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German Pages 337 [340] Year 2014
Angelika Enderlein Der Berliner Kunsthandel in der Weimarer Republik und im NS-Staat Zum Schicksal der Sammlung Graetz
Robert Graetz im Herrenzimmer, ca. 1930
Angelika Enderlein
Der Berliner Kunsthandel in der Weimarer Republik und im NS-Staat Zum Schicksal der Sammlung Graetz
Akademie Verlag
Umschlagmotiv unter Verwendung von Arnold Böcklin, Die Hochzeitsreise (Rückblick auf Italien), um 1876, Öl auf Holz, 72 x 52,5 cm. Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland an das Städelmuseum, Frankfurt am Main (Mü 8617/Linz 2804). Auf der Versteigerung des Berliner Auktionshauses Hans W. Lange am 16./17.4.1943 von der Münchener Galerie Maria Almas-Dietrich für die Rekordsumme von 270.000 RM für den „Sonderauftrag Linz" erworben.
ISBN-13: 978-3-05-004255-8 ISBN-10: 3-05-004255-9 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2006 Das eingesetzte Papier ist alterunsgbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Gestaltung: Dören + Köster, Berlin Satz: Werksatz Schmidt & Schulz, Gräfenhainichen Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany
Der Kunstbesitz ist so ziemlich die einzige anständige und vom guten Geschmack erlaubte Art, Reichtum zu präsentieren. Den Anschein plumper Protzigkeit verjagend, verbreitet er einen Hauch ererbter Kultur. Die Schöpfungen der großen Meister geben dem Besitzer von ihrer Würde ab, zuerst nur scheinbar, schließlich aber auch wirklich. Max Friedländer, 1919, S. 1
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung 1. Gegenstand der Arbeit und Herangehensweise 2. Forschungs- und Quellenlage Die Anfänge der neueren Provenienzforschung (4) Quellenlage zum Kunsthandel (7) Quellenlage zu Robert Graetz (10) Forschungsstand zum Kunsthandel und zu Robert Graetz (11)
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II. Der Kunsthandel in Berlin 1. Berliner Sammlungen im Überblick a) Öffentliche Sammlungen Die Gemäldegalerie (14) Die Nationalgalerie (16) Das KronprinzenPalais (18) Der Einfluss der Museen auf die Privatsammlungen (21) b) Privatsammlungen Der Kreis um Wilhelm von Bode: Sammler von Altmeistergemälden (23) Die Sammler der Weimarer Republik (26) Berliner Sammlungen auf dem Kunstmarkt: Überblick (29) 2. Kunstmarkt und Kunsthandel a) Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik . Die Anfänge seit Mitte des 19. Jahrhunderts (30) Rekordsummen auf dem Berliner Kunstmarkt während des Ersten Weltkrieges (35) Die Zeit der Weimarer Republik - Der Ausverkauf: 1919-1923 (36) Trendwende zum internationalen Kunstmarkt: 1924-1929 (48) Spürbare Zurückhaltung auf dem Kunstmarkt: 1930-1932 (65) b) Die nationalsozialistischen Gesetze und ihre Konsequenzen für die Sammelpraxis Stabiler Kunstmarkt trotz Liquidierungswelle jüdischer Auktionshäuser und Kunsthandlungen: 1933-1939 (74) Machtausbau der Reichskammer der bildenden Künste im Kunsthandel (83) Verschärfende Maßnahmen gegenüber jüdischen Kunsthändlern (92) Vollständige Ausschaltung jüdischer Kunsthändler aus dem Kunsthandel (115) Bereicherung des Deutschen Reiches durch die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung (124) Massiver Preisanstieg auf dem Kunstmarkt: 1940-1943 (127) Zuspitzung
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Inhaltsverzeichnis der antijüdischen Maßnahmen (137) Geheime Meldungen zur Lage auf dem deutschen Kunstmarkt (143) Kunsthandel im Chaos: Über die „katastrophale" Preisentwicklung auf dem deutschen Kunstmarkt aus Sicht der „Meldungen aus dem Reich" (149) Vollständiger Zusammenbruch des deutschen Kunstmarktes: 1944 bis Kriegsende (151) Phänomen: Übergewicht an niederländischer Kunst auf dem Berliner Markt (154)
III. Die Sammlung Graetz 1. Robert Graetz und seine Sammlung a) Privatmann, Geschäftsmann, Sammler Zur Biographie (158) Ein „assimilierter Jude" in Deutschland? (168) Der Unternehmer (173) b) Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung Der Aufbau der Sammlung (181) Einzelne Werke in der Sammlung (193) Sonderstellung: Plastiken in der Sammlung (202) Robert Graetz und die Nationalgalerie (207) Sammlungsstrategien (211) Die Sammlung Graetz im Kontext der Berliner Privatsammlungen (214) 2. Verlustumstände und Nachkriegsschicksal der Sammlung a) Auflösung der Sammlung b) Restitutionsverfahren Abbildungen Katalog der Kunstwerke. Sammlung Robert Graetz
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IV. Schlussbetrachtungen 1. Kontinuität in bewegten Zeiten: Der Berliner Kunstmarkt und die Sammlung Graetz 2. Die Washingtoner Erklärung und die aktuelle Bedeutung der Provenienzforschung
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Anhang Tabellen, Graphiken Abkürzungsverzeichnis Literatur- und Quellenverzeichnis Register Bildnachweise
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Vorwort
Die erste, noch unscharfe Idee zur vorliegenden Arbeit kam mir im Sommer 2001, als ich einen Artikel eines amerikanischen Journalisten las, der sich verwundert darüber äußerte, dass sich die deutschen Museen und öffentlichen Institutionen, die Kunst besitzen, noch immer nur sehr zögerlich mit Provenienzforschung beschäftigten, während amerikanische Museen bereits seit Mitte der 1990er Jahre ihre Kunstwerke auf deren Herkunft überprüfen. Der Inhalt dieses Artikels blieb mir auch deswegen nachhaltig im Gedächtnis haften, weil ich im selben Zeitraum mit der Sammlung des Berliner Textilunternehmers Robert Graetz in Berührung gekommen war. Erste Recherchen zum Sammler zeigten mir, dass es keinerlei Vorarbeiten gab. Dieses Forschungsdesiderat betraf im Übrigen die meisten Privatsammlungen der 1920er bis 1940er Jahre. Die Idee, meine Dissertation über die Sammlung Graetz zu schreiben, deren Kunstgegenstände infolge der Ereignisse des Nationalsozialismus vollkommen verstreut oder zerstört worden waren, nahm Gestalt an. Meine noch recht vage Vorstellung, die Sammlung zu erforschen, trug ich Prof. Dr. Horst Bredekamp vom Kunsthistorischen Institut der Humboldt Universität zu Berlin Ende 2001 vor. In den folgenden Jahren begleitete er die Arbeit mit großem Interesse, kritischem Lesen und zahlreichen Gesprächen in seinen „Frühsprechstunden", die ich immer vor Dienstbeginn wahrnehmen konnte. Mit dem Fortschreiten meiner Forschungen zeigte sich, dass es sinnvoll ist, die Sammlung in den größeren Kontext des Berliner Kunsthandels und Kunstmarktes in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus zu stellen. Als Zweitgutachter gewann ich Prof. Dr. Uwe Fleckner vom Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg, von dessen hervorragenden Kenntnissen zur Kunstpolitik der Nationalsozialisten meine Arbeit profitieren konnte. Ich danke meinen beiden Gutachtern aufrichtig für Ihre Anregungen und ihr Interesse an meiner Arbeit. Darüber hinaus bin ich zahlreichen Personen und Institutionen zu großem Dank verpflichtet, ohne deren Hilfe dieses Buch nicht hätte geschrieben werden können. Für ihre Offenheit und Gesprächsbereitschaft, mir über die Jahre des Zusammenlebens mit Robert Graetz Auskunft zu geben, möchte ich mich herzlich bei dessen Tochter Hilda Rush (Santa Fe), dem Stiefsohn Werner Haas (Poole), dem Großneffen Jürgen Bath (Berlin), und Prof. Dr. Lukas Felix Müller (Berlin), der kurze Zeit mit seinen Angehörigen bei Graetz wohnte, bedanken. Dank gebührt auch der Schwiegertochter von Graetz, Hilde Graetz, und deren Sohn Roberto Graetz (Buenos Aires), die mir bereitwillig das verbliebene Fotomaterial zur Verfügung stellten. Ebenso bin ich für das Interesse an meiner Arbeit sowie die großzügige
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Vorwort
finanzielle Unterstützung zu Beginn meiner Forschungen Prof. Dr. Fritz Enderlein und Dr. Ursula Enderlein dankbar. Ich danke zudem allen Archiven, Bibliotheken und Museen, die mir ihre Archivbestände öffneten. Neben den im Anhang vollständig genannten Institutionen gilt dies insbesondere Dr. Freifrau von Andrian-Werburg (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Archiv der Bildenden Künste), Dr. Ursel Berger (Georg-Kolbe-Museum, Berlin), Dr. Eva Caspers (ehemals Barlach-Haus, Hamburg), Wolfgang Erler (Berlinische Galerie, Ferdinand-Möller-Archiv), Walter Feilchenfeldt (Kunsthandlung, Zürich), Dr. Sebastian Giesen (Barlach-Haus, Hamburg), Barbara Götze und Dr. Jörn Grabowski (Staatliche Museen zu Berlin - Preussischer Kulturbesitz, Zentralarchiv), Dr. Sibylle Groß (FU, Berlin), Andreas Hüneke (Forschungsstelle „Entartete Kunst", Berlin/Hamburg), Horst Keßler (Staatliche Kunstsammlungen Augsburg, Haberstock-Archiv), Dr. Heike Schroll (Landesarchiv Berlin), Barbara Welker (Centrum Judaicum, Berlin), Prof. Dr. Christoph Zuschlag (Forschungsstelle „Entartete Kunst", Berlin/Hamburg) sowie den stets hilfsbereiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kunstbibliothek Berlin und der Bibliothek im Landesmuseum Münster, deren umfangreiche Bestände an Auktionskatalogen des betreffenden Zeitraums für meine Doktorarbeit unentbehrlich waren. Für die konstruktiven Gespräche und Hinweise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem Arbeitskreis Provenienzforschung bin ich insbesondere Dr. Ute Haug (Kunsthalle Hamburg), Dr. Robert Holzbauer (Leopold Museum, Wien), Dr. Anabelle Kienle (St. Louis Art Museum/Berlin), Isabel von Klitzing (Sotheby's, London), Dr. Stephanie Tasch (Christie's, Berlin), Dr. Katja Terlau (Köln), Dr. Vanessa Voigt (Hannover) und Dr. Friedegund Weidemann (Staatliche Museen zu Berlin - Preussischer Kulturbesitz) sehr dankbar. Vor allem aber danke ich meinem strengen Coach und großartigen Förderer Dr. Jänos Enderlein und meinen wunderbaren Freunden Henrik Bispinck, Dr. Christoph Lukas Diedrichs, Markus Kamps, Dr. Christian Kipper und Dr. Thomas Wetzstein, die den Fortschritt meiner Arbeit mit persönlichem Interesse und Strenge, vielen anregenden und zuweilen notwendigen aufbauenden Gesprächen und endlosem Korrekturlesen begleitet haben. Bei all der Zeitknappheit werden mir die vielen Pausengespräche in der Kunst- und Staatsbibliothek in schöner Erinnerung bleiben, die ich mit meinen gleichzeitig promovierenden Freunden Sabine Kühl und Stephan Sonnenburg verbracht habe. Die nur geringfügig veränderte Druckfassung, die hier vorliegt, ist von der Philosophischen Fakultät III für Kunstwissenschaft von der Humboldt Universität zu Berlin im August 2005 als Dissertation angenommen worden. Ihre rasche Publikation verdanke ich Dr. Gerd Giesler vom Akademie Verlag, der das Manuskript zu einem Buch werden ließ. Das so entstandene Werk war jedoch nur durch die außerordentlich großzügige Finanzierung von Jürgen Bath möglich, dem ich sowohl hierfür als auch für sein lebhaftes Interesse an meiner Arbeit herzlich danke. Die neueste Literatur wurde bis März 2006 in der Arbeit berücksichtigt beziehungsweise fand Eingang in das Literaturverzeichnis.
Berlin, im März 2006
Angelika Enderlein
I. Einleitung
1. Gegenstand der Arbeit und Herangehensweise Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Analyse des Kunstmarktes in Berlin in der Zeitspanne der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Herrschaft. Als Kunstmarkt wird hier jener Bereich des Marktes verstanden, der über die Versteigerungen von Gemälden und Graphiken in Fachzeitschriften und in Auktionskatalogen recherchierbar ist. Dies betrifft nicht den gesamten Kunstmarkt, sondern nur den Teil, der sich der systematischen Überprüfung öffnet. 1 Dieser Bereich macht jedoch den bedeutenderen Sektor des Handelns mit Kunstwerken aus. Thematisch ist die Untersuchung am Schnittpunkt zwischen Kunstwissenschaft, Sammlungsgeschichte, Politik- und Wirtschaftsgeschichte angesiedelt. Ausgehend von beispielhaft gewählten öffentlichen Berliner Sammlungen, die maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung privater Sammlungen hatten, wird das vielfältige Sammlungswesen in Berlin charakterisiert. Bei deren Entstehung spielte der Kunsthandel, der sowohl von wirtschaftlichen als auch politischen Faktoren bestimmt wurde, eine außerordentlich wichtige Rolle. Die Studie setzt mit der Vorgeschichte des Kunstmarktes in Berlin um 1850 ein - einem Zeitpunkt, als Berlin sich gerade erst in diesem Sektor zu etablieren begann. Innerhalb eines halben Jahrhunderts hatte der Berliner Kunstmarkt die Führung der deutschen Kunstmärkte 1 Nicht untersucht werden die zahlreichen Auktionen kleinerer Auktionshäuser, die ebenfalls Kunst anboten, denn deren Ergebnisse wurden wegen ihrer geringen kunsthistorischen Bedeutung nicht in Fachzeitschriften publiziert; auch erschienen hierfür kaum Auktionskataloge. Bei der jetzigen sehr lückenhaften Quellenlage scheint die Erforschung dieser Auktionshäuser daher nicht möglich. Ferner müssen auch die Verkäufe über freie Händler unberücksichtigt bleiben, denn der freie Kunsthandel ist nur über Studien zu den einzelnen Kunsthandlungen zu erschließen und im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten. Bisher liegen beispielsweise die folgenden Forschungsarbeiten zu Berliner Kunsthandlungen beziehungsweise Galerien vor, die während der Weimarer Republik und in der NS-Zeit in Berlin tätig waren: Walter-Ris, 2003, über die Galerie Nierendorf, und Roters, 1984, über den Kunsthändler Ferdinand Möller. Darüber hinaus sind die Dissertationen über Möller von Katrin Engelhard und über Hildebrand Gurlitt von Doris Mampe sowie die Magisterarbeit über Bernhard A. Böhmer von Marie-Luise Tapfer an der F U Berlin in Arbeit. In beiden Segmenten gelten völlig verschiedene Regeln, die im Fall der kleinen Auktionshäuser und der freien Händler nicht oder kaum rekonstruierbar sind.
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I.
Einleitung
übernommen. In den Blick genommen werden die Gründe für diese Attraktivität bei Sammlern und Kunsthändlern. Es werden die Voraussetzungen für die Veränderungen und Möglichkeiten nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erläutert, die zahlreiche neue Sammlungen hervorbrachten. Von Interesse ist dabei, ob und inwiefern sich das Sammlerverhalten in der Weimarer Republik im Vergleich zur Kaiserzeit verändert hat, was die neue Sammlergeneration motivierte, sich mit Kunst zu beschäftigen, welche Werke auf den Markt gelangten, ob es zu Verschiebungen oder Kontinuitäten im Angebot kam und wie sich die Inflation sowie die Weltwirtschaftskrise auf den Berliner Kunstmarkt auswirkten.2 Die „Machtergreifung" der Nationalsozialisten brachte in der Folgezeit schwerwiegende Veränderungen sowohl für die Wirtschaft als auch für den Kunstmarkt mit sich.3 Ein wichtiger Gegenstand der Arbeit ist die Fragestellung, in welchem Maße und mit welchen Methoden die nationalsozialistischen Machthaber den Markt beeinflussten und welche Auswirkungen dies auf die im Kunsthandel beschäftigten Händler sowie auf die vorhandenen Privatsammlungen hatte. Ferner konnten durch empirische Beobachtungen Wertmaßstäbe für die auf dem Berliner Markt angebotenen Werke erarbeitet werden. Mit diesen Kriterien des Kunstmarktes wird auch der Frage nachgegangen, inwiefern sich ästhetische und ökonomische Aspekte bedingen und die An- und Verkäufe der Sammler beeinflussen. Da sich das Sammeln moderner Kunstbestände nicht über Fachzeitschriften und Kataloge erschließen lässt,4 sondern vorwiegend nur über die Archivalien einzelner Kunsthandlungen und hierfür noch keine ausreichenden Ergebnisse vorliegen, wird im zweiten Teil der Arbeit exemplarisch die zeitgenössische Sammlung des Berliner Textilunternehmers und Sammlers Robert Graetz (1875-1945) untersucht. Die besondere Rolle der Privatsammler im Kunsthandel soll das Bild vom Kunstmarkt sinnvoll anhand eines Beispiels ergänzen. Robert Graetz kann als paradigmatischer Vertreter jener Sammlergeneration gelten, die nach dem Ende des Ersten Weltkrieges mit dem Aufbau ihrer Kunstsammlungen begann. Ausgestattet mit den notwendigen finanziellen Mitteln und beraten durch seinen Bruder Hugo, der Kunsthändler war, konnte Graetz seiner Vorliebe für zeitgenössische, moderne 2 Während der Beobachtung des Kunstmarktes in der Weimarer Republik ergab sich die Schwierigkeit, den monetären Wert von Kunstwerken wegen der desolaten Wirtschaftslage zu bewerten. Um hier zu Ergebnissen zu gelangen, wurden Vergleichswerte - das Jahresgehalt eines höchsten Reichsbeamten etwa - und Erläuterungen zu den verschiedenen in dieser Zeit gebrauchten Währungen herangezogen. Eine Erfassung der Preise während der Zeit der Weimarer Republik in Preisklassen wie dies für die NS-Zeit erarbeitet werden konnte - ist jedoch nicht möglich. 3 Zur Verwendung des Terminus vgl. die Ausführungen zum NS-Sprachgebrauch in diesem Abschnitt. 4 Dies hat mehrere Gründe: Die Sammler der Weimarer Republik waren wesentlich seltener als die Sammler der Kaiserzeit mit ihren Sammlungen in Ausstellungen vertreten oder fanden durch die Nennung ihrer Sammlungsprofile Eingang in Fachzeitschriften. Aufgrund dieser Vorgehensweise ist daher erheblich weniger über sie bekannt als dies bei der älteren Sammlergeneration der Fall ist. Während der NS-Herrschaft konnten wegen der nationalsozialistischen Kunstideologie, welche die moderne, expressionistische Kunst als verfemt ablehnte, gerade diese Kunstwerke nicht mehr offiziell gehandelt werden. Da dies ausschließlich nur über Galerien - zumeist unter dem Ladentisch möglich war, müssen hierzu erst eine Reihe von Forschungsergebnissen vorliegen.
1. Gegenstand der Arbeit und Herangehensweise
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Kunst nachgehen und Trends unabhängig von Kommissionen verfolgen. Als Sammler jüdischer Herkunft teilte er dann während der nationalsozialistischen Herrschaft das Schicksal zahlreicher anderer jüdischer Sammler: Ihre Kunstbestände wurden systematisch beschlagnahmt, durch Zwangsverkäufe, Unterbringung bei Bekannten oder in Speditionen zerstreut beziehungsweise infolge von Kriegseinflüssen zerstört. In dieser Arbeit wird unter Anwendung der klassischen kunsthistorischen Methoden wie Formanalyse, Ikonographie, Ikonologie und Kunstsoziologie die Sammlung Graetz rekonstruiert, um sie sowohl kunsthistorisch als auch in den zeithistorischen Kontext einordnen zu können. Für die Erstellung der Sammlung ist die systematische Durchsicht von Werkkatalogen zahlreicher Künstler grundlegend. Da wegen der Größe der Sammlung von etwa 200 Werken und ihrer unterschiedlichen Bedeutung nicht alle Objekte Gegenstand einer rezeptionsgeschichtlichen Untersuchung sein können, werden einige markante Erwerbungen ausführlicher besprochen, um die Charakteristik des Ensembles zu bestimmen. Ferner wird versucht, den Stellenwert der Sammlung Graetz im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts im Vergleich zu anderen Berliner Privatsammlungen zu klären. Hierbei steht die Frage im Vordergrund, wie sich die persönlichen Vorlieben von Graetz zu den Präferenzen anderer Sammler in jenen Jahren verhielten. Für die Betrachtung, inwiefern es sich dabei um einen für die Zeit typischen Kunstbesitz handelt, ist allerdings die Rekonstruktion einer Privatsammlung nicht ausreichend. Die Erarbeitung weiterer Kunstbestände jener Jahre muss daher von gegenwärtigen und zukünftigen Forschungen geleistet werden. Erste Ergebnisse wurden bereits in den vergangenen Jahren von der im Sommersemester 2003 an der Freien Universität Berlin eingerichteten Forschungsstelle „Entartete Kunst" vorgelegt. 5 An dieser Stelle ist auf ein weder hier noch auf anderen Gebieten lösbares Problem der NS-Sprachbildung hinzuweisen. Zur Darstellung der zeitlichen Geschehnisse, wie beispielsweise der diskriminierenden nationalsozialistischen Gesetzgebung, musste teilweise auf Begrifflichkeiten aus diesem Wortschatz zurückgegriffen werden, weil Synonyme nicht gebildet worden sind. Der Terminus „Jude" wird für diejenigen Personen verwendet, die per rassentheoretischen Verdikt der Nationalsozialisten zu „Voll-", „Halb-" und „Vierteljuden" gestempelt wurden, unabhängig davon ob sie sich selbst als Juden sahen.6 Vermieden werden dagegen Begriffe wie „arisch" und „Arier", aber der Terminus „Arisierung" muss bei der Ausschaltung der jüdischen Kunsthändler aus dem Kunsthandel benutzt wer-
5 In der von Prof. Dr. Uwe Fleckner in Berlin und Hamburg geleiteten Forschungsstelle seien in diesem Zusammenhang vor allem die Magisterarbeit „Die Sammlung Bernhard Koehler" von Julia Rosenbaum und deren begonnene Dissertation „Die frühen Sammler des Blauen Reiter" erwähnt. Die Nennung aller bereits abgeschlossenen beziehungsweise in Vorbereitung befindlichen Magisterarbeiten sowie die begonnenen Dissertationen sind im Internetauftritt der Forschungsstelle zu finden. Vgl.
http://web.fu-berlin.de/kunstgeschichte/institut/entart/Nachwuchsf%F6rderung.htm
[16.12.2005]. Zu den geplanten Veröffentlichungen in der Schriftenreihe der Forschungsstelle vgl. http://web.fu-berlin.de/kunstgeschichte/institut/entart/schriftreihe.htm [16.12.2005]. 6 Grundlegend für die „Rassendefinition" war die Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935. Vgl. RGBl., 1935, 1, S. 1333. Aus Gründen der Registrierung und der Verfolgung von Juden wurde ein Amt zur Sippenforschung eingerichtet, das Bürger aufgrund ihrer Herkunft zu Juden definierte. Vgl. Schmidt, 1992, Ausgrenzung, S. 151.
I.
4
Einleitung
den, da es für die Vorgehensweise der Nationalsozialisten gegenüber der jüdischen Bevölkerung keinen Begriff gibt, der dieses Verbrechen wertneutral ausdrücken könnte. 7 Die Erwähnung von „jüdischen Sammlungen" bezeichnen hier solche aus jüdischem Eigentum und nicht etwa Judaica-Sammlungen. Termini wie „Reichskristallnacht" werden durch von der jüngeren Forschung eingeführte Begriffe, wie hier „Pogromnacht", ersetzt. In der Zitierweise von Dokumenten ist die dort verwendete Rechtschreibung übernommen worden.
2. Forschungs- und Quellenlage Die Anfänge der neueren
Provenienzforschung
Die Arbeit hat wichtige Impulse durch die neuere Provenienzforschung erhalten. Das Interesse für Kunstsammlungen, die während der nationalsozialistischen Herrschaft aus unterschiedlichen Gründen verkauft oder beschlagnahmt wurden - und in einem größeren Kontext für den Kunsthandel - entstand erst im Zusammenhang mit Rückgabeforderungen jüdischer Eigentümer oder deren Erben, die zu Beginn der 1990er Jahre im Gebiet der ehemaligen D D R Anträge zur Restitution auf Immobilien und Grundstücke gestellt hatten. Bestandteil solcher Restitutionsanträge waren dabei häufig auch einzelne Kunstwerke oder komplette Sammlungen. Die Recherchen zur Provenienz derartiger Werke waren erst durch die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 möglich geworden. Damit ging die Öffnung von bis dahin unzugänglichen Archivbeständen in den neuen Bundesländern und in den Ländern des ehemaligen Ostblocks einher. Seither sehen sich deutsche und internationale Museen verstärkt mit Rückgabeforderungen in Bezug auf Kunstwerke aus ihren Sammlungsbeständen konfrontiert, die von den Rechtsnachfolgern jüdischer Sammler gestellt werden. Während in den USA bereits vor Beginn dieser Auseinandersetzungen Wissenschaftler die Herkunft solcher Kunstwerke untersuchen, 8 dauerte es in Deutschland bis zum Ende des Jahrzehnts, bevor an einigen Museen Provenienzforscher die Bestände wissenschaftlich aufzuarbeiten begannen. 9 7 Zudem hat sich der Begriff „Arisierung" inzwischen in der Forschung durchgesetzt. Vgl. hierzu insbesondere Bajohr, 2000, ders., 1998, auch Ziegler 2001. 8 In den USA wurde bereits seit Mitte der 1990er Jahre mit der Untersuchung von Kunstwerken in Museen auf eine mögliche verfolgungsbedingte Herkunft begonnen, die mit der teilweisen Veröffentlichung der Museumsbestände im Internet einherging. Ferner erschienen dort die ersten Publikationen, die den Verbleib der geraubten und gestohlenen Kulturgüter während der NS-Zeit thematisieren. Vgl. hier vor allem Nicholas, 1994, und Petropoulos, 1996. Des Weiteren war es der amerikanische Museumsverband, der das erste Handbuch zur Provenienzforschung publizierte, womit den Wissenschaftlern ein Leitfaden für die vielfältigen Wege zur Provenienzrecherche in Bibliotheken und Archiven an die Hand gegeben wurde. Vgl. Yeide, Akinsha und Walsch, 2001. 9 Das einzige deutsche Museum, das die Kunstwerke, die während der NS-Zeit ins Museum gelangten, bereits Jahre vor der Washingtoner Erklärung wissenschaftlich erarbeitete, ist die Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin. Der Katalog gibt detailliert Auskunft über die Zwangseinquartierungen von Kunstwerken in jenen Jahren. Vgl. Geismeier, 1999. Von den Museen, die
2. Forschungs-
und
Quellenlage
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Vor dem H i n t e r g r u n d der beschriebenen Situation w u r d e n im D e z e m b e r 1 9 9 8 auf der „Washingtoner K o n f e r e n z über Vermögenswerte aus der Zeit des H o l o c a u s t " elf Prinzipien verabschiedet, „die z u r L ö s u n g offener F r a g e n und P r o b l e m e im Z u s a m m e n h a n g mit den durch die Nationalsozialisten beschlagnahmten K u n s t w e r k e n beitragen sollen". 1 0 O b e r s t e s Ziel der Washingtoner Prinzipien ist es, derartige K u n s t w e r k e zu identifizieren, durch entsprechende Veröffentlichungen die E i g e n t ü m e r o d e r deren E r b e n ausfindig zu m a c h e n u n d eine R ü c k g a b e zu ermöglichen. U n t e r z e i c h n e t w u r d e n die Washingtoner Grundsätze v o n 4 4 Ländern, darunter auch v o n der Bundesrepublik Deutschland. Basierend auf der Washingtoner Erklärung verabschiedete die Bundesregierung i m D e z e m b e r 1 9 9 9 die „Gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der L ä n d e r und der k o m munalen Spitzenverbände zur Auffindung u n d zur R ü c k g a b e NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem B e s i t z " . 1 1 Entsprechend der Erklärung sollen die Institutionen nicht - wie bisher üblich - nur dann Recherchen in ihren Beständen durchführen, w e n n Rückgabeforderungen v o n Geschädigten o d e r deren E r b e n gestellt w e r den, sondern sie sind ausdrücklich aufgefordert, ihre Bestände auch unabhängig v o n solchen F o r d e r u n g e n auf ihre Provenienz hin zu untersuchen, insbesondere w e n n sie in der Zeit v o n 1 9 3 3 bis 1 9 4 5 e r w o r b e n wurden. 1 2 D i e Gemeinsame Erklärung schuf Richtlinien für öffentliche Einrichtungen als - nicht rechtsverbindliche - Empfehlung, wie diese mit R ü c k g a b e n umgehen sollen. 1 3 Bei ausreichender Beweislage soll daher eine Restitution entProvenienzforscher eingestellt hatten, veröffentlichten bislang nur die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen einen Zwischenbericht über einen Teil ihrer Bestände, die ehemals zur Sammlung Hermann Göring gehörten. Vgl. Mühlen, 2004. Einen Beitrag zur Sammlungsgeschichte, von der die Provenienzforschung ebenfalls profitieren kann, hat die Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg mit einer umfangreichen Publikation über ihre Verluste geleistet. Vgl. Zerstört, entführt, verschollen, 2004. Die überwiegende Zahl der deutschen Museen hat jedoch bisher ihre Recherchen weder publiziert noch sind sie der Aufforderung der Gemeinsamen Erklärung nachgekommen, ihre zwischen 1933 und 1945 erworbenen Werke in die Datenbank www. lostart.de einzustellen. Die Datenbank wird von der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg betreut. Im Jahr 1994 war die Institution ursprünglich als „Koordinierungsstelle der Länder für die Rückführung von Kulturgütern", so genannter Raubkunst, für öffentliche Einrichtungen in Bremen gegründet worden. Infolge der Washingtoner und der Gemeinsamen Erklärungen erweiterte sich das Aufgabenspektrum auf NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter. Zur Eigendarstellung der Koordinierungsstelle vgl. http://www.lostart.de/stelle/index.php3 ?lang= german und http://www.lostart.de/stelle/grundlagen.php3?lang=german [7.12.2005]. 10 Die Grundsätze der Washingtoner Konferenz sind abgedruckt in: Handreichung, 2001, S. 27 f. 11 Die Gemeinsame Erklärung ist abgedruckt in: Ebd., S. 29-31. Der Terminus „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut" ist ein in der Erklärung formulierter feststehender Begriff. 12 Punkt I V der Gemeinsamen Erklärung, in: Handreichung, 2001, S. 31. 13 Auf dem Rechtsweg durchsetzbare Ansprüche auf Herausgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern gibt es allerdings nicht mehr. Mögliche Rechtsansprüche zur Wiedergutmachung von NS-Unrecht auf dem Gebiet der alten Bundesländer sind bereits seit 1959 abgelaufen. Maßgeblich für die Wiedergutmachung waren das Bundesentschädigungsgesetz vom 29.6. 1956 und das Bundesrückerstattungsgesetz vom 19.7.1957. Da es in der D D R keine Wiedergutmachung gab, wurde vor der Beitrittserklärung für das Gebiet der neuen Bundesländer das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) am 23.9.1990 (in der Neufassung vom
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I.
Einleitung
sprechender Kunstwerke aus moralischen Gründen an ihre ehemaligen Eigentümer erfolgen. 14 Nach dieser politischen Willenserklärung wurden seit Sommer 1999 zunächst an drei deutschen Museen, an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München, am WallrafRichartz-Museum - Fondation Corboud Köln und an der Hamburger Kunsthalle, Stellen für Provenienzforschung eingerichtet, denen weitere folgten. 15 Darüber hinaus richtete die Bundesregierung bei der Oberfinanzdirektion Berlin eine Stelle zur Erforschung der Herkunft von Kulturgütern ein, die als Restbestand aus dem unter amerikanischer Verwaltung gestandenen Central Collecting Point München im Jahre 1963 an das Bundesschatzministerium überwiesen worden waren. 16 Unter diesen veränderten Voraussetzungen ist die Provenienzforschung von Kunstwerken erst möglich geworden, da zuvor weder ein öffentliches Interesse noch ein Bewusstsein für begangenes Unrecht vorhanden war. Die Beschäftigung mit dieser Problematik ließ Themen wie Privatsammlungen, Kunsthandel und Museumsankäufe seither in das Blickfeld der Kunstwissenschaft geraten. Das wachsende Interesse an der Provenienzforschung ist auch an den in der Vergangenheit stattgefundenen Tagungen abzulesen. 17 Bedingt durch das
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21.12.1998) verabschiedet. Finanzielle Wiedergutmachungsleistungen für NS-Unrecht werden nach dem Vermögensgesetz in Verbindung mit dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz vom 27.9.1994 erbracht. Inzwischen sind auch hierfür die Anmeldefristen seit 1993 abgelaufen. Um den Provenienzforschern einen Leitfaden für ihre neuen Aufgaben zu geben, wurde von den Vertretern des Bundes, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände unter Mitarbeit von Experten der Archive, Bibliotheken und Museen eine „Handreichung zur Umsetzung der Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände vom Dezember 1999 zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz" erarbeitet. Die Handreichung wurde im Februar 2001 von der Kultusministerkonferenz beschlossen. Sie ist auch online unter http://www.lostart.de/stelle/handreichung.php3? lang=german [7.12.2005] verfügbar. Zur Situation der Provenienzforschung an deutschen Museen vgl. Mühlen, 2003. Im nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eingerichteten Central Collecting Point München (CCP) der amerikanischen Alliierten wurden rund eine Million Kunstwerke in der inneren und äußeren Restitution, d. h. innerhalb von Deutschland und ins Ausland, an die rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben. Aus diesem Bestand konnten 2200 Gemälde, Papierarbeiten und Skulpturen nicht restituiert werden, die daher 1963 an das Bundesschatzministerium überwiesen wurden. Zum CCP vgl. Lauterbach, 1995, S. 161-168. Dieser Bestand wird seit dem Jahr 2000 auf seine Provenienz hin überprüft. Die Aufgaben wurden zunächst von der Oberfinanzdirektion Berlin wahrgenommen, die am 1.1.2004 auf das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (BARoV) in Berlin übertragen wurden. Seit dem 1.1.2006 werden sie vom Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) in Berlin wahrgenommen. Die beiden ersten deutschen Kolloquien zur Provenienzforschung fanden im Dezember 2001 in Köln und im Februar 2002 in Hamburg statt. Zu den Tagungen vgl. Museen im Zwielicht, 2002. Beispielhaft seien weitere Tagungen genannt: „Verantwortung wahrnehmen - Fremdbesitz im Museum" am 15. September 2003 im Hygiene-Museum in Dresden. Vgl. den Kurzbericht von Köhn und Lupfert, 2003; „Provenienzforschung für die Praxis. Recherche und Dokumentation von Provenienzen in Bibliotheken" am 11./12. September 2003 in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar. Vgl. http://www.initiativefortbildung.de/html/schlaglichter_provenienz. html [7.12.2005]; „Beauty and Truth for Sale: The Art of the Dealer" am 29./30. April 2004 im
2. Forschungs- und Quellenlage
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zahlenmäßig gehäufte Auftreten jüdischer Sammler im Zusammenhang mit Provenienzrecherchen in Museen erschien bisher eine Reihe von Publikationen, die sich mit dem Schicksal sowohl jüdischer als auch nichtjüdischer Sammler und deren Kunstwerke auseinandersetzte. 18 Für die Sammlungsbestände der Museen konnte wegen der befristeten Forschungsaufträge allerdings bis zum heutigen Zeitpunkt nur eine erste Sichtung geleistet werden. 19 Der Abbruch der Provenienzrecherchen im Hinblick auf möglicherweise NSverfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter in den Museumsbeständen bedeutet gleichzeitig auch eine verpasste Chance, ein Kapitel der deutschen Kunstgeschichte und der Sammlungsgeschichte der Museen fortzuschreiben. Quellenlage zum Kunsthandel Ausgangspunkt für die Untersuchungen zum Berliner Kunstmarkt bilden die entsprechenden Jahrgänge einer Vielzahl von verschiedenen Kunstzeitschriften, die während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus in ihren Ausgaben regelmäßig über Auktionsergebnisse im In- und Ausland berichteten. Von besonderem Interesse für die Analysen während der Weimarer Republik sind die Preisangaben sowie die Urteile über den Kunstmarkt in der Zeitschrift Der Kunstwanderer, die der Kunstkritiker Adolph Donath in den Jahren 1919 bis 1932 herausgab. 20 Diese Zeitschrift ist die einzige, die ohne Unterbrechung so ausführlich speziell über Ereignisse auf dem Berliner Markt dieser Zeit berichtete. Dabei unterließ er es nicht, auch den deutschen und internationalen Kunstmarkt zu beobachten. Donath nannte Auktionsergebnisse, zog Rückschlüsse auf die Wertentwicklung von Kunstwerken und kommentierte deren Abwanderung ins Ausland. Neben der regelmäßig erscheinenden Zeitschrift gab er in den Jahren 1921 bis 1925 das Jahrbuch für Kunstsammler heraus, in dem er den Kunstmarkt in den ersten fünf Jahren der Weimarer Republik ausführlich für ein interessiertes Fachpublikum analysierte. Unterstützt wurde er in seiner Arbeit durch den Konservator Max J. Friedländer und den Direktor der Staatlichen Getty Research Center in Los Angelos; „Verantwortung wahrnehmen" am 7. September 2004 im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover; „Von der Provenienzforschung zur Restitution geraubten Kulturguts: politischer Wille und praktische Umsetzung", am 23./24. September 2004, in der Zentral- und Landesbibliothek in Berlin. Vgl. http://www.initiativefortbildung.de/html/ schlaglichter_provenienz2004.html [7.12.2005]; „International Provenance Research Colloquium" am 15./16. November 2004 in Washington D.C. Zu den publizierten Vorträgen vgl. Vitalizing Memory, 2005. 18 Hier sind vor allem Heuß, 2001, über Max Silberberg; dies., 1998, Littmann, über Ismar Littmann und dies., 1998, Vernichtung, über verschiedene jüdische Sammler zu nennen; ferner Rosenbaum, 2004, über Bernhard Koehler; Kirchner, Schmidt-Rottluff, Nolde, Nay, 2004, über Carl Hagemann; Schmidt-Bauer, 2001, über Bernhard Koehler und die bereits 1992 veröffentlichte Aufsatzsammlung Avantgarde und Publikum, in der zahlreiche Sammler wie Ida Bienert, Alfred Hess und Rosa Schapire sowie Museumsdirektoren und Galeristen erwähnt sind. Vgl. Avantgarde und Publikum, 1992. 19 Bislang erschien nur der Zwischenbericht der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Vgl. Mühlen, 2004. 20 Der Kunstwanderer. Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen, erschienen 1919-1932.
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I. Einleitung
Museen zu Berlin, Wilhelm von Bode, die häufig mit Artikeln über Sammlungen in beiden Publikationen vertreten waren. Mit dem Erstarken der nationalsozialistischen Bewegung und der damit einhergehenden NS-Propaganda gegenüber der zeitgenössischen Kunst entschloss sich Donath, den Kunstwanderer im Dezember 1932 einzustellen und emigrierte.21 Andere Fachzeitschriften erschienen im selben Zeitraum, aber da sie keine Ergebnislisten abdruckten, zudem häufig dieselben Kunstwerke wie der Kunstwanderer besprachen oder ihren Schwerpunkt auf andere Kunstmärkte als den Berliner gelegt hatten, blieben sie für die hier vorgelegte Untersuchung zum Berliner Kunstmarkt unberücksichtigt.22 Ab Herbst 1927 kam eine neue Kunstzeitschrift hinzu, die nicht nur den Kunstwanderer für die Jahre der Weimarer Republik an Bedeutung übertraf, sondern darüber hinaus für die nationalsozialistische Zeit wichtige Tendenzen auf dem Berliner wie auf dem internationalen Kunstmarkt widerspiegelte. Die Kunstauktion23 gab der damals bekannte Berliner Sammler, Maler und Kulturjournalist Walter Bondy heraus, der diese als „erstes deutsches Nachrichtenblatt für das gesamte Kunstauktionswesen" bezeichnete.24 Durch ihre häufig komplett abgedruckten Preislisten bot sie einen wesentlich besseren Uberblick über den Kunstmarkt als die bisherigen punktuellen Nennungen im Kunstwanderer. Erwähnenswert ist zudem, dass die neue Zeitschrift zu einem Zeitpunkt initiiert wurde, als der deutsche Kunstmarkt sich wieder internationalisierte.25 Anders als Donath war Bondy Geschäftsmann, der in seiner Zeitschrift ein Instrument für Sammler und Händler sah, um Kunstwerke gewinnbringend zu handeln. So charakterisierte Bondy die Publikation auf treffende Weise: „Die Kunstauktion ist für den Sammler und Händler das, was der Kurszettel für den Aktienbesitzer und den Bankier ist." 26 Eine solche Einschätzung des Erwerbs von Kunstwerken unter rein marktwirtschaftlichen Erwägungen hatte es bisher in einer Kunstzeitschrift nicht gegeben. Ende 1930 änderte die Zeitschrift ihren Titel in Weltkunst, um so die Verlagerung des bisherigen Schwerpunktes vom deutschen Kunstmarkt auf den internationalen Handel zu verdeutlichen.27 Für die vorliegende Arbeit werden häufig Begrifflichkeiten beziehungsweise Einschätzungen aus den verwendeten Zeitschriften übernommen, um den Zeitgeist und den Wert21 Bensimon, 2001, S. 201-213. 22 Folgende Zeitschriften wurden nicht weiter berücksichtigt: Die Kunstchronik
und
Kunstmarkt.
Wochenschrift für Kenner und Sammler, erschienen 1918 bis 1926 - mit einer Unterbrechung zwischen Oktober 1923 und März 1925 - nannte keine Ergebnislisten. Ihr Vorgänger, der Kunstmarkt. Wochenzeitschrift für Kenner und Sammler, erschienen 1903 bis 1918, konnte aufgrund seines Erscheinungszeitraums nur für das Jahr 1918 herangezogen werden. Der Cicerone. Halbmonatsschrift für Künstler, Kunstfreunde und Sammler, erschienen 1909 bis 1930 und Belvedere.
Illu-
strierte Zeitschrift für Kunstsammler, erschienen 1922 bis 1943, druckten keine Ergebnisse ab. 23 Die Kunstauktion. Internationales Nachrichtenblatt des gesamten Kunstmarktes, erschienen 19271930, fortgesetzt mit der Weltkunst. 24 So der Untertitel der Zeitschrift: Die Kunstauktion, 1. Jg., 1 5 . 1 0 . 1 9 2 7 , N r . l , S . l . 25 Bondy, 1927, S.l. 26 Anzeige in: Die Kunstauktion, 1. Jg., 15.10.1927, Nr. 1, S. 5. 27 Weltkunst. Einzige illustrierte Wochenzeitschrift für Kunst, Buch, alle Sammlungsgebiete und ihren Markt, anerkanntes Zentralorgan für Sammler, Museen, Bibliotheken, Künstler und Kunsthändler, erschienen 1930 bis 1944 und 1949ff.
2. Forschungs- und Quellenlage
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maßstab des damaligen Kunsthandels zu veranschaulichen. Derartig gebrauchte Begriffe für Kunstwerke, welche während der hier behandelten Periode als „hervorragend" und von „Qualität" galten oder zu „ausgezeichneten Preisen" versteigert wurden, unterliegen nach heutigen Maßstäben allerdings nicht zwangsläufig denselben Urteilen. Verschiedene Faktoren bestimmen den Maßstab für eine hohe Qualität beim Kunstwerk: Das Werk ist eine originale Leistung des Künstlers, es ist signiert und ist diesem unzweifelhaft zugeschrieben. 28 Darüber hinaus ist die Einmaligkeit einer Arbeit innerhalb des (Euvre ebenso primär wichtig wie dessen „Marktfrische" und Rarität. 29 Unter dem verwendeten Begriff „Qualität" wird hier verstanden: Die kunsthistorische Bedeutung des "Werkes, dessen handwerkliche Ausführung, sein Zustand und die Einordnung im Werkskontext des Malers. Ergänzend zu den Erwähnungen von Kunstmarkttendenzen in den für die Analyse wichtigsten Kunstzeitschriften wurden zahlreiche Kataloge der Berliner Auktionshäuser Rudolph Lepke, Paul Graupe, Max Perl, Paul Cassirer & Hugo Helbing, Hans W. Lange und andere eingesehen, um diese auf handschriftliche Eintragungen zu Verkaufspreisen zu überprüfen. Von großer Bedeutung sind dabei die Auktionskataloge, die in der Berliner Kunstbibliothek sowie im Nachlass des Berliner Galeristen Karl Haberstock aufbewahrt werden. Im Nachlass des Galeristen, der sich in den Städtischen Kunstsammlungen Augsburg befindet, haben sich 4000 in- und ausländische Auktionskataloge erhalten, darunter ein sehr hoher Anteil von Berliner Auktionshäusern. Für die Einschätzung des Kunsthandels stellen sie eine wichtige Quelle dar, weil Haberstock häufig Preise und in einigen Fällen auch die Käufer vermerkte oder Zeitungsartikel mit Versteigerungsergebnissen den einzelnen Katalogen beifügte. Darüber hinaus sind die Akten des Landesarchivs Berlin für die Zeit der NS-Herrschaft von großer Bedeutung, die Unterlagen zum Anmeldungsverfahren für Auktionen bei der Landesleitung der Reichskammer der Bildenden Künste (RdbK) beinhalten. 30 Die überlieferten Akten bestehen aus den Versteigerungsniederschriften der Auktionshäuser Dr. Walther Achenbach (1935-1938), Paul Graupe (1935-1936), Gerhard Harms (1935-1941), Rudolf Harms (1942-1943), Adolf Herold (1935-1936), Edgar Lach (1935-1937), H. W. Lange (1937), Rudolph Lepke (1935-1938), Mandelbaum & Kronthal (1935-1936), Max Perl (1935-1938), Reinhold Puppel (1936-1938), Siegfried Weinberger (1935-1936), Union (1935-1939) sowie weiterer Antiquariate. Trotz der Bedeutung dieser Versteigerungsunterlagen ist jedoch eine vollständige Darstellung des Kunsthandels während der NS-Zeit aufgrund der lückenhaften Aktenlage nicht möglich, da für wichtige Auktionshäuser wie Lepke, Graupe und Lange nur wenige Akten überliefert sind. Deren Ergebnisse können allerdings in den Fachzeitschriften gefunden werden. Von Interesse innerhalb dieses Akten-
28 Die Dissertation von Weihe belegt die Bedeutung von Qualität in Bezug auf den Kunstmarkt. In seiner Studie untersuchte er dabei die Bedingungen des Kunstmarktes von der Renaissance bis zur Gegenwart. Vgl. Weihe, 1992, S. 43. 29 Ebd., S. 143 f. Unter „Marktfrische" wird ein Kunstwerk verstanden, welches nach einem Zeitraum von Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten erstmals wieder auf den Kunstmarkt angeboten wird. 30 L A B A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin. Der Bestand ist erst seit 1996 im Landesarchiv zugänglich. Einen kurzen Überblick darüber bietet Heuß in ihrem Aufsatz über die Reichskulturkammer. Vgl. Heuß, 1998, Reichskulturkammer, S. 50 f.
I. Einleitung
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bestandes sind die Protokolle der auf Wohnungseinrichtungen spezialisierten Auktionshäuser, die auch Kunst versteigerten. Da derartige Versteigerungen nur in seltenen Fällen veröffentlicht wurden, bieten diese Resultate mit ihren sehr niedrigen Preisen einen Einblick in dieses Segment des Kunstmarktes, das nicht von einer breiten interessierten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.
Quellenlage zu Robert Graetz Während für die Analyse des Kunstmarktes auf verhältnismäßig viele gedruckte Quellen in Form von Kunstzeitschriften und Auktionskatalogen zurückgegriffen werden kann, liegen solche Quellen für Robert Graetz nicht vor. Zudem sind wertvolle private Aufzeichnungen und Unterlagen von Kunsthandlungen wie Verkaufsbücher, die Auskunft über die erworbenen Kunstwerke und ihre Preise geben könnten, verloren gegangen.31 Grundlage zur Erforschung der Sammlung Graetz bildete daher die Sichtung und Auswertung von schriftlichen Überlieferungen, die sich vorrangig in Archiven befinden. Dazu zählen die Akten, die zu den Wiedergutmachungsverfahren der Familie Graetz seit den 1950er Jahren vorliegen, ferner die schriftlichen Dokumente zum Leihverkehr zwischen dem Sammler und der Nationalgalerie in den Jahren 1928 bis 1933 und die Schätzpreisliste, die sich zur Versteigerung der Wohnungseinrichtung von Robert Graetz beim Versteigerungshaus Gerhard Harms im Februar 1941 erhalten haben. 32 Eine wertvolle Ergänzung der Archivmaterialien stellen die Berichte von Zeitzeugen dar, die in Deutschland, Großbritannien und den USA leben. Seit 2002 wurden Briefwechsel und Gespräche mit der Tochter von Robert Graetz, Hilda Rush, dem Stiefsohn, Werner Haas, dem Großneffen, Jürgen Bath, und Lukas Felix Müller [sie], Sohn des Künstlers Conrad Felixmüller, der mit seinen Eltern 1934 einige Tage in der Villa von Graetz verbrachte, geführt. Alte Fotografien aus deren Privatbesitz ergänzen diese Schilderungen. Ohne diese Kontakte hätten einige Aspekte der Persönlichkeit von Graetz und des Sammlungsbestandes nicht berücksichtigt werden können. Vor allem aber wäre die wichtige Rolle, die Hugo Graetz, der Bruder von Robert, für die Entstehung der Sammlung gespielt hatte, nicht genug gewürdigt worden. Die Rekonstruktion der Sammlung begann mit der Auswertung von Listen mit Kunstwerken aus dem ehemaligen Besitz von Robert Graetz, die sich in den Wiedergutmachungs31 Die kontaktierten Kunsthandlungen, bei denen Robert Graetz aufgrund seines Sammlungsschwerpunktes möglicherweise Kunde gewesen war, berichteten über erhebliche Lücken in ihren Archivunterlagen, so dass Graetz dort als Käufer nicht aufgefunden werden konnte. Vgl. hierzu den Abschnitt „Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung". 32 Eidesstattliche Versicherung mit Angaben der in der Sammlung Graetz vorhandenen Kunstwerke von Hilda Rush (geb. Graetz), Johannesburg, 28.10.1954, im Wiedergutmachungsverfahren. Vgl. Wiedergutmachungsämter von Berlin, 7 W G A 2270/50: Robert Graetz, Bl. 67f. Für das Folgende zitiert als W G Ä Berlin, 7 W G A 2270/50: Robert Graetz, BL; Akten zum Leihverkehr zwischen Graetz und der Nationalgalerie vgl. SMB-PK, ZA, I / N G 719: Ausstellung Nachimpressionistische Kunst aus Berliner Privatbesitz (m. Nr.), 1928-1931, und die Schätzpreisliste zur Versteigerung des Hausrates mit einem Teil der Sammlung, durch Harms, am 25.2.1941, in: L A B A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 52. Für das Folgende zitiert als Schätzpreisliste vom 25.2.1941 bei Harms. Kopie der Schätzpreisliste zur Versteigerung. Vgl. im Anhang Abb. 31.
2. Forschlings- und
Quellenlage
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akten befinden. 33 In den meisten Fällen ergaben sich dort jedoch nur sehr geringe Anhaltspunkte zu den einzelnen Werken. Nur wenige Künstler konnten nach dem Ende des Krieges von den Kindern von Graetz zu Protokoll gegeben werden. Anstelle von Titeln nannten sie zumeist nur Beschreibungen, die für die Identifizierung eines Werkes jedoch nicht ausreichend waren. Darüber hinaus sind bei keinem Objekt Maße, Jahreszahlen oder gar Unterlagen zum Kauf überliefert, da es keinen Nachlass von Robert Graetz gibt. Dies bedeutete, dass die Recherchen zu jedem einzelnen Künstler zunächst mit der Durchsicht von Werkverzeichnissen begannen. Konnte Graetz als Eigentümer eines Kunstwerkes nachgewiesen werden, schlossen sich weitere Forschungen in Archiven an. Als problematisch erwies sich, dass zahlreiche in der Sammlung Graetz vertretene Künstler in den 1920er Jahren zwar zur Avantgarde zählten, heute jedoch nahezu unbekannt sind, so dass bislang oftmals keine Werkverzeichnisse vorliegen. Da Graetz nur selten über derartige Publikationen ermittelt werden konnte, war die Durchsicht von Ausstellungskatalogen der 1920er und 1930er Jahre notwendig. Als Leihgeber der Berliner Nationalgalerie konnte Graetz für zwei Ausstellungen mit zeitgenössischen Kunstwerken aus Berliner Privatbesitz in den Akten des Zentralarchivs der Staatlichen Museen zu Berlin ermittelt werden. Der dort aufbewahrte Schriftverkehr zwischen der Direktion und dem Sammler gibt wichtige Einblicke darüber, welche Kunstwerke Graetz ab 1928 der Nationalgalerie zur Verfügung stellte. Forschungsstand zum Kunsthandel
und zu Robert
Graetz
Der Kunsthandel ist von der bisherigen Forschung kaum erarbeitet worden. Erwähnungen findet er in den seit Anfang der 1990er Jahre erschienenen Publikationen zur „Beutekunst", welche die Rolle des Kunsthandels allgemein nennen.34 Zur Geschichte des Berliner Kunsthandels waren die Studie von Georg Malkowsky (1912) und der Beitrag zum Kunsthandel in Berlin vor 1945 von Verena Tafel (1987) grundlegend. 35 Anknüpfungspunkte bot ebenfalls die 1990 von Karl Wilhelm erschienene Studie, die einen Überblick über das Auktionswesen in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis 1945 aus wirtschafts- und sozialhistorischem Blickwinkel bietet.36 Zur Sammlung Graetz liegen bisher keine Publikationen vor. Die Erforschung dieses Kunstbestandes gehört in eine Reihe von weiteren Forschungsbeiträgen über jüdische Sammler der Weimarer Republik und der NS-Zeit, die in den vergangenen Jahren erschienen sind. 37 33 Die Akten werden in den Wiedergutmachungsämtern Berlin aufbewahrt. Vgl. W G A Berlin, 7 W G A 2270/50: Robert Graetz. Kopie der Eidesstattlichen Versicherung mit Angaben zur Sammlung Graetz, datiert vom 28.10.1954, Bl. 67f. Vgl. im Anhang Abb. 32. 34 Genannt seien beispielsweise: Heuß, 2000, zur deutschen Raubpolitik in Frankreich und der Sowjetunion; Feliciano, 1998, zum Kunstraub der Nationalsozialisten aus Museen; Frehner, 1998, zur Raubkunst; Simpson, 1997, zum im Zweiten Weltkrieg verlorenen und in den Nachkriegsjahren wieder aufgefundenen Kunstwerken; Petropoulos, 1996, zum Kunstraub und zur Politik im „Dritten Reich"; Nicholas, 1994, zum Schicksal europäischer geraubter Kunstwerke. 35 Malkowsky, 1912 und Tafel, 1987. 36 Wilhelm, 1990. 37 Hier sind vor allem Heuß, 2006; dies., 2001; dies., 1998, Littmann und dies., 1998, Vernichtung; Rudolph, 2006; Tatzkow und Hinz, 2006 und Tatzkow, 2006, zu nennen.
II. Der Kunsthandel in Berlin
1. Berliner Sammlungen im Überblick Aus der Fülle der Berliner öffentlichen und privaten Sammlungen wurden exemplarisch einige ausgewählt, um gegenseitige Beeinflussungen ebenso wie eigenständige Tendenzen auf dem Berliner Kunstmarkt zu verdeutlichen. Innerhalb der Gruppe der Museen besaßen drei Häuser mit ihren Beständen eine Vorbildfunktion für private Sammler: Die Gemäldegalerie mit ihren Altmeistersammlungen, die Nationalgalerie mit der Kunst des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts und das ehemalige Kronprinzen-Palais, das nach seiner Eröffnung im Jahre 1919 Arbeiten lebender Künstler sammelte. Dem Kunsthandel kam bei der Entstehung der Gemäldegalerie bereits zu Beginn eine bedeutende Rolle zu, da Neuerwerbungen größtenteils auf überregionalen und internationalen Kunstmärkten gekauft wurden. Dagegen stammten die meisten Werke der Nationalgalerie und des Kronprinzen-Palais' direkt von den Künstlern oder aus Berliner Galerien. Für diese beiden Museen nahm der Kunstmarkt erst während der NS-Zeit infolge der Aktion der „entarteten Kunst" eine dominierende, unrühmliche Position ein. Entsprechend ihren Sammlungsschwerpunkten werden die Privatsammlungen zwei Kategorien zugeordnet, die kennzeichnend für die Zeitspanne von etwa 1870 bis 1930 in Berlin waren. Die erste Kategorie ist charakterisiert durch die im letzten Drittel des ^ . J a h r h u n derts entstandenen, kunsthistorisch außerordentlich bedeutsamen Altmeistersammlungen, die auf die Beratung von Wilhelm von Bode zurückgingen. 1 Die zweite Gruppe bildet die Generation eines neuen Sammlertypus, der in den Jahren nach dem Ende des Ersten Weltkrieges mit dem Sammeln begonnen hatte. Für die Untersuchung wurden diese beiden Gruppen aus folgenden Gründen ausgewählt: Erstens kam den Sammlungen mit niederländischen Gemälden, die unter Bodes Einfluss entstanden waren, auf dem Berliner Kunstmarkt eine herausragende Bedeutung zu, weil zahlreiche Bestände bereits wenige Jahrzehnte
1 Etwa zeitgleich gab es einen weiteren kleinen Sammlerkreis, der sich auf den Erwerb von modernen Arbeiten, vor allem impressionistischer Künstler Frankreichs konzentrierte. Dieser soll hier jedoch nicht weiter verfolgt werden, zumal solche Kunstwerke auf dem Berliner Markt eine ausgesprochen marginale Rolle spielten. Hierzu liegt bereits ein Beitrag über das Sammeln französischer Malerei vor. Vgl. Die Moderne und ihre Sammler, 2001.
II. Der Kunsthandel in Berlin
14
nach ihrer Entstehung wieder auf dem Kunstmarkt veräußert wurden und deren erneutes Auftauchen auf dem Markt die Dominanz an niederländischer Kunst erklärt. Zweitens widmeten sich die seit den 1910er Jahren neu entstandenen Sammlungen dem Erwerb der Moderne, zu denen ebenfalls der Kunstbesitz von Robert Graetz gehörte. Die Entstehung und teilweise Auflösung solcher Kunstbestände während der nationalsozialistischen Zeit ist dabei im Hinblick auf die Sammlung Graetz von besonderem Interesse. a) Öffentliche Sammlungen Die
Gemäldegalerie
Die Sammlung der Gemäldegalerie, die in bescheidenen königlichen Beständen an Gemälden des späten Mittelalters und der Frührenaissance ihren Anfang nahm, wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch den Kauf von mehr als siebzig Bildern des frühen Barocks aus der Sammlung Giustiniani erweitert.2 Bereits wenige Jahre später konnte die dreitausend Werke umfassende Sammlung Edward Sollys erworben werden.3 Aus dieser wurden knapp siebenhundert Gemälde mit dem Schwerpunkt auf italienischer Hochrenaissance sowie altdeutscher und niederländischer Malerei für eine geplante erste öffentliche Gemäldegalerie in Berlin ausgewählt. Im Jahr 1830 schließlich wurden diese Pläne mit der Eröffnung des „Königlichen Museums", dem heutigen Alten Museum, am Lustgarten umgesetzt. Der erste Direktor, Gustav Friedrich Waagen, baute die bestehende Sammlung mit weiteren hervorragenden Ankäufen für die italienische und die flämische Abteilung aus. Ihren Weltruf verdankt die Gemäldegalerie allerdings der Erwerbungspolitik und dem großen Engagement des nachfolgenden Direktors, Wilhelm von Bode. 4 In seiner mehr als fünfzig Jahre, von 1872 bis 1929, währenden Tätigkeit in den Königlichen, später den Staatlichen Museen zu Berlin suchte er dem Repräsentationsbedürfnis der neuen Reichshauptstadt gerecht zu werden und begann mit einem regelrechten europaweiten „Erwerbungsfeldzug", dessen Ergebnis eine einmalige Sammlung war.5 Gefördert durch das enorme Wirtschaftswachstum des Deutschen Reiches und die Großzügigkeit vermögender Persönlichkeiten gelang es Bode, zahlreiche erstklassige Kunstwerke aus Italien, Frankreich und England für Berlin zu gewinnen. Aufgrund seiner weitreichenden Kenntnisse und Kontakte wurde Bode dabei für viele Berliner Privatsammler der wichtigste Ratgeber. Die unter seinem Einfluss entstandenen Sammlungen zeichneten sich durch ein Streben nach Repräsentation aus, denn der neu entstandene bürgerliche Sammlertypus wollte seinen eigenen raschen wirtschaftlichen Aufstieg mittels vornehmer Kunstsammlungen nach außen demonstrieren. Diese Form der Selbstdarstellung war bisher aufgrund von Privilegien ausschließlich dem Adel vorbehalten gewesen. Zudem galt Kunst als Geldanlage, vor allem, da die wachsende Nachfrage auf dem Kunstmarkt seit den 1880er Jahren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges eine rasante Preisentwicklung nach sich gezogen hatte. Bode unter2 Kelch, 2000, S. 15. 3 Zur Sammlung Solly vgl. Bock, 1985, S. 15. 4 Zum vielfältigen Wirken Bodes vgl. Wilhelm von Bode, 1995. 5 Paul, 1994, S. 207.
1. Berliner Sammlungen im Überblick
15
stützte die in jenen Jahren einsetzende rege Sammlertätigkeit, indem er durch Vorträge und persönliche Beratung Privatpersonen aus dem Kreis der Industriellen, Bankiers und Kaufleute für das Sammeln von Kunst begeisterte. Mit seiner Hilfe entstanden in Berlin einige der größten deutschen Privatsammlungen, deren bekanntesten die von James und Eduard Simon, Oscar Huldschinsky, Carl Hollitscher, Richard von Kaufmann, Adolph von Beckerath, Oskar Hainauer und Benoit Oppenheim waren. 6 Verknüpft war sein Engagement mit der Hoffnung, den Kunstbesitz der Berliner Museen durch private Stiftungen zu erweitern. Im Jahre 1874 gelang Bode der Erwerb der Sammlung Suermondt, die zum damaligen Zeitpunkt als bedeutendste deutsche Privatsammlung galt.7 Damit kamen nahezu zweihundert Werke der holländischen und der flämischen Schulen des 17. Jahrhunderts sowie Gemälde der italienischen Schulen in das Museum.8 Gerade die niederländischen Gemälde hatten für die weitere Entwicklung der Berliner Privatsammlungen eine wichtige Vorbildwirkung. Die erheblich gewachsenen Bestände der Sammlungen im Königlichen Museum 9 machten schließlich den Bau des Kaiser-Friedrich-Museums, des heutigen Bode-Museums, auf der Museumsinsel erforderlich.10 Anlässlich der Eröffnung im Jahre 1904 stiftete der Berliner Kunstliebhaber James Simon zahlreiche Renaissance-Werke.11 Selbst in den wirtschaftlich schwierigen Jahren nach Ende des Ersten Weltkrieges engagierte sich Simon weiterhin als Mäzen und überließ dem Museum 1920 seine umfangreiche Sammlung altdeutscher Gemälde, Skulpturen und Bildteppiche.12 Im Laufe von Bodes langer Tätigkeit für die Berliner Museen war es ihm dank seiner Ankaufspolitik und seiner engen Kontakte zu Kunstsammlern gelungen, eine fast vollständige Ubersicht über die europäische Malerei vom 13. bis zum 18. Jahrhundert zusammenzutragen. Als er 1920 aus dem Amt schied, galt insbesondere die Abteilung der altniederländischen Malerei neben London und Paris als eine der bedeutendsten Sammlungen dieser Gattung. Im Jahrzehnt nach Beendigung des Ersten Weltkrieges stand der Gemäldegalerie wegen der Wirtschaftslage und des sinkenden Geldwertes nur ein äußerst geringes Ankaufsbudget zur Verfügung. Die Zeit der bedeutenden Erwerbungen fand dadurch ein jähes Ende. Da sich die Ankäufe innerhalb der Staatlichen Museen fortan auf zeitgenössische deutsche Werke konzentrierten, die noch relativ günstig zu bekommen waren, musste sich die Gemäldegalerie vorwiegend auf die Pflege ihres Bestandes beschränken. Die wenigen Käufe, die in der Folgezeit bis zu den Evakuierungsmaßnahmen während des Zweiten Weltkrieges getätigt werden konnten, veränderten den Charakter der Sammlung und ihre Bedeutung für
6 Zum Verhältnis Bodes gegenüber den Berliner Sammlern aus eigener Betrachtung. Vgl. Bode, 1914 und ders., 1930. 7 Zur Sammlung Suermondt vgl. Lepper, 1988/1989. Den Verkaufskatalog der Sammlung stellte Waagen zusammen. Vgl. Raisonnirender Catalog, 1859. 8 Kelch, 2000, S. 16. 9 Zu den Erwerbungen vgl. Stockhausen, 2000, S. 152-161. 10 Zur Entstehung und Konzeption des Kaiser-Friedrich-Museums vgl. u.a. Paul, 1993; Gaehtgens, 1992, S. 29-65 und Geismeier, 1983. 11 Zum Sammler James Simon vgl. Bode, 1904 sowie Girardet, 1982. 12 Vgl. dazu Die zweite Sammlung Simon, 1920.
II. Der Kunsthandel in Berlin
16
die Privatsammlungen nicht. 13 Festzuhalten bleibt, dass der Schwerpunkt der meisten privaten Kollektionen, die seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts durch den maßgeblichen Einfluss Bodes und der Gemäldegalerie entstanden waren, auf den niederländischen Schulen lag. Als während der Weltwirtschaftskrise und der nationalsozialistischen Herrschaft eine Vielzahl von Kunstobjekten aus Privatsammlungen verkauft werden musste, wurde dieses Übergewicht deutlich sichtbar: Der Berliner Kunstmarkt war von niederländischen Kunstwerken beherrscht. 14
Die Nationalgalerie In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Nationalgalerie auf die private Initiative von Johann Heinrich Wagener gegründet worden, der 1859 testamentarisch seine Sammlung dem preußischen Kronprinzen vermacht hatte. 15 Verbunden war die Spende mit der Auflage, sie allen Künstlern und Kunstliebenden zugänglich zu machen. 16 Wagner hatte in den fünf Jahrzehnten bis zu seinem Tod im Jahr 1861 eine 262 Gemälde umfassende Sammlung zeitgenössischer Kunstwerke von Berliner und Münchener Künstlern zusammengetragen, die er vorzugsweise direkt bei diesen gekauft hatte. 17 Noch im selben Jahr eröffnete die „Wagnersche und National-Galerie" als Provisorium im Obergeschoss des Akademiegebäudes Unter den Linden. Der preußische Staat war durch diese generöse Schenkung in den Besitz einer Galerie moderner Werke gelangt, wie sie bisher nirgends in der Welt als öffentliches Museum bestand. Bis zur Eröffnung der Nationalgalerie auf der Museumsinsel im Jahr 1876 vergrößerte der damalige Direktor Eduard Daege den Bestand um zahlreiche weitere Gemälde der Berliner und Düsseldorfer Schulen. Eine der Aufgaben, die sich die Nationalgalerie gestellt hatte, war das Präsentieren des CEuvres verstorbener Künstler. 18 Solche Ausstellungen boten zugleich den Anstoß, weitere Kunstwerke für das Museum zu erwerben und somit die Bestände zu erweitern. Aber erst der folgende Direktor, Hugo von Tschudi, der 1896-1909 tätig war, bestimmte maßgeblich die moderne Ausrichtung der Sammlung. Anfangs konnte er sogar Kaiser Wilhelm II. davon überzeugen, dass eine Nationalgalerie von Rang auch ausländische Kunst sammeln müsse. 19 Mit seinen seit 1896 getätigten Käufen französischer Gemälde des Impressionismus wie von Eduard Manet und Claude Monet sowie Arbeiten des Engländers John Con13 Zu den wenigen Ankäufen in der Zeit zwischen 1933 und 1945 vgl. Geismeier, 1983. Bereits vor Beginn des Zweiten Weltkrieges stand zunehmend die Sicherung der Sammlungsbestände im Vordergrund der Museumsarbeit. Zu den Evakuierungsmaßnahmen vgl. Kühnel-Kunze, 1984. Zu den Verlusten während der Kriegseinwirkungen vgl. Geismeier, 1999. 14 Dieses Phänomen wird im Abschnitt „Die nationalsozialistischen Gesetze und ihre Konsequenzen für die Sammelpraxis" weiter diskutiert. 15 Zur Entstehung der Nationalgalerie vgl. Rave, 1968; Hönisch, 1979. Weiterführende Literatur vgl. beispielsweise Die Nationalgalerie, 2001; Nationalgalerie Berlin, 2001 und Der Deutschen Kunst, 1998. 16 Jordan, 1876, S. X f . 17 Zu den Sammlungsbeständen vgl. Rave, 1968, S. 15-22 und Wesenberg, 2001, S. 13. 18 Rave, 1968, S. 49. 19 Für das Folgende Wesenberg, 2001, S. 16f.
1. Berliner Sammlungen im Überblick
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stable erreichte die Nationalgalerie schnell Weltniveau. Die konservative Geisteshaltung des Kaisers verbot jedoch in der Folgezeit den weiteren Erwerb von modernen, vor allem ausländischen Kunstwerken. Dennoch gelang es Tschudi mithilfe von Spenden eine Sammlung französischer Impressionisten zusammenzutragen, die am Anfang des 20 Jahrhunderts die früheste Sammlung dieser Künstler in einem Museum überhaupt war. Neben den Ankäufen kamen auch einige Schenkungen in die Nationalgalerie, so die Sammlung von Felix Koenigs. Im Jahre 1906, nach dem Ende der im Museum ausgerichteten „Jahrhundertausstellung der deutschen Kunst Berlin", konnte Tschudi zudem Ölgemälde von Wilhelm Leibi, Anselm Feuerbach, Caspar David Friedrich, Karl Blechen, Karl Krüger, Georg Friedrich Kersting, Ferdinand Kobell, Ferdinand von Rayski und Carl Spitzweg kaufen. Als Ludwig Justi 1910 Tschudi im Amt folgte, engagierte sich dieser ebenfalls für den weiteren Ausbau der Nationalgalerie als Museum für neuere Kunst. Er konstatierte, dass die Sammlung des 19. Jahrhunderts der Nationalgalerie in keinem anderen deutschen Museum so vollständig sei wie hier.20 Es fehlten dagegen Kunstwerke der Gegenwart von 1900 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, was mit der restriktiven Kunstpolitik Wilhelms II. zusammenhing, denn Tschudi war es nur in äußerst begrenztem Umfang erlaubt gewesen, zeitgenössische Kunstwerke zu kaufen. Diese Lücke versuchte Justi durch Ankäufe und Schenkungen abzugleichen, wobei er sich um künstlerisch weniger brisante Werke bemühte, um eine Konfrontation mit dem Kaiser sowie mit Kunstkritikern und Künstlern zu vermeiden. Neben den Arbeiten des 19. Jahrhunderts kaufte er seit Beginn seiner Amtszeit auch solche von zeitgenössischen Künstlern.21 Diese beabsichtigte er in neuen Räumlichkeiten zu zeigen, in die ausschließlich Objekte der Moderne Aufnahme finden sollten. Nach dem Ende der Monarchie 1918 konnte Justi schließlich seine Vision mit der Eröffnung der Neuen Abteilung der Nationalgalerie im ehemaligen Kronprinzen-Palais verwirklichen. Bei den folgenden Neuerwerbungen für dieses Museum sowie für die Nationalgalerie im Stammhaus kam ihm die Umverteilung der finanziellen Mittel innerhalb der Staatlichen Museen zugute, denn der geringe Ankaufsetat sah ab diesem Zeitpunkt vorrangig den Kauf neuerer und zeitgenössischer Kunst vor, die noch relativ günstig war. Während in den vergangenen Jahrzehnten die Gemäldegalerie mit ihren Beständen das Kaufverhalten der Sammler maßgeblich beeinflusst hatte, ging dieser Impuls nun von der Nationalgalerie und ihrer Abteilung für zeitgenössische Kunst aus. In der Zeit der Weimarer Republik wirkten sie ebenso stilbildend für das Entstehen neuer Sammlungen wie einst die Gemäldegalerie. In den Jahren der Weimarer Republik, in denen sich Justi entschieden für die zeitgenössische Kunst engagierte, war er aufgrund seiner Ankaufspolitik jedoch massiven Angriffen seitens deutscher Künstler ausgesetzt, die sich gerade gegen den Erwerb von ausländischen Werken zur Wehr setzten. Kurz nach der „Machtergreifung" 1933 bewirkten die nationalsozialistischen Hetzkampagnen gegen ausländische und moderne Kunst schließlich die Entlassung Justis aus dem Amt. Auch seine Nachfolger scheiterten in dem Bemühen, die Aufmerksamkeit von der umstrittenen Moderne auf die Kunst des 19. Jahrhunderts im Stammhaus zu lenken. Die nationalsozialistische Einflussnahme erreichte ihren Höhepunkt 20 Justi, 1930, S. 18. 21 Wesenberg, 2001, S. 18.
II. Der Kunsthandel in Berlin
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in den Beschlagnahmeaktionen „entarteter Kunstwerke" in den Museen im Jahr 1937. Allein aus der Nationalgalerie, die inzwischen die Bestände des geschlossenen Kronprinzen-Palais aufbewahrte, wurden 164 Gemälde, 27 plastische Werke und 326 Zeichnungen konfisziert. 22 Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde die Nationalgalerie schließlich für den öffentlichen Besucherverkehr geschlossen. Damit wurde endgültig ein Kapitel deutscher Museumspolitik beendet, das einst auf Initiative eines visionären Privatsammlers begonnen worden war. Die Nationalgalerie hatte zusammen mit ihrer Abteilung für moderne Kunst ihre Bestände seit der Eröffnung bis zum Beginn der NS-Herrschaft zu einer Sammlung von Weltrang ausbauen können. Dies war nur möglich gewesen durch großzügige Spenden und Leihgaben von Privatsammlern sowie durch die bereitgestellten finanziellen Mittel des Vereins der „Freunde der Nationalgalerie". Auch hier war es, wie schon zuvor bei der Gemäldegalerie, zu einer engen Zusammenarbeit zwischen dem Museum und den Sammlern gekommen, die sich gegenseitig befruchtet hatten.
Das Kronprinzen-Palais Ludwig Justi, auf dessen Initiative 1918 die moderne Abteilung der Nationalgalerie im ehemaligen Kronprinzen-Palais an der Straße Unter den Linden eröffnet worden war, setzte sich intensiv für die Erweiterung der Sammlung junger Kunst ein, die bisher in der Nationalgalerie vorhanden war.23 In einem „Museum der Gegenwart" plante er Objekte von lebenden Künstlern zu präsentieren. 24 Das war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Novum, wie die heftig geführte Debatte darüber verdeutlichte, ob „Museen überhaupt die Aufgabe zukam, die Kunst der Gegenwart, d.h. die Kunst der um ihre Geltung ringenden jungen Generation zu pflegen." 2 5 Auch die Nationalgalerie hatte im traditionellen Sinne bis 1918 nur verstorbene Künstler mit Ausstellungen geehrt. Neben Justis Enthusiasmus für zeitgenössische Kunst war die Beschränkung von Erwerbungen solcher Werke auch durch die finanzielle Zwangslage nach dem Kriegsende bedingt. Museumsdirektoren wie Justi, die der modernen Kunst offen gegenüberstanden und junge Künstler förderten, konzentrierten sich daher auf den Erwerb von deren Arbeiten. 26 U m seine ehrgeizigen Ausstellungsprojekte realisieren zu können, musste Justi Künstler und 22 Rave, 1949, S. 82. Zur Aktion der „entarten Kunst" sowie zur Verwertung der betreffenden Kunstwerke vgl. die erste Studie zur Kunstpolitik der Nationalsozialisten nach Ende des Zweiten Weltkrieges von Rave aus dem Jahr 1949. Unter den zahlreichen Publikationen der letzten Jahre sei vor allem auf Hüneke, 1988; ders., 1999, Bilanzen; ders., 2006 und auf Entartete Kunst, 1992 verwiesen. 23 Zur ausführlichen Darstellung der Vorgänge in der Nationalgalerie und im Kronprinzen-Palais vgl. Schicksal einer Sammlung, 1988; Kunst in Deutschland, 1992 sowie Justi, 1918. 24 Vor der Einrichtung des Kronprinzen-Palais' als führendes Museum für zeitgenössische Kunst gab es nur sehr wenige Museen, die moderne Kunstwerke ausstellten. Dazu zählten das FolkwangMuseum in Essen unter Ernst Gosebruch, das Städtische Museum für Kunst und Kunstgewerbe in Halle unter Max Sauerlandt und die Hamburger Kunsthalle unter Gustav Pauli. Sie gehörten zur Generation der jungen Museumsdirektoren, die sich aktiv für die moderne Kunst einsetzten. Vgl. Hüneke, 1988, S. 9f. 25 Sauerlandt, 1930, S. 8. Vgl. zur Debatte auch Schiefler, 1931, S. 23-28. 26 Zur Ankaufspolitik deutscher Museen bezüglich zeitgenössischer Kunstwerke vgl. Lidtke, 1993, S. 220-222.
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Sammler aber auch um Leihgaben bitten.27 Dies war umso wichtiger, da viele bedeutende private Sammlungen in Deutschland den öffentlichen Sammlungen voraus waren. Die etablierten Museen hatten viel zu lange gezögert, die offizielle Kunstrichtung des Kaiserreiches zu durchbrechen und auch umstrittene, angefeindete Kunst zu sammeln. Justi beabsichtigte, die Werke der Künstler zeitnah zu ihrer Entstehung in Sonderausstellungen der Öffentlichkeit zu präsentieren und gleichzeitig die Lücken in der eigenen Sammlung durch geliehene Werke zu schließen.28 Ohne die zahlreichen Leihgaben aus Berliner Privatbesitz wäre die rege Ausstellungstätigkeit im Kronprinzen-Palais nicht möglich gewesen. So konzipierte Justi 1928 in der Tradition von Bode zwei Ausstellungen, in denen er zeitgenössische Kunstwerke aus Berliner Privatsammlungen zeigte.29 Seine Absicht war es, dem großen Angebot ausländischer und „klassisch gewordener" deutscher Kunst das Schaffen junger deutscher Künstler gegenüberzustellen, die zwar vielfach noch nicht international anerkannt waren, deren Werke jedoch bereits in bedeutendem Umfang Eingang in Berliner Sammlungen gefunden hatten.30 Gleichzeitig boten solche Ausstellungen einen Überblick über den jeweiligen Stand der Sammlertätigkeit einer Stadt, die einen Gradmesser des Wohlstands und der Kultur darstellten. In den wenigen Jahren der Weimarer Republik war es Justi gelungen, eine einmalige Sammlung moderner Kunst für das Kronprinzen-Palais zusammenzustellen.31 Erreicht hatte er dieses Ziel mit Hilfe der Privatsammler und des 1929 gegründeten Vereins der „Freunde der Nationalgalerie".32 Diesem gehörten neben hochgestellten Persönlichkeiten der Gesellschaft eine Reihe von bedeutenden Sammlern an wie Eduard Freiherr von der Heydt, Hugo Simon und Hermann Lange aus Krefeld.33 Noch zu Beginn des Jahres 1933 hatte Justi eine komplette Umgestaltung des Kronprinzen-Palais' vorgenommen, die allerdings nicht lange währen sollte. Seine Konzeption sah vor, zugunsten der zeitgenössischen Kunstwerke die Gemälde der älteren Generation von Künstlern wie Max Liebermann und den französi27 Justi schrieb: „So bestand von Anfang bis zum Ende meiner Tätigkeit am Kronprinzen-Palais die viel berufene Sammlung im obersten Stockwerk zum weitaus größten Teil aus Leihgaben." Ludwig Justi. Memoiren II, Handschrift, 1 9 3 3 - 1 9 3 6 , 1 . Fassung, Bl. 566. Zit. nach: Janda, 1988, S. 30. 28 Genannt seien hier stellvertretend für viele andere Sonderausstellungen diejenige mit Werken von Conrad Felixmüller, die der Künstler 1923 im Ruhrgebiet fertigte und die im selben Jahr im Kronprinzen-Palais ausgestellt wurden. Vgl. SMB-PK, ZA, I/NG 468: Beratungen der Landeskunstkommission, 1921-1926, Bl. 389-401. Zu nennen ist weiterhin die „Rheinland-Ausstellung" mit Werken von Lesser Ury, die Ende 1924 bis Januar 1925 im Kronprinzen-Palais gezeigt wurde. Alle ausgestellten Werke waren erst im Sommer von U r y gefertigt worden. Vgl. SMB-PK, ZA, I/NG 603: Sonderausstellungen 1923-1924, Bl. 666-676. Diese Ausstellungen nutzte Justi ebenfalls dazu, den Bestand an modernen Kunstwerken zu vergrößern. So erwarb er nach Beendigung der Ausstellungen von U r y das Gemälde „Morgensonne" und von Felixmüller vier Zeichnungen. 29 Sonderausstellungen, die ausschließlich Werke aus Privatsammlungen zeigten, fanden auch in anderen deutschen Metropolen statt. Stellvertretend sei die Ausstellung zum Hamburger Privatbesitz mit Werken vom 14. bis zum 20. Jahrhundert genannt. Vgl. Leihausstellung, 1925. 30 Justi, 1928, April, S. 7; Prinz, 1978, S. 9. 31 Vorwort, in: Schicksal einer Sammlung, 1988, S. 6. 32 Zur Bedeutung des Vereins für die Erwerbungen der Nationalgalerie vgl. Meyer, 1998. 33 Liste der Förderer bei Justi, 1930, S. 17.
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sehen Impressionisten in das Stammhaus zurückzubringen.34 Zeitlich begann das „Museum der Gegenwart" nun mit Vincent van Gogh und Edvard Munch. Inspiriert durch Neuerwerbungen und ergänzende Leihgaben widmete sich das Museum fortan verstärkt den Werken der jüngeren Künstler. Die hier seit Jahren präsentierte zeitgenössische Kunst wurde in einer Konzentration und Kompromisslosigkeit öffentlich vorgestellt, die zwangsläufig zu Angriffen aus konservativen und Kunsthändlerkreisen führte.35 Trotz positiver Kritik für ein derartiges Museum waren die Stimmen der Gegner in den Jahren der Weimarer Republik nie ganz verstummt. Da bereits 1933 ein heftiger Propagandafeldzug der Nationalsozialisten gegen die moderne Kunst eingeleitet wurde, galten die gerade noch als Avantgarde gefeierten Kunstwerke nun als „entartet" und mussten aus den Museen entfernt werden.36 Diese Anordnung betraf eine große Anzahl derjenigen modernen Kunstwerke, die 1928 in den Ausstellungen aus Berliner Privatbesitz versammelt waren. Dem seit 1. Juli 1933 kommissarisch eingesetzten Direktor der Nationalgalerie, Alois Schardt,37 oblag die schwierige Aufgabe, die zeitgenössische Sammlung im Kronprinzen-Palais neu zu präsentieren, ohne an der modernen Kunst Verrat zu verüben und gleichzeitig den Forderungen nach einer „gesäuberten Hängung" nachzukommen.38 Wegen der Reduktion der zeitgenössischen Werke in der Schausammlung der modernen Abteilung der Nationalgalerie veranlasste der Direktor, private Leihgaben an ihre Eigentümer, darunter auch an Robert Graetz, zurückzugeben. Schardt wurde trotz seines Bemühens, den Angriffen der Moderne zu begegnen, nicht im Amt als Direktor bestätigt.39 Sein Nachfolger, Eberhard Hanfstaengl, eröffnete das Kronprinzen-Palais am 16. Dezember 1933 mit einer neuen Hängung. Um drohenden Konsequenzen vorzubeugen, hatte er die meisten figürlichen und abstrakten Motive aus den Ausstellungsräumen entfernt und stellte dafür weniger provozierende Landschaften und Stillleben moderner Künstler aus. Ungeachtet dieser Maßnahmen durften dort ab dem folgenden Jahr keine derartigen Sonderausstellungen mehr veranstaltet werden. Darüber hinaus mussten Darstellungen, die der nationalsozialistischen Ideologie zuwiderliefen, aus der ständigen Sammlung entfernt werden.40 Diese Praxis führte schließlich dazu, dass im Juli 1937 Werke der „Verfallskunst" und solche von jüdischen Künstlern aus dem Kron-
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Zu den Neuerwerbungen und zur Neuhängung im Kronprinzen-Palais vgl. Hentzen, 1933. Kunst in Deutschland, 1992, S. 7. Zu den Einschränkungen und der Schließung des Kronprinzen-Palais' vgl. Hentzen, 1970. Ludwig Justi wurde am 1.7.1933 durch Kultusminister Bernhard Rust mit sofortiger Wirkung beurlaubt und später an die Kunstbibliothek versetzt. Alois Schardt, der ehemalige Assistent von Justi, amtierte als dessen Nachfolger für einige Monate als kommissarischer Direktor. Vgl. Kunst in Deutschland, 1992, S. 35 und 37. 38 Zum Umbau der Sammlung durch Schardt vgl. ebd., S. 3 9 - 4 1 sowie Schneede, 1992, S. 61. Die bisherige Gestaltung der Schausammlung im Kronprinzen-Palais von Anfang 1933 lässt sich bei Hentzen, 1933, nachvollziehen. 39 Vgl. zum Folgenden Kunst in Deutschland, 1992, S. 42. Zur Umstrukturierung der Nationalgalerie nach 1933 vgl. ebenfalls Janda, 1992. 40 Zu den Entnahmen von Kunstwerken aus dem Kronprinzen-Palais vgl. beispielsweise Rave, 1949; Kunst in Deutschland, 1992 und Schicksal einer Sammlung, 1988.
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prinzen-Palais beschlagnahmt wurden. 41 Ein Teil davon wurde ab dem 18. Juli 1937 in der Ausstellung „Entartete Kunst" in München und anderen Städten gezeigt. In den kommenden Jahren ließen die Nationalsozialisten die durch „Säuberungsaktionen" beschlagnahmten Objekte aus den Museen auf internationalen Auktionen versteigern, umso in den Besitz von Devisen zu gelangen.42 Auf diese Weise wurden die „entarteten Werke" zwar vor der endgültigen Vernichtung gerettet; die deutschen Museen verzeichneten jedoch schwere Verluste in ihren Beständen. Dies traf insbesondere das Kronprinzen-Palais mit seiner Ausrichtung auf die Gegenwartskunst. Mit der Schließung der Neuen Abteilung der Nationalgalerie im Kronprinzen-Palais am 30. Oktober 1936 wurde ein langer Prozess des Untergangs der modernen Kunst in Berlin besiegelt. 43 Die einstige rege private Sammlertätigkeit sowie der Austausch zwischen dem Kronprinzen-Palais und den Sammlern gehörten damit der Vergangenheit an.
Der Einfluss der Museen auf die Privatsammlungen Die hier skizzierte Vielfalt der Bestände in den Berliner Museen hatte die Hauptstadt des Reiches während der Kaiserzeit und der Weimarer Republik auch zur bedeutendsten Kulturmetropole Deutschlands aufsteigen lassen. Die Sammlungsgeschichte der Museen veranschaulicht aber auch sehr eindringlich, dass die Qualität und Fülle der Sammlungen nicht ohne das Zutun mäzenatischer Privatsammler erreicht worden wäre. Durch ihre Hilfe wurden die Bestände der Museen maßgeblich erweitert. Sei es, dass sie finanzielle Mittel zur Verfügung stellten, um damit Kunstwerke für die Museen anzukaufen, sei es durch Leihgaben oder durch großzügige Vermächtnisse. Seit Beginn der Königlichen, später der Staatlichen Museen waren die Museumsdirektoren auf die Freigiebigkeit der Privatsammler dringend angewiesen. Bode sicherte sich deren Unterstützung, indem er sie mit fachlicher Kompetenz beriet und Sonderausstellungen aus Privatbesitz organisierte. Auch Justi stellte Kunstwerke aus Privatsammlungen aus, um die mannigfaltigen Sammlungen der Öffentlichkeit zu präsentieren, aber auch, wie schon Bode, um dem Repräsentationswillen der Sammler entgegenzukommen. Allerdings war Justi in weit stärkerem Maße als Bode auf private Leihgaben angewiesen, ohne die es ihm kaum möglich gewesen wäre, die Dauerund Sonderausstellungen mit repräsentativen Kunstwerken der zeitgenössischen Künstler zu bestücken. U m eine Erweiterung der Museumsbestände bei knappen Kassen zu fördern, war daher die Pflege der guten Beziehungen zu den Kunstsammlern unabdingbar. Anders als noch in der Kaiserzeit, in der durch einige großzügige Vermächtnisse bedeutende Zuwächse für die Sammlungen zu verzeichnen waren, übergaben die Sammler der Weimarer Republik den Museen meist nur kleine Stiftungen. 44 Der Einfluss der Museumsdirektoren
41 Rave, 1949, S. 53. Eine vollständige Auflistung aller in der Nationalgalerie im Jahre 1937 beschlagnahmten Werke ist dort verzeichnet. Vgl. ebd., S. 82 f. 42 Zu den Aktionen „entarteter Kunst" vgl. insbesondere Zuschlag, 1995. Darüber hinaus beispielsweise Engelhardt, 2006 (Ankündigung des Akademie Verlags); Hüneke, 1999; Entartete Kunst, 1992; Janda, 1988 und Strauß, 1948, S. 5 3 - 6 0 . 43 Rave, 1992, S. 91. 44 Lidtke, 1993, S. 222.
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II. Der Kunsthandel in Berlin
auf das Entstehen neuer Privatsammlungen lässt sich jedenfalls eindrücklich an den Berliner privaten Beständen beider Generationen ablesen. b) Privatsammlungen Während für die Zeit des Kaiserreiches bereits eine Reihe von Publikationen zur privaten Sammlertätigkeit in Berlin vorliegt, steht eine derartige Studie für die Zeitspanne der Weimarer Republik und der NS-Zeit noch aus. Die kürzlich erschienene Studie über die Kunstsammler der Kaiserzeit untersucht das unterschiedlich motivierte Kunstinteresse der reichen Unternehmer, der Aristokratie, der jüdischen Bürger und der Kunstsammlerinnen.45 Darin werden ebenso die Schwerpunkte der Berliner Privatsammlerkultur beschrieben wie die Entwicklung von der anfänglichen Vorliebe für exklusive Sammlungen alter Kunst hin zur Öffnung für die Werke der internationalen Moderne. Gerade mit dem letztgenannten Aspekt und dem Entstehen neuer Sammlungen, deren Interesse Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts vorrangig der französischen Moderne galt, beschäftigten sich in der Vergangenheit verschiedene Beiträge.46 Im Rahmen eines Forschungsprojektes wurde die mit der Sammeltätigkeit eng verknüpfte Bedeutung des Mäzenatentums seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Berlin untersucht.47 Die wichtigsten Quellen zur Erschließung der Thematik stellen zeitgenössische Berichte in Kunstzeitschriften sowie Ausstellungs-, Sammlungs- und Auktionskataloge dar. Diese Publikationen, die in jenen Jahren häufig in Form von aufwändig gestalteten Katalogen von Kunsthistorikern wie Wilhelm von Bode und Max Friedländer veröffentlicht wurden, waren sowohl für die damaligen als auch für die heutigen Kunstwissenschaftler von Wichtigkeit:48 damals für die Schätzung des Wertes eines Kunstgegenstandes oder einer gesamten Kollektion und heute für die Untersuchung des sozialhistorischen Phänomens des Sammeins. Grundlagenforschungen wie sie für die Kaiserzeit bereits in einem größeren Umfang vorliegen, sind für die Jahrzehnte bis 1945 noch nicht vorhanden, um ein weiteres Kapitel zur 45 Kuhrau, 2005. 46 Uber Berliner Sammler und ihre Sammlungen siehe etwa: Die Moderne und ihre Sammler, 2001; Mai und Paret, 1993; Sammler der frühen Moderne, 1988 und Teeuwisse, 1987. Zu Hamburger Sammlern liegen bereits umfassende Studien vor. Vgl. Private Schätze, 2001 und Bruhns, 2001, Kunst in der Krise. 47 Das Projekt zum Mäzenatentum entstand an der Freien Universität Berlin unter der Leitung des in Berlin und Paris lehrenden Kunsthistorikers Prof. Dr. Thomas W. Gaehtgens sowie den beiden Historikern Prof. Dr. Jürgen Kocka, Professur für Geschichte der industriellen Welt an der Freien Universität und Prof. Dr. Reinhard Rürup, Neuhistoriker an der Technischen Universität. Vgl. Gaehtgens und Schieder, 1998; Gaehtgens, Kocka und Frey, 1998 und Meyer, 1998. In der Reihe wird sowohl der Begriffswandel des Mäzens seit dem 19. Jahrhundert thematisiert als auch die scheinbare Uneigennützigkeit von Stiftern der wilhelminischen Epoche diskutiert. Der dritte Band bietet eine Fallstudie über den Verein der Freunde der Nationalgalerie von 1929 bis heute. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls die Studie über das Mäzenatentum in Berlin von Günther und Waltraut Braun zu erwähnen. Vgl. Braun, 1993. 48 Beispielsweise wurde für die Versteigerung der hervorragenden Sammlung von Rudolph Kann, die 1907 in Paris stattfand, ein vierbändiger Katalog von Bode erstellt. Vgl. Bode, 1907.
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Geschichte des Kunstsammelns in Berlin zu schreiben. Im Folgenden soll ein Überblick über die Sammeltätigkeit in Berlin gegeben werden, der den Ausgangspunkt für weitere Überlegungen zum Kunsthandel der Weimarer Republik und der NS-Zeit bietet.
Der Kreis um Wilhelm von Bode: Sammler von Altmeistergemälden Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches, der mit den so genannten Gründerjahren ein kurzfristiger wirtschaftlicher Aufschwung folgte, setzte unter den wohlhabenden Bürgern eine intensive Sammeltätigkeit ein. 49 Die meisten Berliner Sammler trugen zunächst nicht gezielt Gemälde- oder Skulpturensammlungen zusammen, sondern statteten ihre Villen mit Kunst aus. Sie integrierten die Kunstwerke in das Wohninterieur und richteten häufig Räume im Stil einer Epoche ein. Derartig gestaltete Villen glichen oft mehr Museen als Wohnungen, da die Stileinheit der Einrichtung über persönliche Vorlieben ging. Dem Hausherrn diente ein solches Wohnensemble in erster Linie der Repräsentation wirtschaftlichen Erfolgs und gesellschaftlicher Stellung. Zahlreiche Kunstsammler favorisierten die italienische Renaissance, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als kulturelles Ideal galt. Daneben gab es Sammler, die sich auch oder sogar vorwiegend der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts widmeten. Diese konnte auf eine lange Tradition in der Sammelpraxis der Berliner Museen zurückblicken, die zugleich eine Vorbildfunktion für die Privatsammler besaß. Auch in der zeitgenössischen Fachliteratur wurde dieser Aspekt thematisiert. Als James Simon, der herausragendste unter Bodes Sammlern, 1932 starb, hatte dieser nicht nur eine ausgezeichnete Sammlung mit Renaissancewerken, sondern auch viele holländische Arbeiten des 17. Jahrhunderts zusammengetragen. Im Nachruf zum Tod von Simon wurde in Bezug auf Bode hervorgehoben, dass „ihre Kunst [die niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts] keinem andern [sie] mehr verdanke, als dem Berliner Museumsleiter". 50 Max Friedländer, Bodes Assistent und ein Spezialist für niederländische Malerei, trug durch seine wissenschaftlichen Arbeiten ebenfalls zur großen Beliebtheit dieser Gattung unter den Sammlern bei. Dies sind wichtige Faktoren, die erklären, wieso das Hauptgewicht des Berliner Kunstmarktes über Jahrzehnte auf der niederländischen Kunst lag. U m die Kultur des Sammeins zu fördern und die Öffentlichkeit mit den Schätzen aus privaten Sammlungen vertraut zu machen, veranstaltete Bode seit 1883 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges mehrfach Ausstellungen mit einer Auswahl der hervorragendsten Arbeiten aus Berliner Privatbesitz. 51 Diese Sonderausstellungen waren gleichzeitig Ausdruck des engen Verhältnisses zwischen dem Museumsdirektor und den Privatsammlern wie beispielweise Oskar Hainauer sowie James und Eduard Simon. 52 Hainauer hatte bereits seit den 1870er Jahren begonnen, seinen Kunstbesitz aufzubauen, wobei er sich auf die italienische Renaissance konzentriert hatte. 53 Die Sammlung wurde 1906 von seiner Witwe über die Londoner Galerie Duveen komplett nach Amerika verkauft und daher nicht auf dem 49 Für das Folgende Gaehtgens, 1993. Zur Persönlichkeit von Bode vgl. Gaehtgens und Paul, 1997. 50 Donath, 1932. 51 1883 fand die erste Ausstellung aus Berliner Privatbesitz statt, der 1898 eine weitere Ausstellung folgte. Vgl. Gemälde älterer Meister, 1883; Ausstellung von Kunstwerken des Mittelalters, 1898. 52 Zu Bode und den Berliner Privatsammlern vgl. Paul, 1993. 53 Für das Folgende ebd., S. 51 f.
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II. Der Kunsthandel
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Berliner Markt angeboten. Der Schwerpunkt der Sammlung von Eduard Simon lag auf italienischen und niederländischen Gemälden des 15. und 16. Jahrhunderts, ergänzt durch Skulpturen, Möbel und Kunstgewerbe verschiedener Epochen. Bereits in der zeitgenössischen Literatur fand sein Kunstbesitz eine positive Beachtung.54 Als sein Nachlass 1929 aus wirtschaftlichen Gründen beim Berliner Auktionshaus Cassirer & Helbing zur Versteigerung kam, bedauerten Fachleute die Auflösung dieses einzigartigen Besitzes. Friedländer schrieb: „Um die Privatsammlungen alter Kunst in Deutschland und namentlich in Berlin steht es schlimm [...]", da der überwiegende Teil solcher Sammlungen von finanzkräftigen Sammlern und Kunsthändlern aus Amerika erworben wurde und damit der deutschen Öffentlichkeit verloren ging.55 James Simon, der bedeutendste Förderer der Berliner Museen, hatte bereits 1904 seine reiche Sammlung an Malerei und Skulptur der Renaissance zur Eröffnung des Kaiser-Friedrich-Museums gestiftet.56 Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war Simon jedoch aufgrund der wirtschaftlichen Situation gezwungen, seine Niederländer-Sammlung zu versteigern, die weitestgehend vom amerikanischen Kunsthandel aufgekauft wurde. Seinen Besitz an altdeutscher Kunst schenkte er hingegen 1920 der Gemäldegalerie. Als er 1932 verstarb, gelangte sein Nachlass, der neben Plastiken und Kunstgewerbe immer noch eine beachtliche Anzahl an Gemälden umfasste, darunter überwiegend niederländische, durch das Auktionshaus Lepke auf den Berliner Markt. 57 Die erste von Bode initiierte Ausstellung mit Werken aus Privatbesitz hatte neben der Bekanntmachung der Bestände auch eine Signalwirkung für die Entstehung weiterer Privatsammlungen: Im Laufe der 1880er Jahre nahm die Zahl der Kollektionen in Berlin rasch zu. 58 In einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne entstanden beispielsweise die Sammlungen von Adolph von Beckerath, Richard von Kaufmann, Benoit Oppenheim, Karl von der Heydt, Oscar Huldschinsky, Carl von Hollitscher, Marcus Kappel, Rudolf Mosse, Adolph vom Rat, Franz und Robert von Mendelssohn, Otto Gerstenberg und Paul Davidsohn. 59 Auch in dieser unvollständigen Form spricht die Liste von dem Aufschwung, den die private Sammlertätigkeit innerhalb kürzester Zeit genommen hatte. Die damals entstandenen Kollektionen wiesen eine große Vielfalt an Kunstgattungen und Epochen auf. Bei aller Reichhaltigkeit der Berliner Sammlungen lag jedoch der Schwerpunkt auf den niederländischen Gemälden des 17. Jahrhunderts, denn diese, so Friedländer, überwogen „zumeist in deutschen Privatgalerien".60 Auch die von Bode 1922 publizierten Betrachtungen über die älteren Privatsammlungen in Berlin bestätigen dieses Bild. 61 So hatte Richard von Kauf54 Beispielsweise Anonym, Die Sammlung Eduard Simon. Zur Auktion bei Cassirer-Helbing in Berlin, in: Der Kunstwanderer,
11. Jg., 1929, 1./2. Septemberheft, S. 24.
55 Friedländer, 1929. 56 Girardet, 1982. 57 Auk.kat. Nachlass Sammlung James Simon: Gemälde, Miniaturen, Plastiken, Kunstgewerbe, Schmuck, Möbel, Bücher, durch Lepke, am 29.11.1932, Kat. 2059. Erwähnt bei Anonym, Der Nachlass James Simon, in: Der Kunstwanderer,
14. Jg., 1932, Septemberheft, S. 323 ff. und Fried-
länder, 1932. 58 Für das Folgende Bode, 1922. 59 Zu den Berliner Sammlern Ende des 19. Jahrhunderts bis etwa 1914 vgl. Donath, 1929. 60 Friedländer, 1932, S. 357. 61 Bode, 1922.
1. Berliner Sammlungen im Überblick
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mann ganz im Sinne Bodes eine umfangreiche Sammlung an italienischen, niederländischen und deutschen Gemälden zusammengetragen, in denen zahlreiche bedeutende Künstler vertreten waren. Komplettiert wurde der Bestand durch Plastiken aus Italien und Kunstgewerbe aus Deutschland. Als Kaufmann im Jahre 1917 verstarb, gelangte der Kunstbesitz, der von Friedländer in drei Bänden katalogisiert wurde, durch Cassirer & Helbing erneut auf den Berliner Kunstmarkt. 62 Der Bankier von der Heydt, der seit Mitte der 1880er Jahre in Berlin tätig war, kaufte mit der Unterstützung Bodes vorwiegend bedeutende niederländische und flämische Meister. 63 Nach seinem Tod im Jahr 1922 verkaufte die Galerie van Diemen die Sammlung. 64 Beckerath hatte im Vergleich zu den anderen Sammlern zumeist Majoliken, Bronzen und italienische Bildwerke zusammengetragen, die, so Bode, allerdings nicht immer von hoher Qualität waren, da dieser häufig gegen dessen Rat Objekte gekauft hatte. 1916 wurde auch dieser Besitz versteigert. 65 Huldschinsky hatte ab den 1890er Jahren unter der dezidierten Anleitung Bodes eine umfangreiche Sammlung von höchst anspruchsvollen alten Meistern zusammengetragen, vor allem Werke der italienischen Renaissance, des holländischen 17. und des französischen 18.Jahrhunderts sowie antike Möbel. 66 Huldschinsky erwarb die Kunstobjekte sowohl für die Ausstattung seiner Villa als auch als Investitionsanlage. Bereits 1928 musste er jedoch den größten Teil seines Kunstbesitzes bei Cassirer & Helbing veräußern. Diese Auktion war aufgrund der ausgezeichneten Kunstwerke bereits im Vorfeld auf viel Interesse in Berlin und im Ausland gestoßen. 67 Nach seinem Tod kam es 1931 auch zur Versteigerung der niederländischen Handzeichnungen.68 Marcus Kappel, der auf Anregung Adolph Thiems, des „Senior[s] unter den Berliner Sammlern", zunächst Werke von Menzel sammelte, erwarb später - wie sein Mentor - vorrangig holländische und flämische Arbeiten. 69 Ursprünglich hatte Kappel beabsichtigt, seine außergewöhnliche Sammlung, die mit Hilfe Bodes entstanden und von diesem 1914 katalogisiert worden war, dem Kaiser-Friedrich-Museum zu vermachen. Aufgrund der Weltwirtschaftskrise war ihm dies jedoch nicht mehr möglich gewesen; 1930 musste auch er seinen Bestand auf dem Berliner Kunstmarkt versteigern. 70 Das gleiche Schicksal ereilte die Kupferstichsammlung von Paul Davidsohn, die damals größte in deutschem Besitz. Sie musste während der Inflationszeit aus wirtschaftlichen Gründen aufgelöst werden. 71 Auch 62 63 64 65
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Auk.kat. Die Sammlung Richard von Kaufmann, Berlin, durch Cassirer & Helbing, am 4.12.1917. Bode, 1922, S. 8. Donath, 1929, S. 293. Auk.kat. Sammlung A. v. Beckerath, 1. Teil: Keramik, Holz, Gemälde, Textilien, Metall, Kupferstiche, durch Lepke, am 23.-26.5.1916, Kat. 1755 und 2. Teil: Buchminiaturen, Rahmen, Kunstgewerbe, ebd., am 20./21.11.1916, Kat. 1765. Paul, 1993, S. 52-54 und Bode, 1922, S. 8. Auk.kat. Die Sammlung Oscar Huldschinsky, durch Cassirer Sc Helbing, am 10./11.5.1928. Auk.kat. Die Zeichnungs-Sammlung Oskar Huldschinsky (gestr.), Berlin: Handzeichnungen niederländischer Meister des 17. Jahrhunderts, durch Graupe, am 3.11.1931. Bode, 1923, S. 59. Auk.kat. Sammlung M. Kappel: Gemälde, Miniaturen, Kunstgegenstände, durch Cassirer & Helbing, am 25.11.1930. Auk.kat. Sammlung Paul Davidsohn: Kupferstiche alter Meister, 1.-3. Teil, durch Boerner, vom 3.-8.5.1920 (1. Teil), 22.-26.11.1920 (2. Teil) und 26.-29.4.1921 (3.Teil).
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die qualitativ hochstehende Sammlung des Publizisten Victor Hahn wurde durch die Versteigerung bei Graupe im Jahre 1932 verstreut. 72 Diese erst wenige Jahre zuvor in zwei aufwändigen Katalogen von Adolph Donath publizierte Kollektion beinhaltete neben herausragenden italienischen und niederländischen Gemälden des 14. bis zum 17.Jahrhundert Bronzearbeiten und Renaissancemöbel. 73 Den beispielhaft genannten Privatsammlungen ist gemeinsam, dass sie in erster Linie wegen der wirtschaftlichen Not infolge des Ersten Weltkrieges beziehungsweise der Weltwirtschaftskrise aufgelöst werden mussten und ein Großteil der Kunstwerke nach Amerika abwanderte. Damit gingen die in jahrzehntelanger Sammlertätigkeit gewachsenen Sammlungen mit ihren beeindruckenden Objekten Berlin verloren.
Die Sammler der Weimarer Republik Ähnlich wie Bode während der Kaiserzeit kam Ludwig Justi während der Weimarer Republik die Rolle des Beraters für die neuen Sammler zu. Die Voraussetzung zur Blütezeit des Berliner Kunstlebens während der 1920er Jahre hatten dabei diejenigen geschaffen, die sich bereits in der wilhelminischen Zeit der Moderne zuwandten. Zu diesen zählten unter anderen Eduard Arnhold, Harry Graf Kessler, Max Liebermann, Eduard von der Heydt sowie Alfred Sommerguth und Julius Freund, die erst in den letzten Jahren durch die jüngsten Forschungsergebnisse ins Bewusstein zurückgeführt wurden. 74 Arnhold, Inhaber eines Kohlenimperiums, hatte sich anfangs den alten Meistern zugewandt und in seiner Sammeltätigkeit den Schwerpunkt auf die französischen Impressionisten und deutsche Künstler des ausgehenden 19. Jahrhunderts gelegt, unter denen vor allem Arbeiten von Liebermann vertreten waren. 75 Bereits zu Lebzeiten war sein 250 Gemälde und etwa 70 moderne Skulpturen umfassender Kunstbesitz, der zu den größten und bedeutendsten privaten Sammlungen moderner Objekte in Deutschland gehörte, der Öffentlichkeit zugänglich. Als der Unternehmer 1925 verstarb, gab seine Witwe den Bestand zu Forschungszwecken in die Nationalgalerie. Den Krieg überdauerte allerdings nur ein kleiner Teil der Kunstwerke. Der Diplomat Harry Graf Kessler hatte zwischen 1895 und 1914 eine Sammlung mit rund 150 modernen Werken gekauft, die er zumeist von Künstlern erwarb, die er persönlich kannte. 76 Auch er musste die Sammlung ab 1930 weitestgehend verkaufen. Großer Beachtung erfreute sich ebenfalls der Bestand an älterer und zeitgenössischer Kunst von Liebermann, der neben deutscher Malerei des 19. Jahrhunderts maßgeblich französische Impressionisten sammelte. 77 Der Bankier Baron Eduard von der Heydt hatte eine einzigartige Sammlung moderner Kunstwerke erworben, die auch Ostasiatika beinhaltete. 78 Der Tabakfabrikant Sommerguth besaß eine kostbare Sammlung von mehr als einhundert Gemälden deutscher Künst72 Auk.kat. Die Sammlung Victor Hahn, Berlin, Gemälde, Skulpturen, Möbel, Bronzestatuetten, Textilien vom 15.-18. Jahrhundert, durch Graupe, am 27.6.1932. 73 Donath, 1926. 74 Beispielsweise vgl. Die Moderne und ihre Sammler, 2001. 75 Zu Arnhold vgl. Dorrmann, 2002. 76 Zu Kessler vgl. Walter, 2001. 77 Zu Liebermann vgl. Teeuwisse, 1987, S. 23. 78 Zu von der Heydt vgl. Köhler, Maruhn, Senger und Wolsdorff, 1996, S. 84 und Brühl, 1991, S. 165.
1. Berliner Sammlungen im Überblick
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ler des 19. Jahrhunderts.79 Bevor das jüdische Ehepaar Sommerguth 1939 vor den Nationalsozialisten nach Kuba floh, musste es seinen Kunstbestand durch das Auktionshaus Lange verkaufen.80 Der jüdische Kaufmann Julius Freund aus Berlin, der primär deutsche Romantiker und Handzeichnungen des 19. Jahrhunderts gesammelt hatte, konnte zwar seinen Kunstbesitz mit in die Emigration nehmen. Nach seinem Tod wurde jedoch der mehrere hundert Objekte umfassende Bestand 1942 in der Galerie Fischer in Luzern versteigert.81 Diese Wegbereiter zur Moderne sammelten allerdings noch keine expressionistischen Arbeiten. Vorbehalten blieb dies der neuen Sammlergeneration. Das Entstehen solcher Bestände ist vor allem durch die Wirtschaftslage zu begründen, da zahlreiche über Jahrzehnte gewachsene Kollektionen aus finanziellen Gründen verkauft werden mussten, die aufgrund des Währungsverlustes der Mark jedoch nicht von deutschen, sondern ausländischen Sammlern gekauft wurden. Demgegenüber waren zeitgenössische Kunstwerke noch zu relativ geringen Preisen zu erwerben, was insbesondere das Entstehen moderner Sammlungen begünstigte. Ins öffentliche Bewusstsein traten die Berliner Privatsammler von modernen Kunstwerken, als Justi mit deren Beständen zwei Ausstellungen im Jahr 1928 in der Nationalgalerie durchführte. So nahmen in der „Ausstellung neuerer deutscher Kunst aus Berliner Privatbesitz" 59 und in der „Zweiten Ausstellung deutscher Nach-Impressionistischer Kunst aus Berliner Privatbesitz" 136 Kunstsammler teil.82 In der Liste der damaligen Leihgeber fallen einige Sammler wie Max Leon Flemming, Bernhard Koehler, Markus Kruss, Eduard Plietzsch, Hugo Simon und Robert Graetz auf, die mit mehreren Leihgaben vertreten waren. Die beiden Ausstellungen des Jahres 1928, die sich im April vorwiegend den Expressionisten und im Juli der Neuen Sachlichkeit und dem Realismus widmeten, vermittelten aufgrund der großen Zahl der vertretenen Künstler eine charakteristische Übersicht über die Kunstströmungen der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit. Die Sammlung des Berliner Großindustriellen Bernhard Koehler, die dieser innerhalb weniger Jahre bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges zusammengetragen hatte, umfasste mehrere hundert Gemälde, Aquarelle, Graphiken und Skulpturen.83 Koehler hatte zunächst Werke der deutschen und französischen Impressionisten erworben. Nachdem er Bekanntschaft mit August Macke geschlossen hatte, erweiterte sich sein Sammlungsspektrum um avantgardistische Werke. Sein Kunstbesitz galt vor 1914 als der früheste und umfassendste der Moderne in Berlin. Bis 1945 war die Sammlung nahezu vollständig erhalten geblieben bis sie im Februar des Jahres durch Kriegseinflüsse bis auf etwa einhundert Kunstwerke zerstört wurde. Nach Kriegsende erfolgte der Abtransport in die Sowjetunion. Der Berliner 79 Zu Sommerguth vgl. Levi, 2003. 80 Auk.kat. Berliner Privatsammlung: Gemälde, Gouachen, Aquarelle und Handzeichnungen von Menzel; Gemälde deutscher Meister des 19. Jahrhunderts, durch Lange, am 7.2.1939. 81 Auk.kat. Sammlung Freund, durch Fischer, am 21.3.1942. 82 Die Ausstellungen fanden im April und im Juli 1928 statt. 83 Zu Koehler die Aufsätze von Silvia Schmidt-Bauer. Vgl. Schmidt-Bauer, 2001; dies., 1999; dies., 1995 und dies., 1988. Ferner die nicht veröffentlichte Magisterarbeit über den Sammler. Vgl. Rosenbaum, 2004.
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II. Der Kunsthandel in Berlin
Kaufmann Markus Kruss begann um 1916/1917 auf Anregung des Essener Museumsdirektors Ernst Gosebruch mit dem Sammeln von expressionistischen Kunstwerken.84 Früher erworbene Gemälde der Sezessionisten verkaufte er, um sich ausschließlich den BrückeKünstlern zu widmen. Es war eine außergewöhnliche Entscheidung, sich von bereits anerkannten Kunstwerken zugunsten von noch kaum beachteten zu trennen. Seine Sammlung stellte er dabei nicht nach kunsthistorischen Prinzipien zusammen, sondern erwarb nur, was ihm gefiel.85 Bemerkenswert ist zudem der Umstand, dass Kruss ausschließlich Werke von Nolde, Heckel, Schmidt-Rottluff und Kirchner in seine Kollektion aufnahm. Ende der 1920er Jahre beendete er seine Sammlertätigkeit. Der Kunstbesitz überstand die NS-Zeit und befindet sich seit 1962 als Stiftung von Kruss in der Staatsgalerie der modernen Kunst in München. Das Interesse Curt Glasers, des Direktors der Kunstbibliothek, galt dagegen in erster Linie Werken von Edvard Munch; in den 1920er Jahren besaß er die meisten MunchBilder in einer Berliner Privatsammlung.86 Nach der „Machtergreifung" der Nationalsozialisten und seiner Entlassung aus dem Dienst emigrierte er mit einem Teil seiner modernen Kunstwerke in die Schweiz.87 Der Bankier Hugo Simon engagierte sich vorwiegend für die Werke der Β rücke-Künstler und von Kokoschka sowie von Cezanne, Picasso und Braque.88 Da er bereits 1933 emigrierte, konnte er seine Kunstsammlung mitnehmen. Während seines Exils in Frankreich versuchte er Teile davon zur Sicherung seines Unterhaltes zu verkaufen. Auch der Textilfabrikant Graetz erwarb eine stattliche Anzahl von Arbeiten der BrückeKünstler und darüber hinaus von Liebermann und Corinth sowie Skulpturen von Gaul und Sintenis. Der Verbleib des größten Teils seines Kunstbesitzes während der NS-Zeit ist bisher ungeklärt. Für die beiden Ausstellungen hatte Justi ausschließlich Gemälde und Skulpturen der expressionistischen Strömungen verwendet, die zudem alle aus Privatbesitz kamen. Aufgrund knapper Kassen für die Erwerbungen von Kunst hatte Justi verstärkt auf langfristige Leihgaben für die Nationalgalerie und das Kronprinzen-Palais aus Sammler- und Künstlerkreisen zurückgegriffen.89 In beiden Sonderschauen zeigte er je etwa 200 Arbeiten. Im April waren Sammler wie Koehler, Kruss oder Simon mit jeweils bis zu 20 Objekten vertreten. Im Juli, als nahezu dreimal so viele Sammler ihren Besitz ausstellten, waren sie daher meistens nur mit ein bis drei Objekten vertreten. Dass trotz der Fülle nur ein kleiner Bruchteil der in Berlin vorhandenen modernen Werke aus Privatsammlungen ausgestellt wurde, erwähnte Justi dezidiert im Ausstellungskatalog zur April-Ausstellung. 90 Es wäre für zukünftige Forschungen zur Sammlungsgeschichte in Berlin von großem Interesse, gerade im Hinblick auf die junge Disziplin der Provenienzforschung, die Zusammensetzung dieser Sammlungen und den Verbleib der Gemälde und Skulpturen zu untersuchen. Darüber hinaus könnte eine detaillierte Studie über die zeitgenössischen Sammlungen in der Weimarer Republik Ergeb84 85 86 87 88 89 90
Zu Kruss vgl. Dube, 1993 und Söntgen, 1988. Henze, 1999, S. 109. Zu Glaser vgl. Schmidt-Burkhardt, 1988. Tisa Francini, Heuß und Kreis, 2001, S. 40 und S. 168f. Zu Simon vgl. ebd., S. 171-179. Roters, 1993, S. 93. Justi, 1928, April, S. 7.
