Der Bauer im Klassenkampf: Studien zur Geschichte des deutschen Bauernkrieges und der bäuerlichen Klassenkämpfe im Spätfeudalismus [Reprint 2021 ed.] 9783112592120, 9783112592113


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German Pages 644 [645] Year 1976

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Der Bauer im Klassenkampf: Studien zur Geschichte des deutschen Bauernkrieges und der bäuerlichen Klassenkämpfe im Spätfeudalismus [Reprint 2021 ed.]
 9783112592120, 9783112592113

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D E R B A U E R IM K L A S S E N K A M P F

DER BAUER IM KLASSENKAMPF Studien zur Geschichte des deutschen Bauernkrieges und der bäuerlichen Klassenkämpfe im Spätfeudalismus Herausgegeben von

Gerhard Heitz, Adolf Laube, Max Steinmetz, Günter Vogler Mit 48 Abbildungen

A K A D E M I E - V E R L A G • B E R L I N 19 7 5

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger-Str. 3—4 © by Akademie-Verlag, Berlin, 1975 Lizenznummer: 202 • 100/66/75 Gesamtherstellung: VEB Druckhaus „Maxim Gorki", 74 Altenburg Einbandgestaltung: Karl Salzbrunn Bestellnummer: 752 673 9 (6248) • LSV 0265 Printed in GDR EVP 4 2 , -

Inhalt

Vorwort

VII

A. N. Cistozvonov, Die Genesis des Kapitalismus und ihre Widerspiegelung in den regionalen Typen der Bauernbewegungen in Europa im XVI. bis XVIII. Jahrhundert (Problemstellung)

1

Max Steinmetz, Zum historischen Standort des deutschen Bauernkrieges in der Geschichte der Bauernbewegungen beim Ubergang vom Feudalismus zum Kapitalismus

27

Günter Vogler, Ein Vorspiel des deutschen Bauernkrieges im Nürnberger Landgebiet 1524

49

Adolf Laube, Zum Problem des Bündnisses von Bergarbeitern und Bauern im deutschen Bauernkrieg

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Karl Czok, Der Widerhall des deutschen Bauernkrieges in Leipzig 1524/1525 Siegfried Hoyer, Widerstandsrecht und Widerstandspflicht in der Flugschrift „An die versamlung gemayner pawerschafft" (1525) Gerhard Günther, Bemerkungen zum Thema „Thomas Müntzer und Heinrich Pfeiffer in Mühlhausen" Manfred Bensing, Die „Haufen" im deutschen Bauernkrieg. Über das revolutionäre Schöpfertum der Volksmassen in der frühbürgerlichen Revolution . . . Helmut Schnitter, Das Soldatenbild des deutschen Bauernkrieges Manfred Straube, Über Teilnehmer und Folgen bäuerlicher Unruhen im kursächsischen Amt Altenburg während des Bauernkrieges Ulrich Bentzien/Hermann Strobach, Entwicklungstendenzen der bäuerlichen Kultur zur Zeit des deutschen Bauernkrieges

111 129 157 183 201 215 251

Werner Lenk, Das Bild des Bauern in Literatur und Publizistik im Zeichen der frühbürgerlichen Revolution 279 Klaus Wedler, Klassenkampf und Bündnisproblematik in den Flugschriften, Fastnachtsspielen und Zeitgedichten des Hans Sachs 303 Herbert Zschelletzschky, „Ihr Herz war auf der Seite der Bauern". Künstlerschicksale und Künstlerschaffen zur Bauernkriegszeit 333 Ernst Ulimann, Die Darstellung des Bauern im Werke von Albrecht Dürer 377 Helga Schultz, Bäuerlicher Klassenkampf und „zweite Leibeigenschaft". Einige Probleme des Kampfes in der Zeit zwischen frühbürgerlicher Revolution und Dreißigjährigem Krieg 391

VI

Inhalt

György Szekely, Klassenziele und Patriotismus im Kampf der ungarischen Bauern von 1514 his 1711 Peter Ratkos, Die slowakischen Bauern im Klassenkampf von 1526 bis 1785 . . Josef Peträn, Typologie der Bauernbewegungen in Mitteleuropa unter dem Aspekt des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus Jözef Leszczynski, Forschungsergebnisse der polnischen Historiographie auf dem Gebiete des Klassenkampfes der schlesischen Bauern im Spätfeudalismus Igor Karaman, Die Bauernbewegungen und der bäuerliche Klassenkampf in Kroatien im Zeitalter des Spätfeudalismus Gerhard Heitz, Probleme des bäuerlichen Klassenkampfes im Spätfeudalismus V. V. Mavrodin, Der Bauernkrieg in Rußland von 1773 bis 1775 (zum 200. Jahrestag) Dokumentation Helmut Lötzke/Reinhard Kluge, Quellen zur Geschichte des bäuerlichen Klassenkampfes in Deutschland in Staatsarchiven der DDR (16. Jahrhundert bis 1789) Ingrid VölzlHans-Stephan Brather, Der deutsche Bauer im Klassenkampf (1470 bis 1648). Auswahlbibliographie der Veröffentlichungen in den sozialistischen Staaten aus den Jahren 1945 bis 1972 Quellennachweis der Abbildungen Autorenverzeichnis

405 429 449

469 491 513 527

549

573 605 607

Vorwort

Die Studien dieses Bandes, die aus Anlaß des 450. Jahrestages des deutschen Bauernkrieges erscheinen, beschäftigen sich mit der Periode des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus, und zwar ausgehend von der Vorgeschichte des Bauernkrieges bis zum Aufstand des Pugatschow in Rußland 1773/75. Sie analysieren den Charakter des deutschen Bauernkrieges als Höhepunkt der frühbürgerlichen Revolution und stellen ihn in den gesamthistorischen Zusammenhang. Behandelt werden Probleme des militärischen Verlaufs und der militärischen Organisation, des Verhältnisses der Bauern zu anderen gesellschaftlichen Kräften sowie Aspekte des ideologischen Klassenkampfes in Literatur, Kunst und in den zeitgenössischen Flugschriften. Die Beiträge bereichern unsere Quellenkenntnis und zeugen vom Stand der Forschung, insbesondere für die Bauernbewegungen und den bäuerlichen Klassenkampf in einigen Ländern Europas über eine Periode von mehreren Jahrhunderten. Sie geben den Blick frei auf drei Aspekte: Der erste Aspekt ist die Einordnung des deutschen Bauernkrieges als Höhepunkt der frühbürgerlichen Revolution, wie sie von Friedrich Engels begründet und durch zahlreiche Forschungsergebnisse der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft untermauert worden ist. Steht der deutsche Bauernkrieg einerseits in der langen Reihe antifeudaler Bauernbewegungen, die seit dem 14. Jahrhundert die geschichtliche Entwicklung in mehreren Ländern Europas nachhaltig bestimmt haben, so nimmt er andererseits zugleich einen besonderen Platz ein. Von Friedrich Engels als „erste bürgerliche Revolution" gekennzeichnet, als erste der „drei großen Entscheidungsschlachten" im Kampf des Bürgertums gegen den Feudalismus eingeordnet, stehen Reformation und Bauernkrieg als frühbürgerliche Revolution am Beginn der Neuzeit, des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus. Der zweite Aspekt sind die Bauernbewegungen und die bäuerlichen Klassenkämpfe der Übergangsepoche vom Feudalismus zum Kapitalismus. Kam nach der Niederlage der frühbürgerlichen Revolution in Deutschland, nach der grausamen Rache der Feudalherren an den Bauern und ihren Bundesgenossen in den deutschen Territorien der offene Widerstand gegen feudale Unterdrückung und Ausbeutung überwiegend in lokalen Aufständen bzw. in den niederen Formen des versteckten Kampfes zum Ausdruck (Dienstverweigerung, Flucht), so nahmen die antifeudalen Kämpfe der Bauern in anderen

VIII

Vorwort

Ländern im 16.—18. Jahrhundert einen beachtlichen Aufschwung. Die Kenntnis dieser revolutionären Traditionen unserer sozialistischen Bruderländer wird durch die entsprechenden Beiträge des vorliegenden Bandes vertieft, und Gemeinsamkeiten des Geschichtsbildes werden für die Gemeinsamkeiten beim Aufbau der sozialistischen Gesellschaft nutzbar gemacht. Der Klassenkampf, von Friedrich Engels in seinem Werk über den Bauernkrieg historiographisch wie politisch-ideologisch so überzeugend dargestellt, wird als Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus immer deutlicher sichtbar. Seine Kenntnis ist heute für das Geschichtsbewußtsein von grundlegender Bedeutung gegenüber allen Verfälschungsversuchen der imperialistischen, einschließlich der reformistischen Geschichtsschreibung. Daraus wiederum ergibt sich der dritte Aspekt. 1850 hat Friedrich Engels in seinem „Deutschen Bauernkrieg" nicht nur zum ersten Male die Grundsätze des historischen Materialismus auf einen Gegenstand der älteren Geschichte angewandt, sondern zugleich — ausgehend von den Erfahrungen der Kommunisten in der bürgerlichen Revolution 1848/49 — die Voraussetzungen für das Herausarbeiten der historischen Grundlagen der Bündnispolitik der revolutionären Arbeiterbewegung geschaffen. Die Einsicht, daß die Bauern sich von feudaler und kapitalistischer Unterdrückung und Ausbeutung nicht selbst, nicht isoliert befreien können, sondern dazu der Führung durah die Bourgeoisie bzw. durch die Arbeiterklasse bedürfen, war für die Theorie und Praxis der internationalen Arbeiterbewegung von grundlegender Bedeutung. Friedrich Engels hat daraus in seiner letzten großen Arbeit über die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland hinsichtlich der Bündnispolitik Konsequenzen gezogen und zugleich wesentliche historiographische Anstöße gegeben. Das Bündnis der Arbeiterklasse mit der werktätigen Bauernschaft wurde von W. I. Lenin umfassend ausgearbeitet und durch die Große Sozialistische Oktoberrevolution historisch bestätigt. Heute bildet es eine wesentliche Grundlage der Politik der revolutionären Weltbewegung. Und vor allem im Hinblick auf die jungen Nationalstaaten, in denen die Bauern und Landarbeiter noch heute die Masse der Bevölkerung bilden, ergeben sich die Aufgaben der Historiker bei der Erforschung und Darstellung der revolutionären Potenzen und Traditionen der Bauern und ihrer Bundesgenossen in den antifeudalen Bewegungen und Klassenkämpfen des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus. Gerhard Heitz Adolf Laube Max Steinmetz Günter Vogler

A. N. Cistozvonov

Die Genesis des Kapitalismus und ihre Widerspiegelung in den Regionaltypen der Bauernbewegungen in Europa im XVI. bis XVIII. Jahrhundert (Problemstellung)*

Kapitalismus entsteht und entwickelt sich nicht im leeren Raum, sondern im Schöße der bis dahin bestehenden Produktionsweisen, unter den Bedingungen deren Verfalls. In Europa erwuchs der Kapitalismus aus dem Feudalismus, und auch dies nicht sofort, sondern auf der Basis bestimmter Voraussetzungen, als deren wichtigste zu nennen sind die Entwicklung der einfachen Warenwirtschaft, des Kaufmanns- und Wucherkapitals sowie der sich daraus ergebende Zerfall der naturalwirtschaftlichen Grundlage feudaler Produktion. Diese Faktoren und weitere Umstände zeitigten zu Ausgang der Periode des entwickelten Mittelalters (15. Jh.) als Resultat ein für diese Zeit erhebliches Anwachsen des Gesamtumfanges der Warenmasse. Gleichzeitig wurde sowohl in der Stadt als auch im Dorf die freie oder verhältnismäßig freie Arbeitskraft immer häufiger gegen Lohn beschäftigt. Die Entwicklung der Geldrente fügte sich nicht nur in diese Prozesse ein, sondern schuf auch neue Situationen. Unter den Bedingungen der Geldrente wird die kapitalisierte Rente — als „Bodenpreis" — zu einer wichtigen Erscheinungsform. Es entwickelt sich die Praxis der Landkonfiskation, des „Landverkaufes", was eine Bresche in das „Bodenmonopol" der Feudalherren schlägt. Der Boden beginnt neben einer steigenden Zahl anderer Produktionsmittel, darunter der Arbeitsinstrumente, auf dem Markt zu kursieren. Da sich der innere Markt hauptsächlich durch den Produktionsmittelumlauf entwickelt, hatte diese Tatsache entscheidende Bedeutung. 1 In den entwickelten und politisch zentralisierten Ländern Europas führten gegen Ende des 15. Jahrhunderts alle diese Erscheinungen ökonomisch zur Herausbildung eines Nationalmarktes als einer Kategorie der Warenwirtschaft. Den theoretischen Aspekt dieses Problems andeutend, schrieb W. I. Lenin: „Deshalb müssen wir bei der Untersuchung der grundlegenden Lehrsätze über den inneren Markt von der einfachen Warenwirtschaft ausgehen und ihre schrittweise Verwandlung in kapitalistische Wirtschaft verfolgen." 2 Dabei muß der Vorbehalt gemacht werden, daß für die untersuchte Periode nach unserer Auffassung unter dem Begriff „nationaler Markt" nicht die zwischenterritorialen und zwischenstaatlichen Handelsbeziehungen innerhalb * Beitrag übersetzt von Wolfgang Döke, Rostock. 1 Vgl. Lenin, W. I., Werke, Bd. 3, S. 42. 2 Lenin, W. I., Werke, Bd. 3, S. 25.

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A. N. Cistozvonov

von Ländern verstanden w e r d e n können, die n u r formal zu politischen Gemeinschaften v e r b u n d e n waren, wie z. B. das Deutsche I m p e r i u m oder „Italien", welches damals n u r als geografische Kategorie existierte. Der Zerfall der feudalen Produktionsweise u n d des Feudaleigentums drückte sich in diesem Stadium vornehmlich in verschiedenen inneren Disproportionen, Deformierungen u n d Umgestaltungen aus, die die Grundlagen des Feudalismus nicht berührten. So paßten sich Geldrente und Steuerlasten zum A u f f a n g der bedeutend größeren staatlichen Masse „Nationalprodukt" an. Die naturalwirtschaftliche Grundlage der Reproduktion, Feudaleigentum u n d Rente, spielten weiterhin die Rolle von Hauptregulatoren in der W a r e n w i r t schaft. U n t e r dem Schein des „Verkaufs" von Landeigentum verbargen sich oft das Abtreten n u r begrenzter Nutzungsrechte, maskierte Wucherdarlehen usw. Im Dorf verband sich die A n w e n d u n g der Lohnarbeit gewöhnlich mit Elementen des Zwanges, in der Stadt w a r sie von der Befreiung der Arbeitgeber von persönlicher Arbeit begleitet; die erweiterte Reproduktion g e w ä h r leistete sie nicht. Sowohl die Produktionsmittel als auch die A r b e i t s k r a f t w a r e n auf dem Markt in verhältnismäßig geringem U m f a n g vorhanden, besaßen nicht die Eigenschaften der spezifisch kapitalistischen, sondern durchweg die der einfachen Warenkategorien, was die Wirkung des Wertgesetzes einengte, die Prozesse der Preisbildung deformierte und — u n t e r diesen Bedingungen — den „Kapitalreichtum" ausschloß. 3 Daher läßt sich das vorliegende Anfangsstadium des Verfalls der feudalen Institutionen als Formationstyp charakterisieren. Nichtsdestoweniger w a r die Deformierung der bisherigen feudalen S t r u k t u r der Bodenverhältnisse offenbar, und eine ihrer wichtigsten sozialen Folgen w u r d e die intensive, vorläufig noch eigentumsmäßige Differenzierung der Bauernschaft. Die Entwicklung der einfachen Warenwirtschaft als Voraussetzung f ü r die Herausbildung des Kapitalismus w a r u n t e r den genannten historischen Bedingungen in diesem oder jenem Land gewährleistet, w e n n die Komponenten im Gesamtkomplex vorhanden w a r e n u n d - zumindest potentiell - den bestimmenden Platz in der allgemeinen sozialökonomischen Evolution der Warenwirtschaft einnahmen. Das zwäng die herrschende Feudalklasse u n d den politischen Überbau, den Weg der Anpassung an die progressive Entwicklung zu beschreiten, diesen im R a h m e n der existierenden Feudalgesellschaft f ü r die eigenen Interessen zu nutzen, was w i e d e r u m durch den f ü r eine solche Entwicklung günstigen Ausgang des Klassenkampfes u n d d e r Konflikte innerhalb der Feudalklasse gesichert war. Das Vorhandensein n u r einzelner der genannten Faktoren i m Lande, ein f ü r ihre komplexe Entwicklung und Festigung ungünstiger Ausgang des Klassenkampfes und der Konflikte innerhalb der Feudalklasse, die Einnahme von Schlüsselpositionen in der Sphäre der Warenproduktion u n d des Austausches durch reaktionäre Schichten der herrschenden Klasse f ü h r t e n auch in diesem 3 Marx, K. / Engels, F., Werke (im folgenden: MEW), Bd. 23, Berlin 1962, S. 745.

Die Genesis des Kapitalismus

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oder anderem Land zur umkehrbaren Variante des Prozesses in seinen verschiedenen Modifikationen, zum zeitweiligen sehr dauerhaften Sieg der K r ä f t e feudaler Reaktion. Unter dem uns interessierenden Aspekt lassen sich der Ausgang der Klassenschlachten der Bauernschaft und des Kampfes innerhalb der Feudalklasse einerseits am Beispiel Englands und Frankreichs, andererseits am Beispiel Böhmens vergleichen. In Frankreich standen die zweite Hälfte des 14. und die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts unter dem gewaltigen Einfluß der Ereignisse des Hundertjährigen Krieges von 1337—1453, war die Festigung einer „reinen Seigneurieherrschaft", der BauernWirtschaft, als Grundlage dörflicher Ökonomik und die Vorherrschaft staatlicher Zentralisierung vor den K r ä f t e n feudaler Zersplitterung und Reaktion mehr als einmal in Frage gestellt. Allein der patriotische Volksaufschwung, das Übergewicht der Kräfte, die innerhalb der herrschenden Klasse die zentralisierte königliche Gewalt unterstützten, die mächtigen städtischen und bäuerlichen Aufstände (Pariser Aufstand 1356—1358, Stadtaufstände 1379-1384, Aufstand der Cabochins 1413, Jaquerie 1358, A u f stand der Touchins 1382—13844, Partisanenkrieg im ersten Drittel des 15. J a h r hunderts) trugen, unabhängig von ihrem Mißlingen, zum Sieg über den äußeren Feind und zur Niederlage der Pläne der feudalen Reaktion bei, sowohl in der politischen als auch in der sozial-ökonomischen Sphäre. F r a n zösische Bauernschaft wie französische Städte bewahrten sich ungeachtet aller Prüfungen ihre ökonomische Lebensfähigkeit. Während der Herrschaftszeit Ludwig XI. wurden nationale Einigung und staatliche Zentralisierung vollendet, Warenwirtschaft im Dorf und städtische Ökonomik erfuhren eine weitere Entwicklung. Ein fester innerer, nationaler Markt bildete sich im Lande heraus. 5 All dies schuf insgesamt die Voraussetzungen f ü r die nachfolgende Entstehung des Kapitalismus. In England wurde der Einfluß des Hundertjährigen Krieges in geringerem Grade spürbar — vornehmlich in Form ständig angestiegener militärischer „Subsidien". Die Prozesse der Entwicklung der Warenwirtschaft im Dorf, die Differenzierung der Bauernschaft nach dem Eigentum, die Herausbildung eines neuen Unternehmeradels, der Gentry, die Evolution der Manors fanden weniger plastischen Ausdruck als in Frankreich. Dabei zeichnete sich bereits in dieser Zeit die Tendenz zur Interessenannäherung von dörflicher Oberschicht, den Freeholders und Großpächtern, mit den Gentries ab. D a f ü r erfreuten sich unter der Dorfarmut primitiv-gleichmacherische Ideen einer erheblichen Popularität. Gewaltige Klassenschlachten der englischen Bauernschaft waren die Aufstände im Jahre 1381 unter Führung von Wat Tylor und im Jahre 1450 unter Führung von Jack Cade. 4

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Hilton, R., Bond Men made Free. L., 1973, S. 116-117, 121-123, 129-132; Sebencova, M. M., Vosstanie tjusenov. Mosk. gos. ped. in-t im. V. I. Lenina. Ucenye zapiski, t. LXVIII, vyp. 4, Moskva 1954, S. 39-58. Calmette, L., Le grand Regne de Louis XI. Paris, 1938, S. 99, 230—235.

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A. N. Cistozvonov

Bei ersteren war der Unterschied zwischen den Forderungen der vermögenden und armen Bauernschaft klar bestimmt, formuliert in Übereinstimmung mit den Programmen von Mile End und Smithfield. Die radikale These der Lollarden „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?", ihre Forderung allgemeiner Vermögens- und Sozialgleichheit fand jedoch selbst im Smithfielder Programm keine klare Formulierung.6 Am Aufstand Jack Cades nahmen nicht nur Bauern, sondern auch Ritter, Gentry, Gentlemen und Kaufleute teil. Die hauptsächlichen Programmforderungen der Führungsoberschicht ließen sich auf die Unterbindung der Korruption der Herrschenden, die Rückgabe der geraubten Domänen an den König, die Aufhebung des Statute of labourers zurückführen. Verbreitung hatten gleichmacherische Ideen gefunden, sie waren jedoch nicht in die Programmdokumente eingegangen.7 In beiden Aufständen wurden prokönigliche Illusionen der Bauern deutlich. Die hauptsächliche Spitze des Bauernkampfes richtete sich in dieser Zeit gegen die Überbleibsel der Leibeigenschaft, gegen den Mißbrauch der Herrschenden hinsichtlich der Normen der Aneignung des Mehrproduktes, des Raubes dorfgemeinschaftlichen Landes und militärischer Subsidien (Aufstände von 1489 in Yorkshire und Durham, 1497 in Cornwall)8. Obwohl ihrem Wesen nach antifeudal, stellten sich alle diese Aufstände nicht den Sturz des Feudalismus als solchen zum Ziel, sondern nur die Beseitigung seiner am meisten verhaßten Seiten. Ungeachtet ihrer Niederlage förderten sie die Stabilisierung der Tendenz zum Wachstum des Anteils der Warenwirtschaft, zur Schaffung der Vorbedingungen für die bürgerliche Entwicklung. Im Verlaufe der „Rosenkriege" wurde den Kräften der feudalen Reaktion und des Separatismus am Ende des 15. Jahrhunderts ein mächtiger Stoß versetzt und die Voraussetzungen für die Entstehung des Absolutismus geschaffen. Andere Folgen zogen die Hussitischen Kriege 1419—1437 nach sich. Ungeachtet des breiten Ausmaßes der Bauernbewegung, des — allerdings 1433 auseinandergefallenen — Bündnisses der aufständischen Bauern mit den Städten und einem Teil des tschechischen Adels, ungeachtet des nahezu gesamteuropäischen Widerhalls hatte der hussitische Aufstand, der neben religiösen und sozialen Motiven Befreiungsideen herausstellte, eine Niederlage erlitten. Die Tendenz zur Festigung und zum Wachstum der Warenwirtschaft wurde von den Kräften der feudalen Reaktion unterdrückt, die das Land zu einer „zwei6

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Saprykin, Ju. M., Social'no-politiceskie vzgljady anglijskogo krest'janstva v XIV—XVI w . , Moskva 1972, S. 22-32. PetruSevskij, D., Vosstanie Uota Tajlera. Moskva 1914, S. 140-205. Saprykin, Ju. M., a. a. O., S. 106-112, 130—131; Kuznecov, E. V., Issledovanija po istorii narodnych dvizenij v stranach Zapadnoj Evropy XIII—XV w . Gar'kovskij Gosuniversitet. Uienye zapiski, vyp. 95, Serija istoriceskaja. Gor'kij 1971; Kuznecov, E. V., Vosstanie v Anglii 1450—1451 g. pod rukovodstvom Dzeka Keda i UiPjama Parminstra. Gor'kij 1969. Saprykin, Ju. M., a. a. O., S. 132; Hilton, R., a. a. O., S. 224, 232.

Die Genesis des Kapitalismus

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ten Leibeigenschaft" führten, deren grausamste Formen nach der Schlacht am Weißen Berg 1620 zum Ausdruck kamen.9 Gleichmacherische Ideen, „eine Art chiliastischer Gütergemeinschaft", zeigten sich auch hier bei den Taboriten, sie gingen aber nach der Definition von F. Engels praktisch nicht über den Rahmen „rein militärischer Maßregel" hinaus.10 II. Die Entwicklung der Produktivkräfte und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung bilden die entscheidenden Faktoren des Fortschritts in allen sozialökonomischen Formationen. Besonders ihre Evolution, die auf das Hindernis der überlebten feudalen Produktionsverhältnisse stieß, führte zunächst zum Verfall der letzteren sowie der ihnen entsprechenden Eigentumsformen und schließlich zu ihrer revolutionären Ersetzung durch die auf kapitalistischem Eigentum beruhenden bürgerlichen Produktionsverhältnisse. In diesen Prozeß fügt sich organisch auch die Entwicklung der einfachen, zum Kapitalismus evolutionierenden Warenproduktion ein. Einem genauen Barometer gleich registrierte der Markt den wachsenden Andrang in Ware umgewandelter Arbeitskraft und Produktionsmittel, was die Grundbedingungen schuf für seine Transformation in den kapitalistischen Markt. Und auch hier, unter stabilen, günstigen Bedingungen konnte sich dieser Prozeß nur langsam in den Bahnen der Differenzierung entwickeln, was allerdings die herangereiften Bedürfnisse der westeuropäischen Länder nicht befriedigte. Der Impuls zu einer schnellen, grundlegenden Wende in der sozialökonomischen Entwicklung Europas im 16.—17. Jahrhundert wurde durch einen Komplex anderer Faktoren gegeben, was seinen Ausdruck im Prozeß der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals fand. Expropriation und Landenteignung der Bauern bildeten den Kern der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals; insgesamt entfiel auf diesen Prozeß hauptsächlich zerstörende Arbeit: Trennung der unmittelbaren Produzenten von den Produktionsmitteln, Konzentration der Produktionsmittel und der Geldreichtümer in den Händen weniger, Zerstörung der Starrheit des Feudalsystems, Schaffung der Bedingungen für die Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise. 9 10

Rubcov, B. T., Gusitskie vojny. M., 1955, S. 306-313. MEW, Bd. 7, S. 346; Hilton, D., a. a. O., S. 134; das Anwachsen der Warenfähigkeit der Bauernwirtschaft in Böhmen und Moravien war bereits in der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts von einer Verschärfung des Frondienstes, einer spürbaren Verschlechterung des boden- und personenrechtlichen Status der Bauernschaft begleitet, d. h. von den Anfängen der Tendenz feudaler Reaktion. Ivanov, Ju. F., Problemy razvitija cesskoj derevni v XIV—nacale X V vv. Mosk. gos. ped. in-t im.' V. I. Lenina. Ucenye zapiski, No. 217, M. 1964, S. 118—118, 120 bis 121, 123, 126-131.

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Die Expropriation der Bauernschaft und der Handwerker schafft als solche „unmittelbar nur große Grundeigentümer" und umherstreunende, deklassierte Pauper, das heißt nur potentielle Kapitalisten und Proletarier. Die Realisierung dieser Potenz fordert bestimmte Bedingungen, Zeit und Gewalt gegenüber den Expropriierten. 11 Der Wirkungsgrad des Prozesses der ursprünglichen Akkumulation auf die Festigung des nichtumkehrbaren irreversiblen Typs der Genesis des Kapitalismus hängt direkt ab von der Komplexität und der Effektivität des Arsenals seiner Methoden, davon, wie das gesamte Territorium dieses oder jedes Landes von ihm erfaßt, wie die Entwicklung des Prozesses von seiten des Staates gewährleistet wird. Nichtkomplexe und verlangsamte Formen der ursprünglichen Akkumulation konnten unter diesem Aspekt entweder neutral bleiben oder aber dem umkehrbaren reversiblen Typ entsprechen. In allen Fällen konnten sie jedoch maximale Disproportionen zwischen der Schaffung von potentiellen und realen Proletariern und Kapitalisten, in der Industrie wie in der Landwirtschaft, unter zahlenmäßigen wie unter räumlich-zeitlichen Aspekten, nach sich ziehen und zogen sie nach sich. Allgemein bekannt ist der klar von Karl Marx formulierte Satz, daß „die kapitalistische Aera erst vom 16. Jahrhundert (datiert). Dort wo sie auftritt, ist die Aufhebung der Leibeigenschaft längst vollbracht und der Glanzpunkt des Mittelalters, der Bestand souveräner Städte, seit geraumer Zeit im Erbleichen".12 Wie ersichtlich, enthält der Schlußteil der Marxschen Formulierung wesentliche Einschränkungen, die vor einer Verbreitung des Begriffes „Ära des Kapitalismus" auf alle Länder Europas im 16. Jahrhundert warnen. Grundform des Industriekapitals ist im Rahmen der gesamten Manufakturperiode (16.—18. Jahrhundert) die kapitalistische Manufaktur, und letztlich hing davon ab, welchen Platz diese in der allgemeinen ökonomischen Struktur des einen oder anderen Landes einnahm (lassen wir dabei andere Umstände unberücksichtigt), auch was den Verlauf der bürgerlichen Entwicklung insgesamt betrifft. Wenn die kapitalistische Produktionsweise in der Industriesphäre eine gewisse Stabilität im Rahmen der Formation erreicht 13 , entwickelt sich die einfache Warenproduktion, die eine Voraussetzung für den Kapitalismus ist, in 11 12 13

MEW, Bd. 24, S. 742. Ebenda, S. 743. Bei der Klärung der Entwicklungsstufe der bürgerlichen Produktionsverhältnisse hat die Bestimmung dessen, was wir unter der funktionalen Bedeutung des Terminus „Formation" verstehen, nicht unwesentlichen Rang. Nach unserer Auffassung erfaßt eine solche Definition nicht die einfache Existenz vereinzelter Zentren unreifer Formen der kapitalistischen Produktion, sondern nur einen solchen Reifegrad und eine solche Entwicklung des Kapitalismus, die organischen Bestandteil, notwendigen Sektor des gesamten ökonomischen Systems dieses oder jenes Landes darstellt, ohne den ein normales Funktionieren bereits unmöglich ist.

Die Genesis des Kapitalismus

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dessen wichtigste Reserve. Das Wucher- bzw. Handelskapital entwickelt sich aus selbständig losgelösten Teilen des Kapitals in dessen Bestandteile mit besonderen Funktionen, Handel und Kredit. Dies geht nicht automatisch vor sich, sondern im Kampf verschiedener ökonomischer Formen und Kategorien. Die Umwälzung in der gesellschaftlichen Produktionsweise vollzieht sich in Form eines „bunten Wirrwarrs" von Übergangs- und Zwischenformen. 14 Der einmal entstandene Kapitalismus wandelt mit der ihm eigenen Dynamik die Sphären des Austausches und der Verteilung in seinem Sinne um. In der Entstehungsperiode des Kapitalismus vollzieht sich der Prozeß der Transformation des Marktes aus einer Kategorie der Warenwirtschaft in eine Kategorie der kapitalistischen Wirtschaft. Dies geschieht unter den grundlegenden Bedingungen, wenn sich die Arbeitskraft in Ware umwandelt und auf dem Arbeitsmarkt in einem Umfange vorhanden ist, die ihre systematische Anwendung im Maßstab des gesamten Landes gestattet, wenn in großem Maße Produktionsmittel, darunter Land, in die Sphäre des Marktumlaufes einbezogen sind, wenn der nationale Markt zu einem Teil des sich herausbildenden kapitalistischen Weltmarktes wird. „Welthandel und Weltmarkt eröffnen im 16. Jahrhundert die moderne Lebensgeschichte des Kapitals" 15 konstatierte K. Marx. Der Weltmarkt wird vom Kapitalismus insofern benötigt, als die ihm eigene erweiterte Reproduktion und die ausgedehnte Warenzirkulation sofort über die staatlichen Grenzen hinausgehen. Neben dem nationalen und Weltwarenmarkt bilden sich nationaler und Weltfinanzmarkt. Auf ihm vollziehen sich solche überaus wichtigen Prozesse wie Preis- und Kursbildung, Transformierung des Mehrwertes in die durchschnittliche Profitrate. Die hier vor sich gehenden Prozesse übten eine gewaltige Rückwirkung auf alle Sphären der Produktion aus, bekräftigten und bestätigten die f ü r das ganze Manufakturstadium des Kapitalismus typische Hegemonie des Handelskapitals. Neu sah auch die Sphäre der Verteilung aus. Die Verteilungsgesetze w u r den zunehmend von den Gesetzmäßigkeiten der bürgerlichen Produktionsweise bestimmt, nämlich vom Charakter des bürgerlichen Eigentums, davon, daß das Produkt als Ware auftritt, die ihrerseits Produkt des Kapitals ist; davon, daß zum Ziel der Produktion die Schaffung des Mehrproduktes, das Eigenwachstum des Kapitals wird. Auf dieser Grundlage geht auch die Verteilung des Gewinns in Form von Lohn (Lohnarbeit), von Profit (Kapital) und Rente (Landeigentum) vor sich.16 Das ist die allgemeintheoretische Fragestellung. Unter den untersuchten historischen Bedingungen verändern sich die Prozesse in der Sphäre der Verteilung allerdings durch die Einwirkung verschiedener Kräfte, in erster Linie des feudalen politischen Überbaus. Dieser nimmt über seinen Apparat eine Umverteilung des in den Sektoren der Waren- und kapitalistischen Produkte Vgl. MEW, Bd. 23, S. 496. 15 Ebenda, S. 161. 16 Vgl. MEW, Bd, 25, S. 888-891.

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tion des Mehrwertes im Interesse der herrschenden Klasse der Feudalherren vor. All diese und andere Komponenten in ihrem Komplex, einschließlich der mit dem Prozeß der Genesis des Kapitalismus verbundenen Preisrevolution, schufen in den europäischen Ländern der Manufakturperiode unterschiedliche Typen inflationärer Konjunktur, die Produktionskonjunktur, aus der das Industriekapital den hauptsächlichen Nutzen zog, und die Handelskonjunktur, deren „Rahm" das Handelskapital abschöpfte. Untersuchung und Definition erfordert auch jener Typ der inflationären Konjunktur, die sich in den Ländern Zentral- und Osteuropas unter den Bedingungen der „zweiten Leibeigenschaft" vollzog und verbunden war mit der Aneignung der Hauptgewinne durch die Gutsherren, während die überbleibenden Reste dem Bürgertum und einer engen Kaufmannszwischenschicht zufielen. Unter derartigen Bedingungen blieb der nationale Markt, wenn er existierte, weiterhin eine Kategorie der Warenwirtschaft und verkümmerte, da die vorwiegende Rolle der Gutsherrschaften einen großen Schritt nach rückwärts, zur Naturalisierung in allen Sphären der Ökonomik bedeutete. Auch den Markt selbst bildeten in diesem Falle nicht Kaufleute und Manufakturbesitzer bürgerlicher Herkunft, sondern reaktionäre Gutsherren, Zwischenhändler, Zünftler u. a. Elemente.

III. So bietet sich in skizzenhaften Zügen die allgemein-historische Fragestellung. Nun gilt es zu klären, welche Folgerungen sich aus dem Dargelegten für die Agrarsphäre, für die herrschende Klasse der Feudalen bzw. für die feudalabhängige Bauernschaft ergaben, welche grundlegenden Typen der Agrarentwicklung sich in jenen europäischen Ländern und Regionen herausgebildet hatten, von denen im Folgenden die Rede ist. In der Periode des entwickelten Feudalismus besaß die Sphäre der Landwirtschaft bestimmende Bedeutung, obschon die progressiven Impulse im wesentlichen von der Stadt ausgingen. Mit Beginn der Genesis des Kapitalismus vollziehen sich die auch für die Landwirtschaft bestimmenden Entwicklungen in der Sphäre der Industrie und des Austausches. Aus dem Zerfall der Feudalstruktur erwächst dabei die ökonomische Struktur der kapitalistischen Gesellschaft. Für die europäischen Länder verlaufen diese Prozesse insgesamt historisch vorwiegend gleichzeitig und miteinander verbunden. Nur sind die Folgen des Zerfalls des Feudalismus nun bereits andere als vergleichsweise beim ersten Typ, dem Formationstyp des 14. und 15. Jahrhunderts, als sie nicht verbunden waren mit der Auflösung der Feudalgrundlagen. Für den untersuchten Typ geht es bereits um solche quantitativen Veränderungen, die zur Auflösung der Feudalgrundlagen führen, die Herausbildung des Kapitalismus be-

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r ü h r e n u n d somit also in qualitative Veränderungen übergehen. Dieser zweite Typ des 16. und 17. J a h r h u n d e r t s k a n n als Transformations- oder Übergangst y p angesehen werden. Zur gleichen Zeit ist es bei konkreter historischer A n a lyse notwendig, die Symptome und Faktoren des Zerfalls des Feudalismus klar von den Symptomen und Faktoren der Genesis des Kapitalismus zu unterscheiden, u m Überbewertungen des Entwicklungsniveaus der letzteren zu vermeiden. Die Prozesse des Zerfalls des Feudalismus, die in der untersuchten Periode in der S p h ä r e der Landwirtschaft vor sich gingen, w a r e n m i t der Evolution von Geldrente u n d Pacht, feudalem Eigentum u n d Warenwirtschaft in b ü r gerlicher Richtung verbunden. Die im 15. J a h r h u n d e r t vorherrschend gewordene letzte F o r m der Feudalrente, die Geldrente, blieb das Mittel zur A n eignung der Mehrarbeit der feudalabhängigen Bauern. Gleichzeitig w a r sie bereits eine F o r m des Zerfalls der feudalen Produktionsverhältnisse u n d des feudalen Eigentums. Der „außerökonomische Zwang" w u r d e fast vollständig beseitigt. Die Entwicklung zunächst feudaler, später von Zwischen- u n d Übergangsformen der Pacht (Halbpacht u. a.) zog f ü r den B a u e r n den Verlust der Besitzrechte auf das Land nach sich; Elemente der „Verbürgerlichung" des feudalen Landeigentums w e r d e n „vollkommen". Unter diesen Bedingungen beansprucht z. B. der Halbpächter einen Teil des Ertrages, weil e r einen Teil der Arbeitsinstrumente besitzt, t r i t t er „ . . . als sein eigener Kapitalist" auf. „Auf der andren Seite beansprucht der Grundeigentümer seinen Anteil nicht ausschließlich auf G r u n d seines Eigentums a m Boden, sondern auch als Verleiher von Kapital." 17 In dem Falle, wo der feudale Landbesitzer sich in einen einfachen Rentier, der Bauer in einen zinszahlenden Pächter verwandelt, entwickelt sich der Zins allmählich in faktisches „bäuerliches Eigentum", das gewöhnlich mit Wucherhypotheken belastet ist. Letztere Tendenz f ü h r t — wie K. Marx u n t e r strich — unweigerlich „zur Verwandlung des Bodens in freies Bauerneigent u m " , die erstere Tendenz „zur F o r m der kapitalistischen Produktionsweise". Hier w u r d e die Grundlage gelegt f ü r den jahrhundertelangen Weg der Genesis des kapitalistischen Farmers. Die Evolution der Geldrente in bürgerlicher Richtung besitzt jedoch keinen Mechanismus spontaner Selbstrealisierung. F ü r die untersuchte Periode hängt sie a b von „der allgemeinen Entwicklung der kapitalistischen Produktion außerhalb des flachen Landes"; eine solche Variante k a n n n u r in Ländern zur Regel werden, die in der M a n u f a k turperiode „den Weltmarkt beherrschen". 1 8 Bei der Bildung bürgerlichen Bodeneigentums lassen sich vier grundlegende Verbindungsglieder unterscheiden: Kauf, R a u b und Eroberung des Bodens durch die Kapitalisten u n t e r den Bedingungen der ursprünglichen A k k u m u lation, im Zuge derer sich solche Ländereien in bürgerliches Eigentum ver17 18

MEW, Bd. 25, S. 811. Ebenda, S. 806-808.

2 Der Bauer

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wandelten und ihre Besitzer zu Eigentümern bürgerlichen Typs wurden; die gewöhnlich etappenweise Umwandlung des feudalen Bodeneigentums in bürgerliches durch die Feudalen, die sich selbst zu Landlords wandelten; der Loskauf feudaler Dienste, die kapitalisierten Renten. Der Ankauf kleiner Landstücke usw. durch die ehemals feudalabhängigen Bauern, unter Umwandlung solcher Ländereien in kleinbäuerlichen Landbesitz und ihrer Besitzer in Kleinbauern bürgerlichen Typs; das ständige „Verschlucken" aller Reste vorkapitalistischer Formen des Landbesitzes durch das bürgerliche Eigentum, durch den Kapitalismus, ihre Umwandlung „in die dieser 'Produktionsweise entsprechende ökonomische Form". 19 Mit der Veränderung des Charakters der gesellschaftlichen Verhältnisse und des Landeigentums wurde die Rente aus einer Form der Aneignung der Mehrarbeit der abhängigen Bauern durch den Feudalherrn zu einem Überschuß der Durchschnittsrate des Profits. Während der Manufakturperiode bildete sie sich in mehr oder weniger reiner Form in drei Wirtschaftstypen heraus, beim Pachtfarmer, beim Adel, der sein feudales Eigentum in bürgerliches umgewandelt hatte und selbständige Unternehmungswirtschaft führte, sowie beim Kapitalisten, der mit analogen Zielen Geld in den Boden investierte. Letzterer, als reiner Kapitalinvestator, findet nur bei einem ausreichend hohen Entwicklungsniveau der Industrieproduktion Verbreitung. In jedem Falle schufen hier die Lohnarbeiter direkt den Mehrwert, aus dem der Landbesitzer in der ersten Variante in Form der Pachtzahlung den Überschuß über die Durchschnittsrate des Profits, d. h. der kapitalistischen Rente zog. Diesen „radikalen Varianten" gegenüber behauptet sich eine vierte, sie begleitende und sich mit ihnen verflechtende Variante, die vom kleinbäuerlichen Landbesitzer verkörpert wird. Bei ihr erscheint „ . . . als absolute Schranke f ü r ihn als kleinen Kapitalisten... nichts als der Arbeitslohn, den er sich selbst zahlt, nach Abzug der eigentlichen Kosten". 20 In historischer Perspektive ist dies die Entwicklung des ehemaligen feudalabhängigen Bauern zum Kleinbauern der bürgerlichen Gesellschaft. Wie überall in der untersuchten Periode fanden sich direkte und „reine" Formen der bürgerlichen Agrarentwicklung verhältnismäßig selten. Vorherrschend blieb das bunte Chaos von Übergangs- und „unreinen" Formen, die durch eine Vielzahl von Pachtarten, Halbpacht usw. gekennzeichnet waren. IV. Das ist, summarisch betrachtet, die Generallinie der Genesis des Kapitalismus im Europa des Manufakturstadiums, zu Beginn der Ära des Kapitalis19 20

Ebenda, S. 630. Ebenda, S. 814.

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mus. I h r e konkret-historische Umsetzung sah jedoch nicht n u r im lokal-landeskundlichen, sondern auch im regionalen Aspekt, der f ü r unsere Fragestellung von erstrangiger Bedeutung ist, wesentlich komplizierter aus. In klassischer F o r m vollzog sich die Agrarrevolution f ü r die untersuchte Periode n u r in England, welches nach der Bestimmung von K. M a r x „in dieser Hinsicht das revolutionärste Land der Welt" ist. „Alle historisch überlieferten Verhältnisse . . . sind rücksichtslos weggefegt worden, wo sie den Bedingungen der kapitalistischen Produktion auf dem Lande widersprechen oder nicht entsprechen." 2 1 In der gleichen Richtung jedoch, w e n n auch im langsameren Tempo, verliefen der Verfall der feudalen Formen der Landwirtschaftsproduktion, die Entwicklung der Warenbeziehungen u n d die G e b u r t der bürgerlichen F a r m e r - F o r m e n der landwirtschaftlichen Produktion in solchen Ländern wie den Niederlanden und Frankreich 2 2 sowie in einigen westlichen Territorien des Heiligen Römischen Reiches. Das gestattet uns die Betrachtung des gesamten Areals als westeuropäische Region der f ü r diese Zeit progressiven bürgerlichen Entwicklung. Es versteht sich, daß damit die erheblichen Besonderheiten in jedem der a n g e f ü h r ten Länder nicht aufgehoben werden. 2 3 Anders verlief die Entwicklung in jenen Gebieten Zentral- u n d Osteuropas, in denen der spontane Verlauf einer wenn auch verlangsamten, so doch fortschreitenden ökonomischen u n d politischen Entwicklung durch besondere U m s t ä n d e äußerer oder innerer Art aufgehalten oder unterbrochen wurde. Die Erweiterung der Warenproduktion der Landwirtschaft in Verbindung mit erhöhter Nachfrage f ü r Lebensmittel und Rohstoffe seitens der den kapitalistischen Entwicklungsweg gehenden Länder Westeuropas, der juristisch ungesicherte Bodenbesitz und der persönliche Status der deutschen Bauernkolonisten, wodurch L a n d r a u b u n d massenhaftes Bauernlegen erleichtert w u r d e n , sowie die Stabilisierung der Normen des römischen Rechts w u r d e n vom Adel f ü r die Festigung der „zweiten Leibeigenschaft" genutzt. Das Wesen der „zweiten Leibeigenschaft" bestand in der Wiederherstellung bzw. im weiteren Ausbau feudaler Landgüter, gegründet auf der Fronarbeit der in die „zweite Leibeigenschaft" gepreßten Bauern. 24 Diese Landgüter w a r e n jedoch nicht so sehr auf die Sicherung des persönlichen Verbrauchs der Gutsherren gerichtet, als vielmehr auf die Produktion einer Warenmasse landwirtschaftlicher P r o d u k t e f ü r den Absatz teils auf dem inneren, hauptsächlich aber auf dem äußeren Markt. In dieser seiner Funktion h a t t e das n e u e Landgut Berührungsflächen mit Kategorien des Zerfalls der Feudalbasis. 21 2J

21 24

2*

MEW, Bd. 26, Zweiter Teil, S. 236. Mousnier, R., Les XVI et XVII siècles (Histoire générale des civilisations, t. IV, Paris 1954), S. 64-65. Skazkin, S. D., Oöerki istorii zapadnoevropejskogo krest'janstva v srednie veka. M. 1968, S. 281-284. MEW, Bd. 23, S. 250.

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Hier betrachten wir nur einige allgemein-theoretische Aspekte einer solchen Entwicklungsvariante. Eine der Erscheinungsformen der Bildung eines Systems europäischer Staaten war die internationale gesellschaftliche Arbeitsteilung, die bis dahin nur in ihrem Anfangsstadium existiert hatte. Jetzt spezialisierten sich die industriell entwickelten Länder, gestützt auf eine hohe Produktivität von Handwerk und Industrie, in der Landwirtschaft auf den Anbau arbeitsintensiver Kulturen, auf intensive Viehzucht usw. Die in ihrer Entwicklung zurückgebliebenen Länder verwandelten sich allmählich in die Agrar-Rohstoff-Peripherie der erstgenannten Länder, indem sie diese vornehmlich mit Getreide belieferten. Die geringere Produktivität der Landwirtschaft im Maßstab ganz Europas gestattete es den Gutsherrschaften mit ihrem „zivilisierte(n) Greuel der Uberarbeit" der in die „zweite Leibeigenschaft" gezwungenen Bauern, auf der Grundlage naturalwirtschaftlicher Formen der Reproduktion und einer Wirtschaftsführung ohne wesentliche Kapitalanlagen, zeitweilig erfolgreich mit der Kleinwaren- und Farmerwirtschaft des 16. bis 18. Jahrhunderts zu konkurrieren, in denen der Fortschritt der Agrikultur und Agrotechnik, das Wachstum der Arbeitsproduktivität noch gering, die Kosten jedoch bedeutend waren. Die „Preisrevolution" und die mit ihr verbundene besondere Konjunktur25, deren Mechanismus in den Ländern der „zweiten Ausgabe der Leibeigenschaft" noch ungenügend erforscht ist, brachte den getreideproduzierenden Agrarregionen gleichermaßen bestimmte zeitweilige Vorteile. Das Ergebnis war Regreß auf der ganzen Linie. In der Fronwirtschaft lag der Akzent erneut auf dem Element des außerökonomischen Zwangs, das bewegliche Eigentum polarisierte sich in der Sphäre des feudalen Landbesitzes, und der Bauer wurde zum Bestandteil der Produktionsmittel degradiert. Das bedeutete eine Kürzung der Kapitalakkumulation und des Umfangs der Ware-Geld-Beziehungen, da die Gutsherren den Gewinn überwiegend unproduktiv verwandten. Neben diesen dominierenden gab es in den verschiedenen Gebieten der Region und in unterschiedlichen Proportionen auch andere ökonomische Sektoren: die traditionelle abgabepflichtige bäuerliche Wirtschaft, die sogar in einigen Gebieten Polens, im nordwestlichen Rußland usw. vorherrschend war.26 In der Regel trug die erste Tendenz zu Ausgang der Manufakturperiode, 25

26

Vgl. Pach, Z. P., Barsöina i naemnyj trud v pomesöifi'em domenial'nom chozjajstve Vengrii v X V I - X V I I vekach, in: Voprosy istorii, No. 9, 1972, S. 94—97. Vgl. Topol'skij, I., Refeodalizacija v ekonomike krupnych zemlevladenij v Central'noj i Vostoßnoj Evrope. V Mezdunarodnyj kongress ekonomiöeskoj istorii v Leningrade, M. 1970, S. 12; Nosov, N. E., O dvuch tendencijach razvitija feodal'nogo zemlevladenija v Severo — vostoöioj Rusi v X V - X V I w . Ebenda, S. 12-13; MeleSko, V. I., Fol'varoönoe chozjajstvo v krupnych castnych i gosudarstvennych vladenjach Vostoänoj Belorussin vo vtoroj polovine XVII—XVIII w . (do vossoedinenija so Rossiej). Tezisy doklada na XII sessii Mezrespublikanskogo simpoziuma

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in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, den vollen Sieg davon. Es bleibt jedoch die Diskussionsfrage: Verkörperte die Tendenz zur Festigung des kleinbäuerlichen Eigentums einen besonderen Weg oder nur eine Übergangsetappe bei der Herausbildung der „zweiten Leibeigenschaft"? War sie nur lokale oder periphere Abweichung von der bestimmenden, die allseitig feudale Reaktion bedeutenden Generallinie der Evolution? Dabei darf nicht vergessen werden, daß das Vorhandensein und auch das Überwiegen der bäuerlichen Parzellenwirtschaft27 selbst im Kapitalismus den Verbrauch des Hauptanteils des landwirtschaftlichen Produkts durch die Produzenten, als deren unmittelbares Existenzmittel, voraussetzt „... und nur der Überschuß darüber als Ware in den Handel mit den Städten" eingeht28. Man darf auch nicht vergessen, daß sich im Prozeß der mehr oder weniger massenhaften Bauernlegungen feudalen Typs gleichzeitig eine neue soziale Schicht leibeigener Kätner, landloser Bauern und Tagelöhner herausbildete, die gewöhnlich nur ein kleines Stück Land, ein Kartoffelfeld u. ä.29 besaßen. Später begannen sich auch Großbauernwirtschaften herauszubilden. Spezifischen Charakter trug das Schicksal der italienischen Länder und Spaniens. In den am weitesten entwickelten nördlichen und zentralen Gebieten Italiens hatten die für sie ungünstigen Veränderungen der Außenhandelskonjunktur, stabilisiert durch die Verlagerung der Handelswege, welche mit der Bildung eines kapitalistischen Weltmarktes verbunden war, und der für sie tragische Ausgang der „italienischen Kriege" des 16. Jahrhunderts die Stagnation oder das Dahinvegetieren kapitalistischer Tendenzen in der Industrie, das Abfließen des Kapitals aus produktiven in unproduktive Sphären zur Folge. Es wuchsen nur mit Spanien verbundene Städte wie Neapel, Palermo, Messina.30 Dies bestimmte auch die Wege der Agrarrevolution. In der Toskana strömte die städtische Armut aus den verkümmernden Städten in die ohnehin übervölkerten und an Landhunger leidenden Dörfer, was dort wiederum zur Schaffung von Leibeigenschaftsformen der Parzellenpacht führte. „Die Arbeiter der Städte wurden massenweise aufs Land getrieben und gaben dort der nach Art des Gartenbaus betriebenen, kleinen Kultur einen

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28 M 30

po agrarnoj istorii Vostoönoj Evropy. Riga—Sigulda 1970, S. 120—122. Hinwendungen zu russischem und polnischem Material erfolgt in vorliegendem Aufsatz nur vereinzelt, insgesamt werden weder Agrarentwicklung noch der Charakter der Bauernbewegungen auf ihrer Basis untersucht. Heitz, G., Zum Charakter der „zweiten Leibeigenschaft", in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 20. Jg., 1972, S. 31, 3©. MEW, Bd. 25, S. 813. MEW, Bd. 21, S. 238, 240. Mols, R., Introduction à la démographie historique des villes d'Europe du XIV au XVIII siècle, t. II, p. 504—509, Louvain 1955.

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nie gesehenen Aufschwung".31 Savoyen und das Königreich beider Sizilien verbleiben Restgebiete der Leibeigenschaft und der feudalen Reaktion.32 In Spanien floß ein gewaltiger Strom billiger Edelmetalle aus den Kolonien im Zwischenhandel durch die Hände eines verschwenderischen und parasitären Adels, der nur Teile davon zur Schatzbildung nutzte. Der Fiskus, dem auch zahlreiches Edelmetall zugeführt wurde, war dennoch nicht in der Lage, die mit der Politik und den Kriegen um die Weltherrschaft verbundenen Ausgaben zu decken. Infolge der besonderen sozialökonomischen Struktur des spanischen Absolutismus geriet „die Aristokratie in die tiefste Erniedrigung, ohne ihre schlimmsten Privilegen zu verlieren, während die Städte ihre mittelalterliche Macht einbüßten, ohne moderne Bedeutung zu gewinnen".33 Die staatliche Zentralisierung war nur eine Zentralisierung der Oberschicht, die den faktischen politischen und wirtschaftlichen Partikularismus überdeckte. Dem entsprach auch die ökonomische Politik des spanischen Absolutismus, die allmählich die ohnedies verkümmernden Ansätze des Kapitalismus erstickte und die Versorgung der eigenen Kolonien mit den notwendigen Waren und selbst mit Lebensmitteln gewährleistete durch den Kauf dieser Waren für die Reste des kolonialen Goldes und Silbers in Ländern, die sich auf kapitalistischem Wege entwickelten. In Kastilien kauften die Granden in Ergänzung ihrer Latifundien besonders in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einen bedeutenden Teil der Kronund ehemaligen Ordensländereien auf und eigneten sich auch Gemeindeland an; sie und die Städter erlegten alle gestiegenen Steuerlasten in der Hauptsache den Bauern auf. Das Resultat war eine massenhafte Verelendung der bäuerlichen Armut bei immer größerer Konzentration des Bodens und der Erträge in den Händen der nichtproduzierenden sozialen Schichten, der Granden, des Patriziats, der Wucherer. Im Norden des Landes, in Katalonien, Aragon und Navarra, bewahrten Leibeigenschaft und separatistischer Adel starke Positionen. Unter diesen Bedingungen brachten die in Spanien sehr früh begonnene und besonders stürmisch verlaufene Preisrevolution und der Prozeß der ursprünglichen Akkumulation nur eine riesige Armee von Armen hervor, schufen jedoch sehr wenig produktives Kapital und potentielle bzw. reale kapitalistische Unternehmen weder in der Stadt, noch im Dorf. Nach vorliegenden Angaben ging in letzterem die Entwicklung nicht weiter als bis zur Herausbildung von Bezirken mit monokulturartiger Landwirtschaft in Kastilien und einigen anderen Gebieten.34 31

33 34

MEW, Bd. 23, S. 744. Istorija Itaiii, t. I, M. 1970, S. 484-485. MEW, Bd. 10, S. 440. Denisenko, N. P., Nekotorye voprosy chozjajstvennogo urovnja kastil'skoj derevni II pol. XVI v. Krasnojarskij gos. ped. institut. „Voprosy vseobäöej istorii", vyp. 2, Krasnojarsk 1972, S. 61—63, 70—74; Noel, Solomon, La campagne de Nouvelle

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Ungeachtet wesentlicher Unterschiede ist also insgesamt der Verlauf des Prozesses der Genesis des Kapitalismus in den italienischen Staaten und in Spanien der umkehrbaren Ein-Typen-Form mindestens nahestehend, was wiederum gestattet, sie bedingt zu einer gemeinsamen Mittelmeerregion zu verbinden. Skandinavien erlangte erst mit großer Verspätung ein feudales Gepräge im eigentlichen Sinne dieses Wortes, und der Feudalismus verblieb auch gegenüber dem Niveau der übrigen Länder Europas „unvollkommen". Im Kreuzungszentrum der Welthandelswege an der Ostsee war Skandinavien gleichzeitig durch enge Fäden mit dem sich formierenden Weltmarkt verknüpft. Bei der außerordentlichen Schwäche des regionalen Kapitals rekrutierten sich hier Kaufmannschaft und Unternehmerelement in bedeutendem Umfange aus naturalisierten Hanseaten und Niederländern. 35 Die bürgerliche Entwicklung von Handel und Industrie drückte in Skandinavien der ökonomisch und sozial relativ schwach feudalisierten Landwirtschaft gleichsam ihren Stempel auf. Dabei waren in den Küstenregionen Fischfang und Seefahrt mit ihren Geld-Unternehmungstendenzen seit altersher in weiter Ausdehnung entwikkelt. In Norwegen war der agrarisch-gewerbemäßige Sektor noch stärker entwickelt als in Schweden.36 Aus diesen Gründen hatte die gesamte sozialökonomische Entwicklung der skandinavischen Region ein sehr spezifisches Gepräge. V. Dies ist der Charakter jener vier Regionen Europas, die uns in Zusammenhang mit dem gestellten Problem, der Klärung grundlegender Regionaltypen

35

36

Castile à la fin du VXIC siècle, d'après les Relations topographique. Paris 1864. passim. Die bedeutendsten holländischen Financiers, Produzenten und Waffenhändler Louis de Geer, Elias Trip und Steffen Gerard, De Besehe u. a. beuteten in Schweden Kupfer- und Eisenbergwerke aus, bauten dort große metallurgische Komplexe, lieferten große Warenmengen von Waffen und gaben Gustav Adolf Anleihen. Der Einwanderer aus Liège (Lüttich) Marcus de Kock gründete im Jahre 1650 in dem kleinen Ort Avesta einen für jene Zeit einmaligen Industriekomplex, der aus einer Kupferschmelze, einer Schmiede, Einrichtungen zur Kupferraffinerie und zum Géldprâgen, einer Abteilung zur Herstellung von Nägeln, einem kleinen Sägewerk und einer Mühle bestand. Dank solcher Unternehmer nahm Schweden in der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts den führenden Platz in der europäischen Metallurgie ein. Vgl. Barbour, V., Capitalism in Amsterdam in the Seventeenth Century, Baltimore 1950, p. 36—39, 111—112; Yernaux, J„ Mathy, Maurice, Une famille de pionniers industriel wallons au XVII e siècle: les Kock de Limbourg. In : Bulletin de la Classe des Lettres et des sciences morales et politiques", Académie royale de Belgique, 5 e Serie, t. XLVI, Bruxelles 1960, S. 94-96. Gurevic, A. Ja., Osnovnye étapy social'no-ékonomiceskoj istorii norvezskogo krest'janstva v XIII-XVII w . , „Srednie veka", vyp. XVI. M. 1954, S. 67-72.

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der Bauernbewegungen in der Manufakturperiode, interessieren. Dieses Problem zieht in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit sowohl bürgerlicher Wissenschaftler als auch marxistischer Historiker auf sich. Die Forschungstraditionen in dieser Richtung sind solide, namentlich in der DDR, wo eine sehr umfangreiche und qualifizierte Literatur zur Geschichte des Deutschen Bauernkrieges 1524—1525 geschaffen wurde. Der Geschichte der Bauernbewegungen in Rußland war ein wesentlicher Teil der Kaunaser Session des Interrepublikanischen Symposiums zu Fragen der Agrargeschichte Osteuropas im Jahre 1971 gewidmet. 37 Im Jahre 1973 wurde in der Ungarischen Volksrepublik ein Internationales Symposium zur Geschichte des Bauernaufstandes unter Führung von György Dozsa 1514 in Ungarn durchgeführt. 38 Der Geschichte der Klassenkämpfe in der Periode des Spätfeudalismus war schließlich ein Internationales Symposium im Dezember 1971 in Prag gewidmet. 35 Im Verlauf der Arbeit dieses Symposiums wurden auch verschiedene Varianten zur Typisierung von Bauernbewegung, Bauernaufständen und -kriegen sowohl unter dem Aspekt der zentral-osteuropäischen Region als auch unter vergleichend-historischem allgemeineuropäischem Aspekt vorgelegt. Ein solcher, insgesamt wertvoller Versuch wurde insbesondere im Vortrag von Dr. E. Maur unternommen. Das Wesen der von ihm vorgeschlagenen Konzeption läßt sich in Folgendem ausdrücken. Wie besonders in Böhmen, so auch insgesamt in Zentraleuropa zeigte sich bei der dort vorherrschenden Bedeutung der Guts-Leibeigenschafts-Ordnung, in der der Feudalherr neben der Wahrnehmung von Verwaltungs- und Gerichtsrechten nicht selten auch die Einnahme der staatlichen Steuern von seinen Bauern vornahm, der Antagonismus zwischen dem leibeigenen Bauern und dem Gutsherrn in seiner markanten, personifizierten Form. Die Bauernunruhen und -aufstände tragen in Böhmen im 16. bis 18. Jahrhundert deshalb in der Regel, mit Ausnahme der Periode des 30jährigen Krieges mit seinen religiösen, militärpolitischen und Befreiungs„vorwänden", begrenzt lokalen Charakter, bleiben gewöhnlich im Rahmen eines Gutes und sind ohne irgendwelche klar formulierten Programme. Am häufigsten richtete sich der Protest gegen Einführung oder Erweiterung der Frondienste, Landraub, Mißbrauch beim Steuereinziehen, nicht aber gegen Kirche, Leibeigenschaftssystem als solches, nicht gegen die königliche Gewalt. Mehr noch, letztere, die aus fiskalischen Erwägungen mitunter Landraub der Gutsherren aufhob, bemühte sich gleichzeitig, die Rolle eines „leidenschaftslosen Schiedsrichters" in den Auseinandersetzungen zwischen Bauern und Gutsherren zu 3/ 38 39

Vgl. Tezisy dokladov i soobäöenij XIII sessii Mezrespublikanskogo simpoziuma po agrarnoj istorii Vostoönoj Evropy, M. 1971. Vgl. Vortrag Pach, 2. P., Krest'janskoe vosstanie 1514 goda i „vtoroe zakreposcenie krest'jan" (1974). Ein kurzer Überblick davon siehe Cistozvonov, A. N., Simpozium po Probleme klassovoj bor'by v period pozdnego srednevekov'ja v Evrope. — „Sovetskoe slavjanovedenie", No. 5, 1972, S. 117-118.

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spielen mit dem Ziel der Schaffung eines Gegengewichtes zur Frondierung letzterer, besonders in Gewalt ihrer „nationalen" Fraktionen (der tschechischen, ungarischen usw.). Von daher rühren die besonderen „proköniglichen Sympathien" und die schwache Basis für ausgedehnte oder gar gesamtnationale Bauernaufstände. In der Hauptsache waren dies auch die Ursachen dafür, daß selbst in den österreichischen Ländern, insbesondere in Oberösterreich 1595—1597, der Bauernaufstand nur Teilforderungen, nur einzelne Güter betreffend, geltend machte und der Aufstand von 1680, ungeachtet seines Ausmaßes, sich nur als eine Kette von lokalen Meutereien ohne gemeinsames Programm darstellte. Die Lage verändert sich erst zu Ende des 18. Jahrhunderts, als die Krise des Systems heranreifte, die von einem Teil des der Krone gegenüber oppositionellen Adels erkannt wurde. Aber auch da erweisen sich die Bauernunruhen, die besser organisiert und „programmiert" waren, als mit promonarchistischen Tendenzen verbunden, da die direkte Gegenüberstellung von Gutsherr und leibeigenem Bauern dominierender Faktor bleibt. Was die Länder Westeuropas betrifft, so unterstreicht E. Maur vor allem den besonderen Charakter ihrer Agrarstruktur, in der die seigneuriale Ordnung mit den ihr eigenen feudalen Rentenverhältnissen und der horizontalen sowie vertikalen Teilung feudaler Grundleistungen zwischen einer ganzen Gruppe von Seigneurs die Schlüsselpositionen einnahm. In Ubereinstimmung dazu haben die Geldrente, der Erbzins, die Halbpacht und die Pacht den führenden Platz im bäuerlichen Sektor. Die Bauernaufstände in Frankreich waren am häufigsten gegen die Steuerausplünderung gerichtet und genossen das Wohlwollen und die Unterstützung der Stadtbewohner, zeitweilig sogar des Adels. Königstreue Illusionen waren auch hier verbreitet, denn die Aufständischen wählten mitunter als Losung „Es lebe der König, nieder mit den Steuern." Die Bauernaufstände des 16. bis 18. Jahrhunderts waren auch in England nicht isoliert, und die Programme der Aufständischen forderten die Rückkehr zu den Verhältnissen des 15. Jahrhunderts. Eine deutlich soziale Akzentuierung erhalten die Bauernaufstände erst in der Periode der Revolution.40 In der von E. Maur vorgeschlagenen vergleichend-historischen Typisierung der Bauernbewegungen ist eine gute Grundlage gegeben, nämlich die als Ausgangsprinzip verwandte Struktur des feudalen Eigentums der Bodenverhältnisse. In diesem Teil steht seine Auffassung ohne Zweifel auf festem Boden. Jedoch müssen außer den vom Autor hervorgehobenen Faktoren noch eine Reihe anderer berücksichtigt werden, besonders für jenen Teil, der sich auf die westeuropäischen und die übrigen Regionen bezieht, wie gleichermaßen einige allgemeine Momente. Vor allem muß der qualitative Unterschied zwischen den Bauernaufständen der Manufakturperiode bis zu den bürgerlichen Revolutionen dieser Zeit in diesem oder jenem Land, bzw. nach 40

Dieses Moment wird auch von Saprykin,

Ju. M., a. a. O., S. 181 hervorgehoben.

