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German Pages 181 [184] Year 1927
DER GEORGENCHOR
DER
B AM B ERGER DOM BILDWERKE UND SEINE
AUFGENOMMEN DURCH
WALTER HEGE BESCHRIEBEN VON
WILHELM FINDER
DEUTSCHER KUNSTVERLAG BERLIN
INHALTSVERZEICHNIS DES TEXTTEILES Verzeichnis der Bilder Grundriß Vorwort I. Art und Geschichte II. Das Bauwerk 1. Die erste Bauhütte 2. Die zweite Bauhütte 3. Die dritte Bauhütte 4. Die späteren Veränderungen III. Die Bauplastik 1. Die Werkstatt der ersten Bauhütte 2. Die Werkstatt neben der zweiten Bauhütte Die Schranken des Georgenchores Das Fürstentor 3. Die Werkstatt der dritten Bauhütte Der Stil des Reiter meistere a. Das Weltgericht b. Die drei Meisterwerke Der Stil des Engels vom hl. Dionysius Der Stil der Adamspforte Der Stil der Ekklesia und Synagoge Schlußwort
6 8 11 15 19 ig 27 50 33 35 39 44 44 57 64 66 66 68 79 81 84 86
VERZEICHNIS DER BILDER DER BAU VON A U S S E N Nummern derTafelbilder
1 2 5 4 5
Nummern derTextbilder
Der Dom von Südwesten Blick vom Rathausturm Geyerswörth Blick vom Turm der Martinskirche Der Dom von Nordwesten Der Dom von Osten Der Dom von Nordost und Alte Hofhaltung
Nummern derTafelbilder
Nummern derTextbilder
Der Georgenchor Titelbild Die Zwerggalerie am Georgenchor 2 Frieshand am Georgenchor 5 Zwei Geschosse des Südwestturmes 11 Eselskopf vom Südwestturm 15 Ost- undWestansicht (Meßbildnerische AuftragungderStaatl.Bildstelle,Berlin) 4,10
DER BAU VON I N N E N
44, 46 47 48,
Längsschnitt (Meßbildner. Auftragung) 45 Die Seitenschiffe Das Mittelschiff Blick nach dem Peterschor Der Georgenchor (Aufnahme der Staatl. Bildstelle, Berlin) 49 Der Peterschor
50, 51 Gewölbeansatz der westl.Vierung Gewölbe über dem Peterschor . . . . 5 (Aufnahme der Staatl. Bildstelle, Berlin) Westliches Querschiff und Chorschranke 6 Kapitale von der Blendarkade des Peterschores 8, 9, 55
DIE PORTALE 7 8
Die Veitstür Die G n a d e n p f o r t e Bogenfeld 20, 21 Kämpfergesimse mit Propheten, Engeln und Aposteln 22, 25 Maria, Halbfigur$ Maria und das Kaiserpaar Einzelheiten vom linken Kämpferfries 14 Halbfiguren des Petrus und der Kaiserin Kunigunde 15, 16 Kämpferstück und Kapitale am linken Gewände i 7, 18 6 Die A d a m s p f o r t e 12 Heiliger Stephan, Kaiserin Kunigunde, Kaiser Heinrich II.
6
15 Apostel Petrus, Adam, Eva 14, 15 Köpfe von Stephan und Petrus 16, 17 Köpfe von Adam und Eva 18, 19 Köpfe von Kunigunde und Heinrich 9 Das F ü r s t e n t o r Oberer Abschluß 34 11 Bogenfeld 24, 25 Die Gewände 26, 27 Apostel und Propheten beider Gewände 28, 29 Kämpfergesims und Köpfe der Apostel beider Gewände Einzelne Apostel und Propheten, Halbfiguren, Köpfe 55—42
VERZEICHNIS DER BILDER Nummern derTafelbilder
Nummern derTextbilder
50—55 Einzelheiten von Seligen und Verdammten des jüngsten Gerichts im Bogenfeld Der Posaunenbläser Abraham
56, 40, 42 Ekklesia: Ganzfigur, Kopf, Stützsäule 52 45 45 44
57-59» 4 1 » 45 Synagoge: Ganzfigur, Kopf, Stülzsäule 55
DIE SCHRANKEN AM Übersichtsbilder der vier Reihen
Nummern derTextbilder
Nummern derTafelbilder
GEORGENCHOR Anonyme Reihe
19—22
55—57 Die drei Felder Zwei Halbfiguren
27, 28
Petrusreihe 58-60 Die drei Felder Zwei Köpfe
52—54 25, 24
Paulusreihe 61-65 Die drei Felder 66, 67 Halbfiguren und Köpfe . . . 25, 26
DIE GROSSEN
Jonasreihe
Köpfe von Jonas und Hosea . . . 29, 50 64 Die Verkündigung und Köpfe daraus 51, 52 65 Erzengel Michael (in der TafelUnterschrift irrtümlich »Georg« genannt)
EINZEL FIGUREN
IM INNEREN (Jede Figur mit Lagebild, Ganz- und Halbfigur, zum Teil von verschiedenen Seiten, und Kopf) 69, 71, 76, 77 E l i s a b e t h Gewandteile 68-72, 74, 75 M a r i a Baldachin
46, 47
68, ?o, 75 7 78, 79 E n g e l 68, 69, 80-85 Papst Clemens VII. und hl. Dionys
12
84-89 Der R e i t e r 48 Konsole, Kopf des Pferdes . . . . 49—51 90—94 Grabmäler der Bischöfe Günther, Hohenlohe, Truhendingen Chorgestühl 54-56
2
Nummer im Grundriß
1 Adamspforte 2 Veitstür 5 Gnadenpforte 4 Fürstentor 5 / 6 Ekklesia und Synagoge am Fürstentor 7 Peters-(West-)Chor 8 Georgen-(Ost-)Chor Die die zwölf i links: anonyme Reihe Schranken Propheten l rechts: Jonasreihe des die zwölf [ links: Petrusreihe 10 George n chors Apostel l rechts: Paulusreihe 11 Die Verkündigung 12 Der hl. Michael
GRÜN
Nord
Grundriß
13 14 15 16 i7 18 19 20 21 22 25 24
Elisabeth Maria Papst Clemens VII. Hl. Dionys Der Engel Der Reiter Bischof Truhendingen Bischof Hohenlohe Bischof Günther Kreuzgang Nagelkapelle Sepultur
VORWORT
P
hotographien geben weniger und mehr als Originale. Stellen sie Steinplastik dar, so ist der Verlust der Farbigkeit der geringste; oft ist erstaunlich, viel vom Farben- und Stoffeindruck gerettet. Es fehlt aber die Greifbarkeit; und irreführend ist die Verzerrung der Maßstäbe: das Große erscheint klein, das Kleine groß. Das Fehlen der Körperhaftigkeit kann oft durch richtige Wahl mehrerer Ansichten überraschend ausgeglichen werden. Die Verzerrung der Maßstäbe bleibt ein Übel. Aber überall hat auch das Übel seine Vorzüge. Auch der Fachmann erkennt of t Wesentliches aus der Abbildung. Es ist keine Schande für ihn—sofern er das Original zu vergleichen weiß. Der Zug einer Gesamtform wird durch den kleinen, die Tiefe eines Details durch den großen Maßstab oft erst ganz verdeutlicht. Ansichten, die nicht die endgültig gemeinten sind, können besonders lehrreich sein: sie können uns die Nähe geben, in der der Schaffende sein Werk bei der Arbeit sah. Auch »malerische Aufnahmen« können Wichtiges erschließen: Möglichkeiten der Form, die der Schaffende selbst nicht ahnte und die gleichwohl unbewußte Keimwerte künftiger bewußter Möglichkeiten sind. Abbildungen isolieren Wesentliches; sie können, wie physikalische Experimente, lehrreiche Isolation wertvoller Situationen bedeuten, indem sie störende Nebeneindrücke fernhalten. Eine Einheit wie der Bamberger Dom ist zugleich ein vergangenes Werden und eine gewordene Gegebenheit. Dieser Doppelcharakter wird in unserem Buche zum Ausdruck gebracht, indem die Tafeln der Erlebnisfolge am Gegenwärtigen, der Text und seine Abbildungen der Zeitfolge der Geschichte entsprechen. Diese Veröffentlichung hat mehr Vorgänger, als zu ihrer Zeit j ene über Naumburg. Der Aufgabe nach ihr am ähnlichsten ist Dehios »Bamberger Dom« (i924, Verlag Piper), danach H.Beenkens »Bildwerke des Bamberger Domes« (1925,11.Cohen). Für die Architektur ist nach Dehio die kleine Arbeit von Werner Noack (»Deutsche Bauten, 4. Bd., August Hopfer) am wichtigsten geworden, für die Plastik die feinsinnige Darstellung von Hans Jantzen(» Deutsche Bildhauer des i5.Jahrh.«, 1925, Inselverlag). Der Verfasser des Textes verdankt 11
Beiden überzeugende Forschungsergebnisse; aber mit Beiden hat er sich auch überraschend oft in eigenen unabhängigen Meinungen getroffen. Die Diskussion über Bamberg, durch A. Weeses »Bamberger Domskulpturen« (2. Aufl. 1914, Straßburg) in breiten Fluß gebracht, ist besonders durch Vöge (Repertorium für Kunstwissenschaft, XXII, XXI V) und Frank-Oberaspach (Christi. Kunstblatt 1901) gefördert worden. Ferner sind R. Hamann (»Deutsche und französische Kunst«, Band i und 2,1922,1925) und E.Panofsky (»Deutsche Plastik des 11. bis 15-Jahrh., 1924, Kurt Wolff) zu nennen. Den Zusammenhang der Heimsuchung mit Reims hatte schon 1890 Dehio aufgedeckt (»Kunsthistor. Aufsätze «, München-Berlin 1914, S. 9 2 ff.). Die Leistungen der Vorgänger, im Geistigen wie in der Wiedergabe der Werke, werden nicht ignoriert, sondern als Tatsachen dankend anerkannt. Die schon verbreiteten Abbildungen erlaubten hier und da Verzichte, die Platz für neue und, wie wir glauben, schöne, wesentliche Aufnahmen gewährten. Fremdes Vergleichsmaterial durfte fortbleiben. Die neuen Aufnahmen von Walter Hege, somit überhaupt das ganze vorliegende Werk sind nur möglich gewesen durch weitgehende und weitherzige Unterstützung des Hohen Domkapitels, insbesondere des Herrn Weihbischof Dr. A d a m S e n g e r . Verlag und Photograph haben mich gebeten, ihren aufrichtigen ehrerbietigen Dank dem Werk voranzustellen. Es kann schwerlich genug geschehen, um den »Bamberger Dom« in den Vordergrund zu rücken. Er geht uns alle an, und die Frage seiner Ausmalung, die neuerdings so nahe gerückt ist, bedeutet eine Frage unserer Kultur selber. Jedes Interesse, das auch diese Veröffentlichung erweckt, kann einen Beitrag zur Lösung bedeuten. Zuletzt nämlich wird jene Frage heißen: Haben wir das Recht, mit eigener Kunst in den Bamberger Dom einzugreifen? Ist das möglich? Ist es nötig? Sicher ist Eines: Dem heiligen Lebenszwecke des Domes wird kein Schaden geschehen, wenn sein Wert als Denkmal alter deutscher Kunst unangetastet bleibt. Leipzig, Oktober 1926
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WILHELM F I N D E R
ABB. i. DOM VON NORDOST UND ALTE HOFHALTUNG
ARTUND GESCHICHTE
D
ERBamberger Dom ist der engste Verwandte desNaumburgers. Dome des Mittelalters können in der Tat in einer Weise verwandt sein, wie wir sie bei Menschen gewohnt sind. Sie sind Personen, sind es für vins jedenfalls mehr als die Menschen, die sie schufen. Sie haben eine Lebensgeschichte. Sie konnte in katastrophaler Form geknickt und abgelenkt werden von der Linie, die sie ziehen zu wollen schien; meist blieb ein erkennbarer Grundcharakter, der wechselnde Geschlechter und wechselnde Entschlüsse überdauert. Noch so, wie sie uns Heutigen überkommen sind, aus Wunden blutend, streckenweise verdeckt und verhängt durch späte Willkür, offenbart ihre Physiognomie eine deutlich eingeborene Individualität, die entstellt und überzeichnet, aber nicht vernichtet werden kann. Mittelalterliche Dome entstanden eben nicht, wie heute Kirchen zu entstehen pflegen: auf Beschluß einer begrenzten Gemeinde, jede als eine neben vielen, in
technisch-praktischerVerwirklichung einer festgelegten Form — durch die Baufirma, die den Zuschlag erhält —, zum Nutzen des Geschlechtes selbst, das sie bezahlt, notdürftig und oft nachträglich mit eingekeilt in einen engen, bodenrechtlich aufgeteilten Lebensraum; also ohne unmittelbare Forderung des Bodens selbst, den sie eigentlich erst zu gestalten hätten. Sie entstanden aus einem Willen, der schon in seinem Ansatz über das lebende Geschlecht hinauszielen konnte, aus unbestimmten Mitteln, auf wesentlich freiem Boden, oft der Zukunft anvertraut, die irgendwann eine Wirklichkeit aus ihnen machen würde. Sie entstanden zugleich als Symbole. Ihr Zweck war Ausdruck freierer, kühnererWillensabsich ten, die mit dem Bedürfnis einer Gemeinde noch nicht erklärt wären. Sie konnten also auch politische Symbole sein, sie waren jedenfalls Machtausdruck, sie waren vor allem — was sie heute am letzten sind — Sprache. Alles, was an verehrenden Kräften, an dunklen Gefühlen, an Bewußtsein eigener Kraft, zur Form, zur Sprache strebte, floß einst in das heilige Bauwerk als in das einzig natürliche Gefäß. Was heute, in zahllose Einzelströme zerteilt, aus Individuen bricht — das Kunstwerk des späten Einzel-Ichs als seine Selbstdarstellung, in Figur, Bild, Gedicht, Lied, Drama, Oper, Sonate und Symphonie—, das hob sich damals aus einer noch wirklich vorhandenen künstlerischen Massenseele, als die natürliche Sprache ihrer inneren Einheitlichkeit: im heiligen Bauwerk. Ganz gewiß, es diente der Verehrung Gottes, aber es erschöpfte darin noch keineswegs seinen Sinn. Der Dom von Bamberg war, wie der von Naumburg, nicht allein Gotteshaus, sondern zugleich Mal und Machtzeichen des Deutschtums, das sich zur Rückkehr in die alten, inzwischen von Slaven eingenommenen Sitze rüstete; Zeugnis eines volklichen Ausdehnungswillens. Nördlich und südlich vom Thüringer Walde wuchsen beide Monumente auf einer noch annähernd gleichmäßigen Frontlinie. Aber, wenn Naumburg allerdings eine kleine Zurücknahme der Front bedeutete, eine Rückverlegung von Zeitz her, das zu sehr gefährdet erschien, so ist Bamberg, ein Menschenalter früher, als kühnerVorstoß gedacht. Noch heute lebt in ihm als unwillkürlicher Eindruck für den Ankommenden der Ausdruck der Festung, des alten Castrum Babenberg, das hier schon vor dem Dome war. Er ist in das Gotteshaus mit eingegangen und als fühlbare Atmosphäre darauf ruhen geblieben. Kaiser Heinrich II. erzwang hier gegen den Wunsch des Würzburger Bischofs eine neue Diözese und damit einen neuen Dom (1004—1012). Wie in Naumburg, so sind also auch in Bamberg Dom und Diözese Spätlinge für das Mittelalter und erst Schöpfungen des frühen 11. Jahrhunderts. 14
Wie der Naumburger, ist aber auch, der Bamberger Dom von heute im wesentlichen sachlich nicht mehr der Gründungsbau, sondern das Werk einer zweihundert Jahre späteren Zeit. Der Heinrichsdom brannte 1081 bis auf die Mauern ab. Auch der 1111 geweihte Neubau erlebte, rund hundert Jahre nach jenem ersten, einen zweiten Brand (i 185). An seiner wirklichen Bedeutung bestehen Zweifel. Aber jedenfalls gab er Anlaß zu dem heute erhaltenen Dome, der also der dritte ist. Der »zweite« war in jene große Zeit gefallen, die mit der Einwölbung desbasilikalenMittelschiffes auf rheinischem Boden (Speyer undMainz), wie auf burgundischem (Cluny) eine entscheidende Sehnsucht der nordischen Architektur erfüllte. Es ist die Zeit Heinrichs IV. Obwohl die Oberaufsicht sogar der gleichen Person wie in Speyer zufiel (Bischof Otto), ist in Bamberg noch das alte Flachdecken-System angewendet worden. Es hat sich ja in Deutschland bis hinein in die erste Höhenzeit der »Gotik« — d. h. der nordfranzösischen Nationalform des basilikalen Gewölbebaues — fortgeschleppt. » Hätte schon damals«, sagt Dehio, »der Bamberger Dom Gewölbe erhalten, so wäre die ganze Entwicklung der Baukunst in diesen Gegenden eine andere geworden.« Aber die Wölbebauten von Speyer und Mainz waren erste, kühnste Versuche, hinter denen der Machtwille eines gewaltigen Herrschers stand. Selbst im Westen ist erst die Abteikirche von Maria-Laach, mehr, als ein halbes Jahrhundert nach dem zweiten Bamberger Bau, mit einer (sehr neuartigen) Gewölbebasilika auf dem noch schmalen Wege gefolgt. Wir sind an der Linie Naumburg-Bamberg für damals — für Bamberg beinahe noch heute — im östlichen Grenzlande. Dazu kommt aber noch — wohl entscheidender —, daß nach den erhaltenen Berichten die alte Substanz des Heinrichs-Domes offenbar kaum angetastet war. Es war mehr Schmückung und Sicherung als wirklicher Neubau nötig (Noack). Die persönliche Verwandtschaft beider Dome spricht vor allem daraus, daß ein Grundgedanke der ersten Anlage noch den so viel späteren Bau des frühen Dreizehnten bestimmt. Es ist der doppelchörige Grundriß; eine Idee also, die von der allgemeinen Zeitlage her, europäisch gesehen, in der Epoche der klassischen Gotik Frankreichs, ein ausgesprochener Anachronismus war. Hier eben zeigt sich die zähe Kraft des eingeborenen Lebensprinzips, der verwandte Personalcharakter beider Dome. Nur in einer ausgesprochen deutschen Welt war diese unveränderliche persönliche Ideendauer möglich. Für Frankreich, das von Experiment zu Experiment fortschritt, war jede Kathedrale ein »Fall«, an dem eine über-werkliche Gedankenreihe sich erprobte. Französische Kathedralen — bei aller wundervollen und reichen Eigenart — können von uns im Zusammenhange
miteinander, innerlich horizontal, abgelesen -werden. Sie sindTeile einer Gesamtlogik, wie im i g. Jahrhundert j edes französisch-impressionistische Gemälde Einzelfall einer sich erprobenden, übergeordneten Stilgesetzlichkeit ist. Deutsche Bauwerke — und gerade Bamberg, ebenso wie Naumburg — empfindet man stärker »vertikal«, d. h. jedes vereinzelt, nicht als Teil eines Längsbandes sich verwirklichender Stilgedanken, sondern als Lebewesen aus einer senkrecht vom Boden her aufsteigenden Wurzel, eben nur aus eigener Wurzelzone heraus. Das ist zugleich »romanisch«. Die gotische Architekturidee ist in sich viel zu konsequent, um den unveränderlichen Personalcharakter des Bauwerkes durch eine Reihe freier Veränderungen oder gar durch die Erhaltung eines älteren Wurzelprinzips erkaufen zu können. Im »Romanischen« aber liegt an sich die Idee des Freieren, »Zufälligeren«, des in höherem Grade Einmaligen, eben des Personalcharakters; es ist weniger System als Lebenssphäre. Eben darum empfinden wir es mit Recht als deutsch, d. h. unserem Volke adäquat. Und in der Tat ist es dagegen wieder der Systemcharakter der Gotik, der sie so sehr französisch macht. Bamberg undNaumburg sind in schon » gotischer « Zeit—als auch in Deutschland, und nun gerade auch im Osten, in Magdeburg, der erste Versuch einer wirklich gotischen Kathedrale unternommen wurde — im Grundriß deutschromanisch geblieben. Der französischen Gotik wäre der Gedanke des Doppelchores völlig unerträglich gewesen; ein karolingisch-ottonischer Gedanke nämlich, der sich von der altchristlichen Basilikalidee noch weiter als die Gotik selbst entfernt: Gruppierung statt Reihung, machtvoller Eigenausdruck des Baukörpers statt rein umhüllender, nur Innenraum-verwirklichender, dienender Funktion, vor allem: Mehrfältigkeit der Richtungen statt der Einseitigkeit eines einzigen heiligen Weges von West nach Ost, von einer Fassade zu einem Chore. Der gotische Baugedanke ist eine (sehr verwandelte) Wiederkehr des noch Älteren: Höhenweg auf Grund einseitigen Tiefenweges, wie er der Sinn der alten Basilika selbst gewesen war. Schon der »salische Stil«, von dem man durchaus reden darf (die alte Anlage von Straßburg, Spey er, Würzburg, Limburg a. d. Haardt, Hersfeld!) war eine Reaktion gegen den ottonischen gewesen, der noch gleichzeitig mit ihm blühte und der, wie im ersten Bamberger, dem ersten Naumburger Dome, vor allem in S. Michael zu Hildesheim sein deutlichstes spätes Bekenntnis ablegte. Speyer ist auch später dem salischen (zugleich cluniacensischen) Gedanken, dem nämlich der einseitigen Richtung von West nach Ost, treu geblieben; Worms und Mainz haben, mit den heutigen Domen von Bamberg und Naumburg gleichgerichtet, die Doppelung beibehalten. Bamberg aber hat 16
ABB. 2. DIE ZWERGGALERIE AM GEORGENCHOR
nicht, wie Hildesheim, zwei Querschiffe, auch nicht, wie Naumburg, ein östliches, sondern wie Mainz ein westliches Querschiff. Querschiff, Chor und Atrium (von dem berichtet wird) bildeten schließlich doch eine sehr besondere Betonung der Westseite, in der Querschiff und Vorhof sich eigentlich aufhoben und so der Gedanke der Geschlossenheit (nicht des Einganges) auch im Westen erst recht zum Ausdruck kam. Der Gedanke in dieser Form wird in Bamberg bayrisch sein. Die Verbindung mit dem Lande, in dem Heinrich II., der Gründer Bambergs, Herrscher und Inaugurator großartigen Baulebens (Regensburg!) wurde, liegt von vornherein nahe. Auch die ab 1075 angelegte Jakobskirche in Regensburg, eine Säulenbasilika, in der manAbhängigkeit vom älteren Bamberger Dome vermutet, hat ein westliches Querschiff. Im Ganzen ist es ein lebensgeschichtliches Merkmal, daß in Bamberg das Vergleichbare rund ein Menschenalter früher ist, als in Naumburg. Das gilt von der großen Plastik des 15. Jahrhunderts, es gilt aber auch von den Baudaten.
