e n noch v o m Ausgange des 15. J a h r h u n d e r t s . Schließlich v o r d e m L e t t n e r der spätgotische dreiarmige L e u c h t e r , d e n 1520 der K a n o n i k u s Aegidius de P l a t e a d e m S t i f t z u m Geschenk m a c h t e . D a s k u n s t v o l l s t e S t ü c k der B e l e u c h t u n g ist der b r o n z e n e L e u c h t e r b o g e n , 1501 zu M a a s t r i c h t v e r f e r t i g t , wie die I n s c h r i f t e r z ä h l t : „ D e s e n l u c h t e r is g e m a c k t t o M a y s t r i c h t a n n o d o m i n i V C en e y n " (Bild S. 128, 129). E s ist „eines der schönsten 127

L E U C H T E R B O G E N IM CHOK

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I.EI C H T E R B O C E N I M ) MITTEL S C H I F F S A R K A D E N

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Leistungen der sog. Dinanterie". Den Mittelbogen tragen auf hohen steinernen Sockeln zwei mit Diensten besetzte Säulen. Gewunden drehen sie sich über die Kapitelle aufwärts, u m die Statuen der Viktor und Helena zu tragen. Auf den Kapitellen stehen Stützfiguren und schauen dem Geäst nach, das hinter ihren Rücken zur Mitte aufwächst und je sechs Äste aussendet, um 12 Lichter zu halten, und dann sich in der Mitte in einer Kreuzblume vereinigt, die das Bild der Madonna emporreckt. Es ist wieder der Gedanke der Wurzel Jesse mit den zwölf Vorfahren Christi. Der Meister der kunstvollen Arbeit ist uns noch unbekannt. Wir wissen nur, daß 1556 A r n o l d v o n T r i c h t die Statuette der Madonna geschaffen hat. Stufen führen v o m Leuchterbogen und dem Platz der Osterkerze hinunter in den langen R a u m , den seitlich längs den Lettnerwänden die Doppelsitzreihen des C h o r g e s t ü h l s einfassen (Bild S. 32, 123, 131 —133). Sie stammen ebenfalls noch aus dem alten romanischen D o m und sind als T y p mit den Abschlußwangen und Trennungswänden das älteste Chorgestühl in den Rheinlanden und für die Mitte des 13. Jahrhunderts eine überraschende Arbeit der Holzschnitzerei (Anm.). Kleeblattblenden und die Form der Kapitelle und Schaftringe der Säulen reden in ihrer romanischen Haltung deutlich für die frühe Entstehung. Daneben aber kommt in den schönen Wangenvoluten der breitlappigen Ranken, in denen sich ein Affe oder ein Drache oder ein Adler zu schaffen macht, ein frischer Naturalismus zum Durchbruch, der sich von dem strengen Romanismus freizumachen weiß. Früher reichte das Gestühl weiter zum Chor hin. In der Renaissance erhielt es die heutige Form, d. h. den Ausbau der Lettnerecken mit den beiden hohen Pultständern. Die Mitte des 18. Jahrhunderts stellte zwischen die beiden Gestühlsreihen das breite Lesepult. Wie ausgezeichnet es sich mit den barocken Wangen voluten des mittelalterlichen Gestühls und mit dem ausladenden gotischen Treppenaufgang zur Lettnerkanzel verträgt! Der dreiarmige Bronzeleuchter von 1520 vor dem Barockpult weiß sich ebenso geschickt dem Fialenwerk des Lettners anzupassen. Die einzelnen Stücke kommen durch „ähnliche Figuren" miteinander zum Klingen. Das ist das alte Geheimnis der Harmonie der bildenden Kunst, ihr Reim. Dieser Reim „ähnlicher Figuren" besteht nicht allein in Form und Zeichnung, sondern auch in der Farbe. Über dem Chorgestühl hängen 1,70 m hohe W a n d t e p p i c h e . Sie sollen den farbigen Z u s a m m e n k l a n g schaffen zwischen dem braunen Gestühl und den Pfeilerstatuen, die man sich natürlich früher farbig zu denken hat (Bild S. 3 2 , 1 3 2 , 1 3 5 ) . Flandrische Prachtwebereien v o m Jahre 1520, wie die Inschrift sagt, ein Geschenk der Brüder Sibertus,Walter und Arnold von Ryswick „zur Zierde des Tempels des Heiligen Viktor und seiner Gefährten". Sie hängen noch heute am selben Ort, für die sie entworfen worden sind, daher die Breiten nach den Maßen des Gestühls. A n der W e s t w a n d des Lettners je eine Figur, an der Nord- und Südwand je zweimal drei Figuren mit Wappenschildern, entsprechend den mittleren Zugängen des Gestühls. Ein naturalistisches Blattwerk eng ineinander gedrängt und so einen gleichmäßigen Grund bildend, vor dem sich abheben an der Südseite die groß umrissenen Gestalten St. Viktors, der Dreifaltigkeit und der heiligen Helena, dann St. Gereon, Johannes der Evangelist und St. Cassius; an der Lettnerwestseite St. Petrus und Kunibert; weiter an der Nordseite der heilige Nikolaus, Maria Magdalena und St. Lythardus, dann Papst Clemens, die Madonna und St. Plechelmus (Bild S. 135). Das 130

CHORCESTÜHL

18. J a h r h u n d e r t gab der Z u s a m m e n s t e l l u n g v o n G e s t ü h l u n d W a n d t e p p i c h e n einen glücklichen A b s c h l u ß in den goldenen R e l i q u i e n k ä s t e n u n d S c h r i f t t a f e l n . Die beiden Dreisitze z u m Altar zu, neben den Seiteneingängen des L e t t n e r s , sind j ü n g e r als das H a u p t g e s t ü h l . Auch sie finden sich m i t W a n d t e p p i c h e n v o m J a h r e 1574 u n d den gotischen S t a t u e n des Meisters J a c o b u s zu einer wirkungsvollen einheitlichen W a n d d e k o r a t i o n (Bild S. 137). Die R ü c k w a n d des s t e i n e r n e n gotischen Dreisitzes n e b e n d e m H o c h a l t a r s c h m ü c k t ebenfalls ein W a n d t e p p i c h der Mitte des 16. J a h r h u n d e r t s m i t der M a d o n n a , St. Viktor u n d S t i f t e r , u n d d e m heiligen M a r t i n (Bild S. 136). I n diese w u n d e r b a r farbige A b s t i m m u n g des Chores d u r c h F e n s t e r , G e m ä l d e , W a n d t e p p i c h e u n d P l a s t i k p a ß t e glänzend die große Folge k o s t b a r e r C h o r m ä n t e l , K a s e l u n d D a l m a t i k e n , die a n h o h e n F e s t t a g e n die K a n o n i k e r t r u g e n , w e n n sie sich i m Chor zur Prozession o r d n e t e n . D a s ist ein K u n s t s c h a t z , m i t d e m keine der rheinischen K i r c h e n w e t t e i f e r n k a n n . D a s älteste S t ü c k , die sog. K a s e l des heiligen Bernh a r d , s t a m m t noch aus dem A n f a n g des 11. J a h r h u n d e r t s , schwerer gelber orientalischer S e i d e n d a m a s t . S a m m e t b r o k a t , P u r p u r s a m m e t , flandrischer G o l d b r o k a t , S e i d e n b r o k a t m i t k u n s t v o l l e r Bouillonstickerei wechseln u n t e r e i n a n d e r in den g e f ü l l t e n S c h r ä n k e n der P a r a m e n t e n k a m m e r . Einige der Mäntel e n t h a l t e n eine kleine Bildergalerie figürlicher Nadelmalerei, so die Kasel des 1540 v e r s t o r b e n e n K a n o n i k u s Sibert v o n Ryswick, virtuose K a b i n e t t s t ü c k e m e i s t e r h a f t e r B i l d k o m p o s i t i o n e n . So bekleidet m u ß m a n sich die ausdrucksvollen C h a r a k t e r k ö p f e auf B a r t h e l B r u y n s Bildern im 131

T E I L DES CHORGESTÜHLS

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TKII. D E S C.HORGKSTi Hl.S

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LEICHTERMADONNA IM CHOR 134

TF.II. I)KR R Y S W I C K . - W A I N D T E P P I C H K V ( ) \ 1520 Ü B E R

DKM C H O R G E S T L H l .