1. Berliner Sammlungen
im
Überblick
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nisse bringen, inwieweit moderne Kunst tatsächlich eine Domäne der jüdischen Sammler gewesen ist oder ob sie nicht vielmehr bevorzugt von der neuen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges entstandenen Sammlergeneration erworben wurde - unabhängig davon, ob die Sammler jüdisch oder nichtjüdisch waren.91 Berliner Sammlungen
auf dem Kunstmarkt:
Überblick
Der seit den 1910er Jahren begonnene, durch wirtschaftliche Aspekte bedingte Ausverkauf der Sammlungen erhielt mit der „Machtergreifung" der Nationalsozialisten eine neue, ethnische Dimension, da an erster Stelle jüdische, aber auch andere Bürger betroffen waren, die sich zur Emigration entschlossen hatten. Zu diesen Sammlern zählten beispielsweise Max Alsberg, Herbert Gutmann, Rudolf Mosse, Fritz Gugenheim, Rolf Seloni, James von Bleichröder, Max Steinthal, Wolfgang Zorer, Jakob Goldschmidt, Alexander Prentzel und Margarete Oppenheim. Diese Sammlungen beinhalteten Altmeister, vornehmlich niederländische Arbeiten. Daneben gab es auch Bestände, die andere Schwerpunkte aufwiesen, so im Fall Prentzel mit Gemälden der Romantik und im Fall Oppenheim mit kunstgewerblichen Objekten.92 Mit dem Oppenheim-Kunstbesitz wurde 1936 die letzte Sammlung, die noch mit Hilfe von Bode entstanden war, durch Verkauf aufgelöst.93 Bereits 1934 mussten die Kunstbestände des Direktors der Dresdner Bank, Gutmann, sowie die des Verlegers Mosse aufgrund ihrer jüdischen Herkunft versteigert werden.94 Rudolf Mosse, beziehungsweise nach dessen Tod im Jahre 1921, Hans Lachmann-Mosse, hatten bis zu diesem Zeitpunkt die Sammlung mit niederländischen Gemälden des 17. und deutschen des ^.Jahrhunderts der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.95 Ebenfalls aufgrund seiner jüdischen Herkunft musste 1936 der Textilgroßfabrikant Gugenheim seine Immobilien und seine Gemäldesammlung versteigern, um die Emigration vorzubereiten. Das gleiche Schicksal traf den Generaldirektor Seloni, der 1937 seine Kollektion mit niederländischen Werken des 17.Jahrhunderts verkaufte. 1938 wurden aus dem Nachlass des Bankiers Bleichröder Gemälde älterer und neuerer Meister versteigert.96 1940 und 1941 kamen aus dem Kunst-
91 So vertritt beispielsweise auch Wolfgang Henze die weit verbreitete Auffassung, dass die bedeutenden expressionistischen Privatsammlungen von jüdischen Sammlern zusammengetragen wurden. Belegt wird seine Äußerung allerdings mit einigen Sammlern, die eindeutig nichtjüdisch waren, wie Eduard von der Heydt, Wuppertal, und Markus Kruss, Berlin. Vgl. Henze, 1999, S. 98. 92 Auk.kat. Die Sammlung Geheimrat P., Berlin: Deutsche Meister des 19. Jahrhunderts, durch Lange, am 12.5.1942 und Auk.kat. Kunstgegenstände und Bilder der Sammlung Frau Margarete Oppenheim, durch Böhler, vom 18.-20.5.1936. 93 Anonym, Die Sammlung Oppenheim, in: Weltkunst, 10. Jg., 26.4.1936, Nr. 17, S. 1 f. 94 Auk.kat. Herbert M. Gutmann: Gemälde aus dem 18 Jahrhundert, Möbel, Silber [...], durch Graupe, vom 12.-14.4.1934 und Auk.kat. Kunstsammlung Rudolf Mosse: Gemälde, Bildwerke, Möbel, Kunstgewerbe, durch Lepke, am 29./30.5.1934, Kat. 2075. 95 Zur Sammlung Mosse vgl. Rosenhagen, 1934. 96 Auk.kat. Villeneinrichtung, Kunstbesitz, Generaldirektor S. (verstr.), Berlin-Grunewald, Hubertusallee 42-44, durch Achenbach, am 10.3.1937 und Auk.kat. Kunstwerke aus dem Nachlass des Herrn Dr. James von Bleichröder, Berlin, und Einzelbeiträge, durch Lepke, am 31.5.1938, Kat. 2123.
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II. Der Kunsthandel
in Berlin
besitz Zorer und dem des Bankiers Goldschmidt niederländische Gemälde des 17. Jahrhunderts auf den Kunstmarkt.97 Die Romantikersammlung von Geheimrat Prentzel wurde schließlich 1942 veräußert. Diese Auswahl, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, unterstreicht die deutliche Tendenz zu niederländischen Meistern in den Berliner Privatsammlungen, trotz der zahlreich vorhandenen modernen Sammlungen. Während in der Kaiserzeit und zum Teil noch in der Weimarer Republik die versteigerten Kunstbestände in den Fachzeitschriften häufig ausführlich besprochen wurden, war dies während der NS-Zeit kaum der Fall. Nur bei außergewöhnlich bedeutenden Beständen wie der Hamburger Kunstgewerbesammlung von Emma Budge, die 1937 bei Graupe in Berlin verkauft wurde, widmete sich die Presse einem solchen Ereignis. Ansonsten besprach sie die Versteigerungen vorwiegend summarisch und bezeichnete die Sammlungen oft allgemein als „Privatbesitz" oder mit Initialen. Dieser Umstand erschwert es, einen Uberblick über Berliner Sammlungen zu geben. Darüber hinaus liegen bisher kaum neuere Einzelbeiträge zum Kunstbesitz dieser Zeitspanne vor.98 Auch wurden moderne Kunstwerke während der NS-Zeit in den wenigsten Fällen in Versteigerungen verkauft. Ausnahmen gab es wie im Fall der Breslauer Sammlung Ismar Littmann, die im Februar 1935 bei Max Perl in Berlin zur Versteigerung kam. 99 In der Regel wurden zeitgenössische Werke über Kunsthandlungen oder im Geheimen verkauft, da es ab 1933 keinen Markt für moderne Kunst mehr gab. So ist beispielsweise für den Dresdner Galeristen Heinrich Kühl überliefert, dass dieser Arbeiten moderner Künstler in einem Hinterzimmer seines Geschäftes verkaufte.100 Im Rahmen dieser Arbeit würde es zu weit führen, die einzelnen Berliner Privatsammlungen, die während der NS-Zeit verkauft werden mussten, im Hinblick auf ihre Entstehung zu überprüfen. Dieses Desiderat bleibt zukünftigen Forschungen vorbehalten.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel a) Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik Die Anfänge seit Mitte des 19.
Jahrhunderts
Zwischen 1871 und 1914 erlebten das Kunstsammeln und der Kunsthandel in Berlin einen bisher nicht gekannten Boom.101 Die Hauptstadt des deutschen Kaiserreiches entwickelte sich zur führenden Kunstmetropole Deutschlands und löste um 1900 die bis97 Auk.kat. Sammlung Wolfgang Zorer (verstr.), Berlin, verschiedener Kunstbesitz, durch Lange, am 5./6.4.1940 und Auk.kat. Gemälde und Kunstgewerbe aus der ehemaligen Sammlung J.G., Berlin; verschiedener Kunstbesitz, durch Lange, am 25.9.1941. 98 Im Jahre 2004 wurde ein Konvolut von 60 Kunstwerken aus der Sammlung des Berliner Bankiers Max Steinthal entdeckt, der die Deutsche Bank gegründet hatte. Vgl. Schubert, 2004. 99 Heuß, 1998, Littmann. Versteigert wurde allerdings nur ein Bruchteil der einst rund 3000 Gemälde und Graphiken umfassenden Sammlung. 100 Götz, 1983, S. 201. 101 Zur Entstehung des deutschen Kunstmarktes in den Jahren 1840 bis 1923 vgl. Lenman, 1993.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
31
herigen wichtigen Kunsthandelsstädte München, Frankfurt am Main, Köln, Hamburg, Leipzig und Düsseldorf ab. Während es Anfang des 19. Jahrhunderts bereits bedeutende Kunsthandlungen wie Boerner und Weigel in Leipzig, Prestel in Frankfurt am Main, Arnold in Dresden und Commeter in Hamburg gab, war der Kunsthandel in Berlin um die gleiche Zeit sehr bescheiden. In Berlin etablierte sich erst mit einer Verzögerung von einem halben Jahrhundert in den 1850er und 1860er Jahren eine Reihe von SpezialVersteigerern für verschiedene Kunstgebiete. Das erste Kunstauktionshaus in Berlin wurde im Jahr 1853 von Rudolph Lepke gegründet, dessen Eröffnungsauktion sich Kupferstichen von Daniel Chodowiecki widmete. 102 Bis zu diesem Zeitpunkt waren Kunstauktionen in Berlin unbekannt. Ab den 1860er Jahren trat Lepke häufig als „Auctionator für Kunstsachen" auf. Da Lepke in den Anfangsjahren kein festes Auktionshaus besaß, fanden die Versteigerungen in verschiedenen Lokalitäten Berlins statt. Charakteristisch für diesen Zeitraum war das Versteigern von Werken lebender Künstler. Dies wurde in den späteren Jahrzehnten in wesentlich reduzierterem Umfang fortgeführt. In der Weimarer Republik dann wurden Kunstwerke lebender Künstler nahezu ausschließlich über Kunsthandlungen verkauft; Versteigerungen zeitgenössischer Kunstwerke gab es dagegen fast gar nicht. Wilhelm von Bode, der kein Verfechter der modernen Kunst war, äußerte sich rückblickend auf diese Anfangsjahre bei Lepke: „Der Markt in Berlin beschränkte sich, da fremde Kunsthändler kaum hierher kamen, im Wesentlichen auf die Lepke'schen Kunstauktionen, die damals herzlich unbedeutend waren." 1 0 3 Einmal mehr verdeutlicht diese Aussage, wie unwichtig Berlin in diesen Jahren im Vergleich zu den internationalen Kunstmärkten war. Neben dem Verkauf von zeitgenössischen Kunstwerken spielten seit Beginn des Bestehens der Auktionsfirma auch Versteigerungen von Nachlässen hochstehender Berliner Persönlichkeiten eine große Rolle. Dies sollte sich zu einem bedeutenden Segment innerhalb der Auktionsfirma Lepke erweitern, die nicht nur inländische, sondern auch herausragende ausländische Nachlässe zu Versteigerungen nach Berlin zog. Mit wachsendem Wohlstand und der Anhäufung großer Vermögen während der Gründerjahre wurde eine Nachfrage nach Kunst erzeugt, die Berlin im letzten Viertel des ^ . J a h r hunderts einen beachtenswerten Platz sicherte. In diesen Jahren entstanden viele ansehnliche Privatsammlungen, die einen bedeutenden Zustrom von Kunstwerken bedingten. Das Auktionshaus Lepke, das an der positiven Entwicklung des Berliner Kunstmarktes maßgeblich beteiligt war, konnte 1876 in seine erste eigenständige Niederlassung in der Kochstraße 28/29 umziehen. 104 Es war der Beginn einer Periode schneller und erfolgreicher Entwicklung, die einherging mit zahlreichen bemerkenswerten Versteigerungen. Dies äußerte sich auch im Erscheinungsbild des Hauses. Gab es anfangs nur sehr schlichte Kataloge, die lediglich die Kunstwerke auflisteten und keinerlei Abbildungen enthielten, änderte sich dies ab 1878. Aus Anlass der Versteigerung des Nachlasses von Konsul Wagener, der eine Kollektion von Autographen, historischen Dokumenten und modernen Bildern enthielt, erschien der erste Katalog mit einer Lichtdrucktafel. Damit wurde ein Standard gesetzt, der um 1900 zu fulminanten Auktionskatalogen gesteigert wurde. Durch wissenschaftliche 102 Malkowsky, 1912, S. 38. 103 Bode 1922,1. Septemberheft, S. 7f. 104 Für das Folgende Malkowsky, 1912, S. 45.
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II. Der Kunsthandel in Berlin
Expertisen und durch ihre aufwändig gestaltete Form wurden sie zu kostbaren Nachschlagewerken für spätere Generationen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann sich auch das Ausland für den Berliner Kunsthandel zu interessieren. So gelangte 1891 eine bedeutende Amsterdamer Privatgalerie zur Versteigerung, in der vorwiegend französische Kunst vorhanden war. Als im Jahr 1895 der tausendste Katalog des Auktionshauses Lepke erschien, wurden in dieser Versteigerung ausschließlich zeitgenössische Gemälde aus den Sammlungen Max Friedländer und Christian Morgenstern angeboten.105 Rudolph Lepke schrieb im Vorwort, dass in den 1890er Jahren fünfzig Auktionen, anfänglich waren es dreißig, pro Jahr stattfanden. Diesen Erfolg habe das Auktionshaus vor allem dem regen Zuspruch der Sammler und Kunsthändler zu verdanken sowie einer Reihe von königlichen wie städtischen Institutionen. Neben den Fachreferenten aus den Museen, die Expertisen fertigten, verfügte das Kunsthaus selbst über erfahrene Wissenschaftler wie beispielsweise Hans Carl Krüger. Er war Kunsthistoriker und Archäologe und besaß ausgezeichnete Kenntnisse des Kunstgewerbes. Ende des Jahrhunderts handelte das Auktionshaus nicht nur mit Gemälden alter und neuer Meister, sondern auch mit Antiquitäten, Porzellan, antiken Waffen, Kunstgewerbe und Büchern. Zwei glänzende Versteigerungen im Dezember 1899 bildeten eine Art Jahrhundertschluss für die Entwicklung der Firma.106 Die angebotene Sammlung Seeger umfasste Arbeiten der wichtigsten modernen Künstler wie Adolph Menzel, Max Liebermann, Max Klinger, Franz von Stuck und Wilhelm Trübner. Wenige Tage darauf wurde die berühmte Sammlung des schlesischen Herzogs von Sagan mit Werken der modernen deutschen, französischen und holländischen Schulen versteigert. Als sich Rudolph Lepke im Jahr 1900 aus dem Geschäft zurückzog, überließ er seine Firma den beiden Mitarbeitern Dr. Adolf und Gustav Wolffenberg. Die neuen Inhaber hatten zwei erfahrene Experten des Kunstauktionswesens von der alten Firma übernommen, nämlich Krüger und Buttstaedt. Hans Carl Krüger, der als erster die Katalogisierung von Sammlungen nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten durchführte, wirkte vorbildlich für weitere Katalogveröffentlichungen des Hauses Lepke. Aufgrund seines steigenden Ansehens, welches er sich im In- und Ausland in den vergangenen Jahren auf dem Gebiet des Kunstgewerbes errungen hatte, nahmen ihn daher die Wölffenbergs noch im selben Jahr als Teilhaber auf. Zudem symbolisierten die aufwändig gestalteten wissenschaftlichen Kataloge den endgültigen Durchbruch des Kunstmarktes zu kommerziellen Zwecken. Wurden Kunsthändler früher geringschätzig als fliegende Händler angesehen, galten sie nun als angesehene Fachleute, die sowohl Privatsammler als auch Museen mit künstlerisch hochrangigen Kunstwerken belieferten. Zeitgleich mit dem Führungswechsel bei Lepke konnte ein allgemeiner Aufschwung am Kunstmarkt verzeichnet werden. Privatsammler wollten ihre Sammlungen weiter vergrößern und Museen waren bestrebt, ihre Bestände zu komplettieren, um an den Rang internationaler Museen heranreichen zu können. Somit waren Bedingungen vorhanden, die den Berliner Kunstmarkt weiter expandieren ließen. In den folgenden Jahren kamen viele Nachlässe, komplette Privatsammlungen und Kollektionen von einzeln zusammengestellten Kunstwerken zum Angebot. Unter diesen 105 Für das Folgende ebd., S. 48-50. 106 Wilhelm, 1990, S. 134.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
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befanden sich Sammlungen, die weltweite Beachtung fanden wie beispielsweise die Waffensammlung Gimpel, Baden-Baden, die eine der bedeutendsten Sammlungen mittelalterlicher Waffen Deutschlands war. Zu den spektakulärsten Ereignissen zählte die Versteigerung der Prager Sammlung Baron Lanna, die in drei Abteilungen in den Jahren 1910 bis 1911 durchgeführt wurde.107 Dabei handelte es sich um den bedeutendsten Besitz an Kunstgewerbe, Münzen und Kleinplastik des deutschsprachigen Raumes, die Sammler und Händler aus dem In- und Ausland nach Berlin strömen ließen. Krüger, der mit der Katalogisierung der Sammlung betraut worden war, legte drei Versteigerungskataloge vor, die große Beachtung in der Fachwelt fanden. Im Februar 1912 eröffnete das Auktionshaus seine neuen Räumlichkeiten in einem neu errichteten herrschaftlichen Bau in der Potsdamer Straße 122 a/b.108 Gleichzeitig gelangte die prachtvolle Altmeistersammlung des Hamburger Patriziers Eduard Weber zum Verkauf, die sehr erfolgreich war.109 Mit dieser Auktion festigte Berlin seinen Status als Kunstmarkt von Weltrang. Es folgten die Sammlung von Parpart und die größte deutsche Holzskulpturensammlung des Münchener Sammlers Oertel.110 Selbst in den Jahren des Ersten Weltkrieges, in denen die drei Inhaber beim Militär dienten und die Leitung des Hauses ihren Mitarbeitern überließen, konnten mit den Versteigerungen der Sammlungen Knaus und Oppenheim, beide Köln, große Erfolge erzielt werden. Neben dem Auktionshaus Lepke etablierten sich in der zweiten Hälfte des ^.Jahrhunderts weitere SpezialVersteigerer für verschiedene Kunstgebiete.111 Unter den Graphikspezialisten ist an erster Stelle Amsler & Ruthardt zu nennen. Hermann Amsler, Sohn des Münchener Kupferstechers Samuel Amsler, eröffnet^ im Herbst 1860 gemeinsam mit Theodor Ruthardt aus Breslau in der Behrenstraße 29 a eine Kunsthandlung. Ihr Spezialgebiet waren Drucke und hier insbesondere das graphische Werk von Daniel Chodowiecki. Das Antiquariat Max Perl, in dessen Mittelpunkt Graphiken und Bücher standen, wurde 1875 in der Leipziger Straße 89 gegründet. Im Jahrzehnt nach der Jahrhundertwende veranstaltete Perl als erster Bücherauktionen in Berlin. Ab 1915 erweiterte er sein Angebot um moderne Graphik - vorwiegend mit Liebermann, Klinger, Menzel und Hans Thoma. Im Oktober 1880 gründete Fritz Gurlitt seinen Kunstsalon in der Behrenstraße 29, in dem er Gemälde alter und neuer Meister, Skulpturen, Kunstgewerbe und Teppiche verkaufte.112 Im Mittelpunkt seines Interesses stand jedoch die Förderung der modernen zeitgenössischen Künstler wie Arnold Böcklin und der deutschen naturalistischen Freilichtmaler, beispielsweise Liebermann und Fritz von Uhde. 1886 gründete Eduard Schulte seinen Kunstsalon, der anfangs ausschließlich akademisch orientierte Künstler zeigte. Weitere Geschäfte auf dem Sektor des Antiquariatswesens, deren Tradition bis zur Jahrhundertwende zurückreichen, sind die von Karl Ernst Henrici und J. A. Stargardt. Das Spezialgebiet beider Antiquariate 107 Mühsam, 1923, S. 181. 108 Anonym, Blätter für Architektur und Kunsthandwerk,
24. Jg., August 1913, Nr. 8.
109 Lenman, 1993, S. 140. 110 Für das Folgende Bode, 1928, S. 14. 111 Einen Überblick über Kunsthandlungen und Auktionshäuser in Berlin vor 1945 bietet Tafel, 1987, S. 203-217. 112 Zur Kunsthandlung Gurlitt vgl. Teeuwisse, 1986, S. 104-127.
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II. Der Kunsthandel in Berlin
galt den Autographen. 1898 gründeten Paul und Bruno Cassirer eine Kunsthandlung, deren Hauptgeschäftsfelder anfangs Impressionisten und zeitgenössische Künstler waren.113 Seit Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte die Firma einschneidende Veränderungen erfahren. Paul Cassirer, der die Kunsthandlung inzwischen allein führte, entschied sich 1916, auch im Versteigerungswesen aktiv zu werden. Die erste Auktion, die Cassirer gemeinsam mit dem Münchener Auktionshaus Hugo Helbing veranstaltete, war die Versteigerung der legendären Impressionistensammlung des Bankiers Julius Stern, die am 22. Mai 1916 in den Galerieräumen in der Victoriastraße 35 stattfand. Das Münchener Auktionshaus hatte in Berlin in der Liebigstraße 21 eine Zweigniederlassung eröffnet, um auch in der Reichshauptstadt vertreten zu sein. Fortan firmierten die meisten Auktionen unter dem Doppelnamen Cassirer & Helbing. Auch zu Beginn des neuen Jahrhunderts kam es zu weiteren Neugründungen. Paul Graupe eröffnete im Jahre 1907 sein Buchantiquariat in der Kochstraße 3.114 Sein Interesse galt anfangs Büchern, Manuskripten und moderner Graphik. Ab 1916 begann er mit Versteigerungen von wertvollen Büchern, Zeichnungen und Graphiken und 1927 erweiterte er sein Geschäft um Kunstwerke und Antiquitäten. Gemeinsam mit seinem Kompagnon Hermann Ball, dem Inhaber eines Antiquitätengeschäfts in der Tiergartenstraße 4, veranstaltete Graupe ab den 1920er Jahren zahlreiche Versteigerungen. Auch die Firma Hollstein & Puppel, die im April 1913 in der Meinekestraße 19 eröffnete, spezialisierte sich auf graphische Auktionen. Den Grundstein zu einem der erfolgreichsten Kunsthandelsimperien Deutschlands legten 1912 Albert Loeske und Jakob Oppenheimer.115 Sie hatten in diesem Jahr das Silberwarenhaus Margraf & Co. Unter den Linden 21 eröffnet, das alten Schmuck, Juwelen und antike Edelmetalle führte. Im Jahr 1926 gehörten vier weitere Kunstfirmen zum Konzern: die Antiquitätenhandlung Altkunst, die Gemäldegalerien van Diemen, beide 1919 gegründet, und Dr. Benedict & Co., gegründet 1925, sowie das China-Auktionshaus Dr. Otto Burchard & Co, gegründet 1926.116 Auf Loeskes Initiative hin war es diesem gelungen, Dr. Eduard Plietzsch, einem geschätzten Mitarbeiter Bodes, die Leitung der Galerie van Diemen zu übertragen. Die hier aufgeführten Kunsthandlungen und Auktionshäuser demonstrieren, obwohl sie keinen vollständigen Überblick bieten, dass in Berlin seit Ende des 19. Jahrhunderts ein lebendiger Kunstmarkt vorhanden war, der geprägt war durch eine Vielzahl verschiedener Spezialhäuser, die aufgrund ihrer teilweise hervorragenden Angebote zunehmend ausländische Händler und Sammler nach Berlin zogen.
113 Zum Wirken der Cassirers vgl. Feilchenfeldt und Raff, 2006 und Brühl, 1991. 114 Für das Folgende Coppens, 1987, S. 256. 115 Eintragung des Geschäftes im Handelsregister am 17.10.1912. Vgl. A G Charlottenburg, 64 HRB 2384 Nz, Akte Margraf & Co. 116 Vgl. die Handelsregisterakten im A G Charlottenburg, 152 HRB 14821, 62 HRB 16320, 62 HRB 37320 und 62 HRB 38991, Akten zu Altkunst, van Diemen, Dr. Benedict & Co. und Dr. Burchard & Co.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel Rekordsummen
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auf dem Berliner Kunstmarkt während des Ersten Weltkrieges
Seit der Jahrhundertwende waren die Preise für Kunstwerke tendenziell steigend, wenn auch sehr uneinheitlich. So war es in der wilhelminischen Zeit ungewöhnlich, wenn ein Gemälde für mehr als 4.000 Mark (M) verkauft werden konnte. Dies entsprach etwa dem Jahresgehalt eines preußischen Regierungsrats.117 Andererseits wurden zur gleichen Zeit für Kunstwerke große Summen gezahlt, wenn beispielsweise ein Künstler sehr gefragt war und dessen Arbeiten in der jeweiligen Stadt gehalten werden sollten. Zudem kamen die finanzkräftigen Amerikaner und Engländer auf den deutschen Kunstmarkt, was vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu einem starken Preisanstieg für die Altmeister führte. Erzielte Millionenerträge beim Verkauf von bedeutenden Sammlungen waren daher nicht mehr ein außergewöhnliches Ereignis, wie es noch einige Jahrzehnte zuvor der Fall gewesen war. Mit solchen Preisen reichte Berlin an die Resultate von Pariser oder Londoner Versteigerungen heran. Bei Beginn des Krieges prognostizierte die Zeitschrift Kunstmarkt: „Unter dem zeitweiligen Stillstand [der Wirtschaft] wird der Kunstmarkt voraussichtlich weniger zu leiden haben, als es durch eine völlige Zerstörung aller bisherigen Maßstäbe und Grundlagen der Fall wäre, die aus massenhaften Notverkäufen unbedingt folgen müsste."118 Ein Jahrzehnt später bestätigte sich diese Prognose. Aber schon während des Ersten Weltkrieges geriet der Berliner ebenso wie der gesamte deutsche Kunstmarkt zunehmend aus den Fugen. Werke von Altmeistern erzielten Rekordsummen, die in keiner Relation zu den gezahlten Vorkriegspreisen standen. Diese „anormale Preissteigerung" war unter anderem durch einen hohen Geldumlauf bedingt.119 1917 war das Jahr des Ausverkaufs des deutschen Kunstmarktes an ausländische Sammler. Da die deutsche Valuta sehr an Kaufkraft eingebüßt hatte, war für Ausländer der deutsche Markt besonders attraktiv. Durch deren starke Währungen stiegen die Preise für Meisterwerke an. Allen voran kauften die amerikanischen Sammler, die für die italienischen Primitiven hohe Summen bezahlten. So erreichte die Versteigerung der Berliner Sammlung Richard von Kaufmann 1917 den Spitzenpreis von insgesamt 12 Millionen Mark.120 Zwar besaß die Kollektion mit altniederländischen, altdeutschen und italienischen Werken schon lange Weltruf, dennoch war die erzielte Summe unerwartet hoch. Sie war die höchste, die auf einer Kunstversteigerung in jenen Jahren erreicht worden war. Beispielsweise wurde eine Madonna von Lucas van Leyden, für die der Sammler in den 1880er Jahren 90 Μ gezahlt hatte, für 154.000 Μ verkauft. Preise in sechsstelliger Höhe für niederländische und holländische Werke waren in den Auktionen der Jahre 1917 und 1918 durchaus keine Seltenheit. Auch italienische Werke erzielten hohe Preise, so das „Bildnis des Octavius de Strada" von Tintoretto 230.000 Μ. Diese Preise galten allerdings in der Regel nur für Spitzenwerke. Die Summen für künstlerisch wertvolle Werke lagen zumeist im fünfstelligen Bereich, während für gute Arbeiten unter 10.000 Μ gezahlt werden 117 Hohorst, 1978, S. 110. 118 Anonym, Berliner Kunstmarkt, in: Der Kunstmarkt, 12. Jg., 30.11.1914, Nr. 9, S. 29. 119 Donath prägte den Begriff der „anormalen Preissteigerung". Für das Folgende Donath, 1923, Psychologie, S. 149-152. 120 Auk.kat. Sammlung Richard von Kaufmann, durch Cassirer & Helbing, vom 4.-6.12.1917. Die Auktionsergebnisse vgl. für das Folgende bei W. K., 1917.
II. Der Kunsthandel
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in Berlin
mussten.121 Beim Vergleich mit den in Zeitschriften abgedruckten Preisen für die angebotenen Kunstwerke fällt auf, dass die niederländischen Gemälde höhere Erlöse erzielten als beispielsweise italienische, was der Vorliebe der deutschen Sammler für niederländische Werke zuzurechnen ist. Auffallend für die Zeitspanne ist eine ebenfalls starke Preisentwicklung für moderne Malerei. Eine große Anzahl deutscher Sammler, die nicht mehr bei den sehr hohen Summen für alte Meister mitbieten konnten, verlagerten ihr Interesse in Richtung der modernen Kunst. Dies wirkte sich selbstverständlich auch auf die Versteigerungsergebnisse aus, so dass die Preise für moderne Kunstwerke anstiegen, allerdings längst nicht im selben Maße, wie es bei der alten Kunst der Fall war. Wurden noch 1916 für Gemälde von Liebermann zwischen 15.000 und 41.000 Μ gezahlt, erzielte sein Gemälde „Badende Knaben" im Jahr 1917 den Rekordpreis von 80.000 M. 122 Weitere sehr gute Ergebnisse erreichten die Gemälde von Wilhelm Trübner und von Wilhelm Leibi. Als im März 1918 die bedeutende Kölner Gemäldesammlung des Barons Albert von Oppenheim bei Lepke zum Aufruf kam, zahlten Sammler für die altmeisterlichen Werke erneut zum Teil sehr hohe Preise. 123 Mit einem Gesamtresultat von 4,2 Millionen Mark erreichte die Sammlung ein gutes Ergebnis, mit dem die allgemeine Preissteigerung bestätigt wurde, sehr große Preisübertreibungen blieben jedoch aus. Ähnliches gilt für die Auktion der Sammlung Gumprecht, die kurz darauf im März bei Cassirer & Helbing abgehalten wurde.124 Die beiden Firmen hatten sich seit ihren gemeinsamen Auktionen in den vergangenen zwei Jahren zu einem führenden Auktionsunternehmen in Berlin heraufgearbeitet.125 Berlin hatte sich seit der Jahrhundertwende zum wichtigsten deutschen Kunstmarkt entwickelt, auf dem hochwertige Kunstwerke angeboten wurden. Wegen der kriegsbedingten Unsicherheit gelangten komplette Sammlungen in den Kunsthandel, die aus finanziellen Schwierigkeiten von ihren Eigentümern veräußert werden mussten. Da deutschen Sammlern die Mittel fehlten, um Erwerbungen zu tätigen, verließen Altmeisterwerke in erheblichem Umfang Deutschland. Dem Abfließen bedeutender Kulturgüter ins Ausland standen die deutschen Museen hilflos gegenüber, da ihnen die Mittel fehlten, die Kunstobjekte für die Öffentlichkeit zu sichern. Die in diesem Abschnitt hier beschriebene Vorgeschichte des Kunsthandels in Berlin dient als Ausgangssituation für die nachfolgenden, tiefergehenden Untersuchungen der sich veränderten Bedingungen des Kunsthandels in den Jahrzehnten nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Die Zeit der Weimarer Republik
- Der Ausverkauf:
1919-1923
Angesichts der Schwierigkeiten, die Währung der Weimarer Republik in ihrem relationalen Wert zu bestimmen, fällt eine - bislang nicht unternommene - Analyse des Berliner Kunstmarktes nach 1918 äußerst schwer. Da insbesondere die ersten Jahre der Weimarer 121 Vgl. die detailliert aufgeführten Ergebnisse von Berliner Auktionen in der Zeitschrift Der Kunstmarkt für 1917/18. 122 Donath, 1923, Psychologie, S. 137. 123 Auk.kat. Sammlung Baron Albert Oppenheim, durch Lepke, am 19.3.1918, Kat. 1725. 124 Auk.kat. Sammlung Wilhelm Gumprecht, Bd. 1: Gemälde, Bd. 2: Bildwerke, kunstgewerbliche Gegenstände, durch Cassirer & Helbing, am 21.3.1918 und die folgenden Tage. 125 Brühl, 1991, S. 166.
2. Kunstmarkt
und Kunsthandel
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Republik durch einen nie zuvor da gewesenen Währungsverfall gekennzeichnet waren, der den Preisvergleich zwischen den Kunstwerken deutlich erschwerte, wurde als Vergleichsgröße das Jahresgehalt eines ledigen Reichsbeamten der höchsten Gehaltsstufe genommen.126 Mit Hilfe dieser Angaben und Erläuterungen zu den verschiedenen gebrauchten Währungen jener Jahre wurde der Versuch unternommen, Wertsteigerungen beziehungsweise Wertverluste der Kunstwerke im Kunsthandel einzuordnen. Die Gruppe der Unternehmer, die im größeren Umfang Sammlungen zusammentrug als die ausgewählte Gruppe der Reichsbeamten, konnte wegen fehlender Quellen nicht berücksichtigt werden.127 Im Laufe des Jahres 1919 wagten die Kunsthändler wieder Versteigerungen durchzuführen, womit sie sich wegen der unsicheren wirtschaftlichen Verhältnisse bisher zurückgehalten hatten. Diese Auktionen besuchte im Wesentlichen eine neue Sammlerschicht, die bereits während des Krieges umfangreiche Erwerbungen getätigt hatte. Da diese Sammler nicht die Erfahrungen der vorhergehenden Sammlergeneration besaßen, boten ihnen viele „fliegende Versteigerer" nur mittelmäßige Arbeiten an.128 Die Marktsituation änderte sich jedoch, als aufgrund des ansteigenden Währungsverfalls und des frei werdenden Fideikommissbesitzes zahlreicher deutscher Fürstentümer eine große Fülle von Kunstwerken auf dem Markt angeboten wurde, unter denen viele von herausragender Qualität waren. Da zunehmend ausländische Käufer den Kunstmarkt beherrschten, erließ der Reichsminister des Inneren am 11. Dezember 1919 die Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken, umso dem völligen Ausverkauf von Kunstwerken Einhalt zu gebieten.129 Paragraph 1 der Verordnung sah ein Verzeichnis derjenigen Werke vor, deren Verbringung in das Ausland einen wesentlichen Verlust für den nationalen Kunstbesitz darstellte. Der Verordnung zufolge bedurften diejenigen Kunstwerke, die in das Verzeichnis eingetragen waren, einer Ausfuhrgenehmigung. Dem Staat war es vorbehalten, eine Genehmigung zu erteilen, womit er gleichzeitig das Vorkaufsrecht besaß. In Sammlerkreisen wurde die Verordnung keineswegs nur positiv aufgenommen.130 Zwar befürworteten die Sammler, dass Deutschland nun erstklassige Kunstwerke erhalten blieben, aber es herrschte eine gewisse Verunsicherung, da die Aufnahme eines „national wertvollen" Kunstwerkes in die Liste von den einzelnen Landeskommissionen des Reiches abhängig war. Zudem handelte es sich um eine Liste, die nicht öffentlich einsehbar war. Auch Adolph Donath, der Herausgeber der Zeitschrift Der 126 Mit Hilfe der Statistischen Jahrbücher der Jahre 1919 bis 1932 wurde eine Ubersicht der durchschnittlichen Jahresgehälter von ledigen Reichsbeamten der höchsten Gehaltsstufe erstellt, um ein ständiges Wiederholen der Gehälter im Text zu vermeiden. Vgl. dazu die Ubersicht im Anhang Tabellen 9,10. 127 In den Statistischen Jahrbüchern gibt es keine Zahlen über Nettogewinne von Unternehmern. Hinzu kommt, dass die Branchen große Unterschiede aufweisen, um daraus Rückschlüsse auf Wertzuwächse oder -Verluste bei Kunstwerken ziehen zu können. 128 Zum Kaufverhalten nach Ende des Ersten Weltkrieges vgl. Mühsam, 1923, S. 124. 129 Vgl. Drucksache Nr. 167 des Staatsausschusses, die in der geheimen Sitzung des Reichsrates am 7.10.1919 angenommen wurde (Thüringisches Volksbildungsministerium Abteilung Wissenschaft und Kunst Weimar, Nr. 983, o. Bl.Nr.); Verzeichnisse, Schutz und Verordnungen über die Ausfuhr von national wertvollen Kunstwerken. Der Gesetzestext ist ebenfalls abgedruckt in der Zeitschrift Der Kunstwanderer, 1. Jg., 1919, 2. Dezemberheft, S. 166f. 130 Anonym, Die Ursachen der Verordnung. - Die Aufnahme in den Sammlerkreisen, in: ebd.
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Kunstwanderer, äußerte sich skeptisch zu diesem Ausfuhrverbot, da es den ganzen Kunsthandel beeinträchtigen würde. Er schlug vor, finanzkräftige deutsche Sammler zum Kauf bedeutender Werke zu gewinnen, um diese für die deutsche Öffentlichkeit zu sichern.131 Die Forderung war aufgrund der wirtschaftlichen Lage jedoch nur sehr schwer umzusetzen. Es verwundert folglich nicht, dass in die erste Zeit nach Beendigung des Krieges einige Versteigerungen von Privatsammlungen fielen, die einen schweren Verlust an Kunstschätzen für Deutschland darstellten. Eine der bedeutendsten Sammlungen war die von James Simon, Berlin. 1919 musste Simon große Teile seiner Kunstschätze verkaufen. Unter anderen gingen Hauptwerke von Frans Hals und Jan Vermeer ins Ausland.132 Mit ihrem Verkauf verlor Deutschland eine der vornehmsten und reichsten Privatsammlungen. Sie war jedoch nicht die einzige, die teilweise oder vollständig ins Ausland abwanderte. Zu den großen Berliner Sammlungen, die in den 1880er und 1890er Jahren entstanden waren und nun nach dem Ende des Ersten Weltkrieges Deutschland verließen, gehörte auch die Sammlung von Eduard von der Heydt, die sich durch erstrangige niederländische Werke auszeichnete.133 Nicht nur der Handel mit alten, sondern auch der mit modernen Kunstwerken florierte. Dies war indirekt durch die Einführung einer fünfzehnprozentigen Luxussteuer hervorgerufen worden.134 Die Proteste der Sammler bewirkten allerdings die Abschaffung der Steuer in Fällen, in denen der Käufer die Kunstwerke direkt beim Künstler und nicht über den Kunsthandel erwarb.135 Infolge dieser neuen Regelung begann der Handel mit kostengünstigeren Werken jüngerer Künstler bei den Erwerbungen der Museen ebenso wie bei den Privatsammlern eine größere Rolle zu spielen. Daher entstanden gerade in den Jahren der Weimarer Republik viele Sammlungen mit zeitgenössischen Werken, zu denen auch die von Robert Graetz gehörte, die im folgenden Jahrzehnt zu einem stattlichen Umfang anwuchs.136 Allerdings führten die steuerbegünstigten Atelierkäufe wiederum zu Protesten der Händler, die ihre Einnahmemöglichkeiten eingeschränkt sahen. Im folgenden Jahr führte dies zu einer Ergänzungsverordnung zur bisherigen Steuergesetzgebung. Sie sah vor, dass Werke lebender Künstler in Ausstellungen von der Luxussteuer befreit wurden, was bisher nur bei einem direkten Kauf beim Künstler der Fall gewesen war. Die bereits während des Krieges häufig gezahlten hohen Preise für alte Meistergemälde behielten auch in der ersten Zeit nach dem Krieg ihre Gültigkeit.137 So wechselten in der Auktion bei Lepke Ende November 1919 ausgesprochen viele Gemälde für fünfstellige Beträge die Eigentümer, beispielsweise das Werk „Johannes und Hieronymus" von Spinello Aretino für 72.000 M.138 Zahlreiche Gemälde erzielten sogar weitaus höhere Summen, wie 131 Donath, 1919. 132 Donath, 1923, Psychologie, S. 154. 133 Vgl. Abschnitt „Privatsammlungen". 134 Zur Luxussteuer vgl. Lusensky, 1928. 135 Reichsbeschluss vom 30.7.1920. Vgl. Donath, 1921, S. 67. 136 Einen Uberblick über die in der Weimarer Republik entstandenen Privatsammlungen bietet der Abschnitt „Privatsammlungen". Zur Sammlung Graetz vgl. den Abschnitt „Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung". 137 Preisübersicht für Gemälde, die zwischen 1918 und 1932 auf dem Berliner Kunstmarkt verkauft wurden. Vgl. im Anhang Tabellen 1-3. 138 Auk.kat. Alte Gemälde und Antiquitäten aus einem schlesischen Schloss und anderem Besitz,
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etwa „Die Erweckung des Lazarus" von Tintoretto 200.000 Μ und ein „Bacchus" von Caravaggio 115.000 M. Dieses Niveau galt auf dem damaligen Kunstmarkt als durchaus angemessen. Bei dieser Feststellung muss einberechnet werden, dass die Jahresgehälter hochgestellter Reichsbeamter vom Vorkriegsjahr bis zum ersten Nachkriegsjahr um das rund Zwei- bis Dreifache gestiegen waren. 139 Hohe Summen wurden auch für Graphiken der Impressionisten und im steigenden Maße für Expressionisten gezahlt. Für die erste Auktion nach Ende des Krieges konnte insgesamt ein positives Fazit gezogen werden: Der Kunsthandel florierte. Diese positive Tendenz des Kunsthandels bestätigte sich jedoch Anfang 1920 nicht. 140 So wirkte sich beispielsweise die Steuergesetzgebung negativ auf den Kunstmarkt aus. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Faktor waren die politischen Unruhen infolge des Kapp-Putsches vom März des Jahres. Erst nach der Stabilisierung des politischen Lebens in Deutschland wurden wieder vermehrt Versteigerungen durchgeführt. Während die Frühjahrsauktionen eher durch eine Flaute gekennzeichnet waren, erholte sich der Kunstmarkt, als die Saison im Herbst wieder begann. Von den 18 Versteigerungen, die bis Ende 1920 bei Lepke stattfanden, zog die Auktion von Dresdner Porzellan am 12. Oktober nicht nur die Museums- und Sammlerwelt an, sondern fast den gesamten deutschen Antiquitätenhandel und viele ausländische Händler. 141 Wenige Tage darauf versteigerte Lepke Gemälde neuerer Meister. 142 Im Vergleich zu den nachfolgenden Auktionen alter Meister wurden hier hohe bis sehr hohe Preise erreicht. Für Liebermanns „Bildnis von Prof. Soyka" wurden beispielsweise 25.000 Μ gezahlt und für eine „Winterlandschaft" von Karl Larsson 40.000 M. Die meisten Preise bewegten sich allerdings zwischen 3.000 und 9.000 M. Das Interesse an der Auktion alter Gemälde aus einem deutschen Museum Ende November bei Lepke war dagegen nicht sehr hoch. 143 Dies wirkte sich besonders auf die Preise aus. Einige der gezahlten Summen, wie 61.000 Μ für die „Kreuztragung" von Marco Palmezano und 37.000 Μ für ein „Porträt Tizians" von Sebastiano del Piombo, entsprachen in etwa den Erlösen vom Vorjahr, jedoch lagen zahlreiche Summen weit unter den Vorjahrespreisen. In Anbetracht anderer, erfolgreicherer Auktionen galt auch für das Auktionsjahr 1920 insgesamt, dass eine
darunter Porzellansammlung Dr. Heinrich Rose, Wiesbaden, durch Lepke, am 25./26.11.1919, Kat. 1839. Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
1. Jg., 1919,
1. Dezemberheft, S. 143. 139 Es liegen Statistiken über durchschnittliche Jahresgehälter der Reichsbeamten der Jahre 1913 und 1920 vor, die für einen Vergleich herangezogen wurden. Demnach lag das Jahresgehalt eines Beamten der höchsten Gehaltsklasse im Jahr 1913 bei 17.600 Μ und im Jahr 1920 bei 33.900 M. Vgl. die Statistik für das durchschnittliche Jahresgehalt von ledigen Reichsbeamten der höchsten Gehaltsstufe für das Jahr 1913 und am 1. April 1920, in: StJbDR, 42. Jg., 1921/22, S. 310. 140 Für das Folgende Donath, 1921, S. 84-90. 141 Ebd., S. 98 f. 142 Auk.kat. Gemälde erster Meister unserer Zeit, durch Lepke, am 19.10.1920, Kat. 1856. Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
2. Jg., 1920,2. Oktoberheft, S. 77.
143 Auk.kat. Alte Gemälde erster Meister aus einem deutschen Museum und aus dem Besitz der Seestadt Wismar, durch Lepke, am 30.11.1920, Kat. 1859. Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
2. Jg., 1920,1. Dezemberheft, S. 145.
II. Der Kunsthandel in Berlin -1921
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positive Bilanz für das laufende Auktionsjahr gezogen werden konnte, wobei moderne Bilder vergleichsweise hoch bezahlt wurden. Für das Jahr 1921 waren Nachfrage und Angebot auf dem deutschen Kunstmarkt sehr gering, während amerikanische Sammler in verstärktem Maße auf dem europäischen Kunstmarkt einkauften. Sammler, die zu günstigeren Zeiten Werke ihrer Kollektion verkauften, um künstlerisch hochrangigere Objekte zu erwerben, warteten nun ab. Dasselbe galt für jene Sammler, die sonst ihre Bestände um jeden Preis komplettieren wollten, nun jedoch auf eine bessere Gelegenheit hofften. 144 Die Frühjahrssaison begann daher mit geringen Preisen für Gemälde des 17. bis 19. Jahrhunderts bei Lepke. 145 Da im Katalog viele Kopistenarbeiten verzeichnet waren, stiegen die Preise kaum über 3.000 M. Erst der März brachte dann auch für Berlin eine stärkere Anregung des Marktes, hervorgerufen durch das große Interesse für französische Lithographien des 19. Jahrhunderts bei Henrici, bei dem die Schätzpreise teilweise um das Zehnfache stiegen. 146 Auch bei den Gemäldeauktionen wurden im Frühjahr hohe, wenn auch nicht übermäßige Preise erzielt. Bei Lepke notierten Gemälde neuerer Meister wie „Kleines Cafe" von Lesser Ury mit 8.500 M, „Liegender weiblicher Akt" von Trübner mit 9.500 Μ und ein „Schlafendes Kind" von Liebermann mit 5.700 M. 1 4 7 Im Vergleich zu anderen deutschen Kunstmärkten waren dies allerdings keine bedeutenden Preise, denn beispielsweise brachte das „Porträt der Frau Knecht im Federhut", ebenfalls von Trübner, in Frankfurt am Main beachtliche 21.000 M. Neben den modernen Werken kamen in den folgenden Versteigerungen in besonderem Maße Arbeiten der niederländischen Malerei zum Angebot. Dieser Schwerpunkt zog sich im gesamten untersuchten Zeitraum wie ein roter Faden durch den Berliner Kunstmarkt, weswegen an deren Preisgestaltung allgemeine Tendenzen auf dem Markt abgelesen werden können. Nach der Sommerpause eröffnete die Saison mit der Nachlassversteigerung des Freiherrn von Stumm bei Lepke, in welcher Gemälde der italienischen und holländischen Schulen des 17. Jahrhunderts angeboten wurden. 148 Auf dieser Auktion im November erzielte beispielsweise das Gemälde „Der Ringeltanz" von Rubens 530.000 M. Für deutsche Sammler war dies eine unerschwingliche Summe, denn Ende 1921 verdiente ein lediger Reichsbeamter der höchsten Gehaltsstufe 89.400 M. 149 Die Preisentwicklung, bedingt durch die Entwertung der Mark gegenüber dem US-Dollar ($), erschwerte es deutschen Käufern, Kunstwerke von guter Qualität zu ersteigern. 150 Umgerechnet kostete das Rubens-Werk am Tag der Ver-
144 Donath, 1922, S. 71. 145 Anonym, Kunstmarkt Berlin, in: Kunstchronik und Kunstmarkt, 56. Jg., N.F. X X X I I , 25.2.1921, Nr. 22, S. 439. 146 Auk.kat. Französische Lithographien 1800-1880 und moderne Radierungen, durch Henrici, am 14./15.3.1921. Ergebnisse vgl. Glaser, 1921, S. 534. 147 Donath, 1922, S. 77f. 148 Auk.kat. Gemälde alter Meister des 16.-18.Jahrhunderts aus dem Nachlass des Freiherrn von Stumm und Beiträgen aus anderem Besitz, durch Lepke, am 22.11.1921, Kat. 1875. 149 Statistik für das durchschnittliche Jahresgehalt von ledigen Reichsbeamten der höchsten Gehaltsstufe am 1. Oktober 1921, in: StJbDR, 42. Jg., 1921/22, S. 310. 150 Ubersicht zur Kursentwicklung des Dollars gegenüber der Mark zwischen 1920 und 1923. Vgl. im Anhang Tabelle 8.
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Steigerung, am 22. November, 1.880 $.1M Dies war für ausländische Käufer ein hoher, jedoch attraktiver Preis für ein solch hervorragendes Gemälde, weswegen zahllose ausländische, vor allem amerikanische Kaufinteressenten angezogen wurden, durch die es gegen Ende des Jahres zu einer Belebung des Berliner beziehungsweise deutschen Kunstmarktes kam. Trotz einiger Spitzenwerke überwogen allerdings Gemälde von minderem Rang. Die Ergebnisse dieses Jahres verdeutlichen, dass die Preise in hohem Maße von der Qualität des Werkes und nicht von der Gattung abhingen. In der ersten Hälfte des laufenden Jahres 1922 verlor die Mark weiter an Festigkeit. Der Verfall des Wertes der deutschen Währung wurde durch den Ankauf von Devisen zur Begleichung der Reparationsforderungen und dem erschütterten Vertrauen in die Stabilität der Republik durch politische Unruhen und Ereignisse wie den Mord an Reichsaußenminister Walther Rathenau, zunehmend beschleunigt.152 Zum Ausgleich des Wertverlustes ließ die Notenbank durch Drucken von Geld die Geldmenge erhöhen.153 Donath zufolge bedeutete der fortschreitende Währungsverfall im Verlauf des Jahres trotz scheinbar weiter zunehmender Lebhaftigkeit des Kunsthandels, der sich in einer steigenden Zahl von Versteigerungen äußerte, keine wesentliche Erholung des Marktes.154 Nach einer Auswertung der Auktionen im bedeutendsten Berliner Versteigerungshaus Lepke für die Jahre 1919 bis 1922 konnte festgestellt werden, dass die Äußerung von Donath nicht für den Berliner Kunstmarkt galt. Gab es im Jahr 1919 noch 22 Auktionen bei Lepke, fanden 1922 nur noch ungefähr 16 statt.155 Dem stagnierenden Versteigerungswesen entsprachen ebenfalls die Preise der veräußerten Gemälde im Frühjahr, die nur mäßige Ergebnisse erbrachten. Obwohl in der Märzauktion bei Lepke einige bedeutende Werke holländischer und italienischer Meister des 17. Jahrhunderts im zweiten Teil der Sammlung des Freiherrn von Stumm vertreten waren der erste wurde bereits 1921 versteigert -, 156 wurden im Vergleich zu den Vorjahrespreisen derselben Sammlung nur niedrige Summen gezahlt.157 So betrug der höchste Erlös auf dieser Auktion 130.000 Μ (480 $) für ein „Prinzenporträt" von Paul Mignard.158 Die niederländi151 Der Dollarstand am 22.11.1921 betrug 1:181. Vgl. die Übersicht über den Stand des Dollars in Deutschland 1920-1922, abgedruckt bei Donath, 1923, S. 125f. 152 Vgl. dazu Sabrow, 1994. 153 Eine gute und knappe Übersicht über die Papierwährung und Inflation bietet Sprenger. Vgl. Sprenger, 2002, S. 202-214. 154 Donath, 1923, Jahrbuch, S. 101. 155 Die Durchsicht der Zeitschrift Kunstchronik und Kunstmarkt für die Jahre 1919 bis 1922 sowie die zur Verfügung stehenden Auktionskataloge erbrachte folgendes Ergebnis beim Auktionshaus Lepke: 1919 fanden 22 Auktionen statt, 1920 dann 18 und 1921 und 1922 sank die Anzahl auf jeweils 16. 156 Auk.kat. Gemälde alter Meister des 16.-18. Jahrhunderts aus dem Nachlass des Freiherrn von Stumm und Beiträgen aus anderem Besitz, durch Lepke, am 22.11.1921, Kat. 1875. 157 Auk.kat. Gemälde, Handzeichnung und Kupferstiche alter Meister aus dem Nachlass des Freiherrn von Stumm und anderer Besitz, durch Lepke, am 14./15.3.1922, Kat. 1882. Ergebnisse vgl. Anonym, Versteigerungsergebnisse Berlin, in: Kunstchronik und Kunstmarkt, 57. Jg., N.F. XXXIII, 14./21.4.1922, Nr. 29/30, S. 488-490. 158 Der Dollarstand zur Mark am 15.3.1922 betrug 1:271. Vgl. auch die im Folgenden genannten Valutastände bei Donath, 1923, S. 126.
II. Der Kunsthandel in Berlin -1922
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sehen Kleinmeister erbrachten sogar nur Summen zwischen 20.000 und 60.000 Μ (74 bis 221 $). Vergleicht man diese Preise mit denen auf internationalen Auktionen, kann das Ausmaß des damals häufig thematisierten Ausverkaufs des deutschen Kunstmarktes ermessen werden. Beispielsweise wurde auf der New Yorker Versteigerung des bekannten amerikanischen Sammlers Dikran Khan Kelekian für 161 Nummern die Gesamtsumme von 257.870 $ gezahlt. Für die Gemälde von Künstlern wie Gustave Courbet, Vincent van Gogh oder Paul Cezanne mussten zwischen 1.000 und 21.000 $ gezahlt werden. 159 Solche hohen Ergebnisse verdeutlichen, dass amerikanische Sammler und Händler bevorzugt auf dem deutschen Kunstmarkt einkauften, weil sie hier häufig nur ein Zehntel von dem aufbringen mussten, was sie auf dem heimischen Markt hätten zahlen müssen. Der deutsche Kunstmarkt wurde im Frühsommer 1922 vorwiegend von Graphikauktionen beherrscht. Dies lag in der starken ausländischen Beteiligung begründet, da sich die Käufer aufgrund des erneuten Währungsverfalls der Mark mit Werken zu günstigen Preisen eindecken wollten. Als der Dollar von 670 Μ im Juli auf etwa 2.000 Μ im August stieg, mussten die Käufer selbst für weniger bedeutende Gemälde hohe Summen in Mark zahlen, weswegen die deutschen Händler kaum noch handlungsfähig waren. Aber gerade die sehr hohen Preise schienen den deutschen Kunstmarkt im Herbst 1922 zu beleben, denn die ausländischen Käufer mit ihren starken Währungen wurden angelockt. 160 Dies führte nahezu zum Ausverkauf des deutschen Kunstmarktes, denn trotz der Liste der national wertvollen Kunstgegenstände und des damit verbundenen Ausfuhrverbots, verließen viele bedeutende Objekte, allen voran Gemälde, das Land. Daher waren nach Eröffnung der Herbstsaison auch keine Gemälde auf den Auktionen im Angebot, sondern Antiquitäten, Ostasiatika, modernes Mobiliar und Kunstgewerbe. 161 Für die Preisentwicklung moderner Graphik fand dann im November bei Graupe eine höchst bemerkenswerte Versteigerung statt. Paul Graupe, der seit Jahren zu den wichtigsten Kunsthändlern Berlins gehörte, gelang es trotz der Inflation immer wieder, ausgezeichnete Bestände in seinem Haus zu versteigern, mit denen er Maßstäbe im Kunsthandel setzte. 162 Auf diesen Auktionen erschienen nicht nur die maßgeblichen Berliner Händler, sondern auch zahlreiche aus dem Ausland. Auch auf der Novemberauktion war dies der Fall, denn dort wurden teilweise sehr hohe Preise gezahlt, die für die deutschen Kunsthändler nicht mehr bezahlbar waren; beispielsweise für Klingers Serie „Brahms-Phantasie" 630.000 Μ und für dessen „Vom Tode, II. Teil" 460.000 Μ (82 $ und 60 $). 163 Auch wenn bei diesen Markpreisen berücksichtigt werden muss, dass die Mark im Vergleich zum Vormonat nur noch etwa die Hälfte ihres Wertes zum Dollar besaß, waren dies dennoch hohe Preise für moderne Graphiken, die deutsche Sammler längst nicht 159 Versteigerungsergebnisse vgl. L.B., 1922, S. 508-512. 160 Für das Folgende Donath, 1923, Jahrbuch, S. 115. 161 Auk.kat. Antiquitäten, dabei Sammlung von japanischen Farbholzschnitten, durch Lepke, vom 17.-20.10.1922, Kat. 1890 und Auk.kat. Modernes Mobiliar und Kunstgewerbe, durch Lepke, am 31.10.1922, Kat. 1891. Versteigerungsergebnisse vgl. Anonym, Kunstmarkt, in: Kunstchronik
und
Kunstmarkt, 58. Jg., N.F. X X X I V , 10.11.1922, Nr. 6, S. 114-116, hier: S. 116. 162 Coppens, 1987, S. 260. 163 Auk.kat. Moderne Graphik, durch Graupe, am 10./11.11.1922. Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
4. Jg., 1922, 2. Novemberheft, S. 132f. und ebd., 1. De-
zemberheft, S. 181. Der Dollarstand am 10.11.1922 war 1 : 7.670 M.
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mehr bezahlen konnten.164 Real war das Gehaltsniveau der höheren Beamten in den Jahren 1920 bis 1923 auf unter 40 Prozent des Standes von 1913 gesunken,165 weswegen sie nicht oder kaum noch beim Kauf mitbieten konnten. Für die Berliner Impressionisten wurden in derselben Versteigerung dagegen weitaus geringere Preise geboten. Liebermanns Graphiken brachten es nur auf 24.000 bis 36.000 Μ („Das Mittagessen"), Lovis Corinths acht Blätter „Am Walchensee" von 1921 auf 23.000 Μ und Max Slevogts „Tapfere 10000" immerhin auf 100.000 M. Für die junge zeitgenössische Künstlergeneration, zu der Käthe Kollwitz, Ernst Barlach, Charlotte Berend-Corinth und andere zählten, wurden sogar nur einige tausend Mark für Zeichnungen, Lithographien oder Radierungen gezahlt. Sammlern wie Robert Graetz bot sich hier die Gelegenheit, zu teilweise sehr günstigen Preisen Graphiken für ihre Sammlungen zu erwerben. In seiner Kollektion befand sich eine Fülle von Papierarbeiten von Künstlern wie Liebermann, Slevogt und Kollwitz, so dass es möglich erscheint, dass Graetz auf dieser Auktion einige Werke erworben hatte. Das Jahr 1923 brachte den Höhepunkt der Wirtschaftskrise mit sich. Zur finanziellen Unterstützung des Widerstands der Bevölkerung gegen den Einmarsch belgischer und französischer Truppen in das Ruhrgebiet ließ die Notenbank mehr und mehr Geldnoten in immer höheren Nominalen drucken. Der dramatische Wertverlust während der Hyperinflation konnte allerdings durch den Neudruck von Geld nicht mehr ausgeglichen werden.166 Auf dem Gipfel der Inflation wurde schließlich am 15. November 1923 von der damals so genannten Rentenbank eine neue Währung eingeführt: die Rentenmark, die auf der Goldwährung der Vorkriegszeit basierte.167 Der Devisenkurs einer Rentenmark (= Goldmark) war mit einer Billion (Papier-) Mark festgelegt worden, ein US-Dollar entsprach 4,20 Rentenmark (RM). Der Kurs der neu eingeführten Mark konnte anfangs nur mühsam gehalten werden. Er festigte sich aber, als die Regierung bekannt gab, keine weiteren Kredite aufzunehmen. Die Rentenmark, die nur in stark begrenztem Umfang ausgegeben wurde und kein gesetzliches Zahlungsmittel war, wurde jedoch wie ein solches in Zahlung genommen. Mit der Einführung der Rentenmark und der gleichzeitigen Kursstabilität endete die Inflation. Bereits im folgenden Jahr löste die Reichsmark (RM) durch das Bankgesetz vom 30. August 1924 die provisorische Rentenmark ab. Beide Währungen blieben aber parallel bis 1948 als Zahlungsmittel bestehen. Das Verhältnis der Reichsmark zur Rentenmark betrug 1: l. 168 Wegen der wirtschaftlichen Unsicherheit reagierte der deutsche Kunstmarkt zunächst sehr zurückhaltend auf die Währungsumstellung; insbesondere in Berlin fanden keine nennenswerten Versteigerungen statt.169 Bei einer bis dahin nie da gewesenen Entwertung der Mark mussten enorme Summen selbst für Durchschnittsqualitäten gezahlt werden. Notierte am 2. Januar 1923 der Dollar noch mit 7.260 M, stieg er bis zum 31. Januar bereits auf 164 Zum Vergleich betrug das Jahresgehalt eines ledigen Reichsbeamten der höchsten Gehaltsstufe 744.000 M. Vgl. StJbDR, 43. Jg., 1923, S. 311. 165 Holtfrerich, 1980, S. 232. 166 Zum Begriff der Hyperinflation vgl. Kolb, 1998, S. 187-189. 167 Für das Folgende Holtfrerich, 1980, S. 310 sowie Sprenger, 2002, S. 2 1 0 - 2 1 4 . 168 Anonym, Kurzinfo zur Mark. Vgl. http://www.ozwei.net/boggs/mark.html [2.10.2005]. 169 Für das Folgende Donath, 1925, Jahrbuch, S. 63-68.
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II. Der Kunsthandel in Berlin -1923
49.000 M.17t> Trotz des im Folgemonat rapide gesunkenen Dollarstandes auf 22.775 Μ wurden sehr hohe Papiermarkpreise beispielsweise für die graphischen Zyklen von Slevogt in der Auktion bei Perl am 24. Februar geboten; neun Steinzeichnungen des Künstlers zu „Hektor" erzielten eine Million Mark (44 $). 171 Derart hohe Summen für moderne Künstler blieben aber eher die Ausnahme. Der Kunstmarktbeobachter Alfred Kuhn verglich die Auktionsergebnisse sarkastisch mit denen der Börse und schrieb: „Nicht einheitlich, Spezialwerte begehrt". 172 Bemerkenswert für die Graphik-Frühjahrsauktionen ist, dass qualitativ hochwertige Arbeiten im Vergleich zu den Auktionen der jüngsten Vergangenheit tatsächlich im Wert gestiegen waren. So hatte sich der Wert des Monumentalzyklus „Der Bauernkrieg" (1921) von Kollwitz in der Februarauktion bei Perl im Vergleich zur Auktion vom 10. und 11. November 1922 bei Graupe mehr als verdoppelt (von 60.000 Μ (7 $) auf 450.000 Μ (19 $).173 Trotz dieser Wertsteigerung, von der auch deutsche Händler profitierten, waren die Arbeiten für ausländische, namentlich für amerikanische Sammler günstig. Auch auf der Versteigerung bei Lepke am 6. März konnten sie Gemälde alter Meister preiswert erwerben; Werke wie „Die Marter des heiligen Laurentius" von Salvatore Rosa und die „Köchin am Tisch stehend" von Joachim Beukelaer wechselten für 2,6 Millionen Mark (117 $) beziehungsweise 2 Millionen Mark (89 $) den Eigentümer.174 Die kurz darauf abgehaltene Auktion einer Sammlung neuerer Meister bei Lepke zeigte, dass auch für Gemälde des 19. Jahrhunderts ähnliche, teilweise sogar höhere Preise, wie für alte Meister gezahlt wurden. 175 Das Werk „Große Marine" von Andreas Achenbach kam auf 8,5 Millionen Mark (117 $), das „Fischerboot bei Sturm" von Eduard Hildebrandt auf 3,3 Millionen Mark (158 $). Trotz dieser leicht höheren Preise zeigt ein Vergleich mit Ergebnissen amerikanischer Auktionen, dass dort bereits für Papierarbeiten weitaus höhere Summen gezahlt wurden, als dies für Gemälde in Deutschland der Fall war. Beispielsweise erbrachte ein alter japanischer Farbholzschnitt von Sharaku 490 $, was am 20. März 1923 mehr als 10 Millionen Mark entsprach.176 Für deutsche Händler bedeuteten diese Summen einen großen Verlust, denn sie hatten noch vor wenigen Jahren beträchtliche Konvolute solcher Blätter zu geringen Preisen nach Amerika verkauft und mussten nun erleben, dass diese Werke sehr teuer gehandelt wurden. Im Laufe des Jahres wurden die anfangs noch als „Sensation" aufgefassten 170 Ebd., S. 64. 171 Auk.kat. Graphik der Neuzeit, Bücher mit Originalgraphik, ferner Mappenwerke und Handzeichnungen, durch Perl, am 24.2.1923. Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 5. Jg., 1923, 1. Märzheft, S. 297. 172 Kuhn, 1923, Perl, S. 461 f. 173 Der Dollarstand zur Mark betrug am 11.11.1922 umgerechnet 1:8.200 Μ und am 24.2.1923 1:22.775 M. 174 Auk.kat. Gemälde alter Meister, Handzeichnung, Kupferstiche (Gemälde der holländischen und spanischen Schulen, deutsche Malerei des 18.Jahrhunderts), durch Lepke, vom 6./7.3.1923, Kat. 1899. Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 5.Jg., 1923, 1. Aprilheft, S. 336. 175 Auk.kat. Gemälde neuerer Meister, durch Lepke, am 20.3.1923, Kat. 1900. Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 5. Jg., 1923, 1. Aprilheft, S. 336. 176 Donath, 1925, Jahrbuch, S. 73.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
-1923
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Millionenbeträge auf den Auktionen zunehmend zur Normalität.177 In der Graphik- und Handzeichnungsauktion bei Graupe Mitte April, die Kurt Mühsam zufolge zu den interessantesten auf diesem Gebiet der letzten Jahre zählte,178 wurden erneut Rekordpreise erzielt.179 Am begehrtesten unter den modernen Künstlern waren Werke von Slevogt. Seine 57 Lithographien zu den „Inseln Wak Wak" von 1921 kosteten 3,7 Millionen Mark (176 $), die Steinzeichnungen zum „Lederstrumpf" von 1920 2,6 Millionen Mark (124 $); Bleistiftzeichnungen von Liebermann konnte man dagegen schon für 280.000 bis 900.000 Μ (15-43 $) erwerben. Bei der Durchsicht von Graphikkatalogen sowohl moderner als auch alter Meister wurde deutlich, dass bevorzugt Blätter von hoher Qualität gekauft wurden, denn diese waren nicht den Schwankungen des Modegeschmacks unterworfen und bildeten dadurch eine relativ sichere Kapitalanlage. Die Überlegung, in wirtschaftlich unsicheren Zeiten Geld nicht nur in Form von Grunderwerb und Gold anzulegen, sondern auch in Kunstwerken, thematisierten gerade auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise immer wieder verschiedene Kunstzeitschriften.180 Kuhn zeigte in seinem Aufsatz über die Ergebnisse der Aprilauktion bei Graupe im Vergleich zu deren erzielten Summen im November des Vorjahres auf, dass trotz sinkenden Valutawertes181 der Wert bestimmter Kunstgegenstände effektiv beibehalten oder sogar verdoppelt werden konnte, wie beispielsweise bei Graphiken von Slevogt. Auch auf der Versteigerung von Graphik des 19. und 20. Jahrhunderts bei Graupe Anfang Juni erzielten zahlreiche Papierarbeiten einen respektablen Wertzuwachs.182 Ein Beispiel für eine kontinuierliche Steigerung kann an den Graphiken von Corinth nachvollzogen werden. Die Sammler mussten für den „Hektor" (50 Exemplare) im November 1922 110.000 Μ (13 $) zahlen, im April 1923 750.000 Μ (36 $) und im Juni 3,1 Millionen Mark (39 $). In diesen schwierigen Zeiten empfahl Donath daher den Sammlern, sich mit Kunstwerken von Qualität „einzudecken".183 Sein Plädoyer orientierte sich vor allem auf den Kauf moderner Graphik, denn diese konnte von ausgezeichneter Qualität sein und dennoch weniger kosten als in der Vorkriegszeit. Zudem waren diese Graphiken für einen größeren Kreis von Sammlern von Interesse, als die teilweise schwindelerregend hohen Millionensummen für Gemälde oder Graphiken alter Meister. Für Papierarbeiten von Liebermann wurden in der Juniauktion bei Graupe teilweise Preise von über einer Million Mark gezahlt, umgerechnet waren dies etwa 15 $. Vor dem Krieg hatten vergleichbare Arbeiten allerdings noch zwischen 50 und 125 $ gekostet. Auch für die Graphiken von Ury, Kollwitz, Heckel und anderen zeitgenössischen Künstlern mussten bei Graupe vergleichsweise geringe Summen, häufig unter 10 $, gezahlt werden. Für solche qualitativ hochwertigen Graphiken
177 Für das Folgende ebd., S. 75. 178 Mühsam, 1923, S. 169. 179 Auk.kat. Graphik und Handzeichnungen, durch Graupe, vom 10.-12.4.1923. Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
5. Jg., 1923,1. Maiheft, S. 378f.
180 Kuhn, 1923, Graphik, S. 594-597. 181 Dollarstand am 11.11.1922: 8.200 M, am 15.-17.5.1923: 42.300 bis 46.650 M. 182 Auk.kat. Handzeichnungen und Graphik des 18.-20. Jahrhunderts, sowie Piranesi-Sammlung, durch Graupe, vom 6.-9.6.1923. Ergebnisse vgl. Kuhn, 1923, Graupe, S. 711-713. 183 Für das Folgende vgl. Donath, 1923, Bewertung.
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II. Der Kunsthandel in Berlin -1923
bestand für die Zeit nach der Inflation die berechtigte Hoffnung auf Wertsteigerung. Auch Graetz folgte diesem Konzept, denn in seiner Sammlung gab es eine Reihe von Graphikmappen zeitgenössischer Künstler, die er Anfang der 1920er Jahre günstig erworben hatte. Dazu gehörten unter anderem solche von Corinth, Dix, Heckel und Pechstein. Trotz der vermeintlich geringen Dollarsummen muss jedoch festgehalten werden, dass die von N e w York oder anderen Metropolen diktierten Preise nicht als Richtschnur für den deutschen Kunstmarkt dienen konnten. In der Regel war es den deutschen Sammlern nicht möglich, Kunstobjekte im Ausland zu erwerben, weil ihnen die Devisen dafür fehlten. In Deutschland gab sich der Handel mit sehr mäßigen Preisen zufrieden. Wie schlecht es um den deutschen Kunstmarkt stand, kann ebenfalls den Aufzeichnungen der beiden Zeitschriften entnommen werden, die in regelmäßigen Abständen über den deutschen und internationalen Kunstmarkt berichteten. Der Kunstwanderer besprach bis auf wenige deutsche Auktionen, darunter keine Berliner, vorwiegend ausländische, und das Fachblatt Kunstchronik und Kunstmarkt erwähnte sogar bis zum Oktober 1923 keine weitere deutsche Versteigerung. Dem völlig desolaten deutschen Kunstmarkt Rechnung tragend wurde letztgenannte Publikation von November 1923 bis März 1925 gänzlich eingestellt - auch dies ein Zeichen der wirtschaftlichen Krise jener Jahre. Während der Sommermonate, in denen traditionell keine Auktionen stattfanden, sank der Wert der Mark im Vergleich zum Dollar in nie da gewesene Tiefen: Ende August mussten für einen Dollar 10,3 Millionen Mark gezahlt werden, Ende September bereits 160 Millionen Mark. 184 Zahlreiche deutsche Sammler waren aufgrund der Inflation gezwungen, einen Teil ihres Besitzes zu verkaufen, um von dem Erlös ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Donath wies in seinen Ausführungen zum Kunstmarkt des Jahres 1923 darauf hin, dass die Fülle von durchgeführten Versteigerungen der Grund für das Entstehen einer großen Anzahl kleiner Kunsthandlungen in verschiedenen Städten war, die von der Situation profitieren wollten. Sie erwarben Kunstwerke von häufig geringer Qualität als Spekulationsobjekte, um sie zu einem günstigeren Zeitpunkt mit Profit zu veräußern. Trotz des katastrophalen Wertverfalls der Mark eröffnete Lepke am 18. September 1923 die Berliner Herbstsaison mit einer Auktion von Gemälden und Kupferstichen alter Meister. 185 Unter diesen befanden sich einige Kunstgegenstände von allererstem Rang; die Auktion konnte, so Act Kunstwanderer, als einer der Höhepunkte der letzten zwei bis drei Jahre auf diesem Gebiet gelten und wurde gut besucht. 186 Unter den vorzüglichen Werken befanden sich einige Bilder aus den Beständen der Hamburger Kunsthalle, die Preise erzielten, die über den Vorkriegspreisen lagen. 187 Bemerkenswert war, dass zwei Hauptwerke der Kunsthalle, die beiden Gemälde des niederländischen Künstlers Adriaen van Nieulandt, „Raub der Proserpina" und „Raub der Europa", 260 Milliarden Mark erbrachten; bei dem Umrechnungskurs - eine Milliarde Papiermark entsprach 30 Goldmark ( G M ) - kosteten
184 Für das Folgende Donath, 1925, Jahrbuch, S. 90. 185 Auk.kat. Gemälde alter Meister, Kupferstiche, Handzeichnung, alte Bücher, durch Lepke, am 18./19.9.1923, Kat. 1907. 186 Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 5. Jg., 1923,1./2. Septemberheft, S. 19. 187 Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 5. Jg., 1923, 1./2. Oktoberheft, S. 46.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
-1923
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die Gemälde 7.800 GM. Dieses Ergebnis lag über dem Weltmarktpreis in Gold. Aufgrund der Milliardenbeträge, deren Wert sich zudem ständig änderte, hofften daher viele Kunsthändler auf die Goldmark. Qualitätswerke konnten zudem seit langem nur noch in Gold gekauft werden. Viele deutsche Kunsthändler, die kein Gold und keine Devisen besaßen, waren daher vom Handel ausgeschlossen und mussten abwarten.188 Für die folgenden Wochen bis Ende des Jahres ist es kaum möglich, die Ergebnisse auf dem Kunstmarkt einzuschätzen. Am 9. Oktober 1923 kostete der Dollar eine Milliarde Papiermark. Bei den phantastisch hohen Marksummen ist zu berücksichtigen, dass die Papiermark im Verhältnis zur Goldmark Mitte Oktober rasant an Wert verlor. Am 9. Oktober 1923 entsprachen einer Milliarde Papiermark fünf GM, am Folgetag nur noch drei GM und am 11. Oktober sogar nur eine GM. 189 Der deutsche Kunsthandel, der sich allmählich auf die Goldwährung eingestellt hatte, veranstaltete seine erste Goldmarkauktion bei Lempertz in Köln. Das war am 13. und 14. November 1923 bei einem Dollarstand von unvorstellbaren 4 Billionen 200.000 Mark.190 Der Kunsthandel hatte mit der Umstellung auf die Goldmark als Währung im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen sehr spät begonnen. Denn zahlreiche Wirtschaftsbereiche hatten bereits Ende 1922 in Goldmark oder ausländischen Währungen gerechnet und damit in der Praxis, wenn auch nicht in der Theorie, das Prinzip Mark = Mark aufgegeben.191 Durch diese Änderung wurden die deutschen Inlandspreise auf das Weltmarktniveau angehoben und damit der Anreiz für ein weiteres Laufen lassen der Inflation beseitigt. Da der Kunsthandel sich spät umstellte, ist dies ein weiterer wichtiger Faktor, der die Vergleichbarkeit von erzielten Preisen für Kunstwerke zu den vorangegangenen Preisen erschwert. Offiziell wurde mit der Einführung der Rentenmark am 15. November 1923 eine Billion (Papier-) Mark auf eine Rentenmark (= Goldmark) umgestellt. Ende November führte Lepke die zweite Goldmarkauktion in Deutschland durch.192 Nach anfänglichem Zögern konnten im Verlauf der Auktion gute Preise erreicht werden. So wurden für das mit 200 GM bewertete Gemälde „Junge Gärtnerin" von Christian Wilhelm Dietrich 1.650 GM und für zwei Mädchenbildnisse des Zeitgenossen Dietrichs, Pietro Graf Rotari, 1.400 GM gezahlt. Die Preise lassen deutlich erkennen, dass trotz der unklaren Wirtschaftsverhältnisse versucht wurde, sich den (Goldmark-) Preisen von 1914 anzupassen. Insgesamt betrachtet, kann die Zeit in zwei Phasen unterteilt werden. Die Jahre bis 1921 waren durch einen florierenden Kunsthandel gekennzeichnet, auf dem vor allem Gemälde holländischer und italienischer Meister des 17. Jahrhunderts sowie neuerer Künstler zum Verkauf kamen. Ferner fanden Graphiken alter und moderner Künstler einen guten Absatz. Die alten Meister hielten sich auf einem relativ hohen Preisniveau, und auch für die Gemälde moderner Künstler wurden teilweise sehr hohe Summen gezahlt, vorausgesetzt es handelte sich um gute Qualität. Allerdings überschwemmten in zunehmendem Maße zweitrangige 188 Donath, 1925, Jahrbuch, S. 94. 189 Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
5. Jg., 1923, 1./2. Oktoberheft, S. 46.
190 Donath, 1925, Jahrbuch, S. 96. 191 Für das Folgende Kolb, 1998, S. 190f. 192 Auk.kat. Gemälde und Handzeichnungen, Antiquitäten, Einrichtung eines Thüringer Herrensitzes und andere Beiträge, durch Lepke, vom 27.-29.11.1923, Kat. 1911. Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
5. Jg., 1923,1./2. Dezemberheft, S. 105.
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II. Der Kunsthandel in Berlin -1924
Kunstwerke den Markt. War das Angebot an Werken in den Anfangsjahren noch beträchtlich, änderte sich dies mit der fortschreitenden Verschlechterung der Wirtschaftslage ab 1922. Für ausländische Händler und Sammler waren Gemälde und Graphiken auf dem deutschen Kunstmarkt vergleichsweise günstig zu erwerben, weshalb sie diesen schon bald beherrschten. Da die deutschen Kunsthändler wegen des Währungsverfalls nicht mehr mitbieten konnten, drohte ein Ausverkauf des deutschen Kunstmarktes. Konsequenterweise führten sie aufgrund mangelnder Gemäldeangebote weniger Auktionen durch. Graphiken dagegen waren bei einer breiteren Schicht von Sammlern begehrt, da sie günstiger zu erwerben waren. Finanzkräftige deutsche Sammler kauften daher bedeutende Papierarbeiten in der Hoffnung auf Wertsteigerung. Interessant waren für diese Käufer neben den etablierten Künstlern vor allem Werke der jungen Generation, die bereits für wenig Geld erworben werden konnten und die ebenfalls als Wertanlage dienten. Graetz, der zwar über ein beträchtliches Vermögen verfügte, aber auch unter der wirtschaftlichen Lage zu leiden hatte, setzte auf diese Strategie. Für seine Sammlung erwarb er gerade Werke jüngerer Künstler, weil sie günstiger waren und zudem einen Wertzuwachs versprachen. Auf dem Höhepunkt der Papiermarkinflation wurde am 15. November 1923 die Rentenmark eingeführt. In den kommenden Auktionen des ausgehenden Jahres tendierte der deutsche Kunstmarkt fester und im Durchschnitt wurden höhere Goldmarkpreise bezahlt als vor dem Ersten Weltkrieg. 193
Trendwende zum internationalen Kunstmarkt: 1924-1929 Anfang des Jahres 1924 schien sich die Hoffnung auf eine Konsolidierung des deutschen Kunstmarktes tatsächlich zu erfüllen, weil die Goldmark für die Geschäfte zum Ende des Jahres 1923 eine solide Basis schaffte. 194 Problematisch war allerdings, dass die Goldmark nicht immer zur Verfügung stand. Zudem wurde von den Händlern der Fehler begangen, die Mark von 1914 mit der Goldmark zu vergleichen, denn es gab weder eine so große Menge an Goldmark, wie es 1914 der Fall war, noch war ihre Kaufkraft so hoch. Unter diesen falschen Voraussetzungen wurden daher im Januar bei Graupe auf der ersten Auktion moderner Graphik in Goldmarkpreisen teilweise Summen erzielt, die weit höher waren als die Vorkriegspreise. 195 Dies war zum Beispiel bei einem Probedruck von Hans Meid der Fall. 196 Während sein gesamter Othello-Zyklus 1913 in der Versteigerung der Sammlung Weber 240 G M kostete, erbrachte in der Januarauktion bei Graupe ein einziges Blatt aus dieser Serie, „Rendezvous am Dogenpalast", 750 G M - der höchste Preis für eine Radierung in dieser Versteigerung. Weitere Radierungen von Meid und anderen zeitgenössischen Künstlern brachten 50 bis 150 GM, was gute Preise für derartige durchschnittliche Papierarbeiten waren. Die Auktion war ein großer Erfolg und war daher für die Preisbildung der nächsten Zeit von besonderer Bedeutung. Allerdings wurde im Verlauf des Jahres moderne Graphik sehr uneinheitlich eingeschätzt. Auch in den Folgemonaten bis zum Frühsommer 193 Anonym, Kunstauktionen Köln, in: Der Kunstwanderer,
6. Jg., 1924,1./2. Januarheft, S. 129.
194 Für das Folgende Donath, 1925, Jahrbuch, S. 98. 195 Auk.kat. Graphik und Handzeichnungen des 19. und 20.Jahrhunderts, durch Graupe, am 25./26.1.1924. 196 Für das Folgende Donath, 1924, Bewertung.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
-1924
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führten Henrici, Perl und Graupe vorwiegend Graphik- und Autographenauktionen durch, die zwar gute, aber nicht spektakuläre Summen erbrachten. Die Preise für moderne Graphiken lagen dabei in der Regel zwischen 200 und 300 RM. So kostete bei Perl im März eine Kohlezeichnung von Kollwitz 280 RM.197 Bei Graupe wurden im gleichen Monat für Corinths Lithographie „Mädchen mit Hut und Maske" 305 RM und für die Radierung „Amsterdamer Straßenhandel" von Liebermann 260 RM geboten; der höchste Preis ging an Urys Zeichnung „Zeitungsleser im Cafe" (335 RM).198 Auf diesen Auktionen war es - wie schon im Januar - trotz der Geldknappheit gelungen, viele Käufer anzuziehen. Donath hob in seiner Bewertung des Kunstmarktes von 1924 hervor, dass die dort erzielten Preise für moderne Graphiken noch keine endgültige Aussage für die weitere Preisentwicklung geben könnten, aber es sei erfreulich, dass die „Amateure sich [...] an die Qualitäten hielten".199 Zu diesem Sammlertyp zählte zweifellos Graetz, der zahlreiche Graphiken moderner Künstler in diesen Jahren erwarb. Die erste erwähnenswerte Gemäldeauktion des Frühjahres war die Versteigerung alter Gemälde aus der Sammlung Nicholson, die Anfang April bei Lepke stattfand.200 Das Hauptinteresse der Bieter konzentrierte sich dabei auf das Gemälde „Das Mädchen bei der Toilette" von Gerard Terborch, für das der Käufer 20.500 GM zahlte, was allerdings deutlich unter der Taxe von 50.000 GM lag. Die weiteren Preise für hochrangige niederländische Gemälde lagen zwischen 1.500 und 6.600 RM. Mit dieser Bewertung näherten sie sich den Preisen von vor 1914 an. Eine Einschätzung des Berliner Kunstmarktes für den Frühsommer 1924 ist schwierig, da weder im Kunstwanderer noch im Jahrbuch für Kunstsammler Preise verzeichnet sind. Die bevorstehenden Auktionen wurden zwar angekündigt, ihre Ergebnisse in einer späteren Ausgabe jedoch nicht mitgeteilt. Dieses Desiderat betrifft insbesondere den Berliner Markt, während die anderen deutschen und teilweise auch die ausländischen Kunstmärkte besprochen wurden. Ein Grund für das Nichterwähnen könnte die schwierige Situation des Berliner Kunstmarktes gewesen sein, denn hier fanden gerade im Frühsommer nur sehr wenige Auktionen statt. Bei Lepke galten diese vorwiegend den Segmenten Mobiliar, Kunstgewerbe, Keramik, Ostasiatika und Skulpturen des Mittelalters, während nur eine einzige sich Gemälden alter und neuerer Meister widmete.201 Perl und Graupe führten im gleichen Zeitraum Versteigerungen moderner Graphik durch.202 Die tatsächlich erzielten Ergebnisse für die ausgesprochen guten Arbeiten bei Perl wären von großem Interesse für die Einschätzung von Graphiken. Im Perl-Katalog befindet sich eine Schätzpreisliste, die teilweise sehr hohe Preise verzeichnet, beispielsweise betrugen die Taxen für verschiedene Radierserien von 197 Auk.kat. Moderne Graphik, durch Perl, am 17./18.3.1924. Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 6. Jg., 1924,1./2. Aprilheft, S. 224. 198 Auk.kat. Moderne Graphik, durch Graupe, vom 19.-22.3.1924. Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 6. Jg., 1924,1./2. Aprilheft, S. 224. 199 Donath, 1925, Jahrbuch, S. 107. 200 Auk.kat. Gemälde alter Meister aus der Sammlung Gilbert de Poulton Nicholson, durch Lepke, am 8.4.1924, Kat. 1918. Ergebnisse vgl. Anonym Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 6. Jg., 1924,1./2. Aprilheft, S. 225 und Donath, 1925, Jahrbuch, S. 104 f. 201 Auk.kat. Gemälde alter und neuer Meister, durch Lepke, am 3./4.6.1924, Kat. 1921. 202 Auk.kat. Moderne Graphik und Handzeichnungen, durch Perl, am 17.5.1924 und Auk.kat. Graphik und Handzeichnungen des 19. und 20. Jahrhunderts, durch Graupe, vom 2.-4.6.1924.
II. Der Kunsthandel in Berlin -1925
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Klinger 1.800 RM. Für Slevogt und Liebermann lagen die Taxen bei 600 und 900 RM. Im Vergleich zur Januarauktion bei Graupe, die für die Preisbildung zeitgenössischer Graphik als besonders wichtig galt, sind dies für einzelne Werke sehr hohe Taxen; die meisten bewegten sich allerdings um die 50 RM. Da die Ergebnisse nicht ermittelt werden konnten, bleibt offen, ob die Schätzpreise tatsächlich erzielt wurden. Sollte dies der Fall gewesen sein, dann hätten Graphiken preislich sehr angezogen. Im weiteren Verlauf des Sommers zeichnete sich dann ein Preisrückgang ab, der die mittleren Qualitäten jeglicher Kunstgattungen betraf, besonders jedoch die modernen Gemälde und Graphiken. Erst im Herbst festigten sich die Preise wieder, bedingt durch die stärkere Kauflust der ausländischen Käufer. Diese waren besonders aktiv bei der Versteigerung moderner ausländischer Graphik, die Anfang Oktober bei Graupe stattfand.203 Die Kollektion zeichnete sich durch außerordentlich hochrangige und seltene Kunstwerke aus. Die gebotenen Preise waren dabei durchweg hoch bis sogar sehr hoch; für Zeichnungen von Cezanne etwa wurden zwischen 240 und 450 RM oder für Ferdinand Hodler 150 bis 500 RM geboten. Damit reichte Graupe an die üblichen Weltmarktpreise heran. Das Interesse für hochwertige Papierarbeiten drückte sich auch in der Versteigerung aus, die Ende Oktober 1924 bei Amsler Sc Ruthardt stattfand.204 Auf dieser außerordentlich gut besuchten Auktion wurden erstklassige Ergebnisse erzielt, was vornehmlich an der hervorragenden Provenienz der Arbeiten lag. So erreichte Feuerbachs Entwurf „Venus Anadyomene", die auf 2.000 RM taxiert war, 6.000 RM und Menzels „Brustbild eines älteren Herrn" von 1890 5.700 RM (Taxe 3.000 RM). Die sehr hohen Resultate, vor allem für Feuerbach, sind bemerkenswert, da Deutschland Ende Oktober noch nicht über die Geldknappheit hinweggekommen war und sich der deutsche Kunstmarkt gerade erst erholte.205 Für zeitgenössische Graphiken von Liebermann, Corinth oder Hodler boten die Käufer auf derselben Auktion Preise zwischen 500 und 2.000 RM, die im Vergleich zu den Summen vom Januar bemerkenswert hoch waren. Seit Oktober 1924 nannte der Kunstwanderer noch ein weiteres Berliner Auktionshaus regelmäßig, das einen ähnlichen Schwerpunkt wie Lepke besaß. Das Kunst- und Auktionshaus Jac. Hecht hatte in diesem Monat seine Bestände komplett versteigert und spezialisierte sich fortan vorwiegend auf Antiquitäten und Gemälde. Die Erwähnung dieses Hauses in der Zeitschrift bringt eine größere Vielfalt in das Bild vom Berliner Kunstmarkt, da bisher der Eindruck entstehen konnte, dass in Berlin vorwiegend der Graphikhandel vorherrschte. Graphiken waren fraglos sehr begehrt, aber es gab auch einen großen Markt für Gemälde und Antiquitäten. 1925 dominierten weiterhin Graphikauktionen den Berliner Kunstmarkt, was auf eine Uberproduktion an Papierarbeiten zurückzuführen war. Als Ende Februar bei Perl moderne Graphik aus norddeutschem Privatbesitz versteigert wurde, befanden sich unter den 800 203 Auk.kat. Kollektion moderner ausländischer Graphik, durch Graupe, am 6./7.10.1924. Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
6. Jg., 1924, 1./2. Novemberheft,
S. 82. 204 Auk.kat. Handzeichnungssammlung aus süddeutschem Besitz, durch Amsler & Ruthardt, am 28./29.10.1924. Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 1924,1./2. Novemberheft, S. 82 f. 205 Für das Folgende Donath, 1925, Jahrbuch, S. 116 f.
6. Jg.,
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
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Nummern allein 350 Radierungen von Liebermann, zu denen Probedrucke und frühe Zustände zählten.206 Ferner wurden Papierarbeiten von Corinth, Klinger, Kokoschka, Kollwitz, Nolde, Slevogt, Ury und weiteren Künstlern angeboten. Der Kunstwanderer konstatierte, dass die dort erzielten Preise sehr gute seien und „aufbauend wirken können".207 Papierarbeiten von Liebermann schienen 1925 gefragt zu sein, denn auch bei Cassirer & Helbing wurden Handzeichnungen des Künstlers aus einer umfangreichen Kollektion eines ungenannten Berliner Sammlers angeboten; einige Blätter gingen zu hohen Preisen an die Berliner Nationalgalerie.208 Kurz darauf fand beim selben Auktionshaus eine beachtenswerte Versteigerung von neueren Gemälden aus einer süddeutschen Sammlung statt.209 Ein Erlanger Sammler hatte Gemälde und Zeichnungen deutscher und französischer Meister des 19. Jahrhunderts aus allen Epochen zusammengetragen, wobei er eine besondere Vorliebe für Arbeiten von Corinth besaß, die aufgrund des großen Angebots zum Teil nur niedrige Preise erzielten. Diese große Auktion wurde in drei Kunstzeitschriften besprochen, was einen Hinweis auf ihre Bedeutung gibt.210 Allerdings war der Erfolg, gemessen an der außerordentlich großen Beteiligung des Publikums, nicht entsprechend. Bilder von guter Qualität brachten hohe Preise, während Gemälde von geringerer Qualität, die in der Inflationszeit verhältnismäßig zu hoch bezahlt worden waren, auf ihr normales Niveau zurückgingen. Als akzeptabel waren die 9.500 RM für eine „Pfälzer Landschaft" von Slevogt zu bezeichnen,211 während die 35.000 RM für das Gemälde „Die Labung" (1880) von Hans von Marees als große Summe galt.212 Die Auktion wurde zudem im Cicerone positiv hervorgehoben, weil der Versteigerer erstmals nach jedem Los bekannt gab, ob das angebotene Werk verkauft oder an den Einlieferer zurückgegangen war.213 Um sich ein besseres Bild über den Kunstmarkt machen zu können, hoffte der Kritiker des Cicerone, dass diese neue Praxis von allen Kunstauktionshäusern übernommen würde. Dies war jedoch nicht der Fall.214 Beachtung fand ebenfalls die Versteigerung der Cumberland-Sammlung aus fürstlichem Besitz bei Lepke, die aufgrund der wirtschaftlichen Lage als Teil der Fideikommiß-
206 Auk.kat. Moderne Graphik aus dem Nachlasse eines Hamburger Kunstfreundes, durch Perl, am 27./28.10.1925. 207 Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
7. Jg., 1925,1./2. März-
heft, S. 234. 208 Auk.kat. 316 Handzeichnungen von Max Liebermann aus der Sammlung L., Berlin, durch Cassirer & Helbing, am 3-/4.3.1925. Ergebnisse vgl. Kuhn, 1925, Bilanz, S. 4 2 - 4 4 . 209 Auk.kat. Sammlung eines süddeutschen Kunstfreundes: Gemälde und Zeichnungen deutscher und französischer Meister des 19. Jahrhunderts, anschließend Handzeichnungen von Max Liebermann, durch Cassirer & Helbing, am 3./4.3.1925. 210 Erwähnung fand die Auktion in folgenden Publikationen: Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
7. Jg., 1925, 1./2.Märzheft, S. 236f.; R., 1925, S. 288 sowie Kuhn, 1925, Bi-
lanz, S. 42-44. 211 Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
7. Jg., 1925,1./2. Märzheft, S. 237.
212 Kuhn, 1925, Bilanz, S. 43. 213 R., 1925, S. 288. 214 In der Zeitschrift 'Weltkunst wurde für die Jahre 1932 und 1933 die Diskussion über die Neuordnung des Kunsthandels abgedruckt. Vgl. beispielsweise Feilchenfeldt, 1932, S. lf. und Haberstock, 1933, S. lf.
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II. Der Kunsthandel
in Berlin -1925
galerie des herzoglichen Hauses veräußert werden musste.215 Mit dieser Sammlung kamen, so der Cicerone, seit Jahren wieder künstlerisch hochrangige Altmeistergemälde aus altem Privatbesitz auf den deutschen Kunstmarkt, deren Provenienzen teilweise bis in das 18. Jahrhundert zurückreichten.216 Wie schon in der Gemäldeauktion bei Cassirer & Helbing wurden auch bei Lepke hohe Preise für die Arbeiten gezahlt; sie bewegten sich zwischen 4.000 und 7.000 RM. Beispielsweise erzielte „Die Dorfschenke" von Jan Miense Molenaer 5.200 RM.217 Für das Gemälde „Die Düne am Meer" von Jacob van Ruisdael, einem seltenen Typus im Werk des Künstlers, wurden aufgrund der Art und Qualität 16.500 RM geboten. Das Hauptereignis der Saison war jedoch die Versteigerung der Sammlung Darmstaedter bei Lepke, die erlesene europäische Porzellane des 18. Jahrhunderts beinhaltete.218 Die dort vertretende internationale Beteiligung beflügelte den Berliner Kunstmarkt spürbar.219 Bis zur Sommerpause veranstaltete Lepke drei Gemäldeauktionen mit Altmeistern der deutschen, niederländischen und italienischen Schulen und deutschen Malern des 19. Jahrhunderts.220 Aufgrund der guten bis sehr guten Qualität kommentierte der Kumtwanderer das Ende der Frühjahrssaison dahingehend, dass trotz der drückenden wirtschaftlichen Verhältnisse die Kunstauktionen gute Ergebnisse erzielt hätten.221 Auch in der neuen Saison fanden wieder einige moderne Graphikauktionen statt. Von Bedeutung war die Versteigerung von Graphiken und Handzeichnungen aus einer der „bekanntesten und wertvollsten Sammlungen in deutschem Privatbesitz", die Graupe Mitte September durchführte.222 Neben einigen sehr seltenen Papierarbeiten ausländischer Künstler waren die fast vollständigen Werke von Liebermann, Corinth und Slevogt vertreten. Für diese Künstler, insbesondere für Corinth, konnte auf der Auktion ein sehr gutes Ergebnis verzeichnet werden. Die erzielten Preise müssen vor dem Hintergrund des Werteverfalls 215 Auk.kat. Gemälde aus der ehemaligen Galerie eines deutschen Fürstenhauses (früher z.T. Sammlung B. Hausmann), durch Lepke, am 31.3.1925, Kat. 1931. 216 Anonym, Bevorstehende Versteigerungen, Berlin, Alte Meister bei R. Lepke, in: Der Cicerone. Halbmonatsschrift für Künstler, Kunstfreunde und Sammler, 17. Jg., März 1925, H. 6, S. 286f. 217 Für das Folgende vgl. die handschriftlich vermerkten Preise im Auktionskatalog, der sich im Haberstock-Archiv in Augsburg befindet. 218 Auk.kat. Sammlung L. Darmstaedter: Europäisches Porzellan 18. Jahrhundert, durch Lepke, vom 24.-26.3.1925, Kat. 1933. Zum Charakter der Sammlung vgl. Donath, 1925, Porzellansammlung. 219 Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 7. Jg., 1925,1./2. Aprilheft, S. 275 f. 220 Auk.kat. Gemälde neuerer Meister, Graphik und Handzeichnungen 15.-20.Jahrhundert, durch Lepke, vom 21.-24.4.1925, Kat. 1934. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 7. Jg., 1925, 1./2. Aprilheft, S. 276. Auk.kat. Gemälde alter Meister aus verschiedenem Besitz, durch Lepke, am 5./6.5.1925, Kat. 1935. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 7.Jg., 1925, 1./2.Aprilheft, S.277. Auk.kat. Sammlung L. mit Gemälden deutscher, französischer und englischer Meister, durch Lepke, am 25.6.1925, Kat. 1937. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 7. Jg., 1925, 1./2. Maiheft, S. 321. 221 Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 7. Jg., 1925,1./2. Juniheft, S. 360. 222 Vorwort zur Versteigerung im Auktionskatalog: Graphik und Handzeichnungen moderner Meister, durch Graupe, am 11./12.9.1925. Zu den Ergebnissen vgl. Kuhn, 1925, Versteigerungsergebnisse, S. 451.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
-1925
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gegen Ende des Jahres 1924 bewertet werden, denn moderne Graphik war im Jahr zuvor vielfältigen Schwankungen ausgesetzt gewesen. Bedingt waren diese vor allem durch die hohen Graphikauflagen auf dem Kunstmarkt, die relativ niedrige Preise zur Folge hatten. Das große Angebot und die günstigen Preise nahm Robert Graetz mit großer Wahrscheinlichkeit zum Anlass, seine Sammlung mit Graphiken moderner Künstler anzureichern, da sich ihm hier eine gute Gelegenheit bot. Die Qualität und damit der Wert einer Graphik kann an einem Beispiel verdeutlicht werden. Während ein Blatt der „Tragikomödien" von Corinth in der preisbildenden Frühjahrsauktion 1924 bei Graupe 200 RM kostete und im Dezember 1924 auf 100 RM fiel, stieg es aufgrund seiner Qualität in der Septemberauktion 1925 bei Graupe erneut auf 200 RM und behauptete damit seinen ursprünglichen Preis. Wenn auch die Summen für die neueren Meister keine Rekordergebnisse waren, so erhoffte sich doch der Kunstmarkt durch das Gesamtergebnis eine positive Marktentwicklung für den Winter.223 Die Reihe der bedeutenden Auktionen von Graphiken und Handzeichnungen wurde im Oktober bei Perl und Amsler & Ruthardt fortgesetzt. Perl versteigerte eine umfangreiche Sammlung moderner Papierarbeiten unter anderen von Barlach, Corinth, Gaul, Klinger, Kollwitz, Liebermann, Slevogt und Ury.224 Die Schätzpreise lagen dabei etwas unter denen der Graupe-Auktion vom September, was wiederum auf das große Angebot zurückzuführen ist.225 Amsler & Ruthardt bot aus der bemerkenswerten Sammlung D. L. Handzeichnungen moderner Künstler an, daneben solche von deutschen Künstlern des 19. Jahrhunderts und in der dritten Abteilung solche von ausländischen Künstlern aus der zweiten Hälfte des 19. und dem Anfang des 20. Jahrhunderts.226 Die Schätzpreisliste führte durchgehend hohe Preise für Papierarbeiten auf, die im Einzelfall an das Preisniveau von Gemälden heranreichte, so im Fall von Liebermanns Kreidezeichnung „Landschaft in Laren" für 3.000 RM oder Menzels Studienserie von fünf Blättern eines „Pferdemaulkorbs" für 7.000 RM. Ob die hohen Schätzpreise auf der Versteigerung umgesetzt wurden, konnte nicht ermittelt werden. Im Herbst und Winter führte das Auktionshaus Lepke neben einigen Versteigerungen von Antiquitäten mehrere Gemäldeauktionen durch. Auf der Nachlassversteigerung des Berliner Sammlers Heinrich Kaven wurden neben Möbeln Gemälde alter Meister wie von Alonso Cano, Lucas Cranach d.Ä. und Peter Paul Rubens sowie zahlreiche Bilder, die in der Nachfolge vorwiegend niederländischer Künstler entstanden waren, veräußert.227 Bei den zweitrangigen Gemälden hoffte der Kommentator des Kunstwanderers, dass auch diese Werke ihre Käufer finden würden, da in Zeiten von Geldknappheit deutsche Sammler sich 223 Ebd. 224 Auk.kat. Moderne Graphik aus dem Nachlasse eines Hamburger Kunstfreundes, durch Perl, am 27./28.10.1925. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
7. Jg.,
1925,1./2. Oktoberheft, S. 74. 225 Die Schätzpreisliste befindet sich im Auktionskatalog in der Kunstbibliothek Berlin. 226 Auk.kat. Handzeichnungssammlung D. L., durch Amsler & Ruthardt, am 29.10.1925. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
7. Jg., 1925,1./2. Oktoberheft, S. 74.
Eine Schätzpreisliste befindet sich im Exemplar in der Kunstbibliothek Berlin. 227 Auk.kat. Gemälde alter Meister aus der Sammlung Heinrich Kaven, Berlin-Grunewald (2.Teil) und aus verschiedenem Besitz, durch Lepke, am 27.10.1925, Kat. 1941. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
7. Jg., 1925,1./2. Oktoberheft, S. 72.
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II: Der Kunsthandel in Berlin -1926
kaum noch die Meisterwerke leisten konnten. 228 Auch die letzte Auktion des Jahres bei Lepke bot alte Gemälde an.229 Entsprechend der Vorliebe der deutschen Sammler waren vor allem die niederländischen und flämischen Künstler des 17. Jahrhunderts vertreten, wie beispielsweise Caspar Netscher, Philip Wouwerman, Frans de Momper. Für diese Werke zahlten die Interessenten allerdings relativ niedrige Preise von unter 500 RM. 230 Die hervorragenden Gemälde der frühen italienischen Schulen wie Giovanni Mansuetis „Krönung Marias" und Alessandro Morettos Porträt von „Francesco Malarida" erbrachten dagegen 5.900 und 9.000 RM, das höchste Gebot der Versteigerung. Die Sammlung Tucher, die eine wertvolle Sammlung italienischer Gemälde und Skulpturen des Quattro- und Cinquecento beinhaltete, erzielte bei Cassirer & Helbing Preise, die über den Erwartungen lagen.231 Dabei war das Geheimnis des Erfolges, so Kuhn, die Provenienz der Sammlung. 232 Der Autor stellte fest, dass die deutschen Sammler in zunehmendem Maße Kunstwerken von einwandfreier Herkunft den Vorzug gaben, im Gegensatz zu den Käufern der Inflationszeit, die wahllos Kunstgegenstände erworben hatten. Auf dem Berliner Kunstmarkt gab es 1925, wie schon im Vorjahr, viele Auktionen mit moderner Graphik, die wegen des starken Überangebots nur geringe Preise erzielten. Eine positive Wende ergab sich, als die Luxussteuer für Kunstwerke lebender Künstler entfiel, die den Kunsthandel bisher erheblich beeinträchtigt hatte.233 Die Preise erreichten daraufhin das Niveau der Ergebnisse vom Frühjahr 1924, die als richtungsweisend galten. Gemäldeauktionen alter und neuerer Meister wiesen eine unterschiedliche Tendenz auf. Während hochrangige alte Meisterwerke nur noch selten zur Versteigerung kamen und zweitrangige Gemälde nur geringe Preise erzielten, wurden für neuere Künstler in einigen Fällen sehr hohe Preise gezahlt, die teilweise sogar an die Ergebnisse der alten Gemälde heranreichten. Zu Beginn des neuen Jahres 1926 erschütterte der Tod des bedeutenden Kunsthändlers Paul Cassirer den Berliner Kunstmarkt. 234 Der Kritiker Karl Scheffler würdigte ihn in seinem Nachruf, es habe vor Cassirer keinen Händler gegeben, der seinen Beruf mit so viel praktischem Idealismus und hohem Pflichtgefühl für die Kunst erfüllt habe, wie dieser.235 Cassirer hatte sich als Galerist in außerordentlichem Maße für die moderne Kunstbewegung in Deutschland, allen voran für die deutschen und französischen Impressionisten, ein228 Ebd. 229 Auk.kat. Gemälde alter Meister aus einer Kopenhagener Sammlung im Auftrag der Danske Landmandbank, einem norddeutschen Museum und anderem Besitz, durch Lepke, am 10.12.1925, Kat. 1946. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 7. Jg., 1925, 1./2.Novemberheft, S.120f. 230 Die folgenden Preise sind dem Exemplar des Auktionskatalogs im Haberstock-Archiv in Augsburg entnommen. 231 Auk.kat. Die Sammlung Heinrich Freiherr von Tucher, durch Cassirer & Helbing, am 8.12.1925. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 7. Jg., 1925,1./2. Novemberheft, S. 121. 232 Kuhn, 1926, S. 647. 233 Szkolny, 1925, S. 229. 234 Zum Tod von Paul Cassirer vgl. Glaser, 1926, S. 655 f. sowie Anonym, Paul Cassirer. Das Wirken des Kunsthändlers, in: Der Kunstwanderer, 8. Jg., 1926,1./2. Januarheft, S. 207. 235 Scheffler, 1926, S. 175.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
-1926
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gesetzt. Er war der wichtigste Galerist von Liebermann gewesen, dessen Werke auch Robert Graetz gesammelt hatte. Der Nachweis, dass Graetz bei Cassirer direkt Werke des Künstlers gekauft hatte, konnte zwar nicht erbracht werden, jedoch ist dies sehr wahrscheinlich, da er etwa dreißig Werke von Liebermann in seiner Sammlung besessen haben soll.236 In späteren Jahren hat sich Cassirer dem Kunsthandel zugewandt. Als Galerist wie als Kunsthändler hatte er eine wichtige Rolle im Berliner Kunstmarkt gespielt und gemeinsam mit dem Münchener Kunsthändler Hugo Helbing bedeutende Auktionen alter Kunst durchgeführt. Mit Cassirer hatte der Berliner Kunstmarkt einen seiner wichtigsten Händler verloren. In der Märzausgabe vermerkte der Kunstwanderer, dass der Berliner Kunstmarkt durch eine größere Frequenz der Auktionen und einer höheren Kaufbereitschaft gekennzeichnet sei.237 Eigene Überprüfungen zu den durchgeführten Auktionen der Jahre 1925 und 1926 ergaben jedoch, dass diese Aussage vorwiegend für Graphikauktionen galt; für den Gemäldesektor galt dies nicht, denn beispielsweise das Auktionshaus Lepke führte in beiden Jahren konstant zwanzig Versteigerungen durch. Die allgemein höhere Kaufbereitschaft spiegelte sich in Berlin vor allem in den erzielten Resultaten wider. Als hohe Preise galten David Teniers' „Bauernstube" für 22.100 RM und Sebastiano del Piombos „Madonna mit den Heiligen und Stiftern" für 21.200 RM, die Ende April bei Cassirer & Helbing ersteigert wurden.238 Damit entsprachen diese Preise, insbesondere für die alten niederländischen Werke, etwa denen von 1925. Im Laufe des Jahres 1926 wurden solche guten Preise für niederländische Gemälde des 17. Jahrhunderts aufgrund der großen Anzahl zur Verfügung stehender Werke jedoch nicht mehr erreicht. Allgemein konnte für den Berliner Kunstmarkt bei den Gemäldeauktionen ein Rückwärtstrend festgestellt werden. So wurde bei Lepke, dem führenden Auktionshaus für Gemälde, in der zweiten Jahreshälfte nur eine einzige Gemäldeauktion durchgeführt, auf der wieder die niederländischen Werke des 17. Jahrhunderts dominierten.239 Die anderen sieben Auktionen boten Antiquitäten, Mobiliar, Teppiche und Kunstgewerbe. Begründet könnte diese Tendenz damit werden, dass der Markt für Gemälde in der Vergangenheit leer gekauft worden war und daher das Angebot der zum Verkauf stehenden Werke gering war. Im Bereich der deutschen Künstler des ^.Jahrhunderts war es ebenso wie bei den niederländischen Meistern zu einem starken Preiseinbruch gekommen. So wurden beispielsweise bei Lepke im Frühjahr für einen Großteil der Ge-
236 Die Anfrage bei der Galerie Feilchenfeldt in Zürich, die als einer der drei Teilhaber zum Teil Akten der Galerie Cassirer übernommen hatte, konnte Graetz nicht als Käufer in den Akten nachweisen. Vgl. Schreiben der Galerie Walter Feilchenfeldt an Görnandt, Zürich, am 5.6.2002, in: Privatarchiv Angelika Enderlein, geb. Görnandt (PA AE). Allerdings sind aufgrund der Kriegsumstände zahlreiche Akten nicht mehr erhalten, so dass Graetz durchaus dort gekauft haben könnte. 237 Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 8. Jg., 1926,1./2. Märzheft, S. 293. 238 Auk.kat. Alte und neuere Meister der Fideikommiss-Galerie des Gesamthauses BraunschweigLüneburg, durch Cassirer & Helbing, am 27./28.4.1926. Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 8. Jg., 1926,1./2. Maiheft, S. 382. 239 Auk.kat. Gemälde alter Meister und Handzeichnungen des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung A.G., Hamburg, durch Lepke, am 16.11.1926, Kat. 1965. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 8. Jg., 1926,1./2. Novemberheft, S. 115.
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II. Der Kunsthandel in Berlin -1927
mälde gerade einmal 1.000 RM geboten. 240 Knapp darüber lag Defreggers „Tirolerin" mit 1.200 RM; Trübners „Bildnis einer jungen Dame" brachte als höchsten Preis 4.000 RM, der als gut zu bezeichnen war, denn Beträge in dieser Höhe entsprachen dem üblichen deutschen Kunstmarktniveau. Zum Vergleich seien die Durchschnittspreise beim Auktionshaus Bangel in Frankfurt am Main genannt, die im Sommer bei 5.000 RM lagen. 241 Schwächere Preise konnten auch bei den modernen Graphiken verzeichnet werden. So bot Perl im Frühjahr Mappenwerke, Zeichnungen und Radierungen von den bedeutendsten zeitgenössischen Künstlern wie Liebermann, Corinth, Slevogt, Ury, Kollwitz, Pechstein und Heckel an.242 Deren Schätzpreise lagen in der Regel zwischen 25 und 50 RM, und nur in Ausnahmefällen erreichten sie mehr als 150 RM, wie die aquarellierte Bleistiftzeichnung „Liegender weiblicher Akt" von Corinth (160 RM). Ähnliche Schätzpreise gab auch der Herbstkatalog für moderne Graphiken bei Graupe an.243 Ein ungewöhnlich hoher Preis wurde dagegen für Klingers „Brahms Sinfonie" angesetzt; mit 1.500 RM war dies der höchste Preis der Auktion. Die tatsächlich gezahlten Summen waren nicht zu ermitteln, aber der Kunstwanderer kommentierte die Versteigerung dahingehend, dass das „Interesse der Sammler lebhaft [war] und die Preise für moderne Graphik sich auf achtbarer Höhe bewegten", die für die Wirkung auf den Markt von Interesse waren. 244 Die Zeitschrift Kunstmarkt und Kunstchronik, die nach eineinhalbjähriger Pause seit 1925 wieder gedruckt wurde, stellte im April 1926 endgültig ihr Erscheinen ein. Sie berichtete allerdings nicht in der Ausführlichkeit über den Berliner Kunstmarkt, wie dies der Kunstwanderer tat, weswegen ihr Einstellen für die durchgeführte Analyse des Berliner Marktes keine Konsequenzen hatte. Auch 1926 fanden wieder viele Graphikauktionen statt, deren Preise aber unter denen der Vorjahre lagen. Wegen der sehr günstigen Möglichkeit, durchschnittlich gute Qualitäten für wenig Geld zu erwerben, fanden diese regen Absatz, wodurch der Kunstmarkt sich belebte. Gerade für Sammler wie Graetz, die sich noch im Aufbau ihrer Sammlung befanden, bot sich hier eine sehr gute Gelegenheit, für ausgesprochen wenig Geld Graphiken zu erwerben. Bei den Gemäldeauktionen ist dagegen ein Rückwärtstrend festzustellen, weil das Angebot nicht mehr so groß war. Im Jahr 1927 hatte der Berliner Kunstmarkt ein wesentlich reicheres Angebot an verschiedenen Sammlungsbereichen als noch in den Jahren zuvor zu bieten. Dies betraf sowohl
240 Auk.kat. Gemälde neuerer Meister, durch Lepke, am 13.4.1926, Kat. 1955. Erzielte Preise sind im Exemplar im Haberstock-Archiv in Augsburg überliefert. 241 Auk.kat. Gemälde neuerer Meister aus süddeutschem u.a. Besitz, durch Bangel, am 29.6.1926. Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Frankfurt, in: Der Kunstwanderer, 8. Jg., 1926,1./2. Augustheft, S. 501. 242 Auk.kat. Moderne Graphik, durch Perl, am 22.4.1926. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 8. Jg., 1926, 1./2. Aprilheft, S. 338. Die Schätzpreisliste befindet sich im Katalog in der Kunstbibliothek Berlin. 243 Auk.kat. Graphik und Handzeichnungen alter und moderner Meister aus dem Nachlass Vincent Mayer, Freiburg, durch Graupe, am 1./2.10.1926. Schätzpreisliste im Auktionskatalog in der Kunstbibliothek Berlin enthalten. 244 Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 8. Jg., 1926,1./2. Oktoberheft, S. 74.
2. Kunstmarkt
und Kunsthandel
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die Vielfalt der Epochen bei den Gemälden, als auch Kunstgattungen, die hier nur am Rande erwähnt werden sollen, aufgrund ihrer ausgezeichneten Qualität aber das Bild des Berliner Kunstmarktes abrunden. Hervorragende Auktionen mit Skulpturen zogen ein internationales Publikum an. Lepke versteigerte im April die mannigfaltige Sammlung von Hugo Benario mit mittelalterlichen Holz- und Steinplastiken vorwiegend des 13. und H.Jahrhunderts; im Herbst folgte dessen kostbare Stoffsammlung.245 Die Auktion schloss mit dem beeindruckenden Gesamtergebnis von 345.000 RM. Erwähnenswert ist auch die Versteigerung eines weiteren Teils der umfangreichen Kollektion von Jacques Mühsam. Nachdem im Jahr zuvor seine mittelalterliche Skulpturensammlung veräußert worden war, kamen nun Holzplastiken der folgenden Jahrhunderte sowie Möbel der Renaissance und des Barocks zum Angebot, die aufgrund ihrer Qualität hohe Preise erreichten.246 Seit dem vorangegangenen Jahr war auf dem deutschen und vor allem auf dem Berliner Kunstmarkt, ein steigendes Interesse für Ostasiatika zu verzeichnen. Bereits im Jahr 1927 gab es einige bedeutende Versteigerungen mit diesem Schwerpunkt, wie die Sammlung Seligmann oder die Sammlung Bondy, die ausgezeichnete Preise erzielten. In Berlin gab es einige Spezialversteigerungshäuser, die sich um die asiatische Kunst verdient gemacht hatten; zu ihnen zählten die Auktionshäuser Edgar Worch, Dr. Otto Burchard & Co. und Ernst Cassirer. Diese Kunsthandlungen waren Robert Graetz vermutlich bekannt und möglicherweise kaufte er dort auch Objekte für seine umfangreiche Kollektion ostasiatischer Kunst an.247 Für das Segment Gemäldeauktionen konnte festegestellt werden, dass die Menge der vorhandenen Werke von niederländischen Künstlern des 17. Jahrhunderts deutlich zurückgegangen war. Auch italienische Gemälde wurden selten angeboten. Dagegen kamen vermehrt sehr gute Sammlungsbestände von deutschen und französischen Künstlern des 19. und 20. Jahrhunderts zur Versteigerung, die für sehr hohe Preise den Eigentümer wechselten. Zu diesen gehörte die Sammlung des Breslauer Leo Lewin, die im Frühjahr bei Cassirer & Helbing zum Verkauf kam.248 Lewin hatte in den Jahren nach dem Ende des Ersten Weltkrieges seine Sammlung aufgebaut, indem er wesentliche Teile aus sich auflösenden Be245 Auk.kat. Sammlung H. Benario: Mittelalterliche Plastik, Gemälde [...], ostasiatische und ägyptische Kunst, durch Lepke, am 5./6.4.1927, Kat. 1976. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in·. Der Kunstwanderer, 9. Jg., 1927,1./2. Märzheft, S. 292f. Ergebnisse vgl. ebd., 1./2. Maiheft, S. 386 sowie im Auktionskatalog. Auk.kat. Stoffsammlung Hugo Benario, Berlin, durch Lepke, am 12.10.1927, Kat. 1985. Ergebnisse vgl. Anonym, Bericht über die Versteigerung Mühsam und Benario bei Rudolph Lepke, in: Die Kunstauktion, 1. Jg., 22.10.1927, Nr. 2, S. 1. 246 Auk.kat. Antiquitäten, Möbel des 16. und 18.Jahrhunderts [...] aus den Sammlungen Kommerzienrat Jacques Mühsam und elsässischer Adels- und anderer Privatbesitz, durch Lepke, am 11.10.1927, Kat. 1984. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 9. Jg., 1927, 1./2. Septemberheft, S. 29f. Ergebnisse vgl. Anonym, Bericht über die Versteigerung Mühsam und Benario bei Rudolph Lepke, in: Die Kunstauktion, 1. Jg., 22.10.1927, Nr. 2, S. 1. 247 Ein Teil seiner Ostasiatika-Sammlung wurde 1941 zwangsversteigert. Nur diese Objekte konnten in das Werkverzeichnis im Anhang aufgenommen werden. Vgl. Kat.Nr. 137-142, 144-157, 182 und 187. 248 Auk.kat. Sammlung Leo Lewin, Breslau. Deutsche und französische Meister des 19. Jahrhunderts, Gemälde, Plastik, Zeichnungen, durch Cassirer & Helbing, am 12.4.1927. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 9. Jg., 1927,1./2. Märzheft, S. 293 f.