2 ist die erste Anlage in Bamberg, 1044 die in Naumburg fertig. War wirklich, wie Dehio vermutet, Bischof Otto II. von Andechs der erste, der den heute wesentlich gegebenen neuen Bau betrieb, so entspricht er in seiner Rolle dem Bischof Engelhard in Naumburg. Der Bamberger kommt 1177, der Naumburger 1207 zur Regierung. Doch ist sicherer als Otto II. sein Nachfolger B. Thiemo (1192 —1202) als Förderer bezeugt. 1197 hat er eine Steuer zugunsten der Vollendung der Domtürme ausgeschrieben. Kaiserin Runigunde wurde unter ihm 12 o i heilig gesprochen. Die eigentliche Ausführung geschieht in Bamberg erst unter Bischof Ekbert von Meran (i 205—12 57), mit dessen Tode sie wesentlich fertig ist. Da er viel abwesend war, mag (nach Noack) sein Oheim und Nachfolger Poppo, erst Propst, dann (1237—1242) Bischof, wichtigen Anteil haben. In Naumburg ist Dietrich von Wettin der Entsprechende. Unter ihm ist seit i 249 der dort auch für die Plastik entscheidendeWestchor entstanden. Im allgemeinen ist ständig der Abstand eines Menschenalters da. Zwischen den Personen beider Dome besteht ein Verhältnis, das jenem menschlicher Generationen entspricht. Einmal gesetzt, wirkt es konstant durch mehrere Stadien. Auch zwischen dem Meister des Bamberger Georgenchors und dem des Naumburger Westchors wird es bestanden haben. Naumburg blickt auf Bamberg; in seiner Plastik — stark reagierend, stark abwandelnd—, wie auch in der so sprechenden Abhängigkeit der Westtürme von denen des älteren Werkes. Wie in Naumburg, so ist auch in Bamberg der Dombau des frühen 15. Jahrhunderts mehr stilkritisch als archivalisch aufzuklären. Immerhin haben wir eine Altarweihe um 1229 im Peterschor (imWesten also) und sogar einen Meisternamen : »wortwrinus magister operis«; 1232 und 1235 päpstliche Ablässe und am 6.Mai 1237 die feierliche Weihe (Bischof Ekbert selbst sah sie nicht, erstarb noch im gleichen Jahre fern von Bamberg, in Wien). Ein Ablaß von i 274 betraf nur noch eine »restauratio«. Sicher ist zunächst, daß der »Wurzelgedanke« stärker war, als der des »Fortschrittes«.Es gehörte zu Bamberg, daß es im Osten seinen Georgen-, im Westen seinen Peterschor besaß; daran hielt man fest. Zu jedem gehörte eine Krypta. Schon Thietmar von Merseburg weiß von zwei Krypten (um 1012). (Die westliche, heute zumTeile ausgegraben, ist in ihren Zusammenhängen jedoch noch dunkel; nach Noack um oder vor 1000.) Auch die Krypta ist ein Gedanke, der der Gotik fremd geworden: der gotische Höhen weg spann sich über dem Tiefenwege eines einheitlichen Bodenshin. — In rund 4 o Jahren, von i 200—i 237, entstand, also zu »gotischer« Zeit, ein Werk, das altertümliche Grundideen gotischen Aufbaugedanken entgegenführte. 18
ABB. 3. PRIESBAND AM GEORGENCHOR
DAS B A U W E R K
D
IE ausgezeichneten Untersuchungen Noacks haben schon in der knappen Form, in der sie bisher vorliegen, sehr vorwärtsgeholfen. Die sechs Stadien, die Noack unterscheidet, sind, der Übersicht zuliebe, hier auf drei zusammengezogen. Wir sprechen im Sinne einer bequemen Arbeitshypothese von den drei wesentlichsten Bauabschnitten als von drei »Bauhütten«. Wir erhalten dadurch eine Parallele zu den drei Stadien (»Werkstätten«) der Bauplastik. DIE ERSTE BAUHÜTTE
Sie hat die Ostpartie geschaffen. Wir sehen als ihr Ergebnis die Ostkrypta, den Chorschluß, die drei unterenTurmgeschosse und diedrei ersten Langhausarkaden. Das wäre also für den Innenraum genau die Ausdehnung der Krypta. Diese selbst hat den Grundriß einer Hallenkirche mit einfachen, nicht gedoppeltenTraveen
(sechs im ganzen), querrechteckiger Form der Mittelschiffjoche und rundem Chorschluß. Dieser Grundriß liest sich wie ein gotischer. Und wirklich ist die Wölbung seiner überquadratischen Mittel] oche durch das Mittel der Kreuzrippe erreicht. DerChoraufbau der Oberkirche aber ist auf halbkreisförmigem Sockel — wenn wir das hohe, fensterlose Untergeschoß mit dem eigentlichen Grunds o ekel zusammensehen — polygonal (in 5/10 Schluß) gebrochen. Darin steckt, wie besonders Dehio betont hat, ein östlicher Gedanke. Es ist der auch in Syrien bekannte der halbkreisförmigen, polygonal ummantelten Apsis, jedoch so abgewandelt, daß die gegensätzlichen Elemente des Querschnittes zu gliedernder Form des Aufbaues geordnet sind. Dehio hat diesen Gedanken von Byzanz über die Provence und Burgund einmal nach Trier, dann nach dem Oberrhein (Basel, Freiburg) verfolgt; er sieht, gleich Noack, die Verbindung mit dem Oberrhein als bewiesen an (Titelbild). In der Tat ist der Eindruck, zumal der äußere der Apsis, auf den ersten Blick schon sehr rheinisch. Die starke Konzentration der Massen auf die Kanten sieht wie eine einfachere (gewiß weit weniger energische) Vorform des grandiosen Gedankens aus, den der Meister des Wormser Westchors etwas später ausführte: eine deutsche Ausprägung des »gotischen« Prinzips der Heranziehung der Massen auf Kraftlinien, durch die der Charakter der Masse zwar noch gewahrt, aber schon zu einem eigentümlichen Energieausdruck durchdifferenziert wird. Worms selbst aber hängt, wie vor allem Kautzsch bewies und beweisen wird, eng mit dem Oberrhein zusammen. Rheinisch wirkt auch die Zwerggalerie unter dem Dache, rheinisch und zugleich oberitalienisch. Daß in der Apsis unmittelbar Burgundisches stecke, scheint dem Verfasser nicht so sicher wie die jedenfalls oberrheinische Herkunft der Werkstatt, die hier arbeitete. Sie verbürgt mittelbar burgundische und oberitalienische Verbindungen. Der Eindruck derGeorgenchor-Apsisvon außen, der erste Naheindruck des Ankömmlings, der von der Bürgerstadt über den Fluß denBergzumDom-Castrum hinangestiegen, ist von strahlender Pracht, antigotisch durchaus. Die unterste Sockellage und die Zwerggalerieobenkorrespondieren.Zwischenihnen der Hauptblock, unten fensterlos und halbkreisförmig im Grundriß, oben polygonal und nun tief eingeschnitten, so daß, fast wie in Worms, die Wand annähernd weggezehrt ist, nichts bleibt als tief eingeschachtete Raumöffnungen zwischen starken Körperprofilen, die von der Kante aus verbreitert sind. Echt romanisch aber das Bedürfnis, diesen rein struktiv sehr eindrucksvollen Formenrhythmus von Vor und Zurück, Öffnung und Kantung noch mit Schmuckwerk zu besetzen: den 20
ABB. 4. OSTANSICHT
ABB. 5. GEWÖLBE ÜBER DEM PETERSCHOR UND DEM WESTLICHEN QUERSCHIFF
Kugeln der inneren Laibung. Ungemein feinfühlig ist die Überleitung aus dem kurvierten Umriß in den geraden. An dieser Stelle liegt über dem üblichen Bö genfriese, der die Lisenen des Untergeschosses verbindet, ein fünffach gegliedertes, erst konkav gekacheltes, dann in dreifacher Tropfung plastisch gehäuftes Friesband (Abb. 5). Indem es nun auch über die Kapitelle der unteren Säulen gleitet, formt es sich zu gerade gekasteltem Steinwerk — und sofort ist die Überführung in die Welt der Winkel aus der Welt der Kurve angebahnt. Man muß annehmen, daß die nördliche (Gnaden-) Pforte im Turme neben der Apsis mit einem sym22
ABB. 6. WESTLICHES QUERSCHIFF UND CHORSCHRANKE
metrischen Gegenstücke gleicher Form am südlichen zusammenberechnet war. Die Genauigkeit der Berechnung erhellt aus dem Gesamtcharakter der Apsis, auch aus der auf Einheit abgestimmten Lage des Bogenfrieses über dem Nordostportal — sie entspricht dem reichen Friesbande zwischen Rundsockel und Polygonalgeschoß. Auch das Kugelornament — am Portal zur Rosette verfeinert. 2
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Ehemalige Westkrypta, in der Ausgrabung begriffen
ABB. 7. LÄNGSSCHNITT. LINKS PETERS-(WE
ST-)CHOR, RECHTS GEORGEN-(OST-) CHOR
aber als Grundform unverkennbar geblieben —verknüpft Apsis und Gnadenpforte. Indessen, das wirklich vorhandene Gegenstück ist nur sehr allgemein, allzu allgemein symmetrisch: es ist die heutige »Adamspforte«, ein rein bogenfensterförmiges Portal ohne Architrav undTympanon, stark getreppt und mit reich profiliertem (»normannischem«) Zackenornament. Offenbar — wie auch Beenken vermutet — ein älteres Stück, das sich erhielt, das man schließlich nicht antastete und zuletzt noch darum rettete, weil sich allenfalls hier — drüben aber nicht — sechs Statuen vorflicken ließen. Wie unorganisch das Ganze geworden ist, lehrt ein Blick von genügend weitem Standpunkt auf das ABB. 8. KAPITAL VON DER BLENDARKADE Ganze der Ostfront: die nördliche GnaDES PETERSCHORES denpforte (»rechts«) ist den Apsidialfenstern nicht nur dekorativ, sondern auch im Rhythmus verwandt, sie taucht wie sie in die Tiefe ein; die Adamspforte ist niedriger und flacher, ihr plastischer Schmuck springt regellos vor (Tafel 5 und 6). Der wesentlich horizontale Charakter der äußeren Ostpartie ist trotz der verhältnismäßig schlanken Steilheit der Türme auch in deren Gliederung gewahrt. Unveränderter Querschnitt, ruhende Rechteckform der Geschosse, schon der beiden des Mauersockels über der Portalzone — diese reicht bis zum Dachkranz der Apsis. Nur daß die beiden Obergeschosse der Freitürme durch breite Blendbogen mit Paaren frühgotischer Doppelfenster ausgesetzt sind (Planänderung?). Die letzten Geschosse gehören in das Kapitel der »historischen Architektur« des 18. Jahrhunderts nicht freilich —, wie die Endigungen am Mainzer Westchore oder die Schleierarkaturen an der Längsfront des Straßburger Münsters — an seine ruhmreichste Stelle (Abb. 4, Tafel 5). Im Innern der Ostpartie, soweit die Krypta darunter reicht, im ganzen ersten Bauabschnitte also, zeigt sich nach Westen zu ein Tasten, Versuchen, Abbrechen, nachträgliches Zusammenflicken. Noch keineswegs in der Apsis selbst: sie ist von
ruhiger, feierlicher Reinheit, mit Blendarkaden (Kleeblattbögen) im Untergeschoß, die die oberrheinische Architektur auch in ihren gotischen Werken (Straßburg,Freiburg,Basel)kennt,aber auch schon im Speyerer Nischenmotive vorbereitet hat; als Deckung eine Halbkugel. Aber was nun scheinbar als eine erste Travee folgt, unter sechsteiligem Gewölbe (ebenfalls rheinisch, auch normannisch, auch nordfranzösisch!) vereinigt, das ist disparat. Die östliche Hälfte war wohl mit Tonnengewölbe geplant. Ihre Wand ist durch einen heute sinnlos wirkenden Pilaster, der in halber Höhe geschlossen ist, noch einmal durchgeteilt. In beiden Hälften unregelmäßig stehende Gruppenfenster. ABB. 9. EINZELHEIT VOM KAPITAL Die westliche Hälfte ist bereits Arkade AUF ABB. 8 und gehört ursprünglich mit zwei folgenden zu einer Dreiergruppe zusammen. Offenbar spricht diese Dreiheit gegen ein etwa geplantes Kreuzgewölbe. Ob auch hier eine Tonne (das wäre burgundisch!) oder gar noch immer eine Flachdecke geplant war, ist schwer auszumachen. Noack glaubt an die Tonne, Dehio hält die Flachdecke nicht für unmöglich (Tafel 47).
DIE ZWEITE BAUHÜTTE Jedenfalls ist die jetzige Fassung, die beide westliche Arkaden unter einem vierteiligen Kreuzgewölbe vereinigt, die östliche aber mit dem Vorderchor unter dem sechsteiligen, eine nachträgliche und unerfreuliche Lösung. Ein Kompromiß offenbar zugunsten des nun durchgedrungenen endgültigen Systemes, das der (wohl unmittelbar) folgende Bauabschnitt angenommen. Zu den drei Doppeltraveen des Langhauses gegen Westen hin trat so das "westliche Paar der alten Dreiergruppe als vierte. Gebundenes System wie in Naumburg (je zwei 27
Seitenschiff-Joche einem des Mittelschiffes an jeder Wand zugeordnet). Also im Grunde auch hier romanisches Raumgefühl. Aber: steilere Proportion, die gemauerten (im Querschnitt rechteckigen) Schilde und Gurten sowie die Schildbogen der Arkaden gespitzt, und vor allem: Kreuzrippen. Die Gewölbe haben im westlichen Langhause (einen Grad geringer als in den beiden östlichen Jochen) einen leichten bogenförmigen Stich. Im Osten liegt besonders deutlich der Scheitel des Schlusses höher als der der Gurten und Schilde; also eine leicht kuppelige Form. Der ganze Eindruck einer fast nüchtern-soliden, herben, aber nicht reizlosen Sauberkeit und Klarheit, den das neuere System macht, den aber auch Einzelheiten verraten, ist von asketischer Reinheit :eristzisterziensisch. Und wirklich ist offenbar im Verlaufe dieses zweiten Abschnittes eine neue Bauhütte aufgetreten, die zweite Bamberger Bauhütte, wie wir sie nennen wollen, und diese ist vorher im Zisterzienserkloster Ebrach tätig gewesen. Im Westbau, den sie noch errichtet hat, in dem sie sich sogar erst völlig frei entfaltete, ist der Peterschor keine sehr glückliche Leistung. Es folgt ein Querschiff, dessen Kahlheit das (ebenfalls stark an Ebrach erinnernde) Rosenfenster eher betont als aufhebt. Die im Chore nun durchgeführte Polygonalität ist wirklich die gotische, nicht jene östlich begründete kontrastreiche Idee eines Zugleich von Winkel und Kurve. 5/10 Schluß auch hier. Außerordentlich schmale rechteckige Kreuzgewölbe; auch der quadratische Charakter der Querschifflügel durch Überspannung mit je zwei rechteckigen Gewölben aufgehoben. Das gleiche Prinzip, noch schärfer und zugleich leerer wirkend, auf den Vorderchor angewandt. Eine Steilheit, Spitzung, Schärfung, der kein wahres Empor der Wand entspricht, eine künstlich auferlegte Form. Der zisterziensische Charakter erhellt nun überall auch aus den Einzelheiten; sie sind rein tektonisch, schmuckfeindlich, von scharfer Logik und einem Ausdruck frommer Resignation, der besonders in der Bevorzugung der echt zisterziensischen Abfangkonsolen zum Ausdruck gelangt. Auch das Nordwestportal am Peterschor (Veitstür) ist charakteristisch, desgleichen die Nagelkapelle. Im inneren Chorschluß Dreigeschossigkeit: auch hier Blendarkade unten, dann Hauptfensterstellung, dann aber — im Gegensatz zum Georgenchor — ein Lichtgaden. Er wirkt wie hinauf gerutscht, die Oberfenster wie weggedrückt durch die, an sich eleganten, scharfen Kreuzrippen. Vielleicht ist der ursprüngliche Gedanke hier nicht rein erhalten (Abb. 5—10, Tafel 46—51).