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D R E I S I T Z IM CHOR

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I.KTTNKRPLASTIK

l"M) WANDTEPPICH

IM C H O R

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Chorgestühl sitzend denken. Das matte Kerzenlicht der vielen Leuchter verfing sich an der Goldstickerei. Weihrauch ringelte empor zu den Pfeilerstatuen, die aus ihrem Halbdunkel lauschten dem Chorgesang der Kanoniker unten im Gestühl, der uralten Viktorshymne: Sei gegrüßt, unbesiegtester Krieger! Heiligster Märtyrer, sei gegrüßt! Sei uns gegrüßt, frommer Schutzherr St. Viktor! Da wir mit begeistertem Gruß Dich preisen, So erlang' uns durch Deine frommen Gebete des Allmächtigen Gnade und Beistand. Ave miles invictissime, Ave martyr sanetissime, Ave pie protector, sanete Victor. Hymnis tam devotis observantibus Obtine preeibus piis ut adsit omnipotentis gratia.

DOM UND CLEVER TOR VOR DER INSTANDSETZUNG DER T L R M E

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DOM. V I K T O R S T A D T U N D

V I K T O R S T A D T

UND

XANTEN

X A N T E N . . . Immer noch sind wir hier Gaste der Heiligen. I m Umkreise des Viktordomes fühlen wir, was einst die Kirche war: Verwalterin der göttlichen Mysterien, Asyl der Verfolgten, eine S t ä t t e des Friedens auch für die Sünder, Ruhe der T o t e n und Trösterin derer, die u m sie trauerten. Spenderin von Almosen, Grenze der weltlichen Macht, Gericht der Bösen. Paradies der Heiligen. Ricarda Huch.

U m den D o m s a m m e l t sich die V i k t o r s t a d t , u n d u m diese die weltliche S t a d t X a n t e n . E i n e V i k t o r s t a d t , d. h. D o m u n d S t i f t s h ä u s e r , m a g f ü r sich v o r den T o r e n der Colonia T r a j a n a schon b e s t a n d e n h a b e n , als noch keine s t ä d t i s c h e Siedlung sich u m sie legte. Ob die F r a n k e n sich anfänglich in der verlassenen Colonia T r a j a n a niedergelassen h a b e n ? Ob Colonia T r a j a n a u n d das T r o j a F r a n c o r u m g e o g r a p h i s c h dasselbe b e d e u t e n ? Möglich, a b e r hier k a n n n u r der S p a t e n A u s k u n f t geben. K u r z u m , wir müssen v o n einer V i k t o r s t a d t ausgehen, die sich noch h e u t e d e u t l i c h aus d e m S t a d t plane a b h e b t , einer S t a d t , n i c h t u n t e r w o r f e n der weltlichen B e h ö r d e der S t a d t v e r w a l t u n g X a n t e n s , einer geistlichen R e p u b l i k m i t eigener G e r i c h t s b a r k e i t u n d selbst g e w ä h l t e m P r o p s t u n d D e c h a n t e n an der Spitze (Bild S. 139). Vor der W e s t f a s s a d e des D o m e s u n d h i n t e r d e m Chor zwei P l ä t z e . D e r W e s t p l a t z war der F r i e d h o f (Bild S. 10). N u r wenige u n k e n n t l i c h e Grabsteine b e r i c h t e n v o n den K a n o n i k e r n , die hier ihre letzte R u h e f a n d e n im S c h a t t e n des T u r m p a a r e s . D a s M o n u m e n t m i t t e n auf d e m P l a t z e , der schlanke Obelisk, ist g e w i d m e t d e m A n d e n k e n eines weltlichen G e l e h r t e n , als das V i k t o r s t i f t n i c h t m e h r b e s t a n d : Ici repose Corneille de P a w , né à A m s t e r d a m le 19 a o û t 1739, a u t e u r des recherches sur les É g y p t i e n s , les Chinois, les Grecs, les Américains, m o r t à X a n t e n le 15 juillet 1799. Ce simple m o n u m e n t a été érigé a u x frais de la ville de X a n t e n en M D C C C X I (1811). Der O s t p l a t z h i n t e r d e m Chor w a r der O r t h a r m l o s e r B e l u s t i g u n g e n . U n t e r g r ü n e r L a u b e n h a l l e der eigens z u g e s t u t z t e n B ä u m e , wie sie h e u t e noch gepflegt w e r d e n , w a r 139

bis zur Französischen Revolution die Kegelbahn der früheren Kegelgilde, über die Stephan Beissel so interessant zu berichten weiß, die ,,Kegelgilt" oder ,,Ludus Gehildorum" oder ,, Kegildorum" oder „Geguldorum". Auch die Kanoniker gehörten zu den „Fratres Kegeldorum". A m Ende der Kegelbahn, wo Heinrich Blankebyls Viktorstatue auf das lustige Treiben herab sah, war die Gerichtsstätte, die Bannita (Bild S. 140, 141). Das ist ein stimmungsvolles Bild, wenn im Sommer das Laubdach der ehemaligen Kegelbahn sich dicht zuschließt, wenn das barocke breite Backsteintor des Stiftspropstes durch das Geäst lugt und aus dem Garten des Propstes der große Magnolienbaum sein leuchtendes Dach spannt. Sie haben alle ihr Gärtlein, die alten traulichen Stiftshäuser, die den Dom wie ein schützender Ringwall umgeben. Einige haben sich schmucke Erker oder lauschige Gartenhäuschen im Mauerring zugelegt, um das Leben und Treiben auf den Straßen und Plätzen vor der Viktorstadt verfolgen zu können (Bild S. 142, 143, 151). Ein anderes der alten Stiftshäuser hat sich zum Domplatz mit einem Renaissance-Epitaphium, mit einem Relief des Jüngsten Gerichtes geschmückt. I m Norden und Süden, entsprechend dem Südportal des Domes und dem Westflügel des Kreuzganges, ist im Ring der Stiftshäuser ein Tordurchgang angebracht. Das im Süden zum Marktplatz besonders stattlich, das Michaelstor unter der Michaelskapelle (Bild S. 144, 145).