II. Der Kunsthandel in Berlin
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ständen erworben hatte, um sie so vor der völligen Zerstreuung zu bewahren. Scheffler bemerkte im Vorwort des Auktionskatalogs, dass in den vergangenen Jahren kein Bestand an moderner Kunst zum Verkauf gebracht worden war, der mit dieser an Umfang und Bedeutung hätte wetteifern können.249 Wegen der hervorragenden Provenienzen und Qualitäten erzielten die Objekte daher ungewöhnlich hohe Preise.250 Gemälde von Liebermann kosteten zwischen 11.000 und 22.600 RM („Kirchgang in Laren"). Auch Slevogts Gemälde wurden hoch bezahlt; sein „Blühender Birnbaum" kostete 12.200 RM. Das teuerste Bild war Menzels „Prozession in Gastein" mit 41.000 RM. Für den Kunstmarkt war das Gesamtergebnis sehr motivierend, denn solche Preise waren in den vorangegangenen Monaten nur in Einzelfällen gezahlt worden. Daneben kam die außergewöhnlich große Kollektion mit Kleintierbronzen des Bildhauers August Gaul zum Verkauf. Es ist durchaus möglich, dass Graetz hier einen Teil seines eigenen großen Bestandes an Plastiken dieses Künstlers erworben hat, denn beim Vergleich der Bronzen aus der Sammlung Lewin mit denen in der Sammlung Graetz kommt es zu einer Reihe von Ubereinstimmungen, weswegen diese Überlegung gerechtfertigt scheint.251 Eine Fülle französischer Meister des 19. Jahrhunderts beinhaltete dann der Kunstbesitz Pearson, der im Herbst bei Cassirer & Helbing versteigert wurde.252 Pearson hatte über vierzig Jahre lang französische Kunstwerke zusammengetragen, die nur selten auf dem deutschen Markt zu finden waren. Der außerordentliche künstlerische Rang der Werke bewirkte eine große Beteiligung seitens der Museums-, Sammlerund Kunsthändlerkreise, die einige sehr hohe Summen zahlten.253 Nicolas Poussins Gemälde „Bacchus und Erigone" kaufte die Berliner Galerie Matthiesen für die sehr hohe Summe von 48.000 RM, und Claude Lorrains Gemälde „Italienischer Seehafen" erwarb ein französischer Sammler für 30.000 RM. Preise wie 23.600 RM für Gustave Courbets „Gefüllter Mohn" oder Claude Monets „Garten von Giverny" für 31.200 RM bezeichnete der Autor der Kunstauktion als normal, dagegen fand er die 20.000 RM für Monets „Seine bei Vetheuil" zu niedrig.254 Gemessen am internationalen Maßstab war diese Einschätzung richtig; für den deutschen Kunstmarkt waren die hier erzielten Resultate jedoch ausgesprochen hoch. Im Vergleich zu den vorherigen Jahren wurden 1927 weniger Auktionen mit Graphiken veranstaltet. Die Preise für derartige Arbeiten deutscher moderner Künstler wie Corinth, Liebermann und Kollwitz bewegten sich zwischen 20 RM und 50 RM und entsprachen damit den niedrigen Preisen der vergangenen beiden Jahre. Auf der Versteigerung der graphischen Sammlung Ernst Troplowitz wurden neben solchen Preisen auch einige bemer-
249 Scheffler, 1927, Lewin, unpag. 250 Preise im Auktionskatalog verzeichnet, der sich im Haberstock-Archiv in Augsburg befindet. 251 Zur Sammlung Graetz vgl. den Abschnitt „Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung". 252 Auk.kat. Sammlung Pearson, Paris, durch Cassirer & Helbing, am 18.10.1927. Erwähnt bei B., 1927, S. 2. 253 Ergebnisse vgl. Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
9. Jg., 1927, 1./2. N o -
vemberheft, S. 118 und bei Anonym, Bericht über die Versteigerung der Sammlung Pearson bei Cassirer & Helbing, in: Die Kunstauktion, l.Jg., 22.10.1927, Nr. 2, S.l. 254 Ergebnisse vgl. Anonym, Bericht über die Versteigerung der Sammlung Pearson bei Cassirer & Helbing, in: Die Kunstauktion, 1. Jg., 22.10.1927, Nr. 2, S. 1.
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kenswert hohe Summen erzielt.255 Klingers Folge „Das Zelt" mit 46 Originalradierungen erbrachte 6.000 RM und seine Serie „Brahms Sinfonie" mit 41 Stichen 1.150 RM (Schätzpreis: 1.500 RM). Der gleiche Schätzpreis, der damals als sehr hoch galt, war bereits in der Auktion bei Graupe am 1./2. Oktober 1926 angegeben. In dieser Auktion wurden ebenfalls Originalbronzen von August Gaul versteigert, die sich preislich zwischen 500 und 3.000 RM bewegten. Für die Bewertung des Berliner Kunstmarktes stellt die seit der Herbstsaison 1927 von Walter Bondy neu herausgegebene Zeitschrift Die Kunstauktion die wichtigste Quelle dar. Die Besonderheit dieser Publikation lag in den häufig komplett abgedruckten Preislisten und den dazugehörigen Auktionsnachberichten, die einen vollständigeren Überblick über den Kunstmarkt bieten als der selektive Abdruck von Listen im Kunstwanderer. Im zurückliegenden Auktionsjahr kam es zu einer veränderten Gewichtung des bisherigen Angebots der Gattungen. Niederländische Kleinmeister kamen kaum zum Verkauf, während deutsche und französische Meister des 19. und 20. Jahrhunderts gehäuft zu ausgesprochen hohen Preisen versteigert wurden. Dennoch waren hochrangige Werke auf dem deutschen Kunstmarkt immer noch wesentlich günstiger zu bekommen als auf dem internationalen. Im Bereich der modernen Graphik ging die Anzahl der Auktionen deutlich zurück, was sich stabilisierend auf die Preise auswirkte. Das neue Auktionsjahr 1928 brachte die Trendwende auf dem Berliner Kunstmarkt. Durch die herausragenden Resultate einiger Versteigerungen rückte Berlin in die Reihe der international bedeutenden Märkte auf. In der Frühjahrssaison wurden zunächst vorwiegend niederländische Gemälde angeboten, die abhängig von ihrer Qualität und Zuschreibung zum Teil hohe Preise von über 5.000 RM erzielten. Als gute Ergebnisse galten beispielsweise die 6.500 RM für ein kunsthistorisch bedeutendes Heiligenbildnis von Anthonis van Dyck und die 9.000 RM für die bemerkenswerte Arbeit „Die Operation" von Adriaen Brouwer, beide bei Lepke im Februar.256 Im internationalen Vergleich waren aber auch dies noch kleine Beträge. Zur Sensation nicht nur auf dem Berliner, sondern auf dem internationalen Kunstmarkt wurde dann die Versteigerung der Sammlung Huldschinsky. Bereits Anfang 1928 erwähnte die Fachpresse sie als das bedeutendste internationale Ereignis der letzten Jahre auf dem deutschen Kunstmarkt.257 Gleichzeitig wurde sie mit den wichtigsten Berliner Versteigerungen der vergangenen Jahre genannt, zu denen auch die Sammlungen Weber, Kaufmann und Lippmann zählten. Der Kunstbesitz Huldschinsky war seit den 1890er Jahren unter der Mitwirkung von Wilhelm von Bode entstanden. Darin waren 255 Auk.kat. Graphische Sammlung Troplowitz, durch Graupe, am 14./15.11.1927. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 9. Jg., 1927, 1./2. Novemberheft, S.118f. und bei Anonym, Vorberichte Berlin, in: Die Kunstauktion, 1. Jg., 5.11.1927, Nr. 4, S. 1 und ebd., 13.11.1927, Nr. 5, S. 1. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: ebd., 20.11.1927, Nr. 6, S. 7. 256 Auk.kat. Gemälde alter Meister der Sammlung Gräfin Lodron; Sammlung Dr. N. Adalbert, Wien und anderer Privatbesitz, durch Lepke, am 7.2.1928, Kat. 1993. Erwähnt bei Anonym, Vorberichte Berlin, in: Die Kunstauktion, 2. Jg., 29.1.1928, Nr. 5, S. 1 sowie Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 10. Jg., 1928, 1./2. Januarheft, S. 209f. 257 Kuhn, 1928, Versteigerung Huldschinsky, S. 5 und Kuhn, 1928, Vorberichte, S. l f . sowie Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 9. Jg., 1927,1./2. Novemberheft, S. 118 und ebd., 10. Jg., 1928, 1./2. Aprilheft, S. 347.
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II. Der Kunsthandel in Berlin
-1928
Gemälde großer italienischer und niederländischer Künstler, Plastiken und italienische Renaissancemöbel vereint. Der Auktionskatalog war von üppiger Aufmachung mit aufwändig gestalteten Abbildungen und ausführlichen Provenienzangaben.258 Die Grundlage für diese herausragende Publikation bildete der Bestandskatalog zur Sammlung, den Bode gefertigt hatte. Die im Vorfeld hochgelobte Versteigerung erwies sich als Kunstmarktereignis von internationaler Tragweite.259 Der Berichterstatter des Kunstwanderers notierte sogar, dass es auf keiner bedeutenden Auktion von London, Paris, Amsterdam und Berlin eine so starke Teilnahme internationaler Kunstkreise gegeben habe wie auf dieser Versteigerung. Die ausgezeichnete Qualität der Werke und die große Beteiligung des Publikums schlug sich auch in den Preisen nieder, denn für die dort gehandelten Werke wurden Summen auf internationalem Niveau gezahlt, die sonst auf dem Berliner Kunstmarkt nicht üblich waren. In die USA ging das „Bildnis der Hendrikje Stoffel" von Rembrandt für die außergewöhnlich hohe Summe von 570.000 RM. Das im Vorfeld hochgelobte „Bildnis des Malers Frans Post" von Frans Hals wechselte für 305.000 RM den Eigentümer, und das Gemälde „Das kranke Kind" von Gabriel Metsu erwarb ein holländischer Händler für 200.000 RM. Noch ein knappes halbes Jahrhundert zuvor war Metsus Kinderbild auf dem Kunstmarkt in Amsterdam mit gerade einmal 1.338 Gulden bewertet worden.260 Diese für den deutschen Kunstmarkt ungewöhnlich hohen Summen riefen einmal mehr Überraschung hervor, wenn man sie mit dem durchschnittlichen Jahresgehalt eines deutschen Reichsbeamten der höchsten Gehaltsstufe verglich. Es betrug etwa 10.400 RM.261 Die bis dahin üblichen Preise für alte Gemälde, die zwischen 1.000 und etwa 8.000 RM lagen, konnten noch von dieser Klientel erworben werden; die nun auf der Huldschinsky-Versteigerung gezahlten Summen lagen jedoch in unerreichbarer Ferne. Mit einem Gesamterlös der versteigerten Sammlung, zu der noch Graphiken und Skulpturen gehörten, von 4,5 Millionen RM hatte dies alle Auktionen des Berliner Kunstmarktes der vergangenen Jahre überflügelt. Damit hatte er wieder internationalen Rang erreicht, wie dies seit Ende des Ersten Weltkrieges nicht mehr der Fall gewesen war. Noch ein weiteres Großereignis beherrschte den Kunstmarkt in Berlin, das sich positiv auf dessen Internationalität auswirkte: Das Auktionshaus Rudolph Lepke feierte mit der fulminant angelegten Auktion aus den 258 Auk.kat. Die Sammlung Oscar Huldschinsky, durch Cassirer & Helbing, Berlin, am 10./11.5. 1928. 259 Ergebnisse vgl. Anonym, Die Ereignisse des Kunstmarktes. 4 V2 Millionen für die HuldschinskySammlung, in: Der Kunstwanderer,
10. Jg., 1928,1./2. Juniheft, S. 4 3 8 - 4 4 0 und Kuhn, 1928, Auk-
tion Huldschinsky, S. 1 f. 260 Der Preis wurde im Juli 1883 in Amsterdam gezahlt. Hubert Wilm verdeutlichte mit der Nennung des Preises von 1883 und dem Preis von 1928 (200.000 RM) für das Bild von Metsu, wie sich die Wertschätzung von Gemälden im Verlauf der Zeit veränderte. Auch im Rückblick bezeichnete er die Summe von 1928 als „riesig". Vgl. Wilm, 1941, S. 1-3. 261 Es gibt keine Angaben zu den Jahresgehältern von Reichsbeamten in den Jahren 1928-1930. Daher wurden als Anhaltspunkte die Gehälter von 1927 und 1931 genommen und für die folgenden Jahre ungefähre Summen errechnet. 1927 betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen 10.164 M, 1931 lag es bei 11.154 M. Vgl. die Statistik für durchschnittliche Monatsgehälter von ledigen Reichsbeamten der höchsten Gehaltsstufe für das Jahr 1927 und 1931, in: StJbDR, 46. Jg., 1927, S. 324 und StJbDR, 50. Jg., 1931, S. 298.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
-1928
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Beständen der Leningrader Museen und Schlösser seine zweitausendste Versteigerung.262 Im Vorwort des aufwändig gestalteten und kostbar bebilderten Kataloges ließ Wilhelm von Bode die vergangenen Jahre seit der eintausendsten Auktion von Lepke im Jahre 1895 Revue passieren.263 Bode hob dabei anerkennend hervor, dass der Berliner Kunstmarkt seit der Jahrhundertwende insbesondere durch das Auktionshaus Lepke international geworden sei, denn seither fänden zahlreiche Versteigerungen sehr bekannter Sammlungen statt, die in- und ausländische Händler und Sammler in die Metropole zögen. Das Schwergewicht der Auktion lag auf dem Gebiet des Kunstgewerbes, vornehmlich des 18. Jahrhunderts, das sich seit der Verstaatlichung von privatem Kunstbesitz in der Sowjetunion im Überfluss in staatlichen russischen Museen befand.264 Die hohe Qualität der angebotenen Kunstwerke zog eine große Anzahl der bedeutendsten Berliner und ausländischen Händler an, die außergewöhnlich hohe Summen, wie im Fall einer französischen Kommode, um 1770 (60.000 RM) zahlten.265 Auch die Gemälde erhielten für deutsche Verhältnisse gute bis sehr gute Preise wie „Kopf eines Greises" von Rubens (26.000 RM), „Bildnis eines Knaben" von Jean-Baptiste Greuze (12.500 RM) und „Maria mit dem Kinde" von Cima da Conegliano (55.000 RM), dem höchsten Preis für Gemälde auf dieser Auktion. Neben diesen beiden Höhepunkten fanden einige Versteigerungen von Werken deutscher Künstler des 19. Jahrhunderts statt. Während sie in der Frühjahrssaison sehr bescheidene Preise von um die 1.000 RM erzielten, wie im Fall der Auktion der Sammlung J., 266 interessierte sich im Herbst das Publikum zunehmend für diese Malerei, was in einer Reihe von wesentlichen Preissteigerungen abzulesen war.267 Das teuerste Gemälde, „Pferdemarkt in Polen" von Josef von Brand, kostete 8.500 RM; eine Genreszene von Ludwig Knaus wurde für 5.100 RM verkauft und ein „Franziskanermönch" von Eduard Grützner für 2.200 RM. Gemälde moderner Künstler wurden 1928 auf den Auktionen verhältnismäßig selten angeboten, wobei gute, teilweise sehr gute Preise erzielt wurden, die etwa auf der Höhe des Vorjahres lagen. So wurden für das Werk „Florian Geyer" von Corinth aus der Sammlung des Luzerner Großindustriellen Ganz 23.500 RM und für das „Selbstporträt vor der Staffelei" desselben Malers 14.400 RM geboten.268 Die Preise für Böcklin, Trübner, Liebermann, 262 Auk.kat. Kunstwerke aus den Beständen Leningrader Museen und Schlösser: Eremitage, Palais Michailoff, Gatschina u.a. (I.T.), durch Lepke, am 6./7.11.1928, Kat. 2000. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
10. Jg., 1928,1./2. Juliheft, S. 501 f. und
ebd., 1./2. Septemberheft, S. 38 f. 263 Bode, 1928, S. 13-16. 264 Falke, 1928, S. 17-20. 265 Bondy, 1928, S. 9. Preise enthalten bei Anonym, Preisberichte, in: Die Kunstauktion, 2. Jg., 11.11. 1928, Nr. 46, S. 4, 9. 266 Auk.kat. Sammlung J.: Gemälde, Handzeichnungen und Aquarelle neuerer Meister, durch Lepke, am 22.5.1928, Kat. 1999 C. Ergebnisse vgl. Anonym, Nachberichte, Berlin, in: Die
Kunstauktion,
2. Jg., 27.5.1928, Nr. 22, S. 2. 267 Auk.kat. Gemälde neuerer Meister aus Museums- und Privatbesitz, Handzeichnungen und Graphik älterer und neuerer Meister, durch Lepke, am 20.11.1928, Kat. 2001. Ergebnisse vgl. Anonym, Nachberichte Berlin, in: Die Kunstauktion, 2. Jg., 2.12.1928, Nr. 49, S. 8f. 268 Auk.kat. Sammlung Ganz, Luzern, durch Cassirer & Helbing, am 30.10.1928. Ergebnisse vgl. Anonym, Nachberichte Berlin, in: Die Kunstauktion, 2. Jg., 4.11.1928, Nr. 45, S. 7.
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II. Der Kunsthandel in Berlin
-1929
Paula Modersohn-Becker, Hodler und andere lagen zwischen 2.000 bis 10.000 R M . Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bereits eine große Anzahl von Berliner Privatsammlungen herausgebildet, deren Hauptgewicht auf modernen Gemälden lag, die in zwei Ausstellungen im Kronprinzen-Palais präsentiert wurden. Unter den Einlieferern befand sich auch Robert Graetz, der Gemälde von Schmidt-Rottluff, Pechstein und weiteren Künstlern dem Museum leihweise zur Verfügung gestellt hatte. Wie schon im Vorjahr wurden moderne Graphiken weniger angeboten, dennoch waren einige von Interesse darunter, wie die im Herbst bei Perl. 2 6 9 Trotz guter Qualität konnten allerdings die Vorjahrespreise nicht ganz gehalten werden. So waren Corinths Federzeichnungen bereits für etwa 20 R M zu bekommen, Liebermanns Graphiken für 20 bis 80 R M und die von Emil Orlik bereits für 15 R M . Moderne Graphiken blieben dennoch für eine breite Käuferschicht attraktiv. Von entscheidender Bedeutung für den Berliner Kunstmarkt war, dass er 1928 endlich wieder in den Rang der internationalen Kunstmärkte aufgestiegen war und sich neben London, Paris und Amsterdam behaupten konnte. Seit dem Ende des Ersten Weltkrieges verbuchte der Berliner Markt sein erfolgreichstes Auktionsjahr. D e r lebhafte Kunsthandel war dabei vor allem den in der Reichshauptstadt ansässigen Auktionshäusern und Galerien zu verdanken, da seit dem Ende des Krieges viele auswärtige Auktionatoren und Galeristen eine Dependance in Berlin eröffnet hatten, um am florierenden Geschäft teilzuhaben. Die Kunsthandlungen konzentrierten sich dabei vorwiegend im Bereich der Straße Unter den Linden, des Tiergartenviertels bis hin zum Kurfürstendamm. 2 7 0 In diesem Areal waren alle Auktionshäuser und Galerien von Rang und Namen vertreten, was die Stellung des Berliner Kunstmarktes im internationalen Kunsthandel deutlich vor Augen führte. Ende der 1920er Jahre war die größte Vielfältigkeit erreicht worden. An die sensationellen Erfolge des vorangegangenen Jahres konnte auch 1929 angeknüpft werden. Einige herausragende Auktionen fanden statt, welche die internationale Bedeutung Berlins manifestierten. Als im Mai bei Cassirer & Helbing die Versteigerung der Pariser Sammlung Joseph de Spiridon durchgeführt wurde, versammelte sich die internationale Sammlerelite an der Spree, um diesem Ereignis beizuwohnen. 2 7 1 Paris verlor durch diese Versteigerung eine der schönsten Privatgalerien Frankreichs, deren Prägung für die Entwicklung des Sammelwesens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts typisch war. Die Kollektion besaß ausgezeichnete Werke des italienischen Trecento und Quattrocento mit hervorragenden Provenienzen. Die hart umkämpften prominenten Kunstwerke erzielten Summen, die selbst im Vergleich mit dem US-amerikanischen Markt ungewöhnlich hoch waren. Herausragende Preise wurden beispielsweise für das „Bildnis des Dogen Loredano" von Bellini gezahlt, das Baron von Nemes für 300.000 R M erwarb, sowie für das „Bildnis
269 Auk.kat. Moderne Graphik, Handzeichnungen [...], durch Perl, am 15.12.1928. Erwähnt bei Anonym, Vorberichte Berlin, in: Die Kunstauktion, 2. Jg., 9.12.1928, Nr. 50, S. 2. 270 Die Vielfalt der Kunsthandlungen in Berlin wurde eindrücklich beschrieben bei Anonym, Die Entwicklung des Berliner Kunstmarktes. Von „Unter den Linden" bis in das Tiergartenviertel, in: Der Kunstwanderer, 10. Jg., 1928,1./2. Märzheft, S. 299. 271 Auk.kat. Die Sammlung Joseph Spiridon, Paris: Gemälde des 14.-16.Jahrhunderts, durch Cassirer & Helbing, am 31.5.1929. Erwähnt bei Deusch, 1929, Spiridon, S. 1 f.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel -1929
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einer Florentinerin" von Ghirlandaio (750.000 RM). 2 7 2 Letzteres war von einem Anfangsgebot von 150.000 R M auf das erzielte Ergebnis gestiegen. Sensationell war jedoch das Resultat von 1,5 Millionen RM, die für Botticellis Nastagio-Tafeln gezahlt wurden, ein Preis, der seine einzige Parallele in der kurz zuvor verkauften „Kreuzigung" von Pierro della Francesca in der New Yorker Anderson Gallery aufzuweisen hatte. Mit einem Gesamtergebnis von etwa acht Millionen R M waren die höchsten Erwartungen weit übertroffen worden. Zu den Auktionen, die den Weltrang Berlins festigten, gehörte auch die Versteigerung des zweiten Teils der Kunstwerke aus den Beständen der Leningrader Museen und Schlösser, deren erster Teil im Vorjahr bereits von Erfolg gekrönt war. 273 Diesmal lag der Schwerpunkt auf Gemälden niederländischer und italienischer Altmeister. Auch hier zahlten die Sammler ausgezeichnete Summen wie für das „Bildnis eines Ehepaares" von Lorenzo Lotto (310.000 RM) und für einen „Christuskopf" von Rembrandt (130.000 RM), die beide nach Paris gingen. 274 Der Gesamterlös der Auktion betrug 1,25 Millionen RM. Als im Herbst die Sammlung des verstorbenen Dr. Eduard Simon angeboten wurde, galt sie als die „innerlich geschlossenste, einheitlichste [und] künstlerisch ausgewogenste der Berliner Privatsammlungen", die noch unter dem Einfluss Wilhelm von Bodes entstanden war.275 In ihr waren Gemälde aller Epochen und Länder von hervorragender Provenienz vereint. 276 Erneut wurden sehr gute Preise gezahlt, so für Giovanni di Paolos „Anbetung der Könige" (165.000 RM), für Botticellis „Madonna mit dem Kinde" (76.000 RM) und für Jan Gossaerts „Madonna" aus der ehemaligen Sammlung Kaufmann (95.000 RM). 2 7 7 Derart sensationelle Preise wie auf der Auktion Spiridon wurden jedoch auf der Auktion Simon nicht erreicht. Das Gesamtergebnis betrug 3,5 Millionen RM, was ein großer Erfolg für das Auktionshaus war. Bemerkenswert war die Tatsache, dass viele bedeutende Werke vom deutschen Kunsthandel und von deutschen Sammlern gekauft wurden und nicht, wie vorhergesagt, ins Ausland gingen. Im Bereich der modernen Gemälde und Graphiken fanden nur wenige Versteigerungen statt. Gemälde zeitgenössischer Künstler erreichten dabei ähnliche Summen wie im Vorjahr; sie lagen zwischen 2.000 und 10.000 R M wie beispielsweise Liebermanns „Schreitender Mann in den Dünen" (7.000 R M ) und Menzels „Knabenbildnis" (11.500 RM). 2 7 8 Graphiken moderner Künstler kosteten wie schon seit Jahren im Durchschnitt zwischen 20 und 50 RM. Es wurden aber auch teilweise wesentlich höhere Preise gezahlt, so für ein radiertes 272 Für das Folgende Deusch, 1929, Millionenergebnisse, S. lf. 273 Auk.kat. Kunstwerke aus den Beständen Leningrader Museen und Schlösser (2.Teil), durch Lepke, am 4./5.6.1929, Kat. 2013. Erwähnt bei Saxe, 1929, Museen, S. 1 f. 274 Ergebnisse vgl. Saxe, 1929, Kunstwerke, S. 7 und Preisliste, in: Die Kunstauktion, 3. Jg., 2.6.1929, Nr. 23, S. 4. 275 Deusch, 1929, Sammlung Simon, S. 1 f. 276 Auk.kat. Die Sammlung Dr. Eduard Simon, Berlin, 1. Band: Gemälde und Plastik, durch Cassirer & Helbing, am 10./11.10.1929. 277 Für die folgenden Ergebnisse vgl. Deusch, 1929, Ergebnisse Simon, S. 7, 9 und Preisberichte, in: Die Kunstauktion, 3. Jg., 13.10.1929, Nr. 41, S. 4. 278 Auk.kat. Gemälde neuerer Meister aus ausländischem Museumsbesitz, Sammlung Lüth, Berlin und andere Beiträge, durch Lepke, am 26.11.1929, Kat. 2019. Ergebnisse vgl. Anonym, Gemälde alter Meister, in: Die Kunstauktion, 3. Jg., 8.12.1929, Nr. 49, S. 21 und Preisberichte, in: ebd., S. 4.
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II. Der Kunsthandel
in Berlin
-1929
Selbstbildnis von Kollwitz, das 575 RM kostete. Dies war ein ausgezeichneter Preis, der eher dem einer Altmeistergraphik entsprach als dem für ein modernes Blatt.279 In der Tendenz steigende Preise zahlten die Liebhaber auch für andere moderne Künstler wie für Slevogts 57 Steinzeichnungen zu der Folge „Die Inseln Wak Wak" von 1921 (425 M) und für Münchs farbigen Holzschnitt „Frauen am Meer" (410 RM).280 Genau wie im vorangegangenen Jahr fanden 1929 sensationelle Versteigerungen statt, wodurch sich der Berliner Kunstmarkt im europäischen Maßstab behaupten konnte. Illustriert wird dies durch die internationale Präsenz des Kunsthandels auf den Versteigerungen sowie durch die Anzahl der ausländischen Sammlungen, die in Berlin angeboten wurden. Da die gezahlten Rekordsummen nur von sehr reichen Sammlern gezahlt werden konnten, eigneten sich daher für Wohlhabende nach wie vor Gemälde und Graphiken von Künstlern des ausgehenden 19. und vor allem des beginnenden 20. Jahrhunderts. Bedingt durch die Weltwirtschaftskrise kam es in der Folgezeit zur Zusammenlegung beziehungsweise Neueröffnung einer Reihe von Berliner Kunsthandlungen, die eine Umstrukturierung des Berliner Kunstmarktes nach sich zog. Geschuldet war diese Entwicklung den gehäuft auftretenden Versteigerungen ganzer Sammlungen und Wohnungseinrichtungen, deren Eigentümer verarmt und daher zum Verkauf gezwungen waren. Obwohl die Auktionstätigkeit der neu entstandenen Versteigerungshäuser nicht im Detail verfolgt werden soll, ist es doch von Interesse, diese zu erwähnen, da am vermehrten Entstehen von neuen oder fusionierten Auktionshäusern die wachsende Bedeutung und Veränderung des Berliner Kunstmarktes abgelesen werden kann. Im März schlossen sich die bekannten Galerien van Diemen & Co. und Dr. Benedict & Co., die beide dem Margraf-Konzern angehörten, zusammen und eröffneten in der Bellevuestraße IIA ihre neuen Ausstellungsräume.281 Mit dem Einzug in das Kunstzentrum trugen sie der veränderten Lage des Berliner Kunstmarktes Rechnung, denn die Reichshauptstadt wurde mehr und mehr zum Umschlagplatz für die bedeutenden Kunstwerke. Die gemeinsame Leitung lag bei Dr. Eduard Plietzsch, bisheriger Leiter der Galerie van Diemen, und Dr. Benedict, bisheriger Leiter der Kunsthandlung Dr. Benedict & Co. Durch die Zusammenlegung wurde die ebenfalls zum Konzern gehörige Galerie Dr. Burg & Co. aufgelöst. Das in diesem Jahr gegründete Auktionshaus des Westens konzentrierte sich ebenso wie die seit 1929 bestehende Internationale Kunst- und Auktionshaus G.m.b.H. auf Wohnungseinrichtungen. Letzteres war aus dem in Konkurs geratenen Versteigerungshaus Jac. Hecht hervorgegangen.282 Das Kunstauktionshaus Continental, dessen Leitung der Auktionator Fritz Rosenfeld innehatte, war im Mai eröffnet worden.283 Die Firma spezialisierte sich vor allem auf die Versteigerungen hochwertiger Sammlungen und Objekte. Hierunter fielen auch komplette Wohnungseinrichtungen. Während sich die großen etablierten Berliner Auktionshäuser wie Lepke, Cassirer & 279 Auk.kat. Graphik, Gemälde, Handzeichnungen, Plastik alter und moderner Meister, durch Perl, am 22./23.3.1929. Schätzpreise sind im Katalog abgedruckt. 280 Auk.kat. Moderne Graphik und Handzeichnungen des 19. und 20. Jahrhunderts, durch Graupe, am 11./12.6.1929. Ergebnisse vgl. Anonym, Nachberichte Berlin, in: Die Kunstauktion, 3. Jg., 30.6.1929, Nr. 26, S. 8. 281 Anonym, Nachrichten von überall, in: Die Kunstauktion, 4. Jg., 2.3.1930, Nr. 9, S. 12. 282 Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 11. Jg., 1929,1./2. Septemberheft, S. 35. 283 Anonym, Vorberichte, Berlin, in: Die Kunstauktion, 4. Jg., 13.4.1930, Nr. 15, S. 3.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
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Helbing sowie Graupe, beziehungsweise die in der jüngsten Vergangenheit zu Versteigerungen zusammengeschlossenen Häuser Ball & Graupe, vorwiegend um einzelne hochrangige Sammlungen verschiedener Bereiche bemühten, konzentrierten sich die neuen Auktionshäuser vorwiegend auf wertvolle Wohnungseinrichtungen, zu denen vor allem Mobiliar, Kunstgewerbe, Teppiche aber auch Gemälde gehörten.
Spürbare Zurückhaltung auf dem Kunstmarkt:
1930-1932
Zu Beginn des Jahres 1930 feierte das Auktionshaus Lepke den 30. Jahrestag der Übernahme der Firma durch die Brüder Gustav und Dr. Adolf Wolffenberg. 284 Durch die Umsicht der beiden Wolffenbergs und des dritten Mitinhabers, Hans Carl Krüger, war das Auktionshaus in den vergangenen Jahrzehnten zu einem international bekannten Kunstunternehmen gewachsen. Auch die im März abgehaltene Versteigerung der Sammlung des bekannten Braunschweiger Verlegers Vieweg gehört in die Reihe der bedeutenden Ereignisse der Berliner Kunstauktionen. 285 Der Bestand, der maßgeblich von Bode beeinflusst war, nahm unter den älteren bürgerlichen Sammlungen einen besonderen Rang ein; sein Schwerpunkt lag auf Gemälden der italienischen und nordischen Renaissance sowie der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Die Auktion war, wie die vorangegangenen Versteigerungen der Sammlungen Spiridon und Simon, von den Händlern und Sammlern des internationalen Kunsthandels rege besucht worden. 286 Der höchste Preis wurde mit 122.000 R M für Jacob van Ruysdaels „Bleiche von Haarlem" von Paul Cassirer gezahlt. Ein ähnliches Werk hatte auf der Huldschinsky-Versteigerung 1928 lediglich 80.000 R M gekostet. Besonderes Interesse bestand auch für die frühen niederländischen Gemälde, was sich in den hohen Preisen ausdrückte. Das kleine Madonnenbild eines Brüsseler Meisters um 1470 brachte 41.000 RM, und „Maria mit dem Kinde" von Jan van Scorel 28.000 RM. Die Auktion schloss mit einem außerordentlich hohen Ergebnis. Dieses Jahr sah noch einige weitere Versteigerungen von Altmeistersammlungen, wobei gerade die Gemälde der niederländischen Kleinmeister sehr begehrt waren. So bot Lepke im Frühjahr die umfangreiche Sammlung des Grafen H. mit vorwiegend holländischen Werken an, aus der Wouwermans „Pferdeweide" 14.100 R M und Jan Steens „Schule" 12.000 R M erbrachten. 287 Die Auktion erzielte mit den rund 140 Gemälden ein Gesamtresultat von 275.000 RM, das der Berichterstatter in der Kunstauktion als ausgezeichnet notierte. Auch auf der Versteigerung einer süddeutschen Fürstensammlung bei Ball & Graupe im Herbst wurden ähnliche Preise für die
284 Anonym, Aus der Kunstwelt, in: Der Kunstwanderer,
12. Jg., 1930,1./2. Januarheft, S. 125.
285 Auk.kat. Sammlung Vieweg, Braunschweig, Gemälde alter Meister, Skulpturen und Kunstgewerbe, durch Lepke, am 18.3.1930, Kat. 2025. Erwähnt bei Anonym, Sammlung Vieweg, Braunschweig, in: Die Kunstauktion, 4. Jg., 9.2.1930, Nr. 6, S. 2 und ebd., 23.2.1930, Nr. 8, S. lf. 286 Ergebnisse vgl. Anonym, Rund 140.000 Mark für den Ruysdael der Sammlung Vieweg, in: Die Kunstauktion, 4. Jg., 22.3.1930, Nr. 12, S. 6 und Preisliste, in: ebd., S. 22. 287 Auk.kat. Gemälde alter Meister aus einem ausländischem Museum, Sammlung des Grafen H. und anderer Privatbesitz, durch Lepke, am 1.4.1930, Kat. 2027. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer,
12. Jg., 1930,1./2. Märzheft, S. 269f. Für die folgenden Ergeb-
nisse vgl. Anonym, Nachberichte, in: Die Kunstauktion, 4. Jg., 6.4.1930, Nr. 14, S. 7. Preisliste, in: ebd., S. 6.
II. Der Kunsthandel in Berlin -1930
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niederländischen Kleinmeister gezahlt, wobei jedoch die meisten Werke nur Summen zwischen 1.000 und 5.000 R M erreichten. 288 Von den Auktionen mittelalterlicher Sammlungen sind die des Dr. Leopold Seligmann aus Köln, die Wiener Sammlung Figdor und die Schweizer Sammlung Han Coray von Interesse. Seligmann besaß hochwertige Skulpturen und Kunstgewerbe von den frühchristlichen Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit um 1500, die eine Reihe von prominenten Sammlern aus Deutschland und Europa anzog. 289 Das Gesamtergebnis der Auktion mit 350.000 R M war über Erwarten gut. Auch die Versteigerung der Sammlung Han Coray schloss positiv ab. 290 Dieser Bestand an alten Meisterwerken der italienischen Früh- und Hochrenaissance sowie der niederländischen, deutschen und spanischen Primitiven des 15. und 16. Jahrhunderts war von überragender Qualität und darüber hinaus von vortrefflicher Provenienz. Ein sensationelles Ergebnis brachte auch die Versteigerung des zweiten Teils der Wiener Figdor-Sammlung bei Cassirer, deren Schwerpunkt auf Gemälden des italienischen Quattrocento lag.291 Der erste Teil der Sammlung mit Bildteppichen und Stoffen des 14. bis 18.Jahrhunderts sowie Möbeln hatte bereits im Frühjahr in Wien mit einem ausgezeichneten Gesamtergebnis von 6,25 Millionen Schilling (3,75 Millionen RM) abgeschlossen. 292 Der Erlös der Herbstversteigerung in Berlin brachte mit 4 Millionen R M einen gleichwertigen Erfolg wie die Wiener Auktion. 293 Der höchste Preis mit 385.000 R M wurde für das Gemälde „Der verlorene Sohn" von Hieronymus Bosch gezahlt, gefolgt von 160.000 R M für ein süddeutsches „Männerbildnis" um 1510, das erst kurz vor der Auktion Dürer zugeschrieben worden war. Die Gemälde und mittelalterlichen Skulpturen zeichneten sich nicht nur durch die Seltenheit einzelner Stücke aus, sondern auch durch den guten originalen Erhaltungszustand. Der außerordentliche Erfolg dieser Auktion bedeutete gerade in Zeiten der sich kontinuierlich verschlechternden Wirtschaftslage einen großen Gewinn für den Berliner Kunstmarkt. Neben den vorherrschenden Auktionen alter Meister fanden auch einige Versteigerungen mit modernen Kunstwerken statt. Als Lepke im Frühjahr Gemälde des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts anbot, zahlten die Sammler dabei für die jüngere Gene288 Auk.kat. Alte Gemälde aus süddeutschem Fürstenbesitz, durch Ball & Graupe, am 26.9.1930. Erwähnt bei Anonym, Herbstauktionen bei Ball-Graupe, in: Die Kunstauktion, 4. Jg., 14.9.1930, Nr. 37, S. lf. Anonym, Auktionsnachberichte, in: Weltkunst, 4. Jg., 5.10.1930, Nr. 40, S.10 und Preisberichte, in: ebd., S. 7. 289 Auk.kat. Sammlung Seligmann, Köln, durch Ball & Graupe, am 28./29.4.1930. Erwähnt bei Deusch, 1930, Kunst, S. 1 f. und Deusch, 1930, Seligmann, S. 1 f. und ausführlicher Preisbericht, in: Die Kunstauktion, 4. Jg., 4.5.1930, Nr. 18, S. 6. 290 Auk.kat. Sammlung Han Coray, Erlenbach, durch Wertheim, am 1.10.1930. Erwähnt bei Deusch, 1930, Han Coray, S. lf. 291 Auk.kat. Die Sammlung Dr. Albert Figdor, Wien, Zweiter Teil, durch Cassirer, Artaria & Co. und Glückselig G.m.b.H., am 29./30.9.1930. Erwähnt bei Deusch, 1930, Gemälde Figdor, S.lf. und Deusch, 1930, Skulpturen Figdor, S. 6 f. 292 Auk.kat. Die Sammlung Dr. Albert Figdor, Wien, Erster Teil, durch Artaria & Co., Glückselig G.m.b.H., und Cassirer vom 11.-13.6.1930. Erwähnt bei Saxe, 1930, Figdor, Nr. 19, S. lf. und Nr. 20, S. lf. Ubersicht zur Preisberechnung in Reichsmark, in: Die Kunstauktion, 4. Jg., 29.6. 1930, Nr. 26, S. 5. 293 Deusch, 1930, Erfolg, S. 10 und Preisberichte, in: Weltkunst, 4. Jg., 5.10.1930, Nr. 40, S. 6f.
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ration häufig Summen zwischen 1.000 und 2.500 RM.294 Werke der älteren Künstler wie Lenbach und Leibi brachten um die 6.000 RM. Es muss allerdings erwähnt werden, dass die Schätzpreise oft nicht erreicht wurden. Dies war ein deutlicher Hinweis auf die schwierige wirtschaftliche Lage, denn die Wirtschaft geriet zunehmend in eine schwere Depression, das Sozialprodukt schrumpfte und die Arbeitslosenzahlen schnellten nach oben.295 Im November 1930 wurde bei Cassirer & Helbing die Hamburger Sammlung Simms mit Meistern des 19. und 20. Jahrhunderts angeboten.296 Unter den künstlerisch hochrangigen Gemälden bildeten die vierzehn von Corinth den Höhepunkt. Sein großes Bild „Perseus und Andromeda" wechselte für 10.000 RM den Eigentümer, zwei Blumenstillleben brachten ebenfalls ähnlich hohe Preise.297 Beachtenswerte Summen erzielten auch Menzels „Dächer im Schnee" (8.800 RM) und Liebermanns „Strickendes Mädchen am Fenster" (11.000 RM). Diese Ergebnisse sind als sehr gut zu bezeichnen, vor allem im Hinblick auf die Summen, die bei Lepke im selben Monat für moderne Gemälde erreicht wurden.298 Dort lagen die meisten Werke von Künstlern wie Knaus, Spitzweg und den neueren wie Liebermann, Slevogt und Corinth unter 1.000 RM. Die unterschiedlichen Dotierungen beider Auktionen machen deutlich, dass in erster Linie die Qualität für die Preisbildung ausschlaggebend war. Wie schon in den Jahren zuvor fanden auch 1930 wenige Versteigerungen mit modernen deutschen Kunstwerken statt, was jedoch vorrangig daran lag, dass der Verkauf über Galerien erfolgte. Zudem gab es kaum Sammlungen mit moderner Prägung, die bereits wieder versteigert wurden. Weiterhin galt, dass erstrangige Kunstwerke selbst unter ungünstigen wirtschaftlichen Voraussetzungen nichts an ihrer Zugkraft eingebüßt hatten. Rekordsummen wie noch im Vorjahr wurden zwar nicht erzielt, jedoch hielten sich beispielsweise gute Gemälde mit Landschaften der holländischen Kleinmeister gegenüber dem Vorjahr ausgezeichnet.299 Dies war vor allem im Fehlen der Hauptwerke der niederländischen und flämischen Schulen begründet. Das Ausbleiben der amerikanischen Händler und eine gewisse Zurückhaltung der europäischen Sammler hatten zudem ein Nachlassen des durchschnittlichen Preisniveaus gegenüber dem Vorjahr verursacht. Ende September hatte sich im Übrigen der Titel der Kunstzeitschrift Kunstauktion in Weltkunst geändert, da sich ihr Wirkungskreis von einem Spezialorgan des deutschen Kunsthandels zu einer Zeitschrift für den internationalen Handel geändert hatte.300 294 Auk.kat. Gemälde neuerer Meister aus deutschem und ausländischem Privatbesitz, durch Lepke, am 15.5.1930, Kat. 2030. Erwähnt bei Anonym, Vorberichte, in: Die Kunstauktion, 4.Jg., 4.5. 1930, Nr. 18, S. 2. 295 Sprenger, 2002, S. 223 f. 296 Auk.kat. Meister des 19. und 20. Jahrhunderts aus der Sammlung Simms, Hamburg, und aus Berliner und Breslauer Privatbesitz, durch Cassirer & Helbing, am 14.11.1930. Erwähnt bei Anonym, Kunstauktionen Berlin, in: Der Kunstwanderer, 12. Jg., 1930, 1./2. Oktoberheft, S. 54 und Sydow, 1930, S. 1 f. 297 Ergebnisse vgl. Anonym, Auktionsnachberichte, in: Weltkunst, 4. Jg., 23.11.1930, Nr. 47, S. 9. 298 Auk.kat. Gemälde neuerer Meister aus der Sammlung J.M., durch Lepke, am 18.11.1930, Kat. 2036. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorberichte, in: Weltkunst, 4. Jg., 9.11.1930, Nr. 45, S. 4, 7. 299 Für das Folgende Anonym, Rückblick auf das Jahr 1930, in: Weltkunst, 5. Jg., 4.1.1931, Nr. 1, S. 1-3. 300 Saxe, 1930, Weltkunst, S. 1 f.
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Für 1931 gilt ebenso wie im Jahr zuvor, dass die Einschätzung der Lage des Kunstmarktes aufgrund der Wirtschaftssituation sehr schwierig ist, da ein alleiniger Zahlenvergleich der Preise nicht aussagekräftig genug ist. Wie schon 1930 hatte die Regierung durch die Verabschiedung verschiedener Notverordnungen zur „Sicherung von Wirtschaft und Finanzen" dem totalen Zusammenbruch der Wirtschaft entgegenzusteuern versucht. 301 Die wirtschaftliche Unsicherheit zeigte sich auch im Laufe der Frühjahrs- und noch stärker in der Herbstsaison, denn das Angebot größerer Kollektiv- und Einzelwerke war merklich zurückgegangen. 302 Noch im vorangegangenen Jahr konnte eine höhere Nachfrage beobachtet werden. Ausschlaggebend für den Markt war jedoch, dass die Hauptwerke ihre Preise behaupten konnten und sogar die weniger bedeutenden Arbeiten eine breitere Absatzmöglichkeit fanden als erwartet. Rekordsummen gab es allerdings kaum, mit Ausnahme einiger sehr hoher Preise, die auf der Auktion der Leningrader Stroganoff-Sammlung erzielt wurden, die zu den größten Kunstmarktereignissen Berlins nach dem Ersten Weltkrieg zählte. 303 Der Kunstbesitz, der von dem Berater der Zarin Katharina II., Graf Alexander Stroganoff, zusammengetragen worden war, beinhaltete Hauptwerke der niederländischen Schulen des 17. und derjenigen des französischen 17. und 18. Jahrhunderts, die zudem durch ihren guten Erhaltungszustand und ihre Provenienz hervortraten. Der Bedeutung der Sammlung entsprechend waren viele Museumsdirektoren und Kunsthändler des In- und Auslandes auf der Auktion vertreten, die zum Teil hohe Preise für die begehrten Werke zahlten. 304 Dies war der Fall bei zwei Bildnissen von Anthonis van Dyck, die bei einem Ausrufpreis von 100.000 RM zusammen auf die sehr hohe Summe von 660.000 RM kamen; Rembrandts „Christus und die Samariterin" erzielte 210.000 RM. Dieses Preisniveau bestimmte auch den Verkauf von weiteren niederländischen Gemälden; ein „Herrenbildnis" und das „Porträt des Erzbischof Antoine Trieste", ebenfalls von van Dyck, erhielten bei 42.000 und 60.000 R M den Zuschlag. Auch die qualitativ hochwertigen kleineren holländischen Meisterwerke fanden zu beachtlichen Preisen neue Besitzer. Insgesamt konnte für die Sammlung mit Gemälden, Möbeln, Kunstgewerbe und Skulpturen ein Resultat von 2,3 Millionen R M verzeichnet werden, welches im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation außerordentlich gut war. Erneut war die Qualität eines Werkes ausschlaggebend für die Positionierung auf dem Kunstmarkt. 305 Dies galt auch für die Sammlung Erich von Goldschmidt-Rothschild, die im Frühjahr bei Ball & Graupe versteigert wurde und zu den repräsentativsten Berliner Sammlungen der Vor- und Nachkriegszeit gehörte. 306 Sie vereinte hochwertige 301 Kolb, 1998, S. 297. 302 Für das Folgende Anonym, Rückblick auf das Jahr 1931, in: Weltkunst, 6. Jg., 3.1.1932, Nr. 1,
S.lf. 303 Auk.kat. Sammlung Stroganoff: Gemälde alter Meister, Plastiken, Möbel und Kunstgewerbe des 18.Jahrhunderts, durch Lepke, am 12./13.5.1931, Kat. 2043. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorberichte, in: Weltkunst, 5. Jg.,26.4.1931, Nr. 17, S.lf. 304 Ergebnisse vgl. Anonym, Auktionsnachberichte, in: Weltkunst, 5. Jg., 17.5.1931, Nr. 20, S. 9 und Preisliste, in: ebd., S. 6. 305 Anonym, Preisbildung im Kunsthandel, in: Der Kunstwanderer,
13. Jg., 1931, Juli-/Augustheft,
S. 355. 306 Auk.kat. Die Sammlung Erich von Goldschmidt-Rothschild, durch Ball & Graupe, vom 2 3 25.3.1930. Erwähnt bei Deusch, 1931, Auktionsvorberichte, S. lf.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
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Gemälde, Möbel und Kunstgewerbe des französischen 18. Jahrhunderts, die ihresgleichen höchstens in Paris fanden. Daneben wurden bedeutende Werke niederländischer Kleinmeister sowie kostbare Handzeichnungen angeboten. Die mit Spannung erwartete Auktion brachte mit einem Gesamtergebnis von 1,7 Millionen R M einen großen Erfolg. Zu nennen sind beispielsweise ein „Mädchenbildnis" von Francois Η. Drouais, dessen Schätzwert von 20.000 R M mit 78.000 R M weit übertroffen wurde, sowie zwei Gesellschaftszeichnungen von Jean-Michel Moreau d.J. für 54.000 R M und 53.000 RM. 307 Niederländische Werke wurden dagegen zu den üblichen Preisen von 2.000 R M bis 5.000 R M gehandelt. Die Kollektion, die nach Jahren erstmals wieder französische Kunst von ausgezeichnetem Rang auf den Berliner Kunstmarkt brachte, wurde als Indikator für die kommenden Auktionen mit französischer Kunst betrachtet. Diese Versteigerung bildete tatsächlich den Auftakt für gute Erfolge im Bereich der französischen Kunstgegenstände wie bei der Wendland- und der Emden-Sammlung. So kamen aus der Sammlung des Kunsthändlers und Kunsthistorikers Hans Wendland im April bei Ball & Graupe Möbel der Louis XV.- und Louis XVI.-Zeit, Teppiche, Skulpturen, Gemälde und Graphiken aus sechs Jahrhunderten zum Angebot. 308 Auf der Auktion wurden neben Werken alter Meister wie Hans Baidung Grien und niederländischen Malern des 17. Jahrhunderts Arbeiten französischer Maler wie Chardin, Poussin, Bourdon sowie moderner Künstler wie Manet, Cezanne, Matisse und Derain versteigert. Die rege besuchte Versteigerung erbrachte sehr gute Preise, die der Qualität der Werke entsprachen. 309 Gleiches galt auch für die Sammlung Max Emden, die vorwiegend Kunst des 19. Jahrhunderts beinhaltete. 310 Die deutsche Malerei war mit Werken von Spitzweg, Böcklin, Feuerbach und Schuch sowie Gemälden der deutschen Impressionisten vertreten. Zur Gruppe der französischen Maler gehörten Pissarro, Sisley und Signac und Gauguin. Für Feuerbachs „Nanna" (14.100 R M ) und Van Goghs Landschaft „Aus der Umgebung von Paris" (16.600 RM) zahlten die Sammler dabei die höchsten Preise.311 In diesem Auktionsjahr waren auffallend viele Kunstwerke deutscher und französischer neuerer Künstler auf den Markt gekommen, die üblicherweise sehr selten angeboten wurden. Die deutschen wie die französischen Werke erreichten dabei gute bis sehr gute Preise. Auch die Sammlung Max Böhm bei Lepke gehörte dazu.312 Böhm hatte neben Meistern des deutschen Realismus des 19. Jahrhunderts wie Trübner, Menzel und Thoma, auch Werke der großen deutschen Impressionisten gesammelt, wobei Liebermann ungewöhnlich breit vertreten war. Der künstlerisch hochwertige Bestand brachte auf der Versteigerung trotz 307 Ergebnisse vgl. Deusch, 1931, Sensationspreise, S.3 und Preisberichte, in: Weltkunst, 5. Jg., 29.3. 1931, Nr. 13, S. 6. 308 Auk.kat. Die Sammlung Dr. Hans Wendland, Lugango, und einige Beiträge aus anderem Besitz, durch Ball & Graupe, am 24./25.4.1931. Erwähnt bei A.T., 1931, S.lf. 309 Ergebnisse vgl. Anonym, Auktionsnachberichte, in: Weltkunst, 5. Jg., 17.5.1931, Nr. 20, S. 4 und 8, Preisbericht, in: ebd., 3.5.1931, Nr. 18, S. 8f. 310 Auk.kat. Die Sammlung Dr. Max Emden, Hamburg: Gemälde deutscher und französischer Meister des 19.Jahrhunderts, Möbel, Teppiche, Bronzen [...], durch Ball & Graupe, am 9.6.1931. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorberichte, in: Weltkunst, 5. Jg., 31.5.1931, Nr. 22, S. 4. 311 Ergebnisse vgl. Preisberichte, in: Weltkunst, 5. Jg., 14.6.1931, Nr. 24, S. 8. 312 Auk.kat. Sammlung Max Böhm, durch Lepke, am 28.1.1931, Kat. 2039. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorberichte, in: Weltkunst, 5. Jg., 18.1.1931, Nr. 3, S.lf.
II. Der Kunsthandel in Berlin -1931
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der wirtschaftlichen Krise den erhofften großen Erfolg.313 Ausgezeichnete Preise zahlten die Käufer für Leibis „Bauernmädchen" (45.000 RM) und für Böcklins „Kampf der Zentauren" (44.000 RM). Solche stattlichen Summen konnten nur noch von finanzkräftigen Sammlern gezahlt werden. Unter den deutschen Impressionisten erreichten die Arbeiten von Liebermann die höchsten Preise; seine „Judengasse" kam auf 30.000 RM und seine Studie zu den „Netzflickerinnen" auf 20.000 RM. Die Preise für Stillleben von Slevogt und Corinth lagen zwischen 3.000 RM und 9.000 RM, die als beachtenswert zu nennen waren. Die auf dieser Auktion erzielten hohen bis sehr hohen Summen bestätigten die in mehreren Ausgaben des Jahres 1931 in der Zeitschrift Das Kunstblatt thematisierte Tendenz einer Wertsteigerung zeitgenössischer Werke.314 In einer Frageaktion an Sammler und Künstler zeitgenössischer Kunst äußerten sich diese einstimmig darüber, dass moderne Werke in der Vergangenheit ungleich höher im Wert gestiegen waren als im selben Zeitraum alte Meisterwerke. Beispielsweise schrieb der Berliner Sammler Hugo Simon, der eine anspruchsvolle Sammlung mit modernen deutschen Kunstwerken besaß, dass seine seit 1910 erworbenen Arbeiten der Brücke-Künstler ebenso wie von Feininger, Klee und anderen in der Zwischenzeit um das Zehn- bis Fünfzehnfache im Preis gestiegen waren.315 Voraussetzung für eine Wertsteigerung sei dabei eine eigene gute Kenntnis in Kunstfragen beziehungsweise die Unterstützung eines Galeristen oder Kunsthändlers gewesen. Im Fall Graetz, der einige Jahre später als Simon mit dem Sammeln moderner Werke begonnen hatte, war dieser bei den Erwerbungen von seinem Bruder Hugo beraten worden, der selbst Galerist war. Zum Zeitpunkt der Umfrage besaß Graetz bereits eine wertvolle Sammlung mit deutschen impressionistischen und expressionistischen Arbeiten. Da diese Objekte inzwischen zu hohen Preisen auf dem Markt gehandelt wurden, wandte er möglicherweise in dieser Zeit sein Interesse von den etablierten und damit teuren Künstlern zunehmend der jüngeren Generation zu. Auch wenn einige zeitgenössische Künstler über gute Einkünfte verfügten, galt dies für den überwiegenden Teil der jungen Kunstschaffenden nicht. Daher veranstaltete Paul Graupe 1931 erstmals auf dem Berliner Kunstmarkt eine Auktion mit Gemälden moderner deutscher Künstler, deren Reinertrag er direkt den verarmten Künstlern zur Verfügung stellte.316 Über den materiellen Gewinn hinaus sollten sie auch Kontakte zu Sammlern erhalten. Die Versteigerung hatte ein „recht gutes Ergebnis", so der Kommentator der We/ikunst.m Die höchsten Preise fielen auf ein „Fruchtstillleben" von Carl Hofer (900 RM), gefolgt von einem Blumenstillleben von Willy Jaeckel (730 RM), während die bezeichneten „guten" Preise mit 50 RM bis 250 RM jedoch weit darunter lagen; häufig hatten sie gerade einmal die gesetzten Limits erreicht. Das Ergebnis verdeutlicht vielmehr, dass zeitgenössische Arbeiten für relativ wenig Geld zu bekommen waren. Während in den ersten Jahren nach Ende des Ersten Weltkrieges enthusiastische Mäzene die junge Kunst gefördert und im 313 Ergebnisse vgl. Sydow, 1931, S. 1 f. und Preisberichte, in: Weltkunst, 5. Jg., 1.2.1931, Nr. 5, S. 6. 314 Für das Folgende Westheim, 1931, S. 6 - 2 2 und S. 3 9 - 4 7 . 315 Ebd., S. 11. 316 Auk.kat. Gemälde, Aquarelle und Plastiken lebender deutscher Künstler, durch Graupe, am 27.6. 1931. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorberichte, in: Weltkunst, 5. Jg., 21.6.1931, Nr. 25, S. 7. 317 Ergebnisse vgl. Anonym, Auktionsnachberichte, in: Weltkunst, 5. Jg., 5.7.1931, Nr. 27, S. 4.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel -1932
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Erwerb moderner Kunstwerke sowohl ein Abenteuer als auch die Hoffnung auf eine profitable Wertanlage gesehen hatten, fehlte den Sammlern seit der Weltwirtschaftskrise das Geld für derartige Experimente. Deshalb hatten insbesondere jüngere Künstler große finanzielle Probleme. 318 Robert Graetz gehörte dagegen zu den wenigen Kunstförderern, die es sich leisteten, unter diesen schwierigen Bedingungen weiterhin junge Künstler zu fördern. 319 Allgemein kann am Ende der Frühjahrssaison ein deutliches Abflauen der Auktionstätigkeit in Deutschland festgestellt werden. Dies war durch die sich stetig verschärfende wirtschaftliche Krise bedingt. Hinzu kam für die deutschen Kunsthändler die Schwierigkeit, dass sie ausländische Devisen für Kunstimporte nur in sehr beschränktem Umfang erhielten. Die am 1. August 1931 verabschiedete Devisen-Notverordnung sah überdies vor, dass die Bezahlung mit ausländischen Zahlungsmitteln von der Devisenstelle genehmigt werden mussten. 320 Dadurch war der auf internationalen Kunsthandel ausgerichtete Berliner Kunstmarkt empfindlich beeinträchtigt. Auch 1932 - ebenso wie in den Vorjahren - blieb es für die Kommentatoren des Kunsthandels schwierig, die Auktionsergebnisse mit den bisherigen Maßstäben einzuschätzen. 321 Waren noch bis 1930 die jeweiligen „Spitzenwerke" einer Sammlung ausschlaggebende Faktoren des Auktionsergebnisses, so stand seit 1931 die Absatzmöglichkeit als solche im Vordergrund. Uberwiegend kamen nun mittlere Qualitäten auf den Markt, wobei Hauptwerke fast gänzlich fehlten. Zu den bedeutenden Auktionen gehörte die Nachlassversteigerung der Sammlung James Simon im November bei Lepke. 322 In der Auktion kam nun der Restbestand seines enormen Kunstbesitzes zur Auflösung, der vorwiegend Arbeiten der niederländischen und italienischen Schulen sowie Bronzestatuetten und Kunstgewerbe beinhaltete. Die Versteigerung fand ein großes Interesse, was sich in den Preisen widerspiegelte. 323 Die höchste Summe erzielte dabei das Gemälde „Maria mit dem Kind" von Rubens (11.000 RM); ein großes Stillleben von Jan Fyt kam auf 7.500 R M und ein „Wasserfall" von Ruisdael auf 6.400 RM, während die anderen Verkaufssummen zwischen 1.000 R M und 4.000 R M lagen. Diese vergleichsweise hohen Preise ließen sich nur auf die ausgezeichnete Provenienz der Sammlung Simon zurückführen, denn zahlreiche Auktionen des Jahres hatten für Werke derselben Künstler wesentlich geringere Summen gebracht. Dies war der Fall bei den Versteigerungen der Gemäldesammlung Schloss Rheinhartshausen (Rheingau) aus dem Besitz des Prinzen Heinrich von Preußen 324 im Juni bei Graupe sowie bei einer fürstlichen
318 Hartlaub, 1931, S. 1 f. 319 Vgl. auch Abschnitt „Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung". 320 Blau, 1931, S. 1. 321 Anonym, Das Auktionsjahr 1932, in: Weltkunst, 7. Jg., 1.1.1933, Nr. 1, S. lf. 322 Auk.kat. Nachlass Sammlung James Simon, durch Lepke, am 29.11.1932, Kat. 2059. Erwähnt bei Anonym, Nachlass Dr. James Simon, in: Weltkunst, 6. Jg., 20.11.1932, Nr. 47, S. 1. 323 Ergebnisse vgl. Anonym, Auktionsnachberichte, in: Weltkunst, 6. Jg., 18.12.1932, Nr. 51/52, S.3 und Preisbericht, ebd., 11.12.1932, Nr. 51/52, S. 3. 324 Auk.kat. Sammlungen Schloss Rheinhartshausen, Rheingau: Gemälde, Statuetten [...], durch Graupe, am 6./7.6.1932. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorberichte, in: Weltkunst, 6. Jg., 29.5. 1932, Nr. 22, S. 2.
II. Der Kunsthandel in Berlin -1932
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Gemäldegalerie 325 im Dezember bei Ball & Graupe, die in beiden Fällen Werke der niederländischen Schulen des 17. Jahrhunderts zum Schwerpunkt hatten. Die Auktionen verzeichneten jeweils ein starkes Interesse, was vor allem aus den mangelnden Angeboten auf dem Markt resultierte. Diese Verknappung wurde zum Teil künstlich hergestellt, weil Werke zurückgehalten wurden, um sie zu einem günstigeren Zeitpunkt zu verkaufen. In der Regel galt, dass erneut künstlerisch hochwertige Arbeiten mit einer guten Provenienz beachtliche Preise erhielten wie eine „Hügellandschaft" von Jacob van Ruisdael für 3.150 RM. 3 2 6 Die meisten gezahlten Summen lagen jedoch unter 1.000 RM; diese niedrigen Preisen waren offenbar der schwierigen wirtschaftlichen Lage geschuldet. Demgegenüber standen Preise wie die 35.500 R M für einen „Greisenkopf" von Rembrandt aus der Sammlung Hahn, der als exzellent zu nennen war. 327 Allerdings hatte das einzelne „Meisterwerk" seine maßgebende Rolle eingebüßt. Seine Wertschätzung entsprach nun in etwa wieder der Vorkriegszeit, weswegen es sehr schwierig ist, auf Einzelpreise einzugehen. 328 Tendenziell kann jedoch festgestellt werden, dass auf dem Berliner Kunstmarkt vorwiegend Altmeisterwerke mittlerer Qualität zum Verkauf kamen, die dabei teilweise erstaunlich hohe Ergebnisse erzielten. Auf einem festen und hohen Niveau befanden sich dagegen die Preise für Werke von etablierten Künstlern des 19. und 20. Jahrhunderts, zu beobachten etwa bei der Versteigerung der Breslauer Sammlung L. im Februar bei Lepke. 329 In der rege besuchten Veranstaltung wurden für das Gemälde „Sommer" von Thoma 4.200 R M gezahlt, für Achenbachs „Strand bei Scheveningen" 2.350 R M und für Brandts „Zigeunerlager" 2.000 RM. 3 3 0 Als im Herbst zwei Berliner Sammlungen bei Cassirer zur Versteigerung kamen, zogen diese wegen der reichen Bestände an niederländischen, französischen und deutschen Werken ein vielschichtig interessiertes Publikum an. 331 Die Kunstwerke im mittleren Preisniveau waren dabei besonders stark nachgefragt, und französische Werke wurden hoch bezahlt. Den
325 Auk.kat. Gemälde und Antiquitäten aus fürstlichem Besitz und anderem Besitz, durch Ball & Graupe, am 10.12.1932. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorberichte, in: Weltkunst, 6. Jg., 20.11. 1932, Nr. 47, S. 2. 326 Ergebnisse vgl. Anonym, Auktionsnachberichte, in: Weltkunst, 6. Jg., 19.6.1932, Nr. 24/25, S. 5 und Preisliste, in: ebd., 31.7.1932, Nr. 31, S. 4. 327 Auk.kat. Die Sammlung Victor Hahn, Berlin: Kunstwerke vom 14.-18.Jahrhundert, durch Ball & Graupe, am 27./28.6.1932. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorberichte, in: Weltkunst, 6. Jg., 19.6.1932, Nr. 24/25, S. 3. Ergebnisse vgl. Anonym, Auktionsnachberichte, in: Weltkunst, 6. Jg., 3.7.1932, Nr. 27, S. 4 und Preisliste, in: ebd. 328 Anonym, Das Auktionsjahr 1932, in: Weltkunst, 7. Jg., 1.1.1933, Nr. 1, S. lf. 329 Auk.kat. Sammlung L., Breslau: Menzel-Sammlung; Gemälde neuerer Meister, Aquarelle, Handzeichnungen, durch Lepke, am 23.2.1932, Kat. 2051. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorberichte, in: Weltkunst, 6. Jg., 14.2.1932, Nr. 7, S. 2. 330 Ergebnisse vgl. Anonym, Auktionsnachberichte, in: Weltkunst, 6. Jg., 28.2.1932, Nr. 9, S.5 und Preisbericht, in: ebd., S. 4. 331 Auk.kat. Bilder und Kunstgegenstände aus dem Nachlass Geheimrat Hermann Frenkel, aus Berliner Privatsammlungen, der Faustzyklus von Lovis Corinth und Sammlung Dr. S., Berlin, durch Cassirer, am 20.10.1932. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorberichte, in: Weltkunst, 6. Jg., 11.9. 1932, Nr. 37, S.2. Ergebnisse vgl. Anonym, Auktionsnachberichte, in: Weltkunst, 6.Jg., 23.10. 1932, Nr. 43, S. 4 und Preisliste, in: ebd.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
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höchsten Preis erzielte mit 22.000 R M der Faust-Zyklus von Corinth, der sechzehn Ölbilder und fünfzehn Aquarelle umfasste. Dieses Auktionsergebnis sowie eine Reihe weiterer positiver Auktionsresultate im Herbst fasste der Berliner Kunsthandel hoffnungsvoll auf. Auch die Versteigerung des Nachlasses von Lesser Ury durch Cassirer bestärkte diese Hoffnung für die Auktionsmöglichkeiten. 332 Die Arbeiten des Künstlers konnten zu guten Preisen abgesetzt werden wie beispielsweise die Berliner Ansicht „Nollendorfplatz" für 1.010 RM. Seine Pastelle kosteten um die 400 RM, was sehr hoch war. Mit der Versteigerung des Ury-Nachlasses beendete die Galerie Cassirer ihre erfolgreiche Auktionstätigkeit, da ihre Teilhaber aufgrund der anbahnenden politischen Veränderungen neue Galerien in Zürich und London eröffnet hatten. 333 Für das Auktionsjahr 1932 konnte eine Stabilisierung festgestellt werden, die von einer guten Aufnahmefähigkeit des Kunsthandels getragen wurde. 334 Dies betraf nicht nur mittelmäßige Werke, sondern auch künstlerisch hochrangige. Dabei zahlten die Sammler für durchschnittliche Arbeiten teilweise erstaunlich hohe Preise. Die Kunstwerke neuerer Künstler behaupteten sich zu mitunter ausgezeichneten Summen; auch die deutschen Meister des 19. Jahrhunderts tendierten auf einem festen und hohen Niveau. b) Die nationalsozialistischen Gesetze und ihre Konsequenzen für die Sammelpraxis Die „Machtergreifung" Adolf Hitlers am 31. Januar 1933 brachte neben tief greifenden politischen und wirtschaftlichen Veränderungen auch erhebliche Umwälzungen im deutschen Kunsthandel mit sich. Der Kunstmarkt, der sich in der Endphase der Weimarer Republik gerade erst stabilisiert hatte, wurde in den folgenden Jahren durch zahllose Gesetze eingeengt, deren Ziel unter anderen die „Reinhaltung" des deutschen Volkes und der deutschen Kultur beinhaltete. Der einst florierende Kunsthandel, in dem viele jüdische Händler tätig waren, wurde durch die antijüdische Gesetzgebung binnen weniger Jahre beseitigt. Als Ergebnis gab es nach 1938 keinen jüdischen Geschäftsmann mehr, der ein Auktionshaus oder eine Galerie führte. Vom Vorgehen der Nationalsozialisten war besonders der Berliner Kunstmarkt betroffen, war dieser doch zeitweise der wichtigste im Deutschen Reich. Bemerkenswert ist zudem, dass der Kunsthandel während der Weimarer Republik ideale Voraussetzungen für die Entstehung von Sammlungen mit dem Schwerpunkt auf moderner Kunst geboten hatte. Derartige Werke waren im Uberfluss zu außerordentlich günstigen Preisen im Angebot, so dass Kunstbestände wie die von Robert Graetz in großer Zahl entstehen konnten. Graetz - wie viele andere moderne Sammler - erwarben ihre Kunstwerke jedoch nicht in Auktionen, sondern in Galerien oder direkt von den Künstlern. Viele Sammlungen, die während jener Jahre entstanden waren, mussten in den 1930er und 1940er Jahren wegen finanzieller Notlagen oder bevorstehender Emigrationen der Eigentümer 332 Auk.kat. Nachlass Lesser Ury, durch Cassirer, am 21.10.1932. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorberichte, in: Weltkunst, 6. Jg., 2.10.1932, Nr. 40, S. 2. Ergebnisse vgl. Anonym, Auktionsnachberichte, in: Weltkunst, 6. Jg., 30.10.1932, Nr. 44, S. 3 und Preisliste, in: ebd., 6.11.1932, Nr. 45,
S.4. 333 Wilhelm, 1990, S. 149. 334 Für das Folgende Anonym, Das Auktionsjahr 1932, in: Weltkunst, 7. Jg.,1.1.1933, Nr. 1, S. 1 f.
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II. Der Kunsthandel
in Berlin
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wieder veräußert werden. Zeitgenössische Kunstwerke, die nicht der NS-Ideologie entsprachen, konnten jedoch nicht auf dem offiziellen Markt verkauft oder erworben werden. Es ist daher zu vermuten, dass moderne Objekte vorwiegend „unter dem Ladentisch" veräußert wurden, da wegen der Verfemung dieser Kunstrichtungen durch die Nationalsozialisten der legale Markt weggebrochen war. Durch die Beeinflussung des totalitären Regimes, die nicht nur Politik und Wirtschaft, sondern auch den Kunst- und Kulturbereich betraf, vollzog sich daher im Kunsthandel ein gravierender Wandel: Die in der Weimarer Republik gefragten expressionistischen Kunstwerke wurden fortan als „entartet" bezeichnet und fanden auf dem offiziellen Markt keine Käufer mehr. Durch den äußeren Einfluss waren damit die Marktgesetze außer Kraft gesetzt worden. Dies ist ein wichtiger Faktor, warum während der NS-Zeit in erster Linie altmeisterliche Gemälde auf dem Kunstmarkt dominierten. Derartige Werke waren nicht nur begehrt, sondern auch in den meisten Sammlungen vertreten, die ab 1933 offiziell in Versteigerungen gelangten. Zudem war seit dem Entstehen moderner Sammlungen zu wenig Zeit verstrichen, als dass diese bereits wieder in Auktionen hätten verkauft werden können. Resultate von Verkäufen zeitgenössischer Kunst sind daher vor allem in Geschäftsunterlagen der Galerien und Kunsthandlungen nachzuweisen, die allerdings nur sehr lückenhaft vorhanden und bisher kaum erforscht sind.335 Stabiler Kunstmarkt trotz Liquidierungswelle und Kunsthandlungen: 1933-1939
jüdischer
Auktionshäuser
Bereits kurz nach Hitlers Proklamierung zum Reichskanzler wurde am 13. März 1933 per Erlass das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda eingerichtet, ein Ereignis, das mit schwerwiegenden Folgen für Kunsthandel und Künstler verbunden war.336 In einem nächsten Schritt wurde am 22. September 1933 das Reichskulturkammergesetz beschlossen, das die Bildung von sechs Reichskammern vorsah, in denen sich die verschiedenen künstlerisch tätigen Berufsgruppen pflichtmäßig organisieren mussten.337 Präsident der Reichskulturkammer wurde der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels. Eine der Kammern war die Reichskammer der bildenden Künste (RdbK), in der 335 Eine Ausnahme bilden beispielsweise die Galerien Karl Nierendorf und Ferdinand Möller. Zu Nierendorf vgl. Walter-Ris, 2003. Der Nachlass von Möller befindet sich im Archiv der Berlinischen Galerie und in der Berliner Galerie Wolfgang Wittrock. Eine Übersicht über Möllers Galeristentätigkeit bietet Roters, 1984. Eine Dissertation dazu ist von Katrin Engelhardt an der F U Berlin in Vorbereitung. Ebenfalls an der F U sind die Arbeiten über Gurlitt von Doris Mampe und über Böhmer von Marie-Luise Tapfer begonnen worden. 336 Erlass über die Errichtung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda vom 13.3.1933. Vgl. RGBl., 1933,1, S.104. 337 Reichskulturkammergesetz vom 22.9.1933. Vgl. RGBl., 1933,1, S. 661. Zur Reichskulturkammer gehörten folgende Kammern: Reichsschrifttumskammer, Reichspressekammer, Reichsrundfunkkammer, Reichstheaterkammer, Reichsmusikkammer und die Reichskammer der bildenden Künste. Durch die Erste Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes vom 1.11.1933 kam die Reichsfilmkammer als siebte Kammer hinzu. Vgl. RGBl., 1933,1, S. 797. Zum Aufbau der Reichskulturkammer vgl. das Handbuch der Reichskulturkammer, 1937. In Vorbereitung befindet sich die Dissertation von Henrike Schulte über „Die Reichskammer der bildenden Künste" an der F U Berlin.
2. Kunstmarkt
und Kunsthandel
-1933
75
die gesamte Künstlerschaft und alle im Kunsthandel Beschäftigten Mitglied werden mussten, sofern sie noch in diesem Bereich tätig sein wollten. Goebbels beabsichtigte, die Kunsthändler innerhalb der RdbK ständisch zu organisieren, umso unliebsame, vor allem jüdische Kunsthändler nach und nach auszuschalten, denn die Mitgliedschaft in der Kammer wurde von der nichtjüdischen Herkunft abhängig gemacht. Zur Umsetzung des Reichskulturkammergesetzes in die Praxis wurde am 1. November 1933 eine Verordnung mit dem Ziel verabschiedet, die einzelnen Kammern einzurichten.338 Dort waren die Aufgaben der Reichskulturkammer sowie die jeweilige Kammerzugehörigkeit geregelt. Um jüdische Kunsthändler aus ihren Geschäften zu drängen, barg Paragraph 10 die Möglichkeit, die Aufnahme zu verweigern, wenn „die in Frage kommende Person die für die Ausübung ihrer Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit und Eignung nicht besitzt".339 Mit diesem unscharf formulierten Paragraphen konnte die zuständige Kammer die Aufnahme beispielsweise eines jüdischen Händlers ablehnen. Seit der Verordnung waren zudem alle bisherigen Kunsthändler-, Antiquitäten-, Numismatiker- und Antiquarverbände aufgelöst. Fortan wurden sie durch den einzig zugelassenen Bund der Deutschen Kunst- und Antiquitätenhändler mit Sitz in München vertreten.340 Die Neuordnung des Kunsthandels wurde ebenfalls in der 'Weltkunst diskutiert. Dort erläuterte Adolph Weinmüller, der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Kunst- und Antiquitätenhändler, dass für die Ausübung eines Berufes im Kunsthandel die Mitgliedschaft in diesem Bund unerlässlich sei.341 Zu den ersten Mitgliedern des Reichsverbandes für Berlin, die in einer großen Anzeige in der Oktoberausgabe der Weltkunst abgedruckt waren, gehörten bezeichnenderweise nicht die großen Berliner Auktionshäuser wie Lepke und Graupe, denn deren Inhaber waren jüdischer Herkunft und damit von der Mitgliedschaft ausgeschlossen.342 Einige Ausgaben der Zeitschrift erwähnten ferner, dass eine Reihe von leitenden Museumsbeamten und Professoren in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden war. In Berlin waren davon neben anderen jüdischen Gelehrten zuerst Curt Glaser, Direktor der Staatlichen Kunstbibliothek, und Wolfgang Herrmann, Kustos an der Bibliothek betroffen.343 Glaser emigrierte noch im selben Jahr in die Schweiz und deponierte dort seine Sammlung mit modernen Werken.344 Die Versetzung in den Ruhestand von verdienten Kunsthistorikern und anderen Wissenschaftlern notierte die Weltkunst kommentarlos. Allerdings druckte die bisher völlig unpolitisch agierende Zeitschrift seit der „Machtergrei338 Erste Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes vom 1.11.1933. Vgl. RGBl., 1933,1, S. 797. 339 Ebd. 340 Weinmüller, 1933, S. 3. 341 Ebd. 342 Anzeige der Mitglieder im Deutschen Reichsverband des Kunsthandels e.V., Berlin in: Weltkunst, 7. Jg., 15.10.1933, Nr. 42, S. 4. 343 Anonym, Personalien, in: Weltkunst, 7. Jg., 14.5.1933, Nr. 20, S. 6. 344 Tisa Francini, Heuß und Kreis, 2001, S. 40, 168f. Im Folgejahr wurden in Glasers Abwesenheit seine Wohnungseinrichtung und Teile der zurückgelassenen Sammlung im Auktionshaus Lepke zwangsversteigert. Vgl. Auk.kat. Kunstsammlung und Wohnungseinrichtung Glaser, durch Lepke, am 7.3.1934, Kat. 2073. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 8. Jg., 11.3.1934, Nr. 10, S. 4.
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II. Der Kunsthandel
in Berlin
-1933
fung" der Nationalsozialisten und deren Einfluss auf die Presse fortan häufiger polemisierende Artikel und Briefwechsel zwischen Kunstschaffenden und Nationalsozialisten ab, umso dem neuen Regime ihre Reverenz zu erweisen.345 Grundlage für die diskriminierende Maßnahme bildete das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933.346 Paragraph 3 sah vor, Beamte, die jüdischer Herkunft waren, in den Ruhestand zu versetzen. Nur in Ausnahmefällen, wie etwa bei Trägern des Eisernen Kreuzes, fand der Paragraph (noch) keine Anwendung. Aufgrund der sich zuspitzenden politischen Situation, die einherging mit Judenverfolgung und Rassendiskriminierung, sowie der damit verbundenen wirtschaftlichen wie existentiellen Unsicherheit, verließen bereits im Jahr der „Machtergreifung" zahlreiche Deutsche das Land.347 Aus Berlin, wo die mit 160.000 Mitgliedern 348 größte jüdische Gemeinde des Deutschen Reichs lebte, emigrierten allein im ersten Jahr 13.000 Berliner Juden.349 Dieser Exodus machte sich auch auf dem Berliner Kunstmarkt durch die ungewöhnlich vielen Wohnungsauflösungen der einzelnen Auktionsfirmen bemerkbar, die unter anderem in der Weltkunst angekündigt worden waren. Besonders aktiv war das Internationale Kunst- und Auktionshaus, das sich bereits seit Jahren auf Versteigerungen von gehobenen Wohnungsund Villeneinrichtungen spezialisiert hatte. Im selben Segment arbeitete das Kunstauktionshaus Continental. Aufgrund des erhöhten Bedarfs an Auktionatoren in diesem Bereich, aber auch wegen des erhofften Gewinns, hatten daher im Laufe des Jahres mehrere Auktionshäuser in Berlin eröffnet. Sie widmeten sich ebenfalls primär Versteigerungen von Wohnungseinrichtungen; Kunst spielte eine untergeordnete Rolle. Zu diesen neuen Geschäften zählten das Auktionshaus Dr. Günther Deneke350 in der Bellevuestraße 13, das Kunst- und Auktionshaus Union 351 am Kurfürstendamm 201 und die Auktionsfirma Münchener Altkunst352 in der Kurfürstenstraße 58. Neben den Neugründungen kam es ebenfalls zu Auf345 Als Beispiel unter zahlreichen sei der Brief des Dirigenten Wilhelm Furtwängler an Joseph Goebbels vom 16.4.1933 genannt, in dem dieser die Ausrottung der Juden zwar befürwortete, eine Ausweitung auf jüdische große Künstler allerdings ablehnte. Vgl. Anonym, Nationale Erhebung und Kunst, in: Weltkunst, 7. Jg., 16.4.1933, Nr. 16, S. 1 f. 346 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933. Vgl. RGBl., 1933, I, S. 175. 347 Zur wirtschaftlichen Situation zu Beginn der NS-Herrschaft vgl. beispielsweise Herbst, 2002, S. 176-180. 348 Gruner, 1996, S. 93. 349 Tabelle zur Emigration nach Aktennotiz Eppstein (ca. Oktober 1939), in: BArch, R 8150/47 (Reichsvereinigung der Juden). 350 Die Kunsthandlung ist nicht im Handelsregister nachzuweisen, aber in der Weltkunst wird erwähnt, dass am 18.2.1933 die vierte Auktion stattgefunden hatte. Vgl. Weltkunst, 7. Jg., 12.2. 1933, Nr. 7, S. 2 f. 351 Gegründet wurde das Geschäft von Kurt R. Wacker am 23.2.1933. Im folgenden Jahr veräußerte er die Rechte an Leo Spik, der bereits in Charlottenburg als Versteigerer tätig gewesen war. Spik änderte am 27.6.1935 offiziell den Titel seines Geschäftes in „Versteigerungshaus Union. Inhaber Leo Spik". Zu diesem Zeitpunkt befand sich sein Auktionshaus in der Tiergartenstraße 6. Vgl. Handelsregister HRA 6306, Sonderband, in: A G Charlottenburg, Akte Union Leo Spik, Bl. 1-12. 352 Anonym, Ein neues Berliner Kunsthaus, in: Weltkunst, 7. Jg., 12.11.1933, Nr. 46, S. 2.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
-1933
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lösungen von spezialisierten Galerien und Auktionshäusern. Deren Inhaber mussten entweder aufgrund der schwierigen Absatzmöglichkeiten schließen oder sie gingen in die Emigration. Unter den aufgelösten Kunsthandlungen des Jahres 1933 war die Galerie Victor Hartberg, die zeitgenössische Künstler in ihrem Repertoire führte. Deren Bestände an modernen Gemälden von Slevogt, Liebermann, Annot, Heckendorf, Kohlhoff und anderen versteigerte im Oktober das Internationale Kunst- und Auktionshaus. 353 Die höchsten Gemäldepreise wurden dabei für Werke von Heinrich Zügel mit 600 R M und von Liebermann mit 560 RM gezahlt, was im Vergleich zu den beiden Vorjahren sehr niedrige Preise waren. Kennzeichnend für das Auktionsjahr war die ausgesprochen geringe Anzahl von sehr hochrangigen Werken, die auf den Markt kamen. Auch fehlten Angebote von Spezialsammlungen, wie dies noch in den Jahren zuvor üblich war.354 Der Grund dafür liegt in der Veränderung innerhalb der Sammlerschichten der vorangegangenen Jahre. Diese Sammler bauten ihre Spezialkollektionen nicht mehr mit dem Ziel auf, eine gewisse Vollständigkeit zu erlangen, wie dies frühere Sammlergenerationen taten, sondern sie trugen Einzelwerke zusammen, die jedoch nicht in erster Linie der Repräsentation, sondern der eigenen Anschauung dienten. So bot der Berliner Kunstmarkt 1933 nur eine einzige Auktion von Bedeutung. Dabei handelte es sich um die Versteigerung der Frankfurter Sammlung des Baron Albert von Goldschmidt-Rothschild, die im März 1933 bei Ball & Graupe zur Auflösung kam. 355 Der Schwerpunkt lag auf französischer Kunst des 18. Jahrhunderts, die von exzellenter Provenienz war. Das Hauptwerk war das Gemälde „Gesellschaft im Freien" von Jean Baptiste Pater, der noch mit zwei weiteren künstlerisch sehr bedeutenden Arbeiten vertreten war. Ferner wurden italienische und spanische Gemälde, Kunstgewerbe sowie französische Möbel allererster Qualität angeboten. Die im Vorfeld sehr gepriesenen Gesellschaftsszenen von Pater verkauften sich dann, gemessen an ihrem Niveau, jedoch außerordentlich preiswert für 13.000 R M und 10.300 RM. Dennoch war der Berichterstatter der Weltkunst mit der regen Kauffreude des Kunsthandels und einem Gesamtergebnis von 300.000 RM höchst zufrieden, denn er bezeichnete es als „ein günstiges Zeichen für die Festigkeit des Kunstmarktes, insbesondere des Berliner". 356 Da in der Fachzeitschrift vorwiegend nur die Preisangaben zu den Erlösen von Wohnungsversteigerungen angegeben werden und somit nur vereinzelt Preise für Gemälde genannt sind, ist es schwierig, die Einschätzung zu bestätigen oder zu widerlegen. Dass der Kunstmarkt trotz der Neuregelungen noch in relativ geordneten Bahnen verlief, verdeutlicht die Auktionstätigkeit des alteingesessenen Auktionshauses Lepke. Die Firma veranstaltete neun Versteigerungen vorwiegend mit alten Meisterwerken, 353 Auk.kat. 1. Galerie Victor Hartberg, Berlin, wegen Auflösung der Firma, 2. Aus verschiedenem Privatbesitz und 3. Gesamtteppichlager der Firma Tilo Adanja, Berlin, durch das Internationale Kunst- und Auktionshaus, am 11.10.1933. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorberichte, in: Weltkunst, 7. Jg., 8.10.1933, Nr. 41, S. 2. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, ebd., 24.12.1933, Nr. 52/53, S. 5. 354 Für das Folgende Anonym, Rückblick auf das Jahr 1933, in: Weltkunst, 7 J g . , 7.1.1934, Nr. 1, S. 1. 355 Auk.kat. Die Sammlung Baron Albert von Goldschmidt-Rothschild, durch Ball & Graupe, am 14.3.1933. Erwähnt bei Anonym, Dixhuitieme am Berliner Markt. Die Sammlung Albert von Goldschmidt-Rothschild, in: Weltkunst, 7. Jg., 26.2.1933, Nr. 9, S. 1 f. 356 Anonym, Auktionsnachberichte, in: Weltkunst, 7. Jg., 19.3.1933, Nr.12, S. 2.
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II. Der Kunsthandel
in Berlin
-1933
wobei die holländischen und flämischen Schulen wie gewöhnlich überwogen. Unter den Werken befand sich eine Reihe von Gemälden, die sehr gute Provenienzen aufwiesen, weswegen deren Preise für eine Einschätzung des Berliner Kunstmarktes von Interesse wären. Da dies jedoch aufgrund fehlender Quellen nicht möglich ist, kann anhand der Zahl und des Schwerpunktes der Versteigerungen, die denen des Vorjahres vergleichbar sind, nur vermutet werden, dass das Auktionshaus Lepke trotz seiner jüdischen Inhaber unbehelligt arbeiten konnte.357 In diesem Sinne kann auch der Kommentar des Kritikers der Weltkunst aufgefasst werden, der in seinem Rückblick auf das Jahr 1933 feststellte, dass insbesondere die holländischen Kleinmeister des 17. Jahrhunderts, die einer Großzahl von Berliner Versteigerungen das Gepräge gaben, zu neuer Geltung gekommen waren.358 Wenngleich auf allen Auktionsmärkten jegliche Kunstrichtungen vertreten waren, konnte seit Jahren auf dem Berliner Kunstmarkt eine Bevorzugung holländischer Gemälde verzeichnet werden. Versteigerungsschwerpunkte der anderen Kunstmärkte waren beispielsweise auf dem Münchener Markt frühe italienische Gemälde und Bronzen, auf dem Wiener altes Silber und lokale Kunstwerke, auf dem Pariser Inneneinrichtungsgegenstände und auf dem Londoner englische Malerei des 18. Jahrhunderts.359 Eine Veränderung des Kunstmarktes vollzog sich jedoch nicht nur aufgrund der neuen nationalsozialistischen Gesetzgebung. Seit der zweiten Hälfte des vorangegangenen Jahres wurde eine heftige Diskussion über Reformen des Kunstmarktes öffentlich geführt, um den Missständen des Auktionswesens Einhalt zu gebieten.360 Diese Misere war infolge der wirtschaftlichen Krise mit gehäuften Versteigerungen entstanden, wodurch das Auktionswesen einen starken Aufschwung genommen hatte, der allerdings teilweise mit unseriösen Methoden einherging. Die Quintessenz der Diskussion war, dass für Käufer und Verkäufer mehr Rechte gefordert wurden, um einen wirksameren Schutz gegen Betrügereien bei den Versteigerungen zu erwirken. Diese Forderungen waren zwar seit langem per Gesetz beschlossen, wurden jedoch nicht streng genug durchgeführt. Der Dialog darüber wurde aber auch von Auktionatoren angefacht, die in den Kunsthändlern eine große Konkurrenz sahen, die sie ausschalten wollten. Denn gerade Händler, die auch Auktionen durchführten, waren aufgrund ihrer kunsthistorischen Kenntnisse häufig erfolgreicher als Auktionatoren, die in der Regel nur als Vermittler und nicht als Berater auftraten. Durch den starken Konkurrenzdruck war es daher zu Missbräuchen gekommen, die den gesamten Kunstmarkt in Verruf
357 Aus der Gesamtanzahl der Versteigerungen bei Lepke sollen nur zwei Auktionen erwähnt werden, da diese aufgrund ihrer sehr guten Werke in der Weltkunst positiv genannt wurden. Auk.kat. Gemälde alter Meister der Sammlung A.W. Sjöstrand, Stockholm und anderem Privatbesitz; Antiquitäten und Gemälde aus verschiedenen Sammlungen, durch Lepke, am 21./23.3.1933, Kat. 2063. Erwähnt bei Anonym, März-Auktionen in Berlin, in: 'Weltkunst, 7. Jg., 5.3.1933, Nr. 10, S. 1. Auk.kat. Gemälde alter und neuer Meister, dabei die Sammlung S., durch Lepke, am 21.11. 1933, Kat. 2069. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorberichte, in: Weltkunst, 7. Jg., 12.11.1933, Nr. 46, S. 2. 358 Anonym, Rückblick auf das Jahr 1933, in: Weltkunst, 7. Jg., 7.1.1934, Nr. 1, S. 1. 359 Anonym, Was wird gekauft? Tendenzen am Kunstmarkt, in: Weltkunst, 7. Jg., 3.12.1933, Nr. 49, S. 1-3. 360 Für das Folgende Feilchenfeldt, 1932, S. 1 f.
2. Kunstmarkt
und Kunsthandel
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brachten. Die geführte Diskussion wurde in der Weltkunst von Kunsthändlern, Auktionatoren und Sammlern mit Interesse verfolgt. So äußerte sich der Berliner Kunsthändler Karl Haberstock über die Gefahr der neu gegründeten Auktionshäuser, die zum Teil in der Kriegs- und Inflationszeit entstanden waren, und durch deren Gebaren es zu unlauteren Methoden im Kunsthandel gekommen war.361 Letztendlich kam es in der Auseinandersetzung jedoch nicht zu einem Konsens, denn, so Walther Feilchenfeldt, ehemaliger Mitinhaber der Berliner Galerie Cassirer, ging es allen nur um eines: die Konkurrenz auszuschalten.362 Da sich das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit des Problems annahm, wurde im August 1933 ein Gesetz zur Beseitigung der Missstände im Versteigerungswesen erlassen.363 Dass damit nicht nur den eigentlichen „Missständen" ein Ende gesetzt werden sollte, ist mit dem heutigen Wissen klar ersichtlich. Haberstock schrieb in der Weltkunst noch vage, dass mit diesem Gesetz „ungeeignete Elemente aus dem Versteigerungswesen" ausgeschaltet werden könnten.364 Neben dem Eindämmen von Korruption wie falschen Zuschreibungen und ungebührlichen Preisforderungen war mit dieser Gesetzgebung selbstverständlich beabsichtigt worden, jüdische Kunsthändler „rechtens" aus dem Kunsthandel auszuschließen. Für das Jahr 1934 konnte eine Verfestigung und Wiederaufwärtsbewegung des allgemeinen Preisniveaus verzeichnet werden, denn die seit 1931 bestehende Stagnation wich einer stärkeren Nachfrage nach Kunstwerken und einer höheren Aufnahmefähigkeit beim Publikum.365 Zurückzuführen war die positive Tendenz im Kunsthandel auf eine allgemeine konjunkturelle Aufwärtsentwicklung, die im Anstieg der Produktion von Verbrauchsgütern, einer erhöhten Bautätigkeit und am Aktienindex abzulesen war.366 Abgesehen von einigen Kunstwerken aus bedeutenden Sammlungen beschränkte sich das Angebot auf dem Berliner Markt allerdings zumeist auf mittlere Qualitäten. An beachtenswerten Auktionsergebnissen waren vor allem die Mosse-Auktion bei Lepke mit ihren sehr hohen Preisen, die Versteigerungen Alsberg und Gutmann bei Graupe und die laufenden Veranstaltungen des Internationalen Kunst- und Auktionshauses zu verzeichnen. Den positiven Auftakt für die Frühjahrssaison bildete die Veräußerung des Kunstbesitzes des verstorbenen Berliner Rechtsanwaltes Max Alsberg und einer süddeutschen Sammlung, die ein außerordentlicher Erfolg war.367 Begleitet von einem großen Interesse der Händler und Sammler wurden die Arbeiten zu teilweise ungewöhnlich hohen Preisen gut abgesetzt. Beispielsweise übertraf der Preis von 20.700 RM für zwei französische gotische Boiserien aus der Sammlung Als-
361 Haberstock, 1933, S.l f. 362 Feilchenfeldt, 1933, S. 2. 363 Gesetz zur Beseitigung der Missstände im Versteigerungswesen vom 7.8.1933. Vgl. RGBl., 1933, I, S. 578. 364 Haberstock, 1934, S.l. 365 Anonym, Rückblick auf das Jahr 1934, in: Weltkunst, 8. Jg., 6.1.1934, Nr. 1, S.l. 366 Herbst, 2002, S. 177. 367 Auk.kat. Kunstbesitz Prof. Max Alsberg (verstr.), Berlin; Gemälde und Kunstgewerbe aus einer bekannten süddeutschen Privatsammlung; verschiedener Berliner Privatbesitz, durch Graupe, am 29./30.1.1934. Erwähnt bei Anonym, Starker Berliner Auktionserfolg, in: Weltkunst, 8.Jg., 4.2. 1934, Nr. 5, S.l.
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II. Der Kunsthandel
in Berlin
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berg bei weitem die Schätzung.368 Neben hohen Summen für Möbel erreichten auch die Gemälde aus der süddeutschen Kollektion hohe bis sehr hohe Preise. Unter diesen - ausnahmslos niederländischen - Arbeiten des 17. Jahrhunderts kosteten ein „Wirtshausinterieur" von Teniers 5.800 RM und ein Soldatenbild von Wouwerman 4.700 RM. Im April 1934 versteigerte ebenfalls Graupe die sehr umfangreiche Kunstsammlung und die Einrichtung des Potsdamer Landsitzes von Herbert Gutmann.369 Gutmann war Vorstandsmitglied der Dresdner Bank gewesen, die sein Vater gegründet hatte.370 Wegen seiner jüdischen Herkunft musste er zurücktreten. Um seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu können, verkaufte er daher neben deutschen, französischen und niederländischen Gemälden, Möbel, Plastiken, Kunstgewerbe, Ostasiatika und Bücher. Im Durchschnitt erzielten die Gemälde Preise zwischen 300 und 600 RM. Sehr hohe Summen wurden dagegen für ein „Bildnis einer jungen Dame" von Jean Marc Nattier (8.000 RM), für die Olskizze „Krönung Maria" von Rubens (8.100 RM) und für ein Bismarck-Porträt von Lenbach (4.600 RM) gezahlt.371 Als Ende Mai die Sammlung des bekannten Berliner Zeitungsverlegers Rudolf Mosse bei Lepke zum Angebot kam, galt die Auktion schon im Vorfeld als Hauptereignis der Saison.372 Mosse hatte seit Ende der 1880er Jahre eine große Anzahl von Werken deutscher Künstler des 19. Jahrhunderts sowie alter Meister zusammengetragen, die er in seinem Palais am Leipziger Platz öffentlich zugänglich gemacht hatte. Auch dieser jüdische Geschäftsmann war durch die einschränkenden NS-Gesetze gezwungen, durch den Verkauf seiner Sammlung und einiger Immobilien Kapital zu liquidieren, um mit den Erlösen seine Gläubiger zu befriedigen.373 Als das Gesamtergebnis von einer Viertel Million RM bekannt gegeben wurde, übertraf dies alle Erwartungen.374 Sehr gute Preise für Gemälde neuerer Künstler lagen zwischen 7.000 und 16.500 RM. Zu diesen zählten Wilhelm Leibis „Bildnis des Appellationsrats Stenglein" (16.000 RM) und Spitzwegs „Eremit und Rabe" (8.800 RM). Auch für niederländische Ölarbeiten zahlten die Käufer in einigen Fällen ausgesprochen hohe Preise, so für Adrian van Ostades „Dorflustbarkeit" (16.500 RM) und für Ruisdaels „Ruine am Wald" (7.800 RM). Die überwiegenden Summen für Arbeiten neuerer Künstler lagen dagegen zwischen 300 und 800 RM, vereinzelt auch über 1.500 RM;
368 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 8.Jg., 4.2.1934, Nr.5, S.2 und ebd., 11.2.1934, Nr. 6, S. 3. 369 Auk.kat. Herbert M. Gutmann: Gemälde aus dem 18.Jahrhundert, Möbel, Silber [...], durch Graupe, vom 12.-14.4.1934. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 8. Jg., 18.2. 1934, Nr. 7, S. 2 und ebd., 1.4.1934, Nr. 13, S. 3. 370 Zu Gutmann vgl. Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft, 1930, Bd. I, S. 620. 371 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 8. Jg., 22.4.1934, Nr. 16, S. 3. 372 Auk.kat. Kunstsammlung Rudolf Mosse: Gemälde, Bildwerke, Möbel, Kunstgewerbe, durch Lepke, am 29./30.5.1934, Kat. 2075. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 8. Jg., 13.5.1934, Nr. 19, S. 3 und ebd., 20.5.1934, Nr. 20, S. 2. 373 Schreiben von Carl Krüger vom Auktionshaus Lepke an die Mosse-Treuhand-Gesellschaft mbH, Berlin, 19.2.1934, in: Unterlagen zur Liquidation der Fa. Rudolf Mosse, Berlin, HaberstockArchiv, HB/3/470a, 2002/1134. 374 Anonym, Eine Viertelmillion für die Sammlung Mosse, in: Weltkunst, 8. Jg., 3.6.1934, Nr. 22, S. 1. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: ebd., S. 3 und ebd., 10.6.1934, Nr. 23, S. 3.
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Werke alter, vorwiegend niederländischer Meister des 17. Jahrhunderts, lagen sogar nur bei 200 bis 400 RM, für drei Bilder wurden 2.000 beziehungsweise 3.000 RM geboten. Im folgenden Monat versteigerte dann das Auktionshaus Union die Villeneinrichtung und weiteren Kunstbesitz der Familien Rudolf Mosse und Lachmann-Mosse.375 Auch wenn im Auktionsjahr 1934 einige sehr hohe Preise - um die 10.000 RM für Gemälde alter und neuerer Meister - gezahlt wurden, so gilt jedoch allgemein, dass eher niedrige Preise, die deutlich unter 500 RM lagen, üblich waren. Dies war beispielsweise der Fall auf der Auktion von Gemälden aus einer süddeutschen Sammlung im Juni bei Lepke.376 Von den alten Meistern erzielte einzig das „Bildnis einer jungen Frau" von Quirin G. Brekelenkam 1.450 RM - die höchste Summe dieser Auktion; fast alle anderen Werke wurden für 100 bis 500 RM verkauft. Von den Arbeiten neuerer Künstler dieser Auktion lag der höchste Preis bei 770 RM für eine „Seine-Landschaft" von Alfred Sisley; die anderen Arbeiten kosteten nur 100 bis 200 RM. Ähnliche Aussagen können für weitere Versteigerungen auf dem Berliner Kunstmarkt getroffen werden.377 Überschaut man die Preisgestaltung des Berliner Marktes, so können für alte Gemälde als normale Preise unter 500 RM gelten, hohe Preise über 1.000 RM, sehr hohe über 5.000 RM und ausgezeichnete über 10.000 RM, die außerordentlich selten vorkamen.378 Im Vergleich zu den üblichen Resultaten müssen die Erlöse für niederländische Gemälde des 17. Jahrhunderts, die aus mehreren Sammlungen stammten und im Juni bei Graupe versteigert wurden, als hoch bezeichnet werden.379 So wurde etwa die Hälfte der niederländischen Werke aus der Berliner Gemäldesammlung P. H. bei Graupe für 1.000 bis 4.700 RM verkauft; der höchste Preis ging an eine „Große holländische Landschaft" von Jan van Goyen. Ähnlich hohe Summen zahlten die Käufer für Werke aus der Sammlung des Mainzer Kommerzienrates Bernhard A. Mayer, die in derselben Versteigerung angeboten wurden. Die dortigen hohen Erlöse hatten ihre Berechtigung durch die Qualität, denn bereits vor der Auktion berichtete die Weltkunst, dass es sich bei den vor-
375 Auk.kat. Villeneinrichtung und Kunstbesitz Lachmann-Mosse und Rudolf Mosse, Maaßenstraße 28, durch Union, am 6./7.6.1934. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 8.Jg., 3.6.1934, Nr. 22, S. 3. 376 Auk.kat. Gemälde, Bildwerke, altes Kunstgewerbe des 16.-18.Jh. aus einer süddeutschen Sammlung, durch Lepke, am 12.6.1934, Kat. 2079. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Reitkunst, 8. Jg., 27.5.1934, Nr. 21, S. 3. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: ebd., 24.6.1934, Nr. 25, S. 3. 377 Aus der Fülle seien zwei Auktionen bei Lepke genannt: Auk.kat. Gemälde alter und neuerer Meister, durch Lepke, am 24.10.1934, Kat. 2081. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 8.Jg., 14.10.1934, Nr. 41, S. 2. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: ebd., 11.11.1934, Nr. 45, S. 4. Auk.kat. Gemälde alter Meister, Gemälde neuerer Meister, Fridericiana, durch Lepke, am 6.12.1934, Kat. 2084. Auktionspreise sind im Exemplar im Haberstock-Archiv, Augsburg, handschriftlich überliefert. 378 Übersicht über die Bewertung der Preise für 1933 bis 1939. Vgl. im Anhang Tabellen 4 - 7 . 379 Auk.kat. Gemäldesammlung P.H., Berlin; Gemälde und Bronzen aus Sammlung R., Berlin; Farbstichsammlung Frau J., Wien; verschiedener Berliner Privatbesitz; Antikes Kunstgewerbe aus der Sammlung Baurat Schiller, Berlin, durch Graupe, am 25./26.6.1934. Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 8. Jg., 27.5.1934, Nr. 21, S. 3 und ebd., 3.6.1934, Nr. 22, S.3. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: ebd., 1.7.1934, Nr. 26, S. 3.
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II. Der Kunsthandel in Berlin -1934
wiegend niederländischen Meistern um Gemälde handelte, die in „so schöner Qualität seit langem nicht mehr auf den Berliner Kunstmarkt gelangt" waren.380 Während für die vorangegangenen Jahre vor allem die Auktionshäuser Lepke und Graupe großen Einfluss auf den Berliner Kunstmarkt hatten, gewann nun das Internationale Kunstund Auktionshaus zunehmend an Bedeutung. Hatte es sich in seiner Anfangszeit fast ausschließlich auf Versteigerungen kompletter Wohnungseinrichtungen konzentriert, veranstaltete es 1934 mehrere Auktionen mit hervorragenden Gemäldesammlungen, die sehr gute Resultate erzielten. Zudem war es das Auktionshaus, das in der Weltkunst am häufigsten erwähnt wurde und tatsächlich auch die meisten Versteigerungen durchführte. Dort fanden 1934 etwa 21 Versteigerungen statt, bei Lepke vierzehn und bei Graupe nur sechs.381 In diesem Jahr blieb das Hauptgewicht beim Internationalen Kunst- und Auktionshaus auf den Versteigerungen von Wohnungseinrichtungen, aber es kristallisierte sich bereits eine Tendenz zum Spezialversteigerer von Gemäldesammlungen heraus. Zu den bedeutenden Auktionen dieses Hauses gehörten unter anderen die des Kunstbestandes von M. Wassermann mit Gemälden und Möbeln bester Provenienz.382 Hohe beziehungsweise sehr hohe Preise zahlten die Käufer für ein „Bismarck-Porträt" von Lenbach (4.650 RM) und ein „Jünglingsporträt" von van Dyck (7.000 RM). Auch die Auktion mit Gemälden alter und neuerer Meister im Oktober war ein großer Erfolg.383 Für die niederländischen Arbeiten wurden normale bis hohe Preise gezahlt; so für Wouwerman 600 RM und für Isaak van Ostade 1.500 RM. Ein „Männerbildnis" von Reynolds erhielt den sehr guten Preis von 7.000 RM. Durch die seit der „Machtergreifung" erlassenen zahlreichen Gesetze, die jüdischen Bürgern Beschränkungen auferlegten wie beispielsweise die weitere Ausübung ihres Berufes, emigrierten bis Ende 1934 insgesamt 22.000 Berliner Juden.384 Die Auswanderung zog die Beschlagnahme ihres Vermögens zugunsten des Reiches nach sich, bei der die Finanzbehörden eine zentrale Funktion einnahmen. Die Landesfinanzämter wurden, nachdem die einzelnen Länder im Jahre 1934 gleichgeschaltet worden waren, unmittelbar dem Reichsfinanzministerium als Oberfinanzbezirke unterstellt.385 Reichsweit besteuerte, beschlagnahmte und verwertete der Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg die Vermögenswerte. Da alle Ausreisewilligen eine Reichsfluchtsteuer von 25 Prozent ihres Vermögens zahlen mussten, fielen zum Teil erhebliche Beträge an, die vor der Auswanderung zu zahlen 380 Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 8. Jg., 3.6.1934, Nr. 22, S. 3. 381 Die Anzahl der Auktionen der genannten Auktionshäuser wurde mit den vorhandenen Auktionskatalogen ermittelt, die sich in der Kunstbibliothek in Berlin befinden. Das Internationale Kunstund Auktionshaus wurde in der Weltkunst des Jahres 1934 insgesamt 21 mal erwähnt, Lepke fünfmal und Graupe dreimal. 382 Auk.kat. Sammlung Dr. M. Wassermann und anderer Besitz, durch das Internationale Kunst- und Auktionshaus, am 21.4.1934. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 8.Jg., 15.4.1934, Nr. 15, S. 4. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: ebd., 29.4.1934, Nr. 17, S. 3. 383 Auk.kat. Gemälde alter und neuerer Meister, durch das Internationale Kunst- und Auktionshaus, am 16.10.1934. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 8. Jg., 7.10.1934, Nr. 40, S. 2. Ergebnisse vgl. Anonym, Auktionsnachberichte, in: ebd., 28.10.1934, Nr. 43, S. 2. 384 Statistik zur Emigration aus Berlin vgl. Tabelle nach Aktennotiz Eppstein (ca. Oktober 1939), in: BArch, R 8150/47 (Reichsvereinigung der Juden). 385 Für das Folgende Tisa Francini, Heuß und Kreis, 2001, S. 46.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
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waren.386 Infolgedessen mussten die Emigranten zur Finanzierung der Zahlungsforderungen ihr gesamtes Vermögen oder Teile davon liquidieren; darin befanden sich häufig auch Kunstwerke. Wegen der hohen Auswanderungszahlen konnte bereits 1934 ein vermehrtes Aufkommen von Wohnungsauflösungen verzeichnet werden, die größtenteils im Internationalen Kunst- und Auktionshaus stattfanden. Zum Angebot kamen in der Regel elegante Wohnungen und Villen, wie den Anzeigen in der Weltkunst zu entnehmen ist.387 Trotz des damit verbundenen erhöhten Aufkommens an - zumeist niederländischen - Kunstwerken von guter und mittlerer Qualität auf dem Berliner Markt wurden sie vorzüglich aufgenommen. Einher ging dies mit einer Preisstabilisierung, denn der Kunstmarkt hatte sich inzwischen auf ein normales Preisniveau eingependelt, der weder nach oben noch nach unten sehr hohe Schwankungen aufwies. Dieser Umstand ist bemerkenswert, denn auch 1934 wurden von staatlicher Seite aus weit reichende Veränderungen im Kunsthandel durchgeführt, die durch die Machtbefugnisse der RdbK gesteuert wurden. Machtausbau der Reichskammer
der bildenden Künste im Kunsthandel
Nachdem im Jahr 1933 die Reichskammer der bildenden Künste, als eine der Kammern der Reichskulturkammer, gegründet worden war, wurden gemäß Paragraph 15 und 16 der Ersten Verordnung des Reichskulturkammergesetzes sechzehn bisher eigenständige Fachverbände integriert.388 Einer dieser Fachverbände war der Bund Deutscher Kunst- und Antiquitätenhändler, der seinen Sitz in München hatte.389 Ein weiterer Schritt, den Kunsthandel zu kontrollieren, wurde mit der Ersten Anordnung zum Schutz des Berufes und der Berufsausbildung der Kunst- und Antiquitätenhändler unternommen, die vom 4. August 1934 datiert war.390 Dieser Anordnung gemäß war ein Kunsthändler derjenige, der mit Antiquitäten, neuer Kunst, Münzen, Büchern und Drucken als freier Händler oder als Kommissionär handelte. Um den Beruf ausüben zu können, war die Mitgliedschaft für Kunst- und Antiquitätenhändler in der Kammer zwingend. Voraussetzung dafür bildete der „Ariernachweis". Die Absicht, den Kunsthandel völlig zu „entjuden", konnte jedoch anfangs aus unterschiedlichen Gründen nicht vollständig umgesetzt werden. Vordergründig war durch 386 Eingeführt wurde die Reichsfluchtsteuer bereits 1931 und betraf alle Emigranten, deren Vermögen am 1.1.1931 mehr als 200.000 RM betrug oder die über ein Jahreseinkommen von mehr als 20.000 RM verfügten. Am 18.5.1934 wurde dann die Verordnung auf diejenigen ausgedehnt, die am 1.1.1931 ein Vermögen von mehr als 50.000 RM besaßen. Ursprünglich war die Steuer eingeführt worden, um die Emigration zu verhindern, um dadurch den Reichtum dem Lande zu erhalten. Die spätere Ergänzungsmaßnahme zielte darauf ab, sich die Emigration, vor allem die der Juden, zunutze zu machen. Vgl. Schmidt, 1992, „Arisierungspolitik", S. 208. 387 Dies änderte sich in den folgenden Jahren erheblich, als eine Reihe von Versteigerungshäusern hinzukam, deren Spezialisierung auf Wohnungsauflösungen aller Art lag. 388 Erste Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes vom 1.November 1933. Vgl. RGBl., 1933,1, S. 797, § 15,16. 389 Anonym, Fachverbände in der Reichskammer der bildenden Künste, in: Weltkunst, 8. Jg., 3.6. 1934, Nr. 22, S. 6. 390 Erste Anordnung zum Schutz des Berufes und der Berufsausübung der Kunst- und Antiquitätenhändler vom 4.8.1934. Vgl. VB, Nr. 219 vom 7.8.1934. Abgedruckt auch in: Mitteilungsblatt Reichskammer der bildenden Künste (Mbl. RdbK), 1. Jg., 1.11.1936, H. 2., S. 14.
der
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II. Der Kunsthandel in Berlin -1934
eine schlagartige Ausschaltung der Juden aus dem Kunsthandel, in dem eine große Anzahl von jüdischen Kunsthändlern und Galeristen tätig war, ein Zusammenbruch des deutschen Kunsthandels zu befürchten. Da dies große wirtschaftliche Nachteile für das „Dritte Reich" nach sich gezogen hätte, durften „devisenbringende" Juden zunächst in der Reichskulturkammer verbleiben.391 Per Gesetz war eine Lücke gelassen, so dass diejenigen Versteigerer ihr Gewerbe auch ohne Erlaubnis ausführen konnten, sofern sie am Tag des Inkrafttretens des Gesetzes über das Versteigererwesen vom 16. Oktober 1934 als Versteigerer tätig waren.392 Diese Regelung galt zunächst bis zum 28. Februar 1935 und wurde später bis zum 31. Mai 1935 verlängert.393 Ab 1935 wurde eine Sonderbehandlung allerdings nur noch unter bestimmten Umständen zugelassen. Dennoch konnten jüdische Kunsthändler noch jahrelang unbehelligt in ihren Unternehmen tätig sein, sofern sie über entsprechende Kontakte verfügten. Mit der Verabschiedung des erwähnten Gesetzes über das Versteigererwesen vom 16. Oktober 1934 wurde gleichfalls die Grundlage geschaffen, um den Handel im nationalsozialistischen Sinne straff zu organisieren und zu kontrollieren.394 Damit sollte auch die seit mehreren Jahren andauernde Debatte über die Missstände im Kunsthandel beendet werden. Schon vor Inkrafttreten der Verordnung begrüßte Weinmüller in der Weltkunst die gesetzlichen Neuregelungen.395 Er bekräftigte, dass mit diesem Gesetz Spekulationen und unlauteren Praktiken ein Ende gesetzt würde, da die Kunsthändler, die in der Reichskulturkammer organisiert waren, eine Verantwortung gegenüber den Käufern hätten. Für das Auktionswesen hatte das Gesetz gravierende Folgen.396 Fortan durften Kunstversteigerungen nur noch unter der Oberaufsicht der RdbK durchgeführt werden. Voraussetzung dafür war die bereits wirksame Maßnahme, dass der Kunstversteigerer, sein Stellvertreter und seine leitenden Angestellten Mitglieder in der RdbK waren. Darüber hinaus durften Kunstversteigerungen nur noch von einem besonderen Kreis von Versteigerern - bisherige Bezeichnung: Auktionatoren - abgehalten werden, die dafür eine Genehmigung besaßen.397 Auch war es Versteigerern mit sofortiger Wirkung untersagt, Kunsthandel zu betreiben; es sei denn, sie hatten eine Erlaubnis.398 Damit waren zwei zentrale Forderungen der bisher 391 Eine dehnbare Auslegung der Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes war in Paragraph 9 verankert. Vgl. Dass, vom 15.5.1934, in: Mbl. RdbK, 2. Jg., 1.1.1937, H . l , S. 3 f. und RGBL, 1934,1, S. 413, § 9. 392 Gesetz über das Versteigererwesen vom 16-Oktober 1934. Vgl. RGBl., 1934, I, S. 976, § 14 Abs. 1. 393 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Versteigerergewerbe vom 27.Februar 1935. Vgl. RGBl., 1935,1, S. 289. 394 Gesetz über das Versteigererwesen vom 16. Oktober 1934. Vgl. RGBL, 1934,1, S. 974. 395 Weinmüller, 1934, S. 1 f. 396 Erläuterungen zur Durchführung des Gesetzes vgl. für das Folgende Schoch, 1934, S. 1, 3. 397 Seit Ende Oktober 1934 durfte sich fortan nur noch derjenige „Versteigerer" nennen, der Versteigerungen abhielt. Durch einen Zusatz konnte er auf sein Gewerbe hinweisen, wie ζ. B. „Kunstversteigerer". Dies war in der Verordnung zur Durchführung über das Versteigerergewerbe vom 30.10.1934 geregelt. Vgl. RGBL, 1934,1, S. 1091 ff., § 3 Abs. 1. 398 Verordnung zur Durchführung über das Versteigerergewerbe vom 30.10.1934. Vgl. RGBl., 1934, I, S. 1091, §33.