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ABB. ίο. WESTANSICHT
DIE DRITTE BAUHÜTTE Das Wichtigste am westlichen Außenbau sind die Türme. Angelegt (nach Noack) noch von der »Ebracher« Hütte; im Aufgehen aber völlig neu. Hier tritt die dritte BambergerBauhütte auf. Der Entwurf der oberen Geschosse hat mit dem Zisterziensisch-Ebrachischen nichts mehr gemein. Er bedeutet einen direkten Einstrom aus dem Hauptgebiete der nordfranzösischen Kathedralgotik. Auch hier, wie so oft in Deutschland (Limburg a. d. Lahn, Halberstadt, Magdeburg) zeigt sich die spezifische Anziehungskraft von Laon für die Deutschen. Noch im Weltkriege war die Kathedrale von Laon vielen unABB. 11. ZWEI GESCHOSSE DES SÜDWESTTURMES serer Landsleute, die sonst »nichts sahen«, nicht nur imposant, sondern geheimnisvoll sympathisch, wie aus der magischen Kraft einer uralten Beziehung wirkend. Und so sicher sie in ihrer wirklichen Form nicht auf deutschem Boden entstanden sein könnte, so genügt doch ein Blick auf Notre Dame zu Paris, um den Abstand des ostfranzösischen Werkes vom Urfranzösischen, seine innere Nähe zu uns, fühlbar zu machen. Dehio hat in seiner »Baukunst des Abendlandes« eine unüberbietbare Analyse der Fassaden von Laon und Paris gegeben. Der Gegensatz kommt zuletzt auf den von »Organisation« und »Kristallisation« (wie esSchmarsow nennen würde) hinaus. In Paris ist das Einzelgeschoß »abhebbar«, in Laon unlöslich zum nächsten hinüberverwurzelt. In Paris ist das Rechteck, in Laon das Dreieck Grundgesetz, in Paris eine ruhende, in Laon eine steigende Form. Die Fassade von Notre Dame ist Flachrelief, die von Laon vor- und zurückwogende Vollplastik. Paris ist horizontal, Laon vertikal empfunden; Paris »griechisch«, von klassischer Ruhe, Laon »germanisch«, von durchaus unklassischer Bewegtheit. Das lag den Deutschen. Man braucht nur die Stellung beider Länder zum Barock zu kennen, um zu wissen, wie gering Paris, wie mächtig Laon auf das naive Erleben deutscher Künstler wirken mußte. Sonderbar aber: so mächtig und hinreißend
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der Eindruck war — heimgekehrt und noch · ^ 3 ·£·3 · !(·· ' frisch entzündet von ihm, haben die Deutschen gleichwohl mehr Merkmale ihres »Dagewesenseins« als eine wirkliche Wiedergabe oder garWeiterführung gerade des Wesentlichen — das unbewußt gewiß ihre Begeisterung zuerst bestimmte — niedergelegt. Selbst in Limburg a. d. L., das doch ein wirklicher Neubau war, von keinem alten Dauercharakter vorbestimmt (wie Bamberg und Naumburg), selbst dort ist das Steigen und Drängen der Laoner Formenwelt in eine deutschromanische — wundervoll originelle, aber doch mehr statische — Festigkeit hineingepreßt. So auch in Bamberg. Das Entscheidende war die Abwan dlung des viereckigen Querschnitts zum achteckigen durch durchbrochene TaberABB. 12. BALDACHIN ÜBER MARIA nakel an den Diagonalseiten (Tafel 4). Das deutsche Vierzehnte hat im Freiburger Münsterturme die geradezu ideale Vollendung dieses Gedankens gegeben. Noch immer wirkte auch in Freiburg, das unmerklich abschleifend das Gegensätzliche in silbern-zarter Transparenz zur Spitzung zusammenführte, der Keim Laon. Villard de Honnecourt gibt unter Ausdrückenhöchster Bewunderung in seinem Skizzenbuche die altenTurmhelme von Laon wieder; wir kennen sie nur dadurch. Hier war in der Aufschlitzung der Steinschrägen zwischen krabbenbesetzten Rippen die Transparenz schon angebahnt, die in Freiburg so unvergeßlich zum Klingen gebracht ist. So typisch deutsch die letzte vollendende Steigerung eines einmal fremd gewesenen, nun aber im Bewußtsein womöglich schon vergessenen Keimgedankens durch Freiburg ist — so typisch deutsch ist der zähe Reduktionstrieb der frisch aus Laon Heimgekehrten vor den innerdeutschen Aufgaben. Zwei Tabernakelgeschosse einer Diagonalseite entsprechen in Laon einem riesigen Steilfenster der Mitten. In Bamberg aber geht die Raumteilung dreier Geschosse durch Mittelfenster und Tabernakel. Der Höhen drang ist aufgehoben, nur der Gedanke der plastischen Dekoration ist geblieben: eine Rückübersetzung in das »Romanische«. Dabeihatten diese deutschen Künstler ihre Augen gut aufgehabt. So, wie in Naumburg die
Baldachine über den Statuen eine ganze Sammlung architektonischer Modelle französischer Gotik sind, so ist es auch in Bamberg. Die »zweite« (eigentlich dritte!) Bamberger Bildhauerwerkstatt ist ja keine andere als die »dritte Bauhütte «. Wie in Naumburg, so ist auch in Bamberg der Peterschor die Einbruchsstelle westlicher moderner Kunst. Mit der gotischen Architektur ist die gotische Plastik gekommen. Die Naumburger Plastik beweist in den Kleinformen ihrer Baldachine eine weit intimere Kenntnis gotischer Bauweise —für die Bauhütte selbst also — als die Großformen, vor allem die der Türme, die ja die Bamberger kopierten, um die Verwandtschaft beider Werke noch zu vollenden. So auch in Bamberg. Frank-Oberaspach hat zuerst ausgesprochen, daß der Baldachin über Maria (früher über Dionys) ein weit getreueres Abbild der Türme von Laon gibt, als man am Dome baulich verwirklicht hat (Abb. 12). In freierer Form spukt der Tabernakelgedanke auch im (freilich veränderten) Baldachin über dem Dionys, während der französische Chor mit Kapellenkranz über dem benachbarten Engel, auch über der Kunigunde der Adamspforte, mit sicherstem Verständnis, wirklich als architektonisches Modell, wiedergegeben ist. Man wußte mehr, als man wollen durfte? Oder wollte man mehr, als man konnte? Vielleicht ist der innerste Unterschied beider Fragestellungen gar nicht so groß, als er scheint. Vielleicht wäre rein technisch der gleichen Bauhütte die Ausführung z. B. eines französischen Kapellen chores durchaus möglich gewesen. Aber an solcher Stelle trat ja offenbar der Personalcharakter des Domes, seine »vertikale« Wurzelkraft entgegen, die ihn nach altem Eigengesetze wachsen lassen wollte. Auch stand ja, als Werk der zweiten Bauhütte, der Peterschor eben fertig und neu da, als die dritte aus Frankreich anlangte. Diese dritte kam — in mehreren Betrachten — zu spät. Und dennoch darf man fragen, ob sie, selbst rechtzeitig angelangt, nicht doch auch dann getan hätte, was sie an den Türmen tat: einen Verzicht aus Unterordnung unter einen determinierenden Baucharakter. Der Kapellenkranz ist ein Kontrastmotiv; er betont am stärksten den Gegensatz eines östlichen Halbzentralbaues zu einer westlichen Fassade. Im Westbau, gegenüber einem symmetrisch entsprechenden Ostchor, hätte er den Personalcharakter des Domes gebrochen. Aber der stand mit zäher Kraft. Man hätte ihm das nicht antun können. Ist eine solche, schon im Unbewußten ansetzende Rücksicht nicht auch bei den Westtürmen — anders als in dem innerlich doch noch romanischen Limburg a. d.Lahn — der innere Grund für die Selbstbescheidung einer Bauhütte, die es besser wußte? Wirklich nach Laon kopierte Türme hätten die Einheit des Charakters zerrissen. Innerhalb dieser Einheit aber mit relativer Freiheit wirken
zu müssen — dies eben ergab der Zusammenstoß zwischen der Person des Bauwerkes und der Person des Bauleiters. Das Werk war stärker als der Mensch — das ist nicht nur mittelalterlich; es ist in besonders hohem Grade deutsch! So ist heute im Ganzen des Domes wohl eine feine Erleichterung zu spüren, wenn wir von unten und von Osten kommend (so schreibt es die Lage nun einmal vor) nach Westen weiter blicken. Aber in Ost und West entsprechen sich jetzt die Türme immer noch, sind (freilich erst im 18. Jahrhundert) auch noch gleich hoch geworden, sind noch Verwandte, noch »Diener am Werke« — wie jene großartig-naiven Menschennaturen selbst, die sie, als noch in gleicher Zeit sich berührende Generationen, verwirklicht haben. Übrigens hat Dehio besonders betont, daß am ersten Oktogongeschoß des Nordwestturmes sich Ansätze einer Planung finden, die — zu Ende geführt — das ganze Geschoß mit einer Schleiergalerie umsponnen hätte. Sie ist aber eben nicht zu Ende geführt — auch sie wäre vielleicht zu große Zumutung gewesen (Abb. 4, , 2, Tafel 4 und 5). Das Gesamtbild von außen her hat viel mit dem Naumburgischen gemein. Hier und dort ist zwischen frei, aber symmetrisch korrespondierende, in sich reich zentralisierte und zugleich aufstrebende Formengruppen ein einfach gemauertes, in romanisch -schweren Flächen ruhendes Langhaus gebreitet. Auch ist die innere Länge fast völlig gleich: in Bamberg 0,5 m, in Naumburg 97111. Gewiß, es sind starke Unterschiede da. Eine reiche und frei anschließende architektonische Umwelt ist beiden gemeinsam; sie ist in Naumburg malerischer, in Bamberg monumentaler. In Naumburg liegt das Querschiff im Osten, in Bamberg imWesten. Hier ist, wenigstens im Grundrisse, durch die vortretende Mauerverstärkung, in die das » Fürstentor « eingelassen wurde, eine Art Entsprechung zum Überstande des Querschiffes geschaffen.
DIE SPÄTEREN
VERÄNDERUNGEN
Spätere Zeiten haben in beiden Fällen Einiges hinzugetan, Gutes und Böses, Wachstum und Zerstörung. Zum ersteren rechnen wir in Bamberg den Kreuzgang mit Andreaskapelle (1399) und die »Sepultur«, d.h. die Verlängerung der zisterziensisch gebauten Nagelkapelle um vier weitere Joche (i 431—1450); vor allem aber die schöne maßwerkverzierte Terrassenanlage im Osten (1507). Die bedenklichen Veränderungen hat ineinemsehr warmherzigen Aufsatze Joseph Hofmüller besonders gekennzeichnet (Süddeutsche Monatshefte, 23. Jahrgang,
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Heft i 2). 1648—1655 wurde das Innere der Glasfenster beraubt und weißgrau übertüncht, die alten Altäre werden zum größten Teile damals verschwunden sein. Doch war dies wenigstens die Tat einer in sich selber stilbewußten Zeit. Indem sie die rhythmische Vielfältigkeit des Mittelalters aufzuheben suchte, schuf sie wenigstens ihr positives Ideal in dem einheitlichen Massengrund für das Auge, auf dem, vielleicht sehr glanzvoll, die Pracht barocker Altäre sich abhob. Das Großartigste davon ist wiedergekommen. Die Kreuzigung Justus Gleskers, die als erste große Tat der deutschen Plastik nach dem dreißigjährigen Kriege erstand, überlebensgroß, aus vergoldetem Holz, ist heute wieder im Peterschore aufgestellt und sollte über den großartigen Leistungen des Mittelalters doch nicht übersehen werden. 1744 —1768 ging man an das Äußere. Das Ziegeldach wich dem Schiefer, der Dachreiter der Mitte fiel, die Osttürme erhielten ihre Obergeschosse, alle vier Türme ihre Spitzen — leider keineswegs durch eine Phantasie, wie sie bald darauf Ignaz Michael Neumann am Mainzer Westchore bewies. 1828—1837 kam die puristischeVernüchterung des Inneren durch Heideloff und Gärtner. Sie war wohlmeinend, ein begeisterter Gedanke Ludwigs I. Sie wandte sich gegen den Barock des Siebenzehnten, stellte die natürliche Steinfarbe her — was immerhin mit dem vorwiegend zisterziensischen Formencharakter des Inneren heute einen eigentümlich reinen Klang ergibt —, räumte aber auch mit dem Reichtum der Grabmäler auf und brachte ein traurig phantasieloses Mobiliar hinein, das obendrein die Ausbreitung" des Auges im Räume behindert. Doch blieb das köstliche Chorgestühl des späteren 14. Jahrhunderts im Peterschore (Abb. 54—56) und eine noch immer stattliche Reihe von Grabmalern, von denen zwei, der Friedrich von Hohenlohe und der Truhendingen, als eminent charakteristische Werke des mittleren 14. Jahrhunderts und als Dokumente der Wandlung gegenüber dem Dreizehnten auch in dieser Veröffentlichung ihren Platz finden mußten (Tafel 90—93). Der Blick vom Hohenlohe auf den Reiter, vom Ideal des Greises zum Ideal des Jünglings, überfliegt eine der wichtigsten Entscheidungsepochen unserer Kunst. Tilman Riemenschneider schuf 1499 bis 1513 das Grabmal für Heinrich und Kunigunde. (Recht störend im Langhause aufgestellt.) Und inderSepultur ist eine großeReihe,zumal metallener, Grabplatten von Bedeutung. Trotz aller Verluste ist der Bamberger Dom immer noch eines der wenigen ganz großen Heiligtümer deutscher Kunst. Er ist es in erster Linie durch seine Plastik des 13. Jahrhunderts. Sie ist, wie bei der NaumburgerVeröffentlichung, das eigentliche Thema der Hegeschen Aufnahmen wie der erläuternden Worte des Verfassers.
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ABB. is- ESELSKOPF (ALTER STANDORT AUF ABB.nJ
DIE BAUPLASTIK
S
IE verteilt sich, ganz im Großen gesehen, wahrscheinlich auf alle drei Bauhütten, wobei wirnicht vergessen wollen, daß zu einer echt zisterziensischen (der zweiten) eigentlich keine Plastiker gehören. Innerhalb dieser großen Gruppen aber herrschen jedesmal starke Nuancen und Unterschiede, die nur zum kleinerenTeile imWerden künstlerischerPersönlichkeiten an ihren Aufgaben, zum größeren an der Mehrfältigkeit der Kräfte liegen. Denn die plastische Arbeit des hohen Mittelalters ist genossenschaftlich. Sie ist, nicht zufällig, auch anonym. Das Eine hängt am Anderen. Der beherrschende Personalcharakter des Gesamtkunstwerkes — nicht nur des deutschen Domes, den er besonders kennzeichnet, sondern allgemein auch der französischen Kathedrale — bedingt beides. Es handelt sich nicht, wie heute, um den individuellen Schaffensdrang der einzelnen Künstler. Die große Aufgabe ist früher da als sie und ihre Form, die sie erst aus ihnen locken wird; sie zieht sie an sich heran, sie treten in sie als in einen
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übergeordneten Kosmos ein. Sie sind nicht weniger Persönlichkeiten gewesen, als moderne Künstler, aber sie haben es wohl nicht in dem gleichen Sinne gewußt, wie diese. Sie haben ihre Einmaligkeit nicht bewußt dargestellt, sondern unwillkürlich bewiesen. Wir sehen sie, und wir müssen ihnen nach den Teilen jenes Kosmos, daran es geschah, die Namen geben, die uns selbst zu nennen ihnen gar nicht in den Sinn gekommen wäre. Eines aber ist vorauszuschicken. Der eigentlich noch immer nicht allgemein genug betonte Unterschied der deutschen und der französischen Bauplastik ist der von Innenraum- und Freiluftplastik. Er kommt mit unmittelbarer Notwendigkeit schon aus der Architektur selbst. Frankreich hat die Gotik gefunden. Deutschland hat sich,bei allem bewußten und langsam positiv zeugerisch werdenden Interesse,in seinem tiefsten Innern gegen sie gewehrt, und zwar auch aus plastischer Gesinnung, nämlich dem Bauwerke als Ganzem gegenüber. Bauplastik ist Arbeit der Bauhütte, in beiden Fällen — das steht fest. Die Figur ist ein Bauglied, wenn auch kein struktiv notwendiges, also vielmehr — im edelsten Sinne — ein dekoratives. Aber die französische entsteht an der F a s s a d e ; und d i e d e u t s c h e B a u k u n s t — gerade an den Stellen, wo sie im Dreizehnten ihre stärkste Plastik empfing — hat j a gar keine Fassade. Selbst in Straßburg, wo der Fassadengedanke durchdrang, ist er zur Zeit der ersten großen Plastik (an der Südostpartie) noch gar nicht gotisch verwirklicht gewesen. Erst an der Wende vom Dreizehnten zum Vierzehnten geben Freiburg und Straßburg die ersten Beispiele durchgeführter Westplastik, d. h. Fassaden- und Portalplastik. Erst im Laufe desVierzehnten, als der Gedanke des Doppelchores endgültig aufgegeben war, holt verspätet eine neue, nur in sehr abgewandeltem Sinne noch » gotische « Baukunst — nennen wir sie » Münsterbaukunst« im Gegensatz zur deutschen Dom- und französischen Kathedralenarchitektur der älteren und größeren Zeit — die Portalplastik nach. Die Portalplastik — denn sie ist eben das Wesentliche der Fassaden-, der Freiluftplastik, das erste jedenfalls, das sie erzeugte. Außerdem hat bekanntlich die französische Kunst auch in den oberen Regionen, in den Königsgalerien und besonders den Tabernakeln der Strebepfeiler (Reims) skulpturale Aufgaben entdeckt. Entscheidend ist die statuarische Kunst der Gewände. Die B o genfläche der Portale ist allerdings auch in Deutschland früh schon Feld dekorativer Bildnerei — die sich sonst eher nur wie regelloses Streuornament hier und da an die Außenwände zu werfen pflegt. Die deutsche Plastik ist tatsächlich von vornherein überhaupt weniger architekturgebunden. Sie steht der Kleinkunst und Flächenkunst nahe, sie ist sich 36
vergrößerndeKleinkunst, sich verplastizierende Flächenkunst, auch sich verlebendigende Gerätekunst. Etwas dem Braunschweiger Bronzelöwen Entsprechendes hat Frankreich nicht hervorgebracht, dafür aber zu gleicher Zeit die herrliche Fassadenplastik von Chartres. Freiluftplastik ist sie. Der Charakter der Gewändesäule, seines tragenden Sinnes entkleidet, zur Schwebung (wie Jantzen richtig ausgeführt) vergeistigt, zu Figuren angemenschlicht, wirkt durch: in der Röhrenform, in der fühlbaren Hülse um die »Menschen«, in der Maßgeblichkeit der Pfostenkante (Arles wie Chartres!) für Stellung und Axenteilung der Figur. Langsam, in freier Luft, draußen an der Westfassade vor allem, am heiligsten Haupteingange, aber natürlich auch an den seitlichen (siehe vor allem Chartres-Süd und -Nord!), hat die Figur ihren übertektonisch-organischen Sinn innerhalb von Schwebung und von Vergleichbarkeit zur Gewändesäule gefunden, sich herausgeschält bis zum Scheine antiker Freiheit, ohne sich doch jemals völlig zu emanzipieren. Die deutsche Plastik, die das Gewändeportal der Fassade nicht heranlocken konnte, weil es (viel zu selten betont!) kaum Gewändeportale, vor allem aber keine Fassade gab, hat in monumental vergrößerter, verlebendigter Gerätform (Braünschweiger Löwe!) oder im Grabmal,hat aber in Beziehung zur Architektur wesentlich als Schmuck des Innenraum es sich entwickeln können. Nur die Bogenfelder der Portale, nur deren obere Zonen also — genauer gesagt — lockten sie auch an das Äußere. Naumburg und Bamberg sind für diese typisch deutsche Macht des Innenraumes über unsere Plastik — im schärfsten Gegensatze zur Macht der Freiluft und des Außenbaues über die französische — wichtigste Beispiele. Wohl wird, wie noch zu zeigen, das Bogenfeld der Gnadenpforte — gleich dem altertümlicheren des Naumburger südlichen Querschiffportales, das dort Haupteingang ist Außenplastik — also gerade das Älteste sein! Und im ganzen hat ja Bamberg sogar drei skulpierte Portale. Aber das Herrlichste hat doch der Innenraum mit seinenbesonderen Aufgaben erstherausgeholt: inBamberg zunächstin denSchranken des Georgenchores,inNaumburg endgültig mitLettnerund Statuen des Westchores. Den Georgenchorschranken ist in Bamberg das Fürstentor gefolgt. Es spiegelt in seiner Gesamtgeschichte bereits die Anwesenheit der dritten Bauhütte, der des letzten Westbaues, die am Bau das Wenigste (die Westtürme), in der Plastik das Meiste geleistet hat. Die späten Bamberger aber fanden einen fertigen Bau — der große Naumburger durfte Architektur und Skulptur des Westchores ineinander einpassen. So entstand in Naumburg die organisch-einheitlichste Verbindung, die es überhaupt im hohen Mittelalterzwischen Bauwerk und Gestalten