DIE E H E M A L I G E K E G E L B A H N , STIKTSCHl LE I M )

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DIE V I K T O R S T A T I E AN DER

BANNITA

VIK.TORSTATI E AN" DER BANNITA

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GARTENHAUS DER STIFTSIMMUNITÄT

Die M i c h a e l s k a p e l l e , wieder ein Werk des H e i n r i c h B l a n k e b y l aus Wesel und ausgeführt in den Jahren 1472 —1478, ist künstlerisch wie konstruktiv eine interessante Arbeit. Die Baugeschichte ist nicht ganz klar. Es war eine ältere Michaelskapelle vorhanden. „Ihr Rektor wollte seine Kapelle erneuert und erweitert haben", berichtet Stephan Beissel aus den Akten. Weitere Nachrichten fehlen. Die Feuersbrunst vom Jahre 1109 hat vor allem alle älteren Stiftsurkunden vernichtet. Ob schon an derselben Stelle wie heute ein Südtor gestanden hat ? Die hohe, tiefe Nische des Tordurchganges in dem vorgezogenen rechteckigen Rahmen, dazu die beiden Reliefs über der Nische und offenbar von Anfang an dort angebracht (Bild S. 9), reden uns ganz ottonisch an. Ob die alte Michaelskapelle nach Westen über den Tordurchgang hinausragte ? Links vomTordurchgang vom Markt aus liegt im Erdgeschoß die Küsterwohnung, rechts die D i o n y s i u s k a p e l l e . Ob sie früher ein Bauwerk für sich war oder Teil der Gesamtanlage mit der Michaelskapelle darüber? Ob der achteckige Westturm links vom Michaelstor in der Anlage noch auf eine ältere Michaelskapelle zurückgeht ? Alles ungelöste Fragen, über die erst eingehende bautechnische Untersuchungen Aufschluß geben können. Im Rund der Nische über dem Eingang war „von alters her" ein großes Gemälde des Jüngsten Gerichts, wie über romanischen Kirchenportalen der Weltenrichter als Plastik thront. Hier mag auch vielleicht die Anregung für das Xantener 142

GARTENHAUS DER

STIFTSIMMUNITÄT

Nischengemälde zu s u c h e n sein. Die b e i d e n f r ü h r o m a n i s c h e n Sandsteinflachreliefs der Heiligen Viktor u n d Gereon in K e t t e n p a n z e r m i t Schild u n d L a n z e auf einem D r a c h e n u n d Löwen s t e h e n d ü b e r der h o h e n Nische, sind A r b e i t e n e t w a u m das J a h r 1000. „ D u wirst w a n d e l n ü b e r die Schlange u n d den Basilisken; den Löwen u n d D r a c h e n wirst Du z e r t r e t e n . " I n v e r w a n d t e r Weise u m r a h m e n die Heiligen Viktor u n d Gereon den W e l t e n r i c h t e r auf d e m o v a l e n R e l i q u i e n g e f ä ß im D o m s c h a t z , u n d ähnlich bekleidet sind a u c h die Krieger auf d e m b y z a n t i n i s c h e n E l f e n b e i n k ä s t c h e n . B y z a n t i n i s c h e E l f e n b e i n s c h n i t z e r e i e n , die K o n s e r v e n der A n t i k e , werden auch wohl die A n r e g u n g zu den beiden f r ü h r o m a n i s c h e n Reliefs gewesen sein. Die n ä c h s t e n v e r w a n d t e n Darstellungen finden wir a n der M a u r i t z k i r c h e in M ü n s t e r i . W . (Anm.). Bisher w a r e n die b e i d e n Reliefs, a b g e s e h e n v o n beweglichen K u n s t d e n k m ä l e r n , die ältesten K u n s t w e r k e des D o m e s , bis im J a h r e 1923 der interessierte kluge S t i f t s k a p l a n A r d e n , u n s e r h o c h v e r d i e n t e r bisheriger K o n s e r v a t o r v o n St. V i k t o r , eine b e d e u t u n g s v o l l e E n t d e c k u n g m a c h t e . Mauerrisse in der Dionysiuskapelle b r a c h t e n i h n auf d e n Einfall, d a ß hier eine Seitennische v e r m a u e r t sein müsse. U n d in der T a t e r g a b sich nicht allein die v e r m u t e t e Nische, s o n d e r n m i t ihr a u c h ein großes o t t o n i s c h e s W a n d g e m ä l d e (Bild S. 147): E i n E n g e l s c h w e b t d u r c h die L ü f t e , b e g r ü ß t m i t der R e c h t e n u n t e n links zwei M ä n n e r , v o n d e n e n einer in die K n i e e sinkt, ENOCH u n d ELIAS, 143

MIC H AELSK. A P E L L E I NI) DOMTÜRME

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MICHAELSKAPELLE UND DOMTÜRME

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wie die Inschrift neben ihren Köpfen angibt. In der Linken hält der Engel die Einladung zur Himmelfahrt: ASCENDITE HUC (Steiget hierher!). „ B e i dem Ruf der frommen Stimmen überschritten sie des Todes Bitterkeit", erzählt eine zweite Inschrift: VOCE VOCANTE PIA TRANSIERUNT MORTIS AMARITUDINEM. Rechts drei erstaunte Gestalten. „Diese ergriff Furcht beim Klang der überirdischen S t i m m e " . HOS TIMOR AVDITA COMMOVIT VOCE SUPNAC. Das Gemälde wird wohl noch dem 10. Jahrhundert angehören, dafür spricht auch die tiefe seelische Erregung, der starke Ausdruck der Gebärden und Gesten, charakteristisch für die ottonische Malerei, für deren Beurteilung wir bisher bei den großen Verlusten an Monumentalgemälden in der Hauptsache auf Buchmalerei angewiesen waren, wie in der Antike auf Vasenmalerei für untergegangene Monumentalmalerei, der Buch- oder Vasenmalerei die Anregung entnahmen. Der Xantener Fund ist recht gut erhalten. Mit welchen anderen Wandmalereien könnte man ihn in Zusammenhang bringen ? Man hat an die Bilderzyklen auf der Insel Reichenau gedacht. Aber stilistische Dinge scheiden beides. Einstweilen stehen wir vor einem Unikum frühmittelalterlicher Kunst am Niederrhein (Anm.). In der runden Apsis der Dionysiuskapelle hatte man schon im J a h r e 1867 eine Wandmalerei freilegen können, die der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts angehört, Christus mit den vier Evangelistensymbolen, umgeben von Heiligen. Ob in der Weise die ganze Kapelle ausgemalt w a r ? Der Raum hat so vielerlei bauliche Eingriffe erlebt. Als man im Jahre 1472 mit der neuen Michaelskapelle begann, hat man in die Dionysiuskapelle Gewölbe einziehen müssen. Im 17. Jahrhundert wurden weiter«; Einbauten vorgenommen. Die Rückfront des Michaelstores hat eine gleiche Gliederung wie die Marktfront. In der Nordwestecke führt ein backsteinernes Treppenhaus mit fialengeschmücktem Portal hinauf zur Michaelskapelle. Eine geknickte Holztonne schließt den R a u m mit seiner dreiteiligen Chorkappe. Auch das wieder Verwandtschaft mit niederländischer Baukunst. (Bild S. 145.) Um den Mauerring der Viktorstadt wird sich in früherer Zeit höchstwahrscheinlich ein Graben gelegt haben. Als besonderer Schutz diente dem Stift noch die B u r g d e r E r z b i s c h ö f e von Köln. Sie lag dem Südturm gegenüber im Immunitätsbereich. Erhalten ist aber nur noch der gotische Torbogen an der Kurfürstenstraße, und dann quer zur Straße das Binnentor der Stadtbefestigung. Und nun das g r ö ß e r e X a n t e n um die Viktorstadt. Die städtische Siedlung hatte wohl im J a h r e 1228 Stadtrecht erhalten und damit das Recht der Selbstverwaltung, Märkte und Befestigung. Aber die Befestigung muß noch recht unbedeutend gewesen sein, bis dann im Jahre 1389 Erzbischof Friedrich von Saarwerden den Ort durch breitere Gräben, Türme und Vorwerke aus Holz verstärkte. Damals erhielt die Stadt ihre rechteckige, langgestreckte Umfassung, wie sie noch heute zu erkennen ist (Bild S. 139). Dieselbe zeitgenössische Quelle enthält ferner folgende interessante Stelle: „ I m genannten Jahre ließ derselbe Herr Erzbischof einen Turm gegen den Sumpf hin erbauen und fing an, die alte Burg vor der Stadt zu erneuern und sie durch einen Gang mit dem neuen Turm zu verbinden". Der neue Turm wird wohl der rechteckige dreigeschossige B a u neben dem ehemaligen Sonsbecker Tor oder „Meerpoort" gewesen sein, dessen frühere Inschrift auch das J a h r der Erbauung 1389 146