2. Kunstmarkt
und Kunsthandel
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geführten Diskussion durchgesetzt worden. Der so reglementierte Kunsthandel unterlag der Überwachung der RdbK, die den Geschäftsbetrieb genauestens regelte. Das aufwändige Genehmigungs- und Durchführungsprocedere sah vor, dass der Einlieferer bei der Antragstellung durch den Kunstversteigerer mit Namen und Adresse genannt wurde. Dem Antrag auf Versteigerung mussten als Anlagen eine Liste mit den zu versteigernden Gegenständen, die Versteigerungsbedingungen, der Entwurf des Inserates und, bei Aufgabe der Wohnung, die Bestätigung der Wohnungskündigung beigefügt sein.399 Der Antrag musste drei Wochen vor und das Ergebnisprotokoll drei Wochen nach dem Versteigerungstermin eingereicht worden sein.400 Wenn es sich bei der Versteigerung um jüdischen Besitz handelte, war eine Kennzeichnung Vorschrift. Anschließend wurde der Antrag in dreifacher Ausfertigung an den Präsidenten der RdbK geschickt. Dort erfolgte sowohl die Uberprüfung der Versteigerer und Einlieferer als auch die Liste der angebotenen Gegenstände. Danach meldete die RdbK die Versteigerung der jeweiligen Landesleitung der RdbK und dem zuständigen Polizeipräsidium, um deren Zustimmung zu erbeten. Erst nach Genehmigung der Auktion konnte der Versteigerer die Inserate veröffentlichen und die Kataloge drucken lassen. Seit dem Versteigerergesetz vom Oktober 1934 war es Vorschrift, die Eigentümer in den Auktionskatalogen entweder mit den Anfangsbuchstaben abzukürzen oder mit einem Codewort anzugeben. Diese Maßnahme verfolgte den Zweck, dass Juden ohne Aufdeckung ihres Namens keine Geschäfte machen konnten.401 Nach erfolgter Versteigerung musste ein Protokoll mit den erzielten Verkaufspreisen und der Nennung der Käufer angefertigt werden, das denselben Genehmigungsweg ging wie zuvor der Antrag zur Versteigerung. Mit diesem Gesetz wurde der Kunsthandel durch mehrere Instanzen reglementiert. Zur weiteren Kontrolle ebenso wie zur amtlichen Bekanntmachung von Verordnungen benutzte die Reichskulturkammer seit 1934 den Völkischen Beobachter (VB) als Publikationsorgan; unter anderem erfolgte hier die öffentliche Bekanntmachung der genehmigten Versteigerungen.402 Für die Analyse des Kunstmarktes bezüglich statistischer Erhebungen stellt die Publikation eine ergänzende Quelle zur 'Weltkunst dar.403 Ergebnislisten oder Besprechungen von Auktionen sind jedoch nicht im VB zu finden. 399 Das im Folgenden aufgezeigte Procedere kann beispielsweise anhand der Akten für die Anmeldungen des Auktionshauses Gerhard Harms bei der Landesleitung der RdbK im Landesarchiv Berlin nachvollzogen werden. Vgl. LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 17-21. 400 Anonym, Zur Beachtung bei Kunstversteigerungen, in: Mbl. RdbK, 2. Jg., 1.1.1937, H.l, S.15. Hier wurde auch darauf hingewiesen, dass sämtliche Gegenstände, auch solche von geringem Wert, in der Liste vermerkt werden müssen, da diese sich auf ein Prozent des Bruttoerlöses beliefen. 401 Vgl. Markmann und Enterlein, 1938, S. 64-67. 402 Der Völkische Beobachter erschien als „Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung für das gesamte Reich", so der Untertitel, bereits seit 1920. Reichsweit wurde Der Völkische Beobachter bis 1932 publiziert, danach gab es lokale Ausgaben. Die Berliner Ausgabe erschien von 1930 bis 1945; ab 1934 war sie gleichzeitig auch Publikationsorgan der Reichskulturkammer. 403 Bei den Inseraten in der Weltkunst und im Völkischen Beobachter handelt es sich in den meisten Fällen um dieselben, weswegen im VB nur stichprobenartige Kontrollen durchgeführt wurden, da keine erhöhte Zahl der Auktionen zu erwarten ist. Nach der Pogromnacht änderte sich die
II. Der Kunsthandel in Berlin -1935
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Auch 1935 tendierte der Kunstmarkt fest, der stabile Preise und eine stärker werdende Kauflust mit sich brachte.404 Das Angebot konnte jedoch nicht die Nachfrage befriedigen, denn neu auf den Markt gelangende Kunstwerke waren schnell vergriffen. Dies galt insbesondere für hervorstechende Werke, weil 1935 verhältnismäßig wenige Arbeiten von hoher Qualität auf den Markt kamen. Nur vereinzelte Auktionen konnten als Meilensteine von maßgeblicher Bedeutung auf dem deutschen Kunstmarkt bezeichnet werden. Zu diesen zählten in Berlin die Auktionen der liquidierten Kunsthandlungen des Margraf-Konzerns bei Graupe im Januar und im April, die hervorragende Gemälde alter Meister ebenso wie eine große Fülle ostasiatischer Objekte auf den Markt brachten, sowie die Versteigerung von Gemälden bei Lepke am 28. März 1935. Beachtenswert bei den Kunstauktionen des Jahres war deren glatter Absatz, der vor allem dem Interesse und der Kaufkraft des Inlandes zuzurechnen war. Von außerordentlicher Bedeutung für den Berliner Kunstmarkt waren 1935 die Aktivitäten des Auktionshauses Graupe. Der Inhaber und Kunstversteigerer Paul Graupe, der selbst jüdischer Herkunft war, liquidierte in diesem und den folgenden zwei Jahren - bis zu dessen eigener „Arisierung" - überdurchschnittlich viele Kunstfirmen, nicht nur in Berlin, sondern im gesamten Deutschen Reich. Aufgrund seiner weitreichenden geschäftlichen Kontakte gehörte er zu den wenigen jüdischen Kunsthändlern, die trotz der Gesetzeslage nach dem Erlass der „Nürnberger Rassegesetze" vom 15. September 1935, auch weiterhin eine Sondergenehmigung zur Durchführung von Auktionen besaßen.405 Von den insgesamt dreizehn Versteigerungen, die Graupe in diesem Jahr veranstaltete, galten sieben den „Arisierungen" von jüdischen Kunsthandlungen, wovon fünf den Margraf-Konzern betrafen, eine das Münchener Buchantiquariat J. Halle und eine das Berliner Möbelantiquitätenhaus Priemer & Flatow. Bereits im Vorfeld interessierte sich die Presse sehr für das Ereignis der Versteigerungen des Margraf-Konzerns, die sie mit den bedeutendsten Berliner Auktionen der vergangenen Jahre verglich.406 So schrieb der ungenannte Berichterstatter im Dezember 1934 in der Weltkunst, dass die Auflösung des größten Berliner Kunsthandelskonzerns Margraf & Co. mit seinen Abteilungen Altkunst, Galerie van Diemen & Co. und Dr. Otto Burchard & Co. zu Beginn des Jahres 1935 bevorstand, die zu einem Zeitpunkt einer deutlich erwachenden Kauflust durchgeführt wurde.407 Nirgends ließ sich ein Hinweis für den Grund der Liquidation finden. Dieser lag selbstverständlich in der jüdischen Herkunft der Inhaber des Konzerns, denn der einstige Gründer, Albert Loeske, hatte nach seinem Tode 1929 sein gesamtes Vermögen Rosa Beer und sämtliche Geschäftsanteile dem jüdischen Ehepaar Oppenheimer vererbt. Statt diesen Umstand zu erwähnen, wurde in der Weltkunst Anzahl der Inserate jedoch auffallend, denn in den Jahren 1939 und 1940 wurden wesentlich mehr Versteigerungen durchgeführt. Da es sich bei diesen vorrangig um Wohnungseinrichtungen handelte, wurden die Anzeigen zumeist im VB abgedruckt und nicht in der Weltkunst. Aus diesem Grund erfolgte eine komplette Durchsicht dieser beiden Jahrgänge. 404 Für das Folgende vgl. Anonym, Rückblick auf das Jahr 1935, in: Reitkunst, 10. Jg., 5.1.1936, Nr. 1,
S.lf.
405 Reichsbürgergesetz vom 15.9.1935. Vgl. RGBl., 1935,1, S. 1146f. 406 Anonym, Margraf-van Diemen-Auktion, in: Weltkunst, 8. Jg., 2.12.1934, Nr. 48, S.lf. 407 Ebd.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
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die führende Stellung von Margraf & Co. im deutschen Kunsthandel hervorgehoben, die der Konzern aufgrund der Führung bekannter Wissenschaftler und eines Stabes erfahrener Fachleute bisher eingenommen hatte. Die erste der Margraf-Versteigerungen, welche die Gemäldegalerie van Diemen und die Kunsthandlung Altkunst betraf, brachte dank sorgfältiger Vorbereitungen und der außergewöhnlich hohen Qualität der Werke einen sehr großen Erfolg.408 Werner R. Deusch, Hauptschriftleiter und Berichterstatter der Weltkunst, schrieb enthusiastisch über die Auktion, deren Ergebnis den Rang Berlins als Kunstauktionsplatz erneut bestätigte.409 Allerdings gab es im Vorfeld Bedenken, ob ein so umfangreiches und wertvolles plötzliches Angebot, das den Verhältnissen der Blütejahre vor der Wirtschaftskrise entsprach, sich negativ auf die Preise auswirken würde, denn der Kunsthandel war längst nicht mehr so stark wie noch Ende der 1920er Jahre. Zudem wurde befürchtet, dass die Sammler mit dem riesigen Angebot überfordert und sich auf lange Zeit mit Kunstwerken eindecken würden, womit sie für den freien Kunsthandel verloren wären. Es ging also erneut um das Problem „Kunsthandel versus Kunstauktion", das bereits 1934 durch das Versteigerergesetz gelöst worden war, nun aber wieder thematisiert wurde. Wie die Ergebnisse der van Diemen-Galerie beweisen, waren die Befürchtungen jedoch unbegründet. Durch eine gleichmäßig starke Konkurrenz auf der Auktion wurden die Preise auf einer Höhe gehalten, die der durchschnittlichen Preislage im freien Handel nicht nur entsprach, sondern sie vielfach weit überholte. Damit schuf sie, wie es bei den Auktionen von 1928 und 1929 der Fall war, teilweise neue Wertmaßstäbe. Die Versteigerung, die sehr gut besucht wurde, brachte ausgezeichnete Preise für die hervorragenden Gemälde alter Meister der deutschen, italienischen, französischen, früh- und spätniederländischen Schulen, so die Weltkunst.*10 Die meisten Summen bewegten sich zwischen 2.000 und 6.000 RM, was als hoch bis sehr hoch zu bewerten ist. Von den insgesamt 67 Gemälden wechselten sieben sogar für Preise zwischen 10.000 und 22.000 RM die Eigentümer. Solche außergewöhnlich hohen Summen erreichten beispielsweise das Werk „Allegorie auf die Geschichte der Päpste" von Rubens (21.500 RM), eine „Kreuzigung" eines Österreichischen Meisters um 1490 (21.200 RM) sowie ein „Studienkopf" von Rembrandt (22.400 RM). Für die Ausfuhr der Kreuzigungsszene war die Genehmigung des Reichsinnenministers notwendig, wie im Übrigen für eine Reihe von weiteren Objekten. Wenige Wochen darauf versteigerte Graupe auf zwei Auktionen die Bestände der Kunsthandlung Otto Burchard & Co., die ebenfalls zum Margraf-Konzern gehörte.411 Die vielfältigen Ostasiatika überboten dabei alles, was bisher an chinesischer Kunst auf dem Berliner Markt angeboten worden war. Dementsprechend waren der Besucherandrang groß 408 Auk.kat. Die Bestände der Berliner Firmen Galerie van Diemen & Co., GmbH, Altkunst/Antiquitäten, GmbH, Dr. Otto Burchard & Co., GmbH, sämtlich in Liquidation, 1. Teil, durch Graupe, am 25./26.1.1935. 409 Deusch, 1935, van Diemen, S. 1. 410 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 9. Jg., 27.1.1935, Nr. 4, S. 4. 411 Auk.kat. Die Bestände der liquidierten Firma Dr. Otto Burchard & Co., Berlin, in Liquidation: l.Teil. Chinesische Kunstwerke, durch Graupe, am 22./23.3.1935 und Auk.kat. Die Bestände der Firma Dr. Otto Burchard & Co., Berlin, in Liquidation: Chinesische Kunst, 2. Teil, durch Graupe, am 29.4.1935. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 9. Jg., 10.3.1935, Nr. 10, S. 2.
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II. Der Kunsthandel in Berlin -1935
und die Ergebnisse gut. 412 Ende April 1935 verkaufte dann Graupe den zweiten Teil der Firmen van Diemen und Altkunst mit einem sehr reichen Angebot von etwa einhundert Gemälden alter Meister. 413 Unter diesen befanden sich solche von Lucas Cranach d.Ä. und dem Meister der Magdalenenlegende, sowie von zahlreichen niederländischen Künstlern des 17. Jahrhunderts, des Weiteren altes Kunstgewerbe und Ostasiatika der Galerie Altkunst. Das hervorragende Gesamtergebnis entsprach etwa dem der Versteigerung des ersten Teils der van Diemen-Auktion. 414 Zwar lagen hier die meisten Preise mit 2.000 bis 4.000 R M unter denjenigen der vorangegangenen Versteigerung, jedoch wurde für das Gemälde „Prinzessin Spinola" von Rubens mit 63.000 R M eine außergewöhnlich hohe Summe bezahlt, wie sie für das Jahr 1935 auf dem Berliner Kunstmarkt einmalig blieb. Weitere vorzügliche Preise erzielten das Rubens-Werk „Die Marquise Imperiali mit Enkelin" (25.500 RM) und das „Bildnis eines alten Mannes" (16.000 RM) von Rembrandt. Uberraschend bei diesen außergewöhnlich hohen Resultaten ist, dass die Schätzpreise nicht in jedem Fall erreicht wurden. 415 Während beispielsweise die Taxen für beide Rubens-Gemälde bei je 40.000 R M lagen, übertraf die Kaufsumme der „Prinzessin Spinola" den Schätzpreis um mehr als die Hälfte; die „Marquise Imperiali" ging dagegen für einen weitaus geringeren Preis an den Käufer. Dennoch bilden die gezahlten 25.500 R M den zweithöchsten Preis in dieser Auktion. Auch Rembrandts „Alter Mann" lag trotz des sehr hohen Ergebnisses weit unter dem Schätzpreis. Im Fall der Rubens-Gemälde sind die großen Differenzen zwischen Schätzund Kaufpreis möglicherweise damit zu erklären, dass im Auktionskatalog für das Gemälde der „Prinzessin" mit einem Gutachten von Wilhelm von Bode aus dem Jahre 1928 geworben wurde, indem er das Bildnis als „ein sehr bedeutendes Werk des P. P. Rubens von vortrefflicher Erhaltung" beschrieb. 416 Ein weiterer ungewöhnlicher Umstand bei den beiden Auktionen war, dass die Kunstwerke ohne Limit angeboten wurden. Der Grund für diese Maßnahme ist darin zu sehen, dass das nationalsozialistische Regime unter allen Umständen die Kunsthandlungen des jüdischen Margraf-Konzerns kurzfristig, auch zu geringen Preisen, liquidieren wollte. Aber auch ohne Limits waren die Käufer bereit, hohe bis erstklassige Summen zu bezahlen. Endgültig liquidiert war der Margraf-Konzern aber erst im Jahre 1937. 417 Im Frühjahr 1935 bot das Auktionshaus Graupe eine „bekannte schlesische Samm412 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 9.Jg., 24.3.1935, Nr. 12, S.3, ebd., 31.3. 1935, Nr. 13, S. 2 und ebd., 7.4.1935, Nr. 14, S. 4. 413 Auk.kat. Die Bestände der Berliner Firmen Galerie van Diemen & Co., GmbH, Altkunst/Antiquitäten, GmbH, beide in Liquidation, 2. und letzter Teil, durch Graupe, am 26./27.4.1935. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorberichte, in: Weltkunst, 9. Jg., 21.4.1935, Nr. 16, S. 4f. 414 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 9. Jg., 26.4.1935, Nr. 17, S. 3. 415 Dies betrifft im Übrigen eine Reihe von weiteren Gemälden, die in der Regel jedoch weitaus geringere Schätzpreise aufweisen mit Ausnahme der beiden Gemälde von Tizian, die auf 30.000 RM taxiert wurden und die 6.100 und 10.500 RM erzielten. Die Schätzpreisliste befindet sich im Auktionskatalog des Leo Baeck Institutes in Berlin. 416 Gutachten von Bode vom 4.2.1928 zur Kat.Nr. 80. Vgl. Auk.kat. Die Bestände der Berliner Firmen Galerie van Diemen & Co. [...], durch Graupe, am 26./27.4.1935. 417 Die Restbestände der Kunsthandlungen van Diemen, Burchard und Altkunst wurden 1937 vom Berliner Auktionshaus Achenbach versteigert. Vgl. Auk.kat. Restbestände der Galerie von Diemen und Otto Burchard: Gemälde, Zeichnung, Bronze, Porzellan und Ton, durch Achenbach,
2. Kunstmarkt
und Kunsthandel
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lung" mit modernen Gemälden deutscher und französischer Künstler des 19. Jahrhunderts an.418 Die gezahlten Summen für die neueren Kunstwerke waren zum Teil außergewöhnlich hoch und lagen zwischen 10.000 („Bildnis eines bayerischen Mädchens" von Leibi) und 17.200 RM („La Poesie" von Jean-Baptiste Camille Corot).419 Dank der jüngeren Provenienzforschung konnte die schlesische Sammlung inzwischen als die von Max Silberberg aus Breslau identifiziert werden, die zum Großteil aus Werken französischer Impressionisten bestand.420 Ende des Jahres veräußerte Graupe einen weiteren Bestand der Sammlung Silberberg - dieses Mal handelte es sich um Plastiken - zusammen mit Gemälden aus anderem Besitz.421 Die angebotenen Skulpturen von Barlach, Gaul, Kolbe und anderen modernen Bildhauern waren alle sehr hoch geschätzt.422 Plastiken dieser Künstler waren ebenfalls im Kunstbesitz von Graetz vertreten. Ankäufe aus der Silberberg-Sammlung durch Graetz konnten jedoch nicht nachgewiesen werden. Die Versteigerung der Skulpturen erfolgte durch Graupe zusammen mit der Bibliothek in fünf Auktionen. Mit dem Erlös sollte der Lebensunterhalt der Familie Silberberg finanziert werden. Neben diesen Aufsehen erregenden Auktionen hatte der Berliner Kunstmarkt nur wenige weiter erwähnenswerte Versteigerungen im Laufe des Jahres 1935 durchgeführt. Dazu zählte beispielsweise die Auktion Ende März bei Lepke, die vorzügliche Gemälde alter und neuer Meister aus verschiedenen Privatsammlungen beinhaltete.423 Die der alten Meister erzielten zumeist hohe Preise zwischen 1.000 und 4.000 RM; für das Werk „Die heilige Katharina" des Spaniers Bartholome Esteban Murillo zahlte ein Interessent die exzellente Summe von 15.500 RM.424 Bei den neueren Künstlern wie Andreas Achenbach, Wilhelm Trübner und Max Slevogt lagen die Summen zumeist unter 1.000 RM, womit sie als normal gelten können. Für ein „Bismarck-Bildnis" von Franz von Lenbach wurden sogar 15.500 RM gezahlt - für einen neueren Meister eine außerordentlich hohe Summe. Aus der Anzeige des Auktionshauses in der Weltkunst geht nicht eindeutig hervor, ob es sich um eine jüdische oder nichtjüdische Sammlung handelte. Dort ist zu lesen, dass die Auktion „freiwillig gebr.[aucht]
418
419 420 421 422 423
424
vom 20.9.-2.10.1937 und am 13.10.1937 sowie Auk.kat. Uniimitierte Versteigerung der Restbestände Altkunst GmbH in Liquidation, durch Achenbach, am 20.-22.9.1937. Gelöscht wurde der Konzern im Handelsregister jedoch erst am 16.4.1942. Vgl. Handelsregister, A G Charlottenburg, 64 HRB 2384 Nz, Akte Margraf-Konzern. Auk.kat. Gemälde und Zeichnungen des 19.Jahrhunderts aus einer bekannten schlesischen Privatsammlung und Gemälde des 19.Jahrhunderts aus verschiedenem Privatbesitz, durch Graupe, am 23.3.1935. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 9. Jg., 17.3.1935, Nr. 11, S. 3. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 9. Jg., 14.4.1935, Nr. 15, S. 3. Zum Sammler vgl. Heuß, 2001 und dies., 1998, Vernichtung, S. 97-103. Auk.kat. Gemälde, Plastiken, Antiquitäten aus verschiedenem Privatbesitz, durch Graupe, am 21.12.1935. Die Schätzpreise können der Sammelliste zur Auktion entnommen werden. Vgl. LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 16. Auk.kat. Gemälde alter und neuer Meister, Nachlass Braunschweig; Nachlass H. und anderer Privatbesitz im Auftrag einer Treuhandgesellschaft und einer Großbank, Gemälde aus anderem Privatbesitz, durch Lepke, am 28.3.1935, Kat. 2088. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 9. Jg., 24.3.1935, Nr. 12, S. 2. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 9. Jg., 28.3.1935, Nr. 15, S. 3.
II. Der Kunsthandel in Berlin -1935
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wegen Umstellung" durchgeführt wurde.425 Der Hinweis auf eine bevorstehende Umstellung deutet jedoch darauf hin, dass der oder die Einlieferer ihre Emigration vorbereiteten. Bei den übrigen von Lepke veranstalteten Versteigerungen hatte sich die Leitung des einstigen Kunstspezialversteigerers dem Markt angepasst und führte in zunehmendem Umfang Versteigerungen von Wohnungseinrichtungen durch. Mehr als die Hälfte seiner zwölf Auktionen im laufenden Geschäftsjahr galt inzwischen diesem Segment. Bereits im ersten Katalog des Jahres hatte die Firma die Forderungen des seit Ende des vorangegangenen Jahres geltenden Versteigerergesetzes umgesetzt, wonach die Einlieferer durch Abkürzungen beziehungsweise codierte Angaben in einem „Verzeichnis der Besitzer" genannt werden mussten.426 Unterdessen verlagerte das Internationale Kunst- und Auktionshaus sein Hauptgewicht zunehmend von kompletten exklusiven Wohnungseinrichtungen auf Auktionen mit Gemälden. Auch 1935 gehörte es zu den Firmen mit den meisten durchgeführten Versteigerungen. Den angegebenen Erlösen in der Weltkunst nach zu urteilen, bot es vorwiegend durchschnittliche Qualitäten an. Zumeist lagen deren Erlöse um die 500 RM, was als normal für Werke etwa von Marten van Heemskerk (570 RM) galt.427 Aber auch höhere Summen wurden erzielt wie für Grützners „Drei Mönche beim Frühstück" (5.350 RM) im Mai, als das Internationale Kunst- und Auktionshaus letztmalig unter diesem Namen agierte.428 Seit Juli 1935 firmierte es unter dem neuen Namen Dr. Mandelbaum und P.P. Kronthal am selben Ort. Ernst Mandelbaum und Peter Paul Kronthal waren die ehemaligen Geschäftsführer des von ihnen „arisierten" Auktionshauses. In der Weltkunst stand zu diesem Vorgang, dass die früheren Geschäftsführer „gemäss den gesetzlichen Bestimmungen" jetzt unter ihrem Namen die erste Auktion am 3. Juli 1935 abgehalten hatten, die ein guter Erfolg war.429 Die Strategie, zunehmend Gemäldeauktionen durchzuführen, wurde von den Geschäftsführern weiter intensiviert. Von den folgenden mindestens fünfzehn Versteigerungen des Jahres galten nur noch zwei der Auflösung von Wohnungseinrichtungen, eine dem Verkauf der Bestände der Firma „Haus für antike Raumkunst", die restlichen waren Gemäldeauktionen. Während das Auktionshaus Mandelbaum und Kronthal sich überwiegend diesem Segment zuwandte, gab es viele Firmen, die sich fast ausschließlich auf Ver425 Anzeige von Lepke in: Weltkunst, 9. Jg., 17.3.1935, Nr. 11, S. 5. Dem Auktionskatalog kann keine nähere Kennzeichnung der Einlieferer entnommen werden. Auch im Landesarchiv Berlin befinden sich zu diesem Vorgang keine Unterlagen. 426 Verzeichnis der Besitzer, unpag., in: Auk.kat. Antiquitäten aus zwei Berliner Sammlungen: Möbel, Plastiken, Kleinkunst, Skulpturen, Wappenscheiben, Gemälde, Rüstungen, durch Lepke, am 30./31.1.1935, Kat. 2085. Grundlage bildete das Gesetz über das Versteigererwesen vom 1 6 . 0 k tober 1934. Vgl. RGBl., 1934,1, S. 974. 427 Auk.kat. Antiquitäten und Möbel, durch das Internationale Kunst- und Auktionshaus, am 5.2. 1935. Ergebnisse vgl. Anonym, Auktionsnachberichte, in: Weltkunst, 9. Jg., 10.2.1935, Nr. 6, S. 2f. 428 Auk.kat. Gemälde, Möbel, Plastik, Keramik [...], durch das Internationale Kunst- und Auktionshaus, am 16.5.1935. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 9. Jg., 9.6.1935, Nr. 23, S. 3. 429 Auk.kat. Gemälde alter und neuerer Meister, antikes und modernes Mobiliar [...], durch Mandelbaum und Kronthal, am 3.7.1935. Erwähnt unter Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 9. Jg., 28.7.1935, Nr. 29/30, S. 5.
2. Kumtmarkt und Kunsthandel
-1935
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Steigerungen von luxuriösen Wohnungseinrichtungen spezialisierten. Dazu gehörten exemplarisch die Auktionshäuser Walther Achenbach, seit 1935 in der Hardenbergstraße 29a-e, Alfred Berkhan in der Spichernstr. 3, das Auktionshaus Union Leo Spik in der Tiergartenstraße 6, Gerhard Harms, seit 1935 in der Berliner Straße 15 und Rudolf Harms in der Schützenstraße 6 a. Das Auktionshaus Gerhard Harms ist von besonderem Interesse, da dort im Jahr 1941 die Villeneinrichtung von Robert Graetz veräußert wurde. Die genannten Firmen führten alle in großem Umfang Auktionen von Villen- und Luxuswohnungseinrichtungen durch. Allein Achenbach versteigerte 1935 etwa 45 komplette Haushalte, die teilweise auch Kunstgegenstände enthielten;430 das Auktionshaus Union mindestens 19.431 Nur in Einzelfällen waren auch Gemälde darunter. Erwähnenswert ist die Sammlung mit Gemälden französischer und deutscher Impressionisten, die Ende Mai beim Auktionshaus Union versteigert wurde.432 In dem wertvollen Bestand befanden sich unter anderem Werke von Wilhelm Leibi, Gustav Courbet, Claude Monet, Alfred Sisley und Camille Pissarro, die für hohe bis sehr hohe Summen zwischen 2.000 und 6.400 RM verkauft wurden; so Leibis „Bildnis Prof. Klein" für 2.350 RM und Monets „Sonniger Parkweg im Bois de Boulogne" für 6.400 RM. 433 Das laufende Jahr 1935 hatte die Liquidation vieler Kunsthandlungen und Auktionshäuser mit sich gebracht. Neben den spektakulären Versteigerungen des Margraf-Konzerns wurden mehrere kleinere Firmen verkauft, unter denen sich traditionsreiche befanden wie die seit 111 Jahren bestehende Firma I.C. Pfaff A.G. am Kurfürstendamm, die Ende August vom Versteigerer Berkhan liquidiert wurde.434 Daneben gab es aber auch vereinzelt Neueröffnungen wie das Antiquitätengeschäft Hans Hartig, das im September am Schöneberger Ufer 39 eröffnete.435 Bei der Durchsicht der Auktionskalender in der Weltkunst bestätigte sich die Vermutung, dass die alteingesessenen Auktionshäuser wie Lepke ihre führende Stellung innerhalb der Berliner Versteigerungsfirmen eingebüßt hatten. Sie führten zwar immer noch hin und wieder interessante Auktionen durch; die neueren Auktionsfirmen wie Achenbach, Harms, Union, das Internationale Kunst- und Auktionshaus beziehungsweise ab Juli 1935 Mandelbaum und Kronthal waren jedoch wegen der zahlenmäßig hohen veranstalteten Auktionen wesentlich präsenter im Berliner Kunsthandel als dies bisher das 430 Die Zahl ist hochgerechnet, denn im Landesarchiv Berlin sind nur die Versteigerungsniederschriften von August bis Dezember 1935 überliefert. Vgl. für Achenbach L A B A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 7. 431 Die Zahl ergibt sich aus den Protokollen im Landesarchiv Berlin und den Anzeigen in der Reitkunst von 1935. Vgl. ebd., Nr. 36 und 65. 432 Auk.kat. Freiwillige Auflösung Besitz K. Gemälde (französische und deutsche Impressionisten), Antiquitäten, Teppiche, durch Union, am 31.5.1935. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Reitkunst, 9. Jg., 26.5.1935, Nr. 21, S. 2. Die Aktenlage lässt es nicht mehr zu, die Umstände nachzuvollziehen, die zur Versteigerung führten. Die im Landesarchiv Berlin vorhandenen Unterlagen zum Auktionshaus Union beginnen erst ab 20.9.1935. Vgl. Email von Dr. Heike Schroll, Landesarchiv Berlin, an Görnandt, 19.1.2004, in: PA AE. 433 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Reitkunst, 9 J g . , 23.6.1935, Nr. 25, S. 3. 434 Auk.kat. Versteigerung der gesamten Lager- und Ausstellungsräume der Firma I.C. Pfaff A.G., Berlin, durch Berkhan, vom 28.-30.8.1935. 435 Anzeige des Geschäfts in: Reitkunst, 9.Jg., 8.9.1935, Nr. 35/36, S. 1.
II. Der Kunsthandel in Berlin -193ί
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renommierte Haus Lepke gewesen war. Einschränkend muss jedoch erwähnt werden, dass bei all der Fülle der Versteigerungen nur selten hochwertige Gemälde auf den Markt kamen. Dies lag vor allem daran, dass die in diesen Jahren angebotenen Kollektionen häufig während der Nachkriegs- und Inflationszeit entstanden waren, deren Sammler zumeist ohne fachliche Hilfe - wie noch zu Zeiten von Wilhelm von Bodes üblich - die Werke als Wertanlage erworben hatten. Wegen der Unkenntnis befanden sich daher oft nur durchschnittliche Kunstgegenstände in den Sammlungen, die nun veräußert werden mussten. Deusch prangerte gerade diesen Missstand an, denn durch das „leidenschaftslose Sammeln" von Kunstwerken, die nur als Kapitalanlage erworben worden seien, sei das Werk „als rein materielles Objekt auf das Niveau der den Marktschwankungen unterworfenen Aktie herabgedrückt" worden. 436 Die damals ungerechtfertigt hohen gezahlten Preise hatten sich jedoch bei ihrem erneuten Verkauf in den 1930er Jahren auf ein normales Preisniveau eingependelt. Nicht mehr übertriebene, sondern stabile Preise kennzeichneten den Kunsthandel, weswegen die Aussichten auf einen geregelten Kunsthandel und somit auf bessere Einkaufsmöglichkeiten für die Sammler vorhanden waren. 437
Verschärfende Maßnahmen gegenüber jüdischen
Kunsthändlern
1935 wurde der Kunst- und Antiquitätenhandel weiteren einschneidenden Maßnahmen unterzogen, um die jüdischen Händler gänzlich auszugrenzen. Die bisherigen Möglichkeiten, als jüdischer Versteigerer ohne zwingende Mitgliedschaft in der RdbK im Kunsthandel tätig zu sein, wurden weiter eingeschränkt. Zu diesen Maßnahmen zählte das endgültige Inkrafttreten der Versteigerervorschriften vom 30. Oktober 1934, die ab dem l . J u n i 1935 in Kraft traten. 438 Damit wurden nach Ablauf der Ubergangsfrist des Paragraphen 14 vom 16. Oktober 1934 auch die Bestimmungen über die Zulassung als Versteigerer wirksam. 439 In der Praxis bedeutete dies, dass ab diesem Zeitpunkt nur noch konzessionierte Versteigerer das Gewerbe ausüben durften. Unter diese Vorschriften fielen ebenfalls Kommissionäre, die als gewerbsmäßige Bieter für Käufer auf Versteigerungen auftraten. Solche Kommissionäre waren nicht von den Versteigerern angestellt, sondern arbeiteten auf eigene Rechnung mit ihnen zusammen. Aufgrund der erwähnten Gesetzesvorschrift mussten Kommissionäre ebenfalls durch die RdbK als Mitglieder bestätigt werden. War dies nicht der Fall, wurde ihnen die weitere Tätigkeit im Versteigererwesen untersagt. Ein weiteres Mittel der Kontrolle im Zuge der Neuordnung des Berufsstandes waren die Auflösungen des Bundes Deutscher Kunst- und Antiquitätenhändler und des Bundes Deutscher Kunstverleger und Kunstblatthändler am 30. Juli 1935, die erst im Jahr zuvor
436 Deusch, 1935, Kunstsammeln, S. l f . 437 Anonym, Die Lage des europäischen Kunsthandels, in: Weltkunst,
9. Jg., 8.12.1935, Nr. 49,
S.lf. 438 Erläuterungen zu den Vorschriften vgl. Oesterle, 1935, S. 1. Ausführlich dazu Günther, 1935. 439 Paragraph 14 wurde mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Versteigerergewerbe vom 27.2.1935 noch einmal verlängert. Demnach durften Kunsthändler auch ohne Erlaubnis bis zum 31.5.1935 Auktionen durchführen. Vgl. RGBl., 1935,1, S. 73.
2. Kunstmarkt
und Kunsthandel
-1935
93
zusammen mit 14 weiteren Verbänden gemäß der Ersten Verordnung des Reichskulturkammergesetzes in die RdbK eingegliedert worden waren.440 Die bisherigen Mitglieder der Fachverbände wurden erst nach einer erneuten Einzelüberprüfung in die RdbK überführt, was einer weiteren Selektion entsprach. Abweichend von dieser Verordnung sah das Gesetz auch Sonderbestimmungen vor, die im Einzelfall darüber entschieden, ob ein Kunsthändler auch ohne Mitgliedschaft seinen Beruf weiterhin ausüben konnte. Aus dem Tätigkeitsbericht der RdbK vom November 1935 ist überliefert, dass nach der Umgestaltung im Bereich Kunst- und Antiquitätenhändler 1575 Mitglieder und bei den Kunstverlegern und Kunstblatthändlern 496 Mitglieder verzeichnet waren.441 Nicht bekannt ist jedoch, wie viele Personen vor der Umstrukturierung im Kunsthandel tätig waren. Über die Zustände vor der Errichtung der Reichskulturkammer und der RdbK heißt es dort nur allgemein, dass 70 Prozent der Kunsthändler und Kunstblattverleger jüdischer Herkunft seien 442 Diese Angabe erscheint im Vergleich zu den Zahlen mit denen von aus der RdbK von 1933 bis 1938 ausgeschlossenen Juden allerdings zu hoch.443 Die Tätigkeit jüdischer Kunsthändler wurde aber auch durch weitere Mittel eingeschränkt. So gab im Juli 1935 die Weltkunst bekannt, dass alle Kunst- und Antiquitätenhändler bei der Erteilung von Inseratenaufträgen ihre Mitgliedsnummer angeben mussten.444 Dies geschah auf der Grundlage des Paragraphen 4 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes vom 1. November 1933.445 Diejenigen, die keine Mitgliedschaft vorweisen konnten, waren somit daran gehindert, ihre bevorstehenden Versteigerungen öffentlich bekannt zu geben. Dieses Verbot schränkte jüdische Versteigerer empfindlich in ihrer Geschäftstätigkeit ein, da sie für ihre Auktionen nicht werben konnten, wodurch sie weniger Kunden erreichten und damit nicht mehr konkurrenzfähig waren. Graupe ebenso wie das Auktionshaus Lepke, um nur zwei wichtige Häuser mit jüdischen Inhabern zu nennen, waren von solchen Einschränkungen noch befreit, denn sie konnten weiterhin Anzeigen in den betreffenden Zeitschriften schalten. So inserierte Graupe 1936, 440 Amtliche Bekanntmachung der Reichskammer der bildenden Künste betr. Auflösung des Bundes Deutscher Kunst- und Antiquitätenhändler e.V., München, und des Bundes Deutscher Kunstverleger und Kunstblatthändler e.V., Berlin, in: Weltkunst, 9. Jg., 11.8.1935, Nr. 31/32, S. 4. Nach dem Erlass der Ersten Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes vom 1. November 1933 waren die 16 Fachverbände 1934 in die RdbK aufgenommen worden. Vgl. RGBl., 1933,1, S. 797, § 15. Einzeln aufgeführt werden die 16 Fachverbände bei Anonym, Fachverbände in der Reichskammer der bildenden Künste, in: Weltkunst, 8. Jg., 3.6.1934, Nr. 22, S. 6. 441 Tätigkeitsbericht der Reichskammer der bildenden Künste vom 7.11.1935, in: BArch, R 561/87, Bl. 29-39 (Reichskulturkammer). 442 Ebd., Bl. 33. 443 Gemeint ist die sog. Judenliste 8, in: BArch, 0.930 (BDC), die zum Stand vom 8.6.1938 namentlich die Ausschlüsse aus der RdbK nennt. Vgl. dazu auch die Ausführungen für das Jahr 1938 in diesem Abschnitt. 444 Inserat in: Weltkunst, 9. Jg., 28.7.1935, Nr. 29/30, S. 5. 445 Erste Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes vom 1.11.1933. Vgl. RGBl., 1933, 1, S. 797. § 4 sah die zwingende Mitgliedschaft in einer der Kammern der Reichskulturkammer vor, um Werbung betreiben zu dürfen.
94
II. Der Kunsthandel
in Berlin
-1936
ein Jahr vor der „Arisierung" seines eigenen Auktionshauses, noch eine halbseitige Anzeige in der Weltkunst, um auf die Versteigerung der Bestände der Firma A.S Drey aufmerksam zu machen.446 Die erwähnten Maßnahmen wurden jedoch von den „Nürnberger Rassegesetzen" mit ihren Auswirkungen auf private wie berufliche Bereiche jüdischer Bürger noch erheblich überboten.447 Die am 15. September 1935 verabschiedeten Gesetze sowie folgende Verordnungen beinhalteten unter anderem die Definitionen zur Bestimmung von „Juden" und „Jüdischen Mischlingen".448 Die Anwendung dieses „Arierparagraphen" zog weitere Berufsverbote nach sich. Konsequenterweise führte die Durchführung der Gesetze zur Isolierung der jüdischen Bevölkerung. Als Beispiel für die Auswirkungen auf den Berliner Kunstmarkt soll das Auktionshaus Lepke genannt werden. Wegen der Bestimmungen im Rahmen der „Nürnberger Rassegesetze" waren die beiden jüdischen Teilhaber des Auktionshauses, die Brüder Adolf und Gustav Wolffenberg, gezwungen, ihre Geschäftsanteile an den dritten nichtjüdischen - Teilhaber, Hans Carl Krüger, abzutreten. Mit Wirkung zum 31. Dezember 1935 wurde die offene Handelsgesellschaft aufgelöst.449 Ohne Liquidation und ohne Übernahme der Verbindlichkeiten führte Krüger das Geschäft ab 1. Januar 1936 unter dem bisherigen Firmennamen fort. Zu den „arisierten" Auktionshäusern des Jahres 1935 zählte auch das Internationale Kunst- und Auktionshaus. In den kommenden Jahren folgten weitere Schließungen von jüdischen Kunsthandlungen. Diese gesetzlich durchgeführten Maßnahmen führten zu großen Veränderungen im Kunsthandel, der ein wichtiger Devisenfaktor für die deutsche Wirtschaft war. Denn einerseits wurde eine Reihe von Auktionshäusern liquidiert, die somit nicht mehr am Kunsthandel teilnehmen konnten, und andererseits wurden zahlreiche Sammlungen aufgelöst, deren Werke nun gehäuft auf den Markt kamen. Allein 1935 emigrierten 6.000 Berliner Juden, weil ihnen aufgrund der Nürnberger Rassegesetze wichtige Staatsbürgerrechte entzogen worden waren.450 Für den Auktionsmarkt in Deutschland lässt sich im Jahr 1936 eine weitere positive Tendenz verzeichnen, die auf die allgemeine wirtschaftliche Konsolidierung zurückgeht. So kamen landesweit zunehmend geschlossene Sammlungen zur Versteigerung, die in den Jahren zuvor zurückgehalten worden waren.451 Wie schon im Vorjahr fanden hochwertige Kunstwerke schnell Absatz, denn auch 1936 übertraf die Nachfrage in wesentlichem Maße das Angebot. Es verwundert folglich nicht, dass Spitzenstücke sehr hohe Summen erzielten. Dies war der Fall bei der Versteigerung der Berliner Sammlung der verstorbenen Margarete
446 Anzeige in: Weltkunst, 10. Jg., 31.5.1936, Nr. 21/22, S. 7. 447 Reichsbürgergesetz vom 15.9.1935. Vgl. RGBl., 1935, I, S.1146f. Zu den Auswirkungen der „Nürnberger Gesetze" vgl. u. a. Adam, 1972 und Walk, 1996. Insbesondere durch die chronologische Aufstellung der Gesetze bei Walk ist ein guter Überblick über die zahlreichen gesetzlichen Verordnungen gegen Juden während der NS-Zeit zu erhalten. 448 Wer als Jude anzusehen war, ergab sich aus Paragraph 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935. Vgl. RGBL, 1935,1, S. 1333, § 5. Unterschieden wurde zwischen Juden und jüdischen Mischlingen. Vgl. ebd., § 5 und § 2 Abs. 2. 449 Handelsregister, A G Charlottenburg, 63 HRA 86803, Akte Lepke. 450 Gruner, 1996, S. 95. 451 Anonym, Rückblick auf das Jahr 1936, in: Weltkunst, 11. Jg., 3.1.1937, Nr. 1, S. 1 f.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
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Oppenheim, die allerdings in München durchgeführt wurde.452 Dort wurden für französische impressionistische Gemälde, wie für das „Haus hinter Bäumen" von Cezanne, Spitzenpreise von bis zu 50.500 RM erzielt. Mitte Juni erfolgte der Räumungsverkauf der altbekannten Münchener Kunsthandlung A. S. Drey bei Graupe, der sich inzwischen auf „Arisierungen" von jüdischen Auktionshäusern konzentriert hatte.453 Paul Graupe, der wegen seiner hervorragenden internationalen Kontakte eine Sondergenehmigung zum Ausüben seines Berufes besaß, führte die Versteigerung in Berlin durch, weil er sich dort offenbar einen höheren Gewinn erhoffte.454 Entsprechend der Bedeutung der Firma A.S. Drey war die Qualität der angebotenen Gemälde, Möbel und Kleinkunst von erheblichem Niveau, so dass hohe und bisweilen eminent hohe Summen gezahlt wurden. Die Preise der insgesamt 69 Altmeistergemälde lagen größtenteils zwischen 1.000 und 3.000 RM, sechs erzielten Summen ab 5.000 RM und weitere sechs wurden sogar für über 10.000 RM verkauft. Wegen der erstklassigen Qualität und der Befürchtung, diese Werke an ausländische Sammler zu verlieren, lag dem Katalog eine Liste mit Werken bei, für die eine Ausfuhrerlaubnis des Reichsinnenministers eingeholt werden musste. Dies galt beispielsweise für Luca Signorellis „Madonna mit Kind", die für 11.400 RM verkauft wurde, und für Veroneses „Venezianischen Edelmann", der jedoch keinen Käufer fand.455 Das Gemälde „Cephalus und Procis" desselben Künstlers wurde dagegen für 23.800 RM veräußert, der höchsten Summe dieser Versteigerung.456 Einen hervorragenden Preis erzielte auch das Bild „Die Bleiche" von Jacob van Ruisdael (20.500 RM); nur in Ausnahmefällen zahlten Kunstliebhaber für derartige Gemälde so exzellente Summen, wie 1934 für Ostades „Dorflustbarkeit" (16.500 RM) aus der Mosse-Sammlung.457 In der Regel kosteten hochrangige Arbeiten dieser Künstler um die 5.000 RM. Als ein knappes Jahr später die Weltkunst in einem Artikel berichtete, dass die Umstellung der „weltbekannte[n], auf bald 100 Jahre des Bestehens zurückblickende Kunsthandlung A. S. Drey" abgeschlossen war und es deren neuer Leitung bereits gelungen war, das hohe Niveau der Firma zu halten, wurden die Umstände ihrer
452 Auk.kat. Kunstgegenstände und Bilder der Sammlung Frau Margarete Oppenheim, durch Böhler, vom 18.-20.5.1936. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 10.Jg., 14.6.1936, Nr. 23/24, S. 6. Zur Person Margarethe Oppenheims, die einer jüdischen Familie entstammte, vgl. Tisa Francini, Heuß und Kreis 2001, S. 130-134. 453 Auk.kat. Aus dem Besitz der Firma A. S. Drey, München (Räumungsverkauf), durch Graupe, am 17./18.6.1936. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 10. Jg., 14.6.1936, Nr. 23/ 24, S. 3. 454 Graupe war, obwohl jüdischer Herkunft, Mitglied in der RdbK. Dies geht aus einem Schreiben der Landesleitung Düsseldorf an die RdbK Berlin vom 12.5.1936 hervor. Darin wird begründet, dass jüdische Kunsthändler bis auf weiteres in die Reichskulturkammer einzugliedern sind, „sofern sie in außenpolitischem und devisenrechtlichem Interesse eine besondere Behandlung notwendig machen. Die letzten Gründe waren für die Eingliederung des jüdischen Kunsthändlers Paul Graupe [..·] massgebend." Vgl. BArch, (ehemals BDC), Rkk 2400, Box 0101, File 18. 455 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 10. Jg., 28.6.1936, Nr. 25/26, S. 4. 456 Der Taxwert lag nur bei 6.000 RM. Vgl. Anonym, Rückblick auf das Jahr 1936, in: Weltkunst, 11. Jg., 3.1.1937, Nr. l . S . l f . 457 Anonym, Eine Viertelmillion für die Sammlung Mosse, in: Weltkunst, 8. Jg., 3.6.1934, Nr. 22, S.l.
II. Der Kunsthandel in Berlin -1936
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Auflösung völlig außer acht gelassen.458 In Verdrehung der Realität wurde sogar betont, dass „die Erhaltung und großzügige Fortführung dieser Kunsthandlung nicht nur für die Kunststadt München, sondern überhaupt von allergrößter Bedeutung ist". 459 Hier schmückte sich der unberechtigte Nachfolger ganz offensichtlich mit dem Rang des Vorgängers. Graupe führte im Anschluss an die Drey-Versteigerung eine Sammelversteigerung durch, bei der auffallend viele Kleinbronzen von Gaul und Sintenis angeboten wurden. 460 Die Annahme, dass es sich bei dem im Auktionskatalog genannten Einlieferer „G., B." um „Graetz, Berlin" handeln könnte, erwies sich nach Einsicht des Auktionsprotokolls als nicht haltbar.461 Da Robert Graetz eine große Anzahl von Tierskulpturen dieser Künstler in seiner Sammlung vereint hatte, musste dieser Vermutung jedoch nachgegangen werden. Ende Juni 1936 gelangte der Kunstbesitz eines Berliner Sammlers beim Auktionshaus Hugo Helbing in Frankfurt zum Angebot, der unter anderem deutsche, niederländische und italienische Meistergemälde beinhaltete. 462 Auch hier wurden ausgezeichnete Summen erzielt, besonders bemerkenswert waren wiederum die exzellenten Preise für niederländische Werke des 17. Jahrhunderts; zwei Landschaftsdarstellungen von Ruisdael kosteten 11.500 und 15.500 R M und Jan Steens „Dorfschule" 19.000 RM. Die deutschen Altmeister erreichten ebenfalls außerordentlich hohe Summen, so das „Bildnis eines jungen Mädchens" von Mair von Landshut (17.000 RM) und ein „Bildnis des Pfalzgrafens Philipp" von Hans Wertinger (15.500 RM). Das Gemälde „Drei musizierende Frauen" von Veronese erbrachte mit 23.000 R M den höchsten Preis. Auch wenn die Verkaufserlöse nicht alle auf dem Berliner Kunstmarkt erreicht wurden, lassen sie doch erkennen, welche hochwertigen Sammlungen in Berlin vorhanden waren. Gleichzeitig verdeutlichen die Versteigerungen aber auch, dass Berlin seine bisherige Vorrangstellung innerhalb der deutschen Kunstmärkte langsam einbüßte, da Berliner Sammler es vorzogen, einen geeigneteren Standort für ihre Versteigerungen zu wählen. Im Sommer 1936, während der Olympischen Spiele, fanden kaum Auktionen statt. Dennoch war die Olympiade für das Ansehen des Deutschen Reiches im Ausland von großer Bedeutung, da viele ausländische Teilnehmer und Gäste sich in Berlin von der prosperierenden deutschen Wirtschaft überzeugen konnten. 463 Die Herbstsaison begann mit einer dichten Reihe von mittleren und kleineren Ereignissen, die auf ein lebhaftes Interesse stießen. Erwähnt sei die Graupe-Versteigerung vom Oktober 1936. 464 Zum Verkauf kamen Ost458 Anonym, Nachrichten von Überall, in: Weltkunst,
11. Jg., 9.5.1937, Nr. 18/19, S. 8.
459 Ebd. 460 Auk.kat. Verschiedener Kunstbesitz, Gemälde, Kunstgewerbe, Teppiche, durch Graupe, am 18.6. 1936. 461 Besitzernachweis im Auktionskatalog von Graupe. Das Versteigerungsprotokoll nennt „Thea Goldschmidt, Breslau" als Einlieferin der Bronzen. Vgl. L A B A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 69. 462 Auk.kat. Kunstbesitz eines Berliner Sammlers, durch Helbing, am 23./24.6.1936. 463 Brenner, 1963, S. 106. 464 Auk.kat. Gemälde, Kunstgewerbe aus verschiedenem Besitz; Ostasiatisches Porzellan aus dem Besitz der Prinz-Albrecht-Linie des vormals Preußischen Königshauses und aus drei Privatsammlungen, durch Graupe, am 20./21.10.1936. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvor- und Nachberichte, in: Weltkunst,
10. Jg., 4.10.1936, Nr. 39/40, S. 3.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
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asiatika aus adligem Besitz und eine umfangreiche Auswahl von Gemälden alter und neuer Meister aus verschiedenen Privatsammlungen. Für die niederländischen Arbeiten des 17. Jahrhunderts wurden zwischen 200 und 600 R M gezahlt, was normale Preise waren. Die bedeutendsten Werke wurden dagegen sehr teuer bezahlt, wie Aert van der Neers „Winterlandschaft" (6.000 RM), eine „Lucretia"-Darstellung von Lucas Cranach d.Ä. (7.000 RM) und Jean-Baptiste Camille Corots kleine Landschaft „Passiance" (8.700 RM). 465 Werden zum Vergleich die Ergebnisse dieser bedeutenden Versteigerungen mit denjenigen des Vorjahres herangezogen, so sind eine Reihe von ungewöhnlich hohen Summen für Gemälde der einzelnen Epochen und Sujets erzielt worden. Dies gilt vor allem für die niederländischen Kleinmeister des 17. Jahrhunderts, für italienische Meister und im beschränktem Maße auch für die französischen Impressionisten, die allerdings nicht in Berlin versteigert wurden, deren außergewöhnlich hohe Summen dennoch erwähnt werden müssen. In vielen Fällen zahlten die Käufer Preise, wie sie in den vergangenen Jahren nur sehr selten vorkamen. Daher kann der Aussage des ungenannten Kritikers der Weltkunst zugestimmt werden, der behauptete, dass „die Umsätze gegenüber dem Vorjahr teilweise bedeutend gestiegen" seien.466 Diese Beurteilung gilt jedoch nur für bestimmte Segmente, denn Meisterwerke etwa von Rembrandt und Rubens erreichten 1935 erstklassige Preise; ähnliche Qualitäten waren dagegen 1936 längst nicht so hoch bezahlt worden. Allgemein lässt sich aussagen, dass die Nachfrage nach guten Qualitäten der niederländischen Werke des 17. und der deutschen Meister des 19. Jahrhunderts anhaltend am stärksten war. Altdeutsche, altniederländische und frühitalienische Gemälde gehörten indessen zu den sammlerischen Seltenheiten, die, sofern sie überhaupt auf den Markt kamen, zumeist von Privatsammlern aufgekauft wurden. Die mangelnden Angebote, die weit hinter der Nachfrage zurückblieben, thematisierten auch die Kritiker der Weltkunst mehrfach. 467 Auf den ersten Blick schienen sehr viele Auktionen auf dem Berliner Kunstmarkt durchgeführt worden zu sein. Die Analyse der Zeitschrift Weltkunst erwies allerdings (erneut), dass nur ein geringer Teil der abgehaltenen Auktionen Gemälden galt. Vorrangig kamen komplette Wohnungseinrichtungen zur Versteigerung.468 Auf diesem Gebiet waren - wie schon im Vorjahr - besonders die Auktionshäuser Gerhard Harms, Mandelbaum und Kronthal, Achenbach, Berkhan sowie das Auk465 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 10.Jg., 1.11.1936, Nr. 43, S.3 und ebd., 8.11.1936, Nr. 44, S. 3f. Versteigerungsprotokoll vgl. LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 69. 466 Anonym, Vom deutschen Kunstmarkt, in: Weltkunst, 10. Jg., 17.5.1936, Nr. 19/20, S.lf. 467 Anonym, Rückblick auf das Jahr 1936, in: Weltkunst, 11. Jg., 3.1.1937, Nr. 1,S. 1 f.; Anonym, Vom deutschen Kunstmarkt, in: Weltkunst, 10. Jg., 17.5.1936, Nr. 19/20, S.lf. und Anonym, SaisonBeginn, in: Weltkunst, 10. Jg., 18.10.1936, Nr. 41/42, S.l. 468 Die folgenden Angaben sind den Anzeigen der einzelnen Auktionshäuser im Auktionskalender der Weltkunst des Jahres 1936 entnommen sowie den Akten im Landesarchiv Berlin im Bestand L A B A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin. Die ermittelten Zahlen sind daher keine absoluten, da nicht jede einzelne Auktion in der Zeitschrift erwähnt wurde beziehungsweise die Akten im LAB nur unvollständig vorhanden sind. Teilweise konnten die Zahlen durch eingesehene Auktionskataloge ergänzt werden, so dass die ermittelten Zahlen einen guten Überblick über die Auktionstätigkeit der einzelnen Auktionshäuser in Berlin bieten.
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II. Der Kunsthandel in Berlin -1936
tionshaus Union aktiv. Von den etwa 37 Wohnungsversteigerungen bei Harms wiesen nur zehn auch Kunstbesitz auf. Bei Mandelbaum und Kronthal galten von den mindestens 25 Versteigerungen 24 der Auflösung von Wohnungen und Villen, 16 davon besaßen auch Kunstobjekte. Reine Gemäldeauktionen gab es nicht. Noch im Vorjahr hatte dieses Auktionshaus dagegen zum größten Teil Versteigerungen von Gemälden abgehalten. Aufgrund des Mangels an Sammlungen einerseits und der erhöhten Nachfrage zur Auflösung von Wohnungen andererseits hatte es sein Hauptgewicht den letzten zugewandt. Zu den durchgeführten Auktionen von Mandelbaum und Kronthal zählte im Frühjahr auch die Liquidierung eines Schmuckgeschäftes, das, wie es in der Anzeige hieß, „wegen vollständiger Aufgabe des Geschäftsbetriebes" zur Auflösung kam.469 Das Verhältnis der Versteigerungen von Wohnungseinrichtungen und von Gemälden sah beim Auktionshaus Union ähnlich aus. Von den mindestens 43 Auktionen betrafen 16 Wohnungseinrichtungen, sieben davon mit Kunst. Dem standen etwa fünf reine Gemäldeversteigerungen gegenüber. Mit 47 Versteigerungen war Achenbach wie schon im Vorjahr das Auktionshaus mit der höchsten Anzahl auf dem Berliner Markt.470 Berkhan veranstaltete mindestens 26 Auktionen von Wohnungsauflösungen.471 Auch bei diesen beiden Firmen überwog dieses Segment deutlich. Aufgrund der überlieferten Preise in den Versteigerungsprotokollen wird erneut klar, dass die überwiegende Mehrzahl der Gemälde aus derartigen Sammlungen außergewöhnlich niedrige Preise erzielten, die oft weit unter 100 RM lagen. Ausschlaggebend hierfür war die mangelnde Qualität. In Einzelfällen wurden auch bei Versteigerungen von Wohnungseinrichtungen mit Kunstbesitz hochwertige Sammlungen angeboten, wie im Fall der Sammlung des Großindustriellen G., dessen Besitz in der Maienstraße 1 in Charlottenburg durch das Auktionshaus Harms aufgelöst wurde.472 Die Recherchen zu G. ergaben, dass es sich um Fritz Gugenheim handelte, der Mitbegründer und Mitinhaber der Berliner Textilfirma Michels & Cie. war.473 Gugenheim, der wegen seiner jüdischen Herkunft Repressalien zu erleiden hatte, bereitete 1936 seine Emigration vor, weswegen er unter anderem seine Gemäldesammlung zur Versteigerung gab.474 Diese barg bemerkenswerte Werke von Francis 469 Anzeige von Mandelbaum und Kronthal in: Weltkunst, 10. Jg., 15.3.1936, Nr. 11, S. 3. Die Versteigerung fand am 19.3.1936 statt. 470 Die Versteigerungsniederschriften des Auktionshauses Achenbach sind für das gesamte Jahr 1936 vorhanden, so dass die ermittelte Zahl der tatsächlich durchgeführten Anzahl von Auktionen sehr nahe kommt. Vgl. LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 8. 471 Ebd., Nr. 13. 472 Auk.kat. Einrichtung dabei Kunstbesitz Kommerzienrat G., Maienstraße 1, durch G. Harms, am 19./20.8.1936. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvor- und Nachberichte, in: Weltkunst, 10. Jg., 9.8.1936, Nr. 31/32, S. 6. 473 Eintrag unter Maienstraße 1: F. Gugenheim, Fabrikbesitzer, vgl. Berliner Adreßbücher 1936, IV. Straßen- und Häuserverzeichnis. Zu Gugenheim vgl. die Eintragung unter seinem Namen in: Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft, 1930, Bd. I, S. 609f. 474 Die jüdische Herkunft Gugenheims geht aus dem Versteigerungsantrag hervor. Im Landesarchiv Berlin befinden sich die Versteigerungsanträge jüdischer Verkäufer unter A Rep. 243-04, Nr. 46-63. Gugenheims Antrag ist dort unter dem Buchstaben „G" inventarisiert. Vgl. LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 52.
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Boucher, Cornells Troost, niederländischen Kleinmeistern des 17. und deutschen Künstlern des 19. Jahrhunderts. Die Auktion fand reges Interesse. Selbst einige bekannte Nationalsozialisten wie Joseph Goebbels und Hermann Göring traten als Käufer auf.475 Der Großteil der niederländischen Gemälde wurde zwischen 1.200 und 3.200 RM veräußert. Salomon van Ruisdaels' „Flusslandschaft mit Fähre" und Jan van Huysums „Sommerblumen" kosteten je 3.200 RM, Vermeers „Früchtestillleben" und Netschers „Klöpplerin" brachten je 1.800 RM.476 Diese Summen lagen auf ähnlich hohem Niveau wie die meisten Werke der bedeutenden Versteigerungen des Jahres 1936. Den höchsten Preis erzielten die beiden von Troost als Gegenstücke gefertigten Gemälde „Die Konsultation" und „C'est un fil" (7.000 RM). Das Bild „La cruche cassee" von Boucher, das auf 8.000 RM geschätzt worden war, erhielt dagegen keinen Zuschlag.477 Graupe hatte neben den beiden bereits erwähnten Auktionen noch fünf weitere durchgeführt, wobei die zum Verkauf stehenden Gemälde von guter Qualität waren, ähnlich der Sammlung Gugenheim bei Harms. Die 1936 stattgefundenen Versteigerungen von Paul Graupe waren jedoch längst nicht so spektakulär und hochwertig wie noch im Vorjahr, als er die Kunsthandlungen des Margraf-Konzerns „arisierte". Auch für Graupe war es immer schwieriger geworden, sich im Deutschen Reich den neuen Anordnungen zu entziehen. Denn von der RdbK wurde im Mai 1936 bekannt gegeben, dass „alle Angehörigen der Reichskammer der bildenden Künste oder diejenigen, die gemäß Paragraph 9 von der Zugehörigkeit befreit sind", den endgültigen Nachweis der „Abstammung" bis zum 30. September des Jahres zu erbringen hatten.478 Graupe gelang es, noch zwei weitere Versteigerungen im. Oktober durchzuführen, bei denen er vermutlich aufgrund der Bedeutung der Sammlungen von Seiten der RdbK oder einem anderen potenten Förderer gedeckt wurde.479 Dennoch entschloss sich der Kunsthändler Ende des Jahres 1936, zusammen mit seinem Kollegen und Freund Arthur Goldschmidt nach Paris zu emigrieren.480 Dort eröffneten sie im darauffolgenden Jahr ihr Geschäft Paul Graupe & Cie. an der Place Vendome. Das Berliner Auktionshaus Graupe, das selbst eine große Anzahl von bedeutenden Auktionshäusern und Kunsthandlungen reichsweit „arisiert" hatte, erlitt nun dasselbe Schicksal. Als neuer Inhaber übernahm der langjährige Mitarbeiter Hans W. Lange die Geschäfte.
475 Goebbels erwarb das Gemälde „Abend auf dem Petersplatz" von Oswald Achenbach für 1.200 RM. Vgl. die Versteigerungsniederschrift des Auktionshauses Gerhard Harms, LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 52. 476 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 10. Jg., 23.8.1936, Nr. 33/34, S. 4. 477 Der Schätzpreis ist der Liste entnommen worden, die sich im Exemplar des Auktionskataloges zum Kunstbesitz Kommerzienrat G. in der Kunstbibliothek in Berlin befindet. 478 Amtliche Bekanntmachung der RdbK. Anordnung über den Nachweis der Abstammung vom 26.5.1936, in: Weltkunst, 10.Jg., 28.6.1936, Nr. 25/26, S. 6. 479 Auk.kat. Gemälde, Kunstgewerbe aus verschiedenem Besitz; Ostasiatisches Porzellan aus dem Besitz der Prinz-Albrecht-Linie des vormals Preußischen Königshauses und aus drei Privatsammlungen, durch Graupe, am 20./21.10.1936 und Auk.kat. Die Bibliotheken Montefiore und Dr. H. Usener (gestr.), mit Beiträgen aus anderem Besitz, durch Graupe, am 22./23.10.1936. 480 Coppens, 1987, S. 262. Arthur Goldschmidt hatte zusammen mit seinen Brüdern im selben Haus wie Graupe ein Antiquitätengeschäft. Vgl. Nebehay, 1995, S. 49-51.
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II. Der Kunsthandel
in Berlin
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Das alteingesessene Auktionshaus Lepke hatte im Laufe des Jahres wie Graupe wenige bedeutende Versteigerungen durchgeführt. Unter den 13 Versteigerungen galten sechs der Auflösung von Wohnungen, die teilweise auch Kunstbesitz beinhalteten. Die Tendenz, sich in verstärktem Maße Einrichtungsgegenständen zu widmen, führte damit Krüger, dem seit 1. Januar 1936 alleinigen Inhaber des Auktionshauses Lepke, vom Vorjahr fort. Bereits im ersten Auktionskatalog des neuen Jahres war Krüger als „Inhaber und Versteigerer" erwähnt worden, denn die Nennung in Katalogen und bei Inseraten war seit diesem Jahr üblich geworden.481 Im Auktionshaus Lepke brachte einzig die Versteigerung zur Auflösung der Wohnungseinrichtung nebst Sammlung von Helene Jandorf aus Berlin „beachtenswerte und richtungsgebende Preise für deutsche Bilder des 19. Jahrhunderts", wie es in der Weltkunst hieß.482 Dazu zählten die Gemälde „Bisonfamilie" (3.000 RM) und „Kühe in Landschaft" (1.090 RM) von Heinrich von Zügel sowie eine „Italienische Landschaft" von Oswald Achenbach und Eduard Grützners „Mephistopheles" für je 1.920 RM. Trotz einiger bedeutender Sammlungen kam das Gros der Angebote jedoch überwiegend aus durchschnittlichen Privatsammlungen. Auch wenn deutschlandweit eine steigende Tendenz der Auktionen von geschlossenen Sammlungen zu verzeichnen war, gilt dies nicht zwangsläufig auch für den Berliner Kunstmarkt.483 Der Kritiker der Weltkunst äußerte sich über das Fehlen hochwertiger Sammlungen, indem er schrieb: „Die große Knappheit auf dem Kunst- und Antiquitätenmarkt ist vielleicht auch ein Grund, dass Privatsammlungen zur Zeit nicht aufgelöst werden, andererseits aber müsste es ja eigentlich ein Ansporn sein, die aufsteigende Preiskonjunktur auszunutzen." 484 Im Vergleich zum Vorjahr kam es 1936 zu wesentlich weniger „Arisierungen" von Berliner Kunsthandlungen, was wegen der verschärften Maßnahmen infolge der „Nürnberger Gesetze" überrascht. Neben den genannten Auflösungen durch Graupe sowie Mandelbaum und Kronthal löste Lepke im Herbst die Bestände der Berliner Kunsthandlung B. auf.485 Die Recherchen ergaben, dass es sich dabei um das bekannte Antiquitätengeschäft Hermann Ball in der Bellevuestraße 6 a handelte, das vorwiegend in den 1920er Jahren Versteigerungen gemeinsam mit Paul Graupe durchgeführt hatte.486 Ebenfalls „arisiert" wurde Ende des Jahres 1936 das Kunstantiquariat Hollstein & Puppel, durch einen der beiden Teilhaber. Das Geschäft war vor allem für seine hervorragenden Graphikauktionen alter Meis481 Auk.kat. Antiquitäten, Gemälde alter und neuer Meister, Möbel, Gobelins, Bronze, Keramik, Kleinkunst, Teppiche, Flügel, durch Lepke, am 12./13.2.1936, Kat. 2097. 482 Auk.kat. Wohnungs-Einrichtung der Frau Kommerzienrat Jandorf, Berlin, Lützowplatz 13, durch Lepke, am 4./5.3.1936, Kat. 2098. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvor- und Nachberichte, in: Weltkunst, 10. Jg., 15.3.1936, Nr. 11, S. 2. 483 Anonym, Rückblick auf das Jahr 1936, in: Weltkunst, 11. Jg., 3.1.1937, Nr. 1, S. l f . 484 Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 10. Jg., 8.2.1936, Nr. 6, S. 3. 485 Auk.kat. Antiquitäten, Gemälde. Bestände der Kunsthandlung B., Berlin; Alt-Meissener Porzellan der Sammlung Demiani und andere Beiträge, durch Lepke, am 7./8.10.1936, Kat. 2106. 486 Eintrag „Ball, Hermann" in den Rubriken „Einwohner und Firmen" sowie „Antiquitäten" im Berliner Adreßbuch 1936. Aus der Versteigerungsniederschrift mit Preis- und Käuferangaben geht hervor, dass Gertrud Ball, Kaiserdamm 67, Berlin, die Kunstgegenstände zur Auktion einlieferte. Vgl. LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 3. Dabei handelte es sich offenbar um die Privatanschrift.
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ter über den Berliner Kunstmarkt hinaus bekannt geworden. Die letzte Auktion unter dem altbekannten Namen fand im November 1936 mit modernen Graphiken aus der Sammlung Stinnes statt.487 Es dauerte jedoch fast ein Jahr, bis Reinhold Puppel unter eigenem Namen die erste Auktion mit alten und modernen Kupferstichen und Handzeichnungen im Dezember 1937 durchführte.488 Auffallend bei der Beurteilung des Berliner Kunstmarktes war zudem, dass, anders als 1935, die Liquidierungen häufig im Stillen vollzogen wurden. Während im Vorjahr beispielsweise ausführlich über die Liquidierung des Margraf-Konzerns in der Weltkunst berichtet wurde, konnte man 1936 nahezu nichts über „arisierte" Kunsthandlungen lesen. Neben den Schließungen eröffneten auch einige neue Geschäfte, vorwiegend mit Schwerpunkt auf Antiquitäten, die davon profitierten, dass viele Auktionen von Wohnungseinrichtungen aufgrund der erhöhten Zahl von Emigrationen oder wirtschaftlicher Zwangslagen stattfanden.489 Zu den Neueröffnungen gehörten unter anderen die Geschäfte Herbert Kiewer in der Lutherstraße 40 und Armand Gobiet in der HermannGöring-Straße 7, der heutigen Ebertstraße.490 Auch 1936 erfuhr der Kunsthandel weitere Einengung und Straffung. Mit Wirkung vom 22. August 1936 wurde die Fachgruppe „Kunst- und Antiquitätenhändler" und die Fachgruppe „Kunstverleger und Kunstblatthändler" zu einer gemeinsamen Fachgruppe „Kunstverleger und -händler" innerhalb der Reichskammer der bildenden Künste zusammengelegt.491 Diese neugebildete Fachgruppe umfasste somit Kunst- und Antiquitätenhändler, Versteigerer, Kunstverleger, Kunstblatthändler und Händler von künstlerisch gestaltetem Gebrauchsgut. Die Fachgruppe „bearbeitetfe] in 5 Referaten die Förderung und Pflege des Kunstverlags, Kunsthandels, der Kunstversteigerung, die Regelung wirtschaftlicher und sozialer Angelegenheiten der Zugehörigen der genannten Fachgruppe, Überwachung und Betreuung der einschlägigen Referate bei den Landesleitungen, Festsetzung von Bedingungen für den Betrieb, die Veröffentlichung und Schließung von Unternehmungen auf den vorgenannten Gebieten, Anordnungen über wichtige Fragen, Regelung der Art und Gestaltung von Verträgen, Ablehnung der Aufnahme oder Ausschluß, [...]." 492 Um die Anordnungen und Bekanntmachungen der RdbK allen Mitgliedern lückenlos und umfassend bekannt zu geben, erhielten sie ab Oktober 1936 kostenlos das monatlich erscheinende Mitteilungsblatt der Reichskammer der bildenden Künste. Die darin abgedruckten Anordnungen waren bindend für alle Mitglieder.493 Damit hatte die RdbK ein Instrument, um ihre Mitglieder effektiv und schnell über Neuerungen zu informieren und deren Befolgung zu
487 Auk.kat. Sammlung H. Stinnes: Moderne Graphik, durch Hollstein & Puppel, am 10./11.11.1936. 488 Auk.kat. Alte und moderne Kupferstiche und Handzeichnungen, durch R. Puppel, am 8./9.12. 1937. 489 In Berlin verließen 1936 rund 10.000 Juden die Stadt; ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Vgl. Gruner, 1996, S. 95. 490 Anzeige von Kiewer in: Weltkunst, 10. Jg., 20.9.1936, Nr. 37/38, S. 5. Anzeige von Gobiet in: ebd., 29.11.1936, Nr. 47, S. 3. 491 Anonym, Errichtung der Fachgruppe „Kunstverleger und -händler". Rundschreiben vom 26.8. 1936, in: Mbl. RdbK, 1. Jg., 1.10.1936, H . l , S.13. 492 Handbuch der Reichskulturkammer, 1937, S. 76. 493 Anonym, Zweck und Aufgaben des Mitteilungsblattes, in: Mbl. RdbK, 1. Jg., 1.10.1936, H . l , S.l.
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kontrollieren. So wurde im Falle der Nichtbeachtung von Gesetzen oder bei Ausschluss aus der Kammer Name und Anschrift des Mitgliedes im Mitteilungsblatt genannt, um auf diese Weise die anderen einzuschüchtern.494 Wie streng die Einhaltung der Vorschriften bei Auktionen durch die RdbK überwacht wurde, lässt sich am Beispiel der Vorgehensweise gegenüber jüdischen Kommissionären ablesen. So schrieb die RdbK das Auktionshaus Gerhard Harms einen Tag vor der Versteigerung am 19./20. August 1936 per Schnellbrief an, da Kommissionäre auf der Vorbesichtigung zur Auktion ermittelt worden waren, die aufgrund des Paragraphen 29 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes vom 1. November 1933 dazu nicht befugt waren.495 Harms wurde aufgefordert, die Kommissionäre an ihrer Teilnahme zu hindern, da er sonst selbst mit Konsequenzen zu rechnen habe. Dieses Vorgehen veranschaulicht, wie durch direkten und indirekten Druck jüdische Versteigerer an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert und damit sukzessive aus dem Kunsthandel gedrängt wurden. 1937 hatte das Deutsche Reich, politisch wie ökonomisch gefestigt, inzwischen die Phase der innenpolitischen Machtkonsolidierung abgeschlossen.496 Ein Wirtschaftsaufschwung war in Gang gekommen, der vorwiegend auf einer Erhöhung der Rüstungsproduktion zurückzuführen war. Dies wirkte sich auch auf den Auktionsmarkt aus: Die anhaltend positive Tendenz der Vergangenheit setzte sich fort. Dabei entsprachen die erzielten Preise einem Niveau, das die Verhältnisse einer wirtschaftlich wieder gesundeten Zeit widerspiegelte. Diese finanzielle Konsolidierung lässt sich auch an den Gehältern ablesen, denn hohe Reichsbeamte besaßen seit 1933 ein annähernd gleichbleibendes Jahreseinkommen von etwa 9.500 RM. 497 Solche stabilen Gehälter wären noch einige Jahre zuvor undenkbar gewesen. Kennzeichnend für die Entwicklung des Auktionsjahres war, dass nicht einzelne Segmente, sondern alle Kunstgebiete von einem sehr guten Absatz berichten konnten.498 Zudem kam in diesem Jahr eine Reihe von hochrangigen Sammlungen auf den deutschen Markt, die der Öffentlichkeit völlig unbekannt waren und aufgrund ihrer Qualität zum Teil außergewöhnlich hohe Preise erzielten. Dazu gehörten die Gemäldesammlung von Theodor Stroefer bei Böhler in München und die herausragende Kunstgewerbesammlung von Emma Budge bei Graupe in Berlin. Die Existenz derartiger Sammlungen zu jener Zeit belegt, dass der Kunstmarkt auch weiterhin mit bedeutenden Beständen rechnen konnte, und steht damit der damals angenommen Meinung entgegen, es habe kaum noch erstklassige Sammlungen gegeben.499 494 Als Beispiel sei eine Suchliste nach Kunstverlegern und Kunsthändlern genannt. Vgl. Suchliste unbekannt verzogener Kammermitglieder, in: Mbl. RdbK, 2. Jg., 1.2.1937, H. 2, S. 15. 495 Schnellbrief vom Präsidenten der RdbK an Gerhard Harms, Berlin, 18.8.1936. Vgl. LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 18. Zur Ersten Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes vom 1.11.1933 vgl. RGBl. I, 1936, S. 797. 496 Zur Wirtschaft allgemein vgl. beispielsweise Bettelheim, 1974, S. 229, 233 und Herbst, 2002, S. 180-183. 497 Statistische Jahrbücher, 1933-1937. 498 Für das Folgende Anonym, Rückblick und Ausschau. Der deutsche Auktionsmarkt 1937, in: Weltkunst, 12. Jg., 2.1.1938, Nr. 1, S. 1 f. 499 Deusch, 1937, S. lf.
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Den Beginn der bedeutenden Versteigerungen im laufenden Berliner Auktionsjahr machte die Dresdner Sammlung von Otto Weißenberger im Februar 1937 bei Lepke.500 Weißenberger, der - laut Vorwort des Auktionskataloges - noch zur alten Sammlergeneration gehörte, hatte im Laufe seines Lebens eine wertvolle Kollektion mit Gemälden und altem Kunstgewerbe von ausgesuchter Qualität zusammengetragen, die nun den beiden Kunsthändlern Hans Carl Krüger und Karl Haberstock zur „Verwertung" übergeben worden war.501 Dieser Hinweis im Katalog deutet auf eine erzwungene Versteigerung hin, eine Vermutung, die durch die Recherchen zum Sammler bestätigt werden konnte. Wie ermittelt wurde, war der Bankier und Sammler Mitglied der Freimaurer gewesen, weshalb sein Besitz im Jahre 1936 beschlagnahmt worden war.502 Die Gemäldesammlung bestand überwiegend aus Objekten deutscher Künstler des 19. Jahrhunderts, worunter sich vortreffliche Arbeiten von Grützner, Graff, Hackert, Voltz und anderen befanden. Kunstwerke dieser Maler kosteten zwischen 1.500 und 3.000 RM; für damalige Verhältnisse war dies angemessen. Im Rückblick auf das Auktionsjahr 1937 wurden die für deutsche Meister des 19.Jahrhunderts erzielten Preise in dieser Versteigerung als „ansehnlich" bezeichnet, die zwischen 1.500 und 3.100 RM lagen.503 Für ein Hauptwerk („In der Theatergarderobe") des letztgenannten Malers der jüngeren Generation wurde die außergewöhnlich hohe Summe von 15.000 RM gezahlt. Die Preise für Werke unbekannter Maler lagen hingegen niedrig; sie bewegten sich unter 100 RM. Der Lepke-Auktion folgte die Versteigerung einer Villeneinrichtung in Berlin-Grunewald.504 Die Recherchen im „Berliner Adreßbuch" von 1937 ergaben, dass es sich dabei um den Generaldirektor Rolf Seloni handelte, dessen Villa zusammen mit seiner Gemäldesammlung veräußert wurde.505 Der Kunstbesitz war durch die niederländischen Schulen des 17. Jahrhunderts mit Arbeiten von van Dyck, Dou, Hals, Ruisdael und Ostade geprägt. Das vorab auf ein charaktervolles Frauenbildnis aus dem Kreis um Lucas Cranach d.Ä. und einen „Hieronymus" gelenkte Hauptinteresse, der Lucas Cranach d.A. selbst zugeschrieben wurde, bestätigte sich in den Preisen: Das Frauenbildnis erzielte 8.000 RM, 500 Auk.kat. Kunstsammlung Geheimrat W., Dresden: Gemälde, Porzellan, Fayencen, Steingut, Gläser, Teppiche, Ostasiatica, durch Lepke, am 24.-26.2.1937, Kat. 2111. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 11. Jg., 7.2.1937, Nr. 6, S. 2. 501 Vorwort im Lepke-Katalog Nr. 2111 abgedruckt, unpag. 502 Zu Weißenberger vgl. Deutscher Wirtschaftsführer, 1929, Sp. 2422. 503 Anonym, Rückblick und Ausschau. Der deutsche Auktionsmarkt 1937, in: Weltkunst, 12. Jg., 2.1.1938, N r . l , S.lf. Weitere Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 11. Jg., 7.3.1937, Nr. 10, S. 2f. Das Protokoll zur Auktion mit den Preisen und den Käufern befindet sich zudem im Haberstock-Archiv. Vgl. Städtische Kunstsammlungen Augsburg, Haberstock-Archiv, HB/3/Be/494.1. 504 Auk.kat. Villeneinrichtung, Kunstbesitz, Generaldirektor S. (verstr.), Berlin-Grunewald, Hubertusallee 4 2 - 4 4 , durch Achenbach, am 10.3.1937. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 11. Jg., 7.3.1937, Nr. 10, S. 2. 505 Laut Eintragung im Berliner Adreßbuch unter Hubertusallee 42/44 war der Besitzer der Villa „R.[olf] Seloni, Direktor". Vgl. Berliner Adreßbücher 1937, IV. Straßen- und Häuserverzeichnis. Im Versteigerungsauftrag des Auktionshauses Achenbach wurde er als „Dir. Ralph Scotoni, Berlin-Grunewald, Hubertusallee 42/44" bezeichnet. Vgl. L A B A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 9.
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der „Hieronymus" 7.000 RM. Für Gemälde niederländischer Künstler zahlten die Käufer Summen zwischen 1.000 und 4.000 RM, so beispielsweise für Claas Molenaers „Winterlandschaft" (1.300 RM) und Jacob van Ruisdaels „Waldlandschaft" (4.100 RM). 506 Italienische Gemälde lagen ebenfalls in diesem Bereich. Ein weiteres wichtiges Ereignis für den Berliner Kunstmarkt stellte die Versteigerung der Kunstwerke aus dem Besitz der Staatlichen Museen zu Berlin dar.507 Bereits im Vorfeld bekundete der Kunsthandel großes Interesse für die Bestände an Kleinbronzen, Skulpturen, Kunstgewerbe sowie für die 70 Gemälde. Das nahezu 800 Nummern umfassende Angebot war wegen Neuzugängen aus Privatsammlungen für die Museen entbehrlich geworden, weswegen es im Juni vom Münchener Auktionshaus Böhler und dem Berliner Auktionshaus Lepke gemeinsam zum Aufruf kam. Unter den Gemälden befanden sich im Wesentlichen italienische Werke des 14. bis 18. Jahrhunderts, niederländische Schulen des 17., deutsche Altmeister sowie deutsche Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts. Hohe Preise erzielten die italienischen Werke, die zumeist zwischen 2.000 und 6.000 RM lagen, wie Vittorio Crivellis „Abendmahl" (3.300 RM). 5 0 8 Den höchsten Gemäldepreis erreichte Botticellis „Geburt Christi" (13.000 RM). Niederländische Werke wurden durchschnittlich für 1.000 bis 2.000 RM verkauft; einige erhielten deutlich höhere Summen, so ein Studienkopf van Dycks (4.100 RM) und die „Winterlandschaft mit Überfall" in der Art des Meisters von Flemalle (9.200 RM). Die Preise für die Gemälde neuerer Künstler lagen häufig unter 500 RM. Nur für Werke damals begehrter neuerer Künstler wurden deutlich höhere Preise gezahlt, so für Zügels „Ochsengespann" (3.000 RM) und Waldmüllers „Karawane in Sizilien" (6.500 RM). Die hier genannten hohen und teilweise sehr hohen Summen entsprechen in der Bewertung der Düsseldorfer Sammlung Hauth beim Auktionshaus Lempertz in Köln, die ein erstes großes Frühjahrsereignis auf dem deutschen Kunstmarkt darstellte.509 Ein derartiger Wertmesser ist notwendig, um die Preise mit Berliner Auktionen vergleichen und einschätzen zu können. Das Hauptereignis des Berliner Auktionsjahres war die spektakuläre Versteigerung der bislang nahezu unbekannten Hamburger Sammlung Emma Budge im Herbst 1937 im Auktionshaus Graupe. 510 Die bisher nicht öffentlich zugängliche Kollektion war nur wenigen Fachleuten bekannt, weswegen Kunstsammler wie Museumsfachleute sie mit großem Interesse erwarteten.511 Unter den erlesenen kunstgewerblichen Gegenständen befanden sich auch einige Gemälde, die außergewöhnlich hohe Preise erzielten. Die Sammlerin 506 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 11. Jg., 14.3.1937, Nr. 11, S. 3. Preise und Käufer sind in der Versteigerungsniederschrift vermerkt. Vgl. L A B A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 9. 507 Auk.kat. Kunstwerke aus dem Besitz der Staatlichen Museen Berlin, durch Böhler und Lepke, am 1./2.6.1937. Erwähnt bei Anonym, Versteigerung von Kunstwerken aus dem Besitz der Staatlichen Museen, in: Weltkunst, 11. Jg., 14.3.1937, Nr. 11, S. 1. 508 Ergebnisse der Gemälde vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 11. Jg., 4.7.1937, Nr. 26/27, S. 4. 509 Anonym, Rückblick und Ausschau. Der deutsche Auktionsmarkt 1937, in: Weltkunst, 12.Jg., 2.1. 1938, Nr. l . S . l f . 510 Auk.kat. Sammlung Emma Budge (verstr.), Hamburg, durch Graupe, am 4.-6.10.1937. 511 Zur Sammlung Budge vgl. Private Schätze, 2001, S. 218 f. Vgl. auch die Ausführungen im Vorwort des Auktionskataloges der Sammlung Budge.
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jüdischer Herkunft, die ursprünglich ihre Bestände der Stadt Hamburg schenken wollte, hatte aufgrund der politischen Umstände ihr Testament geändert und als Erben Verwandte und jüdische Einrichtungen bestimmt.512 Nach ihrem Tod im Februar 1937 erkannten die Nationalsozialisten dieses Testament nicht an und veranlassten den Großteil des Besitzes in zwei Auktionen bei Graupe beziehungsweise Lange zu versteigern. Bereits im Laufe des Jahres warb Graupe für die erste Auktion mit großen Anzeigen, unter anderem mit einem ganzseitigen Inserat in der Weltkunst.513 Als Kunstversteigerer wurde dort bereits Hans W. Lange genannt, der für diese Versteigerung noch den altbekannten Firmennamen „Paul Graupe" verwendete. Das außergewöhnliche Format der Annonce deutete bereits im Vorfeld auf eine der wichtigsten Berliner Versteigerungen des Jahres hin. In diesem Sinne berichtete auch die Weltkunst, die den Verkauf der Sammlung Budge als eine der bedeutendsten Kunstversteigerungen der letzten Jahre bezeichnete, denn sie zählte zu den wenigen noch in Deutschland erhaltenen kunstgewerblichen Sammlungen von internationalem Rang.514 An selber Stelle wurde völlig beiläufig in dem Artikel notiert, dass die Leitung des Auktionshauses Graupe nun von dem langjährigen Geschäftsführer H.W. Lange übernommen worden war. Wie in diesem Fall wurden die seit der „Machtergreifung" durchgeführten „Arisierungen" von Kunsthandlungen und Auktionshäusern in der Öffentlichkeit, wenn sie überhaupt Erwähnung fanden, als etwas Selbstverständliches dargestellt. Eine kritische Auseinandersetzung damit fand nicht statt. Als das Versteigerungsergebnis der Sammlung Budge bekannt gegeben wurde, hieß es dazu begeistert in der Weltkunst·. „Saisonbeginn im großen Stil: selten war in letzter Zeit ein so erlesenes Publikum von Kennern, Sammlern, Museumsleuten bei einer Versteigerung zu sehen, die in drei Tagen unverminderter Kauflust [...] das kaum erwartete Gesamtergebnis von annähernd einer Million Mark erzielte."515 Dies war der höchste Erlös für eine einzelne Privatsammlung seit Jahren. Für den Saisonbeginn des Kunsthandels hätten keine günstigeren Voraussetzungen geschaffen werden können. Unter dem reichhaltigen Angebot erzielte das qualitativ hochwertige Kunstgewerbe häufig Preise, die ein Vielfaches der Schätzwerte darstellten. Aber auch die 23 Gemälde, vorwiegend von älteren englischen, holländischen und französischen Meistern, wurden zu sehr hohen Preisen versteigert.516 Die meisten Notierungen lagen zwischen 2.000 und 8.000 RM, so auch zwei Damenbildnisse von John Hoppner (jeweils 6.800 RM) und Jan Wynants' „Der Weg durch die Düne" (7.600 RM). Vorzügliche Resultate erzielten Henry Raeburns „Halbfigur einer jungen Dame" (12.000 RM), Caspar Netschers „Lautenspielerin" (16.000 RM) und
512 Emma Ranette Lazarus (1852-1937), Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Hamburg, war verheiratet mit dem jüdischen Frankfurter Wertpapierhändler Henry Budge (1840-1928). Vgl. Kürschner-Pelkmann, 1997, S. 83-85. 513 Anzeigein: Weltkunst, 11. Jg., 18.7.1937, Nr. 28/29, S . l l . 514 Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 11. Jg., 29.8.1937, Nr. 34/35, S. 3f. 515 Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 11. Jg., 10.10.1937, Nr. 40/41, S. 2 sowie die Versteigerungsniederschrift mit Preis- und Käuferangaben. Vgl. LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 28. 516 Ergebnisse der Gemälde vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 11. Jg., 10.10.1937, Nr. 40/41, S.2.
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Charles van Loos' „Höfische Jagdpartie" (18.000 RM), was die höchste Summe war. Auf keiner Berliner Auktion des Jahres 1937 wurden so viele außerordentlich hohe Gemäldepreise im Verhältnis zur Gesamtzahl gezahlt wie im Fall der Sammlung Budge. Häufig wurden die Schätzpreise sogar überboten. Diese Beobachtung ist insofern besonders interessant, da es sich um die Versteigerung einer jüdischen Sammlung handelte. Aufschlussreich ist diese Feststellung vor allem deswegen, weil in den Nachkriegsjahren im Zuge von Wiedergutmachungsforderungen an die Bundesrepublik immer darauf verwiesen wurde, dass Kunstwerke aus jüdischem Besitz zu äußerst geringen Preisen, so genannten „Schleuderpreisen", veräußert worden seien, um der Forderung von Wiedergutmachung Nachdruck zu verleihen. Dass Kunstwerke aus jüdischem Besitz nicht zwingend nur geringe Summen erzielten, veranschaulichen die exzellenten Ergebnisse der Sammlung Budge. In diesem Zusammenhang muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass den jüdischen Einlieferern häufig das erzielte Geld nicht zur freien Verfügung stand. Im Fall der Erbengemeinschaft Emma Budge wurde das Geld auf Sperrkonten überwiesen, auf das sie keinen Zugriff besaß.517 Daher war der hohe Verkaufserlös für sie unrelevant, weil sie von dem Erlös nicht profitieren konnten. Werden die Resultate der Versteigerung wertneutral für den Kunstmarkt betrachtet, so können die Gemälde der Budge-Kollektion in ihrer Qualität und in den erzielten Preisen mit der wesentlich größeren Sammlung Theodor Stroefer verglichen werden, die Ende Oktober bei Böhler in München versteigert wurde.518 Diese Münchener Auktion stand „wie nach den Ergebnissen der Budge-Auktion in Berlin zu erwarten" - unter dem Zeichen ungeminderter Kauflust.519 Die Sammlung des 1927 verstorbenen Kunstverlegers Stroefer bestand vorwiegend aus niederländischen, deutschen und italienischen Gemälden. Auch hier wurden im Verhältnis zur Anzahl der angebotenen Gemälde außerordentlich viele hohe Summen bezahlt. Allein unter den 145 niederländischen Bildern lagen die meisten Preise zwischen 1.000 und 3.000 RM, in acht Fällen zwischen 5.000 und 10.000 RM und in sieben Fällen zwischen 10.000 und 20.000 RM. 520 Neben den mit der Budge-Sammlung vergleichbaren Summen wie Adriaen Brouwers „Vorleser" (14.200 RM), Ruisdaels „Große Landschaft" (18.000 RM) und Rembrandts „Vanitas" (34.000 RM) wurde der überhaupt höchste Auktionspreis des Jahres deutschlandweit auf der Böhler-Versteigerung gezahlt: 90.000 RM für einen „Lachenden Knaben" von Frans Hals.521 Die Weltkunst berichtete aufgrund der Auktionsergebnisse der Sammlung Stroefer, dass München seine alte Anziehungskraft für den deutschen Kunsthandel wieder unter Beweis gestellt habe.522 Mit der Bewertung der Böhler-Auktion in der Fachpresse können Rückschlüsse auf die Ergebnisse des Berliner Kunstmarktes gezogen werden, die gleichsam einen wichtigen Indikator zur Preisbeurteilung darstellen. Daher erscheint es gerechtfertigt, bei der Einschätzung des Berliner Mark517 Könke, 1991, S. 661. 518 Auk.kat. Sammlung Theodor Stroefer, Nürnberg, durch Böhler, am 28.10.1937. 519 Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 11. Jg., 7.11.1937, Nr. 44, S. 2. 520 Ergebnisse vgl. ebd. 521 Anonym, Rückblick und Ausschau. Der deutsche Auktionsmarkt 1937, in: Weltkunst, 12. Jg., 2.1.1938, Nr. 1, S. 2. 522 Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 11. Jg., 7.11.1937, Nr. 44, S. 2.
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tes in Einzelfällen Versteigerungen anderer deutscher Kunstmärkte zu erwähnen, wenn diese aussagekräftig sind. Das Gesamtergebnis der Sammlung Stroefer ist auch deswegen von großem Interesse, weil es sich hier um nichtjüdischen Besitz handelte. Die ausgesprochen hohen Preise für Gemälde aus den beiden Sammlungen zeigen, dass es bei der Bewertung von Kunstwerken um die Qualität ging und nicht, ob die Eigentümer nichtjüdisch oder jüdisch waren. Die Weltkunst berichtete, dass das „bekannte Berliner Kunstversteigererhaus Paul Graupe" im Dezember 1937 offiziell von Hans W. Lange übernommen worden war, der das Geschäft in der gleichen Weise und denselben Räumen weiterführte.523 In Langes erster Auktion wurde verschiedener deutscher Kunstbesitz mit Gemälden alter und neuerer Meister, Möbel und Textilien angeboten.524 Die Bilder von alten Meistern wechselten zumeist für Preise zwischen 700 und 2.000 RM die Eigentümer, nur in zwei Fällen erreichten sie um die 5.000 RM; bei diesen handelte es sich um die beiden Bildnisse eines Paares von Barthel Bruyn für 5.000 RM und das „Bildnis der Miss Fisher" von Reynolds für 5.600 RM.525 In dieser Sammelversteigerung verschiedener Einlieferer stammte auch ein umfangreicher Bestand an Werken von neueren Meistern, Porzellan und Textilien aus der Sammlung Budge.526 Der überwiegende Teil der Gemälde neuerer Künstler wurde für Preise zwischen 250 und 500 RM verkauft.527 Erwähnenswerte Summen erzielten Oswald Achenbachs „Italienische Landschaft" (1.900 RM), Grützners „Bierprobe" (4.100 RM), Kaulbachs „Brustbild einer jungen Frau" (1.800 RM) und Leistikows „Havellandschaft" (1.600 RM); die höchste Summe erhielt Adolf Schreyers „Steppenlandschaft" (4.600 RM), die bis auf die „Havellandschaft" aus dem Besitz von Emma Budge stammten. Zahlreiche Gemälde aus dieser Kollektion ließen sich für höhere, bisweilen mehr als doppelt so hohe als die angegebenen Schätzpreise verkaufen.528 Im weiteren Verlauf des Jahres versteigerten die einzelnen Auktionshäuser wenig bedeutende Sammlungen; überwiegend handelte es sich wie schon in den Vorjahren um gesamte Wohnungseinrichtungen.529 Das Auktionshaus Achenbach führte mindestens 31 Versteige-
523 Vgl. Anonym, Nachrichten von Überall, in: Weltkunst, 11. Jg., 14.11.1937, Nr. 45, S. 6. 524 Auk.kat. Verschiedener deutscher Kunstbesitz, durch Lange, am 6./7.12.1937. 525 Ergebnisse für Gemälde vgl. Anonym, Preisberichte, in: 'Weltkunst, 11. Jg., 12.12.1937, Nr. 49/50, S. 7. 526 Bei dieser Auktion war der Besitz aus der Sammlung Budge mit der Einlieferernummer 15 (E.B., Hamburg) gekennzeichnet. Vgl. das Besitzerverzeichnis im Auk.kat. 527 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, ll.Jg., 12.12.1937, Nr. 49/50, S.7 und 27.12.1937, Nr. 51/52, S. 4f. Die Schätzpreise sind der Liste entnommen, die sich im Exemplar des Auktionskataloges in der Kunstbibliothek in Berlin befindet. 528 Beispielsweise lag der Schätzpreis für Kaulbachs „Brustbild" bei 800 RM, verkauft wurde es jedoch für 1.800 RM. Vgl. Protokoll in: L A B A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 28. 529 Die folgenden Angaben sind den Anzeigen der einzelnen Auktionshäuser im Auktionskalender der Weltkunst des Jahres 1937 sowie den Akten im Landesarchiv Berlin entnommen. Vgl. L A B A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nummer für das jeweilige Auktionshaus.
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rungen durch, wobei etwa 60 Prozent Wohnungseinrichtungen galt.530 Daneben veranstaltete es Auktionen, die ausschließlich Kunstgegenständen beinhaltete wie im Falle der Restbestände aus den Kunsthandlungen Altkunst, van Diemen und Otto Burchard, die im Herbst 1937 veräußert wurden.531 Dies waren die letzten Auktionen im „Arisierungsprozess" des Margraf-Konzerns, dessen Hauptanteil bereits 1935 von Paul Graupe durchgeführt worden war. Laut Weltkunst erfuhr der Berliner Kunstmarkt durch die Versteigerung der Restbestände der Firma Altkunst mit Wandteppichen, Möbeln, Holzfiguren und Gemälden, sowie der Galerie van Diemen mit Gemälden und Handzeichnungen der Neuzeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts eine „wesentliche Belebung".532 Auch die Auktionshäuser Berkhan und Union verkauften in den etwa 18 beziehungsweise 25 Versteigerungen überwiegend komplette Wohnungseinrichtungen. Keine einzige galt ausschließlich Kunstgegenständen. Im Auktionshaus Gerhard Harms fanden mindestens 32 Versteigerungen statt, von denen 16 auch Gemälde aufwiesen.533 Zu bedenken ist hier jedoch, dass fast immer die Aufgabe der Wohnung oder der Villa als Grund der Versteigerung angegeben war. Gemäldesammlungen spielten hier also keine Rolle. Bei der Durchsicht der Protokolle von stattgefundenen Versteigerungen fällt auf, dass die Gesamtresultate der Wohnungseinrichtungen mit mehreren hundert Nummern ungewöhnlich geringe Preise erzielten. Häufig betrugen die Gesamterlöse weniger als 15.000 RM. In den Auktionen, die neben den Möbeln auch Kunstobjekte enthielten, zahlten die Käufer häufig extrem niedrige Preise für Gemälde, die zumeist zwischen 10 und 50 RM lagen. Die für das Auktionshaus Harms gesichteten Protokolle des Jahres 1937 wiesen nahezu durchgehend solche ausgesprochen geringen Summen auf.534 Harms führte zwar wie 1936 bei der Sammlung Gugenheim oder 1937 bei der Sammlung Rosenthal auch Versteigerungen mit wertvolleren Gemälden durch, sein Schwerpunkt lag jedoch eindeutig auf der Veräußerung von gesamten Wohnungseinrichtungen.535 Die auf solchen Auktionen ebenfalls verkauften Kunstgegenstände waren dabei oft von minderer Qualität und unbedeutenden Künstlern, weswegen nur geringe Preise gezahlt wurden - und das unabhängig von der „rassischen" Zugehörigkeit der Ein530 Die Versteigerungsniederschriften des Auktionshauses Achenbach sind für das gesamte Jahr 1937 vorhanden, so dass die ermittelte Anzahl der Auktionen annähernd korrekt sein dürfte. Vgl. ebd., Nr. 9 und 10. 531 Auk.kat. Uniimitierte Versteigerung der Restbestände Altkunst GmbH in Liquidation, durch Achenbach, vom 20.-22.9.1937; Auk.kat. Restbestände Galerie van Diemen G.m.b.H. in Liquidation und Otto Burchard & Co. G.m.b.H. in Liquidation, durch Achenbach, am 13.10.1937. 532 Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 11 .Jg., 12.9.1937, Nr. 36/37, S. 3. 533 Zu den Versteigerungen des Auktionshauses Gerhard Harms liegen für das Jahr 1937 umfangreiche Protokollabschriften vor, mit deren Hilfe und den Anzeigen in der 'Weltkunst die Anzahl ermittelt wurde. Vgl. LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 19. 534 Versteigerungsprotokolle vom 19.1.-22.10.1937. Vgl. ebd. 535 Versteigerung der Villeneinrichtung Hubertusbader Str. 20, durch G. Harms, am 15./16.6.1937. Laut Protokoll handelte es sich dabei um den Besitz von Ulla Rosenthal, welche die eheliche Villa wegen deren Aufgabe versteigern ließ. Unter den Gemälden waren einige bedeutende dabei wie von Wouter Knyff (300 RM), J. de Momper (350 RM) und Jacob Duck (2.350 RM), die verkauft wurden. Vgl. ebd.
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lieferer. Aus der großen Vielzahl derartiger Werke sollen beispielhaft einige Auktionen genannt werden. Für Gemälde von Theodor Eifert zahlte ein Käufer zwischen 10 und 25 RM, 536 für ein Werk von Max Landschreiber 35 RM 5 3 7 und für Gemälde von Hugo Ungewitter zwischen 25 und 50 RM.538 Aufgrund dieser niedrigen Erlöse ist zu vermuten, dass die Eigentümer ihre Kunstwerke von Qualität nicht in ein Versteigerungshaus wie Harms einlieferten, sondern in ein solches mit entsprechender Spezialisierung. Bei Harms ließen sie demzufolge im Zusammenhang mit einer Wohnungs- oder Villenaufgabe nur weniger wertvolle Kunstgegenstände mitversteigern. Diese These kann anhand der Versteigerung der Sammlung von Robert Graetz verdeutlicht werden. Graetz war 1941 gezwungen, seine Villeneinrichtung im Auktionshaus Harms zu versteigern. Im Protokoll zur Auktion finden sich neben Haushaltsgegenständen nur Kunstobjekte von wenig bekannten Künstlern, die dementsprechend geringe Preise erhielten.539 Die künstlerisch hochrangigen Werke bekannter Künstler, die nachweislich in der Sammlung Graetz vertreten waren, fehlen dagegen dort. Es scheint daher durchaus üblich gewesen zu sein, dass weniger bedeutende Werke direkt vom Auktionshaus Harms oder einer anderen auf Wohnungsauflösungen spezialisierten Firma mit den übrigen Haushaltsgegenständen versteigert wurden, während bedeutende Kunstwerke in der Hoffnung auf höhere Preise in einem Kunstauktionshaus versteigert oder zur Aufbewahrung bei Bekannten oder Speditionen gegeben wurden. Während noch im Jahr zuvor eine Reihe von Kunsthandlungen und Auktionshäuser „arisiert" beziehungsweise liquidiert worden waren, scheint dieser Prozess 1937 nahezu beendet gewesen zu sein. Diese Vermutung wird durch die wenigen Berichte in der Weltkunst und die Recherchen im Handelsregister beim Amtsgericht Charlottenburg bestätigt. Beim überwiegenden Teil der dort noch vorhandenen registrierten Geschäfte war deren Löschung „vor 1937" vermerkt worden.540 Eine prominente Übernahme ist die des Auktionshauses Paul Graupe durch H.W. Lange im Dezember 1937. Endgültig abgeschlossen war der Prozess von Liquidierungen der verbleibenden jüdischen Versteigerungsfirmen in Berlin aber erst im Jahr 1938.541 Demgegenüber standen mehrere Neueröffnungen von Kunsthandlungen, die einen speziellen Bedarf an Verkaufsmöglichkeiten von Werken abdeckten, hervorgerufen vermutlich durch die vielen Verkäufe der Emigranten.542 Zu den Eröffnungen zählte eine Reihe von Geschäften, die vorwiegend mit alter Kunst handelten, so die Kunsthand-
536 Versteigerung der Wohnungseinrichtung von Fritz und Olga Irene Schmitt, Kurfürstendamm 93, durch G. Harms, am 31.8.1937. Protokoll vgl. ebd. 537 Versteigerung der Wohnungseinrichtung von Luise Nachmann, Wittelsbacherstraße 13, durch G. Harms, am 14.9.1937. Protokoll vgl. ebd. 538 Versteigerung der Wohnungseinrichtung von Baronin Antonie von Falz-Fein, Schlüterstraße 41, durch G. Harms, am 5.10.1937. Protokoll vgl. ebd. 539 Zur Sammlung Graetz vgl. den Abschnitt „Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung". 540 Vgl. das Karteikartenregister der Auktionshäuser, Kunsthandlungen und Galerien im A G Charlottenburg. 541 Vgl. dazu die Ausführungen zum Auktionsjahr 1938 in diesem Abschnitt. Esther Tisa Francini, Anja Heuß und Georg Kreis setzen dagegen das Ende der „Arisierungsphase" im deutschlandweiten Kunsthandel für Jahr 1937 an. Vgl. Tisa Francini, Heuß und Kreis 2001, S. 42. 542 Die Neueröffnungen wurden den Anzeigen und Artikeln in der Weltkunst 1937 entnommen.
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II. Der Kunsthandel in Berlin
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hingen von Victor Rheins in der Straße Unter den Linden 68, 5 4 3 von Eduard Plietzsch, dem ehemaligen Leiter der liquidierten van Diemen-Galerie, am Herkulesufer 13, 544 von Rolph Grosse, in der Bellevuestraße 16 5 4 5 und von Konrad Strauß, 546 der eine zweite Dependance mit Schwerpunkt Antiquitäten und Raumkunst ebenfalls in der Bellevuestraße 16 gegründet hatte. Die Neueröffnungen waren jedoch nur möglich, wenn deren Inhaber Mitglieder der RdbK waren. Darüber hinaus durften sie nur Kunstwerke von Künstlern ausstellen oder Personen mit dem Verkauf von Kulturgütern beauftragen, die ebenfalls dort Mitglied waren. Die Konformität mit der Kunstideologie des Staates wurde für die Künstler gerade 1937 von außerordentlicher Wichtigkeit, denn in der von Adolf Ziegler, Präsident der RdbK, und Joseph Goebbels initiierten Ausstellung „Entartete Kunst" wurden Kunstwerke moderner Künstler gezeigt, die nicht dem Kunstverständnis der Nationalsozialisten entsprachen. Im Verlauf dieser und folgender Kampagnen raubten die Nationalsozialisten 16.000 moderne Kunstwerke aus deutschen Museen, um diese zu „säubern". 547 Nachträglich legalisierte das Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst vom 31. Mai 1938 die Beschlagnahmen. 548 Parallel dazu eröffnete im neu eingeweihten „Haus der Deutschen Kunst" in München die erste „Große Deutsche Kunstausstellung", welche die Kunst der von den Nationalsozialisten geförderten Künstler präsentierte. 549
543 Anzeige zum ersten Mal erwähnt in: 'Weltkunst, 11. Jg., 31.1.1937, Nr. 5, S. 3. 544 Anzeige zum ersten Mal erwähnt in: Weltkunst, 11. Jg., 28.3.1937, Nr. 13, S. 10. Plietzsch hatte offenbar direkt nach der endgültigen Liquidierung der Galerie van Diemen seine eigene Kunsthandlung eröffnet. 545 Anzeige zum ersten Mal erwähnt in: Weltkunst, 11. Jg., 18.7.1937, Nr. 28/29, S. 6. Da das Geschäft nicht im Handelsregister im AG Charlottenburg überliefert ist, kann nicht eindeutig nachgewiesen werden, wann es eröffnet wurde. 546 Anzeige zum ersten Mal erwähnt in: Weltkunst, 11. Jg., 23.5.1937, Nr. 20/21, S. 6. Das Geschäft ist ebenfalls nicht im Handelsregister gemeldet. 547 Hier ist vor allem die Arbeit der Forschungsstelle „Entartete Kunst" an der FU Berlin und der Universität Hamburg zu nennen. Die jüngsten Ergebnisse werden im ersten Band der Schriftenreihe der Forschungsstelle „Entartete Kunst" publiziert, der vom Akademie-Verlag für Sommer 2006 angekündigt ist. Vgl. Angriff auf die Avantgarde, 2006; in diesem Band besonders Engelhardt, 2006 und Jeuthe, 2006. In Vorbereitung befinden sich unter anderen folgende Publikation: Uwe Fleckner (Hg.), Das verfemte Meisterwerk; Stefan Frey und Christoph Zuschlag (Hg.), Paul Klee und die .Entartete Kunst'. Zur Kontroverse um die Moderne in den zwanziger und dreißiger Jahren. Vgl. hierzu auch http://web.fu-berlin.de/kunstgeschichte/institut/entart/schriftreihe.htm und http://web.fu-berlin.de/kunstgeschichte/institut/entart/Nachwuchsf%F6rderung.htm [16.12. 2005]. Aus der bisher erschienenen Literatur zur Ausstellung „Entartete Kunst" seien auszugsweise genannt Zuschlag, 1995; Entartete Kunst, 1992; sowie die Aufsätze von Andreas Hüneke vgl. ders., 1999, S. 265-274; ders., 1988, S. 8-11. 548 Volz, 1939, S. 669. Durch dieses Gesetz war die entschädigungslose Enteignung der beschlagnahmten Werke zugunsten des Deutschen Reiches festgeschrieben, wodurch die juristische Grundlage für die „Verwertung entarteter Kunst" erst geschaffen wurde. Vgl. auch die Gesetzesunterlagen im: BArch, R 55/21012. 549 Hitler, 1937. Weiterführende Literatur vgl. Lammers, 1999.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
-1938
111
Auf dem Berliner Kunstmarkt kann für das Jahr 1938 ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage festgestellt werden. Wie schon in den Jahren zuvor gab es auch 1938 keine sensationellen Preise, allerdings wurden auch weitaus weniger Kunstwerke aus Auktionen zurückgezogen, als dies noch zu Zeiten von Rekordpreisen um 1928/1930 der Fall war.550 Die eher moderate Preisgestaltung ging selbstverständlich erneut mit einem durchschnittlichen Niveau der Kunstobjekte einher. Daher klagten Kunsthändler nicht zu unrecht, dass es Schwierigkeiten bereite, überhaupt gute Auktionen durchzuführen, weil bedeutende Werke fehlten. Diese scheinbar negative Erscheinung brachte jedoch den Vorteil mit sich, dass die angebotenen Kunstwerke nicht nur Absatz fanden, „sondern dass sich daraus in Deutschland in den letzten Jahren eine normative Preisregelung ergeben hat, die wirklich ein maßstäblicher Faktor der Bewertung geworden ist." 5 5 1 Mit anderen Worten: Einzelne hochrangige Gemälde, die vor einem Jahrzehnt auf den Markt gekommen waren, setzten mit ihren Sensationspreisen keine Wertmaßstäbe, sondern weckten Preisvorstellungen, die jedoch von der Mehrzahl der auf den Markt gebrachten Werke bei weitem nicht erfüllt werden konnten. Demgegenüber etablierte sich seit Mitte der 1930er Jahre ein Maßstab, nach dem sich Kunsthändler wie Sammler bei der Beurteilung von Werken richten konnten. Ein festes Preisniveau und eine rege Kauflust kennzeichneten den stabilen deutschen Auktionsmarkt. 552 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass hochrangige Meisterwerke nicht mehr vorwiegend in Auktionshäusern angeboten wurden, sondern zunehmend im freien Kunsthandel. Dieser Umstand bietet zugleich eine Erklärung dafür, wieso scheinbar so wenige exzellente Kunstwerke auf den Markt kamen, da die Verkäufe der freien Händler normalerweise nicht in den Zeitschriften veröffentlicht wurden. 553 Für die Analyse zur Einschätzung des Kunstmarktes ist dies insbesondere deshalb problematisch, da nur die Ergebnisse von Auktionen vorliegen, nicht aber die Einzelpreise vom freien Kunsthandel, weswegen hier nur der offizielle Markt analysiert werden konnte. Auch 1938 gilt die Feststellung vom Vorjahr, dass der Berliner Kunstmarkt im Vergleich zu anderen deutschen Kunstmärkten, allen voran dem Münchener, an Bedeutung eingebüßt hatte, denn der Münchener Kunsthandel konnte 1937 durch die dort versteigerte Sammlung Stroefer seinen einstigen Platz wieder einnehmen. Erneut waren die Ergebnisse des Münchener Kunstmarktes für die Einschätzung des Berliner Marktes von Bedeutung. Einen ausgesprochenen Erfolg brachte die Mitte März bei Böhler in München durchgeführte Versteigerung der Sammlung Schuster, für deren mittelalterlichen Skulpturen Summen bis zu
550 Für das Folgende Anonym, Bemerkungen zur Kunstmarkt-Lage, in: Weltkunst, 12. Jg., 23.10. 1938, Nr. 42/43, S.lf. 551 Anonym, Rückblick und Ausschau. Der deutsche Auktionsmarkt 1938, in: Weltkunst, 13.Jg., 8.1. 1939, Nr. 1/2, S.lf. 552 Übersicht über die Bewertung der Preise für 1933 bis 1939. Vgl. im Anhang Tabellen 4 - 7 . 553 Eine Ausnahme bildet die Galerie Haberstock, die mit dem Erwerb oder dem Weiterverkauf von bedeutenden Gemälden in der Weltkunst häufig mit entsprechenden Abbildungen vertreten ist. Preise werden hingegen nicht erwähnt. Stellvertretend seien die Gemälde genannt: Anton Graff, „Kavalier in Rot", in: Weltkunst, 12. Jg., 2.1.1938, Nr. 1, S. 2 und Hans Thoma, „Am Oberrhein", in: ebd., 17.7.1938, Nr. 28/29, S.10.
II. Der Kunsthandel
112
in Berlin
-1938
75.000 R M für eine „Weibliche Heilige" von Hans Multscher bewilligt wurden.554 Die Gemälde dagegen erzielten nur geringe Erlöse, häufig unter 500 RM, weil es sich dabei um solche von unbekannten Künstlern handelte. Nach dem vielversprechenden Saisonbeginn bei Böhler in München und Lempertz in Köln versteigerte das Auktionshaus Lange in Berlin im April 1938 einen umfangreichen und wertvollen Bestand an Gemälden, Skulpturen und Kunstgewerbe, der sich aus Hamburger, süddeutschem sowie Berliner Kunstbesitz zusammensetzte.555 Für die Altmeisterwerke, bei denen die niederländischen Künstler überwogen, wurde eine Reihe von sehr guten Preisen zwischen 5.000 und 14.000 RM erzielt. Die wichtigsten Ergebnisse waren dabei für ein „Blumenstillleben" (5.200 RM) von Jan Brueghel d.J., für das „Bildnis eines Spaniers" (13.500 RM) von Ambrosius Benson und für zwei Apostel-Studien (14.000 RM) von Rubens. Viele der altmeisterlichen Gemälde erreichten, wie die hier genannten, sogar höhere Preise als die ursprünglichen Schätzpreise.556 Die Arbeiten von deutschen Künstlern des 19. Jahrhunderts lagen dagegen zwischen 300 und 400 RM relativ niedrig, mit Ausnahme eines Bismarck-Bildnisses von Lenbach für 3.700 RM. Auch wenn häufig zu Saisonbeginn darüber diskutiert wurde, ob und was überhaupt noch versteigert werden könnte, wurden dennoch einige interessante Auktionen im Verlauf der Frühjahrssaison in Berlin durchgeführt - allerdings mit unerwartet ungünstigen Ergebnissen.557 Bei Lepke erzielten im Mai die Gemälde der älteren und neueren Meister, die größtenteils aus dem Nachlass des jüdischen Bankteilhabers James von Bleichröder stammten,558 überwiegend hohe Summen zwischen 2.000 und 3.000 RM, mitunter auch darüber.559 Zu diesen gehörten „Die heilige Katharina" vom Meister von Güstrow (5.150 RM) und eine Mariendarstellung von Francesco Fiorentino (4.300 RM). Die hochrangigen Werke aus anderem Besitz erzielten ebenfalls 2.000 bis 3.000 RM; unbekannte Künstler erreichten nur geringe Erlöse. Die mit 12.000 RM höchstgeschätzte Christusdarstellung aus dem Kreis des Roger van der Weyden ging dagegen zurück; vermutlich fand sie wegen der vom Amtsgericht Berlin angeordneten Zwangsversteigerung keinen Käufer.560 Die im Juni durch554 Auk.kat. Sammlung Georg Schuster, München, durch Böhler, am 17./18.3.1938. Ergebnisse vgl. Anonym, Lebhafter deutscher Auktionsmarkt, in: 'Weltkunst, 12. Jg., 27.3.1938, Nr. 13, S. 1 sowie Preisliste, in: ebd., S. 3 f. 555 Auk.kat. Antiquitäten-Sammlung Dr. R., Hamburg; Gemälde aus Sammlung E.L., Berlin; verschiedener Kunstbesitz, durch Lange, vom 7.-9.4.1938. Erwähnt in: Anonym, Vorschau auf den deutschen Versteigerungsmarkt, in: Weltkunst, 12. Jg., 20.3.1938, Nr. 12, S. 2. 556 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 12. Jg., 17.4.1938, Nr. 16, S. 8. Die Schätzpreise wurden der Liste im Auktionskatalog im Landesmuseum Münster entnommen. 557 Anonym, Belebung auf den Kunstmärkten, in: Weltkunst, 12. Jg., 17.4.1938, Nr. 16, S. 1. 558 James von Bleichröder war Teilhaber der Berliner Bank „S. Bleichröder", die sein Großvater Samuel Bleichröder 1803 gegründet hatte. Vgl. Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft, 1930, Bd. I, S.148f. Im Februar 1938 wurde die Bank durch das Bankhaus „Hardy Sc Co. GmbH." übernommen. Vgl. das Inserat von Hardy & Co. in: VB (Berliner Ausgabe), 51. Jg., 20.2.1938, Nr. 51, unpag. 559 Auk.kat. Kunstwerke aus dem Nachlass des Herrn Dr. James von Bleichröder, Berlin, und Einzelbeiträge, durch Lepke, am 31.5.1938, Kat. 2123. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 12. Jg., 19.6.1938, Nr. 24/25, S. 4. 560 Hinweis zum Werk Nr. 169a im Lepke-Katalog 2123.
2. Kunstmarkt
und Kunsthandel
-1938
113
geführte Länge-Auktion, die sich durch ihre Vielfalt und hervorstechende Qualität auszeichnete, erbrachte nur ein ernüchterndes Ergebnis.561 Wegen der zum Teil sehr hohen Schätzpreise wie für Gemälde vom Meister der heiligen Sippe (15.000 RM), von Jacob Ruisdael (18.000 RM) oder von Trübner (7.500 und 6.000 RM) konnten sie nicht versteigert werden.562 Auch die Preise für verkaufte Kunstwerke lagen häufig weit unter den Schätzpreisen - und dies, obwohl sie von sehr guter Beschaffenheit waren und schon im Vorfeld positive Kritiken in der Weltkunst fanden. Da kein Hinweis auf die Besitzumstände im Auktionskatalog vermerkt ist und keine Akten im Landesarchiv Berlin überliefert sind, lässt sich nicht belegen, ob es sich hierbei um eine Zwangsversteigerung handelte. Vielmehr scheint der Grund weniger darin zu liegen, dass es sich um jüdischen Besitz handelte, sondern darin, dass ein kaufkräftiges Publikum fehlte. Diese Vermutung wird auch durch die Liste der großen Anzahl von Einlieferern gestützt, denn auch qualitativ hochwertige Werke gingen zurück, die zweifelsfrei aus nichtjüdischem Besitz stammten.563 Die Herbstsaison war aufgrund der allgemeinen wirtschaftlichen Erfolge - die Arbeitslosigkeit war seit 1932 von 30 Prozent auf den historischen Niedrigststand von 1,9 Prozent im Jahre 1938 gesunken - durch einige optimistisch stimmende Auktionen geprägt, die bei Lange und Lepke zu guten und bisweilen sehr guten Ergebnissen führten.564 Angeführt wurde der Reigen der kurz hintereinander durchgeführten Versteigerungen von einer Berliner Privatsammlung, die Mitte November 1938 bei Lange stattfand.565 Es wurden künstlerisch sehr bedeutende Gemälde vorwiegend neuerer Meister angeboten, die Preise zwischen 2.000 und 3.000 RM unter anderen für Hodler, Liebermann und Trübner erzielten.566 Die erreichten Summen lagen jeweils unter dem Schätzpreis, was auch für sehr hohe Preise galt: Leibis „Abendandacht", die 9.000 RM kostete, war ursprünglich auf 10.000 RM geschätzt worden. Einige sehr hoch angesetzte Gemälde von Menzel (9.000 und 12.000 RM) konnten gar nicht verkauft werden. Dafür fand eine „Flusslandschaft" von Monet für 19.500 RM Absatz; für ein französisches Gemälde war dies auf dem deutschen Kunstmarkt ein ungewöhnlich hoher Preis. Dem Auktionskatalog kann entnommen werden, dass es sich bei der Sammlung um „nichtarischen" Besitz handelte, was explizit im Titel genannt wurde. Seit der Tarnverordnung vom 22. April 1938 war es Pflicht geworden, bei Geschäftsvorgän561 Auk.kat. Sammlung Hofrat Marx (verstr.), Berlin; verschiedener deutscher Kunstbesitz; Uhrensammlung Dr. Bodong (verstr.), Frankf. a.M., 1. Teil, durch Lange, am 14./15.6.1938. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvor- und Nachberichte, in: Weltkunst, 12. Jg., 5.6.1938, Nr. 22/23, S. 5. 562 Die Schätzpreise sind der Liste im Auktionskatalog in der Kunstbibliothek in Berlin entnommen. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 12. Jg., 3.7.1938, Nr. 26/27, S. 6f. 563 Dem Besitzerverzeichnis ist trotz der abgekürzten Namen in einigen Fällen ein Hochadels- oder ein hoher Beamtentitel hinzugefügt, der auf einen nichtjüdischen Einlieferer hindeutet. Vgl. Auktionskatalog Lange vom 14./15.6.1938. 564 Herbst, 2002, S. 179, 181. Die Abnahme der Arbeitslosigkeit war einseitig auf die Rüstungskonjunktur zurückzuführen. 565 Auk.kat. Gemälde, Plastiken, Kunstgewerbe aus einer Berliner Privatsammlung (nichtarischer Besitz), durch Lange, am 18.11.1938. 566 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 12. Jg., 18.11.1938, Nr. 48, S. 4. Die Schätzpreise sind der Liste entnommen, die sich im Exemplar des Auktionskataloges in der Kunstbibliothek in Berlin befindet.