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gegeben hat. Es war aber — Innenraumplastik. Was im Magdeburger Chore noch aus Not geschah, immerhin schon zur Tugend gemacht als fruchtbarer und tief antifranzösischer Organisationsgedanke (die Figuren eines französisch geplanten, aber aufgegebenen Gewändeportals innen auf den Bischofschor verteilt) —, das wurde in Naumburg als positive, planmäßige Neuform geschaffen: eine neue deutsche Anordnung von Figuren i m Chore, die viele Folgen gehabt hat. Positiv war diese Lösung. In Bamberg ist die gleiche Situation negativ gespiegelt. Notdürftig wurde zwar das alte Südostportal neben dem Georgenchore zur »Adamspforte« umgeflickt, mit fälschend vorgeschmuggelten Statuen, auch wurden Ekklesia und Synagoge neben dem Weltgerichte des Fürstentores außen aufgestellt (ein wenig mit Straßburg-Südost vergleichbar) — das Herrlichste aber barg sich regellos in den Innenraum des Georgenchores: Maria, Elisabeth, Reiter; außer ihnen noch der Engel, Papst und Dionysius. Man darf schon hierfragen, ob für größte statuarischeLeistungen derdeutschen Kunst diese Katastrophe (im Sinne französischer Anschauung) nicht ein Glück war. Dies darf bejaht werden: die alte, eingeborene Eigenständigkeit, das Architekturfreiere deutscher Plastik, drang in solchen Höchstleistungen (obwohl erst durch französische Kathedralen- und Freiluftstatuarik ermöglicht) so gerade am besten durch. Gerade das Gewaltigste in Bamberg hätte in der Reihe (auf die alles Französische, das vergleichbar, berechnet sein muß) sein Bestes eingebüßt: den Ausdruck der Einmaligkeit. So erscheint es als höhere geschichtliche Gerechtigkeit, daß das Allerbeste gerade nicht in die Kompromisse nachträglicher Portalzusammenhänge geraten durfte, sondern frei blieb: regelbefreit, ausgereiht, nicht eingereiht, und nicht der freien Luft, sondern dem bergenden Innenraume, seiner warmen Atmosphäre anvertraut, die nur einhegt, ohne einzuspannen. Dies war vorher zu sagen. Wir vergessen trotzdem nicht, daß alle mittelalterliche Plastik Kunst in Zusammenhängen ist, daß die vage (ursprünglich sogar genaue) Vorstellung einer größeren Bindung auch das innerlich Unbedingteste der bambergischen Leistungen zunächst überhaupt hervorgelockt hat; wir sagen uns nur, daß gerade das Höchste am späteren Bamberg im Entstehen vielleicht schon dieser Bindung entwuchs, und daß das gut war, vielleicht sogar damals schon als gut empfunden wurde. Wie hätte der Reiter anders als einsam stehen können? Der Kirche als solcher zwar bleibt er eingebunden, aber als vergleichloses Individuum noch immer. Das Höchste des älteren Bamberger Stiles aber ist nun allerdings auch durchgeführte Plastik in Zusammenhängen—des Innenraumes:
ABB. H. EINZELHEITEN VOM LINKEN KÄMPFERFRIES DER GNADENPFORTE
es sind die Schranken des Georgenchores. Sie sind das Höchste, aber nicht das Älteste. Dieses sieht der Verfasser — und im Grunde trifft er sich hier mit Jantzen und Noack — in der Gnadenpforte. DIE WERKSTATT DER ERSTEN BAUHÜTTE Wo der Zusammenhang organisch ist, wollen "wir ihn nun als Erstes sehen. So kommt die Tatsache der Hüttenkunst erst zur wirklichen Anerkennung. Wir denken also noch einmal an das Bauwerk. Wir gehen architekturgeschichtlich vor, um die Plastik zu begreifen. Das Älteste am Bauwerke, das älteste Fertige, das wir haben, ist die Ostseite. Die nördliche Gnadenpforte empfanden wir in architektonisch strenger Einheit mit der Apsidialfassade. Bis in das Ornamentale geht sie (Kugelbesatz). Ein oberrheinischer (»burgundisch-lombardischer«) Charakter bestimmt den Entwurf. Die symmetrische Entsprechung zur Gnadenpforte, die wir fordern müßten, ist am Südostportal uns nicht geworden: hier sitzt die Adamspforte mit ihrem 39
architravlosen Zackenbogen. Wir finden ihr so charakteristisches Ornament beim Betreten des Domes gleich an der östlichsten Schrankenzone der Südseite noch einmal, ein einziges, letztes Mal aufgenommen. Wir finden dort auch — nun durchgehend, aber nur an der Südseite! — über den Apostelgruppen das Kachelornament (mit über Kant gestellten Steinen) aus dem großen Friesbande der Apsis, ebenso "wie dort über B o genfriesen angeordnet.Wir sehen also innerhalb des e r s t e n Bauabschnittes eine engere Einheit der Apsisfront, der Gnadenpforte und der südlichenChorschranken. Wir sehen aber ferner auch zwischen der Plastik der beiden zuletzt genannten Teile eine engere Einheit! ABB. 15. PETRUS AUS DEM BOGENPELD Die »Petrusseite« (Jantzen), die westDER GNADENPFORTE liche der Südschranke, und am deutlichsten das Petrusrelief selbst läßt sich aus dem Stile des Portaltympanons entwickeln— nicht umgekehrt, das hat in anderer Weise u. a. auch Jantzen gesehen. Die diamantierten Nimben des Petrusreliefs selbst (nur hier vorkommend) entsprechen dem ornamentalen Charakter von Apsidialfassade u n d Gnadenpforte am engsten (Tafel 8). Freilich, halten wir für möglich, so zu denken, so entfernen wir uns von der Idee des »gradlinigen Fortschrittes« —nämlich jenes von mimisch-ornamentaler Relief kunst zu statuarischer Vollplastik. Wir erhalten ein anderes, aber auch ein Gesetz: das des Rhythmus in der Lebensgeschichte des Bauwerkes,soweit es die Plastik spiegelt. Ja, lebt es nicht auch in seiner Architektur selbst, sogar in der Folge, wie es heute sich ausbreitet, von Ost nach West in raumgewordener Geschichtszeit? Das Langhaus liegt zwischen der romanischen Pracht der Ostpartie und der gotischen Plastizität der Westtürme, wie ein stilleres Tal zwischen bergigen Höhen. Das Erste und Dritte sind einander vergleichbarer, als beiden das Dazwischenliegende. Das entspringt natürlich dem allgemeinen Typus der doppelchörigen Anlage, ist hier aber zugleich steingewordene Geschichtsfolge,
da das Nacheinander der Eindrücke von Osten(hier tatsächlich der Ankunftseite) her zugleich dem Geschichtlichen entspricht: erste, zweite, dritte Bauhütte. Romanische, zisterziensische, gotische. Mit der zisterziensischen Bauhütte haben offenbar die Werkstatt der Schrankenreliefs und des Fürstentors gleichzeitig gearbeitet; mit der gotischen der sogenannte »zweite Bamberger Stil«. Aber er ist eben eher der dritte. Der erste ist wohl jener der romanischen Bauhütte: die Gnadenpforte. Der geschichtliche Rhythmus geht von Vollplastik durch mimischornamentale Reliefkunst wieder zur Vollplastik. Denn Vollplastik ist allerdings der ABB. 16. KAISERIN KUNIGUNDE Sinn der Gnadenpforte. Obwohl Relief, AUS DEM BOGENFELD DER GNADENPPORTE ist sie innerlich statuarisch gesehen. Das Statuarische steht natürlich noch im Banne des Tympanons, wäre noch nicht übertragbar auf Gewändesäulen von französischer Art. Die Madonna feierlich als Zentrum, ganz frontal, die Titelheiligen Georg und Petrus zur Linken, die heiliggesprochenen Stifter Heinrich und Kunigunde zur Rechten. In den Winkeln kleine Geistliche, wahrscheinlich B. Ekbert und Propst Poppo (Noack); ganz winzig zu Füßen der Himmelskönigin der Meister. Der verschiedene Maßstab ist nicht nur der der Bedeutung; er ist auch der der Stelle, des vorhandenen Platzes. Die Seitenfiguren strahlen nicht (wie in älteren burgundischen und westfranzösischen Bogenfeldern) radiant von der Mitte ab; sie verkleinern sich nur. Jede aber will in ihrem Maßstabe ein stehend fester Wert sein. Der relativ vollplastische Charakter ist jedoch nicht zuerst der eines vorgestellten Körpers unter dem Gewände, sondern der des Figurenblockes und seiner tektonischen Eigenmächtigkeit. Dennoch ist eine Differenzierung da. Die Falten haben wohl allgemein ihren geometrischen Linienparallelismus; aber sie suchen überall konkave Bahnen aus, die sie — dann mehr flächenhaft — durchschreiben. Die Glieder stehen infolgedessen wie nackt da, obwohl sie mehr Stein als »Fleisch«
ABB. 17. KÄMPFERSTÜCK AM LINKEN GEWÄNDE DER GNADENPFORTE
sein wollen, faltenarm, als angemenschlichte, mächtige Blöcke. Hier und da lösen sich Linien in voller Eigengesetzlichkeit ab, spinnen und rollen sich durcheinander. Die statuarische Macht der Figuren tasten sie nicht an. Die Ornamente der Kleider sind plastisch-architektonischer Besatz, sie sind wie Friesbänder und tatsächlich von völlig gleichem Geiste, wie das grandiose Friesband der Apsis selber. Und so ist auch die Plastizität der Figuren noch eher die neutral-körperhafte des Apsiskörpers: eher eine tektonische Schönheit, als eine plastisch-organische. Leblos ist das nicht; aber die Feierlichkeit, die wir als Symbol menschenhafter Majestät — wirklich groß in der Madonna — empfinden, ist im Grunde doch, nur physiognomisch gemacht, die Feierlichkeit der Architektur selber. Der Kopf dieser Madonna mit seinem gewaltigen Vorspringen dürfte am ersten jenem der Freiberger von dem berühmten Triumphbalken-Kruzifix entsprechen. Wer diese noch in Dresden aus der Nähe 42
ABB. 18. KAPITALE UND KÄMPFER AM LINKEN GEWÄNDE DER GNADENPFORTE
sehen konnte, wird die allgemeine Vergleichbarkeit des plastischen Vorbruchs verstehen. Die friesartige Längsverbindung der Kopfreihen über den Kapitellen hat Jantzen mit Oberitalien (Borgo San Donnino und Mailand, S. Simpliciano) in Verbindung gebracht. Auch sie entspricht der Gesamtarchitektur der Ostpartie. Die Hand ist wohl nicht die gleiche wie im Bogenfelde, aber das Prinzip ist gleich. Soll oben die ruhende Existenz desTympanons in mondhafter Feierlichkeit nach menschlichem Ausdruck hinübergewendet werden, so soll hier die Längswanderung sich verschlingender Ornamente in einer großartigenWelt vorbrechender Köpfe lebendig sein. In der unteren Reihe ist sie stürmischer, in der oberen ist sie der tektonischen Existenzhaftigkeit des Tympanons schon angenähert. Der obere Kopf ganz rechts auf Abb. 17 verrät sogar doch wohl die gleiche Hand wie der des Petrus im Tympanon (Tafel 8, i o, 20, 25, Abb. 14—18). 43
ABB. ig. SÜDLICHE SCHRANKE. PETB.USREIHE
DIE WERKSTATT N E B E N DER ZWEITEN BAUHÜTTE DIE SCHRANKEN DES GEORGENCHORES
Dem künstlerischen Typus des Petrus von der Gnadenpforte begegnen wir im Innern wieder am Petrus, im dritten Schrankenrelief der Südseite, von links her, vom Beschauer gerechnet. Eine Verbindung ist deutlich. Der Stil dieser »Petrusreihe« (Jantzen) geht aus dem der Gnadenpforte hervor! Die tauartig festen Haare, ohne Schlängelung, die tektonisch zähe Masse des Kopfes, die Symmetrik des Bartes — romanische Kapitellornamentik im Dienste wiederzugebender Erscheinungswelt —, das alles ist engverwandt. Aber wir 44
ABB. 20. SÜDLICHE SCHRANKE. PAULUSREIHE
müssen zuerst die Apostel- und Prophetenpaare der Schranken im ganzen vergleichen. Dargestellt sind, unter dem Akte der »Disputatio«, im Süden zwölf Apostel, im Nordenzwölf Propheten. Je drei Paare sind zusammengefaßt; vier Gruppen ergeben sich aus der architektonischen Form schon, die wir feststellen können, ohne eine einzige Figur stilistisch zu analysieren. Es sind an sich die gleichen, die Jantzen vom plastischen Stile her, nach der Benennbarkeit, als Petrus-, Paulus-, anonyme und Jonasreihe bezeichnet. Die hier gewählte Reihenfolge geht im Süden von links nach rechts, im Norden von rechts nach links; jedesmal aber von Westen nach Osten. Noch einmal: der Gesichtspunkt der Unterscheidung ist zunächst nur vom Architektonischen her genommen. Folgendes ergibt sich: die beiden Reihen der südlichen (Apostel-)Seite sind unter je drei Rundbogen zusammengefaßt, die aber durch ein hinauf verlängertes Kämpferstück zu Segmentbogen 45
ABB. 21. NÖRDLICHE SCHRANKE. ANONYME REIHE
werden. Der östlichste, der späteren Adamspforte nächste, hat deren Zackenmotiv noch aufgenommen, das damals, noch nicht durch die Statuen verdorben, ganz rein für sich sprach. Es ist möglich, daß dieser Bogen doch auch zeitlich der letzte ist, aus einer verstärkten Absicht auf Reichtum hervorgegangen, die besonders auf das Portalmotiv zurückgriff. Nicht ganz undenkbar wäre, daß umgekehrt hier der erste, dann aufgegebene Versuch vorläge, den durch das Zackenportal Eingetretenen an dessen wiederholtem Motive entlang durch beide Reihen zu führen. Aber dagegen spricht wohl doch die jedenfalls zeitlich umgekehrte Richtung in der Veränderung der Füllflächen, die von Westen nach Osten zu, von der Paulusseite ab, aus einfacher Geradheit zur Eingetieftheit übergehen. Gemeinsam ist beiden Reihen der Kantenfries — er fehlt bei den Prophetenschranken, ist aber ein Motiv der Apsidialfassade. Wir sehen schon: Die Südschranken hängen rein architektonisch engermit derOstfassade zusammen,zu der, 46
ABB. 22. NÖRDLICHE SCHRANKE. JONASREIHE
wieder schon architektonisch, auch die Gnadenpforte gehört. An der Nordseite verschwindet der Kantenfries, und dieBogenform ändert sich: sie wird kleeblattförmig. Bei der westlichen (anonymen) Reihe findet sich der Kleeblattbogen, sehr weichlich und teigig-zerfließend, auch in den Füllflächen. In der östlichen (Jonasreihe) ist er durch eine grandios-verflechten de Ornamentik ersetzt. Die Basen undKapitelle derSäulen sind im Südenausgesprochenromanisch,stellenweisesehr stark an die Gnadenpforte erinnernd, im Norden, bei den Propheten, gotisch. Also eine bestimmte Steigerung: Petrus-, Paulus-, anonyme, Jonasreihe. Betrachten wir nun auf das Plastische hin, so ergibt sich also an sich eine der von Jantzen vorgeschlagenen Scheidung des plastischen Stiles gleichlaufende. Nur ist die Reihenfolge von hier aus in einem komplizierten Verhältnis. Schon in den beiden Reihen der Südseite sieht Jantzen die Abfolge zweier Stilnüancen, mehr noch: er unterscheidet einen Petrus- von einemPaulusmeister. Der 47
ABB. 25. APOSTEL DER PETRUSREIHE
ABB. 24. PETRUS
letztere steigert sich selbst zu dem Glanzstück der Jonasreihe. In der anonymen ist das westliche Paar unverkennbar im engstenAnschluß an die Jonasreihe, zumal an deren erstes undzweitesPaar, aber nicht mehr von der Hand desPaulus- und Jonasmeisters, dafür unter besonders deutlicher Einwirkung der späteren, französisch geschulten Werkstatt, geschaffen. Die beiden anderen wieder sind, in engster Verwandtschaft mit der Dekoration zu allen drei Paaren, von einem anderen Gehilfen (Abb. 19—22). Dies ist auch das Geschichtsbild, das demVerfasser einleuchtet. Der stärkste Abstand ist zwischen Petrus und Jonas (Abb. 2 4 u. 2 9). Kann das der gleiche Mensch geschaffen haben? Ist das ein Abstand der Entwicklung oder ein Unterschied zweier Geister PDasletztere scheint vorzuziehen. Lassen wir ruhig den Schöpfer des Besten überhaupt, den der Paulus- und der Jonasreihe, als den »Meister der Georgenchorschranken« bestehen. So erscheint neben ihm, als ein älterer, unmittelbar in der Werkstatt der Gnadenpforte geschulter Künstler, der Schöpfer des Petrus und seiner Reihe. Er ist in hohem Grade Steinmetz rheinisch-lombardischer Richtung. Man darf ihm zutrauen, daß er auch rein ornamentale Stücke, daß er vielleicht wirklich am großen Apsidialfriese selber gearbeitet hat. Daher die diamantierten 48
ABB. 25 UND 26. APOSTEL AUS DEM LINKEN RELIEF DER PAULUSREIHE
Nimben, die nur im Petrusrelief vorkommen. Sie sind vom Geiste der Ostfassade als romanischer Prachtarchitektur, ebenso (darum) von dem der Gnadenpforte und seiner Schmuckbesätze. Dieser Künstler ken n t natürlich den großen Hauptmeister, er kennt seine ersten Entwürfe, und er untersteht ihm offenbar. Erkennt wohl noch nicht dessen künftige Möglichkeiten. Er hat auch nicht seine Spannweite. Er ist wahrscheinlich jünger als der Meister der Gnadenpforte, aber dessen Formenwelt tiefer als der Hauptmeister verpflichtet. Die motivischen Beziehungen sind unverkennbar, nur ist alles eleganter und zarter geworden — das ist die Wirkung des Hauptmeisters auf den Genossen. Die Absicht auf Blickausdruck ist schon in der Gnadenpforte durchaus zu erkennen. Das Motiv des sich Wegwendenden im ersten Paare erinnert an das Jonasrelief — es mußimVorzeichnungsschatze des Hauptmeisters schon bestanden haben. Von sich aus kam der Petrusmeister kaum darauf — seine Figuren sind im Grunde still, eher steif. Sie kleben, den Rahmen überschneidend, wie aus Stuck vorgelegt, vor der Grundfläche; sie könnten am ersten noch mit der sächsischen Schrankenplastik aus Stuck (Hildesheim, Halberstadt) verglichen werden. Sie haben noch keinen Trieb, sich einzugraben (Tafel 58—60). 49
ABB. 27 UND 28. PROPHETEN AUS DEM MITTLEREN RELIEF DER ANONYMEN REIHE
Der kommt mit der Paulusreihe. Auf den ersten Blick mag sie ähnlich aussehen, wie die (innerlich) ältere. Sie kann und wird gleichzeitig entstanden sein. Aber hier herrscht als etwas Neues jener Feuergeist, den in Worte zu fassen schon so Viele sich bemüht haben, daß hier bewußt auf einen neuen Wettbewerb verzichtet wird. Soviel nur: Vöge hat vonWeese, der diesen Stil aus Südfrankreich erklären wollte, gesagt: »Es geht ihm wie Odysseus: er erkennt sein eigenes Vaterland nicht.« Das ist heute unumstößlich geworden: hier ist eine der höchsten Erscheinungen unfranzösisch-deutscher Kunstart. Die Dramatisierung der Disputatio, die von der Paulusreihe aus bis zum Jonasrelief sich steigert, ist einer der großartigsten Vorgänge im Geiste eines großen deutschen Meisters gewesen. Jantzen besonders hat richtig betont, daß der Schein ungemein individueller Differenzierung in Wahrheit aus der Variation ein es Typus quillt. Es ist also das Mittel, das im späteren Bamberg und besonders in Naumburg nicht mehr, im Kölner Domchore aber — um 1520—1550 — wieder da ist. Es ist immer der gleiche Kopf, immer das gleiche Gliedergerüst; aber durch 5°
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ABB. 29 UND 50. JONAS UND HOSEA, AUS DEM MITTLEREN RELIEF DER JONASREIHE
eine stetig bis zum letzten Raffinement gehende Steigerung der Mittel ist erreicht, daß wir jeden Unterschied der Haartracht, der Haltung, jede andere Kurve der Falten dem dargestellten Charakter zulegen müssen als seinen persönlichen Ausdruck: s c h ö p f er is e h e Variation eines Themas, des geisterfüllten Menschen. Schon die Apostel der Paulusreihe sind latent Propheten; erst bei den Propheten selber aber entfesselt sich der innere Sturm dieses feurigen Meisters bis zum letzten (Tafel 61—63, 66, 67; Abb. 25 und 26). Wir aber wollen — was bisher versäumt scheint — die innere Einheit von Ornament und Gestalt in den Füllungsflächen etwas genauer betrachten. Es ist längst richtig beobachtet worden, daß zwischen plastischem Stil und Dekoration eine allgemeine Parallele da ist. Wenigstens geht die einfache Rundbogenform sicher mit der stilleren Art aller, auch der stärkeren, Apostelgestalten ebenso gut zusammen, wie die reicheren Dekorationsformen mit dem größeren Bewegungsreichtum, der Propheten. Auch die stetig weitergehende Loslösung der Figuren von der Grundfläche entspricht ihrer wachsenden Eigenbedeutung. Das ist bekannt. Jene Loslösung zeigt sich besonders in einer Einschachtung hinter den Schultern der Propheten, die zugleich das Hineinfließen der Bogenzone in die
gerade Platte ermöglicht. Das Jonasrelief (Tafel 55) ist der stärkste Fall davon; es ist überhaupt nicht nur — wie immer schon betont — der geistige und plastische Höhepunkt der Gesamtleistung: es ist auch der Höhepunkt in der Einheit zwischen Ornament und Figur. Der Unterschied zum Petrusrelief (Tafel 6 o) ist verblüffend. Auch dort besteht diese Einheit — in negativem Sinne. Stillerem Existenzausdruck dient Leere, also Neutralität der Grundfläche als natürliches Korrelat. Das Jonasrelief ist ganz Sturm. Aber hier ist die » Dekoration« nicht nur Korrelat, sondern tragendes Element; sie ist überhaupt nicht »Dekoration«, sondern mimisches, redendes Ornament. Zwischen dem Kahlkopf Jonas und dem Gegner (Hosea) ist äußerste Spannung. Jonas steht, ja er bricht als Einziger schon nach dem Ausdruck einer kontrapostierten Statue durch. Der andere rennt wie verzweifelt über den Unbelehrbaren weg, wirft sich aber im gleichen Augenblick herum, um das letzte Argument entgegenzuschleudern. Das ist gewiß menschliche Dramatik. Daß der Stehende zum Teil von einer für diesen Stil sonst beispiellosen Nacktheit ist — in Kopf, Brust und Oberarm —, charakterisiert ihn ebenso, wie die reiche Verhülltheit, die stürmisch rennenden Lockenhaare den anderen. Aber dieses Gegensatzverhältnis ist zugleich unlösliche Verflechtung. Hosea kann ja doch nicht fort, er ist mit dem Gegner verhaftet in einer wirksamen Spannung, die ihn mit federnder Kraft aus versuchter Entfernung zurückschnellt zum Zentrum. Und was für ein Zentrum ist es? Das versteht man ganz erst aus dem Ornamentfelde. (Abb. 22.) Auch dieses hat ein Zentrum: den prachtvollen Blattrücken, der mitten über dem leeren Spannungsraume der Gestalten sich vorwölbt. Dieses Zentrum aber ist nicht Ausgang, sondern Ende des Ornaments; es ist der Schlußpunkt einerVerflechtung, nicht ihr Beginn. Es ist auch nicht der ruhende Bezugspunkt einer ausgebreiteten Existenz im Räume, sondern der Endschluß einer Bewegung in der Zeit. In einem Renaissanceornament ist die Mitte der » ruhende Pol«; wir gehen von ihr ruhig nach rechts und links, oben und unten, und immer wieder zurück. Auch dies ist (subjektiv, in uns) Bewegung — aber mit dem synthetischen Ergebnis (»objektiv«) einer ausgebreiteten Zuständlichkeit. Was sich auf einen Mittelpunkt bezieht, das ruht räumlich wie ein Zentralbau — nicht umsonst ist dieser das Ideal der »klassischen Kunst« um 1500. Aber hier sind z w e i Pole, und sie liegen hinter den Schultern der beiden Gegner! Auch das Ornament im Bogenfelde ist eine Begegnung zweier Gegner, die sich verschlingen und durchdringen. Wir müssen nur zu lesen verstehen: von links und von rechts her mit den Ästen aufsteigen, ihre Ausrollungen durchleben und ihre immer wieder neuen Begegnungen. Was links begann, geht nach