OTTÜNISCHES WANDGEMÄLDE IN DER DIONYSIl S K A P E L L E

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HINTER DER MAUER AM CLEVER TOR

und Friedrich von Saarwerden als Bauherrn angibt. Die Verbindung mit der Burg wird den Aufbau über dem Binnentor in der heutigen Kurfürstenstraße dargestellt haben. Das Tor ist ein interessantes Denkmal der Xantener Geschichte, ein Denkmal der Verständigung zwischen Köln und Kleve vom Jahre 1393 über den gemeinsamen Besitz der Stadt. Im gleichen Jahre des Vertrages begann man mit dem Bau des Clever Tores (Bild S. 138, 149). Dann folgten die anderen Torbauten, Mauerzüge und Türme, die man weiter verstärkte, als Xanten 1444 alleiniger Besitz von Kleve geworden war. Aber 1642 legte der hessische Oberst Rabenhaupt die Mauern bis auf einen für die Verteidigung wertlosen Sockelstreifen nieder. Das C l e v e r T o r ist neben dem Weiher-Tor in Zülpich und dem Pont-Tor in Aachen die letzte doppeltorige Anlage am Niederrhein und ein charakteristischer Vertreter jener stattlichen städtischen Bauwerke des 14.und 15. Jahrhunderts (Bild S.149). Ein Blick in die Stichwerke des 17. und 18. Jahrhunderts zeigt auch hier wieder die enge Verwandtschaft mit den Anlagen in den Niederlanden. Der hohe Kernbau aus Backstein mit den Ecktürmchen hoch oben, davor, durch einen Hof getrennt, zwei niedrige Rundtürme, die das Außentor umrahmen. Ähnlich diesem Außentor war die frühere „Schaarenport" am Ende der Scharnstraße, nur daß an Stelle eines quadratischen Torturmes seitlich ein wuchtiger Rundturm den Durchgang schützte. Ein 148

DOM I/ND CI.EVER TOR

a n d e r e r dieser R u n d t ü r m e u n w e i t v o m K l e v e r Tor h a t s p ä t e r f ü r den „ S t e r z " , d e r u m den Kopf des T u r m e s die Flügel einer W i n d m ü h l e d r e h t , ein breites L a u f b r e t t gezogen (Bild S. 148). A n d e r e der S t a d t t ü r m e sind friedliche G a r t e n h ä u s c h e n geworden. Das Bild der X a n t e n e r S t r a ß e n h a t sich, seitdem der Mauerring u n d die S t a d t tore e n t s t a n d e n , o f t g e w a n d e l t . 1522 b r a n d s c h a t z t e K a r l v o n E g m o n t die S t a d t , d a n n h a u s t e n hier S p a n i e r u n d H o l l ä n d e r , d a n n Hessen u n d F r a n z o s e n . Aber alles, w a s aus d e n Z e r s t ö r u n g e n n e u e r s t a n d u n d eine M u s t e r k a r t e niederrheinischer W o h n h a u s t y p e n v o r f ü h r t , ist erfüllt v o n d e m anspruchlosen Reiz niederländischer Orte. H i n t e r d e n W ä l l e n , wo die kleinen L e u t e w o h n e n , schlichte eingeschossige u n d sauber g e k ä l k t e K a t e n mit weit h e r u n t e r g e z o g e n e m , l e u c h t e n d r o t e m P f a n n e n d a c h . Oder B a c k s t e i n b a u t e n , deren einziger S c h m u c k die Treppengiebel der B r a n d m a u e r n sind. A u f d e m M a r k t p l a t z ein T r e p p e n g i e b e l h a u s mit Fialen u n d Vierpässen oder Fischblasen als M a ß w e r k oder B a l u s t r a d e n s c h m u c k , ein besonders f a r b e n l u s t i g e r T y p , wie wir i h n o f t auf alten Stichen a m N i e d e r r h e i n u n d in den N i e d e r l a n d e n antreffen, T u f f s t e i n im Untergeschoß, d a r ü b e r ein Wechsel v o n Tuffstein- u n d Backsteinlagen, oben der Backsteingiebel (Bild S. 156). Gegenüber an der a n d e r e n S t r a ß e n e c k e des M a r k t platzes die Evangelische Kirche v o m J a h r e 1648. Typisches Veräußerlichen gotischer F o r m e n im 17. J a h r h u n d e r t a m Niederrhein, u n d das M a ß w e r k p u r i t a n i s c h holländisch

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Der achteckige Turm von 1662 bedient sich sogar noch alter romanischer Wandgliederungen. Unweit davon das malerische Eckhaus am Eingang zur Michaelskapelle, dieser stattliche, gekälkte Kubus mit Schiebefenstern und farbigen Schlagläden an gotischen Fensterkreuzen (Bild S. 144). Auf der anderen Marktseite das verputzte klassizistische Rathaus von 1786. Marsstraße 5 und Scharnstraße 9 unverputzte klassizistisch-barocke Backsteinhäuser des frühen 18. Jahrhunderts mit reicherer Fenstereinrahmung, auch sie verwandt ähnlichen Schmuckformen im benachbarten Maastal und holländischen Gelderland. Schließlich der vornehmste Bau außerhalb der Immunität, die K a r t h a u s e von 1646, später dreiflügelig umgebaut (Bild S. 3). Der mittlere läßt seine schönen Volutengiebel über die Seitenflügel hinausragen. An der Rückfront steigt der elegante achteckige Treppenturm mit seiner Galerie unter stumpfer Dachhaube auf. Vor dem Clever Tor unter dem Schutz der Baumkronen die Antoniuskapelle für Aussätzige, ein geschweifter Giebel über dem kleinen Bau. Vor dem Sonsbecker Tor das gotische Pesthäuschen, ebenfalls mit einem Treppentürmchen. Das Haus wird ehemals wohl das Gartenhäuschen eines der Kanoniker gewesen sein (Anm.). Um dieses Xanten breitet sich der Friede des stillen Landes vom Niederrhein. I m Westen der Zug der Reichswaldhöhen, die hinübergleiten zur Schwanenburg in Kleve. Im Osten fruchtbare Weiden, die Dämme gegen das Hochwasser des Rheines schützen. Von welcher Seite man sich der Stadt auch nähert, immer ist herrlich das Bild des leuchtenden Turmpaares, das über dem Geschiebe der roten Pfannen der Bürgerhäuser aufragt und dem sich so taktvoll die Straßenzüge anzupassen wissen. Die große Korrektur der deutschen Landkarte zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat nach fast ein und einhalb tausendjähriger Herrlichkeit das Viktorstift beseitigt. Das große, breite ChoTgestühl ist seitdem verwaist. Der Dom zu Xanten ist die Pfarrkirche eines kleinen niederrheinischen Landstädtchens geworden. Aber wie ein Wunder ist noch erhalten des Stiftes reiche kunstvolle Ausstattung im Dom und in der Schatzund Paramentenkammer. Und geblieben ist nach Urväterbrauch das Fest der Viktorstracht, das Tausende vom Niederrhein, aus Holland und Westfalen wie ehemals nach Xanten lockt, die feierliche Prozession des Viktorschreins durch Stadt und Umgebung hinauf zum Fürstenberg und die so oft im Chore der Kanoniker zu den Gewölben erschollene jahrhundertalte Antiphon, wie sie täglich über das weite Land hinaus anstimmt das stolze Turmpaar des Viktorsdomes: Ave miles invictissime, Ave martyr sanctissime, Ave pie protector, sancte Victor.