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II. Der Kunsthandel in Berlin -1938
gen jüdisches Eigentum offen zu legen.567 Bei Versteigerungen wurde daher entweder im Auktionskatalog vermerkt, dass es sich um „nichtarischen Besitz" handelte, oder ein Asterix (*) kennzeichnete den jüdischen Besitz in der Einliefererliste. Durch diese Maßnahme war es Juden unmöglich geworden, ohne Aufdeckung ihres Namens Geschäfte durchzuführen.568 An die Novemberauktion bei Lange schloss sich dort direkt die Versteigerung von unterschiedlichem Besitz an.569 Unter den Beständen von drei beachtlichen Privatsammlungen befand sich zum ersten Mal seit der Annektierung Österreichs durch das Deutsche Reich auch Wiener Besitz in einer Berliner Versteigerung.570 Sowohl bei den Werken alter wie bei den neuerer Meister wurden hohe bis sehr hohe Preise gezahlt: für die alten zwischen 3.000 und 6.000 RM und für die neuen zwischen 2.000 und 5.000 RM.571 Neben Gabriel Metsus „Verlorenem Sohn" und Rubens' „Töchter des Kekrops" (je 6.000 RM), erzielte Jacob Ruisdaels „Landschaft in Gewitterstimmung" unter den alten Meisterwerken sogar 14.600 RM. Für die Gemälde neuerer Künstler zahlten die Käufer 4.100 RM für Böcklins „Vestalin", 5.000 RM für Lenbachs „Alten Mann" und als höchsten Preis 7.400 RM für Spitzwegs „Jägersmann". Die hier genannten Preise waren die bestbezahlten der Auktion - und die Werke stammten alle aus jüdischem Besitz, wie der Kennzeichnung im Auktionskatalog zu entnehmen ist.572 Unter den Einlieferern befand sich das Antiquitätengeschäft Leo Ziffer, das liquidiert wurde und einen Bestand an Möbeln, Kleinkunst und Gemälden anbot. Zwar war die große Liquidierungswelle der ersten Jahre abgeschlossen, dennoch kam es immer noch vereinzelt zur Auflösung jüdischer Kunsthandlungen und Auktionshäuser. Lepke bot Ende November neben anderem Besitz eine süddeutsche Sammlung an, die als „nichtarisch" ausgewiesen war.573 Dabei handelte es sich vorwiegend um deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts, unter denen sich hochrangige Arbeiten befanden, deren Schätzpreise zwischen 2.000 und 12.000 RM lagen. Ob für Hans Thomas „Sonnenuntergang" und Franz von Defreggers „Ernsthafte Unterhaltung" tatsächlich 10.000 beziehungsweise 12.000 RM bezahlt wurden, konnte nicht ermittelt werden, aber die sehr hohen Schätzungen beweisen erneut, wie wichtig die Qualität war unabhängig von der „rassischen" Zugehörigkeit der Eigentümer. Bei den weiteren Auktionshäusern fanden wie schon in den vorangegangenen Jahren Versteigerungen mit vorwiegend kompletten Einrichtungen statt, die zum Teil auch Kunst567 Verordnung gegen die Unterstützung der Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe vom 22.4.1938. Vgl. RGBL, 1938,1, S. 404. 568 Markmann und Enterlein, 1938, S. 64-67. 569 Auk.kat. Sammlung B., Wien; Die Bestände der Firma Ziffer i.L., Berlin; Porzellan aus Sammlung R., Wien und Frankfurter und anderer Privatbesitz, durch Lange, am 18./19.11.1938. 570 Die Annektierung Österreichs erfolgte am 13.3.1938. Vgl. dazu beispielsweise Luza, 1977 und Schausberger, 1978. 571 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 12. Jg., 27.11.1938, Nr. 48, S. 4. 572 Unter der Nennung der Auktion steht „(Zum Teil nichtarisch)". Vgl. den Auktionskatalog von Lange vom 18./19.11.1938. 573 Auk.kat. Gemälde alter und neuer Meister (aus süddeutschem und Schweizer Besitz), Antiquitäten, Kunstgewerbe, durch Lepke, vom 22.-24.11.1938, Kat. 2126. Die Bezeichnung als „nichtarischer Besitz" ist im Besitzerverzeichnis notiert. Vgl. ebd. Die Auktion ist erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: 'Weltkunst, 12. Jg., 20.11.1938, Nr. 47, S. 2 und 4.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
-1938
115
objekte umfassten.574 Dreizehn der etwa 26 vom Auktionshaus Achenbach durchgeführten Versteigerungen besaßen auch Gemälde, die allerdings bis auf wenige Ausnahmen sehr geringe Preise, häufig unter 50 RM, erhielten.575 Im Vergleich dazu waren die Ergebnisse einer Nachlassversteigerung beim selben Auktionshaus beachtlich.576 Während das Kunstgewerbe zum Teil aus der ehemals bekannten Berliner Sammlung Huldschinsky stammte, befanden sich unter den Gemälden einige von alten Meistern, so aus dem Kreis von Andrea del Sarto (1.200 RM) und von einem venezianischen Meister des 18. Jahrhunderts (1.500 RM). 577 Auktionshäuser wie Berkhan führten etwa 15 und Union rund 55 Versteigerungen durch, worunter mehr als die Hälfte auch (wenig bedeutenden) Kunstbesitz führten. Gerhard Harms veranstaltete mindestens 26 und Rudolf Harms etwa 18 Auktionen, davon die Hälfte mit Kunst.578 Bei der Durchsicht der Versteigerungsprotokolle für 1938 konnte wie schon im vergangenen Jahr bemerkt werden, dass die angebotenen Kunstgegenstände fast ausschließlich sehr geringe Preise erhielten. Dies gilt im Übrigen auch für die Gesamtsummen der einzelnen Auktionen. Es gab bei diesen Auktionshäusern, so weit ersichtlich, keine Versteigerung, auf der hohe Preise für Gemälde gezahlt wurden; zumeist lagen sie deutlich unter 50 RM. Dies ist beispielsweise beim Verkauf des Inventars der Luxuswohnung von Helene Oppenheim mit Gemälden von unbekannten Malern der Fall gewesen.579 Der größte Teil der Werke kostete nur jeweils um die 25 RM. Auch hier war wieder die Qualität für den Preis ausschlaggebend. Seit März 1938 firmierte die Weltkunst im Übrigen nicht mehr nur als „anerkanntes Zentralorgan für Sammler, Museen, Bibliotheken, Künstler und Kunsthändler", sondern darüber hinaus als das „Veröffentlichungsorgan der Fachgruppe des Kunst- und Antiquitätenhandels, Land Österreich".580 Vollständige Ausschaltung jüdischer Kunsthändler aus dem
Kunsthandel
Im Jahr 1938 erließen die Nationalsozialisten eine Vielzahl von Gesetzen, die das Leben der jüdischen Bevölkerung erheblich einschränkten und sie weitgehend aus dem öffentlichen Bereich drängten. Ein wichtiges Ziel der nationalsozialistischen Regierung war es, 574 Die folgenden Angaben sind den Anzeigen der einzelnen Auktionshäuser im Auktionskalender der Weltkunst, dem VB des Jahres 1938 sowie den Akten im Landesarchiv Berlin entnommen. Vgl. LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, gefolgt von der Nummer des jeweiligen Auktionshauses, die dem Findbuch zu entnehmen ist. 575 Vgl. die Protokolle für das Auktionshaus Achenbach, die allerdings nur von Januar bis Juni 1938 erhalten sind, L A B A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 10. 576 Versteigerung des Nachlasses W., Steinplatz 1, durch Achenbach, am 23.2.1938. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 12. Jg., 20.2.1938, Nr. 8, S. 3. 577 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 12. Jg., 27.2.1938, Nr. 9, S. 4. 578 Entsprechend der Versteigerungsprotokolle des Auktionshauses Gerhard Harms vom 1 . 2 . 22.12.1938 führte in zehn Fällen Rudolf Harms die Auktionen für Gerhard Harms aus. Rudolf Harms hatte auch ein eigenständiges Auktionshaus. Vgl. L A B A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 19. 579 Versteigerung der Luxuswohnungseinrichtung von Helene Oppenheim, Freiherr vom Stein-Straße 6, durch G. Harms, am 1.2.38. Protokoll vgl. ebd. 580 Zum ersten Mal als Untertitel der Weltkunst. Vgl. Weltkunst, 12. Jg., 8.5.1938, Nr. 18/19, S. 1.
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II. Der Kunsthandel
in Berlin -1938
jüdische Gewerbetreibende von der Ausübung ihrer Geschäfte abzuhalten, indem sie diese mit gesetzlichen Maßnahmen aus ihren Firmen herausgedrängte. So erließ die Regierung am 5. Februar 1938 das Vierte Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Versteigerergewerbe, das jegliche Tätigkeit von Kunsthändlern jüdischer Herkunft unmöglich machte. 581 Die bisherige unspezifische Formulierung in Paragraph 2 des Gesetzes wurde nun ganz klar dahingehend geändert, dass Juden keine Erlaubnis zur Ausübung des Versteigerergewerbes erhielten. Des weiteren erloschen an Juden erteilte diesbezügliche Genehmigungen zum 31.Juli 193 8.582 Mit der Änderung des Gesetzes waren die bisherigen, wenn auch äußerst geringen Möglichkeiten eines jüdischen Kunsthändlers, noch tätig zu sein, per Gesetz endgültig ausgeschlossen. Für Berlin wurden für dieses Jahr weitere Liquidierungen beziehungsweise „Arisierungen" von jüdischen Kunsthandlungen ermittelt. Dazu gehörten - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - im Oktober die „Arisierung" des Geschäftes „Bibliographikon" 583 durch die bekannte Leipziger Kunsthandlung C. G. Boerner sowie die Auflösung der Teppichkunsthandlung Fischer & Wolff 584 durch Union, im November die Liquidierungen der Antiquitätengeschäfte Leo Ziffer und im Dezember Piur-Fischer 585 in der Kurfürstenstraße 76/77 sowie die der Antiquitätenabteilung des Kaufhauses Wertheim 586 in der Leipziger Straße, die sich fortan AWAG nannte. 587 Mit diesen und nicht näher bestimmbaren weiteren Liquidierungen (in Berlin) war Ende 1938 der komplette Ausschluss von jüdischen Kunsthändlern aus dem Versteigerungsgeschäft beendet und somit das Ziel der Nationalsozialisten im Kunsthandel erreicht. Noch 1937 gab die „Fachgruppe Kunstverleger und -händler" auf der Zweiten Jahresversammlung der Reichskulturkammer an, dass sie im Jahre 1937 insgesamt „2577 Mitglieder, darunter 300 Kunstverleger" umfasste. 588 Demnach gab es 2277 Kunst- und Antiquitätenhändler. Für Mitte 1938 liegt die „Liste der seit 1933 aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossenen Juden, jüdischen Mischlingen und mit Juden Verheirateten" vor, die von der RdbK für das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda angefertigt worden war. 589 Laut dieser Aufstellung schloss die RdbK seit 1933 insgesamt 1629 Mitglieder 581 Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Versteigerergewerbe vom 5.2.1938. Vgl. RGBl., 1938,1, S.115. 582 Ebd., § 1 6 Abs. 1. 583 Anonym, Nachrichten von Überall, in: Weltkunst, 12. Jg., 9.10.1938, Nr. 40/41, S. 8. Im Frühjahr 1939 wurde das Geschäft erstmals von seinen neuen Inhabern, Dr. Hans Boerner und Dr. Wolfgang Boerner, in der Weltkunst beworben. Anzeige in: Weltkunst, 13. Jg., 2.4.1939, Nr. 13, S. 3. 584 Auk.kat. Gesamtauflösung der Firma Fischer & Wolff (500 deutsche Teppiche), durch Union, vom 28.9.-1.10.1938. 585 In der Anzeige ist erwähnt, dass es sich früher um das Geschäft von Albin Schupp handelte. Vgl. Weltkunst, 12. Jg., 11.12.1938, Nr. 50, S. 4. 586 Anzeige in: Weltkunst, 12. Jg., 11.12.1938, Nr. 50, S. 8. 587 Anzeige in: Weltkunst, 13. Jg., 9.4.1939, Nr. 14, S. 8. 588 Anonym, Die Fachgruppentagungen der Reichskammer im Deutschen Museum, in: Mbl. RdbK, 2.Jg., 1.8.1937, H. 8, S.12f. 589 Die Liste ist datiert auf den 8.6.1938 und im Auftrag Mai unterschrieben worden. In ihr sind der Name, die Tätigkeitsbezeichnung, der Wohnort und die „rassische" Zugehörigkeit vermerkt. Vgl. Judenliste 8, in: BArch, 0.930 (BDC).
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
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aufgrund „rassischer" Gründe aus.590 Unter diesen Ausschlüssen war die Gruppe der Kunsthändler mit 698 Mitgliedern die mit Abstand größte; gefolgt wurde sie von Malern (344) und Architekten (307). Von den reichsweit ausgeschlossenen Kunsthändlern waren allein 312 aus Berlin. Diese Zahlen verdeutlichen, in welchem Ausmaß der Kunsthandel bis 1938 reichsweit und im Besonderen in Berlin eine Domäne jüdischer Händler gewesen war. Vor Ablauf des Jahres 1938 waren nur noch 1500 Kunst- und Antiquitätenhändler und 360 Kunstverleger in der Reichskulturkammer gemeldet. 591 Der Rückgang der Zahlen für den Kunsthandel von etwa 700 bis 800 Mitgliedern innerhalb eines Jahres verdeutlicht signifikant das forcierte Vorgehen der Nationalsozialisten, jüdische Kunsthändler aus dem Kunsthandel zu verdrängen. Während die „Arisierungen" in den vorangegangenen Jahren in der Weltkunst nicht als solche bezeichnet worden waren, wies die Zeitschrift 1938 erstmals auf „Arisierungen" von jüdischen Kunsthandlungen hin. 592 In den Jahren zuvor wurde dagegen verschleiernd von „Ubernahmen" geschrieben. Zudem gab es seit dem „Anschluss" gehäuft Aufrufe an Sammler und Kunsthändler in verschiedenen Publikationen, sich bei Käufen in Osterreich zuerst an die ortsansässigen nichtjüdischen Händler zu wenden, um nicht bei jüdischen Kunsthändlern zu kaufen. 593 Selbstverständlich war auch hier die Voraussetzung für die Tätigkeit im Kunsthandel die Mitgliedschaft in der RdbK, die vom „Ariernachweis" abhing. Neben den genannten gesetzlichen Maßnahmen, die nur gegen den Kunsthandel gerichtet waren, betraf die Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden die gesamte jüdische Bevölkerung. 594 Damit verschaffte sich das Deutsche Reich die Möglichkeit des Zugriffs darauf. Gemäß der Anordnung mussten Juden ihr gesamtes Hab und Gut registrieren lassen, das 5.000 RM überschritt. Darüber hinaus unterlagen fortan alle Rechtsgeschäfte mit Juden, wie der Verkauf eines Gewerbebetriebes, einer Genehmigungspflicht.
590 Zu diesen Mitgliedern zählten neben Kunst- und Antiquitätenhändlern, Architekten, Graphiker, Bildhauer, Maler, Entwerfer und andere künstlerische Berufe. Die hier genannten Zahlen beruhen unter Zugrundelegung der in der Liste enthaltenen Zahlen auf eigenen Berechnungen. 591 Undatierte Statistik der Mitglieder der einzelnen Kammern innerhalb der RdbK. Vgl. Menz, 1938, S. 33. Aufgrund der Drucklegung des Buches wird davon ausgegangen, dass die Statistik Ende 1937 beziehungsweise im Laufe des Jahres 1938 gefertigt wurde. 592 In den vorangegangenen Jahren wurden zwar Geschäftsübernahmen genannt, jedoch ohne den wahren Grund bekannt zugeben wie 1935 beim Margraf-Konzern. 1938 war dagegen über „Arisierungen" folgendes zu lesen: „Die Galerie Jordan u. Co. in München ist in arischen Besitz übergegangen. Die neue Firma lautet S. Niemeitz Kom.-Ges. Pers. haft. Gesellschafter ist Siegfried Niemeitz. Die neue Leitung führt das Geschäft in den bisherigen Räumen, Prinzregentenstraße 2 fort." Vgl. Anonym, Nachrichten von Überall, in: Weltkunst, 12. Jg., 17.7.1938, Nr. 28/29, S.10. 593 Anonym, Nachrichten von Überall: Aufruf an Sammler und Händler, in: Weltkunst, 12.Jg., 8.5. 1938, Nr. 18/19, S. 6. In dem jüngst von Gabriele Anderl und Alexandra Caruso herausgegebenen Sammelband steht das große Ausmaß des NS-Kunstraubes in Osterreich im Mittelpunkt der Forschungsarbeit. Darin wird aufgezeigt, dass eine Vielzahl lokaler Institutionen, etwa namhafte Kunstexperten, sowie der Kunsthandel maßgeblich in die Entziehungsvorgänge involviert gewesen sind. Vgl. Anderl und Carusao, 2005. 594 Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26.4.1938. Vgl. RGBL, 1938,1, S. 414f.
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II. Der Kunsthandel in Berlin -1938
Diese Bestimmungen bereiteten das spätere Gewerbeverbot sowie die vollständige Enteignung vor, denn nach der Pogromnacht am 9./1 O.November 1938 bildeten diese behördlich veranlassten Angaben die Grundlage für die Festsetzung des Betrages, den jeder einzelne jüdische Bürger als „Sühneleistung" an das Deutsche Reich zahlen musste.595 Hermann Göring hatte nach dem staatlich organisierten Pogrom im gesamten Deutschen Reich, bei dem jüdische Geschäfte, Wohnhäuser und Synagogen zerstört wurden, die Zahlung einer Kontribution in Höhe von einer Milliarde RM von deutschen Juden gefordert. Ihnen wurde eine Abgabepflicht auferlegt, die so genannte „Judenvermögensabgabe", wodurch sie gezwungen waren, die entstandenen Schäden an ihrem Eigentum während der Pogromnacht selbst zu bezahlen.596 In den Wochen nach dem Pogrom wurden zudem jüdische Geschäftsleute mit gesetzlichen Maßnahmen massiv aus dem deutschen Wirtschaftsleben hinausgedrängt.597 Viele einst wohlhabende jüdische Bürger waren daher gezwungen, ihre Geschäfte aufzugeben und Teile ihrer Vermögenswerte, zu denen ebenfalls Kunstwerke zählten, zu veräußern, um den finanziellen Forderungen des Staates in Form von Sühneleistungszahlungen und Reichsfluchtsteuer nachzukommen. Die Erlöse aus den Zwangsverkäufen erhielten sie jedoch seit Inkrafttreten der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 nicht mehr in die freie Verfügung.598 Vor diesem Stichtag wurde das Geld zum Teil an jüdische Bürger ausgezahlt, zum Teil aber auch auf Sperrkonten überwiesen, von denen sie nur limitierte Beträge abheben konnten. Für den Kunsthandel hatte die Verordnung insofern Bedeutung, als es ab diesem Zeitpunkt für die Einlieferer irrelevant war, ob ihre Werke Höchst- oder Niedrigstpreise erzielten, da sie die Verkaufserlöse generell nicht mehr ausgezahlt bekamen. Ferner war es jüdischen Bürgern seit dieser Verordnung verboten, Kunstwerke über freie Händler zu veräußern.599 Sie mussten alle Schmuck- und Kunstgegenstände, die einen Wert von 1.000 RM überstiegen, über öffentliche Ankaufsstellen veräußern, die jedoch zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht eingerichtet waren.600 Aufgrund der sich dramatisch zuspitzenden politischen Situation, die es der jüdischen Bevölkerung unerträglich machte, weiterhin im Deutschen Reich zu bleiben, kam es daher 1938 zu einer im Vergleich zu den Vorjahren erhöhten Ausreisewelle: 16000 Juden wander-
595 Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit vom 12.11.1938. Vgl. RGBl., 1938,1, S.1579. Zur Pogromnacht vgl. beispielsweise Kropat, 1997. 596 Durchführung zur Verordnung über die Sühneleistung der Juden vom 21.11.1938. Vgl. RGBl., 1938,1, S. 1638 ff. 597 Erste Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 23.11.1938. Vgl. RGBl., 1938,1, S.1642. 598 Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3.12.1938. Vgl. RGBl., 1938, I, S. 1709 ff. Um die Vorgehensweise zu verdeutlichen, seien zwei Paragraphen genannt: § 4 sah vor, dass bei der Abwicklung des Geschäftes ein Treuhänder eingesetzt wurde, wodurch der Inhaber des Gewerbebetriebes das Recht verlor, über seine Vermögenswerte zu verfügen. Gemäß § 15 der Verordnung erhielten Juden den Verkaufserlös als Schuldverschreibung. Das bedeutete, dass sie ein wertloses Papier bekamen, das Geld jedoch zugunsten des Staates eingezogen wurde. 599 Ebd., § 14. 600 Vgl. hierzu die Ausführungen zum Auktionsjahr 1939.
2. Kunstmarkt
und Kunsthandel
-1938
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ten aus Berlin aus; 6000 mehr als noch im Vorjahr.601 Die gestiegenen Emigrantenzahlen zeichneten sich auch in der erhöhten Anzahl der durchgeführten Auktionen ab. Versteigerer wie Gerhard Harms führten 1939 etwa doppelt so viele Veranstaltungen durch wie noch im Jahr zuvor.602 Bei diesen fast täglich stattfindenden Verkäufen handelte es sich in der Regel um Sammelversteigerungen, die in großer Quantität Wohnungsauflösungen beinhalteten. Hier ging es nicht mehr um Qualität, sondern nur noch um den Verkauf jeglicher Gegenstände, sei es Hausrat oder (minderwertige) Kunst. Ausgenutzt wurde der Umstand, dass die Emigranten auf die Versteigerung ihres Besitzes angewiesen waren, um mit dem Erlös ihre Steuerschulden zu zahlen. Erst danach konnten sie sich von den Finanzämtern eine so genannte „Unbedenklichkeitsbescheinigung" ausstellen lassen, die ihnen die Auswanderung ermöglichte. Obwohl mehrere Familienmitglieder von Robert Graetz infolge des Pogroms das Deutsche Reich in den nächsten Monaten verlassen hatten, konnten zu diesem Zeitpunkt keine Versteigerungen von Kunstwerken aus seinem Besitz festgestellt werden.603 Entweder verfügte Graetz immer noch über genügend Geld, um seiner Familie bezeugter Weise - bei der Ausreise finanziell zu unterstützen oder aber die Akten zu den Verkäufen sind verlorengegangen. Im Landesarchiv konnte unter den Versteigerungsprotokollen jedenfalls nur die Auktion der Wohnungseinrichtung der Villa Graetz im Februar 1941 bei Harms nachgewiesen werden.604 Für die bisher untersuchten Jahre der NS-Herrschaft ist bemerkenswert, dass moderne Objekte auf dem Berliner Kunstmarkt fehlen. Dies ist umso auffälliger, als in der jüngeren Literatur häufig betont wird, dass sich insbesondere jüdische Sammler der Moderne verschrieben hätten.605 Bei der hohen Zahl der jüdischen Emigranten hätte sich dieser Umstand jedoch auch in der Zusammensetzung der Auktionen widerspiegeln müssen. Die überprüften Versteigerungen wiesen allerdings nur sehr wenige Sammlungen mit moderner Kunst auf. Genannt sei beispielsweise die erst in der jüngeren Forschung bekannt gewordene jüdische Sammlung Littmann, die zum Teil im Februar 1935 bei Max Perl in Berlin versteigert wurde. 606 Da zweifelsohne viele jüdische Sammler moderne Kunst besaßen, ist eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen, dass sie die inzwischen als „entartet" bezeichnete Kunst über freie Händler und nicht auf öffentlichen Auktionen verkauften. Dies erfolgte aus Mangel an Absatz - häufig zu geringen Preisen. Darüber hinaus wurde zahlreichen Künstlern eine künstlerische Tätigkeit durch die nationalsozialistischen Staatsorgane untersagt, wie beispielsweise Nolde und Schmidt-Rottluff.607 Auch für diejenigen Künstler, die nicht diesem Verbot unterlagen, waren die Absatzmöglichkeiten häufig sehr gering, denn es
601 Statistik zur Emigration aus Berlin vgl. Tabelle nach Aktennotiz Eppstein (ca. Oktober 1939), in: Β Arch, R 8150/47 (Reichsvereinigung der Juden). 602 Vgl. hierzu die Anzeigen der Versteigerer im VB des Jahres 1939. 603 Zu den emigrierten Familienmitgliedern vgl. Abschnitt „Privatmann, Geschäftsmann, Sammler". 604 Seit 2004 verfügt das Findbuch zum Bestand A Rep. 243-04 über einen Personenindex, in dem alle überlieferten Versteigerungen recherchiert werden können. 605 So beispielsweise Pucks, 1996, S. 387; Tafel, 1988, S. 33 und Teeuwisse, 1987, S. 22-24. 606 Auk.kat. Gemälde, Aquarelle, Handzeichnungen, Graphik, Kunstgewerbe, Plastik, durch Perl, am 26./27.2.1935. Zur Sammlung Littmann vgl. Heuß, 1998, Littmann, S. 23. 607 Saehrendt, 2005, S. 73.
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II. Der Kunsthandel
in Berlin
-1939
gab nur wenige Galeristen, die nach 1933 noch Ausstellungen mit avantgardistischer Kunst veranstalteten. 608 Zu diesen zählten Ferdinand Möller, Karl Buchholz und Karl Nierendorf. Letzterer zog sich ab Mitte 1938 in eine „,private' Arbeits- und Präsentationsweise" zurück und verkaufte seither moderne Kunst unter Minimierung des Risikos in einem kleinen Abstellraum größtenteils an alte Kunden der Galerie.609 Der erschwerte Umgang beim Verkauf moderner Kunstwerke ist daher als Grund anzusehen, wieso derart wenige solcher Objekte in Versteigerungen kamen. Am 1. September 1939 erklärte Deutschland Polen den Krieg. Obwohl unter dem Einfluss der kriegerischen Handlungen Veränderungen im deutschen Wirtschaftsleben erkennbar waren, stabilisierte sich der deutsche Auktionsmarkt bereits wenige Wochen nach Ausbruch des Krieges, und seine positive Entwicklung der vergangenen Jahre setzte sich fort. 610 Anders als während der Zeit des Ersten Weltkrieges führten die Kriegsauswirkungen nicht zu einem Erliegen des Kunstmarktes, der damals mit dem Ausverkauf des deutschen Marktes einherging. 611 Im Gegenteil: Trotz der Kriegshandlungen konnte für das Auktionsjahr 1939 eine günstige Bilanz gezogen werden. Obwohl der Gesamtumsatz aus Mangel an hochwertigen Angeboten leicht zurückging, lässt sich eine erhöhte Zahl von Kunstauktionen feststellen, bei denen gerade Kunstwerke mittlerer Qualität auf einem festen Preisniveau guten Absatz fanden.612 Darüber hinaus konnte rückblickend auf das Jahr konstatiert werden, dass im Gegensatz zu anderen europäischen Kunstmärkten das Interesse sowie die Preise vollkommen stabil blieben.613 Während in Ländern wie Belgien der Kunstmarkt seit Beginn des Krieges nahezu verschwunden war, nahm er in Deutschland schon nach kurzer Zeit seine gewohnte Tätigkeit wieder auf. Gerade die Versteigerungen, die kurz vor Weihnachten stattfanden, veranschaulichen, dass sich am bisherigen Bild des deutschen und speziell des Berliner Kunstmarktes nichts geändert hatte. Begehrt waren dabei - wie schon seit Jahren - die Werke niederländischer Kleinmeister des 17. Jahrhunderts und die deutschen Künstler des 19. Jahrhunderts, wobei sich die deutschen Romantiker zunehmender Beliebtheit erfreuten. Das erste Halbjahr, geprägt durch viele kleinere Auktionen, wies einige Versteigerungen auf, die ein größeres Interesse weckten. Auf dem Berliner Markt hob sich Anfang Februar die Auflösung einer deutschen Privatsammlung bei Lange ab, deren Kunstwerke von deut608 Ebd. S. 59-65, 69-73 und Walter-Ris, 2003, S. 203. 609 Walter-Ris, 2003, S. 209 und 262 f. Verkäufe im Geheimen sind auch für weitere Galerien und Privatsammler überliefert. So erwarb beispielsweise das Ehepaar Bernhard und Margrit Sprengel 1937 ihre ersten Aquarelle von Emil Nolde im „Hinterstübchen" des Münchener Graphischen Kabinetts Günther Franke. Vgl. Heinzelmann, 1999, S. 12. Und die engagierte Hamburger Sammlerin Martha Rauert bot Aquarelle von Karl Schmidt-Rottluff 1941 privat in ihrem Haus an, um dem Künstler eine Verkaufsmöglichkeit zu bieten. Vgl. Bruhns, 2001, Hamburger Sammlungen, S. 86. 610 Für das Folgende Deusch, 1941, S. 9 - 1 5 . 611 Anonym, Lebendiger deutscher Kunstmarkt, in: Weltkunst, 13.Jg., 26.11.1939, Nr. 46/47, S . l f . Vgl. dazu auch Göpel, 1939, S. 1 f. 612 Deusch, 1941, S. 10. 613 Für das Folgende Anonym, Rückschau und Ausblick 1939/40, in: Weltkunst, 14. Jg., 7.1.1939, Nr. 1/2, S . l f .
2. Kunstmarkt
und Kunsthandel
-1939
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sehen Künstlern des 19. Jahrhunderts zum Teil hervorragende Preise erzielten.614 Dazu gehörten Böcklins „Götter Griechenlands" mit 15.000 RM und Menzels „Schafgraben", der für das erstklassige Ergebnis von 41.000 RM den Eigentümer wechselte. Die meisten Preise bewegten sich auf hohem bis sehr hohem Niveau zwischen 2.000 und 8.000 RM. Auf ein ausgesprochenes Interesse stießen die Gemälde von Menzel, von dem 16 Arbeiten in der Kollektion vertreten waren. Obwohl im Katalog die Verkaufsumstände verschleiert wurden, indem als Auftraggeber ein Berliner Bankhaus auftrat, ist dank der jüngeren Forschung bekannt, dass es sich hierbei um die jüdische Sammlung von Alfred Sommerguth aus Berlin handelte.615 Die dort erzielten, für neuere Künstler sehr guten Resultate wurden auch im Rückblick der Weltkunst auf das Jahr 1939 erwähnt.616 Solche Ergebnisse waren Teil einer seit Jahren stattfindenden positiven Umwertung von deutschen Künstlern des 19. Jahrhunderts auf dem Kunstmarkt, welche die Nationalsozialisten forcierten.617 Diese Neubewertung war allerdings auch durch den Umstand bedingt, dass im Gegensatz zu einer gewissen Verknappung auf anderen Gebieten verhältnismäßig viele bedeutende Arbeiten an deutscher Malerei der neueren Zeit auf den Markt kamen, da der größte Teil der Gemälde in den Jahren zuvor im Land verblieben war. Zu den wichtigsten Ereignissen der Frühjahrssaison zählte die Versteigerung der Magdeburger Sammlung List bei Lange, deren Kunstgewerbe aus dem 13. bis 18.Jahrhundert nahezu eine museale Bandbreite aufwies.618 Aufgrund ihres außergewöhnlich hohen Niveaus, das der Sammlung Figdor vergleichbar war, belief sich das ausgezeichnete Gesamtresultat auf annähernd eine Million RM. Daran anschließend erfolgte der Verkauf von Möbeln und Kunstwerken aus der Sammlung des Baron von Stumm sowie aus anderem Besitz.619 Das Angebot bestand in italienischen und niederländischen Altmeistergemälden sowie Arbeiten neuerer deutscher Künstler. Die meisten alten Gemälde kosteten 1.000 bis 2.000 RM, einige wenige erzielten höhere Preise wie die beiden Tafeln „Erzengel Michael, Tobias mit dem Engel Raffael" von Neri di Bicci (4.500 RM). Der Großteil der neueren Kunstwerke bewegte sich preislich ebenfalls zwischen 1.000 und 2.000 RM; eine „Italienische Waldlandschaft" von Oswald Achenbach sowie „Bruder Kellermeister" von Grützner wurden für die höchsten Preise von 2.600 beziehungsweise 3.800 RM verkauft. Die hier 614 Auk.kat. Berliner Privatsammlung: Gemälde, Gouachen, Aquarelle und Handzeichnungen von Menzel; Gemälde deutscher Meister des 19.Jahrhunderts, durch Lange, am 7.2.1939. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 13.Jg., 19.2.1939, Nr. 7/8, S. 4 und ebd., 5.3.1939, Nr. 9, S. 5. 615 In der Internet-Datenbank www.lostart.de wird als Besitzer Regierungsrat Dr. Alfred Sommerguth aus Berlin genannt. Vgl. die Angaben zum erwähnten Menzel-Gemälde http://www.lostart. de/recherche/einzelobjekt.php3?lang=german&einzel_id=5000001279 [11.3.2005]. 616 Anonym, Rückschau und Ausblick 1939/40, in: Weltkunst, 14. Jg., 7.1.1940, Nr. 1/2, S. 1. 617 Anonym, Umwertung am Kunstmarkt, in: Weltkunst, 13. Jg., 12.3.1939, Nr. 10, S. 1 f. 618 Auk.kat. Sammlung List, Magdeburg, Europäisches Kunstgewerbe des 13.-18. Jahrhunderts, durch Lange, vom 28.-30.3.1939. Erwähnt bei Anonym, Sammlung List-Magdeburg, in: Weltkunst, 13. Jg., 19.3.1939, Nr. 11, S. 3. 619 Auk.kat. Gemälde, Möbel, Tapisserien aus dem Besitz Baron F. von Stumm, Schloss Holzhausen und aus anderem Besitz, durch Lange, am 30.3.1939. Erwähnt bei Anonym, Sammlung Baron F. von Stumm, in: Weltkunst, 13. Jg., 26.3.1939, Nr. 12, S. 3.
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II. Der Kunsthandel
in Berlin
-1939
gezahlten Preise waren hohe Summen, allerdings konnten nicht immer die Schätzpreise erzielt werden. Bei der überwiegenden Mehrheit der Gemälde handelte es sich um solche aus nichtjüdischem Besitz - ein Indiz dafür, dass die Nachfrage sich nicht mit dem Angebot deckte. Im Sommer kamen Kunstwerke aus verschiedenem Besitz bei Lange zur Versteigerung, deren Qualität im Vorfeld hervorgehoben wurde.620 Üblicherweise beklagte die Presse einen Mangel an hochwertigen Objekten, weswegen die Erwähnung von hervorragenden Arbeiten Aufmerksamkeit erregen musste. Tatsächlich verkauften sich die meisten dieser deutschen, niederländischen und italienischen Altmeisterwerke sehr gut, wobei in vielen Fällen die Schätzung sogar überboten wurde. Zu diesen zählten ein Triptychon von Cornells Engebrechtsz für 8.000 RM (Schätzpreis: 5.000 RM) und eine „Maria mit dem Kind" von Bernart van Orley für die exzellente Summe von 20.000 RM (Schätzpreis: 6.000 RM). 621 Die Herbstsaison begann aufgrund des Kriegsausbruches verspätet. Anfangs wurden daher einige Auktionen verschoben, aber bereits im November des Jahres stellte die Weltkunst zufrieden fest, dass es zu keinen wesentlichen Umsatzverschiebungen durch das Auftauchen neuer Käuferschichten gekommen war.622 Auch dies wurde als Zeichen für die Festigkeit und Sicherheit des Kunstmarktes gedeutet. In den Wochen vor Weihnachten fanden dann mit gewohnter Routine einige, so die Weltkunst, wichtige Auktionen statt, wie die Versteigerung der Sammlung des Bildnismalers Egon Kossuth bei Achenbach623, eine Wohnungseinrichtung mit Kunstwerken bei Harms 624 sowie eine bedeutende Gemäldesammlung mit erstrangigen Werken bei Lempertz in Köln.625 Auffallend bei der Nennung der Berliner Auktionen ist, dass sich diese nicht im Entferntesten mit der Versteigerung bei Lempertz messen ließen. Zwar sind keine Ergebnisse der beiden Berliner Auktionen überliefert, aber allein die Nennung eines unbedeutenden Künstlers wie Kossuth unter den wichtigen Auktionen Berlins im Vergleich zu der ausgezeichneten Gemäldeauktion bei Lempertz veranschaulicht dies.626 „Eine der letzten Versteigerungen des Jahres brachte in Köln [bei Lempertz] für Gemälde alter Meister außerordentlich günstige Ergebnisse: so 29.000 RM für ein Madonnenbild von Giambattista Tiepolo, [...], 18.000 RM für eine ,Ver620 Auk.kat. Gemälde und Kunstgewerbe aus einer bekannten Privatsammlung in Berlin-Wannsee und verschiedener Kunstbesitz, durch Lange, am 22./23.6.1939. Erwähnt bei Anonym, Auktionsvorschau, in: Weltkunst, 13. Jg., 11.6.1939, Nr. 22/23, S. 2. 621 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 13.Jg., 25.6.1939, Nr. 24/25, S. 7 und Nr. 26/27, S. 8. Die Schätzpreise sind dem Auktionskatalog in der Kunstbibliothek in Berlin entnommen. 622 Anonym, Lebendiger deutscher Kunstmarkt, in: Weltkunst, 13. Jg., 26.11.1939, Nr. 46/47, S.lf. 623 Nachlass und die künstlerische Inneneinrichtung des bekannten verstorbenen Bildnismalers Egon Kossuth, durch Achenbach, am 25.10.1939. Erwähnt bei Anonym, Versteigerungen in Deutschland, in: Weltkunst, 13. Jg., 15.10.1939, Nr. 40/41, S. 2. 624 Künstlerisches Ensemble der Wohnung Hohenzollerndamm 172, durch G. Harms, am 14.11. 1939. Erwähnt bei Anonym, Deutsche Versteigerungen, in: Weltkunst, 13. Jg., 12.11.1939, Nr. 44/ 45, S. 2. 625 Auk.kat. Gemälde alter Meister, Porzellan, Fayence, durch Lempertz, am 30.11.1939. Erwähnt bei Anonym, Deutsche Versteigerungen, in: Weltkunst, 13. Jg., 12.11.1939, Nr. 44/45, S. 2. 626 Die Ergebnisse der Berliner Versteigerungen wurden weder in der Weltkunst erwähnt noch sind die Protokolle im Landesarchiv Berlin überliefert.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
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lobung der hl. Katharina' von Moretto, [...], um nur, neben den außerordentlich festen Mittelpreisen, einige Spitzenstücke heraus[zu]greifen."627 Dieses exzellente Ergebnis auf dem Kölner Markt und die Tatsache, dass bei der Nennung von deutschlandweiten Versteigerungen kaum Berliner darunter waren, verdeutlicht wiederholt, dass Berlin seine Vorrangstellung im Auktionsgeschäft eingebüßt hatte.628 München, Wien, Köln, Düsseldorf, Bonn, Essen, Koblenz, Frankfurt und Wiesbaden nahmen dagegen beständig an Bedeutung zu.629 Diese Städte, mit Ausnahme von Wien, hatten sich in den vergangenen Jahrzehnten aus ihrem Schattendasein gegenüber Berlin herausgearbeitet. Vor 1900 zählten sie gemeinsam mit Berlin noch zu den wichtigen deutschen Auktionsplätzen, bis Berlin um 1900 vor diesen Städten den ersten Rang eingenommen hatte.630 Nun erwies sich, dass insbesondere das Rheinland aufgrund seiner Tradition als Sammlerstätte auf einen vielfältigen Kunsthandel verweisen konnte. Bezeichnend für die Situation in Berlin war, dass einst tonangebende Auktionshäuser wie Lepke zunehmend bedeutungslos wurden. In einem Inserat in der Weltkunst teilte Krüger, der Inhaber der Firma, die Verlegung seines Auktionshauses von der Potsdamer Straße zum Großadmiral-von-Koester-Ufer 61, heute Schöneberger Ufer, mit.631 Dies war aufgrund der Neugestaltung Berlins notwendig geworden. Dem staatlichen Druck musste allein im Jahr 1939 eine Reihe von Kunsthandlungen und Auktionshäuser weichen. In der Weltkunst konnten mithilfe von Inseraten 14 Geschäftsverlegungen verzeichnet werden. Zu den Häusern, die mit Gemälden handelten, zählten die Geschäfte von Eduard Plietzsch, Karl Haberstock, Paul Roemer, Fritz Seiler, Herbert Leyendecker sowie Carl Nicolai.632 Auch das Auktionshaus Union musste aufgrund dieser Pläne von der Tiergartenstraße in die Rankestraße 5 umziehen.633 Der erzwungene Umzug scheint im Fall Lepke die Geschäftstätigkeit stark beeinträchtigt zu haben. Zwar erschien das Haus noch im Juli 1939 in einer Anzeige der bekanntesten deutschen Kunstversteigerer, aber bereits im Dezember fehlte es in der Auflistung.634 Zu den führenden deutschen Auktionshäusern in Berlin gehörten demnach Dr. Walther Achenbach, Alfred Berkhan, Gerhard Harms, Hans W. Lange, Reinhold Puppel und Union. Von diesen versteigerte jedoch nur Lange vornehmlich Gemälde; die ande627 Ergebnisse vgl. Anonym, Rückschau und Ausblick 1939/40, in: 'Weltkunst, 14. Jg., 7.1.1940, Nr. 1/2, S.lf. 628 Anonym, Rückblick und Ausschau 1938, in: Weltkunst, 14. Jg., 8.1.1939, Nr. 1/2, S. lf. und Anonym, Versteigerungen in Deutschland, in: Weltkunst, 13. Jg., 26.11.1939, Nr. 46/47, S. 3. 629 Anonym, Kunstwerke aus dem westdeutschen Handel, in: Weltkunst, 13.Jg., 25.6.1939, Nr. 24/ 25, S.lf. 630 Vgl. Abschnitt „Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik". 631 Anzeige in: Weltkunst, 13. Jg., 7.5.1939, Nr. 18, S. 5. 632 Anzeigen der jeweiligen Geschäfte in: Weltkunst, 13. Jg., 22.1.1939, Nr. 3/4, S. 4; ebd., 10.12.1939, Nr. 48/49, S. 2; ebd., 30.4.1939, Nr. 17, S. 1; ebd., 7.5.1939, Nr. 18, S. 1; ebd., 28.5.1939, Nr. 21, S. 2 und ebd., 9.7.1939, Nr. 26/27, S. 5. 633 Mitteilung zur Verlegung des Geschäfts zum 1.10.1939 in die Rankestraße 5. Spik an das A G Charlottenburg, Berlin, 27.9.1939. Vgl. Handelsregister H R A 6306, Sonderband, in: A G Charlottenburg, Akte Union Leo Spik, Bl. 16. 634 Anzeige in: Weltkunst, 13. Jg., 9.7.1939, Nr. 26/27, S. 11 und Anzeige in: ebd., 10.12.1939, Nr. 48/ 49, S. 8.
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II. Der Kunsthandel in Berlin
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ren führten in erster Linie Wohnungsauflösungen durch. Das Auktionshaus Lepke veranstaltete offenbar nur noch in eingeschränktem Rahmen Versteigerungen, denn zum einen schaltete Krüger kaum noch Zeitungsanzeigen - für 1939 lässt sich eine solche erstmals im Dezember nachweisen635 - zum anderen ließ er ab Anfang des Jahres keine Auktionskataloge mehr drucken.636 Dennoch agierte er auch während der Kriegsjahre weiter als Kunsthändler; so war er beispielsweise als Sachverständiger für die Devisenstellen des Deutschen Reiches und als Vermittler für Hermann Voss,637 dem Direktor der Dresdner Gemäldegalerie und gleichzeitigen Leiter des „Sonderauftrages Linz", unregelmäßig tätig.638 Für die anderen Berliner Auktionshäuser, die von der Weltkunst erwähnt wurden und deren Protokolle zum Teil im Landesarchiv überliefert sind, lässt sich ein ähnliches Bild wie schon in den Jahren zuvor zeichnen: Ihr Hauptsegment galt der Versteigerung gehobenerer Einrichtungsgegenstände. Der Versteigerer Gerhard Harms annoncierte seit 1939 ganz explizit, dass er sich auf die „Übernahme von Villen- und Wohnungseinrichtungen sowie Nachlässen zur Versteigerung" spezialisiert hatte.639 Kunstobjekte betrafen dabei in der Regel Schmuck, Kunstgewerbe und Kleinkunst. Gemälde waren selten im Angebot und wenn, dann handelte es sich um wenig bedeutende Arbeiten, die zu außerordentlich geringen Preisen verkauft wurden. Bereicherung des Deutschen Reiches durch die Vertreibung der jüdischen
Bevölkerung
Aufgrund der verschärften NS-Gesetzgebung gegenüber der jüdischen Bevölkerung verließen viele Juden Deutschland. Bis 1938 befürwortete der Staat noch die Auswanderung von ausreisewilligen Juden, wobei er deren Vermögen für das Deutsche Reich einbehielt, denn sie konnten erst nach Zahlung einer „Reichsfluchtsteuer" das Land verlassen.640 Um die Ausreise zu finanzieren, waren die Emigranten daher gezwungen, ihr Eigentum zu liquidieren. Dies erfolgte zumeist durch Versteigerungen, was an der erhöhten Anzahl abzulesen war. Bis zur Pogromnacht war es Juden erlaubt, einen Teil ihrer Habe mitzunehmen. Danach wurde dagegen mit dem Gesetz über die Devisenbewirtschaftung vom 12. Dezember 1938 eine Genehmigungspflicht für die Mitnahme sämtlicher Umzugsgüter, zu denen auch Kunstwerke zählten, eingeführt.641 Mit diesem und weiteren Gesetzen war es Juden fortan nicht mehr möglich, Kunst- oder andere Wertgegenstände mitzunehmen. Die Durchführungsverordnung zur Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom
635 Anzeige in: Weltkunst,
13. Jg., 10.12.1939, Nr. 48/49, S. 6.
636 Dafür erfolgte die Überprüfung diverser Bibliotheken, die über eine große Anzahl an Berliner Auktionskatalogen verfügen wie die Kunstbibliothek in Berlin, das Haberstock-Archiv in Augsburg sowie die Bibliothek des Landesmuseums in Münster. 637 Zu Voss vgl. die jüngsten Arbeiten von Lohr, 2005, S. 5 0 - 6 4 und Schwarz, 2004, S. 6 0 - 6 7 . 638 In einem undatierten Verzeichnis der Devisenstellen ist Krüger als Sachverständiger verzeichnet. Vgl. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, O F P Thüringen in Rudolstadt - 693, Bl. 85-90; Kopien des Dokuments befinden sich im BArch, R 139 II/l 10. Zur Tätigkeit für Dresden vgl. den Brief von Krüger an Voss, Berlin, 15.1.1945. Vgl. BArch, B323/138, L F XIXa/44/260. 639 Anzeige in: Weltkunst,
13. Jg., 25.6.1939, Nr. 24/25, S. 9.
640 Vgl. dazu die juristischen Ausführungen bei Rudolph, 2003, S. 326-330. 641 Gesetz über die Devisenbewirtschaftung vom 12.12.1938. Vgl. RGBL, 1938, 1, S. 1733.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
-1939
125
16. Januar 1939 „regelte" die Zuständigkeit von Behörden für den Verkauf von jüdischem Besitz, seien es Grundstücke, Schmuck oder eben Kunstwerke.642 Vorgesehen war eine öffentliche Ankaufsstelle für Kulturgut, die in Berlin eingerichtet werden sollte. Dort sollten Gegenstände aus jüdischem Besitz, deren Wert über 1.000 RM lag, veräußert werden.643 Es dauerte allerdings noch mehr als zwei Jahre, ehe die Reichskammer der bildenden Künste zur Ankaufsstelle erklärt wurde. Die Mitnahme von Kunstwerken bei der Emigration wurde in dem Runderlass Nr. 49/39 des Reichswirtschaftsministers vom 17. April 1939 noch präzisiert.644 Darin war ein Mitnahmeverbot für diejenigen Werke festgelegt, deren Verkauf ins Ausland nach der Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken vom 11. Dezember 1919 untersagt war.645 Mit dem Runderlass sollte verhindert werden, dass Juden bei ihrer Auswanderung wertvolle Kunstwerke, speziell deutsches Kulturgut, ins Ausland mitnahmen. Für die Freigabe von Umzugsgut jüdischer Emigranten stellten daher die zuständigen Devisenstellen Sachverständige als Gutachter zur Verfügung, die den Wert der Kunstgegenstände festlegten.646 Dabei bezog sich die Wertermittlung nicht nur auf Kunstwerke von ausreisewilligen Juden, sondern von Juden ganz allgemein. Für die Bearbeitung der Aufgabe erhielten die Gutachter eine Abschrift der von den Juden erstellten Vermögensverzeichnisse, deren Ergebnisse sie der Devisenstelle mitteilen mussten. Zur weiteren Überwachung der jüdischen Bevölkerung und damit gleichzeitig zur Entziehung des Vermögens ordnete der Reichsminister des Innern die Erstellung einer Volkskartei an, die alle Einwohner des Deutschen Reiches im Alter zwischen fünf und 70 Jahren erfassen sollte.647 Laut dieser Statistik lebte 1939 in der Reichshauptstadt Berlin nur noch die Hälfte der 1933 hier gezählten jüdischen Bürger.648 Auch Robert Graetz und seine Familienangehörigen, die noch im Deutschen Reich wohnten, sind in der Volkskartei zu finden.649 Zur Beschleunigung der Auswanderung von Juden erließen die Nationalsozialisten im Jahr 1939 eine Vielzahl von Gesetzen und Erlassen. Darin wurden Ausreisemodalitäten ebenso geregelt wie die bereits erwähnte Mitnahme von Umzugsgut und die Zahlung von fälligen Steuern. Beispielsweise sah der Runderlass des Reichsministers des Inneren vom 25. Februar 1939 vor, von wohlhabenden jüdischen Emigranten eine zusätzliche Auswande-
642 Durchführungsverordnung zur Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 16.1.1939. Vgl. RGBL, 1939,1, S. 37. 643 Zur Judenvermögensabgabe vom 31.1.1939 vgl. RStBl., 1939, S. 246 ff. 644 Hauptstaatsarchiv Dresden, 11177, Oberfinanzpräsident Dresden, Nr. 530. 645 Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken vom 11.12.1919. Vgl. RGBl., 1919,1, S. 1961. Die Ausfuhrgenehmigung betraf diejenigen Werke, die in das Verzeichnis von national wertvollem Kulturgut eingetragen waren. 646 Vgl. zu den Praktiken der Devisenstellen für das Folgende Rudolph, 2003, S. 327 und Heuß, 1998, Reichskulturkammer, S. 54 f.
647 DWEV, 1939, S. 79f.
648 Nach der Zählung im Juni 1933 lebten in Berlin 160.000 Juden; 1939 waren es nach „Rassekriterien" nur noch 82.457 und nach Religionskriterien 78.713 Juden. Vgl. Behördenmaßnahmen, 1996, S. 66. 649 BArch, Ergänzungskarten der Volkszählung vom 17.5.1939.
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II. Der Kunsthandel
in Berlin
-1939
rungssteuer zu erheben, um damit bedürftigen Juden die Auswanderung zu ermöglichen.650 Denselben Zweck zur Förderung der jüdischen Emigration hatte auch die Zehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4. Juli 1939, wonach alle Juden Zwangsmitglieder der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" werden mussten.651 Neben der weiter einengenden Überwachung der jüdischen Bevölkerung war es Aufgabe der Reichsvereinigung, die Auswandererabgabe einzuziehen. Diese wurde für das Jahr 1940 erhöht.652 Gleiches galt im Übrigen auch für die Zahlung der „Sühneleistung der Juden", die diese im Anschluss an die Pogromnacht zunächst in Höhe von 20 Prozent ihres Vermögens und ab dem 15. November 1939 in Höhe von 25 Prozent an das Deutsche Reich zahlen mussten.653 Die Möglichkeit für Juden, überhaupt noch Vermögen oder Wertgegenstände mit ins Ausland zu nehmen, wurde mit jeder Verordnung geringer. Ende 1939 erließ die Regierung, dass Juden auf ein Vermögen von über 10.000 RM eine Abgabe zwischen 10 bis 60 Prozent zahlen mussten.654 Selbst einst reiche jüdische Bürger verarmten durch die von der nationalsozialistischen Regierung immer neu erlassenen Abgaben und Steuern. Aber auch nach Zahlung der verschiedenen Steuern konnten Juden in der Regel nicht ihr restliches Vermögen mitnehmen, vor allem weil es sich häufig um Immobilien und Grundstücke handelte. In diesen Fällen fiel ihr gesamter Besitz nach der Emigration an das Deutsche Reich. Auf den durch die Auswanderungen veranlassten Auktionen wurden vorwiegend Objekte von mittlerer Qualität und Wohnungseinrichtungen versteigert. Da die Ankaufsstelle in die Auswanderung von Juden involviert war, sind offenbar die Spitzenwerke nicht auf Auktionen, sondern über freie Händler verkauft worden. Anderenfalls wären sie mit großer Wahrscheinlichkeit in der einschlägigen Presse genannt worden. Für diese Vermutung spricht auch der Umstand, dass die RdbK wiederholt in der Weltkunst darauf aufmerksam machte, dass nur Mitglieder der Kammer berechtigt waren, im Kulturbereich tätig zu sein.655 Mit diesem Appell waren jüdische Kunsthändler gemeint, die immer noch inoffiziell mit Kunst handelten. Durch Maßnahmen, wie das Nennen ausgeschlossener Kammermitglieder im Mitteilungsblatt sollte die Überwachung dieser Kunsthändler noch effektiver unterstützt werden. Das wiederholte Publizieren von Aufrufen, dass nur Mitglieder zur Tätigkeit als Kunsthändler berechtigt waren, sowie die Nennung von gesuchten Mitgliedern der RdbK, die unbekannt verzogen waren, verdeutlicht aber auch die Ohnmacht der Reichskulturkammer, den Kunsthandel vollständig zu kontrollieren.656
650 Runderlass des Reichsministers des Inneren vom 25.2.1939. V g l . J N B L , 3.3.1939, S. 1. 651 Zehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4.7.1939. Vgl. RGBl, 1939,1, S. 1097f. 652 Runderlass des Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei vom 18.12.1939. Vgl. DGT, 1-2-6/1, Bd. 2. Zit. nach Walk, 1996, S. 313. 653 Zweite Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Sühneleistung vom 19.10.1939. Vgl. RGBL, 1939,1, S. 2059. 654 Auswanderer-Abgabe-Verordnung der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland vom Dezember 1939/Januar 1940. V g l . J N B l . , 2.2.1940. 655 Anonym, Nachrichten von Überall, in: Weltkunst, 13. Jg., 30.4.1939, Nr. 17, S. 4. 656 Beispiele f ü r Suchlisten vgl. Anonym, Mitgliedschaft in der Reichskammer der bildenden Künste, in: Mbl. RdbK, 4. Jg., 1.4.1939, H. 4., S. 2 und Anonym, Suchliste unbekannt verzogener Kammermitglieder, in: ebd., 1.6.1939, H. 6, S. 15 f.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel Massiver Preisanstieg auf dem Kunstmarkt:
-1940
127
1940-1943
Trotz des Krieges hatte das Volumen an Kunstwerken auf dem deutschen Kunstmarkt im Verlauf des Jahres 1940 bedeutend zugenommen. 6 5 7 Die anfängliche kriegsbedingte Zurückhaltung im Kunsthandel war in eine außerordentliche Kauflust umgeschlagen. Auch das Interesse für zeitgenössische Kunst war erheblich gestiegen, da auf den „Großen Deutschen Kunstausstellungen", die alljährlich in München stattfanden, für diese geworben wurde. Eine Rolle spielte bei dieser Entwicklung der Umstand, dass in vielen Kreisen wieder Mittel in Kunstwerken angelegt wurden, die in den Jahren zuvor eher für äußerliche Luxusangelegenheiten des Lebens ausgegeben worden waren. Die offizielle Publizistik thematisierte die erfreuliche Belebung des Kunsthandels, lehnte es aber ab, zu diesem Zeitpunkt von einer „Flucht in die Sachwerte" zu sprechen, wie dies während des Ersten Weltkrieges der Fall gewesen war. 658 D e r Sicherheitsdienst der Nationalsozialisten, der den deutschen wie den ausländischen Kunstmarkt beobachtete, berichtete dagegen in den geheimen „Meldungen aus dem Reich" ( M A D R ) von einer „ausgesprochene[n] Flucht in die Sachwerte". 6 5 9 Die zunehmende Kaufkraft, so der Bericht, sei durch einen Mangel an anderem Material während des Krieges bedingt, so dass die Käufer ihr Geld in Kunstgegenständen anlegten, worin diese eine besonders krisenfeste Anlage sahen. Das vermehrte Kaufen führte vor allem in der zweiten Jahreshälfte zu stark anziehenden Preisen auf dem Kunstmarkt. Diese Entwicklung wurde mit einer gewissen Besorgnis aufgenommen, erinnerte sie doch an die Zustände während des Ersten Weltkrieges, als die Summen für Kunstwerke in ungeahnte Höhen schnellten. 660 Begonnen hatte dies Anfang 1940 mit dem Verkauf des Gemäldes „Landschaft mit berittenen Jägern und zahlreichen Bauern" von Wilhelm von Kobell in Köln, das auf 8.000 R M geschätzt worden war und bei 40.000 R M den Zuschlag erhielt. 661 Auf der Länge-Auktion im Januar in Berlin zahlte der Käufer zwar nicht solch einen spektakulären Preis wie in Köln, dennoch waren die 25.000 R M für das Werk eines neueren Meisters außergewöhnlich hoch: Grützners „Im Klosteratelier" kostete so viel wie normalerweise höchstens ein Altmeisterwerk. 6 6 2 Dabei ergab die Untersuchung der Listen mit Schätzpreisen, dass diese durchaus im normalen
657 Für das Folgende Anonym, Rückblick und Ausblick 1940-41, in: Weltkunst, 15.Jg., 5.1.1941, Nr. 1/2, S.lf. sowie Anonym, Deutsche Auktionssaison, in: Weltkunst, 14.Jg., 10.11.1940, Nr. 46/47, S. 1-3. 658 Deusch, 1941, S. 10. 659 Anonym, Zur Lage im deutschen Kunsthandel, Nr. 92 vom 30.5.1940, S. 1193-1195, hier: S. 1193, in: MADR, 1938-1945, Bd. 4, Nr. 92 vom 30.5.1940. 660 Anonym, Zur Lage am Auktionsmarkt, in: Weltkunst, 14. Jg., 18.2.1940, Nr. 7/8, S. 1 f. 661 Auk.kat. Nachlass Frau Helene Tepelmann, geb. Vieweg, auf Schloss Wendhausen, durch Lempertz, am 1./2.2.1940. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 14.Jg., 18.2.1940, Nr. 7/8, S. 2. In der Nachbesprechung der Auktion hieß es 46.000 RM, weil dort der Preis mit der Provision angegeben war. Vgl. Anonym, Zur Lage am Auktionsmarkt, in: Weltkunst, 14. Jg., 18.2. 1940, Nr. 7/8, S. 1. 662 Auk.kat. Sammlung List, Magdeburg, 2. Teil; Chinasammlung Prof. Wegener, Berlin; verschiedener Kunstbesitz, durch Lange, vom 25.-27.1.1940. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 14. Jg., 4.2.1940, Nr. 5/6, S. 2.
128
II. Der Kunsthandel in Berlin -1940
Bereich lagen. Die außergewöhnlich hohen Erlöse kamen zustande, weil die Kaufinteressierten die Schätzpreise auf den Auktionen teilweise um das Drei- bis Vierfache überboten. Für den Einzelfall hatte eine derartige Wertschätzung zwar ihre Berechtigung, problematisch wurde es jedoch, wenn sich solche überhöhten Preise im Eifer der Versteigerung auf das gesamte Angebot übertrugen. Denn selbstverständlich waren nicht alle Gemälde von Kobell oder Grützner fortan mehrere zehntausend Reichsmark wert, nur weil eines ihrer Bilder zu solchen Preisen verkauft worden war. Zeitgenössische Kritiker sahen in der Preisgestaltung zudem die Gefahr, dass sich aus dem Ungleichgewicht zwischen Auktionsmarkt und freiem Handel Spannungen ergeben, die sich negativ auf den deutschen Kunstmarkt auswirken konnten. 663 Diese Argumentation war nicht neu, denn sie zog sich seit Jahren durch die Publikationen zum Kunstmarkt. Tatsächlich deutete die Entwicklung auf enorm ansteigende Preise in den darauffolgenden Jahren hin. Dies ließ vermuten, dass die Sammlerbreite abnahm, da nur noch wenige Interessierte am Erwerb von Kunstwerken teilhaben konnten. Aber gerade um die kleinen Sammler warb die NS-Regierung. Überlegungen des Staates gingen dahin, wie Kunsthändler „beeinflußt oder gezwungen werden können, ihre vordringlichste Aufgabe darin zu sehen, [...] verantwortliche Vermittler zwischen Künstler und Volk zu sein." 664 Allerdings beobachtete die Regierung auch mit Besorgnis den zunehmenden Handel mit Kitschobjekten, welche die Kunstabteilungen in Kaufhäusern anboten. Auch etablierte Kunsthandlungen mussten sich diesem Trend fügen, um konkurrenzfähig zu bleiben. 665 U m die seit Anfang 1940 einsetzende Preisentwicklung unter Kontrolle zu bekommen, hatte die Reichsregierung daher im Herbst des Jahres einen Erlass über die Preisbildung bei Versteigerungen verabschiedet. 666 Dieser sah vor, dass für Kunstgegenstände, für die reine Liebhaberwerte maßgebend waren, der Zuschlag auch zu einem höheren als dem vermutlichen Stopppreis erfolgen durfte. Voraussetzung dafür war das Einwirken der Versteigerer auf das Unterbleiben von Preisüberschreitungen. Bei offensichtlich überhöhten Geboten, die den tatsächlichen Wert des zur Versteigerung gebrachten Gegenstandes überschritten, waren die Versteigerer durch den Reichskommissar für Preisbildung angewiesen worden, das weitere Bieten durch rechtzeitigen Zuschlag zu einem angemessenen Gebot zu beenden. Denjenigen Kunsthändlern, die sich dieser Weisung widersetzten, konnte die weitere Tätigkeit untersagt werden. 667 Die Schuld an sensationellen Erlösen sahen die Kritiker jedoch nicht beim Versteigerer, sondern bei den unerfahrenen Sammlern, die aufgrund ihrer Unkenntnis bereit waren, viel zu hohe Preise zu zahlen, denn die Schätzpreise lagen häufig wesentlich darunter. 668 Die Entwicklung überwachte auch der Sicherheitsdienst. So berichtete dieser mit Erstaunen, aber auch mit einer gewissen Beunruhigung darüber, dass auf 663 664 665 666
Anonym, Zur Lage am Auktionsmarkt, in: Weltkunst, 14. Jg., 18.2.1940, Nr. 7/8, S. 1. MADR, 1938-1945, Bd. 4, Nr. 92 vom 30.5.1940, S. 1195. Ebd., S. 1194. Anonym, Liebhaberpreise und Preisstop bei Versteigerungen, in: Weltkunst, 14. Jg., 15.9.1940, Nr. 38/39, S. l f . 667 Gesetz zur Durchführung des Vierjahresplanes - Bestellung eines Reichskommissars für die Preisbildung - vom 29.10.1936. Vgl. RGBL, 1936,1, S. 927, § 4 Abs. 3. 668 Anonym, Zur Lage am Auktionsmarkt, in: Weltkunst, 14. Jg., 18.2.1940, Nr. 7/8, S. 1 f.
2. Kunstmarkt
und Kunsthandel
-1940
129
„Kunstversteigerungen mit Werken aus jüdischem Privatbesitz [...] oft das Doppelte oder Mehrfache [...] des angesetzten Schätzwertes erzielt" wurde.669 Über derartige sensationelle Kunstversteigerungen hätten Sammler bereits von einer leichten Inflationsangst gesprochen. Aus heutiger Sicht ist erkennbar, dass sich inflationäre Anzeichen häuften. Hitler hatte seit seinem Machtantritt enorme Summen zur Aufrüstung des Deutschen Reiches aufgewendet, die zu einer immensen Ausgabenexplosion in der Haushaltsentwicklung geführt hatten.670 Um einer Inflation entgegenzuwirken, hatten die Nationalsozialisten bereits 1936 auf allen Wirtschaftsgebieten einen allgemeinen Preisstopp eingeführt, der nur in Ausnahmefällen aufgehoben werden durfte.671 Der Kunstmarkt unterlag solchen Preisbindungen jedoch nicht. 1938 war ein Lohnstopp gefolgt. Die strenge Kontrolle von Preisen und Löhnen hatte den Lenkungsmechanismus für Angebot und Nachfrage einer freien Volkswirtschaft außer Kraft gesetzt und damit die bisherige Marktwirtschaft durch eine zentrale staatliche Lenkung und Verwaltung ersetzt.672 Direkt bei Kriegsausbruch kam es zur Zweiten Kriegswirtschaftsverordnung vom 12. Oktober 1939.673 Durch die staatlich verordneten Preiskontrollen blieb die offizielle Teuerungsrate im Krieg daher trotz der beachtlichen Geldvermehrung niedrig.674 Es entstand ein ständig größer werdender Geldüberhang, dem keine Ware gegenüberstand, wodurch auch der Schwarzmarkt florieren konnte. Aufgrund der so genannten „zurückgestauten Inflation" musste die Bevölkerung Teile ihres Einkommens zwangsweise sparen, da sie das Geld nicht für die knappen Güter ausgeben konnte. Ein Ventil für den rasch zugenommenen Bargeldumlauf bot in der reglementierten Wirtschaft beispielsweise der Kunsthandel. Er konnte bis zu seiner Einstellung im Jahr 1944 marktwirtschaftlich agieren und unterlag bis zu diesem Zeitpunkt keinem Preisstopp, obgleich es Bestrebungen gab, die seit 1940 eklatanten Preissteigerungen bei Kunstwerken zu unterbinden, was jedoch nicht erreicht wurde. Der Berliner Kunstmarkt wurde sowohl in der Frühjahrs- als auch in der Herbstsaison von den Versteigerungen des Auktionshauses H.W. Lange dominiert. Begünstigt wurde diese starke Präsenz durch die besondere Rolle, die der Inhaber des Auktionshauses, Hans W. Lange, bei der Ausplünderung jüdischer Kunstsammlungen spielte, denn die Finanzbehörden übergaben Kulturgüter, die sie im Zuge der Entziehung von jüdischen Vermögen übernommen hatten, vorzugsweise in dessen Auktionshaus zur Versteigerung.675 Diese Zusammenarbeit zwischen dem Auktionshaus und den Finanzbehörden wurde sogar in einem Erlass des Reichsfinanzministeriums vom 15. November 1940 festgelegt.676 Das Angebot auf den Auktionen von Lange im Jahr 1940 bestand dabei vorwiegend in niederländischen Gemälden des 17. und deutschen des 19. Jahrhunderts sowie vereinzelt in alt669 670 671 672 673 674 675 676
MADR, 1938-1945, Bd. 4, Nr. 92 vom 30.5.1940, S. 1195. Für das Folgende Boelcke, 1993, S. 101-103. Gaettens, 1956, S. 285 f. Sprenger, 2002, S. 225 f. Michalka, 1985, Bd. II, S. 273. Für das Folgende Sprenger, 2002, S. 228. Heuß, 1998, Reichskulturkammer, S. 52. Erlass des Reichsfinanzministeriums vom 15.11.1940. Vgl. BArch, R 2/32065.
130
II. Der Kunsthandel
in Berlin
-1940
meisterlichen Werken. Die Preise bewegten sich deutlich über denen vom Vorjahr. Die niederländischen Gemälde der Berliner Sammlung Zorer erbrachten im April bei Lange in zahlreichen Fällen Summen von 5.000 RM; die „Landschaft mit Bauernhaus" von Jacob van Ruisdael konnte sogar für die ungewöhnlich hohe Summe von 35.000 RM versteigert werden - ein Erlös, der für vergleichbare Werke im Vorjahr bei weitem nicht erreicht worden war.677 Auch die Werke der neueren Künstler wurden teuer verkauft, so Menzels Gouache „Rüstungen" für 20.000 RM und Defreggers „Zitherspielerin" für 21.000 RM. Im Verlauf des Auktionsjahres war es überhaupt keine Seltenheit, dass Arbeiten des 19. Jahrhunderts für über 6.000/7.000 RM und niederländische Kunstwerke für mehr als 10.000 RM verkauft wurden. Genannt seien beispielsweise von den neueren Künstlern Oswald Achenbachs „Campagnalandschaft" für 7.000 RM im Juni 678 und Feuerbachs „Mädchenbildnis" für 6.600 RM im Oktober679 sowie von den niederländischen Altmeistern David Teniers* „Bauern vor einem Wirtshaus" für 15.000 RM im Juni 680 und Isaak van Ostades „Dorfkrug" für 14.500 RM im Oktober681, alle bei Lange. Die meistbeachtete Versteigerung in Berlin war die eines ausgesprochen wertvollen und reichhaltigen Kunstbesitzes von Gemälden der holländischen Schulen des 17. Jahrhunderts, sowie deutscher, altniederländischer und italienischer Künstler im Dezember, ebenfalls bei Lange.682 Ein so umfangreicher Bestand an holländischen Gemälden war seit der Auktion der Sammlung Stroefer im Jahre 1937 nicht mehr auf einem deutschen Auktionsmarkt gelangt, wenn auch die ganz großen Namen wie Rembrandt fehlten.683 Das Angebot zeichnete sich durch erstklassige Provenienzen aus, die sich auch in den Preisen niederschlugen. Diese bewegten sich nahezu durchgehend auf einem hohen Niveau zwischen 5.000 und 10.000 RM, häufig sogar auf sehr hohen - über 10.000 RM - und auf ausgezeichnetem Niveau - über 20.0000 RM. Die hier genannten Maßstäbe für die Bewertung von Werken alter Meister wurden aufgrund der untersuchten Preise ab 1940 neu definiert, da sich die bisherigen Wertmaßstäbe deutlich
677 Auk.kat. Sammlung Wolfgang Zorer (verstr.), Berlin, verschiedener Kunstbesitz, durch Lange, am 5./6.4.1940. Erwähnt bei Anonym, Versteigerung in Berlin, in: Weltkunst, 14. Jg., 31.3.1940, Nr. 13/14, S. 2f. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 14. Jg., 28.4.1940, Nr. 17/ 18, S. 2 und ebd., 12.5.1940, Nr. 19/20, S. 3. 678 Auk.kat. Verschiedener Kunstbesitz; Die kunstgewerblichen Bestände der Firma E. Kahlert & Sohn, i.L., Berlin; Chinasammlung O., Bremen, durch Lange, vom 18.-20.6.1940. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 14. Jg., 23.6.1940, Nr. 25/26, S. 2. 679 Auk.kat. Gemälde des 19. Jahrhunderts aus verschiedenem Kunstbesitz, darunter die Sammlung Dr. F., Elbing, durch Lange, am 18.10.1940. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 14. Jg., 10.11.1940, Nr. 46/47, S. 5. 680 Auk.kat. Lange, vom 18.-20.6.1940. 681 Auk.kat. Sammlung Schloss Tutzing, Starnberger See; Verschiedener Kunstbesitz, durch Lange, am 18./19.10.1940. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 14.Jg., 27.10.1940, Nr. 44/45, S. 2. 682 Auk.kat. 220 Gemälde alter Meister, Mobiliar der Spätgotik und der Renaissance, Skulpturen, kleinasiatische Knüpfteppiche, durch Lange, am 3./4.12.1940. 683 Bernt, 1940 sowie Anonym, Deutsche Auktionssaison, in: Weltkunst, 14.Jg., 10.11.1940, Nr. 46/47, S. 1-3.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel -1940
131
verschoben hatten. 684 Hoch bezahlten die Käufer beispielsweise Landschaften von Frans de Momper, Isaac van Ostade und Aert van der Neer, sehr hoch Ruisdaels „Norwegische Gebirgslandschaft" (15.000 RM) und Terborchs „Dachkammer" (17.000 R M ) und ausgezeichnet Steens „Flucht nach Ägypten" (24.000 RM) sowie Teniers' „Viehmarkt" (28.000 RM). 6 8 5 Den höchsten Erlös für einen niederländischen Meister in der Auktion und auf dem Berliner Kunstmarkt allgemein erbrachte eine Landschaftsdarstellung von van Goyen (47.000 RM). Mit den hier genannten Länge-Auktionen gehörte der Berliner wieder zu den bedeutenden deutschen Kunstmärkten. Vergleichbar war das Berliner Angebot etwa mit dem in Köln, dessen Versteigerungen ebenfalls zu den reichsweit wichtigsten zählten. Erwähnt sei die dort abgehaltene Auktion aus dem Nachlass von Helene Tepelmann, auf der eine Fülle von Meisterwerken niederländischer, italienischer und deutscher Malerei des 15. bis 18. Jahrhunderts zum Aufruf kam. 686 Seinerzeit war die Sammlung unter der Mitwirkung von Wilhelm von Bode zusammengetragen worden. Unter den Gemälden, die sehr hohe und teilweise exzellente Summen erzielten, befand sich auch die Landschaft von Kobell, die im Rückblick auf das Auktionsjahr aufgrund ihrer einmalig hohen Summe für einen neueren Künstler für Furore gesorgt hatte. 687 Bei den weiteren Berliner Auktionshäusern fällt auf, dass sie neben dem üblichen Angebot von Einrichtungs- und Haushaltsgegenständen auch teilweise Kunstbesitz von beträchtlichem Wert zum Verkauf brachten, was in den Jahren zuvor nicht der Fall gewesen war. 688 Von den neun nachweisbaren Auktionen bei Achenbach wurde beispielsweise im März eine Villeneinrichtung mit Kunstbesitz versteigert, die für Gemälde Preise bis zu 10.500 R M („Hirte mit Herde" von Friedrich Voltz) erzielten. 689 Zudem versteigerte dieselbe Firma im Juli eine exquisite Villeneinrichtung mit Kunstbesitz, für die eine Extraausgabe der Weltkunst die bevorstehende Auktion bewarb. Diese ungewöhnliche Werbemaßnahme verdeutlicht, dass Achenbach sich neben den reinen Wohnungsauflösungen und dem damit verbundenen Angebot von häufig wenig wertvollen Kunstwerken auch als Kunstversteigerer verstand. Der hier zur Versteigerung gebrachte geschlossene Besitz umfasste Stilmöbel, 684 Vgl. bezüglich der bisherigen Wertmaßstäbe die Ausführungen der Jahre 1933-1939. Übersicht über die Bewertung der Preise für 1940. Vgl. im Anhang Tabellen 4—7. 685 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 14. Jg., 8.12.1940, Nr. 50/51, S. 2. 686 Auk.kat. Nachlass Frau Helene Tepelmann, geb. Vieweg, auf Schloss Wendhausen, durch Lempertz, am 1./2.2.1940. Erwähnt bei Anonym, Deutsche Versteigerungen, in: 'Weltkunst, 14. Jg., 21.1.1940, Nr. 3/4, S. 3. 687 Anonym, Rückblick und Ausblick 1940-41, in: Weltkunst, 15. Jg., 5.1.1941, Nr. 1/2, S. 1. 688 Die folgenden Angaben sind den Anzeigen der einzelnen Auktionshäuser im Auktionskalender der Weltkunst entnommen, dem Kunstpreis-Verzeichnis 1939/1940 und 1940/41 sowie den Auktionskatalogen von 1940 und den Akten im Landesarchiv Berlin, die allerdings nur für Gerhard Harms überliefert sind. Vgl. LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 20. 689 Auk.kat. Villeneinrichtung und Kunstbesitz Killisch von Horn, Berlin-Grunewald, Paulsborner Str. 44, durch Achenbach, am 13.3.1940. Erwähnt bei Anonym, Deutscher Auktionsmarkt, in: Weltkunst, 14. Jg., 3.3.1940, Nr. 9/10, S. 3. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: ebd., 14. Jg., 14.4.1940, Nr. 15/16, S. 2 sowie die Nennungen der Preise im Kunstpreis-Verzeichnis 1939/1940, 1941, S. 85, insbesondere Nr. 1275.
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II. Der Kunsthandel in Berlin -1940
Skulpturen sowie Kunstgewerbe von außergewöhnlicher Qualität von der Gotik bis zum Ende des 18. Jahrhunderts; Gemälde waren jedoch nur sehr wenige darunter.690 Das Auktionshaus Berkhan veranstaltete mindestens sieben Versteigerungen, worunter sich das Inventar einer außergewöhnlichen Luxuswohnung mit antiker, italienischer, frühostasiatischer und moderner Kunst hervorhob. Entsprechend den Anzeigen für die weiteren Auktionen handelte es sich bei diesen vorwiegend um Kunstgewerbe und Mobiliar mit vereinzeltem Kunstbesitz. Wegen des bisherigen Profils des Auktionshauses wird davon ausgegangen, dass es sich dabei nur in Ausnahmefällen um hochwertige Kunst handelte, bei den meisten dagegen eher um Einrichtungsgegenstände. Bei Union konnten 14 Versteigerungen ermittelt werden, wobei die Mehrzahl Auflösungen von Villen und Luxuswohnungen galt, mit Ausnahme der Auktion von Altmeistern und der Sammlung Quesada mit spanischen Skulpturen des 15. bis 18. Jahrhunderts im Oktober.691 Einige Summen sind überliefert, die zum Teil sehr hoch waren, wie die 17.500 RM für „Die Messe des Heiligen Gregor" von Gerard David in der Altmeisterversteigerung.692 Gerhard Harms führte mindestens 34 Auktionen durch, wobei ein Großteil davon im Auftrag einer Behörde stattfand. Dabei handelte es sich um eine Finanzbehörde, die bei der Verwertung von jüdischem Vermögen eine wichtige Rolle spielte. Auffallend beim öffentlichen Auftritt des Auktionshauses war, dass es in wesentlich größerem Umfang als in den Jahren zuvor großformatige Inserate in der Weltkunst schaltete. Trotz der erheblichen Werbeanstrengungen bot Harms jedoch meistens nur bedeutungslose Kunstwerke an, wie den Protokollen zur Versteigerung und den Preisberichten entnommen werden konnte.693 Ausnahmen bestätigen die Regel: Auf der Auktion einer Villeneinrichtung und Gemälden der niederländischen Schulen des 17. Jahrhunderts vom Oktober 1940 wurden Preise für Bilder bis zu 11.500 RM gezahlt694 und bei der Auflösung von wertvollem Kunstbesitz bis zu 8.000 RM 695 - für Harms außergewöhnlich hohe Verkaufserlöse. Lepkes Auktionshaus ist 1940 mit keiner Versteigerung mehr nachzuwei-
690 Auk.kat. Villeneinrichtung, Kunstbesitz, Berlin-Grunewald, Douglasstraße 7-9, durch Achenbach, am 10.7.1940. Erwähnt bei Anonym, Versteigerung des Kunstbesitz Fr. M.F. aus der Sammlung Harry F., in: Weltkunst, 14. Jg., 1.7.1940, Nr. 27, S. 1. 691 Die Zwangsversteigerung von Altmeisterwerken fand am 2.10.1940 statt. Vgl. Anonym, Versteigerungsvorschau, in: Weltkunst, 14. Jg., 15.9.1940, Nr. 38/39, S. 4. Die Sammlung Quesada fand am 6.12.1940 statt. Vgl. Anonym, Versteigerungsvorberichte, in: ebd., 24.11.1940, Nr. 48/49, S. 5. 692 Ergebnisse im Kunstpreis-Verzeichnis 1940/1941, 1943, S. 70, Nr. 422. 693 Versteigerungsprotokolle des Auktionshauses Gerhard Harms. Vgl. L A B A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 20. 694 Versteigerung einer Villeneinrichtung mit Kunstbesitz im Auftrag einer Behörde, durch G. Harms, am 22.10.1940. Erwähnt bei Anonym, Versteigerungen, in: Weltkunst, 14. Jg., 13.10.1940, Nr. 42/ 43, S. 3; Anzeige ebd., S. 7. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: ebd., 24.11.1940, Nr. 48/49, S. 9. 695 Versteigerung von wertvollem Kunstbesitz zur Auflösung im Auftrag einer Behörde aus Petschek-Besitz, 2. Teil, durch G. Harms, am 10.12.1940. Erwähnt bei Anonym, Versteigerungsvorberichte, in: Weltkunst, 14. Jg., 24.11.1940, Nr. 48/49, S. 5; einseitige Anzeige ebd., S. 8. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: ebd., 15. Jg., 5.1.1941, Nr. 1/2, S. 4.
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und Kunsthandel
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sen. Im Bild des Berliner Kunstmarktes erschien es nur durch vereinzelte Anzeigen in Kunstzeitschriften, ohne jedoch spezielle Auktionen zu bewerben.696 Von Seiten der nationalsozialistischen Regierung wurde die Auswanderung der Juden weiter forciert.697 Zentrales Thema war dabei nach wie vor die Verwertung des Vermögens der jüdischen Emigranten. Die Einzelheiten dazu regelte die Zweite Verordnung zur Durchführung der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 18. Januar 1940, welche jüdische Bürger beim Verkauf von Vermögenswerten weiter entrechtete.698 Da die gesamte finanzielle Regelung über diverse Behörden zu erfolgen hatte, waren Juden vom Erhalt des Verkaufserlöses ausgeschlossen. Im Falle von Ausbürgerungen konnten die Vermögenswerte ohne devisenrechtliche Genehmigungen an das Deutsche Reich abgeführt werden.699 Insbesondere nach der Pogromnacht häufte sich die Anzahl der Emigrationen, nicht zuletzt von zahlreichen vermögenden Juden. Durch die geschaffenen Gesetzesvorlagen konnte der NS-Staat ohne bürokratische Hürden an das gesamte jüdische Vermögen gelangen. Gleich zu Beginn des Jahres 1941 knüpfte der Kunsthandel an die Erfolge des vorangegangenen Auktionsjahres an, die sich durch das gesamte Jahr hindurchzogen. Daran war erneut vor allem das Auktionshaus H. W. Lange beteiligt, das bedeutende Auktionen durchführte. Auf dem Berliner Kunstmarkt war eine große Vielfalt an hochwertigen Kunstwerken zu verzeichnen.700 Erwartungsgemäß dominierten dabei Gemälde holländischer Meister des 17. sowie deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts. Hinzu kamen französische impressionistische Gemälde, die bereits seit Jahren nicht mehr auf dem Markt gewesen waren. Alle Gattungen erzielten überraschend hohe Summen. Während sich die niederländischen Werke unvermindert der Gunst der Sammler erfreuten, lag das Anziehen der Preise im Fall deutscher Künstler vor allem an einer Neubewertung, die seit einigen Jahren festzustellen war.701 Die außerordentliche Beliebtheit von Arbeiten dieser Künstler bei den Nationalsozialisten spiegelte sich daher auch in einer höheren preislichen Bewertung wider. Dabei waren die erzielten Summen häufig wesentlich höher als noch im Vorjahr, so dass für das Auktionsjahr 1941 erneut Maßstäbe für die Einordnung der erzielten Preise definiert werden mussten, die im Übrigen auch für 1942 gelten.702 Als sehr hoch können für die beiden Jahre Beträge ab 30.000 RM und ausgezeichnet ab 50.000 RM gelten, wobei es 1941 viel häufiger als 1942 außergewöhnlich hohe Preise gab. Die noch 1940 mit einer gewissen Besorgnis beobachteten hohen Versteigerungserlöse wurden dagegen 1941 von der zeitgenössischen Berichterstattung als Einzelfälle bezeichnet, die „neben dem festen Niveau des
696 Beispielsweise mit der Anzeige im Juli 1940, in: Weltkunst, 14. Jg., 21.7.1940, Nr. 30/31, S. 4. 697 Richtlinien für die Judenauswanderung. Erlass vom 24.4.1940 vom Reichssicherheitshauptamt. Vgl. Sauer, 1966, II, S. 125, Nr. 368. 698 Zweite Verordnung zur Durchführung der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 18.1.1940. Vgl. RGBL, 1940,1, S.188f. 699 Runderlass zur Beschlagnahme und Verfallserklärung von Vermögenswerten im Ausbürgerungsverfahren vom 12.12.1940. Vgl. RStBl., 1940, S. 1048. 700 Anonym, Vom deutschen Kunstmarkt, in: Weltkunst, 15. Jg., 19.1.1941, Nr. 3/4, S. l f . 701 Anonym, Rückblick auf den Kunstmarkt 1941, in: Weltkunst, 16. Jg., 4.1.1942, Nr. 1/2, S.l, 3. 702 Übersicht über die Bewertung der Preise für 1941-1942. Vgl. im Anhang Tabellen 4-7.
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gesunden Marktes keine ausschlaggebende Rolle spielen". 703 In diese Richtung argumentierte auch ein weiterer Kritiker, der die Preisgestaltung eher dem Zufall zuschrieb, denn einer Gesetzmäßigkeit; seiner Meinung nach zahlten nur vereinzelte Liebhaber hohe „Phantasiepreise". 704 Eine solche Einschätzung sollte sich allerdings im Hinblick auf die Preisgestaltung der kommenden Jahre, ebenso wie anhand der vorliegenden Untersuchungen, als nicht korrekt erweisen, da zunehmend inflationäre Züge auf dem Kunstmarkt abzulesen waren. Wie schon im vorangegangenen Jahr versuchte der Staat, die Preise im Kunsthandel unter Kontrolle zu bekommen. In diesem Sinne ist auch der Artikel von Hubert Wilm zu interpretieren, der die außerordentlich hohen Auktionsergebnisse mit dem Wandel der Zeit und der damit einhergehenden Preisänderung zu erklären versuchte. 705 Derartige Schwankungen lägen in der Natur des einzelnen Kunstwerkes und seien daher kaum beeinflussbar. Auch er sah in den erhöhten Summen nur Einzelerscheinungen, denen er keine Allgemeingültigkeit beimaß. Aber allein die finanzielle Entwicklung auf den Versteigerungen des Auktionshauses Lange verdeutlichen, dass sich Wilms hier irrte. Auf dem Berliner Kunstmarkt konnte das Auktionshaus Lange seine Vormachtstellung auch 1941 ausbauen. Keine Berliner Versteigerungsfirma bot auch nur annähernd derartig künstlerisch hochrangige Kunstobjekte an wie Lange. Wie schon im Vorjahr veranstaltete das Haus mit seinen sieben zwar verhältnismäßig wenige, dafür umso hochwertigere Auktionen. Mit der Versteigerung von Gemälden alter und neuerer Meister im März 1941 knüpfte Lange direkt an den großen Erfolg vom Dezember 1940 an. 706 Die bereits im Vorjahr erzielten hohen Preise wurden dabei durchgängig von weitaus höheren Summen übertroffen. Bewegten sich diese 1940 für niederländische Gemälde des 17. Jahrhunderts in den meisten Fällen noch zwischen 2.000 und 5.000 RM, lagen sie 1941 mit 3.000 bis 8.000 R M deutlich darüber. Der enorme Preisanstieg für niederländische Arbeiten war vor allem bei den höchsten Erlösen zu verzeichnen, die bei 74.000 R M für die „Abfahrt vom Landhaus" von Pieter de Hoogh und bei 76.000 R M für Jan Steens „Streitende" wesentlich über denen des Vorjahres lagen. Daneben gab es viele Summen für Landschaften und Bildnisse, die um 20.000 R M lagen. Auch die im Sommer abgehaltene Auktion mit deutschen Kunstwerken des 19. Jahrhunderts aus dem Besitz des Eisenacher Geheimrates Eltschner bei Lange brachte beträchtliche Erlöse. 707 Von den gerade einmal zwölf Gemälden lagen nahezu alle zwischen 18.000 und 60.000 R M - ein ausgesprochen einheitliches Bild einer Auktion. Die am höchsten bezahlten Bilder waren Grützners „As und Bube" (40.000 R M ) und Lenbachs „Fürst Bismarck" (60.000 RM). In beiden Fällen handelte es sich um Künstler, deren Werke bereits in den vorangegangenen Jahren sehr begehrt und dementsprechend teuer gewesen
703 Anonym, Rückblick auf den Kunstmarkt 1941, in: Weltkunst, 16. Jg., 4.1.1942, Nr. 1/2, S. 1, 3. 704 Anonym, Das Risiko im Kunsthandel, in: Weltkunst, 15. Jg., 13.4.1941, Nr. 15/16, S.lf. 705 Wilm, 1941, S. 1-3. 706 Auk.kat. Wertvolle Gemälde alter Meister; Flandrische Tapisserien, durch Lange, am 12.3.1941. Erwähnt bei Anonym, Eine Berliner Versteigerung, in: Weltkunst, 15. Jg., 16.2.1941, Nr. 7/8, S. 3, 6. 707 Auk.kat. Gemäldebesitz Geh. Rat Eltschner, Eisenach und anderer Besitz; Französische Goldemaildosen des 18. Jahrhundert, durch Lange, am 4.7.1941. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 15. Jg., 20.7.1941, Nr. 29/30, S. 9.
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waren. Das einzige dort angebotene Altmeistergemälde war das „Bildnis eines bärtigen Kriegers" von Rembrandt, das bei 54.000 RM einen Käufer fand, dabei allerdings den Schätzpreis von 65.000 RM nicht erreichte. Im September erfolgte dann der Verkauf des Kunstbesitzes aus der Sammlung Jakob Goldschmidt.708 Beim Einlieferer handelte es sich um den Inhaber der Danat-Bank, der den ersten Teil der Sammlung aufgrund seiner jüdischen Herkunft bereits im Mai bei Lange versteigern musste.709 Zum Angebot kamen vor allem Werke niederländischer Künstler des 17. und erstmals seit Jahren wieder französische des 19. Jahrhunderts, wobei einige dieser Gemälde aus bekannten älteren Sammlungen stammten. Die Preise für alte Meisterwerke lagen überwiegend bei mehr als 5.000 RM, außergewöhnlich viele kosteten sogar zwischen 20.000 und 30.000 RM, so Isaac van Ostades „Quacksalber" (26.000 RM) und Jan van Goyens „Blick auf Delft" (38.000 RM) - das teuerste Altmeisterbild der Auktion.710 Während die Summen der alten Meisterwerke denen der März-Auktion bei Lange ähnelten, waren die der neueren Werke außerordentlich hoch. Dies nicht nur im Hinblick auf die alten Meister, sondern im Vergleich der Versteigerungen auf dem gesamten Berliner Kunstmarkt des Jahres 1941. Auf keiner Auktion der jüngeren Vergangenheit waren so viele und solch beeindruckend hohe Summen gezahlt worden wie auf dieser. Der überwiegende Teil der Preise lag zwischen 20.000 und 40.000 RM, nur wenige darunter, eine große Anzahl weit darüber. Eine derartige Preisexplosion ist nur dadurch erklärbar, dass es sich hier um erstklassige Werke der französischen Moderne handelte, die eine rege Nachfrage fanden, denn sie wurden ausgesprochen selten auf dem Berliner Markt angeboten. Unter den Spitzenwerken waren Gemälde von bedeutenden Künstlern vertreten, so Monets „Blick auf den Palazzo Ducale in Venedig" (60.000 RM), ein Blumenstillleben von Eugene Delacroix (42.000 RM), Cezannes „Sitzender Mann" (58.000 RM) sowie Henri de Toulouse-Lautrecs „Erstes Trikot" (76.000 RM). Die außerordentlich hohe Summe von 148.000 RM - wobei es sich um ein Gemälde eines neueren Künstlers handelte - zahlte ein Sammler für Courbets „Dame auf der Terrasse". Beim Großteil der versteigerten Gemälde wurden die Schätzpreise häufig um das Zwei- bis Dreifache überboten. Dass es sich dabei um eine außergewöhnlich bedeutende Sammlung handelte, verdeutlicht auch der Umstand, dass eine Reihe von Werken auf der Liste der national wertvollen Kunstwerke verzeichnet war. Angesichts der erwähnten hervorstechenden Ergebnisse auf den insgesamt acht Versteigerungen bei Lange traten die anderen Berliner Auktionshäuser weit in den Schatten.711 Für
708 Auk.kat. Gemälde und Kunstgewerbe aus der ehemaligen Sammlung J.G., Berlin; verschiedener Kunstbesitz, durch Lange, am 25.9.1941. Erwähnt bei Anonym, Berliner Versteigerung, in: 'Weltkunst, 15. Jg., 14.9.1941, Nr. 37/38, S. 3. 709 Auk.kat. Gemälde alter und neuerer Meister, durch Lange, am 19.5.1941. Zu Goldschmidt vgl. Tisa Francini, Heuß und Kreis, 2001, S. 44. 710 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 15. Jg., 12.10.1941, Nr. 41/42, S. 2. 711 Die folgenden Angaben sind den Anzeigen der einzelnen Auktionshäuser im Auktionskalender der "Weltkunst und des Völkischen Beobachters des Jahres 1941 entnommen, dem Kunstpreis-Verzeichnis 1940/1941 und 1941/1942 sowie den Auktionskatalogen von 1941 und den Akten im Landesarchiv Berlin, die jedoch nur für Gerhard Harms überliefert sind. Vgl. L A B A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 20 und 21.
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das Auktionshaus Achenbach, das mindestens neun Auktionen durchführte, sind keine Ergebnisse überliefert, so dass diese nicht in die Beurteilung des Kunstmarktes einfließen können. Immerhin konnten anhand der Anzeigen einige bemerkenswerte Versteigerungen im Frühjahr festgehalten werden, die vorwiegend Gemälde alter und neuerer Meister anboten. 712 Die Tendenz des Vorjahres, sich auf exklusivere Kunstwerke zu spezialisieren, wurde demzufolge fortgesetzt. Berkhan veranstaltete mindestens 18 Auktionen vorrangig mit Einrichtungsgegenständen, die nur selten von Kunstwerken ergänzt wurden. Gleiches gilt für das Auktionshaus Union mit seinen mindestens 19 Versteigerungen. Auch für diese beiden Häuser sind keine Ergebnisse vorhanden, aber anhand der in Annoncen genannten Künstlernamen, die vorwiegend unbekannt waren, dürfte in den seltensten Fällen von hohen Preisen auszugehen sein. Für das Auktionshaus Gerhard Harms konnten 28 Versteigerungen nachgewiesen werden. Harms warb jetzt, anders als noch in den Vorjahren, damit, dass er nicht nur Villen- und Wohnungseinrichtungen veräußere, sondern auch wertvolle Einzelobjekte und Kunstsammlungen. 713 Der Anteil an Kunstwerken in den einzelnen Versteigerungen war tatsächlich eindeutig gestiegen, jedoch handelte es sich um durchschnittliche Qualitäten, denn die Preise für Ölgemälde bewegten sich in der Regel auf sehr niedrigem Niveau - zwischen 10 und 50 R M und die für Papierarbeiten sogar häufig unter 5 RM. 7 1 4 Nur in wenigen Fällen wurden höhere Preise gezahlt, wie auf der Sammelversteigerung am 18. Februar, deren höchsten Summen bei 2.800 R M (Cornells Bega, „Wirtshausszene") und 3.000 R M (Anthony Palamedesz, „Gesellschaftsszene") lagen. 715 Verglichen mit den exquisiten Ergebnissen bei Lange waren dies dennoch geringe Erlöse. Trotz aller Werbekampagnen in Form von Großanzeigen in den entsprechenden Zeitschriften, mit denen Gerhard Harms dafür warb, auch als Versteigerer von wertvollen Einzelwerken und Sammlungen aufzutreten, spiegeln die erhaltenen Versteigerungsprotokolle ein anderes Bild wider: Harms war ein auf Wohnungsauflösungen spezialisiertes Auktionshaus; Kunst spielte dabei eine untergeordnete Rolle. 716 Auch auf der Versteigerung der Wohnungseinrichtung des Ehepaares Graetz im Februar 1941 war dies der Fall. Obwohl zweifelsfrei qualitativ hochrangige Kunstwerke in der Sammlung vorhanden gewesen waren, kam bei Harms nur ein kleiner Teil mit wenig bedeutenden Kunstgegenständen zum Verkauf. Neben den etablierten Auktionshäusern und Kunsthandlungen eröffneten auch 1941 mehrere Geschäften. Zu diesen zählten die von Rudolf Müller & Co. in der Friedrichstraße 76 und Ludwig Wiesnet in der Uhlandstraße 173, die auf Gemälde des 17. bis 19. Jahrhunderts 712 Vgl. die Anzeigen zu folgenden Achenbach-Auktionen: Gemälde alter und neuer Meister am 19.3.1941, in: VB, 16.3.41, Nr. 75, S. 11; Siebzig Gemälde alter Meister, Tapisserien am 2.4.1941, in: Reitkunst, 15. Jg., 16.3.1941, Nr. 11/12, S. 5 sowie Nachlass-Versteigerung des Herrenreiters Rittmeister a.D. O.S., Kunstbesitz und Wohnungseinrichtung am 29.4.1941, in: ebd., 13.4.1941, Nr. 15/16, S . l l . 713 Anzeige in: Weltkunst, 15. Jg., 2.2.1941, Nr. 5/6, S. 2. 714 Protokolle vom Januar bis Dezember 1941, die allerdings unvollständig sind. Vgl. LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 20 und 21. 715 Protokoll der Sammelversteigerung verschiedener Auftraggeber vom 18.2.1941. Vgl. ebd., Nr. 20. 716 Vgl. beispielsweise die Anzeigen in: Weltkunst, 15. Jg., 2.2.1941, Nr. 5/6, S. 2; ebd., 2.3.1941, Nr. 9/10, S. 6 und ebd., 16.3.1941, Nr. 11/12, S. 2.
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spezialisiert waren, „Bedros der Aprahamian" am Kurfürstendamm 111, das Gemälde alter Meister und Orientteppiche führte, sowie das Graphikgeschäft „Der Kupferstich" in der Nettelbeckstraße 23, um nur einige zu nennen.717 Diese und weitere neue Geschäfte eröffneten wegen des stark angestiegenen Angebots von Kunstwerken auf dem Kunstmarkt, das bedingt war durch die Zwangslage der Juden, die ihr gesamtes Vermögen veräußern mussten. Nach dreijähriger Pause war 1941 das Adressbuch für Antiquare wieder erschienen. Dies ist insofern von Interesse, als in der Besprechung erwähnt wird, dass aufgrund der politischen Ereignisse in den vergangenen Jahren 709 Unternehmen reichsweit gelöscht worden waren.718 Da aufgrund von unvollständigen Akten in Bezug auf Liquidierungen sowie „Arisierungen" von Kunsthandlungen und Auktionshäusern keine konkreten Zahlen vorliegen, gibt die dort erfolgte Nennung von geschlossenen Antiquariaten - einem angrenzenden Fachgebiet zum Kunsthandel - immerhin eine Vorstellung davon, in welchem Umfang auch in diesem Bereich Geschäfte geschlossen wurden. Zu erfahren ist ebenfalls, dass in Berlin und Leipzig eine Zunahme an Antiquariaten zu verzeichnen war, während deren Zahl in München zurückging.719 Diese Feststellung entspricht den Untersuchungen im Kunsthandel, denn in Berlin hatte auch eine Reihe von Kunsthandlungen neu eröffnet. Zuspitzung der antijüdischen
Maßnahmen
Den größten Gewinn aus der Situation der jüdischen Bevölkerung zogen allerdings die staatlichen Stellen, die zunächst durch die ansteigende Zahl der Emigrationen und im Verlauf des Jahres durch die beginnenden Deportationen erheblich profitierten. Die bereits vor zwei Jahren geplante Ankaufsstelle zur Verwertung von jüdischem Eigentum wurde schließlich mit der Fünften Verordnung zur Durchführung der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens am 25. April 1941 umgesetzt.720 Als Ankaufsstelle fungierte die Reichskammer der bildenden Künste. Ihre Aufgabe war es, „zu bestimmen, ob Schmuck- und Kunstgegenstände aus jüdischem Besitz freihändig veräußert werden können". 721 Dementsprechend wäre die Ankaufsstelle jedoch nicht für den Ankauf, sondern für die Genehmi-
717 Die Anzeigen der genannten Kunsthandlungen waren jeweils zum ersten Mal in der abgedruckt. Vgl. Müller & Co. in: Weltkunst,
Weltkunst
15. Jg., 19.1.1941, Nr. 3/4, S. 5; Wiesnet und Bedros
A. in: ebd., 16.2.1941, Nr. 7/8, S. 7; Kupferstich in: ebd., 27.4.1941, Nr. 17/18, S. 4. Diese Kunsthandlungen konnten jedoch nicht im Handelsregister nachgewiesen werden, so dass nicht auszuschließen ist, dass sie zu einem früheren Zeitpunkt bereits existierten. Vgl. das Karteikartenregister des Handelsregisters im A G Charlottenburg. 718 Anonym, Kunstliteratur, in: Weltkunst,
15. Jg., 5.1.1941, Nr. 1/2, S. 7.
719 Anfang 1942 wurde die erhöhte Nachfrage und die damit gestiegenen Preise für antiquarische Bücher auch in den MADR besprochen, denn viele Deutsche legten ihr Geld nicht nur in Kunst, sondern auch in wertvollen Büchern an. Vgl. Anonym, Meldungen zur Konjunkturlage im Antiquariatsbuchhandel, Nr. 264 vom 2.3.1942, S. 3395f„ in: MADR, 1938-1945, Bd. 9: Meldungen aus dem Reich vom 18. Dezember 1941 bis 26. März 1942. 720 Fünfte Verordnung zur Durchführung der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens am 25.4.1941. Vg. RGBl., 1941,1, S. 218. 721 Ebd., § 2. Vgl. dazu für das Folgende Heuß, 1998, Reichskulturkammer, S. 55f.
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gung von Verkäufen zuständig gewesen, was sie de facto bereits seit Jahren tat. Paragraph 4 der Verfahrensordnung der RdbK als Ankaufsstelle für Kulturgut sah vor, dass die RdbK allein darüber entscheiden konnte, ob ein Kunstgegenstand im Inland freihändig oder gegen Devisen im Ausland veräußert werden konnte oder einer öffentlichen Stelle beziehungsweise den „Reichsgauen" zum Erwerb angeboten wurde.722 Damit war die RdbK ermächtigt, jüdische Sammlungen im Interesse des Deutschen Reiches zu vermarkten.723 Mit der offiziellen Übertragung der Aufgabe, als Ankaufsstelle zu fungieren, hatte die RdbK einen großen Machtzuwachs erhalten, denn sie bestimmte nicht nur Art und Weise des Verkaufs, sondern sie konnte die jüdischen Eigentümer zum Verkauf zwingen und den Preis der Objekte bestimmen.724 Die Verordnung berechtigte die RdbK zudem, für entstandene Verwaltungskosten zehn Prozent des Veräußerungspreises Juden in Rechnung zu stellen.725 Aufgrund der Verordnung verloren Juden das Recht, über ihr Eigentum selbst zu bestimmen, weswegen es sich bei den Verkäufen um Zwangsverkäufe handelte. Eine weit größere Bedeutung bei der gesetzlichen Entziehung von jüdischem Kunstbesitz hatte allerdings der Vermögensverfall zugunsten des Deutschen Reiches.726 Reichsangehörigen, die sich im Ausland aufhielten, wurde auf der Grundlage des Gesetzes über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 die deutsche Staatsangehörigkeit in einem Verfahren aberkannt und damit ihr zurückgelassenes Vermögen als dem Reich verfallen erklärt.727 Ab dem 25. November 1941 stützte sich der Vermögensverfall dann auf die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz.728 Gemäß Paragraph 1 und 2 dieser Verordnung verloren Juden die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn sie ihren ständigen Aufenthalt im Ausland hatten. Dies geschah, ohne dass - wie bisher üblich - ein Aberkennungsverfahren durchgeführt werden musste. Infolgedessen verfiel gemäß Paragraph 3 das Vermögen dem Deutschen Reich. Im Herbst 1941 hatte sich das Vorgehen gegen die jüdische Bevölkerung weiter radikalisiert. Bereits im Laufe des Jahres fanden Großräumungsaktionen gegen Juden statt, um sie in „Judenhäusern" zusammenzudrängen.729 Robert und Bluma Graetz mussten nach der Versteigerung der Villa ebenfalls in ein solches Haus übersiedeln. Ab 1. März 1941 bewohnten sie eine Zweizimmerwohnung in der Wissmannstraße 11 unweit ihres bisherigen Wohnortes.730 Eine weitere einschränkende Maßnahme gegen Juden war die Kennzeichnungs-
722 Verfahrensordnung der RdbK als Ankaufsstelle für Kulturgut vom 6.5.1941. Vgl. RGBl., 1941,1, S. 245, §4. 723 Heuß, 1998, Reichskulturkammer, S. 56. 724 Verfahrensordnung der RdbK als Ankaufsstelle für Kulturgut, vom 6.5.1941. Vgl. RGBl., 1941,1, S. 245, § 7 und § 5 Abs. 2. 725 Ebd., § 8. 726 Für das Folgende Rudolph, 2003, S. 329. 727 Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933. Vgl. RGBl., 1933,1, S. 480. 728 Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941. Vgl. RGBL, 1941,1, S. 722 ff., §§ 1 , 2 . 729 Gruner, 1996, S. 12. 730 LAB Datenbank zum Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, Eintrag zu Robert Graetz.
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pflicht mit einem „Judenstern", den sie seit dem 1. September tragen mussten.731 All dies waren Vorbereitungen für die ab Oktober 1941 beginnenden Deportationen aus Berlin.732 Auch das Vermögen der Deportierten verfiel an das Deutsche Reich. Dafür wurde dem Oberfinanzpräsidenten die zuvor beim Finanzamt Moabit-West angesiedelte „Dienststelle für die Einziehung verfallener Vermögenswerte" als „Vermögensverwertungsstelle" zugeordnet.733 Deren Aufgabe war es unter anderem, das Eigentum jener Berliner Juden einzuziehen, die aufgrund der Elften Verordnung vom 25. November 1941 die Staatsangehörigkeit verloren hatten. Gleichzeitig wurde ein endgültiges Emigrationsverbot aller deutschen Juden erlassen.734 Zu diesem Zeitpunkt war die noch im Deutschen Reich verbliebene jüdische Bevölkerung völlig recht- und wehrlos den nationalsozialistischen Machthabern ausgeliefert. Die Kriegsgeschehnisse wirkten sich 1942 deutlich auf den Kunstmarkt aus. Waren im vergangenen Jahr sehr viele hochwertige Kunstwerke auf dem Markt gewesen, die zudem außerordentlich hohe Erlöse erzielt hatten, mitunter die höchsten seit Jahren überhaupt, änderte sich dies nun. Am auffälligsten lässt sich dies an der Präsentation der Weltkunst ablesen. Seit ihrem Bestehen war es üblich gewesen, in der ersten Ausgabe des neuen Jahres ein Resümee in Form eines Rückblickes auf das vorangegangene Auktionsjahr zu ziehen. Darin wurden die bedeutendsten Versteigerungen des Jahres mit einigen signifikanten Ergebnissen genannt, die einen guten Uberblick über die Situation der deutschen Auktionsmärkte boten. Das Fehlen dieses Leitartikels ist umso unverständlicher, als es doch für 1941 ausgezeichnete Resultate, zumindest was den Berliner Markt betraf, zu erwähnen gegeben hätte. Eine mögliche Erklärung für das Weglassen des Rückblickes könnte sein, dass den Parteistellen die außergewöhnlich hohen Summen für einzelne Gemälde missfielen und sie daher die Erlöse nicht noch einmal zusammengefasst genannt wissen wollten. Es ist bekannt, dass die Nationalsozialisten versucht hatten, weiteren Einfluss auf die Preisgestaltung zu nehmen, was ihnen allerdings nicht gelang. So wurde beispielsweise am 15. Dezember 1941 vom Präsidenten der RdbK eine Anordnung über die Versteigerung und den Verkauf von Kunstwerken erlassen, die jedoch aufgrund der Kritik aus Kunsthändlerkreisen kurz darauf wieder zurückgezogen wurde.735 Den Anlass zur Rücknahme der Verordnung gab dabei Haberstock, der sich direkt an die RdbK gewandt hatte.736 Vorgesehen war, dass Kunstgegenstände mit einem Wert über 5.000 RM einer Verkaufsgenehmigung durch die RdbK bedurften.
731 Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden vom 1.9.1941. Vgl. RGBL, 1941,1, S. 547. 732 Zu den Deportationen von Juden vgl. beispielsweise Longerich, 2002, S. 239-257; Kempner und Wassili, 1970, S. 180-205. 733 Geschichte der Juden, 1999, Bd. 3, S. 42. 734 Geheimer Erlass zum Verbot der Auswanderung von Juden vom 24.10.1941. Vgl. Hofmann, 1963, S.109. 735 Anonym, Zur Entwicklung der Kunstversteigerungen während des Krieges, Nr. 293 vom 22.6. 1942, S. 3854-3856, hier: S. 3856, in: MADR, 1938-1945, Bd. 10: Meldungen aus dem Reich vom 30. März bis 20. Juli 1942. Die Anordnung ist abgedruckt bei Wilhelm, 1990, Anhang Nr. X V (Quelle: BayHStA, MK 40839). 736 Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, Teil II, Regesten Bd. 4, Dokument 42040.
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Eine große Diskrepanz konnte auch zwischen dem Werbeumfang für Versteigerungen in der Zeitschrift und der tatsächlich stattgefundenen Anzahl von Auktionen festgestellt werden. Mehr als zwei Drittel der Weltkunst bestand inzwischen aus Inseraten. Von den üblicherweise sechs Seiten umfassenden Ausgaben, die vierzehntägig erschienen, waren drei komplette Seiten, zwei halbe sowie eine viertel Seite mit Anzeigen der einzelnen Auktionshäuser und Kunsthandlungen bedruckt. In Ausgaben mit acht Seiten steigerte sich der Werbeanteil auf vier volle, zwei halbe und drei viertel Seiten. Dieses erhöhte Werbeaufkommen war bereits 1941 zu verzeichnen; in den Jahren davor gab es üblicherweise nur zwei volle und zwei viertel bedruckte Werbeseiten. Auch wenn 1941 bereits mehr Anzeigen als Text den Inhalt der Publikation ausmachten, sind dennoch erhebliche Unterschiede zum folgenden Jahr festzustellen. Vor 1942 warben die einzelnen Auktionshäuser mit großen Inseraten gezielt für bestimmte Versteigerungen, um ihre Kundschaft darauf aufmerksam zu machen. Dagegen wurde 1942 für keine einzelne Berliner Auktion geworben, sondern nur allgemein für das Geschäft.737 Darüber hinaus gab es in diesem Jahr keine deutsche Versteigerung, die im Vorfeld oder deren Ergebnisse im Nachhinein besprochen wurden. Gleichwohl berichtete die Weltkunst von bedeutenden Preiszuwächsen auf dem belgischen Kunstmarkt, während die hohen Preise auf den deutschen Märkten unerwähnt blieben.738 Bisher war es übliche Praxis gewesen, von interessanten Auktionen auf deutschen und ausländischen Kunstmärkten zu berichten. Jetzt waren dagegen nur einige Ergebnislisten abgedruckt; für den Berliner Kunstmarkt waren es gerade einmal fünf Erwähnungen über das Jahr verteilt. Bemerkenswert ist auch, dass im Auktionskalender unter der Rubrik „Berlin" fast gar keine Versteigerungen genannt sind, unter „Im Reich" nur vereinzelte, während „Im Ausland" die häufigsten Nennungen zu verzeichnen sind. Diese Auffälligkeiten sind bereits deutliche Zeichen dafür, dass der Kunsthandel in Berlin und im ganzen Deutschen Reich sehr zurückgegangen war. Die Analyse der Auktionen bestätigt dieses Bild. Bei Lange konnten für das gesamte Jahr nur zwei Auktionen ermittelt werden. Am 12. Mai 1942 fand die Versteigerung einer Sammlung mit deutschen Romantikern statt.739 Die Recherchen zum Auftraggeber ergaben, dass es sich um den Geheimen Regierungsrat Alexander Prentzel handelte, der seit März 1927 Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Deutschen Kalisyndikat GmbH in Berlin war.740 Dieses Amt hatte er noch im Sommer 1943 inne, weswegen auszuschließen ist, dass es sich hier um einen Zwangsverkauf handelte. Vermutlich musste der Auftraggeber seine wertvolle Gemäldesammlung aus finanziellen Schwierigkeiten verkaufen. Die Preise zwischen 1.000 und 3.000 RM sind als normal einzuschätzen, 14 Gemälde mit Summen über 10.000 bis 20.000 RM als hoch sowie zwei
737 In Einzelfällen wurden zwar für konkrete Auktionen in anderen Städten annonciert, was jedoch für den Berliner Markt nicht von Belang ist. 738 Anonym, Belgischer Kunstmarkt, in: Weltkunst, 16. Jg., 1.3.1942, Nr. 9/10, S.l f. 739 Auk.kat. Die Sammlung Geheimrat P., Berlin. Deutsche Meister des 19. Jahrhunderts, durch Lange, am 12.5.1942. 740 Zur Persönlichkeit vgl. Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft, 1930, Bd. II, S. 1441. Seine Tätigkeit bis 1943 geht aus dem Verzeichnis der Deutschen Kalisyndikat GmbH, Berlin, im Juli 1943, hervor. Vgl. BArch, R 10 V/129.