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rechts, was rechts begann, geht nach links. Die endgültigen Treffpunkte legen sich aus der Fläche dann nach vorne. Die Begegnung zweier—verschränkter — ornamentaler Profile endet oben und in der Mitte in uns entgegeiigewölbter Frontalform. Wir erreichen sie als das letzte. Wir haben einer polyphonen Verflechtung nachzugehen, um erst am Ende der Fuge den Akkordschluß zu vernehmen. Aber genau so ist es mit den beiden Gestalten. Wir sollen links oben von der Schulter des Jonas herablesen. Unter dem Ellenbogen taucht der Weg der Falten — die nur die Verwandlung der Ornamentzweige sind — hervor, schlängelt sich, nochmals gewunden, durch die Rechte, rundet sich in immer neuen Parallelströmungen, um aufsteigend wieder in die Linke zu gleiten. Jetzt erst sind wir am »Hosea«. Von der gebogenen Linken des Jonas rollt sich der Strom weiter, überspringend, in die Schürzungen fortlaufend — er tut das gleiche wie Hosea —, um dann hochzugleiten; und nun tut er wieder das Gleiche wie der Mensch: er kehrt zurück, fährt in die Haare, den Kopf des Sichwendenden und kommt erst in seiner aggressiven Hand zum »Schlüsse«. Der Kopf des Jonas und die Hand des Hosea sind sich räumlich sehr nahe — aber sie sind sich zeitlich weit entfernt: nur, wer so zu lesen versteht, versteht die Figuren ganz, als Vermenschlichung, als letzte Steigerung ins Physio gnomische hinauf eines schon im Abstrakten mimischen Ornamentes. Aber er versteht auch das Ornament erst. Es ist so sprechend, so menschlich, wie das Menschliche ornamental. Die Schultern der Propheten sind Zweigstellen mimisch-ornamentaler Ströme. Der Strom, der von Hoseas Schulter sich in seine Haare, sein Gesicht stürzt — hier rennen ja die Formen nach vorne, wie eine bewegte Menschenmenge nach einer Katastrophe hin über einen Platz, der plötzlich leer hinter ihnen liegen bleibt—, dieser Strom sendet aufwärts einen zweiten aus; und dieser ist der eine Gegenlauf des Ornamentes. Das Gleiche bei Jonas. Erst das gewaltige Blatt, das mit saftiger Pracht die verschlungenen Gegenläufe in sich zusammenfaßt und überdeckt, das sie selbst »verschlungen« hat, ist das Ende der ganzen Gegenbewegung; ihre Versöhnun g zugleich, die Entsprechung un d auch noch der wundervollste Kontrast zu dem Aktionsraume zwischen Mensch und Mensch. Und wenn das Hauptblatt — mit kleinen entsprechenden, ebenfalls zentralisierten Endschlüssen ringsum — mitten aus dem Strome profilierter Bewegungen sich mit ruhevoller plastischer Macht uns entgegenwendet, so ist auch dieses in den Gestalten geschehen, Bei Jonas drückt sich das Standbein — es gibt das nur hier! — schon so stark durch, daß man mindestens einenVorklang (besser schon: einen Widerklang) der
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ABB. 31 UND 52. MARIA UND ENGEL AUS DEM RELIEF DER VERKÜNDIGUNG
sprechenden dualistischen Harmonie von Körper und Gewand vernehmen kann, wie die Elisabeth oder die Maria der Heimsuchung sie zeigen. Es ist ungeheuer, daß dieser alte Meister aus dem schäumenden Strome seiner Bewegung solche statuarischen Motive aufragen läßt, die, von ihr umspült, in felsiger Nacktheit herausstoßen: der antikische Kahlkopf, sein Ohr sogar, die nackte Brust, der Ellenbogen! Man spürt, hier will etwas völlig Neues herauf: Statuarik. Aber noch wirkt sie erst wie Steinblöcke in einem Gebirgsbach. — Geht man nun zur Südseite zurück, so spürt man den Strom, schwächer, noch in der Paulusreihe — in derPetrusreihe ist er still geworden! Die Paulusreihe hätte ornamentale Weiterdenkung ertragen, ja gefordert. Zur Petrusreihe gehört innerlich nicht mimisches, sondern architektonisches Ornament: es lag in der ruhigen Rahmung der inneren Stellung. In der Jonasreihe ist der große Hauptmeister seinen älteren Quellen erst ganz nahe gekommen: der ornamentalen (farbigen) Zeichnung der Handschriften, die wir lieber nicht als wirkliche »Malerei« benennen wollen. Bei Jantzen sind ein paar schöne Vergleichsbeispiele aus einer Weingartener Liederhandschrift 54
gegeben. Man verstellt nun auch, was in der anonymen Reihe geschah. Das Jonasrelief war wohl die letzte, glänzendste Tat des großen Künstlers. Keines der Nachbarpaare gleicher Reihe, vor allem nicht das rechte, kommt an dieses Mittelstück ganz heran, wenn auch beide wohl noch seiner Hand entstammen. Jenes war wohl sein Schwanengesang. In der anonymen Reihe ist das westliche Paar noch ganz in seiner Art entworfen, aber zweifellos a b h ä n g i g von ihm, nicht mehr durch ihn selbst ausgeführt. Die ganze anonyme Reihe aber bekennt ihren Geist schon durch die dekorativen Formen. Sie wissen von Bewegung, aber sie sind ohne Phantasie. Es herrscht eine tote parallelistische Leere in den Gestalten, ein spannungsloses, kontrastarmes Entlanggleiten — nicht anderswie in den weich-verlaufenden inneren Kleeblattbögen. Diese ganze Reihe hat der Große nicht mehr geschaffen. In richtiger Entsprechung sind die Schachtungen hinter den Schultern j etzt knaufartig abgeschlossen: hier war kein Verflechtungsstrom, sondern ein einfaches Entlang (Tafel 55—57, Abb. 27 und 28). Mit Propheten- und Apostelpaaren ist die Schrankenplastik noch nicht ganz zu Ende. Noch einmal taucht ein Rückgriff auf den Stil der Gnadenpforte auf: ein Meister, der dem ältesten Werke besonders nahesteht. Er hat die beiden noch überschießenden Reliefs des hl. Michael und der Verkündigung geschaffen. Er ist auch dem Petrusmeister näher, als dem bestimmenden der Schranken. Er denkt blockhaft hart und kann, in der Madonna der Verkündigung, sogar einen Schein von Größe gewinnen. Jantzen hat wohl Recht, wenn er vor Überschätzung warnt. Es ist nicht eine durch das Mimisch-Ornamentale durchgedrungene neue Plastizität, sondern ein Verharren bei der noch vormimischen alten, die nur von graphischen Floskeln umspielt wird (Tafel 64 und 65, Abb. 51 und 32). Blicken wir noch einmal zurück. Die Gnadenpforte scheint uns am Anfang zu stehen. Sie ist bewußt und richtig eingeordnete Architekturplastik vom Geiste der Ostfassade. Sie ist zugleich tektonisch und kubisch, von feierlicher Schwere; alles Graphische nur angehängt. Ihr Charakter ist der einer großartigen Latenz, auch im Menschlichen, im Ausdruck. Ihr Meister ist ein rechter Hüttensteinmetz für das — in Deutschland sehr beschränkte — Feld der Außenplastik. Man hat kein Bedürfnis, kaum die Möglichkeit, ihn sich etwa auch als Kleinkünstler in Elfenbein oder gar in Zeichnung vorzustellen. Er ist wie die plastische Urerde der Bamberger Möglichkeiten. DieWerkstätte der Schrankenrelief s, gleichzeitig mit der zisterziensischen Bauhütte tätig, ist die große Differenzierung. Ihr Hauptkünstler drängt nach der Ausbeutung im Gegensätzlichen. Er muß in der Kunst der Handschriftenillustration
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sehr genau bekannt, er könnte auch in der Feinplastik des Elfenbeines persönlich tätig gewesen sein. Seine geistige Heimat ist nicht die schwere Pracht und Festigkeit romanischarchitektonischen Großbaues, sondern ursprünglich vielleicht wirklich die Kleinkunst byzantinischer Erziehung — in der das Expressive bis in den Schein übermenschlicher Leuchtkraft des Blickes hinein oft überraschend entgegentritt. Er ist ein reiner I n n e n r a u m p l a s t i k e r ; ein Kleinkünstler wohl, wie es auch Dürer war, von der typisch deutschen, ja altgermanischen Linienphantasie, die von äußerer Ausdehnung unabhängig denkt, da die PolyABB. 33. KAPITAL VON DEN BLENDARKADEN phonie der Linienbeziehung jenseits DES PETERSCHORES der Formate lebensfähig ist. Daher wahrscheinlich Kleinkünstler5 daher aber auch dennoch fähig, das Format zu steigern. Seine Kunst lebt vom intimen Nacherlebnis der kleinsten Wendungen: sie verlangt es auch von uns, nicht anders als Dürersche Graphik. Wer müde und faulgewordenen Auges die zeitliche Bewegung seiner physiognomisch beredten Linienfugen nicht in sich nachziehen kann, liest ihn nicht richtig. Er ist nicht von Anfang an monumental, aber er ist monumentalisierbar. Er stellt den Gegenpol zum Tympanon der Gnadenpforte dar; der Verkündigungsmeister dagegen das Experiment einer Angleichung jenes romanisch-außenplastischen Stiles an die innenräumlichen Bedingungen der Schrankendekoration. Der Petrusmeister steht zwischen beiden Möglichkeiten. Auch er geht stärker als der Hauptkünstler von der Gnadenpforte aus, aber er weiß sich dem neuen Willen des Größeren anzugleichen. Die anderen sind in jedem Sinne Gehilfen des großen Ornamentisten und Mimikers. Daß er d i e s war, daß er abstrakte Linienpolyphonie mit einem Höchstmaße von seelischem Ausdruck durchdrang, stellt ihn nicht nur neben Dürer, sondern — vielleicht besonders deutlich — neben Bach.
ABB. 54- DAS FÜRSTENTOR
DAS F Ü R S T E N T O R
Es ist die Begegnungsstelle des abgewandelten Schrankenstiles mit dem der dritten (»zweiten«) Werkstatt, der aus Frankreich heimgekehrten gotischen. Als Ganzes kann es ein wenig an die Goldene Pforte in Freiberg erinnern, durch den Reichtum der dekorativen Oberfläche tektonischer Formen, den durch Gewände und Bogen gehenden Wechsel gerundeter, kannelierter, tauartig gedrehter Schäfte, auch durch die rhythmische Alternanz zwischen Gewändefiguren und -säulen, die in beiden Fällen sehr deutlich ist. Denn hier sind nun mit einem Male Gewändefiguren. Aber freilich: keine in französischem Sinne. Das Thema der Schranken ist aus dem Nebeneinander von Reliefpaaren in ein Übereinander von ziemlich kleinen Gewändefiguren gewandelt: die Apostel auf der Schulter der Propheten. Sie nehmen auch als übereinandergestellte Figuren nur die halbe Höhe der Säulen ein. Das deutschromanische Gefühl für den Vorrang der Zentralisation lebt noch immer. Aus ihm ergibt sich das mehr vorbereitende, aber
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ABB. 35 UND 36. APOSTEL UND (ZUGEHÖRIGER) PROPHET AM GEWÄNDE DES FÜRSTENTORS (ZU ÄUSSERST LINKS)
noch nicht kontrastierende Verhältnis der aufrechten Formen zu den gebogenen. Französische Gedanken sind dann eingedrungen. Das Weltgericht ist nicht ohne Kenntnis des Reimsers möglich. Deutsch ist wieder die Reduktion. Was Frankreich auf mehrere Darstellungsreihen verteilt — seine gotische Kathedrale hat ja reichlich Platz dafür —, das preßt sich in Deutschland auf den engen Raum zusammen, den eine noch romanische Architektur ihm abtreten kann. So entsteht oft das Reizvollste aus Not: man denke noch einmal an Magdeburg; aber auch an Freiberg, wo das ganze Kathedralenprogramm sich auf engem Räume zusammendrängt. Aber auch an Straßburg. Die »letzten Dinge« des Weltgerichtes häufen sich dort im Innern zusammen, sie schaffen den Engelspfeiler — eine nur in Deutschland denkbare Form. Dort stehen auch, am zugehörigen Südostportale, als Wandstatuen Ekklesia und Synagoge: auch eine Art Disputatio, die das geistliche Schauspiel liebte. Sie stehen auch in Bamberg, an sehr ähnlicher Stelle. Sie gehören schon ganz der gotischen Werkstatt. In den Gewänden aber herrscht noch jene, die mit der zisterziensischen gleichlief. Am linken ist sie besonders deutlich. Hier ist der romanische Zentralisations-
ABB. 37. PROPHET (DER 2. VON INNEN) AM LINKEN GEWÄNDE DES PÜRSTENTORS
ABB. 38. PROPHET (DER 2. VON AUSSEN) AM LINKEN GEWÄNDE DES FÜRSTENTORS
gedanke noch rein: alle stehen und staunen nach der Mitte oben. Was hier erscheinen sollte — wer weiß, ob es ursprünglich das Weltgericht war, es konnte auch ein Thema wie das Freiberger gedacht sein —, war Ziel und Richtmaß. Es erschien jedenfalls als Vision der heiligen Verkünder. Ein wilderer und derberer Geist herrscht in diesem linken Gewände: in engerem Sinne, wenn man will, überhaupt mehr Gefühl undWille als »Geist«. So feinsinnige Symbole für denkerische Erregung gibt es hier nicht, wie an den Schrankenreliefs; dafür fast tierhaft großartige Formen für Erregung an sich, für lauernde, »böse« und trotzige Kraft. Der Unterschied von Aposteln und Propheten ist dabei doch vielleicht nur thematisch, nicht stilistisch begründet: die unteren Figuren sind ruhiger, weil sie statischer sein müssen. Die Abkunft wahrscheinlich von der Gnadenpforte her — über den Petrusmeister?— ist deutlich. Die Formen machen den Eindruck, als stieße hier eine rein innenraum-plastische Reliefschulung auf eine ungewohnte freiluft-plastische Aufgabe. Der Maßstab war ihr gelegen; aber es sind doch noch » ehemalige Relieffiguren«, die sich hier ins Freie tasten wollen. Sie stehen übrigens zum Teil so, wie es der echte Sinn der französischen Gewändefiguren ursprünglich
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l ABB. 39 UND 40. DREI PROPHETEN VOM RECHTEN GEWÄNDE DES FÜRSTENTORS
(Arles, Chartres) verlangt: die Kante ist ihre eigentliche Achse. Aber sie haben sie nicht »im Leibe«. Sie haben zum Teil wirklich einen eigenen Leib — mehr als die (überlegenen, feinfühligeren) Gestalten der Schranken im Innern. Besonders charakteristisch ist dafür der von Jantzen »Brigant« getaufte Prophet außen links (Abb. 56). An der rechten Seite eine Änderung. Leider sind die inneren Figuren hier verwittert. Der Eindruck ist gewiß gespenstisch-großartig, und man darf wetten, daß die Stimmung der ersten Jahre nach dem Kriege hier und da gerade in diesen halbzerstörten Gestalten das Wertvollste gesehen hat. Wer es tat, hat den Zufall, allenfalls das böse Schicksal angebetet. Der Künstler dessen, was hier im modernen Sinne »expressionistisch« aussieht, ist das Wetter und der Regen. Und doch ist gerade aus den Bahnen, die der Regen ausgewaschen, immerhin eine besonders eindrucksvolleWandlung der Form zu erkennen; wäre sie nicht da, so hätte dieWitterung anders gewirkt. Es ist eine angebahnteVertikalisierung, ein umfassendes Durchriefeln der Gesamtgestalt von oben nach unten, das an der linken Seite mehr als angebahnte Möglichkeit vorhanden ist: dort herrschen »byzantinisch«-kurvierte Formen der Faltensprache vor. Aber damit ist zugleich 60
gesagt, daß der typisch-romanische r a di ante Bezug des Gesamtrahmens auf die Mitte zu weichen beginnt. Vertikalisierte Figuren sind in höherem Grade »sie selbst«, sei es auch erst durch das Symbol der Linienführung. Echt-romanisch empfundene Figuren aber in solcher Situation — die der linken Seite! — stellen nicht sich selbst, sondern das Portal, sein Zentrum, das Tynipanon dar. Und richtig: auf der rechten Seite zuerst kommt es vor (Prophet auf Tafel 27 zu äußerst links), daß einer den Blick fortwendet. Es ist die beginnende Emanzipation der Einzelfigur. In den unverwitterten Gestalten wird sie — freilich wesentlich in ihrer negativen Seite — ganz deutlich. Der Bann des Zentrums ergreift sie nicht mehr, die magnetische Kraft der Vision verläßt sie, sie nehmen eine eigene Front zum Beschauer, sie suchen eine eigene Schaubarkeit, sie wollen ein schaubares Gegenüber sein, — sich selber darstellen, nicht das Portal. Das ist ein Riß, den ein geschiehtsempfindliches Ohr zu hören glaubt. Es ist auch eine Kluft im Stile. Etwas ganz Neues muß eingetreten sein — es ist die Ankunft der gotischen Bauhütte (Tafel 24—29, Abb. 55—40). Was wir in den neuartigen Figuren der rechten Seite sehen, ist noch nicht ihrWerk, aber schon ihre Wirkung. Sie hat ja, so tief blutsverwandt ihr gewaltigster Künstler, der Meister der Heimsuchung und des Reiters, mit dem des Georgenchores, so ausgesprochen rein » bambergisch « (im Sinne d es Werks tiles), er war, so gemeinsam mit jenen älteren auch den reifsten Bamberger Spätwerken noch die treibende Kraft der eiligen Linie ist—, sie hat ja doch den geometrischen Linienparallelismus völlig abgewandelt. Der Vorgang entspricht im Atmungs-Rhythmus der Geschichte genau jenem, der in der Kunstgeschichte des 15. Jahrhunderts als Übergang vom »weichen« zum »eckigen« Stile bezeichnet wird: die bindende Kraft der ununterbrechlichen Linie, die bequeme, wenn auch noch so gewundene Führung des Blickes an geometrisch leicht faßlichen Linien entlang wird zersprengt, und aus ihrer Zertrümmerung geht eine neue Kunst brüchig - freier, kühn gegensätzlicher Wendungen hervor. Sie kann nur dann ertragen und als sinnvoll begriffen werden, wenn ein neuer Eigenwert der Gestalt das linear Disparate plastisch auf sich einzusammeln versteht. Der Glattlauf des graphischen Linienlesens weicht der blitzhaft ausfahr enden, krummgebrochenen, flackernden Zerspritzung freierer Einzelformen, die erst der gemeinsame Rückbezug auf die Gestalt selbst, die dadurch neu und kühn gegliedert wird, überschauend zurückvereinigt. Diese M i t t e l hat der Meister der rechten Seite gesehen; ihren wahren Sinn, das treibende Problem hat er nicht verstanden — es war nicht das seiner Generation. Die neue, jüngere vermag
ABB. 41. APOSTEL JOHANNES AM GEWÄNDE DES FÜB.STENTORS (ZU ÄUSSERSTRECHTS)
ihm die Mittel ihres V e r t r a g e s zu leihen, ihn aus seinem angeborenen Zusammenhangsgefühle herauszusprengen. Ihr zudiktiertes Eigenschicksal, ihre neue Notwendigkeit war unübertragbar (Abb. 39—42). Die ganze Bamberger Situation ist eine Komplikation von Generationsbegegnungen, eine Beispielsammlung zum Problem der Generation. Das Neue, das der Ältere aufnimmt, ist am rechten Gewände des Fürstentores wesentlich zerstörend gewesen. Nur der »Fortschrittler« wird daran seine Freude haben. Die Falten sind »natürlicher«, das heißt in Wahrheit: sie haben ihre abstrakte Eigenschönheit, ihre Melodie verloren; das innerliche Motiv hat keine bindende Macht über das Zersprengte. Der äußerste Apostel rechts beweist es am deutlichsten. Er ist eine Karikatur der bewegten Schrankenfiguren durch das (hier zerstörerische) Prinzip des Gegenübers, der Schaubarkeit; und durch ihr physiognomisches Korrelat: das Lächeln, das die Schaubarkeit wie als ihr eigenes 62
Bewußtsein repräsentiert. Der Prophet unter ihm — das Motiv des Tragens hat er vergessen, es ist verschwunden wie alles, das der romanischen Zentralisation diente — möchte »aus der Gebundenheit heraus«: erst so wird sie Gebundenheit. Er kennt schon das eigentümliche Gesicht der neuen Bamberger Plastik, auch das des Reiters (die Enge von Auge und Nase, die metallischscharfen Grate über den Brauen!), er setzt auch die herrliche steinerne Faltenfackel der Elisabeth voraus. Er hat auch im Oberkörper sich dem Neuen angenähert, aber mehr als Neuem angenähertes Altes ist das Alles nicht. Wir sind ganz nahe am Stile des Tympanons mit dem Weltgerichte. ABB. 42. CHRISTUS. AM GEWÄNDE DES Ist im rechten Gewände schon dessen PÜRSTENTORS (NEBEN ABB. 41) Meister? Beenken (wie früher FrankOberaspach) glaubt es, Jantzen (und nicht er allein) verneint es. Der Verfasser ist — wie fast überall — gleicher Meinung mit Jantzen. Der Abraham (Abb. 4 4) ist hier eher vorausgesetzt, als vorbereitet. Dieser gehört zu den nachträglich und notdürftig untergebrachten Zu taten des Weltgerichts, zusammen mit dem posaunenblasenden Engel (Abb. 45); auch mit den Figuren der Stützsäulen unter Ekklesia und Synagoge: dort Evangelistensymbole und Sitzender (Prophet? Ezechiel?), hier ein Jude, dem ein Teufel das Auge ausbohrt (Abb. 52 und 55). Das Weltgericht gehört schon der gotischen Werkstatt selbst, es gehört nicht zu ihren Wirkungen auf die ältere. Aber, daß hier Meinungsverschiedenheiten überhaupt möglich sind, erklärt sich aus einer Gegenentsprechung: unter den Werken der neuen Bauhütte gehört das Weltgericht zu jenen, die am stärksten die Wirkung der älteren zeigen.