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R E N A I S S A N C E E R K E R E I N E S K A N O N I K E R H A I SES AM M A R K T P L A T Z

ANMERKUNGEN Was wir heut als W a h r h e i t proklamieren, Fest gefügt aus Andrer Wissen, Wird man morgen achtlos konstatieren: Überholt schon und zu missen! Was ist Wahrheit ? — Neues Orientieren, Ein P r i n z i p nur. — Darnach müssen Messen die Gelehrten der Erleuchtung Länge. Die Vergangenheit belächelt ihre Enge. Wie kann ich V e r g a n g e n h e i t ergründen Aus den Resten, die geblieben? ^ ie mit ihrem Geiste mich verbinden, Den die Zeiten ließen sieben? Wohl kann mich ein Torso hell entzünden, Der durch Zufall uns beschieden. Die Vergangenheit ist T o r s o , und am Ende Allen Forschens E n d e r g e b n i s bleibt — L e g e n d e . CHRISTOFFEL HESELAERS.

Wenden!

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Z u m V o r w o r t : S t e p h a n B e i s s e l , ..Die B a u f ü h r u n g des Mittelalters. S t u d i e n ü b e r die K i r c h e des Heiligen V i k t o r zu X a n t e n , I. B a u g e s c h i c h t e der K i r c h e . I I . Geldwert u n d A r b e i t s l o h n b e i m A u s b a u der K i r c h e . I I I . Geschichte der A u s s t a t t u n g der K i r c h e " ( E r g ä n z u n g s h e f t e 23, 24 u . 27 zu d e n „ S t i m m e n aus Maria L a a c h " 1883, 1884 u. 1887). — Die ältere u n d s p ä t e r e L i t e r a t u r bis z u m J a h r e 1892 bei P a u l C l e m e n „ K u n s t d e n k m ä l e r des Kreises M o e r s " (Düsseldorf 1892) S. 81 ff. — U b e r die P l a s t i k im D o m zu X a n t e n im R a h m e n der Geschichte der niederrheinischen P l a s t i k u n d i h r e r Z u s a m m e n h ä n g e m i t d e n N a c h b a r l ä n d e r n h a t e r s t m a l s a u s f ü h r l i c h g e h a n d e l t E u g e n L ü t h g e n „ D i e niederrheinische P l a s t i k v o n der G o t i k bis zur Renaissance. E i n entwicklungsgeschichtlicher V e r s u c h " ( S t r a ß b u r g 1917). Das W e r k h a t , w e n n in Einzelheiten h e u t e a u c h d u r c h n e u e F e s t s t e l l u n g e n ü b e r h o l t , großes V e r d i e n s t u m die E r f o r s c h u n g d e r niederrheinischen Bildnerei. — E i n e groß angelegte A r b e i t ü b e r d a s gleiche T h e m a ist seit zwei J a h r z e h n t e n in V o r b e r e i t u n g d u r c h H e r i b e r t R e i n e r s . Zu S. 5. V e t e r a . Vgl. H a n s L e h n e r „ D a s R ö m e r l a g e r V e t e r a bei X a n t e n " ( B o n n 1926). D o r t Bilder der freigelegten Grundrisse des P r a e t o r i u m s u n d des L e g a t e n p a l a s t e s sowie deren Wiederherstellungsversuche, der A u s g r a b u n g s f u n d e u n d der Bronzescheiben i m Britischen M u s e u m . Zu S. 5. C o l o n i a T r a j a n a . Vgl. J o s e p h S t e i n e r in den „ B o n n e r J a h r b ü c h e r n " 1889, S. 87 ff. — P a u l S t e i n e r „ K a t a l o g des X a n t e n e r Museums' 1911. — P a u l S t e i n e r „ D i e A n f ä n g e X a n t e n s " in „ 7 0 0 J a h r e S t a d t X a n t e n " ( X a n t e n 1928) S. 38 ff. D o r t P l ä n e u n d Bilder der F u n d e . — H a n s L e h n e r „ F ü h r e r d u r c h d a s P r o v i n z i a l m u s e u m zu B o n n . I. B a n d Die a n t i k e A b t e i l u n g " ( I I . A u f l . B o n n 1924) S. 112 d a g e g e n : „ D i e s p ä t e r e n Lager, d a s der X X I I . , der V I . u n d v o r allem d a s der X X X . Legion, die v o n T r a j a n g e g r ü n d e t bis in die s p ä t e s t e Kaiserzeit in V e t e r a gelegen h a t , m ü s s e n a n einer ganz a n d e r e n , bisher n o c h u n b e k a n n t e n Stelle gelegen h a b e n " . Zu S. 7. V i k t o r u n d S i e g f r i e d . Vgl. B e r n h a r d V o l l m e r „ D a s V i k t o r - u n d in den „ A n n a l e n des Historischen Vereins f ü r d e n N i e d e r r h e i n " (1928). H e f t 113.

Siegfriedproblem"

Zu S. 43 u . 4 4 . W e s t b a u t e n . K ö l n , G r u n d r i ß u n d S c h n i t t v o n St. Georg u n d St. A n d r e a s : „ K u n s t d e n k m ä l e r der S t a d t K ö l n " I, 4. Fig. 16, 18, 19, 181, 184—187, 191 u n d Tafel I. — W e r d e n : Wilhelm E f f m a n n „ D i e karolingisch-ottonischen B a u t e n zu W e r d e n " ( S t r a ß b u r g 1899). — M a a s t r i c h t , S t . Servatius, G r u n d r i ß : Dehio-Bezold „Kirchliche B a u k u n s t des A b e n d l a n d e s " , T a f . 47, 9 — F ü r die F r a g e der Westb a u t e n vgl. ferner Wilhelm E f f m a n n „ C e n t u l a " (Münster i. W . 1912). Zu S. 46. G e p l a n t e s Q u e r - u n d d r e i s c h i f f i g e s L a n g h a u s . I m Gegensatz zu Georg Dehio sagt H e r i b e r t R e i n e r s in seinen „ R h e i n i s c h e n K u n s t f ü h r e r n " B a n d I „ D e r D o m zu X a n t e n " (1926): „ D u r c h den Nachweis der T r i a n g u l a t i o n verliert die bisherige These, d a ß ursprünglich ein Q u e r h a u s u n d ein dreischiffiges L a n g h a u s geplant w a r u n d m a n erst s p ä t e r zur fünfschiffigen Anlage übergegangen sei, ihre W a h r s c h e i n l i c h k e i t " . Reiners g e h t a u s v o n L u d w i g K ü s t e r s S t u d i e n „ D i e Maßeinheit a m X a n t e n e r D o m " oder „ D a s Geheimnis v o m g e r e c h t e n S t e i n m e t z e n g r u n d " ( D e u t s c h e B a u h ü t t e X V I I (1913), S.303 ff.). K ü s t e r s g l a u b t nachweisen zu k ö n n e n , d a ß die Breite des alten r o m a n i s c h e n W e s t b a u s 35,41 m von A n f a n g a n die Maßeinheit f ü r den gotischen N e u b a u gewesen sei. Die G e w ö l b e s c h n i t t p u n k t e der H a u p t c h o r k a p p e u n d der m i t t l e r e n Westhalle seien die Spitzen zweier gleichseitiger Dreiecke von 35,41 m Seitenlänge, deren Basen g e n a u in der Mitte der Gewölbejoche vor d e m L e t t n e r z u s a m m e n f a l l e n . „Dieser T r i a n g u l a t i o n h a t sich alles a n d e r e u n t e r z u o r d n e n . . , Nicht eine einzige Linie ist willkürlich, sondern es ist alles dem m a t h e m a t i s c h e n Gesetze u n t e r w o r f e n worden . . . Der B a u m e i s t e r des C h o r b a u s s t a n d der A u f g a b e gegenü b e r , den C h o r b a u geometrisch genau m i t den T ü r m e n in E i n k l a n g zu b r i n g e n " . Selbstverständlich bestehen m a t h e m a t i s c h e G e s e t z m ä ß i g k e i t e n in der B a u k u n s t , die deren Schönheit b e s t i m m e n , V i t r u v i u s ' W o r t v o n der „ P r o p o r t i o n , der Z u s a m m e n s t i m m u n g der Gliederverhältnisse im g e s a m t e n W e r k m i t d e m G a n z e n " oder Leone B a t t i s t a Alberti, d a ß „die Teile eines W e r k e s sich in W i n k e l n u n d Linien e n t s p r e c h e n " . „ U b e r d a s gleichseitige Dreieck als N o r m gotischer B a u p r o p o r t i o n e n " h a t Georg Dehio 1894 geschrieben, u n d schon 1883 m e i n t e S t e p h a n Beissel in bezug auf den X a n t e n e r D o m : „ D a s ist sicher, d a ß die alten B a u m e i s t e r n a c h des Zirkels M a ß u n d Gerechtigkeit a r b e i t e t e n und d a ß sie P r o p o r t i o n s r e g e l n h a b e n m u ß t e n . Welche N o r m e n bei den einzelnen Teilen der Viktorskirche bes t i m m e n d einflössen, ob u n d wie sie sich im L a u f e der d r e i h u n d e r t j ä h r i g e n B a u z e i t ä n d e r t e n , d a s wird erst m i t Sicherheit festgestellt werden k ö n n e n , w e n n einmal genaue Messungen u n d Zeichnungen vorliegen". —