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der Niederlage solcher Versuche, und der Bauernbewegungen im Rahmen der bürgerlichen Revolutionen beachtet werden. Die erstgenannten erkämpften nur teilweise und im lokalen Rahmen Verbesserungen gegen die feudale Ausbeutung. Die ursprüngliche Akkumulation konnten sie nicht mehr rückgängig machen. Die zweiten waren organische Bestandteile der bürgerlichen Revolution, obwohl sie in der Hauptsache die destruktive Aufgabe der Vernichtung des Feudalismus, der Monarchie, der Mittelalterlichkeit als solche übernommen hatten 41 . Sie wurden bereits früher von uns untersucht und wurden deshalb hier nur erwähnt. 42 Für die Einschätzung des Typs der Bauernbewegungen erscheint es notwendig, zu berücksichtigen, ob die umkehrbare oder nichtumkehrbare Variante der Genesis des Kapitalismus in dem einen oder anderen Lande bzw. in einer Region die Oberhand gewinnt. Wenn die Frage der „Refeudalisierung" gestellt wird, muß man ebenso, zumal für die Agrarsphäre, Nachweise dafür haben, daß in dem untersuchten Land oder in der Region bis dahin ein Prozeß der „Defeudalisierung" 43 vorgelegen hatte. Erfolge der Entwicklung der einfachen Warenwirtschaft, die die Naturalgrundlage und erweiterte Reproduktion nicht berühren, können nach unserer Auffassung nicht in den Begriff „Refeudalisierung" einbezogen werden. Versuchen wir nun in allgemeinsten Zügen die Regionaltypen der Bauernaufstände des 16. bis 18. Jahrhunderts zu skizzieren. Die These von E. Maur hinsichtlich der Tendenz zum Bündnis und später zum Zusammenfluß von bäuerlichen bzw. Volksbewegungen insgesamt mit Bewegungen des Bürgertums als ein Kriterium, das für die Länder der westeuropäischen Region typisch erscheint, ist im großen und ganzen richtig. Konkret-historisch realisierte sich die These jedoch sowohl in der Zeit als auch im Raum verschiedenartig, und der Prozeß, der in gewisser Weise die Einheit von Anziehung und Abstoß der Interessen von Bürgertum und Bauernschaft darstellte, verlief zick-zack-ähnlich. Die bereits wirksame soziale Differenzierung der Bauernschaft spielte dabei eine ständig anwachsende Rolle. Sehr große Bedeutung erhielt dabei das Phänomen, daß „von vornherein, wenigstens seit Heraufgekommensein der Städte, die französische Bourgeoisie zu sehr dadurch an Einfluß gewinnt, daß sie sich als Parlament, Bureaukratie etc. konstituiert, und nicht wie in England durch bloßen commerce und industrie." 44 „Klassisch" ist die Variante der ursprünglichen Akkumulation und Agrarrevolution in England, in deren Verlauf der Löwenanteil des Landraubs auf 41 42

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Lenin, W. I., Werke, Bd. 27, S. 230. Cistozvonov, T. N., O stadiaFno-regionaPnom izuienii burzuaznych revoljucij XVI—XVIII vekov v Evrope. — „Novaja i novejsaja istorija", No. 2, 1973. Vgl. Topol'skij, E., Refeodalizacija v ekonomike krupnych zemlevladenij v Central'noj i Vostoinoj Evrope; Heitz, G., Zum Charakter der „zweiten Leibeigenschaft", a. a, O., S. 24. MEW, Bd. 28, S. 382.

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die Hocharistokratie entfiel; das f ü h r t e zu einer entschiedenen Verschärfung des Klassenkampfes der englischen Bauernschaft, welche besitzmäßig bereits grundlegend differenziert war. Die Bauernaufstände waren direkt gegen das Einhegen, gegen die Umwandlung des Freeholders in den Copyholder und gegen die Rentenerhöhung gerichtet. Der Aufstand von 1549 unter der Führung von Robert Kett brachte diese Generallinie des Kampfes am klarsten zum Ausdruck. Sehr charakteristisch ist jedoch, daß sein Programm keine Liquidierung der Feudalverhältnisse vorsah, und daß sich Gruppen der kleinen und mittleren Gentry mit dem Aufstand verbanden, die damit unzufrieden waren, daß die großen Landlords den Hauptnutzen aus dem Einhegen zögen. 45 Die ärmsten Schichten der Aufständischen riefen zur Vernichtung aller Adligen und zur Herstellung von Gemeinbesitz auf, im Programm aber und in der Praxis sah dies alles wesentlich gemäßigter aus. Nicht ohne die Hilfe des städtischen Plebs gelang es den Truppen Ketts, die Stadt Norrigde zu nehmen. Es gab aber auch Bauernaufstände gegen die Säkularisierung und den Ausverkauf der Klösterländereien, so besonders in Lincolnshire 1536 bis 1537, die f ü r die Bauern eine Verschlechterung ihres grundrechtlichen Status oder gar die Expropriation mit sich brachten. 46 Mehr noch, die bäuerlichplebejischen Massen Nordenglands ließen sich im Jahre 1569 in den A u f r u h r der reaktionär-katholischen Aristokratie um die Thronbesteigung Maria Stuarts hineinziehen. In den 90er Jahren des 16. Jahrhunderts ist in England erneut eine Welle von Bauernbewegungen gegen das Einhegen, gegen die Steuern und f ü r die Liquidierung der adligen Einheger zu verzeichnen. Der Beginn und die 30er bis 40er J a h r e des 17. Jahrhunderts waren von neuen Bauernaufständen gegen das Einhegen und die Besitzergreifung des Gemeindelandes durch die Landlords geprägt. 47 In dieser Zeit formierte sich endgültig die Opposition des Bürgertums und des neuen Adels unter dem ideologischen Banner des Calvinismus gegen den Absolutismus der Stuarts, der zum Angriff auf alle Keime des Kapitalismus überging. Der Kapitalismus hatte jedoch in England bereits eine solche K r a f t erlangt, daß er sich den Sektor der kleinen Warenproduktion einschließlich der dörflichen Ökonomik in bedeutendem Umfange untergeordnet hatte. Die Schläge gegen den Kapitalismus trafen deshalb sowohl die Warenwirtschaft, als auch Erwerbszweige der Bauern, und die Schutzherrschaft der reaktionären Feudalaristokratie begünstigte die Zunahme ihrer Willkür gegenüber 45

46 47

Dieser Kampf der Gentry um den Boden dauerte anderthalb Jahrhunderte und war von Erfolg gekrönt. Nach Schätzungen Harringtons besaßen sie um 1650 bereits 9/10 allen Bodens. Saprykin, Ju.M., a.a.O., S. 153; Konradi, A., Istorija revolujcii, 1.1, S. 180-181, 230-231. Vgl. Saprykin, Ju. M., a. a. O., S. 181. Anglijskaja burzuaznaja revoljucija XVII veka. Pod redakciej Kosminskogo, E. A. i Levickogo, Ja. A., M. 1954, 1.1, S. 102; Konradi, A., a.a.O., 1.1, S. 180-181, 230.

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den Bauern.48 So wurde unter den Bedingungen der politischen Krise der Boden für die bürgerliche Revolution in England vorbereitet. In ihrem Verlauf spielte die Bauernschaft die Rolle der Hauptstoßkraft, historisch jedoch war sie dazu verurteilt, sich in einer Lage zwischen Hammer und Amboß zu befinden und gegen Ende des 18. Jahrhunderts in ihrer bisherigen Form liquidiert zu werden. In den Niederlanden, die ein „Land der Städte" und des Überwiegens des Handelskapitals waren, stellte die Bauernschaft seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts keine große sozialpolitische Kraft dar. In den größten und ihrem Inhalt nach sehr komplizierten Klassenkämpfen der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, der Bewegung der revolutionären Anabaptisten in den nördlichen Provinzen in den Jahren 1534—1535 und des Genter Aufstandes 1539 bis 1540 spielte sie überhaupt nur eine zweitrangige Rolle. Im ersten Falle hatten die anabaptistischen Emissäre den größten Erfolg entweder in Gebieten mit großen historischen Traditionen des antifeudalen Kampfes einer seit altersher freien und mit großer Verspätung hörig gewordenen Bauernschaft, wie Kennemerlant und Westfriesland, oder in Gebieten mit starker Entwicklung von Handwerk, Handel und Gewerbe wie Amsterlant und Waterlant. Im zweiten Falle waren die offenen, total bewaffneten Kundgebungen der Bauern Flanderns durch den sich ursprünglich als gegen die Steuern gerichtet entwickelnden Aufstand von Gent und der Städte dieses „Viertels" verursacht.49 Insgesamt war es eine Mischung des Aufstandes gegen die etablierte reaktionäre Politik des fremdländischen Absolutismus, gegen die Willkür der im örtlichen wie im städtischen Bereich Herrschenden und jener Nöte, die der Prozeß der ursprünglichen Akkumulation mit sich brachte; wenn man jedoch ins Detail geht, dann sieht das Bild wesentlich komplizierter aus. An beiden Bewegungen, insbesondere in ihren ersten Etappen, nahmen städtisches Bürgertum, die Masse der Zunfthandwerker und die plebejischen Kräfte teil, aber das Bündnis dieser Kräfte war instabil und nicht konfliktlos. Noch komplizierter war die Position der Bauernschaft in der Periode der niederländischen Revolution, während derer die herrschende Kaufmannschaft mit ihrer Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Bauernschaft, die egoistische partikularistische Politik der Städte, die Räubereien der Söldnerarmeen und Spanier sowie der Generalstaaten nicht selten die Bauernschaft der verschiedenen Territorien nicht nur neutralisierten, sondern sie auf den Weg des Abfindens mit der spanischen Herrschaft, auf den Weg der spontanen Rebellionen „gegen alle" brachten. Offensichtlich deshalb blieb auch der

' Konradi, A., a. a. O., 1.1, S. 182-183, 185-189, 231-233. Vgl. Cistozvonov, A.N., Gentskoe vosstanie 1539-1540 gg., M. 1957, S. 1631-171; derselbe, Reformacionnoe dviäenie i klassovaja bor'ba v Niderlandach v pervoj polovine XVI v., M. 1964, S. 267-282, 370-371.

/ fl 7,9

Die Genesis des Kapitalismus

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Hauptteil der Bauernschaft nicht nur der südlichen, sondern auch der nördlichen Gebiete der Niederlande dem Katholizismus verbunden.50 In Frankreich, dem Lande des klassischen Absolutismus und der Steuerausplünderung, von deren Einkünften die königliche Gewalt den Löwenanteil erhielt, den sie zwar in verschiedene Kanäle, im ganzen jedoch zum Nutzen des parasitären französischen Adels, umverteilte, waren die Beziehungen zwischen Bauernschaft und Bürgertum außerordentlich kompliziert und verworren, und ihre Haupttendenz war die einer allmählichen, lange Zeit in Anspruch nehmende Annäherung. Das tiefe Eindringen des französischen Bürgertums in den bürokratischen Apparat des Absolutismus, seine wenn auch nur teilweise Evolution in eine „noblesse de robe", die Verwandlung seiner Oberschicht in blutsaugende Pächter, das Eindringen von Kapital ins Dorf vornehmlich in seiner Wucherform, als Hypothek und Wucherzinsen, all dies mußte Bauer und Bürger trennen und trennte sie. Die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts brachte nicht wenige Fälle von Bauernunruhen und -aufständen hervor, die sich gegen die Steuern richteten; der gewaltigste von ihnen erfaßte im Jahre 1548 eine Reihe von Provinzen im Südwesten Frankreichs. Zielscheibe waren dabei gewöhnlich die bürgerlichen Pächter und Steuereinnehmer. Die Bürgerkriege der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die Verbreitung des Calvinismus unter der Bauernschaft im Südwesten des Landes, die Kriegsverwüstungen und der zwischen den Hofcliquen entbrannte Kampf, die Verstärkung des Partikularismus und Separatismus einzelner Städte und Provinzen komplizierten die Situation in einem solchen Grade, daß es sehr schwierig ist, irgendwelche Versuche einer Typisierung der Bauernaufstände dieser Zeit zu unternehmen. Als typisch läßt sich dennoch der Aufstand der „Croquants" im Südwesten Frankreichs betrachten, der eine eigenartige Empörung der Bauern gegen jede Macht und Gewalt der Besitzenden, des Adels und der Pächter, der Steuereinnehmer und Vertreter der örtlichen Macht darstellte. Nichtsdestoweniger läßt sich zumindest der Fakt konstatieren, daß das Ende des Bürgerkrieges in Frankreich nicht von feudaler Reaktion in der Sphäre der Agrarverhältnisse begleitet wurde. Die bereits stabilisierte Ordnung der französischen Seigneurie blieb im wesentlichen die gleiche, und die Tendenz zur Festigung der ökonomischen Rolle der Bauernwirtschaft erhielt eine gewisse, wenn auch nicht bedeutende und demagogisch aufgemachte Unterstützung in den Jahren der Herrschaft Heinrich IV.51 Die Stabilisierung des Absolutismus im 17. Jahrhundert, neuer Steuer- und Seigneurialdruck auf die Bauernschaft52, der sich besonders nach dem Eintritt 50

51 52

Cistozvonov, A. N., Krest'janskie dvizenija v period Niderlondskoj revoljucii. — „Srednie veka", vyp. M. 1953, S. 181-209, Ljublinskaja, A. D., Francija v nacale XVII veka 1610—1620 gg., Leningrad 1959, S. 94-101. Mousnier, R., a. a. O., S. 154—155.

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Frankreichs in den 30jährigen Krieg verstärkte, rief in den Jahren 1624-1639 eine ganze Serie vornehmlich gegen die Steuern gerichteter Bauernaufstände hervor; ihre Verbindungen mit dem bürgerlichen Element lassen sich deutlich jedoch nur zur Zeit des Aufstandes der „Barfüßigen" in der Normandie 1639 verfolgen. In der Mitte des 17. Jahrhunderts zieht die Fronde die Bauernschaft in ihren Kreis, die jedoch zersplittert, spontan auftritt und sich häufig als in die Ränke dieser oder jener widerstreitenden aristokratischen Oppositionsgruppen hineingezogen erweist. Eine irgendwie stabile Verbindung mit dem bürgerlichen Element läßt sich nicht nachweisen.53 Der Aufstand der Camisarden in den Jahren 1703—1705 ist gewissermaßen das abschließende Ergebnis des Typs der Bauernaufstände im Frankreich des 16. bis 18. Jahrhunderts. Die gegen die Steuern, gegen die Seigneurie und gegen den Absolutismus gerichteten Traditionen verbinden sich mit calvinistisch-hugenottischen Traditionen bis hin zum politischen Separatismus mit der antifranzösischen Koalition, die sich im Verlauf des Krieges um das spanische Erbe in den Jahren 1702-1705 herausgebildet hatte. Die Hauptforderungen der Camisarden waren: Einstellung der religiösen Repressalien, Abschaffung „ungerechter" Steuern und Liquidierung des Despotismus. Bestimmte Beziehungen mit den Städten und dem Bürger waren bei den Camisarden vorhanden, dank derer sie einen Teil der von ihnen benötigten Waffen und Munition erlangten, doch ihre sektiererische Unduldsamkeit bewog ihre Brüder, die katholischen Bauern, sich von ihnen abzuwenden.54 Einen Einschnitt stellte diese Zeit auch in der Geschichte des französischen Absolutismus dar, der in das Stadium seines Niederganges eintrat, des Ubergangs von der Zentralisierung zur Dezentralisierung, von der — wenn auch eigennützigen — Protektion der Bourgeoisie zu ihrer Unterdrückung im Bund mit dem reaktionären Feudaladel.55 Auf dem in Frankreich erreichten bürgerlichen Entwicklungsniveau versetzte diese Politik zugleich dem gefestigten Sektor der kleinbäuerlichen Warenproduktion Schläge und bedrohte nicht nur den Zinsbauern oder Pächter mit Verarmung, sondern auch das am Gewinn teilhabende Wucherbürgertum. Unter diesen Bedingungen waren die Bauernaufstände in Frankreich im 18. Jahrhundert, die Hungerrebellionen in der Normandie von 1752-1768, der gegen die Steuern und gegen die Seigneurie gerichtete Aufstand der „Masquaten" in Vivare und Geroudane, bereits Prolog der Klassenschlachten der künftigen Revolution, „ . . . die den großen Grundbesitz durch die Parzellierung vernichtete."56 53

54

55 56

Porinev, B. F., Francija, anglijskaja revoljucija i evropejskaja politika v seredine XVII v., M. 1970, S. 145-153. Vgl. Koroboöko, A., Vosstanie kamizarov 1703—1705 gg. — „Srednie veka", vyp. III, 1951. MEW, Bd. 4, S. 347. MEW, Bd. 7, S. 210.

Die Genesis des Kapitalismus

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Namentlich eine solche Variante entsprach den Interessen der französischen Bourgeoisie, die das Wucherkapital und Hypotheken besaß, sowie der verbürgerlichten bäuerlichen Oberschicht. Was gewährleistete nun in Frankreich und in anderen Ländern der westeuropäischen Region die allmähliche Annäherung des Klassenkampfes der Bauernschaft an das bürgerliche Element? Wie die historische Erfahrung zeigt, bildeten in bedeutendem, wenn nicht entscheidendem Maße das Niveau der kapitalistischen Entwicklung und der entsprechende Grad der Unterordnung der einfachen Warenproduktion im Kapitalismus das ökonomische Kriterium für die soziale Differenzierung der Bauernschaft. Die spezifische Ordnung der westeuropäischen Seigneurie und die erhöhte Rolle der zentralisierten Feudalrente in Form ständig angestiegener Steuerbelastung, die Willkür der absolutistischen Gewalt, ersetzten den Gegensatz des Leibeigenen zum Feudalherrn durch den Gegensatz des feudalabhängigen Zinsbauem oder Pächters zur feudal-absolutistischen Ordnung in ihrer Gesamtheit. In der zentral-osteuropäischen Region war der Typ der Bauernbewegungen des 17. und 18. Jahrhunderts ein anderer. Nach der Niederlage des Hussitismus und des Bauernkriegs von 1514 in Ungarn gewann der Kurs auf Festigung der Feudalreaktion die Oberhand.57 Abschließender Schlag war die Niederlage der Reformation und des deutschen Bauernkrieges 1517-1525, die ihrem objektiven Inhalt nach mißglückte Versuche einer Verwirklichung der bürgerlichen Revolution darstellten. Danach trennten sich die Wege der Bauernschaft und des dahinvegetierenden konservativen Bürgertums in derf Herrschaftszonen der Leibeigenschaftsordnung, die Aktivität des Klassenkampfes der Bauernschaft in den deutschen Ländern ging stark zurück. Während des Aufstandes in Oberösterreich 1595—1597 trat das Bürgertum der privilegierten Städte Steyer und Freistadt gegen die aufständischen Bauern auf.58 Isoliert blieben die Bauernunruhen in Böhmen in der ersten Periode des 30jährigen Krieges, und die Niederlage des tschechischen Heeres in der Schlacht am Weißen Berg 1620 entfesselte endgültig die Kräfte der feudalen Reaktion. Die folgenden zersplitterten Bauernempörungen in Böhmen, Österreich und den deutschen Ländern wurden ohne Mühe von den Heerestruppen unterdrückt, ebenso wie die Meutereien zu Ende des 30jährigen Krieges. Für den Ausgang des Krieges bemerkt Friedrich Engels: „am elendesten aber war wieder der Bauer".59 57

58

59

Vgl. Rubcov, B. T., Gusitskie vojny, S. 313; Doklady naucnoj sessii 1972 g. o vosstanii 1514 g. Sjuö, Ene, Ideologija krest'janskoj vojny 1514 g., S. 5—8, 11—12, 31—34, 38—39, 50—53; Varga, Ja., Uregulirovanie zemel'nych otnoäenij krepostnych krest'jan posle podavlenija krest'janskogo vosstanija, S. 1—3. Samochina, N. N., Feodal'naja reakcija v Avstrii vo vtoroj polovine XVI v. i krest'janskoe vosstanie 1595—1597 gg. — „Srednie veka", vyp. V, M. 1954, S. 104 bis 105. MEW, Bd.. 19, S. 328.

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Das bedeutet nicht, daß alle Bauernaufstände vergeblich und ohne Resultat gewesen sind. Sie zeigten bisweilen diese oder jene Erfolge im lokalen Maßstab, in erster Linie in den schwerzugänglichen Bergzonen sowie in Zonen mit Überwiegen der Produkten- und Geldrente. So hatten die Bauernaufstände in Oberösterreich während der Periode des 30jährigen Krieges die Festlegung einer 14tägigen Fron im Jahr, wie sie im Interim von 1597 festgelegt worden war, zur Folge, was jedoch später nicht von den Feudalen eingehalten wurde.60 Eine Ausnahme stellen Polen und Rußland dar, wo das 17. und 18. Jahrhundert von einer Reihe mächtiger Bauernaufstände geprägt waren. Dies ist aber ein Thema f ü r eine gesonderte Untersuchung. In der Mittelmeerregion, in dem durch Eroberer geteilten Italien, war das Jahr 1647 durch mächtige Bauernbewegungen unter den Losungen der Steuerabschaffung, der Vertreibung der spanischen Machthaber und ihrer Günstlinge sowie der Gleichheit gekennzeichnet. Zur gleichen Zeit entbrannte in Neapel und seiner ländlichen Umgebung ein gewaltiger Aufstand unter Führung des Fischers Masaniello gegen die Steuererhöhungen und die spanische Despotie. In beiden Fällen jedoch unterstützten die reichen Städter die Bauern nicht, sie erwiesen im Gegenteil den spanischen Machthabern und Truppen direkte Hilfe bei ihrer Unterdrückung. 61 In Spanien zeigte schon der Aufstand der Communeros in den Jahren 1520 bis 1522, daß die Städte die Forderungen der kastilischen Bauernschaft nicht energisch unterstützten und die Widersprüche zwischen dem Stadtadel, den Granden und Hidalgos stärker waren als ihre Feindschaft gegenüber der absolutistischen Tyrannei. Ein solches in seiner Grundlage gleiches Verhältnis der Klassenkräfte zeigte sich auch in den gleichzeitigen Bauernaufständen der Umgebung der Stadt Valencia und auf der Insel Mallorca, wo die Bauern ebenfalls Forderungen nach Gleichheit stellten.62 Der Aufstand in Katalonien in den Jahren von 1640—1653 zog unter seinen Teilnehmern eine scharfe Grenzlinie. Adlige und städtische Oberschicht kämpften für die Erhaltung ihrer mittelalterlichen Freiheiten und Privilegien, f ü r die Abtrennung Kataloniens von Spanien, sogar um den Preis seiner Unterordnung unter Frankreich. Die Bauern jedoch und der städtische Plebs hatten, ähnlich ihren Klassenbrüdern „Zemenses" im 15. Jahrhundert, ihre Rechnungen mit den Reichen und Feudalen zu begleichen, und die in Katalonien eingedrungenen und wie gewöhnlich marodierenden Franzosen galten für sie als Eroberer. Die Spaltung der Bewegung bedingte ihre Niederlage.33 Der ganze Zyklus von Aufständen des 17. Jahrhunderts erhob keine Forderungen, die hinausgegangen wären über die traditionellen wie Gleichheit bzw. Vernichtung der Feudalen, weniger als Ausbeuterklasse, als vielmehr 60 61 62 63

Samochina, N. N., a. a. O., S. 110. Istorija Itaiii, 1.1, M. 1970, S. 494-495. Al'tamira-i-Krevea, R., Istorija Ispanii, t. II, M. 1951, S. 23—35. Ebenda, t. II, S. 102-107; Hilton, R., a. a. O., S. 125, 130,133.

Die Genesis des Kapitalismus

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als „Verräter der gemeinsamen Sache", als den spanischen (im Königreich beider Sizilien) oder französischen (in Katalonien) Helfershelfern. Verbindungen der Bauernaufstände mit den Städten lassen sich nachweisen, aber es waren dies Verbindungen mittelalterlichen, nicht bürgerlichen Charakters. Das in den deutschen Ländern, Böhmen und teilweise Frankreich so stark ausgeprägte konfessionelle Moment fehlt häufig vollständig. Insgesamt ist es ein Kampf um die Erhaltung oder die Rückkehr zum Alten, für Begrenzung des Ausbeutungsgrades, nicht jedoch für die Liquidierung des Feudalismus als ganzen, nicht für neue bürgerliche Entwicklungen. Die skandinavische Region bietet einen besonderen Typ der Bauernbewegungen, in dem bewaffneter Widerstand den Tendenzen zur Verstärkung der feudalen, steuerlichen und Beamtenunterdrückung entgegensteht; diese Tendenzen fielen zeitlich zwar mit der Konstituierung der „zweiten Leibeigenschaft" zusammen, entsprachen ihrem Wesen nach jedoch der Vollendung des in diesen Ländern mit erheblicher Verspätung einsetzenden Feudalisierungsprozesses. Die Verflechtung dieser Tendenzen läßt sich deutlich in den Bauernaufständen der zweiten Hälfte der Herrschaft Gustav Wasas, am „Keulenkrieg" der Jahre 1596 und 1597 in Finnland und in den antifeudalen Bauernaufständen der 40er Jahre des 17. Jahrhunderts in Schweden verfolgen.64 Der Beginn der Genesis des Kapitalismus, der vornehmlich mit dem 17. Jahrhundert verbunden ist, die breite Entwicklung von Fischfang, Seefahrt, Waldwirtschaft und anderen Gewerbezweigen unter der Bauernschaft, sowie die Einbeziehung Schwedens und Norwegens in den kapitalistischen Weltmarkt verliehen der Bauernbewegung objektiv einen „probürgerlichen" Charakter. Die allgemeine Verzögerung der Entwicklung unter den Bedingungen der hervorgehobenen Spezifik eröffnete objektiv der Evolution mehr Möglichkeiten als der Revolution. Das Bürgertum der skandinavischen Länder war in der untersuchten Periode zahlenmäßig nicht stark und vorläufig noch genügend fest der königlichen Macht verbunden. Das Vorhandensein einer bedeutenden Zwischenschicht freier Bauern und folglich auch freier Arbeitskraft machte sie nicht besonders empfindsam gegenüber der Verstärkung feudal-leibeigenschaftlicher Tendenzen, die für das 17. Jahrhundert charakteristisch waren. Die Bauernunruhen blieben darum sozial und politisch isoliert, sie wurden zeitweilig von den kämpfenden Gruppierungen der herrschenden Klasse für ihre Interessen genutzt. Selbst im Falle von Erfolgen lösten sie nur lokale oder Teilfragen. Insgesamt konnte die Bauernschaft die Aufgaben der revolutionären Niederringung des Feudalismus im Rahmen der untersuchten Periode nur im Verlauf der bürgerlichen Revolution der Manufakturperiode erfolgreich lösen, 64

Evseev, V. Ja., Krest'janskoe vosstanie „dubinnaija vojna" i flnskoe narodnoe tvoriestvo. Skandinavskij sbornik, III, Tallin 1957; Kan, A. S., Antifeodal'nye vystuplenija ävedskogo krest'janstva v XVII veke. — „Srednie veka", vyp. VI, M. 1955, S. 235—243; vgl. derselbe, Social'no-ekonomiöeskaja Charakteristika ävedskoj derevni pervoj poloviny XVII v., — „Srednie veka", vyp. IX, M. 1957..

3 Der Bauer

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und zwar mit für sie unterschiedlichen Folgen. Dies zeigte sich besonders klar in der englischen bzw. französischen Variante, denen der revolutionäre Sieg des Kapitalismus gemeinsam ist, während die Folgen im Detail sehr spezifisch sind. „Alle Versuche des Kleinbürgertums im allgemeinen und der Bauern im besonderen, sich ihrer Kraft bewußt zu werden, die Wirtschaft und Politik nach ihrem Willen zu lenken, endeten mit einem Fiasko. Entweder unter Führung des Proletariats oder unter Führung der Kapitalisten — ein Mittelding gibt es nicht."66 Es ist ganz offensichtlich, daß für die Manufakturperiode nur die zweite Möglichkeit existierte, die nur in den Ländern der westeuropäischen Region verwirklicht wurde. So stellt sich in den allgemeinsten Zügen die Problemstellung hinsichtlich der Regionaltypen der Bauernbewegungen in Europa im 16. bis 18. Jahrhundert dar. Ein ausführliches und fundiertes Panorama dieses Problems ist Aufgabe künftiger Spezialuntersuchungen und verallgemeinernder Arbeiten. Nichtsdestoweniger läßt sich konstatieren, daß der bloße zeitliche Zusammenfall der bäuerlichen und der bäuerlich-plebejischen Kundgebungen in der untersuchten Periode und in den unterschiedlichen Regionen und Ländern nicht a priori als ein organischer Komplex oder als identische Erscheinung eingeschätzt werden kann. Das bezieht sich besonders auf zeitlich zusammenfallende Bewegungen dieser Art mit Revolutionen der Manufakturperiode, insbesondere mit der englischen Revolution in der Mitte des 17. Jahrhunderts, was mitunter in der marxistischen Literatur anzutreffen ist.6® Jeder dieser großen Bauernaufstände erfordert sorgfältige Spezialanalyse, bevor man die Frage ihrer organischen Verbindung oder Identität stellen kann. Daneben muß berücksichtigt werden, daß die Entstehung des kapitalistischen Weltmarktes und des Kapitalismus in seinem Manufakturstadium die Herausbildung einer allgemeineuropäischen Konjunktur, die Entfesselung einer langen Serie „Handelskriege" und gesamteuropäischer Konflikte förderte. Die Folgen dieser Verschärfung des sozialpolitischen Kampfes in solchen entscheidenden Perioden konnten mehr oder minder gleichzeitig viele Länder des Kontinents erfassen und in gesamteuropäischen Konflikten, ähnlich dem 30jährigen Krieg, konnten sie in diesem oder jenem Maße das Schicksal des entstehenden Kapitalismus entscheiden. Es ist klar, daß die der Untersuchung unterzogenen Bauernaufstände und -bewegungen ihrem Inhalt nach außerordentlich farbig und vielfältig waren. Hier, und wir unterstreichen dies noch einmal, ging es uns in erster Linie um die Klärung eines Aspekts: des Einflusses des Prozesses der Genesis des Kapitalismus auf diese Bauernbewegungen. 65 66

Lenin, W. 1., Werke, Bd. 32, S. 284. Porsnev, B. F., Politiöeskie otnoäenija meädu Zapadnoj i Vostocnoj Evropoj v epochu Tridcatiletnej vojny. In: Voprosy istorii 1901, No 10, S. 58; Schilfert, G., Die Stellung der bürgerlichen Revolutionen des 16.—18. Jahrhunderts im welthistorischen Prozeß und deren Auswirkungen besonders auf Deutschland, Berlin 1972, S. 36. V. Historiker-Kongreß der DDR. Dresden, 12.—15. Dez. 1972.

Max Steinmetz

Zum historischen Standort des deutschen Bauernkrieges in der Geschichte der Bauernbewegungen beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus

In den Jahren 1974 bis 1976 jährt sich zum 450. Male der deutsche Bauernkrieg von 1524 bis 1526, eine der größten Klassenschlachten im Zeitalter des Feudalismus und die größte revolutionäre Massenbewegung der älteren deutschen Geschichte. Damit verbindet sich der 450. Todestag des bedeutenden Revolutionärs Thomas Müntzer und zahlreicher seiner Mitstreiter. Der Bauernkrieg und das Wirken Müntzers wurden zum Höhepunkt der ersten frühbürgerlichen Revolution in Deutschland, die 1517 mit der Reformation begann und 1524 bis 1526 im Bauernkrieg kulminierte. Dabei ist das Gedächtnis des deutschen Bauernkriegs — wir haben uns mit Friedrich Engels für die Benennung „deutscher Bauernkrieg" entschieden 1 — im Gegensatz zum Tode Müntzers an keinen festen Kalendertag gebunden. Die Geschehnisse dieser „radikalsten Tatsache" der älteren deutschen Geschichte 2 reichen von Juni 1524, dem Beginn der Stühlinger Erhebung, bis zum 12. Juli 1526, dem Tag des Übertritts Gaismairs auf venezianisches Gebiet. Die Hauptereignisse drängen sich zwar auf die Monate März bis Juni 1525 zusammen, in denen der Aufstand die größte Ausbreitung und die Kämpfe ihre entscheidende Phase erreichten. Aber selbst die Schlacht bei Frankenhausen am 15. Mai und die Hinrichtung Thomas Müntzers am 27. Mai 1525 sind nicht schlechthin als Peripetie im Drama des Bauernkriegs zu bezeichnen; ihre entscheidende Rolle erhielten diese Ereignisse doch erst im Zusammenhang mit den Niederlagen der anderen Bauernhaufen im Mai und Juni 1525. Das hohe Maß an Spontaneität, das sich ausdrückt in einer Vielzahl regionaler Bewegungen, Bestrebungen und Ereignisse, die zwar in ge1

2

3*

Seit dem Buch des Göttinger Professors Georg Satorius „Versuch einer Geschichte des Deutschen Bauernkrieges ...", Berlin 1795, hat sich die Benennung „deutscher Bauernkrieg" durchgesetzt. Friedrich Engels bediente sich ihrer 1850 ebenso wie August Bebel 1876. Eine Ausnahme bildete lediglich Wilhelm Zimmermann, der seinem Werk 1841/43 den Titel gab „Allgemeine Geschichte des großen Bauernkrieges". Aber erst Wilhelm Bios hat im Titel seiner Volksausgabe seit 1891 (Neuauflage Berlin 1952) beide Bezeichnungen ohne tieferen Grund kombiniert und damit die noch heute weitverbreitete Form „Der Große Deutsche Bauernkrieg" in die Literatur eingeführt. Marx, Karl, Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie. Einleitung. In: MEW, Bd. 1, Berlin 1956, S. 386.

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Max Steinmetz

wissem Zusammenhang standen, aber niemals zu einer entscheidenden, einheitlichen und geschlossenen Aktion verschmolzen, zeigte sich auch in der Vielzahl der isolierten Niederlagen. Alles das erschwert eine allseits befriedigende Periodisierung und macht die Darstellung des deutschen Bauernkriegs so überaus schwierig.3 Aus der Fülle möglicher Themen greife ich eines heraus, das von besonderer Bedeutung ist: Der historische Standort des deutschen Bauernkriegs in der Geschichte der Bauernbewegungen beim beginnenden Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus. Hierbei kann es nicht darauf ankommen, eine vergleichende Ubersicht aller Bauernbewegungen von der französischen Jacquerie des Jahres 1358, von Wat Tylers Aufstand in England im Jahre 1381 bis hin zur Erhebung Jemeljan Pugatschows im Ural- und Wolgagebiet von 1773 bis 1775 zu geben. Ein solches Unterfangen kann nur die Aufgabe einer wissenschaftlichen Konferenz unter Beteiligung zahlreicher Fachleute sein. Mein Anliegen ist viel weniger anspruchsvoll und besteht lediglich in dem Versuch der Herausarbeitung der Stellung und Bedeutung des deutschen Bauernkriegs in dem genannten weltgeschichtlichen Prozeß. Es kann also nur die historische Stellung der deutschen Ereignisse umrissen, nicht aber ein umfassender Vergleich der überaus zahlreichen bäuerlichen Aufstände und Kriege in einem Zeitraum von vierhundert Jahren versucht werden. Dennoch glaube ich, daß die genannte Thematik auch einen Beitrag zur Diskussion dieses größeren Problemkreises leisten kann, wobei es in erster Linie 3

Das Problem der Periodisierung des deutschen Bauernkrieges ist noch nicht restlos gelöst. Die ältere Literatur hat mehr oder weniger das Geschehen nach den Schauplätzen aneinandergereiht, ohne der inneren Gesetzmäßigkeit des Ablaufs größere Aufmerksamkeit zu schenken. Das gilt vor allem für das Buch von Franz, Günther, Der deutsche Bauernkrieg, seit 1933 in zahlreichen Auflagen erschienen; dieses Hauptwerk der bürgerlichen Historiographie ist im Grunde mehr ein Handbuch der Geschichte des deutschen Bauernkrieges als eine Darstellung desselben. Läßt man die reaktionäre Grundidee einer Gliederung nach dem alten und dem göttlichen Recht als überholt beiseite, so besteht der Wert des Buches in den übermittelten Fakten sowie in den archivalischen und bibliographischen Nachweisen. Der bisher gelungenste Versuch, mit den Mitteln der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft dem Problem zu Leibe zu rücken, ist das Buch von Bensing, Manfred und Hoyer, Siegfried, Der deutsche Bauernkrieg, Berlin 1965 u. ö., das auch in japanischer und polnischer Übersetzung erschienen ist. Hier wird versucht, den Bauernkrieg in drei Phasen verständlich zu machen, die nicht nur den äußeren Ablauf zusammenfassen sollen, sondern auch eine Charakterisierung dieser Phasen versuchen (1. Vom Beginn bis zum Abschluß des Weingartner Vertrages; 2. Der Höhepunkt, und 3. Die Niedergangsphase des deutschen Bauernkrieges). Ergänzt wird die Darstellung durch eine synchronoptische Übersicht (S. 246—259 der 1. Aufl.), die das Geschehen wesentlich exakter darstellt als die Zeittafel bei Franz, Günther (a. a. O., S. 482—185 d. 1. Aufl.).

Zum historischen Standort des Bauernkrieges

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darauf ankommt, die Rolle der bäuerlichen Kämpfe in ihrem Verhältnis zu den frühen bürgerlichen Revolutionen weiter zu klären. Kurt Barthel, ein Dichter unserer Tage, schrieb 1948 im „Gedicht vom Menschen" : „Schwer ist es, aufzustehen, Schwerer, zu siegen." Die Geschichte der Bauernerhebungen und Bauernkriege erweist die Richtigkeit dieses Wortes. Seit der Mitte des 14. und besonders im Verlauf des 15. und 16. Jahrhunderts häuften sich die bäuerlichen Aufstände. Für Deutschland ist das halbe Jahrhundert von 1476 bis 1526 die Zeit der zahlreichsten, umfangreichsten und wirksamsten Bauernerhebungen.4 Die Zuspitzung der Klassenkämpfe auf dem Lande, die zu dieser neuen Situation führte, steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Durchdringung der gesamten Feudalstruktur mit Ware-Geld-Beziehungen und dem wachsenden ökonomischen Gewicht der Stadt gegenüber dem Land. Höhepunkt der Revolutionierung der Bauern ist die Zeit des frühen Manufakturkapitalismus und der beginnenden zweiten Leibeigenschaft. Auf der einen Seite entsteht ein kapitalistisch wirtschaftendes Bürgertum, das — bei Weiterbestehen der einfachen Warenproduktion, der ökonomischen Grundlage des mittelalterlichen Städtebürgertums — auf kapitalistischem Eigentum an den Produktionsmitteln und entsprechenden Ausbeutungsformen beruht, wobei das Nebeneinander für die ganze Zeit des Manufakturkapitalismus charakteristisch bleibt. Im Verlauf dieser Entwicklung kommt es zu einer gebietsweise engeren Verflechtung von Stadt und Land. Was den deutschen Bauernkrieg angeht, so ist es eine bekannte Tatsache, daß, abgesehen vom alpenländischen Bauernkrieg, die Gebiete der Aufstände nahezu identisch sind mit den Gebieten der größten Dichte städtischer Zentren, der engsten Stadt-Land-Beziehungen. Hier wurden die Bauern in die städtischen Marktbeziehungen weitgehend integriert. Das brachte Vor- und Nachteile mit sich. Die Bauern lieferten Nahrungsmittel und gewerbliche Rohstoffe für den Markt und deckten in der Stadt ihren Bedarf an Fertigwaren aller Art. Das führte zu einer Steigerung der Produktion und zu einer wachsenden Gewinnchance, brachte aber auch Abhängigkeiten nachteiliger Art vom Markt mit sich. Auf der anderen Seite aber verstärkte die Feudalklasse in allen Bereichen die bäuerliche Ausbeutung, ein Prozeß, der umfassend als zweite Leibeigen4

Vgl. u. a. Steinmetz, Max, Deutschland 1476—1648. Lehrbuch der deutschen Geschichte, 3. Beitrag, Berlin 1965, Deutsche Geschichte von den Anfängen bis 1945. Kleine Enzyklopädie, Leipzig 1965; Deutsche Geschichte in Daten, Berlin 1967; Forschungsberichte lieferte Steinmetz, Max, in: Historische Forschungen in der DDR, Berlin 1960, S. 142-162 und Berlin 1970, S. 338—350.

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schaft bezeichnet wird und der der Durchsetzung der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals hemmend entgegenwirkte.5 Was den deutschen Bauernkrieg nun heraushebt aus den übrigen Bauernbewegungen beim beginnenden Ubergang vom Feudalismus zum Kapitalismus, was seine Besonderheit ausmacht, das ist der Umstand, daß er keine isolierte agrarische Bewegung darstellt, sondern als Teilerscheinung und Kulminationspunkt eines alle Klassen und Schichten bewegenden revolutionären Prozesses zu betrachten ist. Das zeigt zunächst ein Vergleich mit der Bundschuhbewegung.6 Diese größte deutsche Bauernbewegung vor dem Bauernkrieg von 1524 bis 1526 organisierte sich von Anfang an als Verschwörung, als geheime Bewegung : vom zweiten Bundschuh an (1502) war Joß Fritz der Hauptorganisator. Jedes öffentliche Auftreten mußte gemieden werden, Versammlungen der Verschworenen fanden nur nachts und auf entlegenen Bergeshöhen statt. Weder Buchdruck noch Predigt, weder Schriftverkehr noch ausgearbeitete Programme waren möglich. Eine solche Bewegung konnte bei aller Ausbreitung doch niemals die bäuerlichen und plebejischen Massen in weiten Bereichen des Landes mobilisieren. Somit blieben der Bundschuhbewegung enge Grenzen gesetzt; durch Verrat, gedungene Agenten usw. war es immer möglich, die Verschwörungen vor dem Losschlagen zu vernichten. Der Bundschuh blieb auf den Oberrhein (das Elsaß und das heutige Baden) beschränkt. So erstaunlich die Zähigkeit und Energie eines Joß Fritz, den Friedrich Engels einen „Musterkonspirateur" nannte,7 auch waren, eine Revolutionierung der Verhältnisse war allein auf diesem Wege nicht zu erreichen. Das änderte sich erst mit Beginn der Reformation.8 Erst sie mobilisierte alle Klassen und Schichten gegen die Papstkirche, sie gewann rasch die Öffentlichkeit durch Buchdruck, Kanzel, Wanderprediger, vor allem aus den Reihen ausgetretener Mönche, sie erzeugte eine Massenliteratur in einer Vielzahl von Flugschriften, die sich an breiteste Kreise wandten und sehr rasch 5

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Heitz, Gerhard, Zum Charakter der „zweiten Leibeigenschaft", in: ZfG 1/1972, S. 24 ff. Die einzige umfassend dokumentierte Darstellung bis heute ist Rosenkranz, Albert, Der Bundschuh, die Erhebungen des südwestdeutschen Bauernstandes in den Jahren 1493—1517. Heidelberg 1927. l.Band Darstellung, 2. Band Quellen. Vgl. als marxistische Darstellung Smirin, M. M., Deutschland vor der Reformation. Abriß der Geschichte des politischen Kampfes in Deutschland vor der Reformation, Berlin 1955, S. 313-73. Engels, Friedrich, Der deutsche Bauernkrieg, in MEW, Bd. 7, Berlin 1950, S. 64. Vgl. u. a. 450 Jahre Reformation. Hrsg. v. Stern, Leo, und Steinmetz, Max, Berlin 1967; Zschäbitz, Gerhard, Martin Luther. Größe und Grenze. Teil 1 (1483-1526). Berlin 1967; Weltwirkung der Reformation. Internationales Symposium anläßlich der 450-Jahr-Feier der Reformation in Wittenberg vom 24. bis 26. Oktober 1967. Referate und Diskussionen. Berlin 1969, 2 Bde.; Zur Friedensidee in der Reformationszeit. Texte von Erasmus, Paracelsus, Franck. Eingel. u. mit erklärenden Anmerkungen hrsg. v. Wollgast, Siegfried, Berlin 1968.

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alle aktuellen Fragen aufgriffen, d. h. den theologisch-kirchlichen Bereich schnell ausweiteten.9 Schon die Thesen Luthers gegen den Ablaß aus dem Jahre 1517 waren in ihrem Inhalt und erst recht in ihrer Wirkung keine rein theologische Angelegenheit gewesen; es ging sofort um die Rechte und Stellung der Papstkirche, um den Kampf gegen die Mißbräuche und Mißstände in Kirche, Staat und Gesellschaft. Der Thesenstreit traf das hierarchischkuriale System an seiner verwundbarsten Stelle. Durch die politischen Verwicklungen auf der einen Seite (Kaiserwahl Karls V. im Jahre 1519, Stellung des Kurfürsten Friedrich von Sachsen hierbei, Gegensatz Karls V. gegen Franz I. von Frankreich, Stellung des Kirchenstaates in Italien und des Papsttums in der europäischen Politik), aber ebenso auch durch den Druck der Volksmassen in Stadt und Land, durch den jubelnden Beifall der Humanisten, den Zuspruch des machtvoll erstarkenden Nationalbewußtseins, die Begeisterung der Ritterschaft, verkörpert in der Gestalt und im Werk Ulrich von Huttens, wurde Luther ständig weitergetrieben, wuchs er über den Mönch und Professor hinaus und wurde zum „Helden der Nation", zum führenden Schriftsteller der damaligen deutschen Literatur. Das bedeutete zugleich eine Pause in der bäuerlichen Bewegung, freilich eine schöpferische Pause, in der die Bauernbewegung einen gänzlich neuen Charakter gewann und die Schwächen der Bundschuhbewegung abstreifte. Die enge Verbindung mit der Reformation ist demnach die erste Besonderheit des deutschen Bauernkrieges, in dem sich bäuerlicher Klassenkampf mit reformatorischen Bestrebungen auf nationaler Ebene verbindet. Dabei ist es klar, daß die Reformation als solche nicht aus bäuerlichen Wurzeln stammt; sie ist entstanden aus einer gesamtgesellschaftlichen Krise, die Deutschland seit etwa 1470 erschütterte. Alle ungelösten Probleme der Vergangenheit brachen erneut auf. Die Bemühungen um die Reichsreform machten die völlige Unzulänglichkeit im Staatsaufbau deutlich, die Ohnmacht der Reichsorgane, das allgemeine Chaos im Lande. Damals machten sich die Humanisten zu Sprechern einer gemäßigten Reformbewegung, kämpften sie gegen Mißbräuche und Aberglauben und schufen in den Epistolae obscurorum virorum die klassische Satire gegen das, was man seitdem „Dunkelmänner" nennt. 9

Vgl. u. a. Geschichte der deutschen Literatur von 1480 bis 1600. Von Boeckh, Joachim, u. a. (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, 4. Bd.), Berlin 1960, 2. Aufl. 1961; Spriewald, Ingeborg, Reformation und deutsche Literatur. Kennzeichen der literarischen Situation nach Luthers Thesenanschlag. In: Weimarer Beiträge 13, 1967, S. 687—98; Die Reformation im zeitgenössischen Dialog. 12 Texte aus den Jahren 1500 bis 1525. Bearb. u. eingel. von Lenk, Werner, Berlin 1968; Die Prosadialoge von Hans Sachs, Hrsg. Spriewald, Ingeborg, Leipzig 1960; Entner, Heinz, Lenk, Werner, Literatur und Revolution im 16. Jahrhundert. In: Weimarer Beiträge 16, 1970, S. 139—62; Spriewald, Ingeborg, Schnabel, Hildegard, Lenk, Werner, Entner, Heinz, Grundpositionen der deutschen Literatur im 16. Jahrhundert, Berlin und Weimar 1972; Ulrich von Hutten, Deutsche Schriften, ausgewählt und hrsg. von Mettke, Heinz, Bd. I, Leipzig 1972.

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Vor allem aber verlieh die Reformation den Forderungen städtebürgerlicher Kreise, dem noch schwach entwickelten kapitalistisch wirtschaftenden Bürgertum, neue Begründungen: die Losung von der wohlfeilen Kirche, der Ruf nach Säkularisation kirchlicher Besitzungen, nach Reduzierung der Feiertage, nach Abschaffung der Wallfahrten, des Zölibats der Geistlichen, des Mönchtums und der Klöster, nach freier Wahl der Prediger und nach Predigt des, wie man sagte, unverfälschten Evangeliums, worunter man in erster Linie Luthers Übersetzung des Neuen Testamentes von 1522 verstand, aber auch nach Beseitigung der unlauteren Konkurrenz der Kirche auf wirtschaftlichem Gebiet erhielten nun eine theologische Begründung und Rechtfertigung. Die städtischen und ländlichen Massen erwarteten zunächst von der Reformationsbewegung die Abstellung der schlimmsten Mißstände, die Bauern vor allem der Leibeigenschaft und der drückendsten Abgaben an die geistlichen und weltlichen Feudalherren. Sie verzichteten auf eigene Aktionen im Vertrauen auf den Erfolg der Reformation und die ehrlichen Absichten der zahlreichen Obrigkeiten, die sich dieser angeschlossen hatten. So ist es verständlich, daß in den Jahren 1517 bis 1521 die städtebürgerlichen Elemente, die sich mit der Reformation verbündenden Humanisten, die Prädikanten und die Volksschriftsteller das Feld behaupteten und die Bauern in den Hintergrund traten. Der deutsche Bauernkrieg von 1524 bis 1526 ist somit nicht nur der Höhepunkt der Bauernkämpfe in der älteren deutschen Geschichte, nicht nur die Vollendung dessen, was von 1476 bis 1517 in den Bewegungen des Pfeifers von Nikiashausen,10 des Bundschuh, des Armen Konrad erstrebt wurde, sondern ist darüber hinaus der Höhepunkt einer gesamtgesellschaftlichen revolutionären Bewegung, die mit der Reformation nationale Dimensionen erlangte. Das ist seine zweite Besonderheit, die noch deutlicher wird, wenn wir die Jahre 1522 bis 1524 ins Auge fassen, in denen sich die reformatorische Bewegung differenzierte und mehrere gegensätzliche Strömungen in Erscheinung traten. Luther war vom Papst gebannt und vom Kaiser in die Acht erklärt, konservativ-katholische Kräfte begannen sich zu sammeln. Und Luther selbst stemmte sich nach seiner Rückkehr von der Wartburg immer heftiger gegen eine Weiterführung der Reformation durch die selbständigen Gemeinden, gegen eine laienchristliche Bewegung in den Städten. Für ihn war allein die von Gott eingesetzte Obrigkeit berufen, Reformen in Kirche und Gesellschaft durchzuführen, der „christliche Adel deutscher Nation" - wie der Titel des lutherischen Reformprogramms lautet —, der des christlichen Standes Besserung bewirken sollte. Aber damit konnten sich die Kräfte, die auf eine Reformation nicht nur in der Kirche, sondern vor allem in der Gesellschaft hindrängten, nicht zufriedengeben. In dem Maße, wie sich die verschiedenartigen Klasseninteressen wieder zu Wort meldeten — die der Reichs10

Hoyer, Siegfried, Hans Böheim — der revolutionäre Prediger von Nikiashausen. In: ZfG 18, 1970, S. 185-196.

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ritter, der verschiedenen Gruppierungen der Städtebürger, der Plebejer, aber auch der Fürsten —, mußte die einheitliche antirömische Bewegung schließlich zerfallen. Mehrere Gruppierungen bildeten sich heraus: die bürgerlichgemäßigten Kräfte um die Wittenberger Reformatoren, die überwiegend nach Oberdeutschland abgedrängten bürgerlich-radikalen Kräfte, die sich mit der Reformation Zwingiis in der Schweiz verbündeten, die konservativ-katholischen Kräfte, die, ungeachtet aller Reformbestrebungen, innerhalb der Papstkirche verbleiben wollten - und schließlich eine revolutionäre Richtung, die die Reformation im Interesse des Volkes vollenden wollte, eine Neuordnung der ganzen Gesellschaft bis hin zur Beseitigung der Macht der Fürsten und des Adels erstrebte, deren Ziel es war, das Regiment der Gottlosen zu stürzen und die Macht dem gemeinen Manne zu übergeben. Um die zuletzt genannte Volksreformation durchzusetzen, war es vor allem nötig, den Volksmassen klarzumachen, daß Luther und seine Anhänger nicht bereit seien, den kirchlichen Rahmen und die bestehende Fürstenmacht zu verlassen und die Reformation in eine allgemeine Veränderung von Kirche und Gesellschaft im Interesse des Volkes einmünden zu lassen. Hier setzte Thomas Müntzer ein mit seinen Predigten, Schriften und Briefen;11 er bewirkte mit seinen Mitarbeitern Heinrich Fuchs, Simon Haferitz, Hans Hut, Simon Hoffmann, Heinrich Pfeiffer, Melchior Rinck, Hans Römer u. a. eine Desillusionierung der Volksmassen. Auch die Tätigkeit Karlstadts, Jacob Strauß', Martin Reinharts12 u. a., die sich nicht völlig Müntzer anschlössen, trug zur Radikalisierung bei, die - trotz aller Vorbehalte - den Bauernkrieg als revolutionäre Aktion der Selbsthilfe und im Sinne einer Weiterführung sowohl der frühen Reformation als auch der bäuerlichen Kämpfe vor 1517 vorbereitete. Dieser Prozeß der Herausbildung der revolutionären Volksreformation,13 11

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Die einzige vollständige Textausgabe ist: Thomas Müntzer, Schriften und Briefe. Unter Mitarbeit von Kirn, Paul, hrsg. von Franz, Günther, Gütersloh 1968; dazu vgl. Steinmetz, Max, in ZfG 17, 1969, S. 739—48; beste Teilausgabe: Thomas Müntzer, Politische Schriften, Manifeste, Briefe 1524/25. Eingeleitet, kommentiert u. hrsg. von Bensing, Manfred, Rüdiger, Bernd, Leipzig 1970, 2. Aufl. 1973. Zur Aufhellung der Biographie Müntzers hat Bensing seit 1962 die meisten Beiträge geliefert; vgl. die Bibliographie in Bensing, Manfred, Thomas Müntzer. Bildbiographie, Leipzig 1965, S. 99, u. derselbe, Thomas Müntzer und der Thüringer Aufstand 1525, Berlin 1966, S. 271/272. Für die Würdigung von Müntzers Leistung sind wesentlich: Bensing, Manfred, Thomas Müntzers Aufenthalt in Nordhausen 1522 — Zwischenspiel oder Zeit der Entscheidung? In: Harzzeitschrift 19./20., 1967/68, S. 36—62; derselbe, Einleitung zur o.a. Textausgabe, S. 11—37; Steinmetz, Max, Das Erbe Thomas Müntzers, in: ZfG 17, 1969, S. 1117—1129; Werner, Ernst, Messianische Bewegungen im Mittelalter, Teil II, in: ZfG 10, 1962, S. 606—617. Hoyer, Siegfried, Martin Reinhart und der erste Druck hussitischer Artikel in Deutschland, in: ZfG 18,1970, S. 1597-1615. Grundlegend für die Erforschung der Volksreformation und deren Bedeutung für die deutsche frühbürgerliche Reformation ist Smirin, M. M., Die Volksreformation des Thomas Müntzer und der große Bauernkrieg, Berlin 1952, 2. ver-

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der dritten Besonderheit des deutschen Bauernkrieges, wurde ideologisch stark unterstützt durch eine erneute Rezeption der Ideen von Wiclif und Hus, besonders der Lehre vom göttlichen Recht, so wie sie die Taboriten formuliert hatten. Besondere Verdienste erwarb sich hierbei Otto Brunfels, der wichtige Schriften von Wiclif und Hus zuerst herausgab, vielleicht aus dem Nachlaß Huttens. Uberhaupt hat der Buchdruck als Vermittler und Verbreiter heterodoxer Ideen eine große Rolle gespielt: im Jahr des Pfeifers von Nikiashausen erschien die Erstausgabe der Reformation des Kaisers Sigismund, in den Jahrzehnten vor der Reformation die der Werke des Nikolaus von Kues, des Marsilius von Padua, des Tertullian, aber auch der Mystiker, des Joachim von Fiore, Taulers, der deutschen Frauenmystikerinnen, der hl. Birgitta, des Hermes Trismegistos, des Pseudodionysius Areopagita.14 Gerade die eschatologische Umgestaltung der Vorstellung vom auserwählten Volk zur Ideologie der plebejischen Kräfte wird von einer breiten Rezeption mystischer Schriften vorbereitet. Besonders bei Müntzer verbinden sich die Vorstellung vom göttlichen Recht und vom auserwählten Volk mit der Forderung zum Widerstand gegen die gottlose Obrigkeit und der Vorstellung einer translatio imperii an die Armen, an den gemeinen Mann. Der deutsche Bauernkrieg ist demnach in Einheit mit der revolutionären Krise von 1470 bis 1517 und der Reformation, ganz besonders ihrer revolutionären Strömung, der Volksreformation, als frühe Form einer bürgerlichen Revolution zu sehen: das ist die vierte Besonderheit, das Kernstück unserer Interpretation von Reformation und Bauernkrieg. Diese Auffassung geht aus von Friedrich Engels und stützt sich besonders auf die Forschungen M. M. Smirins.15

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besserte und ergänzte Auflage, Berlin 1956 (nach den russischen Ausgaben Moskau 1947 bzw. 1955); die Vorgeschichte untersuchte derselbe, Deutschland vor der Reformation. Abriß der Geschichte des politischen Kampfes in Deutschland vorder Reformation, Berlin 1955 (nach der russ. Ausgabe Moskau 1952); zu seinen übrigen Arbeiten zu diesem Problem vgl. Bensing, Manfred, Zum 70. Geburtstag von M. M. Smirin, in: WZ Karl-Marx-Universität Leipzig, (G), 14, 1965, S. 829 bis 833 (hier S. 830 f. die Bibliographie). Von besonderer Bedeutung für die Herausgabe zahlreicher der genannten Autoren wurde der französische Humanist Jacques Le Favres d'Estaples (Faber Stapulensis), dessen Erstdruck der deutschen Frauenmystikerinnen Müntzer besaß. Liber trium virorum et trium spiritualium virginum.., Paris 1513. Angebunden war diesem Band Tauler, Johann, Sermones, Augsburg 1508. Durch einen Brand von 1780 gingen beide Werke, versehen mit Randbemerkungen Müntzers, unter. Die überlieferten Notizen bei Müntzer, Thomas, Schriften und Briefe, a. a. O., S. 538. Im Gegensatz hierzu ist die Erstausgabe der Opera Tertulliani, Basel 1521, mit sämtlichen Randbemerkungen Müntzers erhalten (Landesbibliothek Dresden). Vgl. die Protokolle der Tagungen von Wernigerode 1960 und Leipzig 1965 (Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland, Berlin 1961; WZ der Karl-Marx-Universität Leipzig, (G), 14, 1965, S. 389—505) ; die beste Zusammenstellung der wich-

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Werfen wir von hier aus einen Blick auf den Ablauf des deutschen Bauernkriegs, um unsere Auffassung vom besonderen historischen Standort der Ereignisse weiter zu begründen.16 Die Bauern erhoben sich vor allem in den kleineren Territorien, wo sich die Landesherren die Mittel für den Ausbau ihrer Herrschaft durch verschärfte Ausbeutung verschaffen wollten. Mit den Bauern solidarisierten sich weithin die Bewohner der kleinen Städte, die — was ihre soziale Lage anging — den Bauern am nächsten standen. Der Aufstand, der im Juni 1524 in der Grafschaft Stühlingen unter Führung von Hans Müller von Bulgenbach begonnen hatte, griff rasch auf den gesamten Südwesten des Reiches über, wo durch die Bundschuhverschwörungen der Boden bereitet war. Sehr bald dehnte er sich auf den Hegau, den Klettgau und den Breisgau aus; um die Jahrhundertwende war das gesamte Gebiet zwischen Donau, Bodensee und Lech von der revolutionären Gärung erfaßt. Im Winter 1524 und 1525 griffen die Bauern auf die alte Losung vom „göttlichen Recht" zurück, das die feudale Ausbeutung an den moralischen und rechtlichen Grundsätzen der Bibel maß und zur wichtigsten theoretischen Begründung des revolutionären Kampfes wurde.17 Im Februar und März 1525 bildeten sich zahlreiche große Bauernlager, an ihrer Spitze die Haufen der Allgäuer, Baltringer und der Seehaufe. Zentrum der Bewegung wurde die Reichsstadt Memmingen, eine der wenigen Reichsstädte Oberschwabens, deren Bürger sich auf die Seite der Bauern stellten. In der Führung der einzelnen Bauernhaufen wirkten neben konsequent revolutionären Kräften wie Jörg Schmid, genannt Knopf, und Jakob Wehe von Leipheim auch gemäßigte Elemente, die zu Übereinkommen mit den Feudalherren gelangen wollten. Sie nutzten ihren Einfluß, um den kampfbereiten Bauern eine Periode der Verhandlungen aufzuzwingen. Die damals entstandenen Zwölf Artikel wurden rasch durch den Druck verbreitet — 24 verschiedene Ausgaben sind erhalten — und fanden großen Widerhall in allen Aufstandsgebieten.18 Entstanden aus dem Versuch, zu Ver-

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tigsten Aufsätze zum Problem bietet „Reformation oder frühbürgerliche Revolution?" Hrsg. v. Wohlfeil, Rainer, München 1972; die jüngsten Beiträge sind: Engelberg, Ernst, Zu methodologischen Problemen der Periodisierung. In: ZfG 19, 1971, S. 1238—1244, u. derselbe, Probleme der Geschichtsmethodologie, Berlin 1972, S. 141—148; Vogler, Günter, Friedrich Engels zur internationalen Stellung der deutschen frühbürgerlichen Revolution, in: ZfG 20, 1972, S. 1285ff.; zuletzt Steinmetz, Max, Reformation und Bauernkrieg — Höhepunkte der Geschichte des deutschen Volkes, in: Sächsische Heimatblätter, 1973, S. 97—102. Zum Folgenden vgl. Klassenkampf — Tradition — Sozialismus. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR, Grundriß, Berlin 1974, S. 145—159. Bensing, Manfred, Hoyer, Siegfried, Der deutsche Bauernkrieg 1524—1526, Berlin 1965, 2. Aufl. 1970. Beste Ausgabe: Aus dem sozialen und politischen Kampf. Die zwölf Artikel der Bauern 1525... Hrsg. v. Götze, Alfred, Schmidt, Ludwig Erich, Halle/Saale 1953,

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handlungen zu gelangen, wurden sie zum bekanntesten Programm des Bauernkrieges. Der Memminger Kürschner Sebastian Lotzer, der 1523 und 1524 fünf Flugschriften verfaßt hat, hatte sie auf der Grundlage von Einzelbeschwerden der Bauern aus den Dörfern des Baltringer Haufens zusammengestellt.19 Ungeachtet ihres gemäßigten, auf Verhandlungen abzielenden Inhalts entsprachen sie unmittelbaren Lebensbedürfnissen der ausgebeuteten und unterdrückten Bauern. Sie enthielten zum Beispiel die Forderung nach Abschaffung der Leibeigenschaft und des Viehzehnten, der Rückgabe der geraubten Allmende, aber auch nach freier Pfarrerwahl und ungehinderter Predigt der neuen Lehre. Ihre Durchsetzung hätte die Lage der Bauern verbessert und objektiv die kapitalistische Entwicklung gefördert. Das gilt ganz besonders für den Fall einer Beseitigung der Leibeigenschaft, die eine zentrale Rolle im Prozeß der Festigung der Territorialherrschaft spielte und gegen die sich der Kampf der Bauern ganz besonders richtete. Die von dem Memminger Prediger Dr. Christoph Schappeler verfaßte Einleitung zu den Zwölf Artikeln ließ zudem eine radikale Interpretation im Sinne des „göttlichen Rechts" zu, obwohl Schappeler selbst zu den Gemäßigten zählte. Das Memminger Bauernparlament, das Anfang März 1525 zusammentrat, beriet den Entwurf einer Bundesordnung, die für die organisatorische Verschmelzung der Bauernhaufen von großer Bedeutung hätte werden können. Aber weder die Zwölf Artikel noch die Bundesordnung vermochten die Gegensätze zwischen den gemäßigten und radikalen Kräften in den Bauernlagern zu überwinden. Die Auseinandersetzungen konzentrierten sich auf die Frage der einzuschlagenden Taktik. Während die gemäßigten Kräfte den Feudalgewalten im Prinzip Glauben schenkten und meinten, diese würden angesichts der Demonstration der bewaffneten Bauernhaufen zu Zugeständnissen und vertraglichen Abmachungen von Dauer bereit sein, verfolgten die revolutionären Kräfte das Ziel, durch die Zerschlagung der Machtpositionen der Feudalgewalten ihre Forderungen mit Waffengewalt durchzusetzen. Diese zwei gegensätzlichen Konzeptionen bestimmten die inneren Auseinandersetzungen in fast allen Bauernhaufen während des gesamten Bauernkrieges. Am 25. März 1525 scheiterten die in Ulm geführten Verhandlungen mit dem Schwäbischen Bund, der militärischen Hauptmacht der Fürstenpartei. Die revolutionären Kräfte erzwangen nun den Sturm auf Klöster und Schlösser und eroberten zahlreiche Burgen. Die Macht der geistlichen und weltlichen Feudalherren brach in weiten Bereichen Schwabens zusammen. Der Übergang zum offenen Kampf war ein großer Erfolg der revolutionären Kräfte, deren

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S. 9—44; vgl. zu den Drucken Claus, Helmut, Die Anfänge des Buchdrucks in Forchheim/Oberfranken. In: Über Bücher, Bibliotheken und Leser. Festschrift für Horst Kunze (Zentralbl. für Bibliothekswesen, Beiheft 86), Leipzig 1969, S. 27-37. Beschwerden von Dörfern des Baltringer Haufens sind abgedruckt in: Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges. Ges. u. hrsg. v. Franz, Günther, München 1963, S. 152-162.

