Der Ausgleich zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen in internationalen Investitionsschutzabkommen [1 ed.] 9783428552184, 9783428152186

Wie können Staaten zur Sicherstellung ihres $aright to regulate$z ihr jeweiliges Verständnis eines angemessenen Ausgleic

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German Pages 340 Year 2017

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Der Ausgleich zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen in internationalen Investitionsschutzabkommen [1 ed.]
 9783428552184, 9783428152186

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Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Band 102

Der Ausgleich zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen in internationalen Investitionsschutzabkommen

Von Christian Zielonka

Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTIAN ZIELONKA

Der Ausgleich zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen in internationalen Investitionsschutzabkommen

Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von M a r t i n Ne t t e s h e i m in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann, Jochen von Bernstorff Jörg Eisele, Martin Gebauer, Kristian Kühl Hans von Mangoldt, Wernhard Möschel Thomas Oppermann, Stefan Thomas Wolfgang Graf Vitzthum sämtlich in Tübingen

Band 102

Der Ausgleich zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen in internationalen Investitionsschutzabkommen

Von Christian Zielonka

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 21 Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7654 ISBN 978-3-428-15218-6 (Print) ISBN 978-3-428-55218-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-85218-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Diese Arbeit entstand in den Jahren 2012 bis 2017 in Stuttgart und am Lauterpacht Centre for International Law, University of Cambridge, UK. In dieser Zeit rückte die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit wohl mehr als je zuvor in den Fokus des Interesses. Dies verdeutlichte sich ewa auch dann, wenn ich nach dem Thema meiner Arbeit gefragt wurde. Benötigte ich zu Beginn meist noch einige Sätze, um zunächst in Kürze die Grundzüge des Investitionsrechts zu erläutern, genügten mit der Zeit immer häufiger wenige Stichwörter. Infolge des Protests gegen Investitionsschutzabkommen der EU, wie TTIP und CETA, und die nahezu tägliche Berichterstattung über das zähe Ringen um diese Abkommen, hatten die meisten bereits von Investitionsschutzverträgen und Investor-Staat-Verfahren vor privaten Schiedsgerichten erfahren und sich häufig auch bereits eine Meinung hierzu gebildet. Während die öffentliche Debatte andauert, stellte die Zustimmung des Europäischen Parlaments zu CETA im Februar 2017 eine Zäsur da, indem sie in Zeiten der Spekulation und Unsicherheit hinsichtlich der weiteren Entwicklungen und die Kursrichtung für zukünftige Abkommen – die eine besondere Herausforderung für diese Arbeit darstellten – Fakten schuf. Diese Arbeit berücksichtigt die Entwicklungen bis zu diesem Zeitpunkt. Bedanken möchte ich mich bei allen, die mich bei dieser Arbeit unterstützt haben. Sei es durch ihr Fachwissen und ihre praktischen Erfahrungen, ihre Anregungen und Kritik, ihr Interesse an meiner Arbeit oder durch jede sonstige Unterstützung, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen hat. Hervorheben möchte ich insbesondere meinen Doktorvater Prof. Dr. Martin Nettesheim, der mich in der Wahl meines Themas bestärkt hat, mir mit wertvollen Anregungen zur Seite stand und mich auch bei der Bewerbung für Cambridge unterstützt hat. Ebenso gilt mein Dank Prof. Dr. Jochen von Bernstorff für die Erstellung des Zweitgutachtens. Die schönste Zeit während dieser Arbeit verbrachte ich ohne Zweifel am Lauterpacht Centre, wo ich unzählige wertvolle Hinweise und Anregungen erhielt und eine unvergessliche Zeit mit tollen und beeindruckenden Menschen verbringen durfte. Mein Dank gilt hier insbesondere Prof. David Gantz, Dr. Stefan Kröll, Dr. Michael Waibel, Dr. Barnali Choudhury, Dr. Jed Odermatt, Tara Paul, Dr. Yanying Li und Emilija Marcinkeviciute.

6 Vorwort

Weiter möchte ich die wertvolle Unterstützung von Dr. Julian Scheu, Prof. Dr. Stefan Hobe, Patrick Wais und Lucie Chatelain hervorheben. Ebenso danke ich Dr. Thomas Meyding, der mich stets mit viel Wohlwollen, Entgegenkommen und Flexibilität unterstützt hat. Neben meinen treuen und lieben Freunden gilt mein allergrößter Dank, schlicht für Alles, meiner Familie. Stuttgart, im Juni 2017

Christian Zielonka

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Die gegenwärtige Ausgangslage der Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Untersuchungsinteresse und These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 A. Vertragsgestaltung vor den Herausforderungen eines gewandelten Investi­tionsumfelds, eines Krisengefühls und unter dem Eindruck der Akteure des Investitionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Vertragsgestaltung angesichts eines gewandelten Investitionsumfelds   . 36 II. Vertragsgestaltung als Reaktion auf eine Krise des Investitionsrechts  . 42 III. Das Interesse an vertraglicher Präzisierung und seine Grenzen . . . . . . 49 IV. Vertragsgestaltung unter dem Eindruck der Akteure des Investitionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 V. Schlussfolgerungen aus dem ersten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 B. Die Entwicklung der Schiedspraxis zum Schutz vor indirekter Enteignung und zu Fair and Equitable Treatment als Ausdruck eines wirksamen Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 I. Der Schutz vor indirekter Enteignung als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 C. Konsequenzen für die vertragliche Verankerung eines Ausgleichs . . . . . 256 I. Die beobachtete Entwicklung als Ausdruck eines wirksamen Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 II. Konsequenzen und Handlungsbedarf angesichts befürchteter Nachteile der vertraglichen Rekalibrierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 III. Warum ein Untätigbleiben keine Option ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 D. Gestaltungsoptionen vor dem Hintergrund eines wirksamen Widerspruchs und der beobachteten Fortentwicklung der Schiedspraxis . . . . 267 I. Optionen zur stärkeren Berücksichtigung des Regulierungsinteresses bei der Auslegung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 II. Mehr Rule – Die Präzisierung der unbestimmten Standards  . . . . . . . . 277 III. General Exceptions nach Vorbild von Art. XX GATT . . . . . . . . . . . . . . 296 Schlussbetrachtung und Ausblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Die gegenwärtige Ausgangslage der Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Das neue Ausmaß alter Kritik und der Schiedsrichter als Sündenbock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Zwischen Reflexion, Rückzug und Rekalibrierung – Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit am Scheideweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3. Der Trend zur vertraglichen Rekalibrierung als mildere Reaktion gegenüber dem radikaleren Rückzug   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Untersuchungsinteresse und These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 A. Vertragsgestaltung vor den Herausforderungen eines gewandelten Investi­tionsumfelds, eines Krisengefühls und unter dem Eindruck der Akteure des Investitionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Vertragsgestaltung angesichts eines gewandelten Investitionsumfelds  . 36 1. Die Interessenslage in den Anfängen des vertraglichen Investitionsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Die vertragliche Reziprozität wird aktuell – Rückzugstendenzen im Bewusstsein einer neuen Doppelrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 II. Vertragsgestaltung als Reaktion auf eine Krise des Investitionsrechts  . 42 1. Krisengefühle in Zeiten des Booms – Investor-Staat-Verfahren als wahrgenommene Bedrohung für legitime Gemeinwohlinteressen  . . 42 2. Präzisere Vertragsgestaltung als Antwort auf eine Fehlentwicklung und vertrauensstiftendes Signal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 III. Das Interesse an vertraglicher Präzisierung und seine Grenzen . . . . . . 49 1. Der Wunsch nach mehr Rule – Der Verlust vertraglicher Unbestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Die heutige Möglichkeit der Präzisierung – ein Verdienst auch der Schiedspraxis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 IV. Vertragsgestaltung unter dem Eindruck der Akteure des Investitionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Die heutige Interessenslage der Investoren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Die heutige Interessenslage der Schiedsrichter – steht ihr Eigen­ interesse der angemessenen Berücksichtigung von Regulierungs­ interessen entgegen?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

10 Inhaltsverzeichnis a) Vertragsgestaltung als Austarieren der Rolle der Schiedsrichter bei der Erzielung eines Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Vertragsgestaltung als Teil eines Dialogs mit den Schiedsgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 c) Hirschmans Abwanderung und Widerspruch   . . . . . . . . . . . . . . . 68 d) Vertragsgestaltung als Widerspruch bei bestehender Abwanderungsoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 e) Mehr Voice durch eine glaubwürdige Exit-Drohung? . . . . . . . . . . 73 f) Erste Hinweise auf eine erhöhte Sensibilität und Korrekturbereitschaft der Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 V. Schlussfolgerungen aus dem ersten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 B. Die Entwicklung der Schiedspraxis zum Schutz vor indirekter Enteignung und zu Fair and Equitable Treatment als Ausdruck eines wirksamen Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 I. Der Schutz vor indirekter Enteignung als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Die Fortentwicklung der Kriterien zur Abgrenzung zwischen Regulierung und indirekter Enteignung in der Schiedspraxis . . . . . . . . . . 93 a) Die Eingriffsintensität als notwendiges Kriterium einer poten­ tiellen Enteignung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 aa) Die hohe Hürde des Kontroll- oder nahezu vollständigen Wertverlusts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 bb) Und immer wieder Metalclad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Korrektur einer potentiellen Enteignung durch die Berücksichtigung des Gemeinwohlziels? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) Sole effects doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 bb) Police powers doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 cc) Der Trend zur Abkehr von Extremen – Die „gemäßigte“ Police Powers Doctrine und ihre Fortentwicklung zu einer Verhältnismäßigkeitsprüfung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 c) Indirekte Enteignung und der Schutz legitimer Erwartungen . . . 130 3. Schlussfolgerungen aus der Fortentwicklung der Schiedspraxis zum Schutz vor indirekter Enteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 4. Zunehmende Verlagerung zum FET-Standard . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Zwischen Hindernis und Gestaltungsoption – die unterschiedlichen Ausprägungen des FET-Standards und ihre Berücksichtigung in der Schiedspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Unqualifizierte FET-Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) FET in accordance with / no treatment less than required by ­international law  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

Inhaltsverzeichnis11 c) FET begrenzt auf den International Minimum Standard of Treatment  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 d) FET konkretisiert durch die Benennung von Einzelverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3. Der FET-Standard und sein Verhältnis zum Minimum Standard – Fortbestehende Gestaltungsalternative oder Unterscheidung ohne Relevanz?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Das Verhältnis des FET zum MST – zu Recht weiterhin im Fokus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Die Konvergenz von MST und FET – Wegfall einer Gestaltungsoption?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 aa) Die Annahme einer Evolution des Gewohnheitsrechts innerhalb des NAFTA – Ausdruck des vorsätzlichen Übergehens restriktiver Gestaltungsbemühungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (1) Die Begrenzung auf den Minimum Standard als Katalysator des Konvergenztrends  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (2) Die Entscheidungen Glamis Gold und Cargill – Hinweise auf fortbestehende Gestaltungsalternativen? . . . . 167 (3) Die Fortsetzung des Konvergenztrends in nachfolgenden Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 bb) Zur Relevanz einer Unterscheidung außerhalb des NAFTA  . 177 c) Rückschlüsse und Konsequenzen für die zukünftige Vertragsgestaltung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4. Die Entwicklung der unter FET gefassten Einzelverpflichtungen im Fokus der Gemeinwohlregulierung – offene Fragen und Haftungs­ risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Fokussierung auf die Einzelverpflichtungen im Mittelpunkt der Regulierungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Der Schutz vor willkürlicher Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 aa) Zum Inhalt und den Befürchtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 bb) Einschätzung des Haftungsrisikos anhand der jüngeren Schiedspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 cc) Geht die Zurückhaltung mitunter zu weit – Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit und Angemessenheit zur Aufdeckung von Missbrauch?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 c) Der Schutz legitimer Investorenerwartungen und die Pflicht zur Gewährleistung stabiler und vorhersehbarer Investitionsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 aa) Zum Inhalt und den Befürchtungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 bb) Das Vertrauen des Investors auf die Fortgeltung der bestehenden Rechtslage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 cc) Anlass zur Befürchtung – Tecmed vs. Mexico und die Annahme einer Verpflichtung zur Gewährleistung stabiler und vorhersehbarer Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

12 Inhaltsverzeichnis d) Der Trend zur Einschränkung von Investorenerwartungen – ausreichende Reaktion auf den Widerspruch?  . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 aa) Ausreichende Beschränkung auf Fälle spezifischer Zusicherungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 (1) Zum Erfordernis einer individuellen Zusicherung  . . . . 221 (2) Legitime Erwartungen aufgrund der generellen innerstaatlichen Rechtslage?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 bb) Die kontinuierliche Relativierung einer Verpflichtung zur Stabilität im Zuge der Fortentwicklung der Schiedspraxis  . . 231 cc) Die Anerkennung eines Schutzes vor diskriminierenden und unverhältnismäßigen Änderungen im Rahmen eines Abwägungsvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 ee) Die weitere Einschränkung legitimer Erwartungen durch die Berücksichtigung des Investorenverhaltens in Anbetracht der jeweiligen Umstände im Gaststaat   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 5. Schlussfolgerungen aus der Fortentwicklung der Schiedspraxis zu FET . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 C. Konsequenzen für die vertragliche Verankerung eines Ausgleichs . . . . . 255 I. Die beobachtete Entwicklung als Ausdruck eines wirksamen Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 II. Konsequenzen und Handlungsbedarf angesichts befürchteter Nachteile der vertraglichen Rekalibrierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 III. Warum ein Untätigbleiben keine Option ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 D. Gestaltungsoptionen vor dem Hintergrund eines wirksamen Widerspruchs und der beobachteten Fortentwicklung der Schiedspraxis . . . . 266 I. Optionen zur stärkeren Berücksichtigung des Regulierungsinteresses bei der Auslegung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 1. Die Betonung des Regulierungsinteresses in den Abkommenspräambeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. Normierung staatlicher Regulierungsinteressen in speziellen Regulierungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 II. Mehr Rule – Die Präzisierung der unbestimmten Standards  . . . . . . . . 276 1. Zu den Präzisierungsoptionen und gegen die Kritik an einer vertraglichen Verankerung der Schiedspraxis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2. Optionen zur Präzisierung des Schutzes vor indirekter Enteignung  . 278 a) Stärkung der Regulierungsinteressen durch die „positive“ Präzisierung des Schutzumfangs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 b) Ansatzpunkte zur Beseitigung identifizierter Auslegungsunsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 aa) Präzisierung der erforderlichen Eingriffsintensität . . . . . . . . . 280 bb) Beseitigung fortbestehender Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Berücksichtigung des verfolgten Zwecks der Maßnahme . 281

Inhaltsverzeichnis13 cc) Präzisierung der Rolle und Voraussetzungen legitimer Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 c) Stärkung der Regulierungsinteressen durch „negative“ Präzisierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 3. Optionen zur Präzisierung des Fair and Equitable Treatment Stand­ ard  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 a) Beschränkung auf den Minimum Standard . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 b) Präzisierung der Einzelverpflichtungen unter dem FET-Standard . 290 III. General Exceptions nach Vorbild von Art. XX GATT . . . . . . . . . . . . . . 295 1. Vorteile und Ausgleichspotential von General Exceptions . . . . . . . . 297 a) Ausgleichspotential durch ein beschränktes und bedingtes right to regulate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 b) Profitieren von der WTO-Rechtsprechung? . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 2. Bedenken gegen General Exceptions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 a) Zweifel an der Geeignetheit für den Enteignungs- und den FETStandard  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 b) Bedenken aufgrund der Auslegungsunsicherheit  . . . . . . . . . . . . . 304 3. Bewertung und Prognose im Lichte eines wirksamen Widerspruchs . 307 Schlussbetrachtung und Ausblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

Abkürzungsverzeichnis Am. J. Int. Law Arb. Int. BDI BIT, BITs Br. Yearb. Int. Law CEO CETA ChAFTA Eur. J. Int. Law FET Fla. J. Int. Law Fordham Int. Law J. GATS GATT ICISD Rev. ICSID IIA IIL Int. Comp. Law Q. ISDS IUSCT J. Int. Arbitr. J. Int. Econ. Law J. World Invest. Trade KAFTA KSzW Law Pract. Int. Court. Trib. MAI MST NAFTA NAM

The American Journal of International Law Arbitration International Bundesverbands der Deutschen Industrie e. V. Bilateral Investment Treaty, Bilateral Investment Treaties British Yearbook of International Law Corporate Europe Observatory Comprehensive Economic and Trade Agreement China-Australia Free Trade Agreement European Journal of International Law Fair and Equitable Treatment Florida Journal of International Law Fordham International Law Journal General Agreement on Trade in Services General Agreement on Tariffs and Trade ICSID Review International Centre for Settlement of Investment Dis­ putes International Investment Agreement International Investment Law International and Comparative Law Quarterly Investor-State Dispute Settlement Iran-United States Claims Tribunal Journal of International Arbitration Journal of International Economic Law Journal of World Investment and Trade Korea-Australia Free Trade Agreement Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht The Law and Practice of International Courts and Tribunals Multilateral Agreement for Investment International Minimum Standard of Treatment North American Free Trade Agreement National Association of Manufacturers

Abkürzungsverzeichnis15 Nw. J. Int. Law Bus. OECD RIW Santa Clara J. Int. Law Sw. J. Int. Law TTIP UNCITRAL UNCTAD VA. J. Int. Law WIR WTO WVRK

Northwestern Journal of International Law & Business Organisation for Economic Co-operation and Development Recht der Internationalen Wirtschaft Santa Clara Journal of International Law Southwestern Journal of International Law Transatlantic Trade and Investment Partnership United Nations Commission on International Trade Law United Nations Conference on Trade and Development Virginia Journal of International Law World Investment Report World Trade Organisation Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969

Einleitung Die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit hat heute viel, jedoch wenig gute Presse. Vor allem im Zuge der Debatten und Verhandlungen über die Freihandels- und Investitionsschutzabkommen der Europäischen Union wird heute regelmäßig über sie berichtet. So erfährt man, wie internationale Konzerne gegen Gesetze klagen können, „wenn ihnen Umwelt- oder Sozial­standards die Bilanz verhageln“1 und sie „Staaten vor sich hertreiben“2 können, indem ihnen durch Investitionsschutzabkommen, die den Investor „vor veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen, die den Wert seiner Anlage mindern“ schützen3, „Sonderklagerechte jenseits des Rechtsstaats“4 und „eine Art Freifahrtschein jenseits geltender Gesetze im Land“ gewährt werden.5 Gar vor einem der „der gefährlichsten Angriffe auf die demokratischen Rechtsund Sozialstaaten, die es je gegeben hat“ wird gewarnt, indem Großinvestoren ein „internationales Supergrundrecht“ auf ungestörte Investitionsausübung gewährt werde, durch welches Parlamente gefesselt und Staaten beim Erlass neuer Gesetze künftig fürchten müssten, wegen enttäuschter Gewinnerwartungen auf Schadensersatz in Milliardenhöhe verklagt zu werden.6 1  Wille, „Schiedsgerichte: Sinnvoller Investitionsschutz oder Paralleljustiz“, WDRFernsehbeitrag vom 17.05.2016, abrufbar unter: http: / / www1.wdr.de / fernsehen /  quarks / ttip-schiedsgerichte-100.html. 2  Siehe den Zeit-Artikel von Endres und Koschnitzke vom 27. März 2014, abrufbar unter: http: / / www.zeit.de / wirtschaft / 2014-03 / investitionsschutz-klauseln-beispiele. 3  Zielcke, „Sieg über das Gesetz“, Süddeutsche Zeitung vom 4. Mai 2014, ab­ rufbar unter: http: / / www.sueddeutsche.de / politik / transatlantisches-freihandelsabkom men-ttip-sieg-ueber-das-gesetz-1.1948221. 4  Haufler, „Rechtsstaat gegen Kapital“, Frankfurter Rundschau vom 5. Mai 2014, abrufbar unter: http: / / www.fr-online.de / meinung / ttip-freihandelsabkommenrechtsstaat-gegen-kapital,1472602,27028978.html. 5  Schiessl, „Der Freifahrtschein“, Spiegel, Ausgabe 4 / 2014, S. 61, zu ISDS in TTIP. 6  Prantl, „Ein heimlicher Staatsstreich“, Süddeutsche Zeitung vom 10. Mai 2014, siehe ders. „Weiße Pfote von TTIP“ vom 19. April 2015, abrufbar unter: http: / / sz.de / 1.2442014; siehe auch den Beitrag der Direktorin der weltweit größten Verbraucherschutzorganisation Public Citizen, Wallach, „Le traité transatlantique, un ­typhon qui menace les Européens“, abrufbar unter: http: / / www.monde-diplomatique.fr / 2013 / 11 / WALLACH / 49803; Kieser, „Wie TTIP nationale Standards aushebeln kann“, Deutschlandfunk Hintergrundbeitrag vom 11. Juli 2014, abrufbar

18 Einleitung

„Nicht nachlassen!“ im Protest gegen den Investorenschutz, werden die ­Leser daher aufgefordert.7 In Beiträgen wie diesen manifestiert sich eine intensive Debatte über die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit und die massive Kritik und Ablehnung, die ihr heute entgegenschlägt. In deren Mittelpunkt steht die Sorge um das Recht der Staaten, zur Verfolgung legitimer Gemeinwohlinteressen, wie etwa dem Schutz der Allgemeinheit vor gesundheitlichen Gefahren oder zum Schutz der Umwelt, entschädigungslos regulierend tätig werden zu dürfen.8 Beispielsweise durch die Verhängung von Auflagen, deren negative Kostenfolgen die Gewinnerwartungen des Investors beeinträchtigen und mitunter die gesamte Fortführung des Investitionsvorhabens in Frage stellen können, wie es erst recht bei der Versagung oder Entziehung von Genehmigungen zur Errichtung und Durchführung von Großprojekten, wie etwa Abbauvorhaben in landschaftlich und kulturell sensiblen Gebieten, der Fall ist.9 Dieses staatliche right to regulate, so die Befürchtungen, werde unangemessen eingeschränkt, indem zwar inländische wie ausländische Unternehmen dem Risiko der wirtschaftlich nachteiligen Folgen staatlicher Gemeinwohlregulierung ausgesetzt sind, Letzteren jedoch durch Internationale Investi­ tionsschutzabkommen10 die Möglichkeit eröffnet wird, sich in InvestorStaat-Schiedsverfahren auf zu weitreichende Schutzstandards zu berufen und Entschädigungen geltend zu machen. Sofern ein Sonderklagerecht ausländischer Investoren nicht überhaupt kategorisch abgelehnt wird, wird beklagt, dass in der Investitionsstreitbeilegung der angemessene Ausgleich zwischen dem Interesse des ausländischen Investors an einem effektiven Schutz seiner kostenintensiven und langfristigen Direktinvestition in einer unter: http: / / www.deutschlandfunk.de / freihandelsabkommen-wie-ttip-nationale-stan ­dards-aushebeln.724.de.html?dram:article_id=291542. 7  Endres, „Nicht Nachlassen!“, Zeit-Online vom 14. Januar 2015, abrufbar unter: http: / / www.zeit.de / wirtschaft / 2015-01 / ttip-investorenschutz-konsultation-malm stroem. 8  Wenn im Folgenden vom Regulierungsinteresse gesprochen wird, so bezieht sich dies stets allein auf das Interesse des Staats, wirtschaftliche Individualinteressen des Investors und Gemeinwohlinteressen regulierend in Ausgleich zu bringen, welches auch als Regulierungsinteresse im engeren Sinne bezeichnet werden kann, siehe Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungs­ interessen, S. 248. Ausgeklammert bleibt hingegen das Interesse an Regulierung unter Berufung auf Notstandssituationen oder den Fall der Bedrohung der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung. 9  Siehe zur exemplarischen Veranschaulichung eines Falles, in welchem Investoren- und Regulierungsinteressen aufeinanderprallten, etwa den in Fn. 553 beschriebenen Sachverhalt. 10  Der Begriff der International Investment Agreements („IIA“) bezeichnet im Folgenden sowohl Bilateral Investment Agreements („BITs“) als auch internationale Handelsabkommen mit Investitionsschutzkapitel.



I. Die gegenwärtige Ausgangslage der Betrachtung19

fremden Rechtsordnung und dem staatlichen Regulierungsinteresse nicht mehr gewahrt sei.