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H i e r l i e g t d i e S c h w i e r i g k e i t : Nachprüfungen haben ergeben, daß wir gar keine genauen maßstäblichen Aufnahmen vom Dom zu Xanten besitzen! Nehme ich nun, im Gegensatz zu Küsters und Reiners, als Norm der Triangulation die Breite des Mittelschiffes und eines dreischiffigen Langhauses, so kann ich ebenso beweisen: erstlich ein ursprünglich geplantes Querschiff, dann ein ursprünglich vorgesehenes dreischiffiges Langhaus und schließlich, daß „der Baumeister des Chorbaus der Aufgabe gegenüber stand, den neuen Chorbau geometrisch genau mit den Türmen in Einklang zu bringen". Wir hätten dann auch das Bild, das den „spezifischen Schönheiten des Chorschemas" entspräche, und die „Breitenmaße des Chores wären auf genauen Anschluß an die Turmhalle berechnet — der jetzt verfehlt ist" (Dehio).— Aber wie gesagt, ohne genau maßstäbliche Aufnahmen kommen wir mit der Frage nach der Norm der Triangulation in Xanten nicht weiter. Fest steht nur die Planänderung seit der Anlage der äußeren südlichen Chorkappe, nnd m ö g l i c h bleibt der anfängliche Plan eines Querschiffes. Zu S. 66. A l t e r e X a n t e n e r C h o r p l a s t i k . Für Zusammenhänge mit nordfranzösischer Plastik v g l . E u g e n L ü t h g e n „Niederrheinische Plastik usw." (1917) S. 129; E d m u n d R e n a r d i.d. „Geschichte des Rheinlandes usw.", herausgegeben v. d. Gesellschaft für Rhein. Geschichtskunde (1922), II. S. 414; und P a u l C l e m e n in „Tausend Jahre deutscher Geschichte und Kultur am Rhein", herausgegeben von Aloys Schulte (1925) S. 151. — Für die Möglichkeit der Zusammenhänge mit Freiburg i. Br. vgl. Otto S c h m i t t „Gotische Skulpturen des Freiburger Münsters" (Frankfurt a. M. 1926) Taf. 147, 150 u. 250. — Uber die ältere Xantener Plastik ist eine besondere Arbeit in Vorbereitung von O s k a r K a r p a . Zu S. 70. V i k t o r - u n d H e l e n a s t a t u e n . Auf die Verwandtschaft der Grabdenkmäler in Marburg, Bielefeld und Kappenberg hat zuerst G u s t a v v . B e z o l d hingewiesen: „Zwei Grabmäler aus der Frühzeit des 14. Jahrhunderts in St. Elisabeth in Marburg" („Mitteilungen des Germanischen Museums" 1911); auf die Verwandtschaft der Bielefelder und Bedburger Grabmäler zuerst E u g e n L ü t h g e n („Die Niederrheinische Plastik usw." 1917). Bei dem Bedburger Grabdenkmal darf aber nicht übersehen werden, daß es bei der Wiederzusammenstellung in den Jahren 1903—1907 durch den Bildhauer Mormann in Wiedenbrück aus etwa 200 Stücken, die man in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts auf den Bedburger Friedhof ausgegraben, an einigen Stellen Ergänzungen erfahren hat. ( E d m u n d R e n a r d „Einrichtung einer Grabkapelle der klevischen Grafen und Herzöge in der Stiftskirche zu Kleve" in der „Zeitschrift des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Heimatschutz" (1925), Heft 1, S. 42 ff.). — Für die Herkunft des Grabmalstyps verwies Gustav v. Bezold auf die Arbeiten des Grabmalskünstlers Pepin de Huy an der Maas, des „tumbiers", der zu Beginn des 14. Jahrhunderts in Paris und St. Denis Stätten reicher Betätigung gefunden hatte. B u r k h a r d M e i e r sah dagegen als „künstlerische Heimat" der vier westfälischen und hessischen Grabdenkmäler Köln an: „Bezold sieht nur das Französische, ich nur das Kölnische. Beides muß sich ergänzen". Der l e t z t e S a t z ist, für mich, zutreffend. Man muß bei der örtlichen Beurteilung eines Kunstwerkes auch die örtliche oder landschaftliche Abwandlung der Formen einer „übernationalen" Kunst ins Auge fassen, nicht nur das gemeinsam Typische eines Zeitstiles. (Monatshefte für Kunstwissenschaft VI (1913), S.62 ff.). P a u l K u t t e r redet noch greifbarer von der „Werkstatt des Kölner Domchorhochaltarmeisters" und reiht ein sechstes Grabdenkmal an, das des Grafen von Bergheim (f 1335) in der Stiftskirche zu Münstereifel, des Bruders des Kölner Erzbischofs Walram von Jülich („WallrafRichartz Jahrbuch" V (1928) S. 13 ff.). Der Kölner Domchoraltar ist unter Erzbischof Wilhelm von Gennep (1349—1361) gearbeitet worden. Der Meister sei aus einer lothringischen Werkstatt hervorgegangen, „deren Werke sich über das Maastal bis nach Westfalen hinein verbreitet haben" (s. folgende Anm. „Maastal"). Er sei „mit seiner ausgedehnten Werkstatt vermutlich schon vor 1340 in Köln etabliert" gewesen. Auf Zusammenhänge westdeutscher Plastik des 14. Jahrhunderts mit Lothringen hat, meines Wissens, als erster F r i t z W i t t e hingewiesen: „Parallelen zwischen der französischen und der niederrheinischen gotischen Plastik" (Zeitschrift für christliche Kunst XXIV (1911), Sp. 65 ff.). Er stellte die Steinmadonna aus dem Kölner Kunstgewerbe-Museum neben eine Madonna aus St. Die in Lothringen. Die Gegenüberstellung ist überzeugend. E u g e n L ü t h g e n hat 1917 auch den Einfluß der Madonna aus St. Die auf die Madonnen in St. Ursula in Köln und in Herzebrock in Westfalen betont. Eine Madonna aus dem Kloster Machern bei Trier war ein neues Glied der Zusammenhänge (Zeitschrift für christliche Kunst XXXIV (1920), Sp. 84 ff.). E l i s a b e t h S i m o n stellte 1923 in den „Berliner Museen" (XLIV, S. 79) weiteres Material zusammen aus dem Kaiser-Friedrich-Museum und dem Cluny-Museum, aus Epinal und Marsal in Lothringen. 153