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Zielstellung und Taktik ihren klarsten Niederschlag im weitgehend müntzerischen Auffassungen entsprechenden Artikelbrief der Schwarzwaldbauern fand. 20 Darin wurde die christliche Gemeinschaft Gleicher gefordert und eine sich über das Volk erhebende Obrigkeit abgelehnt. Zugleich wurde Widerstrebenden mit dem weltlichen Bann gedroht, das heißt mit dem Ausschluß aus der Gemeinschaft. Dem Artikelbrief lag die Erkenntnis zugrunde, daß alle Ausbeutung und Unterdrückung von den weltlichen und geistlichen Obrigkeiten ausging. Deshalb sollte sich der Kampf gegen sie richten. Obwohl der Wortlaut nur handschriftlich verbreitet wurde, schlugen sich die revolutionären Gedanken des Artikelbriefs in anderen bäuerlichen Programmen nieder oder bestimmten das Handeln der revolutionären Kräfte in anderen Haufen. Mitte März 1525 griff die Erhebung von Schwaben auf Franken über. Zentren bildeten sich bei Nördlingen, im Gebiet von Ansbach und Rothenburg, im Hochstift Würzburg, im Bistum Bamberg und im nördlichen Franken bei Bildhausen. Vor allem im Taubertaler Haufen und im Hellen Haufen der Neckarbauern, den Jäcklein Rohrbach und Georg Metzler anführten, konnten die revolutionären Kräfte zeitweilig die Führung übernehmen. Als der Graf von Helfenstein die Bauern beim Zug auf Weinsberg brutal überfallen ließ, hielt der Neckartal-Odenwälder Haufen am 16. April über ihn Gericht: ein dramatischer und weithin wirksamer Höhepunkt des Bauernkriegs. Mitte April beherrschten die Bauern das ganze Gebiet vom Bodensee bis zum Oberlauf der Werra. Zehntausende standen unter Waffen. Die Feudalherren, noch wenig organisiert und militärisch schwach, hatten dieser Macht zunächst wenig entgegenzusetzen. Aber in den schwäbisch-fränkischen Haufen war das Ubergewicht der Gemäßigten stark. Das ermöglichte es dem Schwäbischen Bund wie den Fürsten, zunächst die Taktik des Hinhaltens anzuwenden, um den militärischen Gegenschlag vorzubereiten. Nachdem das Söldnerheer des Schwäbischen Bundes unter Jörg Truchseß von Waldburg Verstärkung erhalten hatte, schlug es zunächst die Bauern bei Leipheim: Es war der erste Sieg der Fürstenpartei. Am 15. April traf das Bundesheer auf den stark bewaffneten Seehaufen. 12 000 Aufständischen standen 7 000 Knechte des Schwäbischen Bundes gegenüber. Niemals zuvor gab es in der deutschen Geschichte eine solche Streitmacht Aufständischer gegen die Fürstenmacht. Aber die Führer der Bauern ließen sich auf Verhandlungen ein und verschenkten den sicheren Sieg. Das Ubergewicht der gemäßigten Kräfte in Franken war auch in der Einbeziehung von Teilen des niederen Adels in die Bewegung begründet. Nur wenige von ihnen — wie Florian Geyer — kämpften selbstlos an der Seite der Bauern. Auch eine Reihe von städtischen Obrigkeiten, so in Würzburg, Heilbronn und Rothenburg, war gezwungen, sich unter dem Druck innerstädtischer Oppositionsbewegungen und der Bauernhaufen zeitweilig der Er20

Beste Ausgabe: Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, a. a. O., S. 235—236i

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hebung anzuschließen. Die Vertreter der städtischen Obrigkeiten nutzten ihren Einfluß aus, um ihre eigenen Interessen wahrzunehmen und die Bauern vom weiteren Kampf abzuhalten. Sie lösten das erzwungene Bündnis aber sofort, wenn das veränderte Kräfteverhältnis den Anschluß an die Feudalgewalten ratsam erscheinen ließ. Diese Haltung der meisten Städte und die zwiespältige Rolle des niederen Adels schwächten die Position der revolutionären Kräfte in den Bauernhaufen, da die gemäßigten Bauernführer bei ihnen Rückhalt fanden. Die Furcht vor der Volksbewegung trieb zahlreiche städtische Obrigkeiten zur Aufgabe des antifeudalen Klassenbündnisses und an die Seite der Feudalgewalten. In Franken wurde ein allgemeines Programm vorbereitet, das überwiegend bürgerlichen Interessen entsprach. Dieses sogenannte Heilbronner Programm,21 ausgearbeitet auf der Grundlage der Flugschrift „Teutscher Nation notturfft" aus dem Jahre 1523, enthielt vor allem Vorschläge zur Förderung eines inneren Marktes, wie Beschränkung der Zölle, Vereinheitlichung von Münze und Maß sowie Sicherheit für den Handel. Zu ihrer Realisierung wurden eine gestärkte Zentralgewalt und eine verbesserte Rechtsprechung vorgeschlagen. Damit wurden im Heilbronner Programm historisch herangereifte Aufgaben formuliert. Es konnte jedoch nicht zur Grundlage von Aktionen der Volksmassen werden, da noch vor seiner Beratung und Vorbereitung die Haufen niedergeworfen wurden. Überdies enthielt der Programmentwurf keine spezifisch bäuerlichen Programmpunkte. Da die Forderung nach Stärkung der Zentralgewalt sonst in keinem Bauernprogramm während des Bauernkrieges ausdrücklich formuliert wurde, umriß der Heilbronner Programmentwurf ein wichtiges Ziel der revolutionären Bewegung. Mitte April 1525 erreichte die bäuerliche Aufstandsbewegung ihren Höhepunkt, als sie die meisten südwestdeutschen Territorien, Thüringen und die angrenzenden Gebiete sowie Teile des Alpenvorlandes überflutete. Zu diesem Zeitpunkt schloß am 16. April der Schwäbische Bund mit den Bauern den Weingartner Vertrag. Die Hauptleute des Seehaufens vereinbarten, auseinanderzugehen und sich künftig jeglichen Aufruhrs zu enthalten, ihren Herren gehorsam zu sein und allen feudalen Verpflichtungen nachzukommen. Als einziges Zugeständnis wurde ihnen die Prüfung ihrer Beschwerden versprochen, die wohl nie ernstlich ins Auge gefaßt wurde und tatsächlich niemals zustande kam. Dadurch erhielt das Heer des Schwäbischen Bundes, der einzige ernstzunehmende Gegner der Bauern in den südwestdeutschen Territorien, freie Hand zur schrittweisen Niederschlagung der schwäbischen und fränkischen Bauernheere. Der Weingartner Vertrag wurde mit besonderem 21

Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, a. a. O., S. 311—381; die Hauptvorlage: Teutscher Nation notturfft: Die Ordnung vnd Reformation aller Stendt ym Römischen Reych (sog. Reformation Kaiser Friedrich III). Zwickau o. J. (1523); eine vergleichende Textausgabe fehlt. Vgl. zum Problem Vogler, Günter, Zur Entstehung des Heilbronner Programms, in: Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland, a. a. O., S. 116—125.

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Nachdruck sofort im Druck verbreitet; in Wittenberg, wo die zwölf Artikel nicht gedruckt w u r d e n , erschien eine Ausgabe mit Vor- u n d Nachwort Luthers, der diesen Vertrag „als eine besondere G n a d e Gottes in dieser wüsten, g r e u lichen Zeit" lobte u n d zur Nachahmung empfahl. 2 2 In Thüringen w u r d e u n t e r F ü h r u n g von Thomas Müntzer versucht, 23 die Zersplitterung der Aktionen zu überwinden, die oppositionellen städtischen Schichten in den Kampf einzubeziehen u n d den revolutionären K r ä f t e n in den einzelnen H a u f e n das Übergewicht zu verschaffen. Das machte den A u f stand in diesem Gebiet zum Kulminationspunkt des Bauernkrieges. Zentren des Aufstandes, den die Müntzersche Propaganda vorbereitet hatte, w a r e n Nordostthüringen mit dem Mansfelder Bergrevier, Mühlhausen u n d Südwestthüringen. A m 19. April brach der Aufstand bei Vacha aus u n d verbreitete sich in kurzer Zeit ü b e r ganz Thüringen. Bis A n f a n g Mai errangen die A u f ständischen einen vollständigen Sieg über die Herren. Die meisten Adelssitze, Schlösser, S t i f t e u n d Klöster fielen in ihre Hände. Hier in Thüringen bestimmten starke revolutionäre K r ä f t e Ziel und Taktik der Bewegung. Müntzer wollte die Bergknappen gewinnen, dann die Mansfelder G r a f e n vernichtend schlagen u n d das gesamte Gebiet bis nach Eisenach und Halle zum revolutionären Z e n t r u m machen. Aber die vorwiegend auf lokale Interessen orientierten K r ä f t e im eigenen Lager verhinderten diesen wohldurchdachten P l a n im entscheidenden Moment. So scheiterte Müntzers weitschauendes Vorhaben an der Lokalborniertheit. 2 4 Bei F r a n k e n h a u s e n suchten Müntzer und seine A n h ä n g e r die Entscheidung. In einem befestigten Lager erwarteten sie die heranziehenden Fürsten. Am 15. Mai predigte Müntzer vor den versammelten B a u e r n und rief zum Kampf gegen die T y r a n n e n auf. 25 Diese Situation nutzten die Fürsten, indem sie das Lager umzingelten u n d angriffen. Den Söldnerknechten fielen 6 000 B a u e r n zum Opfer, n u r 600 w u r d e n gefangengenommen. Müntzer geriet in die Hände seiner erbitterten Feinde; er w u r d e verhört, gefoltert und hingerichtet. Das „Bekenntnis" ist zwar ein Verhörsprotokoll, das zum Teil u n t e r A n w e n dung der Folter zustande kam, es zeigt aber dennoch die t a p f e r e Haltung und Größe Müntzers angesichts des sicheren Todes. 26 22 23

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Mit Luthers Stellungnahme gedruckt in: Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, a. a. O., S. 216—223. Beste Darstellung bei Bensing, Manfred, Thomas Müntzer und der Thüringer Aufstand, s. Anm. 11; Bensing/Hoyer, Der deutsche Bauernkrieg, 2. Aufl., S. 143 bis 178; Günther, Gerhard, Thomas Müntzer und der Bauernkrieg in Thüringen. Ein Überblick. In: Beiträge zur Geschichte Thüringens, Erfurt 1968, S. 172—206. Vgl. derselbe, Mühlhausen, Heinrich Pfeiffer und Thomas Müntzer. Eine Studie. In: Studien zur Geschichte der Reformation und des Bauernkrieges. Dissertation A Karl-Marx-Universität Leipzig 1972. Vgl. diesen Bd., S. 157 ff. Vgl. Bensing, Manfred, Thomas Müntzer und der Thüringer Aufstand, a. a. O., S. 216—29. Beste derzeitige Ausgabe: Thomas Müntzer, Schriften und Briefe, a. a. O., S. 543

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Innerhalb weniger Tage fiel in den wichtigten Zentren des Bauernkrieges die Entscheidung. Am 12. Mai siegte das Schwäbische Bundesheer bei Böblingen über die württembergischen Bauern, am 15. Mai das vereinigte sächsich-hessisch-braunschweigische Fürstenheer bei Frankenhausen über die thüringischen Aufständischen, und am 16. und 20. Mai besiegten französische Truppen bei Zabern und Schwerweiler die elsässischen Bauern.27 Angesichts der drohenden Gefahr stellten die Fürsten zeitweilig ihre Gegensätze untereinander zurück und nutzten ihre taktische Überlegenheit rücksichtslos aus. Durch scheinbares Eingehen auf bäuerliche Forderungen täuschten sie in vielen Fällen die Bauern und bewogen sie, in vertragliche Abmachungen mit den Herren einzuwilligen und die Waffen aus der Hand zu legen. Dann fielen ihre Heere über die Bauernhaufen her und besiegten sie durch den Einsatz militärisch überlegener Streitkräfte, besonders durch das Zusammenwirken von Artillerie und Reiterei. Einen anderen Verlauf nahm der alpenländische Bauernkrieg.28 Das nur hier zustande gekommene Bündnis von Bauern und Bergarbeitern gab ihm sein besonderes Profil. Im Mai 1525 erhoben sich in Tirol die Bauern. Brixen wurde eingenommen und zum Stützpunkt der Bewegung gemacht, die rasch das Etschtal, die Meraner Gegend und das Bistum Trient erfaßte. Klöster, Schlösser und das Haus der Fugger in Hall wurden zerstört. Die Bauern wählten Michael Gaismair zu ihrem Hauptmann, den neben Müntzer hervorragendsten Repräsentanten der Volksreformation. Aber die gemäßigten Kräfte behielten auch hier die Oberhand und schlössen mit Erzherzog Ferdinand einen Kompromiß. Inzwischen hatte der Aufstand Salzburg, die Steiermark und Kärnten ergriffen. Hier errangen die Aufständischen bei Schladming (am 3. Juli 1525) unter Michael Gruber den bedeutendsten militärischen Erfolg des ganzen Bauernkrieges,29 ließen sich aber auch hier nach Verhandlungen dazu bewegen, die Waffen niederzulegen, ohne den Erfolg ausgenutzt zu haben. Anfang 1526 schrieb Michael Gaismair in Graubünden die Tiroler Landesordnung als Programm für den weiteren Kampf nieder.30 Ausgehend vom

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bis 549; dazu Steinmetz, Max, Das Müntzerbild von Martin Luther bis Friedrich Engels, Berlin 1971, S. 96-101. Vgl. jetzt die interessante Artikelserie von Heumann, Gautier, Der revolutionäre Bauernkrieg im Elsaß und in Lothringen (1524—1526), in: Les 7 Jours de l'Humanité d'Alsace et de Lorraine, Strasbourg, November 1973 bis Januar 1975, Nr. 1—43 (wird fortgesetzt). Vgl. besonders Macek, Josef, Der Tiroler Bauernkrieg und Michael Gaismair, Berlin 1965; Bensing, Manfred, Hoyer, Siegfried, Der deutsche Bauernkrieg, 2. Aufl. a. a. O., S. 204-233. Hoyer, Siegfried, Das Gefecht bei Schladming im deutschen Bauernkrieg, in: Militärgeschichte 1973, S. 340-348. Beste Ausgabe nach Hollaender, A., in: Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges S. 285—290 (Gaismair Autograph ist nicht erhalten); vgl. die von Macek ab-

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göttlichen Recht, entwarf Gaismair mit der Forderung, das Privateigentum abzuschaffen und Bergbau und Handel zu vergesellschaften, das damals utopische Bild einer von Ausbeutung und Unterdrückung freien Gesellschaft. Zugleich beantwortete er die Frage nach der politischen Macht wie Müntzer im revolutionär-demokratischen Sinne; sie sollte bei den Bauern und Bergknappen liegen. Ein gewähltes Regiment sollte an der Spitze einer Republik stehen, in der für Adel und hohen Klerus kein Raum mehr war. Obwohl viel zu spät entstanden, um noch wirken zu können — an eine Verbreitung im Druck war schon gar nicht mehr zu denken —, ist dieses Programm Ausdruck des Verlangens breiter Volksschichten nach einer gesellschaftlichen Ordnung der Gerechtigkeit, in der der „gemeine Nutzen" die Richtschnur des Handelns sein sollte. Im Salzburgischen erhoben sich die Bauern im März 1526 erneut zu einem großen Aufstand, an dessen Spitze wiederum Gaismair trat. Dank seiner klugen politischen und militärischen Führung errangen die revolutionären Kräfte die Vorherrschaft. Der Bischof von Salzburg rief den Schwäbischen Bund zu Hilfe, und es gelang schließlich der fürstlichen Übermacht, am 2. Juli die Bauern bei Radstadt zu schlagen. Diese zweite Phase des alpenländischen Bauernkrieges hat an dem Gesamtverlauf der Ereignisse nichts mehr zu ändern vermocht. Vor der gegnerischen Übermacht zurückweichend, trat Gaismair mit seinen Getreuen im Juli 1526 auf venezianisches Gebiet über; damit endeten auch hier die Kämpfe. Als Söldnerführer und Diplomat kämpfte er weiter gegen Habsburg, bis er im April 1532 in Padua ermordet wurde, wahrscheinlich auf Geheiß der Habsburger. Reformation und Bauernkrieg — das ist der Kern unserer Auffassungen — müssen als einheitlicher revolutionärer Prozeß gesehen werden. In diesem Sinne ist der deutsche Bauernkrieg ein Stück Reformationsgeschichte, freilich der Volksreformation. Allenthalben verfochten die Bauern das Recht auf freie Pfarrerwahl, auf Predigt des „reinen Gotteswortes", auf Neugestaltung des Gottesdienstes; überall wurden die Bilder zerstört, die Klöster in Brand gesteckt, die katholische Hierarchie zerschlagen, die Klosterbesitzungen aufgeteilt, die kirchlichen Vorrechte und das kanonische Recht völlig beseitigt: alles das in Durchführung dessen, was Luther 1519 und 1520 gefordert hatte. Der deutsche Bauernkrieg wird ideologisch getragen und beflügelt von der europäischen revolutionären Reformationsbewegung, von Wiclif und Hus, deren Forderungen vom göttlichen Recht zum Kern der bürgerlichen Ideologie werden. Das stimmte mit den Forderungen Müntzers und seiner Anhänger völlig überein und wurde in vielen Bauernhaufen mehr oder weniger konsequent praktiziert. Aber Müntzer war nicht der Anführer des ganzen deutschen Bauernkrieges gewesen: In Oberdeutschland war sein Einfluß geweichende Interpretation von Smirin, M. M., Der Kampf der Bergarbeiter Tirols und das sozial-politische Programm Michael Gaismairs, in: Srednie veka 29, 1966, S. 114—138 (in russischer Sprache mit deutschem Resümee). 4 Der Bauer

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ring, wie die Schriften von M. Bucer, J. Brenz u. a. Reformatoren beweisen.31 Selbst in Thüringen war seine Stellung nicht so stark, daß er den Verlauf des Kampfes hätte bestimmen können. Er War - und das macht seine Bedeutung aus - der Repräsentant des revolutionären Flügels, so wie er in der Reformation den linken Flügel am eindringlichsten und wirksamsten verkörperte. Denn auch im deutschen Bauernkrieg wiederholte sich auf höherer Ebene der Gegensatz zwischen Gemäßigten und Radikalen, zwischen Kräften, die nur begrenzte Ziele erstreben, und solchen, die eine revolutionäre Gesamtlösung wollten, auch wenn ihre Vorstellungen von einer solchen oft vage und verschwommen waren. Und in beiden Fällen, in der Reformation wie im Bauernkrieg, blieben die radikalen Kräfte in der Minderheit. Über die geschlagenen Bauern und Plebejer brach in den Gebieten, wo sie sich erhoben hatten, der Terror der Feudalgewalten herein. Tausende Bauern, vor allem die Anführer, wurden hingerichtet, eingekerkert, verstümmelt, geblendet, mit Strafgeldern belegt; in harter Fronarbeit mußten sie Burgen und Klöster wieder aufbauen. In zahlreichen Flugschriften wurde ihr Kampf verleumdet und verteufelt, so in den Schriften Martin Luthers, Philipp Melanchthons und anderer Reformatoren über die ihnen zur Begutachtung vorgelegten Zwölf Artikel.32 Eine besonders schändliche Rolle spielte Luthers haßerfüllte Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern", die zur schonungslosen Vernichtung aller revolutionären Kräfte aufrief und den Terror der Feudalgewalten ideologisch rechtfertigte.33 Die Niederschlagung der bäuerlich-plebejischen Massenbewegung machte die Chance, die vielfältigen feudalen Hemmnisse in Stadt und Land zu überwinden, die Macht der territorialen Feudalgewalten zu brechen und damit den Weg für den gesellschaftlichen Fortschritt freizukämpfen, für lange Zeit zunichte. Die Machtfrage wurde zugunsten der Territorialfürsten entschieden, die das überlebte feudale Gesellschaftssystem zu stabilisieren vermochten. Das hatte verhängnisvolle Folgen für die weitere Geschichte des deutschen Volkes. So kommt dem deutschen Bauernkrieg ein besonderer Platz in der Geschichte der bäuerlichen Bewegungen zu. In seiner Entstehung, seiner neuen Qualität, seinen nationalen Dimensionen und ideologischen Begründungen ist er bestimmt durch die europäische und die deutsche Reformation, ebenso wie er in seinem Scheitern mitbestimmt ist durch den Konflikt mit der lutherischen Reformation, der freilich zutiefst ein Klassenkonflikt gewesen ist und 31

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Kirchner, Hubert, Der deutsche Bauernkrieg im Urteile der Freunde und Schüler Luthers. Theol. Habilschrift, Greifswald 1969. Steinmetz, Max, Das Müntzerbild von Martin Luther bis Friedrich Engels, a. a. O., besonders S. 15—95. Luthers Hauptschriften wider die Bauern in neuhochdeutscher Fassung bei Brandt, Otto, H., Der große Bauernkrieg, Jena 1925, S. 259-267; Melanchthons Gutachten über die Zwölf Artikel in: Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, a. a. O., S. 179-188.

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nicht n u r eine Meinungsverschiedenheit über Obrigkeit u n d Widerstandsrecht. Der deutsche Bauernkrieg hat zahlreiche Merkmale mit den meisten Bauernaufständen u n d -kriegen gemeinsam; aber durch seinen besonderen historischen Ort erscheint er u n s als Teil eines gewaltigen und u m f a s s e n d e n Versuchs des deutschen Volkes, einer bürgerlich-revolutionären Umgestalt u n g der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zum Durchbruch zu verhelfen: a m Beginn des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus spielte er als eine f r ü h e bürgerliche Revolution im Spannungsbogen zwischen hussitischer revolutionärer Bewegung und niederländischer Befreiungsrevolution eine bedeutende Rolle. Der deutsche Bauernkrieg scheiterte, da er weit über die Möglichkeiten der Epoche h i n a u s in damals utopische Bereiche vorstieß. Die größte revolution ä r e Massenbewegung der älteren deutschen Geschichte - sowohl w a s die Anzahl der Teilnehmer, die regionale Ausbreitung der Bewegung, die Vielfalt der Revolutionären Programmatik angeht und die Zahl der Opfer - scheiterte mit ihrem denkwürdigen Versuch, von u n t e n h e r eine Lösung der damals herangereiften gesellschaftlichen Probleme h e r b e i z u f ü h r e n ; die Bauern, die k ü n f t i g in allen bürgerlichen Revolutionen die „Armee zum Schlagen" der gegnerischen Klassenkräfte stellten, scheiterten an der objektiven u n d subjektiven Unreife des kapitalistisch wirtschaftenden Bürgertums. So haben Reformation und Bauernkrieg als frühbürgerliche Revolution in Deutschland ein Janusgesicht; sie w a r e n Ende und Höhepunkt der antifeudalen Massenbewegungen der Feudalepoche u n d zugleich Beginn u n d erster Versuch der revolutionären Überwindung des Feudalismus beim anhebenden Ubergang zum Kapitalismus. In diesem Sinne m ü n d e t der deutsche B a u e r n krieg in den mit den Ereignissen von 1517 bis 1525 einsetzenden europäischen Revolutionszyklus, der in der französischen Revolution von 1789 gipfelt. Mit der Niederlage der frühbürgerlichen Revolution in Deutschland löste sich die revolutionäre Einheit von Reformation und Bauernkrieg wieder. Die bäuerliche Bewegung w u r d e in Deutschland auf das Niveau der K ä m p f e von 1476 zurückgeworfen und verlor f ü r längere Zeit die nationale Relevanz, die sie gerade durch das Bündnis mit der f r ü h e n Reformation gewonnen hatte. Während die revolutionären K r ä f t e niedergeschlagen wurden, breitete sich die bürgerlich-gemäßigte Reformation in Gestalt des Luthertums, das sich der gestärkten Fürstenmacht u n t e r w a r f , in weiten Teilen Europas aus; die radikalen Tendenzen n a h m e n in der Schweiz in Gestalt des Kalvinismus eine neue, den revolutionären K r ä f t e n des B ü r g e r t u m s gemäßere F o r m an. 34 Erst nach der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus durch die Sowjetunion im J a h r e 1945 u n d im Gefolge des antifaschistischen K a m p fes w u r d e es auf dem Boden der Deutschen Demokratischen Republik möglich, viele der revolutionären Forderungen von 1524 bis 1526 zu v e r w i r k 34

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Steinmetz, Max, Johann Calvin. Mensch — Werk — Wirkung. In: Weite Welt und breites Leben. Bulling-Festschrift, Leipzig 1966, S. 251—64.

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liehen,35 die unter feudalen und kapitalistisch-imperialistischen Bedingungen nicht erfüllt werden konnten. Unter Führung der Arbeiterklasse wurden 1945 mit der entschädigungslosen Enteignung des Großgrundbesitzes und der Übergabe des Bodens an Landarbeiter, Umsiedler, Kleinbauern und Landarme grundlegende revolutionär-demokratische Maßnahmen durchgesetzt und entscheidende Machtpositionen des Imperialismus und Militarismus zerschlagen. Zwischen der 450. Wiederkehr der Geschehnisse des Bauernkrieges, dem 30. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus und dem 30. Jahrestag der demokratischen Bodenreform im Jahre 1975 besteht deshalb ein tiefer innerer Zusammenhang. Mit der Errichtung der Arbeiter-und-Bauern-Macht in der DDR erfüllt sich unter neuen gesellschaftlichen Bedingungen die zentrale Forderung Thomas Müntzers: Die Macht soll gegeben werden dem gemeinen Manne. Mit der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft wird der Weg zum Kommunismus gebahnt, durch den auch jene kühnen Vorahnungen der Revolutionäre von 1525 von einer klassenlosen Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung verwirklicht werden. In einem großen Teil der Kerngebiete des Bauernkrieges, wie im Schwarzwald, im Allgäu, in Schwaben, in Franken und in der Pfalz, blieb - wie in der imperialistischen Bundesrepublik Deutschland insgesamt - das Vermächtnis von 1525 bis heute unerfüllt. Solange das Monopolkapital alle Machtpositionen in seinen Händen hält, kann von Freiheit und echtem demokratischen Fortschritt für das werktätige Volk keine Rede sein. Die Würdigung der Leistungen und Opfer der Bauern von 1525 muß daher die Erkenntnis einschließen, daß die Interessen der werktätigen Bauern nur an der Seite und unter Führung der Arbeiterklasse im Kampf gegen das staatsmonopolistische Herrschaftssystem durchgesetzt werden können. Vier wesentliche Erfahrungen und Lehren ergeben sich für uns aus der dargelegten Auffassung des Bauernkrieges als des Höhepunktes der deutschen frühbürgerlichen Revolution: Erstens: Die Rolle der Volksmassen, die stets im Kampf gegen Unterdrükkung und Entrechtung durch die herrschenden Ausbeuterklassen und im Ringen um ihre Lebensinteressen große revolutionäre Energien freisetzen, erreichte in der frühbürgerlichen Revolution eine in unserer älteren Geschichte bisher unbekannte Intensität. Dies bezeugen vor allem die großartigen Anstrengungen der Volksmassen zur Durchsetzung des gesellschaftlichen Fortschritts und zur revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft. Gerade die kämpfenden Bauern und ihre Bundesgenossen gaben begeisternde Beispiele revolutionären Volkskampfes gegen die geistlichen und weltlichen Feudalherren. So bekannt wenigstens die wichtigsten Programme sind, die Ordnungen militärischer, administrativer, sozialer u. a. Art, die sich die Bauern35

Der deutsche Bauernkrieg — Zum 450. Jahrestag — (Material zur Vorbereitung). Hrsg. vom Komitee beim Ministerrat der DDR zur Vorbereitung des 450. Jahrestages des deutschen Bauernkrieges, Berlin 1973.

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häufen gaben, sind als bedeutende Leistungen revolutionär-demokratischer Gesetzgebung, als Ansätze zur Errichtung einer Volksmacht noch längst nicht genügend gewürdigt. Auch wenn durch regionale Zersplitterung und mangelnde Erfahrungen im Kampf um die Macht die großartigen Ansätze des Bauernkrieges wieder zunichte gemacht wurden und die vereinigten Landsknechtsheere der Fürsten schließlich siegten, so bilden doch Kampfesmut und Weitsicht der Revolutionäre Ansporn und Mahnung für spätere Zeiten. Zweitens: Der aktiven Rolle der Volksmassen entsprechen die in den Klassenkämpfen am Anfang des 16. Jahrhunderts geprägten Persönlichkeiten, die späteren Generationen durch ihren selbstlosen Einsatz im Kampf um den gesellschaftlichen Fortschritt zum Vorbild wurden. „Es gab eine Zeit, wo Deutschland Charaktere hervorbrachte, die sich den besten Leuten der Revolutionen anderer Länder an die Seite stellen können."36 Die Erinnerung an den deutschen Bauernkrieg schließt deshalb auch die Aufgabe ein, diese Vorbilder für die Erziehung der jungen Generation im Geiste des revolutionären Kampfes noch besser zu nutzen. Drittens: Der deutsche Bauernkrieg wirkt als revolutionäre Tradition bis in unsere Zeit. Auch wenn die Volksmassen im Bauernkrieg eine Niederlage erlitten, wirkt ihr Kampf als Vorbild weiter, bleiben ihre revolutionären Ideen und Aktionen lebendig. Das zeigt die Geschichte der Historiographie des deutschen Bauernkrieges seit den Werken von Wilhelm Zimmermann (1841 bis 1843) und Friedrich Engels (1850), das zeigen aber auch speziell die Geschichte des Müntzerbildes und der Weinsberger Tat, aber ebenso die Gestaltung des Bauernkriegsstoffes in der Literatur von Goethes Götz von Berlichingen (1773) bis Friedrich Wolfs Müntzerdrama (1953) sowie in der bildenden Kunst vom Bauernkriegszyklus der Käthe Kollwitz (1903 bis 1908) bis zu den zahlreichen Gemälden und Graphiken der Kunst der DDR. Besonders bedeutsam ist die Pflege der revolutionären Traditionen des Bauernkrieges durch die Arbeiterklasse. Die KPD nahm besonders 1925 diese Traditionen und Lehren auf. Sie verband die Würdigung des Bauernkrieges und seiner revolutionären Führer mit der Mobilisierung der Massen im Klassenkampf gegen Monopolkapitalisten und Großagrarier und nutzte sie für das Ringen um das Bündnis der Arbeiterklasse mit anderen Klassen und Schichten, insbesondere der werktätigen Bauernschaft. In der DDR ist das Erbe der Bauern von 1525 in vielfältiger Weise lebendig. Die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft, insbesondere auf dem Lande, wurde auch in dem Bewußtsein durchgeführt, damit das Vermächtnis des Bauernkrieges zu erfüllen. Viertens: Die Niederlage des deutschen Bauernkrieges hat uns die Lehre hinterlassen, daß der bäuerliche Klassenkampf der Führung durch die jeweils historisch fortgeschrittenste Klasse bedarf, wenn er siegreich sein soll. Die entstehende Handels- und Manufakturbourgeoisie erwies sich zu Beginn des 36

Engels, Friedrich, Der deutsche Bauernkrieg, in: MEW, Bd. 7, S. 329.

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16. Jahrhunderts noch nicht in der Lage, diese Führungsaufgabe zu erfüllen. Sie ließ die Bauern und Plebejer auf dem Höhepunkt des Bauernkrieges im Stich und schlug sich auf die Seite der Feudalgewalten, ganz im Gegensatz zur entwickelteren Bourgeoisie der späteren Revolutionen in den Niederlanden und in England. Erst in der Arbeiterklasse fanden die Bauern und alle anderen Werktätigen den zuverlässigen Bündnispartner und Führer im Kampf gegen Ausbeutung und Ausplünderung im Kapitalismus. Aber auch die Arbeiterklasse ihrerseits kann ihre historische Mission nur im Bündnis mit allen ausgebeuteten Klassen und Schichten, vor allem im Bündnis mit der werktätigen Bauernschaft erfüllen. Die schöpferische Aneignung des Erbes des Bauernkrieges und seiner revolutionären Traditionen, seine Würdigung als Höhepunkt der frühbürgerlichen Revolution bedingt auch die Auseinandersetzung mit imperialistischen und rechtssozialdemokratischen Verfälschungen. 37 Die imperialistische Geschichtsschreibung leugnet nach wie vor den inneren Zusammenhang der Reformationsbewegung mit dem Bauernkrieg und deren Charakter als frühbürgerliche Revolution. Sie leugnet die positive Rolle der revolutionären Kräfte, sieht im Bauernkrieg lediglich die Reaktion des bäuerlichen Genossenschaftsprinzips gegen die Herausbildung der Territorialstaaten und verfälscht ihn zu einem Randereignis der Geschichte.38 Da unter den damaligen historischen Bedingungen Sozialrevolutionäre Gedanken und Bewegungen sich weitgehend religiös ausdrücken mußten, versuchten klerikale Kreise, die Reformation ausschließlich oder vorwiegend als religiöse Bewegung hinzustellen. In diesem Sinne mißbrauchen sie auch Ideologie und Wirken Thomas Müntzers. Dabei sind sie bestrebt, die reformatorischen, insbesondere die volksreformatorischen Ideen ihres revolutionären Gehalts zu berauben, indem sie deren theologische Ausdrucksform enthistorisieren, dadurch zugleich verabsolutieren und deren sozialen Inhalt negieren.39 Unter dem Zwang der Anpassung an das veränderte politische Kräfteverhältnis unserer Zeit rücken neuerdings rechtssozialdemokratische Politiker, Historiker und Publizisten der BRD von einigen unhaltbaren Geschichtsfälschungen ab. In dem Bestreben, progressive Traditionen in das staatsmonopolistische System zu integrieren und auf geschmeidigere Weise ihren ideolo37

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Steinmetz, Max, Reformation und Bauernkrieg, in: Unbewältigte Vergangenheit. Handbuch zur Auseinandersetzung mit der westdeutschen bürgerlichen Geschichtsschreibung, Berlin 1970 u. ö. S. 132—43. Vogler, Günter, Uber den Sinn des Kampfes der Bauern im deutschen Bauernkrieg 1524 bis 1526. Bemerkungen zu A. Waas, Die Bauern im Kampf um Gerechtigkeit 1300-1525, in: JWG 1967, Teil 1, S. 352-360. Nach den beachtlichen Müntzerstudien von Hinrichs, Carl (1952) und Nipperdey, Thomas, (1963, mit Nachtrag von 1967) deutet sich in jüngster Zeit eine Rückkehr zu dogmatisch verhärteter und stark ahistorischer Interpretation an, so besonders bei Ebert, Klaus, Theologie und politisches Handeln. Thomas Müntzer als Modell. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1973.

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gischen Kampf gegen den Marxismus-Leninismus und die sozialistische Gesellschaftsordnung den heutigen Bedingungen anzupassen, greifen sie auch auf den Bauernkrieg zurück. Eine besondere Rolle spielte hierbei das Stück von Dieter Forte „Martin Luther & Thomas Müntzer oder Die Einführung der Buchhaltung" (1971), das auf 25 Bühnen der BRD und der Schweiz einen sensationellen Erfolg hatte und eine ungewöhnlich lebhafte publizistische Auseinandersetzung hervorrief. Indem m a n dem opferreichen Kampf der Bauern scheinbar Gerechtigkeit widerfahren läßt, ihn aber gleichzeitig zu einem Kampf u m „freiheitliche Demokratie" umfunktioniert, konstruiert m a n eine Traditionslinie, die vom Bauernkrieg bis zum „sozialen Rechtsstaat" der BRD reichen soll. Damit soll revolutionäres Erbe zur historischen Legitimation des imperialistischen Bonner Herrschaftssystems mißbraucht werden. Für die Bürger unserer sozialistischen Gesellschaft verbindet; sich das Gedenken an die revolutionären Kämpfe von einst mit dem Stolz auf die sozialistischen Errungenschaften von heute und mit dem Blick voraus auf die zu lösenden Aufgaben. Dabei sind sie von dem Bewußtsein erfüllt, daß lebendiges, leidenschaftliches Mitwirken an der sozialistischen Gegenwart und Zuk u n f t auf die Dauer nicht möglich ist ohne gründliche Kenntnisse der Vergangenheit. Dazu sollen die hier vorgelegten Betrachtungen über den historischen Standort des deutschen Bauernkrieges beitragen helfen.

Günter Vogler

Ein Vorspiel des deutschen Bauernkrieges im Nürnberger Landgebiet 1524

Als Beginn des deutschen Bauernkrieges von 1524 bis 1525/26 gilt die S t ü h linger Erhebung im J u n i 1524. Nun ist aber bekannt, daß ihr andere regional begrenzte Aktionen vorausliefen, von denen die U n r u h e n in u n d u m Forchheim in F r a n k e n im Mai 1524 häufig genannt werden, und sie können tatsächlich als eines der Vorspiele der umfassenden Erhebung der B a u e r n angesehen werden. In die gleiche Zeit fielen aber auch Bauernversammlungen u n d Zehntverweigerungen im Nürnberger Landgebiet, also in unmittelbarer Nachbarschaft des Forchheimer Unruheherds. 1 Trotz ihrer regionalen Begrenztheit lenken sie den Blick auf allgemeine Fragen wie die nach dem Einfluß der reformatorischen Bewegung, nach der Wechselbeziehung zwischen städtischer und ländlicher Opposition, nach den Reaktionen des patrizischen Stadtregiments, Fragen also, die sich - neben vielen anderen - f ü r den deutschen Bauernkrieg insgesamt stellen u n d zu deren Beantwortung die Untersuchung regionaler Ereignisse beitragen kann. Die Vorgänge im Nürnberger Landgebiet sind wiederholt beschrieben worden. A m A n f a n g steht die kleine Arbeit von J o h a n n K a m a n n aus dem J a h r e 1878, auf die sich die meisten späteren Darstellungen in ihren Aussagen stützen. 2 K a m a n n bietet einen knappen Überblick, der aus den Quellen erarbeitet ist, aber das Material noch nicht ausgeschöpft hat. Die Vorfälle von Mai bis Juli 1524 boten ihm n u r einen Ausgangspunkt f ü r die Behandlung des Geschehens von 1525. Mit der Veröffentlichung eines wesentlichen Teils der Quellen durch Gerhard Pfeiffer 1968 w u r d e die Voraussetzung f ü r eine neue Bearbeitung geschaffen. 3 Seine Edition gilt zwar der Reformationsgeschichte Nürnbergs, aber er hat in diesem Zusammenhang auch einen großen Teil der Quellen veröffentlicht, die Aufschluß ü b e r ein bemerkenswertes Vorspiel des Bauernkrieges im Nürnberger Landgebiet geben. D a r ü b e r hinaus w u r d e n f ü r 1

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Forchheim liegt nördlich von Nürnberg, auf halbem Wege zwischen Nürnberg und Bamberg. Kamann, Johann, Nürnberg im Bauernkrieg, Programm zu dem Jahresbericht der Kreisrealschule in Nürnberg, Nürnberg 1878. Quellen zur Nürnberger Reformationsgeschichte. Von der Duldung liturgischer Änderungen bis zur Ausübung des Kirchenregiments durch den Rat (Juni 1524 bis Juni 1525). Bearbeitet von Gerhard Pfeiffer (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns Bd. 45), Nürnberg 1968 (im folgenden zitiert: Quellen).

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unsere Untersuchung einige von ihm nicht berücksichtigte oder nicht im vollen Wortlaut abgedruckte Quellen aus dem Staatsarchiv Nürnberg herangezogen.4 Die Vorgänge interessierten bisher meist unter dem Blickpunkt, die überlegte Politik des Nürnberger Rates während des Bauernkrieges darzustellen, da sie als hervorragendes Beispiel verstanden werden konnte, wie es einem Rat gelang, ein Übergreifen des Bauernaufstandes auf die Stadt und ihr Landgebiet zu verhindern. Schon Kamann unterstrich die bedachte Haltung des Nürnberger Rates, „dem es gelang, unter den schwierigsten Verhältnissen die Ruhe in seinem Gebiete wieder herzustellen; seine vorsichtige Politik nach innen und nach außen, seine Beziehungen zu den einzelnen Ständen des Reiches und zu den aufständischen Bauern, seine Bedeutung als Glied des schwäbischen Bundes, dieses alles verdient eine eingehendere Betrachtung." 5 Zuletzt urteilte im gleichen Sinne Wolfgang Wüllner: „Es ist eine politische Meisterleistung, daß der Rat es nicht nur fertig brachte, die fremden Bauernheere von seinem Territorium fernzuhalten, sondern daß er es zudem verstand, jeden Aufstand seiner Untertanen ohne größere Gewaltanwendung zu verhindern." 6 Nun sind in jüngster Zeit einige kritische Akzente gesetzt worden. So stellte zum Beispiel Rudolf Endres im Hinblick auf die Situation in der freien Reichsstadt heraus, daß aufgrund starker Interessengegensätze die soziale Frage immer mehr oder weniger offen existent gewesen sei. Bei allen erkennbaren revolutionären Ansätzen seien „religiöse, politische, aber auch soziale Vorstellungen und Motive aufs engste miteinander verknüpft" gewesen. „Doch geschicktes Taktieren, Härte und Nachgiebigkeit der Obrigkeit zur rechten Zeit bewahrten die Stadt vor größeren Auseinandersetzungen." 7 Schließlich zog Lawrence P. Buck aus einer Untersuchung über Strafmaßnahmen des Rates nach dem Bauernkrieg den Schluß, „daß die Unruhe unter den Bauern im Nürnberger Gebiet wahrscheinlich größer war, als bisher angenommen wurde." Obwohl sich Nürnberg niemals zu einem Zentrum des Bauernkrieges entwickelt habe, sei es dennoch nicht gerechtfertigt, „vom Nürnberger Land als einer Insel der Ruhe in einem Meer des Aufruhrs zu sprechen." 8 Wir werden zu prüfen haben, inwieweit dieses Urteil auch für die Entstehungsphase des Bauernkrieges seine Berechtigung hat. 4

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Verf. beabsichtigt, die Thematik weiter zu verfolgen und dabei insbesondere die innerstädtischen Vorgänge detaillierter zu behandeln. Kamann, Johann, a. a. O., S. 7. Wüllner, Wolf gang, Das Landgebiet der Reichsstadt Nürnberg, in: Altnürnberger Landschaft, Mitteilungen, Jg. 19, 1970, Sonderheft, Nürnberg 1970, S. 16. Endres, Rudolf, Zur Einwohnerzahl und Bevölkerungsstruktur Nürnbergs im 15./16. Jahrhundert, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg (MVGN), Bd. 57, 1970, S. 269. Buck, Lawrence P., Die Haltung der Nürnberger Bauernschaft im Bauernkrieg, in: Altnürnberger Landschaft, Mitteilungen, Jg. 19,1970, S. 63.

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Die am 26. Mai 1524, dem Fronleichnamstag, in der bischöflich-bambergischen Landstadt Forchheim beginnenden Unruhen stehen mit der reformatorischen Predigt in direktem Zusammenhang.9 Seit dem Sommer 1523 war es im Hochstift Bamberg mehrfach zu Zehntverweigerungen gekommen. Im Jahre 1524 häuften sich solche Vorfälle, und die Zehntscheunen mußten bewacht werden, da auch Brandstiftungen vorkamen.10 In dieser Zeit traten die ersten lutherischen Prediger auf dem Lande auf. Es wird berichtet, in Forchheim habe der die lutherische Lehre verkündigende Vikar Jörg Kreutzer das Signal zur Erhebung gegeben, so daß sich die Unzufriedenen auf dem Kirchhof sammelten, Sturm läuteten und mehrere Gebäude in der Stadt besetzten. Bei dieser Gelegenheit wurden auch Akten des Archivs vernichtet, offenbar in der Absicht, die Aufzeichnungen über feudale Verpflichtungen zu beseitigen. Diese Bewegung blieb nicht auf die Stadt beschränkt, sondern griff auf eine Reihe Dörfer besonders im Regnitzgrund, Aischgrund und Ebermannstädter Grund über. Ein Amtmann berichtete: „Die von Vorchheim und ganzen Grund sind alle wogig und aufrührisch".11 Die Aufständischen übernahmen faktisch die Herrschaft in der Stadt und erhielten auch Zuzug vom Land; es ist von 500 Mann mit zwei Fähnlein die Rede. Die formulierten fünf Artikel „über Zinsen und Zehnten" verlangten, die Gewässer und das Wild freizugeben, nur die 30. Garbe als Zehnt zu leisten, die Weihsteuer für neugewählte Bischöfe aufzuheben, Adel und Geistlichkeit in der Stadt wie alle anderen Bürger zu besteuern und die Geistlichkeit in allen weltlichen Angelegenheiten unter das weltliche Recht zu stellen.12 Da Ermahnungen ohne Wirkung blieben, setzte der Bamberger Bischof Weigand von Redwitz einige hundert Landsknechte in Marsch, die Anfang Juni die Stadt Forchheim einnahmen. Bei den Strafmaßnahmen, die nun folgten, wurde offenbar differenziert, indem „Rädelsführer" mit Strenge gestraft wurden, während die Masse der Beteiligten straffrei ausging oder mit geringfügigen Maßregelungen davonkam, und dies sicher in der Absicht, keia

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Zu den Ereignissen in und um Forchheim vgl.: Franz, Günther, Der deutsche Bauernkrieg, 4. Aufl., Darmstadt 1956, S. 94 f.; Endres, Rudolf, Probleme des Bauernkriegs im Hochstift Bamberg, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung, Bd. 31, 1971, S. 105 f.; Gückel, Martin, Beiträge zur Geschichte der Stadt Forchheim im 10. Jahrhundert, Programm des Neuen Gymnasiums Bamberg, Bamberg 1898, S. 20 f.; Kupfer, Konrad, Forchheim. Geschichte einer alten fränkischen Stadt, Nürnberg 1960, S. 57. Endres, Rudolf, Probleme des Bauernkriegs, S. 105. Zu den Zehntverweigerungen in dieser Zeit allgemein vgl. Franz, Günther, Der deutsche Bauernkrieg, S. 93. Abgedr. bei: Kupfer, Konrad, a. a. O., S. 57; Gückel, Martin, a. a. O., S. 22. Der Text der Forchheimer Artikel in: Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, Gesammelt und hrsg. von Günther Franz, München/Wien 1963, S. 315; Franz, Günther, Der deutsche Bauernkrieg, Aktenband, 3., unveränderte Aufl., Darmstadt 1972, S. 339.

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nen neuen Konfliktstoff zu schaffen. Immerhin wurden gegen 40 Bürger und Bauern Gefängnisstrafen, gegen einige auch Leibesstrafen verhängt; Kreutzer wurde über ein Jahr in Haft gehalten und war später Pfarrer in Mögeldorf bei Nürnberg. Forchheim bietet ein Beispiel, wie Städtebürger im Rahmen der reformatorischen Bewegung nicht nur gegen den herrschenden Rat opponierten, sondern auch soziale Forderungen gegen das städtische Regiment und den Bischof von Bamberg durchzusetzen suchten. Das Zusammenfließen von reformatorischer Predigt und sozialer Bewegung war hier ebenso charakteristisch wie das Zusammenwirken von Städtebürgern und Bauern. Die isolierte Aktion konnte zu diesem Zeitpunkt noch innerhalb weniger Tage niedergeschlagen werden. Und doch haben diese Ereignisse bereits ein merkliches Aufsehen erregt. Schon am 27. Mai wandte sich Weigand von Redwitz an Bischof Konrad von Würzburg mit der Bitte, sich bereitzuhalten und gegebenenfalls Unterstützung zu gewähren.13 Auch wird berichtet, der Kurfürst und Erzbischof von Trier habe sich eingeschaltet und zur Ruhe gemahnt14, und aus einem Brief Philipp Melanchthons von Mitte Juni erfahren wir, er habe von den Unruhen um Forchheim zuerst in Erfurt gehört.15 Das benachbarte Nürnberger Landgebiet und Einwohner der Stadt selbst waren möglicherweise direkt in diese Unruhen verwickelt. Martin Gückel schreibt, ohne allerdings die Quelle zu nennen, daß die Gemeinde Forchheim „von unruhigen Elementen aus Nürnberg zum Aufruhr angefeuert wurde".16 Die Nürnberger Akten haben zwar für diese Aussage bisher keine Bestätigung gebracht, aber die Vorgänge wurden ohne Zweifel in der Stadt aufmerksam verfolgt. Einem Schreiben des Rates vom 28. Mai an Heinrich Knodt zu Weida, Pfleger von Schwarzenbruck, ist zu entnehmen, daß die Nürnberger Obrigkeit nicht nur Informationen erhalten hatte, sondern an einigen wichtigen Punkten Berittene stationiert worden waren. Außerdem wurde der Pfleger angewiesen, in Erfahrung zu bringen und zu berichten, „wie sich diese vffrur zu vorcheim begeben haben".17 Auch hatte der Bamberger Bischof den Nürnberger Rat unterrichtet und um Unterstützung nachgesucht, die ihm - so ein Schreiben des Rats vom 30. Mai - im Falle einer Ausweitung der Unruhen auch zugesichert wurde, „wie wir als gemeine Pundsverwandte in vermög 13 14 15

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Ebenda, S. 339 f. Kupfer, Konrad, a. a. O., S. 57. Corpus Reformatorum, Hrsg. von Karl Gottlieb Bretschneider, Bd. 1, Halle 1634, Sp. 061 (Nr. 279); Melanchthons Briefwechsel, Hrsg. von Otto Clemen, Bd. 1, Leipzig 1926, S. 244 (Nr. 345); Quellen, S. 268 (Briefe Nr. 15). Gückel, Martin, a. a. O., S. 20. Staatsarchiv Nürnberg (StAN), Rep 61a, Briefbücher des inneren Rates Nr. 87, fol. 55 v f. Einem Ratsverlaß vom gleichen Tage — dem 28. Mai — zufolge sollten die Nürnbergischen Untertanen zu Hawsen (?) angehalten werden, sich „der bambergischen auffrür zu vorcheim nit nicht teilhafütig zu machen" (StAN, Verlässe des inneren Rates — im folgenden zitiert: Ratsverlässe — 704, fol. 2 v).

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Pundtscher Ordnung zuthun schuldig sein vnd wir in gleichem fall gern gehabtt haben wollten".18 Auf Ersuchen der Bamberger Räte ordneten am 6. Juni die Nürnberger Ratsherren an, „das man die außgetretten burger vnd paurn von vorcheim vnd Reut (?), souil der angezaigt vnd hir betroffen mögen werden, soll annemen lassen vnd demselben geschickten alßdann ernstlichen frag zugestatten".19 Nürnberg war also für einige der Aufständischen zum Zufluchtsort geworden. Der Rat dürfte die Sache sehr ernst genommen haben, hatte er sich doch zur gleichen Zeit bereits mit Aktionen der Bauern in einigen seiner Dörfer zu befassen, die auch in der Stadt ein Echo hervorriefen und das Stadtregiment längere Zeit beschäftigten. Die freie Reichsstadt Nürnberg verfügte über ein umfangreiches Landgebiet, das im Verlaufe vor allem des 15. und bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts auf unterschiedlichen Wegen erworben wurde und zu dem eine bedeutende Zahl von Dörfern und Landstädten sowie die ausgedehnten Reichswälder in der Umgebung der Stadt gehörten.20 Als Motive f ü r diese Politik gelten sowohl das Bemühen um den Schutz der Stadt und die Sicherung der Handelswege wie auch die Sicherstellung der Lebensmittelversorgung für die Stadtbevölkerung. Nürnberg war so neben Ulm und Rothenburg zur Stadt mit dem größten Landgebiet geworden. Nach Gustav Voit gehörten ihr und ihren Bürgern bereits 1446 in 670 Orten etwa 3800 Anwesen, von denen ein Teil allerdings außerhalb des Landgebiets lag.21 Diese Zahl stieg bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts noch an. Heinz Dannenbauer hat geschätzt, daß die Ein18

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StAN, Briefbücher Nr. 87, fol. 57 v f. Gemeint ist die Zugehörigkeit zum Schwäbischen Bund. Ebenda, Rep. ©0 b, Ratsbücher Nr. 12, fol. 244 v. Nicht ganz damit übereinstimmend findet sich der Text auch bei: Schornbaum, Karl, Die Stellung des Markgrafen Kasimir von Brandenburg zur reformatorischen Bewegung in den Jahren 1524-1527, phil. Diss., Erlangen 1900, S. 164. Noch am 20. Oktober wurde ein Bürger von Forchheim in Nürnberg abgewiesen, „sein pfening hir zu zeren, dhweil er der auffrur zu vorcheim verwandt ist" (StAN, Ratsverlässe 709, fol. 8 v). Vgl. dazu Dannenbauer, Heinz, Die Entstehung des Territoriums der Reichsstadt Nürnberg (Arbeiten zur deutschen Rechts- und Verfassungsgeschichte H. 7), Stuttgart 1928; Hirschmann, Gerhard, Das Landgebiet der ehemaligen Reichsstadt Nürnberg, Neustadt a. d. Aisch 1951; Schnelbögl, Fritz, Die wirtschaftliche Bedeutung ihres Landgebietes für die Reichsstadt Nürnberg, in: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs, Hrsg. vom Stadtarchiv Nürnberg, Nürnberg 1967, Bd. 1, S. 261 ff.; Hofmann, Hanns Hubert, Nürnberg-Fürth (Historischer Atlas von Bayern, Teil Franken, H. 4), München 1954, S. 23 ff.; Wüllner, Wolfgang, a. a. O., S. 10 f. Voit, Gustav, Grundherrschaften im Amte Hersbruck (Schriftenreihe der Altnürnberger Landschaft Bd. 12), Nürnberg 1966, S. 94.

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wohnerzahl der ländlichen Gebiete, die unter Nürnberger Herrschaft standen, etwa 22 000 Menschen betrug. 22 Der Rat teilte sich in die Rolle des Grundherrn mit Bürgern der Stadt, kirchlichen Institutionen und benachbarten Städten und Feudalgewalten. Dannenbauer gibt f ü r das 15. Jahrhundert Zahlen an, wieviele Hofstellen jeweils einzelnen Nürnberger Familien gehörten. Wir greifen hier folgende Beispiele heraus: Haller 380, Rummel 208, Rieter 183, Geuder 177, Schürstab 162, Mendel 158, Tucher 140, Groland 131, Holzschuher 122, Muffel 111; beim Rat werden 113 Hofstellen genannt. 23 Hinzu kommen die geistlichen Institutionen, von denen offenbar einige Nürnberger Klöster am besten ausgestattet waren. Es werden genannt: Neues Spital 112, St. Egidien 110, Katharinakloster 91, Klarakloster 83 und Reiches Almosen 61 Hofstellen. 24 Das Verhältnis von weltlichem und kirchlichem Grundbesitz war etwa das von 4 : 1 . Hinsichtlich der sozialen Struktur wurden im Landgebiet Haussassen, Hintersassen und Beisassen unterschieden. Die Haussassen (oder auch im Gegensatz zu den Stadtbürgern „arme Leute" genannt) umschlossen Bauern und Köbler, die sich nicht in ihrer rechtlichen Stellung, aber in der Größe der von ihnen bewirtschafteten Höfe unterschieden. Von ihnen waren Zins, Gült und Zehnt und eine Reihe weiterer ständiger oder außerordentlicher Abgaben und Leistungen zu erbringen. Das verbreitetste Besitzrecht war die Erbleihe. Als Hintersassen wurden Tagelöhner und Gesinde, als Beisassen die Dorfhandwerker, Schulmeister und Pfarrer bezeichnet. 25 Wir treffen also auf eine differenzierte soziale Struktur. Das ausgedehnte Landgebiet war seit 1513 dem Landpflegamt unterstellt, einer beim Rat gebildeten Institution f ü r die Verwaltung dieses territorialen Komplexes. 26 Dazu wurden Landpfleger eingesetzt, denen bestimmte Bereiche f ü r die Verwaltung zugewiesen wurden. Als militärische Gliederung bestan-

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Dannenbauer, Heinz, a. a. O., S. 185. Ebenda, S. 161. Wir haben hier nur die Familien herausgezogen, die mehr als 100 Hofstellen besaßen. Ebenda, S. 160. Auch hier handelt es sich nur um eine Auswahl. Vgl. dazu Wüllner, Wolf gang, a. a. O., S. 29 f.; Voit, Gustav, Grundherrschaften, S. 127 ff.; Espig, Horst, Das Bauerngericht von Nürnberg. Eine Darstellung seiner Geschichte und seiner Organisation, jur. Diss., Würzburg 1937, S. 20 f.; Scholl, Herbert, Dorfordnungen im Landgebiet Nürnberg. Unter besonderer Berücksichtigung weltlicher und geistlicher Grundherrschaft, jur. Diss. Erlangen 1958, S. 50 f. (MS); zum Vergleich mit benachbarten Gebieten: Endre, Rudolf, Probleme des Bauernkriegs, S. 95 f.; Heerwagen, Heinrich, Die Lage der Bauern zur Zeit des Bauernkrieges in den Taubergegenden, Nürnberg 1899, S. 54 f. Hofmann, Hanns Hubert, Die Einrichtung des Nürnberger Landpflegamts. Ein Beitrag zur Geschichte des Landgebiets der Reichsstadt Nürnberg, in: Altnürnberger Landschaft, Mitteilungen, Jg. 12, 1963, S. 57 ff.; Wüllner, Wolf gang, a. a. O., S. 23 f.

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den bereits seit 1439 die Hauptmannschaften. 2 7 Die Rechte der Dorfgemeinden und die Normen des Gemeindelebens waren in Dorfordnungen festgelegt. 28 Als die Forchheimer Erhebung begann, zeigte es sich, daß auch das Nürnberger Landgebiet Konfliktstoff barg. Anzeichen d a f ü r begegnen bereits vor dem Beginn der Unruhen in und um Forchheim. Einen ersten Anhaltspunkt bietet ein Ratsverlaß 29 vom 19. Mai 1524, dem zu entnehmen ist, daß ein Bauer und eine Bäuerin in Rebdorf sich weigerten, den Hauszehnt zu geben. 30 Am nächsten Tag wurde vom Rat festgelegt, beide „in Pflicht zu nehmen" und ins Lochgefängnis zu bringen, falls sie nicht gelobten, der Zehntpflicht nachzukommen. 31 Ihre Festnahme muß sofort danach erfolgt sein, denn am 21. Mai wurde veranlaßt, sie zu befragen, „wer die pindnus gemacht sich des Zehend zu widersetzen". 32 Offenbar wurde hinter ihrer Handlungsweise eine Absprache vermutet. Treffender noch wird die gespannte Situation durch ein Mandat des Rates vom 20. Mai erhellt, von dem es im Ratsbuch heißt: „nachvolgend verkündung und gepott ist durch etlich hundert gedruckten Zettel in alle n u r m bergische Hauptmanschafft auff dem land aussgangen." 33 Von der Vermutung abgesprochener Aktionen geht auch dieses Mandat aus, indem einleitend festgestellt wird, die Untertanen und „armen Leute" auf dem Lande unterstünden sich jetzt, sich untereinander zu bereden und zu vereinigen, Zehnt, Rent, Zins und Gült nicht mehr zu zahlen und versteckten sich hinter dem Evangelium. Dieses Vorgehen wird verurteilt, und sie werden aufgefordert, 27 28

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Hof mann, Hanns Hubert, Landpflegamt, S. 58; Schnelbögl, Fritz, a.a.O., S. 289. Wüllner, Wolf gang,- a.a.O., S. 32 f.; Voit, Gustav, Grundherrschaften, S. 173 f.; Scholl, Herbert, a.a.O., S. 67 f.; Graf, Alfred, Die soziale und wirtschaftliche Lage der Bauern im Nürnberger Gebiet zur Zeit des Bauernkrieges, phil. Diss., Erlangen 1908, S. 12 ff. Zu den Ratsverlässen vgl. die Einleitung zu Quellen, a. a. O., S. 19; Mummenhoff, Ernst, Die Nürnberger Ratsbücher und Rats-Manuale, in: Archivalische Zeitschrift, N. F., Bd. 17, 1910, S. 35 f. StAN, Ratsverlässe 703, fol. 16 r. Der Hauszehnt umfaßte die Abgaben von Schmalsaat und Vieh. Ebenda, fol. 17 v. Das Lochgefängnis — oder kurz „Loch" genannt — in den Kellergewölben des Rathauses diente als Untersuchungsgefängnis für schwerer Straftaten verdächtige Bürger und Untertanen. Vgl. dazu Knöllinger, Friedrich, Die ,Lochgefängnisse' und die unterirdischen Gänge unter dem Rathause zu Nürnberg, in: Der Sonntagskurier, Unterhaltungsbeilage des Fränkischen Kuriers, Jg. 4, 1923, S. 46 f.; Knapp, Hermann, Das Lochgefängnis, Tortur und Richtung in Alt-Nürnberg. Auf Grund urkundlicher Forschung, Nürnberg 1907; Kunstmann, Hartmut H., Zauberwahn und Hexenprozeß in der Reichsstadt Nürnberg (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte Bd. 1), Nürnberg 1970, S. 139 f. StAN, Ratsverlässe 703, fol. 19 r. StAN, Ratsbücher Nr. 12, fol. 241 r. Vgl. auch Ratsverlässe 703, fol. 17 v.

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sofort davon Abstand zu nehmen, sich weder mit Worten noch in der Tat gegen ihre Herrschaften zu vereinigen und ihren Verpflichtungen wie bisher nachzukommen. Wer sich dem widersetze, den wolle der Rat „mit tapferer straf leibs und guts solich statlich und ernstlich einsehen thun, das darauß menigclich spuren soll, das sy gar nicht gesynnet sein, dergleichen ungeschickt und uncristenlich widerspenigkait, der sy gar kainen fug haben, in ainich weg zu gedulden".34 Dieses Mandat ist in mancherlei Hinsicht aufschlußreich: Erstens richtet es sich an alle Untertanen auf dem Lande. Es wurde an alle Hauptmannschaften gesandt, nicht nur an die Ortschaften, wo Zehntverweigerungen nachweislich vorgekommen waren. Das läßt darauf schließen, daß es sich nicht nur um vereinzelte Fälle gehandelt haben wird, eine weitere Ausbreitung nicht ausgeschlossen wurde und ihr vorgebeugt werden sollte. Zweitens ist nicht nur von Zehntverweigerungen die Rede, sondern von der Verabredung, Zehnt, Rent, Zins und Gült nicht mehr geben zu wollen. Das waren aber wesentliche feudale Verpflichtungen, die den abhängigen Bauern oblagen. Der Rat vermutete oder unterstellte demzufolge, daß die Untertanen nicht nur eine bestimmte Last, sondern einen wesentlichen Teil ihrer gesamten feudalen Verpflichtungen abwerfen wollten. Drittens begründeten die Untertanen die Verweigerung feudaler Leistungen offenbar nicht - oder jedenfalls nicht ausschließlich - mit ihrer sozialen Lage, sondern mit dem Verweis auf das Evangelium. Im Mandat heißt es, sie beabsichtigten, sich „zu erhaltung solhs ires ungeschickten furnemens mit dem hailigen ewangelio . . . vermaintlich zu schützen".35 Deshalb argumentiert der Rat, dies sei wider Gottes Gebot, und ein jeder müsse Gott geben, was ihm gebühre, und der weltlichen Obrigkeit, was ihr zukomme. Diese Ausführungen münden schließlich in die Feststellung, die durch das Blut und Sterben Christi gewonnene Freiheit des Gewissens sei nicht damit gleichzusetzen, „von eusserlichen schuldigen purden frey zu sten".36 Das war gut lutherisch geschrieben und läßt zugleich erkennen, welche Wirkung die reformatorische Predigt bei einem Teil der Untertanen hervorrief. Hier begegnet bereits der Vorwurf, die christliche Freiheit mißbräuchlich begriffen zu haben. Es ist aber auch zu sehen, welche Erwartungen die Untertanen an die reformatorische Bewegung knüpften. Das Mandat scheint wenig Wirkung gezeigt zu haben, denn in der folgenden 34

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Quellen, S. 259 (Briefe Nr. 1). Den Text veröffentlichte zuerst Kamann, Johann, a. a. O., S. 40 f. (Anlage 1). Nach Müllner wurde das Mandat am 22. Mai „durch eine öffentliche verruffung von allen Cantzeln in den Kirchen, in der Statt, und auf dem Land" bekanntgemacht (Johannes Müllner, Annalium Noricum, Bd. 5, 1524—1552, Bayerische Staatsbibliothek, München, Handschriftenabteilung, Codex germ. 2076, fol. 11 r). Quellen, S. 259 (Briefe Nr. 1). Ebenda.

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Zeit kam es wiederholt zu Zusammenkünften und Versammlungen auf dem Lande. Bereits am 23. Mai weiß der Rat von einer beabsichtigten Versammlung der Bauernschaft im Knoblauchland37 zu Gründlach, einem nördlich der Stadt - also in Richtung Forchheim - gelegenen Ort. Der Rat wollte einen Beobachter dorthin schicken, um zu sehen, „was ir handlung sein werd".38 Die Zusammenkunft muß langfristig vorbereitet gewesen sein, wenn der Rat bereits eine Woche vor ihrem Stattfinden - sie war für den 29. Mai angesetzt - informiert war. Es war im Nürnberger Landgebiet Brauch, außerordentliche Dorfversammlungen abzuhalten. Allerdings war daran die Bedingung gebunden, es solle nicht ohne Wissen der Herren geschehen. Es ist deshalb daran zu denken, daß hier von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde. Das könnte auch erklären, warum der Nürnberger Rat so frühzeitig informiert war. Was während der Gründlacher Zusammenkunft am 29. Mai verhandelt worden ist, entzieht sich im einzelnen unserer Kenntnis, ablesbar sind dagegen die weiteren Folgen. Bereits am nächsten Tag ließ der Rat die Nürnberger Untertanen vorladen, die nach Gründlach gelaufen waren.39 Am 31. Mai wurden die „beschickten und verhörten Paurn auß dem Knoblochland" verpflichtet, nicht an der für den l.Juni nach Poppenreuth einberufenen neuen Versammlung oder an anderen Zusammenkünften teilzunehmen, „noch auch derselben handlung und besluß wider ir herschaft zehenden oder anders halben mit nichten anhengig" zu sein.40 Auch sollten sie dem Rat Kenntnis geben, wenn sie in Erfahrung brächten, was gegen diesen unternommen werde. Die Eintragung im Ratsbuch ergänzt das Bild: „Item auf erfarung, das vil der Nurmbergischen hauptleut und ander am vergangen sontag in versamlung der paurschaft zu Grindlach gewest und morgen mitwochs widerumb zu Popenreut zusamen komen sollen, undter denen nachbenante personen für anfenger und verwandt aim rat angezaigt und derhalben herain beschickt und ervordert sein.. ,"41 Es werden sieben Personen aus fünf Orten vorwiegend des Knoblauchlandes genannt, und zwar aus Tennenloe, Höfles, Almoshof, Wetzendorf und Altenberg. Das war der Personenkreis, der vom Rat „in Pflicht" genommen wurde. Blicken wir noch einmal auf die letzten Maitage zurück, so bleibt festzuhalten, daß die ersten Zehntverweigerungen, das Mandat des Rates und die Vorbereitung der Gründlacher Bauernversammlung vor den Unruhen in Forchheim lagen. Es handelte sich also im Nürnberger Landgebiet nicht um deren Folgen und Wirkungen, sondern zumindest um gleichzeitige Vorgänge. Da die Gründlacher Versammlung aber erst nach der Forchheimer Erhebung 37 38 39 40 41

Vgl. zu diesem Namen Schnelbögl, Fritz, a. a. O., S. 263 f. StAN, Ratsverlässe 703, fol. 19 v; auch Schornbaum, Karl, a. a. O., S. 164. StAN, Ratsverlässe 704, fol. 4 v. Quellen, S. 1 (RV Nr. 2); auch Schornbaum, Karl, a. a. O., S. 164. Quellen, S. 1 (Ratsbuch zu RV Nr. 2).