I. Die gegenwärtige Ausgangslage der Betrachtung 1. Das neue Ausmaß alter Kritik und der Schiedsrichter als Sündenbock Weder die Problematik eines angemessenen Ausgleichs zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen noch die Kritik an einer zu weitgehenden Einschränkung der staatlichen Regulierungsfreiheit sind indes eine neue Erscheinung. Ganz im Gegenteil. Die Problematik eines Ausgleichs zwischen Investitionsschutz und Regulierungsfreiheit zählt seit Beginn des vertraglichen Investitionsrechts zu dessen Kernfragen, denn die Gewährung des Investorenschutzes durch die Einschränkung der staatlich-souveränen Handlungsfreiheit war, ist und bleibt gerade die Intention der Investitionsschutzabkommen und folglich der Konflikt dieser widerstreitenden Interessen Regelungsgegenstand der Abkommen. Ebenso hat die Kritik an einer unangemessenen Einschränkung der staatlichen Regulierungsfreiheit infolge der Anerkennung zu weitgehender Investorenrechte heute zwar ein bisher unerreichtes Ausmaß erreicht, sie ist jedoch gewiss alles andere als neu. Befeuert wurde sie bereits als sich erstmals große kapitalexportierende Industriestaaten zu ihrer Verwunderung auf der Anklagebank wiederfanden und die Erfahrung machten, wie Investitionsschutzabkommen, die sie doch im Hinblick auf den Schutz ihrer eigenen Investoren abgeschlossenen hatten, auch gegen sie gewendet werden können. Insbesondere die ersten Fälle im NAFTA-Kontext schreckten auf. War erwartet worden, Schiedsklagen würden sich zukünftig vor allem gegen Mexiko richten, sahen sich in gleicher Weise auch die USA und Kanada den Klagen ausgesetzt, ihre Regulierungsmaßnahmen stellten eine indirekte Enteignung oder einen Verstoß gegen den Standard des Fair and Equitable Treatment („FET“) dar. Durch die ersten Klagen und die Erfahrung, wie aggressiv sich diese zunehmend auch gegen staatliche Gemeinwohlmaßnahmen richteten, wurde die Gefahr real, diese könnten in Zukunft regelmäßiger und leichter als entschädigungspflichtige Verletzung investitionsrecht­ licher Verpflichtungen gewertet werden. Dies alarmierte Regierungen und rief Nichtregierungsorganisationen auf den Plan.11 Fortan ging die Angst 11  Zu nennen ist hier etwa einer der ersten NAFTA Fälle Ethyl Corp. & Ethyl Canada Corp. vs. Government of Canada, NAFTA / UNCITRAL, Statement of Claim, 2. Oktober 1997 („Ethyl Corp. vs. Canada“), Abs. 19 ff., in welchem ein amerikanischer Chemikalienhersteller geltend machte, das zum Schutz vor mög­

20 Einleitung

um, Staaten müssten sich künftig ihre legitimen Regulierungsmaßnahmen um den Preis der Entschädigungspflicht erkaufen oder aber es könne zu einem Regulatory Chill kommen, wonach Staaten von legitimen Regulierungsmaßnahmen im Gemeinwohlinteresse absehen könnten, um sich nicht der Gefahr der Entschädigungspflicht in einer, vor allem für schwächere Staaten, mitunter existenzbedrohenden Größenordnung auszusetzen.12 Als Hauptursache dieser Entwicklung wurde indes nicht der Umstand ausgemacht, dass sich Staaten als Ausdruck ihrer Souveränität dafür entschlossen hatten, Investitionsschutzabkommen abzuschließen und Investoren durch unbestimmte und in hohem Maße auslegungsbedürftige Schutzstandards Sonderrechte einzuräumen. Vielmehr wurde die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zum Sündenbock erkoren, denn schließlich – so der verbreitete Vorwurf – waren es doch erst die Schiedsgerichte, die die vertragliche Unbestimmtheit der Abkommenstexte dann auch ausnutzten, um die eingeräumten Investorenrechte immer expansiver auszulegen, wodurch es erst zu einer zu weitgehenden und von den Vertragsstaaten nicht intendierten Einschränkung der staatlichen Regulierungsfreiheit gekommen sei. Angesichts der rasant angestiegenen Zahl der Investorenklagen wurde jedenfalls das Gefühl einer Krise der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit vernehmbar und lichen Gesundheitsgefahren erlassene Verbot des Imports eines Benzinzusatzstoffs stelle eine Verletzung der Investitionsschutzbestimmungen des NAFTA dar und 251 Mio. US Dollar Schadensersatz forderte. Letztlich ging Kanada einen Vergleich ein und zahlte 19,3 Mio. US Dollar. 12  Als Beispiel für die damaligen durch den Fall Ethyl Corp. vs. Canada, supra Fn. 11, ausgelösten Befürchtungen, siehe Sforza / Vallianatos, Chemical Firm uses trade pact to contest environmental law, Global Policy Forum, April 1997: „If such cases were to become commonplace, governments would have to give due consider­ ation to the potential fiscal costs before passing needed regulations. The threat of suits like Ethyl’s could be used to pressure lawmakers who are considering new regulations. Ethyl submitted an intent to file suit six months before the MMT ban was passed in the Canadian legislature. Ethyl hoped that the threat of a lawsuit would deter policymakers from passing the bill. While Ethyl failed in this instance, the ability of investors to use their private legal standing to credibly threaten major suits could lead to successful efforts in the future to intervene in the democratic decision-making process and alter the outcome of legislative debate.“, abrufbar unter: http: / / www.globalpolicy.org / component / content / article / 212 / 45381.html; zu diesem Risiko aufgrund der deutschen BITs und der damaligen Entscheidungen zum FET-Standard, siehe Ceyssens / Sekler, BITs der Bunderepublik Deutschland, S. 47: „Angesichts der hohen Anforderungen der Schiedsgerichte besteht die Gefahr, dass Gaststaaten aus Furcht vor Schadenersatzansprüchen vor der Rechtsdurchsetzung gegenüber ausländischen Investoren generell zurückschrecken. Dabei könnten auch notwendige und sinnvolle politische Initiativen zur Veränderungen regulatorischer Rahmenbedingungen unterbleiben.“; zu dieser Befürchtung auch Been / Beauvais, N.Y.U. Law Rev. 2003, S. 132 ff., m. w. N.; zur Gefahr des regulatory chill in Bezug auf Umweltschutzziele, Miles, The Origins of International Investment Law, S. 178 ff.



I. Die gegenwärtige Ausgangslage der Betrachtung21

waren Rückzugstendenzen zu beobachten.13 Seither wird zunehmend hinterfragt, inwieweit es legitim ist, dass private Schiedsgerichte über die Zulässigkeit der Gemeinwohlmaßnahmen demokratisch legitimierter Regierungen befinden. So ist die Debatte über die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit an einen Punkt gelangt, an welchem über die Alternativen „Killing or Re­ thinking“14 nachgedacht und die Sicherstellung der Regulierungsfreiheit als conditio sine qua non für ihr Fortbestehen erachtet wird.15 Heute sind seit den ersten Klagen gegen Regulierungsmaßnahmen, welche die Kritik an dem ausländischen Investoren eingeräumten Schutz und der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit befeuerten einige Jahre verstrichen. Die Kritik ist indes keineswegs abgeebbt. Im Gegenteil ist sie beständig lauter geworden und heute mehr denn in aller Munde. Nicht nur die Reaktionen von staatlicher Seite, aus der Wissenschaft16 und von zivilgesellschaftlichen Organisationen zeugen davon, dass die Gefahr einer unangemessenen Einschränkung der Regulierungsfreiheit als alles andere als gebannt angesehen wird. Die Besorgnis über einen zu weitgehenden Investorenschutz mächtiger Großkonzerne zu Lasten der Verfolgung legitimer Gemeinwohlziele, deren Konsequenzen – wie etwa im Fall des Umweltund Gesundheitsschutzes – nicht abstrakt bleibt, sondern auch die tägliche Lebenswirklichkeit des Einzelnen anschaulich berühren, ist heute zudem längst nicht mehr nur auf Expertenkreise beschränkt. Insbesondere infolge des zähen Ringens um den Abschluss des Umfassenden Wirtschafts- und Freihandelsabkommens der EU mit Kanada (CETA)17 sowie die Debatten über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft mit den USA (TTIP), steht die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit heute mehr denn je im Fokus. Vor allem in Deutschland hat eine bisher beispiellose öffent13  Zu dieser Wahrnehmung Waibel / Kaushal, Kyo-Hwa / Balchin, The Backlash Against Investment Arbitration, S. xxxvii; zu Anzeichen eines backlash bereits Blackaby, Public Interest and Investment Arbitration, S. 356 f. 14  Schill, The Public Law Challenge: Killing Or Rethinking International Investment Law, S. 1. 15  So etwa Titi, Right to Regulate, S. 74. 16  Siehe z. B. das „Public Statement on the International Investment Regime“, vom 31. August 2010, („Public Statement“), abrufbar unter: http: / / www.osgoode. yorku.ca / public-statement-international-investment-regime-31-august-2010 / . 17  Dem am 30. Oktober 2016 unterzeichneten CETA stimmte das Europäische Parlament am 15. Februar 2017 zu, wodurch Teile des Abkommens vor der Zustimmung aller EU-Mitgliedsstaaten vorläufig zur Anwendung gelangen können. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits in einem Eilverfahren am 13. Oktober 2016 entschieden, dass dies nur für die Teile gilt, die in die ausschließliche Kompetenz der EU fallen und dass hiernach unter anderem die Regelungen zum Investitionsschutz, einschließlich des Gerichtssystems, nicht von der vorläufigen Anwendbarkeit erfasst werden.

22 Einleitung

liche Debatte über ihre Legitimität eingesetzt, die maßgeblich von dem zumeist düsteren, ja mitunter verheerenden Bild geprägt wird, welches von der Schiedsgerichtsbarkeit in Berichten und Darstellungen, wie den eingangs zitierten oder auch anlässlich europaweiter Protestaktionen gezeichnet wird. Bedrohliche Fallstatistiken, Beispiele erfolgreicher Investorenklagen und besonders prominente Fälle werden angeführt, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen und eine gegenwärtige und reale Bedrohung legitimer Regulierungsinteressen durch die Schiedsgerichtsbarkeit zu belegen.18 Dass die Vorstellung, Schiedsrichtern die Entscheidung anzuvertrauen, ob multinationalen Großkonzernen Steuergelder in Milliardenhöhe als Entschädigung für die Maßnahmen demokratisch legitimierter Regierungen zu bezahlen sind, bei vielen Menschen, die häufig erst durch diese Berichte und Proteste das erste Mal mit Investitionsschutzabkommen, besonderen Schutzstandards und der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit in Berührung kommen, Verwunderung und Ablehnung auslöst, erscheint hiernach wenig überraschend. Doch unabhängig davon, inwieweit die Berichterstattung und die Protestaufrufe nun ein realistisches oder ein verzerrtes Bild zeichnen, weist schon der Umstand, dass sich Staaten etwa aufgrund von Umwelt- und Gesundheitsschutzmaßnahmen auch in jüngerer Zeit regelmäßig dem Vorwurf des Verstoßes gegen vertragliche Schutzstandards erwehren müssen und sich Investoren durch diese Klagen – oder auch nur deren Androhung – offensichtlich weiterhin Erfolgschancen ausrechnen, den negativen wirtschaftlichen Folgen dieser Maßnahmen zumindest teilweise entgehen zu können, auf ein reales und ernstzunehmendes Haftungsrisiko hin. Auch sprechen für ein solches zukünftige Konfliktfelder, wie zum Beispiel das in Deutschland hochumstrittene, in Großbritannien und Polen allerdings bereits 18  So etwa die Klage von Vattenfall gegen die Bundesrepublik aufgrund des Atomausstiegs, Vattenfall AB and others vs. Federal Republic of Germany, ICSID Case No. ARB / 12 / 12; die lange als Paradebeispiel für die Exzesse der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit angeführten Klagen von Phillip Morris gegen Australien und Uruguay, aufgrund strikterer Vorschriften zur Zigarettenvermarktung und Einheitsverpackungen mit Schockbildern aus Gründen des Gesundheitsschutzes, können hingegen nicht mehr hierfür dienen. Während in der Klage gegen Australien einstimmig die Zuständigkeit verneint und somit keine Entscheidung über die Verletzung von materiellen Schutzstandards getroffen wurde, siehe Philip Morris Asia Limited vs. The Commonwealth of Australia, UNCITRAL, PCA Case No. 2012-12, Award on Jurisdiction and Admissibility, 17. Dezember 2015, wurde in Philip Morris Brands Sàrl, Philip Morris Products S.A. and Abal Hermanos S.A. vs. Oriental Republic of Uruguay, ICSID Case No. ARB / 10 / 7, Award, 8.  Juli 2016 („Philipp Morris vs. Uruguay“) mehrheitlich insbesondere eine indirekte Enteignung und eine Verletzung des FET-Standards verneint und in aller Deutlichkeit betont, dass es sich um entschädigungslos zulässige Regulierungsmaßnahmen handelte (siehe a. a. O., Abs.  286 ff. und Abs.  388 ff.).



I. Die gegenwärtige Ausgangslage der Betrachtung23

praktizierte Fracking, das als drohendes Szenario für Investorenklagen prophezeit wird, sollten sich Staaten zukünftig zu einem Verbot, zu Moratorien oder zur Rücknahme von Lizenzen entschließen.19 2. Zwischen Reflexion, Rückzug und Rekalibrierung – Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit am Scheideweg Angesichts der beschriebenen Entwicklung, Besorgnis und Kritik befindet sich das Internationale Investitionsrecht in einer Phase der Reflexion und Rekalibrierung20, in welcher institutionelle, prozessuale und materiellrechtliche Vorschläge zu seiner Reform und der zukünftigen Form der Streitbeilegung Hochkonjunktur haben.21 Staaten stehen hiernach vor der Frage, wie zu reagieren ist. Kosten und Nutzen von Investor-Staat-Verfahren vor Schiedsgerichten werden abgewogen und die eigene Rolle im Investitionsrecht überdacht: Sollte man der Schiedsgerichtsbarkeit und Investor-StaatVerfahren aus Sorge um die Regulierungsfreiheit künftig den Rücken kehren? Einzelne Staaten haben bereits Rückzugstendenzen gezeigt, so etwa Bolivien (2007), Ecuador (2009) und Venezuela (2012) mit der Kündigung von ICSID, dem wichtigsten Forum zur Streitbeilegung. Während dieser Schritt aufgrund der in der Regel fortbestehenden Möglichkeit einer Klage vor einem anderen Forum weniger dramatisch sein mag, als es nach der Beach19  Siehe die Pressemitteilung verschiedener Nichtregierungsorganisationen wie Power Shift, Corporate Europe Observatory, Transnational Institute u. a. vom 6. März 2014: „EU-USA Handelsabkommen: Einfallstor für Milliardenklagen gegen Fracking-Verbote“, abrufbar unter: http: / / power-shift.de / wordpress / wp-con tent / uploads / 2014 / 03 / PR-TTIP-fracking-Brief-German1.pdf, anlässlich einer Studie dieser Organisationen zum Fracking und den Klagemöglichkeiten durch die TTIP: „No fracking Way: How the EU-US trade agreement risks expanding fracking“, abrufbar unter: http: / / www.foeeurope.org / sites / default / files / publications / foee_ttipisds-fracking-060314.pdf. 20  Vgl. Kurtz, 106 Am. J. Int. Law 2012, S. 686; UNCTAD, WIR 2014, S. 126. 21  Siehe etwa die große Zahl an Vorschlägen, welche in TDM Issue 1 (2014), Reform of Investor-State Dispute Settlement: In Search of a Roadmap, zusammengefasst sind oder auch die zukünftigen Optionen, die Sauvant / Ortino, Improving the IIL and Policy Regime, S. 91 ff. erörtern; siehe auch das UNCTAD, Investment Policy Framework for Sustainable Development; siehe auch das Konzeptpapier der EU-Kommission, Investment in TTIP and beyond – the path for reform („EUKonzeptpapier“), welches neben den bereits erreichten Reformansätzen auch den Weg von der ad hoc Schiedsgerichtsbarkeit zu einem multilateralen Streitbeilegungssystem und einem permanenten Investment Court skizziert, abrufbar unter: http: / /  trade.ec.europa.eu / doclib / docs / 2015 / may / tradoc_153408.PDF sowie das Fact Sheet der Kommission hierzu vom 13.  Dezember 2016, abrufbar unter: http: / / europa. eu / rapid / press-release_MEMO-16-4350_en.htm.

24 Einleitung

tung, welche diese Schritte gefunden haben, den Anschein hat22, manifestiert sich eine Abkehr von der Schiedsgerichtsbarkeit deutlicher in der Beendigung bestehender Investitionsschutzabkommen. So führte etwa Südafrika, nachdem man sich erst infolge mehrerer Klagen wirklich bewusst geworden sei, welche Konsequenzen die abgeschlossenen Verträge für die zukünftige Politikgestaltung des Landes haben23, ein umfangreiches Überprüfungsprogramm durch, in dessen Folge es bereits seit Juli 2010 die Beendigung aller bestehenden bilateralen Investitionsschutzabkommen anstrebt.24 Neuverhandlungen, so erklärte die Regierung, würden – wenn überhaupt – nur auf Grundlage eines neuen Model-BIT angeboten, der gewährleistet, dass staatlichen Regulierungsinteressen ausreichend Rechnung getragen wird.25 Auch Indonesien erklärte, den mit den Niederlanden bestehenden BIT zum 1. Juli 2015 sowie auch alle weiteren seiner 67 bestehenden Abkommen beenden zu wollen.26 Bereits im April 2011 unter der Gillard-Regierung hatte auch Australien angekündigt, in Sorge um die eigene Regulierungsfreiheit in künftigen Abkommen keine Investor-Staat-Streitbeilegung mehr vorzusehen. Australische Investoren müssten fortan selbst einschätzen, ob sie bereit sind, die Risiken ausländischer Direktinvestitionen einzugehen.27 22  Siehe Schreuer, Preventing a backlash against investment arbitration: Could the WTO be the solution?, S. 1, den Rückzug von ICSID daher nicht annähernd so dramatisch erachtend, wie er zunächst erscheine. 23  Siehe das Eingeständnis im Executive Summary des Positionspapiers der südafrikanischen Regierung vom 7. Juli 2009, Bilateral Investment Treaty Policy Framework Review, S. 5, abrufbar unter: www.info.gov.za / view / DownloadFileActio n?id=103768: „Prior to 1994 the RSA had no history of negotiating BITs and the risks posed by such treaties were not fully appreciated at that time. The Executive had not been fully appraised of all the possible consequences of BITs. While it was understood that the democratically elected government of that time had to demonstrate that the RSA was an investment friendly destination, the impact of BITs on future policies were not critically evaluated.“; zur Frage, ob sich Entwicklungsstaaten der Kosten des Abschlusses von BITs bewusst waren, siehe auch Poulsen / Aisbett, 65 World Politics 2013, S. 273. 24  Am 25.10.2013 kündigte Südafrika etwa den mit der Bundesrepublik, am 30.10.2013 den mit der Schweiz abgeschlossenen BIT. Aufgrund von Survival Clauses bleiben getätigte Investitionen für weitere 20 Jahre durch diese Abkommen geschützt. 25  Siehe die zusammenfassende Präsentation des südafrikanischen Department of Trade and Industry, „Update on the Review of Bilateral Investment Treaties in S ­ outh Africa“, vom 15.  Februar 2013, abrufbar unter: www.thedti.gov.za / parliament /  bit’s_in_sa.pdf. 26  Hierzu auch UNCTAD, WIR 2014, S. 114. 27  Australian Government, Department of Foreign Trade and Affairs, Gillard Government Trade Policy Statement: Trading Our Way to More Jobs and Prosperity, April 2011, S. 14: „In the past, Australian Governments have sought the inclusion of investor-state dispute resolution procedures in trade agreements with developing



I. Die gegenwärtige Ausgangslage der Betrachtung25

Ein Kurswechsel folgte jedoch unter der national-liberalen Koalition. Mit der Erklärung Investor-Staat-Verfahren in zukünftigen Abkommen im Einzelfall vorzu­sehen sowie der Unterzeichnung der Freihandelsabkommen mit Korea ­(KAFTA) im April 2014 sowie mit China (ChAFTA) im Juni 2015, die eine solche Klagemöglichkeit einräumen28, offenbarte die Regierung die Überzeugung, dass Regulierungsinteressen im Wege der vertraglichen Ausgestaltung sichergestellt werden können.29 Eine Auffassung, welcher wiederum zahlreiche Stimmen widersprachen.30 Mit Italien hat im Mai 2015 das erste europäische Mitgliedsland die Europäische Energiecharta gekündigt und gehört ihr seit 2016 nicht mehr an, um nicht mehr vor Schiedsgerichten verklagt werden zu können. Auch diese Kündigung kam zur Unzeit für jene Regierungen, die entgegen den Forderungen nach einer Abkehr vom gegenwärtigen vertraglichen Investorenschutz und Investor-Staat-Verfahren auch zukünftig an einer Klagemöglichkeit außerhalb staatlicher Gerichte festhalten wollen. Mehr denn je stehen sie heute unter einem immensen Druck, diese Position als verantwortungsvolles Regierungshandeln rechtfertigen zu können. Dies gilt auch für die Europäische Union, die infolge des Kompetenzübergangs zum Abschluss von Investitionsschutzabkommen durch den Vertrag von Lissabon zu einem der bedeutendsten Akteure des Internationalen Investitionsrechts wurde. Konnte über CETA zunächst noch vergleichsweise ungestört politische Einigung erzielt werden, änderte sich dies spätestens mit der Veröffent­ countries at the behest of Australian businesses. The Gillard Government will discontinue this practice. If Australian businesses are concerned about sovereign risk in Australian trading partner countries, they will need to make their own assessments about whether they want to commit to investing in those countries.“; hierzu auch Kurtz, 27 ICSID Rev. 2012, S. 65; Trakman, J. World Trade 2012, S. 83. 28  Australia  – Republic of Korea FTA, in Kraft getreten am 12.  Dezember 2014; Australia  – China FTA, unterzeichnet am 17.  Juni 2015; das am 15.  Januar 2015 in Kraft getretene Australia – Japan EPA enthält zwar kein ISDS, jedoch wurde eine Klausel vorgesehen, wonach für den Fall, dass Australien in einem späteren bilateralen oder mulilateralen Abkommen – wie nun mit China – ISDS zustimmt, eine Überprüfung des Abkommens im Hinblick auf die Einführung eines vergleichbaren Mechanismus erfolgen soll (Art. 14.19 (2)). 29  Dies macht auch die Pressemitteilung zum ChAFTA vom 17. November 2014 deutlich, abrufbar unter: http: / / trademinister.gov.au / releases / Pages / 2014 / ar_mr_141 117.aspx. 30  Siehe im Rahmen der Konsultation zum KAFTA exemplarisch, Tienhaara, Investor-State Dispute Settlement in the Korea-Australia Free Trade Agreement, Submission to the Senate Foreign Affairs, Defence and Trade References Committee, 29. April 2014, eine Streichung von ISDS fordernd, da die vertraglichen Vorkehrungen zur Sicherstellung staatlicher Regulierungsinteressen unerprobt und unzureichend seien, abrufbar unter: http: / / regnet.anu.edu.au / sites / default / files / uploads /  2015-05 / Tienhaara_KAFTAsubmission.pdf.

26 Einleitung

lichung des konsolidierten Abkommenstexts im September 2014, zumal er als richtungsweisend für den in der TTIP verfolgten Ansatz erachtet wurde und die wesentlichen Klauseln des Vertragstexts im Rahmen der öffent­ lichen Konsultation zur Erläuterung des EU-Ansatzes wiedergegeben wurden.31 Auch zu dieser öffentlichen Konsultation und Aussetzung der Verhandlungen zum Investitionsschutzkapitel in TTIP sah sich die Kommis­ sion gezwungen, um auf die zunehmende öffentliche Debatte und die wachsende Besorgnis über die Investor-Staat-Streitbeilegung zu reagieren.32 Immense Überzeugungsarbeit wird seither geleistet, um die kritische und besorgte Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass es möglich ist, das ­angestrebte „höchstmögliche Maß an Rechtsschutz- und Rechtssicherheit“ und die Sicherstellung staatlicher Regulierungsinteressen in Einklang zu bringen.33 Darstellungen in der öffentlichen Debatte über den Investitionsschutz werden als „unwahr“34 und Beispiel einer Reihe von „Missverständnissen und sogar Falschdarstellungen“ deklariert.35 Eine Darstellung, der wiederum unter Verweis auf die Schiedspraxis in Regulierungsfällen umgehend widersprochen wurde.36 31  Das im Rahmen der öffentlichen Konsultation verwendete Dokument („EUKonsultationspapier“) ist abrufbar unter: http: / / trade.ec.europa.eu / doclib / docs / 2014 /  march / tradoc_152280.pdf. 32  Siehe Pressemitteilung der Europäischen Kommission zur öffentlichen Konsultation zum Investorenschutz in der TTIP vom 27. März 2014, abrufbar unter: http: / / europa.eu / rapid / press-release_IP-14-292_de.htm. 33  Siehe die im Oktober 2014 veröffentlichten Verhandlungsleitlinien des Rats der Europäischen Union für die Verhandlungen zur TTIP, unter Nr. 23, erster Spiegelstreich und letzter Spiegelstrich, abrufbar unter: http: / / data.consilium.europa.eu /  doc / document / ST-11103-2013-DCL-1 / de / pdf sowie die Pressemitteilung zum Statement of the European Union and the United States on Shared Principles for In­ ternational Investment vom 10.  April 2012, abrufbar unter: http: / / europa.eu / ra pid / press-release_IP-12-356_en.htm?locale=en; siehe aber auch die Entschließung des EU-Parlaments zur zukünftigen europäischen Auslandsinvestitionspolitik vom 6. April 2011 (2010 / 2203(INI), insbesondere Ziffer 24 und 25, in welcher es große Besorgnis im Hinblick auf eine zu stark auf den Schutz der Investoren ausgerichtete Investitionspolitik äußerte und die Kommission aufforderte, in zukünftigen Abkommen spezielle Klauseln zur Sicherstellung staatlicher Regulierungsinteressen vorzusehen; siehe auch die Reaktion der Kommission hierauf vom 5.  Juli 2011, abrufbar unter: www.europarl.europa.eu / oeil / spdoc.do?i=19829&j=0&l=en; hierzu auch Clodfelter, 12 Santa Clara J. Int. Law 2014, S. 165. 34  Mitteilung der Kommission: „Incorrect claims about investor-state dispute settlement“, vom 3.  Oktober 2013, abrufbar unter: http: / / trade.ec.europa.eu / doclib / docs / 2013 / october / tradoc_151790.pdf; siehe auch das Informationsblatt der Kommission: „Investor-to-State Dispute Settlement (ISDS)  – Some facts and fig­ ures“, abrufbar unter: http: / / trade.ec.europa.eu / doclib / docs / 2015 / january / tradoc_ 153046.pdf. 35  Siehe die Pressemitteilung der Kommission zur öffentlichen Konsultation vom 27. März 2014, supra Fn. 32.