Im folgenden Jahre nahm Georg W e i s e das Thema von neuem auf in seinem Buch „Mittelalterliche Bildwerke des Kaiser-Friedrich-Museums und ihre nächsten Verwandten". Er brachte nicht allein neues Material aus Lothringen, Rheinland, Westfalen usw., sondern wußte auch die Grabdenkmäler zu Kappenberg, Bielefeld und Marburg, den Bielefelder Lettner und den Kölner Domchoraltar in die Gruppe einzuschließen. Natürlich sind all diese Dinge örtlich bedingt verschieden. Aber sie haben etwas Gemeinsames, was der Kunst im Herzen Frankreichs nicht eigen ist, wohl aber der Kunst Lothringens. Noch unveröffentlicht ist leider die wertvolle und aufschlußreiche Bonner Dissertation von O s k a r K a r p a „Kölnische holzgeschnitzte Reliquienbüsten von 1300—1450", die eine Änderung in der bisherigen Datierung der niederrheinischen Plastik dieser Zeitspanne bedeuten könnte. Ich habe diese Frage absichtlich hier offen gelassen und mich begnügt, die Herkunft der Xantener Pfeilerplastik n u r anzudeuten. Die uralten Zusammenhänge mit Köln und Kappenberg, dann mit Metallplastik der Schreine usw. sind Wegweiser. — Das ist einstweilen alles! Nach Abschluß meiner Arbeit erhalte ich R i c h a r d H a m a n n „Die Plastik der Elisabethkirche zu Marburg und ihre künstlerische Nachfolge" (1929). Es ist eine instruktive Zusammenfassung und Ausdeutung der vorausgegangenen, oben angeführten, und anderer Studien, wertvoll schon durch das Nebeneinander so vieler Bildwiedergaben. Verführt den verdienten und geschätzten Verfasser aber nicht vielleicht seine große Liebe zur Marburger Elisabethkirche, in Marburg einen so großen ausstrahlenden Mittelpunkt des 14. Jahrhunderts zu sehen, dessen Segnungen sogar einer Weltstadt wie Köln zugute kamen ? Können wir nach den Verlusten seit der Französischen Revolution das mittelalterliche Köln künstlerisch überhaupt umschreiben ? Könnte man nicht nach den erhaltenen Resten — ebenso gut wie Marburg — Bielefeld und Kappenberg zu einem künstlerischen Mittelpunkte machen ? Wie würden wir urteilen, wären die ehemaligen Grabkapellen zu Kleve und Bedburg mit ihren kunstvollen Denkmälern noch erhalten ? Vielleicht in den Rückschlüssen ebenso falsch, wie wir die beiden vom Bildersturm 1566 verschonten Kunststätten Xanten und Kalkar heute nicht ganz richtig beurteilen — daher der Name „Schule von Kalkar". — Aber vielleicht irre i c h : „Die Vergangenheit ist Torso, und am Ende allen Forschens Endergebnis bleibt — Legende". Zu S. 70. Das M a a s t a l als natürliche Verbindung des Niederrheins zum Westen ist für die rheinische Kunstgeschichte bisher im größeren Zusammenhang v i e l zu w e n i g g e w ü r d i g t worden: die Westbauten zu Xanten, Köln und Maastricht, die Verwandtschaft der Chorconchen in Köln, Maastricht und Roermond, die Bedeutung der Maastalkünstler Codefroy de Ciaire und Nikolaus von Verdun für die Kölner Reliquienschreine usw. Das Grabmal des Erzbischofs Walram von Jülich im Dom zu Köln stammt von Meister Egidius von Lüttich, der große Leuchterbogen vor dem Hochaltar in Xanten aus Maastricht. Aus dem Maastal bezog man für den Bau der Kölner Rathausvorhalle den Blaustein (pierre bleue). Das Maastal war auch die wichtige Verbindung für das Vordringen des französischen Schloßbautyps in die Niederlande und an den Niederrhein im 16. Jahrhundert (vgl. R i c h a r d K l a p h e c k , „Die Meister von Schloß Horst. Das Schlußkapitel zur Geschichte der Schule von Kalkar" Berlin 1915). Im 17. Jahrhundert schafft die Maaslaibacksteinarchitektur einen eigenen Schloßbautyp, der über den Niederrhein bis nach Westfalen zu verfolgen ist. (Vgl. R i c h a r d K l a p h e c k „Die Schloßbauten zu Raesfeldt und Honstorff und die Herrensitze des 17. Jahrhunderts der Maastalbacksteinarchitektur" Dortmund 1922). Zu S. 73. H o c h k r e u z . Vgl. Paul Clemen in den „Berichten über die Tätigkeit der Provinzialkommission für die Denkmalspflege in der Rheinprovinz" VIII (1904). Dort Bilder des früheren und heutigen Zustandes. Zu S. 84. B u r g u n d . Die Tumbafiguren vom Grabmal Adolfs von Kleve (f 1394) abgebildet in der „Zeitschrift des Rheinischen Vereins für Denkmalspflege und Heimatschutz". 1925, Heft 1, S. 48. Zu S. 98. A u s g a n g der „ S c h u l e von K a l k a r " . Die Wandlung von der Freiplastik zur dekorativen Bauplastik im 16. Jahrhundert ist am besten zu verfolgen am Schloßbau zu Horst bei Essen des Kölnischen Marschalls Rüttger von der Horst, begonnen 1556. Die Hauptmeister waren Arndt Johannssen aus Arnheim, Heinrich und Wilhelm Vernukken aus Kalkar, Laurenz von Brachum aus Wesel, später Joist de la Court. Die Bildhauer arbeiteten vertraglich nach Stichvorlagen, die ihnen der Bauherr lieferte (vgl. K l a p h e c k „Meister von Schloß Horst usw."). In diesen Zusammenhang gehören auch die Renaissanceepitaphien im Kreuzgang zu Xanten, für die ebenfalls Stichvorlagen nachweisbar sind. Uber „Die niederrheinische Plastik