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stattfand, ist es denkbar, daß sich die dort Versammelten nunmehr in ihren Bemühungen bestärkt fühlten und in ihren Forderungen weiter gingen, als sie ursprünglich beabsichtigten. Denn die Gründlacher Versammlung soll beschlossen haben, so unterstellt es jedenfalls der Rat, der Zehntleistung nicht mehr nachzukommen. Es muß eine weitgehende Einmütigkeit vorausgesetzt werden, wenn ein solcher Beschluß tatsächlich zustande gekommen sein sollte. Das wird auch durch die im Ratsbuch erwähnte Tatsache unterstrichen, es hätten sich viele Nürnbergische „hauptleut und ander" daran beteiligt. Die Hauptleute waren nach geltendem Recht keine gewählten Vertreter der Dorfgemeinden, sondern wurden von der jeweiligen Grundherrschaft bestimmt und waren dieser verpflichtet.42 Wenn sie sich an der Versammlung beteiligten, muß mit einem verbreiteten Widerstand gegen die Zehntleistung gerechnet werden. Da bereits eine zweite Zusammenkunft - diesmal in Poppenreuth - angekündigt war, interessieren zunächst die weiteren Reaktionen des Rates. A m 31. Mai legte dieser fest, die Vierer zu Poppenreuth, soweit sie Nürnbergische Untertanen seien, zu verpflichten, „das sy in der paurn handlung und besluß nicht verwilligen, sollen doch darneben ihr aufmerken haben, was morgen durch die paurschaft gehandelt werd, oder hernach erfuren etwas, daz wider ein rat sein möcht".43 Außerdem sollte wiederum ein Beobachter hinausgeschickt werden.44 Da die Vierer mit der Leitung der Gemeindeverwaltung betraut waren45, rechnete der Rat mit ihrer Unterstützung. Auffallend ist, daß die Zusammenkunft nicht verboten wurde, wie es das Mandat vom 20. Mai angekündigt hatte, sondern der Rat nur bemüht war, von ihrem Besuch abzuhalten. Auch das spricht dafür, daß es sich der Form nach um außerordentliche Dorfversammlungen gehandelt haben könnte. Einen gewissen Erfolg konnte der Rat für sich verbuchen: Zwei von der Gemeinde Wetzendorf für die Teilnahme an der Poppenreuther Versammlung bestimmte Bauern wollten nicht hingehen, wenn der Rat ihnen seinen Schutz angedeihen ließe, was ihnen auch zugesagt wurde.46 Dennoch war die Versammlung offenbar recht erfolgreich. Die vorgetragenen Forderungen gingen möglicherweise noch weiter als bei der ersten Zusammenkunft in Gründlach. Die Nachrichten des Rates Georg Klingenbeck in einem Brief vom 8. Juni an seinen Herrn, den Hochmeister des Deutschen Ordens, scheinen sich darauf zu beziehen, denn er schreibt, zu Poppenreuth hätten „etwo bey den 60 dorfmenig auch tag gehalten, von dem 30 teyl des zehnts geredt47, dergleichen wild, geuogel und vischen frey zu haben, welichs aber allein vf dy pfaffen,

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Wüllner, Wölfgang, a. a. O., S. 35; Voit, Gustav, Grundherrschaften, S. 179. Quellen, S. 1 (RV Nr. 3). Ebenda, S. 2 (RV Nr. 4). Voit, Gustav, Grundherrschaften, S. 178; Wüllner, Wolfgang, a. a. O., S. 35. Quellen, S. 2 (RV Nr. 5). Diese Forderung war auch in Forchheim in der Predigt Kreutzers erhoben worden.

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wie sy sich vernemen lassen, bedeuet, den weltlichen begeren sy nichts abzubrechen (ist aber liederlich zuuersteen)".48 Da wir immer wieder auf die Zehnten gelenkt werden, müssen wir uns deren Rolle kurz vor Augen führen.49 Die Zehnten waren seit Jahrhunderten zu leisten und ursprünglich für die Unterhaltung der Kirchen und der Geistlichen bestimmt. Sie waren im Laufe der Zeit durch Kauf, Verpfändung oder Tausch auch in den Besitz von weltlichen Gewalten oder Personen gelangt, so daß die Berechtigungen in vielen Orten sich sehr unterschiedlich darstellten. Mit dieser Tatsache haben wir auch im Nürnberger Landgebiet zu rechnen.50 Der Zehnt tritt uns in verschiedener Form entgegen, da er sowohl von Feld- und Gartenfrüchten als auch vom Vieh erhoben wurde. Während der große Zehnt die Wintersaat (Roggen, Weizen, zum Teil auch Dinkel), manchmal aber auch das Sommergetreide erfaßte, zählten zum kleinen Zehnt manchmal das Sommergetreide (Sommerroggen, Sommerweizen, Gerste, Hafer), immer aber die Schmalsaat (Flachs, Hirse, Kraut, Erbsen, Rüben u. a.) und Obst sowie die Abgaben für Kühe, Kälber, Schweine, Lämmer, Ziegen, Gänse und Hühner (auch lebendiger oder Blutzehnt genannt). Es wurde auch zwischen Feld- und Dorf- oder Hauszehnt unterschieden, womit im einen Fall alle Früchte auf dem Halm sowie Heu, im anderen die Erträge der Hofgärten und die Abgaben vom Vieh gemeint waren. In vielen Fällen war die Naturalleistung bereits in Geld umgewandelt worden. Die Ernte durfte nicht vom Feld weggebracht werden, ehe nicht der zehnte Teil ausgezählt war. Oftmals wurde der Zehnt verpachtet („verlassen"). In solchen Fällen wurde die Ernte auf dem Halm geschätzt; der Pächter - Be48

Abgedr. bei Stolze, Wilhelm, Bauernkrieg und Reformation (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte Nr. 141), Leipzig 1926, S. 94, Anm. 1. Der Nürnberger Chronist Clas Apel, der den Bauernkrieg selbst erlebt hat, schreibt dagegen, die Bauern hätten sich in Poppenreuth in einer großen Versammlung miteinander verbunden, „den Zehenden, Gaistlichen und weltlichen vor zu halten" (Apel, Clas, Nürnberger Chronik, Handschrift im Stadtarchiv Nürnberg, fol. 113).

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Vgl. zur Geschichte und Bedeutung des Zehnten: Sprung, Werner, Zehnten und Zehntrechte um Nürnberg. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Umgebung Nürnbergs, in: M V G N , Bd. 55, 1968, S. Iii.; Voit, Gustav, Geschichte des Klosters Engelthal, phil. Diss., Erlangen 1958; S. 66 ff.; derselbe, Grundherrschaften, S. 156 fl.; zu den Verhältnissen in benachbarten Gebieten vgl. Weiss, Hildegard, Zisterzienserabtei Ebrach. Eine Untersuchung zur Grundherrschaft, Gerichtsherrschaft und Dorfgemeinde im fränkischen Raum, Stuttgart 1962, S. 62 fl.; Heerwagen, Heinrich, a.a.O., S. 71 f.; Endres, Rudolf, Der Zehnt in Forchheim (bei Beilngries), ein Lehen der Grafen von öttingen, in: M V G N , Bd. 51, 1962, S. 70 fl.; derselbe, Probleme des Bauernkriegs, S. 99; Schmitt, Hans-Jürgen, Die geistliche und weltliche Verwaltung der Diözese und des Hochstifts Bamberg zur Zeit des Bischofs Weigand von Redwitz (1522—1556), in: 106. Bericht des Historischen Vereins Bamberg, 1970, S. 58 f. und S. 116.

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Sprung, Werner, a. a. O., S. 9 ff. und die Anlage S. 54 fl.

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ständner genannt - zahlte dann dem Zehntinhaber eine bestimmte Summe und konnte den Mehrertrag als seinen Gewinn verbuchen. Bei den Zehntverweigerungen im Nürnberger Landgebiet dürfte es sich fast ausschließlich um den Feldzehnt gehandelt haben, was auch der Jahreszeit gemäß ist. In den Quellen wird allgemein v o m Zehnt, auch von Getreide und Heu, dagegen nur in einem Fall vom Hauszehnt gesprochen. Nach der Poppenreuther Zusammenkunft sah sich der Rat zu Überlegungen veranlaßt, w i e die Bauernschaft verwarnt und weitere Versammlungen verhütet werden sollten. I m gleichen Zusammenhang hieß es außerdem: „Darneben bedenken, ob man ein berufung hie thun soll". 51 Damit wurde das Augenmerk auf die Situation in der Stadt gelenkt. Was gab dazu Veranlassung? Es sind verschiedene Nachrichten überliefert, die zu erkennen geben oder vermuten lassen, daß die Ereignisse in den Dörfern auch in der Stadt ein Echo hervorriefen. Wenn auch nicht in jedem Fall unbedingt ein direkter Zusammenhang gegeben gewesen sein mag, so beschäftigten den Rat doch einige öffentlich in der Stadt getane Äußerungen, die einen solchen Schluß nahelegen. Bereits am 20. Mai wurde Lorenz Sensenschmied wegen „seines redens vnd disputirens ob die weltlichen mögen zehandeln haben" verwarnt 52 , was sich auf die Veröffentlichung des Mandats v o m gleichen Tage beziehen könnte. Als die nach Gründlach gelaufenen Untertanen aus dem Knoblauchland am 30. Mai vor den Rat gefordert wurden, erging außerdem die Weisung, einen Metzger zu befragen, „welche seines handwercks gestern zu grindlach gewest sein die sich vil vngeschickt red gepraucht haben." 53 A m 1. Juni wurde festgelegt, einen Bauern, dessen Name durch ein anderes Verhör bekannt geworden war, zu vernehmen, was er von der Bauern Handlung wisse „und ob in ymand von handtwercken anhengig sey". 54 Auch sollten die Handwerke der Rotschmiede und Messerer befragt werden, „ob sy der paurschaft furnemen loben und den anhengig sein wollen". 55 Außerdem wurden einige Nürnberger Bürger beschickt, um von ihnen als Ohrenzeugen zu erfahren, „was der Siglmacher am Seumarkt f ü r vngeschickte red gethan hab." 56 A m 2. Juni wurde festgelegt, mehrere Personen darüber zu hören, „was vngeschickten red herr Melchior, puhler zimmerman, peter von bamberg, der jung walmeister Schneider oder anndere gestern zu Popenreut in versamlung der paurschafft gethan haben." 57 Die Untersuchung über

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Quellen, S. 2 (RV Nr. 10). StAN, Ratsverlässe 703, fol. 17 v. Ebenda, 704, fol. 4 v. Quellen, S. 2 (RV Nr. 8). Ebenda; auch Schornbaum, Karl, a. a. O., S. 164. StAN, Ratsverlässe 704, fol. 7. Ebenda, fol. 8 r.

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die Beteiligung von Nürnbergern an der Bauernversammlung beschäftigte den Rat noch längere Zeit. Obwohl sich nicht eindeutig sagen läßt, was bei den vom Rat gerügten Vorfällen im einzelnen geschehen war, werden doch einige Zusammenhänge sichtbar: Bezeugt wird die Teilnahme und das Auftreten von Nürnbergern bei den Versammlungen in Gründlach und Poppenreuth; ferner werden wir darauf verwiesen, daß es sich um Handwerker - vielleicht auch deren Gesellen oder beide zusammen - gehandelt haben wird. Aus diesem Kreis kamen aber auch diejenigen, die sich durch ihr Auftreten in der Stadt verdächtig machten. Die Vorgänge auf dem Lande waren also nicht ohne Echo geblieben, so daß die Absicht des Rates verständlich wird, eine öffentliche „Berufung" in der Stadt vorzunehmen. Es muß auch damit gerechnet werden, daß Bauern ihre Anwesenheit in der Stadt an Markttagen oder bei anderen Gelegenheiten zur Verständigung untereinander oder zum Gedankenaustausch mit Handwerkern und deren Gesellen nutzten. So legte der Rat am 2. Juni zum Beispiel fest, ein „aufsehen zv haben, ob die paurn heut zum paurnwirt hi bey sant Jacob zusamen komen werden, dieselben furderlich aufs rathaus zu vordem und zu red halten, was ir thun hie sey und soverr sich bey in findt, das sy weyter tag und versamlung außschreiben, soll man sy lassen auf ein thurn geen."58 Der Rat traf nun verschiedene Vorkehrungen, um eine weitere Ausweitung zu verhindern. Er hatte — so urteilte Kamann — „vollauf zu tun, um die Ordnung in der Stadt aufrecht zu erhalten".59 Zunächst forderte er am 4. Juni von den Rechtsgelehrten ein Gutachten, „wie man zu den Nurmbergischen paurn umb zehenden verhelfen soll."60 In ihrem Ratschlag vom 14. Juni gaben sie dann zu bedenken, nochmals ein Mandat an alle Untertanen auf dem Lande ausgehen zu lassen und sie aufzufordern, ihre Zehnten wie seit alters den Zehntherren zu geben. Wenn sie sich aber widersetzten, solle der Rat sie

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Quellen, S. 2 (RV Nr. 11). Einen bemerkenswerten Vorfall schildert der kursächsische Rat Hans von der Planitz in einem Bericht vom 27. Juni aus Nürnberg an Kurfürst Friedrich: „Alle jar ist alhie zu Nurnbergk gewonheit gewest, das eczlich pauern, umb die statt gesessen, auf Santt Yohannestag sich herein in des Welsers haus gefuget, aldo sie von dem tumbrobst und den geistlichen zu Bambergk den zehenden bestanden haben. Heuer seint sie auch alhie gewest und sich durch einander voreiniget, das ir keiner den zehenden bestehen sali, auch denselben nicht einnemen noch beherbergen, wider vil noch wenig, lang ader kurz, ßunder wue die geistlichen den 10. haben wollen, sollen sie inen wegfuren ader auf dem felde stehen lassen, und seint alßo widerumb von einander geschiden" (Des kursächsischen Rathes Hans von der Planitz Berichte aus dem Reichsregiment in Nürnberg 1521—1523. Gesammelt von Ernst Wülcker, nebst ergänzenden Aktenstücken bearbeitet von Hans Virck, Leipzig 1899, S. 626). Kamann, Johann, a. a. O., S. 9. Quellen, S. 2 (RV Nr. 13).

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mit allem Ernst zu dieser Leistung bringen, damit die Bischöfe von Bamberg und Eichstätt oder andere Zehntherren „nit ursach nemen oder suchen, inen selbs wider die paurn zu helfen und sich damit eindringen, einem rathe an ihrer oberkeit und hilf, die sie über ir paurschaft haben, Verhinderung zu thun."61 Die Gelehrten sind demzufolge vor allem besorgt, die Autorität des Rates könne beeinträchtigt werden, wenn die Zehntempfänger sich anderswo Hilfe verschafften. Ferner wurden - gleichfalls am 4. Juni - zwei Ratsherren beauftragt, in den Hauptmannschaften Vorkehrungen zu treffen sowie die Hauptleute zu ermahnen, ohne Erlaubnis keine Versammlungen mehr abzuhalten. Insbesondere sollten Hauptleute und Gemeinde zu Reichelsdorf - südlich von Nürnberg gelegen - angehalten werden, daß sie im Ort keine Versammlung erlauben „noch irer handlung anhengig sein wollen". 62 Da dieses Dorf als einziges hervorgehoben wird, hat es den Anschein, als sollte dort die nächste Zusammenkunft stattfinden. Schließlich sollte am 5. Juni die „berufung vom rathauß" erfolgen und das Hinauslaufen zu den BauernVersammlungen verboten werden63; sie fand jedoch erst am 9. Juni statt. Außerdem wurde am 6. Juni den Handwerkern untersagt, mit Trommeln in den Gassen umherzulaufen64 und auf den Straßen nichts gegen die Mönche zu unternehmen.65 Diese Schritte zielten insgesamt darauf ab, die Ruhe auf dem Lande und in der Stadt wiederherzustellen. Noch vor der angekündigten Berufung vom Rathaus traten die Genannten des größeren Rates am 8. Juni zusammen, und der Ratsherr Hieronymus Ebner legte in einer längeren Rede die Situation dar.66 Ihnen allen sei unverborgen geblieben, so führte er aus, „das sich auß dem ungeschickten Furnemen der gemain paurschaft auf dem land bey etwovil ains rats burgern und verwandten in diser stat, die solchem der paurn vorhaben anhengig und furderlich wern, allerlay beswerlicher, verächtlicher und ungeschickter reden und beschuldigungen wider ein rat und gemaine stat bißher zugetragen hetten, es wern auch neben dem etlich schmäh- und ander zetteln und Schriften haimlich in den kirchen, auf den pletzen und andern orten diser stat angeslagen alles der maynung, aufrur, widerwertigkait und Unwillen bey dem gemainen mann wider ainen rat als die oberkayt zu erwecken und gemainen bürgerlichen friden und ainigkait diser erbem stat zu verderplichem schaden und

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Quellen, S. 153 (Ratschi. Nr. 2).

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Ebenda, S. 2 f. ( R V Nr. 14); auch Schornbaum, Karl, a. a. O., S. 164. Quellen, S. 3 ( R V Nr. 14).

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Ebenda, S. 3 ( R V Nr. 16). StAN, Ratsverlässe 704, fol. 10 v. Quellen, S. 3 (Ratsbuch zum 8. Juni 1524). Der Text ist auch abgedruckt bei Mummenhoff, Ernst, a . a . O . , S.51 f. Vgl. auch Müllner, Johannes, a . a . O . , fol. 12 r.

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nachtail zu trennen, darzu doch ein erber rat irs achtens bißher gantz nicht ursach gegeben hetten." 67 Dem schließen sich Ausführungen an, wie wenig Grund der gemeine Mann in dieser Stadt habe, so zu handeln, da der Rat ihn immer geschützt und er in Nürnberg besser als in einer anderen Stadt des Reiches säße. Es brauche auch ein jeder nur zu geben, was zur Erhaltung der Stadt und Polizei notwendig sei und keine sonderlich hohen Bürden und Beschwerungen wie anderwärts zu tragen. Auch werde er bei Teuerungen mit Lebensmitteln versehen und den armen unvermögenden Bürgern mit dem Almosen68 geholfen. Ebner schließt mit dem Ersuchen, den Rat alles wissen zu lassen, was sich gegen ihn richte. Diese Rede vermittelt den Eindruck, als seien in der Stadt mehr Aktivitäten zu verzeichnen gewesen, als die bisher berührten Fälle zu erkennen geben. Hier dürfte auch an Vorfälle gedacht worden sein, die nicht mit der Bauernbewegung im Zusammenhang standen, sondern die reformatorische Bewegung betrafen, so zum Beispiel die Proteste gegen Geistlichkeit und Klöster in der Stadt, wie sie auch schon aus vorhergehenden Jahren bekannt waren, und das öffentliche Predigen von Laien.89 Der besondere Anlaß f ü r die Sitzung des Rates war jedoch die Verschärfung der Lage durch die sich entfaltende Bauernbewegung. Schriften und Schmähzettel, die in Kirchen und auf Plätzen angeschlagen worden waren und auf die in der Rede verwiesen wurde, hatten bereits im Zusammenhang mit dem Kampf gegen Geistliche und Mönche eine Rolle gespielt. Der Rat hatte deren Verbreitung zu verhindern gesucht. Jetzt tauchen sie erstmals auch im Zusammenhang mit der Bauernbewegung auf, und der Rat fordert dazu auf, ihm aufgefundene Exemplare zu übergeben. Ebner spricht von „der armen, unvermoglichen burgerschaft, die villeicht 67 68

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Quellen, S. 3 (Ratsbuch zum 8. Juni 1524). Vgl. allgemein dazu: Ehrle, Franz, Die Armenordnungen von Nürnberg (1522) und von Ypern (1525), in: Historisches Jahrbuch, Bd. 9, 1888, S. 450 ff.; Winkelmann, Otto, Die Armenordnungen von Nürnberg (1522), Kitzingen (1523), Regensburg (1523) und Ypern (1525), in: Archiv für Reformationsgeschichte, Jg. 10, 1912/13, S. 242 ff.; Rüger, Willi, Mittelalterliches Almosenwesen. Die Almosenordnungen der Reichsstadt Nürnberg, Nürnberg 1932. Aus der Fülle der Literatur nennen wir nur: Engelhardt, Adolf, Die Reformation in Nürnberg, Bd. 1, in: MVGN, Bd. 33, 1936; Schubert, Hans von, Lazarus Spengler und die Reformation in Nürnberg (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte Bd. 17), Leipzig 1934; Seebaß, Gottfried, Das reformatorische Werk des Andreas Oslander, Nürnberg 1967; derselbe, Die Reformation in Nürnberg, in: MVGN, Bd. 55/1968, S. 252 ff.; Vogler, Günter, Reformation und Volksbewegung. Ein Forschungsproblem, in: Weltwirkung der Reformation, hrsg. von Max Steinmetz und Gerhard Brendler, Berlin 1969, Bd. 1, S. 251 f.; derselbe, Nürnberg zur Zeit Albrecht Dürers, in: Albrecht Dürer — Zeit und Werk, hrsg. von Ernst Ulimann u. a., Leipzig 1971, S. 41 f.

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dises geschrays und ungeschickten furnemens am mainsten ursacher wern".70 Damit können Handwerker und Gesellen gemeint sein, es kann sich aber auch um Teile der Stadtarmut gehandelt haben, die in Nürnberg einen großen Teil der Bevölkerung umfaßte.71 Am gleichen Tage, an dem der größere Rat sich versammelt hatte, ging an alle Viertelmeister in der Stadt ein Befehl, den diese wiederum den ihnen unterstellten Hauptleuten bekanntmachen sollten. Er forderte dazu auf, den Rat zu unterstützen und alles mitzuteilen, was zu Aufruhr und Empörung führen könne. Er wurde außerdem mit dem Zusatz versehen, die Hauptleute sollten den Viertelmeistern ein Verzeichnis geben, „wievil ir yeder tuglicher burger in seiner hauptmanschaft, wo es not wer, aufpringen möcht, die ain rat geprauchen köndt".72 Außerdem wurden Ratsherren bestimmt, die in gleicher Weise mit den Amtleuten und den Meistern aller geschworenen Handwerke beraten sollten.73 Die eingeleiteten Maßnahmen schlössen also auch militärische Vorkehrungen ein. Am 9. Juni fand dann die bereits einige Tage zuvor beschlossene Berufung an die gesamte Bevölkerung „mit außgestecktem fanen"74 vom Rathaus herab statt. Sie hielt sich an Ebners Rede im Rat, ging aber weniger ausführlich auf die Verdienste des Rates um das Wohl seiner Untertanen ein, sondern betonte stärker die eingegangenen Eide und Verpflichtungen und warnte „vor dergleichen mutwilligen ungeschickten widerwertigen reden und handlungen bey ernstlichen strafen leibs und guts, die ein rat gegen den schuldigen on gnad furnemen will". Wer aber dem Rat Personen namhaft mache, die Reden gehalten oder anderes getrieben haben, was zu Aufruhr Anlaß gebe, oder anzeigen könne, wer die bösen Schriften und Zettel geschrieben bzw. angeschlagen habe oder dies künftig zu tun beabsichtige, „dem- oder denselben will ein erber rat von ainer yeden derselben schuldigen person funftzig gülden reinisch zu vererung geben, darzu seinen namen in gehaimbd verwart und ungemelt behalten", und wenn er bisher Anteil an aufrührerischen Reden, 70 71

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Quellen, S. 3. Vgl. dazu Endres, Rudolf, Sozialstruktur Nürnbergs, in: Nürnberg — Geschichte einer europäischen Stadt, hrsg. von Gerhard Pfeiffer, München 1971, S. 197 f.; derselbe, Einwohnerzahl, S. 255 ff.; derselbe, Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Franken vor dem Dreißigjährigen Krieg, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung, Bd. 28, 1968, S. 18 f., bes. S. 27. Seebaß urteilt: „Tatsächlich gab es in der Stadt einen zu Umsturz geneigten dritten Stand. Ein unruhiges Element bildete jene Unterschicht, die sich aus den Armen und Bettlern, den Arbeitern und Gesellen zusammensetzte" (Seebaß, Gottfried, Die Reformation in Nürnberg, S. 259). Quellen, S. 4 (Ratsbuch zum 8. Juni 1524). Ebenda, S. 4. Ebenda, S. 4. Ebenda, S. 5.

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Schriften, Zetteln oder Taten habe, soll er vom Rat d a f ü r nicht belangt werden. 75 Die Höhe des gebotenen Geldes f ü r jede Information oder Denunziation läßt erkennen, f ü r wie gefährlich der Rat die oppositionellen Äußerungen in Wort und Schrift hielt. Das deutet auch ein Brief an die Räte des Markgrafen von Brandenburg in Onolzbach vom 10. Juni an, mit dem der Nürnberger Rat über die Situation und seine Schritte informierte und bekannte, „das vns solch der pauren furnemen, derweil das nit allein den gaistlichen Standen auch vns vnd den vnsern, die Zehenden haben, zu mercklichen nachtheil vnd abpruch raicht gantz beschwerlich vnd darumb zum höchsten misfellig ist." 76 Der Nürnberger Rat befürchtete, so ist dem gleichen Schreiben zu entnehmen, Ähnliches könne sich auch an „andern ortten, vns nit so nahend genachtpart taglich erregen, vnd ye mer vnd mer erweittern". 77 So erklärt es sich auch, daß noch am selben Tage Schreiben an mehrere Nürnberger Pflegämter ausgingen, die der Befürchtung Ausdruck gaben, es könnten weitere Unruhen entstehen, und mit denen gleichzeitig die erforderlichen Anweisungen erteilt wurden. An Pfleger, Bürgermeister und Rat der Stadt Hersbruck seihrieb der Nürnberger Rat: „Langt vns itzo an das diselbenn vnnsere verwandten in grosser antzale zusamen schlagen, verpunden vnd villeicht vngeschickt handlungen furzunemen vorhaben, dem auch ettliche aus vnnser Burgerschafft zu Herspruck zum theil anhengig vnd mitt allerley vngeschickten reden, f u r derlich sein, sy auch darinn ettlicher massen stercken sollen". 78 Dem folgte die Aufforderung, ein Aufsehen zu haben und ein Verzeichnis der verdächtigen Personen zu übersenden sowie die Bürgerschaft zu verwarnen, bei Strafe sich aller Schritte zu enthalten, die Aufruhr, Empörung und Ungehorsam der Untertanen gegen ihre Obrigkeit förderten. Sollten aber die Bauern vor die Stadt ziehen, so solle der Rat die Tore besetzen lassen und n u r einen Ausschuß der Bauern empfangen. 79 Ähnliche Schreiben gingen auch an die Pflegämter Lauf 80 , Altdorf, Velden und Betzenstein. 81 Auch der Pfleger zu Lichtenau wurde instruiert und erhielt Anweisungen, wie er sich in Sachen des Zehnten verhalten solle. Insbesondere wird er angehalten, sich auf keine Neuerungen einzulassen. 82 Ein Brief an Christoph Tetzel in Eßlingen vom 17. Juni faßt die Meinung des Rats am besten zusammen: Es sei wahr, „vnnser vnd andere vmb vns ligender herschafften paurschafft auff dem Land haben sich zusamen gethan, vnd vber vnnser stattlich verpot ettlich versamblungs täg gehalten, sich auch 7(i

77 78 79 80 81 82

StAN, Briefbücher Nr. 87, fol. 66 v. In Quellen, S. 260 (Briefe Nr. 5) findet sich n u r ein kurzer Auszug dieses Schreibens. StAN, Briefbücher Nr. 87, fol. 67 r. Ebenda, fol. 67 v. Ebenda, fol. 68 r. Ebenda, fol. 68 r f. Ebenda, fol. 69 r. Ebenda, fol. 69 r. f. Vgl. dazu auch Quellen, S. 6 (RV Nr. 25).

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entschlossen, den Zehenden nit mer zugeben, zu denen haben sich ettlich vnnsere Burgere alhie geschlagen, sy in irem furnemen gesterckt, hilff vnd Vertröstung zugesagt, daraus auch allerley vngeschickter reden, vnnser Burgerschafft eruolgt ist, wir haben vns aber mit stattlicher Warnung, offenlicher beruffung, fangknus ettlich schuldiger personen, vnd ander stattlicher prouision . . . in die Sachen geschickt".83 Wir haben bereits darauf verwiesen, daß zu den vom Nürnberger Rat eingeleiteten Maßnahmen auch die Untersuchung der Poppenreuther Ereignisse gehörte, um festzustellen, welche Rolle Nürnberger Bürger dort gespielt hatten. Nachdem bereits am 2. Juni einige von ihnen verhört worden waren, wurde die Untersuchung am 7. Juni auf weitere Personen ausgedehnt, um sie „irs radelns halben in jüngster versamlung der paurn zu Popenreut" zu vernehmen. 84 Doch konzentrierte sich im weiteren das Verfahren stark auf den Zimmermann Stephan Pühler 85 , der - so ein Ratsverlaß vom 5. Juni gefragt werden sollte, warum er die Bauern in Poppenreuth und Reichelsdorf gestärkt und mit wem er sich unterredet habe.86 Am 8. Juni werden die gleichen Fragen wiederholt, aber diesmal soll er im Loch verhört werden. 87 Offensichtlich verliefen die Vernehmungen Pühlers ohne Ergebnis, so daß man vor allem versuchte, von anderen Personen Informationen zu erhalten. So wurde am 9. Juni veranlaßt, die Untertanen einiger Nürnberger Bürger und andere Personen über Pühlers Auftreten zu vernehmen. 88 In diesem Zusammenhang erhalten wir erstmals einen Anhaltspunkt, was ihm zur Last gelegt wurde. Am 14. Juni sollte ihm im Loch Hans Hayden vorgeführt werden, der in den Akten zuerst am 10. Juni begegnet,89 danach Pühler weiter verhört werden „seiner gethanen red halben das er den paurn 83

StAN, Briefbücher Nr. 87, fol. 72 v. Ein kurzer Auszug auch in Quellen, S. 261 (Briefe Nr. 8). Vgl. dazu Tetzeis Anfrage an Friedrich Behaim vom 12. Juni: „... du woldt mir doch schreiben, waß daß geschrei daheimen ist. Eß schreibt mir kein mensch nicht wie oder woe, und ist mengerley geschrey hie, daß ich doch meinen herrn, einem rat, und den eitern allemal anzeig, aber man hat mir nie geschrieben" (Quellen, S. 260, Briefe Nr. 6). 84 Quellen, S. 3 (RV Nr. 18). Darunter befand sich der schon am 2. Juni genannte „jung walmeister". 85 Es ist nicht ganz klar, ob er mit dem am 2. Juni genannten Zimmermann identisch ist. Dort war von „herr Melchior, puhler zimmerman" die Rede. Am 7. Juni wird ein „Her Melchior priester" genannt. Die erste Nachricht könnte also auch so aufgelöst werden, daß „Melchior" der Priester ist und „puhler" der Zimmermann, der dann mit Stephan Pühler identisch sein könnte. 86 Schornbaum, Karl, a. a. O., S. 164. Das läßt ebenfalls auf eine Bauernversammlung in Reichelsdorf schließen. Vgl. Anm. 62. 87 Quellen, S. 3 f. (RV Nr. 19). 88 Ebenda, S. 5 (RV Nr. 21). 89 StAN, Ratsverlässe 704, fol. 13 r.

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etlich hundert man wollt zupringen", wenn nötig wiederum unter Anwendung der Folter.90 Am 16. Juni wurde Pühler weiter vernommen.91 Am nächsten Tag verzeichnete ein Ratsverlaß: „Stephan Pühlers sag zu gelegner zeit beym rat alle hören mit ainer offen handt."92 Damit verliert sich für uns die Spur. Immerhin bestätigte das gegen Pühler eingeleitete Verfahren, daß es wohl beabsichtigt war, als sich im Nürnberger Landgebiet mit den Zehntverweigerungen und Bauernversammlungen die ersten Anzeichen von Unruhen ankündigten, die bäuerliche Bewegung und innerstädtische oppositionelle Kräfte zusammenzuführen. Zugleich wird damit unterstrichen, warum der Rat so energische Maßnahmen - bis hin zu militärischen Vorkehrungen - traf. Offen bleibt, inwiefern für ein solches Zusammengehen eine Basis bestand, inwieweit es dabei gemeinsame Interessen gab. Die Frage lenkt uns auf zwei weitere Nürnberger, die möglicherweise durch die Verhöre verschiedener Personen in den letzten Tagen belastet worden waren. Am 10. Juni erging der Befehl, Ulrich Aberhan, einen Gastwirt in der Vorstadt Wöhrd, festzunehmen und ins Lochgefängnis zu legen.93 Am 13. Juni verzeichnen die Ratsverlässe, daß er befragt werden und - wenn er gütlich nicht aussage - man „ime wee thun lassen", also die Folter anwenden solle. Ebenso sollte mit Hans von Nürnberg, einem Knappen von Gostenhof, verfahren werden94, der vielleicht am gleichen Tage wie Aberhan festgenommen wurde. Am 14. Juni werden beide weiter verhört, wiederum mit der Weisung, gegebenenfalls die Folter anzuwenden. Bei Hans von Nürnberg folgt der Zusatz, es geschehe „der ansleg vnd dieberey halben".95 Die Akten geben keine Auskunft, um welche Art Anschläge es sich gehandelt haben soll. Wir greifen deshalb auf die Annalen des Nürnberger Stadtschreibers Johannes Müllner zurück, deren Quellenwert für diese Zeit unbestritten ist.96 Sie berichten dazu, daß beide „offenlich bey der Gemain übel vom Raht geredet, und sich vernehmen laßen: Es thete nichts, es hielten dann Bürger und Bauern zusammen, damit das Ungeld abkäme, denn wann sie zusammen hielten, könnte man ihnen nichts Übels thun, darzu sie auch 90 91

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Quellen, S. 6 (RV Nr. 28). StAN, Ratsverlässe 704, fol. 16 v. Quellen, S. 7 (RV Nr. 32). Das heißt, der Rat behielt sich die Entscheidung vor. StAN, Ratsverlässe 704, fol. 13 r. Der Name kommt in sehr unterschiedlicher Schreibweise vor. Ebenda, fol. 15 r. Müllner nennt ihn „ein Tuchknapp und Bürgerskind" (Müllner, Johannes, a. a. O., fol. 13 r), während in den Akten nur von einem „knappen" die Rede ist. StAN, Ratsverlässe 704, fol. 15 v. « Vgl. die Einleitung von Gerhard Hirschmann zu: Müllner, Johannes, Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623, Teill: Von den Anfängen bis 1350 (Quellen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg Bd. 8), Nürnberg 1972, S. 24 f. Der das Jahr 1524 behandelnde Band ist noch nicht erschienen.

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helffen wolten v(nd) alles der mainung, die Gemain wieder den Raht, Ihren Bürgerlichen Pflichten zuwieder, auffrührerisch und ungehorsam zumachen."97 Damit ist ein Zusammenhang mit der Berufung vom 9. Juni angedeutet, denn dort war die Aufforderung an alle ergangen, den bürgerlichen Pflichten nachzukommen, und ein späterer Ratsverlaß bestätigt das, wenn wir lesen, Hans von Nürnberg habe „sein vngeschickt red nach der Beruffung am markt gethan".98 Auch hier begegnet der Gedanke des Zusammengehens von Bauern und Bürgern, wie er schon in dem Verfahren gegen Pühler anklang und den der Rat verschiedentlich auch anderen unterstellte. Pühler hatte sich dazu in der Bauernversammlung in Poppenreuth hören lassen, während Aberhan und Hans von Nürnberg in der Stadt aufgetreten waren. Für sie war der Angriffspunkt das Ungeld. Was hatte es damit auf sich? Das Finanzwesen Nürnbergs beruhte vor allem auf zwei Steuerquellen, der Losung und dem Ungeld. Die Losung war eine Vermögenssteuer, mit der bare Vermögen am meisten belastet wurden. Versteuert wurden das bewegliche Vermögen in Höhe von 1 Prozent und die jährlich wiederkehrenden Einkünfte aus Renten und Gülten zu einem bestimmten Prozentsatz, um die Mitte des 16. Jh. zum Beispiel die Renten mit 1/6 und die Gülten mit 1/18 ihres Werts.99 Das Ungeld war eine Verbrauchssteuer, die auf Wein und Bier lag. Es wurde nicht nur in der Stadt, sondern auch im Landgebiet erhoben, war aber hier niedriger angesetzt. Es war die einträglichste Steuerquelle des Rates. Im Jahre 1550 machten von den Gesamteinnahmen der Stadt das Ungeld 46 Prozent, die Losung 33,5 Prozent und die kleineren Verkehrs- und Gewerbesteuern, Strafgelder, Einnahmen aus den Pflegämtern und einige weitere Einkünfte 20,5 Prozent aus.100 Die Losung belastete in erster Linie die Kaufleute und reicheren Handwerker, die in Handel und Gewerbe hohe Einkünfte erzielten und diese nach Müllner, Johannes, Annalium Noricum, fol. 13 v. Hampe teilt aus den Urgichtoder Halsgerichtsbüchern des Staatsarchivs Nürnberg mit, Hans von Nürnberg habe öffentlich gesagt: „Es tet nichts: also die Herren hetten das Gelt innen; die muß man fahen und zu Tod schlahen, und wenn er dazu könne, so wollt er die Reichen auch helfen zu Tod schlahen" (Hampe, Theodor, Die Nürnberger Malefizbücher als Quellen der reichsstädtischen Sittengeschichte vom 14. bis zum 18. Jh., Neujahrsblätter der Gesellschaft für fränkische Geschichte 17, Bamberg 1927, S. 37). Endres urteilt über beide: „Es waren also bemerkenswerterweise Angehörige aus der sozial diskriminierten Vorstadt und aus der Unterschicht, die zur gesellschaftlichen Veränderung aufriefen" (Endres, Rudolf, Einwohnerzahl, S. 266). 98 StAN, Ratsverlässe 705, fol. 8 v. 99 Wüllner, Wolf gang, a.a.O., S. 46; vgl. zur Losung allgemein: Riess, Karl, Das Steuerrecht und die Steuern der freien Reichsstadt Nürnberg bis zur Gründung des Königreiches Bayern, jur. Diss., Erlangen 1948, S. 99 f. (MS). 100 Wüllner, Wolfgang, a. a. O., S. 46 f.; vgl. über das Ungeld außerdem: Riess, Karl, a. a. O., S. 131 f.; Heerwagen, Heinrich, S. 79 f. 97

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Selbstanzeige versteuerten. So verzeichneten die Losungsbücher auch nur, wer seiner Steuerpflicht nachgekommen, nicht aber, welche Summe in den Losungskasten eingelegt worden war. Das Ungeld dagegen hatten alle Einwohner zu entrichten, und es traf die Unvermögenden am härtesten. Hält man sich seinen Anteil an den gesamten Einnahmen der Stadt vor Augen, so liegt seine Bedeutung zutage. Diese indirekte Verbrauchssteuer erregte den Unwillen der unteren Bevölkerungsschichten, so daß die von Aberhan und Hans von Nürnberg geforderte Abschaffung des Ungelds in der Stadt und im Landgebiet sicher ein Echo fand und nicht nur deren persönliche Auffassung über die Steuerpolitik des Rates widerspiegelte. Als Ende Mai und Anfang Juni die Unruhen auf dem Lande begannen, muß die Zahlung des Ungelds in der Stadt bereits eine Rolle gespielt haben. Denn die Ratsverlässe verzeichnen mit dem Datum des 4. Juni, dem Ungelter - das ist der Einnehmer des Ungelds - solle zugestellt werden, „wie man sich bys auff ains rats widerruffen in bezalung des ungelts mit gold vnd muntz hatten" solle.101 Das Ratsbuch enthält vom gleichen Tage einen Befehl an den Ungelter, den er jedem eröffnen sollte, der das Ungeld bezahlte. Dieser besagte, daß das Ungeld bisher in Goldmünze festgelegt worden sei, aber die Goldwährung mit den Münzwerten nicht mehr übereinstimme; er solle deshalb die Hälfte in Gold und die Hälfte „mit gutter grober muntz... an goldes stat" annehmen.102 Am gleichen Tage wurde festgelegt, wie die Eigen-, Gatter- und Hauszinse103 künftig in Gold bzw. Münze zu zahlen seien. Diese Ordnung sollte im Gericht publiziert und am Rathaus angeschlagen werden.104 In ihr hieß es: „Als sich bißher in bezalung vnd entrichtung der erb- gatter vnd Haußzinß, auch anndern Contracten käuffen vnd Handlungen, in diser Stat mit dem gold, das etliche Jar mercklich gestigen vnd in ainen hohen werdt komen ist, allerley ungleichait zugetragen, hat ein erber Rat gemainen nutz zeiget, nachuolgende Ordnung, biß auff verrer ains rats widerruffen oder verenderung furgenomen."105 Ganz offensichtlich ist also, daß diese Leistungen wie auch das Ungeld infolge des steigenden Edelmetallpreises und der damit verschobenen Relation zwischen Geldwert und Steuersumme zu einer schweren Belastung geworden war, so daß sich der Rat zu einer Veränderung im Zahlungsmodus veranlaßt sah. Unterstrichen zu werden verdient, daß diese Maßnahmen am gleichen Tage festgelegt wurden, an dem der Rat die Berufung und weitere wichtige Schritte für die Sicherheit der Stadt beschloß. 101 102 103

104 105

StAN, Ratsverlässe 704, fol. 9 v. StAN, Ratsbücher Nr. 12, fol. 244 r. Mattausch, Friedrich, Die Nürnberger Eigen- und Gattergelder. Freie Erbleihe und Rentenkauf in Nürnberg von den ersten urkundlichen Nachweisen bis zur Gegenwart, in: MVGN, Bd. 47, 1956, S. 1 ff. StAN, Ratsverlässe 704, fol. 9 v. Ebenda, Ratsbücher Nr. 12, fol. 243 v.

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Ersichtlich ist für uns auch, daß der Gastwirt und der Knappe mit der Kritik am Ungeld einen empfindlichen Punkt trafen. Da diese Steuer von Bürgern und Bauern zu entrichten war, konnten sie in der Stadt wie auf dem Lande mit Zustimmung oder gar Unterstützung rechnen. Wenn Müllner urteilte, sie hätten damit gegen die bürgerlichen Pflichten gehandelt und die Gemeinde aufrührerisch machen wollen, so sind damit die den Rat am meisten interessierenden Tatbestände genannt, die auch sein weiteres Vorgehen erklären helfen. Die Dinge nahmen zunächst mit weiteren Verhören Aberhans und Hans von Nürnbergs ihren Fortgang. Am 16. Juni vermerkt ein Ratsverlaß, „vmb den gefangen Hanns von normberg ein endtliche frag thun vnd auff verherung seyner sag ist erteilt ime in beywesen des richters auff solche sag zubestetigen, vnd denn ein ernstlichen rieht tag zesetzen."106 Während von ihm nun eine Aussage vorlag, denn sonst hätte kein Rechtstag in Aussicht gestellt werden können, wurde Aberhan am 17. Juni weiter vernommen, und zwar „der andern personen halb, so bey den reden am marckt gewest, und wo er gutlich nicht sagen will, im ein oder 2 mal wee thun lassen"107, also wenn erforderlich bei verschärfter Anwendung der Folter. Auch in seinem Fall haben wir zu diesem Zeitpunkt mit einer Aussage zu rechnen, da am nächsten Tag festgelegt wurde: „vlrich aberhans sag bey ain gesannten rat herrn mit ainer offenn Hand."108 Beide Verfahren schienen sich damit ihrem Ende zu nähern. Doch wurde am 20. Juni zunächst beschlossen, den für Hans von Nürnberg anzuberaumenden Rechtstag noch ruhen zu lassen, bis der Ratschlag wegen der „Forchheimer Handlung" zurückkomme.109 Obwohl unklar bleibt, welchen Zusammenhang der Rat hier sah, kann es wohl nichts anderes bedeuten, als daß ein Zusammenwirken Hans von Nürnbergs mit Bauern und Bürgern angenommen wurde. Darauf deutet vielleicht auch das am 22. Juni veranlaßte Verhör von Aberhans Frau und seinem Sohn hin. Beide sollten gefragt werden, „was die zwen Hanns von anspach vnd Hanns von Wimpfen für red in irem Haus gethan haben."110 Es ist nicht zu ersehen, ob es sich dabei um einen Vorfall handelt, der in die Zeit fällt, als Aberhan sich noch auf freiem Fuß befand, oder ob damit Äußerungen gemeint sind, welche die beiden Fremden im Wirtshaus zu Wöhrd vielleicht taten, als das Gespräch auf den gefangengesetzten Gastwirt kam. Wenn Hans von Nürnberg vom Rat mit den Forchheimer Unruhen in Beziehung gebracht wurde und im Haus Aberhans die Aufmerksamkeit 106 107 108 109

110

Ebenda, Ratsverlässe 704, fol. 16 v. Quellen, S. 7 (RV Nr. 32). StAN, Ratsverlässe 704, fol. 19 v. Ebenda, fol. 20 v. Darauf könnte sich die Feststellung von Gückel eventuell beziehen. Vgl. dazu Anm. 16. StAN, Ratsverlässe 704, fol. 22 r.

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auf zwei Fremde gefallen war, vermutete man offenbar über den engeren Umkreis der Stadt hinausreichende Verbindungen. Die Aussagen der beiden Angeklagten wurden am 30. Juni den Rechtsgelehrten mit der Bitte übergeben, einen Ratschlag zu erteilen, wie sie zu strafen seien.111 Am nächsten Tag lag dieses Gutachten vor, allerdings waren die Juristen zu keinem völlig einheitlichen Standpunkt gelangt. Die Gutachter Scheurl, Marsilius und Hepstein sprachen sich dafür aus, keine Gnade walten zu lassen, sondern beiden das Leben zu nehmen. Sie wiesen darauf hin, Hans von Nürnberg habe nach der öffentlichen Berufung und Warnung böse Worte hören lassen und verharre auch weiter bei seiner Meinung, und Aberhan habe „seine bose Red an mehr dan an eynem ort gethan."112 Bemerkenswert ist ihre Motivierung: „Vnd kan nicht für ein vngeferlich ding geacht werden, so wie die leufit sich itzt also ereignen, das durch lynde straff in dißen bösen hendln vil args vnd verdrückung der oberkeit gehandelt wird, welichs eynem rathe beschwerlich stuend zuuerantworten."113 Sie empfahlen die Hinrichtung mit dem Schwert. Selbst wenn das Delikt geringer sei, als es hier der Fall wäre, sei doch die Strafe „nach gelegenheit der sach, zeit vnd geschehenen furnemen" angemessen. Wolle der Rat milder verfahren, so solle er sie mit Ruten auspeitschen lassen und des Landes verweisen. Die Gutachter Protzer und Marstaller stimmten zwar überein, daß das Delikt schwer sei, wollten sich aber nicht auf die Todesstrafe festlegen, sondern sprachen sich für die Bestrafung durch Auspeitschung und Landesverweisung aus.114 Schon am nächsten Tag, dem 1. Juli, wurde festgelegt, „umb ir pöß streflich aufrürig gethan reden" einen ernstlichen Rechtstag festzusetzen.115 Der Rat entschied sich für ein unnachsichtiges Vorgehen: Am 5. Juli wurde das über beide verhängte Todesurteil mit dem Schwert vollstreckt.116 Wie ist das harte Strafmaß zu erklären? Die Forderung nach Abschaffung des Ungeldes betraf einen der Grundpfeiler der Steuerpolitik des Rats und mußte demzufolge auch als gegen die Obrigkeit gerichtet betrachtet werden. Ebenda, 705, fol. 7 r. Ebenda, Ratschlagbuch Nr. 4, fol. 144 r f. 1)3 Ebenda, fol. 144 v. 114 Ebenda, fol. 145 r. «5 Quellen, S. 9 (RV Nr. 54). Im Ratsbuch steht dazu beim Namen Hans von Nürnbergs der Zusatz „knappen". Vgl. StAN, Ratsbücher Nr. 12, fol. 250. 116 Malefitz Urthel zu Nürnberg, Bayerische Staatsbibliothek, München, Handschriftenabteilung, Codex germ. 4987, fol. 15 v: „Anno 1524 den 5. July wurde Hannß Knapp, burger allhier als ein übelthätter von etlichen bösen reden wegen angeklagt, mit dem Schwerd gerichtet. Ingleichen wurde Ulrich Abendhändler von Wehrd auch also angeklagt und mit dem Schwerd gerichtet." Vgl. auch Hampe, Theodor, Die Nürnberger Malefizbücher, S. 36 f. Die Hinrichtung wird in der Literatur ständig angeführt, ohne daß das ihr vorhergehende Verfahren aufgehellt wurde. Meistens wird nur der Beleg aus Müllners Annalen herangezogen. 111 112

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Deshalb erfolgte die Anklage und Verurteilung wegen aufrührerischer Reden. Beide waren in einer angespannten Situation aufgetreten, als sich auf dem Lande Bauern versammelten, Zehntverweigerungen vorkamen und dieses Vorgehen auch innerhalb der Stadt Beifall und Unterstützung fand. Als verschärfend wurde angesehen, daß sie ihre Forderungen nach der harte Strafen androhenden Berufung vom Rathaus laut werden ließen und damit nicht nur gegen die Gesetze des Rates im allgemeinen verstießen, sondern dazu auch noch die eben ausgesprochenen Warnungen mißachteten. Der Rat galt im allgemeinen als sehr zurückhaltend hinsichtlich der Verhängung der Todesstrafe. Das unterstreichen auch die Malefizurteile der Jahre 1524 und 1525. Außer den beiden wurde 1524 nur noch ein Rotschmied gerichtet, der seine schwangere Frau erstochen hatte; 1525 gab es die bemerkenswert hohe Zahl von sieben Todesurteilen. Darunter befanden sich der von Markgraf Kasimir angeklagte Bauernhauptmann Michael Kübler und der von Graf Wilhelm von Henneberg verklagte Plattner Michael Hutter aus Schmalkalden, der ebenfalls in den Bauernkrieg verwickelt war.117 Diese Beispiele unterstreichen, wie ernst der Rat die Angelegenheit nahm und welche Befürchtungen sich für ihn mit dem Auftreten Ulrich Aberhans und Hans von Nürnbergs verbanden. So wurde ein abschreckendes Beispiel geschaffen, das wohl seine Wirkung nicht verfehlte, aber dennoch die Probleme nicht aus der Welt schaffte. Der Rat scheint mit den unterschiedlichen Maßnahmen seine Absicht zum Teil erreicht zu haben. Das drastische Urteil gegen Ulrich Aberhan und Hans von Nürnberg, aber auch die Festnahme und Vernehmung einer Reihe weiterer Bürger und Bauern im Verlaufe des Juni dürften ein übriges dazu getan haben.118 In der Stadt ist ein Verebben der Unruhe festzustellen.119 Das scheint bedingt auch für das Landgebiet zu gelten, wo keine weiteren Versammlungen stattfanden, aber die Zehntverweigerungen dennoch nicht aufhörten. Jetzt treffen wir wiederholt auf an den Rat gerichtete Supplikationen über den Zehnt und einige andere die Bauern bewegende Probleme.120 Am 18. Juni werden die Rechtsgelehrten um einen Ratschlag in Sachen der „paurn supplicirn der zehenden und wiltprets halben" gebeten.121 Es handelte sich dabei 117 1,8

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121

Malefitz Urthel zu Nürnberg, a. a. O., fol. 15 f. Im Verlaufe des Juni finden sich eine ganze Reihe Ratsverlässe, welche die Festnahme von Bürgern und Bauern verfügen, aber in den meisten Fällen sind die Gründe für diesen Schritt nicht zu erkennen. Nur einmal, am 14. Juni, stoßen wir in den Ratsverlässen auf eine Nachricht, die in diesen Zusammenhang gehören könnte: Es sollte nach dem Gürtler geforscht werden, der am Tag zuvor „am marckt gesagt hat wir wollen schire alle lauffen" (StAN, Ratsverlässe 704, fol. 15 v.). Der erste Beleg findet sich bereits am 4. Juni und dann wieder am 16. Juni in Sachen des Wildbanns. Vgl. Quellen, S. 3 (RV Nr. 15) und S. 7 (RV Nr. 30). Quellen, S. 7 (RV Nr. 35).

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um eine Beschwerdeschrift der Dörfer Poppenreuth, Kraftshof, Gründlach, Gostenhof, Zirndorf, Vach, Farnbach, Buschendorf und Reichelsdorf.122 Das ausführliche Gutachten der Juristen datiert vom gleichen Tag. Auffallend ist, daß sie in der Frage des Wildbanns einen einhelligen Standpunkt formulieren, in Sachen des Windbruchs auch weitgehend übereinstimmen, aber in der Zehntfrage alle Beteiligten - die Juristen Protzer, Scheurl, Marsilius, Marstaller und Hepstein - ihre Auffassung gesondert darlegen, da die Meinungen zum Teil stark voneinander abwichen. Die Bauern der supplizierenden Gemeinden hatten offensichtlich nicht - so ist aus dem Ratschlag zu schließen - die Aufhebung des Zehnten generell verlangt, sondern einen Nachlaß um ein Drittel gefordert. Zur Begründung beriefen sie sich wohl auf das Evangelium, denn mehrere Gutachter heben hervor, das Evangelium lehre nicht, daß sie vom Zehnt befreit seien. Scheurl betont insbesondere, der Zehnt beruhe auf altem Herkommen, sei auch seit langer Zeit gegeben worden, und sie könnten sich dieser Leistung mit keinem zwingenden Grund widersetzen, ja sie seien ihrer Verpflichtung bisher auch unwidersprochen nachgekommen. Auf einen ganz anderen Aspekt machte Marsilius aufmerksam: der Zehnt sei allein gegeben worden, um geistliches Recht und Pracht zu erhalten; insofern könnte er auch aufgehoben werden. Zugleich seien die Zehnten aber fürstliche Lehen und deshalb ein Nachlaß nicht möglich. Die Argumentation von Marstaller weicht davon erheblich ab. Er findet den Zehnt zwar im Alten Testament verankert, nicht aber im Neuen Testament, so daß er vermutet, er sei inzwischen aufgehoben worden und die Bauern im Grunde zu seiner Leistung nicht verpflichtet. Marstaller ist sich dennoch nicht schlüssig, wie die Supplikation der Gemeinden am besten zu beantworten ist, denn der Zehnt sei den Bauern zwar „hoch beschwerlich, ob sie schon denselben 1000 Jar geraicht heten. Sie aber hinwiderumb des zuerlassen könne er auch nit ratten."123 Er schlug deshalb vor, der Rat möge sie bescheiden, er habe ihr Begehren gehört und sei zwar geneigt, ihnen möglichst entgegenzukommen, aber es stünde in diesem Falle nicht in seiner Macht, weil die Zehnten seit vielen hundert Jahren aufgrund der Rechte der Kaiser, Könige und Fürsten unwidersprochen gegeben worden seien. Man wolle aber zu gelegner Zeit sich beim Kaiser und auf dem Reichstag zu Speyer dafür verwenden, „wie sie die armen eine ire beschwerung linderung mechten erlangen."124 Noch einen Schritt weiter ging Hepstein, der die soziale Lage der Bauern mit den Worten umriß: „Die armen leut seind durch mer denn ein vrsach des man anzeigen kennd zu disen iren anfahenn hoch verursacht, auch mit dinsten gulten vnnd annderm dermaß beschwerd, das inen doch nit mer mug

122 123 124

StAN, Rep. 15 a, A-Laden, S I L 23, Nr. 62, nicht paginiert. Ebenda. Ebenda.

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auff gelegt werden". 125 Wenn aber zu allen Lasten noch die Zehnten hinzukämen, so müsse das Aufruhr und Empörung erwecken. Nicht minder beschwerlich sei es, ihnen den Zehnt zu erlassen, denn ein solcher Schritt könnte sie veranlassen, sich auch anderer Verpflichtungen wie Zins, Gült und weiterer Leistungen zu entledigen. Es gebühre den Bauern auch nicht, sich eigenmächtig der Zehntleistung zu entziehen. Und am Ende spricht auch er sich dafür aus, ihrem Ansuchen nicht stattzugeben. Der Rat solle ihnen antworten, er wolle sich - soviel ihm möglich - dafür verwenden, daß andere „unbilliche beschwerungen" aufgehoben würden. Einige der Juristen akzeptierten also, daß die bäuerliche Lage schwer war und der Zehnt die Untertanen in besonderem Maße belastete, aber Konsequenzen wollte keiner daraus ziehen, weil sie Weiterungen fürchteten, nach der Aufhebung einer Verpflichtung könne auch der Wunsch entstehen, andere feudale Leistungen zu beseitigen. So blieb die Vertröstung auf Abhilfe, vielleicht durch den nächsten Reichstag. Eine ähnliche Supplikation lag auch von Bauern der Hauptmannschaften Ristelbach und Mögeldorf vor. Ein Ratsverlaß vom 20. Juni legte fest, diese zu bedenken, die „widertail" zu hören und dann einen Ratschlag vorzulegen.126 Das Gutachten der Gelehrten vom 23. Juni nimmt wiederum ausführlich zur Sache Stellung.127 Es beginnt mit der Feststellung, was üblich sei, solle nicht ohne Recht aufgehoben werden, und das treffe im zu verhandelnden Fall zu. Eine Kommune oder ein Land könne in solcher Sache nicht f ü r sich selbst ohne Schaden Änderungen vornehmen, „dann doraus wurd gewislichen volgen, das man mit der freiheit des zehenden nit wurd aufhören, sonder sich aller beschwerden (dahin dann diser baurn furnemen gericht) wolt entledigen, aus dem hinach die weltlich ordenlich oberkeit ire policei nit mehr underhalten, die frumen nit mehr verthedingen oder die bösen nit strafen mochten."128 Deshalb sei auch jede Obrigkeit schuldig, nichts ohne Recht zu verändern. Den Supplikanten solle deshalb geantwortet werden, der Rat habe ihnen zwar durch ihre Verordneten ansagen lassen, wer Beschwerden vorzubringen habe, solle sie vortragen, er finde aber in ihrer Schrift nichts, was als Beschwerde bezeichnet werden könne, denn sie hätten selbst erklärt, sie wollten beim alten Herkommen bleiben. Nun sei der Zehnt aber ein altes Herkommen. „Darzue so stee in meyner hern oder nymandts gewalt, yemand seyne zehenden zu begeben oder verfugen, nachzulassen oder zuzusehen, das die nit gereicht wurden, . . . deßhalb in dem stuck irem begern oder vorhaben nit stat gethan kont oder mocht werden, sonder gepur sich, wue sy beschwerdt zu sein vermeynen, das sy solichs durch rechtliche weg an gepurlichen enden anm 126

Ebenda.

StAN, Ratsverlässe 704, fol. 20 v. 127 Quellen, S. 153 f. (Ratschlag Nr. 3). 128 Ebenda, S. 154.

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pringen, darzue well sy ein erber rath gunstiglichen furdern".129 Als rechten Ort für ein solches Anbringen sollen die Untertanen auch in diesem Fall auf den Reichstag verwiesen werden. Dort könne ihre Sache verhandelt werden, und bis dahin sollten sie sich gedulden und nichts verändern. „Wes man dan find, darzu wolt ein erber rath als die, so den iren (doch mit dem, was pillich und recht ist) gern wol thun wolten, furderlich und hilflich sein."130 Würden sie das nicht tun, handelten sie wider die Satzungen der weltlichen Obrigkeit. Hier ist das Kunststück vollbracht worden, nach der Aufforderung an die Untertanen, ihre Beschwerden vor den Rat zu bringen, ihnen nun zu erklären, daß es sich gar nicht um solche handele. Der Verweis auf die Nichtzuständigkeit des Rats und die Kompetenz des Reichstages kann nur als Versuch verstanden werden, sie zu vertrösten und hinzuhalten. Denn als der Rat im Mai 1525 einige Verpflichtungen der Bauern und Bürger aufhob, geschah das aus eigenem Entschluß und ohne Mitwirken des Reichstages. Der tiefere Grund für diese Reaktion dürfte demnach die Befürchtung gewesen sein, die Aufhebung oder Reduzierung des Zehnten könne die Forderung nach Beseitigung weiterer Belastungen nach sich ziehen. Es wurde ja ohnehin schon unterstellt, es sei die Absicht der Bauern, sich aller Verpflichtungen zu entledigen. Inzwischen hatten die Zehntverweigerungen nicht aufgehört, und beim Rat wurde von den Betroffenen wiederholt um Unterstützung bei der Einholung des Zehnten ersucht. In einem Ratsverlaß vom 23. Juni hieß es dazu: „Denjhenen, die ansuchen, um zehenden zu verhelfen, soll man anzaigen, welcher gestalt ein rat itzo in handlung stee mit den iren auf dem land des Versehens, sy sollen irem furnemen absten, wo nicht und sich ymand der iren darüber des setzen wurd, wöll ein rat auf verner ansuchen ainem yeden pilliche hilf mittailen.1,131 Solche Ersuchen gingen auch in den folgenden Wochen mehrfach ein. Es gab also weiterhin Zehntverweigerungen, besonders durch einzelne Bauern, vielleicht auch durch ganze Dörfer. Führen wir uns vor Augen, wo dies geschah und wer davon betroffen war, so zeichnen sich deutlicher die Konturen hinsichtlich des Ausmaßes wie der Stoßrichtung ab. In der Zeit zwischen dem 23. Juni und dem 20. Juli sind eine ganze Anzahl von Zehntverweigerungen aus den Ratsverlässen zu erschließen. Genannt werden in diesem Zusammenhang und in diesem Zeitraum die Orte Steinbühl, Henfenfeld, Bullach, Feucht, Heroldsberg, Eltersdorf, Gostenhof, Rückersdorf, Buch, Gründlach, Großgeschaid, Wetzendorf und Vach.132 Es gab demnach keinen bestimmten Konzentrationspunkt, die Dörfer waren so129 130 131 133

6*

Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 8 (RV Nr. 38). Ebenda, S. 8-14 (RV Nr. 39, 40, 46, 48, 53, 56, 63, 65, 69, 70, 72, 73, 75, 76, 81, 83, 92, 97 und 101).

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wohl im Norden wie im Süden des Nürnberger Landgebiets gelegen, ja reichten bis in die Besitzungen des brandenburgischen Markgrafen hinein. Zu berücksichtigen ist, daß nicht alle Dörfer namentlich erfaßt werden können, in denen Streitigkeiten um den Zehnt vorkamen, da in einigen Fällen die Quellen nur den Tatbestand nennen, nicht aber den Namen des entsprechenden Ortes. Die Zehntempfänger, denen die Bauern den Zehnt verweigerten oder bei dessen Einholung Schwierigkeiten bereiteten, waren in der Mehrzahl der Fälle geistliche Institutionen. In erster Linie sind es der Bischof, das Domkapitel und das Stift St. Stephan zu Bamberg133, aber auch der Abt von St. Egidien134 und der Propst zu St. Lorenz135 in Nürnberg. Genannt werden die Pfarrer von Gründlach und Henfenfeld, der Frühmessner zu Feucht, die Äbtissin zu Gründlach und die Kapitelherren zu Spalt.136 Auch hier sind wir auf die in den Akten namhaft gemachten Fälle angewiesen. Weltliche Empfänger des Zehnten tauchen hingegen nur selten auf137, obwohl wiederholt festgestellt wurde, der Zehnt sei auch ihnen verweigert worden. Die Ratsverlässe weisen wiederholt darauf hin, daß der Zehnt vom Feld mißbräuchlich weggeführt werde. Der Rat wandte sich an Pfleger und Hauptleute und wies sie an, dafür Sorge zu tragen, daß die Untertanen ihrer Zehntleistung nachkämen. Er drohte, wer sich weigere und als ungehorsam erweise, solle vor den Rat gebracht werden; auch wurde mit dem Lochgefängnis und anderen Strafen gedroht und diese Drohung in manchen Fällen auch realisiert.138 Als Untertanen von Gostenhof vor den Rat beordert wurden, wurden sie gefragt, „welche die sein, die dem bestendtner gedrot haben, wo er den (Zehnten) einsammeln und in sein stadel legen werd, wollen sy ime den verprennen".139 Solche Drohungen scheinen häufiger vorgekommen zu sein, denn am 28. Juni sollten zum Beispiel ein oder zwei Bauern unter Eid verhört werden, „welcher gestalt Hanns Hofman der zehenden halben gedrot hab, und sover sichs findet, ine alßdann lassen annemen."140 Am nächsten Tag wurde Hofman in die Stadt gebracht und am 1. Juli erging die Weisung, ihn „in der Capellen 133

m 135 136

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Ebenda, S. 10-13 (RV Nr. 64, 69, 70, 71, 73, 74, 88, 90, 92); Sprung, Werner, a. a. O., S. 9 f. und S. 54 f. Quellen, S. 9 (RV Nr. 49 und 56). Ebenda, S. 8 (RV Nr. 45), S. 10 (RV Nr. 65), S. 12 (RV Nr. 80), S. 13 (RV Nr. 91). Ebenda, S. 2 (RV Nr. 13), S. 8 (RV Nr. 40), S. 9 (RV Nr. 52), S. 11 (RV Nr. 76), S. 14 (RV Nr. 113). Über die Verweigerung des Zehnten in Henfenfeld gegenüber dem Pfarrer vgl. auch: St AN, Briefbücher Nr. 87, fol. 92 r. Vgl. zum Beispiel: St AN, Ratsverlässe 705, fol. 5v; Quellen, S. 10 (RV Nr. 60, 62, 63 und 68). Beispiele, wo Bauern ins Loch gebracht wurden: Quellen, S. 11 (RV Nr. 75), S. 15 (RV Nr. 109), S. 16 (RV Nr. 115). Ebenda, S. 10 (RV Nr. 65). Ebenda, S. 8 (RV Nr. 46).