I. Die gegenwärtige Ausgangslage der Betrachtung27

Auf die Aufforderung der Kommission, ihr Kommentare zu der Frage zukommen zu lassen, ob bei dem von der EU vorgeschlagenen Ansatz für TTIP das Verhältnis zwischen dem Schutz der Investoren und der Regulierungsfreiheit ausgewogen genug ist, gingen nahezu 150.000 Reaktionen vor allem aus Großbritannien, Österreich und Deutschland ein.37 Auch sie sind Ausdruck der verbreiteten Besorgnis im Hinblick auf die Investor-StaatStreitbeilegung, die eine Reaktion verlangt. Ausgehend von den im Rahmen der Konsultation erhaltenen Rückmeldungen legte die EU-Kommission anschließend den Vorschlag für eine Investitionsgerichtsbarkeit vor, bestehend aus einem Investitionsgericht Erster Instanz und einem Berufungsgericht mit jeweils öffentlich bestellten Richtern, wie sie im CETA erstmals vorgesehen wurde.38 Doch während EUHandelskommissarin Malmström erklärte, mit diesem Vorschlag das Versprechen eingelöst zu haben, eine neue, zeitgemäße Investitionsstreitbeilegung nach demokratischen Grundsätzen und unter öffentlicher Kontrolle einzurichten39, bewerteten kritische Stimmen diese Reformvorschläge umgehend als halbherzig.40 Der Vorschlag zeige, dass die Kommission noch immer nicht zu einer grundlegenden Reform des Investitionsschutzes bereit sei, sondern stattdessen versuche systemimmanente Schwachstellen durch kosmetische Korrekturen zu übertünchen, die Öffentlichkeit zu besänftigen und eine massive Ausweitung des weltweiten Investitionsschutzes zu rechtfertigen.41 Das eigentliche Problem der Privilegierung des Schutzes des Eigentums und der Gewinnerwartungen ausländischer Investoren werde nicht gelöst und eine wirksame Eingrenzung der materiellen Investorenrech36  Johnson / Volkov, Invest. Treaty News 1 / 2014, S. 3: „[T]he European Commission recently issued a statement […] labeling as flatly ‚untrue‘ concerns that investor-state dispute settlement ‚subverts democracy‘, ‚takes places behind closed doors‘, ‚undermines public choices‘ and is handled by a ‚a small clique of lawyers‘. But, evidence from decisisons regarding state liability for regulatory change shows something different.“ 37  Wenngleich davon „nur“ 3.450 individuelle Antworten waren, während 97 % der Antworten als vorgefertigte Antworten über Onlineplattformen von Organisationen wie Campact versandt wurden, siehe den Bericht der Kommission über das Ergebnis des Konsultationsverfahrens vom 13. Januar 2015, abrufbar unter: http: / / trade.ec.europa.eu / doclib / docs / 2015 / january / tradoc_153044.pdf. 38  Siehe die Pressemitteilungen vom 16. September 2015 und 12. November 2015, abrufbar unter: http: / / europa.eu / rapid / press-release_IP-15-5651_en.htm; siehe Art. 8 Section F CETA. 39  Siehe die Pressemitteilung vom 16. September 2015, supra Fn. 38. 40  Siehe z.  B. die gemeinsame Analyse des Reformvorschlags von PowerShift, Campact und TTIPunfairHandelbar, abrufbar unter: http: / / www.ttip-unfairhandelbar. de / start / material / themen / investitionsschutz / . 41  Ibid.

28 Einleitung

te zur Stärkung des staatlichen Regulierungsrechts nicht erzielt.42 Die EUKommission hingegen zeigt sich überzeugt, eben dies durch vertragliche Vorkehrungen im Abkommenstext wirksam erreichen und das Recht zur Regulierung garantieren zu können.43 3. Der Trend zur vertraglichen Rekalibrierung als mildere Reaktion gegenüber dem radikaleren Rückzug Um die vertragliche Fixierung und Präzisierung eines Ausgleichs zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen in den Abkommenstexten, als die gegenüber dem radikaleren Rückzug von Investor-Staat-Verfahren mildere Reaktion, soll es in dieser Arbeit gehen. Mittlerweile haben bereits einige Staaten diese Option gewählt, um ihre legitime Regulierungsinteressen sicherzustellen. Insbesondere die USA und Kanada haben in Reaktion auf die im NAFTA-Kontext gemachten Erfahrungen bereits 2004 erstmals ihre Musterabkommen überarbeitet und damit als Vorreiter eine Neue Generation44 von Investitionsschutzabkommen eingeläutet.45 Damit setzte ein Trend ein, von dem zu erwarten ist, dass er sich auch in den nächsten Jahren fortsetzen wird.46 Zumal bereits jetzt mehr als 1.300 Abkommen, die im BIT-rush der Neunziger Jahre geschlossen wurden, bald auslaufen werden und beendet oder neuverhandelt werden können und sich diese Zahl in 2018 auf mehr als 1.500 Abkommen erhöhen wird.47 Dies bietet die große Chance, vertragliche Änderungen zur Erzielung ausgewogenerer Abkommenstexte vorzunehmen. Hierbei sind die Staaten aber auch gezwungen Farbe zu bekennen und Entscheidungen zu treffen, die – betrachtet man die lange Laufzeit der Abkommen – schwer wiegen können: 42  Ibid.

43  Siehe die Pressemitteilung sowie den Leitfaden der EU-Kommission vom 16. September 2015, supra Fn. 38. 44  Die Neue Generation bezeichnet dabei alle Abkommen, die vertragliche Neuerungen und Anpassungen vorsehen, mit welchen Staaten beabsichtigen, ihre Regulierungsfreiheit zu stärken und einem potentiellen regulatory chill vorzubeugen, vgl. Beechey / Crocket, New Generation of Bilateral Investment Treaties, S. 5, hierunter alle ab 2004 abgeschlossenen BITs fassend. 45  Siehe auch UNCTAD, BITS 1995–2006: Trends in Investment Rulemaking, S. 142, bereits einen weltweiten Trend zur Adressierung von Gemeinwohlbelangen in IIA ausmachend, wobei sich der Kreis der Staaten, die sich um eine Präzisierung der materiellen Schutzstandards bemüht hatte, damals noch auf einige wenige beschränkte. 46  So auch die Einschätzung von Vandevelde, 17 Sw. J. Int. Law, S. 313. 47  Siehe die Statistik in UNCTAD, WIR 2013, S. xx.



II. Untersuchungsinteresse und These29

Zum einen in der Frage, worin er den überhaupt zu erblicken ist, der ausgewogene und angemessene Ausgleich zwischen Investorenschutz und Regulierungsfreiheit. Zum anderen müssen Staaten die Entscheidung treffen, auf welche Weise ihr Verständnis eines Ausgleichs so artikuliert werden kann, dass es dann auch wie intendiert in der Entscheidung des Einzelfalls zum Tragen kommen wird. Sei es bei der Auslegung und Anwendung durch Schiedsrichter oder die bestellten Richter eines Investitionsgerichts bzw. langfristig eines permanenten International Investment Court.48 Denn die Einsetzung Letzterer mag zwar dem Vorwurf mangelnder Transparenz und wirtschaftlicher Eigeninteressen privater Schiedsrichter begegnen, doch wird die Aufgabe der Richter, im Einzelfall eine Entscheidung zwischen Investorenschutz und legitimer Regulierung auf Grundlage in hohem Maße auslegungsbedürftiger Schutzstandards treffen zu müssen, allein durch ihre öffentliche Bestellung nicht einfacher. Wie schwierig das Unterfangen der vertraglichen Verankerung eines Ausgleichs ist, wird auch deutlich, denkt man nur an das Scheitern des Entwurfs eines norwegischen Model-BIT zurück, welcher sich ganz besonders um einen Ausgleich bemühte. Dieses Vorhaben wurde aufgegeben, da es derart polarisierte, dass es letztlich als zu schwierig erachtet wurde, eine Regelung zu erzielen, in welcher beide Interessen als angemessen berücksichtigt erachtet wurden.49

II. Untersuchungsinteresse und These Vor dem geschilderten Hintergrund wird deutlich, dass die Frage, wie ein Ausgleich im Sinne eines angemessen Verhältnisses zwischen Investorenschutzinteressen einerseits und Regulierungsinteressen andererseits, in einem Abkommenstext verankert werden kann, mit Recht als die wichtigste und drängendste Frage für die Ausgestaltung künftiger Abkommen erachtet wird.50 Die vorliegende Arbeit beleuchtet die Bemühungen und Erfolgs­ aussichten, im Wege der Vertragsgestaltung einen solchen Ausgleich zu er­ zielen. supra Fn. 38. Vis-Dunbar, Norway shelves its draft model bilateral investment treaty, IISD Invest. Treaty News, Juni 2009, S. 7, abrufbar unter: http: / / www.iisd. org / itn / wp-content / uploads / 2009 / 06 / ITN-June-2009.pdf. 50  Siehe etwa UNCTAD, WIR 2014, S. 118: „[T]he most important challenge facing IIA negotiators and investment policymakers today“; von Walter, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 239, spricht von der „Gretchenfrage“, Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staat­ lichen Regulierungsinteressen, S. 243 ff. von der „Kernfrage zukünftiger Abkommen“. 48  Siehe

49  Hierzu

30 Einleitung

Zentral ist dabei, dass dieser Arbeit das Verständnis zu Grunde liegt, dass es ihn nicht gibt, den einen Ausgleich. Wenngleich heute unter den Staaten bereits ein weitergehender Konsens über die Notwendigkeit der Sicherstellung der Regulierungsfreiheit besteht, als dies noch vor einiger Zeit der Fall war, existiert gleichwohl kein einheitliches Verständnis darüber, worin ein Ausgleich zu erblicken ist, wann also beiden widerstreitenden Interessen in angemessener Weise Rechnung getragen ist. So werden Staaten, die bereits durch zahlreiche Schiedsklagen die Reichweite der eingeräumten Investorenrechte empfindlich zu spüren bekommen haben, für einen Ausgleich weitergehend auf defensive Regulierungsinteressen bedacht sein als jene Staaten, die weiterhin in erster Linie Kapital exportieren, von der negativen Erfahrung solcher Schiedsklagen bisher verschont blieben und daher einen offensiveren Ausgleich anstreben.51 Der in dieser Arbeit verwendete Begriff des Ausgleichs ist daher nicht misszuverstehen als eine perfekt austarierte Balance zwischen den widerstreitenden Investorenschutz- und Regulierungsinteressen. Er ist vielmehr zu verstehen als ein Verhältnis, in welchem zwar das Pendel nicht vollständig einseitig – was jeglichem Ausgleich widerspräche –, jedoch durchaus auch entschieden zu einer Seite, etwa dem staatlichen Regulierungsinteresse geneigt sein kann. Auch darf der Begriff der Neuen Generation der Investitionsschutzabkommen nicht zu der Vorstellung verleiten, er beschreibe eine homogene Gruppe neuer Abkommen. Vielmehr wurden die Bemühungen zur Verankerung eines Ausgleichs in den Abkommen sehr treffend als „experiment of draftsmen all over the world“ beschrieben.52 Die verschiedenen Ansätze und die Kombinationen vertraglicher Anpassungen, stellen den Versuch dar, die jeweils für angemessen erachtete Lösung zur Erzielung eines Ausgleichs zu finden.53 Wenn also im Folgenden von der Erzielung eines Ausgleichs die Rede ist, so ist dies die neutrale Bezeichnung eines Prozesses der ver51  Ebenso mögen Entwicklungsländer einen Ausgleich erst dann bejahen, wenn ihrem Entwicklungsstand und ihren Entwicklungsinteressen ausreichend Rechnung getragen werden; dazu, dass aufgrund der unterschiedlichen Interessen der Staaten weder eine uniforme Ausgestaltung der Abkommenstexte noch eine uniforme Auslegung unterschiedlicher Abkommenstexte erstrebenswert ist, siehe auch Bjorklund, Practical and Legal Avenues, S. 175 ff.; ihr zustimmend auch Reinisch, The Chal­ lenge of Fostering Greater Coherence in IIL, S. 237: „Clearly, states may have different preferences as to what they want to see included as protected investments, how far they are ready to define indirect expropriation, what meaning and scope they wish to give to a most-favoured nation (MFN) clause, or what level of protection they deem appropriate under fair and equitable treatment.“; auf die erforderliche Berücksichtigung spezifischer Interessen, welche eine „one-size-fits-all“ Lösung ausschließen, weist auch Titi, Right to Regulate, S. 28. hin; siehe auch von Walter, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 239. 52  Beechey / Crocket, New Generation of Bilateral Investment Treaties, S. 6. 53  Vgl. UNCTAD, WIR 2014, S. 118.



II. Untersuchungsinteresse und These31

traglichen Rekalibrierung zwischen den widerstreitenden Investorenschutzund Regulierungsinteressen, in welchem diesen Interessen durch einzelne vertragliche Ausgestaltungen und Vorkehrungen das erforderliche Gewicht zur Erzielung des jeweils als angemessen und ausgewogen erachteten Verhältnisses beigemessen wird. Während folglich kein abschließendes Urteil darüber gefällt werden soll, ob letztlich ein offensiverer oder defensiverer Ausgleich der angemessene Ausgleich ist, soll untersucht werden, inwieweit die verschiedenen „Experimente“ der Staaten zur vertraglichen Formulierung eines Ausgleichs geeignet und erforderlich sind. Inwieweit werden sie den Herausforderungen gerecht, vor welchen Staaten heute bei der Vertragsgestaltung stehen und kann es gelingen, einen Ausgleich in einen Abkommenstext zu gießen, welchem auch zukünftig in der Entscheidung des Einzelfalls durch Schiedsgerichte Rechnung getragen werden wird? Noch fehlen ausreichende Erfahrungswerte, wie die neuen Abkommenstexte in der Schiedspraxis zukünftig ausgelegt werden und ob sie letztlich die von den Vertragsparteien bezweckte Wirkung wirklich erzielen werden.54 Angesichts der Kritik, welche gegen die verschiedenen Ansätze vorgebracht wird, die bereits in Abkommen vorgesehen wurden oder in gegenwärtigen Verhandlungen als Optionen erörtert werden, erscheinen die Erfolgsaussichten ernüchternd. So wird die jüngste BIT Praxis als „enttäuschend“ beschrieben, da es nicht gelungen sei, ein signifikant höheres Maß an Klarheit und Vorhersehbarkeit zu erreichen.55 Insbesondere auch der EUAnsatz, mit welchem sich die EU-Kommission von bisherigen Abkommen absetzen möchte56, wird als „unzureichend“ erachtet.57 Schlimmer noch, wurde er gar als unglaubwürdiger „Fehlschlag“ bewertet58, mit welchem 54  In diesem Sinne auch Schill, CETA Gutachten im Auftrag des BMWi, S. 2; ähnlich auch Spears, 13 J. Int. Econ. Law 2010, S. 1045: „New-generation IIAs have yet to produce a significant and consistent body of case law, so one can only speculate at this point about how the innovations they contain will shape interna­ tional investment law in the long run and whether they will be able to address the underlying causes of the investment law regime’s ongoing legitimacy crisis.“; Asteriti, Environmental Language in Investment Treaties, S. 154: „The case law has not developed yet for us to be able to assess what normative value they have and if they are going to influence the way in which tribunals deliver their awards.“ 55  Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 158. 56  Siehe das EU-Konsultationspapier, supra Fn. 31, und insbesondere dessen Annex, in welchem der EU-Ansatz einem „traditionellen“ Ansatz in bisherigen Abkommen gegenübergestellt wird; diese Darstellung, die einen innovativen und progressiven Ansatz suggeriert, kritisierend Krajewski, Gutachten zur TTIP, S. 3. 57  Krajewski, Gutachten zur TTIP, S. 13. 58  van Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 54: „The Commission’s approach has a few positive elements, overall it is a failure.“

32 Einleitung

die Kommission geradezu „doppelzüngig“ nicht die staatliche Regulierungsfreiheit stärke, sondern zu ihren Lasten offensichtlich eine Erweiterung des Investitionsschutzes anstrebe.59 Ähnlich wird bezüglich weiterer Optionen zur Normierung des Regulierungsinteresses gewarnt, sie könnten eine Auslegung erfahren, die letztlich nicht zu der intendierten Stärkung, sondern im Gegenteil zu einer Einschränkung der Regulierungsfreiheit gegenüber dem status quo führt. Viel zu viel Vertrauen werde in die Möglichkeit gesteckt, den Schiedsrichtern im Wege der Vertragsgestaltung in ihrer Neigung zu einer expansiven Auslegung der Abkommen Einhalt zu gebieten. Letztlich sei dies nur ein vergeblicher Versuch in einem „Katz-und-Maus-Spiel“ zwischen den Vertragsparteien und den Schiedsrichtern, welches die Schiedsrichter bevorzuge, denen es auch in Vergangenheit gelungen sei, unkontrolliert rechtliche Unklarheiten expansiv zu Gunsten des Investorenschutzes auszunutzen, um damit ihren Eigeninteressen zu dienen.60 Sind die Gestaltungsoptionen also nun geeignet, die von den Vertragsparteien intendierte Funktion tatsächlich effektiv zu erfüllen oder sind sie vielleicht nicht mehr als eine Beruhigungspille für eine beunruhigte Öffentlichkeit: harmlos, aber im Wesentlichen wirkungslos? Oder aber bergen sie vielmehr die Risiken, als Vorwand für protektionistische Maßnahmen missbraucht zu werden, eher zur Inkonsistenz von Entscheidungen beizutragen als dieser abzuhelfen und womöglich gar zu einer Einschränkung der staatlichen Regulierungsfreiheit zu führen? Der vorliegenden Untersuchung liegt die Auffassung zu Grunde, dass die aufgeworfenen Fragen im Lichte der Entwicklung zu beantworten sind, welche das Investitionsrecht, die Schiedspraxis und die Interessenslage der Akteure des Investitionsrecht infolge eines massiven Widerspruchs gegen 59  van Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 6: „[T]he commissions approach has underminded, not affirmed the right to regulate. […] The text is far from this basic balancing of the state’s right to regulate and foreign investors’ rights and protections. This makes it more not less likely that arbitrators will continue to ­erode the right to regulate in their application of the treaty.“ 60  van Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 3: „[T]he Commission puts far too much faith in its ability, through textual clarifications, to reign in arbitrators and their expansive tendencies. Investor-state arbitration is a cat-and-mouse game that favours the arbitrators  – most importantly, a few dozen repeat players who have driven interpretation of the treaties – who are not subject to judicial override if they interpret a treaty incorrectly or unreasonably and who have a track record of exploiting legal ambiguity to expand their power over states, investors, public money, and so on.“; in diesem Sinne auch die gemeinsame Analyse des Reformvorschlags der EU-Kommission von PowerShift, Campact und TTIPunfairHandelbar, supra Fn. 40, wonach sich die Bemühungen das staatliche right to regulate durch einen eigenen Vertragsartikel zu gewährleisten „in der Praxis […] nicht bewährt“ habe und weiterhin viel Spielraum für eine investorenfreundliche Auslegung verbleibe.



III. Gang der Darstellung33

eine expansive Entwicklung des Investorenschutzes zu Lasten staatlicher Regulierungsinteressen in den letzten Jahren genommen haben. Ein Widerspruch, welcher sich auf vielfältige Weise artikuliert und bereits seit geraumer Zeit Wirkung entfalten konnte. Dieser fortwirkende Widerspruch, so die These dieser Arbeit, hat in Teilen bereits das bewirkt, was durch die Bemühungen zur vertraglichen Fixierung und Präzisierung eines Ausgleichs in den Abkommenstexten bezweckt wird. Er ist daher als ein ganz wesentlicher Faktor in die Bewertung der staatlichen „Experimente“ und in die Prognose einzubeziehen, ob es durch sie gelingen wird, einen Ausgleich zur Stärkung legitimer Regulierungsinteressen zu erzielen. Ohne die Gefahr einer unbilligen Einschränkung legitimer Regulierungsinteressen durch zu weitgehende Entscheidungen im Einzelfall zu unterschätzen oder zu verharmlosen, lässt die Einbeziehung dieses Faktors die Prognose weit weniger düster ausfallen. Positiver als die Einschätzungen jener pessimistischerer Stimmen, die indes gerade durch ihren ausdauernden und lauten Widerspruch einen wichtigen Beitrag zu dieser Zuversicht geleistet haben und weiter leisten.

III. Gang der Darstellung Im ersten Teil dieser Arbeit (A.) wird zunächst betrachtet, vor welchen Herausforderungen die Staaten bei der Vertragsgestaltung heute stehen und welchen Anforderungen eine vertragliche Ausgestaltung daher gerecht werden muss, um wirkliche Option zu sein. Dies vor dem Hintergrund eines gewandelten Investitionsumfelds, eines Krisengefühls und dem Befund, dass eine präzisere Ausgestaltung der Abkommen auch Nachteile mit sich bringen kann. Anschließend wird die heutige Interessenslage der Akteure des Investi­ tionsrechts untersucht. Neben den Investoren wird dabei insbesondere die Interessenslage der Schiedsrichter in den Blick genommen, wird doch gerade auch ihr Eigeninteresse an einer stetigen Zunahme der Zahl der Investorenklagen als Ursache für eine immer investorenfreundliche Auslegung der Abkommen und die fehlenden Erfolgsaussichten vertraglicher Einschränkungsbemühungen ausgemacht. Dabei wird zu zeigen sein, dass diese Argumentation letztlich nicht überzeugt und im Gegenteil, gerade auch eine Berücksichtigung des Eigeninteresses der Schiedsrichter vor dem Hintergrund eines anhaltenden Widerspruchs vielmehr dafür spricht, dass Staaten mit der Forderung, Regulierungsinteressen zukünftig stärker Rechnung zu tragen, nicht auf taube Ohren stoßen werden. Dass diese Prognose nicht allein auf theoretischen Erwägungen beruht, sondern sich auch auf die Entwicklung der Schiedspraxis stützen lässt, in

34 Einleitung

welcher in den letzten Jahren zahlreiche weitere Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen zu treffen waren, soll im zweiten Teil der Arbeit gezeigt werden (B.). Dabei wird der Fokus mit dem Schutz vor indirekter Enteignung und dem FET-Standard auf jene Schutzverpflichtungen gelegt, die in diesen Fällen regelmäßig im Mittelpunkt stehen. Die ausführliche Betrachtung der Schiedspraxis dient dabei zugleich weiteren Zielen: So soll sie auch eine Antwort auf die Frage liefern, in welchem Maße Staaten heute fürchten müssen, sich durch nichtdiskriminierende Regulierungsmaßnahmen im Gemeinwohlinteresse einer Entschädigungspflicht ausgesetzt zu sehen und somit überhaupt die Notwendigkeit besteht, einen Ausgleich vertraglich zu verankern. Dabei ist insbesondere auf jene Entscheidungen einzugehen, die auch heute noch regelmäßig zur Illustration eines hohen Haftungsrisikos angeführt werden. Die Betrachtung, inwieweit durch sie auch heute noch ein realistisches oder aber ein Zerrbild vermittelt wird, soll einen Beitrag zur Versachlichung der gegenwärtigen Debatte über die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit leisten. Daneben soll die ausführliche Analyse der Schiedspraxis auch im Hinblick auf die konkrete Vertragsgestaltung mehrere Dinge aufzeigen: Zum einen, inwiefern die unterschiedlichen Ausgestaltungen der Standards eine Rolle bei der Interpretation und Entscheidungsfindung der Schiedsgerichte spielten, so dass sie Optionen zur Erzielung des jeweils für angemessen erachteten Ausgleichs bieten. Zum anderen, inwieweit der Schutz des Investors vor indirekter Enteignung und der FET-Standard durch die Schiedspraxis bereits eine ausreichende Präzisierung erfahren hat, so dass für die Formulierung eines Ausgleichs auf sie zurückgegriffen werden kann. In dieser Betrachtung tritt zugleich hervor, wo weiterhin Auslegungsunsicherheit und Unvorhersehbarkeit fortbestehen und ein Bedarf für eine präzisierende Nachjustierung entsprechend des jeweils intendierten Ausgleichs angezeigt ist. Angesichts der gewonnenen Erkenntnisse wird im dritten Teil der Arbeit nach deren Konsequenzen für die Formulierung eines Ausgleichs gefragt (C.). Dies, bevor im vierten Teil der Arbeit die wesentlichen Ansätze, die sich zur Erzielung eines Ausgleichs in den Abkommen der Neuen Generation finden, betrachtet und ihre Vorteile sowie die gegen sie vorgetragenen Nachteile und Befürchtungen im Lichte der Entwicklung der Schiedspraxis bewertet werden (D.). Eine Schlussbetrachtung und ein Ausblick schließen die Arbeit ab.

A. Vertragsgestaltung vor den Herausforderungen eines gewandelten Investitionsumfelds, eines Krisengefühls und unter dem Eindruck der Akteure des Investitionsrechts Bei der Beantwortung der Frage, worin ein Ausgleich zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen zu erblicken ist und wie dieses Verständnis in einem Investitionsschutzabkommen verankert werden kann, stehen Staaten vor der Herausforderung, einem gewandelten Investitionsumfeld, einem vernehmbaren Krisengefühl und den Interessen der weiteren Akteure des Investitionsrechts angemessen Rechnung tragen zu müssen. Die Entwicklung des Investitionsumfelds, durch welche sich das Spannungsfeld zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen erst in seine heutige Dimension entfaltet hat sowie die hierdurch gewandelten Bedürfnisse und Interessenslagen, denen die Vertragsgestaltung heute gerecht werden muss, werden im ersten Kapitel betrachtet (I.). Auch das gewandelte Investitionsumfeld hat dazu beigetragen, dass Investor-Staat-Verfahren heute zunehmend als Bedrohung für staatliche Regulierungsinteressen erachtet werden und die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit in der Krise gesehen wird. Die Vertragsgestaltung erfolgt in Reaktion und unter dem Eindruck dieses Krisengefühls. Welche Konsequenzen dies mit sich bringt, wird im zweiten Kapitel untersucht (II.). Bei aller Bemühung um eine präzisere und bestimmtere Ausgestaltung der Abkommenstexte ist im anschließenden dritten Kapitel ins Bewusstsein zu rufen, dass ein Interesse an vertraglicher Präzisierung auch seine Grenzen hat und die Vorteile vertraglicher Unbestimmtheit nicht ohne Not geopfert werden sollten (III.). Schließlich erfolgt die Vertragsgestaltung auch unter dem Eindruck der weiteren Akteure des Investitionsrechts, deren Interessenslage und zukünftige Rolle zu berücksichtigen sind. Der Frage, inwieweit sich die Interessenslagen gewandelt haben und dies die Überlegungen für die vertragliche Rekalibrierung im Sinne eines Ausgleichs beeinflusst, wird in einem abschließenden Kapitel nachgegangen (IV.).