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des 16. J a h r h u n d e r t s mit besonderer Berücksichtigung der X a n t e n e r V e r h ä l t n i s s e " liegt eine vortreffliche, hoffentlich bald veröffentlichte Bonner Dissertation v o n A l f r e d K a m p h a u s e n aus R h e y d t vor (1929). Zu S. 100. A n t w e r p e n e r A l t ä r e . Vgl. J e a n de Bosschere „ L a S c u l p t u r e Anversoise a u x X V m e et X V I m e siècles" (Bruxelles 1909). Dort weitere L i t e r a t u r a n g a b e . Die wichtigsten A n t w e r p e n e r Altäre a m Niederrhein abgebildet bei P a u l C l e m e n „ K u n s t d e n k m ä l e r d e r R h e i n p r o v i n z " (Kreis Kleve, Moers, K e m p e n , Geldern u n d Jülich). Zu S. 102. D o u v e r m a n n . L i e b f r a u e n a l t a r in Kleve u n d S i e b e n s c h m e r z e n a l t a r in K a l k a r , abgebildet bei P a u l C l e m e n „ K u n s t d e n k m ä l e r des Kreises K l e v e " (Düsseldorf 1892), T a f . IV u. V I I . Zu S. 111. F a r b i g e P l a s t i k . Vgl. die lehrreichen A u s f ü h r u n g e n des Malers S t u m m e l a u s Kevelaer bei S t e p h a n Beissel I I I . , S. 88 ff. Dazu Grundsätzliches bei G u s t . T h e o d . F e c h n e r „ U b e r die F r a g e der f a r b i g e n S k u l p t u r u n d A r c h i t e k t u r " in der „Vorschule der Ä s t h e t i k " 2. A u f l . (1898), S. 192 ff. u n d G o t t f r i e d S e m p e r s Streit 1834 mit Kugler über die Farbigkeit der B a u k u n s t u n d P l a s t i k bei den Griechen (Sempers „Kleine Schriften"). Zu S. 115. M e i s t e r v o n K a p p e n b e r g . Der ältere D ü n w e g e m a l t e f ü r die K i r c h e zu R h e i n b e r g 3 Altarbilder, die h e u t e d a s L a n d e s m u s e u m zu Münster i. W . b e w a h r t ; der j ü n g e r e D ü n w e g e schuf f ü r d a s R a t h a u s zu Wesel das b e k a n n t e Gerichtsbild. — Vgl. W a l t e r K a e s b a c h „ D a s W e r k der Maler Viktor u n d Heinrich D ü n w e g e u n d des Meisters von K a p p e n b e r g " (1907). W o l f g a n g v a n d e r B r i e l e „ W e s t f ä l i s c h e Malerei v o n den A n f ä n g e n bis auf A l d e g r e v e r " ( D o r t m u n d 1926). D o r t ausführliche L i t e r a t u r a n g a b e . Zu S. 119. G o l d e n e T a f e l d e s h e i l i g e n B r u n o v o n K ö l n . Beschrieben m i t Bildwiedergabe v o n Pels bei P a u l C l e m e n „ K u n s t d e n k m ä l e r des Kreises Moers" (Düsseldorf 1892), S. 106. E s h a n d e l t sich u m die älteste der goldenen A l t a r v o r s a t z t a f e l n der O t t o n e n z e i t , d e r sich zeitlich anschlössen die zu A a c h e n , Essen, P e t e r s h a g e n , M a g d e b u r g u n d Basel. A n Ort u n d Stelle ist n u r noch e r h a l t e n die zu Aachen, abgebildet „ K u n s t d e n k m ä l e r der S t a d t A a c h e n " I. (1916), T a f . V I I I . Die Baseler T a f e l h e u t e im Cluny M u s e u m zu Paris. Alle a n d e r e n sind verloren. Zu S. 120. V i k t o r s c h r e i n . Das D a t u m gesichert d u r c h einen P e r g a m e n t s t r e i f e n , den m a n 1625 b e i m ö f f n e n des Schreines f a n d : „ A . D . 1129 sub rege L u t h a r i o et F r i t h e r o Col. Arch. et Godeprido H . Eccl. p r a e p . corpus b. Victoris repositum est in hoc scrinio". — A u s f ü h r l i c h beschrieben bei P a u l C l e m e n „ K u n s t d e n k m ä l e r des Kreises Moers", S. 106. U b e r die W i e d e r h e r s t e l l u n g des Schreines zu A n f a n g des 20. J a h r h u n d e r t s vgl. „ B e r i c h t e über die T ä t i g k e i t der Provinzialkommission f ü r die Denkmalspflege in der R h e i n p r o v i n z " I X . (1905) S. 27. Zu S. 122. H o c h a l t a r . I m J a h r e 1437 beschloß d a s K a p i t e l , „ d a ß der Meister J a c o b u s die Flügelt ü r e n u n d den Altarschrein des heiligen V i k t o r erneuern u n d b e m a l e n sollte". N a c h d e n A n g a b e n der R e c h n u n g s b ü c h e r m u ß es sich u m eine u m f a n g r e i c h e Arbeit g e h a n d e l t h a b e n , die aber d u r c h die U m g e s t a l t u n g v o m J a h r e 1529 offenbar ganz verloren gegangen ist. Zu S. 122. A l t a r in d e r K r y p t a v o n S t . G e r e o n zu K ö l n . Abgebildet in d e n „ K u n s t d e n k m ä l e r n der S t a d t K ö l n " I I , 1 (1911), S. 62 u. 63. Zu S. 122. R e n a i s s a n c e k u n s t i n K ö l n . Das köstliche C r o y e p i t a p h im D o m s c h a t z zu Köln m i t der A n b e t u n g der heiligen drei Könige v o m J a h r e 1517 ist eine S t i f t u n g des F ü r s t b i s c h o f s von C a m b r a y , J a k o b v o n Croy, u n d s t a m m t zweifellos aus F l a n d e r n . Der 1523 vollendete ehemalige L e t t n e r in S t . M a r i a im K a p i t o l , die heutige Orgeltribüne, w u r d e v o n der aus F l a n d e r n n a c h Köln e i n g e w a n d e r t e n Familie H a c k e n e y in Mecheln in A u f t r a g gegeben. U n t e r den P l a n e n t w ü r f e n f ü r die R a t h a u s v o r h a l l e treffen wir n u r niederländische Meister: 1557 H e n d r i k v a n Hasselt u n d Meister C. F., den wir m i t g r ö ß t e r W a h r scheinlichkeit als Cornelis Floris aus A n t w e r p e n d e u t e n d ü r f t e n , u n d 1562 L a m b e r t S u d e r m a n n aus L ü t t i c h . W a s d a n n in den J a h r e n 1569—1573 v o n Wilhelm V e r n u k k e n aus K a l k a r a u s g e f ü h r t w u r d e , lehnt sich v o l l k o m m e n an flandrische Arbeiten an. W i r t s c h a f t l i c h u n d kulturell h e r r s c h t e d a m a l s innigster Z u s a m m e n hang zwischen K ö l n u n d A n t w e r p e n , der a u c h noch im folgenden J a h r h u n d e r t zu verfolgen ist. Zu S. 126. B a r t h e l B r u y n . Vgl. E d u a r d F i r m e n i c h - R i c h a r t z „ B a r t h e l B r u y n u n d seine S c h u l e " (Leipzig 1891). — P a u l C l e m e n im R e p e r t o r i u m f ü r K u n s t w i s s e n s c h a f t " X V (1892) S. 245 ff. — J o l i . J a k . M e r l o „ K ö l n e r K ü n s t l e r in alter u n d n e u e r Zeit" (Düsseldorf 1895), S. 127 ff. — H e r i b e r t R e i n e r s „ K ö l n e r Malerschule" (München-Gladbach 1925).

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Zu S. 130. C h o r g e s t ü h l . Vgl. H e r i b e r t R e i n e r s „ D i e Rheinischen Chorgestühle der Frühgotik";" (Straßburg 1909). Zu S . 143. M i c h a e l s t o r . Für die Datierung der Tornische und der beiden Reliefs vgl. B u r k h a r d d M e i e r „ D i e Reliefs von der Mauritzkirche in M ü n s t e r " in „Westfalen" V I (1914) S. 25 ff. Zu S. 146. O t t o n i s c h e s W a n d g e m ä l d e in d e r D i o n y s i u s k a p e l l e . Von den Malereien deses italienischen Meisters Johannes vom J a h r e 997 im Dom zu Aachen, vom Jüngsten Gericht an der Kuppeiel des Westbaus im Münster zu Essen und den ornamentalen Darstellungen im Westbau der Abteikirche zuu Werden an der Ruhr sind nur noch spärliche Reste erhalten. Die andern frühromanischen Wandmalereienn in den Rheinlanden gehören den folgenden Jahrhunderten an. Daher schon die besondere Bedeutunpg des Fundes in X a n t e n ! — vgl. P a u l C l e m e n „Die Romanische Monumentalmalerei in den R h e i n l a n d e n " " . (Düsseldorf 1916). Zu S. 150. C l e v e r T o r , P e s t h ä u s c h e n u n d B ü r g e r h ä u s e r . Über die Wiederherstellung s s. „Berichte über die Tätigkeit der Provinzialkommission für die Denkmalspflege in der Rheinprovinz'/:" X I I I (1909), Dort geometrische Aufnahmen und Schnitte. — F ü r die Bürgerhäuser s. R i c h a r d K l a p h e c k k „ B a u k u n s t am Niederrhein-' I (1915).

GOTISCHES HAUS AM MARKTPLATZ

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