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Arbeiten mit über 30.000 RM als sehr hoch.741 Derartig viele und so ausgezeichnete Erlöse wie im Vorjahr bei Lange wurden aber weder auf dieser noch auf der darauffolgenden Versteigerung erzielt. Die höchsten Summen zahlten die Käufer für Carl Rottmanns „Griechische Berglandschaft" (21.000 RM), Moritz von Schwinds „Der Falkensteiner Ritt" (33.000 RM) sowie Franz Krügers „Die Hufschmiede" (37.000 RM). Dabei wurden die Schätzpreise häufig um das Zwei- bis - in Ausnahmefällen - sogar Vierfache überboten. Direkt im Anschluss bot Lange Werke aus verschiedenem deutschen Kunstbesitz an.742 Die Versteigerung fand in zwei Abteilungen statt. Bei den alten Meisterwerken überwogen die von niederländischen Künstlern des 17. Jahrhunderts. Etwa die Hälfte wurde für Summen zwischen 2.000 und 6.000 RM verkauft, daneben gab es aber auch noch wesentlich höhere, nämlich 13 mal über 10.000 RM, dreimal über 20.000 RM, zweimal über 30.000 RM und je einmal über 40.000 und 60.000 RM.743 Zu den höchstbezahlten Gemälden zählten van Goyens „Holländische Kanallandschaft" (30.000 RM), Rubens' „Brustbild eines Mönches" (31.000 RM), eine Madonna vom Meister der Mansi-Magdalena (40.000 RM) sowie als teuerstes Bild die Darstellung einer „Kirche in baumreicher Landschaft" von Meindert Hobbema (60.000 RM). Mit diesen Ergebnissen lagen die Altmeisterwerke auf einer Linie wie im Vorjahr. Die Werke der Künstler des 19. Jahrhunderts kosteten überwiegend 2.000 bis 4.000 RM, fünfmal über 10.000 RM, viermal über 20.000 RM und je einmal 30.000 RM, 40.000 RM, über 60.000 RM und 80.000 RM. Exzellent bezahlt wurden Grützners „Hinter den Kulissen" (50.000 RM), Blechens „Landstraße im Winter bei Mondschein" (64.000 RM) und Waldmüllers „Morgengruß" (80.000 RM). Auch hier lagen die Gebote teilweise um das Zwei- bis Vierfache über den Schätzpreisen in beiden Abteilungen. Auf den genannten Auktionen erwarb das von Hitler in Linz geplante „Führermuseum", der so genannte „Sonderauftrag Linz", nachweislich mindestens neun Bilder.744 Hans Posse, der designierte Direktor des geplanten Museums sowie Direktor der Gemäldegalerie in Dresden, kaufte von 1939 bis zu seinem Tod Ende 1942 auf deutschen wie internationalen Kunstmärkten Werke für das Museum.745 Unter den Berliner Versteigerern gehörte H. W. Lange zu den wichtigsten Händlern für die Nationalsozialisten. Deren bedeutendster Berliner Kunsthändler war jedoch bis Ende 1942 zweifellos Karl Haberstock, der diese Position aufgrund ausgezeichneter Kontakte zu Posse innehatte.746 741 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 16. Jg., 21.6.1942, Nr. 25/26, S. 5. Schätzpreisliste im Auktionskatalog in der Kunstbibliothek Berlin. 742 Auk.kat. Verschiedener deutscher Kunstbesitz. Gemälde alter und neuerer Meister, Möbel, Silber, Tapisserien, durch Lange, am 12./13.5.1942. 743 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 16. Jg., 21.6.1942, Nr. 25/26, S. 5. Schätzpreisliste im Auktionskatalog in der Kunstbibliothek Berlin. 744 Detaillierte Angaben zu den Käufen lassen sich anhand des Linz-Reports sowie der Fotoalben für das geplante „Führermuseum" in Linz rekonstruieren. Vgl. Faison, 1945, S.lOff. Zu den Fotoalben mit kurzen Provenienzangaben der enthaltenen Gemälde vgl. Schwarz, 2004, S. 150-154 (Fotoband XXIII). Zu den Erwerbungsstrategien und dem Sammlungsbestand des „Sonderauftrages Linz" vgl. Lohr, 2005, besonders S. 19-64, 94-151 und 199-206. 745 Zu Posse vgl. die jüngsten Arbeiten von Lohr, 2005, S. 3 2 - 4 9 und Schwarz, 2004, S. 4 0 - 4 9 . 746 Haberstock, wiewohl er zu den schillerndsten Persönlichkeiten des Kunsthandels zählte, spielt für diese Untersuchung eine untergeordnete Rolle. Als Galerist wirkte er zwar bei der Erwer-
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Das zweite Geschäft, das neben Lange 1942 in der Weltkunst Erwähnung fand, ist das Auktionshaus Union, für das fünf Versteigerungen ermittelt werden konnten. In den drei näher bezeichneten Auktionen kamen jeweils niederländische Gemälde des 17. Jahrhunderts zum Angebot.747 Anders als bei Lange, dessen Spezialisierung auf Kunst auch an der Systematik der Kataloge abzulesen ist, weisen die Auflistungen in den Katalogen von Union jedoch häufig keine Ordnung auf. Gemälde, Möbel und andere Kunstgegenstände wechseln einander mehrfach ab, wodurch nur schwer ein Überblick zu erzielen ist. Die angebotenen Werke wurden überwiegend für 1.000 bis 2.000 RM verkauft, was ein normales Ergebnis darstellt. Mitunter wurden auch hohe Summen über 10.000 RM gezahlt, wie für ein „Bäuerliches Festgelage im Freien" von Pieter Breughel d. J. für 13.000 RM. 748 Aufgrund der zahlreichen bedeutenden Gemälde, die bei Union 1942 im Angebot waren, und die zudem für hohe Preise verkauft wurden, entstand erstmals der Eindruck, dass das Auktionshaus sich auf Kunst spezialisiert hatte. Union deswegen auf eine Stufe mit dem Versteigerer H.W. Lange zu stellen, wäre allerdings verfehlt, denn die überlieferten Auktionen und ihre Ergebnisse bieten nur einen Ausschnitt. Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Preise im Vergleich zu früheren Jahren bei Union höher lagen. Uber die Aktivitäten von Achenbach und Berkhan können keine Aussagen gemacht werden.749 Das Auktionshaus Gerhard Harms ist mit neun Versteigerungen nachzuweisen.750 Seit 1942 war Rudolf Harms der Inhaber des Hauses. Er hatte sein eigenes Geschäft, das seit 1910 existierte, in der Pestalozzistraße 52.751 In den vorangegangenen Jahren hatten Frieda Harms, vermutlich die Ehefrau von Gerhard Harms, und Rudolf Harms bereits verschiedentlich die Versteigerungsanträge unterschrieben.752 Es ist anzunehmen, dass Gerhard Harms sein Auktionshaus aus gesundheitlichen Gründen an Rudolf Harms abgegeben hatte; Beweise dafür fehlen allerdings. Rudolf Harms führte die Auktionen teils in den Räumlichbungspolitik der Nationalsozialisten mit, die jedoch nicht Ziel der Untersuchung ist. Vielmehr sollen hier die Tendenzen des Kunsthandels im Vordergrund stehen, die durch die Auktionshäuser beeinflusst wurden. Überdies gibt es bereits ausführliche Darstellungen über Haberstock. Vgl. beispielsweise Petropoulos, 2000, S. 74-93. 747 Auk.kat. Gemälde, Mobiliar, Kunstgewerbe, Tapisserien, Orientteppiche, durch Union, am 25.2. 1942; Auk.kat. Gemälde alter und neuer Meister, Mobiliar, Kunstgewerbe aus verschiedenem Privatbesitz, durch Union, am 10./11.6.1942 und Auk.kat. Gemälde, Mobiliar, Kunstgewerbe aus sächsischem Schloßbesitz und verschiedenem Privatbesitz, durch Union, am 9./10.9.1942. 748 Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: 'Weltkunst, 16. Jg., 29.3.1942, Nr. 13/14, S. 3. 749 Neben der Weltkunst wurden auch Auktionskataloge und das Kunstpreis-Verzeichnis 1941/1942 zur Ermittlung der Versteigerungen in Berlin herangezogen. Im Letzten waren Achenbach und Berkhan nicht verzeichnet. Nur Berkhan fand im Auktionskalender zweimal Erwähnung. 750 Protokolle für das Auktionshaus Harms sind für 1942 erst ab dem 2.6.1942 erhalten. Vgl. L A B A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 21. 751 Anzeige der führenden deutschen Kunstversteigerer, in der Rudolf Harms damit wirbt, dass sein Geschäft seit 27 Jahren besteht, in: Weltkunst, 11. Jg., 18.7.1937, Nr. 28/29, S. 8. 752 Rudolf Harms unterschrieb in Vertretung beispielsweise das Protokoll für die Versteigerung am 19.1.1937. Vgl. LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 17. Den Antrag auf eine Auktion am 14.10.1941 zeichnete dagegen Frieda Harms in Vertretung ab. Vgl. ebd., Nr. 21.
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keiten von Gerhard Harms, teils direkt in den Wohnungen der Einlieferer aus. Dabei handelte es sich um Sammelversteigerungen, die überwiegend sehr geringe Preise - für Gemälde lagen sie häufig weit unter 100 RM - erzielten. Es gab nur wenige Ausnahmen wie beispielsweise die 1.200 RM für eine „Waldlandschaft mit Figuren" und die 3.500 RM für ein „Herrenporträt" eines unbekannten Künstlers.753 Der überwiegende Teil der Kunstwerke, der im Laufe des Jahres versteigert wurde, stammte aus dem Besitz jüdischer Bürger, die vor ihrer Deportation die letzte Habe, die ihnen noch verblieben war, verkaufen mussten. Aufgrund der „Endlösung der Judenfrage", welche die Deportation und anschließende Vernichtung der Juden vorsah, war es Juden seit Anfang Januar völlig unmöglich geworden, das Deutsche Reich zu verlassen.754 Bis zum Kriegsende wurden 50.500 Juden aus Berlin deportiert.755 Unter ihnen befand sich auch Robert Graetz, der am 14. April 1942 mit dem 14. Zug nach Trawniki transportiert wurde. Die letzte Vermögensauflistung, die Graetz wie alle Juden nur wenige Tage vor seiner Deportation anfertigen musste, weist nur drei Mäntel, vier Oberhemden, zwei Koffer, drei unbezeichnete Gemälde und zwei Bronzen auf.756 Das Hab und Gut dieses einst vermögenden Kaufmannes war auf ein Minimum geschrumpft. Die Auflistung von Graetz, dessen Schicksal stellvertretend für viele vermögende jüdische Bürger und Sammler steht, verdeutlicht auf eine nüchterne Art und Weise, wieso kaum noch Kunstwerke auf dem Markt angeboten wurden: Die jüdischen Eigentümer waren ihrer Sammlungen bereits längst beraubt worden, sei es durch Zwangsverkäufe durch die Nationalsozialisten oder durch finanzielle Notwendigkeiten, um den Lebensunterhalt zu gewährleisten. Aus diesem Grund fanden wenige Kunstauktionen statt, auf denen aus Mangel an Angeboten die Schätzpreise oft um ein Vielfaches überboten wurden. Gebeime Meldungen zur Lage auf dem deutschen
Kunstmarkt
Während in der offiziellen Presse hinsichtlich des Kunstmarktes keine Berichte über die erheblichen Preissteigerungen im Verhältnis zu den Schätzpreisen erschienen, wurde diese Tatsache mit einer gewissen Besorgnis in den „Meldungen aus dem Reich" erörtert.757 Wegen der hohen Verkaufserlöse, die teilweise das Zwei- bis Vierfache der Schätzwerte erreichten, wurde daher die Befürchtung geäußert, dass finanzkräftige Käufer Kunstwerke nur zu Anlagezwecken erwarben, und die Kunst eine untergeordnete Rolle spielte. Während diese Tendenz von den MADR thematisiert wurde, lehnte die Weltkunst die Behaup-
753 Versteigerungsprotokoll der Sammelversteigerung aus nichtjüdischem Besitz vom 25.11.1942. Vgl. ebd. 754 Verbot zur Auswanderung von Juden. Runderlass vom 3.1.1942. Vgl. Kempner, 1961, S. 181. 755 In der Zeit von Oktober 1941 bis März 1942 wurden bei jedem Transport etwa 1000 Berliner Juden in Vernichtungslager nach Lodz, Minsk und Riga deportiert. Bis zum April 1945 wurden die Deportationen mit jeweils 20 bis 100 jüdischen Bürgern auch in andere Vernichtungslager fortgesetzt. Vgl. Gruner, 1996, S. 98 f. 756 Wohnungsliste von Robert Graetz in der Wissmannstraße 11. Vgl. B L H A , Rep. 36A Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg II, Nr. 12405, Akte Robert Graetz. 757 Für das Folgende vgl. MADR, 1938-1945, Bd. 10, Nr. 293 vom 22.6.1942, S. 3854-3856.
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II. Der Kunsthandel
in Berlin
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tung einer „Flucht in die Sachwerte" bisher als unbegründet ab.758 Bemerkenswert ist in der Tat der Umstand, dass die nationalsozialistische Regierung die Preise auf allen wirtschaftlichen Gebieten sowie bei den Löhnen rigoros festsetzte und kontrollierte; für den Kunsthandel vermochte sie dies jedoch nicht, was deutlich an den gestiegenen Auktionsergebnissen abzulesen ist.759 In den „Meldungen" wurden die Preissteigerungen daher mit der inflationären Situation auf dem Kunstmarkt während der Jahre 1920/21 verglichen.760 Um dem entgegenzuwirken, wurden Maßnahmen zur Lenkung der Entwicklungen auf dem Kunstmarkt erwogen. Aber das Reglementieren des Kunstmarktes war viel schwieriger als dies bei anderen Bereichen der Fall war. Es verwundert daher nicht, dass es keine konkreten Vorschläge gab. Als ein Segment des Kunsthandels wurde ebenfalls der Umgang mit Arbeiten von jüdischen Künstlern besprochen. Auch hier war die staatliche Kontrolle ohnmächtig gegenüber einer Regulierung des Kunstmarktes. Voller Empörung wurde davon berichtet, dass „jüdische Erzeugnisse [...] nicht nur beachtliche Preise erzielen, sondern in die Hand arischer Käufer [gelangten]".761 Erwähnung fanden drei Gemälde von Liebermann, die auf einer Versteigerung bei Achenbach zwischen 3.000 und 8.000 RM erzielt hatten. Der Berichterstatter teilte mit, dass gegen diese Verkäufe nicht vorgegangen werden könne, da eine entsprechende Anordnung zum Verbot nicht bestehe. Diese Schlussfolgerung mutet merkwürdig an, denn in der Reitkunst gab es immer wieder amtliche Bekanntmachungen, die unter Androhung von Konsequenzen nur den Handel mit Kunstwerken von Künstlern vorsah, die Mitglieder in der RdbK waren.762 Da jüdische Künstler jedoch aufgrund ihrer Herkunft von der Aufnahme in die RdbK ausgeschlossen waren, hätten sie automatisch unter dieses Verbot fallen müssen. Die Erwähnung, dass Werke von Liebermann und Ury auch noch 1942 auf dem Berliner Kunstmarkt zu erwerben waren, veranschaulicht jedoch, dass es offenbar Wege gab, um die Vorschriften der Reichskammer zu umgehen. Weiterhin beschäftigten sich die MADR wiederholt mit dem Thema des ansteigenden Handels mit Kitscherzeugnissen, denn trotz einer Anordnung des Präsidenten der RdbK vom 1. Oktober 1940 konnte der Vertrieb bisher nicht unterbunden werden.763 Da derartige 758 Deusch, 1941, S. 10. 759 Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde ein Erlass verabschiedet, der „mit dem Inkrafttreten der zweiten Durchführungsbestimmungen zum Abschnitt III der Kriegswirtschaftsverordnung vom 12.10.1939 [...] im gesamten Reich einheitlich jede unerwünschte Lohnbewegung" unterband. Vgl. Erlass des Reichsarbeitsministers Seldte an die Reichstreuhänder der Arbeit über die „Lohngestaltung im Kriege" vom 20.10.1939. Abgedruckt bei Michalka, 1985, Bd. II, S. 273. Unter den zahlreichen Preisvorschriften, die alle allgemein die Wirtschaft betrafen, wobei der Kunsthandel ausgespart blieb, vgl. beispielsweise die Verordnung über Strafen und Strafverfahren bei Zuwiderhandlung gegen Preisvorschriften vom 3.6.1939 (vgl. RGBl., 1939, I, S.999), die Verordnung zur Regelung der Getreidepreise im Wirtschaftsjahr 1940/41 vom 29.6. 1940 (vgl. RGBl., 1940,1, S, 938) und die Verordnung über die Einführung der Verordnung über Preisbindungen in den eingegliederten Ostgebieten vom 3.4.1941 (vgl. RGBl., 1941,1, S. 190). 760 MADR, 1938-1945, Bd. 10, Nr. 293 vom 22.6.1942, S. 3854. 761 Ebd., S. 3855. 762 Beispielsweise vgl. Meister, 1942, S. 6. 763 Für das Folgende Anonym, Zur Lage auf dem Gebiet der bildenden Kunst - Kritische Stimmen
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Erzeugnisse vorwiegend in Warenhäusern, auf Messen und in fachfremden Geschäften im Angebot waren und schnellen Absatz fanden, war eine Überwachung des Handels äußerst schwierig. Auch wurden die Preise bemängelt, die im Verhältnis zur geringen Qualität der Ware zu hoch waren. Paradoxerweise handelte es sich bei den „Künstlern", welche die Werke herstellten, um Mitglieder der RdbK, denn die Kammer überprüfte nur den „Ariernachweis", die künstlerischen Fähigkeiten dagegen nicht. Um diesem misslichen Umstand Einhalt zu gebieten, wurde eine Eignungsprüfung sowohl für die Künstler als auch für die Kunsthändler gefordert, da letztere häufig mangelhaft oder gar nicht ausgebildet waren und insbesondere Kitsch verkauften. Der „totale Krieg", von Goebbels am 18. Februar 1943 öffentlich propagiert, hatte auch für den Kunstmarkt weitreichende Folgen: Die Anzahl der Auktionen ging im Laufe des Jahres 1943 wesentlich zurück; im September 1944 wurden sie völlig eingestellt.764 Auf der Grundlage eines Geheimerlasses von Hitler vom 13. Januar 1943 hatte der Reichspropagandaminister gefordert, dass sich das gesamte deutsche Volk auf den „totalen Krieg" vorbereiten sollte, umso den Sieg zu erreichen. 765 Dies bedeutete für jeden einzelnen „Volksgenossen" enorme persönliche wie wirtschaftliche Opfer. In allen Bereichen, die nicht für die Kriegswirtschaft wichtig waren, wurden daher die Mitarbeiter für den Kriegs- oder den Arbeitseinsatz eingezogen. Der Kunstmarkt war durch solche Maßnahmen empfindlich gestört. So fanden in diesem Jahr wesentlich weniger Auktionen als noch im Vorjahr statt. Aufgrund des hohen Rückgangs an Versteigerungen, aber eines unverminderten Verlangens nach Kunst, schnellten die Preise in die Höhe. Dieses Interesse war häufig durch den Wunsch begründet, das gesparte Geld in wertbeständiger Kunst anzulegen. Waren bereits seit 1941 ausgesprochen hohe Preise gezahlt worden, so lagen die nun gebotenen Preise in vielen Fällen sogar noch darüber. Das geringe Angebot ist ebenfalls an der Gestaltung der Weltkunst deutlich abzulesen. Die bisher vierzehntägig erscheinende Zeitschrift reduzierte ihre Erscheinungsweise bis Mai 1943 auf alle drei Wochen und ab Juli auf einmal im Monat. Zudem erschien die Weltkunst seit Mai vereint mit der Kunstrundschau.766 Inhaltlich überwog auch hier der Anzeigenteil mit Inseraten, die für die jeweiligen Geschäfte warben und nur in Einzelfällen für spezielle Versteigerungen. Eine Besprechung der Veranstaltungen gab es mit einer Ausnahme weiterhin nicht. Allerdings erschien der bisher obligatorische Jahresrückblick auf die stattgefundenen Auktionen wieder. Die rapide gestiegenen Preise, die bisher kaum Erwähnung in der Weltkunst gefunden hatten, wurden aufgrund von Nennungen in der Tagespresse nun auch dort thematisiert. 767 Erklärt wurde die Entwicklung mit einem geänderten Interesse der Käufer.
zum Aufnahmeverfahren der Reichskammer der bildenden Künste, Nr. 319 vom 21.9.1942, S. 4222-4225, in: MADR, 1938-1945, Bd. 11: Meldungen aus dem Reich vom 23.Juli - 2 . N o vember 1942. 764 Die Rede Goebbels' ist auszugsweise bei Michalka, 1985, Bd. II, S. 295-297 abgedruckt. 765 Hitlers Geheimerlass zur Vorbereitung des totalen Krieges vom 13.1.1943. Abgedruckt ebd., S. 294 f. 766 Seit Mai 1943 war auf der Titelseite zu lesen: „Für die Kriegsdauer vereinigt mit Vgl. Weltkunst, 17. Jg., 16.5.1943, Nr. 15/18, S. 1. 767 Anonym, Das Kunstjahr 1943, in: Weltkunst, 17. Jg., 15.12.1943, Nr. 49/52, S.l.
Kunstrundschau.
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Augrund mangelnder erstrangiger Werke hätten sich diese den mittleren Objekten zugewandt, die sich in der Folge wesentlich verteuerten. Da es - wie die Analysen verdeutlichen - aber bereits seit Jahren nur noch äußerst selten exzellente Kunstwerke auf dem Berliner Markt gab, erscheint diese Erklärung nicht ausreichend. Vielmehr stiegen die Preise durch eine starke Nachfrage ganz allgemein nach Kunst auf hohe und Höchstsummen. Aufgrund der verheerenden wirtschaftlichen Auswirkungen durch den andauernden Krieg erschien es vielen Deutschen sicherer, ihr Geld in Kunst anzulegen, als es auf einer Bank zu lassen.768 Barvermögen gab es genug, da es wegen des knappen Warenangebotes nicht ausgegeben werden konnte. Diese Vorgehensweise, Geld in Sachwerte anzulegen, um es vor der „geräuschlosen" Kriegsfinanzierung durch die Nationalsozialisten zu retten,769 evozierte wegen der gestiegenen Nachfrage für Kunst, die vom Angebot nicht im mindesten mehr gedeckt werden konnte, auffällig hohe Preise - auf dem Berliner Kunstmarkt lag der Spitzenpreis 1943 bei 270.000 RM. Solche Tendenzen weisen Parallelen zu den inflationären Summen auf, wie sie für Kunstwerke Anfang der 1920er Jahre gezahlt wurden. Wie seinerzeit gaben die Käufer für weniger bedeutende Arbeiten ausgesprochen hohe Summen aus, die häufig nicht der Qualität des Werkes entsprachen. Während in den MADR bereits im Vorjahr inflationistische Züge auf dem Kunstmarkt befürchtet wurden, verweigerte der Berichterstatter der Weltkunst, vermutlich handelte es sich um Werner Deusch, hartnäckig, diese zu erkennen.770 Im Gegenteil stand für ihn außer Zweifel, dass auch im bevorstehenden fünften Kriegsjahr das Kunstleben und der Kunstmarkt unvergleichlich reger und aktiver werden würde, als es im vierten Jahr denkbar gewesen wäre.771 Darin täuschte sich Deusch gewaltig, denn ab September 1944 fanden im Deutschen Reich keine Auktionen mehr statt. Schon im Verlauf des Jahres 1943 wurden nur noch vergleichsweise wenige Versteigerungen in Berlin und den meisten anderen deutschen Städten durchgeführt. Die Nennungen der Auktionen in der Rubrik „Im Reich" in der Weltkunst überwogen dabei gegenüber der Rubrik „Berlin". Dies ist vor allem damit zu begründen, dass eine Reihe deutscher Auktionshäuser, vorrangig aus Berlin und München, ihren Handel nach Wien verlagert hatte. Auch das Auktionshaus H.W. Lange veranstaltete ab Herbst seine Versteigerungen dort. Insgesamt führte Lange drei Auktionen in diesem Jahr durch, davon zwei in Berlin und eine in Wien. Bereits in der Januarauktion wurden außerordentlich hohe Verkaufserlöse erzielt, die von der im April noch weit überboten wurden. Hauptschwerpunkt lag bei allen drei Versteigerungen auf Werken niederländischer Meister des 17. sowie deutscher des 19. Jahrhunderts. Daneben gab es einige Gemälde italienischer Altmeister, deutscher Künstler des 18. und französischer des 19. Jahrhunderts. Allgemein konnte festgestellt werden, dass die 768 Anonym, Meldungen über die Einstellung der Bevölkerung zum Wert des Geldes, SD-Berichte zu Inlandsfragen vom 12. Juli 1943 (Rote Serie), S. 5457-5460, hier: S. 5457, in: MADR, 1938-1945, Bd. 14: Meldungen aus dem Reich vom 31. Mai 1943; SD-Berichte zu Inlandsfragen vom 7. Juni 1943 (Blaue Serie) bis 9. September 1943 (Weiße Serie); Meldungen aus den SD-Abschnittsbereichen vom 25. Juni bis 9. Juli 1943. 769 Zur Enteignung der Millionen Sparer vgl. Boelcke, 1993, S. 112. 770 Anonym, Das Kunstjahr 1943, in: Reitkunst, 17. Jg., 15.12.1943, Nr. 49/52, S.l. Da Deusch im Jahre 1941 im selben Tenor über den Kunstmarkt schrieb, wird davon ausgegangen, dass er ebenfalls der Verfasser des hier erwähnten Artikels ist. Vgl. Deusch, 1941, S. 10. 771 Anonym, Das Kunstjahr 1943, in: Weltkunst, 17. Jg., 15.12.1943, Nr. 49/52, S.l.
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Werke neuerer Maler für wesentlich höhere Summen verkauft wurden als die alten. Lagen die höchsten Erlöse im Januar für die niederländischen Gemälde bei 55.000 R M (Philipp Wouwermans „Vor der Herberge") und 62.000 R M (Jan van Goyens „Flache Kanallandschaft"), 772 wurden sie im April noch übertroffen. Salomon van Ruysdaels „Große Landschaft" erzielte 70.000 R M und sein Werk „Baumreiches Flussufer" sogar 125.000 RM; auch das Gemälde „Blick auf San Pierro di Careggio" des deutschen Künstlers Jacob Philipp Hackert erreichte mit 120.000 R M eine ähnlich außergewöhnlich hohe Summe wie das von Ruysdael. 773 Im Vergleich zu den alten Meisterwerken waren die Preise für die neueren allerdings noch wesentlich höher. Auch gab es zahlenmäßig mehr Gemälde neuerer Künstler mit sehr hohen Summen. 774 Neben Erlösen zwischen 30.000 und 60.000 R M für Künstler wie Spitzweg und Marees zählten zu diesen auch Franzosen wie Courbet, Monet sowie Auguste Renoir. Die Höchstpreise brachten das Gemälde „Eifersucht" von Defregger mit 70.000 R M und „Blick auf die Rue St. Honore in Paris" von Pissarro für 95.000 R M im Januar. Unvergleichliche Spitzensummen wurden jedoch für die neueren Arbeiten im April gezahlt. Allein vier Gemälde kosteten über 100.000 RM, wie Lenbachs „Bildnis Fürst Bismarck" (100.000 RM) und Monets „Gartenlandschaft" (178.000 RM). Die Rekordsumme von 270.000 R M wurde für Böcklins „Hochzeitsreise" gezahlt - ein Betrag, der seit Jahrzehnten nicht mehr auf dem Berliner Kunstmarkt erreicht worden war. 775 Erworben wurde das Werk zusammen mit acht weiteren in der April- und sechs in der Januarauktion für den „Sonderauftrag Linz". 7 7 6 Auch auf der im Herbst durchgeführten Versteigerung, die H.W. Lange zusammen mit dem Auktionshaus Dorotheum in Wien veranstaltete, wurde eine Reihe von Gemälden für den „Sonderauftrag Linz" erworben. 777 Als Käuferin auf der Auktion trat, wie schon auf der Aprilauktion, die Münchener Kunsthändlerin Maria AlmasDietrich auf, die eine der wichtigsten Kunsthändler für Hitler war. Sie erwarb auf der Wiener Auktion insgesamt 19 Gemälde von Altmeistern und deutschen Künstlern des 19. Jahrhunderts. 778 Die dort gezahlten Preise waren ebenfalls außergewöhnlich hoch,
772 Auk.kat. Gemälde alter und neuerer Meister, mittelalterliche Plastik, Kunstgewerbe, durch Lange, vom 27.-29.1.1943. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 17. Jg., 28.2.1943, Nr. 9/10, S. 3 und ebd., 14.3.1943, Nr. 11/12, S. 3. 773 Auk.kat. Verschiedener deutscher Kunstbesitz, Gemälde alter und neuerer Meister, Möbel, Tapisserien, Golddosen, durch Lange, am 16./17.4.1943. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 17. Jg., 16.5.1943, Nr. 15/18, S. 3 und ebd., 30.5.1943, Nr. 19/22, S. 4. 774 Die Anzahl der Gemälde alter und neuerer Künstler betrug bei beiden Auktionen jeweils etwa einhundert Werke, wobei die Zahl der Preise für neuere Arbeiten deutlich höher gegenüber den Altmeisterwerken lag. 775 Übersicht über die Bewertung der Preise für 1943-1944. Vgl. im Anhang Tabellen 4-7. 776 Schwarz, 2004, S. 160-169 (Fotobände X X V und X X V I ) . Darüber hinaus ist für die Aprilauktion die Aufstellung der ersteigerten Gemälde bei Lange am 16./17.4.1943 durch Maria Almas-Dietrich erhalten. Vgl. Β Arch, B323/132, L F XVIa/27/170. 777 Auk.kat. Verschiedener deutscher Kunstbesitz. Gemälde alter und neuerer Meister, Plastik, Möbel, Keramik, durch Lange zusammen mit dem Dorotheum, in Wien, vom 5.-7.10.1943. Erwähnt bei Anonym, Vom deutschen Kunstmarkt, in: Weltkunst, 17. Jg., 15.10.1943, Nr. 39/44, S. 1. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: ebd., 15.10.1943, Nr. 39/44, S. 4. 778 Rechnung über die verkauften Gemälde von H.W. Lange an die Reichskanzlei, Berlin, 5./7.10.
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II. Der Kunsthandel
in Berlin
-1943
glichen aber eher denen der Januarauktion. Bereits diese Ankäufe auf den Auktionen bei Lange zeigen, mit wie viel finanziellem Aufwand am Aufbau der neuen Gemäldegalerie in Linz gearbeitet wurde. Durch die Dynamik des Linzer Projektes und die kriegsbedingte geographische Expansion hatte Kunst einen bis dahin nicht da gewesenen politischen und wirtschaftlichen Stellenwert erhalten. Weitere preistreibende Faktoren waren zudem die Ambitionen einer im NS-Reich herausgebildeten Elite, zu der NS-Größen wie Hitler und Göring zählten, die mit großen finanziellen Mitteln Kunstwerke nahezu für jeden Preis erwarben. 779 Außergewöhnlich hohe Preise wurden jedoch nicht nur auf Auktionen gezahlt, die wesentlich vom Kaufinteresse des bietenden Publikums abhängig waren, sondern auch in Galerien, so bei Carl Nicolai in Berlin. Nicolai bot dem „Sonderauftrag Linz" aus Privatbesitz die Gemälde „Die Tarantella im Golf von Neapel" 780 und „Der Bau der Teufelsbrücke" 781 des deutschen Romantikers Carl Blechen für 160.000 beziehungsweise 150.000 RM an. Da dem Galeristen „die Preisnotierungen der bevorstehenden Länge-Auktion [im Januar]" bekannt waren, konnte er im Namen seines Auftraggebers auf den geforderten hohen Preis für die „Tarantella" bestehen.782 Während bis Ende 1942 das von Hitler geplante Museumsprojekt von den staatlichen Stellen streng geheim gehalten wurde, berichtete die Presse nach dem Tod Posses nun vereinzelt darüber.783 Dies hing jedoch weniger mit der Person des verstorbenen Direktors als mit der politischen Situation zusammen. Nach der verheerenden Niederlage bei Stalingrad benötigte Hitler etwas Positives, worüber berichtet werden konnte, und das geplante Museum eignete sich hervorragend dafür. In der nur kurzen Zeitspanne von 1939 bis 1942 waren bereits 1200 Gemälde zusammengetragen worden. Für das Auktionshaus Union konnten vier Auktionen ermittelt werden, die alle Gemälde und Mobiliar beinhalteten.784 Allerdings sind nur für eine Versteigerung Preise vorhanden, die im Übrigen wesentlich geringer sind als die bei Lange. Im Durchschnitt lagen sie für alte sowie neuere Kunstwerke zwischen 1.000 und 3.000 RM, in einigen Fällen auch bei 6.000 RM. Zwei Werke erzielten dagegen wesentlich höhere Erlöse; Leibis „Bauernmädchen am Herd"
779
780
781
782 783 784
1943. Vgl. BArch, B323/132, LF XVIa/27/126f. Beauftragt wurde Almas-Dietrich mit dem Schreiben des Referenten für den Sonderauftrag Linz, Berlin, 27.9.1943. Vgl. BArch, B323/132, LF XVIa/27/129. Zu Hitlers Museumsprojekt in Linz vgl. Lohr, 2005 und Schwarz, 2004; zur Sammlung Göring vgl. Mühlen, 2004 und Haase, 2000, sowie die in Vorbereitung befindliche Publikation „The Goering Collection" von Nancy Yeide, die in der Schriftenreihe der Forschungsstelle „Entartete Kunst" erscheinen wird. Verkauft von Hans Michovius, Cottbus, über die Galerie Carl Nicolai, Berlin, an den „Sonderauftrag Linz" am 3.11.1942 ( + 1 0 % Provision für Nicolai). Vgl. BArch, B323/140, LF XXa/24/ 122. Aus der Sammlung Ludwig Polscher, Cottbus, über die Galerie Nicolai, Berlin, am 4.3.1943 für den „Sonderauftrag Linz" erworben ( + 1 0 % Provision für Nicolai). Vgl. BArch, B323/100, LF 1/71/464-467; BArch, B323/140, LF XXa/24/123ff. Schriftverkehr zwischen Carl Nicolai und dem „Sonderauftrag Linz", Berlin, 21.1.1943. Vgl. BArch, B323/140, LF XXa/30/150. L.D., 1943. Zur Ermittlung wurden die Weltkunst und der Völkische Beobachter sowie Auktionskataloge ausgewertet.
2. Kunstmarkt
und Kunsthandel
-1943
149
(17.000 RM) und Rudolf von Alts „Blick auf den Dogenpalast" (52.000 RM).785 Harms veranstaltete mindestens sieben Versteigerungen, zumeist bestehend aus verschiedenem Besitz, wobei die wenigen überlieferten Preise häufig sehr gering sind.786 Nur vereinzelt wurden Summen über 1.000 bis 2.000 RM gezahlt. Kunsthandelim Chaos: Über die „katastrophale" Preisentwicklung auf dem deutschen Kunstmarkt aus Sicht der „ Meldungen aus dem Reich " Die auffallenden Preissteigerungen, die seit einigen Jahren auf dem deutschen Kunstmarkt zu verzeichnen waren, thematisierten im März 1943 gleich zwei ausführliche Berichterstattungen in den MADR. 787 Für das gesamte Deutsche Reich waren Erhöhungen auf Auktionen festgestellt worden, die in Extremfällen sogar Steigerungen um mehrere hundert Prozent im Vergleich zu den Preisen vor dem Krieg aufwiesen.788 Der Erwerb von Kunstwerken um jeden Preis, die „Flucht in die Sachwerte", wurde als sehr beunruhigend aufgefasst. Schuld daran war in erster Linie, dass viele Deutsche keine Zuversicht mehr in die deutsche Wirtschaft besaßen. Ungünstige Wehrmachtsberichte forcierten diese Katastrophenstimmung noch, die bei vielen, die es sich leisten konnten, den Wunsch weckte, ihr Geld aus Mangel an anderen Gelegenheiten in Kunst umzusetzen. Aufgrund der Erwartung von Höchstpreisen wurden daher die Kunstwerke nicht mehr über den freien Handel zu Festpreisen angeboten, sondern nahezu ausschließlich über Auktionshäuser. Da aber das sehr geringe Angebot an Objekten einer ungebrochen hohen Nachfrage nicht entsprechen konnte, war es eine logische Konsequenz, dass die Ergebnisse in ungeahnte Höhen schnellten. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die Preissteigerungen genau wie in den 1920er Jahren damit erklärt wurden, dass nicht mehr der Wert des Kunstwerkes im Vordergrund stehe, sondern dass die Käufer das Steigern als einen persönlichen Nervenkitzel - wie beim Spiel im Casino - betrachteten. Auch in der Inflationszeit wurde dies den Neureichen nachgesagt, da sie, schnell vermögend geworden, das Ersteigern von Kunst als Spiel ansahen. Für den Berliner Kunsthandel wurde das Beispiel der Januarauktion bei Lange genannt, auf der einige Bilder zu einem „unerhört hohen Preis" verkauft worden seien; die Gesamttendenz war jedoch eindeutig rückläufig. 789 Diese Einschätzung ist allerdings weder im Hinblick auf die Ergebnisse des Vorjahres noch mit denen von der Aprilauktion zu rechtfertigen. Was dem Berichterstatter im März 1943 selbstverständlich noch nicht bekannt sein konnte, ist die Tatsache, dass 1943 das Auktionsjahr mit den höchsten Preisen während der 785 Auk.kat. Gemälde, Mobiliar, Kunstgewerbe, durch Union, am 27./28.5.1943. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 17. Jg., 20.7.1943, Nr. 27/30, S. 4. 786 Protokolle für das Auktionshaus Harms sind für 1943 nur bis zum 13.2.1943 erhalten. Vgl. LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 21. 787 Anonym, Zu den Kunstversteigerungen während des Krieges, Nr. 369 vom 22.3.1943, S. 49874993, in: MADR, 1938-1945, Bd. 13: Meldungen aus dem Reich vom 1. März bis 30. Mai 1943 und Anonym, Stimmen zur Preisentwicklung auf dem Kunst- und Sammlermarkt, Nr. 370 vom 25.3.1943, S. 5011-5020, in: ebd. 788 Für das Folgende vgl. MADR, 1938-1945, Bd. 13, Nr. 369 vom 22.3.1943, S. 4988-4993. 789 MADR, 1938-1945, Bd. 13, Nr. 369 vom 22.3.1943, S. 4989.
150
II. Der Kunsthandel
in Berlin
-1943
NS-Herrschaft überhaupt wurde. Dieses Urteil resultiert vor allem von den Ergebnissen bei H.W. Lange, dessen Aprilauktion Rekordsummen erbrachte. Besonders ereiferte sich der Schreiber in den MADR darüber, dass auf der besagten Januarauktion gerade die französischen Impressionisten sehr hohe Summen erhielten; der höchste Preis ging gar an einen Franzosen, was als eine national „würdelose Haltung" des deutschen Kunsthandels bewertet wurde.790 Um die „unerträgliche" Differenz zwischen den französischen und deutschen Ergebnissen zu verdeutlichen, führte der Schreiber den eher durchschnittlichen Erlös von 25.000 RM für ein Bild des deutschen Künstlers Moritz von Schwind an. Dabei hätten durchaus gleichwertige Summen genannt werden können, wie die Landschaften von Thoma für 52.000 RM und von Spitzweg für 43.000 RM, die derselben Preiskategorie wie die meisten französischen Impressionisten auf der Auktion entsprachen. Stattdessen wurde gegen ausländische Kunst polemisiert. War es für die Nationalsozialisten schon unzumutbar, dass ein Gemälde des französischen Impressionisten Pissarro den Höchstpreis erzielt hatte, so war der Umstand, dass dieser „Halbjude" war, Grund genug, gegen jüdische Künstler ganz allgemein zu hetzen. Bereits 1942 wurde in den MADR das Problem erörtert, dass Arbeiten jüdischer Kunstschaffender immer noch im Kunsthandel legal zu erwerben waren.791 Der Berichterstatter bemerkte, dass das ungeschriebene Gesetz, nach welchem keine Werke jüdischer Künstler verkauft werden durften, noch immer Lücken aufwies. Die ungewöhnlich hohen Preissteigerungen waren jedoch nicht nur auf Auktionen von Kunstwerken zu verzeichnen, sondern auch auf denen von Antiquitäten sowie beim Verkauf von Objekten zeitgenössischer Künstler, die ihre Arbeiten beispielsweise in Verkaufsausstellungen anboten.792 Dabei wurden die Summen gegenüber denen von vor dem Krieg um ein Vielfaches überboten, was unter den Käufern zu Missmut geführt hatte.793 Um den desolaten Umständen auf dem Kunstmarkt ein Ende zu gebieten, wurde daher aus Sammlerkreisen eine Preisregelung gefordert, was jedoch kaum praktikabel war.794 Zu bedenken war dabei, dass der Kunsthandel ausgesprochen empfindlich auf äußere Einflüsse reagierte, weswegen es kaum Möglichkeiten gegeben hätte, gegen diese Preisentwicklung vorzugehen. Von Seiten der nationalsozialistischen Berichterstatter wurde für die Dauer des Krieges verlangt, die Kunstversteigerungen weitgehend einzuschränken. Diskutiert wurde auch darüber, die Gebote von Käufern auf ein Höchstmaß festzusetzen, die dem Friedenspreis eines Kunstwerkes um einen bestimmten Prozentsatz nicht überschreiten durfte.795 Erste Konsequenzen wurden gezogen, als im Herbst des Jahres in der Weltkunst bekannt gegeben wurde, dass Werke der bildenden Kunst ab 1. Oktober 1943 preislich ausgezeichnet werden mussten, wenn sie nach 1900 entstanden waren und öffentlich in Schaufenstern ausgestellt wur790 Ebd., S. 4991. 791 MADR, 1938-1945, Bd. 10, Nr. 293 vom 22.6.1942, S. 3855. 792 Über Antiquitäten vgl. MADR, 1938-1945, Bd. 13, Nr. 369 vom 22.3.1943, S. 4987; über zeitgenössische Kunst vgl. Anonym, Zu den Kunstausstellungen im vierten Kriegsjahr, Nr. 361 vom 22.2. 1943, S. 4834-4837, hier: S. 4836, in: MADR, 1938-1945, Bd. 12: Meldungen aus dem Reich vom 5. November 1942 bis 25. Februar 1943. 793 MADR, 1938-1945, Bd. 13, Nr. 370 vom 25.3.1943, S. 5013. 794 Ebd., S. 5018. 795 MADR, 1938-1945, Bd. 13, Nr. 369 vom 22.3.1943, S. 4993.
2. Kunstmarkt und Kunsthandel
-1944
151
den.796 Darüber hinaus durften dort nur Objekte präsentiert werden, deren Wert 3.000 RM nicht überschritt. Ausgenommen davon waren Arbeiten von lebenden Künstlern auf öffentlichen Kunstausstellungen. Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang aber auch, dass die seit Anfang der 1940er Jahre gezahlten außerordentlich hohen Preise für Kunstwerke nicht mehr von „Normalverdienern" gezahlt wurden. Dies konnte sich in erster Linie nur eine Finanzelite leisten. Die seit den 1930er Jahren durchgeführten Regelungen zur Preis- und Lohnpolitik sahen zwar die Stabilisierung der Lebenshaltungskosten vor, um eine Inflation zu vermeiden.797 Diese Maßnahmen gingen allerdings zu Lasten der Einzelhändler, da deren Gewinne durch die Bindung der Einzelhandelspreise auf fast alle Waren massiv zurückgingen. Gleichzeitig stiegen die Profite des Industriekapitals an. Aufgrund der zunehmenden Kampfhandlungen, die immer größere Teile der Bevölkerung in Mitleidenschaft zogen, wurde sowohl öffentlich als auch in den geheimen MADR darüber diskutiert, wie und in welchem Umfang Künstler und Sammler entschädigt werden könnten. Für Kunstgegenstände, die infolge von Kriegseinflüssen zerstört worden waren, sollte jedoch nur Entschädigung gezahlt werden, wenn die Ersatzbeschaffung volkswirtschaftlich gerechtfertigt war.798 Besonderes Augenmerk wurde darauf gelegt, dass die Entschädigung der Kunstwerke nicht zu solch „anormal übersteigerten Preisen" erfolgte, wie deren ursprüngliche Kaufpreise gewesen waren.799 Schwierigkeiten bei der Berechnung von Schäden in Künstlerateliers sah man jedoch darin, Werte von verlorengegangenen Arbeiten überhaupt preislich festzusetzen.800 Nach den Großangriffen auf Berlin vom 18. November bis 3. Dezember 1943 wurde eine staatliche Entschädigungszahlung immer dringender gefordert. Vollständiger Zusammenbruch des deutschen Kunstmarktes:
1944 bis Kriegsende
Durch die anhaltenden Bombenangriffe auf Berlin und die damit verbundene desolate Wirtschaftslage wurden aus allen Bereichen, die nicht für die Kriegswirtschaft von Bedeutung waren, Arbeitskräfte abgezogen.801 Im Ergebnis mussten zahlreiche kleine Händler und Handwerker ihre Geschäfte liquidieren. Wie sich diese Maßnahmen konkret auf den Kunsthandel auswirkten, ist ausgesprochen schwierig nachzuvollziehen. Auch aus dem Kunsthandel sollten Kräfte für den Arbeitseinsatz oder die Wehrmacht abgezogen werden wie beispielsweise Carl Krüger vom Auktionshaus Lepke. Er konnte sich jedoch offenbar vom Dienst befreien lassen, denn er war noch im Januar 1945 als Kunsthändler für die Gemälde796 Meister, 1943, S. 3. Dies erfolgte gemäß Paragraph 11 der Verordnung über die Preisauszeichnung vom 16.11.1940. Vgl. RGBl., 1940,1, S. 1535, § 11. 797 Für das Folgende Bettelheim, 1974, S. 172-179. 798 Cordes, 1943, S . l . 799 Ebd. 800 Anonym, Zur Auswirkung von Bombenschäden auf das Kunstschaffen auf dem Gebiet der bildenden Kunst, SD-Berichte zu Inlandsfragen vom 4. November 1943 (Rote Serie), S. 5963-5965, in: MADR, 1938-1945, Bd. 15: SD-Berichte zu Inlandsfragen vom 13. September 1943 (Grüne Serie) bis 27. Dezember 1943 (Rote Serie), Bericht an die Parteikanzlei vom 29. November 1943. 801 Für das Folgende Müller, 1993, S. 369.
152
II. Der Kunsthandel
in Berlin
-1944
galerie in Dresden tätig.802 Eine Reihe von Auktionshäusern verlegte ihre Versteigerungen aus Berlin wie H.W. Lange, der bereits seit dem vorangegangenen Herbst auch in Wien tätig war oder die Kunsthandlung Leyendecker, die seit April 1944 ihre Geschäftstätigkeit in Wiesbaden fortsetzte.803 Wegen der anhaltenden Bombardierungen mussten aber auch Geschäfte umziehen, so das Auktionshaus Union, das nur wenige Häuser weiter seinen Handel wieder aufnahm.804 Auch die Weltkunst thematisierte Anfang des Jahres 1944 die veränderten Umstände im Kunsthandel.805 Dieser habe erheblichen Schaden genommen, der sich allerdings vorwiegend auf die Gebäude beschränkte. Laut einer Umfrage bei Berliner Händlern seien die wertvollen Kunstwerke dagegen durch Verlagerung bis zu diesem Zeitpunkt vor der Vernichtung geschützt worden. Durch Improvisation hätten die Kunsthändler ihre Geschäfte noch im vollen Umfang aufrechtgehalten. Diese Aussage entspricht jedoch nicht dem Bild, das ansonsten in der Weltkunst widergegeben wird. Im Auktionskalender der weiterhin einmal im Monat erscheinenden Zeitschrift wurden nur sehr unregelmäßig Daten für Versteigerungen genannt. Zumeist handelte es sich dabei um solche, die im Reich stattfanden. Unter der Rubrik „Berlin" gab es nur zwei Einträge, die das Auktionshaus Union betrafen. Dieses Haus ist auch das einzige in Berlin, für das Ergebnisse des Jahres 1944 vorliegen. Auf einer Auktion im September wurden dort für die deutschen und niederländischen Kunstwerke Preise zwischen 1.000 und 4.000 RM erzielt; in einigen Fällen auch 12.000 RM, so für ein Stillleben von Cornells de Heem. Die höchste Summe zahlte ein Sammler für ein „Großes Stillleben" von Alexander Cossemanns (35.500 RM). 806 Diese Erlöse, die im mittleren bis oberen Preissegment liegen, deuten in keiner Weise darauf hin, dass der Kunstmarkt noch im Herbst komplett seine Aktivitäten einstellen würde.807 Genau dies war jedoch der Fall: Die letzten Auktionen fanden im September 1944 statt.808 Demzufolge war das weitere Erscheinen der Weltkunst überflüssig geworden. In ihrer letzten Ausgabe im September gab der Schriftführer bekannt, dass die Zeitschrift „im Zuge der durch den totalen Krieg bedingten Konzentrationsmaßnahmen auf dem Gebiet der Presse [...] das Erscheinen für die Dauer des Krieges einstellt]". 809 Aufgrund der wenigen publizierten Ergebnisse beziehungsweise überlieferten Quellen zum Kunsthandel von 1944 stellt es sich als äußerst schwierig dar, die Gesamtsituation auf dem Kunstmarkt wiederzugeben. Hinzu kommt, dass „ein großer Teil des Umschichtungs802 Brief von Krüger an Voss, Berlin, 15.1.1945. Vgl. BArch, B323/138, LF XIXa/44/260. 803 Das Geschäft war in der Händelstraße 3. Vgl. die Anzeige in: Weltkunst, 18. Jg., 15.4.1944, Nr. 4, S. 3. 804 Die vorläufige neue Anschrift lautete seit März 1944 Rankestraße 2. Vgl. die Anzeige in: Weltkunst, 18. Jg., 15.3.1944, Nr. 3, S. 2. 805 Anonym, Unverwüstlicher Kunsthandel, in: Weltkunst, 18. Jg., 15.1.1944, Nr. 1, S. 1. 806 Auk.kat. Gemälde, Kunstgewerbe, Graphik, durch Union, am 12.9.1944. Ergebnisse vgl. Anonym, Preisberichte, in: Weltkunst, 18. Jg., 15.9.1944, Nr. 9, S. 3. 807 Übersicht über die Bewertung der Preise für 1943-1944. Vgl. im Anhang Tabellen 4-7. 808 Für den Münchener Kunsthandel liegt ein Schreiben des Bayerischen Nationalmuseums München an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus München vom 27.7.1944 vor. Vgl. BayHStA, MK 40839 (Abgedruckt bei Wilhelm, 1990, Anhang Nr. XV). 809 Anonym, An unsere Leser!, in: Weltkunst, 18.Jg., 15.9.1944, Nr. 9, S. 1.
2. Kunstmarkt
und Kunsthandel
-1944
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prozesses des Kunstbesitzes nicht auf öffentlichen Versteigerungen, sondern unter vier Augen" stattfand.810 Die Feststellung Deuschs, dass Meisterwerke immer seltener öffentlich versteigert wurden, sofern sie nicht Bestandteil einer Sammlung waren, und somit weder die Verkaufserlöse noch die weitere Geschichte der Werke bekannt wurden, konnte auch durch die hier durchgeführten Untersuchungen bestätigt werden. Der Berliner Kunstmarkt bot vorwiegend mittlere Qualitäten an, Spitzenwerke dagegen nur sehr selten, und deren Preise sind in der Regel nicht veröffentlicht worden. Uber das offizielle Organ des Kunsthandels, die Weltkunst, ist aufgrund der Druckeinstellung nichts mehr über den Kunstmarkt zu erfahren. Verkäufe über den freien Handel fanden jedoch weiterhin statt, wobei zum Teil erhebliche Summen für Kunstwerke gezahlt wurden. Über den Umfang der freien Verkäufe können allerdings keine Aussagen gemacht werden, da die Ergebnisse nicht publiziert wurden. Nur vereinzelt sind Preise in Archiven zu finden.811 Galeriebestände mit Einkaufs- und Verkaufsbüchern sind dagegen kaum zu finden, da sie entweder durch Kriegseinwirkungen oder durch die Kunsthändler selbst vernichtet wurden. Unter den sehr hohen sowie ausgezeichneten Summen seien das Gemälde „Diana mit Gespielinnen in einer Ruine" (80.000 RM) von Cornells Poelenburg und ein „Kircheninterieur" (200.000 RM) von Emanuel de Witte genannt, die der Berliner Kunsthändler C. F. Ernst Schmidt an das Deutsche Reich verkaufte.812 Auch H.W. Lange war weiterhin für das Reich als Kunsthändler tätig. Obwohl er inzwischen seine Versteigerungen nach Wien verlagert hatte, betrieb er sein Geschäft auch weiter in Berlin, jetzt jedoch in der Bellevuestraße 5.813 Unter seinen zahlreichen Verkäufen des Jahres 1944 ragt eine „Ländliche Szene" von Frangois Boucher hervor, die er im Juli für 250.000 RM veräußerte.814 Diese Summe reicht nahezu an den Spitzenpreis vom vorangegangenen Jahr heran, als Böcklins „Hochzeitsreise" auf einer Lange-Auktion 270.000 RM kostete. Derartig hohe Preise stehen allerdings im Gegensatz zur Preispolitik der Nationalsozialisten. Entsprechend der Kriegswirtschaftsverordnung (KWVO) wurden seit dem Sommer 1944 nicht nur die Preise „für Güter und Leistungen jeder Art nach den Grundsätzen einer kriegsverpflichteten Volkswirtschaft gebildet", sondern auch für Gegenstände mit einem Kunst- oder Sammlerwert.815 Die bisherigen Argumente, dass Kunstgegenstände keinem dringenden Lebensbedürfnis entsprechen und daher der Handel mit ihnen auf lebensnotwendige Dinge keinen Einfluss habe, wurde nicht mehr akzeptiert. Allerdings bot die Verordnung insofern Spielraum, da sie regelte, dass bei der Preisbildung den besonderen 810 Deusch, 1944, S. 9. 811 Von besonderem Interesse ist der Bestand Β 323 im Bundesarchiv. Erwähnt werden hier nur einige Beispiele für den weiteren Kunsthandel in Berlin während des Jahres 1944. Das eingehende Studium mit diesem Bestand ist jedoch weiteren Forschungen vorbehalten. 812 Schriftverkehr zu den Verkäufen am 25.8.1944 und am 28.7.1944. Vgl. BArch, B323/153, LF XXVII/24/129 und BArch, B323/153, LF XXVII/36/192. Dem Brief ist zu entnehmen, dass Schmidt zwar ein Berliner Geschäft hat, aber 1944 in Wien tätig war. 813 Die Adresse geht beispielsweise aus dem Brief von Lange an die Gemäldegalerie Dresden, Berlin, 31.5.1944, hervor. Vgl. BArch, B323/136, XVIII a/163/794. Das vorherige Geschäft in der Bellevuestraße 7 ist durch Bomben zerstört worden. 814 Der Verkauf fand am 21.7.1944 statt. Vgl. BArch, B323/153, LF XXVII/38/204. 815 Anonym, Kriegsverpflichtete Preisstellung, in: Weltkunst, 18. Jg., 15.8.1944, Nr. 8, S. 2.
II. Der Kunsthandel in Berlin -1944
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Umständen eines jeden Falles Rechnung zu tragen sei. Dies bedeutete, dass ein ursprünglich gezahlter hoher Preis bei der erneuten Berechnung für einen geplanten Verkauf berücksichtigt werden musste. Dennoch wurde bei der Erstellung der Kriegswirtschaftsverordnung nicht davon ausgegangen, dass dabei solche hohen Summen für Kunstwerke gerechtfertigt wären, wie sie teilweise auf dem Kunstmarkt gezahlt wurden. U m gegen die ausgesprochen hohen Preise vorzugehen, sah Paragraph 22 der K W V O bei einer übermäßigen Forderung einen Strafbestand beim Verkäufer vor. 816 Eine große Beachtung fand diese Verordnung vermutlich nicht mehr, da der Kunsthandel im September 1944 eingestellt wurde. Gründe sind vor allem im Kriegsgeschehen zu sehen. Deutschland hatte verheerende Niederlagen einstecken müssen und verlor zunehmend an Einfluss auf den weiteren Kriegsverlauf. 817 Als vermeintlicher Rettungsanker war die Wirtschaft vollständig auf den „Endkampf" eingestellt. Alle Wirtschaftszweige wurden zugunsten der Rüstungsindustrie mobilisiert, die im Sommer 1944 Höchstleistungen erbrachte. Wegen des Mangels an Ressourcen, Arbeitskräften und Rohstoffen konnten sie aber nicht auf Dauer durchgehalten werden. Hinzu kamen die gezielten Luftangriffe der Alliierten gegen das deutsche Transportsystem, die den wirtschaftlichen Zusammenbruch beschleunigten. In diesem Stadium der Kriegsführung, in dem es nur noch um das bloße Überleben ging, war der Handel mit Kunst marginal geworden. Bis zum Kriegsende änderte sich daran nichts.
Phänomen: Übergewicht an niederländischer Kunst auf dem Berliner Markt Auffallend bei der Untersuchung des Berliner Kunstmarktes während der Weimarer Republik und der NS-Zeit ist das Ubergewicht an niederländischen Gemälden des 17. Jahrhunderts auf Auktionen. Die Wurzeln für dieses Phänomen müssen in den davor liegenden Jahrzehnten gesucht werden. Sie reichen zurück bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, in die Zeit, als in Berlin die heutige Gemäldegalerie gegründet wurde (1830). 818 Deren erster Direktor, Gustav Friedrich Waagen, favorisierte die niederländischen Schulen, wobei sein Hauptinteresse der holländischen und flämischen Schule des 17. Jahrhunderts galt. Diese baute er in besonderem Maße durch gezielte Ankäufe aus. Sein Nachfolger Wilhelm von Bode und in noch stärkerem Umfang dessen Assistent Max Friedländer gaben durch ihre Forschungen neue Impulse für Erwerbungen niederländischer Künstler für das Museum. In die ständige Sammlung gelangten Werke von dem in der Kaiserzeit hochverehrten Rembrandt, von Peter Paul Rubens und von Genremalern wie Gerhard Metsu, Isaac van Ostade sowie David Teniers d. J. 8 1 9 Begünstigend für die Erwerbungspolitik Bodes wirkten sich zudem die Änderungen auf dem internationalen Kunstmarkt seit den 1880er Jahren aus. Während der italienische Markt zunehmend an Attraktivität für deutsche Käufer verlor, gewann der englische durch
816 Reichsgerichtsbriefe, 1 D 420/43 - 17.3.1944. Erwähnt ebd. 817 Müller, 1993, S. 373-376. 818 Für das Folgende zur Ankaufspolitik der Gemäldegalerie vgl. Stockhausen, 2000, hier insbesondere S. 106. 819 Ebd., S. 158.
2. Kunstmarkt
und Kunsthandel
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ein besonders reichhaltiges Angebot an niederländischen Gemälden an Bedeutung, so dass sich die Anschaffungspolitik der Gemäldegalerie dorthin ausrichtete. Da niederländische Gemälde des 17. Jahrhunderts von weniger bekannten Künstlern noch zu relativ günstigen Preisen zu erwerben waren, engagierten sich die Berliner Sammler, beraten durch Bode, maßgeblich auf diesem Gebiet. Die Sammlungspolitik der Gemäldegalerie wurde somit tonangebend für den Berliner Kunstmarkt. Einfluss auf die Nachfrage übte auch das aufstrebende Bürgertum aus, das sich Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend am Kunsterwerb beteiligte und dabei an der historischen, bisher dem Adel vorbehaltenen Tradition des Sammeins orientierte. Mehrere Faktoren begünstigten den Erwerb niederländischer Gemälde durch die neue Sammlergeneration: Sammler und Kunstinteressierte konnten bei ihren Besuchen in der Gemäldegalerie eine außergewöhnlich große Fülle an niederländischen Werken besichtigen und daran ihre eigenen Vorlieben und Kenntnisse ausbilden. Die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Sammlungen spiegelten daher die Repräsentanz der in der Gemäldegalerie vorhandenen niederländischen Werke wider.820 So erklärt sich der Umstand, dass auf den Auktionen der Weimarer Republik und der NS-Zeit der Berliner Kunstmarkt von niederländischen Gemälden des 17. Jahrhunderts dominiert wurde. Begünstigt wurden diese Verkäufe durch die desolate wirtschaftliche Situation in der Weimarer Republik beziehungsweise in den späteren Jahren durch die NS-Politik, denn viele jüdische Sammler waren gezwungen, ihre Sammlung für den Lebensunterhalt oder die Emigration zu veräußern. Neben der Vorbildwirkung der Museen sowie der Einflussnahme Bodes auf das Sammelverhalten kann allerdings auch die besondere Vorliebe der nationalsozialistischen Machthaber für die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts das Uberangebot an derartigen Kunstwerken erklären.821 Die Nationalsozialisten setzten damit die bisherige Sammeltradition der vergangenen Jahrzehnte kontinuierlich fort, denn ihre Kunstideologie bezog sich legitimierend auf die Niederländer, was sich sowohl in der Gattungsmalerei als auch in der Technik widerspiegelte. Das beobachtete Phänomen auf dem Berliner Kunstmarkt griff auch die Berichterstattung beispielsweise im Jahre 1938 auf. Der Kritiker der Weltkunst äußerte sich über einen „gewissen Grad an Uniformität" beim Angebot von niederländischen Meistern des ^ . J a h r hunderts in den Versteigerungen, sowie bei den Beständen jüngerer Sammlungen.822 Da diese Künstler bereits um die Jahrhundertwende „ihre große Hausse" hatten, plädierte er dafür, sich anderen Sammlungsgebieten zuzuwenden.823 Obwohl zwar in zunehmendem Maß Werke deutscher Künstler des 19. Jahrhunderts sowie im begrenzten Umfang italienischer Altmeister angeboten wurden, blieb das Überangebot an niederländischen Werken 820 Viele der von Bode geprägten Sammlungen besaßen allerdings auch einen Schwerpunkt auf der italienischen Renaissance. Dass sich dies dennoch nicht auf dem Berliner Kunstmarkt widerspiegelte, liegt auch daran, dass einige Sammlungen komplett von ausländischen Kunsthandlungen erworben wurden. Dies war beispielsweise im Jahre 1906 der Fall, als die italienische Altmeisterkollektion von Oskar Hainauer über die Londoner Kunsthandlung Duveen verkauft wurde. Vgl. Paul, 1993, S. 52. 821 Hinz, 1974, S. 65-68. 822 Anonym, Uniformität des Kunstsammelns, in: Weltkunst, 12.Jg., 8.5.1938, Nr. 18/19, S. 1. 823 Ebd.
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II. Der Kunsthandel in Berlin -1944
jedoch bestehen; Arbeiten von französischen Malern und modernen deutschen Künstlern kamen dagegen nur selten in öffentliche Versteigerungen.824 Dass aber gerade für deutsche und französische Gemälde des 19. Jahrhunderts ein großes Interesse bestand, veranschaulichen die überaus hohen Summen, welche die Käufer auf den Auktionen der Jahre 1943 und 1944 bereit waren zu zahlen.
824 Während die zeitgenössischen Künstler, die Mitglied der RdbK waren, ihre Kunstwerke auf Verkaufsausstellungen anbieten konnten, gab es für Künstler, die nicht Mitglied waren, keine offiziellen Absatzmöglichkeiten. Zur Bedeutung des Staates für die Auftragsvergabe an systemkonforme Künstler vgl. Petropoulos, 2000, S. 215-272.
III. Die Sammlung Graetz
Die Sammlung von Robert Graetz steht beispielhaft für eine Vielzahl von Kunstsammlungen, die während und nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in Berlin entstanden sind und die in den Jahren nach der „Machtergreifung" zerstreut wurden. Neben dem Entstehen und dem weiteren Ausbau bereits vorhandener altmeisterlicher Sammlungen, die jedoch häufig aufgrund des Währungsverlustes der Mark nur noch in reduziertem Umfang von deutschen Sammlern gekauft werden konnten, boten die Arbeiten lebender, noch nicht etablierter Künstler Kunstinteressierten eine gute Möglichkeit, diese relativ günstig zu erwerben. Obwohl zu Beginn des 20.Jahrhunderts auf breiter Ebene gesammelt wurde, ist häufig nur wenig über die Sammler dieser Generation und deren Kunstwerke bekannt. Anders als noch während des Kaiserreiches wurde der Kunstbesitz nicht mehr in erster Linie zu repräsentativen Zwecken für einen öffentlichen Rahmen zusammengetragen, sondern mehr für den privaten Genuss. So gab es bis zur „Machtergreifung" nur zwei Ausstellungen in Berlin, die explizit moderne Kunstwerke aus Privatbesitz in einem Museum präsentierten. Obwohl die beiden Sonderausstellungen im Jahr 1928 sehr erfolgreich waren, organisierte Ludwig Justi keine weiteren. Darin ist auch ein Grund für die geringe Anzahl zeitgenössischer Berichte über die einzelnen Kunstsammler zu sehen. Während zu Bodes Zeiten häufig Sammlerporträts in Fachzeitschriften erschienen, erfolgte dies in der Weimarer Republik ausgesprochen selten. Es gab zwar Mitte der 1920er Jahre Überlegungen zu einer Publikationsreihe über „Privatsammlungen neuer Kunst", umgesetzt wurde davon jedoch nur der Band zur Sammlung von Ida Bienert aus Dresden. 1 Es verwundert daher nicht, dass bis vor wenigen Jahren die Sammler des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts nahezu vollkommen unbekannt waren. Das späte Interesse für diese Sammler ist erst im Zusammenhang mit Rückgabeforderungen von NS-verfolgungsbedingt verbrachten Kunstwerken seit Anfang der 1990er Jahre entstanden, als diese von den ehemaligen Besitzern oder deren Erben an die Museen gestellt wurden. Diese Anspruchsforderungen zogen Recherchen zur Provenienz der vorrangig in den Jahren 1933 bis 1945 in Museumsbestände gelangten Kunstgegenstände nach sich. Als Resultat dieser Forschungen gerieten Privatsammler der Weimarer Republik und der N S Zeit zunehmend in den Fokus der Provenienzforschung, die in der Zwischenzeit ein eigen1 Grohmann, 1933.
III. Die Sammlung
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Graetz
ständiger Bereich innerhalb der Kunstgeschichte geworden ist. Erste Ergebnisse zu Sammlern wie Ismar Littmann, Max Silberberg und Max Steinthal liegen vor. 2 Die Untersuchungen zu diesen Sammlern sind jedoch erst durch die Freigabe großer Aktenbestände möglich geworden, die nach der Wiedervereinigung Deutschlands in gemeinsamen Archiven zusammengeführt oder aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland zurücküberführt wurden. Auch über Robert Graetz und seinen Kunstbesitz hätte nicht geforscht werden können ohne die Öffnung der Archive auf dem Gebiet der ehemaligen D D R . Einschränkend ist jedoch zu bemerken, dass über die Person Graetz nur lückenhaft im vorhandenen Archivmaterial recherchiert werden kann. Dank persönlicher Gespräche und Korrespondenzen mit Zeitzeugen konnte jedoch eine klarere Vorstellung von seiner Persönlichkeit erschlossen werden, auch wenn manche Fakten nicht mehr mit bestimmter Gewissheit von den Zeitzeugen wiedergegeben werden konnten. 3 Die Lebensbeschreibung von Graetz und die Analyse seiner Sammlung stellen einen Beitrag zur Provenienzforschung dar, der weiteren Forschungen zur Berliner Sammlungsgeschichte dienen soll.
1. Robert Graetz und seine Sammlung a) Privatmann, Geschäftsmann, Sammler Zur
Biographie
Robert Graetz wurde am 5. Oktober 1878 in Berlin als eines von sechs Geschwistern geboren. 4 Besonders engen Kontakt besaß er zu seinem älteren Bruder Hugo, der für die spätere Sammlungstätigkeit eine wichtige Rolle spielen sollte.5 Daneben gab es die Schwestern Else, Selma und Grete, sowie den jüngeren Bruder Wilhelm. 6 Nach Beendigung der Schule 2 Heuß, 1998, Littmann; dies., 2001; Kathmann, 2001; Max Steinthal, 2004 und Tatzkow, 2006. 3 Vgl. zur Quellenlage und zu den persönlichen Kontakten mit Zeitzeugen von Robert Graetz den Abschnitt „Forschungs- und Quellenlage". 4 LAB Datenbank zum Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, Eintrag zu Robert Graetz. 5 Hugo Graetz war als Kunsthändler in Berlin und ab etwa 1919 als Geschäftsführer der Künstlervereinigung „Novembergruppe" tätig. Im Jahre 1933 wanderte er nach Palästina aus. 6 Else Littmann, geb. Graetz, geb. am 13.5.1882 in Berlin, lebte zum Zeitpunkt der Volkszählung 1939 in Berlin-Schöneberg, Bamberger Str. 32. Sie war mit Hugo Littmann verheiratet, der ebenso wie Robert Graetz in der Textilbranche tätig war. Am 13.6.1942 wurde sie nach Majdanek deportiert und nach dem Krieg für tot erklärt. Vgl. Gedenkbuch Berlins 1995, S. 798. Selma Becker, geb. Graetz, war nach Angaben von Werner Haas mit dem Schneidermeister Ignatz Becker verheiratet. Die in der Datenbank zur Volkszählung von 1939 verzeichnete Sara Bäcker, geb. Graetz, geb. am 21.1.1877, verheiratet mit Itzig Bäcker, geb. am 21.10.1877, ist vermutlich mit Selma (Sara) Becker, verheiratet mit Ignatz Becker, identisch. Vgl. die Angaben in: BArch, Ergänzungskarten der Volkszählung vom 17.5.1939 (Datenbank). Wilhelm Graetz, geb. am 30.10.1887, war Zahnarzt in Berlin-Charlottenburg und wanderte am 25.12.1939 nach Argentinien aus. Vgl. LBO, Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. D 96. Über Grete Graetz sind keine näheren Daten bekannt, da die Mitgliederkartei der jüdischen Gemeinde zu Berlin nicht vollständig überliefert ist.
l.a) Privatmann, Geschäftsmann, Sammler
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ergriff Graetz den Beruf des Kaufmanns und gründete 1907 mit seinem Teilhaber Georg Glass die Textilfabrik „Glass & Graetz" in Berlin. Robert Graetz, der aus recht bescheidenen Verhältnissen kam - sein Vater besaß in Berlin-Mitte ein kleines Geschäft für gebrauchte Kleidung - kam offenbar rasch zu Wohlstand. Darüber vergaß er jedoch nicht, für seinen Vater zu sorgen, den er aus dessen Souterrain-Wohnung in der Ackerstraße in eine Wohnung in Wilmersdorf holte. Robert Graetz unterstützte trotz seiner späteren finanziellen Erfolge stets seine Familienangehörigen und Künstler in vielerlei Hinsicht. 7 Unmittelbar nach Kriegsende erwarb Graetz 1919 eine Villa in der Erdener Straße 13/15 in Berlin-Grunewald. Diese Gegend gehörte seit der zweiten Hälfte des Kaiserreichs zu den bevorzugten Wohnvierteln für das gut situierte Berliner Bürgertum, zu dem Kaufleute, Bankiers und Fabrikbesitzer zählten.8 Die Villenkolonie mit ihren überwiegenden Gründerzeitbauten war damals eine der vornehmsten Adressen Berlins. Zudem war der Stadtteil Wilmersdorf, der den Grunewald einschloss, der Berliner Bezirk mit dem höchsten Anteil jüdischer Bevölkerung, wodurch er wiederum besonders attraktiv für diese Schicht war. Nach einer statistischen Erhebung des Jahres 1933 waren 13,5 Prozent der Wilmersdorfer Bevölkerung jüdisch.9 Das großzügig geschnittene Einfamilienhaus war 1910 von dem Fabrikbesitzer Julius Junge in Auftrag gegeben und von dem Architekten Georg Roensch im selben Jahr errichtet worden. 10 Die zweigeschossige Villa bot mit ihren dreizehn Räumen auf insgesamt mehr als 500 qm Wohnfläche ein großbürgerliches Ambiente, mit dem sich Graetz als wohlhabender Industrieller einen seinem Status entsprechenden Rahmen geschaffen hatte.11 Im Jahre 1924 ließ Graetz zur Betonung der Gebäudeflucht zwei Strebepfeiler an der Hauptfront durch den Architekten Heinz Becherer anbringen. 12 Die Villa umgab ein etwa 2.200 qm großer Garten, der spätestens seit 1925 als englischer Garten angelegt war.13 Bis 1936 bewohnte Robert Graetz mit seiner Familie die repräsentativen Räume des Hauses allein; das Angestelltenehepaar Raddatz lebte mit seinen beiden Söhnen in der eigens für Personal vorgesehenen Wohnung im Souterrain. Das Paar bewirtschaftete bis zum Erlass der „Nürnberger Gesetze" als Chauffeur und Köchin Haus und Garten. 14 7 Die Freizügigkeit seines Großonkels betonte Jürgen Bath mehrfach im Gespräch am 21.9.2002 in dessen Wohnung in Charlottenburg. 8 Zur Bevölkerungsstruktur in Wilmersdorf vgl. Metzger, 1992, S. 9-33; zur Bebauung im Grunewald vgl. Baudenkmale in Berlin, 1994; Eigentümer und Mieter der Villenkolonie Grunewald, 1989 und Gläser und Metzger, 1988. 9 Statistik des Sicherheitsdienstes der SS (1935). Zit. nach Behördenmaßnahmen, 1996, S. 93. In Berlin lebten 1933 insgesamt 160.564 Juden, dies entsprach 3,8 Prozent der Gesamtbevölkerung Berlins. Vgl. Birnbaum, 1970, S. 118. 10 Für das Folgende L A B Β Rep. 209, Bezirks Verwaltung Wilmersdorf, Nr. 431: Bauakte Villa Erdener Straße 13/Trabbener Str., unfol. Die Familie Graetz bezog die Villa am 7.10.1919. Vgl. L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. Μ 16. Die Entschädigungsakte wurde entsprechend der verschiedenen Verfahren in Unterkapitel geteilt. 11 Auf- und Grundriss der Villa Graetz. Vgl. hier S. 234. 12 L A B Β Rep. 209, Bezirks Verwaltung Wilmersdorf, Nr. 431: Bauakte Villa Erdener Straße 13/Trabbener Str., Aufriss der Villa, Dezember 1924. 13 Ebd., Garten, Bl. 188 und 220. 14 L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. Μ 16.
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III. Die Sammlung
Graetz
Graetz war in erster Ehe mit der Jüdin Ella Graetz, geborene Wagner, verheiratet.15 Sie hatte nach der Hochzeit ihre Karriere als Opernsängerin aufgegeben.16 Das Ehepaar Graetz hatte zwei gemeinsame Kinder. Die Tochter Hilda wurde am 3. Mai 1912 geboren, der Sohn Hellmuth am 3. Dezember 1914.17 Nach Angaben der Tochter war der Vater ein sehr arbeitsamer und ehrgeiziger Unternehmer, der nur wenig Zeit für seine Familie hatte.18 Er gehörte zu jener aufstrebenden jüdischen Gesellschaftsschicht, die durch Leistung und Erfolg ebenso wie durch Repräsentieren in die alteingesessene Oberschicht Berlins Aufnahme finden wollte. Der Wille zur Darstellung war jedoch keineswegs eine neue Angelegenheit derjenigen, die aus dem Ersten Weltkrieg mit Gewinnen hervorgegangen waren, sondern resultierte bereits aus der wilhelminischen Kaiserzeit. Der in jener Zeit erreichte wirtschaftliche Aufschwung des Bürgertums, jüdisch wie nichtjüdisch, wurde selbstbewusst zur Schau gestellt, um so die neue soziale Stellung zu legitimieren.19 Damit hing ein Lebensstil zusammen, die eigenen wirtschaftlichen Erfolge durch Häufigkeit und Opulenz der Empfänge sowie Größe der Villen zur Schau zu tragen. Auch Robert Graetz, der inzwischen zu Reichtum gelangt war, wollte seine wirtschaftliche Macht demonstrieren. Der erste Schritt zur Verwirklichung seiner Pläne war daher der Erwerb der Villa im vornehmen Grunewald. Der Kauf kurz nach Beendigung des Ersten Weltkrieges deutet darauf hin, dass ihm der Krieg keine wesentlichen geschäftlichen Verluste zugefügt hatte.20 Auch die niedrigen Grundstückspreise dürften seine Kaufpläne zu diesem Zeitpunkt begünstigt haben. Aufgrund der nun vorhandenen Räumlichkeiten, aber auch Dank finanzieller Voraussetzungen, begann Graetz spätestens Anfang der 1920er Jahre mit dem Aufbau seiner Sammlung.21 1926 verstarb Ella Graetz und hinterließ zwei halbwüchsige Kinder.22 Über die nächsten Jahre ist kaum etwas Privates überliefert. Zeugenaussagen zufolge kümmerte sich der Vater noch intensiver als zuvor um die Firma und schenkte seinen Kindern währenddessen nur begrenzte Aufmerksamkeit.23
15 Ella Graetz, geb. Wagner, wurde am 20.8.1880 in Berlin geboren. Aufgrund der unvollständigen Mitgliederkartei der Jüdischen Gemeinde zu Berlin konnte das Hochzeitsdatum von Ella und Robert Graetz nicht ermittelt werden. 16 Gespräch Görnandt mit Bath am 21.9.2002. 17 LBO, Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. Μ 15. 18 Email von Hilda Rush, geb. Graetz, an Görnandt, 19.6.2002, in: PA AE. 19 Zum Aufstieg des jüdischen Bürgertums im wilhelminischen Kaiserreich vgl. Augustine, 1995, S. 1 0 1 - 1 1 6 . 20 Da nur sehr wenige Akten über die Fabrik erhalten sind, konnte nicht ermittelt werden, ob die Firma durch kriegswichtige Produktionen, wie etwa Uniformen, Gewinne erwirtschaftet hatte. 21 Von Hilda Rush war zu erfahren, dass in der vorhergehenden Wohnung in der Bozenerstraße für Kunst kaum Platz gewesen war, weswegen der Vater erst durch die größeren Räumlichkeiten mit dem Sammeln von Kunstwerken hatte beginnen können. Vgl. Email von Rush an Görnandt, 19.6.2002, in: PA AE. 22 Ella Graetz verstarb am 18.3.1926 in Berlin und wurde auf dem jüdischen Friedhof in BerlinWeißensee beigesetzt. Als Todesursache ist im Beisetzungsregister des Friedhofs Herzschwäche angegeben. Vgl. Email von Barbara Welker vom Centrum Judaicum, 13.11.2002, in: PA AE. 23 Email von Rush an Görnandt, 19.6.2002, in: PA AE.
l.a) Privatmann, Geschäftsmann, Sammler
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Insbesondere in den 1920er und Anfang der 1930er Jahre wuchs der Umfang seiner Privatsammlung stetig an. Dass er 1928 bereits einen beachtlichen Bestand an modernen Kunstwerken zusammengetragen hatte, beweisen seine Leihgaben von vorwiegend expressionistischen Gemälden, die er für die beiden Ausstellungen moderner Werke aus Berliner Privatbesitz 1928 an das Kronprinzen-Palais schickte. 24 Neben seiner Leihtätigkeit führte Graetz einen eigenen Künstlersalon. Anstoß für die Salonabende gab vermutlich sein Bruder Hugo, denn dieser stellte teilweise seine eigene Wohnung für kleine Ausstellungen der Novembergruppe zur Verfügung, in der er als Geschäftsführer tätig war.25 Im Hause Graetz verkehrten Künstler wie der Maler und Graphiker Franz Domscheit und dessen Ehefrau, die Sängerin Adelheid Arnhold, 26 Conrad Felixmüller 27 sowie der Schriftsteller Theodor Däubler. 28 Das künstlerische Engagement von Graetz fungierte - gemeinsam mit der Errichtung einer Privatsammlung - gleichzeitig als Statussymbol für jene Gesellschaftsschicht, der er angehörte. Darunter befanden sich Diplomaten, Bankiers, Großindustrielle und vermögende Kaufleute gleich welcher Konfession. 29 Neue Forschungsergebnisse für das Wilhelminische Kaiserreich belegen dagegen einen überproportional hohen Anteil jüdischer Kunstsammler in Berlin. 30 Inwiefern dies auch für die Weimarer Republik gilt, ist jedoch nicht Bestandteil dieser Arbeit, da bisher nicht genügend grundlegende Einzelstudien vorhanden sind, um zu Erkenntnissen über eine spezifisch jüdische Sammlerpraxis zu gelangen. Weiterführende Forschungen zu dieser Thematik sind daher notwendig. Seit der „Machtergreifung" mehren sich nicht nur die Akteneinträge über die Firma Glass & Graetz, sondern ebenfalls über die Privatperson Robert Graetz. Das hat zum Teil private Gründe wie etwa seine zweite Eheschließung und verschiedene Bauanträge, um Veränderungen an der Villa durchführen zu können. Der größte Teil erstreckt sich jedoch auf jene Akten, die behördlich angeordnete Maßnahmen oder Auskünfte von jüdischen Bürgern zum Inhalt haben. Als Robert Graetz am 28. April 1934 zum zweiten Mal heiratete, wohnten seine beiden erwachsenen Kinder nicht mehr in der Villa.31 Seine Ehefrau, die verwitwete Bluma Haas, brachte den neunjährigen Sohn Werner mit in die Ehe. 32 Werner Haas hatte ein ausgespro-
24 Vgl. hierzu Abschnitt „Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung". 25 Kliemann, 1969, S. 22. 26 Domscheidt gab 1955 an, dass er und seine Frau in den Jahren 1930-1938 häufig zu Gast in der Villa gewesen waren. Vgl. L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, B1.M21. 27 Felixmüller wohnte mit seiner Familie im April 1934 für kurze Zeit in der Villa. 28 Email von Rush an Görnandt, 18.8.2002, in: PA AE. 29 Teeuwisse, 1987, S. 18. 30 Ebd., S. 19; Mosse, 1989, S. 297-330; Cullen, 1989; Paret, 1993; Augustine, 1995, S. 111; Giradet 1997 sowie Kuhrau, 2005, S. 76-82. 31 Die Eheschließung fand auf dem Standesamt Berlin-Schmargendorf statt. Vgl. LBO, Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. A 1. 32 Bluma Graetz, verw. Haas, geb. Brin, wurde am 16.5.1899 in Riga/Lettland geboren. Ihr Sohn, Werner Haas, wurde am 29.10.1925 in Königsberg/Ostpreußen geboren. Vgl. BArch, Ergänzungskarten der Volkszählung vom 17.5.1939 (Datenbank). Bluma Graetz war seit 1930 Witwe nach
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III. Die Sammlung Graetz
chen gutes Verhältnis zu seinem Stiefvater. Während Hilda Rush, 33 die Tochter von Robert Graetz, das Bild eines unnahbaren Vaters entwarf, der sich nur um das Geschäft kümmerte, beschrieb Haas ihn als einen verständnisvollen Vater. Er unternahm mit dem Sohn lange Spaziergänge durch den Grunewald und eröffnete ihm die Welt der Kunst, Musik und Literatur. Rückblickend äußerte Haas, dass er allein dem Stiefvater sein künstlerisches Interesse zu verdanken habe. Zu sehen sei dies auch an den vielen Büchern und Schallplatten in seiner Wohnung. Weiter beschreibt Haas Graetz als einen schillernden Mann der Gesellschaft. „Er war ein wohlbeleibter, lustiger kleiner Herr, in Gesellschaft immer der Mittelpunkt, sprühend voll Witz und Leben." 3 4 Er habe gern Künstler um sich gehabt, die häufig zu Besuch waren. Allerdings sei dies nur die eine Seite seines Wesens gewesen. Er habe in den Jahren von 1934 bis 1939 zweimal seinen Stiefvater an schweren Depressionen leiden sehen, die im Sanatorium behandelt werden mussten. Aufgrund der beruflichen wie privaten Einschränkungen, denen jüdische Mitbürger seit der „Machtergreifung" ausgesetzt waren, und der damit einhergehenden existentiellen Sorgen verwundert dies nicht. 35 Während Graetz privat ein amüsanter und gewandter Gesellschafter war, konnte er als Geschäftsmann „hart und herrisch" sein.36 Trotz oder gerade wegen dieses Charakterzuges war er ein erfolgreicher Unternehmer. Das Erlassen der „Nürnberger Gesetze" am 15. September 1935 bedeutete für den privaten wie für den beruflichen Bereich massive Einschränkungen, die zur Isolierung der jüdischen Bevölkerung führten. 37 So durften Juden seither keine weiblichen Staatsangehörige „deutschen oder artverwandten Blutes" unter 45 Jahren beschäftigen. 38 Mit dieser Einschränkung war es Graetz und seiner Frau nicht mehr möglich, das große Haus allein zu bewirtschaften, weswegen er Ende 1935 eine Baugenehmigung auf Wohnungsteilung
ihrem ersten Ehemann, Ernst Haas aus Königsberg. Vgl. L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. A 1. 33 Hilda Rush, geb. Graetz, hatte ihren Ehenamen Ruschkewitz nach der Ubersiedlung in die USA in Rush abgeändert. 34 Brief von Haas an Görnandt, Poole Dorset, 8.8.2002, in: PA AE. Die hier wiedergegebenen Begebenheiten im Hause Graetz beruhen auf Erinnerungen von Haas in dem seit 2002 begonnenen Briefkontakt, die Hinweise auf die Person Graetz und auf die Sammlung geben. 35 Eindrücklich werden die schleichenden Einschränkungen von jüdischen Bürgern im täglichen Leben, die ständige Angst um die weitere Ausübung des Berufes, die wachsende Angst ums Uberleben und die damit einhergehenden Depressionen von Viktor Klemperer in seinen Tagebüchern dargestellt, die er während der NS-Zeit schrieb. Vgl. Klemperer, 1999. 36 Brief von Haas an Görnandt, Poole Dorset, 8.8.2002, in: PA AE. 37 Reichsbürgergesetz vom 15.9.1935. Vgl. RGBl., 1935, I, S. 1146. Die Gesetze beinhalteten unter anderem die Definitionen zur Bestimmung, wer ein „Jude" beziehungsweise ein „jüdischer Mischling" ist und verboten mit sofortiger Wirkung eine Eheschließung zwischen Juden und Nichtjuden. Zu den Auswirkungen der „Nürnberger Gesetze" vgl. u.a. Adam, 1972 und Walk, 1996. 38 Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15.9.1935. Vgl. RGBl., 1935, 1, S. 1146 f. Eine weitere Verschärfung erfolgte mit der Ersten Verordnung zum Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 14.11.1935. Seither durften keine „weiblichen Staatsangehörige deutschen Blutes" in einem Haushalt mit einem jüdischen Mann arbeiten. Vgl. RGBl., 1935,1, S. 1334-1336.
l.a) Privatmann,
Geschäftsmann,
Sammler
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stellte. 39 Schwerer als die Versorgung des Hauses werden jedoch die finanziellen Engpässe für diesen Entschluss gewogen haben. Auch seine Textilfirma hatte bedingt durch die ab dem 1. April 1933 stattgefundenen Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte erhebliche wirtschaftliche Verluste hinnehmen müssen. 40 Graetz äußerte in einem Schreiben an die Baupolizei Wilmersdorf, dass „[ich] bei meinem jetzigen Geschäftsgang nicht in der Lage bin, die gesamten Räume für meinen eigenen Bedarf allein zu unterhalten, andererseits veranlasst mich die Bewilligung von Zuschüssen gerade jetzt, den Umbau durchzuführen, da nur dadurch das Bauvorhaben rentabel wird." 4 1 Nach der Genehmigung wurde im selben Jahr der Umbau der Villa in mehrere abgeschlossene Wohneinheiten beendet. 42 Daraufhin bewohnte er mit Frau und Stiefsohn eine Fünfzimmerwohnung im Erdgeschoss und vermietete bis zu fünf Wohnungen. 43 Aufgrund der nun beengten Wohnverhältnisse und der inzwischen stark angewachsenen Sammlung an Gemälden, Skulpturen, Teppichen und Möbeln entschloss sich Graetz, die Wohnungen möbliert zu vermieten. 44 Die Sammlung dürfte Mitte der 1930er Jahre einen Umfang von rund 200 Werken erreicht haben. Allein in dem Zimmer von Werner Haas sollen 52 Gemälde und Zeichnungen gehangen haben. 45 Im Jahr 1938 erließ die nationalsozialistische Regierung weitere zahlreiche Verordnungen und Gesetze, die eine vollkommene Ausschaltung von Juden aus dem Wirtschaftsleben zum Ziel hatten. 46 Die am 26. April 1938 verabschiedete Verordnung über die Anmeldung des 39 Der Antrag wurde am 31.12.1935 vom beauftragten Architekten Leo Nachtlicht an das Bezirksamt Wilmersdorf gestellt. Vgl. LAB Β Rep. 209, Bezirks Verwaltung Wilmersdorf, Nr. 431: Bauakte Villa Erdener Straße 13/Trabbener Str., Bl. 215. 40 Allgemein zu den Boykottaktionen vgl. Shepherd, 1985, S. 116. 41 Schreiben an die Hauptabteilung der Baupolizei Β erlin-Wilmersdorf am 24.1.1936. Vgl. LAB Β Rep. 209, Bezirksverwaltung Wilmersdorf, Nr. 431, Bl. 216. 42 Entsprechend der vorhandenen Bauzeichnungen wurden die Wohnungsteilungen im Keller-, Erd-, Ober- und Dachgeschoss vorgenommen. Vgl. LAB Β Rep. 209, Bezirksverwaltung Wilmersdorf, Nr. 431, Grundrisse vom 7.4.1936. Grundrisse für den Umbau für alle vier Stockwerke, Bl. 221 f. Die Bauabnahme erfolgte am 17.8.36. Vgl. ebd., Bl. 228. 43 Nach Auskunft der „Berliner Adreßbücher" der Jahre 1933-1942 bewohnten Graetz und seine Familie bis 1936 zusammen mit dem Angestelltenehepaar Raddatz die Villa allein. Ab 1937 wurde zunächst eine Wohnung vermietet und ab 1938 drei bis vier weitere. Vgl. „Berliner EinwohnerAdreßbücher" der Jahre 1933-1942, Eintrag: Erdener Str. 13/15. Aufgrund der durch die Drucklegung bedingten zeitlichen Verschiebung müssen die Angaben der Adressbücher jeweils um ein Jahr nach hinten gerechnet werden, so dass bereits im Jahr der Fertigstellung des Umbaus, 1936, die erste Wohnung vermietet wurde. 44 Aussage von Rush zum Verfolgungsvorgang der Familie Graetz, Johannesburg, 9.6.1955. Vgl. LBO, Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. Μ 16. 45 Brief von Haas an Görnandt, Poole Dorset, 5.8.2002. Hilda Rush bestätigte diese Anzahl ebenfalls im Email an Görnandt, 1.11.2002. Beides in: PA AE. Geht man sogar davon aus, dass in jedem der dreizehn Räume der Villa, die einst von Graetz bewohnt wurden, auch nur annähernd so viele Kunstwerke gehangen haben, käme man auf ein Vielfaches dieser angenommenen Anzahl. Beim Abschluss der Recherchen zu dieser Arbeit konnten immerhin 191 Kunstwerke als zur Sammlung gehörig festgestellt werden. 46 Zu den Auswirkungen der Gesetze vgl. Abschnitt „Die nationalsozialistischen Gesetze und ihre Konsequenzen für die Sammelpraxis". Einen allgemeinen Überblick bietet Gruner, 1996.
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III. Die Sammlung Graetz
Vermögens von Juden zwang sie, ihren Grundbesitz sowie ihr Vermögen über einen Gesamtwert von 5.000 R M anzumelden.47 Bereits wenige Tage nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 folgten weitere drastische antijüdische Maßnahmen. Für die von Göring als Sühneleistung verkündete Sondersteuer beziehungsweise „Judenvermögensabgabe" wurden die im Frühjahr erhobenen Vermögensangaben der Juden zu Grunde gelegt.48 Durch diese Verordnung wurde die jüdische Bevölkerung gezwungen, 20, später 25 Prozent ihres angemeldeten Vermögens innerhalb eines Jahres an das Deutsche Reich zu zahlen. Aufgrund der hohen Steuerbelastung mussten viele Juden Hypotheken aufnehmen, um überhaupt die Steuern zahlen zu können. Dies führte dazu, dass selbst wohlhabende Juden verarmten. Zur Begleichung dieser Steuern und zur Kompensation der wegfallenden Einnahmen seines Unternehmens musste Graetz deshalb Anfang 1939 zunächst mehrere Lebensversicherungen vorzeitig mit hohen Verlusten kündigen. 49 Dazu war er gezwungen, weil er im Laufe des Jahres 1939 vier Raten als so genannte „Deutsche Reichsschatzanweisungen" in Höhe von 29.100 R M an die Preußische Staatsbank zugunsten des Finanzamtes Wilmersdorf zahlen musste. 50 Trotz der hohen abgeschlossenen Versicherungssummen reichte das zurückerhaltene Geld jedoch nicht aus, um den Zahlungsforderungen nachzukommen. U m den finanziellen Verpflichtungen entsprechen zu können, musste Graetz daher im folgenden Jahr einige Grundstücke veräußern. In der Hoffnung, wenigstens einen Teil des noch verbliebenen einstigen großen Vermögens zu retten, ließen sich Robert und Bluma Graetz am 18. April 1940 zum Schein scheiden.51 Durch diese Taktik wurde die „deutsche Jüdin" Bluma Graetz wieder Lettin und somit zu einer „Jüdin ausländischer Staatsangehörigkeit". 52 Da ausländische Juden noch einen Sonderstatus hinsichtlich des Betreibens eines Gewerbes und des Verfügens über Geld besaßen, hofften sie, dass die geschiedene Bluma Graetz Geld von einem Sperrkonto abheben konnte. 53 Ferner ist davon auszugehen, dass sie 47 Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26.4.1938. Vgl. RGBL, 1938, 1, S. 414f. 48 Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit. Vgl. RGBl., 1938,1, S. 1579. 49 Graetz hatte in den 1920er Jahren drei Lebensversicherungen für den Erlebens- und den Todesfall in Höhe von 10.000, 20.000 und 30.000 RM abgeschlossen. Alle drei Versicherungen kaufte er im Februar 1939 für einen weitaus geringeren Betrag zurück. Nur für die Versicherung in Höhe von 10.000 RM ist bekannt, dass Graetz den Rückkaufwert von 3.703 RM zurückerhielt. Bei ähnlichen Rückkaufwerten der übrigen Versicherungen kann man davon ausgehen, dass er etwa 22.000 RM erhalten hat. Vgl. Abschriften der Versicherungspolicen der Iduna Germania- und der NordsternVersicherung im L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. F 1, F 2 und F 5. 50 Vgl. die Kopie eines Kontoauszugs der Dresdner Bank über das dortige Konto von Graetz, ausgestellt für das Entschädigungsamt Berlin, datiert vom 26.7.1955, in: Ebd., Bl. D 7. 51 Die Scheidung erfolgte rechtskräftig durch das Landgericht Berlin. Vgl. L G B e r l i n - 2 5 5 R 117/40. Uber die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Ehescheidungsakten vgl. den Vermerk in: Ebd., Bl. A 18. 52 Die zum Schein vollzogene Scheidung wurde von zahlreichen Juden durchgeführt, um so ihr Vermögen zu retten. Vgl. Schmidt, 1992, „Arisierungspolitik", S. 211 f. 53 Beispielsweise galt der Depotzwang für Wertpapiere nicht für Juden ausländischer Staatsangehörigkeit. Dies geht aus Paragraph 13 der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens
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wussten, dass die Erlöse von den Grundstücksverkäufen und der drohenden Versteigerung der Villa ebenfalls auf Sperrkonten deponiert werden würden und somit für sie als jüdisches Ehepaar nicht verfügbar gewesen wären. Ende 1940 musste Graetz schließlich dem Druck der Behörden nachgeben und einen Kaufvertrag mit den Deutschen Erd- und Steinwerken G m b H abschließen, der sein Grundstück mit der Villa im Grunewald betraf. 54 Es ist auffallend, wie lange er sich gegen diesen und einen weiteren Verkauf widersetzte, denn bereits seit dem 3. Dezember 1938 gab es die Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens, die unter anderen die Grundstücksveräußerungen durch Juden binnen einer bestimmten Frist regelte. 55 In dem jegliche Veräußerung von einer staatlichen Behörde genehmigt werden musste, war die „Arisierung des Grundbesitzes" unter staatliche Kontrolle gebracht und somit das oberste Ziel der Verordnung, die Grundstücke in nichtjüdischen Besitz zu überführen, erreicht worden. 56 Für das 2.200 qm große Grundstück zusammen mit der Villa erhielt Robert Graetz die Summe von 80.800 RM. 5 7 Obwohl sich der Verkauf von Grundstücken in den meisten Fällen nach dem Einheitswert von 1935 richtete, 58 das heißt, der Quadratmeterpreis betrug etwa 15 R M , ist ersichtlich, dass der Käufer eindeutig Nutznießer der Situation des jüdischen Verkäufers war. Wenige Wochen später, am 8. Januar 1941, musste Graetz ein weiteres Grundstück in der Schaumburgallee 7/8 in Berlin-Charlottenburg für 9.693,95 R M verkaufen, um damit zwei Hypotheken zu tilgen. 59 Die Erlöse wurden in beiden Fällen auf Sperrkonten überwiesen, von denen Graetz vorrangig Forderungen des Finanzamtes nachkommen musste. Mit der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens, in deren Zusammenhang die beiden Grundstücke verkauft wurden, verloren Juden jegliche Rechte, die sie noch über Grundstücke besaßen. Am 25. Februar 1941 erfolgte als letzter Schritt vor der endgültigen Verarmung der Verkauf der wertvollen Inneneinrichtung mit einem Teil der Kunstwerke in der Villa. 60 Durch das Versteigerungshaus Gerhard Harms wurden 289 Posten an Möbeln, Hausrat und ver-
vom 3.12.1938 hervor. Vgl. RGBl., 1938,1, S. 1709ff., § 13. Sogar im Juli 1941 wurden ausländische Juden noch besonders behandelt. Als die Devisenbanken vom Reichswirtschaftsministerium aufgefordert wurden, Wertpapierdepots aufzulisten, mussten sie dies nur für deutsche und staatenlose Juden tun. Vgl. U R O , S. 247f. (T). Entnommen aus: Walk, 1996, S. 345. 54 Der Kaufvertrag wurde für die aneinandergrenzenden Grundstücke Trabbener Str. 44/46 und Erdener Str. 13 sowie Trabbener Str. 48 und Niersteinerstr. 8 am 20.12.1940 geschlossen und am 7.6.1941 beim A G Charlottenburg eingetragen. Vgl. L A B Β Rep. 209, Bezirksverwaltung Wilmersdorf, Nr. 431: Bauakte Villa Erdener Straße 13/Trabbener Str., unfol. 55 Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3.12.1938. Vgl. RGBL, 1938, I, S. 1709 f. 56 Schmidt, 1992, „Arisierungspolitik", S. 169-228. 57 Bescheid in der Rückerstattungssache Hilda Rush und Helmut Graetz, 6.8.1958. Vgl. LBO, Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. D 61-70. 58 Schmidt, 1992, „Arisierungspolitik", S. 186. 59 Vgl. die Abschrift der OFD-Akte, in: L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. D 83. 60 Vgl. Abschnitt „Auflösung der Sammlung".
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schiedenartigen Kunstobjekten zu einem Gesamterlös von 9.942 R M veräußert.61 Nach Zahlung der Versteigerungsgebühren in Höhe von 1.545,45 R M wurde der Restbetrag auf das Konto von Bluma Graetz, auf deren Name die Versteigerung angemeldet worden war, am 4. März 1941 überwiesen. 62 Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass sie das Geld tatsächlich abheben konnte. Nach dem Verkauf bewohnten Robert und Bluma Graetz ab dem l.März 1941 eine Zweizimmerwohnung in der Wissmannstraße 11, die sich in unmittelbarer Nähe zu ihrer ehemaligen Villa befand.63 Durch die Behörden wurden die geschiedenen Eheleute in diese Wohnung als Untermieter eingewiesen, die noch kurz zuvor von einem bereits deportierten Juden bewohnt worden war. Die Einweisung war Teil der von den Nationalsozialisten vorbereiteten Zwangsumsiedlung von Juden, die seit Frühjahr 1941 in die Tat umgesetzt wurde. 64 Ziel der Großräumungsaktionen gegen Tausende jüdische Mieter war, sie in „Judenhäusern" zur Untermiete oder in „jüdischen Pensionen" zusammenzudrängen. Die so entstandenen Ghettos dienten dazu, die jüdische Bevölkerung ab Herbst desselben Jahres mit geringem verwaltungstechnischen Aufwand in Konzentrationslager deportieren zu können. Die frei gewordenen Wohnungen dieser ersten größeren „Judenwohnungs-Entmietungsaktion" wurde zur Unterbringung bombengeschädigter „Volksgenossen" genutzt. 65 Zur Möblierung der Wohnung konnten Robert und Bluma Graetz nur einen kleinen Teil der Einrichtung und Kunstwerke aus ihrer Villa mitnehmen. Aus Furcht vor einer weiteren Versteigerung beziehungsweise der Verordnung, Gegenstände mit einem Wert über 1.000 R M an die Ankaufsstelle für Kulturgut abzuliefern, 66 hatten sie die meisten Objekte in Kisten verpackt, die sie bei Freunden und Bekannten unterstellten. 67 Am 22. Juni 1941, dem Tag, als Hitler die Sowjetunion überfiel, wurde Bluma Graetz aus der gemeinsamen Wohnung zu einer Vernehmung abgeholt. 68 Da sie als Lettin ab diesem
61 Liste der versteigerten Kunstwerke, in: L A B A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 52. 62 Der Auszug aus dem Geschäftsbuch von Gerhard Harms liegt in Kopie dem L B O , Berlin vor. Vgl. L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. D 14. 63 L A B Datenbank zum Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, Eintrag zu Robert Graetz. 64 Gruner, 1996, S. 12. 65 Gruner, 1995, S. 246. 66 Die Verordnung zur Durchführung der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 16.1.1939 (vgl. RGBl., 1939,1, S. 37) ist Bestandteil der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3.12.1938 (vgl. RGBl., 1938,1, S. 1709ff.). 67 Dies geht aus Zeugenaussagen hervor, die in einem Vermerk des Entschädigungsamtes im Mai 1972 notiert worden sind. Vgl. L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. D 173. Uber das Schicksal der meisten dieser Kunstwerke nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges lässt sich häufig nichts Konkretes mehr nachweisen. Einerseits ist nicht auszuschließen, dass ein Teil der Werke durch den Krieg zerstört worden ist, andererseits gelangten Werke in neue Besitzverhältnisse und tauchten erst, nachdem sie jahrelang als verschollen galten, durch Versteigerungen erneut auf dem Kunstmarkt auf. Vgl. dazu Abschnitt „Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung". 68 Zur Darstellung der Deportation von Bluma Graetz nach Russland vgl. im Folgenden ihre Aus-
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Zeitpunkt als „Staatsfeindin" galt, wurde sie zunächst in das Lager Ziethen bei Berlin deportiert, wo sie bis Ende August 1941 in einer „Judenbaracke" untergebracht war. Von dort erfolgte die Deportation über die Türkei nach Russland, wo sie bis zum Kriegsende in einem Arbeitslager arbeiten musste.69 Bevor Robert Graetz etwa ein Jahr später „evakuiert" wurde, war er gezwungen, am 12. April 1942 ein Formular zum Vermögensstatus auszufüllen. Diese Angaben mussten Juden beim Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg machen, dem im November 1941 die „Vermögensverwertungsstelle" zugeordnet worden war.70 Bei ihrer Deportation mussten Juden das Verzeichnis bei der Gestapo abliefern, die daraufhin die Wohnungen versiegelten. Damit ging das jüdische Eigentum in die Verwaltung der Oberfinanzpräsidenten über. Deren Aufgabe war es, zu bestimmen, welche Gegenstände an die Finanzverwaltung überwiesen und welche Kunstgegenstände an die Reichskammer der bildenden Künste gemeldet werden sollten.71 Voraussetzung für die Handhabung jüdischen Vermögens bildete seit Ende 1941 die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz, die am 25. November 1941 erlassen worden war.72 Demnach verlor ein Jude die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn er bei Inkrafttreten dieser Vorschrift seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Ausland hatte, was die Emigranten betraf, oder bei Verlegung des bisherigen Aufenthaltsortes. Letzteres betraf die Deportierten. Nach der Verordnung fiel das jüdische Vermögen nun ohne förmlichen Verwaltungsakt automatisch an das Reich. In der Praxis schickte die Gestapo der Vermögensverwertungsstelle lediglich die Transportlisten der Deportierten zu, die sie mit dem Hinweis versah, dass die Voraussetzungen für den Vermögensverfall vorlägen. Aus der von Graetz ausgefüllten Vermögenserklärung geht hervor, dass er, der noch wenige Jahre zuvor ein wohlhabender Fabrikant gewesen war, zum Zeitpunkt der Deportation fast nichts mehr besaß. 73 Gründe waren die durch die Liquidierung seiner Firma bedingten Einnahmebußen, der Verkauf von Villa und Einrichtung sowie die erheblichen Abgaben zur „Judenvermögenssteuer", die sein Vermögen im Jahre 1942 nahezu aufgezehrt hatten. Zudem waren sämtliche Wertpapiere, die er ursprünglich besaß, per Verordnung in
sagen. Schriftwechsel zwischen ihrem Anwalt und dem L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. Μ 174. 69 Bluma Graetz konnte erst 1969 nach jahrelangen Verhandlungen zwischen der deutschen und der sowjetischen Regierung als Siebzigjährige ihre einstige Geburtsstadt Riga verlassen. Noch im selben Jahr wanderte sie zu ihrem Stiefsohn nach Argentinien aus. Vgl. die Aussagen von Bluma Graetz im Entschädigungsantrag wegen „Schaden am Leben von Robert Graetz", Entschädigungsamt, Berlin, 8.9.1969. LBO, Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. A 1. 70 Die „Dienststelle für die Einziehung verfallener Vermögenswerte" war zuvor beim Finanzamt Moabit-West angesiedelt. Aufgabe der „Vermögensverwertungsstelle" war es u.a., das Eigentum der Berliner Juden einzuziehen, die aufgrund der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatten. Vgl. Quellen zur Geschichte der Juden, 1999, S. 42. 71 Genschel, 1966, S. 254 f. 72 Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941. Vgl. RGBl., 1941, I, S. 722. Für das Folgende Friedenberger, 2002, S. 22. 73 Vermögenserklärung von Robert Graetz, ausgefüllt am 12.4.1942, in: B L H A , Rep. 36A O F P Berlin-Brandenburg II, Nr. 12405: Robert Graetz, Bl. 2 - 9 .
III. Die Sammlung
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Graetz
ein Depot bei einer Devisenbank eingelagert worden, auf das er keinen Zugriff hatte.74 Auffallend ist, dass er beim Ausfüllen des Formulars zum Vermögensstatus, wenn irgend möglich, nur vage Angaben zu seinen finanziellen Verhältnissen machte. So schrieb er beispielsweise zur Vermögensfrage: „Mein gesamtes Vermögen kann ich ohne Unterlagen nicht angeben, dasselbe gilt für die Wertpapiere."75 Auf die Nachfrage zum Vorhandensein von Kunstgegenständen beließ er es bei „einigen Gemälden, Bronzen".76 Diese Angaben geben keinerlei Aufschluss darüber, wie viele Kunstwerke sich zum Zeitpunkt seiner Deportation tatsächlich noch in seinem Besitz befunden haben. Die Inventarliste mit seinen persönlichen Dingen, die ausgefüllt wurde, als er bereits abtransportiert worden war, benennt nur wenige Kleidungsstücke sowie summarisch drei Gemälde und zwei Bronzen.77 Zwei Tage nach Ausfüllen der Vermögenserklärung wurde Graetz am 14. April 1942 mit dem 14. Transport in das Vernichtungslager Trawniki bei Lublin deportiert.78 Er hatte sich an diesem Tag ursprünglich von seiner Schwester Selma und deren Ehemann Ignatz Becker am Bahnhof Grunewald verabschieden wollen, die sich dort zur Deportation hatten einfinden müssen.79 Robert Graetz durfte jedoch den Bahnhof nicht mehr verlassen und wurde stattdessen auf einen der „freigewordenen Plätze" eines zu Deportierenden, sei es wegen Selbstmord oder Flucht, ebenfalls dem Abtransport zugeordnet. Der Transport von Graetz und weiteren 64 Juden gehörte zu den „Todeszügen", die seit dem 18. Oktober 1941 deutsche Juden aus dem „Altreich" zunächst nach Lodz, Kowno, Minsk, Riga und in den Distrikt Lublin, später nach Auschwitz „evakuierten".80 In der Regel wurden pro Transport 1.000 Juden vom Bahnhof Grunewald in Richtung Osten deportiert. Robert Graetz kehrte von dort nicht mehr zurück. Sein Todesdatum wurde auf Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg auf den 31. Dezember 1945 festgelegt.81 Ein „assimilierter
Jude" in
Deutschland?
Die Frage drängt sich auf, warum Robert Graetz und seine Frau nicht ebenso wie andere Verwandte rechtzeitig emigriert sind. Den Bruder Hugo, mit dem er besonders eng verbunden war, unterstützte er finanziell bereits im Jahr 1933 bei der Emigration nach Palästina.82 74 Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3.12.1938. Vgl. RGBl., 1938, I, S. 1 7 1 0 f . 75 Vermögenserklärung von Robert Graetz ausgefüllt am 12.4.1942, in: BLHA, Rep. 3 6 A OFP Berlin-Brandenburg II, Nr. 12405, Akte Robert Graetz, Bl. 6. 76 Vermögenserklärung von Robert Graetz ausgefüllt am 12.4.1942, in: Ebd., Bl. 7. 77 Inventarliste vom 22.5.1942. Vgl. ebd., Bl. 12. 78 LAB Datenbank zum Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, Eintrag zu Robert Graetz. 79 Brief von Haas an Görnandt, Poole Dorset, 12.11.2002, in: PA AE. 80 Vgl. die Liste der Deportationen bei Gruner, 1996, S. 98 f. Eine Transportliste von Kruglov nennt dagegen 211 Deportierte. Vgl. Kruglov, 1984, S. 1086-1091. 81 Beschluss des A G Charlottenburg vom 25.1.1954 - 18 II 758/52. Vgl. den Vermerk in den Akten der Wiedergutmachungsämter von Berlin, 7 W G A 2270/50: Robert Graetz, Bl. 45. 82 Email von Rush an Görnandt, 19.6.2002, in: PA AE. Der genaue Zeitpunkt seiner Emigration konnte nicht festgestellt werden. Aufgrund einer Widmung in einem Buch kann die Zeitspanne
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Roberts Tochter Hilda Rush entschloss sich 1935 nach Johannesburg in Südafrika auszuwandern. 83 Möglicherweise gab der Bruder Hugo den Anstoß dafür, dass Robert Graetz und seine Frau 1935 eine „Informationsreise" nach Palästina unternahmen. 84 Obwohl auf dem Antrag für die Reise ausdrücklich vom Finanzamt Wilmersdorf „betrifft: Auswanderung Robert Graetz" notiert ist und auch die sonstigen Formalitäten einem Auswanderungsantrag entsprachen, kehrten Graetz und seine Frau ins Deutsche Reich zurück. 85 Die Gründe für diese folgenschwere Entscheidung sind aufgrund von nicht vorhandenen persönlichen Aufzeichnungen von Graetz bislang nicht zu erschließen. Aus Gesprächen mit Zeitzeugen und aus publizierten Tagebüchern aus der Zeit des Nationalsozialismus geht jedoch hervor, dass sich viele Juden selbstverständlich als Deutsche fühlten, die ihr Heimatland nicht verlassen wollten. Viele hatten im Ersten Weltkrieg als Frontkämpfer für das Vaterland gedient, sie hatten sich ihre wirtschaftliche und berufliche Existenz in Deutschland aufgebaut und wollten daher das Ende der Hitlerherrschaft „abwarten". Zudem konnte sich kaum jemand vorstellen, dass immer perfidere Gesetze gegen Juden erlassen werden würden, die ihre Lebensräume weiter einengten. Immer hofften sie, dass ein neues Gesetz gleichzeitig das letzte Gesetz sein würde, das sie entmündigte und entrechtete. 86 Ähnliche Hoffnungen hegte vermutlich auch Graetz, weswegen er die Auswanderung zu diesem frühen Zeitpunkt unterließ. 87 Dies galt insbesondere für das Jahr 1935, als das Ehepaar Graetz nach Palästina reiste. Nach anfänglichen antisemitischen Vorstößen gegen die jüdische Bevölkerung hatte sich 1934 die nationalsozialistische Politik gegenüber den Juden etwas entschärft, infolgedessen viele Juden aus der Emigration zurückkehrten. 88 Parallel zu dieser Entwicklung wanderten im Vergleich zu 1933 in den beiden nächsten Jahren daher auch wesentlich weniger Juden aus. Waren es 1933 in Berlin 13.000 Juden, die emigrierten, kamen 1934 und 1935 nur 9.000 beziehungsweise 6.000 diesem Beispiel nach. Ab 1936, als Folge der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze, stieg die Zahl der Auswanderungen
seiner Emigration auf die Wochen nach dem 10.10.1933 bis Ende des Jahres eingegrenzt werden. Vgl. Gespräch Görnandt mit Bath am 21.9.2002. 83 Schilderung des Verfolgungsvorganges von Hilda Rush, Johannesburg, 9.6.1955, in: L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. Μ 15. 84 Bestätigung der Atlantic Express GmbH vom 9.2.1935, dass Robert und Bluma Graetz Schiffskarten nach Palästina und zurück gebucht hatten, in: B L H A , Rep. 36A O F P Berlin-Brandenburg A 1358, Akte Robert Graetz, unfol. 85 Zu den Formalitäten gehörte der Nachweis, keine Steuerrückstände zu haben und dass das Kapital, das zur Mitnahme ins Ausland beantragt worden war, Eigentum des Antragstellers ist. Vgl. die Bescheinigung des Finanzamts Wilmersdorf vom 7.2.1935, in: Ebd., unfol. 86 Klemperer schildert in seinen Tagebüchern sehr deutlich, wie er und seine Umgebung immer mehr gegenüber den Bedrängnissen, denen sie ausgesetzt waren, abstumpften und sie gleichzeitig akzeptierten. Hinzu kam jedoch die absurde Hoffnung, dass sich alles bald zum Positiven wenden würde. Vgl. beispielsweise Klemperer, 1999, Bd. 2 (Tagebücher 1937-1939), S. 126,131. Als Klemperer sich schließlich 1938 zur Emigration entschlossen hatte, gab es jedoch kaum noch eine Möglichkeit, als Jude Deutschland zu verlassen. Vgl. dazu die Ausführungen in diesem Abschnitt. 87 Diese Vermutung äußerte Bath im Gespräch mit Görnandt am 21.9.2002. 88 Adam, 1972, S. 114.
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jedoch zwischen 10.000 und 16.000 Juden erheblich an. 89 Robert Graetz hatte allerdings noch bis Ende der 1930er Jahre bindende Gründe, in Deutschland zu bleiben: Bis zur Schließung seiner Textilfabrik Ende 1938 konnte er noch produzieren und hatte daher sowohl eine Verpflichtung gegenüber den Angestellten als auch die Zuversicht, dass er mit dem Betrieb die Zeit des „Dritten Reiches" überstehen würde. Als sich diese Hoffnung nach den Ereignissen der Pogromnacht vollkommen zerschlagen hatte, war es vermutlich zu spät für ihn und seine Frau noch auszuwandern, da ihm die finanziellen Mittel inzwischen fehlten. Denn neben der Reichsfluchtsteuer, die bei der Auswanderung gezahlt werden musste, 90 sah die Auswanderer-Abgabe-Verordnung der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland Ende 1939/Anfang 1940 vor, dass Juden bei ihrer Emigration auf ihr Vermögen, das einen Wert von 10.000 R M überstieg, zwischen 10 und 60 Prozent des Besitzes abgeben mussten. 91 Aber neben den finanziellen Möglichkeiten hing die Frage der Emigration auch an der Bindung an Hab und Gut und eine oft weit zurückreichende Verwurzelung in der deutschen Kultur, weswegen viele Juden nur zögerlich eine Auswanderung in Betracht zogen. Aus heutiger Sicht und mit dem Wissen um die kommenden Geschehnisse ist die Entscheidung, in Deutschland zu bleiben, nicht nachzuvollziehen. Zwar gab es viele Juden, die bereits zu Beginn der Repressalien gegenüber der jüdischen Bevölkerung die Konsequenz zogen und Deutschland verließen. Gerade aus der Textilbranche emigrierten viele jüdische Unternehmer und Beschäftigte, die in der neuen Heimat - vorwiegend in Großbritannien und den Niederlanden - ihre alten Geschäftsbeziehungen nutzen konnten, um dort eine neue Existenz zu gründen.92 Aber diesen Emigranten stand eine große Anzahl von Bürgern jüdischer Herkunft gegenüber, die sich nicht als Juden fühlten, sondern als Deutsche. Viele von ihnen hatten als Soldaten im Ersten Weltkrieg Ehrungen erhalten und fühlten sich als Patrioten. Dass ihnen durch die Nationalsozialisten etwas geschehen könnte, war für sie unvorstellbar, zumal sie häufig vor ein oder mehreren Generationen zum Protestantismus konvertiert waren. Beim Ubertritt zum Christentum, der häufig nicht religiös, sondern gesellschaftspolitisch motiviert war, verbanden sich dabei Elemente der jüdischen Mentalität mit der protestantischen: In beiden Religionen spielten Bildung und Kultur eine zentrale Rolle. 93 Als benachteiligte Minderheit wussten gerade Juden die Bedeutung von Bildung für das berufliche Fortkommen sehr zu schätzen. Auch Robert Graetz fühlte sich nicht als Jude, sondern vorrangig als Deutscher. 94 Er hatte zwar im Ersten Weltkrieg nicht wie viele Juden als Frontsoldat gedient, aber er hatte 89 Tabelle nach Aktennotiz Eppstein (ca. Oktober 1939), in: Β Arch, R 8150/47 (Reichsvereinigung der Juden). 90 Die Reichsfluchtsteuer, bereits 1931 von der Regierung Brüning erlassen, wurde durch die Verordnung zur Verlängerung der Vorschriften über die Reichsfluchtsteuer vom 19.12.1940 verlängert. Vgl. RGBl., 1940,1, S.1605. 91 Die nicht genauer datierte Verordnung ist abgedruckt in: JNBl.,
2.2.1940. Entnommen aus: Walk,
1996, S. 313. 92 Westphal, 1992, S. 72. 93 Zum Protestantismus der Juden im wilhelminischen Kaiserreich vgl. Augustine, 1995, S. 102 f., 114. 94 Zur Charakterisierung von Graetz vgl. für das Folgende den Brief von Haas an Görnandt, Poole Dorset, 5.8.2002, in: PA AE.
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täglich beim Roten Kreuz gearbeitet und so ebenfalls seinen Beitrag als deutscher Staatsbürger gegenüber seinem Vaterland geleistet.95 In seinem Selbstverständnis als Deutscher sowie im Bewusstsein, als Industrieller der gehobenen Gesellschaftsschicht anzugehören, wählte er deutschnational. Dies hinderte ihn jedoch nicht daran, auch andere politische Meinungen zu akzeptieren, wie die seines Bruders Hugo, der aktiver Kommunist war.96 Religiosität spielte im Hause Graetz keine Rolle. Daher erscheint es unwahrscheinlich, dass Graetz zum Protestantismus konvertiert war. Seine Werthaltungen bezog er offenbar nicht aus dem Glauben, sondern aus der Freude an Kunst, Musik und Literatur und aus seiner gesellschaftlichen Stellung. Zur Einstellung seines Vaters zur Auswanderung äußerte sich Haas: „Er [Graetz] war fest davon überzeugt, dass er genug Freunde und Einfluss hatte, diese Zeit zu überstehen und konnte sich ein Leben in der Emigration ohne Haus, Sammlung und Gesellschaftsstellung gar nicht vorstellen." Zudem hatte er anfangs ein erhebliches Vermögen durch die Fabrik erwirtschaftet, aber auch in Form von Grundstücken und Wertpapieren. Dies gab ihm die Sicherheit und die Zuversicht, die nationalsozialistischen Zustände finanziell überstehen zu können. Selbst 1937 erschien ihm die Situation noch nicht so gefährlich, dass er aus Deutschland emigriert wäre.97 In diesem Jahr besuchte er gemeinsam mit seiner Frau die Tochter in Johannesburg, die zwei Jahre zuvor dorthin ausgewandert war. Die inzwischen in Deutschland herrschenden Verhältnisse vollkommen verkennend, versuchte er sogar, seine Tochter zur Rückkehr zu bewegen. Die Hoffnung auf eine Verbesserung der politischen Lage und damit einhergehend jener für die Juden besaßen nicht nur Robert und Bluma Graetz. Im Gegenteil: diese - aus heutiger Sicht - unbegründete Hoffnung war innerhalb der jüdischen Bevölkerung weit verbreitet. Erst die in den vergangenen Jahren postum erschienenen Memoiren jüdischer Bürger geben vereinzelt Antworten darauf, wieso vergleichsweise viele Juden ein Leben im nationalsozialistischen Deutschland dem Leben in der Emigration vorzogen. Viktor Klemperer hat in seinen Tagebüchern kritisch und mit großer Offenheit über jene Zustände als Betroffener, aber ebenso als akribisch notierender Beobachter geschrieben. 98 Seine Notizen sind für die nachfolgenden Generationen besonders wertvoll, da er seine Gedanken und Ängste zu den Ereignissen unmittelbar niederschrieb und nicht erst aus der zeitlichen Distanz. In seinen Aufzeichnungen vermerkte er häufig, dass für ihn eine Auswanderung über viele Jahre nicht in Frage kam. Er war viel zu stark mit seiner deutschen Heimat verwurzelt, als dass er sich einen Neubeginn in einem fremden Land hätte vorstellen können. Ein wichtiger Umstand für diese Verbundenheit war sein Einsatz als Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg, wofür er das Eiserne Kreuz erster Klasse erhalten hatte, auf das er besonders stolz war. Aus einer Reihe weiterer jüdischer Schicksale 99 soll noch das des Berliner Kunsthistorikers Adolph Goldschmidt (1863-1944) herausgegriffen werden, um besser verstehen zu
95 Email von Rush an Görnandt, 1.11.2002, in: PA AE. 96 Offenbar haben die politischen Meinungsverschiedenheiten die Beziehung der beiden Brüder nicht beeinträchtigt. 97 Für das Folgende vgl. Email von Rush, 22.5.2002, in: PA AE. 98 Klemperer, 1999. 99 Zum Thema jüdischer Schicksale im nationalsozialistischen Deutschland sollen hier nur einige genannt werden: Benz und Körte, 2001; Benz, Paucker und Pulzer, 1998.