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A. Vertragsgestaltung vor neuen Herausforderungen

I. Vertragsgestaltung angesichts eines gewandelten Investitionsumfelds 1. Die Interessenslage in den Anfängen des vertraglichen Investitionsschutzes Betrachtet man die Formulierung und Ausgestaltung der Standards, anhand derer die Schiedsgerichte darüber zu entscheiden haben, ob die Schutzverpflichtungen gegenüber dem Investor durch eine staatliche Maßnahme verletzt sind, so entsprechen diese – lässt man die bereits erfolgten Anpassungen in neueren Abkommen außer Betracht – zumeist unverändert jenen, die schon in den ersten BITs enthalten waren. Das Umfeld, in welchem diese Standards heute zur Anwendung gelangen und, damit einhergehend, die Interessenslage der Staaten haben sich indes grundlegend verändert. Die Entwicklung des vertraglichen Investitionsschutzrechts lässt sich in mehrere Phasen unterteilen, wobei als erste Phase der Zeitraum ab Ende der fünfziger Jahre, dem Abschluss des weltweit ersten BIT zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Pakistan61, bis Ende der achtziger Jahre angesehen werden kann62, wenngleich sich dieser Zeitraum auch noch in weitere Entwicklungsstufen der BITs unterteilen ließe.63 In diesem Zeitraum begannen Industriestaaten Musterverträge zu entwickeln, welche sie Entwicklungsländern zur Verhandlung vorsetzten.64 Die Zahl der abgeschlossenen BITs stieg in dieser Zeit nur allmählich und vergleichsweise gering an,65 denn diese Phase war auch von großer Skepsis zahlreicher Entwicklungsländer gegenüber ausländischen Investoren und der Ablehnung eines über bloße Nichtdiskriminierung hinausgehenden Schutzes geprägt.66 Eine Ablehnung, die in den Versuchen zur Errichtung einer neuen Weltwirtschafts61  Pakistan and Federal Republic of Germany, Treaty for the Promotion and Protection of Investments, unterzeichnet am 25. November 1959. 62  Vandevelde, 17 Sw. J. Int. Law, S. 307. 63  So sahen BITs der ersten Generation lediglich eine zwischenstaatliche Streitbeilegung vor. 1965 wurde die ICSID-Konvention verabschiedet, wodurch diplomatischer Schutz nach Maßgabe von Art. 27 der Konvention grundsätzlich unzulässig wurde. BITs einer zweiten Generation räumten gegen Ende der sechziger Jahre Investoren eine individuelle Klagemöglichkeit ein, die sich allerdings auf Streitigkeiten über die Höhe der Enteignungsentschädigung beschränkte. Erst eine dritte Generation von BITs, ab etwa Mitte der achtziger Jahre, räumte Investoren das Recht ein, alle materiellen Schutzstandards des BITs selbst klageweise geltend zu machen, siehe hierzu Tietje, Int. Investitionsschutzrecht im Spannungsverhältnis, S. 5 ff. 64  Vandevelde, 17 Sw. J. Int. Law, S. 307. 65  So wurden im Zeitraum 1959–1989 lediglich 386 BITs abgeschlossen. 66  Zu diesen Hintergründen, siehe etwa Vagts, Backlash Against Inv. Arb., S. xxiii.



I. Vertragsgestaltung angesichts eines gewandelten Investitionsumfelds 37

ordnung zum Ausdruck kam und in der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten kulminierte, in welcher im Sinne der CalvoDoktrin die Hull-Formel als Ausdruck des gegenwärtigen Stands des Völkergewohnheitsrechts ins Wanken gebracht wurde und für die Streitbeilegung über die Entschädigungshöhe allein auf das nationale Recht verwiesen wurde.67 Entscheidend ist hier indes, dass – soweit überhaupt die grundsätzliche Bereitschaft zum Abschluss eines BIT bestand – die inhaltliche Vertragsgestaltung damals im Vergleich zu den heutigen Herausforderungen relativ einfach war. BITs mussten nur eines gewährleisten: Größtmöglichen Investitionsschutz. Generalklauselartig formulierte und einer weiten Auslegung zugängliche Standards waren folglich das Mittel der Wahl, um dieses Höchstmaß an Schutz zu erreichen und unvorhergesehene Schutzlücken auszuschließen. Gestaltet waren BITs nach dem Vorbild der Abs-ShawcrossConvention von 1958, erarbeitet von zwei Vertretern der Privatwirtschaft, dem damaligen Vorstandssprecher der Deutschen Bank Hermann Joseph Abs und dem damaligen Direktor von Shell, Lord Shawcross. Wenig überraschend sahen diese nur Investorenrechte und entsprechende Pflichten der Gaststaaten vor.68 Die einseitige Auferlegung von Musterverträgen war Ausdruck der damaligen Investitionsströme, die – ebenfalls als klare Einbahnstraße – von den kapitalexportierenden Industrieländern zu den kapitalimportierenden Entwicklungsländern verliefen. Obgleich zweiseitig ausgestaltet, verpflichteten die BITs hierdurch de facto allein die Gaststaaten. Nur sie unterwarfen sich – gleichsam als Bedingung für zukünftig erhoffte Investitionen – den weitreichenden Schutzstandards, an welchen sich ihre staatlichen Maßnahmen künftig messen lassen mussten. Model-BITs wurden in der Hoffnung auf einen Aufschwung für die wirtschaftliche Entwicklung durch ausländische Direktinvestitionen akzeptiert, während die Gegenleistung der Industriestaaten allein in der Inaussichtstellung zukünftiger Investitionen aufgrund sichererer Investitionsbedingungen bestand.69 Aufgrund dieses besonderen Synallagmas bestand der durch die völkervertragliche Verpflichtung entstehende Konflikt zwischen größtmöglichem Investorenschutz und staatlicher Regulierung in erster Linie auf Seiten der Entwicklungsländer als Gaststaaten.70 Auf Seiten der rein kapitalexportierenden Industriestaaten war der Konflikt zwar bereits 67  Charter of Economic Rights and Duties of States, GA Res. 3281, vom 12. November 1974, Art. 2 Abs. 2 (c). 68  Hierzu etwa auch Tietje, Int. Investitionsschutzrecht im Spannungsverhältnis, S. 7; Sauvant, The Regulatory Framework for Investment, S. 411 ff. 69  Zum Grand Bargain, durch welchen Souveränität im Tausch gegen erhofften Wohlstand aufgeben wurde, Vandevelde, 17 Sw. J. Int. Law, S. 307 ff. 70  Zu diesem „peculiar sinallagma“, auch Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 155.

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A. Vertragsgestaltung vor neuen Herausforderungen

angelegt, er wurde jedoch nicht aktuell. Die Unausgewogenheit der BITs brauchte Industriestaaten hiernach kaum zu stören. Für sie bestand gerade kein Interesse, einen Ausgleich zwischen Regulierungs- und Investorenschutz­ interessen im Vertrag zu adressieren und durch eine Betonung staatlicher Regulierungsfreiheit eine mögliche Abschwächung des allein intendierten ­ Maximalschutzes zu riskieren. Ende der achtziger Jahre begann eine anschließende Phase eines regelrechten BIT-rush. Waren in dreißig Jahren seit Abschluss des ersten BIT lediglich 386 BITs abgeschlossen worden, waren es allein im Zeitraum 1989 – 2004 mehr als 2000. Dies, nachdem zahlreiche Entwicklungs- und Schwellenländer unter dem Eindruck des Zerfalls der Sowjetunion, dem Ende des Kommunismus und in Anbetracht ihrer stagnierenden Wirtschaft, ihre kritische Haltung gegenüber ausländischen Investitionen weitgehend aufgegeben hatten und, angewiesen auf fremdes Kapital, fortan gezielt Investitionen auch durch den Abschluss von BITs und der Zusicherung weitgehender Investorenrechte anzulocken suchten.71 Doch auch als Entwicklungs- und Schwellenländer begannen, ihre eigenen Musterverträge zu entwerfen, um diese in die Verhandlungen mit Industriestaaten einzubringen und Abkommen mit anderen Entwicklungsländern zu schließen, unterschieden sich diese Verträge nicht wesentlich von den bisherigen Musterverträgen der Industriestaaten.72 Als Gründe hierfür wurde zum einen ausgemacht, dass Entwicklungsländer wohl der Ansicht waren, dass schwächere BITs nicht in gleicher Weise Investitionen anziehen würden wie jene, die weitreichende Investorenrechte zusicherten. Zum anderen der Umstand, dass einzelne Entwicklungs- und Schwellenländer selbst zu kapitalexportierenden Staaten wurden, die den möglichst effektiven Schutz ihrer Investoren sicherstellen wollten.73 Führt man sich hiernach vor Augen, dass die gegenwärtigen und typischen Formulierungen der BITs zumeist ursprünglich aus den Anfangszeiten des vertraglichen Investitionsschutzes mit dem damaligen Investitionsumfeld stammen74, so ist wenig überraschend, dass BITs typischerweise keine Aussage über einen Ausgleich zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen treffen, sondern insoweit unausgewogen sind. Ausgangspunkt der Bemühungen um die vertragliche Formulierung und Präzisierung 71  Zu den Hintergründen dieser Abkehr von der bisherigen ablehenden Haltung zahlreicher Entwicklungsländer, siehe Vagts, Backlash Against Inv. Arb., S. xxiii; Waibel / Kaushal, Kyo-Hwa / Balchin, The Backlash Against Investment Arbitration, S. xlvi; Kulick, SchiedsVZ 2010, S. 261. 72  Vandevelde, 17 Sw. J. Int. Law, S. 308. 73  Ibid. 74  Vandevelde, 17 Sw. J. Int. Law, S. 307.



I. Vertragsgestaltung angesichts eines gewandelten Investitionsumfelds 39

eines Ausgleichs ist also, dass Schiedsrichter, die aufgrund solcher „klassischer“ BITs vor der Aufgabe stehen, im Spannungsfeld von Regulierungsund Investorenschutzinteressen über die entschädigungslose Zulässigkeit staatlicher Regulierung zu entscheiden, diese Entscheidung auf Grundlage unausgewogener Verträge treffen, die einseitig auf größtmöglichen Investorenschutz gerichtet sind. Die Entscheidung, worin ein Ausgleich zwischen effektivem Investorenschutz und regulatorischem Freiraum zu erblicken ist, wird durch sie in keiner Weise vorgezeichnet, sondern allein den zur Entscheidung des Einzelfalls berufenen Schiedsrichtern überantwortet. 2. Die vertragliche Reziprozität wird aktuell – Rückzugstendenzen im Bewusstsein einer neuen Doppelrolle Im Vergleich zu den Anfängen des vertraglichen Investitionsschutzes ist das heutige Investitionsumfeld ein gänzlich anderes. Die Zeiten, in denen die Notwendigkeit der Berücksichtigung der eigenen, defensiven Regulierungsinteressen der offensiven Vertragsgestaltung zur Erzielung größtmög­ lichen Investorenschutzes keine Grenzen setzten, sind vorüber. Ursächlich ist hierfür vor allem, dass die heutigen Investitionsströme nicht länger als Einbahnstraße von Nord nach Süd verlaufen, sondern auch in die Gegenrichtung sowie zwischen Industrie- und Entwicklungsländern jeweils untereinander.75 Zahlreiche frühere Entwicklungs- und Schwellenländer, etwa China, sind heute selbst zu großen kapitalexportierenden Staaten erstarkt76, die sich zunehmend dieser Rolle annehmen77, während traditionell kapitalexportierende Staaten wie etwa die USA oder auch die EU, heute in großem Umfang Empfänger ausländischer Direktinvestitionen sind.78 Diese Entwicklung hat zur Folge, dass die vormals klare Aufteilung in kapitalexportierende und kapitalimportierende Staaten heute entfallen 75  Siehe die statistischen Angaben und Schaubilder in UNCTAD, WIR 2016, S.  3 ff. 76  Zur gewandelten Rolle der BRICS-Staaten, aber auch dem gewandelten Selbstverständnis von Ländern wie Chile, Mexiko, Ägypten, Malaysia, Korea, Singapur und Thailand, die sich zunehmend auch als host countries verstehen, Sauvant, The Regulatory Framework for Investment, S. 416. 77  Siehe Dolzer, 12 Santa Clara J. Int. Law 2014, S. 13, wonach die frühere Annahme, dass klassische Industriestaaten für weitreichenden Schutz durch weite FETKlauseln, südliche Staaten hingegen für einen engen FET-Standard stehen, heute aufgrund des Wandels des Investitionsumfelds falsch ist, was die weite Augestaltung in den Abkommen Chinas, gegenüber dem engen Ansatz von Staaten wie den USA zeige. 78  Zur veränderten Position der Staaten, durch welche sich die restriktive Ausgestaltung des Eigentumsschutzes in den Investitionsschutzverträgen der USA und Kanada erklärt, Kriebaum, Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 24.

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A. Vertragsgestaltung vor neuen Herausforderungen

ist.79 Diese Entwicklung hat weitreichende Konsequenzen für die Vertragsgestaltung, sind doch die bestehenden Investitionsschutzabkommen nicht länger de facto einseitig verpflichtende Verträge und Teil eines Grand Bargain. Vielmehr wurde die seit jeher angelegte vertragliche Reziprozität der BITs durch diese Entwicklung aktuell.80 Wirklich bedrohlich wurde sie aber erst, als sich international agierende Konzerne nicht nur überhaupt der bestehenden Möglichkeit einer Investorenklage zunehmend bewusst wurden, sondern auch der Möglichkeit, diese Gegenseitigkeit der BIT-Verpflichtungen zu nutzen, um gegen Regulierungsmaßnahmen der Industriestaaten vorzugehen. Weiter verstärkt wird die potentielle Bedrohung durch Investitionsschutzabkommen durch die Möglichkeit multinationaler Unternehmen, im Wege strategischer Unternehmensstrukturierung und des BIT-Shopping von besonders investorenfreundlichen BITs zu profitieren und sogar gegen staatliche Regulierungsmaßnahmen ihres eigenen Heimatstaats vorgehen zu können.81 Dass Investitionsschutzabkommen auch gegen ihre Erfinder gerichtet werden können und sich auch Industriestaaten, etwa aufgrund der Ergreifung von Umwelt- und Gesundheitsschutzmaßnahmen, auf der Anklagebank wiederfinden können, haben bereits zahlreiche Staaten zu spüren bekommen. Darunter die USA und Kanada, die hierdurch aufgeschreckt und angetrieben von der Kritik zahlreicher Gesundheits- und Umweltschutzorganisationen, ihre Musterverträge erstmals 2004 erheblich umgestalteten, um die BIT-Verpflichtungen zukünftig ausgewogenerer zu gestalten.82 So kam es zu einem Paradigmenwechsel, indem sich gerade die langjährigen Gegner der Calvo Doctrine auf eine ihrer zentralen Aussagen beriefen, indem sie unter Verweis auf ihre Souveränität keinesfalls bereit sind, ausländischen Investoren weitergehende Rechte als inländischen Investoren zuzugestehen.83 79  Auch Sauvant, The Regulatory Framework for Investment, S. 425, hebt den Wegfall dieser traditionellen Unterscheidung als wahrscheinlich bedeutendsten Faktor für gewandelte Rahmenbedingungen des Investitionsrechts hervor. 80  So im Hinblick auf die defensive Interessenslage der USA angesichts des heutigen Vergleichs der Investitionsströme in und aus den USA auch die Einschätzung von Stumberg in der Anhörung vor dem US House of Representatives, Committee on Ways and Means, Subcommittee Trade vom 14. Mai 2009, S. 2: „In quantitative terms, the defensive interests of the United States clearly now matter.“, abrufbar unter: http: / / www.gpo.gov / fdsys / pkg / CHRG-111hhrg53473 / pdf / CHRG-111hhrg53 473.pdf, dort ab S. 36. 81  Zur Befürchtung, dass US-Unternehmen durch Gesellschaften in Staaten wie z. B. Panama, die gezielt damit werben, zur Heimat von Unternehmen zu werden, die Schutz vor Steuern und staatlicher Regulierung suchen, gegen Regulierungsmaßnahmen in den USA klagen könnten, siehe Stumberg, supra Fn. 80, S. 1. 82  Zu diesem und den weiteren Zielen der Anpassungen im US-Model-BITS 2004, siehe Vandevelde, 17 Sw. J. Int. Law, S. 309 ff.



I. Vertragsgestaltung angesichts eines gewandelten Investitionsumfelds 41

Generell hat nicht nur die dramatisch gestiegene Zahl an Investor-StaatVerfahren, die sich auch gegen Industriestaaten richteten, sondern vor allem der Umstand, dass mit diesen Klagen gegen Regulierungsmaßnahmen vorgegangen wird, dazu geführt, dass sich Industriestaaten ihrer neuen Rolle als Gaststaat zunehmend bewusst wurden und die Konsequenzen der weitreichende Einräumung von Investorenrechten und der Möglichkeit ihrer klageweisen Geltendmachung überdenken.84 Die bereits erfolgten Anpassungen in jüngeren Abkommen sind das Ergebnis des Versuchs, dieser neuen Rolle gerecht zu werden. 3. Fazit Festzuhalten ist, dass einhergehend mit dem Wegfall der früheren Trennung zwischen kapitalexportierenden und -importierenden Staaten auch die frühere Trennung zwischen dem offensiven Interesse an größtmöglichem Investorenschutz einerseits und dem widerstreitenden defensiven Interesse des Vertragspartners an der Bewahrung staatlicher Regulierungsfreiheit andererseits, nicht länger fortbesteht. Vielmehr fallen diese widerstreitenden Interessen aufgrund einer regelmäßigen Doppelrolle der Staaten als Heimat- und Gaststaat zunehmend zusammen, worin im Vergleich zu früheren BITs die große Herausforderung für die heutige Vertragsgestaltung besteht. Denn Staaten stehen heute vor dem Dilemma, zwei Mandaten gleichermaßen gerecht werden zu müssen: Dem offensiven Mandat, einen effektiven Schutz der eigenen, im Ausland investierenden Unternehmen zu erzielen und zugleich dem defensiven Mandat, die eigene Regulierungsfreiheit zur Verfolgung legitimer Gemeinwohlinteressen sicherzustellen.85 Während das Bedürfnis eines angemessenen Ausgleichs zwischen effektivem Investorenschutz und regulatorischem Handlungsspielraum seit jeher bestand, so hat erst diese Entwicklung die Bereitschaft wachsen lassen, sich ernsthaft um die Erzielung eines Ausgleichs zu bemühen. So besteht heute hinsichtlich der Notwendigkeit einen Ausgleich zu erzielen zumindest ein weitergehender 83  Dugan / Wallace / Rubins / Sabahi, Investor-State Arbitration, S. 488; Subedi, IIL, S. 142. 84  Zu diesem stärkeren Bewusstsein und der hierdurch skeptischeren Haltung gegenüber Investor-Staat-Verfahren, siehe auch Sauvant, The Regulatory Framework for Investment, S. 418. 85  Zu dieser zunehmenden Doppelrolle bereits UNCTAD, Int. Investment RuleMaking, S. 37 f.; hierzu auch Mann, IISD Issues Int. Invest. Law 2007, S. 13: „The relationship between IIAs and the regulatory state is not a developing country versus developed country issue. Rather, it is an issue that is common to all states, but whose impacts may vary according to the wealth of the state, the levels of economic activity and in particular of foreign investment, and the rate of growth in such activity.“

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A. Vertragsgestaltung vor neuen Herausforderungen

Konsens zwischen den Staaten als noch vor einigen Jahren, als Industriestaaten nicht befürchten mussten, selbst auf der Anklagebank zu landen. Bereits vor diesem Hintergrund wird man sagen können, dass die Ausgangslage einen Ausgleich erreichen zu können, wohl noch nie besser war als heute.86

II. Vertragsgestaltung als Reaktion auf eine Krise des Investitionsrechts 1. Krisengefühle in Zeiten des Booms – Investor-Staat-Verfahren als wahrgenommene Bedrohung für legitime Gemeinwohlinteressen Eine Krise des Investitionsrechts und insbesondere der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit? Angesichts der großen Zahl allein der öffentlich bekannten Schiedsverfahren kann man gewiss davon sprechen, dass die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit boomt.87 Doch gleich, ob der Begriff der Krise zur Beschreibung der gegenwärtigen Situation nun treffend ist oder nicht, ist es jedenfalls nicht von der Hand zu weisen, dass gerade die explosionsartige Zunahme an Investor-Staat-Verfahren in den vergangenen Jahren dazu beigetragen hat, dass diese heute mehr denn je im Fokus zahlreicher Beobachter und Interessensgruppen stehen, zunehmend hinterfragt werden und das Gefühl einer Krise deutlich vernehmbar ist.88 Die einleitend geschilderte, massive Kritik, die schier unzähligen Reformvorschläge und die beschriebenen Rückzugstendenzen einzelner Staaten sind – mal lauter, 86  In diesem Sinne auch von Walter, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 239, wonach heute durchaus hinterfragt werden könne, ob der Konflikt zwischen den Interessen kapitalexportierender Länder nach maximalem Investorenschutz und dem Interesse kapitalimportierender Länder an der Bewahrung ihres staalichen Handlungsspielraums auch heute noch so unüberwindlich ist, wie zu Beginn des 21. Jahrhunderts; in diesem Sinne auch Bjorklund, Practical and Legal Avenues, S. 191; Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 196; ähnlich auch Sauvant, The Regulatory Framework for Investment, S. 425: „The extent to which two leading capital exporters and importers of the world, China and the United States, are now groping to find the right balance that reflects their position as both host and home countries, are concluding separate investment agreements with increasingly similar provisions and are even negotiating one between themselves, gives rise to the hope that, eventually, and despite the proliferation of IIAs, the ‚spaghetti bowl‘ of agreements will eventually coalesce around agreed terms that respect the need of investors for the rule of law and fairness of process and the right of governments to regulate in the public interest.“ 87  In 2015 gab es mit 70 bekannten neuen Verfahren ein neues Rekordhoch, siehe UNCTAD, WIR 2016, S. xii. 88  So auch Juillard, The Law of Int. Investment: Can the Imbalance be Redressed?, S. 273.



II. Vertragsgestaltung als Reaktion auf eine Krise des Investitionsrechts 43

mal dezenter – Ausdruck einer offensichtlichen und unleugbaren Unzufriedenheit mit dem ausländischen Investoren gewährten Schutz und dem gegenwärtigen System der Investitionsstreitbeilegung. Bei ihrer Reaktion auf diese Kritik und Unzufriedenheit stehen Staaten daher – neben der aufmerksamen Beobachtung von Investoren, Schiedsrichtern und Anwälten89 – unter der kritischen Beobachtung der Wissenschaft, zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen und nicht zuletzt einer zunehmend alarmierten Öffentlichkeit. Die Kritik an der Investitionsstreitbeilegung ist dabei inhaltlich äußerst vielfältig und reicht vom Vorwurf inkonsistenter oder gar widersprüchlicher Entscheidungen, über die Kritik an einer immer investorenfreundlicheren Auslegung der Investorenrechte, bis hin zur generellen Infragestellung der Legitimität des gegenwärtigen Systems.90 Exemplarisch sei etwa auf das Public Statement on the International Investment Regime und einen Open Letter from lawyers to the negotiators of the Trans-Pacific Partnership verwiesen, in welchen sich einige der zentralen Punkte der regelmäßig vernommenen Kritik finden.91 Der Grundtenor dieser Kritik lässt sich damit zusammenfassen, dass das gegenwärtige System nicht als geeignet erachtet wird, eine angemessene und ausgewogene Streitbeilegung zwischen souveränen Staaten und privaten Investoren zu gewährleisten.92 Im Mittelpunkt steht dabei der Vorwurf, dass dem staatlichen Recht zur Regulierung nicht ausreichend Rechnung getragen werde, sondern im Gegenteil, dieses right to regulate immer weitergehenden Investorenrechten untergeordnet werde.93 So wird gerade in der rasant gestiegenen Zahl an Investorenklagen, denen sich Staaten heute ausgesetzt sehen, der Beleg dafür gesehen, dass die Anwendung der Investitionsschutzabkommen in den Händen der Schiedsrichter dazu geführt hat, dass 89  Zu

diesen weiteren Akteuren siehe unter IV. zu den vielfältigen Kritikpunkten, statt unzähliger, z. B. UNCTAD, WIR 2014, S. 88; Trakman, J. World Trade 2012, S. 100 ff.; Juillard, The Law of Int. Investment: Can the Imbalance be Redressed?, S. 273 f.; Waibel / Kaushal, Kyo-Hwa /  Balchin, The Backlash Against Investment Arbitration, S. xxxix f. 91  Public Statement, supra Fn. 16; „An Open Letter from lawyers to the negotiators of the Trans-Pacific Partnership urging the rejection of Investor-State Dispute Settlement.“, vom 8. Mai 2012, („Open Letter“), abrufbar unter: http: / / tpplegal. files.wordpress.com / 2012 / 07 / jurists-letter-8-may-2012-final.doc. 92  Public Statement, supra Fn. 16: „Investment treaty arbitration as currently constituted is not a fair, independent, and balanced method for the resolution of investment disputes […].“; nahezu wortgleich im Open Letter, supra Fn. 91, S. 3. 93  Open Letter, supra Fn. 91, S. 2: „Some of these [overly expansive] interpretations have prioritized the protection of the property and economic interests of transnational corporations over the right of states to regulate and the sovereign right of nations to govern their own affairs.“; Public Statement, supra Fn. 16, Nr. 4. 90  Siehe

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dem Investor, der sich dem Risiko einer fremden Rechtsordnung aussetzt, nicht länger nur ein dieses Risiko kompensierender Schutz vor diskriminierendem und missbräuchlichem staatlichen Verhalten gewährleistet werde, sondern die Rechtsposition ausländischer Investoren sukzessive erweitert und das Risiko legitimer Regulierung vom Investor auf den Staat übertragen worden sei.94 Dies, indem den vertraglichen Schutzstandards, allen voran dem Schutz vor indirekten Enteignungen und dem FET-Standard, im Wege der Auslegung ein immer weitergehendes Verständnis beigemessen worden sei. Infolgedessen, so der Vorwurf zahlreicher Staaten und Kritiker, hätten sich die Schiedsgerichte nach und nach vom eigentlichen Willen der vertragsschließenden Staaten entfernt. Als mitursächlich für dieses Auseinanderfallen wird auch die übliche Praxis der Schiedsgerichte erachtet, auf vorangegangene Entscheidungen zu verweisen.95 Als Hauptursache für eine expansive und zum Teil uneinheitliche Auslegung der Abkommen wird indes ausgemacht, dass die Vertragstexte den staatlichen Willen schon gar nicht ausreichend präzise zum Ausdruck bringen. Denn durch ihre Unbestimmtheit gewährten sie den Schiedsrichtern einen zu großen subjektiven Einschätzungsspielraum, so dass die Frage, ob Gemeinwohlinteressen Berücksichtigung finden, häufig von den persönlichen Anschauungen des jeweiligen Schiedsrichters abhänge.96 Erst die vertragliche Unbestimmtheit eröffne schließlich die Möglichkeit, die Schutzstandards zu großzügig und zulasten staatlicher Regulierungsinteressen auszulegen.97 Dass diese textliche Unbestimmtheit, welche an sich nur das Potential für eine expansive Auslegung bietet, dann aber auch tatsächlich hierfür genutzt 94  Johnson / Volkov, Invest. Treaty News 1 / 2014, S. 6: „[I]nvestment treaties – as they are being used by investors and applied by some tribunal  – are not merely instruments to protect foreign investors against outrageous and discriminatory conduct by host states, but to expand the rights that investors have, and to do so in a way that shifts the risk of regulatory change from the investor to the government.“ 95  Hierzu Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 179, 190 f., wonach dieses Auseinanderdriften durch die Praxis der Schiedsgerichte verstärkt wird, in erster Linie auf frühere Entscheidungen und akademische Lehrmeinungen zu verweisen, der Staatenpraxis aber zumeist wenig Beachtung zu schenken. Durch die einhergehende Rolle der Schiedsrichter als zunehmende lawmaker würden die Staaten als Normgeber mehr und mehr von der Interpretation und Fortentwicklung des Investitionsrechts ausgrenzt: „The resulting jurisprudence can convey the impression of a closed-circuit feedback loop between tribunals and academics, unconstrained by the ­discipline of the treaty parties’ practice or expectations.“ 96  Hierzu etwa Griebel / Kim, SchiedsVZ 2007, S. 193. 97  Siehe nur die Aufforderung des EU-Parlaments an die Kommission einen zu großen Ermessensspielraum der Schiedsrichter durch eine klare Definition der Standards einzuschränken und damit künftig deren großzügige Auslegung durch die Schiedsrichter zu Lasten legitimer Regulierung zu unterbinden, siehe Entschließung vom 6. April 2011, supra Fn. 33, Präambel G und Nr. 24 und 25.