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zu red halten." 141 Am 16. Juli wurde Heintz Mair im Loch befragt, da er seine Nachbarn des Zehnten wegen „aufrührerisch" gemacht habe.142 Am 12. Juli war bereits der Müller zu Vach verhört worden, da er gedroht haben soll, den Prediger von der Kanzel zu werfen, wofür er mit folgender Strafe belegt wurde: „VIII tag und nacht ins loch, halb auf gnad, zusampt dem protgelt."143 Oftmals schickte der Rat auf Anforderung Stadtknechte in die Dörfer, um bei der Einholung des Zehnten Unterstützung zu gewähren.144 Als am 15. Juli das Bamberger Kapitel - wie schon mehrmals zuvor - sich wiederum um Hilfe an den Nürnberger Rat wandte, wurde ein Diener zur Verfügung gestellt, „der in den dörfern, do sy den zehenden haben, mit den paurn handel und warnte, wo sy den zehenden selbst nicht besten wollten, das sy dann den aufm land nicht verterben lassen und einsamein, oder man will in den auß den stedeln lassen nemen".145 Der Rat hatte dem Bischof auch schon am 1. Juli, als dieser „Clagzettell" übersandt hatte, Unterstützung zugesagt, falls ein solches Ansinnen gestellt werde, und dabei zugleich seiner Hoffnung Ausdruck gegeben, „das vnnß vnd den vnnsern gegen eur f. g. vnderthanen wo es not thut in gleichen fall auch gnedigklich verhelften werden". 146 Der Rat sagte also den Geschädigten Unterstützung zu, stellte Knechte zur Verfügung, ließ die Untertanen durch Landpfleger und Hauptleute ermahnen, drohte mit Strafen, ließ Beteiligte gefangensetzen, und am 29. Juni sollte ein Beauftragter des Rats nach Poppenreuth geschickt werden, um „ze sehen, was der paurn handlung werd"147, vielleicht ein Hinweis darauf, daß auch wieder Zusammenkünfte beabsichtigt waren oder tatsächlich stattfanden. Blicken wir noch einmal zurück, so zeigt es sich, daß die Zehntverweigerungen sich in erster Linie gegen geistliche Institutionen und Personen richteten. Hier werden wir wiederum auf den Zusammenhang mit der Reformationsbewegung gelenkt. Nachdem in der Stadt bereits seit mehreren Jahren die neuen Ideen verbreitet und aufgenommen wurden, Mönche und altgläubige Geistliche Verspottungen ausgesetzt, an den Kirchen evangelische Prediger tätig und katholische Zeremonien abgeschafft waren, ohne daß der Rat sich bereits öffentlich zur Reformation bekannt hatte148, mußte all das auch ermunternd in Hinblick auf die Verweigerung des Zehnten an Kirche und Geistlichkeit wirken. So wie die Bürger das alte Kirchenwesen mißachteten und an die Neugestaltung gingen, meinten die ländlichen Untertanen wohl, 141

Ebenda, S. 8 f. (RV Nr. 48 und 53). Die „Kapelle" war der Raum des Lochgefängnisses, in dem die „peinliche Befragung", also die Folter erfolgte. 142 Ebenda, S. 13 (RV Nr. 89). 143 Ebenda, S. 12 f. (RV Nr. 86 und 87). 144 Ebenda, S. 10 (RV Nr. 62 und 63), S. 12 (RV Nr. 84), S. 13 (RV Nr. 88). 145 Ebenda, S. 13 (RV Nr. 88). 146 StAN, Briefbücher Nr. 87, fol. 91 v. 147 Quellen, S. 8 (RV Nr. 47). 148 vgl a u ß e r der in Anm. 69 bereits genannten Literatur auch: Nürnberg — Geschichte einer europäischen Stadt, S. 146 ff.

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mit der Verweigerung der Zehnten nur das in den Mauern der Stadt Begonnene auf ihre Art fortzusetzen. Dem widerspricht es nicht, wenn auch weltliche Grundherren oder Zehntinhaber nicht verschont blieben, denn es war ja nicht einzusehen, warum dem einen gegeben werden sollte, was man dem andern verwehrte. Die reformatorische Bewegung vermochte so auch dem sozialen Anliegen der Untertanen im Landgebiet Auftrieb zu geben, so daß die Zehntverweigerungen zur verbreiteten Erscheinung wurden. In dieser Situation geschah es, daß Bauern in der Nacht vom 22. zum 23. Juli Zehntgetreide auf dem Feld verbrannten. Daraufhin ordnete der Rat am 23. Juli für den nächsten Tag - einen Sonntag - eine Verkündung in etlichen Dörfern an, wer einen Täter angebe, solle 50 Gulden erhalten und auch nicht belangt werden, wenn er selbst beteiligt war.149 In der Verkündung hieß es, daß „sich etlich mutwillig personen understanden, mer dann an ainem ort die abgeschaidten und zesamen getragen getraidzehenden auf dem veld bey nacht mit feur zu verderben und zu verprennen, alles über ains erbern rats zu Nurmberg statlich und ernstlich Warnung, gepot und bevelh, welchs ein rat nicht unpillich höh beschwerung tregt und darum ernstlich pillich straf und handlung furzunemen entslossen sein".150 Der kursächsische Rat Hans von Planitz berichtete den Vorfall kurz danach - am 26. Juli - auch seinem Landesherrn als erwähnenswerte Neuigkeit: „Ezlich pauern, man weiß aber nicht, wer sie seynt, haben alhie umb Nurnbergk den pfaffen und weltlichen den zehenden auf dem felde vorprennet. Man forscht getreulich noch, ob man der teter inen werden mocht."15i Hervorheben möchten wir die Feststellung des Rates, die Verbrennung des Zehnten sei an mehr als einem Ort geschehen, woraus ein vorsätzliches Vorgehen geschlußfolgert werden kann. Diese Tatsache dürfte vor allem Anlaß gegeben haben, wiederum eine hohe Belohnung auszusetzen, mußte der Rai doch befürchten, es könne sich daraus eine größere Unruhe ergeben, eine breitere Bewegung entwickeln, wie sie sich Ende Mai und Anfang Juni schon einmal abgezeichnet hatte. Es scheint aber nicht gelungen zu sein, Täter ausfindig zu machen, denn in den Ratsverlässen oder Ratsbüchern wären sonst sicher Hinweise auf Verhöre oder Strafen zu finden gewesen. Die nach der Zehntverbrennung noch festzuhaltenden Aktivitäten unterscheiden sich nicht von dem bisher Bekannten. Am 23. Juli wurde zum Beispiel auf Klage der Kapitelherren zu Spalt in den Dörfern Enderndorf, Obersteinbach und Schniegling den Nürnberger Untertanen geboten, die von Enderndorf sollten ihren Beständner nicht hindern, den Zehnten einzusammeln, Quellen, S. 14 (RV Nr. 102); Müllner, Johannes, Annaliuni Noricum, foL 13 r. 1» Quellen, S. 14 (Ratsbuch zu R V Nr. 102). 151 Ebenda, S. 277 (Briefe Nr. 32). Vgl. auch: Neues Urkundenbuch zur Geschichte der evangelischen Kirchen-Reformation, hrsg. von Carl Eduard Förstemann, Bd. 1, Hamburg 1842, S. 209; Des kursächsischen Rates Hans von der Planitz Berichte, S. 626.

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und alle anderen den Zehnten nach altem Herkommen geben.152 Als die Bauern zu Weigenhoven zwei ihrer Vierer ihres Amts enthoben, da diese bei Haintz Kunhover den Zehnten eingesammelt hatten, wurde am 26. Juli befohlen, sie festzunehmen und in der Pflegamtsstadt Lauf in den Turm zu legen. Drei Tage darauf wurde dem Pfleger mitgeteilt, die 16 Gefangenen bei Zahlung der Unkosten wieder freizulassen und ihnen einzuschärfen, die zwei Vierer in ihrem Amt zu belassen.153 Am 27. Juli wurde aufgrund eines Bamberger Schreibens festgelegt, in einigen Dörfern den Nürnberger Untertanen zu gebieten, die Beständner nicht beim Einsammeln der Zehnten zu hindern „mit der Warnung, wo daran schaden geschech, den werd man inen zu erstatten auflegen".154 Am gleichen Tage sollte in Erfahrung gebracht werden, ob es richtig sei, daß der Frühmessner zu Kraftshof „von der cantzel dem volk gelesen hab, das sy allain die 30. garb zu verzehenden schuldig seyn".155 Am 30. Juli erging die Weisung, ihn in die Stadt zu schicken und seiner Predigt wegen zu verhören.156 Die Sache läßt sich nicht weiter verfolgen und wir bleiben auch hier über den Ausgang im dunkeln. Doch in gewisser Weise schließt sich für uns damit def Kreis, denn die Auffassung, nur den 30. Teil als Zehnt geben zu wollen, war zu Beginn auch in Forchheim verbreitet worden. Obwohl auch in der nachfolgenden Zeit noch einzelne Fälle von Zehntverweigerungen begegnen, vor allem zur Zeit der Herbstfruchternte, können wir an diesem Punkt abbrechen und das Wichtigste kurz zusammenfassen. Eine Antwort auf eingangs gestellte Fragen feibt schon die Untersuchung, so daß hier nur einige Aspekte noch einmal ins Blickfeld gerückt werden sollen. Wenn in der marxistischen Forschung die Einheit von Reformation und Bauernkrieg betont wird157, so zeigt sich dieser Zusammenhang auch in dem hier untersuchten konkreten Fall. Die Berufung auf das Evangelium zur Begründung der Rechtmäßigkeit gestellter Forderungen, wie sie 1525 immer wieder entgegentritt, deutet sich bereits an. Dem hatte die reformatorische 162 153 154 155

158 157

Quellen, S. 14 (RV Nr. 103). Ebenda, S. 15 (RV Nr. 107 und 114). Ebenda, S. 15 (RV Nr. 112). Ebenda, S. 15 (RV Nr. 110); Soden, Franz von, Beiträge zur Geschichte der Reformation und der Sitten jener Zeit mit besonderem Hinblick auf Christoph Scheurl II., Nürnberg 1855, S. 193. Ebenda, S. 16 (RV Nr. 119). Vgl. dazu Steinmetz, Max, Deutschland von 1476 bis 1648 (Von der frühbürgerlichen Revolution bis zum Westfälischen Frieden), Berlin 1965, S. 128 f.; Bensing, Manfred/Hoyer, Siegfried, Der deutsche Bauernkrieg 1524—1526 (Kleine Militärgeschichte - Kriege), Berlin 1965, S. 9 f.; Vogler, Günter, Revolutionäre Bewegung und frühbürgerliche Revolution. Betrachtungen zum Verhältnis von sozialen und politischen Bewegungen und deutscher frühbürgerlicher Revolution, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Berlin 1974, H. 4, S. 394 ff.

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Bewegung insgesamt vorgearbeitet; im Falle Nürnbergs dürfen wir auf die eingeleitete Umgestaltung des Kirchenwesens und besonders das Auftreten von Laienpredigern und deren Schriften hinweisen. Die Tatsache, daß auf dem Lande zum hauptsächlichen Angriffspunkt der Zehnt wurde, also eine die Interessen von Kirche und Geistlichkeit berührende Abgabe, unterstreicht nur diesen Zusammenhang. Wenn zu Beginn der Reformation die Ablässe zu einem der umstrittenen Objekte wurden, so zeichnen sich die sozialen Konsequenzen der reformatorischen Bewegung in dem Kampf gegen die Zehntleistung noch deutlicher ab. In seiner Verweigerung zeigt sich die spezifische Stoßrichtung gegen Kirche und Geistlichkeit, wobei auch weltliche Gewalten nicht ausgenommen blieben. Konfliktstoff hatte sich allerdings unter Bauern und Bürgern angesammelt. Auf dem Lande war vor allem der Zehnt, in der Stadt das Ungeld ein Angriffspunkt. Es gab also Probleme sozialer Natur, die ein gemeinsames Interesse von Bauern und Teilen der Stadtbevölkerung erkennen ließen. Sie blieben jetzt noch ungelöst, aber unter dem Druck der Bauern und der innerstädtischen Opposition mußte der Rat am 23. Mai 1525 nachgeben und einige Lasten aufheben bzw. abmildern. So wurden zum Beispiel für die Bauern des Landgebiets der kleine Zehnt aufgehoben, für die städtische Bevölkerung die Ablösung der Erbzinse ermöglicht, der Münzfuß neu festgesetzt, das große Marktgeld abgeschafft und den Geistlichen untersagt, bei kirchlichen Zeremonien Geld oder Geschenke zu nehmen.158 Die sozialen Fragen waren es, die den Gedanken an ein Zusammengehen von Bauern und Bürgern Gestalt annehmen ließen. Die Unruhen im Nürnberger Landgebiet lassen zwar Beziehungen zu der Forchheimer Erhebung vermuten, aber die Nürnberger Ereignisse sind keine direkte Folge der Unruhen im Bambergischen. Denn erste Zehntverweigerungen begegnen im Landgebiet bereits vor der Forchheimer Erhebung. Allerdings ist auch nicht zu übersehen, daß beispielsweise die erste Bauernversammlung - in Gründlach - geographisch in die Forchheimer Richtung weist. Die Nähe der Dörfer zu Forchheim war aber für den weiteren Gang nicht entscheidend, weil zahlreiche Orte, die in verschiedenen Richtungen um die Stadt gelegen waren, genannt wurden, beispielsweise auch Orte in den Landpflegämtern Lauf und Hersbruck. Dennoch konzentrierte sich die bäuerliche Bewegung auf Ortschaften nördlich und westlich von Nürnberg, ohne daß der südliche Teil ausgenommen blieb. Aus der Untersuchung der Unruhen von Mai bis Juli 1524 dürfen wir schließen, daß die von Gottfried Seebaß für das Jahr 1525 getroffenen Feststellungen mit ihrem Anliegen auch bereits für das Vorjahr ihre Berechtigung haben: „Sicher ist es im nürnbergischen Gebiet und der Stadt auf Grund ge158

Müllner, Johannes, Annalium Noricum, fol. 41 v.; Will, Georg Andreas, Beyträge zur Geschichte des Anabaptismus in Deutschland. Nebst wichtigen Urkunden und Beylagen, Nürnberg 1773, S. 163 f.; Kamann, Johann, a.a.O., S. 14 f.

Ein Vorspiel des Bauernkrieges

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schickter Ratsmaßnahmen nicht zu derartigen Unruhen gekommen wie sonst im fränkischen Raum, aber so ruhig, wie in der Literatur oft angenommen, dürften die Verhältnisse doch nicht gewesen sein."159 Wenn wir von einem Vorspiel des Bauernkrieges gesprochen haben, so nicht im Sinne eines kontinuierlichen Weges zu der umfassenden Erhebung. Wir meinen damit vielmehr, daß die Vorgänge am Vorabend der Bauernerhebungen bereits auf deren Probleme hinweisen. Der Rat war in dieser Zeit ständig damit befaßt, eine Ausweitung zu verhindern, Sicherungen zu schaffen und die vermeintlichen Urheber zu strafen. Er wurde dabei Herr der Lage, aber die lokalen Vorgänge beanspruchten bereits ein überregionales Interesse, denn die Festlegungen während der Verhandlungen der Fürsten und Stände des fränkischen Kreises vom Juli 1524 dürften sich nicht nur auf Forchheim bezogen haben: „Item daneben wurdet auch fur not vnd gut bedacht, dieweil sich itzt an vill ortten vnd sunderlich im land zu francken vill vnpillicher, strefenlicher vnd muttwilliger empörungen von den vnderthanen gegen Iren obrigkeitten eräugen, das nit auß dem wort gottes, sunder wider dasselbig auß aigen riutziger poßheit furgenomen werden, daß sich genannt mein gnedig furssten, gefurst vnd ander Grafen, herrn vnd Reichs Stet im franckischen krais auch vnderreden vnd vergleichen, wie Sy sollich vffrur abstellen vnd vorkomen, auch derhalben bey vnd ob einander halten wollen."160 159

Seebaß, Gottfried,

Z w e i Briefe von Andreas Osiander, in: M V G N , Bd. 57, 1970,

S. 212, A n m . 18. Die Dissertation von Buck konnte erst nach Abschluß des M a n u skripts eingesehen werden: Buck, Lawrence

P., The Containment of Civil I n -

surrection. N ü r n b e r g and the Peasants' Revoit, 1524—1525, Ohio State University 1971. îeo Neues Urkundenbuch, a. a. O., S. 212.

Adolf Laube

Zum Problem des Bündnisses von Bergarbeitern und Bauern im deutschen Bauernkrieg

Die große revolutionäre Massenbewegung, die unter der Bezeichnung „Bauernkrieg" in die Geschichte eingegangen ist, war von ihren sozialen Trägern her keineswegs einheitlich bäuerlich und auch nicht nur bäuerlich-plebejisch. Gewiß stellten Bauern, ländliche Arme und das städtische Plebejertum die Masse der Kämpfenden, war der Hauptklassengegensatz, der in der Bewegung ausgefochten wurde, der zwischen Bauern und Feudalherren. Neben dem verschärften Hauptklassengegensatz lagen dem revolutionären Aufbäumen zu Beginn des 16. Jahrhunderts aber noch wesentliche andere Widersprüche zugrunde, die sich eng mit dem ersteren verflochten und zu Erhebungen verschiedenartiger sozialer Kräfte führten. In erster Linie handelte es sich um den Widerspruch zwischen den entstehenden kapitalistischen Verhältnissen und der herrschenden Feudalordnung. Dem außergewöhnlich raschen Aufschwung der deutschen Wirtschaft seit dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts, dem Prozeß der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals und der verbreiteten Herausbildung kapitalistischer Produktionsverhältnisse standen entscheidende feudale Hemmnisse entgegen. Nicht zuletzt die Einbeziehung in den frühen kapitalistischen Markt und das Streben der Feudalherren nach Anpassung an die neuen ökonomischen Bedingungen hatten zur Folge, daß die feudale Ausbeutung der Bauern verschärft wurde. Im Unterschied zu vorangegangenen Bauernerhebungen lagen also wesentliche Ursachen des deutschen Bauernkrieges in den neuen, durch die frühkapitalistische Entwicklung bedingten sozialökonomischen Veränderungen. Darüber hinaus spitzte die Festigung der feudalen Produktions- und Ausbeutungsverhältnisse auf dem Lande, die gebietsweise bis zur Einführung der zweiten Leibeigenschaft ging, nicht nur den Hauptklassengegensatz zu, sondern setzte auch der weiteren Ausdehnung der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals entscheidende Schranken. Hinzu kam die Situation im staatlichen Bereich. Das Kaisertum hielt an der längst überlebten Reichsidee fest und mobilisierte alle Kräfte und Mittel zur Schaffung einer Universalmonarchie, die der allgemeinen Tendenz zur Herausbildung nationaler Staaten entgegenwirkte. Das zunehmend stärker werdende Territorialfürstentum bildete dazu keine im Interesse des Fortschritts liegende Alternative, sondern befestigte die territoriale Zersplitterung. Kaiser und Fürsten setzten ihre staatliche Macht dazu ein, aus der bürgerlichen Wirtschaft Mittel zur Durchset-

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Adolf Laube

zung ihrer feudalen Interessen herauszupressen. In besonderem Maße war auch die Papstkirche in Widerspruch zu den Erfordernissen der gesellschaftlichen Entwicklung geraten. Ihre finanzielle Ausplünderung und ideologische Bevormundung des deutschen Volkes sowie die inneren Mißstände in der Kirche und im Klerus wurden als besonders bedrückend empfunden und hatten seit 1517 in der Reformationsbewegung breite, vor allem mittelbürgerliche Schichten, einschließlich von Teilen der herrschenden Klasse, auf den Plan gerufen. Schließlich hatte das Aufkommen frühkapitalistischer Verhältnisse auch unmittelbare zersetzende Auswirkungen auf den Bereich der einfachen Warenproduktion. Folge dieser Entwicklung war ein sozialer Differenzierungsprozeß bisher nicht gekannten Ausmaßes, der die sozialen Gegensätze zuspitzte. Die komplizierten gesellschaftlichen Verhältnisse am Beginn der Übergangsepoche vom Feudalismus zum Kapitalismus brachten es mit sich, daß die oppositionellen Kräfte äußerst vielgestaltig waren und jeweils ganz spezifische Interessen vertraten. Noch waren keine klaren Klassenfronten ausgereift. Das stellt der Forschung m. E. vor allem zwei Aufgaben: Erstens wird es notwendig sein, die Bemühungen verstärkt fortzuführen, die auf eine genaue Analyse der spezifischen ökonomischen, sozialen und politischen Interessen sowie des ideologischen Reifegrades der verschiedenen oppositionellen Schichten und Gruppen hinzielen, und es ist notwendig, allen Äußerungen ihres Klassenkampfes in dieser Zeit nachzugehen. Dabei wird es darauf ankommen, die ganze Breite der Bewegung zu erfassen; d.h., es sind die Bauernbewegung, die Kämpfe der verschiedenen bürgerlichen und plebejischen Schichten in den Städten, Auseinandersetzungen und Zusammenspiel zwischen der entstehenden Handelsbourgeoisie sowie anderen frühkapitalistischen Unternehmern und den Feudalgewalten, die sogenannte Antimonopolbewegung, die Haltung der Humanisten, der Reichsritter, des entstehenden Vorproletariats usw. bei aller Isoliertheit voneinander als Äußerungen einer breiten Massenbewegung deutlich zu machen, die letztlich aus den ökonomischen und sozialen Veränderungen im Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus erwachsen ist. Von entscheidender Bedeutung in diesem Zusammenhang sind, wie Ernst Engelberg erst jüngst formulierte, Forschungen „über den Charakter und die Rolle der bürgerlichen Schichten in der Reformation, über das Verhältnis von bürgerlicher Interessenlage und kirchenreformerischen Bestrebungen, von Theologen als einzelnen Suchern und gesamtgesellschaftlicher Entwicklung, die in Bürgerliche drängt". 1 Das gilt über die Reformation als Teil der frühbürgerlichen Revolution hinaus f ü r den Gesamtkomplex dieser Revolution, ja f ü r die Probleme des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus insgesamt. Zweitens gilt es, von der ersten Aufgabenstellung abgeleitet, das Übergreifende, das Gemeinsame der Interessen und damit die Bündnisproblematik 1

Engelberg, Ernst, Annotation in: ZfG 7/1973, S. 877.

Bündnisprobleme von Bergarbeitern und Bauern

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stärker zu beachten und vor allem differenzierter zu sehen. So manches pauschale Urteil über das Verhältnis von Bürgertum bzw. Städtern und Bauern, von Bergleuten und Bauern mußte fehlgehen, weil weder die einen noch die anderen eine soziale Einheit bildeten. Erst wenn man sich die spezifische soziale Lage und die daraus erwachsenen Interessen der verschiedenen oppositionellen Schichten und Gruppen klargemacht hat, ist die Bündnisfrage zu beantworten. Mit ihr hängt auch die Frage nach der Führung des bäuerlichen Klassenkampfes zusammen. Die grundlegende Untersuchung Manfred Bensings über den Thüringer Aufstand hat dazu erneut deutlich gemacht, daß unter den führenden Kräften der Bauernhaufen das nichtbäuerliche Element bei weitem überwog. So waren von den über 70 führenden Gestalten des Thüringer Bauernkrieges, deren soziale Herkunft Bensing ermitteln konnte, 50 Handwerker und andere Städtebürger, nur rund zehn waren entweder selbst Bauern oder Angehörige der plebejischen Schichten auf dem Lande oder in Ackerbürgerstädten. Der Rest entfiel auf Prediger bzw. Pfarrer, die zum großen Teil auch bürgerlicher Herkunft waren. 2 Von diesen methodologischen Überlegungen ausgehend, soll im folgenden anhand erzgebirgischen Materials die Stoßrichtung des Kampfes der Bergarbeiter in der frühbürgerlichen Revolution und besonders ihr Verhältnis zu den Bauern untersucht werden. Die Ereignisse selbst sind in der Literatur bereits breit dargestellt. 3 Soweit dabei die Bündnisfrage erörtert wurde, lagen die Auffassungen bei oder zwischen denen von Karl Kautsky und Manfred Bensing. Kautsky hatte 1889 in der „Neuen Zeit" eine Artikelfolge „Die Bergarbeiter und der Bauernkrieg, vornehmlich in Thüringen" veröffentlicht, die er später zum großen Teil in seine „Vorläufer des neueren Sozialismus" aufgenommen hat. Darin fragte er, warum das von Thomas Müntzer angestrebte Bündnis zwischen den Bauern des Frankenhäuser Lagers und den Mansfelder 2

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Bensing, Manfred, Thomas Müntzer und der Thüringer Aufstand 1525, Berlin 1966, S. 253 ff.; vgl. auch Gerlach, Horst, Der englische Bauernaufstand von 1381 und der deutsche Bauernkrieg. Ein Vergleich, Meisenheim am Glan 1969. Vgl. zuletzt Laube, Adolf, Studien über den erzgebirgischen Silberbergbau von 1470 bis 1546, Berlin 1974; ferner Carlowitz, Horst, Die revolutionäre Bewegung der Bergleute in den Silberstädten Annaberg, Marienberg und Geyer während des Bauernaufstandes 1525, in: Sächsische Heimatblätter, 1/1970; Sieber, Siegfried, Die Teilnahme erzgebirgischer Bergleute am Bauernkrieg 1525, in: Bergbau und Bergleute, Freiberger Forschungshefte D i l , Berlin 1955: Seidemann, Johann Karl, Die Unruhen im Erzgebirge während des deutschen Bauernkrieges, in: Abhandlgg. d. Hist. Cl. d. Kgl. Bayr. Akad. d. Wiss., Bd. X, München 1867; für die benachbarten Reviere in Joachimsthal und im Mansfeidischen: Mittenzwei, Ingrid, Der Joachimsthaler Aufstand 1525, seine Ursachen und Folgen, Berlin 1968; Paterna, Erich, Da stunden die Bergleute auff, 2 Bde., Berlin 1960, Bensing, Manfred, a. a, O.; Kautsky, Karl, Die Bergarbeiter und der Bauernkrieg, vornehmlich in Thüringen, in: Neue Zeit, 7. Jg., 1889; Hue, Otto, Die Bergarbeiter, 1. Bd., Stuttgart 1910.

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Adolf Laube

Bergarbeitern nicht zustandegekommen ist, das dem Bauernkrieg eine Wende zugunsten der revolutionären Kräfte hätte geben können. Und er sah die Ursache in der Isoliertheit der Bergarbeiter. Die Isoliertheit der Bergarbeiter „in unwegsamen Gebirgstälern, fern vom Weltverkehr, . . . von ihren Berufsgenossen in anderen Lokalitäten, . . . von den anderen Standesgenossen" habe ihren Horizont verengt, sie zu Partikularisten gemacht, die nur ihren „bornierten Augenblicksinteressen" folgten.4 Friedrich Engels, der Kautskys Artikelfolge über die Bergarbeiter und den Bauernkrieg als „das Beste, was Du noch gemacht", einschätzte5 und daraus weitgehende Schlußfolgerungen im Hinblick auf die Bedeutung des deutschen Silberbergbaus für den Ausbruch der frühbürgerlichen Revolution zog, äußerte sich zu diesem speziellen Bündnisproblem nicht. Er, der sich seit den achtziger Jahren mit der Absicht trug, seinen „Bauernkrieg" gründlich umzuarbeiten, hatte vor allem die städtischen Plebejer als Bündnispartner der Bauern im Auge.6 Zuletzt ist Bensing in der Bündnisfrage zu einer Kautsky entgegengesetzten Auffassung gelangt. Er veranschlagt die revolutionäre Haltung und die Bündnisbereitschaft der Mansfelder Bergarbeiter sehr hoch und sieht die Schuld für das Ausbleiben einer gemeinsamen revolutionären Erhebung eher bei den gemäßigten Kräften des Frankenhäuser Lagers. „Um sich einer gemäßigten Programmatik zu unterwerfen und nach Ubereinkommen mit den Grafen zu trachten - dazu brauchte man sich nicht zu erheben . . . Die Stagnation im Frankenhäuser Zentrum darf nicht - wie das vielfach geschieht nur einseitig als Folge des passiven Verhaltens der Bergarbeiter, sondern sie muß zugleich als dessen Ursache betrachtet werden."7 Eine relativ starke Schicht von Lohnarbeitern hatte sich in. den großen deutschen Bergbaurevieren vor allem seit dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts herausgebildet. Grundlage waren das Eindringen des Kaufmannskapitals in den Bergbau, die Ausbildung kapitalistischer Produktionsverhältnisse und einer ihnen gemäßen Produktionsorganisation. Dieser Prozeß hatte im Erzgebirge bereits während der ersten Blüteperiode des Freiberger Silberbergbaus begonnen, sich aber erst in der 1470 im Westerzgebirge einsetzenden zweiten Blüteperiode voll durchgesetzt.8 Abgesehen von weiterbestehenden, aber insgesamt wirtschaftlich unbedeutenden Eigenlehnerbetrieben, in denen der Bergmann auf eigene Kosten, mit eigenen Produktionsmitteln und eigener Arbeitskraft nach Erzen schürfte, befand sich die bei weitem über4

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Kautsky, Karl, a. a. O., S. 513; derselbe, Vorläufer des neueren Sozialismus, Bd. 1, Berlin 1947, S. 131 f.; ihm schließt sich Hue, Otto, a. a. O., S. 218, an. Engels, Friedrich, Brief an Karl Kautsky vom 15.9.1889, in: MEW, Bd. 37, Berlin 1967, S. 274. Vgl. dazu auch Engels' Brief an Karl Kautsky vom 21.5.1895, in: MEW, Bd. 39, Berlin 1968, S. 482 f. Bensing, Manfred, a. a. O., S. 182. Vgl. dazu ausführlich Laube, Adolf, Studien, a. a. O.

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wiegende Zahl der Silbergruben im Eigentum von sogenannten Gewerken, die nicht selbst mitarbeiteten, sondern sich ausschließlich durch Kapital beteiligten mit dem Ziel, es profitbringend zu verwerten. Die eigentlichen Produzenten waren doppelt freie Lohnarbeiter9, frei von Produktionsmittelbesitz und freizügig. Im Unterschied zu den Verhältnissen in Freiberg während der ersten Blüteperiode im 13. und 14. Jahrhundert, wo die Bergleute Eisen und Unschlitt, d. h. die wichtigsten Produktionsinstrumente, selbst besitzen mußten10, war es in der zweiten Blüteperiode, vom Beginn des Schneeberger Bergbaus an, Sache der Schichtmeister und Steiger, auf Kosten der Gewerken alle Produktionsinstrumente zur Verfügung zu stellen.11 Auch Freiberg mußte sich zu dieser Zeit den neuen Verhältnissen anpassen, was die dortigen Gewerken lebhaft beklagten.12 Persönlich frei und freizügig war der Bergmann kraft der landesherrlich garantierten Bergbaufreiheit, die ihm gestattete, in allen Gegenden, wo Erz vermutet wurde, ungeachtet der dort herrschenden Grundeigentumsverhältnisse zu schürfen und zu graben. Der Bergbaubezirk und die Bergleute waren frei von feudalen Abhängigkeiten gegenüber dem jeweiligen Grundherrn und allein dem Regalherrn, d. h. im Silberbergbau in der Regel dem Landesherrn, unterstellt. Im Arbeitsprozeß hatte sich die arbeitsteilige Kooperation, die manufakturmäßige Arbeitsteilung durchgesetzt. Als Steiger, Häuer, Förderleute, Bergzimmerleute, Wasserknechte, Säuberbuben und für verschiedene Hilfsarbeiten spezialisiert, wirkten die Bergarbeiter bei der Gewinnung und Förderung des Erzes zusammen. Hinzu kam das technische Personal wie die Markscheider, Kunstmeister u. a. Zahlenmäßig waren die Bergleute bereits so stark, daß man Anfang des 16. Jahrhunderts in den Ballungsgebieten des Bergbaus von ihnen als einer besonderen sozialen Schicht, dem Vorproletariat, sprechen kann. Vorsichtige Berechnungen, deren Ergebnisse eher zu niedrig als zu hoch liegen, haben ergeben, daß in den erzgebirgischen Zentren , des Silberbergbaus wie Schneeberg, Annaberg und Joachimsthal in den Blütezeiten jeweils 3000 bis 4000 Bergarbeiter vorhanden waren.13 Dazu sind noch die Bergleute der vielen kleineren Bergorte und Reviere des Silber-, Zinn- oder Kupferbergbaus im Erzgebirge sowie die Hüttenleute zu rechnen. Ergänzend dazu sei ein Blick auf das 9

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Zum doppelt freien Lohnarbeiter vgl. Marx, Karl, Das Kapital, I. Bd., in: MEW Bd. 23, Berlin 1962, S. 182 f. Köhler, Johannes, Die Keime des Kapitalismus im sächsischen Silberbergbau (1168 bis um 1500), Freiberger Forschungshefte D 13, Berlin 1955, S. 80. Vgl. Schneeberger Bergordnung von 1479, Art. 8, in: Ermisch, Hubert, Das sächsische Bergrecht des Mittelalters, Leipzig 1887, S. 93. Urkundenbuch der Stadt Freiberg, Bd. 2, Codex diplomaticus Saxoniae regiae, II, Bd. 13, ed. H. Ermisch, Leipzig 1886, Nr. 1102, S. 228 f. Laube, Adolf, Studien, a.a.O., S. 110ff., bes. 115; Mittenzwei, Ingrid, a.a.O., S. 94.

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wichtigste Zentrum des Tiroler Bergbaus, den Schwazer Falkenstein, geworfen, wo für den Beginn des 16. Jahrhunderts die Zahl von 10 000 Bergarbeitern genannt wird.14 Von einer lokalen Isolierung der Bergarbeiter, wie sie Kautsky als Hauptursache für das Ausbleiben eines breiten revolutionären Bündnisses annahm, kann keine Rede sein. Länder-, ja kontinenteweite Wanderungen der Bergleute waren seit jeher üblich. Gerade deutsche Bergarbeiter, die wegen der langen Tradition des Bergbaus in Freiberg, Goslar und anderswo über große Spezialkenntnisse und -erfahrungen verfügten, waren in allen Bergbaugebieten der Welt begehrt und anzutreffen. Diese Tatsache ist inzwischen durch viele Einzelstudien für Spanien, Frankreich, England, Skandinavien, Polen, Südosteuropa und die überseeischen Kolonien der Welser gut bekannt. Hier nur zwei Beispiele: In den Bergwerken des Jacques Coeur im Lyonnais und Beaujolais, die 1453 vom französischen König vorübergehend in eigene Regie genommen wurden, waren um die Mitte des 15. Jahrhunderts fast das gesamte technische Personal sowie die Mehrzahl der qualifizierteren Bergarbeiter Deutsche, die auch höhere Löhne erhielten als die vergleichbaren Gruppen französischer Arbeiter.15 Und als 1528 die Welser im sächsischen und böhmischen Erzgebirge Arbeiter für ihre Bergwerke in Santo Domingo (Haiti) und Venezuela warben, fanden sie großen Widerhall. Viele Bergleute wurden über Hamburg, Antwerpen, Sevilla nach Amerika gebracht; ein Teil von ihnen kam dort um, andere kehrten bereits 1530 zurück und verklagten den WelserFaktor in Leipzig, daß er ihnen falsche Versprechungen gemacht habe.16 Auch regionale Wanderungen waren an der Tagesordnung. Wurden in einem Revier neue große Erzfunde bekannt, die den Arbeitskräftebedarf sprunghaft steigerten, so strömten aus den umliegenden oder auch weiter entfernten Revieren Bergleute herbei, um hier ihr Glück zu suchen. Oft trat dann in den alten Revieren ein Arbeitskräftemangel und ein Rückgang der Produktion ein. So erklärten z. B. die Bergbeamten von Schneeberg im Jahre 1529 den Rückgang des Schneeberger Bergbaus u. a. damit, „das die frembden leuthe (wegen) der nawen auffkommenden Bergkwerge als im Thal (Joachimsthal) und anders w a . . . wenig mehr lust haben zu bawen".17 Mit den fremden Leuten waren sowohl Gewerken, d. h. Kapitalgeber, als auch Bergarbei14

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Egg, Erich, Aufstieg, Glanz und Ende des Gewerkengeschlechts der Tänzl, in: Schlern-Schriften, Bd. 77, Innsbruck 1951, S. 31 ff. Laube Adolf, Bergbau und Hüttenwesen in Frankreich um die Mitte des 15. Jahrhunderts, Freiberger Forschungshefte D 38, Leipzig 1964, S. 105 ff. Falke, Johannes, Sächsische Bergleute auf St. Domingo, in: Archiv für die sächsische Geschichte, Bd. 7, 1869, S. 406 ff.; Enderlein, Ludwig, Erzgebirgische und andere deutsche Bergleute vor 400 Jahren im Dienste der Welser-Gesellschaft auf St. Domingo und in Venezuela, in: Glückauf! Zs. d. Erzgebirgsvereins, 1935, S. 137 ff. Staatsarchiv Dresden, Loc. 4490, Handlunge und Zehend-Rechnung . . . 1527—1535, Bl. 131.

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ter gemeint. Uberhaupt zeigte eine genauere Untersuchung des Verhältnisses von Fündigkeit, Zechenzahl und Arbeitskräftezahlen, daß es innerhalb der einzelnen Reviere eine starke Mobilität des Kapitaleinsatzes und eine darauf beruhende Fluktuation der Arbeitskräfte gegeben haben muß.18 In der Praxis bedeutete das, daß nach Bekanntwerden hoher Ausbeuten in einer Zeche oder einem Revier sofort neue Zechen und Lehen aufgenommen wurden, d. h. ein Kapitalzustrom einsetzte und der Arbeitskräftebedarf sprunghaft stieg, während bei langem Ausbleiben von Ausbeute mehr und mehr Gewerken ihre Zubußzahlungen einstellten, Kapitalmangel auftrat, die Produktion ins Stokken geriet und dann ganze Zechen entweder liegenblieben oder mit stark reduzierter Arbeiterzahl am Leben gehalten wurden. Solche Höhen und Tiefen konnten innerhalb kurzer Zeit, d. h. von wenigen Jahren oder gar Monaten, aufeinanderfolgen. Diese Tatsache ist bisher in der Literatur zu wenig beachtet worden. Sie hatte aber entscheidende Konsequenzen auch für die Arbeiter. Abgesehen von den sozialen Folgen zwang sie geradezu einen Teil der Bergarbeiter zu ständiger Wanderschaft. Das Vorhandensein eines Anteils fremder Wanderarbeiter belegen auch die in Niedergangsphasen häufig auftretenden Klagen von einheimischen Bergarbeitern, daß „vil der frembden arbeitter zu bergkarbeit vor den Eynwonern diß Snebergs gefordert werden".19 Da auch die Gewerken sich in der Regel mit ihrem Kapital nicht nur an einem Ort oder in einem Revier, sondern in verschiedenen Revieren beteiligten, gab es durchaus überlokale bzw. überregionale Beziehungen zwischen den Bergbaugebieten.20 Im Zusammenhang mit der Bündnisfrage zwischen Bergarbeitern und Bauern gewinnen nun einige Probleme besonderes Gewicht. Wenden wir uns zunächst den Berührungspunkten zwischen beiden zu. Zweifellos gehört dazu die Tatsache, daß - neben städtischen Handwerkern und Plebejern - ein großer Teil der Bergarbeiter bäuerlicher Herkunft gewesen sein wird. Darüber hinaus gibt es in den Quellen einige Anhaltspunkte dafür, daß Bergarbeiter auch weiterhin in der Landwirtschaft tätig blieben oder umgekehrt Bauern nebenbei schicht- oder saisonweise im Bergwerk arbeiteten. Im einzelnen .finden sich dazu nur wenige Nachweise. So ist im Artikel 80 der Annaberger Bergordnung von 1509 davon die Rede, daß viele Steiger des Annaberger Bergbaus in den umliegenden Dörfern seßhaft sind, dort „irer narung und eigen gescheit" nachgehen und ihre Pflichten im Bergbau ver18 19

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Laube, Adolf, Studien, a. a. O., S. 95 f., 114 f. Staatsarchiv Dresden, Loc. 4489, Verzeichnis... 1515—1518, Bl. 101. Die Bevorzugung der auswärtigen Arbeiter hing damit zusammen, daß Schichtmeister und Steiger diese oft selbst in Kost nahmen und so zusätzlich an den Arbeitern verdienten. Zu den Beziehungen zwischen dem Erzgebirge und Oberharz vgl. auch Möckel, Max, Bergbauliche Zusammenhänge von Oberharz und Erzgebirge, in: Sächsische Heimatblätter 1/1966, S. 72 ff.

7 Der Bauer

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Adolf Laube

nachlässigen.21 In den Artikeln der Annaberger Bergarbeiter von Ende Mai/ Anfang Juni 1525, auf die noch in anderem Zusammenhang näher einzugehen sein wird, beschweren sich die Arbeiter darüber, daß erbgesessene Bauern von den Steigern bei der Bergarbeit bevorzugt würden.22 Die Stellungnahme der Bergbeamten zu dieser Beschwerde besagt eindeutig, daß man Bauern beschäftigen müsse, da viele Zechen weit entfernt von der Stadt in der Nähe von Dörfern lägen.23 Auch eine Formulierung der „armen Knappschaft von Marienberg" vom Mai 1525 ist nur verständlich, wenn man davon ausgeht, daß ein guter Teil dieser Knappschaft bäuerlicher Herkunft gewesen sein muß bzw. aus Bauern bestand. Ihrem Entschluß, den Aufstand zu beenden, fügte die Knappschaft nämlich die Klausel hinzu: „So vornemen wir und sein des glaublich bericht, wie das sich unser edelleut (hervorgehoben von mir A. L.) lassen hören drölich, so wir heimkommen, so wollen sie uns wol lernen."24 Und noch ein letzter Beleg: In dem 1520 gedruckten Berggedicht „Eyn hubscher Spruch von dem edlen Berckwerk"25 forderte der anonyme Verfasser : „Welcher (Bergarbeiter) der erbt nicht thut genug / Den yage man wyder (hervorgehoben von mir - A. L.) zu dem pflück / Unnd laß yn al do ackern unnd reuthen / Unnd trachten nach gutten berckleuthen". Aus all dem läßt sich schließen, daß ein Teil der Bergarbeiter (es gibt auch eine Reihe von Belegen, daß städtische Handwerker und Plebejer Bergleute wurden) bäuerlicher Herkunft war bzw. der ländlichen Armut entstammte oder noch neben der Bergarbeit weiter im Dorf lebte und arbeitete. Zu berücksichtigen bleiben auch die sicherlich bei vielen reinen Lohnarbeitern weiterbestehenden familiären Beziehungen zum Dorf. Grundlage dafür war zweifellos der seit dem 15. Jahrhundert beträchtlich voranschreitende Prozeß der sozialen Differenzierung auf dem Lande. G. Heitz wies auf die starke Zunahme der landarmen bzw. landlosen Bevölkerung in Sachsen als Reservoir für den Arbeitskräftebedarf im Bergbau hin.26 Der Bergbau seinerseits bedurfte der bäuerlichen bzw. ländlichen Arbeitskräfte vor allem in Zeiten und an Orten reicher Anbrüche. Es wurde bereits oben darauf aufmerksam gemacht, daß die wechselnden Ausbeuten im Bergbau eine hohe Mobilität des Arbeitskräfteeinsatzes erforderten und bei neuen Silberfunden oft der Arbeitskräftebedarf sprunghaft anstieg. Mangels einer industriellen Reservearmee war hier offensichtlich - neben der Zuwanderung 21 22 23 24

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28

Vgl. Annaberger Bergordnung von 1509, in: Ermisch, Hubert, a.a.O., S. 191. Seidemann, Johann Karl, a. a. O., S. 170. Ebenda, S. 168. Fuchs, Walter Peter, Akten zur Geschichte des Bauernkrieges in Mitteldeutschland, Bd. II, Jena 1942, Nr. 1486. Vgl. die Neubearbeitung von Kirnbauer, Franz, in: Leobener Grüne Hefte, Nr. 60, Wien 1960. Heitz, Gerhard, Ländliche Leinenproduktion in Sachsen, 1470—1555, Berlin 1901, S. 44 f.

Bündnisprobleme von Bergarbeitern und Bauern

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aus den Städten bzw. aus anderen Bergrevieren - die Landbevölkerung der Umgebung die wichtigste Reserve. Neben den verbindenden gab es aber auch eine Reihe gewichtiger Faktoren, die Bergarbeiter und Bauern voneinander trennten. Aus der Sicht der Bergarbeiter, genauer gesagt, der reinen Lohnarbeiter unter den Bergleuten, mußte man sich geschädigt fühlen, wenn in Zeiten des Rückgangs der Produktion und des Arbeitskräftebedarfs Bauern weiter im Bergbau arbeiteten und gar noch gefördert wurden, obwohl sie über andere Subsistenzmittel auf dem Lande verfügten. Das ist der tiefere Sinn der bereits angeführten Beschwerde eines Teils der Annaberger Bergarbeiter von Ende Mai/Anfang Juni 1525, daß erbgesessene Bauern bei der Bergarbeit ihnen gegenüber bevorzugt würden. Man muß sich dazu die Situation des Annaberger Bergbaus im Jahre 1525 vergegenwärtigen. Noch ein Jahrzehnt zuvor, in den Jahren 1514 bis 1516, waren in Annaberg rund 900 Zechen vorhanden; 1525 waren es nur noch rund 350. Berechnungen haben ergeben, daß in dieser Zeit der Arbeitskräftebedarf um die Hälfte zurückgegangen ist.27 Bauern, die in dieser Situation weiter im Bergbau arbeiteten, mußten den reinen Lohnarbeitern das Brot nehmen. Noch andere Momente kamen hinzu. Viele Bergarbeiter, die über keine eigene Behausung verfügten oder in von ihrem Wohnsitz entfernten Gruben arbeiteten, mußten sich in Städten und Dörfern Logis und Kost suchen. Dabei wurden sie häufig von den Wirten so ausgebeutet, daß ihnen von ihrem Lohn kaum etwas übrig blieb. Bereits 1478 hatten sich die Schneeberger Bergarbeiter heftig darüber beklagt, daß sie von ihren 10 Groschen Wochenlohn allein 8 Groschen ihren Wirten geben müßten und sich von den restlichen 2 Groschen nicht noch kleiden oder gar ihre Familien ernähren könnten. Sie forderten deshalb Lohnerhöhung und drohten Kampfmaßnahmen an.28 Die Gewerken und Beamten, die Lohnerhöhungen unter allen Umständen verhindern wollten, lenkten die Wut der Arbeiter bewußt gegen die Wirte29, also zu einem Teil auch gegen Bauern. Zu beiderseitigem Ärger kam es auch, wenn die Bergarbeiter in schlechter oder fremder Münze entlohnt wurden, deren Annahme die Bauern auf den Märkten verweigerten.30 Nicht übersehen werden darf auch, daß die Bergarbeit und Bergbautechnik zumindest von einem Teil der Bergarbeiter einen relativ hohen Qualifizierungs- und Bildungsstand verlangte bzw. ihm vermittelte. Das darauf gegründete Selbstbewußtsein und der Berufsstolz der Bergleute bildeten einen Grundton der zeitgenössischen Bergbauliteratur, insbesondere der sog. Bergreihen. Damit fühlte sich der Bergmann aber auch dem dummen Bauern, dem die Schwankliteratur dieser Zeit die Rolle des Tölpels zugeschoben hatte, 27 28 29 30

7*

Laube, Adolf, Studien, a. a. O., S. 112 f., 253. Staatsarchiv Dresden, Loc. 4322, Bl. 32 b f. Ebenda, Bl. 03 ff. Vgl. Staatsarchiv Dresden, Loc. 4489, Berghandlung und Rechnungen... 1522—24, Bl. 33.

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haushoch überlegen. Und schließlich ist zu bedenken, daß die Bergleute sich auf Grund ihrer Rechtsstellung den Bauern überlegen fühlten. Sie waren unabhängig vom feudalen Grundherrn, waren direkt dem Landesherrn bzw. seinem Beamtenapparat unterstellt, genossen im Zusammenhang mit der Bergbaufreiheit Privilegien, die sie gegenüber den Bauern bevorrechteten. Und damit war zugleich der stärkste Vorbehalt der Bauern gegenüber den Bergarbeitern verbunden, nämlich deren Recht, unabhängig von allen Eigentums- und Besitzrechten am Boden überall zu schürfen, Wege anzulegen, Holz zu schlagen usw., wo Erz vermutet wurde. Das mußte die betroffenen Bauern erheblich schädigen und ein mögliches Bündnis zwischen Bauern und Bergarbeitern schwer beeinträchtigen. Am deutlichsten wird dies darin, daß sich während des Bauernkrieges ganze Dörfer in ihren Beschwerdeartikeln über die Bergleute beklagten. S o beschwerten sich 1525 die Dörfer um Schlettau beim sächsischen Kurfürsten, daß sie sich von „schwerer saurer walterbt erneren müssen", dabei aber „sere von den bergleuten, so umb Sant Annabergk und Buchholtz auch darin weßen, bedrangt werden, das uns vil von unserm armut, gras, holz und änderst genomen wirt, auch mit graben, schürfen in eckern und wießen, auch manichen nauhen steig, di uns armen leuten durch unsere ecker und wießen gemacht werden, das E. Cf. G. zum ufkommen E. Cf. G. bergwerks nutzet". 3 1 Und einige Dörfer gaben dem Kurfürsten zu bedenk e n : „ . . . dieweil wir umb die bergwerk und mitten in den bergstetten whonen. Do sint ufkamen Sant Annabergs, Buchholtz und Sant Joachimßtalhs, vil nau wege und steige ufkomen und beschwerlichs erdolden mueßen, welch bergleute auch nicht underlassen zu jagen und zu stelln, dodurch uns vil schaden an unsern gutern z u g e f u g t . . ." 32 In Marienberg hatten sich schon 1521, beim Aufkommen des neuen Bergwerks, die Bauern bei Herzog Georg beschwert, „das inen ire holtzer abgehauen, wysen und ecker vorterbt werden." 3 3 Es war also letztlich die unterschiedliche gesellschaftliche Position, die unterschiedliche Stellung in der Produktion und zum Eigentum an den Produktionsmitteln, die trotz mancher Berührungspunkte Barrieren zwischen Bergarbeitern und Bauern errichtete. Die daraus abgeleitete unterschiedliche Interessenlage spiegelte sich am deutlichsten in der Zielrichtung des Klassenkampfes wider. Die unmittelbaren Kontrahenten der Bergarbeiter waren ganz andere als die der Bauern. Sie als Exponenten eines Systems zu erkennen, mußte Bergarbeitern wie Bauern äußerst schwerfallen. Die feudalen Grundherren, gegen die sich der Kampf der Bauern in erster Linie richtete, spielten im Klassenkampf der Bergarbeiter keine oder nur peripher eine Rolle. Der letztere Fall trat dort ein, wo Grundherren dem landesherrlichen Bergregal Widerstand leisteten, gegen das landesherrlich garantierte Recht des freien Bergbaus auf 31 32 33

Fuchs, Walter Peter, a. a. O., Nr. 1933. Ebenda, Nr. 1950. Staatsarchiv Dresden, Cop. 137, Bl. 34.

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ihrem Grundeigentum ankämpften und dabei auch Repressalien gegen die Bergarbeiter ergriffen. 34 Die Abwehr derartiger Übergriffe lag aber in erster Linie bei den Landesherren, und sie trug zugleich dazu bei, die Bergarbeiter in eine Front mit den Landesherren zu bringen. Da es die Landesherren auch auf andere Weise verstanden, scheinbar als Beschützer der Bergleute aufzutreten, und da andererseits die kapitalistischen Gewerken zumeist außerhalb der Bergreviere in den großen Fernhandelsstädten ansässig waren und für die Bergarbeiter anonym blieben, mußten den Arbeitern die Bergbeamten als die eigentlichen Bedrücker erscheinen. Gegen sie richtete sich in erster Linie der Kampf der Bergarbeiter. Der Charakter dieses Kampfes wurde durch die doppelte Funktion der Bergbeamten beeinflußt: Einerseits verkörperten diese, stellvertretend f ü r die Kapitalisten, die Funktion des Kapitals, d. h. die Oberaufsicht und Leitung, die jede arbeitsteilige Kooperation notwendig erforderte. „Die Aktienunternehmungen . . . " von denen die kapitalistischen Bergbaugewerkschaften eine Vorform darstellten - „haben die Tendenz, diese Verwaltungsarbeit als Funktion mehr und mehr zu trennen von dem Besitz des Kapitals . . . ; indem andrerseits aber der bloße Dirigent, der das Kapital unter keinerlei Titel besitzt..., alle realen Funktionen versieht, die dem fungierenden Kapitalisten als solchem zukommen, bleibt nur der Funktionär und verschwindet der Kapitalist als überflüssige Person aus dem Produktionsprozeß". 35 Da diese Leitungsfunktion „zugleich Funktion der Ausbeutung eines gesellschaftlichen Arbeitsprozesses (ist) und daher bedingt durch den unvermeidlichen Antagonismus zwischen dem Ausbeuter und dem Rohmaterial seiner Ausbeutung" 36 , mußte sich der Widerstand der Arbeiter gegen die Ausbeutung des Kapitals vor allem gegen dessen Funktionäre, d. h. gegen die Bergbeamten, richten. Andererseits verkörperten die Bergbeamten das feudale Direktionssystem, d. h. den Leitungs- und Kontrollmechanismus, mit dessen Hilfe die Landesherren den Bergbau lenkten und ausbeuteten. In dieser Eigenschaft vertraten sie die - in ihrem Kern parasitären - Eingriffe des Feudalsystems in den kapitalistisch betriebenen Bergbau und wurden zur Zielscheibe des antifeudalen Kampfes der kapitalistischen Gewerken und der Bergarbeiter. Diese doppelte Funktion der Bergbeamten, die aus den widersprüchlichen gesellschaftlichen Verhältnissen erwuchs, brachte es mit sich, daß sich in dem Kampf der Bergarbeiter und der zumeist an ihrer Seite kämpfenden Eigenlehner und Kleingewerken gegen sie sowohl Elemente des Kampfes gegen kapitalistische Ausbeutung fanden als auch antifeudale, die im Interesse der kapitalistischen Gewerken lagen. Zuweilen kam es aber auch bereits zu einer direkten Konfrontation von Bergarbeitern und kapitalistischen Gewerken. 34 35

36

Vgl. dazu ausführlich Laube, Adolf, Studien, a. a. O., S. 188 ff. Marx, Karl, Das Kapital, III. Bd., in: MEW, Bd. 25, Berlin 1968, S. 401, vgl. auch ebenda, S. 398 ff.; derselbe, I. Bd., a. a. O., S. 350 ff. Ebenda, I. Bd., a. a. O., S. 350.

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Der Kampf gegen die Bergbeamten, oft mit dem Ziel der Entfernung besonders verhaßter Bedrücker aus dem Amt geführt, verband sich in der Regel mit einem ganzen Bündel wirtschaftlicher und sozialer Forderungen, die aber ganz spezifischer Natur waren und keine übergreifenden Interessen zu denen der Bauern verfochten. Zur Zeit der frühbürgerlichen Revolution hatte dieser Kampf der Bergleute bereits eine lange Tradition. Schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts klagten Bergbeamte und große Gewerken im erzgebirgischen Freiberg darüber, daß die Häuer bei jedem Anlaß sofort zu Haufen liefen, „heimliche rete" abhielten oder „offlöffthe" und „grosse bunde" machten. Das sei etwas völlig Neues, das es vorher nicht gegeben habe. Die Arbeiter gründeten „bunde der hawer", in denen „sie sich zcusampne vorbinden, daz eyner ane den andern ader ober den andern nicht erbeiten" wollte.37 Diese sich herausbildende Solidarität der Bergarbeiter untereinander beeindruckte die Gewerken und Beamten außerordentlich, hoben sie doch 1453 nach einem achttägigen Streik, bei dem die Arbeit in sämtlichen Freiberger Bergwerken ruhte, gerade die Geschlossenheit der Streikenden besonders hervor.38 Derartige Streiks und andere Aktionen, die sich auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten wiederholten, waren gegen die Bedrückung durch die Bergbeamten und auf die Erringung ökonomischer Verbesserungen gerichtet. Die Streikenden forderten die Entlassung von Bergbeamten, die Erhöhung der Löhne, Auszahlung des Lohns in guter Münze, Verkürzung der Schichten oder setzten sich gegen Maßnahmen zur Wehr, die ihre Lage noch mehr verschlechterten.39 So erfaßte 1469 erneut ein Streik das gesamte Freiberger Revier, nachdem Versprechungen auf eine Lohnerhöhung nicht eingehalten worden waren.40 Im selben Jahr legten die Arbeiter im Zentrum des osterzgebirgischen Zinnbergbaus, im Geising/Altenberger Revier, die Arbeit nieder. Nachdem heftige Auseinandersetzungen der Bergarbeiter mit den kapitalistischen Gewerken über Lohnfragen ohne Ergebnis geblieben waren, traten die ersteren 1469 in einen Streik, der das gesamte Altenberger Revier über mehrere Wochen hin lahmlegte und erst durch einen landesherrlichen Schiedsspruch mit einem Kompromiß beendet wurde.41 Doch der Kampf um Lohnerhöhung breitete sich nach dem Aufkommen Schneebergs und dem Beginn der neuen Blüteperiode des Silberbergbaus im 37

38 39 40 41

Urkundenbuch der Stadt Freiberg, (CDS II, 13), a. a. O., Nr. 1000; vgl. auch Nr. 994, 1004, 1007, 1013. Ebenda, Nr. 1029. Ebenda, Nr. 1012, 1016, 1026, 1049. Ebenda, Nr. 1053, vgl. auch Nr. 1052, 1054,1056. Löscher, Hermann, Der landesherrliche Schiedsspruch vom 4. September 1469 im Streike der Knappen zu Altenberg (Erzgebirge), in: Bergbau und Bergleute, Freiberger Forschungshefte D 11, Berlin 1955, S. 35 ff.

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ganzen Erzgebirge immer mehr aus, so daß sich die Landesherren 1478 veranlaßt sahen, eine Zusammenkunft der obersten Bergbeamten von Schneeberg, Geyer, Freiberg, Altenberg und anderen Bergrevieren nach Dresden einzuberufen, um über die Forderungen der Arbeiter zu beraten und einen einheitlichen Lohntarif für alle Reviere auszuarbeiten.42 Dem widersetzten sich jedoch die Gewerken entschieden, und so wurde statt einer allgemeinen Lohnerhöhung eine stärkere Kontrolle und Aufsicht über die Arbeiter festgelegt, um ihren Kampfwillen zu brechen.'53 Jahrzehntelang zog sich der Kampf in einem zähen Ringen hin, bis es gegen Ende des 15. Jahrhunderts zu offenen Aufständen kam. Im Jahr 1496 erhoben sich die Bergarbeiter in Schneeberg, als ihnen der Wochenlohn um einen Groschen gekürzt werden sollte, vermutlich, um ihn dem Lohn der Annaberger Bergarbeiter anzugleichen, die nur 9 Groschen pro Woche erhielten. Die Aufständischen zogen in verschiedene Bergorte der Umgebung, und erst mit Hilfe des Ritters Rudolf von der Planitz, auf dessen Grund und Boden Schneeberg lag, habe man den Ort wieder einnehmen können, berichtet Ch. Meitzer.44 Doch bereits zwei Jahre später kam es zu neuen Erhebungen in Schneeberg und im neu gegründeten Annaberg. P- Albinus verzeichnet in seiner Annaberger Chronik, daß 1498 „ein solch großer Auffruhr zwischen dem Volck unter den Berckleuten alhier (Annaberg - A. L.) und uffm Schneebergk" ausbrach, daß nicht genügend Amtleute vorhanden gewesen seien, „denselben zu vertragen".45 Allein in Annaberg sollen nach Angaben eines Zwickauer Chronisten 2 400 Arbeiter beteiligt gewesen sein.46 In Schneeberg habe ein Aufgebot des Zwickauer Rates und der Herren von der Planitz gegen die Arbeiter entsandt werden müssen. Jedoch sei es durch Verhandlungen und Zugeständnisse gelungen, ein Blutvergießen zu verhindern.47 Gewiß hing es mit diesem Kampf der Bergarbeiter zusammen, daß in Annaberg in den Jahren 1499 und 1500 einerseits die Aufsichts- und Strafbestimmungen gegenüber den Arbeitern verschärft und der Wochenlohn von 9 Groschen bekräftigt, andererseits aber die Schicht um eine Stunde von 9 auf 8 Stunden verkürzt wurden.48 Staatsarchiv Dresden, Loc. 4320, Bl. 88 b; Regest in: Urkundenbuch der Stadt Freiberg (CDS II, 13), a. a. O., Nr. 1092. 43 Staatsarchiv Dresden, Loc. 4322, Bl. 63 ff.; vgl. auch ebenda, Bl. 32 b f.; Loc. 4320, Bl. 86. 44 Meitzer, Christian, Historia Schneebergensis renovata, Erneuerte Stadt- und BergChronica . . . , Schneeberg 1716, S. 924 f. ',5 Albinus, Petrus, Annaberger Annales de anno 1492 biß 1539. Krit. Ausgabe von Dr. Bönhojf, in: Mitt. d. Vereins f. Gesch. von Annaberg und Umgegend, Bd. 3, H. 1, Annaberg 1910, S. 11. /,(i Mitteilung von Bräuer, Helmut, (Karl-Marx-Stadt) nach einer Handschrift von Greif, Paul, aus dem Stadtarchiv Zwickau. 4' Meitzer, Christian, a. a. O., S. 924 f. 48 Ermisch, Hubert, a. a. O., S. 112 ff., Aritkel 39, 54, 60, 61, 63. 42

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Auch für die Folgezeit weiß die insgesamt spärliche Überlieferung von ähnlichen Aktionen zu berichten. Ein Streik in Schneeberg im Jahre 1501 hatte zur Folge, daß die beteiligten Arbeiter künftig in keiner Zeche des Erzgebirges mehr beschäftigt werden sollten.49 Bei einem Bergarbeiteraufruhr im Jahre 1511 habe man - wie Albinus berichtet - Tag und Nacht im Harnisch reiten müssen, bevor es gelungen sei, die Bergarbeiter „zu stillen".50 Werfen wir noch einen Seitenblick auf die Verhältnisse in anderen Revieren, die uns im Zusammenhang mit dem Bauernkrieg besonders interessieren. Im Mansfeld/Eislebener Revier zeugt ein Berggerichtsbuch von 1480 davon, daß auch dort eine ähnliche Lage geherrscht haben muß und ähnliche Kämpfe wie im Erzgebirge geführt worden sind, lange bevor direkte Angaben über Aktionen von Bergarbeitern überliefert wurden. 51 Eine erste solche Angabe stammt aus dem Jahre 1504 und läßt erkennen, daß die Arbeiter in diesem Jahr einen Streik durchgeführt hatten, der den Hüttenherren „viel Schaden zugefuget". 52 Eine neue größere Aktion fand 1507 statt, als die Arbeiter durch ein Flugblatt aufgefordert wurden, die Arbeit niederzulegen und sich auf den Bergen zu versammeln. Diese Schrift hatte eine große Wirkung; die Arbeiter „rottierten" sich und schickten eine Abordnung zu den Mansfelder Grafen, um diesen die Forderungen der Arbeiter zu überbringen. Doch die Anführer wurden verhaftet, vor Gericht gestellt und bestraft. 53 Nicht anders war es in Tirol. Im Jahre 1485 brach im Zentrum des Tiroler Erzbergbaus, in Schwaz, „ayn gar gross straytt im perckh Volch" aus, „dyweyll di Gwerchn unt perckh Herrn dasselb hert betruckhet". Landpfleger und Bergrichter „habn müssen myt waffn straffn bys ist wydr ordnungh wortn". 54 Und 1501 streikten die Schwazer Bergleute unter anderem wegen der harten Bedrückung der armen Berggesellen so lange, bis man ihre Forderungen erfüllte-55 In Primör legten die Arbeiter 1493 die Arbeit nieder und forderten höhere Löhne und mehr freie Tage. Unter ihnen herrschte eine solche Kampfstimmung, daß die Gewerken und Hüttenherren hilfesuchend zur Landesregierung nach Innsbruck flohen. Die Regierung gewährte diese Hilfe bereitwillig. Sie versprach die Entsendung von 800 Kriegsknechten gegen die Bergarbeiter, unterdrückte den Streik und sperrte alle Streikenden von der künftigen Bergarbeit in den habsburgischen Erblanden aus.56 49 50 51 52

53 54

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56

Staatsarchiv Weimar, Reg. T 81, Bl. 40 und 43. Albinus, Petrus, a. a. O., S. 20. Vgl. Paterna, Erich, a. a. O., Bd. 1, S. 180 ff. Möllenberg, Walter, Das Mansfelder Bergrecht und seine Geschichte, Wernigerode 1914, Texte, S. 72. Paterna, Erich, a. a. O., Bd. 1, S. 19011. Die Schwazer Bergchronik. Anhang zu Isser-Gaudententhurm, Max von, Schwazer Bergwerks-Geschichte, 1905, Ms. im Tiroler Landesmuseum Innsbruck, S. 301. Ebenda, S. 302, vgl. auch Isser-Gaudententhurm, Max von, Schwazer Bergwerksgeschichte, in: Berg- und Hüttenmännisches Jahrbuch, Bd. 52, Wien 1904, S. 424. Macek, Josef, Der Tiroler Bauernkrieg und Michael Gaismair, Berlin 1965, S. 122.

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In allen diesen Kämpfen vor der frühbürgerlichen Revolution verfochten die Bergarbeiter Interessen, die sich aus ihrer spezifischen Lage ergaben und sich gegen ihre unmittelbaren Bedrücker richteten. Nirgends in den behandelten Gebieten lassen sich übergreifende Forderungen erkennen, die auch im Interesse der Bauern gelegen hätten, nirgends ein Zusammengehen von Bergleuten und Bauern. Ähnliches wird man aus der Sicht der bäuerlichen Klassenkämpfe feststellen können, die seit dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts vor allem in den südwestdeutschen Gebieten aufflammten. Sie waren weithin von konkreten Forderungen bestimmt, die sich gegen den wachsenden feudalen Druck richteten, und dabei häufig noch von landschaftlichen Besonderheiten geprägt. Allerdings entwickelten bereits zu dieser Zeit weitblickende Ideologen und Führer des Klassenkampfes wie Hans Böheim, der Pfeifer von Nikiashausen, und Joß Fritz, der hervorragende Führer der Bundschuhverschwörungen von 1502, 1513 und 1517, Zielvorstellungen und Programme, die auf den völligen Umbruch der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung orientierten. Dabei bezog vor allem Joß Fritz bewußt den Bündnisgedanken in seine Überlegungen ein. Indem er im Programm von 1502 auf wesentliche Forderungen der „Reformatio Sigismundi" zurückgriff und die Losung vom „göttlichen Recht" auf seine Fahne schrieb, gab er der Bundschuhbewegung nicht nur ein wahrhaft revolutionäres, religiös legitimiertes Programm, sondern er schuf damit auch die Plattform, auf der sich Angehörige der verschiedensten Klassen und Schichten ohne Rücksicht auf die jeweiligen Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnisse zusammenfinden konnten. Noch stärker berücksichtigte Joß Fritz den Bündnisgedanken im Bundschuhprogramm von 1513, in das er eine Vielzahl von Reformvorschlägen aufnahm, die nicht nur den Interessen der Bauern, sondern auch denen großer Teile des Bürgertums entgegenkamen. Auch wurde das Bündnis mit der städtischen Opposition in den Aufstandsplan einbezogen. Ein weiterer Fortschritt wurde in dieser Hinsicht 1517 erreicht, als Joß Fritz in seiner letzten Bundschuhverschwörung die Notwendigkeit des Bündnisses des armen Mannes in Stadt und Land stark betonte und als eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg der Bauernbewegung betrachtete.57 Doch speziell auf das Bündnis von Bergarbeitern und Bauern befragt, sagen auch die Klassenkampfaktionen und -programme der südwestdeutschen Bauern nichts aus. Ihr Erfahrungs- und Wirkungsraum bezog keines der großen Bergreviere ein - sieht man einmal von dem in jener Zeit nicht sehr be57

Vgl. Hoyer, Siegfried, Hans Böheim — der revolutionäre Prediger von Nikiashausen, in: ZfG, 2/1970, S. 185 ff.; Rosenkranz, Albert, Der Bundschuh. Die Erhebungen des südwestdeutschen Bauernstandes in den Jahren 1493—1517, 2 Bde., Heidelberg 1927, Bd. 1, S. 137 ff., 251ff., 397 ff.; Bd. 2., S. 87 ff., 123 ff., 265 ff.; Franz, Günther, Der deutsche Bauernkrieg, 4. Aufl., Darmstadt 1956, S. 62 ff.; Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, ges. u. hrsg. v. Franz, Günther, München 1963, Nr. 16, S. 70 ff.