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können, warum Graetz eine Emigration so lange hinauszögerte, bis sie ihm weder finanziell noch rechtlich mehr möglich war.100 Goldschmidt, der zu Beginn der „Machtergreifung" bereits 73 Jahre alt und emeritiert war, fühlte sich von den „Judengesetzen" nicht unmittelbar betroffen. Nach einer einjährigen Gastprofessur auf Einladung der University of Harvard kehrte er 1937 nach Berlin zurück. Er begründete die Rückkehr mit der Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Arbeit, für die er Handschriften in deutschen Bibliotheken einsehen musste. Dass er sich mit diesem Entschluss gefährden könnte, war ihm nicht klar, denn er war fest davon überzeugt, in Berlin seine Forschungen ungestört fortsetzen zu können. Da er zunächst ohne Einschränkungen die notwendigen Bibliotheken und Archive und sein altes Arbeitszimmer in der Universität frei nutzen konnte, zog er eine Auswanderung überhaupt nicht in Betracht. Selbst die Einladung eines besorgten deutschen Kollegen, der ihn als Gastprofessor an das neu gegründete Dumbarton Oaks Research Center/USA holen wollte, schlug er aus, weil er sich Deutschland verbunden fühlte und es nicht verlassen wollte. Erst die Konsequenzen der Pogromnacht, zu denen unter anderem ein Benutzungsverbot von Bibliotheken zählte, sowie die Uberzeugungskraft ausländischer Gelehrter bewogen ihn, noch rechtzeitig im April 1939 in die Schweiz zu emigrieren. Robert Graetz konnte sich dagegen selbst nach dem Terror, der in jener Pogromnacht gegenüber Juden wütete und zu Plünderungen und Brandstiftungen an jüdischen Firmen und Geschäften führte, nicht oder zu spät zur Emigration entscheiden. Allerdings schlossen sich mehrere Angehörige seiner Familie der nach dem Pogrom ansteigenden Auswanderungswelle an und emigrierten in den Jahren 1938 und 1939. Sein Sohn Hellmuth, der nur durch eine rechtzeitige Warnung vor dem Pogrom fliehen konnte, wanderte 1938 nach Buenos Aires aus.101 Wilhelm Graetz, der jüngste Bruder Roberts, wurde infolge der Pogromnacht in das KZ Sachsenhausen deportiert. 102 Nach seiner Entlassung emigrierte er im Dezember 1939 ebenfalls nach Buenos Aires. Zum damaligen Zeitpunkt war die Auswanderung für Juden noch möglich, wenn auch nur unter Schwierigkeiten wie der Nachweisführung der Schuldenfreiheit und dem Zahlen der Reichsfluchtsteuer. Bis 1940 gab es mehrere Erlasse zur Förderung der Auswanderung von Juden, um das Deutsche Reich baldmöglichst „von Juden zu befreien". 103 Die Beweggründe, warum sich Robert und Bluma Graetz trotz der vielen Auswanderungen ihrer Familienangehörigen nicht ebenfalls zur Emigration entschlossen, sind schwer nachzuvollziehen. Immerhin haben sie den vierzehnjährigen (Stief-) Sohn Werner Haas am 22. August 1939 mit einem der letzten Kindertransporte nach London geschickt und ihn
100 Roosen-Runge-Mollwo, 1989. Für das Folgende insbesondere S. 385, 387 und 405. 101 Brief von Haas an Görnandt, Poole Dorset, 8.8.2002, in: PA A E und Vermerk zur Emigration, in: L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. Μ 15. 102 Vgl. die Angaben zu seiner Emigration, Eidesstattliche Versicherung von Wilhelm Graetz, Buenos Aires 3.6.1963, in: LBO, Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. D 145. 103 Vgl. beispielsweise den Erlass Maßnahmen gegen Juden vom 12.12.1938, der eine schnelle Antragsbearbeitung der Pässe von Juden für deren Auswanderung vorsah. Vgl. Sauer, 1966, II, S. 118. Der zwei Jahre später verabschiedete Erlass Auswanderung von Juden - Vermittlung von Juden zu landwirtschaftlichen Arbeiten vom 17.5.1940 diente der beruflichen Vorbereitung von Juden in der Landwirtschaft, um deren Auswanderung zu unterstützen. Vgl. ebd., S. 126 f.
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damit vor der Deportation bewahrt. 104 Es gab mit Sicherheit viele Gespräche über eine eventuelle eigene Auswanderung, denn 1939 wohnten Werner Haas und Wilhelm Graetz noch in der Villa von Robert Graetz, die dort ihre Emigration planten. 105 Auch war im Jahr 1939 die Produktion der Textilfabrik eingestellt worden 106 und sein Geschäftspartner Georg Glass war inzwischen emigriert.107 Vor diesem Hintergrund ist es durchaus denkbar, dass Robert Graetz sich nach all den einschneidenden Ereignissen ebenfalls um Auswanderungsformalitäten bemühte. Aufgrund der Steuerlasten, die er noch zu zahlen hatte, aber auch der nur begrenzten Aufnahmekontingente der Einwanderungsländer, erhielt er möglicherweise keine Ausreisegenehmigung mehr.108 Seit Mitte 1941 war die Ausreise für Juden praktisch unmöglich geworden. Wegen der beschlossenen „Endlösung der Judenfrage" durften Juden deutscher Staatsangehörigkeit aus Belgien, Frankreich und dem Reichsgebiet nur noch mit Sondergenehmigung in diese Länder auswandern.109 Eine Ausreise von Juden aus Deutschland war seit dem 23. Oktober 1941 für die Dauer des Krieges ausnahmslos verboten. 110
Der Unternehmer Robert Graetz und Georg Glass 111 gründeten am 15. November 1907 die Damenmantelfirma Glass & Graetz als Offene Handelsgesellschaft (OHG). 1 1 2 Die Gesellschaftsform O H G herrschte in der Damenkonfektion fast durchgängig vor, da hierfür kein Mindestkapital benötigt wurde und die juristische Betriebsform beweglicher war.113 Die Textilfirma wurde von den beiden gleichberechtigten Inhabern in der Mohrenstraße 36, in der Nähe des
104 Brief von Haas an Görnandt, Poole Dorset, 5.8.2002, in: PA AE. 105 Wilhelm Graetz wohnte zunächst bei seiner Schwester Else Littmann, geb. Graetz, und dann bei seinem Bruder Robert. Vgl. die Angaben zu seiner Emigration, Eidesstattliche Versicherung von Wilhelm Graetz, Buenos Aires 3.6.1963, in: LBO, Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. D 145. 106 Die Fabrik stellte am 31.3.1939 ihren Betrieb ein. Vgl. die Ausführungen dazu in diesem Abschnitt. 107 Glass war kurz vor der Liquidierung der Aktivitäten der Firma nach London ausgewandert. Vgl. Handelsregister H R A 31 179, handschriftlicher Vermerk von Graetz in: A G Charlottenburg, Akte Glass & Graetz, Bl. 13. 108 Vgl. die Ausführungen zur Vermögenssteuer für Juden in diesem Abschnitt. 109 Geheimer Erlass vom 20.5.1941 zur Auswanderung von Juden aus Belgien, dem besetzten und unbesetzten Frankreich; Auswanderung von Juden aus dem Reichsgebiet in das unbesetzte Frankreich. Vgl. Düwell, 1968, S. 206. 110 Geheimer Erlass zum Verbot der Auswanderung von Juden. Vgl. ebd., S. 208. 111 Georg Glass wurde am 1.10.1879 in Berlin geboren und verstarb am 4.1.1940 in London. Vermerk aus der Akte RegNr. 50 349, in: L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. D 130. 112 Die folgenden Angaben wurden, wenn nicht anders angegeben, der Handelsregisterakte 90 H R A 93 231 entnommen, die sich als Abschrift vom 24.5.1961 im LBO, Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. D 82 befindet. 113 Marcus, 1931, S. 133.
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Hausvogteiplatzes, etabliert. 114 Diese Gegend, in der sich bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts Konfektionsfirmen angesiedelt hatten, wurde in den folgenden Jahrzehnten zum zentralen und umsatzstärksten Bereich der Damenmantelkonfektion. 115 Für die Gründungszeit, sowie für die übrigen Jahre, mit Ausnahme von erhaltenen Steuerakten der Jahre 1932 bis 1934 und 1938, gibt es kaum Unterlagen, die Auskunft über die Größe und den Umsatz der Firma geben könnten. 116 Bekannt ist nur, dass die anfängliche Größe der Betriebsräume 450 qm betrug. Ausgehend von einer Zählung der textilverarbeitenden Betriebe im Reichsgebiet im Jahre 1907, bei der für die meisten Firmen eine Beschäftigung von ein bis höchstens fünf Personen ermittelt wurde, 117 kann daher für die Anfangszeit von Glass & Graetz ebenfalls von dieser Größenordnung ausgegangen werden. Mit der Gründung ihrer Damenmantelkonfektion investierten die beiden Geschäftsleute Glass und Graetz in einen Bereich, der eine dominierende Stellung in Berlin einnahm und der zum ältesten und nach dem Produktionswert bedeutendsten Teil der Branche gehörte. 118 Hier wurden 1906 zweihundert Mantelhersteller verzeichnet. 119 Damit waren 80 Prozent der gesamten deutschen Mantelkonfektion in Berlin ansässig.120 Die dortige hohe Konzentration von Damenkonfektionsherstellern ist unter anderem auf ein größeres Modebewusstsein in der Großstadt zurückzuführen. Die Textilbetriebe produzierten seit dem 19. Jahrhundert nicht nur für den deutschen Markt, sondern in erheblichem Umfang für den Export. 121 Dabei erzielte die Berliner Damenmantelkonfektion als Exportartikel große Erfolge. 122 Diese positive Entwicklung in der Berliner Textilindustrie hielt bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges an. 123 Da zahlreiche Textilfabrikanten an ihren überkommenen wirtschaftlichen Anschauungen festhielten und nicht auf die neuen Umstände reagierten, mussten viele von ihnen schließen. Die 114 Der Hausvogteiplatz war das Zentrum der Damenkonfektionsbetriebe, wobei sich die Mäntelund Kostümkonfektion in den benachbarten Straßen (Kronen- und Mohrenstraße) niederließ. Vgl. Wittkowski, 1928, S. 19. 115 Westphal, 1992, S. 98. 116 Die Problematik der ungenügenden Quellenlage betrifft die gesamte Berliner Bekleidungsindustrie. Dies liegt zum einen an den amtlichen Statistiken, welche die Bekleidungsindustrie nicht differenziert genug aufgeführt haben, um konkrete Schlüsse für bestimmte Textilbranchen ziehen zu können. Vgl. Marcus, 1931, S. 86. Andererseits sind viele Unterlagen der Firmen während des Zweiten Weltkrieges zerstört worden, so dass sich die Angaben vorwiegend auf Eintragungen in Berliner Adressbüchern und auf Bekanntmachungen der I H K beziehen. Im Fall von Glass &; Graetz kommt noch hinzu, dass durch die Einstellung des Betriebes 1939 und die Emigration beziehungsweise Deportation ihrer beiden Inhaber die Akten verloren gingen, so dass kaum Aussagen über die Firma gemacht werden können. 117 Nach der Statistik des Deutschen Reiches 1907, Bd. 220/221, Übersicht VI, beschäftigten „ 9 6 , 8 % aller [Konfektions-] Betriebe nicht mehr als fünf Menschen". Zit. nach Wittkowski, 1928, S. 15. 118 Westphal, 1992, S. 69. 119 Dähn, 1968, S. 98. 120 Ebd., S. 75. 121 Vgl. dazu die Tabelle der wichtigsten Bestimmungsländer des deutschen Konfektionsexportes 1913 und 1925, in: Wittkowski, 1928, S. 11. 122 Westphal, 1992, S. 98. 123 Marcus, 1931, S. 128.
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Firma Glass Sc Graetz scheint dagegen die Kriegseinwirkungen wirtschaftlich gut überstanden zu haben. In den 1920er Jahren wurde eine große Anzahl von textilverarbeitenden Firmen gegründet, aber es wurden aufgrund der zunehmend schlechter werdenden wirtschaftlichen Lage auch viele wieder geschlossen. So gab es im Jahr 1927 bereits 272 Betriebe im Segment Damenmäntel und -kostüme. 124 Entsprechend einer Statistik von 1930 reduzierte sich die Zahl in diesem Branchenzweig jedoch wieder auf 200, dem Stand von 1906. Allein 143 Firmen wurden von jüdischen Besitzern betrieben. 125 Der frühe Rückgang ist darin zu sehen, dass die kleinen und mittleren Berliner Geschäfte wegen der Konkurrenz zu den Großbetrieben von Firmenlöschungen bedroht waren. Obwohl keine konkreten Zahlen für die Anfangsjahre von Glass & Graetz vorliegen, kann davon ausgegangen werden, dass der Umsatz der Firma stieg und damit Bedarf an größeren Räumlichkeiten bestand. Aufgrund von Statistiken geht Erwin Wittkowski für die Jahre 1925 und 1926 bei einer optimalen Betriebsgröße, das heißt bei einem mittleren bis großen Betrieb, von einem Umsatz von ein bis zwei Millionen R M aus. 126 Da Glass & Graetz 1930 bereits mehr als 80 Beschäftigte hatte und somit ein mittelgroßer Betrieb war, kann von diesen Umsatzgrößen ausgegangen werden. Konkrete Umsatzzahlen der Firma Glass & Graetz liegen jedoch erst ab 1932 vor. Eine Firma wie beispielsweise die von Leopold Seligmann, die ebenfalls Damenmäntel fertigte, erreichte in der Mitte der 1920er Jahre sogar einen Jahresumsatz von fünf bis sechs Millionen RM, was aber nur den ganz großen Konfektionsunternehmen in Berlin gelang.127 Gründe, die dafür sprechen, dass Glass & Graetz zu den prosperierenden Textilunternehmen zählte, sind der Umzug in die Mohrenstraße 42/43 zu einem nicht genau bekannten Datum. 128 Da die Firma im Berliner Branchenverzeichnis des Jahres 1934 mit der neuen Adresse vertreten ist, kann mit Berücksichtigung der zeitlichen Verzögerung durch den Druck davon ausgegangen werden, dass das Unternehmen im Laufe des Jahres 1933 dorthin gezogen ist. 129 Für das Geschäftsjahr 1930 sind erstmals Zahlen der Firma Glass & Graetz erhalten. 130 Bei deren Beurteilung ist jedoch die Marktsituation im Vorfeld der Wirtschaftskrise von 1929 zu berücksichtigen, da bereits seit Mitte der 1920er Jahre wirtschaftliche Einbußen auch in der Konfektionsindustrie zu verzeichnen waren. 131 Das Unternehmen Glass & 124 Vgl. die Auflistung in: Berliner Konfektionsindustrie 1927. Taschenadreßbuch für Einkäufer, Berlin 1927. Zit. nach Wittkowski, 1928, S. 21. 125 Marcus, 1931, S. 90. 126 Wittkowski, 1928, S. 23. 127 Westphal, 1992, S. 219. 128 Die Mohrenstraße 42/43 wird in einem Bericht der Betriebsprüfungsakte des Landesfinanzamtes Berlin vom 19.6.1935 genannt. In einem Schreiben der O F D Berlin wird auf den Bericht Bezug genommen. Vgl. Brief der O F D Berlin, 11.4.2002, in: PA AE. 129 „Berliner Einwohner-Adreßbücher", Branchenverzeichnis, Rubrik: Damenmäntel, Berlin 1934. 130 Die Zahlen sind dem Bericht des Betriebsprüfers vom 23.12.1932 entnommen, dem die Einkommenssteuerschlussbilanz vom 31.12.1930 zugrunde liegt. Vgl. die Abschrift aus der Akte des Landesfinanzamtes Berlin, Finanzamt Mitte, in: LBO, Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. Ε 6. 131 1925 betrug der Gesamtumsatz der Damenmantelkonfektion 350 Millionen RM, im folgenden Jahr nur noch 290 Millionen RM. Vgl. Wittkowski, 1928, S. 22. In den weiteren Statistiken für die
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Graetz, das im „besseren Genre" 132 tätig war, beschäftigte 1930 elf Arbeiter, etwa 40 Zwischenmeister, 23 kaufmännische Angestellte, vier Vertreter sowie fünf gewerbliche Angestellte.133 Die Anzahl von 83 Angestellten und Arbeitern ergibt beim Vergleich mit den Zahlen der durchgeführten Statistiken in den Jahren 1907 bis 1933 das Bild eines mittelständischen bis großen Betriebes.134 Denn entsprechend der Zählungen von 1907 und 1925, aus denen hervorgeht, dass im Durchschnitt 1,87 beziehungsweise 2,04 Personen in einem Konfektionsbetrieb des gesamten Reichsgebietes beschäftigt waren, wurde 1925 ein Betrieb mit „51 und mehr Pers.[onen]" bereits als Großbetrieb definiert.135 In den Jahren 1928 und 1933 war die Zahl der Beschäftigten im Textilbereich auf durchschnittlich 28 beziehungsweise 21 Personen je Betrieb deutlich angestiegen.136 Die wenigen vorhandenen Zahlen weisen für die Jahre 1932 bis 1934 für Glass & Graetz Umsätze in Höhe von 1,5 (1932) und je 1,2 Millionen RM (1933 und 1934) auf.137 Der durchschnittliche Umsatz pro Betrieb im Deutschen Reich lag dagegen nur bei 341.000 RM (1928), 136.000 RM (1933) und 228.000 RM (1936). 138 Das Unternehmen Glass & Graetz erwirtschaftete daher vergleichsweise sehr hohe Umsätze innerhalb der Textilbranche. Die aus den Akten der Finanzämter zusammengetragenen Zahlen ergeben für die Firma Glass & Graetz bereits im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme im Vergleich zum Vorjahr eine Umsatzeinbuße von 21 Prozent sowie einen Gewinnrückgang von 40 Prozent. 139 Textilbranche, die während der Jahre 1928, 1933 und 1936 erhoben wurden, gibt es im Jahr 1928 bei der Damenmantelkonfektion jedoch wieder einen Anstieg auf 326 Millionen R M . Für die beiden anderen Jahre liegen keine Daten für die erwähnte Branche vor [Anm. d. Verf.]. Vgl. Bekleidungsindustrie 1928-1936 [für das Deutsche Reich], in: StJbDR, 57. Jg., 1938, S. 174. 132 Entnommen einer Liste mit jüdischen Konfektionären in Berlin, die von Westphal zusammengestellt wurde. Vgl. Westphal, 1992, S. 207. 133 Zwischenmeister hatten eine Mittlerposition zwischen der „Verlagsfirma", von der sie den Stoff erhielten, und den Heimarbeitern inne. Nach dem ersten Zuschneiden gaben sie das Material zur Bearbeitung an Heimarbeiter oder kleinere Zwischenmeister weiter. Zwischenmeister konnten selbständig oder lohnabhängig tätig sein. Vgl. Marcus, 1931, S. 87. 134 Statistiken für die Textilbranche liegen im entsprechenden Zeitraum nur für die Jahre 1907, 1925, 1928, 1933 und 1936 vor. 135 Wittkowski, 1928, S. 14f. 136 Statistik für die Bekleidungsindustrie 1928-1936 [für das Deutsche Reich], in: StJbDR, 57. Jg., 1938, S. 174. 137 Es sind nur die Umsätze der Firma für 1932-1934 erhalten. Vgl. L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. Μ 42. 138 Statistiken im Textilbereich wurden im betreffenden Zeitraum nur 1928, 1933 und 1936 im Deutschen Reich durchgeführt. Vgl. Bekleidungsindustrie 1928-1936 [für das Deutsche Reich], in: StJbDR, 57. Jg., 1938, S. 174. 139 Vgl. die von der Verf. erstellte Analyse der Umsatz- und Gewinnzahlen für die Firma Glass & Graetz der Jahre 1931 bis 1934. Die Zahlen hierfür sind den Unterlagen des L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. Ε 6 und Μ 42 entnommen. 1931
1932
1933
1934
Umsatz in R M
unbekannt
1.503.080
1.184.530
1.186.415
Gewinn (enth. Kapitalsteuern)
108.280
95.957
56.276
126.415
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Während der Umsatzeinbruch auf die veränderten politischen Verhältnisse zurückgeführt werden kann, wird der geringere Gewinn jedoch mit den angefallenen Umzugskosten zusammengehangen haben. Dagegen verdoppelte sich im Jahr 1934 der Gewinn bei gleichbleibendem Umsatz zum Vorjahr. Für den hohen Gewinnanstieg 1934 wird daher mangels Geschäftsunterlagen vermutet, dass die Produkte mit geringeren Kosten produziert und möglicherweise mit höheren Gewinnspannen umgesetzt wurden. Die sehr gut laufenden Geschäfte im Jahr 1934 sowie die kurz zuvor vollzogene Investitionstätigkeit und Umstrukturierung wird für Graetz vermutlich ein starker Motivationsfaktor gewesen sein, in Deutschland zu bleiben und nicht wie viele andere jüdische Geschäftsleute aus der Textilbranche zu emigrieren. Noch Anfang 1933 gab es 1.883 Betriebe der Damen- und Herrenkonfektion in Berlin, wovon 49,8 Prozent im Besitz von jüdischen Geschäftsleuten waren. 140 Der ungewöhnlich hohe Anteil von Juden im Textilbereich erklärt sich vor allem daraus, dass viele jüdische Söhne, die häufig weder eine berufliche Laufbahn im Militär noch in der höheren Beamtenlaufbahn einschlagen konnten, in das Unternehmen der Familie eintraten. 141 Der Ausschluss von Juden von bestimmten Berufszweigen spiegelt sich ebenfalls in den Statistiken der Jahre 1907 bis 1933 wider. Aus diesen geht hervor, dass jüdische Erwerbstätige im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in Berlin bis zur „Machtergreifung" vorwiegend in zwei Sektoren arbeiteten. Demnach waren ca. 40 Prozent im Handel tätig und ca. 28 Prozent in Industrie und Handwerk. 142 Aus der in der Tabelle zusammengefassten Geschäftsdaten der O H G sind folgende Informationen zu entnehmen: 1.
Zwischen 1932 und 1933 brach der Umsatz der O H G um ca. 21 % ein (Basis 1933).
2.
Im gleichen Zeitraum verringerte sich der Gewinn der O H G , nicht im gleichen Verhältnis des Umsatzeinbruchs, um ca. 40 %.
3.
Im Jahr 1934 stagnierte der Umsatz, d.h. der Umsatz ist auf fast gleichem Niveau wie
4.
Von 1933 zu 1934 konnte der Gewinn, trotz stagnierenden Umsatzes, über 100 % gestei-
1933. gert werden. Die oben genannten Fakten (1.-4.) lassen sich in dem bereits dargestellten Kontext wie folgt interpretieren: aus 1.) Mit aller Wahrscheinlichkeit ist der Umsatzeinbruch u.a. durch die sich verändernden politischen Verhältnisse begründet, aus 2.) Der unverhältnismäßig starke Gewinneinbruch wurde durch die verstärkte Investitionstätigkeit (Umzug in die neuen Geschäftsräume Mohrenstraße 42/43, Umorganisation etc.) verursacht. aus 3.) Der Gewinnanstieg in diesem Zeitraum verdeutlicht den außerordentlichen Erfolg der aus 4.) Investition (Umzug, Umorganisation). Die Gewinnverdoppelung bei fast gleichem U m satz verdeutlicht, dass die Wertschöpfung sich stark vergrößert hat. 140 Westphal, 1992, S. 100. 141 Augustine, 1995, S. 110. 142 Statistiken zur Verteilung jüdischer Erwerbspersonen und Erwerbspersonen insgesamt in GroßBerlin der Jahre 1907, 1925 und 1933. Vgl. Alexander, 1995, S.144. Die prozentuale Verteilung jüdischer Erwerbstätiger in Berlin gilt mit geringen Abweichungen ebenfalls für Preußen. Vgl. dazu die umfassenden Statistiken von Silbergleit, 1930.
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Die überdurchschnittliche Repräsentanz jüdischer Erwerbstätiger in den genannten Zweigen nahm jedoch aufgrund der nationalsozialistischen Maßnahmen gegen jüdische Unternehmen und Geschäfte in den nächsten Jahren deutlich ab.143 Bereits wenige Wochen nach der „Machtübernahme" wurde seit dem 1. April 1933 mit staatlich verordneten Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte vorgegangen. Dabei wurde auf den verschiedensten Ebenen individueller Terror gegen die Besitzer und deren Kunden eingesetzt. Als Folge der Geschäftsboykotte kam es zu Einfuhrstopps für deutsche Waren in die USA, wodurch hauptsächlich der exportabhängigen Textilindustrie die Absatzmärkte fehlten. Wegen sinkender Umsätze verließen bereits viele jüdische Bürger in den Jahren 1933 und 1934 Deutschland. Da die Umsätze der Firma Glass & Graetz noch bis 1934/35 in Millionenhöhe lagen, lässt sich vermuten, dass der Betrieb damals noch relativ unbehelligt weiterarbeiten konnte. Der Grund für diese Annahme ist, dass jüdische Berliner Konfektionsfirmen, die mit einer hohen Exportquote arbeiteten, anfangs von direkten Übergriffen verschont blieben.144 Sie zählten zu den notwendigen Devisenbringern des Staates und verhinderten durch ihre Produktion einen völligen Zusammenbruch des Bekleidungsexportes. Eine schnelle „Arisierung" der jüdisch dominierten Unternehmen war auch deswegen nicht möglich, weil nicht genügend nichtjüdische Geschäftsleute zur Verfügung standen, die fähig waren, die Positionen der jüdischen Konfektionäre im gehobenen Genre einzunehmen. Dennoch kam es wegen der „Nürnberger Gesetze" ab 1936 zu einer steigenden Anzahl von „Arisierungen", die Emigrationen und damit einen Exportrückgang nach sich zogen.145 Eine weitere Entrechtung der jüdischen Bevölkerung drängte sie zunehmend in die private wie wirtschaftliche Isolierung. Die Auswertung der Jüdischen Rundschau, die seit 1936 regelmäßig „Arisierungen" veröffentlichte, ergab einen deutlich höheren Anteil von „arisierten" Geschäften in der Bekleidungsbranche als im Vergleich zu anderen Zweigen.146 Während Anfang 1937 die „Arisierungen" allgemein sogar zahlenmäßig zurückgingen, stiegen sie in der zweiten Hälfte des Jahres kontinuierlich an. Ab Anfang 1938 wurde dann eine Vielzahl von Verordnungen zur Entmündigung von jüdischen Bürgern erlassen, die deren vollkommene Ausschaltung aus dem Wirtschaftsleben zum Ziel hatten. Mit der Verordnung gegen die Unterstützung der Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe mussten jüdische Firmen seit dem 22. April 1938 gekennzeichnet werden.147 Dies war eine Verschärfung der bisherigen Kennzeichnung zur Abhebung nichtjüdischer von jüdischer Ware.148 Gleichzeitig
143 Die Statistik des Jahres 1939 weist nur noch 7 Prozent der jüdischen Erwerbstätigen im Handel und 11 Prozent in der Industrie auf. Vgl. Alexander, 1995, S. 144. 144 Für das Folgende Westphal, 1992, S. 156. 145 Das Wirtschaftsblatt der Berliner I H K schrieb in seiner Ausgabe am 21.1.1936, dass in der Bekleidungsindustrie „der früher blühende Außenhandel leider ganz zurückgegangen" sei. Zit. nach Westphal, 1992, S. 117. 146 Zur „Arisierung" jüdischen Eigentums vgl. unter anderem Genschel, 1966, S. 135; Barkai, 1987; Bajohr, 2000 und ders., 1998. 147 Verordnung gegen die Unterstützung der Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe vom 22.4.1938. Vgl. RGBL, 1938,1, S. 404. 148 1936 hatte die „Arbeitsgemeinschaft deutsch/arischer Bekleidungsfabrikate" (ADEFA) ihr Zei-
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wurde der Druck auf die Zulieferfirmen erhöht, um so die jüdischen Konfektionsfirmen von der Versorgung mit Rohstoffen zu isolieren. Damit wurde jegliche Zusammenarbeit zwischen Juden und Nichtjuden unterbunden. Zwei Monate später wurde die Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz erlassen, wonach entsprechend der Definition „ein Gewerbebetrieb als ,jüdisch' anzusehen ist, wenn der Inhaber Jude im Sinne des Paragraphen 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz war.149 Ein Gewerbebetrieb galt ebenfalls als jüdisch, wenn ein oder mehrere Gesellschafter Juden waren. Die so ermittelten jüdischen Gewerbefirmen wurden in ein Verzeichnis eingetragen, um sie später zusätzlich öffentlich zu kennzeichnen. Die Verordnung schuf gleichzeitig die Grundlage für die geplante Zwangs-„Arisierung", die zu einer schnellen Ausschaltung aller Juden aus der Wirtschaft führen sollte. Viele jüdische Geschäftsleute, die aufgrund dieser Verordnungen systematisch unter Druck gesetzt wurden, veräußerten daher ihre Unternehmen „freiwillig" an nichtjüdische Käufer. Speziell im Zeitraum zwischen 1935 und 1940 nahm die Zahl der Fabrikationsbetriebe von 816 auf 381 sehr ab.150 Parallel dazu stieg die Zahl der emigrierten Juden aus der Berliner Konfektionsbranche. Die „freiwillige Arisierung" von Geschäften war jedoch nur bis November 1938 möglich. Die Jüdische Rundschau meldete für die Zeit zwischen dem 5. Juli und 1. November 1938 eine steigende Zahl von 26 „Arisierungen" aus der Berliner Konfektionsbranche.151 Die Textilfirma Glass & Graetz ging offensichtlich auf dieses „freiwillige" Angebot nicht ein, denn noch Anfang 1938 war die Firma „voll kaufmännisch aktiv [...] und die Verhältnisse waren unverändert", wie es aus einem Schreiben der Industrie- und Handelskammer (IHK) hervorgeht.152 Dass eine jüdische Firma noch 1938 offensichtlich unbehelligt von den NS-Behörden weiterarbeitete, war ein höchst ungewöhnlicher Umstand. Als beispielsweise im Sommer desselben Jahres eines der größten jüdischen Kaufhäuser Berlins, das Kaufhaus N. Israel, an einen nichtjüdischen Konkurrenten verkauft wurde, erregte dies sogar im Ausland Aufsehen. Der Daily Telegraph aus London kommentierte, dass diese länger ausgeharrt habe als jede andere große jüdische Firma.153 Das Unternehmen Glass & Graetz bestand sogar noch bis Ende 1938. Allerdings meldete Graetz am 2. Juli 1938 die Prokura des Buchhalters als erloschen an.154 Das war ein deutliches Indiz dafür, dass die Firma nicht mehr lange weiterarbeiten würde. Die am 12. November 1938 erlassene Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben untersagte Juden vom 1. Januar 1939 an jeglichen Handel und
149 150 151 152 153 154
chen „ADEFA - das Zeichen für Ware aus arischer Hand" eingeführt, um so nichtjüdische Kunden vom Kauf „jüdischer Ware" abzuhalten. Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.6.1938. Vgl. RGBL, 1938,1, S. 627f. „Berliner Einwohner-Adreßbuch" der Jahre 1935 und 1940, Branchenteil, Rubrik: Damenkonfektion beziehungsweise Damenoberbekleidung. Zit. nach Westphal, 1992, S. 185. Erwähnt ebd. Schreiben der IHK vom 16.2.1938. Vgl. die handschriftliche Abschrift vom 2.4.1958, in: LBO, Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. Ε 7. Daily Telegraph, London, 14.7.1938. Erwähnt bei Shepherd, 1985, S. 200. Vermerk aus der Handelsregisterakte 90 HRA 93 231. Vgl. die Abschrift vom 24.5.1961, in: LBO, Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. D 82.
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Verkauf sowie die Führung eines Betriebes. 155 Diese Maßnahme führte endgültig zur Schließung aller jüdischen Geschäfte. Auch das Textilunternehmen Glass & Graetz, das bis zum Schluss jede Möglichkeiten genutzt hatte um weiterzuproduzieren, musste seinen Betrieb zum Ende des Jahres einstellen.156 Dies, obwohl es noch kurz vor der Auflösung fünfzig Angestellte in der Zuschneide- und Pelzwerkstatt beschäftigte. 157 Ab dem Jahr 1939 ist die O H G Glass & Graetz nicht mehr im Branchenverzeichnis der Berliner Adressenbücher verzeichnet. Im darauffolgenden Jahr wurde der ehemalige „Kaufmann" Robert Graetz als „Privatier" im Adressenteil notiert. 158 b) Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung Robert Graetz gehörte als jüdischer Berliner Industrieller zu jener Gesellschaftsschicht, die am kulturellen Leben Berlins durch aktives Mäzenatentum im Bereich der bildenden Künste teilnahm. Seine finanziellen Möglichkeiten gestatteten es ihm, seiner Sammelleidenschaft nachzugehen und im Laufe von wenig mehr als einem Jahrzehnt eine beachtliche Anzahl von Kunstwerken zeitgenössischer Künstler sowie von Chinoiserien zusammenzutragen. Der genaue Zeitpunkt für den Beginn der Entstehung seiner Sammlung ist aufgrund fehlender Quellen nicht festzustellen. Verschiedene Umstände deuten jedoch darauf hin, dass Graetz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges mit dem Sammeln begonnen hat. Voraussetzung dafür war die eigene finanzielle Prosperität, die Graetz mit seiner Firma während des Krieges erreicht hatte, wodurch er in die Lage versetzt worden war, einen Teil seines Kapitals in Kunstwerken anzulegen.159 Der Erwerb der Villa mit ihren großzügig vorhandenen Räumen schuf den Rahmen dafür. Beim Aufbau seiner Sammlung wurde er maßgeblich durch seinen Bruder beraten. Hugo Graetz, der mindestens seit 1920 als Geschäftsführer der Novembergruppe 160 tätig war, verfügte über zahlreiche berufliche wie private Kontakte zu Künstlern und kann als Spiritus rector der Sammlung Robert Graetz gelten.161 Diese Verbindungen gaben ihm schließlich im Jahre 1923 die Möglichkeit, eine 155 Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12.11.1938. Vgl. RGBL, 1938,1, S.1580. 156 Graetz teilte der IHK am 17.11.1939 mit, dass die Firma aufgelöst sei. Vgl. Handelsregister 90 H R A 93 231, Abschrift vom 24.5.1961, in: L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. D 82. Der Betrieb der Firma wurde zum 31.3.1939 eingestellt. 157 Schadensersatzansprüche von Hilda Rush gegen das Deutsche Reich, Johannesburg, 9.6.1955, in: Ebd., Bl. D 38. 158 „Berliner Einwohner-Adreßbuch" des Jahres 1939, Branchenteil, Rubrik: Damenmäntel und ebd., 1940, Eintrag: Erdener Str. 13/15. Die zeitliche Verschiebung ist vermutlich durch die Drucklegung bedingt. 159 Vgl. Abschnitt „Zur Biographie". 160 Die Novembergruppe konstituierte sich am 3.12.1918 unter dem Einfluss der Novemberrevolution. Ziel der Künstlergruppe war es „die (deutsche) Vereinigung der radikalen bildenden Künstler" zur Vertretung und Förderung ihrer künstlerischen Interessen. Vgl. deren Richtlinien bei Kliemann, 1969, S. 57. 161 Hugo Graetz war nicht von Anfang an in der Novembergruppe tätig. Zumindest hatte er laut Anwesenheitsprotokoll nicht an der ersten Sitzung teilgenommen. Vgl. Kliemann, 1969, S. 55. Die
l.b) Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung
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kleine Galerie in der Achenbachstraße 21 in Berlin zu eröffnen, in der er in bescheidenem Umfang Künstler vertrat, die in Verbindung zur Novembergruppe standen. Zudem herrschten sehr gute äußere Bedingungen, um mit dem Aufbau einer Sammlung zu beginnen, denn bereits in der ersten Saison nach dem Ende des Krieges florierten das Auktionswesen und der Kunsthandel wieder.162 Während unter den Werken der neueren Meister vorwiegend diejenigen der Maler der Münchener Schule gefragt waren, war das Interesse nach den Berliner Impressionisten wie Liebermann, Corinth, Slevogt und Ury noch relativ gering. Die anfänglich mangelnde Nachfrage drückte sich auch in geringen Preisen aus, weswegen Arbeiten dieser Künstler für Sammler wie Graetz, die erst im Begriff waren, eine Sammlung aufzubauen, von Interesse waren. Tatsächlich kamen etliche Werke dieser Maler in seinen Besitz. Haftete im Kaiserreich dem Erwerb von moderner Kunst noch ein „oppositioneller Zug" an, weil Wilhelm II. dieser ablehnend gegenüberstand,163 änderte sich 3ie Auffassung in der Weimarer Republik. So waren durch eine veränderte Einstellung gegenüber modernen Kunstwerken und insbesondere wegen der günstigen Preise in den ersten Jahren nach Kriegsende wichtige Voraussetzungen für das Entstehen vieler zeitgenössischer Sammlungen gegeben. Gleichzeitig waren die Preise für alte Meistergemälde auch nach dem Kriege weiterhin hoch, so dass sich Sammler, die gerade erst mit dem Erwerb von Kunstwerken begannen, eher für zeitgenössische Arbeiten interessierten. Es verwundert daher nicht, dass gerade in Zeiten des politischen wie wirtschaftlichen Umbruchs eine Neuorientierung hinsichtlich der Sammelgewohnheiten stattfand. Der Aufbau der Sammlung Graetz erwarb in den wenigen Jahren von etwa 1920 bis Mitte der 1930er Jahre eine Sammlung von rund 200 Kunstwerken von überwiegend zeitgenössischen und wenigen alten Künstlern. Viele dieser Arbeiten, die identifiziert werden konnten, kaufte er kurz nach ihrer Entstehung. Bemerkenswert ist, dass der größte Teil der Künstler, deren Objekte er sammelte, mit Ausnahme der Impressionisten, Altersgenossen von Graetz waren. Sein Kunstbesitz umfasste Malerei, Skulptur und Papierarbeiten. Zeitlich begann die Sammlung mit den führenden Künstlern des deutschen Impressionismus: Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt.164 Vereint waren sie mit weiteren Malern wie beispielsweise Abbildung des verschollenen Gemäldes „Bildnis Hugo Graetz", das Ludwig Meidner 1920 geschafften hatte, gibt jedoch einen Hinweis darauf, dass Hugo Graetz spätestens im Laufe des Jahres 1920 in der Künstlervereinigung aktiv wurde. Vgl. ebd., S. 147, Abb. 2. Die wichtige Rolle, die Hugo Graetz beim Aufbau der Sammlung seines Bruders gespielt hatte, erwähnten sowohl die Tochter von Robert Graetz, Hilda Rush, als auch der Stiefsohn Werner Haas und der Großneffe Jürgen Bath. Vgl. Email von Rush an Görnandt, 19.6.2002; Brief von Haas an Görnandt, Poole Dorset, 5.8.2002, in: PA AE, sowie das Gespräch Görnandt mit Bath am 21.9.2002. 162 Für das Folgende Donath, 1921, S. 107. 163 Dorrmann, 2002, S. 122. 164 Nicht berücksichtigt werden hierbei die in der Schätzpreisliste erwähnten Skulpturen und Gemälde von Künstlern, bei denen es nur heißt „altes Ölgemälde" oder „antike Holzskulptur". Vgl. die Schätzpreisliste zur Versteigerung des Hausrates mit einem Teil der Sammlung, durch Harms, am 25.2.1941, in: LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Ber-
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III. Die Sammlung
Graetz
Lesser U r y und Käthe Kollwitz sowie den Bildhauern August Gaul, Georg Kolbe und Ernst Barlach in der Berliner Secession. Vorhanden waren ebenfalls Werkgruppen mit Arbeiten der Expressionisten, der Novembergruppe, der Freien Secession und der Dresdner Secession. 165 Unter den Expressionisten waren in der Sammlung Graetz die bedeutenden Brücke-Künstler Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel und Max Pechstein vertreten; zur nachfolgenden Generation zählten die Berliner Expressionisten Robert Willi Huth, Franz Radziwill und Max Kaus. In der Novembergruppe waren unter anderen Otto Dix und Wilhelm Schmid Mitglied, deren Ausstellungen auch mit Arbeiten von Nichtmitgliedern wie Felixmüller, George Grosz und Pechstein sowie den Bildhauern Herbert Garbe und Georg Leschnitzer beliefert wurden. Zudem sammelte Graetz Kunstwerke weiterer damals bekannter Künstler wie Franz Domscheit, Oskar Moll, Franz Heckendorf und Bruno Krauskopf, für deren Vorhandensein sich jedoch keine konkreten Anhaltspunkte finden ließen. Auch Werke von so bedeutenden Malern wie Liebermann und Slevogt konnten nicht in der Privatsammlung Graetz nachgewiesen werden, obwohl rund dreißig Arbeiten von Liebermann und zwei von Slevogt vorhanden gewesen sein sollen. 166 Weder in den Werkverzeichnissen der Künstler noch in den Geschäftsbüchern der Galerie Paul Cassirer, die beide Künstler exklusiv vertrat, war Graetz als einstiger Besitzer verzeichnet. 167 Da aus den lin, Nr. 52. Für das Folgende zitiert als Schätzpreisliste vom 25.2.1941 bei Harms. Kopie der Schätzpreisliste zur Versteigerung unter Abbildungen, S. 236-240. Da die Kunstwerke an anderer Stelle mit ihren Titeln erwähnt werden, wird hier nur allgemein auf das Vorhandensein der Werke im Katalogteil im Anhang verwiesen. 165 1913 verließen zahlreiche Künstler die Berliner Secession um die Freie Secession zu gründen, weswegen hier darauf verzichtet wird, die Künstler erneut zu nennen. Ähnliches gilt für die Künstler der Dresdner Secession wie Dix und Felixmüller, die später in der Novembergruppe Mitglied wurden (Dix) oder mit ihr ausstellten (Felixmüller). 166 Laut Angaben in den Akten zur Wiedergutmachung handelt es sich bei Liebermann unter anderem um Darstellungen von „Kindern im Waisenhaus"; von Slevogt sind Mappen und eine Herbstlandschaft erwähnt. Vgl. den Rückerstattungsanspruch von Hilda Rush, geb. Graetz, gestellt am 24.8.1948 im Britischen Sektor, in: LAB, WGÄ, 7 WGA 2270/50, Robert Graetz, Bl. 1 und Aussage von Wilhelm Graetz, ohne Datum. Vgl. ebd. Im Anhang vgl. Kat.Nr. 125. 167 Vgl. die Werkverzeichnisse von Eberle, 1995/1996 und Imiela, 1968. Die Galerie Paul Cassirer vertrat exklusiv eine Reihe von Künstlern unter denen sich Liebermann, Corinth, Slevogt, Barlach, Gaul, Sintenis und Kollwitz befanden, deren Werke auch in der Sammlung Graetz vorhanden waren. Nach dem Tod Cassirers übernahmen seine Partner Grete Ring und Walter Feilchenfeldt zunächst die Galerie in Berlin. Im Zuge der „Machtergreifung" der Nationalsozialisten verließen beide Berlin und eröffneten in London und Zürich eigene Galerien. Feilchenfeldt gelang es, einen Teil der Geschäftsbücher der Galerie Cassirer nach Zürich mitzunehmen. Vgl. Tafel, 1987, S. 217. Die überlieferten Unterlagen betreffen jedoch nur die Jahre 1903 bis 1910 und 1915 bis 1919. Auf Anfrage teilte Walter Feilchenfeldt jun. mit, dass der Name Graetz nicht in den Geschäftsunterlagen zu finden ist. Vgl. Brief von Feilchenfeldt an Görnandt, Zürich, 5.6.2002, und Email von Feilchenfeldt, Zürich, 9.9.2004, in: PA AE. Dies verwundert nicht, da die Akten für den Zeitraum fehlen, in dem Graetz mit dem Sammeln begonnen hatte. Es ist daher durchaus wahrscheinlich, dass Graetz Kunde in der Galerie Cassirer gewesen ist. Bei der vorhandenen Aktenlage lässt sich dies jedoch nur vermuten.
1. b) Entstehung und Rekonstruktion
der Sammlung
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Wiedergutmachungsakten nicht hervorgeht, um welche Techniken es sich bei den Werken von Liebermann und Slevogt handelte, ist es möglich, dass Papierarbeiten gemeint waren, deren Herkunft ungleich schwieriger zu ermitteln ist. 168 Bereits seit Anfang des 20.Jahrhunderts wurden Werke von Liebermann von vielen modern ausgerichteten privaten wie öffentlichen Sammlern erworben, zu denen unter anderen die Berliner Bruno Cassirer, Eduard Fuchs, Leo Lewin, Hugo Simon und die Berliner Nationalgalerie zählten. 169 Im Kunstbesitz von Graetz konnte unter den drei führenden deutschen Impressionisten einzig das „Porträt Alfred Kerr" 1 7 0 (Kat.Nr. 11) von Lovis Corinth nachgewiesen werden. 171 Von Lesser U r y besaß Graetz vermutlich eine Rheinlandschaft und zwei weitere Gemälde, die den Grunewald in Berlin (Kat.Nr. 188-190) darstellen. 172 Seit dem Ausstellungserfolg des Künstlers im Jahre 1916 in der Galerie Cassirer wurde der bisher wenig beachtete U r y zu einem der hoch geschätzten Künstler Berlins, dessen bedeutendster Sammler Carl Schapira war. 173 Ury, der im Jahre 1924 einige Monate im Rheinland verbrachte, schuf dort eine größere Zahl von Landschaften, von deren künstlerischem Rang Justi derart überzeugt war, dass er noch im selben Jahr eine Sonderausstellung mit dessen neuen Arbeiten im Kronprinzen-Palais eröffnete. 174 Zu diesem Zeitpunkt war U r y bereits mit vier Gemälden in der Nationalgalerie vertreten. 175 Bekannt geworden war er allerdings nicht durch Landschaften, sondern durch seine Stadtansichten Berlins. 1931 veranstaltete die Nationalgalerie zum 70. Geburtstag des Malers eine Ausstellung, die zur Gedenkausstellung wurde, weil er
168 Liebermanns Biograph schrieb 1914 von Tausenden Bleistift- und Kreidezeichnungen, zu denen noch eine große Menge an Federzeichnungen, Pastellen und Aquarellen kamen. Vgl. Hancke, 1914, S. 518. Ruth Göres erfasste 1971 524 Zeichnungen aus deutschen und ausländischen Museumsbeständen, wobei die in Privatbesitz nicht berücksichtigt wurden. Vgl. Göres, 1971. Ein in Vorbereitung befindliches Werkverzeichnis der Pastelle, Aquarelle und Gouachen von Liebermann, dem möglicherweise Hinweise auf Graetz zu entnehmen sind, ist von Margreet Nouwens 1998 an der FU Berlin als Dissertation begonnen worden. 169 Zur älteren Generation zählten Sammler wie Eduard Arnhold, Max Böhm, Max von Bleichen, Martha Cohen, Benno Bernstein und Oscar Huldschinsky. 170 „Porträt Alfred Kerr" mit Provenienzangabe Graetz, in: Berend-Corinth, 1992, WVNr. 339, Abb. S. 489. Des Weiteren befand sich eine nicht näher identifizierte Handstudie von Corinth in der Sammlung, die auf der Versteigerung vom 25.2.1941 bei Harms angeboten wurde. Vgl. Schätzpreisliste vom 25.2.1941 bei Harms. 171 Die im Text erwähnten Katalognummern beziehen sich auf die im Anhang im „Katalog der Kunstwerke" ausführlicher genannten Kunstwerke aus der Sammlung Graetz. 172 Erwähnung finden die Arbeiten von Ury im Rückerstattungsanspruch vom 24.8.1948. Vgl. LAB, WGÄ, 7 WGA 2270/50, Robert Graetz, Bl. 1. In der Literatur zu Ury konnte Graetz nicht nachgewiesen werden. So gab Seyppel im Werkverzeichnis von 1987 keinerlei Provenienzen der einzelnen Werke an. Vgl. Seyppel, 1987. Allerdings lässt sich Graetz auch nicht im in Vorbereitung befindlichen Werkverzeichnis von Sybille Groß nachweisen. Vgl. Email von Dr. Groß an Görnandt, Berlin, am 12.9.2004, in: PA AE. 173 Schapira war Vorstandsmitglied der Telefunkengesellschaft in Berlin. Vgl. Schlögl, 1995. 174 Zur Ausstellung von 1924 vgl. SMB-PK, ZA, I/NG 603: Sonderausstellungen 1923-1924, Bll. 672-677. 175 Der Ankauf erfolgte 1923. Vgl. Verzeichnis der Gemälde, 1928.
III. Die Sammlung
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Graetz
kurz zuvor verstorben war. Trotz dieser Ehrung hatte er Zeit seines Lebens längst nicht die Anerkennung gefunden, wie dies seine Malerkollegen Liebermann, Corinth und Slevogt erfahren hatten. Graetz war vermutlich seit der Ausstellung in der Nationalgalerie 1924, spätestens jedoch seit der Gedächtnisausstellung 1931 auf Ury aufmerksam geworden. Eine gute, wenn auch vergleichbar teuere Gelegenheit, Werke des Künstlers zu erwerben, bot sich ihm auf der Nachlassversteigerung. 176 Einen großen Komplex innerhalb der Privatsammlung Graetz bildeten die Arbeiten der Expressionisten, sowohl der Generation der Brücke-Künstler als auch der ihrer Nachfolger. Schmidt-Rottluff war mit mindestens fünf Gemälden hervorragend vertreten. Seine Stellung innerhalb des Kunstbesitzes wird an anderer Stelle eingehender gewürdigt. Ludwig Justi hatte Graetz gebeten, die qualitativ hochstehenden Werke zeitweise der Nationalgalerie als Leihgaben zur Verfügung zu stellen, was für die Jahre 1928 bis 1933 für die fünf Arbeiten belegt ist. 177 Schmidt-Rottluffs Brücke-Kollege Max Pechstein soll mit etwa zwölf Gemälden vorhanden gewesen sein, darunter Stillleben und Flusslandschaften. 178 Obwohl Graetz 1928 drei Werke des Malers an die Nationalgalerie verliehen hatte, deren Titel überliefert sind, konnte aufgrund der ungenauen Angaben keine eindeutige Zuordnung nachgewiesen werden. 179 Geklärt werden konnte durch die vorhandenen Archivalien für die Ausstellung nur das Vorhandensein mehrerer Stillleben des Künstlers. Bei den Recherchen fiel auf, dass Pechstein allein im Jahre 1918, aus dem das Werk „Goldregen, Calla und Schwertlilien" (Kat.Nr. 90) im Besitz von Graetz stammte, mehrere Blumenstillleben mit ähnlichen Titeln fertigte, so „Goldregen, Calla und Iris", „Calla und Iris" sowie „Schwertlilien", wodurch die Identifizierung zusätzlich erschwert wird. 180 Daneben besaß Graetz ein wei176 Auk.kat. Nachlaß Lesser Ury, durch Cassirer, am 21.10.1932. Zum finanziellen Erfolg der Versteigerung vgl. Anonym, Hohe Preise für Lesser Ury. Auktion des Nachlasses bei Paul Cassirer,
in: Der Kunstwanderer,
14. Jg., 1932, Oktoberheft, S. 359.
177 Zu seiner Verleihtätigkeit vgl. die Unterlagen im Zentralarchiv der Nationalgalerie Berlin. Vgl. SMB-PK, ZA, I/NG 719: Ausstellung Nachimpressionistische Kunst aus Berliner Privatbesitz (1928-1931) und Ausstellung neuerer deutscher Kunst, 1928. 178 Rückerstattungsanspruch vom 28.10.1954. Vgl. LAB, WGÄ, 7 WGA 2270/50, Robert Graetz, Bl. 67f. 179 In der Bestätigung vom 20.3.1928, welche die Nationalgalerie für den Erhalt von unter anderen zwei Gemälden von Pechstein ausgestellt hatte, lauteten die Titel „Calla und Iris" und „Stilleben mit Tasse". Vgl. SMB-PK, ZA, I/NG 719, Bl. 169. Bereits am 4.4.1928 erhielt Graetz die zur Ansicht geliehenen Werke zurück. Auf der Empfangsbestätigung wurden sie nun als „Stillleben" und „Schwertlilien" bezeichnet. Vgl. SMB-PK, ZA, I/NG 719, Bl. 167. Graetz, der nachweislich nur diese beiden Werke verliehen hatte, war dennoch mit dem Pechstein-Gemälde „Calla, Goldregen und Schwertlilien" aus seiner Sammlung in der Aprilausstellung von 1928 im KronprinzenPalais vertreten. Vgl. Ausstellung neuerer deutscher Kunst, 1928, Nr. 170. Der Leihvertrag ist dazu nicht im Zentralarchiv erhalten. 180 Das Stillleben „Calla, Goldregen und Iris" befand sich bereits seit 1919 in der Nationalgalerie und kann daher trotz des ähnlich lautenden Titels in der Sammlung Graetz nicht identisch sein. Vgl. Verzeichnis der Gemälde, 1923, Kat.Nr. 1344. Das Werk war auch 1928 noch im Museum. Vgl. Verzeichnis der Gemälde, 1928, Kat.Nr. 1344. Das Gemälde „Calla und Iris" kam 1996 auf den Kunstmarkt. Vgl. Auk.kat. Ausgewählte Werke, durch Grisebach, am 7.6.1996, Auktion 50, Kat.Nr. 37; das Werk „Schwertlilien" wurde 1960 versteigert. Vgl. Auk.kat. Kunst des 20. Jahr-
l.b) Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung
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teres Gemälde, das als „Flussmündung" beziehungsweise „Schiffe" (Kat.Nr. 93) betitelt wurde. 181 Das Seestück gelangte über Wilhelm Graetz, den Bruder von Robert, nach dessen Emigration 1939 nach Bolivien, wo es Hellmuth Graetz, Roberts Sohn, ausgehändigt werden sollte. 182 Uber diverse Umwege gelangte es in den 1970er Jahren, vermutlich zusammen mit einem Nolde-Werk (Kat.Nr. 86) aus der Sammlung, in den Kölner Kunsthandel. Pechstein, dessen Werke bereits im Jahre 1913 „ausverkauft" waren, 183 erfreute sich bei Berliner Sammlern und Kunsthändlern großer Beliebtheit, weswegen es schwer gewesen sein dürfte, überhaupt Werke von ihm zu kaufen. 184 Eine gute Möglichkeit zum Erwerb könnte sich Graetz geboten haben, als sich Pechstein 1922 von seinem bisherigen Galeristen Wolfgang Gurlitt trennte. 185 Durch einen von Gurlitt und Pechstein geführten Prozess gelangten 1923 einunddreißig Gemälde in den Besitz des Künstlers zurück, die dann erneut auf den Markt kamen. Zu den bedeutendsten Berliner Sammlern während der Weimarer Republik gehörten der Ökonom Hans Heymann, der etwa 45 Ölgemälde, 50 Aquarelle und Zeichnungen des Malers besaß, ferner der Kunsthistoriker Eduard Plietzsch und Hugo Simon, die ihre Bestände auch in der Ausstellung im Kronprinzen-Palais präsentierten. 186 Arbeiten von Erich Heckel, einem weiteren Brücke-Künstler, waren ebenfalls in der Sammlung Graetz vorhanden. Dabei soll es sich nach Aussage von Wilhelm Graetz um ein „Frauenbildnis" (Kat.Nr. 37) und eine „Winterlandschaft" (Kat.Nr. 38) gehandelt haben, wobei weder deren Identifizierung noch deren heutiger Aufenthaltsort ermittelt werden konnten. 187 Der Künstler fertigte hauptsächlich in den Anfangsjahren mit seinen BrückeKollegen während gemeinsamer ausgedehnter Aufenthalte Landschaften in der Nähe des Ortes Dangast am Jadebusen. 188 Obgleich er auch andere ländliche Motive malte, sollte
hunderts, durch Lempertz, am 31.5.1960, Kat.Nr. 311. Bei beiden Gemälden ist es durchaus möglich, dass sie ursprünglich Bestandteil der Sammlung Graetz gewesen waren. Auch in dem in Vorbereitung befindlichen Werkverzeichnis von Aya Soyka konnte Graetz bislang nicht als Eigentümer nachgewiesen werden. Gespräch mit Dr. Soyka am 18.3.2005 in Berlin. 181 Von Wilhelm Graetz als „Flussmündung" bezeichnet. Aussage von Wilhelm Graetz, ohne Datum. Vgl. LAB, WGÄ, 7 W G A 2270/50, Robert Graetz. Hilde Graetz, Witwe von Hellmuth Graetz, betitelte dasselbe Gemälde als „Schiffe". Vgl. das Telefax von Hilde Graetz, Buenos Aires, 27.6. 2002, in: PA AE. Aufgrund der folgenden Aussagen von Wilhelm Graetz und Hilde Graetz ist davon auszugehen, dass es sich um dasselbe Bild handelt. 182 Für das Folgende Telefax von Hilde Graetz, Buenos Aires, 27.6.2002, in: PA AE. 183 Ludwig Justi, Memoiren II, Handschrift, 1933-1936, 1. Fassung, Bl. 536f., 539, 554. Zit. nach Janda, 1988, S. 29. 184 So waren beispielsweise bereits alle Gemälde in der Pechstein-Ausstellung im KronprinzenPalais, die 1921 stattfand, in Privatbesitz. Vgl. Osborn, 1921. 185 Für das Folgende Rüxleben, 1996, S. 21 f. 186 Hans Heymann (1885-1949) war für das Auswärtige Amt in der Weimarer Republik tätig. Als er 1936 in die USA emigrierte, wurde sein gesamter Besitz, auch die Sammlung, beschlagnahmt. Vgl. Rüxleben, 1996, S. 22. 187 Aussage von Wilhelm Graetz, ohne Datum. Vgl. LAB, WGÄ, 7 W G A 2270/50, Robert Graetz. Im Werkverzeichnis ist der Name Graetz nicht verzeichnet. Allerdings ist dies erklärbar, weil ein Großteil der Gemälde entweder zerstört oder der Verbleib unbekannt ist. Vgl. Vogt, 1965. 188 Hoffmann, 1999, S. 18f.
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diese Gegend bis in die 1920er Jahre die von ihm bevorzugte bleiben, die er im Übrigen zumeist mit Schmidt-Rottluff aufsuchte, von dem sich eine Dangaster-Arbeit (Kat.Nr. 105) im Besitz von Graetz befand. O b er ebenfalls einen Landschaftsstrich dieser Gegend von Heckel besaß, muss aufgrund fehlender konkreter Hinweise allerdings Spekulation bleiben. Auch das „Frauenbildnis" kann nicht zugeordnet werden. Es wird aber vermutlich erst in der Berliner Zeit, also nach 1911, entstanden sein, da in den Jahren zuvor figürliche Darstellungen bei Heckel nur im Zusammenhang mit der Natur auftraten, und diese im eigentlichen Sinn nicht als „Bildnisse" bezeichnet werden können. 189 Mit dem Umzug nach Berlin begann Heckel, das Motiv des Menschen zu favorisieren, das bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges durch eine umfangreiche Reihe von Frauenbildnissen gekennzeichnet ist, so dass es wahrscheinlich ist, dass Graetz aus dieser Periode ein Bild erwarb. Werke von Heckel wurden von zahlreichen Sammlern aus Berlin gesammelt: Neben den damals sehr aktiven Sammlern von expressionistischen Arbeiten wie Käte Bernard-Robinson, Markus Kruss und Hugo Simon waren ebenfalls der Verleger Paul Westheim und der Kunsthistoriker Edwin Redslob Besitzer von Arbeiten des Künstlers. Von Emil Nolde, der kurzzeitig der Brücke angehörte, befanden sich zwei Werke in der Sammlung, ein „Mädchen am Fenster" (Kat.Nr. 87) und ein „Negerkopf" (Kat.Nr. 88). 190 Bei beiden sind keine konkreten Anhaltspunkte bekannt, um welche Arbeiten es sich handelte. 191 Nolde, der sich im Oktober 1913 als ethnologischer Zeichner einer Expedition nach Neuguinea angeschlossen hatte, malte auf seiner Reise vor allem exotisch anmutende Aquarelle, zu denen eine großformatige Serie mit porträthaften Darstellungen von Köpfen der Insulaner gehörte. 192 Ein derartiges Bildnis eines Stammesangehörigen mit seiner stammestypischen Gesichtsbemalung war in zweifacher Hinsicht exotisch: zum einen aufgrund des fremdartigen Motivs und zum anderen als Bestandteil der Sammlung Graetz, in der es einen singulären Platz einnahm. Werke von Nolde wurden in Berlin von Sammlern wie Julius Freudenberg, Käthe Bernard-Robinson und Markus Kruss gekauft; der mit Abstand größte Sammler war jedoch Heinrich Kirchhoff aus Wiesbaden. 193 Graetz besaß von Paula Modersohn-Becker das Gemälde „Mädchen" (Kat.Nr. 85) aus dem Jahre 1904, welches 1928 als Leihgabe von ihm im Kronprinzen-Palais ausgestellt worden war. 194 Während das Werk im Katalog den Titel „Mädchen" trägt, geht aus den Leihunterlagen präziser hervor, dass es sich um einen „Mädchenkopf" handelte. 195 Die 1907 jung
189 Für das Folgende Hüneke, 1999, Heckel, S. 43 f. 190 Das „Mädchen am Fenster" wird von Wilhelm Graetz erwähnt, ohne Datum. Vgl. LAB, WGÄ, 7 W G A 2270/50, Robert Graetz. Der „Negerkopf" ist laut Hilde Graetz 1970 im Kölner Kunsthandel verkauft worden. Vgl. Telefax von Hilde Graetz, Buenos Aires, 27.6.2002, in: PA AE. 191 Im Werkverzeichnis ist Graetz nicht nachgewiesen. Vgl. Urban, 1987/1990. 192 Zbikowski, 1999, S. 52 f. 193 Die Berliner Sammler stellten ihre Nolde-Werke in der Aprilausstellung von 1928 aus, in der Nolde zusammen mit den anderen Brücke-Künstlern außerordentlich häufig vertreten war. Vgl. Ausstellung neuerer deutscher Kunst, 1928. 194 Ebd., Kat.Nr. 122. 195 So bezeichnet in der Empfangsbestätigung der Nationalgalerie am 20. März 1928. Vgl. SMB-PK, ZA, I / N G 719, Bl. 169.
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verstorbene Künstlerin wurde erst in der Mitte der 1910er Jahre in ihrer künstlerischen Bedeutung entdeckt.196 Im 1915 erstellten ersten Werkverzeichnis der Malerin konnte Graetz nicht als Besitzer nachgewiesen werden, da er zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht mit dem Sammeln begonnen hatte.197 Aber auch in dem 1998 veröffentlichten CEuvrekatalog, welcher um rund 300 Gemälde erweitert wurde, ist Graetz nicht verzeichnet.198 Dies ist umso erstaunlicher, als den Autoren der Ausstellungskatalog des KronprinzenPalais' vom April 1928 bekannt war. Obwohl Graetz dort als Besitzer des Gemäldes „Mädchen" angegeben war, wurde sein Name im Werkverzeichnis nicht vermerkt.199 Modersohn-Becker, welche die Einheit von Mensch und Natur um 1903 zum zentralen Thema hatte, malte oft Mädchendarstellungen, wobei sie alte wie junge Menschen in vereinfachten, schweren Formen wiedergab, um so ihre Verbundenheit mit der niederdeutschen Heimat auszudrücken.200 Aufgrund der Häufigkeit dieses Motivs kann das besagte Bildnis daher ohne weitere Angaben von Details nicht zugeordnet werden. Wichtige Sammler ihrer Werke waren bis zur Beschlagnahmewelle der „entarteten Kunstwerke" Eduard von der Heydt aus Berlin und Ludwig Roselius aus Bremen. Neben den Arbeiten bedeutender Expressionisten wie den Brücke-Künstlern sammelte Graetz auch solche der jüngeren Generation, die in den 1920er Jahren zum Teil sehr erfolgreich waren. Einige dieser Künstler standen in der direkten Nachfolge der Brücke-Künstler wie beispielsweise Franz Radziwill, Max Kaus und Robert Willi Huth. Von Radziwill besaß Graetz mehrere nicht näher bezeichnete Arbeiten (Kat.Nr. 103).201 Den Künstler prägte entscheidend die Malerei Schmidt-Rottluffs, den er 1920 kennen lernte und mit dem er während gemeinsamer Aufenthalte in Dangast arbeitete. Die Werke jener Zeit lassen daher eine gewisse Nähe zum Expressionismus des älteren Kollegen erkennen.202 1921 trat Radziwill in die Freie Secession in Berlin ein, in der bereits Schmidt-Rottluff, Heckel und Pechstein vertreten waren. Während die Brücke-Künstler nur zeitweise in Dangast lebten und arbeiteten, wurde es ab 1923 ständiger Wohnort für Radziwill. Da er zumeist in Norddeutschland, weniger aber in Berlin ausstellte, ist es sehr wahrscheinlich, dass Graetz Gemälde aus dem Beginn der 1920er Jahre besaß, aus einer Zeit, in der durch die Aufenthalte von Schmidt-Rottluff in Dangast reger Kontakt nach Berlin bestand. Dafür spricht 196 Zbikowski, 1999, S. 61. 197 Im handschriftlichen Verzeichnis, welches Otto Modersohn nach dem Tod seiner Frau angefertigt hatte, waren 460 Werke mit Titel, Erwerbsdatum, Verkaufspreisen und den Besitzern vermerkt. Vgl. Busch und Werner, 1998, Bd. II, S. 7. Das Werkverzeichnis wurde 1919 von Gustav Pauli veröffentlicht. Vgl. Pauli, 1919. 198 Das zweibändige Werkverzeichnis umfasst 734 Gemälde. Vgl. Busch und Werner, 1998. 199 Der Vergleich zwischen dem Ausstellungskatalog vom April 1928 und dem Werkverzeichnis von 1998 ergab, dass den Autoren der Ausstellungskatalog vorgelegen hatte, denn sie erwähnten beispielsweise das von Modersohn-Becker 1907 gefertigte Gemälde „Selbstbildnis" aus dem Besitz von Hugo Simon, welches 1928 ausgestellt worden war. Vgl. Ausstellung neuerer deutscher Kunst, 1928, Kat.Nr. 124 und Busch und Werner 1998, Bd. II, Kat.Nr. 713. 200 Zbikowski, 1999, S. 62. 201 Das Vorhandensein von Werken von Radziwill ist der Aussage von Wilhelm Graetz, ohne Datum, zu entnehmen. Vgl. LAB, WGÄ, 7 W G A 2270/50, Robert Graetz. 202 Firmenich, 1998, S. 35.
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III. Die Sammlung Graetz
auch der Umstand, dass die früheren Arbeiten Radziwills von Marc Chagall geprägt waren, mithin einer Kunstrichtung, die, soweit bekannt, von Graetz nicht favorisiert wurde. Von dem Berliner Expressionisten Max Kaus befand sich ein „Selbstbildnis" (Kat.Nr. 44) und von Robert Willi Huth eine „Hafenansicht" (Kat.Nr. 42) im Kunstbesitz, die Graetz beide dem Kronprinzen-Palais für dessen Ausstellung im Juli 1928 leihweise zur Verfügung stellte.203 Beide Arbeiten erhielt er allerdings umgehend zurück, weil jeweils eine andere „Hafenansicht" von Huth und ein anderes „Selbstbildnis" von Kaus gezeigt wurden. 204 Max Kaus, rund zehn Jahre jünger als sein Vorbild Erich Heckel, gab bereits seinen frühen Selbstporträts in den 1910er Jahren einen vehement expressiven Ausdruck und war damit deutlich von den Brücke-Künstlern beeinflusst. 205 Der Berliner Galerist Ferdinand Möller, der auf die beachtliche Leistung des jungen Malers aufmerksam geworden war, veranstaltete 1919 die erste Einzelausstellung; es folgten weitere bei den Galeristen Paul Cassirer, Goldschmidt & Wallerstein sowie Karl Nierendorf. In den Jahren nach dem Ende des Ersten Weltkrieges traf sich Kaus zum künstlerischen und privaten Austausch mit Künstlern wie Robert Willi Huth und Martel Schwichtenberg, deren Werke Graetz auch sammelte; 1920 lernte Kaus Karl Schmidt-Rottluff und Otto Müller kennen. Ausgehend von dem Wissen, dass Graetz bevorzugt expressionistische Arbeiten sammelte, ist es wahrscheinlich, dass er von Kaus ein frühes und damit ein expressives „Selbstbildnis" besaß, denn im Werk des Künstlers herrschte bis gegen Ende der 1920er Jahre die menschliche Gestalt in expressionistischer Malweise vor.206 Da durch den Verlust von rund 200 Gemälden während des Zweiten Weltkrieges empfindliche Lücken im CEuvre von Kaus entstanden sind, kann jedoch kein konkretes Porträt dem Kunstbesitz Graetz zugeschrieben werden. 207 Auch Huth stand wie sein Altersgenosse Kaus unter dem Einfluss der Brücke-Künstler, vor allem von Schmidt-Rottluff und Pechstein. Die künstlerische Nähe zu ihnen brachte ihm allerdings viel Kritik ein; erst Ende der 1920er Jahre hatte er sich von ihrem Einfluss emanzipiert. Weitere Parallelen zu Kaus lassen sich darin erkennen, dass Ferdinand Möller auch seine Werke erstmals 1922 in seiner Galerie ausstellte, weitere folgten in der Galerie Goldschmidt & Wallerstein. Darüber hinaus hatte Robert Willi Huth Kontakt zu Heckel und damit auch zu Kaus, zu Radziwill sowie Schwichtenberg, die er später heiratete. Es fällt auf, dass alle Künstler, deren Werke von Robert Graetz gesammelt wurden, untereinander bekannt waren. 1920 beteiligte sich Huth an der Ausstellung der Novembergruppe im Rahmen der „Kunstausstellung Berlin". Dies lässt darauf schließen, dass seine Werke um 1920 durch die Vermittlung von Hugo Graetz in die Sammlung des Bruders gelangt waren. Da
203 Leihunterlagen vom 20.3.1928 und 27.6.1928. Vgl. SMB-PK, ZA, I/NG 719, Bl. 169,164. 204 Rückgabebestätigungen vom 25.7.1928 und 27.9.1928. Vgl. SMB-PK, ZA, I/NG 719, Bl. 163, 162. Aus dem Besitz von Gotthold Leinhas wurde das Gemälde „Lerici" von Huth gezeigt und aus dem Besitz von Kurt Gerron das „Selbstbildnis" von Kaus. Vgl. Zweite Ausstellung deutscher Nach-Impressionistischer Kunst, 1928, Kat.Nr. 91 und 98. 205 Für das Folgende Schmitt-Wischmann, 1990, S. 10-14, 21. 206 Ebd., S. 111. 207 Darüber hinaus weisen die Gemälde im Werkverzeichnis in der Regel nur den letzten Besitzer auf. Dies gilt auch für die drei dort aufgeführten Selbstbildnisse, die während der 1910er Jahre entstanden waren. Vgl. ebd., Kat.Nr. 8, 9, 10.
l.b) Entstehung und Rekonstruktion
der Sammlung
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Huth erst ab 1927 langsam an Anerkennung gewann, waren seine Werke zu diesem frühen Zeitpunkt sicher noch sehr preiswert zu erwerben. Zudem passte die expressionistische Hafenansicht hervorragend in das Profil der Sammlung von Robert Graetz. Der Verbleib des Bildes konnte nicht ermittelt werden.208 Noch eine weitere „Hafenansicht" (Kat.Nr. 45), nämlich von Wilhelm Kohlhoff, befand sich als Leihgabe von Graetz in der Ausstellung vom Juli 1928.209 Anders als die vorgenannten Maler stand Kohlhoff ebenso wie Franz Heckendorf und Bruno Krauskopf - Künstler, deren Werke Graetz auch sammelte - unter dem Einfluss von Corinth.210 „Corinths Bedeutung liegt darin, daß sein Spätwerk - selbst ein reiner, malerischer Expressionismus - eine Gegenposition zur stark graphisch und plakativ orientierten .Brücke'-Kunst verkörpert." 211 Obwohl sich die jungen Künstler Kohlhoff, Heckendorf und Krauskopf während der 1920er Jahre behaupten konnten - Kohlhoff und Krauskopf waren sogar sehr erfolgreich - , sind sie heute aufgrund der politischen Verhältnisse nach 1933 mit ihrer „Malerei des expressiven Realismus" kaum mehr im öffentlichen Bewusstsein verankert.212 Kohlhoff stand vor allem seit 1916, als Corinth ihn nach Spaltung der Berliner Secession und der Gründung der Freien Secession zur alten Secession zurückgeholt hatte, in dessen Wirkungskreis. Seit 1912 bezog er in Berlin ein Atelier gemeinsam mit Krauskopf und Harry Deierling und pflegte Kontakte zu Künstlern wie Oskar Moll, Ernst Fritsch, Heckendorf, Willy Jaeckel und seit 1916 zu Käthe Kollwitz sowie Curt Herrmann. Bis auf den Letztgenannten waren Arbeiten dieser Künstler alle in der Sammlung von Robert Graetz vorhanden. Dies verdeutlicht, wie eng das Netz zwischen Künstlern und Sammlern war, so dass durch Empfehlungen der unter einander befreundeten Kollegen Werke in Sammlungen gelangten.213 Während Kohlhoff anfangs noch idyllische Landschaften der Havelseen im Stil der Berliner Plein-Air-Malerei fertigte, änderte sich seine Formensprache durch die Kriegserlebnisse abrupt. Fortan griff er vermehrt Themen der christlichen Mythologie auf, wobei er stilistisch an El Greco anknüpfte. Anfang der 1920er Jahre, als er sich im Berliner Kunstleben etabliert hatte, malte er Landschaftsdarstellungen voller Expressivität, deren Beeinflussung durch Corinth jedoch unverkennbar war. Die 1924 gefertigte „Hafenansicht" im Besitz von Graetz dürfte in eben dieser Malweise gefertigt worden sein. Auch dieses Gemälde ist ein Beispiel dafür, dass Graetz häufig Werke sehr zeitnah zu ihrer Entstehung erwarb. Zum Zeitpunkt seines Ankaufs zählte Kohlhoff allerdings bereits zu den wichtigen Künstlern in Berlin, denn er stellte schon seit Anfang der 1920er Jahre häufig aus, wurde durch die Preußische Akademie der Künste gefördert214 und war mit einem „Selbstbildnis" 208 Zu Huth liegt kein Werkverzeichnis vor. Sein schriftlicher Nachlass befindet sich im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg und sein künstlerischer Nachlass wurde dem Altonaer Museum in Hamburg übergegeben. Für das Folgende vgl. Willy Robert Huth, 2000, S. 5-9, 26. 209 Zweite Ausstellung deutscher Nach-Impressionistischer Kunst, 1928, Kat.Nr. 106. 210 Diese Künstler konnten dem Ausstellungskatalog Zweite Ausstellung deutscher Nach-Impressionistischer Kunst, 1928, Kat.Nr. 106 und der Schätzpreisliste vom 25.2.1941 bei Harms entnommen werden. 211 Zimmermann, 1991, Heimkehr, S. 5. 212 Ebd., S. 7. 213 Für das Folgende Wilhelm Kohlhoff, 1993, S. 10-19, 34, 71. 214 Pfefferkorn, 1975, S. 27.
III. Die Sammlung Graetz
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von 1918 in der Nationalgalerie vertreten. Der heutige Aufenthaltsort der „Hafenansicht" ist unbekannt. 215 Ähnliches gilt für Franz Heckendorf und Bruno Krauskopf, die in den 1920er Jahren zu den führenden jungen Malern gehörten, an zahlreichen Ausstellungen teilnahmen und viele Auszeichnungen erhielten. Beide Künstler fertigten farbenprächtige Landschaften, Heckendorf malte zudem Blumengemälde, die sie in der Berliner Secession ausstellten, wo sie große Aufmerksamkeit erregten.216 Von Heckendorf befand sich ein Blumenstillleben (Kat.Nr. 40) von 1923 in der Sammlung Graetz, das damit aus einer außerordentlich erfolgreichen Phase des Malers stammte.217 1941 gelangte es in die Versteigerung bei Harms, wo es für 40 RM verkauft werden sollte; auch sein Verbleib ist unbekannt. 218 Von Krauskopf besaß Graetz einige radierte Landschaften (Kat.Nr. 53). 219 Der Maler hatte im Übrigen ebenso wie Moll am 3. Dezember 1918 an der Gründungsveranstaltung der Novembergruppe teilgenommen. Bald darauf dürfte er Hugo Graetz kennen gelernt haben. Oskar Moll, ebenfalls mit einem Blumenstillleben (Kat.Nr. 87) vertreten, war wie Kohlhoff, Krauskopf und Heckendorf von Corinth beeinflusst, bei dem er seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Unterricht genommen hatte. 220 Bereits seit 1902 beschickte er Ausstellungen der Berliner Secession, in der er seit 1906 ordentliches Mitglied war. Es folgten Kollektivausstellungen im Kunstsalon Paul Cassirer. 1914, nach dem Ausscheiden der Mehrheit der Mitglieder der Berliner Secession, gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Freien Secession, an deren Ausstellungen er bis 1918 erfolgreich teilnahm. Da Moll 1918 zum Professor an der Kunstakademie Breslau berufen wurde und damit Berlin verließ, ist zu vermuten, dass Robert Graetz das Blumenstillleben in diesem Zeitraum durch die Vermittlung seines Bruders erworben hatte. Obwohl Moll häufig an Ausstellungen in Galerien teilnahm, gelangten erst 1921 durch Schenkung eines Kunstfreundes zwei Aquarelle von ihm in die Nationalgalerie. Ein weiteres Mal hatte ein Sammler wie Graetz, der unabhängig von Kommissionen war, sich für eine Arbeit eines Künstlers entschieden, dessen Werke erst später auch von Museen erworben wurden.221 Der Verbleib des Blumenstilllebens ist wegen des unspezifischen Titels, der in den Leihunterlagen der Nationalgalerie vermerkt ist, nicht zu ermitteln. 222 215 Ein bei Pfefferkorn angekündigtes Werkverzeichnis ist, soweit bekannt, bisher nicht erschienen. Vgl. Pfefferkorn, 1975, S. 105. 216 Zimmermann, 1991, Heckendorf, S. 9 und ders., 1991, Krauskopf, S. 22. 217 Ausgeliehen am 20.3.1928, zurückerhalten am 3.4.1928. Vgl. SMB-PK, ZA, I / N G 719, Bl. 169, 168. 218 Schätzpreisliste vom 25.2.1941 bei Harms. Da das CEuvre von Heckendorf bisher nicht aufgearbeitet worden ist, besteht die Möglichkeit, dass das Stillleben noch erhalten ist. 219 Rückerstattungsanspruch vom 28.10.1954. Vgl. LAB, WGÄ, 7 W G A 2270/50, Robert Graetz, Bl. 68. 220 Für das Folgende Kirchner, 1997, S. 35-39. 221 1926 fand schließlich eine große Ausstellung anlässlich seines 50. Geburtstags im KronprinzenPalais statt. Vgl. Oskar Moll, 1926. 222 Im Werkverzeichnis lässt sich Graetz nicht nachweisen, da die Autoren nur jeweils den letzten Besitzer nennen. Zudem sind dort nur 579 von rund 2000 Werken, die Moll geschaffen hatte, aufgeführt. Vgl. Salzmann, 1975.
l.b) Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung
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Die Vedute einer „Italienischen Stadt" oder ein „Italienisches Theater" (Kat.Nr. 105) von dem Schweizer Wilhelm Schmid, dem einzigen vertretenen ausländischen Künstler, befand sich im Kunstbesitz von Graetz.223 Schmid kam 1912 als Architekt nach Berlin und schuf als Autodidakt Gemälde, die in der Anfangszeit Einflüsse der deutschen Expressionisten aufwiesen.224 Bereits 1916 hatte er seine erste Gesamtausstellung in der Galerie NeumannNierendorf.225 In den Jahren 1920 und 1921 und erneut 1928 weilte er für mehrere Monate in Italien, wo er Stadtansichten malte. Da Graetz sein Gemälde bereits im März 1928 der Nationalgalerie lieh,226 ist zu vermuten, dass er eine Arbeit aus dem Anfang der 1920er Jahre besaß, zumal er wohl kaum ein Werk von 1928 bereits im Frühjahr desselben Jahres verliehen haben dürfte. Schmid gehörte ebenfalls zu den Mitbegründern der Novembergruppe auch hier ist damit der Kontakt über Hugo Graetz von hoher Wahrscheinlichkeit. Der Verbleib der Vedute ist nicht zu ermitteln, da eine große Anzahl von Kunstwerken durch den Zweiten Weltkrieg zerstört wurde und es nur sehr wenige Publikationen zum Künstler gibt.227 Der letzte Künstler in der Sammlung Graetz, der durch den Leihverkehr mit der Nationalgalerie erfasst werden konnte, ist Jakob Steinhardt, von dem er ein nicht näher betiteltes Gemälde verliehen hatte.228 Von dem Künstler befanden sich mehrere Arbeiten im Besitz von Graetz, darunter die Seelandschaft „Düne bei Fanö" (Kat.Nr. 127), die vermutlich mit dem Gemälde „Nordsee" identisch ist, und mehrere Gemälde mit der Darstellung „Alter Juden" (Kat.Nr. 128).229 Den Kontakt zwischen Maler und Sammler stellte Hugo Graetz her, der mit Steinhardt befreundet war.230 Steinhardt hatte 1912 mit seinen Kollegen Ludwig Meidner und Richard Janthur die Gruppe „Die Pathetiker" gegründet. Meidner wiederum war 1919 durch seine Tätigkeit im „Arbeitsrat für Kunst" eng mit der Novembergruppe verbunden.231 Bis in die Mitte der 1920er Jahre war das (Euvre von Steinhardt durch biblische Themen beherrscht, die er vor allem dem Alten Testament entnahm.232 Vorbilder für Steinhardt bildeten dabei Lesser Urys biblische Motive. Waren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor allem Untergangszenen im Werk von Steinhardt vorherrschend, ver223 Beide Titel sind für dasselbe Gemälde im Leihverkehr für die Ausstellungen im April und Juli 1928 im Kronprinzen-Palais erwähnt. Vgl. SMB-PK, ZA, I / N G 719, Bl. 163. 224 Fischer, 1968, S. 4. 225 Für das Folgende Alba, 1968, unpag. 226 In der Bestätigung der Nationalgalerie vom 20.3.1928 ist das Gemälde aufgeführt. Vgl. SMB-PK, ZA, I / N G 719, Bl. 169. 227 Alba, 1968, unpag. Ein Werkverzeichnis gibt es nicht. 228 Empfangsbestätigung von Hilda Graetz am 3.4.1928. Vgl. SMB-PK, ZA, I / N G 719, Bl. 168. 229 Entsprechend der Wiedergutmachungsakte lautete ein Titel „Düne bei Fanö". Vgl. Aussage von Wilhelm Graetz, ohne Datum. LAB, WGÄ, 7 W G A 2270/50, Robert Graetz; bei Harms wurde vermutlich dasselbe Bild als „Nordsee" angeboten. Vgl. Schätzpreisliste vom 25.2.1941 bei Harms. Motive mit „alten Juden" von Steinhardt in der Sammlung ihres Vaters wurden sowohl von Werner Haas als auch von Hilda Rush erwähnt. Vgl. Brief von Haas an Görnandt, Poole Dorset, 5.8.2002 und Email von Rush an Görnandt, 1.11.2002, in: PA AE. 230 Dies berichtete Hilda Rush. Vgl. Email von Rush an Görnandt, 1.11.2002, in: PA AE. 231 Kliemann, 1969, S. 16. 232 Für das Folgende Kellner, 1995, S. 60, 66.
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III. Die Sammlung
Graetz
lagerte er dies ab 1917 auf Motive ostjüdischen Lebens: Statt einsamer Propheten malte er nun Menschen in der Gemeinschaft.233 Dem Thema des „Ostjuden" wandte sich der Künstler um 1920 verstärkt zu, weswegen anzunehmen ist, dass Graetz Werke mit Motiven von „alten Juden" aus der Phase nach 1917 besessen hat. Die Seelandschaft(en) in seiner Sammlung müssen dagegen nach 1925 entstanden sein, denn von diesem Zeitpunkt an wandte sich der Maler von den biblischen und jüdischen Themen ab hin zu realistischen Landschaften.234 Aufgrund erheblicher Verluste im CEuvre von Steinhardt,235 lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren, welche Arbeiten Graetz besessen hat. Von Franz Domscheit befand sich ein Blumenstillleben (Kat.Nr. 17) in der Sammlung. Domscheid, der bei Corinth gelernt hatte, stellte seit Ende der 1910er Jahre in der Berliner Secession und bei Ferdinand Möller aus.236 Im nächsten Jahrzehnt schuf er eine Anzahl von bedeutenden Bildern, die sehr bald die Aufmerksamkeit von Kritikern und Museen auf sich zogen. Da Domscheid erst nach 1933 häufiger Blumenstillleben malte237 und der Künstler und seine Ehefrau, die Sängerin Adelheid Arnhold, bis 1938 freundschaftliche Kontakte zu Graetz pflegten,238 ist es sehr wahrscheinlich, dass der Sammler ein Stillleben aus dieser Werksphase erworben hat. Eine ungewöhnliche Stellung innerhalb des Kunstbesitzes nahmen die Arbeiten der durch den revolutionären Expressionismus beeinflussten Künstler Conrad Felixmüller, Otto Dix und George Grosz ein. Felixmüller, der durch Hugo Graetz in Kontakt zu Robert Graetz gekommen war, war wiederum seit 1920 mit Dix befreundet.239 Durch die nur sehr ungenügenden Angaben in den Listen der Wiedergutmachungsämter zu den Werken von Dix ließ sich jedoch keines im Kunstbesitz von Graetz nachweisen.240 Für das einzige dort näher bezeichnete Gemälde „Porträt des Dichters Theodor Däubler" (ohne Kat.Nr.) konnte dagegen eindeutig belegt werden, dass es zu keinem Zeitpunkt in der Sammlung vorhanden war, denn das 1927 gefertigte Bildnis wurde bereits 1928 von der Berliner Nationalgalerie angekauft und im Zuge der „entarteten Kunst-Aktion" wenige Jahre später be-
233 234 235 236 237
Für das Folgende Bertz, 1995, S. 81, 86. Amishai-Maisels, 1995, S. 28. Kellner, 1995, S. 61. Für das Folgende Freitag, 1970, S. 3. Pranas Domsaitis, 2002, S. 44. Domscheid verwandte ab 1933 seinen litauischen Namen Pranas Domsaitis. 238 Dies ist durch Domscheid selbst bezeugt. Eigene Kunstwerke in der Sammlung Graetz benannte er allerdings nicht. Vgl. LBO, Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. Μ 21. Das Ehepaar verließ im Jahre 1938 Berlin und übersiedelte nach Bayern. 239 Die beiden Künstler waren seit 1920 durch ihre Mitgliedschaft in der Dresdner Sezession befreundet. Vgl. Beck, 1993, S. 62 f. 240 Die Liste umfasste lediglich folgende Angaben: „Gemälde einer Stadt", „weitere Ölgemälde" und „Porträt des Dichters Däubler". Vgl. Rückerstattungsanspruch vom 28.10.1954. Vgl. LAB, W G Ä , 7 W G A 2270/50, Robert Graetz, Bl. 68. Das Vorhandensein von Schwarz-Weiß- und Farbzeichnungen ist dem Brief von Haas entnommen. Vgl. Brief von Haas an Görnandt, Poole Dorset, am 5.8.2002, in: PA AE. Im Werkverzeichnis von Dix ist Graetz nicht zu finden. Vgl. Löffler, 1981.
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schlagnahmt.241 Es ist jedoch möglich, dass ein Porträt des Dichters von einem anderen Maler im Besitz von Graetz war, denn Däubler wurde rund 160 Mal porträtiert und verkehrte zudem auch privat mit Graetz.242 Däubler und Dix wiederum waren auch miteinander befreundet, so dass verschiedene Möglichkeiten des Kennen lernens - persönlich oder über die Kunst - bestanden haben, zumal Dix von 1925 bis 1927 in Berlin tätig war.243 Mit dem mutmaßlichen Vorhandensein von Arbeiten von Dix ebenso wie solcher von seinem Künstlerkollegen George Grosz, die durch einen expressiven Verismus gekennzeichnet waren, erhielt die Sammlung Graetz einen sachlichen Aspekt.244 Arbeiten dieser beiden Künstler waren Ende der 1920er Jahre noch eine außerordentliche Seltenheit in Privat- und Museumsbesitz, denn für die 1928 stattgefundene Ausstellung mit Kunstwerken aus Berliner Privatsammlungen konnte nur auf sehr wenige Werke zurückgegriffen werden.245 In der Sammlung Graetz waren vier Gemälde von Felixmüller vorhanden; aufgrund der guten Quellenlage zu den Erwerbungsumständen werden sie an anderer Stelle eingehender behandelt. Einzelne Werke in der Sammlung Da nur vergleichsweise wenige Gemälde identifiziert werden konnten, die aber zugleich wegen ihrer Motive oder der Erwerbungsumstände von Interesse sind, sollen diese ausführlicher vorgestellt werden. Als Graetz nach 1926 das „Porträt Alfred Kerr" (Kat.Nr. 11) von Lovis Corinth erwarb, war dieser längst ein erfolgreicher Maler, dessen Werke in Privatsammlungen und Museen vertreten waren. Eine wenige Jahre vor seinem Tod veranstaltete große Ausstellung im Kronprinzen-Palais legt darüber hinaus ein beredtes Zeugnis von seiner Popularität ab: Seine Arbeiten waren sowohl in den führenden deutschen modernen Museen wie der Berliner Nationalgalerie und der Hamburger Kunsthalle vorhanden als auch in Privatbeständen wie denjenigen von Eduard Arnhold, Julius Freund und Hugo Cassirer in Berlin und Max Silberberg, Ismar Littmann und Leo Lewin in Breslau.246 Corinth wurde nach seiner Ubersiedlung von München nach Berlin im Jahre 1901 durch die Vermittlung von Walter Leistikow sehr bald einer der wichtigsten Porträtmaler am Anfang des neuen Jahrhunderts.247 Leistikow hatte zwei Jahre zuvor mit Liebermann die Berliner Secession gegründet, deren
241 Die Nationalgalerie erwarb das Gemälde auf der Frühjahrsausstellung der Berliner Secession 1928. Vgl. SMB-PK, ZA, I / N G 470: Landeskunstkommission, 1927-1934, Bl. 191, 285. Zur Beschlagnahme vgl. die Erwerbungslisten, ohne Datum: Entartete Kunst, Schriftwechsel Karl Buchholz 1938-1941, in: BArch, R 55/1017, fol. 18ff. 242 Die Porträts sind verzeichnet bei Kemp und Pfäfflin, darunter befindet sich eine Kohlezeichnung von Dix, die den Dichter darstellt. Vgl. Däubler, 1984. Zur Bekanntschaft von Däubler und Graetz vgl. den Hinweis im Email von Hilda Rush an Görnandt, 18.8.2002, in: PA AE. 243 Schmidt, 1991/1992, S. 193. 244 Von Grosz befand sich eine Zeichenmappe in der Sammlung. Vgl. Aussage von Wilhelm Graetz, ohne Datum. Vgl. LAB, WGÄ, 7 W G A 2270/50, Robert Graetz. 245 Justi, 1928, Juli, S. 7. 246 Corinth-Ausstellung, 1923. 247 Zu Corinth vgl. Deecke, 1999, S. 15f.; Pfefferkorn, 1981, S. 75-80.
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III. Die Sammlung Graetz
Mitglieder Corinth und Slevogt bald wurden. 248 Unter der Vielzahl von Porträts, die Corinth in den folgenden Jahren von Künstlern und deren Umkreis fertigte, befindet sich das 1907 entstandene Bildnis des bis 1933 einflussreichsten Theaterkritikers Berlins, Alfred Kerr. Kerr, den Corinth in seinem Atelier in der Pose des Vortragenden malte, bekundete über die Art der Darstellung allerdings eine gewisse Unzufriedenheit, da er „sich mit seiner eigenen - vermutlich heroischeren - Auffassung seiner Person nicht bestätigt fand". 249 Das Porträt gelangte erst gut zwanzig Jahre nach seiner Entstehung in den Besitz von Graetz, denn noch 1926 war es von dem Berliner Sammler Leo Nachtlicht für die Gedächtnisausstellung des verstorbenen Künstlers an die Nationalgalerie verliehen worden. 250 Mit diesem Gemälde war einer der führenden Berliner Impressionisten und damit ein Maler der älteren Generation in der Sammlung Graetz repräsentativ vertreten. Graetz griff damit auch auf schon etablierte Kunst zurück, die bereits Eingang in viele Kollektionen gefunden hatte. Bei der Mehrzahl seiner Erwerbungen war er dagegen seiner Zeit voraus und kaufte Kunstwerke von Künstlern, die noch nicht oder erst im Begriff waren, von den Kritikern und der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Das Bildnis des Theaterkritikers befindet sich seit 1963 in der Stiftung Stadtmuseum Berlin.251 Graetz* Erwerbungsstrategie bei den fünf in seinem Besitz befindlichen Ölgemälden von Karl Schmidt-Rottluff war auf Vollständigkeit angelegt.252 Den überwiegenden Teil der Arbeiten des Brücke-Künstlers, die in der Sammlung einen relativ großen Komplex bilden, erwarb Graetz innerhalb weniger Jahre nach deren Entstehung. Das früheste Gemälde ist das 1910 entstandene Ölgemälde „Gutshof in Dangast" (Kat.Nr. 107).253 Der Künstler, der zwischen 1907 und 1912 die Sommermonate in Dangast verbrachte, schuf hier überwiegend Landschaftsdarstellungen, auf denen nur selten Menschen zu sehen sind.254 In diesem Bild ging es ihm nicht um die Darstellung des spezifischen Gebäudes als Motiv, sondern um die 248 Paret, 1981, S. 91-286 und Teeuwisse, 1986, S. 241-269. 249 Berend-Corinth, 1958, S. 123. 250 Lovis Corinth, 1926, Kat.Nr. 135. Anfangs war das Porträt im Besitz des Berliner Sammlers David Leder, gelangte dann in die Dresdner Galerie Ernst Arnold und von dort in die Sammlung Nachtlicht. Der Architekt Nachtlicht sollte 1936 für den Umbau der Villa von Graetz herangezogen werden. Ein konkretes Erwerbsjahr von Graetz konnte auch Beatrice Hernad nicht nennen, die das Werkverzeichnis neu bearbeitet hat. Vgl. Email von Hernad an Görnandt, 8.1.2003, in: PA AE. 251 Inventarisiert in der Stiftung Stadtmuseum Berlin, Inv.Nr. GEM 74/74. 252 Der Nachweis der Gemälde gelang mit Hilfe der Aktenbestände des Zentralarchivs der Nationalgalerie. Vgl. SMB-PK, ZA, I/NG 719 und I/NG 859: Versicherung der Leihgaben und fremde Kunstwerke (1933-34). 253 Grohmann, 1956, WVNr. 1910/2, Farbabb. S. 21. Zum Künstler allgemein vgl. u.a. Gäßler, 1989; Hüneke, 1998. 254 Mehr als zwei Drittel der insgesamt 95 von Grohmann für diese Jahre verzeichneten Gemälde gehen auf die Aufenthalte in Dangast und Umgebung zurück. Das restliche Drittel entstand 1911 und 1912 in Hamburg. In Grohmanns Bestandsaufnahme sind jedoch nur die erhaltenen Bilder berücksichtigt und jene, die bis 1956 bekannt waren. Zu den Landschaftsdarstellungen vgl. Werke der Brücke-Künstler, 1997, S. 273. Zum Aufenthalt in Dangast vgl. auch Wietek, 1995 und Peukert, 1998, Jadebusen.
l.b) Entstehung
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Farbkontraste, die durch die Einwirkung von Licht und Schatten hervorgerufen wurden.255 In den Bildern von 1910 entwickelte Schmidt-Rottluff den seit zwei Jahren von den BrückeKünstlern verwendeten flächigen Farbauftrag weiter und schuf unter Verzicht auf Details eine Bildstruktur, die von Farbformen und Farbflächen beherrscht wird. Mit Werken wie „Deichdurchbruch"256 oder eben „Gutshof in Dangast" leistete er seinen Beitrag zum berühmten Flächenstil der Brücke-Künstler, mit denen gemeinsam er zum Höhepunkt seines expressionistischen Schaffens vor dem Ersten Weltkrieg gelangte.257 Die Landschaft befindet sich seit 1953 in der Nationalgalerie in Berlin.258 Nach der Auflösung der Brücke-Gemeinschaft, die sich trennte, als sie gerade an einigen erfolgreichen Ausstellungen teilgenommen hatte,259 und nach Experimenten mit kubischen Formen schuf Schmidt-Rottluff weitere Landschaftsbilder, die während seines Aufenthaltes in Nidden an der Ostsee eine neue Qualität erfuhren. Die nun entstandenen Landschaften wie das „grandiose Bild" 260 „Sonne im Kiefernwald" und „Dorfstraße" (Kat.Nr. 108) von 1913 wirken wie ausgeschnittene Formen aus geraden und gebogenen Linien.261 Im Gegensatz zu den Dangaster Landschaften sind diejenigen in Nidden aus kräftig konturierten Formen und in gedeckten Farben komponiert. Von dem Gemälde „Dorfstraße", das als verschollen gilt, existiert nur eine kleine Schwarz-Weiß-Aufnahme im Werkverzeichnis, die keinen Vergleich hinsichtlich der Farben zulässt. Ein weiteres Gemälde in der Sammlung ist das „Selbstbildnis" (Kat.Nr. 107) von 1920, in dem sich Schmidt-Rottluff als Maler präsentiert.262 Bedingt durch die Ereignisse des Ersten Weltkrieges war es zu einem radikalen Bruch im Werk von Schmidt-Rottluff gekommen, der sich nun in verstärktem Maße der figürlichen Komposition zuwandte.263 Dabei wurde das Selbstporträt zu seinem bevorzugten Ausdrucksmittel; allein in den Jahren 1919 und 1920 schuf er sechs.264 Ebenso wie die anderen Selbstporträts dieser Periode wird das Bild in der Sammlung Graetz von einer reduzierten Formensprache und leuchtenden Farben geprägt. Der Künstler stellte dabei den großflächig aufgetragenen Farben starke Farbkontraste wie Blau-Rot und Grün-Gelb ungebrochen gegenüber, was zum Zeitpunkt der Ent255 256 257 258 259
260 261
262 263 264
Peukert, 1998, Motive, S. 322. Grohmann, 1956, WVNr. 1910/26. Farbabb. in: Expressionisten in Dangast, 1998, S. 90. Belgin, 2002, S. 16. SMB-PK, Neue Nationalgalerie, Berlin, Inv.Nr. Β 86 a. Im März 1912 nahmen die Brücke-Künstler an der ersten Ausstellung von Herwarth Waiden in dessen Galerie „Der Sturm" teil. Einen Monat später veranstaltete der Kunstsalon Gurlitt eine große Brücke-Ausstellung, welche die wichtigste seit der Ausstellung der Dresdener Galerie Arnold von 1910 war und endlich ein positives Presseecho erhielt. Vgl. Benesch, 1995, S. 52. Grohmann, 1956, S. 67. „Sonne im Kiefernwald" in: Ebd., WVNr. 1913/2, Abb. S. 45; „Dorfstraße" in: Ebd., WVNr. 1913/18, Abb. S. 259. Im Werkverzeichnis ist als Provenienz bei dem Gemälde „Dorfstraße" „Dr. Wallerstein, Berlin" angegeben. Dabei handelt es sich um die Galerie Goldschmidt & Wallerstein, in der Graetz vermutlich die Landschaft erworben hatte. Unterlagen zur Galerie existieren nicht mehr. Grohmann, 1956, WVNr. 1920/1, Abb. Tf. S. 57. Froning, 2001, S. 19. Grohmann, 1956, WVNr. 1919/5; WVNr. 1919/16; WVNr. 1919/17; WVNr. 1919/18 und WVNr. 1920/7. Zum Selbstporträt bei Schmidt-Rottluff vgl. Hüneke, 2001.
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stehung eine verstörende Wirkung auf den Betrachter ausübte. 265 Auch dieses Gemälde befindet sich seit 1953 im Bestand der Berliner Nationalgalerie. 266 Die Arbeit „Bootswerft" (Kat.Nr. 110) von 1920 gehört zum Themenkreis der Darstellungen des arbeitenden Menschen, die mehrfach zwischen 1920 und 1923 entstanden.267 Schmidt-Rottluffs Interesse galt während der Aufenthalte in Jershöft in Pommern dem pastoralen Leben in der Natur, den Fischern und den Bauern sowie den Badenden. Der Künstler malte die Menschen in groben Umrissen und mit kaum angedeuteten Gesichtern bei der Verrichtung ihrer harten täglichen Arbeit am Meer oder in der Landwirtschaft. Dabei sind die Fischer- und Bauerndarstellungen durch Spontaneität im Entwurf und Abkehr von einer präzisen Beschreibung gekennzeichnet. So erscheinen auch die beiden Fischer im Gemälde „Bootswerft" nur als skizzenhafte, gesichtslose Gestalten, die sich darum bemühen, ein Boot an Land zu ziehen. Das verschollene Gemälde ist nur durch eine Schwarz-Weiß-Abbildung im Werkverzeichnis überliefert. Ein Vergleich mit Werken derselben Zeit, wie beispielsweise „Wäscherinnen am Meer" von 1921, 268 lässt jedoch die Vermutung zu, dass auch die „Bootswerft" von einer starken Farbigkeit geprägt war. Das jüngste Werk des Künstlers in der Sammlung ist das Blumenstillleben „Mohn" (Kat.Nr. 109) von 1922. 269 Im Gesamtwerk von Schmidt-Rottluff gibt es eine große Anzahl von Stillleben, etwa die Hälfte davon Blumen. Mit jeweils fünf Blumenstillleben tritt dieses Motiv in den Jahren 1921 und 1922 gehäuft auf. Von dem Gemälde „Mohn", das ebenfalls als verschollen gilt, gibt es nur eine schemenhafte Abbildung auf einer Raumaufnahme des Kronprinzen-Palais' von 1933. 270 Da im Werkverzeichnis keine Abbildung vorhanden ist, vermittelt die Fotografie erstmals eine Vorstellung von dem Stillleben, in dem Mohnblumen in einer hohen Vase arrangiert sind. Es kann davon ausgegangen werden, dass bei dieser Arbeit ebenso wie bei den anderen Blumenstillleben dieser Jahre kräftige Farben und ein flächiger Duktus verwendet wurden. 271
265 Wilhelm R. Valentiner schrieb 1920 zu dem ebenfalls aus dieser farbintensiven Periode stammenden „Doppelbildnis": „Wie aber sollen wir nun [...] den Ausdruck des „Doppelbildnisses" fassen, das vielleicht als das stärkste geistige Bekenntnis des Künstlers erscheint? Schon die Farben des Bildes widersetzen sich jeder Beschreibung, eine solche Fülle verschiedenartigster und doch harmonisch zusammengestimmter Farbflecken steht schroff und schillernd nebeneinander." Vgl. Valentiner, 1920, S. 10. Valentiner war Kunsthistoriker, der zunächst Mitarbeiter von Bode am Berliner Museum war und später Direktor des Detroit Institute of Art wurde. 266 SMB-PK, Neue Nationalgalerie, Berlin, Inv.Nr. Β 86. 267 Grohmann, 1956, WVNr. 1920/19, Abb. S. 266. Zu den Darstellungen des arbeitenden Menschen vgl. ebd., S. 105 f. 268 Grohmann, 1956, WVNr. 1921/4. Farbabb. in: Karl Schmidt-Rottluff, 1989, Tf. 76. 269 Grohmann, 1956, WVNr. 1922/13, o. Abb. 270 Raumaufnahme eines Saales im Kronprinzen-Palais, 1933. Abgebildet in: Karl Schmidt-Rottluff, 1989, S. 95. Das Stillleben auf der Fotografie konnte mithilfe der im Zentralarchiv der Nationalgalerie vorhandenen Unterlagen zum Leihverkehr zwischen Graetz und dem Museum identifiziert werden. Vgl. SMB-PK, ZA, I / N G 859, Bl. 335 und 336. 271 So beispielsweise bei „Rittersporn am Fenster" von 1922. Vgl. Grohmann, 1956, WVNr. 1922/5. Farbabb. in: Museum Ludwig, 1986, Bd. I, Tf. 8. Bei Grohmann, wurde das Gemälde mit „Lupinen am Fenster" betitelt.
l.b) Entstehung und Rekonstruktion
der Sammlung
197
Bei keinem anderen Künstler in der Sammlung Graetz findet sich eine derartige Motivvielfalt wie bei Schmidt-Rottluff, der mit allen bis dahin von ihm verwendeten Sujets wie Landschaft, Porträt, Stillleben und Arbeiterszenen vertreten war. Dem Gemälde „Gutshof in Dangast" kommt dabei aufgrund seines künstlerischen Ranges eine besondere Bedeutung innerhalb der in der Sammlung vertretenen Schmidt-Rottluff-Gemälde zu. Dieser überblicksartige Querschnitt an Werken eines Künstlers verdeutlicht den Einfluss von Hugo Graetz, der seinen Bruder bei den Erwerbungen beriet. Inwiefern der Künstler selbst oder der Galerist von Schmidt-Rottluff, Ferdinand Möller, bei den Ankäufen eine Rolle spielten, konnte nicht festgestellt werden.272 Immerhin war Möller der Erste, der Ende 1919 die Werke von Schmidt-Rottluff in seinen Ausstellungsräumen präsentierte.273 Der Galerist hatte sich in den 1920er Jahren in besonderem Maße um die expressionistische Kunst verdient gemacht und vertrat neben Schmidt-Rottluff unter anderen Heckel, Kirchner und Müller. Wie richtungsweisend der Erwerb von Schmidt-Rottluff-Werken durch einen Privatsammler zu Beginn des 20. Jahrhunderts war, lässt sich erst im Rückblick erkennen: Die Brücke-Künstler gehören zu den bedeutendsten Vertretern der Moderne. Während die Nationalgalerie 1928 zum Zeitpunkt ihrer Ausstellung mit modernen Werken aus Berliner Privatbesitz nur zwei Gemälde des Malers besaß, gehört Graetz in die Reihe bedeutender Berliner Sammler von expressionistischer Kunst, die sich unabhängig von übergeordneten Institutionen der neuen Kunstrichtung widmen konnten. Unter den wichtigsten SchmidtRottluff-Sammlern der 1920er Jahre in Berlin waren Bernhard Koehler und Markus Kruss, die beide Kunden der Galerie Möller waren, sowie Käte Bernard-Robinson.274 Zu den vier Ölgemälden und Papierarbeiten des Malers Conrad Felixmüller in der Sammlung besaß Graetz einen besonderen Bezug, da Künstler und Sammler miteinander befreundet waren.275 Die Briefe, die sich im Nachlass des Künstlers befinden, erlauben eine nähere Charakterisierung ihres Verhältnisses. Einander vorgestellt wurden Graetz und Felixmüller im Oktober 1929 in der Villa des Sammlers durch Hugo Graetz.276 Der Bruder von Robert war ein politisch sehr engagierter Mensch.277 Gleiches gilt für den jungen
272 In den An- und Verkaufsbüchern der Galerie Ferdinand Möller ist Robert Graetz jedenfalls nicht als Kunde vertreten. Telefonische Auskunft von Wolfgang Wittrock am 26.2.2004. Der Nachlass wird zum Teil von der Berliner Galerie Wittrock, zum Teil von der Berlinischen Galerie betreut. Zum Galeristen Möller vgl. allgemein Roters, 1984. 273 Für das Folgende ebd., S. 4 2 , 1 1 7 . 274 Ebd., S. 78. Bernard-Robinson und Kruss stellten beispielsweise ihre Schmidt-Rottluff Werke 1928 auch der Nationalgalerie zur Verfügung. Vgl. Ausstellung neuerer deutscher Kunst, 1928. 275 Graetz besaß laut den Angaben in den Briefen von Felixmüller mehrere Holzschnitte, wobei nur das Blatt „Schreibender Knabe" von 1932 näher bezeichnet wurde. Vgl. Felixmüller an [Robert] Graetz, Dresden, 14.11.1932, in: GNM, ABK, NL Felixmüller I, C - l e , Durchschreibebuch X vom 18.7.1932-19.3.1933, Bl. 18,3. Im Werkverzeichnis von Söhn als „Schularbeiten (Titus)" betitelt. Vgl. Söhn, 1975, WVNr. 407, mit Abb. 276 Felixmüller an [Robert] Grätz [sie], Klotzsche, 23.10.1929. Vgl. GNM, ABK, NL Felixmüller I, C - l c , Durchschreibebuch V vom 18.7.-19.11.1929, Bl. 36,1. 277 Hugo Graetz war Kommunist, der nach der Revolution in den Ersten Berliner Arbeiter- und
III. Die Sammlung Graetz
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Felixmüller, so dass sie sich offenbar über ihre politischen Anschauungen und die Aktivitäten der Novembergruppe kennen gelernt hatten, in welcher der Maler kurzfristig Mitglied gewesen war und mit der er in späteren Jahren gelegentlich ausstellte.278 Bereits an diesem ersten Abend erwarb Robert Graetz im Tausch gegen ein Textilstück für die Ehefrau des Künstlers das Gemälde „Herbst in Klotzsche" (Kat.Nr. 18). 279 In einem Dankschreiben Felixmüllers an Graetz drückte der Maler seine Freude über Graetz' Interesse an seinen neueren Arbeiten aus, als er befand, dass „im allgemeinen das Publikum immer etwas hinterher [hinke]". 280 Damit bescheinigte er Graetz seine Aufgeschlossenheit gegenüber der neuen Kunst, denn Graetz war Felixmüller nicht nur als Mäzen und Sammler wichtig, sondern er war auch an dessen Meinung zu seinen künstlerischen Arbeiten interessiert - ein Indiz dafür, dass sich Graetz ernsthaft mit Kunst auseinander setzte.281 Mit dem Gemälde „Herbst in Klotzsche" aus dem Jahre 1920 hatte er ein Frühwerk des Künstlers erworben. 282 In dieser Anfangsphase hatte sich Felixmüller dem revolutionären Expressionismus mit seiner sozialanklagenden Komponente zugewandt und benutzte ebenso wie seine Altersgenossen Otto Dix, George Grosz und Franz Radziwill bis in die Mitte der 1920er Jahre facettierte Formen, die sich teils aus dem Formenrepertoire der BrückeKünstler und teils aus dem Futurismus ableiteten.283 Während derartige Werke, in denen Arbeiterbildnisse dominieren,284 von einem idealistischen Radikalismus durchdrungen waren, entstanden gleichzeitig romantische Bilder und Landschaften, zu denen „Herbst in Klotzsche" zählt, das in vereinfachter Formensprache ein Paar vor dunklem Hintergrund darstellt.285 Gerade der Mensch, allein oder in Gruppen, zieht sich als wesentliches Element durch das gesamte CEuvre von Felixmüller. Als Graetz 1929 dieses visionär-expressive Bild erwarb, befand sich bereits eine Reihe von expressionistischen Gemälden in seiner Sammlung - allen voran die von Schmidt-Rottluff - , weswegen er sich spontan bei der ersten Begegnung mit dem Künstler für dieses ausdrucksstarke frühe Werk entschied. 286 Mit der Abwendung Felixmüllers vom politischen Engagement hin zu einer persönlich geprägten Welt vollzog sich Mitte der 1920er Jahre ein Wandel vom expressiv-kubistischen hin zum realistischen Stil. 287 Sein Rückzug vom aktiven politischen Leben zugunsten des Soldatenrat gewählt worden war. Vgl. Brief von Haas an Görnandt, Poole Dorset, am 5.8.2002, in: PA AE. 278 Felixmüller stellte 1929 in der Jubiläumsausstellung „Zehn Jahre Novembergruppe" aus, die in den Räumen der Juryfreien Kunstschau Berlin stattfand. Vgl. Kliemann, 1969, S. 45, 50. 279 Felixmüller an [Robert] Grätz [sie], Klotzsche, 23.10.1929. Vgl. GNM, ABK, N L Felixmüller I, C - l c, Durchschreibebuch V vom 18.7.-19.11.1929, Bl. 36,1. 280 Ebd. 281 Felixmüller an [Robert] Graetz, Klotzsche, 5.4.1930. Vgl. GNM, ABK, N L Felixmüller I, C - l c, Durchschreibebuch V vom 18.7.-19.11.1929, Bl. 40. 282 Spielmann, 1996, WVNr. 223. 283 Spielmann, 1996, Position, S. 22-23. 284 Spielmann, 1990, S. 19. 285 Spielmann, 1996, WVNr. 223. 286 Felixmüller an [Robert] Grätz [sie], Klotzsche, 23.10.1929. Vgl. GNM, ABK, N L Felixmüller I, C - l c , Durchschreibebuch V vom 18.7.-19.11.1929, Bl. 36,1. 287 Spielmann, 1990, S. 19.
l.b) Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung
199
Malens von Porträts in häuslicher und Atelierumgebung traf dabei zusammen mit einem Rückgriff auf tradierte Formen.288 Fortan trat das Private und Individuelle in den Vordergrund: Themen wie Familie, Freunde, Interieur und Landschaften wurden die beherrschenden Motive. Wie kaum ein anderer Künstler des 20. Jahrhunderts variierte er dabei die Darstellung seiner Familie und wurde zum „meisterhafte[n] Interpret des Bildnisses". 289 Eine persönliche Verbindung zwischen Künstler und Sammler ist für die weiteren Jahre belegt. Graetz war für Felixmüller nicht nur Sammler, sondern auch ein Freund, und lud ihn gemeinsam mit seiner Familie bei Berlin-Besuchen in seine Villa ein.290 Auch schickte Graetz des öfteren Kleidungsstücke an Felixmüller, ohne immer direkt eine Gegenleistung zu erhalten. So dauerte es beispielsweise nahezu ein Jahr, bis sich Graetz im Juni 1931 für ein Gemälde entschied, das er im Tausch für einen im Vorjahr versandten Wintermantel erhielt. 291 Er erwarb die Landschaft „Apfelblüte - Klotzsche Dorf" (Kat.Nr. 19), die der Künstler nur knapp einen Monat zuvor gemalt hatte.292 Im Gegensatz zu der früheren Landschaft von 1920, die Graetz besaß, ist dies eine wirklichkeitsnahe Momentaufnahme der Umgebung von Klotzsche. Das Werk verdeutlicht, dass sich der Maler nach seinen „Sturm- und Drangjahren" des Expressionismus nun den Erscheinungen der sichtbaren Natur zugewandt hatte, ohne sie jedoch lediglich nachzuahmen. 293 Er gab hier die Landschaft ruhig und sachlich wieder, wobei er eine zurückhaltende Farbpalette verwendete. Intensiviert wurde die Beziehung zwischen Künstler und Sammler, als Felixmüller sich im Frühjahr 1934 entschieden hatte, von Dresden nach Berlin umzusiedeln. Bis zum Einzug in die neue Wohnung nahm Graetz die Ehefrau von Felixmüller und die beiden Söhne kurzfristig in seiner Villa auf.294 Dies gab den Anstoß, das Gespräch mit einem der Söhne des Malers zu suchen, um von einem Zeitzeugen Näheres über den Sammler zu erfahren. 295 Lukas Felix Müller [sie] konnte sich zwar aufgrund der schweren Kriegsereignisse nicht mehr konkret an die Bekanntschaft zwischen seinem Vater und Graetz erinnern, aber er 288 Peters, 1965, S. 3-5. 289 Thiemann, 1978, S. 5. 290 Felixmüller an [Robert] Graetz, Klotzsche, 19.4.1930. Vgl. GNM, ABK, NL Felixmüller I, C - l c, Durchschreibebuch V vom 18.7.-19.11.1929,Bl. 40,2. 291 Im Brief erinnerte Felixmüller Graetz daran, dass er sich für einen Wintermantel noch ein Gemälde aussuchen konnte. Brief Felixmüller an [Robert] Graetz, Dresden, 20.7.1931. Vgl. GNM, ABK, NL Felixmüller I, C - l d , Durchschreibebuch VIII vom 25.1.1931-21.9.1931, Bl. 38. 292 Felixmüller notierte als Datum des Tauschs den 10.6.1933. Vgl. GNM, ABK, NL Felixmüller I, B-6c, handschriftliches Werkverzeichnis der Jahre 1923-1934, Nr. 500. Vgl. auch Spielmann, 1996, WVNr. 500. 293 Vgl. dazu Gabelentz, 1945, S. 126 f. 294 In einem Brief erwähnte Felixmüller, dass er bereits um den 23.3.1934 nach Berlin gezogen war, während seine Familie bei Freunden [Graetz] wohnte. Vgl. Brief von Felixmüller an Mo von Haugk, Berlin, 29.3.1934. Vgl. GNM, ABK, NL Felixmüller I, C - l f , Durchschreibebuch XI vom 28.3.19338.5.1934, unpag. Ab 1. April 1934 hatte er dann eine Wohnung in der Rönnestraße 18 in BerlinCharlottenburg angemietet. 295 Das Gespräch mit Lukas Felix Müller fand am 12.3.2002 in dessen Haus in Zehlendorf statt. Er ist der 1918 in Klotzsche geborene, ältere Sohn von Felixmüller. Der jüngere Sohn, Titus Felixmüller, verstarb im Jahr 2000.