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wurde, ist für einige Kritiker kein Zufall. Entgegen der Stimmen, die die Schiedsrichter in den Schutz nehmen und das eigentliche Versäumnis bei der bisherigen Vertragsgestaltung sehen98, führen sie die sukzessive Erweiterung des Investorenschutzes auf ein erhebliches Eigeninteresse der Schiedsrichter hieran zurück. So hätten Schiedsrichter ein großes Interesse, durch eine expansive Auslegung der Investorenrechte den Weg für zahlreiche zukünftige Klagemöglichkeiten zu ebnen und hierdurch den „Kuchen“ für eine wahre Streitbeilegungsindustrie, bestehend aus einem exklusiven Kreis von Schiedsrichtern und internationalen Großkanzleien mit ihren Anwälten, beständig zu vergrößern.99 Letztere werden dabei als treibende Kraft ausgemacht. Als „ambulance chasers“ lägen sie auf der Lauer, um staat­ liche Maßnahmen, welche Investoren nachteilig treffen, unmittelbar als potentielle Klage- und damit Gewinnmöglichkeit zu identifizieren und anschließend Investoren auf aggressive Weise zu Investor-Staat-Klagen zu animieren.100 Klagemöglichkeiten, die sie selbst schafften, indem sie – agierend als Schiedsrichter – Standards extensiv und investorenfreundlich auslegten und – agierend als Experten in Rahmen von Anhörungen zur Ausgestaltung zukünftiger Abkommen – sich für die Beibehaltung vage formulierter Standards anstatt ihrer Präzisierung aussprächen.101 Statt das von den Staaten geschaffene Recht anzuwenden, seien hiernach letztlich die Schieds98  Siehe den Fragebogen der EU-Kommission zum Investitionsschutz und ISDS in der TTIP, bei Frage 5: „In the end, the decisions of arbitral tribunals are only as good as the provisions they have to interpret and apply.“, abrufbar unter: http: / / trade.ec.europa.eu / doclib / docs / 2014 / march / tradoc_152280.pdf; Tams, Ships that pass in the night: Die Debatte über TTIP und die Schiedsgerichtsbarkeit, VerfBlog vom 8. Mai 2014, wonach zwar vieles im Investitionsrecht im Argen liege, die Schiedsgerichtsbarkeit aber fälschlich zum Sündenbock gemacht werde; Titi, Right to Regulate, S. 71: „Criticism, if criticism is due, must be directed not so much at arbitral interpretation but at the indetermacy and inchoateness of some of the rules under interpretation.“; Kleinheisterkamp, 27 ICSID Rev. 2012, S. 430: „[M]ore specific rules as guidance for tribunals […] should help to relieve them of the dilemma of having to make (up) law rather than simply resolving disputes by applying the law.“; Juillard, The Law of Int. Investment: Can the Imbalance be Redressed?, S. 275: „[T]he blame for the problems that ISDSMs [investor-state dispute settlement mechanisms] may be encountering is not to be put on squarely and entirely on arbitral tribunals and their arbitral awards. […] But the origin of the problem may be buried much deeper: it may lie with the BIT network itself.“; gegen eine oft populistische Kritik und bestürzt über eine nur unzureichende Reaktion der Schiedsrechtler hierauf, Risse, SchiedsVZ 2014, 265. 99  van Harten, 50 Osgoode Hall Law J. 2012, S. 219 f.; ders., Investment Treaty Arbitration and Public Law, S. 172 f.; CEO, Profiting From Injustice, S. 24,48; Olivet, The Dark Side of Investment Agreements, S. 2. 100  CEO, Profiting From Injustice, S. 18 ff. 101  Olivet, The Dark Side of Investment Agreements, S. 2 f.; CEO, Profiting From Injustice, S. 24, 42 ff., 48 ff.

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gerichte die wahren lawmaker, die das Investitionsrecht neu schrieben.102 Den Einschränkungsbemühungen der Staaten zur Erzielung eines Ausgleichs wird entsprechend wenig Aussicht auf Erfolgt bescheinigt.103 Auch dieses zum Teil vermittelte Bild der Schiedsrichter trägt gewiss nicht dazu bei, das Vertrauen in die Investitionsstreitbeilegung zu erhöhen. Hinzu kommt, dass die Reaktionen der Staaten, wie etwa der Rückzug von ICSID, die Kündigung von Abkommen oder auch die Bemühungen, den Ermessensspielraum der Schiedsgerichte einzuschränken, wiederum als Bestätigung dafür angeführt werden können, dass das vermittelte negative Bild doch offensichtlich so unzutreffend nicht sein kann. Schließlich hat zur verstärkten Hinterfragung weitreichender Investorenrechte auch beigetragen, dass bis heute keinen klaren Befunde dafür geliefert wurden, dass Investitionsschutzabkommen – neben als entscheidender erachteten Faktoren wie Marktgröße, Wachstumschancen, vorhandene Infrastruktur, politische Stabilität104 – überhaupt signifikant zur Steigerung des Umfangs von Direktinvestitionen beitragen und somit eines ihrer wesent­ lichen Ziele überhaupt erreichen.105 Auch dieser ungewisse Nutzen der Abkommen stellt angesichts ihrer definitiven Kosten in Gestalt von Investorenklagen vor allem die Bereitschaft der weiterhin primär kapitalimportierenden Staaten, weitreichende Investorenrechte zu gewähren, zunehmend in Frage.106 All die genannten Umstände haben dazu geführt, dass Investor-StaatVerfahren heute von Staaten, zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen und auch zunehmenden Teilen der Öffentlichkeit, als Bedrohung für die Verfolgung legitimer Gemeinwohlmaßnahmen erachtet werden. Eine Entwicklung, auf welche die Staaten durch die vertragliche Präzisierung eines Ausgleichs angemessen zu reagieren versuchen.

102  The Dark Side of Investment Agreements, S. 2; generell zur Konsequenz der Rolle der Schiedsrichter als lawmaker, Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 158: „The lack of clarity has the additional consequence of granting a high level of discretion to investment tribunals, elevating them for all practical purposes to the law makers of the system.“; zu den damit einhergehenden Befürchtungen auch Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 191. 103  van Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 3, siehe bereits supra Fn. 60. 104  Zu den gaststaatspezifischen Faktoren für Direktinvestitionen, siehe UNCTAD, WIR 1998, S. 89 ff. 105  Sauvant, The Regulatory Framework for Investment, S. 419; siehe auch Ceyssens / Sekler, BITs der Bunderepublik Deutschland, S. 52 f. 106  In diesem Sinne auch Sauvant, The Regulatory Framework for Investment, S. 420.



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2. Präzisere Vertragsgestaltung als Antwort auf eine Fehlentwicklung und vertrauensstiftendes Signal Aufgrund der Unbestimmtheit der bisherigen Vertragstexte, durch welche nicht vorgezeichnet wird, worin ein Ausgleich zwischen Investorenschutzund Regulierungsinteressen zu erblicken ist, wird diese Entscheidung an die Schiedsrichter delegiert. Doch diese Aufgabe – darauf deuten die gegenwärtigen Bemühungen zur vertraglichen Formulierung eines Ausgleichs hin – erfüllen die Schiedsrichter auch nach Auffassung zahlreicher Staaten anscheinend nicht zufriedenstellend. Als Reaktion sollen Schiedsrichter daher künftig durch detailliertere und präzisere Abkommen an die kürzere Leine genommen werden. Ein expansiver Kurs der Investitionsrechtsprechung soll so korrigiert werden, wieder mit dem jeweiligen Verständnis eines Ausgleichs zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen in Deckung gebracht und ein zukünftiges Ausbrechen verhindert werden.107 Die vertraglichen Anpassungen in Gestalt präziserer Standards, Interpretationsvorgaben und spezieller Bestimmungen zur Sicherstellung der Regulierungsfreiheit sind folglich in erster Linie klarer Appell und deutliche Handlungsanweisung an die Schiedsrichter. Daneben kann in ihnen auch eine Botschaft an potentielle Kläger erblickt werden, keine überzogenen Erwartungen an den ihnen zugesicherten Investorenschutz zu haben. 107  Vgl. Entschließung des EU-Parlaments vom 6. April 2011, supra Fn. 33, Präambel G und Nr. 24 und 25, siehe bereits supra Fn. 97; siehe Woolcock, Studie zum Konzept für die Auslandsinvestitionspolitik der EU, S. 53, wonach infolge der Überprüfung staatlicher Hoheitsakte durch private Schiedsgerichte entstandene Bedenken gegen die Unabhängigkeit der Politikgestaltung ausgeräumt werden können, wenn die Vorschriften für die Schlichtung eindeutig und die Bestimmungen, die Anlass für eine Anfechtung staatlicher Maßnahmen sind, zielgerichtet und ausreichend definiert sind; UNCTAD, Interpretation of IIAs: What States Can Do, S. 8: „Farsighted and precise drafting […] plays a crucial role in delineating the discretion of future interpreters hence fostering greater predictability.“; Kleinheisterkamp, 27 ICSID Rev. 2012, S. 431: „[W]hat is needed is, indeed, much more sophisticated rules on investment protection. These include rules that give tribunals specific and detailed guidance on how to perform their delicate task of balancing private and public interests.“; Mann, IISD Issues Int. Invest. Law 2007, S. 12: „[I]t is important to note the increasing need for IIA to be based in clearer terms more generally.“; siehe auch Krajewski / Ceyssens, Archiv des Völkerrechts 2007, S. 215, wonach Abwägung und Einzelfallentscheidungen zwischen Regulierung und Investitionsschutz zwar typische richterliche Aufgaben seien, Schiedsrichter aber deutlicherer Handlungsanweisungen bedürften; siehe auch von Bernstorff, Streitigkeiten über gemeinwohlorientierte Regulierung von Investoren gehören im demokratischen Rechtsstaat vor die nationalen Gerichte, VerfBlog vom 15. Mai 2014, die derzeit weltweit diskutierte und zum Teil auch schon praktizierte Entfernung von weitergehenden und unbestimmten Schutzklauseln aus dem Völkervertragsrecht des Investorschutzes für „dringend geboten“ erachtend.

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Schließlich kommt ihnen aber – unabhängig von der Frage, ob sie zur ­Sicherstellung einer ausreichenden Berücksichtigung der Gemeinwohlinte­ ressen durch die Schiedsgerichte unbedingt notwendig sind – noch eine weitere, nicht zu unterschätzende Funktion zu: Sie sind zugleich ein Signal an eine kritische und zunehmend besorgte Öffentlichkeit und an Entscheidungsträger, auf deren Vertrauen, Akzeptanz und Zustimmung Staaten und die EU für den Abschluss von Investitionsschutzabkommen und ein Festhalten an der Klagemöglichkeit ausländischer Investoren außerhalb nationaler Gerichte dringend angewiesen sind.108 So verdeutlichten auch die großen Bemühungen der EU-Kommission, die vertraglichen Anpassungen einer breiten Öffentlichkeit nahezubringen, dass diesen auch eine vertrauensstiftende Funktion zukommt.109 Sie signalisieren das Bewusstsein der Vertragsstaaten für die verbreitete, ernstgenommene und geteilte Besorgnis, dass zu weitgehende Investorenrechte die Staaten daran hindern könnten, legitime Gemeinwohlentscheidungen entschädigungslos umzusetzen und vermitteln die Botschaft, dass dieser Gefahr heute durch die neu vorgesehenen „modernsten“ textlichen Vorkehrungen effektiv begegnet und ein deutlich besseres System als das jetzige erzielt werden kann.110 Zugleich wird durch sie der verbreiteten Wahrnehmung entgegentreten, dass nicht die Staaten, sondern außer Kontrolle geratene private Schiedsgerichte die eigentlichen lawmaker seien, die die Regeln des Investitionsschutzrechts bestimmen und sich über die Abwägungsentscheidungen hinwegsetzen, die demokratisch legitimierte Regierungen zur Erzielung eines Ausgleichs von Individual- und Gemeinwohlinteressen getroffen haben.

108  So etwa auch in Antwort auf die „große Besorgnis“ des EU-Parlaments um staatliche Regulierungsinteressen (siehe bereits supra Fn. 33), welches auch in der „Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23.  Mai 2013 zu den Verhandlungen der EU mit den Vereinigten Staaten von Amerika über ein Handels- und Investitionsabkommen“, in Nr. 23 und Nr. 25 seine „grundlegende Verantwortung, die Bürger der EU zu vertreten“ bekräftigte und mit Blick auf die Zustimmungsbedüftigkeit des Parlaments mahnend darauf hinwies, dass „seine Positionen daher in allen Phasen in angemessener Weise berücksichtigt werden sollten“. 109  Siehe etwa die Pressemitteilung vom 27. März 2014, supra Fn. 32 zu dem Ziel der Konsultation, klarzustellen, welche Punkte die EU verbessern möchte und mit „modernste[n] Investitionsschutz‑ und ISDS-Bestimmungen“ das Recht der Regierungen zu gewährleisten, im öffentlichen Interesse Vorschriften zu erlassen. Siehe ibid. auch die Aussage des damaligen Handelskommissars van Gucht: „Ich hoffe, dass die Leute, wenn sie sich einmal genau ansehen, was wir in das Abkommen hineinschreiben wollen, feststellen werden, dass wir ein deutlich besseres System als das jetzige anstreben.“ 110  Ibid.



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3. Fazit Vor dem Hintergrund, dass die Unbestimmtheit der Vertragstexte als Haupt­ ursache für eine Schiedspraxis ausgemacht wird, die als Fehlentwicklung und als von einer uneinheitlichen und expansiven Auslegung geprägt erachtet wird, ist die Forderung nach Präzisierung folgerichtig. Zweifellos können detaillierte und präzise Handlungsanweisungen an die Schiedsrichter zu einer erhöhten Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit im Spannungsfeld zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteresse beitragen, die sowohl Heimatund Gaststaaten als auch Investoren erstreben. Nichtsdestotrotz ist stets im Hinterkopf zu behalten, dass vertragliche Präzisierung auch einen Nachteil mit sich bringen kann: Den Verlust der vertraglichen Unbestimmtheit.

III. Das Interesse an vertraglicher Präzisierung und seine Grenzen Ein Blick auf die möglichen Nachteile einer detaillierteren und präziseren Formulierung der Abkommenstexte drängt sich schon aus der einfachen Erwägung auf, dass Staaten sich ursprünglich nicht umsonst für generalklauselartige Standards anstatt für präzise Normen („Rules“) entschieden haben. Hinter den Bemühungen um eine vertragliche Präzisierung der unbestimmten Standards zur Erhöhung der Vorhersehbarkeit ihrer Anwendung verbirgt sich nun aber ein gewisser Sinneswandel: Standards sollen künftig eher als Rules funktionieren111, „präzise Standards“ den Gegensatz zu den bisherigen Abkommen ausmachen.112 111  So ausdrücklich Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 153: „[T]reaty makers should, first of all limit the role of certain investment protection norms by making sure that they operate as ‚rules‘ and not as ‚standards‘.“ Ortino, a. a. O., S.  158 f. kritisiert dabei gerade, dass die bereits erfolgten Präzisierungsbemühungen, etwa im US Model BIT 2012, nicht weit genug gingen, da die Bestimmungen, wie z. B. der Schutz vor indirekten Enteignugen, noch immer in zu weitgehendem Maße in der Hand der Schiedsgerichte lägen und insoweit weiter als Standard Anwendung fänden. Ungeachtet dieser Kritik, wonach der Wechsel von Standards auf Rules nicht konsequent genug vollzogen werde, offenbaren gleichwohl auch die bereits erfolgten Präzisierungsbemühungen mit dem Zweck einer ex ante präziser vorgezeichneten Entscheidung eine klare Tendenz zu mehr Rule; siehe auch bereits Dolzer, Generalklauseln in Investitionsschutzverträgen, S. 305: „[B]ei der Verhandlung von Investitionsschutzverträgen wird künftig überlegt werden müssen, ob die Aufnahme von Generalklauseln trotz ihres Vorzugs der Vermeidung von Regelungslücken nicht im Ergebnis für die Rechtspraxis, die Rechtssicherheit, die Akzeptanz des Rechts und die angemessene Aufteilung zwischen Staatenvertretern und gerichtlichen Gremien zu viele Nachteile mit sich bringt. Soweit wie möglich sollten präzisere Normen ausgehandelt und punktuelle Regelungslücken in Kauf genommen werden.“ 112  Bierbrauer, Analyse zum Abschluss der Verhandlungen über CETA, S. 8.

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Betrachtet man die Unterschiede zwischen Standards und Rules sowie deren jeweils spiegelbildlichen Vor- und Nachteile, so erklärt sich, warum weite Standards das Mittel der Wahl waren, ebenso wie der jetzige Wunsch nach mehr Rule.113 Zugleich verdeutlicht diese Betrachtung aber, dass nicht übersehen werden darf, dass gerade die Unbestimmtheit der Standards, die nunmehr als Ursache für die kritisierte Fehlentwicklung der Schiedspraxis ausgemacht wird, von den Staaten ursprünglich geschätzt wurde und die durch präzisere und vorhersehbarere Regelungen erstrebte Rechtssicherheit zur Sicherstellung staatlicher Regulierungsfreiheit unter Umständen mit dem Verlust der bisherigen Standardvorteile erkauft wird. Die Vorteile vertrag­ licher Unbestimmtheit sollten jedoch weder unbedacht noch ohne Not geopfert werden. 1. Der Wunsch nach mehr Rule – Der Verlust vertraglicher Unbestimmtheit Standards und Rules lassen sich dadurch unterscheiden, inwieweit der normative Inhalt einer Bestimmung ex ante oder ex post bestimmt wird. D. h., in welchem Maße vor oder nach dem konkreten Einzelfall, auf den die Bestimmung Anwendung findet, Aufwand zu betreiben ist, um den Inhalt der Bestimmung festzulegen.114 Ein als präzise Norm formuliertes Verbot, würde etwa das Fahren auf der Autobahn mit mehr als 130 km / h verbieten, während ein als generalklauselartiger Standard das Fahren auf der Autobahn mit unangemessen hoher Geschwindigkeit untersagen würde.115 Im ersten Fall trifft den Normgeber der Aufwand der Inhaltsbestimmung, was sich nicht zuletzt auch in dem im Vergleich zu früheren BITs ungleich höheren Aufwand illustriert, der heute in die sorgfältigere Formulierung präziserer und umfangreicherer Abkommenstexte gesteckt wird. Er bestimmt also abstrakt, welche Umstände für die Beurteilung der Angemessenheit zu berücksichtigen sind und nach diesem Abwägungsprozess ex ante eine verbindliche Festlegung trifft. Für den Normanwender sind Aufwand und Kosten zur Ermittlung des Inhalts der Regelung gering, während sie im Fall eines Standards hoch sind.116 Hier ist es an dem zur Entscheidung berufenen Schiedsgericht, unter 113  Allgemein zur Frage, aufgrund welcher Umstände und Faktoren Staaten Standards oder präzise Normen bevorzugen, siehe Bodansky, Rules vs. Standards, 275 ff.; hierzu auch Tudor, The FET Standard, S. 119 ff. 114  Kaplow, 42 Duke Law J. 1992, S. 559. 115  Dieses Beispiel ist angelehnt an das u. a. auch von Kaplow, 42 Duke Law J. 1992, S. 560, angeführte Beispiel. 116  Kaplow, 42 Duke Law J. 1992, S. 569 f.; siehe auch Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 154.



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dem Eindruck kontroversen Parteivortrags, zu ermitteln, welche Umstände im konkreten Einzelfall zu berücksichtigen sind. Auf diese Unterschiede lassen sich auch die Gründe zurückführen, aus welchen in Investitionsschutzabkommen auf Standards zurückgegriffen wurde. So sind weite Standards hierdurch einfacher zu verhandeln und häufig wurde es erst durch sie möglich fortbestehende Diskrepanzen hinsichtlich der Frage des angemessenen Schutzes ausländischer Investoren zu überbrücken und überhaupt einen Konsens über den Abschluss eines Abkommens zu erzielen.117 Denn die vertragliche Unbestimmtheit erlaubte es den kleinsten gemeinsamen Nenner hinsichtlich der Frage, wie weit Investorenrechte reichen sollten, im Diffusen zu lassen, anstatt den tatsächlichen, mitunter geringeren Minimalkonsens präzise benennen zu müssen.118 Durch die Verschiebung der präziseren Inhaltsbestimmung in die Streitbeilegung wurden hingegen die Positionen beider Vertragsparteien gewahrt, zumal es den Staaten und Investoren im späteren Streitfall über den Schutzumfang einer Klausel unbenommen blieb, das jeweilige Verständnis über den vertraglich intendierten Schutz zu Grunde zu legen.119 Ein ganz wesentlicher Vorteil von Standards besteht jedoch vor allem in der vertraglichen Flexibilität, die sich durch sie bewahren lässt. Aufgrund der Inhaltsbestimmung ex post nämlich werden die im Einzelfall zur Bejahung oder Verneinung eines Verstoßes heranziehbaren Umstände und Erwägungen nicht beschränkt.120 Während die abschließende Formulierung klarer Ge- und Verbote umfassende Kenntnis bezüglich aller relevanten Umstände des zu regelnden Lebenssachverhalts voraussetzen würde, erlau117  Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 154; Bodansky, Rules vs. Standards, S. 278; Dolzer, Generalklauseln in Investitionsschutzverträgen, S. 304. 118  So allgemein zu dem Vorteil von Standards gegenüber Rules bei der Verhandlung internationaler Abkommen, Bodansky, Rules vs. Standards, S. 278; siehe auch Dolzer, Generalklauseln in Investitionsschutzverträgen, S. 295, wonach sich auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner fast zwangsläufig der Rückgriff auf Generalklauseln und Formelkompromisse anbiete. 119  Griebel / Kim, SchiedsVZ 2007, S. 194; siehe auch Bodansky, Rules vs. Standards, S. 279, der die Bevorzugung von Standards auch darauf zurückführt, dass das durch den Vertragsschluss geschaffene Recht immer auch den Staat selbst einschränkt, wohingegen er an sich nur eine Einschränkung anderer Rechtssubjekte wünscht: „[S]tates have mixed motives. They would like international norms that constrain others, but international norms limit a state’s own sovereignity, its freedom of action. In this respect, international law operates more like contract law  – as a mutual self restraint – than like legislation.“; zum Rückgriff auf weite Formulierungen infolge einer Rolle als Heimat- und Gaststaat, siehe auch Weeramantry, Treaty Interpretation in Investment Arbitration, S. 214. 120  Kaplow, 42 Duke Law J. 1992, S. 589: „[R]ules limit the range of ­permissible considerations whereas standards do not.“; Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 154.