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deutenden Schwarzwälder Bergbau ab. Wo daher die insgesamt verbreitete Beschränkung auf die bäuerliche bzw. ländliche Bevölkerung in Theorie (vor allem in den Bundschuhprogrammen) und Praxis (vor allem im „Armen Konrad" von 1514) des Klassenkampfes überwunden wurde, richteten sich die Bündnisbestrebungen auf das oppositionelle Bürgertum und die plebejischen Schichten insbesondere in den kleineren, der Landesherrschaft unterworfenen Mediatstädten, die häufig noch einen ländlichen Charakter bewahrt hatten. Doch auch für die Regel des voneinander isolierten und auf spezifische Interessen gerichteten Klassenkampfes der Bergarbeiter und Bauern gibt es Ausnahmen, die die Regel bestätigen. In der Obersteiermark und in Kärnten läßt sich ein Kampfbündnis von Bergarbeitern und Bauern nachweisen, allerdings in einer besonderen Ausnahmesituation. Grundlage bildete nämlich die gemeinsame Bedrohung durch die Türken, die seit 1469 wiederholt tief in österreichische Gebiete einfielen, worunter die betroffene Bevölkerung schwer zu leiden hatte. Bezeichnend ist aber auch hier, daß die Quellen im Zusammenhang mit den großen Bauernbünden und -erhebungen von 1478, im oberen Ennstal um das Bergbauzentrum Schladming und in Kärnten, zunächst keine Bergarbeiter erwähnen. Die Erhebung und ihre Ziele und Forderungen waren rein bäuerlich; als Teilnehmer werden nur Bauern und unter den Führern auch einige Handwerker genannt. Erst als Ende Juli 1478 die Türken erneut ins Land einfielen, schickten die Führer des Bundes um Hilfe. Und jetzt erst werden Erzknappen erwähnt, die sich dem kleinen Bundesaufgebot anschlössen, das dann von den Türken vernichtend geschlagen wurde.58 Es ist also auch hier anzunehmen, daß das Bündnis erst dann spontan zustande kam, als die türkische Bedrohung sich gegenüber den spezifischen Interessen als stärker erwies. Eine neue Situation ergab sich mit der Reformationsbewegung, dem Beginn der frühbürgerlichen Revolution. Die Forderung nach freier Verkündigung des Evangeliums und freier Pfarrerwahl durch die Gemeinden bot nicht nur auf ideologischem Gebiet eine gemeinsame Plattform des antifeudalen Kampfes, sondern mit der Reformation verbanden sich auch Forderungen und Maßnahmen in der Kirchenfrage (Kirchengut, Zehntwesen, gemeiner Kasten, geistliche Gerichtsbarkeit), die die Interessen der verschiedenen Klassen und Schichten berührten. Die hauptsächlich vom Bürgertum getragene Reformationsbewegung war auch eine entscheidende Voraussetzung für den Bauernkrieg, gab sie doch den Bauern die ideologische Begründung für ihre wirtschaftlichen und sozialen Forderungen. Es ist nun zu fragen, wie die Kirchenfrage, wie die reformatorische Ideologie den Kampf der Bergarbeiter stimulierten, und insbesondere, inwieweit sie integrierend auf den Kampf der Bergarbeiter und Bauern wirken konnten. Eine stimulierende Wirkung der Reformationsbewegung auf den Kampf 58

Vgl. Vnrest, Jacob, österreichische Chronik, in: Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, a. a. O., Nr. 3, S. 19 ff.

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der Bergarbeiter ist in allen Bergstädten des Erzgebirges nachweisbar. Alle bereits zuvor sichtbar gewordenen und in verschiedenen Formen ausgetragenen Gegensätze brachen erneut auf, wurden durch die unterschiedliche Haltung zur Reformation bzw. zu den verschiedenen reformatorischen Strömungen noch zugespitzt und erhielten durch sie eine neue, ideologische Ausdrucksform.69 Ursachen und Komponenten des Kampfes waren im wesentlichen die gleichen wie in den Jahrzehnten zuvor. Der Kampf gegen die Bergbeamten spitzte sich in Schneeberg und Buchholz auf die führenden Repräsentanten der fürstlichen Bergverwaltung zu. Er richtete sich in Schneeberg gegen Paul Schmidt, bis 1523 als Bergmeister, ab 1524 als Zehntner besonderer Vertrauensmann des sächsischen Kurfürsten; in Buchholz gegen den Bergvogt Mathes Busch, den dortigen obersten Vertreter der landesherrlichen Gewalt. Diese Stoßrichtung des Kampfes wurde in beiden Städten von einer breiten Oppositionsbewegung getragen, die von den Bergarbeitern über die Gewerken bis zu Teilen der Beamtenschaft reichte und mit großer Erbitterung geführt wurde. Daneben verfolgten die Bergarbeiter weitere Ziele, die auf die Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage gerichtet waren. In Schneeberg forderten sie die Normalisierung der Lohnzahlungen, d. h. die termingerechte Auszahlung des Lohnes und die Zahlung in guter Münze, ferner die Verkürzung der Schicht um eine Stunde und schließlich die Errichtung eines eigenen Bruderhauses für die „arme" bzw. „gemeine Knappschaft", in dem kranke und gebrechliche Bergarbeiter aus Knappschaftsmitteln untergebracht werden sollten. Formen des Kampfes waren bis 1523 Versammlungen auf den Bergen, gegen die die fürstlichen Räte streng einschritten, Beschwerden und Petitionen. Daneben lief der ständige passive Widerstand bei der unmittelbaren Produktionstätigkeit. Immer wieder klagten Bergbeamte über „säumige Arbeit" und Nichteinhaltung der Schichtzeiten durch die Arbeiter. Der starke Rückgang der Silberproduktion in den Jahren seit etwa 1518, der sich übereinstimmend in Schneeberg, Buchholz und Annaberg feststellen läßt, deutet darauf hin, daß sich auch diese spezifische Form des Klassenkampfes in jener Zeit verstärkt hat. Gewiß hing das auch mit dem Aufkommen von Joachimsthal zusammen, wo die Bergarbeiter zunächst günstigere soziale Bedingungen erwarteten und wohin sie deshalb in großer Anzahl abwanderten. Die Unruhen vor 1523 drückten die latent vorhandene revolutionäre Stimmung aus und belegen den vorhandenen Zündstoff, der durch die Reformation nur angefacht zu werden brauchte. Das besorgten in Schneeberg und Buchholz radikale Prediger karlstadtscher Prägung. In Schneeberg waren es 1523 zunächst für einige Monate Wolfgang Ackermann und von Dezember 1523 bis Herbst 1525 Georg Amandus, in 59

Vgl. dazu und zum folgenden ausführlich Laube, dort auch alle Belege für die folgenden Angaben.

Adolf,

Studien, a. a. O., S. 214 ff.;

100

Adolf

Laube

Buchholz von Juli 1524 bis zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt im Sommer oder Herbst 1525 Hartmann Ibach. Sie, insbesondere Amandus, lehnten jede sich über das Volk erhebende Obrigkeit ab und stellten sich auch persönlich an die Spitze des Kampfes gegen Paul Schmidt bzw. Mathes Busch als die Repräsentanten dieser Obrigkeit am Ort. Zugleich nahmen sie Partei für die sozialen Forderungen der Bergarbeiter. Ibach bewies das auch durch die Tat, als er zu Beginn des Jahres 1525 gegen das Verbot der städtischen Obrigkeiten einen gemeinen Kasten nach dem Vorbild der von Karlstadt für Wittenberg verfaßten Kastenordnung errichtete. Unter dem Einfluß dieser Prediger und der von ihnen vertretenen Auffassungen radikalisierte sich die Bewegung in den Bergstädten. Bereits eine Predigt Ackermanns im November 1523 führte zu einem Volksauf lauf in Schneeberg. Ein Disput zwischen dem katholischen Pfarrer und Amandus im Mai 1524 über Fragen des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit rief , in der Kirche einen Tumult hervor, bei dem das Volk den Pfarrer steinigen wollte. Im Juni erklärten die städtischen Obrigkeiten ihre Ohnmacht gegenüber der Volksbewegung, da inzwischen durch den Prediger und seine Anhänger ein eigenes Regiment in Schneeberg aufgerichtet worden sei. Im Januar 1525 versammelte sich eine bewaffnete Menge vor dem Rathaus und erzwang die Freilassung der Gefangenen und die Zurückzahlung von Strafgeldern. Als soziale Träger dieser Bewegung nennen die Quellen durchweg das gemeine oder das arme Volk, den gemeinen Haufen, den gemeinen Pöbel, nicht häuslich Besessene usw., nach Lage der Dinge in den Bergstädten also in erster Linie Bergarbeiter. Auf den Bergen, d. h. in den Bergwerken, fanden von März bis April 1525 „Rottierungen und Versammlungen" der Bergarbeiter statt, bei denen auch „Schmählieder" gesungen wurden. Bergarbeiter waren auch die Initiatoren und Träger einer persiflierenden Prozession im Sommer 1524 in Buchholz, auf der die kirchlichen Zeremonien und indirekt der albertinische Landesherr, Herzog Georg, verspottet und ein imitierter Papst in die Gosse gestürzt wurden. Im März 1525 kam es im Zusammenhang mit dem gemeinen Kasten in Buchholz zu einem offenen Aufruhr der ärmeren Bevölkerung, und am 1. Mai fand eine Versammlung statt, deren Ziel es war, den Bergvogt notfalls mit Gewalt zu stürzen. Etwas anders verlief die Entwicklung in Annaberg, weil dort der zuständige Landesherr, der militante Reformationsgegner Herzog Georg, bereits die ersten Ansätze der reformatorischen Bewegung mit Gewalt zu unterdrücken versuchte. Ein reformatorischer Prediger wurde 1524 bereits nach kurzer Zeit seines Wirkens verhaftet; gegen zahlreiche Annaberger, die die Predigten in Buchholz besuchten, wurden Repressivmaßnahmen ergriffen. Einige Bergarbeiter, die der Reformation anhingen, ließ Georg zuerst einsperren und später aus Annaberg ausweisen. Dennoch ließ sich die Volksbewegung trotz aller Verfolgungen auch hier nicht unterdrücken, und es gibt auch Belege für das Vorhandensein einer bürgerlichen Opposition gegen die städtischen Obrigkeiten wie gegen den Landesherrn selbst. Von besonderem Interesse ist aber,

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daß in Annaberg die Forderungen der Bergarbeiter gut faßbar werden. Eine Reihe von Indizien und direkten Aussagen zeugt davon, daß die städtischen Obrigkeiten wie auch viele der besitzenden Bürger, wohl in erster Linie die Gewerken, in den Jahren 1524 und 1525 einen Aufstand der Bergarbeiter befürchteten. Vor allem nach Beginn des Joachimsthaler Aufstandes60 und einer direkten Kontaktaufnahme von Joachimsthaler Aufständischen mit Annabergern ergriff der Rat besondere Maßnahmen, um dem erwarteten Aufstand zuvorzukommen. Dazu gehörte auch die Vermittlung zwischen den Parteien in Joachimsthal durch eine Abordnung des Annaberger Rates, die eine Präventivmaßnahme gegen den drohenden eigenen Aufstand war. Nach innen wurde neben verstärkten Wach- und Sicherungsmaßnahmen Beschwichtigungspolitik betrieben. In diesem Zusammenhang versuchte der Bergmeister dem ansteigenden Druck ein Ventil zu öffnen, indem er eine Umfrage bei den Arbeitern beabsichtigte, welche Beschwerden und Mängel es bei ihnen gäbe. Die Knappschaft lehnte es ab, darauf einzugehen, legte aber ihrerseits am 29- Mai 1525 den Arbeitern eine Reihe von Fragen vor. Eine Woche lang wurde auf den Gebirgen des Annaberger Reviers während der Schicht Rat gehalten, d. h., während dieser Zeit ruhte die Arbeit. Dann wurde das Ergebnis am 3. Juni in Form eines Briefes zusammengefaßt und den Bergbeamten übergeben.603 Die darin ausgedrückten Forderungen bezogen sich auf die Verwendung und Kontrolle der Büchsenpfennige der Knappschaft im Interesse der Arbeiter; die Absetzung der bisherigen und die Wahl neuer Knappschaftsältesten; die Errichtung eines Bruderhauses für alte und kranke Bergleute; Entlassung der Priester und Bestellung nur eines Predigers für die Knappschaft; Gleichstellung der Löhne und der Verpflichtungen für die in der Stadt und die auf Dörfern ansässigen Steiger; Abschaffung der Sonnabendschicht; Verkürzung der anderen Schichten von acht auf sieben Stunden; Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfällen ; Erleichterungen für den Weg zur Arbeit u. a. Hier findet sich auch die bereits erwähnte Forderung, erbgesessene Bauern mögen nicht gegenüber den Lohnarbeitern bei der Bergarbeit gefördert werden. Der gemeinsame Grundzug all dieser Forderungen der Annaberger Bergarbeiter war der Wunsch nach größerer sozialer Sicherheit, nach besserer Verwaltung und Verwendung der Knappschaftsgelder, die Ablehnung der bestehenden Knappschaftsorgane und deren Ersetzung durch eigene gewählte Vertreter, die Abschaffung der Priester und die Bestellung eines - offenbar reformatorischen - Predigers. Die Analyse dieser Artikel zeigt, daß sie fast ausschließlich spezifische Interessen der Bergarbeiter bzw. Steiger zum Ausdruck brachten, nicht einmal andeutungsweise aber übergreifende Forderungen, mit denen sich auch Bauern hätten identifizieren können. 60 603

Vgl. Mittenzwei, Ingrid, a. a. O. Jetzt erstmals vollständig ediert in: Flugschriften der Bauernkriegszeit. Hrsg. unter der Leitung von Laube, Adolf und Seiffert, Hans Werner, Berlin 1975.

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Fassen wir zusammen, so zeigte sich in den behandelten erzgebirgischen Bergstädten, daß sich unter dem Einfluß der reformatorischen Ideologie radikaler Strömungen die Bergarbeiterbewegung während der frühbürgerlichen Revolution radikalisierte; die Jahre 1519 bis 1525, insbesondere die Jahre 1523 bis 1525, brachten auch in den erzgebirgischen Bergstädten den Höhepunkt des Klassenkampfes. Eine integrierende Wirkung der reformatorischen Ideologie und insbesondere des Kampfes gegen die Institution der Papstkirche im Hinblick auf ein mögliches Bündnis zwischen Bergarbeitern und Bauern war aber nicht festzustellen. Die Stoßrichtung des Kampfes blieb im wesentlichen die gleiche, wie schon vor der frühbürgerlichen Revolution. Das mag auch damit zusammenhängen - worauf H. Wilsdorf erst jüngst aufmerksam machte61 -, daß die Situation der Bergleute in der Kirchenfrage von vornherein eine andere war als die der Bauern, da sie eigene Knappenkapellen und Priester unterhielten, wohl auch schon selbst für das Begräbnis sorgten und nicht direkt vom Kirchenzehnt betroffen waren. Insofern spielte bei ihnen die Kirchenfrage eine untergeordnete Rolle. Es bleibt nun festzustellen, welche Haltung die Bergleute gegenüber dem Bauernkrieg einnahmen, ob bzw. wo und unter welchen Umständen ein Zusammengehen zwischen Bergleuten und Bauern dennoch zustande gekommen ist. Für Schneeberg gibt es dazu überhaupt keinen Hinweis, für Buchholz nur einen einzigen. Als nämlich auf der bereits erwähnten Versammlung am 1. Mai 1525 die Absetzung des Bergvogtes von Buchholz gefordert wurde, da drohte man, ihn notfalls erschlagen und dann zu den Bauern laufen zu wollen. Ein vorheriges gemeinsames Bündnis zur Duchsetzung der eigenen Forderungen blieb offenbar außer Betracht. Die Haltung der Annaberger Bergleute ist aus dem Mißerfolg rekonstruierbar, der dem Beauftragten des Landesherrn widerfuhr, als er Hilfstruppen zur Niederschlagung der Bauern warb. Die sächsischen Fürsten hielten Anfang Mai 1525 die Erhebung der Bauern im Erzgebirge für so bedrohlich, daß sie zu deren Niederschlagung unter anderem von Annaberg dringende Hilfe erforderten. Trotz Beistandsversicherungen des Annaberger Rates mußte der Feldhauptmann jedoch abziehen, ohne einen einzigen Mann bekommen zu haben. Daraufhin wandte sich der Annaberger Hauptmann, der oberste landesherrliche Amtmann am Ort, direkt an die Knappschaft um Hilfe. Nach seiner eigenen Auskunft erhielt er auch von ihr ein Beistandsversprechen. Dennoch deutet nichts darauf hin, daß es - bei allen Differenzen, die es zwischen Bergleuten und Bauern gab - zu Aktionen von Bergleuten auf der Seite der Unterdrücker des Bauernaufstandes gekommen ist. Im Gegenteil: Auf einer Versammlung der besessenen Bürger am 16. Mai wurde gefordert, allen Bergleuten, die dem auswärtigen Aufruhr zulaufen, sofort die Stadt zu verbieten, und sie sollten auch in den Bergwerken außerhalb der Stadt nicht 61

Wilsdorf, Helmut, Volkskundlich relevante Kulturphänomene im Montanbereich und ihre Beziehungen zur Epoche der Frühbürgerlichen Revolution, Ms. 1973.

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mehr beschäftigt werden. Das spricht dafür, daß tatsächlich Annaberger Bergleute sich den kämpfenden Bauern anschlössen. Einen Sonderfall stellt in diesem Zusammenhang Marienberg dar. Die Stadt war erst im Jahre 1521 gegründet, das offizielle Gründungsprivileg sogar erst im Dezember 1523 erteilt worden. Vom albertinischen Herzog Heinrich aus Konkurrenz zu seinem Bruder Herzog Georg künstlich hochgezüchtet, obwohl in den ersten Jahren zwar etwas Zinn, aber nur ganz wenig Silber gefunden wurde, waren die Verhältnisse in der Stadt zur Zeit des Bauernkrieges noch höchst ungefestigt. Da zur selben Zeit das auch erst seit einigen Jahren bestehende, aber ungleich ergiebigere Joachimsthal eine erheblich größere Anziehungskraft auf die Bergarbeiter ausgeübt hat, wird - wie bereits oben dargelegt - der Anteil von bäuerlichen Arbeitskräften im Marienberger Bergbau damals außergewöhnlich hoch gewesen sein. Daraus erklärt sich in erster Linie die Haltung der Marienberger im Bauernkrieg, für die es ansonsten im Erzgebirge kein anderes Beispiel gibt. Es begann am 14. Mai 1525, als aufständische Bauern die Pfarre von Mildenau stürmten. Der Amtmann von Wolkenstein zog gegen sie ins Feld und bot dazu eine Hilfstruppe von etlichen Hundert Marienbergern auf. Doch in Mildenau angekommen, beteiligten sich diese an der Plünderung der Pfarre, und ein Teil von ihnen blieb bei den Mildenauer Bauern. Ein anderer Teil machte sich selbständig und zog gegen die Pfarre in Rückerswalde. In den folgenden Tagen stürmten Angehörige der „armen Knappschaft in Marienberg" auch die Pfarren in Lauterbach und Lupersdorf, und am 18. Mai zogen sie gegen die Dörfer Georg von Berbisdorfs, des größten Grundherrn um Marienberg, und stürmten erneut einige Pfarren. Neben der sozialen Zusammensetzung der Marienberger Knappschaft war für ihre gemeinsamen Aktionen mit den Bauern des Amtes Wolkenstein62 von entscheidender Bedeutung, daß an ihrer Spitze die beiden bewußtesten Führer des Kampfes der erzgebirgischen Bergleute und Bauern, Wolf Göftel und Andreas Zinner, gestanden haben, die bewußt für das Bündnis von Bergarbeitern und Bauern kämpften. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Nach der Niederschlagung des Aufstandes wurden auch noch über 30 weitere Marienberger Bergleute durch Denunziation bekannt, die in der Bauernbewegung führend beteiligt waren; auch Joachimsthaler Bergarbeiter und andere Fremde wurden in diesem Zusammenhang genannt. Zwei Marienberger Häuer namens Kandier und Hundshauth waren als Abgeordnete des Grünhainer Haufens zum Pfarrer von Zöblitz gekommen und hatten verlangt, daß er die Messe deutsch lese und deutsch taufe. Blicken wir nun noch einmal kurz nach den anderen Revieren. In Joachimsthal, auf der böhmischen Seite des Erzgebirges, brach am 20. Mai 1525 nach einigen vorausgegangenen Aufstandsversuchen ein großer Aufstand aus, des62

Vgl. dazu auch Carlowitz, Horst, Die Bauernerhebung 1525 im Amt Wolkenstein, in: Sächsische Heimatblätter, 6/1969, S. 255 ff.

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sen Stoßrichtung vor allem von den kapitalistischen Gewerken bestimmt wurde.63 Soweit sich spezielle Forderungen der Bergarbeiter fassen lassen, betrafen sie Übergriffe von Bergbeamten, die Normalisierung der Lohnzahlung, die Ablehnung der Auszahlung des Lohnes in Naturalien, d. h. des Trucksystems, die Möglichkeit des Verfahrens von zwei Schichten - insgesamt also Forderungen, die im ganzen Erzgebirge bereits seit Jahrzehnten im Mittelpunkt des Kampfes der Bergarbeiter standen. Neu ist, daß die Aufständischen Organisationsformen des Bauernkrieges übernahmen und daß sich Bauern der Umgebung am Aufstand beteiligten. Wo es sonst zu einem Zusammengehen gekommen ist, waren es immer die Bergleute, die sich dem Kampf der Bauern anschlössen; hier liegt der seltene Fall vor, wo es umgekehrt war. Allerdings fehlt jeder Hinweis darauf, „was die Bauern veranlaßte, sich zu den aufständischen Bergleuten zu schlagen."64 Im Mansfeldischen beteiligten sich zahlreiche Bergarbeiter an den Kämpfen der Bauern. Vor allem eine Reihe von Klöstern wurde gemeinsam von Bauern und Bergleuten gestürmt.65 Bensing macht wahrscheinlich, daß sich in den ersten Maitagen des Jahres 1525 ein großer Haufen von Bauern und Berggesellen gebildet hat, der von Eisleben aus in südlicher Richtung zog, sidi bei Rothenschirmbach aufspaltete, indem der eine Teil nach Frankenhausen, der andere nach Querfurt weiterzog. Der erstere war es dann, der bei Osterhausen vom Grafen Albrecht von Mansfeld überfallen und zerschlagen wurde-66 Man wird nicht fehlgehen, wenn man das Zustandekommen dieses Bündnisses zwischen einem Teil der Mansfelder Bergarbeiter und den aufständischen Bauern in einem hohen Maße dem Wirken Thomas Müntzers in Allstedt und seinem weiterwirkenden Einfluß zuschreibt. Bereits im Juni 1524 waren einige hundert Mansfelder Bergknappen dem Allstedter Bund Müntzers beigetreten und hatten sich bei Verfolgungen schützend vor ihren Pfarrer gestellt.67 Auch der berühmte Brief Müntzers vom 26. April 1525 an die Allstedter dürfte nicht ohne Einfluß geblieben sein.68 Insgesamt kam es jedoch während der entscheidenden Wochen und Tage weder zu einer allgemeinen Erhebung der Mansfelder Bergleute im Revier noch zu einem geschlossenen Eingreifen auf seiten der Bauern. Die Mehrheit der Bergleute 63 64 65 66 67

68

Mittenzwei, Ingrid, a. a. O., S. 90 ff. Ebenda, S. 95. Paterna, Erich, a. a. O., Bd. 1, S. 226 ff.; Bensing, Manfred, a. a. O., S. 175 ff. Bensing, Manfred, a. a. O., S. 176 f. Zum Allstedter Bund vgl. besonders Bensing, Manfred, Idee und Praxis des „Christlichen Verbündnisses" bei Thomas Müntzer, in: WZ Karl-Marx-Universität, Leipzig, (b) 15, 1965, H. 3, S. 459 ff., bes. 463. Thomas Müntzers Briefwechsel, hrsg. v. Böhmer, Heinrich / Kirn, Paul, Leipzig/Berlin 1931, Nr. 75; jetzt auch in: Flugschriften der Bauernkriegszeit, a. a. O., zur Datierung und Einordnung in die Gesamtbewegung auch Bensing, Manfred, Thomas Müntzer, a. a. O., S. 110; vgl. auch Kautsky, Karl, Die Bergarbeiter, a. a. O., S. 446 f.

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vertraute auf Versprechungen des Grafen Albrecht vom 4. Mai und hielt sich zurück.69 Im Zentrum des Tiroler Bergbaus, in Schwaz, waren bereits 1520 und 1523 Unruhen der Bergleute ausgebrochen. Trotz einiger Zugeständnisse der Regierung begann am 20. Januar 1525 ein Aufstand. 70 Bezeichnenderweise richtete auch er sich - wie die Bergarbeiterbewegungen allgemein - gegen die Bergbeamten, aber auch gegen die kapitalistischen Gewerken und Hüttenherren. Die Arbeiter forderten die Absetzung einiger Amtleute, die Vertreibung der Fugger und anderer Gesellschaften aus Schwaz, die Abstellung von Fürkauf und Preiswucher, mehr freie Tage, Erweiterung der knappschaftlichen Selbstverwaltung. Erst Mitte Februar wurde der Aufstand durch einige Zugeständnisse des Landesherrn eingestellt; zähe Verhandlungen, begleitet von weiteren Unruhen, hielten aber noch während der folgenden Monate an und hatten schließlich zum Ergebnis, daß die Bergknappen am 24. Mai zum ersten Mal zu einem Landtag in Innsbruck zugelassen wurden. Durch das geschickte Eingehen auf spezifische Forderungen der Bergarbeiter trug die Regierung dazu bei, diese von der allgemeinen revolutionären Bewegung zu isolieren und die Knappschaft als Ganze sogar als Verbündete zu gewinnen. Das schloß nicht aus, daß während der großen Bauernbewegung in Tirol und im Salzburgischen zahlreiche Schwazer Bergarbeiter den kämpfenden Bauern zu Hilfe eilten. Schon Mitte Mai sollen bewaffnete Schwazer Bergarbeiter die Aufständischen im Allgäu unterstützt haben. Um den 25. Juni 1525 flüchteten etwa 200 Bergknappen aus Schwaz und schlössen sich den Salzburger Bauern an; vermutlich nahmen sie an der siegreichen Schlacht bei Schladming 71 teil. Und während der letzten Phase des Salzburger Aufstandes, im August 1525, kam es zu stürmischen Auseinandersetzungen innerhalb der Knappschaft, weil ein Teil der Arbeiter den Hilferufen aus Salzburg Folge leisten wollte. Erst eine Regierungskommission aus Innsbruck konnte die Bergleute beruhigen. Dennoch verließen heimlich etwa 1000 Arbeiter Schwaz und flohen zum aufständischen Heer. Insgesamt stand aber die Schwazer Knappschaft seit Ende Mai 1525 fest zur Politik der Landesregierung. Ganz Ähnliches ist aus Kitzbühel bekannt, wo noch im Mai 1525 ein Bergarbeiteraufstand ausbrach, der durch Zugeständnisse beigelegt wurde. Auch von hier schlössen sich später Bergleute der Bauernbewegung an; die Knappschaft insgesamt unterstützte aber die Politik Innsbrucks. Es zeigte sich: Unter dem Einfluß der revolutionären Bauernbewegung kam in vielen Gegenden sporadisch ein Zusammengehen von Teilen der Bergarbei69 70

71

Paterna, Erich, a. a. O., Bd. 1, S. 228. Dazu und zum folgenden grundlegend Macek, Josef, a. a. O., S. 122 ff., 182, 254 f., 293 f.; zum Aufstand in Schwaz 1525 vgl. auch Hollaender, Albert, Ein Bergknappenaufstand in Schwaz 1525, in: Tiroler Heimatblätter, 1935, S. 29 ff. Vgl. dazu auch Hoyer, Siegfried, Das Gefecht bei Schladming i m deutschen Bauernkrieg, in: Militärgeschichte, 1973, H. 3, S. 340 ff.

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terschaft mit den Bauern zustande, meist als Hilfeleistung der ersteren für den Kampf der letzteren. Nirgends - vielleicht mit Ausnahme des Sonderfalles Salzburg - gab es aber ein breites Bündnis in dem Sinne, daß sich die Knappschaften bzw. die Gesamtheit der Bergarbeiter eines Ortes oder Reviers mit den Bauern solidarisiert oder zu gemeinsamem Vorgehen zusammengefunden hätten. Das lag u. a. auch am Charakter der Knappschaften. Die Knappschaften waren keine spezifischen Organisationen der Bergarbeiter. Ihnen gehörten neben den Arbeitern auch Gewerken sowie Berg- und Zechenbeamten an, und sie hatten sowohl den Charakter religiöser Bruderschaften wie den sozialer Einrichtungen zur Unterstützung in Not geratener Bergleute. Daneben traten sie als Interessenvertretung der Gesamtheit der aktiv im Bergbau beteiligten sozialen Elemente in Erscheinung, wenn sie zu Gutachten über Bergbauangelegenheiten herangezogen wurden oder als „Knappschaft und ganze Gemeinde" Forderungen im Interesse der Stadt an die Landesherren richteten. In dem Maße, wie sich in Perioden verstärkter Klassenauseinandersetzungen die in den Knappschaften vereinten unterschiedlichen sozialen Kräfte zu gemeinsamer Opposition zusammenfanden, konnten sie auch im Kampf gegen Maßnahmen der Landesherrschaft, gegen das feudale Direktionssystem oder einzelne seiner Exponenten als gemeinsame Klassenkampforganisation von Gewerken, Arbeitern und einzelnen Beamten in Erscheinung treten. Die Bergarbeiter versuchten jedoch darüber hinaus, diese Organisationen für die Durchsetzung ihrer spezifischen Interessen auszunutzen. So kam es vor, daß sich die Bergarbeiter bei Aufständen der Knappschaftsorganisation bedienten. Das war aber in der Regel mit harten Auseinandersetzungen innerhalb der Knappschaft verbunden. Und so war bezeichnenderweise der Kampf gegen die eigenen Knappschaftsältesten ein wichtiges Element vieler Bergarbeitererhebungen. Umgekehrt konnte je nach dem Kräfteverhältnis der verschiedenen sozialen Gruppen in den Knappschaften und nach der jeweiligen Stoßrichtung des Kampfes die Knappschaftsorganisation auch benutzt werden, um die Arbeiter in Botmäßigkeit zu halten bzw. ihren Kampf zu schwächen oder zu beeinflussen. Deshalb war die Hilfe für aufständische Bauern oft damit verbunden, daß sich die betreffenden Bergarbeiter in Gegensatz zu ihrer Knappschaft stellten, mit allen Konsequenzen, die eine solche Entscheidung für sie hatteIn erster Linie werden aber für das Ausbleiben eines breiten Bündnisses zwischen Bergarbeitern und Bauern die oben dargestellten unterschiedlichen Interessen ausschlaggebend gewesen sein, die letztlich aus der unterschiedlichen Stellung zu den Produktionsmitteln, aus der unterschiedlichen rechtlichen und sozialen Position resultierten, sowie die Tatsache, daß Bergarbeitern und Bauern in der Regel nicht dieselben Bedrücker gegenüberstanden. Ferner ist die heterogene Zusammensetzung der Bergarbeiter selbst, ihre Herkunft aus verschiedenen sozialen Schichten zu berücksichtigen, auf die auch oben hingewiesen wurde. Das revolutionäre Element waren zweifellos die „unbesessenen ledigen Ge-

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seilen", wie sie häufig in den Quellen genannt werden, die nirgends fest seßhaft waren, meist einer zusätzlichen Ausbeutung durch ihre Wirte unterlagen und auf der Suche nach den besten Arbeits- und sozialen Bedingungen zwischen den verschiedenen Revieren pendelten. Von ihnen ging die größte Gefahr für die Bergbeamten und für die kapitalistischen Gewerken aus, wie die überlieferten Befürchtungen aus diesen Kreisen deutlich erkennen lassen. Hinzu kamen der örtlich unterschiedliche, zuweilen aber relativ hohe Anteil von bäuerlichen Arbeitskräften im Bergbau und die Tatsache, daß viele Bergarbeiter auf Dörfern lebten bzw. andere Beziehungen zum Dorf hatten. Aus diesen Kreisen werden vor allem diejenigen Bergarbeiter gekommen sein, die während des Bauernkrieges die Bergstädte und ihre Arbeit in den Gruben verließen, um sich dem Kampf der Bauern anzuschließen. Für Marienberg war das wahrscheinlich zu machen. Darüber hinaus müßte noch genauer untersucht werden, ob für das Zustandekommen derartiger sporadischer Bündnisse nicht auch das Zusammenfallen von Regalherrschaft über den Bergbau und feudaler Grundherrschaft in einem Gebiet in einer Hand eine Rolle spielte. Hierin dürfte in erster Linie die Erklärung dafür liegen, daß im Salzburgischen - soweit ich sehe als einzigem Fall während des Bauernkrieges - Bergarbeiter und Bauern ein breites Kampfbündnis eingegangen sind.72 Die Forderungen der revolutionären Kräfte im einzelnen, aus denen man die Interessen der in einem Heer vereinigten Bergarbeiter und Bauern ablesen könnte, sind nicht bekannt. Die Tatsache aber, daß beide im Erzbischof von Salzburg als Landesherrn, Regalherrn und feudalen Grundherrn einen gemeinsamen Feind hatten, scheint für das Zusammengehen ausschlaggebend gewesen zu sein. Diese Problematik wäre auch für die Herren Schlick in Joachimsthal näher zu beleuchten und könnte eventuell den gemeinsamen Sturm von Bergleuten und Bauern auf den Herrensitz am Ort erklären. Und schließlich wird der Anschluß eines Teils der Bergarbeiter an den Kampf der Bauern ein Erfolg derjenigen weitsichtigen Führer gewesen sein, die bewußt auf ein breites Bündnis aller revolutionären Kräfte hinarbeiteten und bei Bergarbeitern wie Bauern ideologisch in dieser Richtung wirkten. Insgesamt wurden aber die Barrieren, die zwischen Bergleuten und Bauern lagen, nicht überwunden. Wenn Bensing glaubt, daß die revolutionäre Stimmung und die Bündnisbereitschaft der Mansfelder Bergarbeiter ausgereicht hätten, um bei einer konsequenteren Haltung und revolutionären Programmatik des Frankenhäuser Lagers ein breites Bündnis zwischen beiden Kräften herbeizuführen, so überschätzt er den Reifegrad der Entwicklung im allgemeinen und der Bewußtheit der Bergarbeiter im besonderen. Noch im 19. und 20. Jahrhundert - nachdem Karl Marx und Friedrich Engels, nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Erfahrungen des Bauernkrieges, die Lehre vom Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft ausgearbeitet, W. I. 72



Ebenda; vgl. auch Macek, Josef, a. a. O., S. 251 ff., 293 f.

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Lenin sie vertieft und die Praxis der Oktoberrevolution sie bestätigt hatte fiel es so manchem klassenbewußten Proletarier schwer, ein richtiges Verhältnis zur Bauernschaft zu finden und umgekehrt. Wie sollte man aber derartige Einsichten unter den unausgereiften Klassenbedingungen des beginnenden 16. Jahrhunderts erwarten? Um so bewundernswerter ist die große ideologische Leistung einzelner Führer der revolutionären Kräfte der frühbürgerlichen Revolution, allen voran Thomas Müntzer und Michael Gaismair, die die Notwendigkeit des Bündnisses zwischen Bergarbeitern und Bauern erkannten und für sein Zustandekommen kämpften. Bei Müntzer war diese Einsicht vor allem unter den Erfahrungen seiner Allstedter Zeit gereift. In seinem Brief vom 26. April 1525 an die Allstedter, der als „Manifest an die Bergknappen" berühmt geworden ist, fand sie in der Konsequenz des Inhalts und in der Überzeugungskraft der Sprache ihren stärksten Ausdruck. An die Führer des Allstedter Bundes gerichtet, forderte Müntzer, ohne Zögern loszuschlagen und die Tyrannen zu vernichten, vor allem aber, diesen Kampf gemeinsam mit allen Unterdrückten zu führen, Bauern, Städter und besonders die Bergarbeiter in eine Front zu bringen: „Es ist hoch Zeit, haltet eure Bruder alle darzu... Regt die Bruder an, das sie zur Fried kommen und ir Bewegung Gezeugnus holen. Es ist über die Mas hoch von Noeten. Dran, dran, dran! . . . Reget an in Dorfern und Stedten und sonderlich die Bergkgesellen mit ander guter Bursse, welche gut darzu wird sein. Wir müssen nit lenger slaffen... Lasset diesen Brief den Bergkgesellen werden... Ich kann es itzund nit anders machen, sonst wolt ich den Bruedern Underricht gnug geben, das ihnen das Herz viel grosser solt werden, dann alle Slosser und Rustung der gottlosen Boeßwichter auf Erden "73 Dieser Geist kennt keine lokalen Begrenzungen und keine sozialen Gruppeninteressen, er orientiert alle gemeinsam auf ein großes Ziel: den revolutionären Sturz der bestehenden Ordnung. Und er wird so manchen Mansfelder Bergarbeiter mitgerissen haben. Michael Gaismair, der bereits vom Elternhaus her, durch seine bäuerlichen Vorfahren und Verwandten sowie durch seinen Vater als Bergbauunternehmer, mit beiden Sphären vertraut war und später auch selbst Bergwerksanteile besaß, formulierte in seiner im Februar oder März 1526 entstandenen Tiroler Landesordnung das denkwürdige Programm einer gemeinsamen Volksherrschaft von Bauern und Bergarbeitern.74 Nach der Entmachtung und Verjagung der geistlichen und weltlichen Feudalherren, des städtischen Patriziats, der für den Wucher verantwortlichen Handelsgesellschaften und Kaufleute sowie der Bergbauunternehmer und Hüttenherren sollten alle Produktionsmittel in die Hände der Bauern und Bergarbeiter übergehen. Bauern 73

74

Thomas Müntzers Briefwechsel, a. a. O., S. 109 ff. Jetzt auch in: Flugschriften der Bauernkriegszeit, a. a. O. Macek, Josef, a. a. O., S. 145,149, 370 ff. Vgl. auch Flugschriften des Bauernkrieges, hrsg. v. Kaczerow&ky, Klaus, Hamburg 1970, S. 79 ff. Jetzt auch in: Flugschriften der Bauernkriegszeit, a. a. O.

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und Bergarbeiter, ergänzt durch des Evangeliums kundige Gelehrte, sollten den neuen Staat repräsentieren und regieren. In der Praxis des Klassenkampfes, insbesondere im Pinzgauer Bauernkrieg75, wirkte Gaismair für dieses Bündnis. Aber auch das Erzgebirge brachte solch hervorragende Führer der Bauern und Bergarbeiter wie Wolf Göftel und seinen Gefährten Andreas Zinner hervor, die bisher fast nur in lokalgeschichtlichen Arbeiten beachtet worden sind. Zwar ist es wegen der Spärlichkeit der Quellenüberlieferung schwer, umfassendere Aussagen über sie zu machen. Eigene schriftliche Äußerungen haben sie nicht hinterlassen. Inwieweit sie ideologisch von Müntzer beeinflußt waren, ist nicht bekannt. Nur aus ihren Geständnissen76 ist rekonstruierbar, daß sie überragende Organisatoren des revolutionären Kampfes waren, die bewußt für das Bündnis zwischen Bergarbeitern und Bauern in der Revolution kämpften und es selbst unter Einsatz ihres Lebens praktizierten. Göftel war vermutlich ein Bergarbeiter aus Buchholz, der wahrscheinlich nach dem Aufkommen des Marienberger Bergbaus dorthin gezogen war. Zusammen mit Zinner wurde er als „fhürer und capitanier . . . der bergknappen vom Marienberge" bezeichnet.77 Beim Sturm auf die Pfarre Mildenau stand er an der Spitze. Nach eigenen Angaben hatte er die Bauern von Falkenbach und Mildenau aufgefordert, sich dem Kampf anzuschließen. Auch am Sturm auf die Pfarre in Schönbrunn war er beteiligt. Der Dienstmagd des Pfarrers gab er eine Kuh als Lohn und stellte ihr - offenbar als eine Eignungsurkunde - eine Handschrift darüber aus. Den Bauern versprach er, sie zu führen, wenn sie ihm beistehen würden. Das Beistandsversprechen wurde durch Eidleistung besiegelt. Auch in Gelenau wurde er als „heerfhurer der pauern" bezeichnet. Der Richter von Marienberg nannte ihn „felthauptman" und Zinner „heerfuhrer".78 Das ausgesprochene Ziel beider war der Sturz der Obrigkeiten durch ein Bündnis von Bergarbeitern und Bauern. Sie wollten „den edelleuten die s i t z e . . . störmen und m. g. h. in das land fallen", „die obrigkeit vortreiben" und „die closter stormen". Nach dem Ausbruch des Joachimsthaler Aufstandes wandte sich Göftel sofort dorthin und versuchte, einerseits in der näheren und weiteren Umgebung, u. a. in Annaberg und Graupen, die Unterstützung für die Aufständischen zu organisieren, andererseits den Aufstand auszuweiten.79 Auch im Vogtland und im Elnbogener Land unterstützten Göftel und Zinner den Kampf der Bauern und formulierten ihnen ihre Artikel. Noch im Juni 1525, als es in Geyer zu einem begrenzten Aufstand der Bergleute kam, schrieb Göftel den Aufständischen einen 75 76 77 78 79

Macek, Josef, S. 408 ff. Fuchs, Walter Peter, a. a. O., Nr. 1757. Ebenda, S. 571, Anm. 1. Mittenzwei, Ingrid, a. a. O., S. 105. Vgl. ebenda, S. 92 f.; ferner Smirin, M.M., Zum Charakter der sozialen Beziehungen und des Klassenkampfes im Bergbau Deutschlands im XV. und XVI. Jh., in: WZ Karl-Marx-Universität Leipzig, (G) 15, H. 3, S. 404 f.

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Brief und bot ihnen an, „so es von notten, sampt den pauern beistand zu leisten". Am 27. Juni wurden Göftel und Zinner in Buchholz durch den Annaberger Verweser des Bergamtes, Urban Osann, verhaftet, im Juli verhört und als „die obristen capiteniger" „in disem ufrur alhi hoben" - wie sie Osann bezeichnete60 - hingerichtet. Das auf Grund der widersprüchlichen gesellschaftlichen Verhältnisse und der Unreife der Klassenkräfte am Beginn der Übergangsepoche vom Feudalismus zum Kapitalismus nicht oder nur begrenzt und sporadisch zustande gekommene Bündnis zwischen Bergarbeitern und Bauern, den revolutionärsten und am meisten ausgebeuteten Kräften der Gesellschaft, fand in solchen Gestalten über ihre Zeit hinausragende, bewußte Vorkämpfer. 80

Fuchs, Walter Peter, a. a. O., S. 571, Anm. 1.

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Der Widerhall des Bauernkrieges in Leipzig 1524/1525

Der Zeitraum vom ausgehenden 15. Jahrhundert bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges ist in der Stadtgeschichte Leipzigs einer der bedeutendsten während der Feudalepoche, wobei die Klassenkämpfe in den Jahren des Bauernkrieges 1524 und 1525 einen Höhepunkt darstellen. Die bürgerliche Leipziger Stadtgeschichtsschreibung hat zwar die reformatorische Bewegung mehrfach geschildert und in manchen Fällen sehr hoch gepriesen, aber sie dabei entweder von den Ereignissen des Bauernkrieges und seines Widerhalles in Leipzig bewußt abgesetzt1 oder diesen einen „entsetzlichen Aufstand" genannt2. Die kleinbürgerlich-plebejische Opposition gegen Landesherrn und Stadtrat wurde „auf ein paar unbesonnene, prahlerische Reden einiger Hitzköpfe" beschränkt3; der standhafte Ringschmied Michel Rumpfer wurde als „schwerbeschuldigter Bursche" verunglimpft4. Der vierhundertfünfzigste Jahrestag des Bauernkrieges, „wo deutsche Bauern und Plebejer mit Ideen und Plänen schwanger gingen, vor denen ihre Nachkommen oft genug zurückschaudern"5, soll deshalb Veranlassung sein, den Widerhall in der Messestadt zu schildern, um den historischen Ereignissen und Persönlichkeiten gerecht zu werden. Leipzig hatte 1529, berechnet man die Angaben zeitgenössischer Steuerbücher, 9 221 Einwohner; es war eine Handels- und Gewerbestadt, in der der Fernhandel, bedingt durch die Messe, die gerade zu dieser Zeit verstärkt internationalen Charakter annahm, dominierte. Große oberdeutsche Handelshäuser, wie die Fugger oder die Welser, besaßen ihre Faktoren als Handelsvertreter in der Stadt, und die Zuwanderung immer neuer Familien war seit 1471 ständig gestiegen6. Seit dem gleichen Jahr geriet die Leipziger Kaufmannschaft in den „Bann des Silbers". Bergsegen und Kuxhandel brachten manchen binnen kurzer Zeit ein großes Vermögen, vielen aber auch einen argen 1 2

3 4 5 6

Buchwald, Georg, Reformationsgeschichte der Stadt Leipzig, Leipzig 1900, S. 77 f. Kroker, Ernst, Leipzigs Aufblühen als Handelsstadt und Universitätsstadt, in: Heimatgeschichte für Leipzig, Leipzig 1927, S. 142. Wustmann, Gustav, Geschichte der Stadt Leipzig I, Leipzig 1905, S. 407. Kroker, Ernst, Leipzigs Aufblühen, S. 143. Engels, Friedrich, Der deutsche Bauernkrieg, in: M E W Bd. 7, Berlin i960, S. 329. Vgl. Arndt, Helmut, u. a., Leipzig in acht Jahrhunderten, Leipzig 1965, S. 31 f£.; Kroker, Ernst, Handelsgeschichte der Stadt Leipzig, Leipzig 1925, S. 52 ff.

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Verlust. Trotzdem ergriff das Erzfieber Fürsten, Kaufleute, Handwerker, ja selbst die Universität. Außerdem galt Leipzig als Zentrum des Geldhandels. Weltliche und geistliche Fürsten sowie zahlreiche Herren des Landadels waren an die Handelsherren und Bankiers verschuldet. Nicht zuletzt deshalb war die Höhe des Durchschnittsvermögens pro Einwohner hier wesentlich höher als in anderen sächsischen Städten. Martin Luther empörte sich über die hohen Zinsen, die in der Messestadt genommen wurden; sie galt ihm als ein Sitz des Geizes, des Wuchers und der Pest im Lande. Es gab Bürger, deren Gesamtvermögen doppelt so hoch war wie das jährliche Einkommen des Herzogs Georg als Landesherr. Ab 1481 brauchten einige Großkaufleute dem Rat gegenüber keine Vermögensangaben mehr zu machen, sie konnten eine sogenannte „heimliche Selbstversteuerung" vornehmen. Aber nicht nur Kaufleute betätigten sich als frühkapitalistische Unternehmer, auch Handwerker versuchten ihr Glück im Bergbau, so z. B. ein Sattler und einige Bäcker. Dies weist auf bemerkenswerte Veränderungen unter den Leipziger Gewerben und Zünften hin. So bezeichnen städtische Quellen die 30 Meister der Leineweberzunft als sehr arm, während manche Meister mehrere Gesellen und Lehrlinge beschäftigten, so der Tuchscherer Heinz Impach sieben Gesellen und zwei Lehrlinge. Mehrere Zünfte gerieten in starke Abhängigkeit vom Handelskapital, beispielsweise die Gerber, Kürschner und Leineweber7. Eine besondere Stellung besaß das Druck- und Verlagswesen. Um 1500 gab es in Leipzig fünf Drucker: Kachelofen, Landsberg, Stockei, Thammer und Wolrabe, die meist ebenfalls mehrere Beschäftigte hatten. Die Firma Kachelofen-Lotter gab 1502 an, daß bei ihr acht Gesellen und drei weibliche Hausangestellte im Dienst ständen. Zünftlerische Beschränkungen waren diesem Gewerbe fremd, das für die reformatorische und soziale Bewegung im Zeitalter der frühbürgerlichen Revolution von größter Bedeutung gewesen ist.8 Die Mehrheit der bürgerlichen Mittelschichten stellten die Handwerksmeister, einige nicht so reiche Kaufleute und Händler sowie manche Bürger, die entweder im Dienste der Stadt oder der reichen Oberschicht standen. Sicherlich wird auch ein Teil der Universitätsangehörigen dazuzurechnen sein. Daß nicht nur Handel und Messe besonders entwickelt waren, sondern auch das Gewerbeleben, beweist die Existenz von 755 verschiedenen Berufen, die 1529 gezählt worden sind.9 Besonders häufig kamen Texil-, Metall- und Ledergewerbe vor. Charakteristisch für die sozialökonomischen Verhältnisse in Leipzig im 16. Jahrhundert waren zahlreiche Beispiele sozialen Abstiegs und wirtschaft7

8 9

-

Feige, Wolfgang, Die Sozialstruktur der spätmittelalterlichen deutschen Stadt im Spiegel der historischen Statistik, Leipzig 1965, S. 31 (Ms.). Vgl. Wustmarin, Gustav, Quellen zur Geschichte Leipzigs I, Leipzig 1889, S. 106. Prochno, Joachim, Beiträge zur Wirtschaftsstatistik Leipzigs 1470—1570, in: Schriften des Vereins für Geschichte Leipzigs 16, 1933, S. 35.

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licher Zusammenbrüche ehemals reicher Familien. Soziale Umschichtungen gingen so neben einschneidenden politischen Veränderungen vor sich. In dieses Bild gehört ferner die zahlenmäßige Zunahme der plebejischen Schichten: Gesinde, Gesellen, Tagelöhner, Lohnarbeiter, verarmte Handwerker und Kleinhändler, Arme, Bettler und fahrende Leute. Hier gab es gleichfalls eine soziale Differenzierung und oft große Abhängigkeit vom Arbeits- und Dienstherrn. Der spezifischen Form der patriarchalischen Ausbeutung und Unterdrückung durch Kaufleute und Handwerker waren vor allem das Gesinde Knechte und Mägde - und die Gesellen unterworfen, wenn man daraus auch nicht den allgemeinen Schluß ziehen darf, Gesinde und Gesellen seien in jedem Fall arme Leute gewesen. So zahlte nach dem Türkensteuerbuch 1481 der Goldschmied Weichtberg in der Reichsstraße acht Groschen Vermögenssteuer, sein Geselle jedoch neun Groschen Einkommenssteuer, woraus zu schließen ist, daß beider soziale Lage so stark unterschiedlich nicht gewesen sein kann. Seit dieser Zeit stieg die Zahl der Gesellen, Knechte und Mägde immer mehr an, und das Türkensteuerbuch von 1529 bestätigte das Wachstum der plebejischen Schichten, denn noch nie verzeichnete ein Steuerregister so viele Einwohner ohne Hausbesitz, vor allem in den Vorstädten. Zu Tagelöhnern und Lohnarbeitern rechneten zum Beispiel Kärrner (die die Gossen reinigten), Holzhauer, Futterschneider, Lohnkutscher, Transportarbeiter, Träger, Ziegelstreicher, Marktkehrer, Wäscherinnen, die zum Teil eine saisonbedingte Arbeit hatten10. So zeigt die Sozialstruktur Leipzigs zur Zeit der frühbürgerlichen Revolution eine vielfach differenzierte Bevölkerung, die durch mannigfaltige Gegensätze - Reichtum und Armut, wirtschaftliche Selbständigkeit und Abhängigkeit - gespalten war, aus denen sich sozialpolitische Auseinandersetzungen ergaben, die durch Reformation und Bauernkrieg offen ausbrachen und sich vor allem gegen die katholischen Landesherrn, die Kirche und das selbstherrliche Ratsregiment richteten. Die Verfassungsverhältnisse in Leipzig waren ganz auf die Herrschaft der reichen Kaufleute und frühkapitalistischen Unternehmer zugeschnitten. Der gesamte Stadtrat bestand aus 36 Personen. Er entschied über die wichtigsten Beschlüsse und städtischen Vorhaben, über Verträge, neue Innungen, Bauten und große Finanzgeschäfte. Ansonsten bildeten je zwölf Ratsherren die sog. beiden „ruhenden" Räte, während der eine, der „sitzende" genannt, das augenblickliche Ratsregiment führte, das sich selbst ergänzte; das heißt neue Ratsmitglieder wurden durch die alten und nicht von der Bürgerschaft gewählt. Eine besonders exponierte Stellung hatte der jeweils regierende Bürgermeister, der seit der Mitte des 15. Jahrhunderts vor allem mit der „Enge" (einem engeren Rat) herrschte, also mit dem Kreis der Ratsmitglieder, die die wichtigsten Ämter innehatten. Handwerksmeister gab es nur wenige im Stadtrat; ihr Einfluß war gering11. Das Ratsregiment war demnach eindeutig 10

Feige, Wolfgang, a.a.O., S. 134 f t ; Wustmann, Gustav, Quellen I, a.a.O., S. 103,

u

Rachel, Walther, Verwaltungsorganisation und Ämterwesen der Stadt Leipzig

101 ff.

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das Machtinstrument der reichen bürgerlichen Oberschicht, während die Bürgerschaft insgesamt kaum wesentlichen Einfluß auf die Politik und die Geschäfte des Stadtrates auszuüben vermochte. Etwas anders gestaltete sich das Verhältnis zwischen dem Leipziger Rat und dem wettinischen Landesherrn. Seit der sächsischen Landesteilung von 1485 gehörte die Messestadt zum Albertinischen Territorium und war Sitz des herzoglichen Oberhofgerichts, das zugleich mit dem Leipziger Schöffenstuhl in Verbindung stand12. Obwohl die Stadt seit dem 13. Jahrhundert zahlreiche wichtige Privilegien erworben hatte - Markt-, Handels- und Gerichtsrechte -, griff der Landesherr als Repräsentant des Territorialstaates mitunter in städtische Verhältnisse ein, z. B. in zünftlerische und gewerbepolizeiliche Angelegenheiten, und auch die Stadtordnungen bedurften der landesherrlichen Bestätigung13. Aber die Verwaltungsangelegenheiten der Stadt kümmerten ihn weniger, zumal durch Steuern und häufige Geldgeschenke versucht wurde, ihn zu wohlwollender Haltung zu veranlassen. Aber trotz der Tatsache, daß Leipzig das Privilegium der Schriftsässigkeit besaß, also direkt der landesherrlichen Regierung unterstand und nicht einer Amtsverwaltung, war sie eben eine Territorial- und keine Reichsstadt. Der Stadtrat beherrschte aber nicht nur die Verhältnisse innerhalb der Mauern oder des Weichbildes, sondern er verfügte noch über einen beträchtlichen städtischen Grundbesitz, der im Jahre 1538 allein 13 Dörfer umfaßte neben Waldungen, Gewässern, Wiesen, Teichen, Ziegeleien, Mühlen und sogar einigen Rittergütern und Vorwerken14. Die Verwaltung oblag der sog. Landstube, aber den Bauern, Knechten und Mägden gegenüber trat die Stadt und vor allem der Rat als Feudalherr auf, der von ihnen Grundzinsen, Naturalabgaben und Frondienste forderte, wobei Acker- und Erntefron sowie die Arbeit der Handfröner noch einen beträchtlichen Anteil besaßen, der Geldzins nun jedoch den Hauptbestandteil der Feudalabgaben ausmachte. Von Sympathien der bäuerlichen Bevölkerung gegenüber der Ratsherrschaft konnte kaum die Rede sein, im Gegenteil, sie empfand diese oftmals noch drückender als die der adligen Gutsbesitzer, weil die Ratsherren durch Handel und Geldgeschäfte viel mehr Erfahrung in der Ausbeutung der abhängigen Bauern besaßen. Die landwirtschaftlichen Produkte wurden nicht nur für die Versorgung der Stadtbevölkerung gebraucht, mit ihnen betrieb man Handelsgeschäfte, und einen Teil davon bekamen die Ratsherren als Amtsentschädigung. bis 1627, in: Leipziger Studien, V I I I . Bd., 4. Heft, Leipzig 1902, über die „Enge", vgl. S. 215 f. 12

Kötzschke,

Rudolf,

Kretzschmar,

Hellmut,

Sächsische

Geschichte,

Neudruck,

Frankfurt/Main 1965, Bl. 1, S. 146. 13

Urkundenbuch der Stadt Leipzig Bd. 1 (Codex diplomaticus saxoniae regiae II, 8), Leipzig 1868, Nr. 488.

14

Emmerich,

Werner,

Der ländliche Besitz des Leipziger Rates, ( A u s Leipzigs V e r -

gangenheit 3), Leipzig 1936, S. 12 f£.

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Das Ratsregiment und die Stadtverwaltung besaßen im 16. Jahrhundert insgesamt eine differenzierte Struktur politischer, wirtschaftlicher, juristischer, sozialer und kultureller Zuständigkeit, die vom Bürgermeister bzw. von Ratsmitgliedern beherrscht wurden, was eine beträchtliche Ausdehnung der städtischen Verwaltungsorganisation nach sich zog. Dies war auch ein entscheidender Grund für den Neubau und die Erweiterung des Rathauses 1556 und 1557. Im Dienste der Stadt befanden sich mindestens über 100 Personen - eine genaue Zahl ist schwer feststellbar - , vom Bürgermeister bis zum Ziegelstreicher, von denen die meisten allerdings in politisch völlig einflußlosen Positionen beschäftigt waren und meist nur eine geringe Besoldung in Geld und Naturalien erhielten. Dabei war es nicht notwendig, daß alle städtischen Angestellten unbedingt Bürger sein mußten; ihre Pflichten und Rechte sowie ihre Behandlung durch den Rat hatte man sehr differenziert festgelegt, wobei die Inhaber belangloser „Ämter", besonders die Tagelöhner, einer relativ großen Willkür ausgesetzt waren. 15 Das Prinzip „teile und herrsche" scheint im spätmittelalterlichen Leipzig besonders stark ausgeprägt gewesen zu sein. Aber erst mit der reformatorischen Bewegung kamen auch die sozialen und politischen Gegensätze in Leipzig offen zum Ausbruch. Obwohl die Stadt zum Herrschaftsbereich von Herzog Georg gehörte, der ein erbitterter Gegner Luthers war, spielte hier die reformatorische Bewegung beinahe vom ersten Tage seines Auftretens während der Pleißenburg-Disputation im Jahre 1519 eine immer stärker werdende Rolle. Waren es anfangs nur die „Gebildeten" vor allem Studenten, die in zunehmendem Maße nach Wittenberg zogen - , so wuchs nach 1520 und 1521 der Kreis seiner Anhänger mehr und mehr. Bis zu dieser Zeit empfanden Landesherr und Stadtrat, ähnlich wie in den süddeutschen Städten Ulm, Augsburg, Nürnberg u. a.16, diese Bewegung nicht als Bedrohung ihrer Herrschaft. Erst als sie Massencharakter anzunehmen begann, veranlaßte zuerst der Herzog Gegenmaßnahmen. So erließ er im Jahre 1522 ein Mandat zur Abgabe lutherischer Schriften, das kaum befolgt wurde. Nur vier Exemplare des Testaments sind abgegeben worden, eines davon durch den Ratsherrn Preußer 17 . Als 1524 der Leipziger Drucker Thanner Luthers Übersetzung des Neuen Testaments nachdruckte, verwendete sich sogar der Stadtrat für ihn beim Merseburger Bischof, den in geistlichen Angelegenheiten für Leipzig zuständigen Oberherrn. Einige Ratsherren und reiche Bürger schickten außerdem ihre Kinder nach Wittenberg zur Schule. Mit dem Jahr 1522 tauchten die ersten evangelischen Prediger vornehmlich in den Vorstadtkirchen Leipzigs auf, so beispielsweise Stephan Schönbach, die mit ihren Predigten die Bewegung förderten und zu15

18

17

Vgl. Rachel, Walther, a. a. O., S. 208 ff. und Brod, Carl, Rat und Beamte der kurfürstlichen Stadt Zwickau, Zwickau 1927, S. 3 II. Vgl. Naujoks, Eberhard, Obrigkeitsgedanke, Zunftverfassung und Reformation, Stuttgart 1958, S. 56 ff. Wustmann, Gustav, Geschichte I, a. a. O., S. 390 ff.

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gleich den Wünschen, Hoffnungen und Forderungen breiter Kreise der Bürgerschaft Ausdruck gaben, denn in den Vorstädten wohnten vor allem die kleinbürgerlichen und plebejischen Schichten. Im Jahre 1523 nahm die von sozialen Motiven tief durchdrungene reformatorische Bewegung zum ersten Mal auch für das Stadtregiment bedrohlichen Charakter an. Der junge Pfarrer Sebastian Fröschel, der in Leipzig studiert hatte und in Wittenberg gewesen war, sollte an einem Tag im Oktober in der Johanniskirche predigen, fand aber die Tür vom Propst des Thomasklosters verschlossen. Eine große Menschenmenge versammelte sich daraufhin auf dem Johannisfriedhof, errichtete eine Kanzel im Freien, und die Predigt fand trotzdem statt. Auf Bitten von Ratsmitgliedern mußte Fröschel die aufgebrachte Menge beruhigen. Ein Tumult konnte gerade noch verhindert werden. Daraufhin wurde der Pfarrer vor den Bischof und später zum Herzog auf die Pleißenburg zitiert, der ihn schließlich seines Landes verwies.18 Schon im Februar 1524 verbot Herzog Georg wiederum Zusammenkünfte und geheime Versammlungen der Evangelischen, die besonders von Handwerkern und Zunftangehörigen besucht worden waren, und er schärfte dem neuen und alten Rat ein, weder solche „conventikula" zu erlauben noch „Lästerschriften" heimlich oder öffentlich kursieren zu lassen.19 Im gleichen Jahr trat erneut ein lutherischer Prediger, Andreas Bodenschatz, in einer Vorstadtkirche auf. Der herzogliche Rat, Dr. Georg von Breitenbach, berichtete darüber, „das das volk alhir aus solchem predigen seher kun wirt, dye pfarkirchen und den gotsdinst zuvorlassen, auch wider gaistliche und weltliche obirkait helle vorachtlichen zu reden, als weren sye yn dem kayner obirkait gehorsam zu laisten schuldig."20 Es ist bemerkenswert, daß Bodenschatz auch von einigen der reichsten Leipziger Bürger unterstützt wurde, so von Heinz Scherl21 und Martin Leubel22, hinter denen sicher auch Ratsmitglieder standen.23 Ein großer Teil der Bürgerschaft wünschte nun, daß der reformatorische Prediger Andreas Bodenschatz nicht mehr in der kleinen Vorstadtkirche des Jungfrauenklosters vor dem Peterstor reden sollte, sondern in einer der viel größeren Stadtkirchen. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, verfaßte man Anfang April 1524 eine Petition, die von 105 Leipziger Bürgern aus allen Schichten unterschrieben und an den Rat der Stadt gesandt wurde. 18

19 20 21

22 23

Beier, Karl, und Dobritzsch, Alfred, Tausend Jahre deutscher Vergangenheit in Quellen heimatlicher Geschichte, Bd. 1, Leipzig 1911, S. 211 ff.; Buchwald, Georg, Reformationsgeschichte, a. a. O., S. 62 ff. Beier, Karl, und Dobritzsch, Alfred, a. a. O., S. 216 f. Ebenda, & 219. Scherl versteuerte „in golde 10 200 fl", wohnte in der Katharinenstraße. Vgl. Wustmann, Gustav, Quellen I, a. a. O., S. 176. Leubel versteuerte 9 150 fl., wohnte am Markt. Vgl. ebd. S. 167. Beier, Karl, und Dobritzsch, Alfred, a. a. O., S. 22.

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Die Forderung, Bodenschatz möge das Predigen entweder in der Nikolaioder Thomaskirche erlaubt werden, begründete man folgendermaßen: - Man habe in der Stadt zu wenig geeignete Prediger, deshalb verlasse „ein groß volk menlich und weiblich geschlechts" die geräumigen Stadtkirchen und gehe „vor das thor an ungelegene unbequeme stelle und winkel", also in die Vorstadtkirchen. - Der im Nonnenkloster predigende Bodenschatz vermittele das Wort Gottes ganz rein, lauter und unvermischt. - In der Stadt gäbe es geräumigere Kirchen genug, so daß dort zu predigen viel besser wäre. - Sollte einmal in der kleinen Kirche der Vorstadt ein Feuer ausbrechen, dann würde „ein merklicher schade mit erdruckung und beschedigung vyler menschen ergehen". - Die Unterzeichneten baten den Stadtrat, er möge sich beim Bischof von Merseburg dafür einsetzen, daß Andreas Bodenschatz an einer der Pfarrkirchen predigen könnne, da dieser „zu keiner aufrur noch eynychen wyderwillen predigt, sunder das volke vylmer zu gehorsam und untertenickeyt, der oberkeyt und prelaten, geystlich und weltlich zu geleisten."24 Die Unterzeichner dieser Petition waren u. a. Wolf von Lindenau, Besitzer des gleichnamigen Gutes vor den Toren der Stadt, ferner der schon genannte Martin Leubel, der Universitätsprofessor und Arzt Dr. Sebastian Roth, die Kaufleute Lucas Straub, Marcus Schütz, Wolf Preußer und Hans Lochner, die Buchdrucker bzw. Buchhändler Melchior Lotter, Jakob Stockei, Michel Blum, Nikel Schmid sowie Peter Clement und Liborius Dietmar, bei denen Martin Luther anläßlich seines Aufenthaltes im Jahre 1518 in Leipzig gewohnt hatte. Außerdem gehörten noch eine ganze Menge Handwerker und „kleine Leute" zu denen, die ihre Unterschrift gegeben hatten, vor allem auch diejenigen, die später zur kleinbürgerlich-plebejischen Oppositionsbewegung des Jahres 1525 gehören sollten: Michel Rumpfer, Simon Fuge, Antoni Bock, Thomas Hermann, Franz Marolt, Christoff Knobloch, Jakob Trips, Lucas Behr, Mattis Hermann, Hans Intersdorff, Philip Roß, Nickel Schmid. Es handelte sich also um eine Aktion, hinter der breite Teile der Bürgerschaft in seltener Geschlossenheit standen. Tatsache ist aber auch, daß bekannte lutherisch gesinnte Bürger nicht zu den Unterzeichnern dieser Petition gehörten, wie zum Beispiel der Bürgermeister Belgershain oder der Fugger-Faktor Andreas Matstet25. Sie hatten sicher gute Gründe, sich zurückzuhalten. Jedenfalls wurde die Bittschrift auf dem Rathaus verlesen und beschlossen, eine Delegation mit ihr zum Herzog nach Dresden zu schicken, um ihn für diesen Vorschlag zu gewinnen. Der Stadtrat hatte also eine Entscheidung nicht auf sich nehmen wollen. Herzog Georg lehnte jedoch brüsk mit dem Hinweis ab, die Stadtkirchen seien mit 24

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Geß, Felician, Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen, Bd. I, Leipzig 1905, Nr. 630; Beier, Karl, und Dobritzsch, Alfred, a.a.O., S. 221 f. Kroker, Ernst, Leipzigs Aufblühen, a. a. O., S. 142.