ABB. 43. DER POSAUNENBLÄSER DES JÜNGSTEN GERICHTS AM FÜRSTEN TOR
DIE WERKSTATT DER DRITTEN BAUHÜTTE Wir dürfen sie nach dem. zuletzt angedeuteten Gesichtspunkte gliedern: nach dem Grade ihrer Verbindung mit den älteren Werkstätten. Es sind Gradunterschiede ; nirgends hört der Personalcharakter »Bamberg« ganz auf. Aber wie zwei Pole stehenhinter den Gradunterschieden die beiden Möglichkeiten: Statuarik (in mittelalterlichem, nicht antikem Sinne) und Linienmimik. Die letztere kennen wir als altbambergisch, von den Chorschranken an in voller Deutlichkeit. Sie lebt auch am Weltgerichte des Fürstentores, obwohl es der aus Frankreich heimgekehrten Hütte entstammt. Die Ekklesia daneben zeigt am deutlichsten nach dem entgegengesetzten Pole: sie ist so stark Statue, plastische Existenz, als es einer gotischen Figur überhaupt möglich ist. Am
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FürstentoreistwirklichdieBegegnung von Alt und Neu am stärksten dramatisch klar; in Gegensätzen wie in Übergängen. Ordnen "wir die Leistungen der gotischen Bauhütte — es ist die, deren Kenntnis der gotischen Architektur in den Baldachinen wie in den Westtürmen bewiesen ist — zwischen diese Pole ein, so ergibt sich folgende Reihe: Weltgericht des Fürstentores Heimsuchung Reiter Engel (zum Dionys gehörig?) Adamspforte Synagoge Ekklesia Es ist eine Wanderung von Pol zu Pol in einer einheitlichen Welt, aber nicht in derWelt eines persönlichen Geistes; ABB. 44. ABRAHAM IN DER WÖLBUNG darum auch keine Wanderung in der DES FÜRSTENTORES Zeit, die wir als geschichtliches Nacheinander lesen müßten, sondern eine Wanderung zwischen Charakteren von Künstlern, die gemeinsam einer Gesamtaufgabe dienen: nebeneinander. Dennoch deutet sich a u c h ein geschichtlicher Ausblick an. Benennen wir die beiden Pole mit berühmten Werken: Georgenchorschranken und Naumburg — so blicken Weltgericht, Heimsuchung und Reiter nach den Chorschranken, die Ekklesia nach dem Naumburger Stile hinüber. Möglich, ja wahrscheinlich, daß ihr Meister (zugleich der der Synagoge) um Einiges jünger ist. Es sind aber mindestens drei Persönlichkeiten, die wir erkennen können. Mit völlig vergleichsloser Großartigkeit stehen zunächst drei Werke da, deren Qualität und Intensität sie untereinander eint und zugleich gegen alles Übrige vereinsamt: Maria, Elisabeth und Reiter. Ihre Großartigkeit ruht stilistisch auf der Begegnung des Schrankenmeisterstiles, der Linienmimik also, mit der gotisch-statuarischen Gesinnung der französischen Kathedralenplastik. Sie ist also
schon ein Treffpunkt beider Pole. Aber ihrVortrag ruht auf dem geheimen Vorrange des älteren. Das ist die stilistische Basis. Was daraus gemacht worden ist, gehört dem Geheimnis des Genies. Die Qualität — jenes logisch nicht Beweisbare, dessen Erkenntnis mehr für die Verstehenden als für sich selbst entscheidend ist, das gegebene a priori-Wunder — bleibt einsam, nicht nur für Bamberg, nicht nur für Deutschland, sondern für Europa. Dem Versuche, ausgerechnet den Engel dieser gleichen Qualität zuzudenken, steht derVerfasser völlig ratlos gegenüber, da in diesem Punkte das Logische versagt — wenigstens haben wir noch kein sicheres wissenschaftliches Instrument zur Bestimmung der Qualität bisher entdecken können. Aber es gibt Stilkritik. Der Stil jener drei Figuren spiegelt sich am deutlichsten im Weltgerichte — im Gegensatze zu jenem Engel, der gerade dieses zweifellos natürlich kennt und mitvoraussetzt. Der Engel kennt alles Andere, auch Ekklesia und Synagoge, auch die Adamspforte. Mit der letzten aber gehört er—wie wohl allgemein anerkannt — zu der unmittelbarsten Vorbereitung des Magdeburger Stiles. D E R STIL D E S R E I T E R M E I S T E R S
Das W e l t g e r i c h t Wir betrachten das Weltgericht. Sein Verhältnis zum Reimser Vorbilde ist ähnlich dem des Straßburger Marientodes zum Chartreser. Die ruhige, rahmenbestimmte Ordnung der französischen Kathedralenplastik ist zum Gedränge gewandelt. Das Erlebnis ist stärker als die Auswirkung der tektonischen Grundform. Diese letztere durchzuhalten, ist urfranzösisch: in den modernen Theorien von Cezanne oder Matisse spielt dasBewußtsein desBildes als Fläche, desRahmens als Form, noch immer die gleiche Rolle, wie praktisch bei den gotischen Reliefbildnern ihrer Nation. Wie Nolde zu Matisse, so verhält sich der deutsche Gotiker zum französischen. Was feierlich und groß ist, wie der Weltenrichter, wirkt für den deutschen Künstler noch größer durch die Enge, in der es seinen Rang erkämpft. Im Gewimmel groß zu bleiben — das scheint ihm größer, als höfische Anpassung; erkämpfter Rang bedeutsanier als zugewiesener. In den Wolken geschieht alles; ein Wolkenband, tief verwandt den geschlängelten Standlinien der Schranken-Heiligen, sagt es uns. Die Figuren der Deesis, Maria und Johannes zu Füßen des Gottes Christus, berühren diese Füße. Das ist vergleichslos; hier spricht die Nation, die die stärkste Formulierung der plastischen Pietä, ja ihr
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Thema Europa schenken sollte: Intimität des Gefühls im nahen Erlebnis des Fernsten und Feierlichsten, »Gottesfreundschaft«. In den Wolken geschieht Alles, aber in menschlichster Vergegenwärtigung. Ein übermäßiger Gefühlssturm zerreißt, hier in Schmerz, dort in Freude, alle Gesichter. Man möge die Bilder betrachten; der Wettlauf des Wortes ist unnütz, zumal nachdem so viel Treffendes schon von Anderen darüber gesagt ist. Aber man fasse besonders den Engel, der den seligen König links »wie zur Weihnachtsbescherung« herauszieht, und den verdammten König rechts ins Auge: das ist Gebärdenkunst vom Geiste des Paulus- ABB. 45. ZWEI SELIGE BEIM JÜNGSTEN GERICHT meisters. Jedoch, sie dient motivierten Einzelzuständen, nicht Gesamtcharakteren. Sie charakterisiert Gefühle, nicht geistige Existenzen. Soll das noch »romanisch« sein, — wie z. B. Bäumler ganz Bamberg empfindet? Hier sind alte Mittel einem neuen Probleme zugewendet — das Umgekehrte zur Situation des rechten Portalgewändes. Hier taucht, im Entwurfe, ein junges Genie auf, das die Mittel eines älteren neuen Zwecken dienstbar macht. Sagen wir nur gleich: dieses entwerfende Genie ist das des Reitermeisters, der ein Psychologe war (was die neuen »Romaniker« der mittelalterlichen Kunst verbieten möchten). Hier keimt auch schon etwas von Naumburg. Aber die Sprache freilich ist altbambergisch. Es sind die sprechenden Linien, die scharfen Stege, die jähen Einsinkungen des Schrankenstiles. Manchmal, so in der Deesis, laufen sie sogar noch im Sinne des geometrischen Parallelismus. Im allgemeinen sind sie gebrochen, sie geben jene Zersprengung der alten Zusammenhänge, deren positiven Sinn der Meister des rechten Portalgewändes noch nicht verstehen konnte. Der mag hier und da im Tympanon mitgearbeitet haben; gewiß ist hier der größte Bamberger nicht im wesentlichen ausführend gewesen. Aber jenen Mädchenengel
links z. B. dürften wir dem Reitermeister ebenso zutrauen, wie den verzweifelten König rechts und manches andere, Vereinzelte der Ausführung. Gerade das Standmotiv dieses Engels nun ist ganz offenbar eine Weiterdenkung des Jonas! Wir treffen wieder auf die geheimnisvolle Nähe gerade des Besten im Reitermeister zum Schöpfer des Besten an den Schranken. Und die Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen — dies ist im Sinne besonders auch Hamanns gedacht —, daß die Wirkungen gegenseitig waren, der Paulusmeister also seinen Jonas schon unter dem Eindruck des jungen Genies und seiner französischen Erfahrungen schuf. Prägen wir uns vor allem die Verwandtschaft im Unterschiedlichen ein. Es ist die neu gelöste Formensprache des Schrankenmeisters, und es ist ein blutsverwandter Geist, der im Neuen eben sie gerade verwandeln mußte. Fast möchte man an physische Verwandtschaft glauben; sicher kommt man schon rein aus der Urkunde der Bamberger Formen auf die gleichzeitige Anwesenheit des Alten und Neuen (die neuerdings auch von Reims und Magdeburg her äußerst wahrscheinlich geworden ist). Noch einmal: das Weltgericht als Ganzes hat den Stil des Reitermeisters — aber nicht seine Qualität (Tafel 50—35, Abb. 45). Die drei Meisterwerke Den Maßstab für die Qualität des Reitermeisters holen wir zunächst von der Heimsuchung. Dehio hat zuerst gesehen, daß sie eine Gruppe der Reimser Fassade vom entwickelten Stile der dortigen Sixtuspforte, zum Vorbilde hat. Es ist das in der Literaturgeschichte von »Tristan« und »Parzival« herbekannteVerhältnis. Es bedeutet keinerlei geistige Abhängigkeit, vor allem: keine Unterordnung des »Abhängigen«. Eine ebensolche Vorbildlichkeit stand auch dem Franzosen vor Augen, der die Reimser Maria schuf: eine antike nämlich. Und es ist anzunehmen, daß die Differenz zwischen Antike und Reims nicht einmal so groß war, wie die zwischen Reims und Bamberg, das heißt: daß der Deutsche mehr zutat oder herausholte, als der Franzose. Beide taten, auch der Franzose, was jedem mittelalterlichen Künstler selbstverständlich war: das Große, das ihrem Willen entgegenkam, nahmen sie in sich, ohne Angst um ihre »Originalität«. AlsTatsache ist das längst bekannt. Es noch einmal auszusprechen, ist nur nötig gegenüber den unsinnigen Schlüssen, die verhetzter Größenwahn moderner Franzosen (Male!) aus jener normalen Tatsache der Weiterwanderung künstlerischer Themen gezogen hat: wenn der französische Dichter arabische Motive aufnimmt, so schadet das nichts (und das ist ja auch wirklich so!). Tut aber der Deutsche das Gleiche, nimmt er ein auch dem Franzosen zugekommenes, nicht von ihm
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erfundenes Motiv über diesen selber hin auf, so beweist er, daß die Deutschen »eine Rasse von Dieben und Spionen« sind. Man darf ruhig sagen, daß nur eine Einheit des Themas da ist. DasThema der Gewandstatue entspricht der »Fabel« in der Literatur, nicht ihrer Fassung. Diese ist beim Bamberger so eigen wie bei Wolfram von Eschenbach. Die Reimser Visitatio fällt wohl an ihrer Fassade auf, weil sie anderen Stiles als ihre Umgebung ist, aber nicht weil sie an einer Fassade steht. Die Bamberger Frauen gestalten dagegen würden ihren Sinn verlieren im Zusammenhange der Reihe. Gewiß mußte ihr Schöpfer den Begriff der gotischen Statue drüben erst empfangen haben. Ohne das hätte er selbst das Format vielleicht nicht gefunden. Denn der neue Stil ist auch ein neuer Maßstab; wieder erkennt man das nirgends mit dramatischerer Deutlichkeit als am Fürstentor, wo Ekklesia und Synagoge plötzlich als Großfiguren neben und über den ins Freie getasteten (» ursprünglichen «) Kleinrelief-Figuren der Gewände auftauchen. Aber was das Thema der Statue für den Bamberger war, das erhellt schon daraus, daß die thematische Beziehung der beiden Frauengestalten erst mit und an dem Reimser Vorbilde erkannt werden konnte. So gering ist inWahrheit der Charakter des Paares in ihnen, so gering — wichtiger noch — der Charakter der Reihe über ihnen. Sie sind Einzelfiguren, und es ist gut, daß sie nicht (etwa so wie an der Adamspforte) nach außen hin in einen Zusammenhang französisch-gotischer Art gestopft worden sind. Sie sind die emanzipierte, monumentalisierte, statuarisierte Innenraum-, ja Relieffigur, wie der Schrankenmeister sie unüberbietbar groß im graphischen Zusammenhange seiner mimischen Ornamentik zu halten gewußt hatte. Der Zusammenhang ist gesprengt, einsam Großes ist ihm entstiegen, die mimisch-ornamentale Liniensprache hat ihre alte Melodik verloren ; aber ihr Geist, der durch Formen reden, nicht sich in Formen anschauen lassen wollte, der Geist des Schrankenmeisters — unfranzösisch, Bach und Dürer näher als jedem westlichen »Vorbilde« —hat das neue Thema der Gewandstatue aufgegriffen, in neuen Reichen neue Ströme aufquellen lassen. Die Bamberger Maria ist »griechischer« als die Reimser! In dieser spürt man schöne, volle römische Würde. Aber die eigentümlich weiche Grazie etwa der sandalenbindenden Nike vom Erechtheion entspricht tiefer der eigentümlich herben Grazie der Bamberger Heiligen. So berechtigt die Warnungen Jantzens vor einer Verwechslung gotischer und antiker Statuarik sind — die dramatische Gegenrede zwischen Gewand und »Körper« ist hier von -wahrhaft griechischantiker Eindringlichkeit. Daß dieser Körper in der Gotik nicht der lebendige Organismus ist, den die Antike hinter dem Gewände wirklich weiß, lehrt
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ja ein Blick auf die Eva der Adamspforte. Er ist ein allgemeineres, tektonisch-bewegliches Gliedergerüst, und er will gar nicht in dem Sinne »stehen«, wie der griechische oder römische. Durchaus richtig — dennoch kann auch von diesem nicht anatomisch, sondern nur struktiv (aber immerhin dochstruktiv!) gefühlten Körper ein Dialog mit dem Gewände angehoben werden. Und diesen Dialog führt Bamberg leidenschaftlicher, eindringlicher, ja geistreicher als Reims. Ja, Reims weiß kaum von der Möglichkeit dieses Dialogs. Mögen die Übergänge von der Front zu den Seitenansichten plötzlicher sein — sie sind es ja ganz gewiß gegenüber der sanft rollenden Weiterdrehung der Ansichten ABB. 46. DIE HAND DER ELISABETH bei derReimserin—: die Profilansicht auch nur des Spielbeins verrät eine dialogisierte Wucht, eine Wucht des harmonischen Kontrastes von innen und außen, die von dem französischen Vorbilde nicht geahnt wird. Die entsprechende Seitenansicht in Reims ist geradezu tot dagegen. Gewiß verschwindet bei der Ansicht der Standbeinseite in Bamberg viel mehr vom »Körper« als entsprechend in Reims. Aber es handelt sich überhaupt nicht um den Kontrapost von Beinen, sondern um Stand- und Spielbeinseite. Was beim Griechen als Gewichtsverteilung eines sich balancierenden Körpers gemeint ist, bedeutet hier einen verwandten, aber doch ganz anders erreichten Kontrast: das Gewand als Gegenspieler des Körpers und das Gewand noch wieder gegen das Gewand — Kontrapostik des Gewandes. Man könnte, übertragend, von Stand- und Spielgewand reden, dürfte aber nie vergessen, daß ein Hintereinander in der Tiefe da ist zwischen körpervertretendem Gerüste als »Innen« und darüber schäumendem Gewände als »Außen«, also doch ein fruchtbarer, harmonischer Kontrast, ein Dualismus. Er unterscheidet Bamberg vom Reimsisch-Römischen, er ist eine freie — nicht »abgesehene!«, das war ja nicht möglich—, eine in Wachstumsparallele erreichte Entsprechung
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zum Griechischen, dem der Franzose ganz fern ist. (Immer ist der Römer, nicht der Grieche dem Franzosen vertraut; immer hat auch in den späten Zeiten bewußten Ringens um die antike geistige Welt der Deutsche unmittelbarer nach dem Griechischen, als nach dem Römischen gestrebt. Selbst die Stellung beider Nationen zur Politik offenbart den gleichen Gegensatz.) Es ist der große, kurz vorher in Reims erreichte, geschichtliche Augenblick, in dem einmal die natürliche Entwicklung des neuen Europäertumes wirklich der klassischen Antike nahegekommen ist. Nicht mit Absicht, wie in der Renaissance oder gar im Klassizismus, sondern aus innerer Ähnlichkeit der ABB. 47. DAS GEWAND DER ELISABETH Stufe. Durch große Figuren zu reden, ist für den Abendländer eine Stufe seines Werdens gewesen. Damals ist sie erreicht, nachdem vorher eine vorplastische Stufe, ein Zeitalter vorwiegend architektonischen Denkens als natürlichster Sprache geherrscht hatte. In Bamberg sehen wir die Krisis zwischen architektonischem und plastischem Zeitalter Europas am klarsten gespiegelt — von der architekturbestimmten Plastik der Gnadenpforte durch physio gnomisch gesteigertes, figürliches Linienornament zur Statue, soweit der Europäer sie überhaupt wollen kann. Es ist, sehr bezeichnend, nur ein ganz kurzes Zeitalter, das eine Art beherrschender Statuarik besaß, das in der menschlichen Gestalt um ihrer selber willen sich ausdrücken wollte. Schon nach Naumburg ist es auf alle Zeiten aufgegeben. Das 14. Jahrhundert nähert sich bereits der neuen, der malerischen Epoche. Das aber ist die Größe des Heimsuchungsmeisters, daß er in diesem kurzen, glänzenden Augenblick einer gewaltigen Krisis ganz Europas uns die größten Statuen europäischer Art geschenkt hat, daß er das Genie war, das Europas »griechischen Augenblick« spiegelt. Gewiß,er will keine Göttin geben. Göttinnen sind etwas sehr Menschliches; der Reimser ist näher daran. Der Bamberger sucht