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ben Standards bestehende Informations- und Erkenntnisdefizite zu kompensieren.121 Standards sind daher immer dann geeignet, wenn die potentiellen Lebenssachverhalte, die von der Bestimmung umfasst sein sollen, schlicht zu unterschiedlich und unvorhersehbar sind, um in einer präzisen Norm erfasst werden zu können.122 Durch die gewährleistete Flexibilität minimieren sie das Risiko, dass eine Bestimmung zur Anwendung gelangt, obwohl ein Umstand vorliegt, der die Anwendbarkeit ausschließen sollte („over-inclusiveness“); sowie umgekehrt, dass eine Bestimmung nicht zur Anwendung gelangt, weil ein Umstand ex ante nicht berücksichtigt wurde, obwohl die Bestimmung nach dem Willen des Normgebers in diesem Fall eigentlich zur Anwendung gelangten sollte („under-inclusiveness“).123 Gerade in der Furcht vor Letzterer infolge einer präzisen Festlegung von Investorenrechten und der Voraussetzungen für einen Verstoß des Gaststaats, liegt einer der Gründe dafür, dass Standards bevorzugt wurden.124 Denn die kapitalexportierenden Staaten – um deren Investoren es aufgrund der früheren Investi­ tionsströme de facto allein ging – wollten größtmöglichen Schutz erzielen und daher unvorhergesehene Schutzlücken unbedingt vermeiden. Dies gelang durch die Delegation der präziseren Inhaltsbestimmung und die hierdurch eröffnete Möglichkeit einer flexiblen Ergänzung der Standards in unvorhergesehenen Einzelfallkonstellationen.125 Diese Delegation der Inhaltsbestimmung und die Rechtsfortbildung ex post durch einen Dritten hatte seit jeher ihren Preis: Den Verlust der staat121  Siehe hierzu Bodansky, Rules vs. Standards, S. 278, unter Verweis auch auf Informationsdefizite infolge des Fehlens ausreichend gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnise. 122  Bodansky, Rules vs. Standards, S. 278; siehe auch Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 133, daher gerade aufgrund der Möglichkeit der objektiven Inhaltsbestimmung durch einen Dritten in der Unbestimmtheit des FET-Standards „a virtue rather than a shortcoming“ erblickend; ebenso Tudor, The FET Standard, S. 155. 123  Kaplow, 42 Duke Law J. 1992, S. 586 ff.; Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 154. 124  So auch Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 154. 125  Zu dieser impliziten Delegation der Kompetenz zu der jeder Streitentscheidung im Einzelfall denknotwendig innewohnenden Interpretation und Rechtsschöpfung, siehe auch Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 188 f., die unter Rückgriff auf Theorien der internationalen Beziehungen, wonach die Beziehung zwischen Staaten und internationalen Gerichten als engeres „principal-agent“-Verhältnis oder aber als weiteres und unabhängigeres „principal-trustee“-Verhältnis beschrieben werden können, zugleich betont, dass die implizite Delegation der Interpretationsbefugnis jedoch nur eine partielle ist: „[T]he interpretive power delegated to investment tribunals is implied and partial, rather than express and exclusive. According­ ly, investment tribunals resemble trustees when resolving investor-state disputes, but they sit between agency and trusteeship when interpreting and developing the law because they share their interpretive authority with the treaty parties.“



III. Das Interesse an vertraglicher Präzisierung und seine Grenzen 53

lichen Kontrolle über den konkreten Inhalt des Standards, welche durch strikte Rules zurückbehalten worden wäre. Zwangsläufig ging mit diesem Kontrollverlust das Risiko einher, rechtlichen Konsequenzen unterworfen zu werden, die der Staat weder antizipierte noch intendierte.126 Warum sich Staaten überhaupt auf dieses Risiko einließen?127 Auch dies lässt sich mit dem früheren Investitionsumfeld und den einseitigen Investitionsströmen erklären, durch welche dieses Risiko de facto nur den kapitalimportierenden Vertragspartner traf, für welchen die Unterwerfung unter weite Standards und deren Konsequenzen die notwendige Bedingung für erhoffte Investitionen war.128 Konsequenzen, die unerfahrene Entwicklungsstaaten häufig wohl auch gar nicht in ihrer vollen Tragweite erfassten.129 2. Die heutige Möglichkeit der Präzisierung – ein Verdienst auch der Schiedspraxis Während die Bevorzugung von Standards also auch eine bewusste Entscheidung für deren Unbestimmtheit war, so war dies gleichwohl keine entsprechende Entscheidung gegen Rules. Neben den erwünschten Vorteilen, war der Rückgriff auf vage Standards in ganz erheblichem Maße auch schlicht dem Umstand geschuldet, den Inhalt der Schutzbestimmungen nicht präziser fassen zu können.130 Es war nicht absehbar, welche konkreten Problemfelder aufgrund zukünftiger Entwicklungen entstehen und eine präzisere Regelung im Abkommenstext erforderlich machen könnten. Ebenso war ungewiss, wie die vertraglichen Bestimmungen durch Schiedsgerichte künftig ausgelegt und fortgebildet würden. Eine Ungewissheit, deren Beseitigung im Wege präziserer Vertragsgestaltung vor der Zeit 126  So auch Bodansky, Rules vs. Standards, S. 279 f.; zu diesem Kontrollverlust über die Interpretation der unbestimmten Standards auch Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 190, siehe auch bereits supra Fn. 95. 127  Siehe Bodansky, Rules vs. Standards, S. 279 f., der folgerte, dass sich Staaten im Falle eines Streitbelegungsmechanismus „Rules“ präferierten, um auf diese Weise trotz der Entscheidung eines Dritten die Kontrolle über den Inhalt zu bewahren und die Verwendung von Standards im Rahmen der WTO als „the biggest puzzle“ erachtete. 128  Siehe bereits unter A.I.1; so überzeugend Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 155, unter Verweis auf das „peculiar sinallagma“ der „klassischen“ BITs; zur Frage, warum Staaten an internationale Gerichte delegieren und zu den in der Theorie der Internationalen Beziehungen unterschiedenen „principal-agent“ und „principaltrustee“ Modellen, siehe Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 185 ff. 129  Hierzu Poulsen / Aisbett, 65 World Politics 2013, S. 273; siehe das Eingeständnis der südafrikanischen Regierung, supra Fn. 25. 130  So auch Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 154.

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der zahlreichen Investor-Staat-Verfahren die hellseherische Gabe erfordert hätte, die durch Investorenanwälte und Lehrmeinungen angeregte Auslegungsvielfalt der in hunderten Einzelfällen gebildeten Schiedsgerichte zu antizipieren. Auch wenn der Investitionsrechtsprechung der Vorwurf gemacht wird, in einigen Bereichen noch immer unvorhersehbar zu sein, so weiß man heute – weit mehr als 3000 Investitionsschutzabkommen und weit über 500 bekannte Schiedsklagen später131 – jedenfalls weitaus besser, worauf man sich mit der Zusicherung der an sich unbestimmten Standards einlässt. So hat die rapide gewachsene Zahl der Verfahren zu unterschiedlichsten Sachverhaltskonstellationen und auf Grundlage unterschiedlich formulierter Abkommenstexte ganz erheblich dazu beigetragen, offene Problemfelder und einen Präzisierungsbedarf überhaupt erst zu identifizieren und die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Vertragsbestimmungen und -formulierungen aufgezeigt.132 Statt in der Ungewissheit darüber, wie Investitionsschiedsgerichte die vagen Standards auslegen und fortentwickeln werden, befinden sich Staaten heute in der weitaus komfortableren Position, die Entwicklung der Schiedspraxis betrachten und von den hieraus gewonnen Erkenntnissen für die Formulierung eines Ausgleichs profitieren zu können. Zum einen kann so ermittelt werden, inwieweit unterschiedliche Formulierungen der Standards eine Rolle bei ihrer Auslegung und für die Reichweite des durch sie gewährten Schutzes spielten und ob hiernach ein Korrekturbedarf angezeigt ist, um das für angemessen erachtete Investitionsschutzniveau vertraglich zu verankern. Zum anderen kann für die heutige Vertragsgestaltung auf die Kriterien und Lösungsansätze zurückgegriffen werden, die erst infolge der vertraglichen Unbestimmtheit – zumal unter dem Eindruck der Vorträge von Investor und Gaststaat als jeweilige Verfechter der auszugleichenden Individual- und Gemeinwohlinteressen – entwickelt, bestätigt, verworfen und zunehmend verfeinert wurden.133 Dabei 131  UNCTAD,

WIR 2016, S. xii. auch Bjorklund, Practical and Legal Avenues, S. 191, in Bezug auf die Erfolgsaussichten neuer multilateraler Bemühungen: „[T]he rapidly mounting number of investment cases is effectively illustrating the pluses and minuses of exist­ ing provisions. The first MAI was […] negotiated against a backdrop of very few investment cases. Any new MAI would be negotiated with much more knowledge on the part of all those involved.“ 133  Paulsson, Indirect Expropriation: Is the Right to Regulate at Risk?, S. 2 wies bereits 2005 hinsichtlich der Abgrenzung von entschädigungsloser Regulierung und indirekter Enteignung auf die zunehmde Verfeinerung der „jurisprudence in statu nascendi“ hin: „The fact that perfect predictability is an illusion does not mean that there can be no predictability at all. Hundreds of learned articles have been written about this topic. Their authors have not wasted their time. Proof may be found in 132  Ähnlich



III. Das Interesse an vertraglicher Präzisierung und seine Grenzen 55

kann auch eine identifizierte Inkonsistenz schiedsrichterlicher Entscheidungen in konkreten Einzelfragen als Indikator für einen Präzisierungsbedarf genutzt werden. Erst diese Möglichkeit von den Erkenntnissen aus einer herangereiften Investitionsrechtsprechung zu profitieren, ermöglicht es, sich heute um mehr Rule bemühen zu können und mit präziseren Normen, die aufgrund der Inhaltsbestimmung ex ante durch gewählte Regierungen eine höhere Legitimität aufweisen, jenen Forderungen zu entsprechen, Wertentscheidungen zur Bestimmung des Ausgleichs von Individual- und Gemeinwohlinteressen nicht länger den hierzu als unzureichend legitimiert erachteten Schiedsgerichten zu überlassen.134 3. Fazit Der große Vorteil für die heutige Vertragsgestaltung, von den Erfahrungen und Erkenntnissen einer herangereiften Investitionsrechtsprechung zu profitieren, ermöglicht es den Vertragsstaaten heute, Investitionsschutzabkommen präziser und detaillierter formulieren und hierdurch die Delegation der Inhaltsstimmung unbestimmter Standard teilweise zurücknehmen zu zu können. Angesichts der Vorteile unbestimmter Standards und der Delegation an Schiedsgerichte wird jedoch deutlich, dass mit der Forderung nach einer Einschränkung dieser Delegation auch der bisherige Ansatz in Frage gestellt wird, durch welchen Flexibilität erzielt und Schutzlücken vermieden wurden. the increasing sophistication of international awards (and the greater ease with which one now can identify their inevitable occasional defects).“ 134  Zur rapide gewachsenen Investitionsrechtsprechung als wichtige „learning experience“ für die Vertragsgestaltung trotz bzw. gerade aufgrund ihrer Inkonsistenz, auch Ortino, The Forum Panel Discussion: Precedent in Investment Arbitration, S.  318 f.: „[T]he lack of consistency is not so much a bad thing. Although this state of affairs may be seen as an example of ‚legal chaos‘ (and to some extent, it is), it may also be argued that there are important benefits of such chaotic state of affairs in international investment law. For example, the diversity of treaty language and the interpretation of this language (the apparent chaos) represent a very useful learning ground for policy makers in the field. Only by observing how these general standards have been interpreted and applied in real cases, policy makers can actually determine what works and what doesn’t, what investment treaties should say and what they shouldn’t say.“; siehe auch Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 152: „[W]ith more than 3,000 international investment agreements (IIAs) having been negotiated in the past 50 years, 450 treaty-based international arbitrations brought in the past 25 years and a few hundred extensively reasoned decisions rendered by investment tribunals since 1990, the raw materials are certainly not lacking.“; zu einer expansiven und teilweise widersprüchlichen Investitionsrechtsprechung als „learning environment“ auch UNCTAD, Exproriation, S. iv.

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A. Vertragsgestaltung vor neuen Herausforderungen

Staaten haben indes weiterhin ein Interesse daran statische Abkommen zu vermeiden, um Schutzlücken für ihre eigenen Investoren zu verhindern und eine ausreichende Flexibilität für zukünftige Entwicklungen zu bewahren. Notwendige Flexibilität, etwa um Entwicklungen in Bezug auf neue Investitionsmöglichkeiten Rechnung tragen zu können, die sich durch technischen Fortschritt auftun und zu neuen Konflikten zwischen Individual- und Gemeinwohlinteressen führen werden, aber ebenso um einer Entwicklung gesellschaftlicher Anschauungen über legitime Gemeinwohlanliegen gerecht werden zu können. Eine besondere Herausforderung der Vertragsgestaltung besteht somit da­ rin, die Klarheit und Vorhersehbarkeit der Abkommen zu erhöhen, ohne dass dies zulasten ihrer Flexibilität geht.135 So ist zu fragen, durch welche vertragliche Gestaltung ein Verlust an Flexibilität kompensiert werden könnte. Eng damit verknüpft ist die Frage, inwieweit es auch in Zukunft möglich bleibt, sich bei der vertraglichen Formulierung eines Ausgleichs durch bewusste vertragliche Unbestimmtheit – etwa durch nicht abschließende Benennungen der entscheidungserheblichen Kriterien oder Ausnahmefällen – und die einhergehende Delegation an Schiedsgerichte, vertragliche Flexibilität und Entwicklungsoffenheit zu bewahren. Und zwar, ohne befürchten zu müssen, dass diese Unbestimmtheit lediglich einseitig zulasten staatlicher Regulierungsinteressen genutzt würde. Zur Beantwortung dieser Frage ist die heutige Interessenslage der Akteure des Investitionsrechts, insbesondere der Schiedsrichter, in den Blick zu nehmen.

IV. Vertragsgestaltung unter dem Eindruck der Akteure des Investitionsrechts Wenngleich sich Staaten in ihrem eigenen Interesse, zur Sicherstellung ihrer Regulierungsfreiheit, um eine ausgewogenere Ausgestaltung der Investitionsschutzabkommen bemühen, so erfolgt die Neugestaltung der Investitionsschutzabkommen gleichwohl unter dem Eindruck weiterer Akteure des Investitionsrechts, deren Interessenslagen bei der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen sind.136 Allen voran natürlich der Investoren, denn bei allen Bemühungen um die Sicherstellung staatlicher Regulierungsfreiheit darf nicht vergessen werden, dass Investitionsschutzabkommen zum effektiven Schutz von Investitionen und nicht zur Sicherstellung staatlicher Regulie135  Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 163, „adding ‚normative precision‘ while maintaining ‚normative flexibility‘.“ 136  Zur Vertragsgestaltung unter der kritischen Beobachtung der Wissenschaft, zivilgesellschaftlicher Organisationen und einer zunehmend besorgten Öffentlichkeit und deren Forderungen, siehe bereits unter A.II.1.



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rungsinteressen abgeschlossen werden. Die frühere Kongruenz der Interessen des vertragsschließenden Heimatstaats und seiner im Ausland investierenden Unternehmen, im Streben nach größtmöglichem Investorenschutz, ist indes durch die heutigen Bemühungen um eine vertragliche Sicherstellung defensiver Regulierungsinteressen entfallen, denn die stärkere Betonung der Regulierungsinteressen widerspricht an sich dem allein offensiven Investoreninteresse. Dass sich die Interessenslage der Investoren jedoch infolge eines anhaltenden Krisengefühls verändert hat und sich die Normierung von Regulierungsinteressen daher nicht zwangsläufig in Widerspruch zu einem Handeln im Investoreninteresse setzt, soll im Folgenden dargelegt werden (1.). Im Anschluss ist dann zu erörtern, inwieweit die heutige Interessenslage der Schiedsrichter positiv stimmen kann, dass sich die Einschränkungsbemühungen zur Erzielung eines Ausgleichs zukünftig nicht als vergebene Liebesmüh’ erweisen werden (2.). 1. Die heutige Interessenslage der Investoren Während die vertragliche Sicherstellung der Regulierungsfreiheit eine leichte Übung wäre, besteht die Herausforderung freilich gerade darin, zugleich den Interessen der Investoren gerecht zu werden. Um es allen Seiten recht zu machen, müssten die Staaten eine Einschränkung zu weitgehender Investorenrechte zugunsten der Sicherstellung der Regulierungsfreiheit versprechen und zugleich ein unverändert hohes, höchstmögliches Maß an Investitionsschutz. Wenngleich sich beide Ziele auch als Marschroute für die zukünftige europäische Investitionspolitik137 und als Leitlinie in Verhandlungsmandaten für EU-Abkommen finden138, so wäre ein solches Versprechen allenfalls unter der Prämisse zu halten, dass sich der Vergleich eines unverändert 137  Siehe die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen ‒ Auf dem Weg zu einer umfassenden europäischen Auslandsinvestitionspolitik, vom 7.  Juli 2010, S. 13, abrufbar unter: http: / / eur-lex.europa.eu / legal-content / EN /  TXT / ?uri=CELEX:52010DC0343, wonach sich die EU an „bewährten Verfahren orientieren [sollte], damit EU-Abkommen keinen Investor schlechter stellen als es im Rahmen eines mitgliedschaftlichen BIT der Fall wäre“. Zu Recht weist Kleinheisterkamp, 27 ICSID Rev. 2012, S. 428 f. darauf hin, dass diese „bewährten Verfahren“ der Mitgliedstaaten dem „klassischen“, allein auf größtmöglichen Investi­ tionsschutz ausgerichteten Ansatz folgen und daher schon im Hinblick auf die Verhandlungen mit Kanada und den USA, die diesen Ansatz durch die Umgestaltung ihrer Model-BITs ja gerade bewusst aufgegeben hatten, absehbar war, dass man an den „bewährten Verfahren“ nicht einfach würde festhalten können. 138  Siehe supra Fn. 33.

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A. Vertragsgestaltung vor neuen Herausforderungen

hohen, höchstmöglichen Investitionsschutzes allein auf das Schutzniveau bezieht, welches auch unter den bisherigen Abkommen der Alten Genera­ tion ursprünglich allein intendiert gewesen sei. Detailliertere Bestimmungen zur Eingrenzung der als zu weitgehend erachteten Investorenrechte stellen im Vergleich zu den bisherigen Abkommenstexten und der Auslegung, die sie erfahren haben, nämlich eine Einschränkung dar, die notgedrungen auch auf die eigenen Investoren zurückfällt.139 Dem Ziel, einen „höchstmög­ lichen“140 Investorenschutz sicherzustellen, entspräche es daher an sich vielmehr, die eigenen Investoren weiterhin auch von einer potentiell expansiven Rechtsprechung der Schiedsgerichte infolge unbestimmter und unbeschränkter Standards profitieren zu lassen. Die steigende Zahl der Staaten, die sich um eine Normierung staatlicher Regulierungsinteressen und präzisere Abkommen bemühen, ist jedoch Ausdruck davon, dass die Überzeugung, wonach Unklarheiten und weite Auslegungsräume den eigenen Investoren bislang eher zum Vorteil gereichten, als ein Risiko für eigene Regulierungsinteressen bedeuteten, zunehmend gewichen ist. In der neuen Rolle als nicht länger nur theoretisch Beklagter ist die mit der Unbestimmtheit der Abkommen einhergehende Möglichkeit der erweiternden Auslegung der Schutzstandards nicht länger gutgeheißene „Chance“ der eigenen Investoren im Sinne höchstmöglichen Schutzes, sondern wird zum unkalkulierbaren Risiko für die Verfolgung eigener Regulierungsinteressen. Der heute erstrebte höchstmögliche Investitionsschutz ist somit nicht länger der einseitige Maximalschutz, welcher jeglichem Ausgleich widerspräche, sondern lediglich der weitgehendste Schutz, durch welchen die eigene Regulierungsfreiheit keinesfalls in Frage gestellt wird. Demgegenüber befürchten die Investoren, dass sie die Leidtragenden der Normierung staatlicher Regulierungsfreiräume sein werden.141 Dies nicht 139  Siehe Kleinheisterkamp, 27 ICSID Rev. 2012, S. 430, zu den neueren Abkommenstexten im Vergleich zu den „klassischen“ BITs der EU-Mitgliedstaaten: „[T]he more elaborate qualifications found in these much newer instruments, […] through their degree of specificity inevitably entail limitations to the investor rights as compared to previously unqualified international investment agreement […] provisions.“; Alvarez, The Once and Future Foreign Investment Regime, S. 632: „[A] longer treaty generally means far more hedged investment guarantees“; siehe auch Alvarez, The Public International Law Regime Governing Investment, S. 165; in Bezug auf die Bewertung der in 2004 überarbeiteten Musterabkommen der USA und Kanadas siehe auch Lévesque, The Challenges of Marrying Investment Liberalisa­ tion and Protection in CETA, S. 128: „less protective of investors than prior models and agreements, or, stated differently, more balanced between investor protection and the state’s right to regulate“. 140  Siehe supra Fn. 137 und 138. 141  Siehe z. B. die Stellungnahme des Bundesverbands der Deutschen Industrie e. V. (BDI) vom 4.  Juli 2014 im Rahmen der öffentlichen Konsultation zum Inves-



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nur aufgrund einer absoluten Absenkung des Schutzniveaus gegenüber den bisherigen „klassischen“ BITs, sondern auch infolge einer relativen Schlechterstellung im Wettbewerb mit den Investoren, die weiterhin von unpräzisierten Abkommen profitieren könnten.142 Auch wenn somit ein so weitgehender Gleichlauf der Interessen des Investors und seines Heimatsstaats, wie im früheren Streben allein nach weitgehendstem Investitionsschutz, heute nicht mehr gegeben ist, bedeutet dies gleichwohl nicht, dass Investoren den Ausgleichsbemühungen der Staaten vollständig ablehnend gegenüberstünden und Staaten daher durch die vertragliche Präzisierung eines Ausgleichs stets im Widerspruch zur heutigen Interessenslage der Investoren handelten. Es gibt vielmehr Anzeichen dafür, dass die anhaltende Kritik an der Schiedsgerichtsbarkeit und die Rückzugstendenzen der Staaten auch auf Seiten der Investoren ihre Spuren hinterlassen haben und die Erkenntnis reifen ließ, dass es langfristig auch im eigenem Schutzinteresse liegt, dass der Sorge um eine unangemessene Einschränkung der staatlichen Regulierungsfreiheit im Wege der Vertragsgestaltung Rechnung getragen wird. Dies als langfristig günstigere Alternative im Vergleich zu einem schmerzlicheren Rückzug der Staaten zu einem noch restriktiveren Investitionsschutz oder gar einer vollständigen Abkehr von Investor-Staat-Verfahren.143 Hinweise auf eine solche Erkenntnis lassen sich titionskapitel im TTIP-Abkommen („Stellungnahme des BDI zur TTIP“), zu Frage 5, unter 2.; siehe auch Stellungnahme der National Association of Manufacturers im Rahmen der öffentlichen Konsultation zum Investitionsschutz in der TTIP, zu Frage 5: „Governments are presumed to be regulating on behalf of the public welfare, but need to follow other basic principles in doing so. The balance required in this area is already well reflected in the standards used in EU member state BITs and in the U.S. model BIT. Blanket exceptions for environmental, health or other public wel­fare regulation or any product- or sector-specific exclusions would undermine the very purpose of these instruments. Consider how allowing governments to expropriate, or otherwise treat unfairly green technology in the name of environmental outcomes would affect the industries and jobs that they provide in Europe and America.“; siehe auch Woolcock, Studie zum Konzept der Auslandsinvestitionspolitik der EU, S. 17, wonach europäische Firmen und Investoren die Auffassung vertreten, dass sie womöglich die Kosten einer „ ‚humanitären‘ Investitionspolitik“, die den Zielen der gemeinsamen Handelspolitik der EU entspricht, werden tragen müssen. 142  Siehe z. B. Stellungnahme des BDI zur TTIP, supra Fn. 141, zu Frage 3 auf S. 6, zum Nachteil, welchen US- und EU-Investoren im Fall der abschließenden inhaltlichen Beschränkung des FET-Standards im Vergleich zu Investoren erleiden, denen der Schutz durch unbeschränkte FET-Klauseln zuteil wird; siehe auch Stellungnahme der NAM, supra Fn. 141, zu Frage 3. 143  Dass die Erzielung eines Ausgleichs langfristig auch im Interesse der Investoren liegt, betont auch Titi, Right to Regulate, S. 74: „It is imperative to tackle the imbalance […], not only in the interest of host states but also in the interest of investors, given that investment protections that override public policy objectives may in the long term prove damaging to investors.“

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etwa Stellungnahmen, wie jenen des Bundesverbands der Deutschen Industrie e. V. („BDI“) oder auch der National Association of Manufacturers („NAM“), dem größten Interessensverbands amerikanischer Herstellerunternehmen, entnehmen. In ihnen wird das Interesse der Staaten an der Sicherstellung ihrer Regulierungsfreiheit sowie das Erfordernis eines Ausgleichs gegenüber einem maximalen Investorenschutz im Grundsatz durchaus akzeptiert.144 So forderte die NAM in der Konsultation zum Investitionsschutz in der TTIP keinesfalls über die Vorkehrungen und Formulierungen zur Sicherstellung des right to regulate hinauszugehen, wie sie sich im US Model BIT 2012 finden.145 Schon für diesen hatte man gemahnt, an dem im Text des US Model BIT 2004 mühsam erzielten Interessensausgleich festzuhalten. Obgleich man ebenso wie andere Wirtschaftsvertreter gewiss einen anderen Ausgleich bevorzugt hätte, habe man diesen Kompromiss akzeptiert, damit die USA auch zukünftig zu BIT-Verhandlungen im Inte­ resse der Investoren bereit wären.146 Hierin zeigt sich, dass während das Interesse der Staaten an einer stärkeren Betonung der Regulierungsfreiheit als notgedrungenes Zugeständnis akzeptiert wird, sich die Bemühungen der Investoren heute darauf richten, 144  Siehe z. B. Stellungnahme des BDI zur TTIP, supra Fn. 141, zu Frage 5: „Investment protection and ISDS do not stand at odds with the right of States to regulate. The right to regulate is recognized and generally accepted in international law. BDI also recognizes the need for the preservation of adequate policy space, includ­ ing for social, health and environmental purposes […]. BDI agrees that future investment treaties must reaffirm the balance between a government’s right-to-regu­late and the investor’s right to protection.“, ähnlich auch in der Stellungnahme des BDI vom 7. Mai zu den im Konzeptpapier der EU-Kommission vom Mai 2015 vorgestellten Vorschlägen („BDI Stellungnahme vom 7. Mai 2015 zum Konzeptpapier der EU-Kommission“), S. 2 und S. 7. 145  Siehe die Stellungnahme der NAM, supra Fn. 141, zu Frage 5. Während die NAM eine Klarstellung der zur Beurteilung des Vorliegens einer indirekten Enteignung heranzuziehenden Kriterien befürwortete, soweit eine solche Klarstellung für erforderlich erachtet werde (a. a. O., zu Frage 4), sprach sie sich hinsichtlich des positiven Schutzumfangs des FET-Standards freilich gleichwohl dafür aus, die Beschränkung des FET auf den MST aufzugeben und die Verpflichtung zu FET zusätzlich vorzusehen (a. a. O., zu Frage 3). 146  Siehe „Written Comments of Franklin J. Vargo, Vice President, International Economic Affairs National Association of Manufacturers Washington, D.C., Submitted to the Interagency Model Bilateral Investment Treaty (BIT) Review Panel“, 31. Juli 2009, S. 7: „The compromises embedded in the 2004 Model BIT represent a very delicate and carefully-struck balance among the many interests and stakehold­ ers. While the NAM and others in the business community would certainly have preferred a different balance in the Model BIT, we honored that compromise in recognition of the importance that the United States remain actively engaged in BIT negotiations with our key partners.“, abrufbar unter: http: / / www.nam.org / Issues /  Trade / Comments-on-Interagency-Bilateral-Investment-Treaty-Review-Panel / .