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guten Predigern versehen, und den Initiatoren dieser Petition, vor allen Dingen den Kaufleuten, antwortete er: „das sie doruf achtgebenn das nymants mit monopolischer handelung ader böser wechselmunz beschwert und gute waher umb zymlich gelt geben werde" und niemand mit Wucher betrogen würde. Den Handwerkern aber legte er nahe, „das sie eynem yden seyne wäre machen, die sye ym vorkeufen, das er domit vorsorget sey"26. Mit dieser landesherrlichen Ablehnung und gleichzeitigen Zurechtweisung hatte die reformatorische Bewegung zunächst einen Rückschlag erhalten, wenn auch ihre weitere Entfaltung damit nicht verhindert werden konnte. In Mai 1524, also zu einem Zeitpunkt, als sich der Bauernkrieg in Südwestdeutschland anzukündigen begann und in mehreren Städten des Reiches Klosterstürme stattfanden, kam es wegen einer Verweigerung von Abgaben und Diensten der Bauern von Holzhausen dem Leipziger Thomaskloster gegenüber zu einer bemerkenswerten Entscheidung sächsisch-kurfürstlicher Räte. Was war geschehen? Die Holzhäuser Bauern hatten dem Thomaskloster seit zwei Jahren weder Dienste, Geld- noch Getreideabgaben zukommen lassen, sie wollten „gantz frey seyn", wie der Klosterkämmerer berichtete.27 Zweifelsohne war diese Forderung eine Auswirkung der reformatorischen Bewegung, die selbstverständlich auch die Dörfer der Leipziger Umgebung erfaßt hatte, und dies um so mehr, weil Holzhausen zum Amt Grimma und damit zum kurfürstlichen Gebiet gehörte, in dem sich die Reformation ungehindert ausbreiten konnte. Holzhausen, nahe Leipzig gelegen, war ein Dorf, das nach dem Türkensteuerregister von 1475 insgesamt 27 Bauern aufwies, 1529 gab es unter ihnen neun Pferdner und 1551 zählte es 32 besessene Mann, 44 Inwohner, die über 30 Hufen Land verfügten. 28 Seit 1383 gehörte das Dorf dem Thomaskloster. Zwei aufeinanderfolgende Mißernten waren der Anlaß für die Verweigerung der Geldabgaben, die nach einer Aufstellung von 1541 insgesamt 25 Schock, 7 Groschen, 5 Pfennig und einen alten Heller ausmachten. Dazu kamen 290 Scheffel Getreidezinsen in Korn, Weizen, Gerste und Hafer, und an Frondiensten hatten 30 Bauern mit je zehn Pflügen je vier Tage zu arbeiten sowie 20 Gärtner je einen Tag Handfron abzuleisten.29 Wenn man bedenkt, daß der Pastor der Thomaskirche jährlich 200 Gulden, der Rektor der Thomasschule 80 und der Kantor 40 Gulden bekamen,30 ein Leipziger Scheffel Weizen jedoch mindestens zwei, ein Scheffel Roggen einen Gulden kostete, dann waren das beträchtliche Geld- und Naturalleistungen. Aus all diesen Angaben ist zu erkennen, daß die Lage der Bauern wohl durch die Mißernten schwierig ge26 27

28

29 30

Geß, Felician, Akten I, Nr. 643. UB Leipzig Bd. 2, (CDS II, 9), Leipzig 1872, Nr. 415. Beier, Karl, und Dobritzsch, Alfred, a. a. O., S. 92 ff. Historisches Ortsverzeichnis von Sachsen, Leipzig 1957, S. 210. Festschrift zum Heimatfest der Gemeinde Holzhausen, Holzhausen 1954, S. 4. Vgl. Beier, Karl und Dobritzsch, Alfred, a. a. O., S. 87 f. Vgl. St. Thomas zu Leipzig, Hrsg. Stiehl, Herbert, 2. Aufl., Berlin 1971, S. 40 fi.

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worden, aber auch nicht hoffnungslos schlecht war. Die Verweigerung kann nicht allein aus ihrer ökonomischen Situation erklärt werden, sondern sie hatte auch ihre Ursachen in dem Bestreben, sich aus dem feudalen Abhängigkeitsverhältnis zu befreien. Die Abgaben und Dienste der Holzhäuser Bauern stellten im Verhältnis zum Gesamtbesitz des Klosters nur einen geringen Teil dar, denn ihm gehörten außerdem noch die Dörfer Pfaffendorf, Baalsdorf, Probstheida, Connewitz, Kleuden, Zuckelhausen, Mölkau, Wolfshain, Zwenfurth, Sommerfeld sowie Dorfanteile in anderen Dörfern und einzelne Güter31. Das Thomaskloster war damit einer der größten feudalen Grundbesitzer in der Umgebung Leipzigs. Aber auch in der Stadt waren die „Thohiasser" bei vielen Bürgern und Plebejern wegen ihrer Stellung, ihres Reichtums und ihrer konservativen Haltung weithin unbeliebt, sicher manchmal sogar verhaßt, denn anläßlich der Bewegung von 1525 hatte man unter den Aufständischen erwogen, das Thomaskloster zu stürmen und die Mönche totzuschlagen. Um eine Entscheidung in der Auseinandersetzung mit den Bauern Holzhausens zu erzwingen, wandten sich die Klosterherren an den sächsischen Kurfürsten, der wiederum seine Räte beauftragte, die Angelegenheit zu regeln, was in Torgau am 4. Mai 1524 geschah. Die Bauern wurden zu diesen Verhandlungen nicht hinzugezogen, obwohl sie die folgenden Festlegungen in erster Linie berührten: 1. Sie sollten Pacht, Getreideabgaben und Zinse in Leipziger Maß und Scheffel auch zukünftig dem Propst und damit an das Kloster geben2. Infolge der Mißernten in den letzten zwei Jahren wurde den Bauern der Getreidezins für diese Zeit um ein Drittel erlassen. Für die verbleibenden zwei Drittel mußten sie Geld zahlen (53 gute Schock, 8 Groschen, 9 Pfennige) in verschiedenen Etappen. 3. Die ausstehenden Geldzinse wurden bis zum nächsten Bartholomäustag (24. August) gefordert. 4. Die versäumten Frontage mußten nachgeholt und auch zukünftig Dienste, Fronen und Abgaben wie von altersher geleistet werden, die Pferdner vier Tage Acker-, die Gärtner einen Tag Handfron. 5. Sind die Bauern in ihren Leistungen säumig, konnte der Propst des Klosters die Hilfe des Schössers zu Grimma in Anspruch nehmen. 32 31

32

Zum Vergleich mit Holzhausen: Baalsdorf 1552 21 besessene Mann, 10 Inwohner Connewitz 1552 21 besessene Mann, 24 Inwohner Cleuden 1552 9 besessene Mann, 8 Inwohner Mölkau 1552 10 besessene Mann, 14 Inwohner Sommerfeld 1552 26 besessene Mann, 14 Inwohner Zuckelhausen 1551 13 besessene Mann, 28 Inwohner Alle Angaben sind dem Historischen Ortsverzeichnis entnommen. UB Leipzig Bd. 2 (CDS II, 9), Nr. 415.

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Nach dieser Entscheidung war der Widerstand der Bauern fast vergeblich geblieben. Ihrer isolierten Aktion - von ähnlichen Dienst- und Abgabeverweigerungen in anderen Klosterdörfern berichtet die Überlieferung nichts wurde das gemeinsame Handeln von Kirche und Staat entgegengesetzt. Leider geben die Quellen keine Auskunft über das weitere Verhalten der Holzhäuser Bauern, und trotzdem war auch ihr vergeblicher Widerstand Teil eines Kampfes, der in den Bauernkrieg mündete. Er begann mit der Erhebung der Stühlinger Bauern im Juni 1524 in Südwestdeutschland. Fast zur gleichen Zeit setzten die bäuerlichen und städtischen Bewegungen in Thüringen ein, wie zum Beispiel der Aufstand der Müntzer-Anhänger in Sangerhausen. Bis zum April/Mai des Jahres 1525 hatte er sich über die Gebiete des Schwarzwaldes, Württembergs, Badens und Thüringens ausgebreitet und seinen Höhepunkt erreicht. In zahlreichen größeren deutschen Städten lehnten sich gleichzeitig Bürger und Plebejer gegen das patrizische Ratsregiment auf, so auch zahlreiche Stadtgemeinden im Umkreis von Leipzig. Aufstände und reformatorische Bewegungen gab es in Torgau, Halle, Merseburg, Pegau und Altenburg. In 44 Dörfern des Amtes Borna standen unmittelbar vor den Toren Leipzigs die Bauern auf.33 Davon konnte die Bürger- und Einwohnerschaft Leipzigs nicht unberührt bleiben. Als am 18. April 1525 mit der Erhebung der Bauern und Bürger in Fulda der thüringische Bauernkrieg seinem Höhepunkt zustrebte - später hat Michel Rumpfer dieses Ereignis in einem Verhör besonders hervorgehoben34 - , war man in Leipzig ebenfalls um den „Aufruhr besorget"35. Deshalb hielt sich der Stadtrat 40, später 35 bewaffnete Knappen, die Tag und Nacht auf dem Rathaus über sieben Wochen Wache halten mußten. Ferner wird berichtet, daß außerdem mit diesen Söldnern noch zwölf Leineweberbürger aufs Rathaus zur Wache befohlen wurden.36 Was veranlaßte den Rat, ausgerechnet die Leineweber zum Wachdienst zu verpflichten, wo sie doch zu den ärmsten Handwerkern der Stadt gehörten? Einer von ihnen, Jakob Tryps, sollte sich unmittelbar darauf an der Bewegung gegen den Stadtrat beteiligen! Vielleicht glaubten die schlauen Ratsherren, wenn sie die Leineweber mit einer Söldnerwache unter dem Kommando von Hans von Schleiz aufs Rathaus legten, daß sie sie dann besser unter Kontrolle hätten? Noch mehr besorgt wegen der zahlreichen Aufstände war Herzog Georg als Landesherr. Er rüstete fieberhaft, um gegen die Bauern und Bürger in Sachsen und Thüringen mit Gewalt vorgehen zu können. Vor allem der Aufstand unter Thomas Müntzers Führung in Mühlhausen war für ihn der gefähr33

34 35 38

Vgl. zu Zwickau, Halle und Merseburg, Fuchs, Walter Peter, Akten zur Geschichte des Bauernkrieges in Mitteldeutschland, Bd. II, Jena 1942, Nr. 1212, 1266, 1278, 1283, 1307. Zu Pegau Gössel, Johannes, in: Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung 1905, S. 509 ff. Beier, Karl, und Dobritzsch, Alfred, a. a. O., S. 232. Ebenda, S. 229. Wustmann, Gustav, Geschichte I, a. a. O., S. 406.

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lichste, den es besonders schnell und wirkungsvoll zu unterdrücken galt. Aber dazu brauchte man viele Söldner und noch mehr Geld. Da die Bevölkerung seines Landes wußte, wozu diese eingesetzt werden sollten, brachte sie besonders der Söldnerwerbung Widerstand entgegen. Am 8. Mai 1525 berichtete der Amtmann Antonius Kospoth an seinen herzoglichen Herrn, daß weder in Joachimsthal noch in Wolkenstein, Geyer und Ehrenfriedersdorf auch nur ein Knecht geworben werden konnte: „ . . . w i r haben wider umb gelt nach gutte wort alda nicht ein knecht aufbrengen mugen . . .'l37 Der Feldhauptmann Utz von Sulgau mußte allein nach Leipzig ziehen. Hier hatte allerdings der Rat das Geld für den Sold von 300 Knechten für zwei Monate in Höhe von 2 400 Gulden bewilligt.38 In diesen Maitagen sammelte sich die herzogliche Söldnertruppe in Leipzig. Die „Büchsen" - sicherlich Falkonetts von je sieben Zentner Gewicht, die von drei Pferden gezogen wurden und Kugeln von je zwei Pfund Gewicht verschossen - wurden bei ihrem Durchzug auf dem Markt aufgestellt. Sie sollten dann im Kampf gegen die aufständischen Bauern unter Thomas Müntzers Führung in Thüringen eingesetzt werden. All diese Rüstungsvorbereitungen konnten natürlich den Leipzigern nicht verborgen bleiben. Einige von ihnen versammelten sich auf dem Markt, um die Landsknechte von diesem Unternehmen abzuhalten: „ . . . eß sey wider got, das man die armen lewte also morden sal; Solnn do heim bleyben wollenn die closter oberfallen vnd die Reichen burger plundernn" 39 . Danach sollten die Söldner vom Kampf gegen die Bauern ablassen und lieber gegen die Mönche und reichen Bürger ziehen. Der Herzog wurde als einer bezeichnet, der unschuldiges Blut vergießen wolle, er sei ein „plutsuchtiger", ein „Tyrannisch bluthundt", und der schon genannte Leineweber Jakob Tryps hatte einen Söldner aufgefordert, er solle nicht gegen die Gerechtigkeit ziehen.40 Michel Rumpfer, der Ringschmied, war mit Thomas Hermann und Philip Schneider, der den Herzog ein „Tyrannisch bluthundt" genannt hatte, auf den Markt gegangen. Dort standen noch der Schneider Philip Roß, der Kleinschmied Jorg Groß sowie die Bürger Antony Bock, Simon Fuge, Christoff Knobloch, Bastian Buchbinder und die Magister Conrad Berckhamer und Novenianus, die sicherlich mehr oder weniger erregt mit den Söldnern über deren Einsatz zur Bekämpfung der Bauern debattierten. Es ist anzunehmen, daß außer den Genannten sich noch mehr Einwohner auf dem Markt versammelten. Aber diese wurden als Hauptakteure in Haft genommen und verhört. Nur durch die Verhörsprotokolle kennen wir ihre 37

38

39 40

Zit. bei Bensing, Manfred, Thomas Müntzer und der Thüringer Aufstand 1525, in: Leipziger Übersetzungen und Abhandlungen, ReiheB, Bd. X, Berlin 1966, S. 213. Beier, Karl, und Dobritzsch, Alfred, a.a.O., S. 229. Wustmann, Gustav, Geschichte I, a. a. O., S. 406. Beier, Karl, und Dobritzsch, Alfred, a. a. O., S. 230. Alle Zitate und Namen vgl. in: Geß, Felician, Akten Bd. Ii, Leipzig 1®17, Nr. 1068L

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Namen. Einige dieser Bürger haben vor den Knechten auf dem Markt keinen Hehl daraus gemacht - so z. B. Michel Rumpfer, Thomas Hermann, Philip Schneider, Christoff Knobloch - , daß sie für die Sache der Bauern eintraten und die Obrigkeit verachteten. Das jedoch war für den herzoglichen Hauptmann Andreas Pflug und den regierenden Bürgermeister Abt das Signal, sofort einzugreifen. Sie ließen diejenigen verhaften und verhören, die am aktivsten auf dem Leipziger Markt diskutiert hatten. Dabei stellte sich heraus, daß beim Weinschank des Priesters Christoff - er war reformatorisch eingestellt und hatte ebenfalls den Herzog Georg als „Tyrannisch Fürst", der „die armen leute also umbringt", bezeichnet - eine Reihe Bürger zusammenkamen - unter ihnen Thomas Herman, Mattis Herman, Simon Fuge, Philip Schneider, Nikel Schmid, Lucas Schneider, Lucas Behr, Hans Intersdorff, Martin Riedt u. a. - , die über einen möglichen Einzug der Bauern in die Stadt und die sich daraus ergebenden Folgen gesprochen hatten. Die Untersuchung durch die landesherrlichen und städtischen Behörden brachte interessante und folgenschwere Tatsachen ans Tageslicht. Vor allen Dingen wurden dadurch die Vorstellungen, Forderungen und Wünsche der kleinbürgerlich-plebejischen Opposition offenbar, deren revolutionärer Repräsentant eben der Ringschmied Michel Rumpfer gewesen ist. Diese kleinbürgerlich-plebejische Opposition war aus der Reformationsbewegung herausgewachsen ; sie hatte sich entschieden radikalisiert. Trat in der reformatorischen Bewegung vom April 1524 noch ein großer Teil der Bürgerschaft mit jener Petition vereint auf, evangelische Pfarrer für die Stadtkirchen fordernd, so hatten der Verlauf und die Ereignisse des Bauernkrieges diese Einheitlichkeit zerstört. Nun waren die reichen Bürger um ihr Hab und Gut besorgt, denn viele von ihnen besaßen Höfe, Dörfer oder Dorfanteile in Leipzigs Umgebung, verfügten über hörige Bauern, so z. B. auch einer der reichsten Leipziger, der schon genannte Martin Leubel. Er wandte sich unter dem Eindruck der Bauernbewegung und der Politik des Herzogs Georg wieder dem Katholizismus zu.41 Sein Klasseninteresse deckte sich mit dem der Feudalherren und des Landesherrn. Das revolutionäre Geschehen machte die Spaltung des kleinbürgerlich-plebejischen Flügels von der bürgerlich-gemäßigten Opposition unausweichlich, da ihre sozialen und politischen Wünsche und Sehnsüchte nur durch den Bauernkrieg Aussicht hatten, erfüllt zu werden. Unter den 105 Bittstellern des Jahres 1524 waren zwölf Personen, die sich nunmehr an der Bewegung im Mai 1525 beteiligten, und die m. E. dieser kleinbürgerlich-plebejischen Opposition zugehörten: 1. Michel Rumpfer, erwarb 1518 „propter veritatem artificii" das Bürgerrecht, ohne Bürgergeld zu zahlen-

41

Vgl. Anmerkung 22 und 25.

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2. Lucas Behr (Beher), wahrscheinlich wohnhaft in der Nikolaistraße, Mietling. 3. Antony Bock, wohnte Barfüßergasse, versteuerte 228 Schock Groschen (1529). 4. Simon Fuge, wohnte am Markt (ohne weitere Angaben). 5. Mattis Herman (ohne Angaben). 6. Thomas Herman, wohnte Barfüßergasse, versteuerte 315 Schock Groschen. 7. Hans Intersdorff, Seiler, wurde 1526 vom Rat auf Befehl Herzog Georgs angewiesen, seinen Besitz zu verkaufen, Stadt und Weichbild zu verlassen, erscheint trotzdem 1529 als Mietling auf dem Grimmaischen Steinweg mit dem Vermerk „nihil habet". 8. Christoff Knobloch, wohnte im Brühl als Mietling. 9- Frantz Morolt (Marolt), wohnte in der Hainstraße, versteuert 1529 175 Schock Groschen, erscheint 1527 als Beisitzer der Schuhmacherinnung. 10. Philip Roß (Rossen), Schneider, wohnte in der Thomasgasse als Mietling. 11. Nikel Schmid, Buchdrucker und Buchführer, wohnte Grimmaische Straße, versteuerte 1529 280 Schock Groschen. 12. Jacob Tryps (Triptis), Leineweber, wohnte Ranstädter Steinweg, versteuerte 12 Schock Groschen.42 Ferner wurden noch folgende Personen im Zusammenhang mit der MaiBewegung 1525 genannt: 1. Paul Beutler, wohnte in der Thomasgasse. 2. Blesing Jorgen, hat mit anderen darüber gesprochen, daß man „Thomasser" „pochen und totschlagen" müsse. 3. Bastian Buchbinder 4. Christoff der Priester 5. Jorg Groß, Kleinschmied 6. Wolff Satler 7. Philip Schneider 8. Urban Ulrich 9. Urban Wintzenberger.43 Die Hauptforderungen der revolutionären Kräfte dieser kleinbürgerlichplebejischen Opposition, allen voran Michel Rumpfers, bestanden in der radikalen Veränderung der kirchlichen Zustände, der Machtverhältnisse in der Stadt sowie der Vertreibung der Fürsten, Herren und Edelleute. Diese Absichten rührten jedoch an den Grundbestand der feudalen Gesellschaftsord42 43

9*

Vgl. Geß, Felician, Akten II, Nr. 1063 und Akten I, Nr. 630. Wintzenberger ist aus dem Harz gekommen, hat in Mühlhausen übernachtet und dort gehört, daß der Herzog gegen die Mühlhäuser rüstete. In Leipzig hat W. zu einem Gesellen „in der Zciegelscheun" darüber gesprochen. Bensing, Manfred, Thomas Müntzer, a. a. O., S. 214, nennt W. einen, der in Leipzig für die Sache Müntzers agitiert. Ob beide direkte Verbindungen miteinander hatten, kann nicht nachgewiesen werden.

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nung. Sie hofften darauf, die aufständischen Bauern kämen in die Messestadt und das böte die Gelegenheit, das bisherige „Regiment" in Leipzig zu verändern und durch ein „gut Ewangelisch" zu ersetzen. Nach der Aussage Rumpfers schreckten diese revolutionären K r ä f t e auch nicht vor der Anwendung von Gewalt zurück: „er halt das fürs ewangelium, das monch und pfaffen, nonnen, bischof und prelaten nichts mehr sein sollten, das man wol daran tue, das man sie zustore, das ire neme und die oberkeyt verandere." 44 Die religiöse Motivierung des antifeudalen Kampfes entsprach der ideologischen Situation dieser Zeit sowie der Tatsache, daß Religion und Kirche einen tiefen Einfluß auf das Denken und die Bildung der Menschen ausübten. Die mit einem Aufstand gegen die Obrigkeit rechnenden Handwerker - und das waren fast alle Beteiligten - besaßen die Überzeugung, daß Gott ihnen helfe: „vnser hergot wurde es wol schicken". A b e r Herzog Georg, der ihnen als Repräsentant der Feudalklasse galt, der „von seinem Tyrannischen leben nicht lassen will, dass got erbarme, das der Tyrannisch bluthundt sein feust In der armen blut begert zuwaschen", müsse gestraft werden. Sie wären willens gewesen, sagte Rumpfer aus, „Fürsten, Herren und edelleut zuuortreyben", weil solches „Im alten vnd neuen tastament gegründet sey". A u s Michel Rumpfers „bekenntniß auff der leitter", also in der Folter, wurde weiterhin eine Haltung deutlich, die in erster Linie den revolutionären bäuerlich-plebejischen K r ä f t e n entsprach, die Ablehnung der feudalen Unterdrückung und die Sympathie für die bewaffneten Aktionen der Bauern: „Mehr sagt er, das sie nicht haben wollen leyden, das der adel dy armen pauern ßo hart sollen beschweren, als mit fronen vnd b o t t e n l a u f f e n . . . , das es inen allen w o l gefallen habe, was die pauern vorgenomen vnd gehandelt h a b e n . . . , das Ir vngeuerlich Zehen ander Zwentzig vmd dyse handelung gewußt haben, vnnd zusammen gesagt, wen dy pauern komenn, So wollen Sie zu ynen tretten" 45 . Aber auch eine Veränderung des Stadtregiments w a r von den Aufständischen im Falle eines Sieges beabsichtigt. V o m „radthauß herab geworffen haben" wollte man alle diejenigen Ratsherren, die dem „Euangelio entgegen sind gewesen", allen voran den regierenden Bürgermeister A b t ; andere wiederum, wie zum Beispiel Dr. Auerbach, den Schöppenschreiber (wahrscheinlich Lizentiat Andreas Camisianus), den Stadtschreiber, ferner Wolf Wideman, Urban Ulrich, Barthel Lichtenhain u. a., die dem Evangelium anhingen, also lutherisch gesinnt waren, wollte man jedoch im Rat belassen. Einige Gesetze und Verordnungen sollten beseitigt werden. Diese Tatsache weist auf eine ebenfalls häufige Erscheinung bei städtischen Bewegungen vor und w ä h rend des Bauernkrieges hin, die in der Kompromißbereitschaft der Aufständischen bestand. Sie resultierte aus ihrer kleinbürgerlichen wirtschaftlichen

44 45

Geß, Felician, A k t e n II, Nr. 1063, S. 311. Beier, Karl, u n d Dobritzsch, Alfred, a. a. O., S. 233.

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sozialen und politischen Stellung, die sie zu Zugeständnissen trieb, was ihnen oft genug zum Verhängnis geworden ist. Aber, wie schon gesagt, zum offenen Aufstand in Leipzig sollte es nicht kommen. Ob er auch ausgebrochen wäre, ohne daß die Bauern vor den Toren erschienen, ist eine Spekulation, obwohl Herzog Georg in einem späteren Brief an den Bischof von Straßburg am 12. August 1525 schrieb: „So Gott der Allmächtige nicht sein Gnad gegeben, daß der böse Häuf vor Frankenhausen niedergeleget und die von Mülhausen gedemütiget worden, so wäre zu besorgen gewesen, daß, ehe Pfingsten kommen, so hätt ichs zu Leipzig auch gehabt" 46 . Die zunehmende Gefahr der Bewegung, angefangen von den reformatorischen Bestrebungen großer Teile der Bürgerschaft bis zum antifeudalen Aufbegehren einer kleinen Gruppe radikaler kleinbürgerlich-plebejischer Kräfte mit dem Ziel revolutionärer Veränderungen in Territorialstaat, Stadt und Kirche war den herrschenden Mächten Veranlassung, hart zuzuschlagen. Einen Teil von ihnen hat man sofort gefangengesetzt und verhört. Die Verhörsprotokolle sind teilweise erhalten, so von Michel Rumpfer, Christof dem Priester, dem Büttner Blesing Jorgen, dem Leineweber Jakob Tryps, dem Schneider Philip Roß, dem Seiler Hans Intersdorff, ferner von Antony Bock, dem Beutelmacher Paul Golis, Urban Wintzenberger (Barbach) und Andreas Camisianus, dem Schöppenschreiber. 47 Diese Protokolle müssen natürlich als Quelle besonderer Art betrachtet werden, denn die Verdächtigten oder Angeklagten wußten ja, daß sie sich je nach ihrer Aussage be- oder entlasten konnten. Deshalb hatte auch Michel Rumpfer, der sich zu seinen Auffassungen eindeutig und standhaft bekannte, darüber geklagt: „aber nu wolle ein yder den köpf aus der slyngen ziehen und ine alleyn darinne steecken lassen" 48 . Wie dem auch sei! Eines weisen die Protokolle unzweifelhaft nach: daß sich das Denken und Handeln dieser kleinbürgerlich-plebejischen Opposition gegen die Grundfesten der feudalen Gesellschaft richtete. Und danach entschieden auch der Herzog und seine Beauftragten. Mitte Juni kam Georg als Sieger über die Bauern zurück nach Leipzig, nachdem am 27. Mai Thomas Müntzer hingerichtet worden war. In diesen Junitagen müssen die Verhöre und Gerichtsverfahren stattgefunden haben. Sofort danach ließ der Herzog das Urteil vollstrecken. Den Ringschmied Rumpfer traf es am härtesten. Er wurde auf offenem Markt enthauptet, zur Abschreckung gegenüber der gesamten Bürgerschaft. Die Stadtrechnungen bestätigen diesen Akt auf ihre Art: „Sabatho Johannis Baptistae (24. Juni) dem Totengräber von dem Rinkenschmied zu begraben 5 Groschen" 49 . In welchem Maße noch Strafen und Sanktionen durch den Fürsten gegenüber Teil46 47

48 49

Zitiert bei Wustmann, Gustav, Geschichte I, a. a. O., S. 410. Vgl. Geß, Felician, Akten II, S. 310 ff.; Beier, Karl, und Dobritzsch, Alfred, a. a. O., S. 231 ff. Geß, Felician, ebd., S. 312. Wustmann, Gustav, Geschichte I, a. a. O., S. 409.

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nehmern, anderen Bürgern und der Stadt verhängt worden sind, kann nicht eindeutig festgestellt werden.50 Auf die Enthauptung Rumpfers folgte noch ein Nachspiel. Am darauffolgenden Tag, sonntags, dem 25. Juni 1525, hielt der herzogliche Rat und Stadtratsmitglied 1519 und 1520, Dr. Simon Pistoris, den Leipziger Bürgern eine öffentliche „Strafpredigt", deren Konzept uns ebenfalls erhalten ist.51 Er ging davon aus, daß die sächsischen Fürsten die Stadt allezeit besonders gefördert hätten, demgegenüber wären aber etliche Bürger in aller Öffentlichkeit dagegen aufgetreten, als der Herzog wider die aufrührerischen Bauern zog, ja, einige hätten ihnen sogar die Tore öffnen, die Stadt plündern und verschiedene Ratsherren umbringen sowie Fürsten, Grafen, Herren und andere Obrigkeiten vertilgen wollen. Dafür habe der Ringschmied seine Strafe empfangen, andere wurden ins Gefängnis gesteckt. Außerdem scheuten sich viele Leute nicht, davon zu reden, daß aus der Heiligen Schrift hervorgeht, „fursten, grafen, herren und alle Oberkayt zu vertylgen und sich von allen zynsen, geschossen, tribut und aufsetzen zu freyen". Aber diese Ansicht komme nur aus den Büchern und Schriften von Martin Luther und seinen Anhängern. Deshalb sei durch päpstliche und kaiserliche Mandate sowie durch Verbote des Herzogs davor gewarnt worden, denn aus dieser verführerischen neuen Lehre käme nur Raub, Brand und Blutvergießen. Manche der Bürger könnten es trotzdem nicht unterlassen, sich „wynkelprediger" zu halten und ihre Weiber und Kinder mit der neuen Lehre zu vergiften. Wenn es auch so sein sollte, daß einige sich durch diese Schriften nicht zum Aufruhr reizen ließen, sind sie denen, die das tun, doch behilflich. Denn der Ringschmied habe ja bekannt, daß im Falle des Aufstandes gegen den Stadtrat oder der Erstürmung des Thomasklosters ihm alle diejenigen zugesprungen wären, „dye er hat sehen den predygern der Lutterischen lehre nachlaufen". Aber der Herzog habe nicht die Absicht, alle zu strafen, die zur Empörung neigten oder ihn mit groben Schmähworten angriffen, wenn sie sich „kegen yhn der gebur wol zu halten wyssen". Nur diejenigen, die für schuldig befunden wurden, daß sie die Stadt den Bauern hätten übergeben wollen, müßten bestraft werden. Mit einer erneuten Mahnung, sich von der neuen Lehre nicht verführen zu lassen und keine kirchlichen Neuerungen einzuführen sowie der nochmaligen Strafandrohung für Unbelehrbare, schloß der herzogliche Rat Dr. Pistoris seine Rede an die Leipziger Bürger. Diese „Strafpredigt" ist der eindeutige Beweis dafür, daß der Herzog und seine Ratgeber den Kampf der Bauern und die Bewegung der kleinbürger50

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Seidemann, Johann Karl, Die Reformationszeit in Sachsen von 1517 bis 1539, in: Beitr. zur Reformationsgeschichte, Heft 2, Dresden 1846, S. 90, und St. Thomas zu Leipzig, a.a.O., S.35, erwähnen acht Hinrichtungen und 700fl Geldbuße, die Leipzig angeblich bezahlen mußte. Darüber habe ich in den Quellen keine Angaben finden können, auch Wustmann, Gustav, Geschichte I, a. a. O., S. 406, berichtet darüber nichts. Geß, Felician, Akten II, Nr. 1063, S. 307 ff.

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lich-plebejischen Opposition in Leipzig als gegen die Grundlagen seiner feudalen Herrschaft gerichtet ansahen. Aber noch schien ihm die Gefahr nicht endgültig überstanden, deshalb ließ er Pistoris vorsichtig taktieren, der einerseits die landesväterliche Großmütigkeit hervorhob, andererseits mit der Entschlossenheit und Strafgewalt des Herzogs drohte. An nächster Stelle aber stand die Sorge, daß neue Bewegungen und Aufstände durch die Verbreitung des Evangeliums und der lutherischen Lehre hervorgerufen werden könnten. Sie war in der Tat auch für Leipzig nicht unberechtigt, wie der weitere Fortgang der reformatorischen Entwicklung in Leipzig zeigen sollte: 1527 wurde Hans Hergot hingerichtet, und 1533 mußten evangelisch eingestellte Bürger Kaufleute, Handwerksmeister, Gesellen mit ihren Frauen und Kindern - zu Hunderten (schätzungsweise 400) die Stadt auf Befehl des Herzogs verlassen.52 In der Hinrichtung Hans Hergots wirkte der Bauernkrieg unmittelbar nach. Hergot, der ursprünglich in Nürnberg Drucker war, hatte im Jahre 1524 heimlich eine Schrift Thomas Müntzers gedruckt und vertrieben, ebenso Bücher von Martin Luther. Nach 1525 betätigte er sich an verschiedenen Orten als Buchhändler. Seine von ihm selbst verfaßte Schrift „Von der newen Wandlung eynes Christlichen Lebens" sollte die Ursache sein, daß ihn der Herzog in seinem Territorium ergreifen und in Leipzig hinrichten ließ. Diese Schrift trug den Charakter einer von bäuerlichen Verhältnissen geprägten konservativen Utopie, die entstellt und verzerrt volksreformatorische Ideen Thomas Müntzers aufgegriffen hatte. Sie muß „als Reflex auf die großen gesellschaftlichen Anstrengungen des offenen Kampfes verstanden werden"53, brachte den Bauern, die nun von den Herren besiegt worden waren, offene Sympathie entgegen. Aber Hergot sah einen Ausweg nicht im Kampf der Bauern, sondern im Glauben an metaphysische Wunder. Im Januar 1527 setzte man zwei Studenten gefangen, die diese Schrift verkaufen wollten. Das brachte die Fahndung nach ihrem Verfasser in Gang. Hans Hergot wurde in Zwickau verhaftet und auf Befehl Herzog Georgs in Leipzig auf offenem Markte am 20. Mai 1527 enthauptet. Wiederum verzeichnen die Stadtrechnungen seinen Tod durch folgende Eintragung: „Sabboto post cantate. Vom Hergot zubegraben dem Todengreber 6 gr."54. Es dürfte feststehen, daß der Herzog, genau wie bei Michel itumpfer, dieses Todesurteil zur Abschreckung vollziehen ließ, um die reformatorische Bewegung insgesamt, aber auch die in Leipzig einzudämmen. Es gelang ihm bis zu seinem Tod 1539 nicht. Sein Bru-

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Vgl. Wustmann, Gustav, Geschichte I, a.a.O., S. 415 ff.; St. Thomas zu Leipzig, a. a. O., S. 36 ff. ^schäbitz, Gerhard, „Von der newen Wandlung eynes Christlichen Lebens" — eine oft mißdeutete Schrift aus der Zeit nach dem Großen Deutschen Bauernkrieg, in: ZfG, 4/1960, S. 908 ff., bes. S. 917. Wustmann, Gustav, Geschichte I, a. a. O., S. 418. Beier, Karl und Dobritzsch, Alfred, a. a. O., S. 236.

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Karl Czok

der Heinrich ließ die Reformation dann durch obrigkeitlichen Befehl offiziell einführen. Überblickt man die Ereignisse in Leipzig während der Jahre 1524 und 1525, dann zeigen sich Reformation und Bauernkrieg in ihren sozialökonomischen, politischen und ideologischen Zusammenhängen, die untrennbar Bestandteil der frühbürgerlichen Revolution waren. Es offenbarten sich aber auch ihre Schwächen, die zur Niederlage der Aufständischen führten. Die kleinbürgerlich-plebejische Opposition war in ihren innerstädtischen Aktionen außerordentlich abhängig vom Erfolg oder Mißerfolg der kämpfenden Bauern. Während sie in Thüringen entweder schon von Anfang an mit ihnen gemeinsame Sache machten oder durch das Erscheinen der Bauernhaufen vor der Stadt zu gewaltsamem Vorgehen gegen Feudalität und Stadtregiment sich aufrafften, hielt sich die Opposition in der Messestadt vor radikalen Maßnahmen zurück. Sie beschränkte sich auf geheime Zusammenkünfte und spontane Diskussionen anläßlich der Söldner- und Waffenkonzentration auf dem Marktplatz. Obwohl Michel Rumpfer im Verhör gestanden hatte, daß er gegenüber den Ratsmitgliedern Urban Ulrich und Bartel Liechtenhain einen Plan erwähnt habe, etliche vom Rat absetzen zu wollen, widerrief er diese Aussage.55 Was er den beiden gegenüber „zu erkennen gegeben" hat, wird man sicherlich nur als bloße Absichtserklärung werten dürfen und nicht etwa als eine bis in alle Einzelheiten geplante konspirative Aktion. So wurde diese Aufstandsbewegung wie in manchen anderen deutschen Städten schon in ihren Anfängen zerschlagen, zumal auch das gemäßigt-oppositionelle Bürgertum sich zwar für reformatorische Veränderungen einsetzte, vor der elementaren Gewalt des Bauernkrieges mit seinen Forderungen und Zielen jedoch zurückschreckte. In diesem Fall überwand es sogar zeitweilig seine Differenzen und Rivalitäten mit dem Landesfürsten, um nicht den revolutionären oder radikalen Kräften ausgeliefert zu sein. Der Kampf jener Männer aber, die in Leipzig für eine gerechtere soziale und politische Ordnung eintraten, die sich nicht scheuten, offen ihrer Sympathie mit den kämpfenden Bauern Ausdruck zu geben, gehört zu den revolutionären Traditionen dieser Stadt und damit der Geschichte des deutschen Volkes.56 55 56

Gej3, Felician, Akten II, Nr. 1063, S. 311. Vgl. Czok, Karl, Revolutionäre Volksbewegungen in mitteldeutschen Städten zur Zeit von Reformation und Bauernkrieg, in: 450 Jahre Reformation, Hrsg. Stern, Leo, und Steinmetz, Max, Berlin 1967, S. 128 fE.

Siegfried Hoyer

Widerstandsrecht und Widerstandspflicht in der Flugschrift „An die versamlung gemayner pawerschafft" (1525)

Unter den zahlreichen Programmen des deutschen Bauernkrieges befinden sich nur wenige, die dem radikalen Flügel zuzurechnen sind. Neben den Schriften Thomas Müntzers und der Tiroler Landesordnung des Michael Gaismair wird als Programmschrift des „linken Flügels" meist nur der Artikelbrief der Schwarzwälder Bauern genannt. Ein weiteres Zeugnis entschiedenen revolutionären Denkens, das noch Wilhelm Zimmermann in seiner Geschichte des deutschen Bauernkrieges kannte und irrtümlich Thomas Müntzer zuschrieb,1 hatte das Schicksal, von der bürgerlichen Forschung der folgenden Jahrzehnte „vergessen" zu werden, bis es H. Hesselbarth und sein Lehrer M. M. Smirin2 wieder in das Blickfeld der Geschichtsschreibung rückten. Es handelt sich um die anonyme Flugschrift „An die versamlung gemayner pawerschafft / so in hochteütscher Nation / vnd vil anderer ort mit empo(e)rung vnd auffru(o)r entstanden". Sie besitzt gegenüber den anderen genannten Programmen, von Schriften Müntzers abgesehen, den wichtigen Vorteil für ihre zeitgenössische Resonanz, daß sie als eines der wenigen Zeugnisse der aufständischen Bauern sofort gedruckt wurde.3 Leider begünstigte das nicht die Erschließung durch die Geschichtswissenschaft. Der Druck blieb trotz exakter bibliographischer Erfassung4 in der zunehmenden Zahl der Akten- und Urkundenpublikationen zum deutschen Bauernkrieg unberücksichtigt, und noch Hesselbarth und Smirin benutzten deshalb eine Übersetzung ins Neuhochdeutsche, die O. H. Brandt als erste

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Zimmermann, Wilhelm, Geschichte des großen Bauernkrieges (Neudruck der 2. Aufl.), Bd. 1, Naunhof 1939, S. 323 ff. Hesselbarth, Hellmuth, Eine Flugschrift aus dem Großen Deutschen Bauernkrieg, in: ZfG 4/1953, S. 527 ff.; Smirin, M. M., Eine anonyme politische Flugschrift aus der Zeit des Großen Bauernkrieges, in: Beiträge zum neuen Geschichtsbild. Alfred Meusel zum 60. Geburtstag. Berlin 1956, S. 71 ff. Stern, Alfred, Über zeitgenössische gedruckte Quellen und Darstellungen der Geschichte des großen deutschen Bauernkrieges, in: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 1929, S. 186/87. Panzer, Georg Wolf gang, Annalen der älteren deutschen Literatur. Bd. II. Nürnberg 1803, Nr. 2748.

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Siegfried

Hoyer

Neuausgabe der Schrift nach 1525 veröffentlichte-5 Inzwischen erschien in einer Arbeit H. Buszellos6 der Neudruck des Originaltextes zusammen mit der Analyse des Inhalts der Schrift, die ihre lokale Zuordnung in den oberdeutschen Raum, in die Nachbarschaft der Schweizer Eidgenossenschaft nachwies und das Datum ihrer Entstehung näher zu bestimmen versuchte. Aber die Bedeutung der Flugschrift, die in ihr zur Geltung kommenden ideologischen Einflüsse, konnten bisher nicht vollständig erklärt werden, ebensowenig ihr historischer Standort unter den Bauernprogrammen; ganz abgesehen davon, daß es bisher nicht gelang, ihren Verfasser zu ermitteln. Wie unterschiedlich die neuesten Meinungen über den Inhalt von „An die versamlung gemayner pawerschafft" sind, zeigen die Analysen Smirins und Buszellos. Smirin betonte, 7 daß deren Inhalt sich nicht im Sinne von Thomas Müntzers Predigten und Schriften f ü r soziale Gleichheit aussprach, sondern ausgesprochen politisch ist. Damit wandte er sich gegen Hesselbarths Wertung des Programms als müntzerisch.8 Die Flugschrift bejahe die Rechtmäßigkeit des bäuerlichen Kampfes und unterscheide zwischen menschlicher und göttlicher Obrigkeit. Die Bauern hätten einer aus ihrer Mitte gewählten göttlichen Obrigkeit Gehorsam zu leisten, brauchten sich aber der verderbten menschlichen Obrigkeit nicht zu unterwerfen. Die in der Klarheit des propagandistischen Stils und in der Leidenschaftlichkeit des Tones an die Führer der Müntzerpartei erinnernde Schrift sei den radikalen Ideologen des Bürgertums zuzuordnen, die hoffnungsvoll auf den Kampf der Bauern blickten und erwarteten, daß der organisatorische Zusammenschluß und die energischen Aktionen der Aufständischen zur Abschaffung des Feudalismus, der Fürstenund Ständeordnung führen würden. Allerdings hielt Smirin an der von Hesselbarth getroffenen Lokalisierung der Schrift fest, ordnete sie dem radikalen Flügel des Bildhäuser Haufens im südlichen Thüringen zu und nahm auch, wie sein Schüler, den Buchführer und Müntzerfreund Hans Hut als den mutmaßlichen Verfasser an. Buszellos Urteil zufolge macht die Flugschrift den Eindruck eines gelehrten Disputs über die Kardinalfrage des Bauernkrieges, über Rechtmäßigkeit und Unrechtmäßigkeit des Aufstandes. 9 In ihr solle entschieden werden, ob es für 5

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Brandt, Otto Hermann, Der große Bauernkrieg, Zeitgenössische Berichte, Aussagen und Aktenstücke. Jena 1925, S. 195 fi. Buszello, Horst, Der deutsche Bauernkrieg von 1525 als politische Bewegung. (West-)Berlin 1969, S. 92 ff., u. Kaczerowski, Klaus, Flugschriften des Bauernkrieges (Texte deutscher Literatur 1500-1800), Reinbek b. Hamburg 1970, S. 143. Eine textkritische Edition der Schrift, besorgt durch B. Rüdiger, mit einer sprachlichen Einleitung der sowjetischen Germanistin M. M. Guchmann sowie historischen Bemerkungen durch den Autor dieses Aufsatzes befindet sich in den BiTexten in Vorbereitung. Smirin, M. M., a. a. O., S. 81 ff. Hesselbarth, Hellmuth, a. a. O., S. 537 ff. Buszello, Horst, a. a. O., S. 108 fi.

Widerstandsrecht und Widerstandspflicht

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die Bauern ein Widerstandsrecht gegen die Obrigkeit gibt. Sie orientierte sich in der Frage des Zusammenschlusses zur Wahrung eigener Rechte an der „christlichen Vereinigung Oberschwabens", d. h. dem Bund der drei oberschwäbischen Bauernhaufen (des Allgäuer, Baltringer und Seehaufens). Buszello betonte ebenfalls die Unterschiede zu dem Gedankengut Müntzers, wies jedoch auf Parallelen zu Zwingiis Obrigkeitsauffassung hin, die der Züricher Reformator besonders in den „Auslegungen und Gründen der Schlußreden" (1523) formulierte. Zwar ließen sich keine wörtlichen Übernahmen von Zwingli nachweisen, und hinsichtlich unterschiedlicher Auffassungen sei die neue Situation nach dem Ausbruch der bewaffneten Auseinandersetzungen im deutschen Bauernkrieg zu beachten. Die Ansichten des Autors deckten sich aber mit dem Republikanertum Zürichs. In sozialer Hinsicht vertrete er eine begrenzte Zurückweisung der herrschaftlichen Übergriffe. Es habe den Anschein, bemerkt Buszello schließlich, daß ihm eine politische Ordnung vorschwebte, wie sie in den Reichsstädten herrschte. Erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen also in der lokalen Zuordnung der Schrift, über die in ihr wirksamen ideologischen Einflüsse und über ihren Charakter. Einig sind sich beide Historiker, wenn man von dem Bezug auf die städtische Ordnung und das Bürgertum absieht, eigentlich nur in der Absicht, die Rechtmäßigkeit des bäuerlichen Kampfes zu verteidigen und den Obrigkeitsbegriff neu zu definieren. Wir nehmen gerade diese beiden Probleme zum Ausgangspunkt unserer Untersuchung, weil sie ohne Zweifel ein Hauptanliegen der Schrift bilden, das bereits im Nebentitel mit den Worten ausgedrückt wird: „Ob jr (der Bauern) empo(e)rung billicher oder vnpillicher gestalt geschehe vnd was sie der oberkait schuldig oder nicht schuldig seind." Die Argumentation, mit der der Verfasser sein Anliegen vorbringt, in welcher gedanklichen Nachbarschaft er sich dabei befindet, werden uns bei der umstrittenen Einordnung der Flugschrift in die Programme des deutschen Bauernkrieges helfen. Im Vorwort begründet der Verfasser, daß er einen konkreten Anlaß für seine Beschäftigung mit dem Widerstandsrecht hat. „Nun geet aber ein großer schwerer flu(e)ch vber euch als die vngehorsamen / welche jrem herren nit geben wo(e)llent zynß / stewer / zoll / haubtrecht / handlon vnd was der gleichen jr von alters her schuldig seind / vnd ist des klagens vnd vermaledeyens vber euch nit wenig" (155,11-19).10 „Dysem angewünsten flu(e)ch zuenttrinnen", will er „auß bru(e)derlicher trew und go(e)tlicher pflicht" raten, „ob ein mittels mo(e)cht erfunden werden / dysem grewlichen jamer zu(e)fürkommen". Aus diesem Bemühen, den Widerstand der Bauern zu rechtfertigen, zog Hesselbarth den Schluß, daß diese Anspielungen eine direkte Antwort auf Luthers erste und zweite Bauernkriegsschrift, „Ermahnung zum Frieden auf die 12 Artikel" (vom 19./20. 4.1525) und die „Vermahnung" und Vorrede des 10

Der Text der Flugschrift wird nach dem Abdruck bei Buszello unter Angabe von Seiten- und Verszahl zitiert.

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Siegfried Hoyer

Reformators zum gedruckten Text des Weingartner Vertrages seien.11 Das erlaubte ihm eine annähernde Datierung. Demnach wäre die Flugschrift etwa Ende April 1525 entstanden. Buszello fand zwar nicht, daß der Autor bewußt und vorsätzlich Luther antworten wollte, hielt aber den Bezug zur Vorrede des Weingartner Vertrags und damit die erwähnte zeitliche Bestimmung aufrecht.12 Dazu paßt aber nicht recht, daß Martin Luther nur einmal im Flugschriftentext, mehr als historischer Zeuge als „durchaus anerkennend", 13 auf jeden Fall ohne kritische Note, namentlich genannt wird. Auf sein Anliegen und den Anlaß seiner Polemik ist der Autor der Flugschrift noch an mehreren Stellen eingegangen. Verfolgen wir zunächst einige dieser Äußerungen. Die Herren „streckent die gehorsam zu(e)weyt hynauß machend ein gemalts menlein darauß" (156, 7-10). „Vnnd lassent euch kaynswegs irren und verplenden", ruft er den Bauern zu, „daß sy euch teglichs vmb die oren plewent / wie der Apostel Petrus sagt imm ersten und andern Capitel. Ir so(e)llent ewern herren vnderwürfig seyn / ob sy dennocht bu(e)ben werent" (164, 33—39). „Noch dürffent ettlich maulchristen sprechen / das euangelium beru(e)rt nit das weltlich schwert / aber jr hertz ist falsch / vnd nichs vermaledeyters, dann sy beru(e)ment sich für gotes diener / auß vermu(e)g des XIII c zu den Römern ..." (180, 33-39). Damit ist die Kernfrage, die Auslegung des Kapitels 13,1 des Paulusbriefes an die Römer, ausgesprochen. Ist es im Sinne eines unbedingten Gehorsams gegenüber jeder Obrigkeit, auch wenn diese schlecht und tyrannisch war, zu verstehen? Luther hatte es so schon vor dem Bauernkrieg, vor allem 1523 in seiner Schrift „Von weltlicher Oberkeit, wie weit man ihr gehorsam schuldig sei" ausgelegt und nach dem Beginn des bäuerlichen Aufstandes die gleichen Gedanken zunächst mit Schärfe und dann mit Brutalität wiederholt.14 Als Widerstand befürwortete Luther nur die Gewaltlosigkeit. „Der ubirkeyt soll man nicht widderstehen mit gewalt, sondern nur mit erkenntnis der warheyt." 15 Luther verteidigte starr das Schwertrecht allein in den Händen der Herren und unterschob später sogar denjenigen, die vermittelnd für die Bauern eintreten wollten, aufrührerische Motive.16 11 12 13

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Hesselbarth, Hellmuth, a. a. O., S. 533, 543. Buszello, Horst, a. a. O., S. 533, 543. Ebenda, S. 109. Die Stelle lautet: „was geben sy (die Baebstler) yetzt darumb, daß sy dem Luther in seyner ersten trewen Warnung in dem buechlein von dem Bapsthumb gefolgt hetten" (177, 22-26). Fesser, Gerd, Zur Staatsauffassung Martin Luthers, in: WZ der Friedrich-Schiller-Universität Jena, (G) 17/1967, S. 35 ff. Die neueren Arbeiten der protestantischen Kirchellgeschichtsschreibung sind zusammengefaßt in dem Sammelband Luther und die Obrigkeit. Hrsg. von Wolf, Günther, Darmstadt 1972, in: Wege der Forschung LXXXV. Luther, Martin, Von weltlicher Oberkeit, wie weit man ihr gehorsam schuldig sei, in: Luther, Werke, Weimarer Ausgabe (künftig zit. WA). Bd. 11. Weimar 1900, S. 227. Scharffenorth, Gerta, Römer 13 in der Geschichte des politischen Denkens, Phil.

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Dennoch ist die polemische Verbindung der Flugschrift „An die versamlung" mit Luthers ersten Bauernkriegsschriften nicht zwingend, weil die gleichen Argumente, die Luther erst ab Mitte April 1525 gebrauchte, schon Wochen früher bei seinen Anhängern in Südwestdeutschland auftauchten. 17 Sicher steigerten sich diese lutherischen Prediger in den Wochen des Bauernkriegs nicht zu den berüchtigten Sätzen der Lutherschrift „und wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern" von Mitte Mai 1525, aber in der Sache des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit gab es zwischen ihnen und dem Wittenberger Reformator keine Unterschiede. Als erster unter den bekannten Lutheranhängern in den südwestdeutschen Städten hatte am 19. Februar, noch zu einer Zeit, als sich die aufständischen Bauern erst zu formieren begannen, der Augsburger Prediger Urbanus Rhegius über Römer 13 gepredigt. Kurz darauf verfaßte er eine Schrift „Von leybeigenschaft odder knechtheit", die auch wenige Tage später in Augsburg gedruckt war, so daß sich Luther in seiner Ermahnung zum Frieden von Mitte April bereits darauf bezog.18 Im Gutachten des Urbanus Rhegius zu den zehn Artikeln der Memminger Bauern, etwa Mitte März für den Rat der Reichsstadt, steht unter anderem der Satz: „Ja sie (die Bauern) sind Feind des wahren Evangelio, seitemal das Evangelium durch ihr freveliche, unchristliche Handlung aufs höchst, doch ohn sein Schuld, geschmecht wurdt, sie sollen sich auch zu ihrer Handlung des Evangeliums gar nit berühmen. Denn folgten sie dem Evangelio, sie hätten solch Aufgeläufe nie angefangen."19 In einigen Fragen scheint es fast, als ob der Verfasser unserer Flugschrift dem Augsburger Prediger antwortete. Dieser hatte gefordert: „Es müssen doch die Mißbräuch abgetan werden. Darumb ists besser, es gescheh durch ordenliche gewalt der Oberkait, dann mit Ungestüme des bofels (Pöbels)."20 In der Flugschrift ist zu lesen: „Ob sy aber sagen, solch entsetzung der geweitigen stu(e)nde den Kayser zu(e), vnd nit jren vnderthanen. Es sind aber plaw Entten"21 (181/182, 41-2). Zwar blieb das Gutachten von Rhegius ungedruckt, man kann jedoch annehmen, daß seine Argumente über den Kreis des Memminger Rates hinaus verbreitet waren; zudem wurden ähnliche Argumente gegen den Kampf der Bauern während der nächsten Wochen fast täg-

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Diss. Heidelberg 1964. S. 129. Leider geht die Verfasserin auf alle Interpretationen, die „links" von Luther und Zwingli liegen, überhaupt nicht ein. Kirchner, Hubert, Der deutsche Bauernkrieg im Urteil der Freunde und Schüler Luthers. Theol. Habil.-Schr. (MS) Greifswald 1969, Bl. 81 Ii., 126/127 ff. und 158 ff. Ebenda, Bl. 127 ff. Braun, Friedrich, Drei Aktenstücke zur Geschichte des Bauernkrieges, in: Blätter für bayrische Kirchengeschichte, Bd. 2, 1889, S. 176. Ebenda, S. 175. plaw Enten = märchenhafte Dinge; vgl. Schwäbisches Wörterbuch. Hrsg. von Fischer, Hermann, Bd. 1, Tübingen 1906, S. 1181 f., der Ausdruck begegnet relativ selten.

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lieh von der Kanzel verbreitet, kolportiert und gedruckt, was zur Entgegnung von bäuerlicher Seite herausforderte. Johannes Brenz, der Prediger von Schwäbisch Hall, war Anfang März 1525 mit der Predigt "Vom ungehorsam der underthon" (gedruckt am 16. 3. in Augsburg) unter den lutherischen Gegnern der Bauern zu finden. Aus ihr lassen sich nahezu die gleichen Gedanken zitieren, die wir bei Urbanus Rhegius fanden. Brenz fragt bei der Erläuterung von Römer 13: Wie aber, „wan ain oberkait, sy sey Christen oder hayden gebeut was unrecht ist", „auffordert, Gott zu verleugnen?" Dann gilt, „man soll Gott mer gehorsam seyn, dann dem menschen", jedoch nicht „der oberkait... widerstehen mit fechten, schwertzucken, auffruren und dergleychen."22 Und die erste der „Drey christlichen Ermahnungen an die Bauwernschafft" des Heilbronner Pfarrers Johann Lachmann wiederholte schon am 5. April dieses Gehorsamsgebot, wenn sie auch erst später, nach der Niederlage der Bauern bei Böblingen, als Schrift erschien.23 Der Verfasser der Flugschrift stellte zu solchen Argumenten fest: „ . . . Daß sy euch teglichs umb die oren plewent" (164, 34) und „daß sy die go(e)tlichen schrifft so ja(e)merlich vnnd schentlich verrantzend / also strenglich on alles mittel gehorsam zu(e)sein / jren bu(e)bischen gespotten" (166, 10 bis 14). Und zweifellos bezog sich seine Polemik nicht nur auf Luther, sondern auf den ganzen Chor der Gehorsam predigenden lutherischen Reformatoren, dessen Töne in den ersten Wochen des bäuerlichen Kampfes immer schriller wurden. Es sind wohl die, wie es an anderer Stelle heißt, „ettlich", die „Sant Petern verteütschen . . . vnd . . . dennocht bu(e)ben weren" (155, 10-12). Damit scheint zwar der Anlaß der Flugschrift der gleiche zu sein, den schon die bisherige Forschung erkannte, nämlich die Rechtfertigung des bäuerlichen Kampfes gegen die Argumente der Anhänger Luthers, nur der Personenkreis, gegen den sie polemisiert, ist ein anderer. Aber das bringt den Bezug auf Luthers Bauernkriegsschriften und die bisher angenommene Datierung zu Fall, so daß wir uns nach neuen Argumenten zu ihrer zeitlichen Bestimmung umsehen müssen. Wurde die Flugschrift mit einer so breiten Erörterung des Obrigkeitsbegriffes nun tatsächlich nur in Abwehr der antirevolutionären Predigten verfaßt? 24 Oder sind noch weitere, vielleicht für den bäuerlichen Kampf viel dringlichere Anlässe denkbar, die nach der polemischen Anknüpfung an die Lutheraner erst im weiteren Verlauf der Schrift klar werden? Im Vorwort stellt der Autor der Flugschrift klar, daß eine Obrigkeit prinzipiell nötig ist. Für den Leser der ersten beiden Seiten entsteht fast der Eindruck, als wolle er nichts anderes beweisen als „der knecht soll ye nit vber sein herren sein / darumb so 22

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24

Brenz, Johannes, Werke. Bd. 1,1. Frühschriften. Hrsg. von Brecht, M., u. a., Tübingen 1970, S. 122 ff. Clemen, Otto, Flugschriften aus den ersten Jahren der Reformation, Bd. 2, Leipzig 1908, S. 415 ff. Buszello, Horst, a. a. O., S. 11 ff.

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mo(e)gen wir vns nit entschuldigen vor der grausamen straff" (154, 20-23). „Fürwar wo die oberkait nit were / so mu(e)st das menschlich geschlecht er zeit zu(e)grund gehn" (154, 35-37). Dazu wird nach dem Muster der scholastischen Quästiones dieselbe Stelle aus den Römerbriefen des Paulus herangezogen (Rom. 13, 2), die Luther immer wieder zitiert - allerdings mit anderen Akzenten! War das Taktik gegenüber mißtrauischen Zensoren? Vielleicht, aber unabhängig davon muß es als eine grundsätzliche Stellungnahme und als ein wesentliches Stück der ideologischen Position seines Verfassers gewertet werden. Denn das Obrigkeitsbekenntnis kehrt wieder, nachdem er aus dieser These die Antithese entwickelt hat, daß sy (allgemein, die Gegner der Bauern) „vil boldenrendt vnd bochend auff jr herligkeyt und gewalt auß vermo(e)g der obuermelten schrifften" (156,18-20). In den beiden ersten Kapiteln entwickelt die Flugschrift Genaueres über den Charakter jener Obrigkeit, der man gehorchen soll. „Der war christlich glawb / will kayn menschlich Oberkayt haben" (157, 2/3), heißt es im ersten und „Allayn die vnchristlich art erhaischet ayn menschlich Oberkayt" (158, 2/3) im folgenden Kapitel. Die menschliche Obrigkeit soll also lediglich dazu dienen, „die vnchristen damit zu(e)uerdammen / zu(e) schirm der frommen" (158, 27-28). Ihr stellt der Verfasser die Aufgaben „aynes Christlichen Amptmans", d. h. eines christlichen Fürsten gegenüber, auf die wir zurückkommen werden. Dieser Begriff einer weltlichen Obrigkeit ist allgemein reformatorisches Gedankengut. Luther hatte in seiner Obrigkeitsschrift von 1523 ausgehend von seiner Zwei-Reiche-Lehre ähnlich argumentiert. „Und wenn alle weit rechte Christen, das ist recht glewbigen weren, so were keyn fürst, könig, herr schwerdt noch recht nott odder nu(e)tze." Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, Böses in der Welt zu wehren; auf jeden Fall bleibt sie aber ein Werkzeug Gottes.25 Offenbar kannte unser Verfasser die seit 1523 mehrfach gedruckte Schrift Luthers, denn einige Sätze seiner Einleitung gleichen dem Reformator fast wörtlich: „Darnach würde das zottet gewürme sich selbs zerreisen / nach art des gifftigen gewürms der vippern / oder der wu(e)ttenden h u n d t . . . " (154, 39/42).2ß Auch Zwingli hatte das ganz ähnlich ausgedrückt. Würde es keine Obrigkeit geben, „so wäre mentschlich geselschafft nüt änderst dann ein leben der unvernüfftigen thieren. Welcher stercker, dem wäger."27 Im Bild eines christlichen Amtmannes personifiziert der Verfasser der Flugschrift im nächsten, dem dritten Kapitel, die christliche Obrigkeit. Interessanter als die dem Amtmann zugemessenen moralischen Kategorien „trewlich", „Reissig", „va(e)tterlich", „redlich" u. a. sind die Bemerkungen zur politisch25 26

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WA 11, 249 f.; Fesser, Gerd, a. a. O., S. 36. Bei Luther heißt es: „Er wuerde den wilden boeßen thieren die band und keten auffloeßen, das sie yderman zuo ryssen und zuo byssen..." (WA, 11, 251). Zwingli, Huldrych, Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit, in: Zwingli, Werke Bd. 2. 1908, S. 488 ( = Corpus Reformatorum Vol. 89); Kreutzer, Jakob, Zwingiis Lehre von der Obrigkeit. Stuttgart 1909, S. 7 ff., 13 ff.