III. Die Sammlung Graetz
200
berichtete, dass der Vater Freundschaften mit zahlreichen jüdischen Kunstfreunden aus Wirtschaft und Wissenschaft pflegte.296 So korrespondierte Felixmüller 1933 auch mit dem Berliner Bekleidungsfabrikanten und Kunstsammler Fritz Mosert, bei dem er sich für dessen „mäcenhafte Freundschaft" in Form von Bekleidungsstücken bedankte. 297 Der Künstler war sich dessen bewusst, wie wichtig es für ihn und seine Familie war, Kunstfreunde wie Graetz oder Mosert zu haben, als er schrieb: „Noch ehe die Öffentlichkeit Notiz von einem Künstler nimmt, stehen wie Schutzengel gegen Not und Mutlosigkeit die Freunde neben ihm. [...] Nur wer es selbst erlebt, weiß, was es heißt, einen Freund neben der Staffelei zu haben." 298 Die großzügige Geste wie die „liebenswertefn] Kunstfreundlichkeit", die Graetz dem Maler entgegenbrachte, wurde mehrfach von Felixmüller dokumentiert. 299 Aus Anlass der Aufnahme seiner Familie in die Villa und der Hochzeit von Robert Graetz und dessen zweiter Frau Bluma Haas schenkte der Künstler seinem Mäzen im Juni 1934 das gerade fertig gewordene „Selbstbild (i. Sportmütze vor der Staffelei)" (Kat.Nr. 20), wobei er hoffte, dass er das kleine Format aufhängen würde. 300 Graetz besaß bereits zwei größere Gemälde von Felixmüller, weswegen er vermutlich mit Bedacht das kleine Format von 22 x 15 cm ausgewählt hatte. Weder der Verbleib noch eine Abbildung des Porträts sind bekannt; es ist jedoch vergleichbar mit einem sehr ähnlichen Selbstbildnis, das Felixmüller kurz zuvor gemalt, aber aufgrund von Trockenrissen nicht an Graetz abgeschickt hatte.301 In seinen häufigen Selbstporträts, die einen besonderen Stellenwert im Gesamtwerk einnehmen, legte er sich Rechenschaft über seinen künstlerischen Werdegang ab, wobei ihnen typischerweise konkrete Erlebnisse oder Anlässe zugrunde liegen, wie es auch bei diesem Selbstbildnis der Fall ist.302 Noch im selben Jahr, am 21. November 1934, konnte Felixmüller seinen bereits drei Jahre zuvor geäußerten Vorschlag, ein Porträt von seinem Mäzen anzufertigen, in die Tat umsetzen. 303 Von dem „Bildnis Robert Graetz" (Kat.Nr. 21), welches ein ähnliches Format wie 296 Gespräch Görnandt mit Lukas Felix Müller am 12.3.2002. Vgl. auch Felixmüller, T., 1981, S. 32. 297 Brief von Felixmüller an Mosert, Dresden, 24.2.1933. Vgl. GNM, ABK, N L Felixmüller I, C - l e, Durchschreibebuch X vom 18.7.1932-19.3.1933, Bl. 44,2-3. Felixmüller korrespondierte mindestens seit 1929 von Dresden aus mit einigen Berliner Textilhändlern wie Gotthard Laske, Mosert und auch Graetz. Vgl. GNM, ABK, N L Felixmüller I, C - l c , Durchschreibebuch V vom 18.7.-19.11.1929, Bll. 9, 34 und 36,1. 298 Felixmüller, 1928, Denkmal, S. 93. 299 Brief von Felixmüller an [Robert] Graetz, Berlin, 14.6.1934. Vgl. GNM, ABK, N L Felixmüller I, C - l f , Durchschreibebuch X I vom 28.3.1933-8.5.1934, Bl. 8. 300 Spielmann, 1996, WVNr. 604, o. Abb. Felixmüller an [Robert] Graetz, Berlin, 14.6.1934. Vgl. GNM, ABK, N L Felixmüller I, C - l f, Durchschreibebuch X I vom 28.3.1933-8.5.1934, Bl. 8. 301 Das Gemälde „Selbstbildnis, malend" entstand am 14.5.1934. Vgl. Spielmann, 1996, WVNr. 598. Felixmüller schrieb Graetz, dass sich das zuvor gemalte Selbstporträt „beim Trocknen (auf neuartigem Grund) sehr ungünstig verändert" hatte, weswegen er ein neues gemalt hatte. Da Felixmüller das zum Geschenk beabsichtigte Selbstporträt an das Ende des Briefes skizziert hatte, wird deutlich, dass beide Gemälde sehr ähnlich waren. Vgl. Brief von Felixmüller an [Robert] Graetz, Berlin, 14.6.1934, in: GNM, ABK, N L Felixmüller I, C - l f , Durchschreibebuch X I vom 28.3.1933-8.5.1934, Bl. 8. 302 Gleisberg, 1990, S. 4 3 - 4 9 . 303 Brief Felixmüller an [Robert] Graetz, Dresden, 20.7.1931. Vgl. GNM, ABK, N L Felixmüller I, C - l d, Durchschreibebuch VIII vom 25.1.1931-21.9.1931, Bl. 38.
l.b) Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung
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das im Juni gefertigte Selbstbildnis aufwies, ist ebenfalls weder der Verbleib bekannt noch existiert eine Aufnahme.304 Auch diese Arbeit erwarb Graetz kurz nach seiner Entstehung, indem er es gegen Damenkonfektion eintauschte. Felixmüller porträtierte häufig die Sammler seiner Werke, um seinen Dank auszudrücken und um ihnen gleichzeitig ein Denkmal für die Nachwelt zu setzen. Dabei ergriff der Maler häufig selbst die Initiative. Ein großer Teil dieser Bildnisse gibt seine wichtigsten Sammler und Mäzene Hanns-Conon von der Gabelentz und Maria von Haugk wider.305 Allein im letzten Jahr in Dresden, 1933, fertigte Felixmüller 18 Porträts - ein Zeichen dafür, wie wichtig für ihn Auftragsarbeiten waren. Auch in Berlin war dies eine wichtige Einnahmequelle, wobei allerdings in seinem ersten Berliner Jahr von den elf Bildnissen nur zwei ortsansässige Auftraggeber darstellen, nämlich die beiden Textilfabrikanten Graetz und Gotthard Laske.306 Die Tatsache lässt die Schlussfolgerung zu, dass Graetz, neben Laske und dem bereits erwähnten Mosert, zu den frühesten Förderern von Felixmüller in Berlin zählte.307 Die Auftragsvergabe seines Porträts an den Künstler kam dabei seinem Selbstverständnis als Angehöriger der wohlhabenden jüdischen Oberschicht sicherlich entgegen. Einerseits konnte er den Maler materiell unterstützen und damit mäzenatisch auftreten, andererseits ließ er sich durch die Schaffung eines Porträts für die Nachwelt verewigen. In seiner Sammlung befand sich noch ein weiteres Bildnis, eine Büste von Georg Leschnitzer, die an prominenter Stelle im Herrenzimmer von Graetz stand. Von keinem anderen Künstler als von Felixmüller ist bekannt, dass Graetz die Werke so zeitnah zur Entstehung erworben hatte. Damit gelangten Arbeiten in seinen Besitz, bevor sie von Kunstkritikern als sammlungswürdig bezeichnet wurden. Unklar ist, wie lange die Freundschaft zwischen Graetz und Felixmüller währte. Aufgrund der sich zuspitzenden politischen Situation liegt es jedoch nahe, dass der Kontakt Ende 1934 bereits abnahm und schließlich abbrach.308 Nachweisbar ist Graetz im Nachlass des Künstlers nach dem Erwerb des „Bildnisses Robert Graetz" jedenfalls nicht mehr. Felixmüller klagte in einem Brief an Hedi Marek, dass seine „vielen ehemaligen, meist jüdischen Kunstfreunde jetzt so knapp, teils nicht mehr hier [sind], dass wir vor der Tatsache stehen, neue zu suchen."309 Die Bemerkung „so knapp" bezieht sich möglicherweise nicht 304 Spielmann, 1996, WVNr. 618, o. Abb. 305 Hanns-Conon von der Gabelentz (1892-1977), der aus einer alten Adelsfamilie stammte, verband mit Felixmüller eine lebenslange Freundschaft. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er Direktor des Staatlichen Lindenau-Museums in Altenburg. Für das Folgende Penndorf, 1996, S. 42 f. 306 Vgl. die Auftraggeber für das Jahr 1934 bei Spielmann, 1996, WVNr. 589-622. Laske besaß insgesamt vier Gemälde von Felixmüller, die zwischen 1932 und 1935 entstanden waren. 307 Der Berliner Bekleidungsfabrikant Mosert unterstützte Felixmüller mit Kleidungsstücken mindestens schon seit Anfang 1933, als der Künstler noch in Dresden wohnte. Vgl. den erwähnten Brief von Felixmüller an Mosert, Dresden, 24.2.1933, in: Conrad Felixmüller, 1981, S. 133, in dem sich Felixmüller für seine diesbezügliche Hilfe bedankte. 308 Obwohl Felixmüller kein Jude war, wurde er bereits seit 1933 von den Nationalsozialisten angegriffen, die seine Kunstwerke als Verfallskunst bezeichneten. Die Denunzierung erfolgte dabei weniger aufgrund der expressiven Motive, sondern wegen der politischen Aktivitäten des Künstlers, wie Lukas Felix Müller im Gespräch im März 2002 betonte. 309 Zit. nach: Brief von Felixmüller an Hedi Marek, Frau des österreichischen Botschafters in Prag,
III. Die Sammlung Graetz
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nur auf die Anzahl der jüdischen Künstlerfreunde, sondern auch darauf, dass viele jüdische Mäzene nicht mehr so großzügig über Geldmittel verfügten, um als Kunstförderer aufzutreten. Ein weiterer Aspekt für ein Ende der Freundschaft Mitte der 1930er Jahre ist der Umstand, dass die beiden Gemälde in der Sammlung Graetz, die kurz vor der Erwerbung entstanden waren, ohne Abbildung im Werkverzeichnis vorhanden sind.310 Londa Felixmüller begann erst nach 1934 damit, von allen Werken ihres Mannes Fotografien anzufertigen. Hätte es noch freundschaftliche Kontakte zwischen Sammler und Künstler gegeben, wäre es sicher ohne weiteres möglich gewesen, in den Jahren nach 1934 Fotografien von den beiden Gemälden für die Fotodokumentation anzufertigen.311 Allerdings kam es im Juli 1939 noch einmal zu einer Begegnung, denn Felixmüller hatte Graetz um die Rückgabe des Gemäldes „Herbst in Klotzsche" gebeten.312 Der Maler erbat in den Fällen seine Werke zurück, wenn er sich inhaltlich und stilistisch von den bisherigen Motiven abgewandt und sich daher von den Bildern distanziert hatte. 313 Die zurückerhaltene Landschaft übermalte er im April 1940 mit dem Motiv „Das eingeschlafene Modell". 314
Sonderstellung: Plastiken in der Sammlung Graetz' großes Interesse für plastische Arbeiten spiegelte sich in einer Vielzahl von Skulpturen verschiedener moderner Künstler wider. Allen voran sind die Tierplastiken des Bildhauers August Gaul zu nennen, der wegen seiner strengen Formensprache als der erste moderne Bildhauer Deutschlands gilt.315 Graetz erwarb für seine Sammlung mehrere lebensgroße Bronzeskulpturen, die er im Garten der Villa aufstellte.316 Darunter befanden sich die Figuren eines Widders (Kat.Nr. 31) und eines Bibers (Kat.Nr. 32) sowie einiger Enten (Kat.Nr. 27-30), die einen Teich aus Marmor umsäumten. Ergänzt wurde der Bestand Berlin, 3.5.1934, in: Conrad Felixmüller, 1981, S. 134. Vgl. auch den Brief von Felixmüller an Rudolf Feldmann, Goldschmied, Berlin, 21.9.1934, in: Ebd., S. 136, in dem er ebenfalls erwähnt, dass viele seiner jüdischen Kunstfreunde emigriert waren. 310 Spielmann, 1996, WVNr. 604 und 618. 311 Für die Werke, die vor dem Beginn der Fotodokumentation entstanden waren und die sich nicht mehr im Besitz des Künstlers befanden beziehungsweise ein zu großer zeitlicher Abstand bestand, als dass noch Fotografien von Londa Felixmüller hätten angefertigt werden können, wurden für das Werkverzeichnis Fotografien von Museen, Galerien und Sammlern herangezogen. Vgl. Felixmüller, T., 1981, S. 209. Da der Verbleib der beiden Gemälde aus dem Besitz von Graetz unbekannt ist, war dies für die Publikation auch später nicht möglich gewesen. 312 GNM, ABK, N L Felixmüller I, B - 6 c , handschriftliches Werkverzeichnis der Jahre 1913-1922, WVNr. 223. 313 Beispielsweise bat Felixmüller den Wiesbadener Sammler Heinrich Kirchhoff (1874-1934) um die Rückgabe mehrerer Gemälde. Vgl. den Brief von Felixmüller an Kirchhoff, Bielefeld, 28.9. 1926, in: Conrad Felixmüller, 1981, S. 104. 314 Spielmann, 1996, WVNr. 847. 315 Der Tierbildhauer, 1999, S. 7. 316 Zum Vorhandensein und zur Aufstellung der Skulpturen vgl. Brief von Haas an Görnandt, Poole Dorset, 5.8.2002, in: PA AE; Gespräch mit Werner Haas am 5.9.2003 in London; Gespräch mit Jürgen Bath am 21.9.2002 und den Rückerstattungsanspruch vom 24.8.1948. Vgl. LAB, WGÄ, 7 W G A 2270/50, Robert Graetz, Bl. 1.
l.b) Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung
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von etwa einem Dutzend kleiner verschiedener Tierfiguren, bei denen es sich um den „Kleinen Tierpark" (Kat.Nr. 26) von 1914/15 handelte, der aus fünfzehn Kleinplastiken aus Bronze und Silber bestand.317 Eine davon, die Figur eines Schweins (Kat.Nr. 26 a), wurde im Februar 1941 durch das Auktionshaus Harms für 100 RM angeboten.318 Werke von Gaul fanden sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in großen Privatsammlungen moderner Kunst.319 Zu diesen zählten in Berlin so bedeutende Sammler wie Eduard Arnhold, Rudolf Mosse, Max Liebermann sowie Franz und Margarete Oppenheim. Schwerpunkt dieser Bestände bildeten zumeist Werke der französischen und deutschen Impressionisten, die ihre Ergänzung durch moderne Plastiken fanden. Einen wichtigen Anteil bei der Entwicklung des Berliner Handels mit zeitgenössischer Kunst sowie bei der Ausrichtung moderner Sammlungen hatte dabei seit ihrer Gründung im Jahre 1898 die Galerie Paul Cassirer, die neben Malern wie Liebermann, Slevogt, Corinth und Trübner auch Bildhauer wie August Gaul, Georg Kolbe, Ernst Barlach und Renee Sintenis vertrat, um nur einige zu nennen. Die Quellenlage hierzu ist jedoch nur unzureichend, da die Geschäftsbücher der Galerie lediglich lückenhaft erhalten sind.320 Eine Reihe moderner Kunstbestände, die vor dem Ersten Weltkrieg entstanden waren, musste bereits während der Inflationszeit aufgelöst werden; sie kamen somit erneut in den Kunsthandel. Dies bot der neuen Sammlergeneration die Möglichkeit, Plastiken zu erwerben. Denn anders als noch in den Jahren zuvor, in denen Zeitgenossen wie der Kohlenindustrielle Eduard Arnhold Arbeiten bei Gaul bestellten, wird dies Graetz aufgrund der zeitlichen Umstände kaum möglich gewesen sein, da der Künstler bereits 1921 verstarb, also zu einem Zeitpunkt, als Graetz gerade mit dem Sammeln begann. Eine Erwerbschance auf dem Kunstmarkt ergab sich möglicherweise für Graetz, als im April 1927 die Sammlung des Breslauer Textilfabrikanten Leo Lewin bei Cassirer & Helbing versteigert wurde, die unter anderen eine Reihe von plastischen Arbeiten von Gaul, Kolbe, Barlach und Wilhelm Lehmbruck enthielt.321 Lewin, der seinen Kunstbestand erst wenige Jahre zuvor aus alten Sammlungen erworben hatte, um diese vor der völligen Auflösung zu bewahren, konnte nun deren endgültige Zerstreuung nicht mehr verhindern.322 Die Vermutung, dass Graetz Objekte auf dieser Versteigerung bei Cassirer & Helbing erworben hatte, konnte allerdings bislang nicht bestätigt werden, da sich weder das Versteigerungsprotokoll im Landesarchiv Berlin noch Verkaufshinweise in den Geschäftsunterlagen der Galerie Cassirer finden ließen.323 Dies bedeutet jedoch nicht,
317 Der Tierbildhauer, 1999, Kat.Nr. 68, Abb. S. 199. 318 Schätzpreisliste vom 25.2.1941 bei Harms. 319 Für das Folgende Gabler, 1999. 320 Auskunft Walther Feilchenfeldt im Brief an Görnandt, Zürich, 5.6.2002 sowie dessen Email vom 9.9.2004, in: PA AE. 321 Auk.kat. Sammlung Leo Lewin, Breslau: Deutsche und französische Meister des 19. Jahrhunderts. Gemälde, Plastik, Zeichnungen, durch Cassirer & Helbing, am 12.4.1927. Leo Lewin war durch die Textilfirma seines Vaters, die im Ersten Weltkrieg Soldatenbekleidung produziert hatte, zu großem Vermögen gelangt. In den 1920er Jahren war er Generaldirektor. Zur Persönlichkeit vgl. Eberle, 1995/96, Bd. II, S. 945, 1080. 322 Scheffler, 1927, Lewin. 323 Über das Schicksal des „Kleinen Tierparks" aus der Sammlung Lewin ist bekannt, dass die Ber-
III. Die Sammlung Graetz
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dass Graetz keine Arbeiten von Gaul und anderen durch Paul Cassirer vertretene Künstler erworben hat, denn nicht alle Verkäufe sind aufgrund der Lücken in den entsprechenden Verkaufsbüchern nachweisbar. So ist beispielsweise der Kauf von Gartenplastiken durch den Berliner Großindustriellen und Sammler Max Meirowsky nicht aus den Galeriegeschäftsbüchern bekannt, sondern aus dessen Unterlagen. 324 Im Werkverzeichnis der Gaul-Plastiken konnte Graetz nicht gefunden werden. 325 Größere Bestände an Skulpturen von Gaul, Sintenis, Barlach und Kolbe kamen 1935 mit der Sammlung Max Silberberg und 1936 mit der Versteigerung der Kunsthandlung A. S. Drey im Auktionshaus Graupe zum Verkauf. 326 O b Graetz zu diesem Zeitpunkt jedoch überhaupt noch als Käufer auftreten konnte, ist fraglich. Neben den Tierplastiken von Gaul befanden sich etwa zehn Skulpturen von der Berliner Bildhauerin Renee Sintenis in der Sammlung Graetz, darunter die Figuren eines Fohlens, eines Kalbs und einer Giraffe (Kat.Nr. 115-124). 3 2 7 Die Arbeiten der Künstlerin, die wegen ihrer Präferenz für Tierdarstellungen oft mit ihrem älteren Kollegen Gaul verglichen wurde, erfuhren vor allem in den krisengeschüttelten 1920er und 1930er Jahren eine wachsende Nachfrage. 328 Ihre Tiermotive, die wegen des relativ kleinen Formats und ihres gefälligen Aussehens beim Publikum begehrt waren, wurden durch die Galerien Gurlitt, Cassirer und Flechtheim in Berlin vertreten. Zudem beteiligte sich Sintenis von 1915 bis 1931 fast alljährlich an den Berliner Ausstellungen, so dass Graetz mannigfaltige Möglichkeiten hatte, ihre Arbeiten zu erwerben. In diesen Jahren war sie mit ihren Objekten bereits in Sammlungen wie derjenigen von Baron Karl von der Heydt, Hans Moser und dem Deutschen Theater in Berlin vertreten. 329 Plastische Arbeiten eines weiteren bedeutenden Bildhauers in der Sammlung Graetz waren die des Expressionisten Ernst Barlach. Der Künstler wurde wie Gaul exklusiv über Paul Cassirer und, nach dessen Tod im Jahre 1926, von seinen Nachfolgern vertreten. Cassirer war wie seine Ehefrau, die Schauspielerin Tilla Durieux, ein passionierter Sammler von Plastiken Barlachs, die er seit 1912 offiziell sammelte. 330 Im Jahre 1914 besaß er bereits vierliner Nationalgalerie diesen auf der Lewin-Auktion erworben hatte. Vgl. Der Tierbildhauer, 1999, S. 199. 324 Zur Erwerbung der Gartenplastik vgl. Dorn, 1999, S. 69. Max Meirowsky war ein jüdischer Großindustrieller in Berlin und gehörte zur Sammlergeneration, der auch Graetz angehörte. Er stellte wie dieser in der Ausstellung mit Kunstwerken aus Berliner Privatbesitz im Jahre 1928 in der Nationalgalerie aus. 325 Walther, 1961. 326 Auk.kat. Gemälde, Plastiken, Antiquitäten aus verschiedenem Privatbesitz, durch Graupe, am 21.12.1935 und Auk.kat. Verschiedener Kunstbesitz, Gemälde, Kunstgewerbe, Teppiche, durch Graupe, am 18.6.1936. 327 Welche Objekte sich genau in der Sammlung Graetz befunden haben, konnte auch nicht mithilfe des Werkverzeichnisses geklärt werden. Vgl. Buhlmann, 1987. 328 Für das Folgende ebd., S. 52, 54, 112 und 109. 329 Zu Heydt vgl. Renee Sintenis, 1996, unpag.; zu Moser vgl. Buhlmann, 1987, S. 112 und zum Deutschen Theater vgl. Renee Sintenis, 1930, unpag. 330 Zum Verhältnis von Barlach und seinen Sammlern vgl. Caspers, 2003, S. 105. Für das Folgende ebd., S. 110.
l.b) Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung
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zehn Holzskulpturen des Künstlers; dies war zu diesem Zeitpunkt die größte Anzahl in privatem oder öffentlichem Besitz. Mit dem Ankauf derartiger Kunstwerke erwies er sich als weit blickender als die Museen, denn der Erwerb einer Holzplastik des Künstlers durch die Bremer Kunsthalle im Jahre 1908 sollte für die kommenden zehn Jahre der einzige Ankauf von einem Museum bleiben.331 Erst 1919 erwarb Ludwig Justi für die Berliner Nationalgalerie die Holzskulptur „Die Verlassenen" von Barlach,332 wodurch der Künstler endlich öffentliche Anerkennung erfuhr.333 Aber auch in Privateigentum blieben Holzarbeiten von Barlach aufgrund ihrer hohen Preise eine Besonderheit, die nur von sehr reichen Sammlern wie beispielsweise Charlotte und Paul von Mendelsohn-Bartholdy gekauft werden konnten.334 Wesentlich günstiger als Holzunikate waren dagegen plastische Objekte von Barlach aus Werkstoffen wie Bronze, Keramik oder Porzellan, da sie in größeren Auflagen hergestellt wurden. Sehr beliebt waren Porzellanfiguren der Schwarzburger Werkstätten, von denen sich drei im Besitz von Robert Graetz befanden: die Figurengruppe eines „Bäuerlichen/Russischen Liebespaares" (Kat.Nr. 7), ein „Sitzendes Mädchen/Weib" (Kat.Nr. 6) und ein „Liegender Bauer" (Kat.Nr. 5), die alle um 1910 entstanden waren.335 Graetz kaufte dabei nicht die bei Barlach von Not und Hunger dominierten Motive, sondern positiv stimmende - ganz anders als beispielsweise der Barlach-Sammler Fritz Hess, der Arbeiten auswählte, die zu den „krassesten Darstellungen menschlicher Not im plastischen Werk Barlachs zählten".336 Wann Graetz die Plastiken für seine Sammlung erwarb, ist nicht überliefert,337 sehr wahrscheinlich ist jedoch, dass er die weiß lasierten Porzellanfiguren vorwiegend in den Krisenjahren zwischen 1919 und 1922 kaufte, da in jener Zeit die meisten Verkäufe aus finanzieller Not stattfanden.338 In der zweiten Hälfte des Jahres 1923 stagnierte das Geschäft mit Porzellanfiguren von Barlach aufgrund der Inflation und erholte sich später nur mühsam. Gesichert ist, dass die Plastiken aus der Sammlung Graetz auf der Versteigerung durch das Auktionshaus Harms im Februar 1941 für insgesamt 80 RM angeboten wurden.339 Darüber hinaus sollen sich noch zwei Holzskulpturen im Eigentum von Graetz befunden haben, eine „Lesende Frau" (ohne Kat.Nr.) und ein „Lesender Mann" 331 Leopold Biermann erwarb die Holzskulptur „Schäfer im Sturm", die er dem Museum schenkte. Vgl. ebd., S. 97. 332 Janda, 1988, S. 37. 333 Caspers, 2003, S. 112. 334 Bartholdy, Teilhaber des Berliner Bankhauses Mendelssohn & Co., hatte eine bedeutende Kunstsammlung mit Werken von Vincent van Gogh, Henri Rousseau und Pablo Picasso zusammengetragen. Vgl. Pucks, 1996, S. 387 und Eberle, 1995/1996, Bd. II, S. 744f. 335 Zum Nachweis vgl. die Schätzpreisliste vom 25.2.1941 bei Harms. Im Werkverzeichnis von Friedrich Schult sind die Figuren ohne Provenienzangaben verzeichnet. Vgl. Schult, 1997, Bd. I, WVNr. 89, Abb. S. 73, WVNr. 83, Abb. S. 70 und WVNr. 85, Abb. S. 71. 336 Caspers, 2003, S. 121. 337 Über die Galerie Cassirer konnte er jedenfalls nicht gefunden werden. Vgl. Email von Feilchenfeldt an Görnandt, Zürich, 9.9.2004, in: PA AE. 338 Auswertung der Geschäftsbücher der Galerie Cassirer von Caspers. Vgl. für das Folgende Caspers, 2003, S. 126. Caspers konnte sich hierbei auf Karteikarten beziehen, die über das Jahr 1919 hinaus erhalten sind. Vgl. Email von Feilchenfeldt an Görnandt, Zürich, 9.9.2004, in: PA AE. 339 Schätzpreisliste vom 25.2.1941 bei Harms.
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III. Die Sammlung
Graetz
(ohne Kat.Nr.).340 Im Werkverzeichnis der plastischen Arbeiten sowie in den jüngsten Forschungsergebnissen über Barlachs Sammler zwischen 1908 und 1933 findet sich jedoch kein Hinweis auf Graetz.341 Es steht daher zu vermuten, dass sich keine Holzplastiken des Künstlers in der Sammlung befunden haben. Möglicherweise ist die Materialangabe in den Akten falsch und es handelt sich um Bronzeskulpturen. Da diese jedoch in größeren Stückzahlen gegossen wurden, ist in der Regel die Provenienz einer einzelnen Bronze nur schwer nachzuvollziehen. Gleichwohl ist bekannt, dass sich die Arbeiten von Barlach nach dem Ende des Ersten Weltkrieges eines großen Interesses vor allem bei Sammlern in der Reichshauptstadt erfreuten.342 Sammler von Holzskulpturen Barlachs waren so bekannte wie Hugo Simon, Tilla Durieux und Fritz Hess, die sich für zeitgenössische Kunst engagierten. Die größte Barlach-Sammlung besaß in den 1920er Jahren der jüdische Textilkaufmann Hess. Aber bereits ab Mitte der 1920er Jahre ging das Interesse der privaten Sammler an Barlach-Skulpturen zurück, bis schließlich nach der „Machtergreifung" der Nationalsozialisten viele jüdische Kunsthändler und Sammler Deutschland verließen und Barlach „als ein von Juden .gemachter' Künstler diffamiert wurde".343 Graetz besaß darüber hinaus eine Reihe von Skulpturen, deren Angaben nur sehr lückenhaft erhalten sind.344 Zu diesen gehörten zwei moderne Bronzen eines „Tanzenden Mädchens" (Kat.Nr. 1) und einer „Eva mit dem Apfel" (Kat.Nr. 2) von Albert Allmann, eine große Bronze auf einem Marmorsockel (Kat.Nr. 106) von Schmidt-Krieger,345 die Bronze eines Mädchenaktes (Kat.Nr. 48) von Georg Kolbe sowie mehrere figürliche Holzplastiken und -reliefs ungenannter Künstler, darunter eine große alte Holzskulptur des „Heiligen Florian" (Kat.Nr. 160). Dagegen konnten zwei in den Akten nicht näher bezeichnete Plastiken bestimmt werden: Ein lebensgroßer männlicher Akt in Stein (Kat.Nr. 25), der sich auf dem Grundstück der Villa befand, konnte als Arbeit des Berliner Bildhauers Herbert Garbe identifiziert werden.346 In der Zeit der Weimarer Republik waren seine Skulpturen, obwohl 340 Rückerstattungsanspruch vom 24.8.1948. Vgl. LAB, W G Ä , 7 W G A 2270/50, Robert Graetz, Bl. 1. 341 Schult, 1997, Bd. I und Caspers, 2003. In der Werkliste, die Barlach 1928 veröffentlichte, wurden diese beiden Motive nicht erwähnt. Vgl. Barlach, 1928. Auf Anfrage bestätigte Eva Caspers, dass es keine „Lesende Frau" von Barlach gibt. Ein „Buchleser" befindet sich zwar im Werkverzeichnis, wobei es sich aber um eine Bronzeplastik handelt. Vgl. Email Dr. Caspers an Görnandt, Berlin, 16.9.2004, in: PA AE. Auch Sebastian Giesen vom Barlach-Haus in Hamburg konnte keine Provenienzhinweise zu Graetz finden. Vgl. Email von Dr. Giesen an Görnandt, Berlin, am 22.9. 2004. 342 Für das Folgende Caspers, 2003, S. 114-130. 343 Ebd., S. 130, Fn. 220. 344 Das Vorhandensein der Skulpturen ist den folgenden Akten entnommen: Rückerstattungsanspruch vom 24.8.1948. Vgl. LAB, W G Ä , 7 W G A 2270/50, Robert Graetz, Bl. 1 und der Schätzpreisliste vom 25.2.1941 bei Harms. 345 Weder bei Saur, 1983-2004, bei Thieme und Becker, 1999 noch bei Vollmer, 1953-1963 genannt. 346 Von der Skulptur gibt es eine Fotografie aus dem Besitz von Hilde Graetz, Buenos Aires, die sich im PA AE befindet. Die Identifizierung der bis dahin unbezeichneten Plastik erfolgte aufgrund eines Vergleichs mit einer Abbildung im Ausstellungskatalog der Kunstausstellung in Berlin 1919. Dort ist eine im Stil ähnliche Figurengruppe abgebildet, wodurch die Zuschreibung anhand stilistischer Merkmale erfolgte. Vgl. Herbert Garbe, „Blaue Gruppe", Kat.Nr. 973, Abb. S. 62, in:
l.b) Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung
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stark stilisierend, in ihren Bewegungen ausgewogen, in denen Anklänge des Kubismus zu finden sind. Bei der zweiten Plastik handelt es sich um eine Porträtbüste von Graetz (Kat.Nr. 54), die der Sammler bei dem Berliner Künstler Georg Leschnitzer in Auftrag gegeben hatte.347 Eine Fotografie des Arbeitszimmers vermittelt einen Eindruck von der Atmosphäre des mit dunklen Möbeln, kostbaren Büchern und Kunstwerken ausgestatteten Herrenzimmers der Villa, in deren Mitte der Hausherr seiner weiß hervorstechenden Büste gegenüber sitzend abgelichtet ist.348 Sein Porträt hatte Graetz dem Kronprinzen-Palais für die im Jahre 1928 stattgefundenen Ausstellungen mit Berliner Privatbesitz geliehen; es wurde jedoch nicht bei der Auswahl berücksichtigt. 349 Auch wenn Graetz einige alte Skulpturen für seine Sammlung erworben hatte, blieben sie zahlenmäßig weit hinter den modernen Plastiken zurück, die ausnahmslos der Berliner Bildhauerschule verpflichtet waren. Ihre Aufstellung fanden die Kleinplastiken vermutlich in allen Wohnräumen, wobei sich die Tierskulpturen größtenteils im Zimmer des Stiefsohnes befanden, der mit ihnen spielen durfte. 350 Neben den gefälligen Klein- und Großbronzen von Gaul und Sintenis sticht die Steinplastik des „Männlichen Aktes" von Garbe hervor, dessen kubistischen Formen visionäre Züge innewohnen. Robert Graetz und die Nationalgalerie Ein „Museum der Gegenwart", in dem junge Künstler ihre neuen Werke ausstellen konnten, beabsichtigte Ludwig Justi, Direktor der Nationalgalerie, zu konzipieren, der sich nach dem Ende der Monarchie vehement für die zeitgenössische Kunst einsetzte.351 Eine eigens für die junge Kunst neu berufene Ankaufskommission sollte Werke zeitgenössischer Künstler auswählen und zum Ankauf vorschlagen. Da der Etat für die Nationalgalerie sehr begrenzt war, bemühte sich Justi von Beginn an, Künstler und Privatsammler als Leihgeber für die Dauer- und die zahlreichen Sonderausstellungen zu gewinnen. Zu den Sammlern moderner Kunst, die der Nationalgalerie ihre Kunstwerke ausliehen, zählte neben Käte Bernard-Robinson, Bernhard Koehler, Markus Kruss, Edwin Redslob und Hugo Simon auch Robert Graetz. Erstmals als Leihgeber für das Berliner Museum trat Graetz im Zusammenhang mit zwei Ausstellungen zum Berliner Privatbesitz im Jahre 1928 in Erscheinung, woraus sich gewisse
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Kunstausstellung, 1919. Garbe stellte in der Abteilung der Freien Secession aus. In der neueren Forschung ist Garbe unbekannt. Er konnte nur über verschiedene Ausstellungskataloge und bei Vollmer, 1955, Bd. II, S. 198 nachgewiesen werden. Die Fotografie mit der Büste stammt aus dem Besitz von Jürgen Bath. Das Bildnis konnte als die verliehene Porträtbüste von Leschnitzer in der Nationalgalerie identifiziert werden. Vgl. SMBPK, ZA, I/NG 719, Bl. 163. Leschnitzer ist in der neueren Forschung ebenfalls unbekannt. Erwähnt ist er kurz bei Thieme und Becker, 1999, Bd., 23/24, S. 120. Aufnahme des Herrenzimmers. Vgl. Abb. Frontispiz. Am 25.7.1928 erhielt Graetz die Büste von der Nationalgalerie zurück. Vgl. SMB-PK, ZA, I/NG 719, Bl. 163. Zur Aufstellung der Skulpturen vgl. Brief von Haas an Görnandt, Poole Dorset, 5.8.2002, in: PA AE. Vgl. Abschnitt „Öffentliche Sammlungen".
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III. Die Sammlung Graetz
Rückschlüsse auf den damaligen Umfang seiner Sammlung und die Bedeutung der einzelnen Werke ziehen lassen. O b Graetz zu einem früheren Zeitpunkt bereits Leihgaben der Nationalgalerie gewährt hatte, ist aufgrund der lückenhaften Archivlage nicht mehr nachzuvollziehen; für die Jahre bis 1933 ist seine Leihtätigkeit jedoch belegt. 352 In der Aprilausstellung war Graetz mit sechs Gemälden und in der Juliausstellung mit einem vertreten. Allein von Karl Schmidt-Rottluff sandte er vier Ölgemälde aus seiner Sammlung: „Selbstbildnis" (Kat.Nr. 109) und „Bootswerft" (Kat.Nr. 110), beide aus dem Jahr 1920, das Blumenstillleben „Mohn" (Kat.Nr. 111) von 1922 sowie das Landschaftsbild „Gutshof in Dangast" (Kat.Nr. 107) von 1910. 353 Von dem Brücke-Kollegen Schmidt-Rottluffs, Max Pechstein, war das Stillleben „Calla, Goldregen und Schwertlilien" (Kat.Nr. 90) von 1918 und von Paula Modersohn-Becker das Bildnis „Mädchen" (Kat.Nr. 85) von 1904 ausgestellt. In der Juliausstellung trat er als Leihgeber einer „Hafenansicht" von Wilhelm Kohlhoff (Kat.Nr. 47) aus dem Jahre 1924 auf. Graetz war mit seinen vier Arbeiten von Schmidt-Rottluff vergleichsweise häufig in der mit zwanzig Gemälden dieses Malers umfassenden Abteilung vertreten. Nur eine weitere Sammlerin, Käte Bernard-Robinson aus Schmargendorf, heute ein Ortsteil im südlichen Berlin, hatte ebenfalls vier Werke des Künstlers beigesteuert. Mit der relativ großen Anzahl an Schmidt-Rottluff-Bildern verriet Graetz, dass er ein weitsichtiger Sammler war, der Arbeiten von Künstlern erwarb, deren künstlerischer Rang ihm bewusst war. Auch dies war ein vorausschauender Schritt, denn die Brücke-Künstler hatten noch ein Jahrzehnt zuvor Ablehnung und Kritik erfahren. 354 Die seither immer weiter fortschreitende Anerkennung wird eindrucksvoll belegt durch die beachtliche Zahl der damals im führenden Museum zeitgenössischer Kunst, dem Kronprinzen-Palais, versammelten Gemälde, deren Schwerpunkt in der Aprilausstellung auf den Werken der Brücke-Künstler lag. Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff waren mit jeweils bis zu 20 Werken vertreten. Justi hatte damit ihre Bedeutung innerhalb der jungen deutschen Kunstszene deutlich herausgestellt und dabei auf hervorragende Sammlungsbestände von Berliner Kunstfreunden zurückgegriffen: So waren neben Graetz Käte Bernard-Robinson mit zwölf, Koehler mit 20, Krass mit 18, Simon mit 13 und Redslob mit sechs Gemälden expressionistischer Künstler vertreten. 355 Beim überwiegenden Teil der insgesamt 59 Leihgeber hatte Justi jedoch nur ein bis zu drei Werken ausgewählt. Auffallend ist bei der Analyse der Aprilausstellung, dass die dort am häufigsten vertretenen Künstler, mit Ausnahme Kirchners, ebenfalls in größerem Umfang in der Sammlung Graetz vorhanden waren. Dies betrifft neben den insgesamt fünf Gemälden von Schmidt-Rottluff vor allem Pechstein, von dem Graetz rund zwölf Bilder besessen haben soll; des weiteren Heckel und
352 Leihtätigkeit für das Jahr 1928 vgl. SMB-PK, ZA, I / N G 719, Bll. 162-169; Leihtätigkeit für das Jahr 1933 vgl. SMB-PK, ZA, I / N G 859, Bll. 291-299, 334-336. 353 Für das Folgende Ausstellung neuerer deutscher Kunst, 1928, Kat.Nr. 1 2 2 , 1 7 0 , 1 9 1 , 1 9 2 , 1 9 7 , 2 0 1 und Zweite Ausstellung deutscher Nach-Impressionistischer Kunst, 1928, Kat.Nr. 106. 354 Als Stimmungsbild zu Beginn der künstlerischen Tätigkeit der Brücke-Künstler vgl. folgende Kritikerstimmen: Beyersdorff, 1908; H.M., 1911. Der anonymisierte Autor H . M . schreibt beispielsweise, dass Schmidt-Rottluff „die Geduld des Publikums mißbrauche". 355 Vgl. die Liste der Leihgeber, in: Ausstellung neuerer deutscher Kunst, 1928, S. 9 f.
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Nolde mit je zwei Arbeiten.356 Für die erste Ausstellung hatte Robert Graetz neben den präsentierten Arbeiten noch ein weiteres Gemälde von Schmidt-Rottluff und zwei Stillleben von Pechstein verliehen.357 Mit dem Hauptgewicht auf den Expressionisten in der Sammlung Graetz spiegelte sie den Trend der Privatsammlungen Ende der 1920er Jahre in Berlin wider, den die von Justi arrangierte Ausstellung im Kronprinzen-Palais zeigte. Graetz gehörte mit Blick auf seine gesamte Kollektion zu denjenigen Sammlern, die sich durch zeitnahe Käufe nach Entstehung der Werke besonders verdient um die junge Kunst machten. Gerade Justi war es ein Bedürfnis, nicht die „klassisch gewordene[r]" deutsche Kunst zu präsentieren, sondern die Objekte jener Kunstfreunde, die Werke der jüngeren Künstlergeneration kauften, die noch nicht vom internationalen Kunstmarkt bewertet worden waren.358 Im zweiten Teil der Ausstellung im Juli, an dem 136 Kunstsammler teilnahmen, wählte der Direktor rund 200 Gemälde und Plastiken der nachfolgenden Künstlergeneration aus; somit war ein Leihgeber zumeist nur mit einem Werk vertreten. Auch Graetz war nur mit einer „Hafenansicht" (Kat.Nr. 47) von Wilhelm Kohlhoff präsent. Daneben hatte er dem Museum im März 1928 noch weitere Arbeiten leihweise übergeben. Für die Bestückung damaliger Ausstellungen war es ein völlig normaler Vorgang, dass die Kunstsammler um mehr Werke gebeten wurden, als später tatsächlich ausgestellt wurden.359 Unter den für beide Ausstellungen insgesamt siebzehn geliehenen Gemälden und einer Plastik befanden sich neben den bereits erwähnten Gemälden ein zweites Hafengemälde (Kat.Nr. 42) von Huth, jeweils ein Blumengemälde (Kat.Nr. 87 und 40) von Moll und Heckendorf, eine Stadtansicht (Kat.Nr. 105) von Schmid, ein Selbstbildnis (Kat.Nr. 44) von Kaus und nicht näher bezeichnete Gemälde (Kat.Nr. 24, 127 und 128) von Fritsch und Steinhardt sowie eine Porträtbüste (Kat.Nr. 54) von Leschnitzer.360 Ein weiteres Mal lieh Graetz im Jahre 1933 der Nationalgalerie Gemälde für die Dauerpräsentation. Justi hatte die Vergrößerung der musealen Sammlung um ein Werk von Schmidt-Rottluff zum Anlass genommen, weitere Werke aus Privatbesitz zu entleihen, um einen repräsentativen Querschnitt der Arbeiten des Künstlers zeigen zu können. Während Robert Graetz zum Zeitpunkt der beiden Ausstellungen mit Berliner Privatbesitz bereits Eigentümer von fünf Gemälden des Malers war, besaß die Nationalgalerie 1928 zwei. Dabei 356 LAB, WGÄ, 7 W G A 2270/50, Robert Graetz, Bl. 67f. 357 Empfangsbestätigung der Nationalgalerie für den Erhalt von dreizehn Objekten von Robert Graetz, 20.3.1928. Vgl. SMB-PK, ZA, I / N G 719, Bl. 169. Die Werke waren gleichzeitig für beide Ausstellungen geschickt worden. Insgesamt hatte Graetz 17 Arbeiten verliehen. Die Gemälde „Gutshof in Dangast" und „Goldregen, Calla und Schwertlilien" sind in keiner Quittung zu entnehmen, sondern direkt dem Katalog. Vgl. Ausstellung neuerer deutscher Kunst, 1928, Kat.Nr. 201 und 170. 358 Justi, 1928, April, S. 7. 359 Die Bitte um mehr Kunstwerke geht mehrfach aus den Ausstellungsakten der Nationalgalerie hervor. Auch im Vorwort zur Aprilausstellung betonte Justi ausdrücklich, dass nicht alle Werke, die von den Sammlern zur Verfügung gestellt worden waren, gezeigt werden konnten. Vgl. Justi, 1928, April, S. 8. 360 Die Werke werden, wie übrigens nahezu alle, ohne Material- und Jahresangaben in den Akten der Nationalgalerie geführt. Vgl. SMB-PK, ZA, I / N G 719, Bl. 162, 168 und 169.
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III. Die Sammlung
Graetz
handelte es sich um die Ölgemälde „Dorf am See"361 und „Die ruhende Frau"362, die 1919 und 1920 ins Museum gelangten.363 Erst im Jahr 1932 bereicherte eine dritte Arbeit des Malers die Bestände der modernen Abteilung. Das Ende 1932 vom Kultusministerium überwiesene Werk „Römisches Stillleben"364 wurde als vorerst letztes Werk von SchmidtRottluff in der Nationalgalerie verzeichnet.365 In seinem Aufsatz zu den Neuerwerbungen des Kronprinzen-Palais' begrüßte Alfred Hentzen 1933 den Erwerb dieses Gemäldes. Er schrieb: „Karl Schmidt-Rottluff war mit zwei seiner schönen frühen Bilder bisher in der Galerie kaum ausreichend vertreten, zumal sie in letzter Zeit nicht mehr durch Leihgaben ergänzt werden konnten."366 Graetz, der ebenfalls gefragt wurde, kam der Bitte Justis nach und verlieh an das Kronprinzen-Palais die Gemälde „Selbstbildnis" (Kat.Nr. 109), „Gutshof in Dangast" (Kat.Nr. 107) und „Mohn" (Kat.Nr. III). 367 Eine Raumaufnahme des Kronprinzen-Palais' belegt, dass zwei der drei von Graetz geliehenen Schmidt-RottluffGemälde 1933 in der Schausammlung ausgestellt wurden.368 Wie auf der Fotografie zu sehen, wurden die beiden letztgenannten Werke neben vier weiteren Arbeiten des Künstlers ausgestellt.369 Diese Hängung hat vermutlich nur bis etwa Sommer bestanden, da am 1. Juli 1933 der neue kommissarisch eingesetzte Direktor Alois Schardt von Kultusminister Rust zur Neuhängung im Kronprinzen-Palais aufgefordert worden war.370 Durch die reduzierte Hängung war es notwendig geworden, die ohnehin überfüllten Depots von Leihgaben aus Privatbesitz zu entlasten. Der veränderten Situation Rechnung tragend, veranlasste der Direktor die sofortige Rückgabe der Leihgaben an ihre Eigentümer. Aufgrund dieser Maßnahmen wurde auch der „Verein der Freunde der Nationalgalerie" vom Direktor aufgefordert, seine Leihgaben zurückzunehmen und diese in den Räumen der Jüdischen Gemeinde 361 Entstanden 1913. Vgl. Grohmann, 1956, WVNr. 1913/6. Abb. in: Ebd., Tf. S. 189. Das Gemälde wurde 1919 direkt vom Künstler für 3.000 RM gekauft und bis zur Schließung des KronprinzenPalais' 1936 dort ausgestellt. Vgl. SMB-PK, ZA, Inv.-Nr. A II 302: Inventarnummern zu Gemälden von Schmidt-Rottluff. 362 Entstanden 1912. Vgl. Grohmann, 1956, WVNr. 1912/12. Abb. in: Das Schicksal einer Sammlung, 1988, S. 27. Das Gemälde wurde 1920 für 6.000 RM von Berliner Kunstfreunden gekauft und der Nationalgalerie geschenkt. Ausgestellt wurde es bis zu seiner Entfernung aus der Schausammlung im Jahr 1933. Vgl. SMB-PK, ZA, Inv.-Nr. A II 335. 363 Vgl. dazu die „Chronologische Ubersicht über die zwischen 1919 und 1933 von Justi erworbenen Gemälde und Bildwerke der Expressionisten", in: Janda, 1988, S. 37-44, hier: S. 37. 364 Entstanden 1930. Vgl. Grohmann, 1956, WVNr. 1930/5. Abb. in: Ebd., Tf. S. 219. Ausgestellt wurde das Gemälde bis zur Schließung des Kronprinzen-Palais' 1936. Vgl. SMB-PK, ZA, Inv.-Nr. A II 780. 365 Brief des Kultusministeriums an die Nationalgalerie, Berlin, 15.12.1932, in: SMB-PK, ZA, I/NG 471: Landeskunstkommission, 1929-1932,1936, Bl. 666. Der Kaufpreis betrug 2.400 RM. 366 Hentzen, 1933, S. 151. Hentzen war wissenschaftlicher Mitarbeiter der Nationalgalerie. 367 Vgl. SMB-PK, ZA, I/NG 859, Bl. 335 und 336. 368 Für das undatierte Foto kann als ungefährer Zeitraum seiner Entstehung das erste Halbjahr des Jahres 1933 angegeben werden. Dies kann noch weiter präzisiert werden, da das Einlieferungsdatum der Gemälde, 8.2.1933, aus der Sammlung Graetz bekannt ist. Vgl. Akte SMB-PK, ZA, I/NG 859, Bl. 335. 369 Raumaufnahme im Kronprinzen-Palais, Hängung 1933. Vgl. im Anhang Kat. Nr. 111. 370 Vgl. Abschnitt „Öffentliche Sammlungen".
l.b) Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung
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in der Oranienburger Straße unterzubringen. 371 Weiter geht aus den Akten der Nationalgalerie hervor, dass die Versicherungen für geliehene Werke aus Privatbesitz gekündigt worden waren. 372 Begründet wurden die Kündigungen mit zu hohen Versicherungssummen. 373 D a auch die Leihgaben von Robert Graetz aus der Versicherung ausgeschieden waren, 374 erhielt er im September 1933 die drei Werke von Schmidt-Rottluff zurück, die er erst im Februar dem Museum als Leihgaben zur Verfügung gestellt hatte. 375 Mit diesem einschneidenden Vorgehen erfuhr die bisherige lebendige Praxis des Leihverkehrs aus zeitgenössischen Privatsammlungen für Ausstellungen im Kronprinzen-Palais ein vorzeitiges Ende. Auch Robert Graetz verlieh ab jenem Jahr keine Kunstwerke mehr an die Nationalgalerie.
Sammlungsstrategien Robert Graetz begann seine Erwerbungen mit Werken des Impressionismus, genauer mit denen des Berliner Impressionismus, zu denen Liebermann, Corinth, Slevogt und U r y zählten. Schon bald kam in weitaus größerer Vielfalt die Malerei des Expressionismus hinzu, wobei seine Sammlung neben den Brücke-Künstlern auch Künstler der jüngeren Generation aufwies, die in ihren Werken sowohl Anklänge der Expressionisten als auch von C o rinth widerspiegelten. Die Ausrichtung der Sammlung auf zeitgenössische Kunst ist dabei auf den Einfluss seines Bruders Hugo Graetz zurückzuführen. Durch seine Kontakte zu den Künstlern der Novembergruppe und seine bereits ausgeübte Vermittlerrolle als Kunsthändler hatte er sich im Frühjahr 1923 entschlossen, eine kleine Galerie zu eröffnen. In seiner ersten Ausstellung präsentierte er Gemälde und Graphiken von Heinrich Campendonck, Charles Crodel, Heinrich Davringhausen, Lyonel Feininger, Robert Willi Huth, Erich Heckel, Emil Nolde, Max Pechstein, Jakob Steinhardt und Martel Schwichtenberg. 376 O b er noch andere Künstler in der Galerie ausstellte, konnte aufgrund fehlender Kataloge und weiterer Anzeigen in Fachzeitschriften nicht ermittelt werden. Der Vergleich der genannten Ausstellungen mit der Sammlung von Robert Graetz verdeutlicht, dass Werke von mehr als der Hälfte der durch Hugo Graetz vertretenen Künstler auch im Kunstbesitz von Graetz vorhanden waren. Die Bindungen zwischen dem Galeristen und der Novembergruppe
371 SMB-PK, ZA, I/NG 859, Bl. 56. 372 Schriftverkehr zwischen den Versicherungen „Nordstern", „Vaterländische gemeine TransportVersicherungs AG" und der Nationalgalerie im August und September 1933 zu Angaben von Lagerrisiken im Museumsdepot und Versicherungssummen für Kunstwerke. Vgl. SMB-PK, ZA, I/NG 859, Bl. 291-293 und 296. 373 SMB-PK, ZA, I/NG 859, Bl. 273. 374 Laut Schreiben der Nationalgalerie an die „Nordstern" und die „Vaterländische" Versicherung, Berlin, 11.9.1933, schieden die Schmidt-Rottluff-Werke „Mohn" und „Gutshof in Dangast", im Brief als „Blumenstück" und „Landschaft" bezeichnet, aus der Versicherung aus. Vgl. SMB-PK, ZA, I/NG 859, Bl. 296. Das Gemälde „Selbstbildnis" war nicht versichert gewesen. 375 Hilda Graetz quittierte die zurückgegebenen Werke am 11.9.1933, nachdem deren Zustand von einem Mitarbeiter der Nationalgalerie überprüft worden war. Vgl. SMB-PK, ZA, I/NG 859, Bl. 335 und 336. 376 Die vertretenen Künstler in seiner ersten Ausstellung gehen aus einer Anzeige hervor, in: Kunstchronik und Kunstmarkt, 58. J g , N.F: XXXIV, 20.4.1923, Nr. 29, S. 567.
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III. Die Sammlung Graetz
wurden zudem durch die räumliche Nähe gefestigt, waren doch die Geschäftsräume der Künstlervereinigung im selben Gebäude in der Achenbachstraße 21 untergebracht. 377 Robert Graetz besaß somit einen Sachverständigen, der aufs Engste mit der zeitgenössischen Kunst in Berlin verbunden war und dessen Beratertätigkeit sich in der Zusammensetzung der Sammlung klar widerspiegelte. Zweifelsohne hatte er den Anstoß zum systematischen Sammeln moderner Werke gegeben. 378 Angefangen hatte Robert Graetz mit dem Kauf von alten Gemälden und Skulpturen, die ohne genaue Zuschreibungen aus der Schätzpreisliste hervorgehen. 379 Nachdem Hugo Graetz begonnen hatte, dem Bruder Vorschläge für Erwerbungen zu unterbreiten, änderte sich der Schwerpunkt von dessen Sammlung gravierend. Besonders deutlich wird sein Einfluss, wenn die einzelnen Künstler auf ihre Beziehungen zur Novembergruppe beziehungsweise ihre vielfältigen Kontakte untereinander untersucht werden. So ist es eine logische Konsequenz, dass der zeitliche Beginn des Sammeins nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in etwa mit der Aufnahme Hugo Graetz' als Geschäftsführer der Novembergruppe koinzidierte. Pechstein, der mit einer Reihe von Arbeiten in der Sammlung von Graetz vorhanden war, stellte seit Gründung der Novembergruppe gelegentlich mit ihr aus; zudem wurden seine Werke auch durch Hugo Graetz vermittelt und gelangten auf diese Weise in den Besitz des Sammlers. 380 Durch die ebenfalls in der Galerie vertretenen Maler Nolde und Heckel wurde möglicherweise das Interesse von Robert Graetz für die Brücke-Künstler geweckt, so dass er deren Arbeiten für seinen Bestand erwarb. Dabei ist es nicht zwingend notwendig, dass er die Objekte erst nach der Galerieeröffnung seines Bruders im Jahre 1923 kaufen konnte. O b die Gemälde des BrückeKünstlers Schmidt-Rottluff allerdings auch über Hugo Graetz in die Sammlung gelangten, ist nicht zu klären. Aus den wenigen Annoncen der Kunsthandlung geht nicht hervor, dass Hugo Graetz auch Werke dieses Malers anbot. Auch in den Ausstellungen der Novembergruppe war er nicht vertreten. Arbeiten des von Schmidt-Rottluff beeinflussten Radziwill wurden dagegen sowohl von Hugo Graetz in seiner Kunsthandlung vermittelt, als auch von der Novembergruppe ausgestellt. Gleiches gilt für Huth, der zudem intensive Kontakte zu Heckel, Kaus, Radziwill und Schwichtenberg pflegte. Werke von Schwichtenberg, mit der Robert Willi Huth verheiratet war, wurden wiederum in der Galerie von Hugo Graetz verkauft. Auch Werke von Steinhardt, mit dem der Kunsthändler befreundet war, befanden sich in seinem Bestand. Weitere Künstler, die Verbindungen zur Künstlervereinigung hatten, waren die Maler Krauskopf und Moll, die in Kontakt zu Kohlhoff, Fritsch, Heckendorf, Jaeckel und Kollwitz standen, sowie Dix, Grosz und Felixmüller und die Bildhauer Garbe und Leschnitzer. 377 Vgl. die Eintragungen im Handbuch des Kunstmarktes, 1926, S. 259 und 345. 378 Motiviert wurde seine Vermittlung von Kunstobjekten möglicherweise auch dadurch, dass er sich auf diese Weise im Gegenzug für die jahrelange finanzielle Unterstützung seines Bruders bedanken wollte, denn dieser unterstützte ihn regelmäßig bis zur Emigration 1933 nach Palästina. Vgl. Gespräch Görnandt mit Bath am 21.9.2002. 379 Schätzpreisliste vom 25.2.1941 bei Harms. Auch der befreundete Künstler Franz Domscheit berichtete nur summarisch von besonders wertvollen gotischen Gemälden. Vgl. L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. Μ 21. 380 Zur Ausstellungsbeteiligung und/oder Mitgliedschaft der einzelnen Künstler vgl. für das Folgende die Übersicht bei Kliemann, 1969, S. 50-52.
l.b) Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung
213
Es fällt auf, dass die von Robert Graetz erworbenen expressionistischen Kunstwerke der jüngeren Generation von solchen Künstlern stammten, die direkt oder indirekt mit der Novembergruppe und damit mit Hugo Graetz verbunden waren. Dies verdeutlicht aber auch, wie dicht das Netzwerk der Künstler war, in dem die Verkäufe abgewickelt wurden. Neben dem genannten Aspekt des Netzwerkes gab es einen weiteren Grund, warum Graetz hauptsächlich die Arbeiten der jungen Avantgarde erwarb. Diese waren aufgrund der wirtschaftlich schwierigen Situation in den Jahren nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zu sehen, denn viele Künstler mussten ihre Arbeiten wesentlich billiger anbieten, um überhaupt verkaufen zu können. 381 Dies galt vor allem für die jüngeren Künstler, denn die Mitglieder der Brücke waren im Vergleich zu diesen auf dem Kunstmarkt schon etabliert. Zudem waren auch viele Sammler gezwungen, Teile ihres Kunstbesitzes zu veräußern, die somit wieder auf den Kunstmarkt gelangten. Ein Geschäftsmann wie Robert Graetz sah in den Erwerbungen der frühen 1920er Jahre sicherlich neben dem Kunstgenuss auch eine günstige Gelegenheit zur Kapitalanlage beziehungsweise zur Diversifizierung seines freien Vermögens in Sachanlagen. Das Bestreben zur Anlage in Sachvermögen ist dabei ebenfalls durch die Inflation zu erklären. Auch in den Zeitschriften wurde der Wertzuwachs diskutiert, denn innerhalb eines Jahrzehnts konnte eine enorme Wertsteigerung bei zeitgenössischen Arbeiten verzeichnet werden. 382 Insbesondere die bereits von der Fachwelt anerkannten Brücke-Künstler erzielten ab etwa 1925 hohe Preise. So kosteten beispielsweise 1927 in der Galerie Möller Gemälde von Heckel um die 3.000 RM, von Pechstein 2.500 R M und von Schmidt-Rottluff 2.000 RM. 3 8 3 Bilder der jüngeren Künstler wie Max Kaus kosteten dagegen in derselben Ausstellung nur 750 RM. Der Großteil der in der Sammlung vertretenen Künstler gehörte entweder zur selben Altersklasse wie Robert Graetz oder war bis zu zwei Jahrzehnte jünger. Ohne Ausnahme waren alle in seiner Sammlung vertretenen Künstler mit Berlin durch Geburt oder durch längere Aufenthalte verbunden, so dass mit Recht gesagt werden kann, dass sein Kunstbesitz einen Querschnitt der Berliner Kunst vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur „Machtergreifung" der Nationalsozialisten repräsentierte. Das Hauptgewicht lag dabei auf dem Expressionismus. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war eine Reihe von Kunstsammlungen entstanden, die, anders als noch die Privatsammlungen der vorangegangenen Jahrzehnte mit ihrem impressionistischen Gepräge, nun den Expressionismus mit seinen verschiedenen Avantgardeströmungen favorisierten. Graetz' Hauptinteresse galt, wie das der meisten in den beiden Ausstellungen des Kronprinzen-Palais' vertretenen Sammlern, der Malerei und in wesentlich geringerem Umfang
381 Donath, 1924, Kunstbewegung. 382 Westheim hatte in seinem Kunstblatt eine Umfrage unter Sammlern gestartet und kam zu dem Ergebnis, dass die Preise für zeitgenössische Kunst innerhalb weniger Jahre um das Zehnfache gestiegen waren. Vgl. Westheim, 1931. 383 Auflistung von Kunstwerken, die im Sommer 1927 in der Galerie Möller ausgestellt worden waren, mit vermerkten Verkaufspreisen. Vgl. Roters, 1984, S. 90f. Zum Vergleich: Das Durchschnittsgehalt eines Beamten der höchsten Gehaltsstufe betrug 1927 rund 10.164 RM. Vgl. die Statistik für durchschnittliche Monatsgehälter von ledigen Reichsbeamten der höchsten Gehaltsstufe für das Jahr 1927, in: StJbDR, 46. Jg., 1927, S. 324. Vgl. im Anhang Tabelle 10.
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III. Die Sammlung Graetz
der Plastik. Die bevorzugten Sujets seiner Sammlung waren Stillleben, Porträts und Landschaften - Motive, die vorzugsweise die Expressionisten verwendeten. Hinzu kamen einige Werke von Steinhardt mit jüdischer Thematik; mythologische und religiöse Szenen sowie Historienbilder fehlten dagegen völlig. Die größte Gruppe innerhalb der Sammlung bildeten die Stillleben und hier vorrangig die Blumenstillleben, unter denen die von Pechstein am häufigsten waren. Die zahlenmäßig nächstfolgende Kategorie war die Gruppe der Bildnisse sowohl der Malerei als auch der Plastik. Neben den Darstellungen von Unbekannten gab es einige Selbstporträts von Künstlern wie Kaus und Felixmüller sowie zwei Porträts, die Robert Graetz wiedergaben. Graetz, der nur außerordentlich selten Arbeiten in Auftrag gab, hatte sich von Felixmüller ein Porträt malen und von Leschnitzer eine Büste modellieren lassen. Unter den Landschaften dominierten Fluss- und Hafenansichten. Mehrere davon kamen 1941 in der Versteigerung zum Verkauf.384 Werke mit Stadtansichten sammelte Graetz dagegen kaum. Da Arbeiten von Künstlern wie Dix, Grosz und Kollwitz vorhanden waren, ist davon auszugehen, dass hierdurch sozialkritische Aspekte in die Sammlung einbezogen wurden, die ansonsten ausschließlich unpolitische Motive aufwies. Die Kunstwerke der Sammlung Graetz stammten, mit einer möglichen Ausnahme, alle von noch lebenden Künstlern, die häufig zeitnah zur Entstehung erworben waren.385 Robert Graetz, beraten durch seinen Bruder, gehörte damit zu den Berliner Sammlern, die als Schrittmacher der Moderne gelten können. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endete diese fruchtbare Phase des privaten wie öffentlichen Sammeins von zeitgenössischer Kunst. Für Robert Graetz bedeutete der politische Umschwung gleichzeitig der Abschied von seinem künstlerischen Mentor Hugo Graetz, der noch im selben Jahr nach Palästina auswanderte. Auch dies könnte dazu beigetragen haben, dass Graetz ab 1933 nur noch in sehr beschränktem Maße Kunst erwarb. Die Sammlung Graetz im Kontext der Berliner
Privatsammlungen
Gerade der Vergleich mit den vielfältigen Leihgaben an zeitgenössischen Werken aus Berliner Privatbesitz für die beiden Sonderausstellungen im Kronprinzen-Palais verdeutlicht, dass die Sammlung von Robert Graetz mit dem Schwerpunkt zeitgenössischer Expressionisten nicht nur den Zeitgeschmack traf, sondern richtungsweisend war. Da über die Sammler der Weimarer Republik bisher kaum Untersuchungen vorliegen, stellt das Erwähnen ihrer Namen in den Ausstellungskatalogen eine wichtige Quelle zur weiteren Erforschung der Sammlungsgeschichte jener Jahre dar. Unter Heranziehung von Fachpublikationen wie der Weltkunst oder dem Kunstwanderer sowie Ausstellungskatalogen können die dort genannten Sammler in zwei Gruppen untergliedert werden: Zur ersten Gruppe gehören jene, die erstmals öffentlich ausstellten und zur zweiten jene, die ihre Kunstwerke häufig als 384 Zu diesen bisher nicht genannten Gemälden zählen: „Notre Dame und Seine" (Kat.Nr. 33) von M. Grosche, das für 75 RM verkauft werden sollte; „Capri" (Kat.Nr. 41) von Albert Hete für 40 RM; „Der Mühlendamm" (Kat.Nr. 45) von Kindt für 30 RM; „Segelboote" (Kat.Nr. 46) von Koethke für 20 RM und die beiden Pastellarbeiten „Am Seeufer" (Kat.Nr. 3 5 - 3 6 ) von Karl Hagemeister für 70 RM. Vgl. Schätzpreisliste vom 25.2.1941 bei Harms. 385 Abhängig davon, wann Graetz die Gemälde von Lesser Ury erwarb, gehörte der Künstler auch noch zu den lebenden Künstlern. Er starb 1931.
l.b) Entstehung und Rekonstruktion der Sammlung
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Leihgaben Museen und Ausstellungsinstitutionen zur Verfügung stellten. Zur letzteren zählten beispielsweise der Verleger Paul Westheim und die Kunsthistoriker Edwin Redslob und Eduard Plietzsch, die unter anderem Arbeiten der Brücke-Künstler und von deren Nachfolgern sammelten, der Unternehmer Bernhard Koehler, welcher vorwiegend Werke des Blauen Reiters, aber auch französische Impressionisten erwarb, der Bankier Eduard von der Heydt, der neben modernen deutschen Künstlern wie Modersohn-Becker auch internationale Künstler wie Gauguin, van Gogh und Munch sammelte, und Hugo Simon, der neben Kirchner und Kokoschka auch Slevogt, Cezanne, Braque und Picasso erwarb. Dieser Gruppe war eigen, dass sie sich nicht auf eine Kunstrichtung beschränkte, sondern ebenfalls Objekte aus anderen Jahrhunderten besaß, wie Plietzsch, der auch Altmeistergemälde sammelte, Benario, dessen Sammlungsschwerpunkt bis zur Versteigerung im Jahre 1927 auf mittelalterlichen Skulpturen lag, oder von der Heydt, der eine erlesene Ostasiatika-Sammlung besaß. 386 Wesentlich größer ist dagegen die Gruppe jener Privatsammler, die mit ihren Kunstschätzen kaum an die Öffentlichkeit traten - zu der vermutlich Graetz gehörte - , und deren Kunstbesitz daher nur Eingeweihten bekannt war. Diese Schlussfolgerung liegt nahe, weil sie nur selten oder gar nicht in zeitgenössischen Publikationen und Ausstellungskatalogen zu ermitteln sind. Aufgrund der großen Anzahl an geliehenen Gemälden und Plastiken einzelner Sammler für die beiden Sonderausstellungen im Kronprinzen-Palais kann jedoch davon ausgegangen werden, dass einige von ihnen umfangreiche Bestände besaßen. So stellten Käte Bernard-Robinson, Hans Heymann und Markus Kruss jeweils mehr als zehn Gemälde der Brücke-Künstler zur Verfügung.387 Andere Sammler waren mit weniger Werken vertreten wie beispielsweise der Großindustrielle Max Meirowsky mit einer Arbeit von Heckel; Julius Freudenberg verlieh Werke der Brücke-Künstler, darüber hinaus jeweils ein Gemälde von Rohlfs, Hofer, Kaus und Rudolf Levy; Max Leon Flemming steuerte Arbeiten der Brücke-Künstler und des Blauen Reiters bei; Leo Nachtlicht von Modersohn-Becker, Dix und Lehmbruck sowie Fritz Hess von Barlach, Lehmbruck, Sintenis und Hofer. Viele dieser Sammler sind durch die nationalsozialistische Herrschaft in Vergessenheit geraten, denn anders als noch bei den Sammlern der Kaiserzeit, die ihren Kunstbesitz in Prachtbänden katalogisieren ließen, ist von denjenigen der Zwischenkriegszeit, mit Ausnahme der Dresdner Sammlung von Ida Bienert, keine Publikation zu den einzelnen Sammlungsbeständen erschienen. 388 Durch die kunstpolitische Doktrin der Nationalsozialisten konnte dieses Vorhaben nicht mehr umgesetzt werden. Aufgrund dessen ist eine Reihe von Sammlern der 1910er und 1920er Jahre erst durch neuere Untersuchungen zur Sammlungsgeschichte und Provenienzforschung wiederentdeckt worden, zu denen beispielsweise die Berliner Sammler Hugo Simon, Fritz Hess und Markus Kruss zählen. 389 Neben zeitgenössi-
386 Die in diesem Abschnitt genannten Sammler sind mit Ausnahme von Benario nichtjüdischer Herkunft. 387 Bei den in diesem Abschnitt genannten Sammlern ist es nicht immer sicher, ob sie jüdischer oder nichtjüdischer Herkunft waren: Meirowsky, Hess, Nachtlicht, Simon waren jüdische Sammler; Kruss war nichtjüdischer Herkunft; bei den anderen ist es unklar. 388 Grohmann, 1933. 389 Zu Simon und Hess vgl. für das Folgende Caspers, 2003, S. 116-121; zu Kruss vgl. Söntgen, 1988.
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III. Die Sammlung Graetz
sehen Kunstwerken besaß der Bankier Simon auch Arbeiten der französischen Impressionisten und Altmeister wie Nicolas Poussin und Jan van Ruisdael; der Textilkaufmann Hess sammelte ebenfalls Altmeistergemälde von Rogier van der Weyden, Tintoretto, El Greco, Rubens, van Dyck und französische Impressionisten und der Kaufmann Kruss, der mit dem Sammeln impressionistischer Arbeiten begonnen hatte, erwarb nach deren Verkauf ausschließlich Werke der Brücke-Künstler. Während Simon und Hess ihre Werke vorwiegend über die Galerien Alfred Flechtheim und Paul Cassirer kauften, erwarb Kruss einige Arbeiten über den Galeristen Möller. Eine wichtige Adresse für den Kauf von zeitgenössischer Kunst war ebenfalls die Kunsthandlung Goldschmidt & Wallerstein, in unmittelbarer Nähe zur Galerie Möller gelegen.390 Daneben bestanden für die Sammler gute Erwerbungsmöglichkeiten auf den Großen Berliner Kunstausstellungen und in der Preußischen Akademie der Künste sowie auf den Sezessionsausstellungen. Robert Graetz standen diese Gelegenheiten ebenfalls offen, aber aufgrund des Profils seiner Sammlung dürfte er nahezu ausschließlich über die Vermittlung seines Bruders gekauft haben. Erwerbungen bei Möller oder Cassirer konnten nicht nachgewiesen werden. 391 Durch die Hilfe seines Bruders hatte Robert Graetz zahlreiche Werke von Künstlern erworben, die der Avantgarde angehörten, so dass seine Sammlung als außerordentlich modern einzuordnen ist. Mit dem Erwerbungsschwerpunkt auf zeitgenössischer Kunst demonstrierte Graetz eine Offenheit gegenüber der Moderne, die er mit vielen Privatsammlern jener Jahre teilte.
2. Verlustumstände und Nachkriegsschicksal der Sammlung Die rund 200 Kunstwerke umfassende Sammlung, die Robert Graetz in mehr als einem Jahrzehnt mit viel Sorgfalt und finanziellem Aufwand zusammengetragen hatte, entging wie zahlreiche jüdische Privatsammlungen während der nationalsozialistischen Herrschaft nicht der Zerstörung: Sie wurde durch Fortgaben, Verkäufe und Versteigerung zerstreut. Durch die Kriegsereignisse wurde zudem höchstwahrscheinlich ein erheblicher Teil vernichtet, denn bisher ließen sich trotz aufwändiger Recherchen von vielen Kunstobjekten keine Spuren ihrer weiteren Existenz finden. Nur vereinzelt gelangten Werke in den Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erneut in den Kunsthandel. Eine lückenlose Provenienz ist jedoch in vielen Fällen nicht nachzuweisen. Aus dem Archivmaterial ist nur zu erfahren, dass Graetz Gemälde bei Freunden und einer Spedition untergestellt hatte. 392 Um welche Darüber hinaus gibt es bereits Aufsätze über moderne Sammler, die nicht in Berlin lebten wie Ismar Littmann, Max Silberberg und Ludwig und Rosy Fischer. Vgl. Heuß, 1998, Littmann; Heuß, 2001 und Berankova, 1990. 390 Die Kunsthandlung hatte 1921 eine moderne Abteilung eröffnet, in der sie vorrangig die BrückeKünstler vertrat. Erweitert wurde der Kreis durch Feininger, Kokoschka und einige jüngere Künstler. Vgl. Anonym, Kunstmarkt Berlin, in: Kunstchronik
und Kunstmarkt,
56. Jg., N.F.
X X X I I , 3./10.6.1921, Nr. 36/37, S. 697. 391 Vgl. hierzu die Ausführungen in diesem Abschnitt. 392 Dies geht aus Zeugenaussagen hervor, die in einem Vermerk des Entschädigungsamtes im Mai 1972 notiert worden sind. Vgl. L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. D 173.
2.a) Auflösung
der
Sammlung
217
Kunstwerke es sich dabei handelte, ist unklar, da die Erben wegen ihrer Auswanderung keine konkreten Angaben im Wiedergutmachungsverfahren geben konnten. a) Auflösung der Sammlung Die nur punktuell vorhandenen Quellen und Zeugenaussagen geben weder eine erschöpfende Auskunft über den Zeitpunkt, wann die Sammlung zerstreut wurde, noch über den Verbleib der meisten Kunstwerke aus dem Besitz von Graetz. Vermutlich kam es zu den ersten Verlusten, als Graetz 1936 nach dem Umbau seiner Villa in einzelne Wohneinheiten die Zimmer möbliert - zum Teil mit den Kunstwerken - vermietete.393 Aus finanziellen Gründen hatte er sich zur Verkleinerung seines von ihm und seiner Familie genutzten Wohnraumes entschlossen. Da er in den nun beengteren Wohnverhältnissen keinen Platz für die Präsentation seiner großen Sammlung hatte, erschien es ihm offenbar am sinnvollsten, die Zimmer mit den Möbeln und Kunstgegenständen zu vermieten. Wahrscheinlich wechselten auf diese Weise Gemälde oder Skulpturen ohne das Wissen von Graetz ihren Besitzer. Das wird mutmaßlich vor allem kurz vor der Versteigerung im Jahre 1941 der Fall gewesen sein. Während für den größeren Teil der Sammlung nur Mutmaßungen über die Verlustumstände angestellt werden können, lässt sich bei einigen Kunstwerken nachvollziehen, wie sie ihren Weg aus der Sammlung nahmen. So gab Graetz im Juli 1939 das Gemälde „Herbst in Klotzsche" von Conrad Felixmüller (Kat.Nr. 18) auf Bitten des Künstlers an diesen zurück.394 Im Laufe der 1930er Jahre vermachte Graetz einigen nahen Verwandten Kunstwerke, als diese Deutschland verließen. Von seiner Tochter Hilda ist bekannt, dass sie je ein Stillleben von Hermann Konnerth (Kat.Nr. 52) und Martel Schwichtenberg (Kat.Nr. 114) und eine Bleistiftzeichnung von Max Pechstein (Kat.Nr. 94) erhielt, die sich noch heute in ihrem Besitz befinden.395 Als der Bruder von Robert Graetz, Wilhelm, 1939 nach Südamerika emigrierte, erhielt er eine Seelandschaft von Max Pechstein (Kat.Nr. 93) und vermutlich das Aquarell eines „Negerkopfes" von Emil Nolde (Kat.Nr. 88), die er Roberts Sohn Hellmuth übergeben sollte.396 Wie viele Kunstwerke auf diese Art die Sammlung verließen, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Auch lässt sich bei der derzeitigen Quellenlage nicht rekonstruieren, über welche Wege die Gemälde und Papierarbeiten so bekannter zeitgenössischer Künstler wie derjenigen der Brücke den Kunstbesitz von Graetz verließen. Die Versteigerung von Einrichtungsgegenständen und eines Teiles seiner Sammlung durch den Versteigerer Gerhard Harms am 25. Februar 1941 umfasste mit wenigen Ausnahmen jedenfalls nur Werke von geringem künstlerischen Rang.397 Laut Inserat im Völkischen 393 Aussage von Rush zum Verfolgungsvorgang der Familie Graetz, Johannesburg, 9.6.1955. Vgl. Ebd., Bl. Μ 16. 394 GNM, ABK., NL Felixmüller I, B-6c, handschriftliches Werkverzeichnis der Jahre 1913-1922, WVNr. 223. 395 Email von Roberto Graetz, Enkel von Robert Graetz und Neffe von Hilda Rush, an Görnandt, Buenos Aires, 17.11.2002, in: PA AE. 396 Telefax von Hilde Graetz, Buenos Aires, 27.6.2002, in: PA AE. 397 In der Folgezeit wurde auch die Villa versteigert, worüber sich keine Unterlagen erhalten haben.
III. Die Sammlung Graetz
218
Beobachter handelte es sich um die „Versteigerung einer gepflegten Wohnungseinrichtung [in Berlin-] Grunewald, Erdener Straße 15".398 Dabei sollte folgendes zum Verkauf kommen: „Auserwählte Asienkunst, Jadeschalen, Kleinkunst, Gemälde, Perserbrücken, Speisezimmer, Garnituren, Hausmobiliar, u.v.a. freiwillig]. meistb[ietend]. gebraucht], bar wegen Auflösung, ausländischer, nichtarischer Besitz". Die Erwähnung, dass es sich hierbei um ausländischen Besitz handelte, ist damit zu erklären, dass Bluma Graetz nach ihrer Scheinscheidung wieder die lettische Staatsangehörigkeit erhalten hatte.399 Bei den 289 Posten lag das Angebot eindeutig auf Haushaltsgegenständen.400 Die Schätzpreisliste wies Vasen, Porzellan, japanisches Kunstgewerbe, Chinaporzellan, chinesische und ägyptische Bronzefiguren, China-Elfenbeinschnitzereien, Cloisonnevasen, Gemälde, Teppiche, Möbel, das komplette Speisezimmer, Hausrat, Möbel, Kristall und Geschirr auf. Der Anteil der Skulpturen, Gemälde und Chinoiserien war dagegen gering. Im Einzelnen handelte es sich um 21 Plastiken aus Bronze, Holz und Porzellan, 16 Gemälde und 25 diverse Asiatika. Von den Bildhauerwerken war der überwiegende Teil der Künstlernamen nicht bekannt, außer im Fall von Ernst Barlach und August Gaul. Barlachs Porzellanfiguren (Kat.Nr. 5-7) erhielten Schätzpreise zwischen 20 und 40 RM, die kleine Bronze eines Schweins von Gaul (Kat.Nr. 26a) 100 RM. Gerade von Gaul besaß Graetz jedoch zahlreiche lebensgroße wie kleine Figuren, so dass die Frage aufgeworfen werden muss, wo sich der größere Teil der Plastiken zum Zeitpunkt der Versteigerung befand. Gleiches gilt auch für die Gemälde, denn keine der bedeutenden Arbeiten aus der Sammlung Graetz wie beispielsweise die von Pechstein, Schmidt-Rottluff oder Felixmüller kamen bei Harms zum Verkauf. Stattdessen waren in der Liste eher unbedeutende Künstler aufgezählt wie Carl Breitbach, M. Grosche, Albert Hete, Erich Richrer, Carl Schneiders, Kindt, Koethke sowie Annot und Franz Heckendorf.401 Der Wert der Gemälde wurde sehr gering auf 25 bis 70 RM geschätzt. Nur zwei alte Ölgemälde unbekannter Künstler mit religiösen Motiven (Kat.Nr. 132 und 129) wurden für 150 und 200 RM angeboten. Unter den Chinoiserien befanden sich vor allem asiatische Plastiken aus Bronze und Holz, deren Taxen überwiegend zwischen 5 bis 60 RM lagen; einige Seidenstickereien sollten 100 RM erbringen. Ungeklärt ist, ob alle Kunstwerke auf der Versteigerung verkauft wurden, denn das Ergebnisprotokoll, das auch die Käufer nennen musste, ist nicht erhalten.402 Die dort aufgeführten Objekte spiegeln nicht im Entferntesten die ausgewählte Sammlung mit moderner Kunst wider, die Graetz im Laufe seiner Sammlertätig-
398 Anzeige von Harms in: VB, 23.2.1941, Nr. 54, S. 17. Vgl. unter Abbildungen, S. 235. 399 Ausländische Juden hatten gegenüber deutschen Juden noch gewisse Vorteile, weswegen sich viele jüdische Paare aus diesem Grund scheiden ließen. 400 Schätzpreisliste der Wohnungseinrichtung in der Erdener Straße 15, Einlieferin Bluma Gretz [sie], durch G. Harms, am 25.2.1941. Vgl. LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 52. 401 Von denjenigen Künstlern, die ohne Vornamen genannt sind, konnten diese nicht über Künstlerlexika ermittelt werden, da sie entweder nicht enthalten waren oder ein Vorname nicht eindeutig zugeordnet werden konnte wie bei Kindt, denn es gibt einen Lawrence und einen Georg. Im Fall von Annot ist dies der Künstlername; ihr vollständiger Name lautete Anna Ottonie Jacobi. 402 Im Landesarchiv ist nur die Schätzpreisliste erhalten. L A B A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 52.
2.b)
Restitutionsverfahren
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keit zusammengetragen hatte. Da außer dem Titel des Gemäldes und dem Künstlernamen keine weiteren Identifikationsmerkmale bekannt sind und es sich zudem um weniger bedeutende Arbeiten handelt, ist nicht damit zu rechnen, dass der Verbleib der Werke in Zukunft lokalisiert werden kann. Wegen der seit Kriegsbeginn sehr lückenhaften Aktenlage in Bezug auf Berliner Auktionshäuser konnte bislang auch nicht der Beweis erbracht werden, dass Graetz seine wertvolle Sammlung einem auf Kunst spezialisierten Versteigerer angeboten hat.403 Überliefert ist lediglich, dass er Teile der Sammlung bei Bekannten und Speditionen untergestellt hatte. Als Robert Graetz kurz vor der Deportation am 12. April 1942 eine Auflistung seines Vermögens erstellen musste, waren in seinem Eigentum nur noch „einige Gemälde, [und] Bronzen" enthalten.404 Zu diesem Zeitpunkt war offenbar der komplette Kunstbesitz bereits verstreut. Es steht zudem zu vermuten, dass die fest installierten Kunstwerke im Gartenbereich wie die Skulpturen von Gaul (Kat.Nr. 27-32) und die eines Jünglings von Herbert Garbe (Kat.Nr. 25) sowie das Relief eines nicht identifizierten Künstlers im Herrenzimmer während eines Bombenangriffs gegen Ende des Krieges, etwa 1944, der teilweisen Zerstörung der Villa und des Gartens zum Opfer fielen. b) Restitutionsverfahren Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden nach Inkrafttreten der alliierten Rückerstattungsregelungen, des Bundesrückerstattungsgesetzes und des Bundesentschädigungsgesetzes in den folgenden Jahrzehnten „begründete Ansprüche wegen des verfolgungsbedingten Entzugs von Kulturgütern" gegenüber den Geschädigten, deren Erben oder im Falle erbenloser Vermögen an jüdische Nachfolgeorganisationen erfüllt.405 Ziel dieser Gesetze war die Wiedergutmachung des NS-Unrechts. Während es im Rückerstattungsrecht um die Wiederherstellung der Rechtslage geht, wie sie vor dem Eingriff durch das nationalsozialistische Regime bestand, umfasst das Entschädigungsrecht die Wiedergutmachung von Schäden an Leben, Körper, Freiheit, im beruflichen Fortkommen und zum Teil auch am Eigentum. Im Rahmen des Rückerstattungsrechts werden verfolgungsbedingt entzogene, feststellbare Vermögenswerte zurückgegeben, es wird also eine Naturalrestitution durchgeführt. Nur wenn dies durch Verlust oder Zerstörung nicht möglich ist, wurde beziehungsweise wird ein finanzieller Ersatz geleistet. Das Entschädigungsrecht sieht dagegen im Falle der Berechtigung grundsätzlich die Zahlung einer finanziellen Entschädigung vor. Eine der Erben nach Robert Graetz, dessen Tochter Hilda Rush, hatte 1948 im Britischen Sektor einen Antrag auf Wiedergutmachung nach den alliierten Rückerstattungsgesetzen
403 Im Landesarchiv Berlin sind ab 1939 nur noch Unterlagen zum Auktionshaus Gerhard Harms und Rudolf Harms erhalten. Vgl. LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 20 und 21. 404 Vermögenserklärung von Robert Graetz, ausgefüllt am 12.4.1942. Vgl. BLHA, Rep. 3 6 A OFP Berlin-Brandenburg II, Nr. 12405, Akte Robert Graetz, Bl. 7. 405 Handreichung, 2001, S. 29.
III. Die Sammlung Graetz
220
gestellt. 406 Sie beanspruchte die Rückgabe der von dem Deutschen Reich beschlagnahmten Kunstwerke aus der Sammlung ihres Vaters. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit interessiert nur der Rückgabeanspruch auf die Kunstgegenstände, nicht jedoch die Rückerstattungsverfahren für die Immobilien und die Firma, die Hilda Rush und ihr Bruder Hellmuth Graetz ebenfalls gestellt hatten. 407 Nach langjährigen Verhandlungen wurde der Antrag auf Rückerstattung beziehungsweise Entschädigung 408 am 16.September 1954 von den Wiedergutmachungsämtern Berlin mit der Begründung abgelehnt, dass die Antragsteller ihre Anmeldung weder rechtzeitig ergänzt noch einen Erbnachweis vorgelegt hätten. 409 Ein sofort erhobener Einspruch wurde zurückgewiesen. 410 Am 19. Mai 1956 wurde in der Rückerstattungssache Rush/Graetz gegen das Deutsche Reich schließlich die Beschwerde abgelehnt.411 Der Antrag auf Schadensersatz wegen ungerechtfertiger Entziehung wertvoller Kunstgegenstände war zwar rechtzeitig gestellt worden, aber die Antragsteller hatten nach Auffassung des Kammergerichts trotz mehrfacher Aufforderungen nichts dazu beigetragen, ihre Ansprüche zu untermauern. Die von Amtswegen durchgeführte Ermittlung erbrachte in den Akten des Oberfinanzpräsidenten nur die Einziehung von drei Gemälden und zwei Bronzen, 412 die jedoch „unstreitig mit den angemeldeten wertvollen Gemälden und Skulpturen nicht identisch sind". 413 Die Voraussetzung, die Vermögensgegenstände festzustellen, war somit nicht erfüllt, weswegen der Antrag nicht mehr Gegenstand eines Rückerstattungsantrages sein konnte. 414 Auch die erst später nachgereichte Eidesstattliche Versicherung von Hilda Rush 415 konnte dem Anspruch gegen das Deutsche Reich nicht zum Erfolg verhelfen. Im Beschluss wurde argumentiert, dass „Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch gegen das Deutsche Reich wäre, dass der Verlust der Gegenstände auf einer Entziehungsmassnahme des Deutschen Reiches [...] beruhte und dass das Deutsche
406 Rückerstattungsanspruch vom 24.8.1948. Vgl. LAB, WGÄ, 7 W G A 2270/50, Robert Graetz, Bl. 1. Hilda Ruschkewitz (= Rush) wohnte zum damaligen Zeitpunkt in Johannesburg, Südafrika, und wurde durch einen Anwalt vertreten. Des besseren Verständnisses wegen wird nur beim Zitieren von Akten der Name Ruschkewitz verwendet, ansonsten dagegen Hilda Rush, da sich Frau Rush seit ihrer Ubersiedlung in die USA so nennt. 407 Die diversen Rückerstattungsverfahren sind derselben Akte zu entnehmen. Vgl. ebd. die Akte. 408 Einen Antrag auf ein Entschädigungsverfahren hatte der Anwalt der Antragsteller am 24.6.1952 vorsorglich gestellt. Vgl. ebd, Bl. 12. 409 Beschluss der Wiedergutmachungsämter vom 16.9.1954. Vgl. ebd., Bl. 31. 410 Öffentliche Sitzung der 149. Zivilkammer des Landgerichts Berlin am 27.1.1955. Vgl. ebd., Bl. 43. 411 Beschluss des Kammergerichts Berlin auf Abweisung des Antrags vom 19.5.1956. Vgl. ebd., Bl. 7 8 - 8 0 . 412 Die Gegenstände waren Bestandteil der Vermögenserklärung, die Graetz kurz vor seiner Deportation am 12.4.1942 ausfüllen musste. Vgl. B L H A , Rep. 36A O F P Berlin-Brandenburg II, Nr. 12405, Akte Robert Graetz, Bl. 7. 413 LAB, WGÄ, 7 W G A 2270/50, Robert Graetz, unpag. (Bl. zwischen 78 und 79). 414 Die Rückerstattung eines Vermögensverlustes nach den Rückerstattungsgesetzen erfolgt nur, wenn der Vermögensgegenstand feststellbar ist. Wenn dies nicht der Fall ist, kann ein Antrag auf Entschädigung gestellt werden [Anm. d. Verf.]. 415 Eidesstattliche Versicherung von Hilda Ruschkewitz (= Rush) vom 28.10.1954. Vgl. LAB, W G Ä , 7 W G A 2270/50, Robert Graetz, Bl. 67f.
2.b)
Restitutionsverfahren
221
Reich mindestens die Verfügungsgewalt über die Gegenstände erlangte." 416 Da dies nach Auffassung des Gerichts hier nicht der Fall war, wurde der Antrag abgelehnt. Das kurz vor der Beschlussverkündigung aufgetauchte „Porträt Alfred Kerr" von Lovis Corinth aus dem ehemaligen Besitz von Graetz änderte nichts an jener Entscheidung. Der im Jahre 1952 vom Anwalt der Antragsteller vorsorglich gestellte Antrag auf ein Entschädigungsverfahren wurde in den folgenden Jahren präzisiert. Hier interessiert nur der „Antrag auf Schaden an Vermögen", da dieser die Kunstwerke umfasst, obwohl gleichzeitig Anträge auf andere Schadensersatzansprüche gestellt worden waren. 417 Nach mehr als zehnjährigen Verhandlungen erließ das Entschädigungsamt am 6. Januar 1965 den Schlussbescheid: Die Schadensersatzansprüche auf den Verlust der Villa und die Einrichtung, die Kunstwerke sowie die Veräußerung der Grundstücke im Grunewald wurden abgelehnt. 418 Begründet wurde dies damit, dass Bluma Graetz, die geschiedene Ehefrau von Robert Graetz, die Versteigerung der Villa und der Kunstgegenstände 1941 selbst veranlasst und das Geld erhalten habe. 419 Sie müsse daher die Erben entschädigen. Nach einem Einspruch der Erben erging am 10. Januar 1973 ein Vergleich, wonach diese 10.000 D M für die Einrichtung und die Gemälde vom Entschädigungsamt ausbezahlt bekamen. 420 Nachdem Hilda Rush im Jahre 1977 das „Selbstporträt" von Karl Schmidt-Rottluff (Kat.Nr. 109) aus der Sammlung ihres Vaters in einer Publikation entdeckt hatte, bat sie um Wiederaufnahme des Verfahrens. 421 Im Sommer 1981 wurde dies zurückgewiesen, da seit dem Ende des Verfahrens mehr als fünf Jahre vergangen seien und dies eine Wiederaufnahme unmöglich mache. 422 Zudem könne bisher keine ungerechtfertigte Entziehung des Gemäldes nachgewiesen werden. 423 Die Gemälde, deren Aufenthaltsorte bis zu diesem Zeitpunkt bekannt waren, verblieben aufgrund dieser Entscheidungen in den Museen. Diese Vorgänge entsprachen der allgemeinen Situation bei Wiedergutmachungsverfahren, bis durch die Verabschiedung der Prinzipien der Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust vom Dezember 1998 neue Möglichkeiten zur Wiedergutmachung des entstandenen Unrechts während der NS-Zeit eröffnet wurden. 424 Ziel dieser Konferenz war die Identifizierung beschlagnahmter Kunstwerke, die nach der Ermittlung der rechtmäßigen Besitzer an diese zurückgegeben werden sollten. Gestützt auf
416 Beschluss des Kammergerichts Berlin auf Abweisung des Antrags vom 19.5.1956. Vgl. ebd., Bl. 7 8 - 8 0 . 417 Der Antrag wurde am 2.8.1955 gestellt. Vgl. LBO, Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. D 13 f. Die weiteren Anträge auf Schaden sind ebenfalls dort enthalten. 418 Schlussbescheid des Entschädigungsamtes vom 6.1.1965. Vgl. ebd., Bl. D 158. 419 Über die Versteigerung der Villa existieren jedoch keine Unterlagen mehr, so dass sich der Schlussbescheid nur auf die Einrichtung beziehen kann. 420 Vergleich zwischen den Erben und dem Entschädigungsamt vom 10.1.1973. Vgl. L B O , Berlin, Entschädigungsakte nach Robert Graetz, RegNr. 57 273, Bl. D 187. 421 Schreiben vom Sentator für Kulturelle Angelegenheiten an die Wiedergutmachungsämter, Berlin, am 25.10.1977. Vgl. LAB, WGÄ, 7 W G A 2270/50, Robert Graetz, Bl. 98. 422 Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 24.6.1981. Vgl. ebd., Bl. 156. 423 Schreiben der O F D Berlin an das Kammergericht Berlin, 18.2.1981. Vgl. ebd., Bl. 152. 424 Abgedruckt in: Handreichung, 2001, S. 27f.
222
III. Die Sammlung
Graetz
diese Prinzipien schloss sich im Dezember 1999 die „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der Kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NSverfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes insbesondere aus jüdischem Besitz" an.425 Die Gemeinsame Erklärung und der Stiftungsratsbeschluss der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vom Juni 1999 wurden vom Grundsatz geleitet, dass unabhängig von der materiellen Rechtslage des Wiedergutmachungsrechts Kulturgüter ehemaliger jüdischer Eigentümer nach individueller Prüfung den legitimierten ehemaligen Eigentümern beziehungsweise deren Erbberechtigten dann zurückgegeben werden sollten, wenn der Verlust der Kunstwerke als NS-verfolgungsbedingte Entziehung identifiziert wurde. 426 Die Gemeinsame Erklärung bekräftigte die Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland, bei einem verfolgungsbedingten Vermögensverlust eine „faire und gerechte Lösung" zu suchen.427 Es handelt sich hierbei um eine Selbstverpflichtung des Bundes, die sich auf öffentlich unterhaltene Einrichtungen bezieht, wobei es wünschenswert ist, dass sich privatrechtliche Einrichtungen und Privatpersonen diesen Grundsätzen anschließen. Da die Grundsätze nicht auf einem rechtlichen, sondern auf einem moralischen Anspruch basieren, gibt es keine rechtliche Bindung, die eine Rückgabe von Kunstwerken erzwingen könnte. Basierend auf der Gemeinsamen Erklärung und den Washingtoner Prinzipien stellte der Rechtsanwalt von Hilde Graetz, Schwiegertochter von Robert Graetz, im Frühjahr 2001 bei der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur einen Antrag auf Rückgabe des „Selbstporträts" von Schmidt-Rottluff (Kat.Nr. 109), das bereits Hilda Rush in ihrem Antrag von 1977 zurückgefordert hatte. Das Gemälde befindet sich in der Berliner Neuen Nationalgalerie. Die von Amtswegen und vom Museum durchgeführten Recherchen ergaben, dass ein weiteres Gemälde aus der Sammlung Graetz, das Landschaftsbild „Gutshof in Dangast" (Kat.Nr. 107) desselben Künstlers, ebenfalls in der Nationalgalerie aufbewahrt wird. Auch für dieses Werk wurde ein Antrag auf Rückgabe gestellt.428 Beide Gemälde erwarb die Ankaufskommission für Kunstwerke für das Land Berlin am 27. Juli 1953 und überwies sie an die Galerie des 20. Jahrhunderts. 429 Aus den Akten im Museum ist zu erfahren, dass der Verkauf über die Berliner Galerie Matthiesen erfolgte, welche die Bilder aus der Sammlung Meirowsky erworben hatte.430 Von der Galerie Matthiesen konnten keine weiteren Hinweise zur Herkunft der Gemälde erfahren werden. 431 Der jüdische Ber-
425 426 427 428
Abgedruckt ebd., S. 29-31. Ebd., S. 30. Ebd., S. 29. Schreiben des Rechtsanwaltes an die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Berlin, am 14.5.2002, in: PA AE. 429 Die Galerie des 20. Jahrhunderts war Bestandteil der Neuen Nationalgalerie. Daher befinden sich die Gemälde heute in der Neuen Nationalgalerie in Berlin. 430 Brief der Galerie Matthiesen an das Hauptamt für Kunst, Berlin, 28.7.1953. Der Brief wurde in Kopie dem Schreiben der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur an den Anwalt, Berlin, 17.8.2001, beigelegt, in: PA AE. 431 Die Galerie Matthiesen befand sich einst in der Fasanenstraße 13. Die noch heute existierende Galerie Matthiesen in London verfügt jedoch über keine Akten aus der Berliner Galerie. Freundlicher Hinweis von Isabel von Klitzing, Sotheby's, London.
2.b)
Restitutionsverfahren
223
liner Großindustrielle Meirowsky emigrierte 1938 in die Schweiz und verstarb dort 1949. 432 Wie die Werke in dessen Sammlung gelangten, konnte trotz umfangreicher Recherchen nicht geklärt werden. Da es keinerlei Nachweis dafür gibt, dass Graetz die beiden Bilder vor 1938 veräußert hatte, Meirowsky aber in diesem Jahr bereits Deutschland verließ, stellt sich die Frage, wann und wie sie von Meirowsky erworben wurden. 433 Nach dem vorläufigen Abschluss der Recherchen besteht weiterhin eine beträchtliche Provenienzlücke zwischen 1933, dem letzten nachweislichen Aufenthalt der Gemälde im Kronprinzen-Palais, und 1953, dem Erwerb durch die Ankaufskommission. Mehrere stattgefundene Arbeitstreffen zwischen dem Anwalt, einer Vertreterin der Staatlichen Museen zu Berlin und einer Vertreterin des Senats in den Jahren 2001 bis 2005 erbrachten keine konkreten Lösungsvorschläge, wie der Herausgabeanspruch der Erben weiter behandelt werden sollte. 434 Einer im Januar 2002 in Aussicht gestellten Einigung zwischen beiden Parteien folgte bisher kein konkreter Zeitplan. Laut Senat sei zwar eine prinzipielle Rückgabe aufgrund des Beschlusses des Stiftungsrates der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vom 4. Juni 1999 möglich, jedoch müssten zunächst weitere Recherchen zur Aufklärung der Provenienz der Gemälde durchgeführt werden, denn eine „Grundvoraussetzung für die Entscheidung über die Rückgabe ist der Nachweis der Herkunft des beanspruchten Werkes aus jüdischem Alteigentum zum Zeitpunkt des Verlustes oder der Entziehung". 435 Infolge der Aktenverluste durch Kriegseinflüsse sowie durch die Deportation von Graetz und der damit einhergehenden völligen Vernichtung persönlicher Unterlagen wird es jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit nie zu einer umfassenden Klärung der Frage kommen, auf welchem Weg die Bilder von Graetz in den Besitz von Meirowsky gelangten. Eine weitere Restitutionsforderung wurde von Seiten der Erben im Jahre 2002 für das „Porträt Alfred Kerr" (Kat.Nr. 11) von Lovis Corinth an die Stiftung Stadtmuseum Berlin gestellt, wo das Bild aufbewahrt wird. 436 Die von den Beteiligten durchgeführten Recherchen ergaben, dass Graetz Teile seines Eigentums bei der Berliner Spedition K. eingelagert hatte. 437 432 Max Meirowsky wurde am 17.2.1866 geboren. Vor seiner Auswanderung wohnte er in Berlin Charlottenburg, Bayernallee 10. Erwanderte am 30.11.1938 in die Schweiz aus. Vgl. B L H A , Rep. 36 A O F P Berlin-Brandenburg II, Nr. 25996, Akte Max Meirowsky. Zu Geburts- und Todesdaten vgl. auch L A B Datenbank zum Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, Eintrag zu Max Meirowsky. 433 Die Bona Terra Stiftung mit Sitz in Genf, die als Verwalterin des Nachlasses von Meirowsky fungiert und durch einen deutschen Anwalt vertreten wird, konnte bisher nichts zur Klärung beitragen. Vgl. das Schreiben des Anwaltes an Görnandt, Berlin, 18.7.2002, in: PA AE. 434 Der begleitende Schriftverkehr dazu befindet sich im PA AE. 435 Der Stiftungsrat räumt seit diesem Beschluss dem Präsidenten der Stiftung Handlungsfreiheit dahingehend ein, dass Kunstwerke aus jüdischem Besitz, die sich heute in den Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz befinden, nach eingehender Prüfung an die Berechtigten zurückgegeben werden. Vgl. Kathmann, 2001, S. 36. 436 Schreiben an die Stiftung Stadtmuseum Berlin, Berlin 15.2.2001, in: PA AE. 437 Für das Folgende vgl. die Schreiben zwischen der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, der Stiftung Stadtmuseum Berlin und dem Anwalt der Jahre 2002 und 2003. Sie befinden sich im PA AE. Aus datenschutzrechtlichen Gründen wurde der Name der Spedition abgekürzt.
III. Die Sammlung Graetz
224
Darunter hat sich demnach das „Porträt Alfred Kerr" befunden. Die Ehefrau des Spediteurs hatte in den 1950er Jahren behauptet, das Gemälde seinerzeit persönlich von Graetz aus den eingelagerten Kunstwerken erhalten zu haben. Da die Unterlagen der Spedition kriegsbedingt nicht mehr vorhanden sind, können die näheren Umstände hierzu kaum noch rekonstruiert werden. Als der Aufenthaltsort des Porträts in den 1950er Jahren bekannt wurde, zweifelten die Erben nach Graetz die damalige Schenkung an. Daher kam es in den Jahren zwischen 1956 und 1965 zu rechtlichen Auseinandersetzungen, im Laufe derer die Erben nach Graetz von den Erben nach K. das Gemälde zurückverlangten. 1965 wurde die Angelegenheit schließlich durch einen finanziellen Vergleich zu Lasten der Erben nach Graetz beendet. Unabhängig davon wurde das Bildnis am 17. Oktober 1963 von den Staatlichen Schauspielbühnen Berlin an das Stadtmuseum Berlin für 10.500 D M verkauft. 438 Unterlagen darüber, wann und von wem das Gemälde in den 1950er Jahren in die Staatlichen Schauspielbühnen gelangte, sind nicht mehr vorhanden. Bis 1984 verblieb das Gemälde als Dauerleihgabe im Schiller-Theater in Berlin. 439 Durch die Kenntnis des Vergleichs aus dem Jahre 1965 lehnte der Senat im Frühjahr 2003 die Herausgabe des Bildnisses an die Erben ab. 440 Anders gelagert ist der Fall von zwei Gemälden von Conrad Felixmüller, die Mitte der 1990er Jahre im Berliner und Münchener Kunsthandel wieder aufgetaucht sind. 1995 wurde das Werk „Apfelblüte - Klotzsche Dorf" (Kat.Nr. 19) unter dem Titel „Radebeul" in einer Auktion der Villa Grisebach in Berlin für einen Schätzpreis von 30.000 bis 40.000 D M angeboten. 441 Da es nicht versteigert werden konnte, kam es 1997 erneut - diesmal bei Sotheby's in München - für 20.000 bis 30.000 D M in eine Auktion. 442 Eingeliefert wurde das Bild von einer Berliner Galerie. Auch hierfür fand sich kein Käufer. Obwohl in beiden Katalogen die Provenienzangaben zu Graetz fehlen, handelt es sich zweifelsfrei um das Landschaftsgemälde aus dessen Sammlung. Im selben Jahr wurde noch ein weiteres Gemälde, das „Selbstbildnis (i. Sportmütze vor der Staffelei)" von Felixmüller (Kat.Nr. 20) aus dem ehemaligen Besitz von Graetz, auf einer Auktion der Villa Grisebach angeboten. 443 Im Katalog ist als ehemaliger Besitzer Robert Grätz [sie] angegeben. 444 Trotz der problem-
438 Für das Folgende vgl. das Schreiben der Senatsverwaltung an den Anwalt, Berlin, 21.10.2002, in:
PAAE. 439 Dies erklärt, wieso im Werkverzeichnis neben Graetz das Schiller-Theater als ehemaliger Eigentümer erwähnt ist. Vgl. Berend-Corinth, 1992, WVNr. 339. 440 Schreiben der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur an den Rechtsanwalt, Berlin, am 1.4.2003, in: PA AE. 441 Auk.kat. Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, durch Villa Grisebach, Berlin, 27.5.1995, Auktion Nr. 44, Abb.Nr. 274. 442 Auk.kat. Deutsche und Österreichische Malerei und Zeichnungen nach 1800, durch Sotheby's, München, am 2.12.1997, Kat.Nr. 200. 443 Auk.kat. Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, durch Villa Grisebach, Berlin, 29.11.1997, Auktion Nr. 60, Abb.Nr. 241. 444 Im Auktionskatalog ist zum ersten Mal eine Abbildung des Porträts publiziert. Im ein Jahr zuvor erschienenen Werkverzeichnis gibt es keine Abbildung des Gemäldes. Vgl. Spielmann, 1996, WVNr. 604.
2.b)
Restitutionsverfahren
225
behafteten Provenienzangabe wurde das Gemälde nicht aus der Versteigerung herausgenommen, sondern für 26.450 D M versteigert. 445 Da der Verkauf vor Verabschiedung der Washingtoner und der Gemeinsamen Erklärung stattfand, war der Kunsthandel noch nicht sensibilisiert, Recherchen hinsichtlich der Provenienz speziell für den Zeitraum 1933 bis 1945 durchzuführen, um eine NS-verfolgungsbedingte Herkunft der zu versteigernden Kunstwerke auszuschließen beziehungsweise entsprechend zu handeln. Verkäufer von Werken mit einer derartigen Provenienz werden seither über die Problematik informiert und die Auktionshäuser versuchen, gemeinsam mit ihnen eine Lösung zu finden. Auch in den hier geschilderten Fällen bot das Auktionshaus Grisebach seine Kooperation an und leitete die Briefe des von den Erben eingesetzten Anwaltes im Jahr 2002 an die Verkäufer weiter. 446 Bislang wurden die Schreiben von den Adressaten jedoch nicht beantwortet. Da sich die erwähnten Erklärungen nicht auf Privatpersonen beziehen, ist hiermit jeder weitere Handlungsspielraum erschöpft. Erst bei einer erneuten Einlieferung der Gemälde könnte wieder ein Versuch unternommen werden, die Besitzer zur Rückgabe zu bewegen. Bei den beiden Gemälden von Schmidt-Rottluff ist dagegen die Möglichkeit zur Rückgabe noch offen, da bisher keine endgültige Entscheidung von Seiten der Senatsverwaltung gefallen ist. Zweifelsohne befand sich Robert Graetz wegen seiner jüdischen Herkunft während der nationalsozialistischen Herrschaft in einer Zwangslage, die durch einen drohenden Verlust seiner materiellen Lebensgrundlage bestimmt war. In dieser Notsituation erscheint es daher so gut wie sicher, dass er gezwungen war, Teile seiner wertvollen Sammlung zu verkaufen, um dadurch den lebensnotwendigen Unterhalt seiner Familie aufzubringen. Durch die Kriegsereignisse ist der Nachweis der erzwungenen Veräußerung beziehungsweise der Beschlagnahme jedoch heute kaum noch zu führen. Auch die Washingtoner Erklärung berücksichtigt, dass „aufgrund der verstrichenen Zeit und der besonderen Umstände des Holocaust Lücken und Unklarheiten in der Frage der Herkunft [von durch die Nationalsozialisten beschlagnahmten Kunstwerken] unvermeidlich sind. 447 Da es wegen der vorhandenen Provenienzlücken bisher jedoch zu keiner Einigung zwischen den Museen und den Erben gekommen ist, können zur weiteren Klärung der Verlustumstände vermutlich nur noch Datenbänke beitragen, die mit Informationen von weltweit agierenden Institutionen wie Museen und Auktionshäusern versorgt werden. Als Folge der Washingtoner und der Gemeinsamen Erklärung wurde im Jahre 2001 die Datenbank www.lostart.de von der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg eingerichtet, in der neben Beutekunst auch von den Nationalsozialisten beschlagnahmte Kulturgüter verzeichnet sind. 448 Bereits 1991 wurde das „Art Loss"-Register vom Kunsthandel und von Kunstver-
445 Vgl. http://www.artnet.com/faad/auctionsonline.asp
[25.2.2002], Freundliche Auskunft von
Isabel von Klitzing, Sotheby's, London. Der Schätzpreis betrug 20.000 bis 30.000 DM. 446 Briefe des Rechtsanwaltes an die Villa Grisebach, Potsdam, 7.2. und 11.3.2002, in: PA AE. 447 Punkt 4 der Washingtoner Erklärung. Vgl. Handreichung, 2001, S. 27. 448 Vorrangiges Ziel der Datenbank ist es, öffentlichen Einrichtungen und Privatpersonen die Möglichkeit zu geben, Kulturgüter ungeklärter Herkunft zu veröffentlichen, wenn ein NS-verfolgungsbedingter Entzug vermutet wird. Vgl. Absatz III der Gemeinsamen Erklärung, in: Ebd., S. 30 f.
226
III. Die Sammlung Graetz
Sicherungen initiiert. Es ist die größte private Datenbank für gestohlene, vermisste und seit 1998 NS-verfolgungsbedingt verbrachte Kunstwerke (www.artloss.com). 449 In beide Datenbänke sind die Informationen zu den Gemälden aus der Sammlung Graetz eingestellt und so einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Eine Entscheidung über eine mögliche Rückgabe oder den Verbleib der beiden SchmidtRottluff-Gemälde in der Nationalgalerie bleibt vorerst abzuwarten. Dass es in der Vergangenheit bereits zu zufrieden stellenden Lösungen zwischen Museen und Anspruchsberechtigten kam, verdeutlicht die Restitutionspraxis einzelner Museen. So gab beispielsweise das Kölner Museum Ludwig das Gemälde „Zwei weibliche Halbakte" von Otto Mueller im Jahre 1999 an die Erbin des einstigen Sammlers Ismar Littmann aus Breslau zurück, nachdem es über das Schicksal des Sammlers und des Bildes informiert worden war. 450 Demnach war das Bild 1935 aus der Sammlung Littmann von der Nationalgalerie beim Berliner Auktionshaus Perl erworben worden. 451 Nach verschiedenen Stationen - unter anderem war das Werk Bestandteil der „Entarteten Kunst"-Ausstellung - erwarb es 1942 Josef Haubrich, der es 1946 zusammen mit seiner Expressionistensammlung der Stadt Köln als Geschenk übergab. Nach Bekannt werden der wahren Provenienz des Gemäldes - bis 1998 galt es als Geschenk dieses Mäzens - setzte sich die Kultursenatorin für die Suche nach den Erben ein und konnte das letzte der noch lebenden Kinder von Ismar Littmann, Ruth Haller, ausfindig machen. Dank der Hilfe und Unterstützung mehrerer Sponsoren erwarb das Museum das Gemälde nach erfolgter Rückgabe von der Erbin zurück. Auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin ist bereits mehrfach durch ihre Restitutionspraxis positiv hervorgetreten, die sie seit 1990 verfolgt. Auf der Grundlage des Beschlusses des Stiftungsrates vom 4. Juni 1999, der sich aus Vertretern des Bundes und aller Länder zusammensetzte, wurde dem Präsidenten der Stiftung Handlungsfreiheit in der Frage der Rückgabe von verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken aus jüdischem Eigentum eingeräumt, „unabhängig davon, ob die Rückgabe zwingende Folge einer gesetzlichen Regelung ist". 452 Einschränkend wurde hinzugefügt, dass diese Entscheidung nicht „generell zur Rückgabe der beanspruchten Werke führt". Auf Veranlassung der Stiftung erfolgte im selben Jahr die Restitution des Gemäldes „Selbstbildnis mit gelbem Hut" von Hans von Marees und der Zeichnung „LOlivette" von Vincent van Gogh an die Erben des jüdischen Sammlers Max Silberberg aus Breslau. 453 Das „Selbstbildnis" konnte von der Stiftung für die Alte Nationalgalerie zurückerworben werden. Nach erfolgter Restitution des Landschaftsgemäldes „Der Watzmann" von Casper David Friedrich, einer der Inkunabeln der Alten Nationalgalerie, im Jahre 2004, konnte auch dieses Gemälde durch eine Dauer-
449 Mit Hilfe dieser Datenbank werden die in den vergangenen Jahren vermehrt auf dem Kunstmarkt auftretenden Werke aus jüdischem Besitz auf ihre Provenienz überprüft, damit nur solche mit einer einwandfreien Provenienz versteigert werden. 450 Anja Heuß schrieb damals über den Sammler Littmann und dessen umfangreichen Kunstbesitz. Vgl. Heuß, 1998, Littmann. 451 Für das Folgende vgl. Weiss, 2002, S. 176-179. 452 Für das Folgende vgl. Kathmann, 2001, S. 35 f. 453 Ebd., S. 30-34.
2.b) Restitutionsverfahren
227
leihgabe dem Museum erhalten bleiben.454 Mit Blick auf die großzügige Restitutionspraxis der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist zu hoffen, dass es auch im Fall der beiden Gemälde von Schmidt-Rottluff in absehbarer Zeit zu einer fairen und gerechten Einigung zwischen der Stiftung und den Erben von Robert Graetz kommen wird.
454 Der Watzmann bleibt in Berlin. Pressererklärung vom 22.3.2004. Vgl. http://www.bundesregierung. de/servlet/init.cms.layout. LayoutServlet?global.naviknoten=9359&link=bpa_notiz_druck&global. printview=2&link.docs=626160 [22.3.2004].
Abbildungen
Villa Graetz
231
Villa Graetz
Villa Graetz, Herrenzimmer, Erdgeschoss, vor 1936
Villa Graetz, Bluma Graetz' Schlafzimmer, 1. Etage, vor 1936
Villa Graetz
Villa Graetz, Veranda, Erdgeschoss, vor 1936
233
Villa Graetz, Berlin, Grunewald, Erdener Straße 13 / Trabbener Straße, Haupteingangsseite. Aufriss, Dezember 1924. Quelle: LAB Β Rep. 209, Bezirksverwaltung Wilmersdorf, Nr. 431: Bauakte Villa Erdener Straße 13 / Trabbener Straße
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Villa Graetz, Berlin, Grunewald, Erdener Straße 13 / Trabbener Straße, Grundriss des Erdgeschosses. Quelle: LAB Β Rep. 209, Bezirksverwaltung Wilmersdorf, Nr. 431: Bauakte Villa Erdener Straße 13 / Trabbener Straße
Versteigerungsanzeige
235
VÖLKISCHER BEOBACHTER
Anzeige zur Versteigerung der Wohnungseinrichtung in Berlin, Erdener Straße 15 (Villa Graetz), am 25. Februar 1941. Versteigerungshaus Gerhard Harms. Quelle: VB, 23.2.1941, Nr. 54, S. 17
Schätzpreisliste
236
Hergestellt im U n d e g a t c h l v Berlin. Weitergabe, V e r ö f f e n t l i c h u n g nur m i t s c h r i f t l i c h e r Genehmigung.
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41
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In obiger Angelegenheit übersende ich Jhnen a n l i e g e n d A b s c h r i f t d e r L i s t e d e r a a 2 5 . 2 . 4 1 a b 11 Uhr i n B e r l ^ n - S r u n e w a l d . S r d e n e r s t r . 15, zur V e r s t e i g e r u n g gelangenden Gegenstände a a r gef1.Kenntnis nähme. j
Hitlei
fim 1
Anläse
Schätzpreisliste des Versteigerungshauses Harms für die Wohnungseinrichtung der Villa Graetz, Erdener Str. 15, vom 5.2.1941 (Versteigerung am 25.2.1941). Quelle: LAB A Rep. 243-04, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin, Nr. 52
Schätzpreisliste
Hergestellt im Lanäesarchiv Berlin. Weitergabe, Veröffentlichung nur mit «chrlftlicher Genehmigung.
237
Reproduktion und
I. t 8 t β d e r ia Auftrage d e r F r a u Bluraa Srete, aerlin-Grtuiewald, i5raeneretr.lt),aur V e r s t e i g e r u n g g e l a n .enden Segeng t&neUn ^laiä'cure.. — 1 uutilie Cl^ieumia-iechaate ;>{;._ 3130.— 1 1 1 1 2
239
Schätzpreisliste
3 lfd.Nr.
Gegen«tand
114-116 117-136 137 138-145 146-161
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