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die Vertragsstaaten von einer Überreaktion abzuhalten. Man bemüht sich die Vertragsparteien davon zu überzeugen, dass sich ein angemessener Ausgleich bereits durch vertragliche Optionen erzielen lässt, die aus Investorensicht eine geringere Absenkung des Schutzniveaus befürchten lassen als restriktivere Maßnahmen, welche die Vertragsparteien zur Erzielung eines Ausgleichs für erforderlich erachten könnten.147 So indem etwa argumentiert wird, staatlichen Regulierungsinteressen könne bereits durch den Präambeltext und eng und präzise gefasste Ausnahmetatbestände148 oder durch Regelungen zum Ausschluss offensichtlich unbegründeter Klagen149 angemessen und ausreichend Rechnung getragen werden. Investoren fürchten also nicht die mit einem Ausgleich denknotwendig einhergehende Beschränkung eines maximalen Investorenschutzes. Vielmehr fürchten sie, dass die Vertragsparteien über das Ziel hinausschießen und Regulierungsvorbehalte und Ausnahmen zu den Schutzstandards Eingang in die Abkommenstexte finden, die so weit und unbestimmt sind, dass sie den Staaten die Möglichkeit eröffnen könnten, sich letztlich mit jeder Maßnahme auf ein diffuses und unkalkulierbares Recht zur Regulierung in einem Gemeinwohlinteresse zu berufen, wodurch der Investorenschutz leer liefe.150 Vor diesem Hintergrund wird man sagen können, dass es dem heutigen Investoreninteresse als „kleinerem Übel“ eher entspricht, dass der Sorge der Staaten um ihre Regulierungsfreiheit durch möglichst enge und präzise gefasste Regulierungsvorbehalte und Ausnahmen Rechnung getragen wird, die kalkulierbar sind, als dass sich Staaten zu leicht auf ein konturloses Recht zur Regulierung berufen könnten. Insoweit decken sich die Interessen der Staaten und Investoren heute im gemeinsamen Wunsch nach Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit in Bezug auf das Recht zur Regulierung im Gemeinwohlinteresse, unter Bewahrung eines insoweit höchstmöglichen Inves147  Stellungnahme der NAM, supra Fn. 141, zu Frage 5: „Proposals to exempt public welfare measures through a general exception type mechanism or additional language beyond the U.S. 2012 Model BIT would vitiate the purpose and effect of the investment protections. Governments are presumed to be regulating on behalf of the public welfare, but need to follow other basic principles in doing so. The ­balance required in this area is already well reflected in the standards used in EU member state BITs and in the U.S. model BIT.“ 148  Siehe z. B. Stellungnahme des BDI zur TTIP, supra Fn. 141, zu Fragen 3 und 5, unter 1. 149  Stellungnahme der NAM zur TTIP, supra Fn. 141, zu Frage 5. 150  Stellungnahme des BDI zur TTIP, supra Fn. 141, zu Frage 5: „While BDI acknowledges the Commission’s attempts to strengthen State’s right-to-regulate, it is important to recognize that the CETA text also poses risks. If the new clauses were interpreted too generously, all government regulations could be found to be in the public interest. As a consequence, the investor would not have access to protection anymore.“

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A. Vertragsgestaltung vor neuen Herausforderungen

torenschutzes.151 Gelingt es, das staatliche Regulierungsinteresse auf eine Weise sicherzustellen, die dem Investoreninteresse an Vorhersehbarkeit und Planungssicherheit Rechnung trägt, so würde damit ein Ausgleich erzielt, welcher auch der heutigen Interessenslage der Investoren entspricht. Über eines dürfen die Aussagen, in welchen auch von Investorenseite Verständnis für das Interesse der Staaten an der Sicherstellung des Rechts zur Gemeinwohlregulierung und der vertraglichen Präzisierung eines Ausgleichs geäußert wird, jedoch nicht hinwegtäuschen: Im Streitfall wird der klagende Investor – wie in bisherigen Investor-Staat-Verfahren – nicht bezweifeln, dass dem Staat grundsätzlich ein Recht zur entschädigungslosen Regulierung zusteht, sondern die zulässige Berufung auf dieses Recht zur Verneinung der Verletzung der ihm zugesicherten Investorenrechte und ihrer Entschädigungspflicht in Bezug auf die konkrete Regulierungsmaßnahme bestreiten. Auch zukünftig werden dabei Anwaltsfirmen das zur Entscheidung berufene Schiedsgericht mit aller Macht von einer Verletzung der Investorenrechte infolge der Regulierungsmaßnahme zu überzeugen suchen. Dies, indem sie – unter Ausnutzung vertraglicher Unbestimmtheit – unvermindert hinsichtlich des Schutzumfangs der Standards für eine gebotene weite und investorenfreundliche Auslegung argumentieren werden, so wie sie das Gericht hinsichtlich neuer spezifischer Klarstellungen und Ausnahmen zur Sicherstellung des right to regulate stets mit aller Macht von der Verneinung ihrer Einschlägigkeit zu überzeugen versuchen werden. Umso entscheidender kommt es für Staaten in ihren Bemühungen um eine vertragliche Formulierung eines Ausgleichs darauf an, wie standhaft ein Schiedsgericht auch dann staatlichen Regulierungsinteressen Rechnung tragen würde. Schenkt man jenen Stimmen Glauben, die gerade das erhebliche Eigeninteresse der Schiedsrichter an einer stetigen Zunahme von Investorenklagen als Ursache für eine immer expansivere Auslegung der Investorenrechte ausmachen und folglich auch den vertraglichen Einschränkungsbemühungen der Staaten wenig Aussicht auf Erfolg bescheinigen152, dürfte hiermit kaum zu rechnen sein. Inwieweit aber die verbreitete Sorge um eine unangemessene Einschränkung der Regulierungsfreiheit und die vernehmbaren Rückzugstendenzen einzelner Staaten auch bei den Schiedsrichtern ihre Spuren 151  In diesem Sinne auch Subedi, IIL, S. 217; siehe auch Titi, Right to Regulate, S. 73, in Bezug auf das staatliche Regulierungsinteresse und das Investoreninteresse an einem Fortbestehen des vertraglich gewährleisteten Investitionschutzsystems: „Ultimately, however, both sides wish to have predictability, transparency and clarity in the overarching legal landscape regulating their relationship.“; siehe auch Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 158: „More than an open and friendly investment regime, investors seek clarity, stability and predictability of investment conditions in the host State.“ 152  Siehe bereits unter A.II.1.



IV. Vertragsgestaltung unter dem Eindruck der Akteure63

hinterlassen haben und welche Rückschlüsse hieraus für die Vertragsgestaltung zu ziehen sind, sei im Folgenden betrachtet. 2. Die heutige Interessenslage der Schiedsrichter – steht ihr Eigeninteresse der angemessenen Berücksichtigung von Regulierungsinteressen entgegen? a) Vertragsgestaltung als Austarieren der Rolle der Schiedsrichter bei der Erzielung eines Ausgleichs Die Bemühungen um die vertragliche Formulierung eines Ausgleichs zwischen Investoren- und Regulierungsinteressen erfolgen entscheidend auch im Hinblick auf die Rolle der Schiedsrichter, als den zur Anwendung der neuen Vertragstexte berufenen Akteuren. Vor dem Hintergrund ihres als zu weitreichend kritisierten Einflusses und der Infragestellung ihrer Legitimation, über die Gemeinwohlmaßnahmen gewählter Regierungen zu befinden, müssen Staaten die Rolle überdenken, die Schiedsgerichten zukünftig bei der Beurteilung und Erzielung eines Ausgleichs zwischen Regulierungsund Investoreninteressen zukommen soll.153 Eine Rolle, die ausweislich der Bemühungen um eine Präzisierung der Abkommenstexte – je nachdem abhängig davon, wie weit der Entscheidungsspielraum durch die gewählte Ausgestaltung verkürzt wird – jedenfalls eine kleinere, unselbständigere sein soll. Der als angemessen erachtete Ausgleich zur Wahrung staatlicher Regulierungsinteressen soll stärker durch die vertragsschließenden Staat als rulemaker vorgezeichnet werden, anstatt es den Schiedsgerichten zu überlassen, ihr Verständnis eines solchen Ausgleichs zu Grunde legen zu können. Hinsichtlich der Frage, inwieweit die Schiedsgerichte in die Überlegungen zur Erzielung und Sicherstellung eines Ausgleichs einbezogen werden können, sind folgende Erwägungen anzustellen, in denen sich auch die Vorteile verbleibender vertraglicher Unbestimmtheit sowie das offensive Interesse an einem effektiven Mechanismus zur Durchsetzung der vertraglich eingeräumten Investorenrechte widerspiegeln: – Inwieweit ist eine vertragliche Normierung staatlicher Regulierungsinte­ ressen zur Sicherstellung staatlicher Regulierungsinteressen und der Erzielung eines Ausgleichs heute überhaupt erforderlich? 153  Vgl. hierzu schon Dolzer, Generalklauseln in Investitionsschutzverträgen, S. 305, wonach der Trend zur gerichtsförmlichen Streitbeilegung im globalen Wirtschaftsrecht nicht nur die Frage nach dem Inhalt der internationalen Regelwerke aufwerfe, sondern auch neue Antworten zur Struktur der Regelwerke im Lichte der Implikationen für die Aufteilung der Entscheidungskompetenz gesamtstaatlicher Vertreter und internationaler richterlicher Gremien verlange.

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– Ist es dabei erforderlich, durch möglichst präzise und ausnahmslose, jedoch starrere Vertragsbestimmungen, eine expansive Auslegung einseitig zu Lasten des Investorenschutzes zu verhindern? Oder ist es stattdessen möglich, durch bewusst belassene Unbestimmtheit und eine entsprechend weitergehende Delegation an das Schiedsgericht – z. B. durch nicht abschließende Regelungen und die Eröffnung der Möglichkeit in unbestimmten Ausnahmefällen eine vom Grundsatz abweichende Entscheidung zu treffen – Flexibilität zur Vermeidung von Regelungslücken zu bewahren und durch die Berücksichtigung besondere Umstände und zukünftiger Entwicklungen einen Ausgleich auch in nicht antizipierten Anwendungsfällen zu erzielen?154 – Inwieweit ist es erforderlich, große Zurückhaltung der Gerichte bei der Überprüfung der Legitimität staatlicher Maßnahmen im Gemeinwohlinteresse einzufordern? Kann stattdessen Schiedsgerichten im Interesse eines effektiven Schutzes der eigenen im Ausland investierenden Unternehmen anvertraut werden, die Legitimität dieser Maßnahmen – und somit auch der eigenen – anhand eines möglichst effektiven Maßstabs zu hinterfragen, der den regulierenden Staat zum Ausschluss von Missbrauch unter einen größeren potentiellen Rechtfertigungsdruck setzt? Dies jedoch, ohne dabei Gefahr zu laufen, dass die Regulierungsfreiheit wiederum durch überzogene Anforderungen etwa an die Geeignetheit und Erforderlichkeit der konkreten Maßnahme in Frage gestellt wird?155 Dies, um auf diese Weise durch die Beanspruchung eines weiten Regulierungsfreiraums für sich selbst nicht das offensive Mandat zu vernachlässigen und die eigenen Investoren dem Risiko missbräuchlicher Maßnahmen des Vertragspartners auszusetzen, dem dieser weite Regulierungsfreiraums einen zu großen Deckmantel bieten könnte.156 154  Vgl. Asteriti, Environmental Language in Investment Treaties, S. 153: „What some would call clarity and efficiency, others would describe as rigidity and inflex­ ibility of the system.“; zu den Vor- und Nachteilen vertraglicher Präzisierung, siehe bereits unter A.III. 155  Siehe Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 62 angesichts der Darlegungs- und Beweislast zum Nachweis von verschleiertem Protektionismus im Vergleich zum welthandelsrechtlichen Ansatz die Frage aufwerfend, ob der in der Investitionsrechtsprechung angelegte Überprüfungsmaßstab und der Rechtfertigungsdruck, dem sich Staaten ausgesetzt sehen, überhaupt streng genug ist: „[T]he risk with the investment law approach ‒ particularly the placing of the burden on the investor to establish that the state’s purpose was wrongful  – is that states will be too readily able to do what they have done in the trade context, which is to use environmental or health regulation as a cover for wrongful conduct.“; siehe auch die Erwägungen unter B.II.4.b)cc). 156  Dazu, dass Staaten sicherstellen müssen, ihre eigenen Investoren diesem Risiko nicht durch ihren Wunsch nach Sicherstellung der Regulierungsfreiheit auszu-



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Letztlich liegt all diesen Erwägungen dieselbe Frage zu Grunde: Inwieweit ist heute absehbar, dass Schiedsgerichte bei zukünftigen Entscheidungen im Spannungsfeld von Investorenschutz- und staatlichen Regulierungsinteressen bereit sein werden, dem Interesse der Gaststaaten an einer entschädigungslosen Regulierung zur Verfolgung legitimer Gemeinwohlinteressen Rechnung zu tragen? Ihre Beantwortung setzt eine Prognose voraus. Diese ist entscheidend auf Grundlage der heutigen Interessenslage der Schiedsrichter in Anbetracht eines massiven Widerspruchs gegen das zukünftige Festhalten an InvestorStaat-Schiedsverfahren aus Sorge um eine unangemessene Einschränkung staatliche Regulierungsinteressen anzustellen. Warum meines Erachtens die Vorzeichen, dass Schiedsgerichte zukünftig eine erhöhte Empfänglichkeit für die Sorge um eine zu weitgehende Einschränkung der Regulierungsfreiheit zeigen und die Bemühungen zur Festschreibung und Präzisierung eines Ausgleichs zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen nicht auf taube Ohren stoßen werden, gut stehen, sei im Folgenden dargelegt. b) Vertragsgestaltung als Teil eines Dialogs mit den Schiedsgerichten Auch wenn sich Staaten durch die vertragliche Präzisierung eines Ausgleichs noch so sehr darum bemühen, die Rolle des lawmaker durch präzisere Abkommen wieder stärker an sich zu reißen, wird die theoretische Aufteilung zwischen den Vertragsstaaten als alleinigem Normgeber und den Schiedsgerichten als bloßem Normanwender auch zukünftig Fiktion bleiben.157 Auch weiterhin wird den Schiedsgerichten die Aufgabe der Auslegung und Lückenfüllung, und somit auch eine rechtfortbildende Aufgabe zukommen.158 Vor diesem Hintergrund und angesichts des Umstands, dass Staaten zugleich Normgeber und potentielle Beklagte sind, untersuchte Roberts in ihrem Aufsatz „Power and Persuasion in Investment Treaty Arbitration: The Dual Role of States“, welche Rolle den Vertragsstaaten bei der Interpretation ihrer Abkommen zukommt. Roberts stellt dabei heraus, dass die Interpretation der Abkommen weder die exklusive Aufgabe der Vertragssetzen, auch von Walter, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 239. 157  Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 188 f., im Hinblick auf die Delegation der Interpretation unbestimmter Standards an internationale Gerichte: „As a matter of orthodoxy, states create international law, while international cours merely interpret and apply it. […] In practice, however, international courts play a critical role in the development of international law because the distinction between interpreting and creating the law is a fiction.“ 158  So auch Spears, 13 J. Int. Econ. Law 2010, S. 1072.

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staaten ist, noch diese Aufgabe allein den Schiedsrichtern zufällt.159 Indem die Staaten den Schiedsgerichten die Aufgabe zuweisen, Einzelfälle anhand weitgefasster und unbestimmter Standards zu entscheiden, delegierten sie zwar zugleich die implizite Befugnis, diese Standards zu interpretieren160, doch sei diese Delegation nur eine partielle.161 Folglich sei die Aufgabe der Interpretation und Fortentwicklung des Investitionsrechts geteilt und Staaten behielten – trotz ihrer Doppelrolle – weiterhin die nicht-delegierte Befugnis des primären Normgebers, auf den Inhalt und die Fortentwicklung der Abkommen sowie deren Auslegung durch die Schiedsgerichte einzuwirken.162 Diese Aufgabenteilung sei jedoch in Disbalance geraten, was Roberts neben der Verwendung unbestimmter Standards vor allem auf die übliche Praxis der Schiedsgerichte zurückführt, zur Begründung ihrer Entscheidungen auf vorangegangen Schiedsurteile und akademische Lehrmeinungen zurückzugreifen, die Staatenpraxis jedoch zumeist unberücksichtigt zu lassen.163 Während durch diese Praxis zwar sukzessive ein erhöhtes Maß an Vorhersehbarkeit und Konsistenz der Schiedspraxis erzeugt werde, würden die Vertragsstaaten vom interpretativen Prozess abgekapselt, was auch die Besorgnis befeure, die Schiedsrichter würden als die eigentlichen lawmaker Regulierungsinteressen nicht ausreichend berücksichtigen.164 Um diesem Zustand abzuhelfen und die Balance zwischen den Vertragsparteien und den Schiedsgerichten wieder herzustellen beleuchtet Roberts, wie die Staaten in ihrer Rolle als Vertragsparteien mit den Schiedsgerichten in einen konstruktiven Dialog zur Interpretation der Abkommen eintreten können („Interpretive dialogue“).165 Obgleich Roberts  – ohne zu behaupten, dass diese Form der Interaktion gegenüber anderen Optionen vorzugswürdig ist166 – für einen solchen Dialog nur Optionen betrachtet, die eine Neugestaltung oder Anpassung der Abkommen durch ein kollektives Handeln der Vertragsparteien („recontracting strategies“) nicht erforderlich machen167, sind die Betrachtungen Roberts in Bezug auf die dynamische 159  Roberts,

104 Am. J. Int. Law 2010, S. 225. 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 188 f. 161  Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 180. 162  So Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 191, dies selbst wenn man hinsichtlich der Rechtsnatur der Investonrechte zu Grunde legt, dass Investoren durch Investitionsschutzabkommen eigene materielle und prozessuale Rechte eingeräumt werden, a. a. O., S.  184 f. 163  So Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 190, unter Verweis auf die Studie von Fauchald, 19 Eur. J. Int. Law 2008, S. 328 f., 335, 343 ff., 351. 164  Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 190 f., siehe auch bereits Fn. 95.  165  Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 191. 166  Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 193, darauf hinweisend, dass die hohen Transaktionskosten aufwendiger Neuverhandlungen oder Anpassungen neuer Abkommen zum Ausschluss dieser Option führen können. 160  Roberts,



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Interaktion zwischen Staaten und Schiedsgerichten auch für die Untersuchung und die Festlegung der Rollenverteilung zwischen Staaten und Schiedsgerichten im Wege der – einseitigen wie kollektiven – Ausgestaltung von (Muster-)Investitionsschutzabkommen, erkenntnisreich. Mit dem Begriff des Dialogs, dessen sich neben anderen auch Roberts zur Beschreibung einer wiederholten Interaktion zwischen Staaten und Schiedsgerichten bedient168, lässt sich nämlich ebenso die Beeinflussung der Investitionsrechtsprechung durch das Kommunikationsmittel der Vertragsgestaltung beschreiben, sowie umgekehrt, die Beeinflussung der Vertragsgestaltung in Reaktion auf die beobachtete Fortentwicklung der Rechtsprechung.169 Zudem widmet sich Roberts der Frage, von welchen Faktoren es abhängt, ob sich die Vertragsstaaten in einem solchen Dialog Gehör verschaffen können. Eine Frage, die sich auch vorliegend für die Prognose stellt, ob die neuen Klauseln zur Präzisierung eines Ausgleichs bei den Schiedsrichtern auf Gehör stoßen werden und deren Beantwortung Erkenntnisse liefert, inwieweit Staaten diesen Dialog durch vertragliche Unbestimmtheit offener gestalten können oder aber das Gespräch, durch ein höheres Maß an Präzisierung ex ante, deutlicher und stärker an sich reißen müssen. Zur Beschreibung des dynamischen Prozesses der Beeinflussung der Schiedsgerichte greift auch Roberts auf die Begriffe „Exit“ und „Voice“ zurück, mit welchen der deutsch-amerikanische Soziologe und politische Ökonom Albert O. Hirschman in seiner Schrift „Exit, Voice, and Loyalty“ die beiden Extreme eines Spektrums an Reaktionsmöglichkeiten auf den Leistungsabfall bei Unternehmungen, Organisationen und Staaten bezeichnete.170 167  Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 192 f. geht einem Mittelweg zwischen den hier untersuchten „recontracting strategies“ und politischen Optionen zur Schwächung des Systems der Streitbelegung („delegitimizing strategies“) nach und spricht sich für eine stärkere Berücksichtigung der späteren Übereinkunft der Staaten über die Auslegung des Vertrags sowie ihre spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags aus (Art. 31 Abs. 3 (a), (b) WRVK). 168  Siehe Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 193. 169  Auch Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 194, beschreibt die Neuformulierung von Model-BITs als eine der Optionen, durch welche Staatenpraxis generiert werden kann, die dann im Sinne eines Dialogs bei der Interpretation der Abkommen durch die Schiedsgerichte Berücksichtigung finden kann; auf einen „dialectic process emerging between the jurisprudence, on the one hand, and the political, treaty making arm, on the other“, weist auch Ortino, The Forum Panel Discussion: Precedent in Investment Arbitration, S. 318, hin, unter zutreffendem Verweis auch auf das Beispiel der Anpassung der Model-BITs der USA und Kanadas, die zeigen, dass Staaten für die Vertragsgestaltung von der Rechtsprechung der Schiedsgerichte gelernt haben; siehe auch den Kommentar von Stern, The Forum Panel Discussion: Precedent in Investment Arbitration, S. 317. 170  Albert O. Hirschman, „Exit, Voice, and Loyalty. Responses to Decline in Firms, Organizations and States“ (1970), die deutsche Erstausgabe, auf die sich die

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Wie in der Einleitung beschrieben, stehen auch die Staaten heute vor der Frage, wie angesichts der Sorge um eine unangemessene Einschränkung der staatlichen Regulierungsfreiheit zu reagieren ist und wie ein zukünftiges Festhalten an Investor-Staat-Verfahren gerechtfertigt werden kann. Die durch die Arbeit Hirschmans gewonnenen Erkenntnisse zu dem komplementären Zusammenspiel der Reaktionsalternativen von „Exit“ und „Voice“ im Hinblick auf die Effektivität der Bemühungen um die Korrektur einer ungewünschten Fehlentwicklung, lassen sich daher auch gewinnbringend für die Prognose nutzen, ob den Bemühungen um die Erzielung eines Ausgleichs im Wege der Vertragsgestaltung Erfolgsaussichten zu bescheinigen sind. Daher seien sie im Folgenden eingehend betrachtet. c) Hirschmans Abwanderung und Widerspruch Ausgangspunkt der Betrachtungen Hirschmans ist der Umstand, dass es in jedem wirtschaftlichen, sozialen oder politischen System, und sei es noch so vortrefflich angelegt, aus unterschiedlichsten Gründen dazu kommt, dass Individuen, Unternehmen und Organisationen den Erwartungen ihrer Mitglieder, Kunden, Wähler etc. nicht gerecht werden.171 In einer vergleichenden Analyse widmet sich Hirschman den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, um einem solchen Zustand nichtfunktionsgerechten oder fehlerhaften, jedoch „wiedergutzumachenden“ Verhaltens abzuhelfen und als „Wiederherstellungs-“ oder auch „Gesundungsmechanismus“ die Handlungsträger zu einer Korrektur zu bewegen.172 Dabei untersucht Hirschman zunächst die in der Wirtschaft wirkenden Kräfte, wobei er mehrfach betont, dass die entwickelten Begriffe und Mechanismen – wie bereits der Titel seines Werks zum Ausdruck bringt – nicht nur auf Wirtschaftseinheiten anwendbar sind, sondern – „manchmal sogar hauptsächlich“ – auch auf eine Vielfalt nichtökonomischer Organisationen und Situationen, etwa auf Vereine, politischen Parteien und Staaten.173 Seine Untersuchung entwickelt Hirschman ausgehend von einer Firma, die Waren produziert, welche sich verschlechtern, wobei eine Rückkehr zu der bisherigen Qualität möglich ist, vorausgesetzt die Unternehmensleitung wendet dieser Aufgabe ihre Aufmerksamkeit und Energie zu.174 Unzufriedefolgenden Verweise beziehen, erschien 1974 unter dem Titel: „Abwanderung und Widerspruch  – Reaktionen auf den Leistungsabfall bei Unternehmungen, Organisationen und Staaten“; hierzu auch Offe, Exit, Voice and Loyalty, S. 197 ff. 171  Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 1. 172  Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 1 ff. 173  Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 3, 14. 174  Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 3.