ein geistiges Symbol. Es ist die nach außen gewendete Christenseele. Aber daß, als ihre Form, die Einzelfigur als Kosmos jetzt gefunden wird, daß sie dabei nicht im Nur-Plastischen sich erschöpft, daß sie die ganze Glut gerade der bambergischen Ornamentalmimik in sich einfängt, das ist ihre Einzigartigkeit. Die Maria hat einen doppelten »gotischen Schwung«. Dieser Schwung ist in seinem Wesentlichsten nichts anderes als der Ausdruck dafür, daß nicht der menschliche Körper als solcher, wie in der Antike, künstlerischer Zweck ist. Er ist ein Stück auferlegter Form. Er besteht als Vorschwung aus der Tiefe — die Wand als Sehne des Figurenbogens — und außerdem als Seitenschwung — die Wand als Schreibfläche des Figurenbogens. Dieses letztere ist besonders entscheidend. Das »tut« nicht die Gestalt — das wird ihr getan. Das auch ist das » Manieristische« an ihr, das Stück passivischen Charakters in der Figur. Das frühere Vierzehnte hat, indem es nur den zu zweit genannten Schwung bestehen, die Figur sich ganz vor die Wand hinschreiben ließ, ihn noch gesteigert. In Bamberg aber ist — in der Verwölbung aus der Tiefe — zugleich ein Stück persönlicher Eigenmacht, zugleich ein aktives Wesen dargestellt. Das jedoch ist die Grundform, in die sich das ritterlich Vornehme dieser Zeit, ihr Gefühl für Haltung als Pflicht, das, was der athletischen Kultur Griechenlands entsprach, auf das Natürlichste ergießt. So aber möge man auch das wundervolle Seitenprofü ansehen, das ein Hauptwert ist — danken wir dem Schicksal, daß nicht die Einreihung in ein Portalgewände uns gerade dieses entzogen hat. Wir sehen da, mit wie dramatischer Wucht das Schauspiel gegenrednerischer Kräfte im Block vollzogen wird. Wir empfinden damit doch zugleich einen Ausdruck persönlichen Daseins, wir können nur von da aus begreifen, daß so etwas wie Naumburg überhaupt einmal möglich werden konnte: die Annäherung an das Porträt. Aber Naumburg war auch das Letzte, Äußerste, was das » antikische « Selbstbewußtsein der Ritterepoche gegen den Funktionswert der Gestalt als nach außen gewendeter Christenseele zu setzen hatte. Die folgende Epoche hat — schon um Naumburg herum ansetzend — dieses »Selbstbewußtsein der Gestalt«, zunächst als nicht christlich, später als nicht malerisch genug, aufgegeben (Tafel 68—77). DerVerfasser sieht in diesem Punkte sehr anders als Jantzen. Er meint, daß — die sprunghaftenÜbergänge zwischen den Ansichten, den nicht antik-statischen Sinn des Kontrapostes durchaus und von vornherein zugegeben — dennoch hier nicht eigentlich die plastische Form nur dem Blocke »aufgezeichnet«, in Reims dagegen ein wirklich, plastisch, von innen her in Wirkung gesetztes Gewand gegeben sei. In Reims scheint ihm vielmehr der Block gerade stärker. Was 72
Bamberg bringt, ist der dramatischeKontrast. Gewiß: wir verständen das Knistern undRauschen der Gewandung,ihr heftiges Flüstern nicht, wenn wir nicht wüßten, daß es die altbambergische Liniensprache ist, die es erzeugt. Aber sie hat sich auch gegen die Block tiefe gewendet, sich in sie eingefressen,ist ausbohrend undhöhlend geworden. Zuzugeben ist, daß das Gesicht der Bambergerin den Vergleich mit dem Reimser rein auf die kubische Schönheit hin nicht verträgt, weil es ihn gar nicht aufnehmen wollte, also konnte. In Reims ist der Marienkopf das lebendigste Feld jener weich-rundenden Milde der Übergänge, die auch in der Gesamtfigur da ist — dort mehr wie eine prachtvoll untersetzte Säulenschönheit, die Schönheiteiner kannelierten Säule. Wenn aber in Bamberg ein Detail als plastische Kraft wirken will, dann bricht es auch rein plastisch mit ganz anderer Wucht hervor. Man vergleiche doch nur die Brüste, das rechte Knie, die Bauchpartie! Das Gesicht freilich will reden, nicht »sein« — wie die Propheten des Georgenchores. Auch die Plastik von Knie und Fuß wird mehr vor unseren Augen, als daß sie bloß is t; sie geschieht: Handlung, nicht Zustand, das ist der innere Gegensatz überhaupt. Das Gesicht will reden, aber es hat bei Maria, seien wir ehrlich, nicht allzuviel zu sagen (Abb. 46 und 47, Tafel 75 und 77). Wir begreifen das ganz erst vor der Elisabeth. Die deutsche Kunst von damals hat einen ganz bestimmten Bevorzugungstrieb: die Propheten sind ihr lieber als die Apostel, die Synagoge ist ihr lieber als dieEkklesia, die Elisabeth (»Sibylle«! — der alte Name war sehr sinn voll!) ist ihr lieber als Maria! Was bloß ist und gilt,zu repräsentieren, das liegt ihr weniger, weil es sich weniger sagen läßt. Das ist ein Zug unserer geistigen Gesamtgeschichte, der sehr viele Gefahren und einige, sonst nirgends als bei uns erfüllte, größte Aussichten bietet. Hier, in der Elisabeth, ist einer derwenigen ganz großen Augenblicke in dem deutschen Kampfe um Sprache und Gesang durch sichtbare Form. Was ist und gilt, ist eher zu repräsentieren, als zu sagen — die Franzosen können das. Wir hätten auch nie einen Louis-Quatorze-Stil, den Stil der Repräsentation als Selbstzweck, schaffen können. Was aber wird, was verspricht, oder was untergeht (Synagoge!), das umfaßt diese deutsche Plastik mit heißer Leidenschaft! Elisabeth ist Verkünderin, sie ist Prophetin. Die Frau, die den erst gebären soll, der Christus verkünden soll — diese doppelte Vorläuferschaft ist das Thema. Es schafft etwas wie eine unsichtbar-fühlbare Gestaltungszone um eine Erscheinung, die sich immer neu aus ihr zu bilden scheint. Das Reimser Vorbild ist eine gute Matrone mit einem melancholischen Agrippina-Gesicht. Die Elisabeth unseres Meisters aber ist die Ahnin der größten, ersten Pietä-Madonnen des 14. Jahrhunderts, der Coburger, der
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Erfurter, die wohl -wirklich sogar mit dem Bamberger Stile des 14. Jahrhunderts (Hohenlohegrabmal) zusammenhängen. Sie ist wie aus uralten Erinnerungen, aus Zeiten des Mutterrechtes, hochgetaucht: die erste der nornenhaften, eddischen Greisinnen, die der deutschen Kunst des frühen Vierzehn ten dann eigen zugehören. Überhaupt: Ahnin, nicht Mutter. Der steife Mantelbausch, den dieReimserin trägt, wird bei ihr zur Faltenfackel — mehr als Stein und mehr als Gewand, eine redende Flamme. Das Stirnband, in Reims ein Stück des Anzuges, -wird priesterliches Symbol. Die Hand hager und steinig wie Dolomitenspitzen, der Hals geklüftet, in grandioser Wendung — das ganze Gesicht von eherner Nacktheit, eisig und ewig. Der Blick (das alte Bamberger Lieblingsthema) wäre von uns nie zu fassen. Wie, unterhalb des Menschlichen, selbst der gerade auf uns gerichtete Blick einer Wildkatze uns niemals zu begegnen scheint, so würde auch dieser, nun übermenschlich, den unseren wie der Pfeil das Papier durchbohren: wir könnten ihn nicht auffangen. Aber er trifft uns ja auch als Richtung gar nicht ·— er erobert grenzenlose Ferne. Ferne aber heißt hier etwas: Zukunft. Das ist Sprache, das hat der Franzose nicht gewollt und nicht geahnt. Und was ist aus der Schrägung der Schultern, was aus dem rechten Knie, was aus den Reffalten über dem linken geworden? Ein spitzes, hebendes Emporsteigen der ganzen Figur, ein blitzhaftes Ausfahren nach der Seite, ein Katarakt zur Plastik aufgewühlter Sturzlinien. Immer wieder: ein Werden vor uns, ein Erscheinen, ein Herabgleiten, um wieder zu wer den. Dieses Werden aber, dieses große Stück rhythmisch bewältigter Zeit, und ihr Mittel, der Faltenreim — das ist Geist vom Georgenchore, als Mittel einer neuen Statuarik, die zu groß ist, um anders als einsam möglich zu sein (Tafel 69, 71, 76, 77). Und nun der Reiter! Er steht der Sibylle näher als der Maria. Auch er ist mehr als Existenz. Er ist nun freilich auch -wirkliche, größte Repräsentation, aber wieder auch: Blick und Wendung in die Ferne, als Expansionskraft des Herrscherischen. Es ist der dargestellte Geist der deutschen staufischen Ritter dich tung. Sie ist eben versunken, und die deutsche Plastik fängt eben noch ihr Leuchten auf. In Südfrankreich, z. B. in Meile, kommen zwar ganz im allgemeinsten verwandte Typen vor, — in Nischen des Außenbaues. Als Ganzes ist unser Reiter völlig vergleichslos. Für ihn ist innerlich das unbedingt Richtige der Platz, den er nun einmal gefunden hat. Man möchte wünschen: schon unter den Augen seines großen Schöpfers. Daß wir den Namen des Königs nicht kennen, ist kein Schade. Um so mehr bleibt er Symbol eines ganzen Zeitalters und der ritterlichen Seele überhaupt. Er wollte und durfte nicht freistehen, wie Marc Aurel
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(der als »Constantin« der Heidenverfolgung entging, wie auch in Südfrankreich Reiterfiguren als »Constantin « eingeschmuggelt werden konnten). Er braucht die Rückwand und denherrlichen Baldachin. Auch der Magdeburger, der schon gegen i 240, zweifellos von ihm her angeregt, entstand, war ohne Baldachin nicht denkbar; nur daß dieser auch noch auf einem Gestänge ruhen mußte. DerBamberger braucht auch die Konsole mit ihrer herrlichen Blattmimik, er braucht auch das Pferd. Es ist nicht das Tier als eigenwertiger Gegenstand einer Wiedergabe. Es ist der Punkt, wo die anorganisch-tektonische, die formal bedingendeUmABB. 48. DER REITER welt, über Wand, Baldachin und Konsole hinweg, sich zum lebendigen Sockel steigert. Es ist Sockel, formal wie ethisch. Es darf gar nicht den Wettbewerb der Deutlichkeit mit der menschlichen Gestalt aufnehmen. Denn die menschliche Gestalt— noch einmal: vergessen wir nicht, daß sie in Schönheit nach außen gewendete Christenseele bedeutet — ist noch jetzt, ist gerade in diesem »griechischen Augenblick « unserer Kultur das einzig Darstellungswürdige. Der Regensburger
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Georg (oder Mauritius) aus dem 14. Jahrhundert zeigt, was geschehen mußte, wenn dieses Monopol der Gestalt zugunsten eines nivellierenden Umweltinteresses gebrochen wurde. Die Epoche der genremäßigen Reiterzüge — imTympanon wie in Bildern, in Ulm undWien wie bei Antonio Pisano und Gentile da Fabriano — mußte das Monopol der Gestalt opfern, weil sie den malerischen Zusammenhang erstrebte. InBamberg aber herrscht ein plastisch-monumentaler: ein Sockelverhältnis. Im allgemeinsten Umrisse nur ist immerhin ein Pferd von sehr typischer Haltung, mit » schonender« linker Hinterhand und leisem Malmen im Gebiß gegeben; in der sockelhaft-allgemeinen Umschreibung doch, von dumpferem Tieradel, ein Ritterpferd; nicht »wirklich«, aber echt. Auch ist der »trockene« Kopf doch wahrABB. 49. B.EITERKONSOL haft edel—wie ein Widerschein des menschlichen Adels vom Reiter. Dessen Haltung hat schon das Lob moderner Reitverständiger oft genug gefunden, sie ist vorbildlich als Sitz. Aber sie ist viel mehr: sie ist eine Wendung wie jene der Sibylle, nur ins Jugendlich-Kühne übertragen. Auch sie ist ein Werden. Der großartige Abstand des Oberkörpers vom Kopf des Pferdes, das Untertauchen des Reiterhauptes unter den Baldachin (der ein Tabernakel andeutet), ist nicht Existenz bloß, sondern eine vor uns erreichte Entfernung, aus der der Blick umgekehrt dann hervorschießt — wie man beim Werfen den Arm erst zurückreißt, um ihn dann vorzuschleudern: Entrückung und Eroberung. Daß die magere Kraft des Armes gotisch ist, nicht romanisch, sollte — wenn diese Begriffe überhaupt noch einen Sinn behalten wollen — wirklich nicht verkannt werden. Gotisch ist das Gelenkhafte, der Vorrang des Gelenkverhältnisses vor dem zuständlichen Werte der Masse! Dieser Arm ist ja nicht stark im Sinne vorhandener Muskulosität, unabhängig also von der Bewegung. Die Energie der Straffung, nicht was gestrafft wird, entscheidet. Das ist in diesem Falle — mehr als in Naumburg! — das Prinzip der gotischen Architektur; wie ja auch die Bamberger Maria mehr gotischen 76
Schwung hat selbst als die Naumburger, die sie doch vorauszusetzen scheint. Die Masse ist der Linie nur angehängt, sie ist mager. Und dieser Körper überhaupt unterscheidet sich etwa vom Heinrich oder Petrus der Gnadenpforte genau so wie ein Kreuzrippenge wölbe von einem grätigen. Linie, nicht Masse, ist das Prinzip. In Naumburg dagegen ist die Masse entscheidend — man vergleiche den Ekkehard oder den Dietrich in ihrer breiten Schwerkraft mit diesem ganz struktiv gemeinten Gliederverhältnis. Der Kopf ist von wahrhaft praxitelischer Schönheit. Bei aller Kühnheit, allem Ausdruck erobernder Expansion, F e r n e also (die mehr skopasisch als praxitelisch genannt werden ABB. 50. DAS PFERD müßte), ist in der Nase, den Lippen, der Stirnmasse eine gewisse Weichheit, die dann nur wieder sonderbar fein durchkreuzt wird von den metallischen Stegen und Eindrückungen über der Nase. Der Verfasser ist überzeugt, daß nicht der immer wieder zum Vergleich herangezogene Kopf jenes Reimser Königs mit den schmalen, bösen Lippen und der voltairischen Hintergründigkeit hier vorbildlich gewesen sein kann· vielmehr, wenn überhaupt ein einzelner in Reims, dann jener im Naumburgbuche wiedergegebene, der wie ein Vorklang des Wilhelm von Kamburg anmutet. Der ist auch volksverwandt; er muß auch von einem Deutschen sein. Er teilt mit dem Bamberger die innere Jugendlichkeit, die unpolitisch-deutsche, harmlose Stimmung, das rein Seelische — jener andere aber ist unheimlich intelligent, Zeugnis eines raffiniert politischen Volkes, alt zugleich und nur durch die Tracht, das königliche Haar mit der Krone, von einer scheinbaren Ähnlichkeit; also durch äußerliche Motive. Es ist wohl so, daß oft im Kunstwerke sich der Ausdruck von etwas vor langer Zeit Geschehenem, die unbewußte Volkserinnerung ferner, versunkener Vorgänge in eine Form hinauffindet, in der es nun noch einmal, nun aber verklärt, da ist. Wenn die Elisabeth »eddisch«
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genannt wurde, so darf hier von »Nibelungischem« gesprochen werden. Dunkle Völkerwanderungserinnerungen, wie sie kurz vorher auch im Nibelungenliede — einst »Geschichte«, nun Mythus späterer Menschen — Form gefunden hatten, leben in diesem Kopfe, der einen Führer in die Ferne darstellt, aber alles andere als einen geistreichen Politiker (Tafel 84—89, Abb. 48—51). Was die drei Gestalten der Heimsuchung und des Reiters so eng verbindet, das ist eine ganz einmalig persönliche Steigerung der altbambergischen Linienmimik zur Funktion erhabener Erscheinungen, die Werden, Wendung, Beherrschung darstellen, und doch Statuen sind im einzigen uns möglichen Sinne. In ihren vielsträhnigen, oft fast zart-eleganten Linienhäufungen herrscht noch der Faltenreim des Georgenchormeisters, nur zerhackter, eigenartiger im Rhythmus. Es herrscht Kontrast von innen und außen, von oben und unten, von links und rechts, von Körper und Gewand. Das ist ein Unterschied gegen das DurchlaufendGemeinschaftliche in den Faltenreimen des großen Schrankenmeisters. Diese kennen nicht so sehr ein Oben und Unten, als ein wogendes Entlang, eine Gemeinschaft eben der Bewegung als solcher. Der Unterschied ist der gleiche wie zwischen einem romanischen Portal — etwa noch dem Fürstentor, dessen Profile in gleichem Rhythmus durch Vertikale und Kurven, durch Pfosten und Archivoltenlaufen—und einem echten gotischen, dessen Gewände steht, während sich das Bogenfeld darüber erhebt: Geschoßbildung statt Radianz. Weil die Figuren des Reitermeisters besonders eng mit dem noch-manieristischen Stile des Schrankenmeisters verwandt sind, tragen sie auch nicht nur das Statuarische in sich — dessen letzte Vollendung für Deutschland Naumburg bedeutet, als letzte Vermenschlichung romanischen Stilgefühles —, sondern zugleich das, was hinter Naumburg, gegen Naumburg kommen sollte: den neuen Manierismus dernun erst wirklichenGotik im Plastischen, den des Vierzehnten. Bezeichnend vor allem die Maria, die schon einmal (proto-) gotischer ist als irgend eine der Naumburger Figuren. Um das manieristische Element, das in diesem Bamberger Stile wieder latent geworden, rein herauszuprägen, war dann freilich gerade die Vernichtung des anderen Elements, des plastischen Kontrastes nötig, an dem Naumburg sein Schönstes fand: unmanieristische, natur-hingegebene Verdeutlichung. Aber man mache sich die Komplikation klar. Naumburg und das Vierzehnte sind hier angedeutet, und die Entwicklung der gegensätzlich, in harmonischem Kontraste verbundenen Elemente konnte nicht als einfacher Fortschritt, sondern als Aktion und Reaktion, als Rhythmus, vor sich gehen. Dies mögen sichAlle gesagt sein lassen, die an den »Fortschritt« glauben, 78
auch diejenigen, die ihn nur pessimistisch auslegen, wie z. B. Bäumler bei der Beurteilung von romanisch und gotisch als einer einfachen Abfolge, die im Grunde ein Verlust sei. Statuarik un dLinienmanierismus — Manierismus in dem neuen, nicht kritisierenden Sinne einer der Gestalt auferlegtenLinienherrschaft—sind die Elemente, die sich in Bamberg begegnen. Das einzigartige Feuer unseres Meisters war vielleicht Merkmal seiner Generation. Auch der Künstler des StraßburgerEngelspfeilers könnte ihr angehört haben. Unter den Architekten aber die verwandten Feuergeister, die die Westchöre von Mainz und Worms oder den Gralsbau von S.GeABB. 51. REITERKONSOL reon (etwas früher) geschaffen haben. Wir finden diesen Meister nicht mehr jenseits dieser drei Figuren. Wir fanden seinen Stil noch imTympanon des Weltgerichtes. Und auch das, was einst die heutigen Relief s der marmornen Papsttumba angeregthat—derVerfasser hält mit Dehio, Jantzen, Panofsky, Otto Schmitt, Noack den heutigen Zustand für im Mittelalter völlig unmöglich —, die grandiose Phantasie des Dreizehnten, die wir da zweifellos unter modern-raumillusionistischen Formen spüren, auch das wird sein Werk gewesen sein. Das ist sein Feuer der Erfindung, seine Kunst des Faltenreimes, seine unerreichte Beweglichkeit. Es ist aber auf eine Wiedergabe hier bewußt verzichtet, da in den anderen Publikationen genug Abbildungen vorliegen und hier nur echtes Dreizehntes — auch dem Zustande nach echtes — gegeben werden sollte. Wir gehen auch nicht näher ein auf die Deckplatte des Grabmals, als die heute der hl. Papst neben der Jonasreihe erkannt ist. D E R STIL D E S E N G E L S V O M H L . D I O N Y S I U S
Aber wir vergleichen nun noch den Engel, der heute so nahe an den drei Hauptwerken im Georgenchore steht und offenbar dem Dionysius zugehört.