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staatlichen Form, in der er herrschen soll. Erstmalig (nach der Überschrift) wendet sich der Verfasser direkt an „euch mitbru(e)dern gemayner pawrschafft" (161, 1/2) und versichert ihnen „Vnd ob jr yetzt gleych Schneyder / Schu(e)ster oder Pawern zur Oberkayt auffwürffen / die euch trewlich vorstu(e)nden / in aller bru(e)derlicher t r e w . . . den selbigen haltent f ü r ko(e)nig vnd kayser in aller gehorsamkayt" (161, 7-14). Die auf revolutionärem Wege zur Macht gekommenen Bauern und ärmeren Bürger sind diesen Worten nach nicht n u r eine legale, sondern sogar eine christliche und damit anzuerkennende Obrigkeit. Auf diese Weise werden der Kampf der Bauern gegen Unterdrückung und Tyrannei und ihre Anstrengungen gerechtfertigt, die Staatsgewalt ihrer Herren zu überwinden. Das wollte allerdings Luther keineswegs zugeben. Diese kühne Bejahung einer durch Revolution errichteten Volkssouveränität ist innerhalb der bäuerlichen Programme nur selten anzutreffen. Sie entstand aus dem Bild der christlichen Obrigkeit, das der Verfasser der Flugschrift entwirft, wird vom Verfasser, wie wir sehen werden, historisch untermauert und ist vom Bekenntnis zur Souveränität der Gemeinde, ihrer bedeutenden Rolle im gesellschaftlichen Leben geprägt. „Ain yedes Landt oder Stat / mu(e)ß haben ain gemaynen seckel weg und steg damit zo(u)pawen / das land zu(e)beschirmen / vnd in allweg den gemaynen nutz damit zu(e)beschirmen" (159, 38 bis 44). Der Staat soll die wirtschaftlichen Interessen der Gemeinde fördern, sie politisch schützen. Diese Hochschätzung der Gemeinde gibt einen ersten sicheren Hinweis über den Platz der Flugschrift unter den politischen Theorien der frühbürgerlichen Revolution, insbesondere den Programmen des Bauernkrieges. Die Konturen dieser Vorstellung werden noch deutlicher beim Gegenbild, dem Bild der schlechten Obrigkeit, das der Verfasser aus der Realität der Gegenwart entwirft. Fürsten und Herren, die „jnen selbs aygennützige beschwerde vnd gepot erdichtent / vnd auffrichtendt / die amptent falsch mit vermessenhait" (162, 31/34). Sie gehören zu „dem falschen selbs vnuermeßnem gewalt / dem man gehorsam zu(o) seyn nit schuldig ist" (162, 3/5) und zu deren Charakterisierung das vierte Kapitel dient. Sie sind „die Tyrannen vnd wu(e)ttrich" (163, 33). „Ja jr gewalt ist von Gott / Aber doch so verr / daß sy des Teüffels so(e)ldner seyent" (164, 3/5). Kriterium der unrechtmäßigen Gewalt ist die Mißachtung des Nutzens der Gemeinde zugunsten einer individuellen Bereicherung. Und zwar nicht nur der Gemeinde schlechthin, sondern solcher „wie yetz bey euch mitbru(e)dern gemayner Pawrschafft" (161, 2/3). Die individuelle Bereicherung besteht vor allem in gesteigerten Abgabenforderungen an die Untertanen. Diese Tyrannen richten „ain newe beschwa(e)rde vber die anndern auff". „reyssent den armen das margk auß den paynen" (162, 37/38; 163, 19/20). Sie, „die da vo(e)ller seind / dann die kotzende hundt", ihnen „mu(e)ssen wir armen" „stewren / Zinsen vnd gült geben". „Verflu(e)cht sey jr schandtlon / vnnd raubrecht" (163, 23/25, 31/32). „Alle die herren so auß jrs hertzen lust vnd aygenwilligen letzen ko(e)pflen aygennützige gebot / ich geschweyg vergweltigung / stewr / zoll vngelt behndigent / vnd was der gleychen dem gemaynen

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seckel dienet zu(e) schirm und auffenthalt der gemaynen landtschafft / die sind recht warhafft rauber vnd abgesagt feynd jrer aygen landtschafft" (176,19-26). Der Verfasser findet für sie die schärfsten Ausdrücke. Immer wieder lenkt er beim Bild der gemeinen Landschaft seinen Blick direkt auf die Dorfgemeinde. „Wo aber jr Schulthayß ayner imm Dorf jm selbs zu(e) aygem nutz auff die armen ettwas schlahen wolt / vngezweyffelt sy würden jn mit herter straff entsetzen" (164, 24/28). Der Eigennutz schlechter Fürsten besteht in gesteigerter Ausbeutung, in übertriebenen Forderungen an ihre Untertanen. „Also ist auch ain yede oberkait nit eingesetzt / seine vnderthan zu(e)rauben / sonder trewlich vor den wolffen zu(e)bewaren" (184, 30/32). Letztlich wird dieser soziale Eigennutz jedoch ideologisch gewertet: „So aber yemans die seinen / besonder sein haußgnossen nit versorget... ist erger dann ein vnglawbiger" (178,17/21). Sie sind „die gotßlesterer vnd mo(e)rder gottes", „schlangen / drachen und wo(e)lffe" (176, 32/33; 177,1). Daraus lassen sich, wie wir sehen werden, weitgehende Konsequenzen ziehen. Jedoch nicht in der harten Kritik des Eigennutzes allein liegen die revolutionären Züge dieser Flugschrift. Luther hatte 1523 die Fürsten und Herren mit ähnlichen Worten angeprangert. „Sie künden nicht mehr denn schinden und schaben, eyn zoll auff den andern, eyn zinße vber die andern setzen, da eyn bern, hie eyn wolff auß lassen. Datzu kein rechte trew noch warheytt bey yhn lassen funden werden und handelln, das reuber und buben zu(o) viel were."28 Dennoch war der Reformator von einer politischen Schlußfolgerung aus dieser Anklage weit entfernt. Smirin betont mit Recht, daß der Autor der Flugschrift das Prinzip des allgemeinen Nutzens dem Prinzip des auf Privilegien des feudalen Eigentums beruhenden feudalen Staatswesens, dem Prinzip der persönlichen Gewalt gegenüberstellt. Er führt eine Reihe von Beispielen aus der Flugschriftenliteratur des 15. und 16. Jahrhunderts an, wo eine solche Gegenüberstellung erfolgte, und unterschied zwei verschiedene Gruppen: bürgerliche Flugschriften, in denen dieses Prinzip hauptsächlich als Grundsatz der Verwaltung verstanden wird, und die Müntzersche Richtung, vertreten z. B. im Artikelbrief der Schwarzwälder Bauern, wo es vor allem als Prinzip der sozialen Gleichheit galt. Die Zuordnung unserer Flugschrift zu einer der beiden Gruppen ist mit der Beantwortung der Frage verbunden, wie sich die Gemeinde einer schlechten, tyrannischen Obrigkeit gegenüber verhalten soll. Den kompromißlosen Gehorsam gegenüber den Herren, die Interpretation von Rom. 13, 1 in diesem Sinn, hatten die Lutheraner angesichts des revolutionären Kampfes der Bauern und ihrer Verbündeten unbedingt gefordert. Der Verfasser behandelt dieses Problem im 7. Kapitel und sieht in ihm das bereits in der Uberschrift angesprochene Hauptanliegen seiner Schrift. „Nun wolan / das walt Got / hie wills an die Sturmglocken gan / noch mu(e)ß die warhayt heraus in dyser zeit der gnaden vnd soltens die felsen reden" (175, 43; 176, 4). „Daß aber ain 28

W A 11, 265.

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Landtschafft / oder ain gemaynde macht hab jren schedlichen herren zu(e)entsetzen / will ich auß der go(e)tlichen Juristrey XIII sprüch einfu(e)hren / welch die hellisch pfort mit jrer gantzen Ritterschaft nit mag zerreissen" (177, 12/18). Er spielt hier wohl auf den Hauptgegner der Bauern, die ihnen gerüstet gegenüberstehende Ritterschaft, an und beruft sich auf das „göttliche Recht". „Darauß nichs anders entspringt vnd bedewt / dann wann ain gemayne landtschafft lang zeyt jrs herren mu(o)twillen und verderben verdultet / sonder hoffnung einer besserung bey jme. So es aber nit sein will/so soll ain gemayne landtschaft sich kecklich bewapnen mit dem schwert und sprechent. Wir sind nichts mer schuldig von dysem vngetrewen pfleger vnd bo(e)sen herren" (179, 29 / 180,5). Die gottlose Obrigkeit ist „on alles schewhens ab zu(e)setzen" (180, 32). Der Verfasser nimmt mit seiner Forderung, die Gemeinde solle sich zur Absetzung der unchristlichen Obrigkeit bewaffnen, die wichtige Frage vorweg, wie diese Absetzung geschehen soll, ob auf „obrigkeitlichem" Wege, durch ein Mandat des Kaisers, oder durch eine Aktion des Volkes. Diesem Problem ist noch ein weiteres Kapitel gewidmet. „Wie wann kayser vnd ku(e)ning auch vnnützt werent?", fragt er und „auch in so(e)lcher gestalt selbs vertrieben worden von jren vnderthanen" (182, 5/6). „Bewapent euch mit dem gemu(e)t der ku(e)nen ochsen und stieren / die sich so trewlich zu(e)samen setzen in aynen ring / vnd die ho(e)rner herfür" (182, 33/37). „Springent allayn zu(e)samen vmb des gemaynen Landtfridens wegen / vnd zu(e)handthaben die Christliche freyhayt" (183, 5/8). „Will dann ewer widertayl ye krieget haben / vnd jren letzen ko(e)pffen nachkommen / das Euangelion disputieren auf spieß / hellepartten / büchsen / vnd hohen Kürissern / so walt es got lassen einher rausschen was nit anders will" (183, 13/19). Mit der Aufforderung zum Widerstand sind erstmals zwei Ziele des Kampfes der Gemeinde genannt: Landfrieden und christliche Freiheit. Schließlich spielt der Verfasser der Flugschrift wieder auf den Gegner der Bauern in einer Weise an, als stehe sein militärischer Angriff unmittelbar bevor, sei zumindest dessen Rüstung abgeschlossen. Dazu paßt, daß der Verfasser in den letzten beiden Abschnitten Ratschläge für den bewaffneten Kampf gibt, den Bauern die schrecklichen Folgen ausmalt, die ihnen bevorstehen, wenn sie gegen die gottlosen Tyrannen nicht tapfer fechten - beinahe prophetisch das vorwegnehmend, was im Spätsommer 1525 tatsächlich über die Bauern hereinbrach. „Die ko(e)nig der erden sindt zu(e)sammentretten / vnd die Fürsten der vo(e)lker haben sich geheuffet wider got vnd seinen Christentum etc. Sehent hie noch vil mynder werdent sy ewer verschonen... so we ymmer we / vnd des grewlichen mordes vber euch vnd aller pawrschafft" (186,8-16). „Da wirt nichts annders darauß / dann martern / krafften... darnach den mit ru(e)tten außgehawen / die andern durch die backen geprennt / die finger abgehawen / die zung außgerissen / gefierteilt / vnnd geko(e)pfft" (186, 35, 43 / 187, 2). „Vnd Weichs Christlich mensch wo(e)lt nit bewaynen den ja(e)merlichen tru(e)bsal so jr euch selbst zu(e)richten würdent / wo jr trewloß

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vnd eerloß gegen ainander würdent vnd ainander verliessent." Die Flugschrift wird nach all diesen Aussagen nicht in der Verhandlungszeit des Monats März zwischen den südwestdeutschen Bauern und dem Schwäbischen Bund niedergeschrieben worden sein, so daß wir als frühest mögliches Datum ihrer Entstehung Anfang April 1525 annehmen können. Das ausführliche Bild der herrschaftlichen Greueltaten deutet sogar auf eine Entstehungszeit nach dem ersten Drittel des April hin, da nach der Zerschlagung des Leipheimer Haufens die erste Terrorwelle über die Bauern hereingebrochen war. Das ausführlich begründete und ausgeschmückte Widerstandsrecht der Gemeinde ist aber noch nicht die äußerste Konsequenz. An einigen Stellen deutet der Verfasser an, daß man es nicht dabei bewenden lassen kann, da nicht sein darf, daß ein „verworffner Endtchrist das Christlich volck regieren" soll. „Vnd wir sind schuldig (Hervorhebung S. H.) vns zu(e)rlo(e)sen von dysen gotlosischen herren" (178, 42/44). „Der faul bäum mag nit gu(o)tte frücht bring e n / d a r u m b soll man jn abhawen" (179, 25/26). So wird aus dem Widerstandsrecht der Bauern in der äußersten Zuspitzung eine aus der Bibel begründete Widerstandsp/lieht. Die Gemeinde darf nicht nur ihren Herren entsetzen, sie muß dies tun, wenn er gegen die Normen eines christlichen Fürsten verstößt. Zu diesem Zweck besitzt sie ein Waffenrecht, und in dieser Situation muß sie es gebrauchen. Welche ideologischen Ansichten sind in diesen Sätzen wirksam? Gibt es ähnliche Interpretationen vom Rom. 13, 1 im deutschen Bauernkrieg? Luther und seine Anhänger in Südwestdeutschland scheiden von vornherein als mögliche Quelle aus. Auf die Unvereinbarkeit mancher Gedanken der Flugschrift mit Thomas Müntzer wurde in der Literatur hingewiesen,29 dennoch erscheint es notwendig, da zur Obrigkeitsauffassung bisher keine Vergleiche vorliegen, auf Müntzers Stellung zu den Herren einzugehen. Bereits 1523 hatte er Friedrich dem Weisen geschrieben: „Die fursten seyn den frummen nicht erschrecklich. Und wen sich das wirt vorwenden, so wirt das swert yhn genommen werden und wirt dem ynbrunstigen Volke gegeben werden zum untergange der gotlosen. Do wyrt das eddel kleynot, der fride aufgehoben werden von der erden."30 Auch Müntzer ist der Meinung, „daß ein gantze gemayn gewalt des schwertz hab wie auch den Schlüssel der aufloesung (d. h. der Begnadigung)". 31 Dennoch spielt die Gemeinde in der Auseinandersetzung mit der Obrigkeit eine andere Rolle als in der Flugschrift. Das Volk wird bei Müntzer zum souveränen Träger von Gottes Willen, und wenn von einer Gemeinde die Rede ist, dann nicht von dem historischen Territorialverband, sondern der Glaubensgemeinde der Auserwählten, die eine streng schriftgemäße Ord23 30

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Smirin, M. M., a. a. O., S. 80. Müntzer, Thomas, Schriften und Briefe. Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Franz, Günter, in: Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Bd. 33, Gütersloh 1968, S. 396 f. Müntzer, Thomas, Politische Schriften, Manifeste, Briefe 1524/25, hrsg. von Bensing, Manfred / Rüdiger, Bernd, Leipzig 1970, S. 148.

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nung formt. Thomas Müntzers Ablehnung der unchristlichen Herrschaft ist außerdem vom eschatologischen Element, der „Verbindung von gesetzmäßiger Periodenfolge der menschlichen Geschichte mit dem prophetischen Endreichsgedanken" durchdrungen. 32 Im Anschluß an das Buch Daniel entwickelt er die Auffassung, daß die bestehende gottlose Ordnung auf Erden nicht nur unausbleiblich beseitigt werden wird, sondern dies auch gottgewollt ist,33 also nicht erst durch die Verderbnis der Obrigkeit erzeugt wird, wie dies die Flugschrift darstellt. So besteht zwar im Recht und in der Notwendigkeit des Volkswiderstandes Übereinstimmung zwischen Müntzer und dem Autor der Flugschrift, aber nicht in der sie tragenden Gemeinschaft und dem historischen Ort dieses Kampfes. 34 Noch in einer weiteren Frage, auf die schon in der Forschung hingewiesen wurde,35 ergeben sich wesentliche Unterschiede. „Nit vermacklent ewer hende on getrungner note mit ander lewten gu(e)t / haltent allayn das ewer in maß" (189, 1/2). „Darumb jr lieben bru(e)der / schlahent den geytz weyt von ewren hertzen / mit ander lewtengu(e)tter reych zu(e)werden / oder ewer hertz wirt im grund falsch" (191, 38/42), heißt es in der Flugschrift. Sie trennt also entschieden zwischen Entsetzung der gottlosen Obrigkeit und Veränderung der Eigentumsverhältnisse. Müntzers Kritik an der Ausbeutung durch die Herren ist im Ansatz ähnlich gelagert wie die zitierten Vorwürfe gegen die ungerechten Steuerforderungen der Herren. „Die grundtsuppe des wu(o)chers der dieberey und rauberey sein unser herrn und fürsten, nemen alle creaturen zum aygenthumb." 36 Aber Müntzer läßt keinen Zweifel darüber, daß mit der Beseitigung der tyrannischen Herrschaft auch deren „dieberey und rauberey", d. h. deren wirtschaftliche Macht, gebrochen sein wirdÜber die Erreichung des gleichen Zieles, die Absetzung der gottlosen Obrigkeit, zeigten sich nicht nur zwischen Müntzer und der Flugschrift verschiedene Auffassungen, solche finden sich wenigstens graduell auch zwischen Müntzer 32

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Hinrichs, Carl, Luther und Müntzer, ihre Auseinandersetzung über Obrigkeit und Widerstandsrecht, Berlin 1952, S. 40. Bensing, Manfred, Thomas Müntzer und der Thüringer Aufstand, in: Leipziger Übersetzungen und Abhandlungen zum Mittelalter, Reihe B. Bd. 3, Berlin 1966, S. 46. Nicht nur die Unterschiede, sondern auch die Gemeinsamkeiten mit Müntzer sind zu betonen, da diese erklären, daß eines der überlieferten Flugschriftenexemplare (Bayrische Staatsbibliothek München R 1677, 4; Drude Kaczerowsky, Klaus, Flugschriften, a. a. O., S. 146 ff.) zwischen der Einleitung und dem 1. Kapitel zwei Müntzerbriefe und das Schreiben der Christlichen Versammlung zu Frankenhausen enthält, die der zwischen dem 17. 5. und dem 22. 5. 1525 gedruckten Schrift Martin Luthers „Eine schreckliche Geschichte und ein Gericht Gottes über Th. Müntzer" (WA XVIII, S. 367 ff.) entstammen und in scharfer, bildhafter Sprache den Kampf gegen die Obrigkeit fordern. Smirin, M. M., a. a. O., S. 83 f.; Buszello, Horst, a. a. O., S. 116. Müntzer, Thomas, Politische Schriften, a. a. O., S. 149.

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und seinen Anhängern und Freunden. Im Mai 1524 hob Simon Haferitz zwar die aktive Rolle der Gemeinde in dieser Angelegenheit hervor, jedoch nur mit Hilfe des Wahlrechtes. „Ihr liebes Volk. Ihr solt ihnen den Herren absagen. Geborene Fürsten tun nimmer mehr kein Gutes .Darumb wählet selbst einen Fürsten und verleugnet die Fürsten von Sachsen, Eure Erbherren. Erwählet Euch selbst einen Herren."37 Das schrieb Haferitz zu einer Zeit, da sich die Bauern noch nicht erhoben hatten und er noch nicht mit dem Gebrauch des Schwertes konfrontiert worden war. Dennoch zeigen diese Äußerungen die verschiedenen Wege im Aufkündigen des Gehorsams an eine schlechte Obrigkeit und die Variationsbreite radikaler Konsequenzen. Möglicherweise wirkte bei Haferitz außerdem der Einfluß von Karlstadt, der 1521/22 im Zusammenhang mit dem Wittenberger Bildersturm38 und in den folgenden Jahren eine solche Aktivität der Gemeinde befürwortete. Sehr nahe steht der Verfasser der Flugschrift den Ansichten des Schweizer Reformators Zwingli, darauf verwies erstmals Buszello.39 In Zwingiis Auslegungen und Gründen der Schlußreden von 1523 (Kapitel 34 bis 43) finden sich der prinzipielle Gehorsam der Untertanen gegenüber der Obrigkeit, das Widerstandsrecht und die Widerstandspflicht gegen eine verderbte unchristliche Herrschaft ebenso wie die Ablehnung des Angriffs auf das Eigentum. Ein wichtiger Unterschied besteht aber zwischen beiden in der Form, wie eine schlechte Obrigkeit entsetzt werden soll. „Nit mit todschlegen, kriegen und uffru(o)ren, sunder mit viel andren wegen, denn got hat uns imm friden beru(e)fft", hatte der Schweizer Reformator gefordert. „So nun der ein tyrann ist, sol nit einer oder der ander inn undeston abzethun; denn das macht uffr(o)ur, und ist aber das rych gottes grechtigheit, fryd und fröd im heiligen g e i s t . . . So aber die gantz menge des volcks einhällicklich, das damit wider got gehandlet wirt, den tyrannen abstoßt, so ist es mit got."40 Zwingli sagt somit ähnliches wie im gleichen Jahr 1523 der Müntzeranhänger Simon Haferitz und vor ihm Karlstadt, während sich die Flugschrift und Thomas Müntzer zwar im Gebrauch des Schwertes einig sind, Müntzer aber zugleich die Eigentumsverhältnisse verändern will und den Kampf gegen die Tyrannen als historisch herangereiftes Problem eines eschatologisch bestimmten Ablaufs der Weltgeschichte sah. Diese unterschiedlichen Ansichten zum Gebrauch der Waffen ändern nichts daran, daß zwischen Zwingiis Obrigkeitsauffassung und der des Autors der Flugschrift die größte Nähe besteht. Man wird diesen im Kreis der engen Anhänger des Schweizer Reformators suchen und eine Radikalisierung unter dem Einfluß des Bauernkrieges annehmen müssenHinrichs, Carl, Luther und Müntzer, a. a. O., S. 13/14. Ebenda, S. 151. 39 Buszello, Horst, a. a. O., S. 117,120. 40 Zwingli, Huldrych, Ußlegen und grund der Schlußreden oder articklen, in: Zwingli, Werke. Bd. 2. Leipzig 1908 (Corpus Reformatorum. Vol. 89), S. 344/45; Schmid, Heinrich, Zwingiis Lehre von der göttlichen und menschlichen Gerechtigkeit, Zürich 1959, S. 245. 37 38

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Ohne Zweifel bot Zwingli trotz seiner sozial von der Position des Besitzbürgertums der Städte geprägten Obrigkeitsauffassung den Bauern Bausteine zu einer revolutionären Ideologie. Seine Entrüstung gegen die die Schweiz umgebenden Tyrannen hatte sich bei ihm zu dem „schwindelerregenden Gedanken der Gleichheit der Menschen" 41 gesteigert. Sein echtes Verständnis f ü r das Leben und den Kampf der Bauern gaben Zwingiis reformatorischer Lehre nicht nur einen radikalen und volkstümlichen Beigeschmack, sondern näherte sie in einigen Fragen den Forderungen der Volksreformation an. Das politische Vorbild, das der Verfasser der Flugschrift den Bauern vor Augen führt, ist die staatliche Gemeinschaft, der auch Zwingli angehörte, die Schweizer Eidgenossenschaft, f ü r deren republikanische Staatsform er auch Vorbilder aus der Vergangenheit beibringt. Es ist „der ersten vrsprungs uild herkommens der gantzen aydgnossenschafft oder Schweytzern / der vermessen aygen gewalt vom A d e l / v n d ander jr Oberkayten" (165, 8/12). Aus einem ähnlichen Kampf gegen die Tyrannei, zu dem sich die Bauern 1525 erhoben hatten, war f r ü h e r die Schweizer Eidgenossenschaft hervorgegangen. Auch die Schweiz hatte „durch grosse krieg / plu(e)tuergiessung vnd schwertschleg" die Tyrannei der Herren „abgetan vnd außgerewt" (165, 18/20). „Dz arm pawers heüflein ewer nachpauren die Schweytzer" hält er seinen Lesern vor, „wie offt hatt man sy mit grossem pracht hyndter dem weyn geschlagen . . . " letztlich ist aber die Mehrzahl ihrer Gegner „allwegen in die flucht getriben / vnd ko(e)nig /kayser / fürsten vnd herren darvber zu(e) spott worden" (190, 28/37). „Wer der Schwytzer sig vnd vnsig f ü r gottes werck nit erkennen will / der ist verplennt mit gsehenden äugen / vnd verstock mit offenen oren etc." (191, 30/34). „Wer meret Schweitz / dann der herren geytz" ist nicht nur eine Bilanz dieser Hinweise, sondern auch das Motto der Flugschrift auf dem Titelblatt. Aus der Nachbarschaft der Schweiz stammen die geographischen Namen der Flugschrift. 42 Und von einem vorbildhaften Bezug zur Schweiz spricht auch die merkwürdige Sage im 11. Kapitel, die viel Verwirrung anrichtete: „Die Prophecey vnd das alt sprüchwörtlein, daß eyn ku(e)w auff dem Schwanberg imm land zu(e) Francken gelegen so(e)lle stan / vnd da lu(e)gen oder plärren daß mans mitten in der Schweytz ho(e)re" (191,11/16). O. H. Brandt merkte bei der Neuausgabe der Flugschrift in neuhochdeutscher Übersetzung an, diese Sage gäbe Gewißheit ihrer Herkunft aus den Kreisen der radikalen Bauernkriegsführer in Franken und nannte Rothenburg als den möglichen Herkunftsort. 4 3 Hesselbarth und Smirin waren dem durch die Zuordnung der Schrift zum Bildhäuser Haufen im nördlichen Franken gefolgt, allerdings 41

Macek, Josef, Das revolutionäre Programm des deutschen Bauernkrieges, in: Historica 11/1960, S. 117 ff. ' = Quelle I); Quelle II (Staatsarchiv Weimar, Reg. Bb 874) ist ein Verzeichnis der eingenommenen Gelder, die „ins Amt geantwortet" wurden, während Quelle III (Staatsarchiv Weimar Reg. Bb873) nur die Aufschrift trägt: „Ambt Aldenburg anno 1526". Quelle IV (Staatsarchiv Weimar, Reg. Bb 340) „ist das Register von dem Ehrenfesten und gestrengen Herrn Wolf von Weißenbach und Herrn Günter von Bünau ins Amt Altenburg gegeben".

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men, d a ß die Strafgeldaufstellung a n h a n d einer bereits v o r h a n d e n e n Übersicht ü b e r die „besessenen M a n n " vom A m t vorgenommen wurde 6 2 u n d daß die jeweiligen G r u n d h e r r e n lediglich K o r r e k t u r e n anbringen ließen, w e n n U n t e r t a n e n als Unschuldige oder als nicht zahlungsfähig gelten konnten. D a ß es eine allgemeine Soll-Aufstellung ü b e r die Besitzverhältnisse mit den besessenen Mann gegeben h a b e n muß, ergibt sich auch aus der Tatsache, d a ß Höfe a n g e f ü h r t werden, die gar nicht besetzt w a r e n oder deren Inhaber in anderen Orten u n d Gemeinden w o h n t e n und sich a m Aufstand nicht beteiligt hatten. Es w u r d e bereits erwähnt, daß die Zahlungen des Strafgeldes im Amt Altenburg nicht mit der zweifellos erstrebten Stetigkeit erfolgten, w i e Quelle II nachdrücklich bestätigt. Man k a n n aus der Gegenüberstellung der v e r a n schlagten S t r a f s u m m e u n d den tatsächlich gezahlten Raten die Schlußfolger u n g ziehen, daß die ungenügende, ungleichmäßige Ablieferung des Geldes ein Ausdruck der begrenzten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der betroffenen Bauern ist. Dabei ist jedoch zu beachten, daß die Abrechnungen zumeist n u r die S u m m e der Gemeinden, selten aber die f ü r den einzelnen Bauern nennen. So w u r d e n von den 158 Bauern der von Einsiedel zu Gnandstein insgesamt (nach der Reduzierung) 395 fl erwartet, d. h. bei drei Raten je Rate 131 fl 14 gr, aber z u m ersten Termin im Oktober 1525 gingen n u r 80 fl 20 g r 6 d ein. Es blieb eine Restsumme von 314 fl 3 d, f ü r die vor allem die Bauern von Eschefeld, Neumörbitz, Bocka u n d Flemmingen verantwortlich waren, denn von diesen Gemeinden konnte ü b e r h a u p t kein Geld eingetrieben w e r den. Ebenso auffällig ist der Unterschied zwischen geforderter Leistung u n d der tatsächlich gezahlten S u m m e bei den Bauern des Götz von Ende u n d des Wolf von Zschadras, die - wie e r w ä h n t - die volle S u m m e von je 4 fl zahlen mußten. Von der veranschlagten S u m m e von 408 fl w u r d e n zum ersten Termin lediglich 71 fl 5 gr 6 d abgeliefert, so daß immer noch 336 fl 5 g r 1 d ausstanden. Hauptschuldner w a r die Gemeinde Langenleuba, von der zu dieser Frist nicht einer d e r 33 Betroffenen gezahlt hatte. I m m e r h i n m u ß t e n sie insgesamt 120 fl 5 gr 6 d aufbringen. 6 3 Die Fehlsummen bei den erstgenannten Orten konnten auch nicht bei den folgenden Zahlungsterminen ausgeglichen werden, so d a ß die B a u e r n des Götz von Ende und des Wolf von Zschadras von den geforderten 379 fl 16 gr n u r 257 fl 11 g r 6 d a u f b r i n g e n konnten, d. h. 122 fl 14 gr schuldig bleiben mußten, 6i 63

In Staatsarchiv Weimar, Reg. Bb 340, p. 36b ist im Zusammenhang mit Günter von Bünaus besess. Mann zu Bubendorf von einem Hauptregister die Rede. Auch die Bauern aus Heiersdorf, Uhlmannsdorf und Frohnsdorf blieben erhebliche Beträge schuldig. Heiersdorf brachte von 14 fl 14 gr der ersten Rate (insgesamt 44 fl) nur 8fl 20 gr auf, Uhlmannsdorf 15 fl 18 gr von 25 fl 7 gr (X 3 = 76 fl), Frohnsdorf gar nur 14 fl 20 gr von 27 fl 17 gr 7 d (X 3 = 83 fl 10 gr 6d). Beiern dagegen zahlte über die erforderliche Summe von 18 fl 14 gr hinaus 31 fl 10 gr 6d.

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und zwar Heiersdorf 13 fl 9 gr, Uhlmannsdorf 15 fl 4 gr, Frohnsdorf 43 fl 6 g r 6 d (!), Beiern auch noch 10 fl u n d Langenleuba g a r ein Drittel der S t r a f s u m m e : 40 fl 1 gr. Eine k n a p p e Notiz in der Quelle I (zu Heiersdorf) gibt die Erklär u n g : „mangelt noch bei den Leuten über daß m a n sie g e p f a n d t u n d viel Mühe mit ihnen gehabt". Das bedeutet doch wohl nicht m e h r u n d nicht weniger, als daß m a n die B a u e r n weitgehend ihrer Existenzgrundlage berauben mußte, denn - wie aus den anderen Quellen b e k a n n t ist - es w u r d e n zunächst das Zugvieh und danach die andere bewegliche Habe beschlagnahmt, w e n n das Geld termingemäß nicht eingetrieben w e r d e n konnte. Es klingt fast w i e Hohn, w e n n gleichzeitig v e r m e r k t wird, daß in Langenleuba vom Hof des Andres Schuster das Strafgeld nicht eingefordert wurde, weil Schuster h i n gerichtet worden w a r u n d m a n seiner Witwe die S t r a f e erließ. Welche Belastungen die S t r a f s u m m e von 4 fl f ü r den einzelnen mit sich brachte, geht nicht zuletzt auch daraus hervor, daß die U n t e r t a n e n anderer G r u n d h e r r e n - w e n n auch u n t e r erheblichen Anstrengungen - die ihnen a u f gelegten 2 fl zahlen konnten. Auch w e n n die Ratenzahlung überall sehr u n regelmäßig war, so w a r e n doch n u r wenige nicht in der Lage, bis zum Endtermin das Geld aufzubringen. Besonders belastend müssen aber dennoch die 2 fl f ü r die sechs Bauern von Naundorf unter den von Ende zu Kayna gewesen sein, die 6 fl von 12 fl nicht zahlen konnten - drei B a u e r n w u r d e n gepfändet vor dem ersten Termin, ebenso wie zwei Bauern aus Wernsdorf - und im besonderen f ü r die aus Beizig u n d Reichstädt u n t e r denen von Kreutz, die von 48 fl n u r 7 fl bzw. von 20 fl lediglich 14 fl 19 gr aufbrachten. Damit konnten die 34 schuldig gesprochenen B a u e r n aus Beizig u n d Reichstädt lediglich 30 fl 7 gr der geforderten 68 fl a b liefern. Insgesamt w u r d e n 1 409 fl 7 gr an das A m t überwiesen von den u r s p r ü n g lichen errechneten u n d erwarteten 1 627 fl 18 gr, so daß 217 fl 18 gr auf d e r Habenseite gestrichen w e r d e n mußten. 6 4 Diese Zahlen können viel und wenig aussagen, zumal die Register f ü r das A m t Altenburg über die näheren Umstände der Geldeintreibung n u r wenig berichten. Zwar finden sich noch Notizen über einzelne Schicksale, ohne daß m a n daraus verallgemeinern könnte. Immerhin w i r f t aber die B e m e r k u n g ü b e r einen Bauern aus K a k a u Schlaglichter auf die gesamte Situation: von dort ansässigen vier besessenen Mann unter denen von Ende zu Kayna k o n n ten n u r drei zahlen, weil „der 4. blutarm (war), nichts dan d e i n e kinder, e r beut sich zu erbitten, im t h u r m zu bussen oder w a s m a n ine heyse, Bartel L e m e r m a n genannt". Es d ü r f t e kein Zweifel d a r ü b e r bestehen, daß dieses Schicksal keine A u s n a h m e war, ob es aber die Regel w a r und ob die Strafgelder ü b e r h a u p t zu einer entscheidenden wirtschaftlichen Bedrückung der ländlichen Bevölke64

Mehrere Hofstätten waren verwaist, so in Beerwalde 2 von 18, in Palkenau 2 von 5, in Großstechau 1 von 7.

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rung führten und damit der militärischen die eigentliche Niederlage des Bauernkrieges folgte, darüber gibt es bisher keine Aussagen oder Untersuchungen. Schon Friedrich Engels hat jedoch formuliert: „die bisherigen Lasten wurden vermehrt durch die enormen Brandschatzungen, die die Sieger den Besiegten auferlegten".65 Auch wenn die unregelmäßige Zahlung der Strafgelder als wirtschaftliches Unvermögen gedeutet wird, so ist das doch nur eine, wenn auch zweifellos berechtigte Vermutung. Ein sicheres Ergebnis läßt sich erst dann erbringen, wenn ein Bezugspunkt gefunden ist, an dem sich die wirtschaftlichen Leistungen und Möglichkeiten der Bauern messen lassen. Auch hier muß anerkannt werden, daß die Quellenlage die Beantwortung derartiger Fragen außerordentlich erschwert. Entweder fehlen präzise Angaben in den Strafgeldregistern, um mit späteren Quellen vergleichen zu können, oder aber, wie im Amt Altenburg, fehlen unmittelbar auf die Ereignisse von 1525 folgende sozialgeschichtlich auswertbare Quellen. Die für weite Gebiete des ernestinischen Sachsens wertvollen Türkensteuerregister66 versagen hier, weil sie gerade für das Amt Altenburg nur sehr summarisch Namen und Summen anführten.67 Zur Verfügung steht aber ein Amtserbbuch aus dem Jahre 1548, das damit zwar über 20 Jahre nach der Niederlage des Bauernkrieges und der Aufzeichnung der Strafgeldregister angelegt wurde, aber in seinen präzisen Angaben ein vorzügliches Gegenstück zu den Quellen von 1525/26 ist.68 Der Zeitunterschied fällt für die zu behandelnde Thematik kaum ins Gewicht, denn zweifellos hat es keine erheblichen strukturellen Veränderungen in der feudalen Produktionsbasis und in den Abhängigkeitsverhältnissen gegeben, als daß ein direkter Bezug zwischen beiden Quellen nicht möglich wäre. Ja, es scheint geradezu notwendig zu sein, die Amtserbbücher einmal mehr unter soziologischen und weniger unter rechts- oder verfassungsgeschichtlichen Aspekten durchzuarbeiten69 und von hier aus - möglichst mit Engels, Friedrich, Der deutsche Bauernkrieg, in: MEW Bd. 7, 1960, S. 409. Vgl. dazu Müller, Ernst, Türkensteuer und Landsteuer im ernestinischen Sachsen von 1485—1572, Phil. Diss. Jena 1951; ds., Die ernestinischen Türkeiisteuer- und Landsteuerregister des 15. Jahrhunderts als Quellen für sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Forschungen. 1951 (Masch.Manuskr. im Staatsarchiv Weimar). 67 Der in Frage kommende „Türkensteueranschlag der Erbarmannschaft des Kreises Altenburg 1531" stammte aus der Handschriftensammlung der „Geschichts- und Altertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes" und ist daraus in den Archivbestand Obersteuerkollegium des Historischen Staatsarchivs Altenburg übernommen worden. Die in dem Register genannten Personennamen sind in einer Abschrift von 1950 durch Hans Rößler erhalten und von mir verarbeitet worden. 68 Staatsarchiv Dresden, Loc. 37037—39 (Drei Teile in sechs Bänden). Das Register und sein Inhalt sind ausführlich beschrieben in der sonst wertlosen Arbeit von Schobert, H., a. a. O., S. 4 f.; für den vorliegenden Beitrag mußte es daher erneut durchgearbeitet werden. 6a Vgl. dazu Pannach, Heinz, Das Amt Meißen vom Anfang des 14. bis zur Mitte 65 66

Bäuerliche Unruhen i m Amt Altenburg

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Hilfe der Türkensteuerregister, der Landsteuerregister und auch der Geleitsrechnungen und ähnlicher Quellen - zurückzugreifen auf die Ereignisse vor, während und unmittelbar nach der frühbürgerlichen Revolution und der Folgezeit.70 Das Amtserbbuch Altenburg ist gegliedert wie die anderen Amtserbbücher und enthält - mit wenigen Ausnahmen - neben den Angaben über die rechtlichen und kirchlichen Beziehungen in jedem Dorf, über Angaben und Dienste vor allem auch präzise Mitteilungen über die Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen sowohl der Gemeinde als auch der einzelnen besessenen Mann. Deren Besitz ist allerdings nur zu ermitteln über die im einzelnen verzeichneten Leistungen für die genutzten Flächen, wobei oftmals verschiedene Ackerstücke mehrfach belastet waren.71 Diesen und anderen sich aus dem Amtserbbuch ergebenden Fragen kann hier natürlich nicht nachgegangen werden, ebenso wie der umfassenden Problematik der gesamten manuellen Leitungen und finanziellen Verpflichtungen durch die besessenen Mann. Lediglich ein Aspekt kann hier herausgegriffen werden: Wie wir festgestellt hatten, wurden die Strafen weitgehend einheitlich verhängt, wobei jedoch nicht vorausgesetzt werden kann, daß die Betroffenen auch gleiche oder wenigstens ähnliche Voraussetzungen besaßen, diese Strafen zu bezahlen. Es kommt also darauf an zu untersuchen, wie die Besitzverhältnisse, die soziale Differenzierung, auf dem Lande waren. Erst danach wird sich ermessen lassen, was die Strafgelder für den einzelnen und die Gemeinden bedeuteten. 72 Dabei interessieren natürlich - da hier nicht alle Dörfer des Amtes Altenburg behandelt zu werden brauchen - jene Dörfer, die einmal im Strafgeldregister genannt werden und die zum anderen besondere Schwierigkeiten bei der

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des 16. Jahrhunderts. Studien zur Sozialstruktur, Verfassung und Verwaltung, Berlin 1960, Kap. III. Die Sozialstruktur im Amtsgebiet Meißen, S. 38—52. Die bei Pannach, H., a. a. O., S. 156 f. angegebene Literatur zur Geschichte der Ämter ist zu ergänzen durch Härtung, E., Die äußere Geschichte des Amtes Allstedt 1496 bis 1575, Jena 1931, und Stoy, Fritz, Beiträge zur ersten Geschichte etlicher kursächsischer Ämter, Forschung und Leben, in: Heimatblätter des Schönburgbundes, 3. Jg. 1924, 3. und 4. Heft. Diesen Fragen wird sich auch die vom Verf. geleitete Arbeitsgruppe an der Pädagogischen Hochschule Leipzig über „Handelsgeschichtliche Forschungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Agrargeschichte im thür.-sächsischen Raum beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus" zuwenden. So hatte z. B. in Neumörbitz Jacob Quellmalz für seine Hufe Erbgeschoß a n das A m t und außerdem noch den sog. Nonnenzins zu zahlen, weil die von i h m bewirtschaftete Hufe (mit Haus und Hof) ursprünglich d e m Magdaleniten-Nonnenkloster in Altenburg gehörte und erst durch die Reformation 1543 an das A m t gekommen war. Vgl. dazu auch Anm. 76. Dabei spielen auch die Preise, vor allem für landwirtschaftliche Produkte, eine Rolle. Vgl. dazu Straube, Manfred, Getreidehandel, a. a. O.; derselbe, Handel und Verkehr auf sächsischen Straßen zu Beginn des 16. Jahrhunderts, in: Sächsische Heimatblätter, 19. Jg., H. 4/1973, S. 182—189.

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Zahlung hatten. Es handelt sich danach zunächst um die Gemeinden Eschefeld, Neumörbitz, Bocka und Flemmingen der von Einsiedel zu Gnandstein. Wie erwähnt, wurde zur ersten Rate von den 83 „schuldigen" besessenen Mann dieser Gemeinden überhaupt nichts gezahlt. Die Ursachen dafür ergeben sich aus dem Amtserbbuch. Leider gehört Eschefeld zu den wenigen Ausnahmen, über die das Amtserbbuch keine Angaben macht: Es gehörte mit sämtlichen Abgaben und Verpflichtungen denen von Einsiedel, so daß für das Amt keinerlei Notwendigkeit bestand, seine Ansprüche davon abzugrenzen. Der Schreiber machte nur eine entsprechende Notiz über den Eigentümer des Dorfes. 73 Neumörbitz dagegen ist wie Bocka und Flemmingen hinreichend charakterisiert. Nach dem Strafgeldregister hatten dort elf besessene Mann je 2V2 A zu zahlen, wovon einer unschuldig und ein anderer in der Auflage zunächst nicht angegeben war, d. h. es gehörten zwölf besessene Mann denen von Einsiedel in Neumörbitz. Das Amtserbbuch 74 nennt 18 besessene Mann, darunter ein Gärtner75, von denen drei dem Amt 76 , zwölf dem Heinrich von Einsiedel zu Gnandstein, zwei dem Pfarrer zu Altmörbitz und einer dem Gotteshaus zu Penig Untertan waren. Ohne Gärtner - der „zu seinem geringen Garten keine Zuhörunge" hatte, aber zu den besessenen Mann zählte - bewirtschafteten die restlichen 17 besessenen Mann insgesamt 17 Hufen. 77 Es gab aber kein 73

Insgesamt gab es i m Amt Altenburg 51 Dörfer, die jeweils nur einen Lehnsherren hatten. 74 Im folgenden zitiert als AEB. 75 Gärtner sind vollberechtigte Dorfbewohner mit Haus und Hof, allerdings sehr geringem Grundbesitz; vgl. dazu Pannach, H., a. a. O., S. 39 f. sowie oben Anm. 17. 76 Es ist f ü r die politischen Verhältnisse außerordentlich interessant, einmal das Verhältnis zwischen Amts- und Adelsbauern festzustellen. Dabei zeigt sich, daß es im Amt Altenburg nach dem AEB — ohne die Stadt Altenburg — insgesamt 1696 besessene Mann gab, von denen 707 dem Adel und 565 dem Amt Untertan waren. (Die übrigen 424 gehörten kirchlichen Grundherrschaften.) Noch interessanter ist aber die Herkunft der Amtsbauern: von ihnen sind nicht weniger als 529 erst diurch die Reformation an das Amt gekommen, d. h., vor 1543 und zur Zeit des Bauernkrieges besaß das Amt lediglich 36 besessene Mann in den ganzen 238 Dörfern! Selten ist wohl mit solcher Deutlichkeit zu erkennen gewesen, wie sehr die frühbürgerliche Revolution mit ihren Auswirkungen die Machtbasis der Landesherren erweitert hat. 77 Die Angaben über die Hufen gewinnen natürlich nur Wert, wenn die Größe fixiert ist. Darüber gibt es eine umfangreiche'Literatur, ohne daß es — nach Lage der Dinge auch verständlich — zu konkreten Angaben gekommen wäre. (Vgl. Engel, Evamaria / Zientara, Benedykt, Feudalstruktur, Lehnbürgertum und Fernhandel im spätmittelalterlichen Brandenburg, Weimar 1967, S. 59: „Die Liter a t u r über das Hufenausmaß ist außerordentlich umfangreich und voll von verschiedenen Deutungen. Letzten Endes aber konnten noch keine befriedigenden Resultate gewonnen werden".) Bei Kötzschke (Kötzschke, Rudolf, Ländliche Siedlung und Agrarwesen in Sachsen, Remagen 1953) finden sich jedoch Hinweise, die zumindest f ü r das Altenburger Gebiet gewisse Richtmaße geben können: „Der Flächengehalt der Königshufe i s t . . . aiuf . . . im Durchschnitt 48 ha be-

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Verhältnis 1:1, weil bereits die drei Amtsbauern 3V2 Hufen besaßen. Von den übrigen 14 Bauern versteuerten IV2 Hufen 4, eine Hufe 5, eine halbe Hufe 3, die beiden übrigen % bzw. Vs Hufen78, wobei zu fragen ist, ob dabei die Existenz einer bäuerlichen Familie zu sichern war. Auch wenn wir annehmen wofür kein eigentlicher Anlaß besteht daß die im einzelnen nicht zu ermittelnden drei besessenen Mann, die der Kirche Untertan waren, zu den drei Ärmsten (einschließlich des Gärtners) des Dorfes gehörten, dann bleiben immer noch drei Bauern, die nur eine halbe Hufe bewirtschafteten und davon neben den üblichen feudalen Abgaben und Leistungen noch 2V2 fl Strafgeld erarbeiten mußten. Abgesehen davon, daß sicher auch die drei Kirchenbauern Strafgeld zu zahlen hatten,79 läßt ein Vergleich der Namen jedoch vermuten, daß zumindest die beiden 5/s- und Vs-Hufner denen von Einsiedel unterstanden80, ebenso wie zwei der vier V l2 H u f n e r , vier der fünf 1-Hufner und einer der 3V2-Hufner. In Bocka waren die sozialen Verhältnisse zweifellos noch komplizierter. Nach dem Strafgeldregister hatten alle 27 besessenen Mann der von Einsiedel ebenfalls je 2V2 fl aufzubringen. Das Amtserbbuch nennt 30 besessene Mann in der Gemeinde, davon gehörten 28 denen von Einsiedel, zwei dem Dorfpfarrer, rechnet worden. . . . Etwa das Viertel der Königshufe würde 21 bzw. 24 Acker betragen, eine Hufe, die in der Tat im Nordwesten Sachsens begegnet" (S. 174). An anderer Stelle kennzeichnet Kötzschke den Nordwesten Sachsens näher mit „Elsterland, Amt Pegau", d. h. in unmittelbarer Nachbarschaft von Altenburg (S. 164). Für den weit verbreiteten Altenburger oder Naumburger Acker gibt Kötzschke, R., (ebenda, S. 169) 64,157 a an. Danach müßte sich also für eine Hufe im Amt Altenburg eine Fläche von 13,47 bis 15,39 ha ergeben. danach 1/2 Hufe von 6,73 bis 7,69 ha, 1/4 Hufe von 3,36 bis 3,84 ha, 1/8 Hufe von 1,68 bis 1,92 ha.

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In wenigen Orten des Amtes wurde die Hufe mit 12 Ackern berechnet, wie im AEB ausdrücklich vermerkt ist. (In Creutzen, Naundorf bei Oberzetscha.) Vgl. dazu Kötzschke, R., ebenda, S. 175: „Als kleine Hufe ist eine Hufe von 12 Ackern verbreitet, besonders im Nordwesten Sachsens auf bestem Boden". In anderen Dörfern wiederum wurden die belasteten Ackerflächen nach Scheffel berechnet: in Drosen, Krotzsch, Schlossig, Schönbach, Zema, Prestelberg galten 18 Scheffel für eine Hufe. Nach Kötzschke, R., (ebenda, S. 159) wurde auf kurfürstlichen Vorwerken der Acker zu 2 Scheffeln (Aussaatgut) berechnet Im AEB steht in diesen Fällen stets „ein halbe Vierteil". Ob und in welcher Höhe die Kirchenbauern mit Strafgeld belastet wurden, kann nicht festgestellt werden. Nach Auskunft des Historischen Staatsarchivs Altenburg sind dort auch keine Quellen vorhanden über die möglichen Belastungen der Klosterbauern (vom Franziskaner-Kloster, vom Magdaleniten-Nonnenkloster, vom Augustiner-Chorherrenstift St. Marien auf dem Berg (Berger-Kloster) u. a.). Vgl. Strafgeldregister: Peter Moßdorf und Hans Erler, AEB: Wolf Moßdorf und Peter Erler.

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und alle zusammen bewirtschafteten 15 Hufen! 81 Die Differenzierung bzw. die schmale ökonomische Basis der Bauern ist hier noch deutlicher faßbar als in Neumörbitz, wobei sich überhaupt die Frage ergibt, ob sich diese Bauern mit ihren Familien allein von dem von ihnen bewirtschafteten Boden ernähren konnten. Eine Zusammenstellung ergibt nämlich, daß lediglich ein Bauer 1 Hufe, 16 je eine halbe, zwei aber sieben je lU Hufe sowie einer einen Garten und ein weiterer drei Acker als Nahrungsgrundlage hatten. Augenfällig ist, daß von den 1525 bis 1526 genannten Namen in Bocka (je zweimal Schumann, Doberenz, Held, Sparbrott) 1548 13 davon nicht mehr vorkommen !82 Möglicherweise ist das ein Ergebnis der Bevölkerungswandlung innerhalb dieser 20 Jahre, deren Ursache in den kaum aufzubringenden Strafgeldern liegen könnte. In Flemmingen waren im Strafgeldregister „13 Mann angezeigt", darunter zehn Gärtner, doch waren nach Einsiedels Einspruch „nicht mehr denn 12 besess. Mann im Dorf". Davon wurde eine Witwe als unschuldig bezeichnet. Von diesen elf Bauern waren 27 l h fl aufzubringen. Das Amtserbbuch nennt 18 besessene Mann in der Gemeinde, von denen zwei dem Amt, 15 Abraham von Einsiedel zu Kohren und einer dem Pfaffen zu Waldburg gehörten. Diesen 18 Bauernstellen standen 182/a Hufen zur Nutzung zur Verfügung. Davon bewirtschafteten die beiden Amtsbauern allein 3V2 Hufen; sie sind neben einem weiteren besessenen Mann, der für 3A Hufen ebenfalls dem Amt zinste, übrigens die einzigen, die namentlich genannt wurden. Es läßt sich nun vermuten, daß die von Einsiedeischen Bauernstellen nicht besetzt waren. Diese Auffassung wird einmal gestützt durch den pauschalen Anschlag von einer Viertelhufe für jeden der zehn Gärtner, die offensichtlich alle den Einsiedels Untertan waren. Zum anderen werden Gangloff, Wirt zu Gerbersdorf, und Caspar Ebert zu Beiern genannt, die eine Wiese bzw. ein Stück Acker nutzten. Deren Erwähnung bedeutet m. E., daß jeder genannt wurde, der Besitz in der Flur hatte - wie auch andere Eintragungen im Amtserbbuch zeigen -, hier aber keiner weiter zu nennen war. Das wiederum könnte heißen, daß auch die Strafgeldreduzierung nicht den erhofften Erfolg hatte und die von Einsiedelschen Bauern Haus und Hof verlassen hatten. Unabhängig von dieser Vermutung haben jedenfalls die 2V2 fl Strafgeld schwer auf den Bauern gelastet, und bei der geringen Bodenfläche, die allen zur Verfügung stand, hätte auch eine pauschale Strafgeldauflage auf die Gemeinde keine Minderung der unerhörten Bedrückung für einzelne bedeutet; denn auch der wohlhabendste 81

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Eine Nachrechnung im AEB ergab, daß nur 28 besessene Mann genannt sind, die 12 1/4 Hufen bewirtschafteten. Wenn hier von Namen die Rede ist, sind selbstverständlich nur die Familiennamen gemeint, auch wenn mehrfach in beiden Quellen die Vornamen identisch sind. 1540 hat Bocka 29 besess. Mann angegeben, nämlich 9 Pferdner und 20 Gärtner, vgl. Mehlhose, Philipp, Beiträge zur Reformationsgeschichte der Ephorie Borna (Ortsgeschichte), Leipzig 1935, S. 67.

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der Bauern aus den genannten Dörfern besaß lediglich zwei Hufen, und auch auf dieser Basis bedeuteten 2V2 fl außerordentlich viel.83 Es läßt sich deshalb leicht ermessen, was es für die Bauern des Götz von Ende zu Wolkenburg und des Wolf von Zschadras in Langenleuba bedeutete, als sie zu je 4fl Strafgeld verurteilt wurden. Es handelte sich dabei um elf Bauern aus Heiersdorf, 22 aus Uhlmannsdorf, 22 aus Frohnsdorf, 14 aus Beiern und 38 aus Langenleuba, von denen sechs als Unschuldige von vornherein nicht zu zahlen brauchten und zwei weitere, die ihre Güter nicht beim Adel verschoßten und außerhalb der Gemeinde Uhlmannsdorf wohnten. Im Amtserbbuch sind für Heiersdorf 14 besessene Mann verzeichnet, darunter ein Gärtner, die 18 Hufen bewirtschafteten. Davon gehörten drei dem Amt, neun dem Erfurd von Ende, zwei dem Herrn von Schönberg zu Waldenburg. Die drei Amtsbauern zinsten dem Amt für vier Hufen, so daß für die restlichen genannten zehn Bauern - vermutlich ist der Gärtner nicht mitzurechnen, denn er ist auch nicht verzeichnet - noch 14 Hufen in der Flurnutzung verblieben. Davon besaßen vier Bauern je zwei Hufen, zwei bearbeiteten je IV2 Hufen, zwei lediglich je eine Hufe, einer 3U Hufen und der Zehnte gar nur eine viertel Hufe. Insgesamt war also auch hier nicht die ökonomische Basis vorhanden, um die 4 fl aufbringen zu können, so daß zu verstehen ist, wenn man deshalb viel Mühe mit ihnen hatte und einzelne Bauern pfändeteUm so bemerkenswerter ist, daß im Jahre 1548 lediglich ein Name nicht mehr genannt ist, der sich im Strafgeldregister 1525/26 findet. Das im Prinzip gleiche Bild zeigt sich in Uhlmannsdorf: 1525/26 mußten dort 19 Bauern zahlen - eine arme Witwe wurde vom Strafgeld verschont - , und im Jahre 1548 gehörten 21 besessene Mann, darunter drei Gärtner, mit 24 Hufen zur Gemeinde. Zwei leisteten dem Amt die Abgaben, die übrigen Erfurd von Ende zu Wolkenburg. Die beiden Amtsbauern besaßen je eine halbe Hufe, die drei Gärtner, die den von Ende gehörten, waren mit 3A Hufen veranschlagt: 1548 gab es allerdings nur noch einen Gärtner in Uhlmannsdorf. Der Hufenbesitz teilte sich unter den aufgeführten 18 Bauern - einer der Amtsbauern zinste Erfurd von Ende von einer halben Hufe - wie folgt auf: drei Bauern hatten je 2V2Hufen, einer zwei Hufen, drei standen je IV2 und zwei je eine Hufe zur Verfügung und den restlichen neun Bauern je eine halbe Hufe. Von den letzteren wohnten zwei nicht im Ort, so daß die von Ende eigentlich im Jahre 1548 nur über 16 besessene Mann in Uhlmannsdorf verfügten. Von den 1525/26 genannten 18 Namen fehlten 20 Jahre später allein sieben. Beiern gehörte wie Eschefeld zu den Orten, in denen das Amt keine Ansprüche besaß. So ist im Amtserbbuch nur vermerkt, daß von den 14 besessenen Mann elf denen von Ende zu Wolkenburg und dem Wolf von Zschadras in Langenleuba die restlichen drei und insgesamt 22V2 Hufen zur Gemeinde ge83

Es ist zu berücksichtigen, daß es sich um einen Amtsbauern handelte und der Adelsbauer mit der höchsten J^andausstattung 1,5 Hufen nutzte.

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hörten. Ebenfalls 14 besessene Mann waren auch im Strafgeldregister zu je 4 fl verurteilt worden. Welche Auswirkungen diese Strafgeldzahlungen auf die sozialen Verhältnisse dieser Bauern hatten, die im Durchschnitt IV2 Hufen bewirtschafteten, läßt sich nicht feststellen. Geradezu vernichtend muß das Strafgericht die Bauern von Langenleuba getroffen haben: Andres Schuster wurde hingerichtet, weitere vier von den 38 besessenen Mann des Wolf von Zschadras mußten Haus und Hof verlassen, aber außerdem noch Strafgeld zahlen, wobei Bartel Müller mit 20 fl und Endres Fridmann mit 22 fl von ihrem Herrn außerordentlich hoch belastet wurden. Da fünf Bauern als unschuldig bezeichnet wurden und nicht zu zahlen brauchten, mußten die verbleibenden 32 Bauern - der Witwe Andres Schusters wurde das Strafgeld erlassen — 120 fl 5 gr 6 d als Strafsumme aufbringen. Selbst wenn im Strafgeldregister vermerkt ist, daß die Beträge von Müller und Fridmann den anderen 30 Bauern mit angerechnet wurden, so verblieben für diese immerhin noch 78 fl 5 gr 6 d, und das bedeutete noch einen Durchschnitt von 2 fl 2 gr für jeden einzelnen. Das mag auf den ersten Blick eine relativ günstige Situation für diese Bauern gewesen sein, zumal Wolf von Zschadras eine weitere unterschiedliche Zahlung angeordnet hatte, berücksichtigt aber nicht die erhebliche Differenzierung unter diesen Bauern von Langenleuba sowie deren miserable soziale Ausgangsposition. Es gab nur wenige Orte im Amt Altenburg, die einen derart hohen Besatz an besessenen Mann und so wenig Hufenfläche in der Flur hatten wie Langenleuba. Nach dem Amtserbbuch gehörten zu dieser Gemeinde 45 besessene Mann, darunter acht Gärtner, auf 203A Hufen (ohne Gärtner, weil diese „nicht mehr dan ihre bloße Heußlein" hatten). Von den 45 besessenen Mann gehörten sechs dem Amt und einer dem Pfarrer von Langenleuba, die übrigen 38 Wolf von Zschadras. Es muß jedoch angenommen werden, daß im Jahre 1548 nicht alle Stellen besetzt waren, denn einmal werden nur vier Amtsbauern aufgezählt, zum anderen nur noch 32 weitere Bauern, wobei von den Namen des Hingerichteten und der Vertriebenen nur noch der eines Gärtners Wolf Fridmann auftaucht. Die vier Amtsbauern bearbeiteten allein 2V2 Hufen, und der restliche Hufenbesitz teilte sich wie folgt auf: fünf Bauern hatte je eine Hufe, drei Bauern je 3A Hufen, ein Bauer eine halbe Hufe, zehn Bauern lediglich eine viertel Hufe und fünf Bauern gar nur die Hälfte einer Viertelhufe. Bei einem Bauern ist die genutzte Fläche nicht angegeben, der andere Hofbesitzer war Wolf von Zschadras selbst (vom Vorwerk). Abgesehen von diesen beiden Ausnahmen nutzten die 24 namentlich genannten Bauern knapp 13 Hufen -, die erwähnten sechs Bauern können ja nicht mitgezählt werden. Wie die Bauern von Langenleuba die Summe von 79 fl 20 gr 6 d bis zum Endtermin aufbringen konnten, ist kaum vorstellbar, auch wenn berücksichtigt wird, daß sich dabei die 42 fl von Müller und Fridmann befinden. Bei der sozialen Differenzierung in dieser Gemeinde muß angenommen werden, daß deren Besitz nicht derartige horrende Summen einbringen konnte und in diesem Falle ja dann die

Bäuerliche Unruhen im Amt Altenburg

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Bürgen verpflichtet waren, die Strafgelder zu zahlen. Deshalb verwundert sicher auch nicht, wenn von den 13 Bürgen des Jahres 1525 zwanzig Jahre später nur noch die Namen von vier dieser Bürgen auftauchen, wobei selbst von den fünf Unschuldigen sich nur noch die Familie des Fabian Wildenhayn in der des Hans Wildenhayn erhalten zu haben scheint. Ebensowenig dürfte verwundern, daß die Gemeinde Langenleuba am Endtermin der Strafgeldzahlung noch 40 fl 6 gr schuldig blieb. Ob dieser Betrag später noch gezahlt werden mußte, ist nicht bekannt. Mit diesen Gemeinden sind Beispiele genannt worden, die ihre Termine für die Strafgeldzahlung nicht einhalten bzw. die Summen insgesamt nicht abliefern konnten. Das bedeutet jedoch nicht, daß die anderen Bauern in der Lage waren, ihre Strafen ohne besondere Schwierigkeiten zu zahlen. Es muß im Gegenteil immer wieder verwundern, wie die Betroffenen die Gelder von ihrer schmalen ökonomischen Basis erwirtschafteten, denn, wie an sich verständlich ist, glichen sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in den Dörfern des Amtes Altenburg. Wenige Orte aus der Vielzahl derer, die sowohl im Strafgeldregister als auch im Amtserbbuch genannt sind, sollen dafür als Beweise vorgeführt werden. Ausgewählt wurden Gemeinden, die sich vom östlichen zum westlichen „Zentrum" der Altenburger Unruhen hinziehen und unterschiedliche Herren hatten: Oberarnsdorf, Lugendorf (Lehndorf) und Dobra. Aus Oberarnsdorf mußten alle 15 besessenen Mann der von Ende zu Fuchshain je 2 fl Strafgeld zahlen, wobei ein Bauer (Gall Zeyner) besondere Schwierigkeiten und zum letzten Termin noch Verzug hatte. 15 besessene Mann, darunter ein Gärtner, waren es auch nach dem Amtserbbuch, die insgesamt 93A Hufen (ohne Gärtner) bewirtschafteten. Die Nutzung teilte sich wie folgt auf: sechs Bauern besaßen je eine Hufe, weitere sechs bearbeiteten je eine halbe Hufe und ein 13. lediglich eine viertel Hufe. Eine weitere Stelle war unbesetzt. Von den elf Namen des Strafgeldregisters (fünfmal Kurz) finden sich 20 Jahre später nur noch zwei wieder (dreimal Kurz). Lugendorf gibt besondere Rätsel auf: Es gehörte dem Hofmeister zu Garschitz und damit dem Amt und hatte in den Jahren 1525 und 1526 zwölf besessene Mann.84 Davon waren zwei als unschuldig angegeben, dazu eine arme Witwe („hat auch nit Kinder, die etwas getan"); alle drei brauchten nicht zu zahlen. Die restlichen neun brachten die geforderten 18 fl auf. Auch nach dem Amtserbbuch gab es zwölf besessene Mann, aber, und das ist das Besondere in diesem Falle, diese zwölf besessenen Mann bewirtschafteten insgesamt nur IV2 Hufen. Dazu bemerkt das Amtserbbuch: „alle Gärtner und geringe Zugehörunge". Auch wenn unmittelbar vor Anlage des Amtserbbuches diesen Gärtnern „etliche Felder aus dem Vorwerkshof Garschitz neulicherweise vererbet" wurden, so blieb doch 1525 bis 1526 die Basis die erwähnten IV2 Hufen, 84

Das Vorwerk Garschitz war dem Amt durch die Säkularisation des Klosters Grünhain zugefallen.

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Manfred Straube

und da der Wohlhabendste unter ihnen allein eine halbe Hufe bewirtschaftete, blieb den übrigen elf besessenen Mann nur eine Hufe! Und daß dennoch das Strafgeld aufgebracht werden konnte, zwingt zu weiteren Forschungen über mögliche zusätzliche Einnahmen dieser und anderer Bauern. Schließlich ist im Jahre 1548 noch vermerkt, daß die Lehndorfer Gärtner für ihre Fronarbeit wie Krautstechen, Heu und Hafer rechen oder Flachs raufen täglich 8 gr zahlen konnten. Auch hier ist die Frage nach der Herkunft des Geldes zu stellen. Allein von der im Amtserbbuch genannten Ackerfläche konnten die zwölf Gärtner nicht ihre Existenz bestreiten und schon gar nicht finanzielle Abgaben leisten, auch wenn in hohem Maße intensive Gartenwirtschaft betrieben worden sein sollte. Die gleichen Fragen stellen sich bei Dobra, das den von Ende zu Kayna lehen- und zinsbar war; 1525/26 hatten sie dort zwölf besessene Mann, von denen eine arme Witwe das Almosen nehmen und deshalb kein Strafgeld zahlen mußte. Da ein weiterer besessener Mann in Wildenborten ansässig war, zahlten nur zehn Bauern fristgemäß 20 fl. Von diesen zehn Bauern wurden zwei vertrieben - darunter der Hauptmann des östlichen „Zentrums", Peter Muding - , für die fünf andere Bürgschaft leisten mußten. Das Amtserbbuch nennt 13 besessene Mann, darunter elf Gärtner, wobei hier die Flächengröße in Scheffel angegeben war und 18 Scheffel für eine Hufe galten. Dabei besaß nur einer mehr als eine Hufe, und allein fünf Bauern nutzten nur je ein Drittel Hufe. Derartigen Beispielen könnten noch zahlreiche andere hinzugefügt werden. Das soll jedoch in Form einer tabellarischen Übersicht im Anhang geschehen. Das angestrebte Ziel ist sicher bereits jetzt erreicht worden: Im Amt Altenburg - und sicher nicht nur dort - gab es eine erhebliche soziale Differenzierung und eine außerordentlich schmale ökonomische Basis für jeden einzelnen besessenen Mann. Diese Tatsachen zwingen zu der Annahme, daß die meisten besessenen Mann und ihre Familien einen Nebenerwerb gehabt haben müssen, wollten sie sich ernähren. Dabei ist nicht allein an Tagelöhnerarbeit auf dem herrschaftlichen Gut zu denken, sondern wohl auch und vor allem an Heimarbeit. Ob es sich dabei um Arbeiten im Bereich der Textilproduktion gehandelt hat, kann hier nicht festgestellt werden. Möglich sind auch Arbeiten im Bereich der Forstwirtschaft und Holzverarbeitung.85 Auffällig ist, daß zahlreiche Bauernstellen im Jahre 1548 nicht besetzt und bereits 1525 die angegebenen besessenen Mann nicht immer vorhanden waren. Auffällig ist auch, daß sich in so wenig Jahren offensichtlich ein Bevölkerungswandel vollzogen hat, wenn die erwähnten Familiennamen in beiden Quellen verglichen 85

Vgl. dazu Straube, Manfred, Getreidehandel, a. a. O., als Gegenfracht für die Getreidetransporte haben die Fuhrleute meist Holz geführt. Außerdem lassen sich beträchtliche Anfänge einer burfürstlichen Forstwirtschaft nachweisen. Für sein Untersuchungsgebiet gibt Pannach, H., a.a.O., S. 42, die Einschätzung, daß sich „ein Teil von ihnen (gemeint sind die landarmen Bauern, M. S.) . . . zweifellos zeitweise als freier Lohnarbeiter mit Landanteil" verdingt hat.

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Bäuerliche Unruhen im A m t Altenburg

werden. Die Ursachen für die beiden letztgenannten Erscheinungen liegen möglicherweise in den Folgen des Bauernkrieges. Eine Zusammenfassung und Gegenüberstellung der aus beiden Quellen gewonnenen Ergebnisse ermöglicht folgende Schlußfolgerungen: Die bereits einmal mehr als Frage gefundene Formulierung von der eigentlichen Niederlage der Bauern im Bauernkrieg durch die Strafexpedition der Fürsten und Herren kann jetzt wohl mit bestätigendem Nachdruck wiederholt werden. Die Bauern im Amt Altenburg, die von den kriegerischen Ereignissen weit weg waren und kaum selbst revolutionär wirksam wurden, wurden in den vernichtenden Strudel obrigkeitlicher Rechtswillkür und feudaler Klassenjustiz hineingezogen und schwer gestraft. Auch wenn die Strafgeldanforderungen im Amt Altenburg ebenso wie im Amt Borna vergleichsweise niedrig waren, so bedeuten sie dennoch eine schwere Belastung der einzelnen besessenen Mann und führten zu einem offensichtlichen sozialen Absturz, der in den Folgejahren - bis hin zur Abfassung des Amtserbbuches und vermutlich noch über diesen Zeitraum hinaus - nicht rückgängig gemacht werden konnte. Dazu boten die aus dem Amtserbbuch nachgezeichneten Besitzverhältnisse auch keinerlei Voraussetzungen. Bei den verheerenden Folgen der Niederlage ist aber nicht nur an die Strafgelder zu denken, sondern vor allem auch an die Hingerichteten und Vertriebenen. Es bleibt noch zu untersuchen, wie groß die Zahl derer war, die unter dem Druck der Strafgelder flüchtig wurden und Haus und Hof verließen. Vielleicht haben wir hier eine besondere Art von „Freisetzung" von feudalen Bindungen vor uns, deren Opfer das Heer der unter frühkapitalistischen Produktionsverhältnissen arbeitenden Menschen vergrößerte und ständig erneuerte. Nicht vergessen werden darf aber neben dem persönlichen Leid auch die Tatsache, daß sich mit diesen Folgen des Bauernkrieges die feudale Herrschaft entscheidend festigte und für lange Jahre die objektiven und auch die subjektiven Bedingungen für eine progressive Entwicklung auf dem Lande nicht gegeben waren. 86 86

Dem steht nicht entgegen, daß bereits wenige Jahre nach der Niederlage von Frankenhausen

Nachrichten

über

mögliche

neue Bauernunruhen

auftauchen:

diese Tatsachen sind wohl doch als Verzweiflungsschritte der Bauern auf Grund der Folgen des Sieges der Fürsten zu werten.

Manfred. Straube

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