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Sein Profil ist neben dem der Maria zum bequemen Vergleiche abgebildet. Ist das unser großer Meister des Faltenreimes, der unerschöpflichen Linienphantasie, der delikaten Grazie im heiligsten Ernste des Erhabenen, der Fernwirkung aus einer Fülle beherrschten Details heraus? Gewiß, der Engel ist kein schlechtes Werk. Er hat eine imposante derbe Kraft, aber er hat nicht die Kultur und auch nicht die gleichen altbambergischen Voraussetzungen, wie Heimsuchung und Reiter. Keinem jener drei Meisterwerke fehlt, was hier fehlt, und zwar eindrucksbestimmend fehlt: die reiche Durchbildung, der Sinn für das eingefangene Konkave, für die ständig rieselnde Durchspieltheit von innen und außen, oben und unten, der in zahllosen Einzelbrechungen durchgeführte plastische Kontrast. Ein gewaltiger Block wälzt sich uns entgegen, von der Wand als Sehne her gebogen, — nicht so wie bei Maria, in delikater Abstimmung vielfältigster Differenzierung, sondern eher wie bei der Synagoge, aber auch ohne deren zügige Eleganz. Brutal und breit, in der Oberpartie völlig faltenarm, mit hart-spitzigen, wie an Nägeln verhakten Falten nach dem Armgelenke hin, dann in mächtigen, eindrucksvollen, gebogenen Hauptstegen von oben nach unten gleitend, statt von unten nach oben zu steigen. Man brauchte nur nach der Zahl der Falten zu fragen. Das ist ein anderer Stil innerhalb des Gesamt-Bambergischen. Es müßten sehr zwingende Gründe da sein, eine so völlige Selbstwiderlegung glaubhaft zu machen, wenn dieses Werk dem Meister des polyphonen Details zugeschrieben werden sollte. Sie müßten von der Qualität kommen. Dürfen wir aber unserm Meister allein schon nur diese rein dekorative, unsprachliche Freude am rohen Bohrloch in den Haaren zutrauen? Diesen Blockhals — diesen Kopf und seinen grinsenden Ausdruck? Für alles das gibt das Weltgericht Einzel-Analogien—wo fremde Hände tätig waren. Aber selbst die rohsten Gestalten der Seligen links sind feiner. Feiner sicher — vielleicht nicht besser. Die Qualität des Engels liegt in seiner kühnen Derbheit. Die unerhörte Kultur des Heimsuchungs- und Reitermeisters aber liegt nicht nur überhaupt in einem ganz anderen Felde. Sie ist auch mehr, an sich, ein unerhört viel reicheres Maß von künstlerischen Denkbewegungen, von Möglichkeiten der Nüancierung. Durch Weglassen ist ein Schein von Monumentalität leichter zu erreichen. Die Größe des Reitermeisters aber liegt ja mit darin, daß er nicht wegzulassen brauchte, um groß zu sein; sie liegt in der Beherrschung des Vielen, nicht in der rohen Kraft des Einfachen. Wo hier die Form spielen will, ist sie immer noch Übergießung eines energisch gewölbten Blockes in einer Faltenschlingung (Tafel 68, 70, 75, 78, 79). 80
D E R STIL D E R A D A M S P F O R T E
Von dieser Art ist Einiges in Magdeburg ausgegangen. Die Adamspf orte ist das feinere und bessere Sammelbecken dieser künftigen magdeburgischen Möglichkeiten. Das Ganze freilich recht unglücklich. Im Grunde dürfen wir froh sein, daß nicht der Reitermeister für diese gequälte Anflickung herhalten mußte. Am linken Gewände ist der Stephanus, die »altertümlichste« der Figuren, die innerlich feinste. Sie hat auch auf den Engel gewirkt. Jantzen hat die zarte Schönheit der Hände, das vornehme Halten des Steines, den mild-verklärten Ausdruck des Kopfes — des Märtyrers, der überwunden hat und wissend ist — sehr gut hervorgehoben. Es ist auffallend viel Sinn für das Konkave in dieser Figur, für lange Vertikalen. Das, was in den verwitterten Figuren des rechten Fürstentor-Gewändes sich anbahnte,ist hier zu einer vollendeten Fassung gelangt. Auch hier erhält man zugleich einen Maßstab für den Engel im Inneren, der diese Figur mitvoraussetzt: die Energie der Gesamtexistenz im Engel darf bestimmt nicht geleugnet werden, aber am Stephanus gemessen, ist doch alles in das Klotzig-Gewaltige verroht. Im Gewände ist dem Engel die Kunigunde näher. Die Schwere, mit der es sich bei ihr nach unten sackt — ein dem Reitermeister entgegengesetztes Stilgefühl verratend—, die Art des Faltenausganges vom faltenarmen Oberkörper herab, ist verwandt. »Magdeburgisch« — auch die weichen Umlegeformen unten. Der Kopftypus normaler, »schöner«, weicher auch als jener der Maria. Allem, was — noch oder schon — die zusammenhängende Festigkeit des Statuenblocks betonen will, steht diese Figur näher als der Heimsuchung: sowohl Magdeburg und selbst Naumburg in der Zukunft, als dem Gnadenportal in der Vergangenheit. Hier bedeutet der Schrankenstil verhältnismäßig wenig. Die Linie bedeutet weniger als die Masse — wir gehen vom Pole der Linienmimik zu dem der Statuarik hinüber. Vom Heinrich ist nicht viel zu sagen. Er ist eine tüchtige Normalleistung im Sinne der Reimser Strebepfeilerfiguren. Er ist, vielleicht als einzige der Bamberger Gestalten, »französische Provinz«. Bei ihm ist es erlaubt, von Reimser »Einfluß« im üblichen Sinne zu sprechen. Auch sein schöner Normalkopf unterscheidet sich von dem des Reiters wie Existenz von Erscheinung. AllesWeiche ist weiter geführt und alles innerlich Ferne nahe gemacht. Keine erhabene Entrückung; eine gute Repräsentationsfigur. Am rechten Gewände ist das zumeist Auffallende das Paar der ersten Menschen. Ihre Nacktheit ist nicht gewolltes plastisches Thema; sie ist, wie Jantzen treffend definiert, Attribut. Es handelt sich also nicht um den Vorgang als künstlerische 81
Absicht: bisher haben wir nur Gewandfiguren gemacht, nun wollen wir auch den nackten Körper beherrschen. Eben daß das Nackte nicht Eigenziel ist, macht die Figuren überhaupt im Mittelalter verständlich. Ein Negatives ist eher festzustellen: ein Mangel an Scheu, das klassische Grundthema »Gewandfigur« aufzugeben. Mangel an Scheu ist auch Mut, gewiß. Aber er ist natürlich eher aufzubringen, wo noch nicht eine lange Tradition auf das Vermeiden der Nacktheit verpflichtet hat, indem sie aus dem Körper als Gegenspieler das Größte gewann. Man könnte hier an den Jonas erinnern wollen, der ja gewiß in diesem Punkte mehr tut, als irgendeine französische Figur entsprechender Eigenbedeutung gewagt hätte. Das war aber eine positive Kühnheit, nämlich eine Kühnheit im Rahmen des Stilgesetzes. Der Jonas wagt, mit wundervollem Erfolge, aus ornamentaler Faltenmimik nackte Körperplastik herausragen, herausreden zu lassen. Aber das ist das Entscheidende: es ist ein betonter Kontrast. Bei dem Bamberger Menschenpaare werden -wir dankbar sein, die Allgemeinheit der struktiven Gerüstpuppe einmal demonstriert zu bekommen. Das ist Bestätigung einer wissenschaftlichen Erkenntnis, aber auch Resignation. Man kann sich vorstellen, daß über diesen Körpern die herrlichste Draperie zu erfinden war. Der Reitermeister hätte den unerhörtesten Reichtum daraus gewonnen. Bestimmt aber hätte er diesen Schritt nicht getan. Kontrastierend gegen Gewand zu wirken, ist die Bestimmung dieser plastisch-struktiven Innengerüste. Mehr wollen sie nicht sein; und sie sind wundervoll sinngemäß dafür, eine künstlerische Notwendigkeit. Ohne diese Funktion aberwirken sie — sei man doch ehr lieh! — gar nicht als enthüllte Nacktheit, sondern wie ein verratenes Werkstattgeheimnis. Der »Körper« ist im Mittelalter Kontrastelement, ein agens, nicht ein ens. Ihn aufdecken, heißt ihn seiner sinnvollen Entsprechung und damit seiner Funktion berauben. Dies ist nicht Kritik einer nur »noch nicht guten Lösung« einer wichtigen Aufgabe, sondern Kritik der Aufgabe selbst, die eben nicht wichtig ist. Sie lag nicht in den Absichten des Mittelalters, wie seine höchsten Geister, seine sichersten Überlieferungen sie zu verstehen geben. Kritisiert wird nicht das Mittelalter, sondern jener Mut, der eher der bekannte Rekrutenmut der Ahnungslosigkeit ist, als die Tapferkeit des Erfahrenen. Es heißt nicht: »das Mittelalter hätte sollen« — nämlich den Körper anatomisch durchdenken. Es heißt: das Mittelalter hat bewiesen, daß es das nicht brauchte. Der Bamberger Fall ist eine durchbrochene Konsequenz (Tafel 12—19). Zugleich aber gehört diese Adam- und Eva-Darstellung in voller Größe in das allgemeinere und sehr interessante Kapitel der deutschen Formatsteigerungen 82
und Bedeutungsverschiebungen. Von nackten Kleinfiguren nämlich wimmelt es ja überall im Mittelalter; zu den schönsten gehören in Deutschland die Auferstehenden der goldenen Pforte von Freiberg. Die Gräberfelder der jüngsten Gerichte geben vollends Gelegenheit; ebenso — für das erste Menschenpaar gerade — auch die Schöpfungsgeschichten, die Genesis. Deutsch ist der freie Entschluß, das im Kleinen Geheiligte auch im Maßstabe der Kathedralenfigur zu wagen. Der Deutsche hat z. B. das Thema der Klugen und Törichten Jungfrauen, das Frankreich nur im Kleinformat kennt, in Magdeburg, Bremen, Straßburg, Freiburg, Braunschweig, Erfurt, Gmünd auf großes Format übertragen. Dieses kam seinen expressiven Neigungen entgegen, seinem berechtigten Mut, der der Mut eines eigenen Könnens war, auch im monumentalen Maßstabe stärkstes Gefühl zu zeigen — wie in den Kreuzigungen, der Pietä und wie oft noch sonst. Aber das Thema der Gewandfigur war damit nicht durchbrochen, sondern nur bereichert. In Frankreich ist auch dem Verfasser aus eigenem Erlebnis nur ein ganz provinzieller Fall bekannt, der dem Bamberger entspricht, übrigens sehr unterlegen, fast bäuerlich in der Ausführung bei sehr wirkungsvoller Gesamtkomposition: Mont bei Sassey. Das ist die Gegend von Verdun, also beinahe Deutschland. Mitteldeutschland hat bei uns die meisten Folgeformen des Bamberger Vorganges erbracht: Coburg, Nürnberg, zuletzt, durch Riemenschneider, Würzburg. Sehr positiv aber sind die Köpfe zu bewerten, besonders der des Adam. Diese Köpfe sind ja auch als Aufgabe das Gewohnte, Traditionsstarke. Das Gefühl, das sie ausdrücken, ist ehrlich unantik; es ist, fein abgemildert, das gleiche, das peinigend kühn und überraschend deutlich die Gruppe des Sündenfalls an der spätottonischen Bronzetüre von Hildesheim schon ausgeprägt hatte: das Gefühl der Verlegenheit. Der Meister hat sich als einPlastiker bewiesen, der mit Wenigem Vieles zu sagen versteht. Überhaupt ist eine gewisse innere Zartheit und anständige Feinheit sein Wesen. Wäre die Darstellung des nackten Körpers im Mittelalter eine fruchtbare Kühnheit — wir dürften sie ihm gar nicht zutrauen. Die Feinheit des Reitermeisters ist ganz anderer Art; sie ist die Fähigkeit ungewöhnlicher Größe, sich noch im letzten Einzelnen delikat ausdrücken zu können. Der Meister der Adamspforte hat die Feinheit des Zarten, nicht des Kühnen; durch sie wirkt er oft architektonischer als der Reitermeister. Auch der Petrus ist dafür bezeichnend: als geistige Leistung, als Darstellung etwa im Sinne des Schrankenkünstlers, ist er der schwächste Petrus in ganz Bamberg. Aber er ist eine geschmackvolle Figur — wie der Heinrich (Tafel 14—19). 83
D E R STIL D E R E K K L E S I A U N D S Y N A G O G E
ABB. 5 z. STÜTZSÄULE DER EKKLESIA
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Das Nebeneinander von Künstlern, die sich beobachteten, voneinander lernten, unter dem Banne einer großen Werkpersönlichkeit, eben des Bamberger Domes standen — in einer ganz einmaligen Atmosphäre—, macht es zunächst gar nicht leicht, die Qualitäten und die Grade der Neuschöpfung zu scheiden. Aber wir haben für die gotische Bauhütte zwei Eckpfeiler, zwischen denen die Adamspforte wie eine Talsenkung liegt: den Reitermeister und den der Ekklesia und Synagoge. Ein Blick auf die Ekklesia zeigt, daß hier, innerhalb der einen Sphäre einer Hütte, der andere Pol wirksam gewesen ist. Das ist nicht statuarisch monumentalisierte Linienmimik. Das ist von Grund auf Statuarik. Auch sie setzt den vielsträhnigen Faltenstil des größten Bambergers voraus. Aber sie spiegelt ihn ganz anders, als etwa dieAdamspforte— wo ja der Petrus besonders das Studium der Maria beweist. In der Ekklesia wird energische Größe der Existenz gewollt. Hier wird man am ersten den Anreiz finden, etwa mit antiken Rhetorenstatuen zu vergleichen. Solche stehen, durchReims vermittelt, auch gewiß im Hintergrunde. Natürlich zeigt sich der mittelalterliche Geist, besonders in der Schrägung des Standbeines, in der angedeuteten Diagonale. Aber zu jenem seitlichen Bogenschwunge — parallel zur Wand—, der die Maria kennzeichnet, kommt es nicht. Erst im Profil offenbart sich die gotische Proportionierung. Die Frontansicht wirkt feierlich aufrecht. Die Differenzierung zwischen Kern und Schale, Körper und Gewand, wirkt statischer auch als bei der Elisabeth. Hier ist eine ruhige, königliche Schönheit des Seins erreicht, die so statuarisch fest ist, als dem Mittelalter nur möglich war. Aber der Unterschied, der zwischen Aposteln und Propheten, Maria und »Sibylle« auffiel, ist auch zwischen Ekklesia und Synagoge wirksam. Dissonanz liegt den Deutschen mehr, als ein strahlendes und einfaches » Ja «.D er gleiche, schwerere, ja tatsächlich — gegenüber den Frauengestalten der Heimsuchung — existentere
Körper, der in der Ekklesia rhetorenhaft entgegentritt, "wird in der Synagoge gebrochen; und er wird interessanter. Freilich, nicht so herb-großartig ist die Brechung wie in der Straßburger — wo das ganz gleiche Verhältnis herrscht, wo man besonders deutlich fühlt, daß nicht nur ritterliche Vornehmheit dem Gegner gegenüber die geistliche Auslegung durchdringt, sondern geradezu die unbewußt größere Sympathie mit dem Tragischen aus dem Thema der Überwundenen die tiefere Leistung herausgeholt hat. Man versteht dieBamberger Synagoge am schönsten aus der Seitenansicht. Da ist sie ganz und gar Bogen zur Wand als Sehne. Aber ein geknickter; nicht umsonst bricht auch ihr Stab genau an der Hüfte. Die ganze Figur bricht hier. Diese Ansicht, und nicht nur derBambergerReiter,hat offenbar früh starken Eindruck gemacht. Sie muß immer schon möglich gewesen sein. Den Künstler des Mainzer Eppsteingrabmales hat sie entzündet. An dieser Ansicht hat sich auch der Künstler des Engels inspiriert. Hier fand er—verschärft auch gegen den Reiter — die an gespannte Metalldrähte erinnerndenLinearstege, die von der Bruchstelle her unter die Achsel zielen; hier auch die eigentümliche Schwungkurve, die er vervielfältigte und als dekorativen Eigenwert vergrößerte, vergröberte: die beiden Falten, die nach dem rechten Fuße ziehen. Hier sind sie motiviert durch eine viel feinere Transparenz. Das Thema des Durchschimmerns ist bei der Synagoge durch die Augenbinde ohnehin gegeben. Es ist bezeichnend, daß in Straßburg wie in Bamberg der ganze Körper, gewiß auf Grund spezifisch straßburgischen und spezifisch bambergischen Stiles, wie eine großartige Paraphrase des Augenschleiermotives behandelt wird. Aber der Unterschied der beiden Kathedralenstile ist eben auch in der Binde wie im Ganzen wirksam. In Straßburg ist hauchzarte Transparenz. In Bamberg, bei seinem statuarisch entschiedensten Meister, ist die Leidenschaft für das Transparenzmotiv durch die Liebe zum stärker Körperlichen gemildert.
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ABB. 53. STÜTZSÄULE DER SYNAGOGE
Die Figuren der Stützsäulen sind kaum von der Hand des Ekklesiameisters. Der Sitzende sieht recht reimsisch aus, fein und reich; der Jude wäre der Hand, die den Stephanus geschaffen hat, zuzutrauen. Bei der Judenszene ist das Bewundernswerteste der herabrutschende Teufel mit dem »Satyrgesicht«. Da ist eine Geschmeidigkeit und aalige Schnelle in der Bewegung, die verblüfft. Es könnte hier die gleiche Hand wie im Abraham und dem Posaunenbläser des Weltgerichtes gewirkt haben (Tafel 57—43? Abb. 52 und 55).
ABB. 54. VOM CHORGESTÜHL AUF DEM PETERSCHOR
ngeheuer ist, was der schließlich doch beschränkte Umkreis dieses einziI gen Domes an Werken deutscher Phantasie einfaßt. Von hier aus ge* / sehen, von der Bauplastik, treten Bamberg und Naumburg, die engenVerwandten, mit einem Male weit auseinander. Was an Plastik in Naumburg groß ist, das ist die Sphäre eines Einzigen und der Umkreis eines Zyklus, samt seiner »Portalfassade«, dem Lettner. Der Ausdruck, der dort waltet, in der unerhörten Einheit von Bau und Gestalten, ist der des geschlossenen Daseins, durch einen Stil der Masse ausgesprochen. In Bamberg aber ist nicht nur das Höchste, die Kunst des Reitermeisters, ein Stil des Werdens, des Erscheinens und Sich-Bildens, sondern auch die Geschichte der Gesamtplastik selbst ist ein Werden, ist in ganz anderem Grade Entwicklung. Das eine Menschenalter, um das Bamberg älter ist, hat Gewaltiges bedeutet. Naumburg ist letzter Ausklang. Bamberg hat die drängende Fruchtbarkeit des Früheren. Von tektonischer Statuarik durch ornament-verwandte Mimik zu einer neuen, mimisch durchdifferenzierten und auch übertektonisch-plastischen Statuarik geht der Weg. Man sieht die Statue überhaupt erst werden, ihren Begriff erst auftauchen und mit jäher Gewalt
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3h,., überschnell sich ausreifen, ja,halb unbewußt emporschießen über die Bindung, in der er eigentlich dem Mittelalter nur erlaubt war: das Grandioseste steht regellos im Inneren,wie die Verkündung einer künftigen über-architektonischen Freiheit des Darstellerischen. Mit dumpftektonischer Schwere hatte der Künstler der Gnadenpforte eingesetzt. Der Größte der Schranken führte die Form in die feinsten Gewebe des Linearen. Am Fürstentor kündete sich das Nahen des neuen Stiles, spiegelte er sich schon. Blitzhaft siegerisch zieht er mit dem Reitermeister ein. Der Ekklesiameister antwortet mit der Größe des Statischen. Ein Lauf in der Spirale ist vollendet. Als um 1257 der Dom fertig, ABB. 55. VOM CHORGESTÜHL AUF DEM da muß auch die ganze plastische EntPETERSCHOR wicklung durchlaufen gewesen sein. Schon um 1240 werden aus ihren Endergebnissen in Magdeburg die Schlüsse gezogen. Und vielleicht hat der ganze Vorgang nicht länger gedauert, als die Entfaltung des großen abendlichen Meisters in Naumburg. Dessen Stil hat Steinschwere. Selbst die Gewölbejoche des Domes sind in Naumburg breiter, dumpfer in der Wirkung, in Bamberg spitzer, steiler, leichter. In Naumburg herrscht der Stil der Untersetztheit, in Bamberg der der Schlankheit. Der massige Kalkstein der Naumburger, der delikate Sandstein der Bamberger Skulpturen ist das Korrelat der Materie zu dem geistigen Gegensatze von Masse und Linie, den beide Dome in ihrem Höchsten offenbaren. Es ist auch ein Gegensatz von Jung und Alt da, ein Gegensatz von Lebensaltersstilen. Die naumburgische Plastik ist der Altersstil des Dreizehnten, vorgetragen im Altersstile eines Künstlers. In Bamberg ist Alles Jugend, Feuer, Tempo, Eile — bis in den vielsträhnigen Lauf des Linienstiles, der ihm typisch zugehört. Stil und Geschichte sind eins. Ihre Einheit quillt aus dem tiefsten Geheimnis des Mittelalters: dem des Bauwerkes als Person.
A. Wohlfeld in Magdeburg besorgte den Druck. Meisenbach, Riffarth & Co. in Berlin fertigten die Druckstöcke. Die Papierfabrik Scheufeien in Oberlenningen lieferte das Papier. Hübel & Denck in Leipzig machten den Einband. Prof. Ernst Böhm in Berlin zeichnete den Deckelschmuck —· nach der Maske unter dem. Reiter — und den Innentitel. Zu den Aufnahmen wurden » Agfa«-Chromo-Isolar- und » Agfa«-Chromo-Isorapid-Platten verwendet. Hergestellt wurden sie mit Ernemann-Apparaten und Optik der Firma Carl Zeiss, Jena. Den Grundriß Seile 8|g stellte freundlicherweise Herr Museumsdirektor Dr. Noack, Freiburg, zur Verfügung. Die Risse Abb-4, 7, 10 und die Vorlagen zu der Abb.5 und dem Tafelbild Nr.47 werden der Staatl. Bilds t eile verdankt. Textbild 11 gibt einen früheren Zustand nach alter Aufnahme von B. Haaf,Bamberg, wieder. Die Aufnahmen Walter Heges von Naumburg und Bamberg sind auch als schön auf Bütten aufgezogene Originalphotographien durch die Lichtbildanstalt Walter und Kurt Hege (Naumburg, Saale) oder durch den Deutschen Kunstverlag, Berlin W 8, Wilhelmstr. 69, zu beziehen. — Musterkataloge stehen zur Verfügung. Druckfehlerberichtigung: Tafel 65 hl. Michael (statt hl. Georg).
ABB. 56. VOM CHORGESTÜHL AUF DEM PETERSCHOR
DIE BILDER
:
i. DER DOM VON SÜDWESTEN
2. BLICK VOM RATHAUSTÜRM GEYERSWÖRTH
3.
BLICK. VOM TURM DER MARTINSKIRCHE
4. DER DOM VON NORDWESTEN
· 4i^f;
5. DER DOM VON OSTEIN
l
6. DIE ADAMSPFORTE
7.
DIE VEITSTÜR
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8. DIE GNADENPFORTE
g. DAS FÜRSTENTOR
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