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nen Kunden – gleichermaßen die Mitglieder einer Organisation – können auf diese Situation auf zwei Arten reagieren und das Unternehmen bzw. die Organisation können entsprechend auf diesen zwei verschiedenen Wegen von einer Unzufriedenheit, einem Missstand und dem Wunsch nach einer Fehlerkorrektur erfahren und diese Information nutzen: Abwanderung („Exit“) oder Widerspruch („Voice“). So können die mit einem Produkt unzufriedenen Kunden dieses still verschmähen und zur Konkurrenz abwandern (bzw. aus der Organisation, mit welcher sie unzufrieden sind, leise austreten). Das Unternehmen bzw. die Organisation erfährt von der Unzufriedenheit schließlich durch alarmierende Umsatz- bzw. Mitgliederzahlen und wird sich darum bemühen, die Ursache der Unzufriedenheit zu korrigieren.175 Die Kosten einer Abwanderung, vielleicht auch ihre Loyalität und die einhergehende Hoffnung auf eine beeinflussbare Besserung, mag die Kunden bzw. Mitglieder von diesem Schritt einer möglichen Abwanderung absehen lassen und dazu bewegen, zunächst „von innen heraus“ auf eine Veränderung hinzuwirken.176 So können sie ihre Stimme erheben und ihre Unzufriedenheit gegenüber dem Unternehmen durch Widerspruch kundtun, um zur Fehlerkorrektur zu animieren, wobei ihnen die gesamte Bandbreite vom „leisen Murren bis zum gewaltsamen Protest“ zur Verfügung steht.177 Hirschman geht es in seiner Untersuchung entscheidend darum, die marktwirtschaftliche Abwanderung und den politischen Widerspruch als vollkommen gleichrangige Reaktionsmöglichkeiten zu begreifen und die Abwanderung – entgegen einem Vorurteil der Ökonomen – nicht stets als Mittel der Fehlerkorrektur vorzuziehen, wodurch nämlich der Widerspruch als mitunter effektiverer Korrekturmechanismus unterschätzt werde.178 Hierzu zeigt Hirschman Situationen auf, in welchen die Reaktion der Abwanderung ihre Wirkung als „Gesundungsmechanismus“ verfehlt oder gar einen Widerspruch lähmen kann, welcher allein effektiv wäre179 oder aber der mühsame175  Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 13, 17 ff., diese Reaktionsweise der Abwanderung gehört dabei in das Gebiet der Ökonomie, indem sich der unzufriedene Kunde des Marktes bedient und durch den Erwerb eines Konkurrenzprodukts Marktkräfte in Bewegung setzt, die durch die „unsichtbare Hand“ des Marktes einen Gesundungsprozess bei dem Unternehmen in Gang setzen können, welches sich relativ verschlechtert hatte. 176  Zur Hemmung der Neigung zur Abwanderung und der regelmäßigen Aktivierung des Widerspruchs durch Loyalität, siehe Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S.  66 f. 177  Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 13, 25 ff. 178  Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 13, 17 f., 25. 179  So etwa dann, falls alle Unternehmungen eines Wirtschaftszweiges gleichzeitig von einem einheitlichen Qualitätsrückgang betroffen sein sollten, da es in diesem

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re und schwerfälligere Widerspruch das einzige zur Verfügung stehende Einflussmittel darstellt.180 Um soziale Prozesse vollständiger erfassen zu können als bei isolierter ökonomischer oder politischer Betrachtung, richtet er seine Bemühungen daher auf eine gemeinsame Analyse der Wechselwirkung von Abwanderung und Widerspruch und dabei insbesondere auf ihre sich gegenseitig bedingende Wirksamkeit als „Wiederherstellungsmechanismus“.181 Die Wechselwirkung zwischen Abwanderung und Widerspruch beschreibt Hirschman dabei zunächst als recht simples Nullsummenspiel: Je einfacher die Möglichkeit der Abwanderung besteht und genutzt wird, desto weniger wird der Widerspruch als Korrekturmechanismus genutzt und desto geringer ist der Druck und die Durchsetzungskraft der Widersprechenden. Je weniger hingegen die Option der Abwanderung gegeben ist, desto entschlossener und kreativer wird auf kommunikativem Wege die Korrektur der als fehlerhaft erachteten Entwicklung erstrebt.182 Diese Wechselwirkung erlangt jedoch durch den weiteren Faktor der Loyalität zusätzliche Komplexität. Diese, so Hirschman, kann zunächst dazu führen, dass sie die Abwanderung des Loyalisten hinauszögert, ihn jedoch zuvor mit ganz besonderer Entschlossenheit und größerem Einfallsreichtum zum Widerspruch animieren wird, bevor er sich zur schmerzlichen Abwanderung gezwungen sieht.183 Vor allem komme der Loyalität auch deshalb große Bedeutung zu, da sie – da es ohne Wahlmöglichkeit wenig Sinn macht, von Loyalität zu sprechen – notwendig die Möglichkeit der Abwanderung einschließt.184 Den Umstand, dass selbst das loyalste Mitglied abwandern kann, hebt Hirschman dabei als wichtigen Bestandteil seines Einflusses und seiner Verhandlungsposition gegenüber der Organisation hervor.185 Gerade die „Abwanderungsdrohung des Loyalisten“ – sei sie offen ausgesprochen oder allen Beteiligten auch ohne dies bewusst – steigere die Chancen eines wirksamen Funktionierens des Widerspruchs als Gesundungsmechanismus daher ganz beträchtlich.186 Fall durch die Abwanderung der Kunden zum jeweils anderen Anbieter lediglich zu einem „wirkungslosen Hin- und Herflitzen von Konsumentengruppen“ von einem schlechter werdenden Unternehmen zum anderen käme, ohne dass die Unternehmen von der Unzufriedenheit erfahren und hierauf reagieren könnten, siehe Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 21; siehe auch die weiteren Beispiele, a. a. O., S.  37 ff. 180  Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 14. 181  Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 15, 107. 182  Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 36, 71. 183  Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, 66, 68 f., 70. 184  Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 70. 185  Ibid. 186  Ibid.



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Hiernach gelangt Hirschman zu der Erkenntnis, dass durch die bestehende Option der Abwanderung zwar die Wahrscheinlichkeit verringert wird, dass der Widerspruch als Korrekturmechanismus gewählt wird, zugleich aber verstärke die potentielle Abwanderung die Wirksamkeit des Widerspruchs, welcher also infolge der latenten Abwanderungsdrohung mehr Erfolg verspricht.187 Hirschman schlussfolgert hieraus, dass für die Wirksamkeit des Widerspruchs als effektivem Korrekturmechanismus die Möglichkeit der Abwanderung zwar bestehen, sie jedoch nicht „zu leicht oder zu attraktiv“ sein sollte.188 Schließlich weist Hirschman, soll der Widerspruch durch eine Abwanderungsandrohung „maximale Wirksamkeit“ erreichen, noch auf einen weiteren, ganz entscheidenden Faktor hin: Sie muss glaubwürdig sein.189 d) Vertragsgestaltung als Widerspruch bei bestehender Abwanderungsoption Was bedeuten diese Erkenntnisse für das heutige Investitionsrecht und die vielfältigen Bemühungen der Staaten, ihr Verständnis eines Ausgleichs in zukünftigen Abkommenstexten präzisierend festzuschreiben? Auch in ihnen können die kreativen Bemühungen jener Staaten erblickt werden, die sich in Reaktion auf eine als fehlerhaft erachtete Entwicklung der Investor-Staat-Streitbeilegung zunächst für den Widerspruch als Gesundungsmechanismus und gegen die Abwanderung entschieden haben, um eine Korrektur des Verhaltens der Schiedsgerichte hinsichtlich der Berücksichtigung legitimer Regulierungsinteressen zu erzielen. So bestünde eine Abwanderung insbesondere in einer Kündigung bestehender Investitionsschutzabkommen, die Investor-Staat-Verfahren vorsehen 187  Hirschman,

Abwanderung und Widerspruch, S. 71. Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 71, die Richtigkeit dieser Wechselwirkung anhand des Beispiels der Berücksichtigung des Widerspruchs von Parteimitgliedern beschreibend. Ein dem Willen der Parteimitglieder besonders aufgeschlossenes Parteiensystemen beschreibt Hirschman wie folgt: „Die bestmögliche Voraussetzung für die Entwicklung der Aufgeschlossenheit der Parteien gegenüber den Auffassungen ihrer Mitglieder wäre demnach vielleicht ein System, in dem es nur ganz wenige Parteien gibt, deren Distanz voneinander sehr groß, aber nicht unüberbrückbar ist. In dieser Situation bleibt die Abwanderung möglich, aber der Entschluss abzuwandern wird nicht leichtfertig getroffen. Daher wird die Unzufriedenheit der Mitglieder mit der Art und Weise, wie die Parteien arbeiten, häufig zum Widersprechen führen, und die Mitglieder werden sich anstrengen, um ihrem Widerspruch Wirksamkeit zu verschaffen.“; zu dem sich anschließenden Problem der optimalen Mischung von Abwanderung und Widerspruch, siehe a. a. O., S. 102 ff. 189  So Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 72, zum Widerspruch in Zweiparteiensystemen. 188  So

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und in einem Verzicht auf Letztere beim Abschluss neuer Investitionsschutzabkommen. Dabei liegt vor allem die Abwanderungsalternative eines ausreichenden oder jedenfalls vorrangigen Investorenschutzes vor nationalen Gerichten, für die sich zahlreiche Stimmen aussprechen, umso näher, je mehr die Vertragsparteien über ein funktionierendes Rechtssystem verfügen.190 Je häufiger Staaten von einer dieser Exit-Varianten Gebrauch machen, desto mehr wird das System der Investor-Staat-Streitbeilegung und seine Überlebensfähigkeit in Frage gestellt.191 Die Abwanderung war bisher allerdings nur für die wenigsten Staaten eine Option. Noch werden offenbar Nutzen und Notwendigkeit von InvestorStaat-Verfahren außerhalb des nationalen Rechtsschutzes zum Schutz der eigenen Investoren, wie auch als Anreiz für Investitionen, als überwiegend und folglich die Kosten einer Abwanderung als zu hoch eingeschätzt. Dies ändert gleichwohl nichts daran, dass die Reaktionsmöglichkeit der Abwanderung grundsätzlich besteht und ihre Ergreifung im Fall einer weiteren ungewünschten Entwicklung des Investitionsrechts ergriffen werden könnte. Sie ist lediglich „nicht zu leicht oder zu attraktiv“, um den Staaten einen einfachen, „kostenlosen“ und möglicherweise voreiligen Exit zu ermöglichen.192 Entsprechend artikuliert sich die von Hirschman beleuchtete Wechselwirkung der größeren Entschlossenheit und des größeren Einfallsreichtums des Widerspruchs sowohl in der zunehmenden Zahl der Staaten, die im Wege vertraglicher Anpassungen der Abkommenstexte auf eine als 190  van Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 3 f.: „[F]oreign investors should be required, like any other foreign national, to go to domestic courts before bringing an international claim unless they can show that the courts would not guarantee compensation for expropriation, access to justice, and so on. Otherwise, the assumption is that domestic courts in all affected countries systematically do not offer jus­tice to foreign investors. This is clearly incorrect […]. If there is a wider concern that domestic courts take too long or are otherwise insufficient to protect foreign investors, then the answer is to replace courts with arbitrators for everyone includ­ ing domestic persons and foreigners who are not investors. The far-reaching consequences of this proposition itself reveal how radical is the use of investor-state arbitration without any duty to resort to domestic courts where they offer justice and are reasonably available.“; siehe auch von Bernstorff, Streitigkeiten über gemeinwohlorientierte Regulierung von Investoren gehören im demokratischen Rechtsstaat vor die nationalen Gerichte, VerfBlog vom 15. Mai 2014, die verfahrensrechtliche Privilegierung des Investors durch die Investitionsschiedgerichtsbarkeit nur dann als gerechtfertigt erachtend, wenn der Investors keine Möglichkeit hat, effektiven Rechtsschutz, insbesondere gegen Enteignung und gezielte Diskriminierung, vor den sachnäheren nationalen Gerichten geltend zu machen und zudem davor warnend, bei der Einschätzung dieser besonderen Schutzbedürftigkeit nicht-westlichen Staaten allzu pauschal die Fähigkeit abzusprechen, ausländischen Investoren durch nationale Gerichte einen angemessenen Rechtsschutzz bereitstellen zu können. 191  So auch Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 191. 192  Vgl. Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 70 f.



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Fehlentwicklung erachtete Schiedspraxis reagieren als auch in der Vielfalt der dabei verfolgten Ansätze. Sind denn also hiernach mit den bestehenden und in nicht unüberbrückbarer Distanz liegenden Abwanderungsalternativen nicht die „bestmöglichen Voraussetzungen für die Entwicklung der Aufgeschlossenheit“ der Schiedsgerichte gegenüber dem Widerspruch gegen eine zu unangemessene Einschränkung der staatlichen Regulierungsfreiheit erfüllt?193 Dies hängt noch von zwei weiteren Punkten ab: Zum einen davon, inwieweit die bestehende Abwanderungsoption auch im Verhältnis der Staaten zu den Schiedsgerichten als Adressaten des Widerspruchs überhaupt als Drohung wirken kann. Zum anderen davon, ob die Exit-Drohung der Staaten glaubwürdig ist. e) Mehr Voice durch eine glaubwürdige Exit-Drohung? Grundvoraussetzung ist zunächst, dass Schiedsrichter ein Interesse daran haben, dass Staaten weiterhin in bisherigem Umfang an Investor-StaatVerfahren festhalten werden. Nur dann würde die Realisierung einer Abwanderungsdrohung ein Übel darstellen, dessen Abwendung zu einer größeren Bereitschaft, staatlichen Regulierungsinteressen mehr Rechnung zu tragen, motivieren könnte.194 Nun, wie gesehen wird zum Teil gerade ein zu großes Eigeninteresse der Schiedsrichter an Investor-Staat-Verfahren als Hauptursache dafür ausgemacht, dass sie geneigt seien, unbestimmte Klauseln stets großzügig und zugunsten der Investoren auszulegen, um damit die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Klagen im Gruppeninteresse der Schiedsrichter und Anwälte zu erhöhen.195 Doch selbst dann, unterstellte man ein Handeln in diesem vorgeworfenen Gruppeninteresse und lässt man außer Betracht, dass Schiedsrichter auch handeln, um ihre Reputation und individuellen Berufungschancen aufgrund ihrer Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Kompetenz zu steigern196, scheinen Zweifel angebracht, ob der an sich plausibel erscheinende Verweis auf den Zusammenhang zwischen dem Interesse an einer Zunahme von Investorenklagen und einer extensiven Auslegung, heute wirklich überzeugen kann. So kann kein Zweifel daran bestehen, dass Schiedsrichter denknotwendig erst recht vor allem ein Interesse daran haibid. Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 197 f. 195  Siehe bei supra Fn. 99. 196  Brower / Schill, 9 Chicago Journal of International Law, 2009, S. 490 ff.; Mills, The Balancing (and Unbalancing?) of Interests, S. 452; Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 198; Caron, 24 Berkeley Journal of International Law 2006, S. 414. 193  Vgl. 194  Vgl.

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ben, dass Investoren überhaupt weiterhin die Möglichkeit eingeräumt wird, außerhalb nationaler Gerichte gegen Staaten zu klagen und sich Staaten nicht aufgrund einer als zu weitgehend erachteten Auslegung von Investorenrechten von Investor-Staat-Verfahren zurückziehen. Roberts bringt dies anschaulich auf den Punkt: „Arbitrators may have an interest in increasing the size of the pie and their slice of it, but surely these interests are sec­ ondary to the pie’s existence.“197 Wenn Schiedsrichter jemandem „gefallen“ müssten, wären es dann – jedenfalls mittel- und langfristig – nicht eher die über eine zukünftig überhaupt bestehende Klagemöglichkeit vor Schiedsgerichten entscheidenden Staaten? Selbst ein unterstelltes Handeln der Schiedsrichter im Gruppeninteresse spräche hiernach eher dafür, dass Schiedsrichter den Sorgen der Staaten um eine zu weitgehende Einschränkung ihrer Regulierungsfreiheit Rechnung tragen werden. Doch auch diese Erwägung hängt freilich entscheidend davon ab, wie glaubwürdig die Abwanderungsdrohung ist.198 Was aber, wenn nicht die heutige massive Kritik an Investor-Staat-Verfahren aus Sorge um das right to regulate, die lauten Forderungen nach einem Rückzug und die bereits gezeigten Rückzugstendenzen einzelner Staaten sollte eine glaubwürdige Abwanderungsdrohung jemals schaffen können? Haben diese Umstände nicht vielleicht eine ausreichende Drohkulisse geschaffen, durch welche sich die Bereitschaft der Schiedsgerichte, der 197  Siehe Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 198, neben diesem Interesse an „existence“ auch von einem Interesse der Schiedsrichter an einer möglichst großen Interpretationsmacht („interpretive power“) in Bezug auf die Abkommenstexte ausgehend und den Dialog zwischen den Vertragsparteien und den Schiedsgerichten nicht nur als konstruktiven Prozess zur Ermittlung der Auslegung des Abkommens, sondern zugleich als ein Ringen um die entsprechende Interpretationsmacht begreifend, a. a. O., S. 195; siehe auch Ratner, 102 Am. J. Int. Law 2008, S. 515, im Hinblick auf ein Agieren der Schiedsrichter unter dem Eindruck der Möglichkeit weiterer einschränkender Reaktionen der NAFTA-Staaten, wie im Fall der Interpretationsvorgabe zu Art.  1105 NAFTA: „Judges do not like to be overruled by politicians  – or, worse, to see their jurisdiction permanently curtailed  – and arbi­ trators adjudicating claims under Article 1110 can be presumed to have internalized the lessons of the Article 1105 episode.“ 198  Siehe Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 198, in Bezug auf ein Ringen um Interpretationsmacht: „Where there is a credible threat that treaty parties will exit the system (threatening existence), tribunals will have a greater incentive to accomodate them by offering enhanced voice (comprising interpretive power) and vice versa. (Shared interpretive power may be less attractive than exclusive interpretive power, but surely be more attractive than no interpretive power).“ Der Frage, ob eine glaubhafte Drohung vorliegt, geht Roberts jedoch nicht weiter nach, scheint dies jedoch anzunehmen, indem auch sie es für möglich hält, dass die Aussichten der Staaten, sich gegenüber den Schiedsgerichten bei der Interpretation Gehör zu verschaffen, gestiegen sind.



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Besorgnis der Staaten um eine Berücksichtigung ihrer Regulierungsinteressen mehr Rechnung zu tragen, bereits in dem ausreichendem Maße erhöht hat, um das right to regulate sicherzustellen? Nun, außer Frage dürfte stehen, dass den Schiedsrichtern die massive Kritik an Investor-Staat-Verfahren nicht verborgen geblieben ist. Kaum vorstellbar erscheint aber auch, dass Schiedsrichter ihre Entscheidungen völlig unbeeindruckt hiervon treffen. Paulsson etwa warnte im Hinblick auf eine erfolgreiche Fortentwicklung des Investitionsrechts bereits vor zwanzig Jahren, zu einer Zeit also, da die Zahl der Schiedsverfahren und die Kritik in Sorge um die staatliche Regulierungsfreiheit noch weit davon entfernt war, heutige Ausmaße zu erreichen: „Future prospects for this development in international arbitration may depend on whether national governments  – many of whom may not have appreciated the full implications […]  – take fright and reserve their tracks. That may in turn depend on the degree of sophistication shown by arbitrators when called upon to pass judgement on governmental actions. Arbitration without privity is a delicate mechanism. A single incident of an adventurist arbitrator going beyond the proper scope of his jurisdiction in a sensitive case may be sufficient to generate a back­ lash.“199

Erst recht wird man heute mit Gewissheit davon ausgehen dürfen, dass sich die Schiedsrichter des Umstands sehr wohl bewusst sind, dass auch sie in ihrer Reaktion auf die breite Kritik an Investor-Staat-Verfahren wie nie zuvor unter Beobachtung stehen.200 Zu deutlich signalisiert der Widerspruch in Form der Diskussionen um das Festhalten an Investor-Staat-Verfahren und die Bemühungen um eine Korrektur im Wege der Vertragsgestaltung ein bisher unerreichtes Höchstmaß an Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen System der Streitbeilegung. Ebenso dürfte außer Frage stehen, dass Schiedsrichtern bewusst ist, welchen Aufwand Staaten heute betreiben müssen, um ihr Festhalten an Investor-Staat-Verfahren gegenüber dieser breiten Kritik als verantwortungsvolles Regierungshandeln rechtfertigen zu können.201 Dies spricht dafür, dass sich Schiedsrichter im Klaren darüber sind, dass jede Entscheidung im Spannungsfeld zwischen Investorenschutz und Regulierungsfreiheit besonders sensibel zu treffen ist, soll durch sie nicht die Kritik weiter befeuert und die Rechtfertigung des weiteren Festhaltens an Investor-Staat-Verfahren noch weiter erschwert werden. Vor diesem Hintergrund agieren Schiedsrichter also in einem Umfeld, in welchem sie im Fall 199  Paulsson,

10 ICSID Rev. 1995, S. 257. infra Fn. 220. 201  Man betrachte nur den großen Aufwand der EU-Kommission in Form der Aussetzung der Verhandlungen zur TTIP zur Durchführung eines öffentlichen Konsultationsverfahrens, siehe bereits Fn. 109. 200  Siehe

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einer zu weitgehenden Einschränkung staatlicher Regulierungsinteressen mit einer ungewünschten Reaktion der Vertragsparteien rechnen müssen.202 Nun mag man bezweifeln, inwieweit dem ICSID-Rückzug einzelner südamerikanischer Staaten, die besonders negative Erfahrungen mit Investorenklagen gemacht hatten, ein ausreichendes Drohpotential innewohnt, andere Staaten könnten diesem Beispiel folgen.203 Eine Abwanderung, die – wie Hirschman es beschreibt – dem Widerspruch lediglich die lautstärksten Stimmen nahm und ihn abschwächte204, waren diese Austritte jedenfalls nicht. Auch sie hatten aufmerksamkeitssteigernde Wirkung und konnten fortan als klarer und vor allem als ein objektiver und unparteiischer Beleg für den Ernst der Lage angeführt werden. Doch wie glaubwürdig und effektiv ist eine Abwanderungsdrohung, die „schärfste Waffe der Mitglieder“205, wenn die Staaten bisher, mit wenigen Ausnahmen, trotz ihrer Unzufriedenheit mit der Entwicklung der Streitbeilegung an Investor-Staat-Verfahren festhalten und wenn sich selbst Vertragsparteien wie etwa Kanada, die USA und die EU trotz des Bestehens funktionierender Rechtssysteme für ihre Notwendigkeit aussprechen?206 Die Einführung eines institutionalisierten Investitionsgerichts in CETA ist gewiss ein beachtlicher Vorstoß und bedeutet eine Abkehr vom gegenwärtigen ISDS-System.207 Gleichwohl wird aber auch durch sie bekräftigt, dass 202  Vgl. in diesem Sinne in Bezug auf die Reaktionen der NAFTA-Staaten Ratner, 102 Am. J. Int. Law 2008, S. 513 f., der – wenngleich auch im Hinblick auf die Möglichkeit verbindlicher Interpretationsvorgaben nach Art. 1131 NAFTA – eine Tendenz zur Entscheidung zugunsten der regulierenden Staaten ebenfalls darauf zurückführt, dass Schiegsgerichte im Bewusstsein agieren, dass eine zu weitgehende Anerkennung einer Entschädigungspflicht infolge von Regulierungsmaßnahmen zu einer weiteren Reaktion der NAFTA-Parteien führen würde: „All three NAFTA parties […] now have a strong interest in ensuring that NAFTA’s aim of cross-border trade and investment is not interpreted to impose obligations to compensate investors simply because bona fide regulations have a serious economic impact on the investor. They take care to avoid decisions that prove so advantageous to foreign investors that they become a burden to the host state. Arbitrators thus operate in an environment where if they stray too far in one direction, the masters of NAFTA – the three parties – will react.“ 203  Siehe bereits supra Fn. 22. 204  Vgl. Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 38. 205  Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 82. 206  Auch wenn sicherlich diskutabel ist, inwieweit ein effektiver Rechtsschutz ausländischer Investoren in allen Bundesstaaten der USA und allen EU-Mitgliedsstaaten in gleicher Weise gewährleistet ist. 207  Dies gilt erst recht für die langfristigen Pläne der EU-Kommission für einen permanenten International Investment Court, durch welche erklärtermaßen das gegenwärtige ISDS-System vollständig ersetzt werden soll, siehe bereits supra Fn. 21 und 38.



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an dem Sonderklagerecht ausländischer Investoren aufgrund der Verletzung zugesicherter und in hohem Maße auslegungsbedürftiger Investitionsschutzstandards außerhalb nationaler Gerichte festgehalten werden soll. Der Einwand gegen die Ineffektivität der latenten Abwanderungsdrohung wird jedoch durch den Umstand gekontert, dass sie – rechnet man ab den ersten NAFTA-Erfahrungen – bereits seit nunmehr bald zwanzig Jahren ihre Wirkung entfalten konnte und in diesem langen Zeitraum einer als zu weitgehend erachteten Auslegung der Schutzstandards kontinuierlich und entschieden widersprochen wurde. Als etwa die USA und Kanada bereits 2004 ihre Musterverträge erstmals zur Stärkung staatlicher Regulierungsinteressen überarbeiteten und präzisierten, geschah dies in Reaktion auf die in den Jahren zuvor im NAFTA-Kontext gemachten Erfahrungen.208 Schon diese Anpassungen erfolgten, um den Bedenken hinsichtlich zu weitgehender Investorenrechte, einer Einschränkung der Möglichkeit zur Ergreifung legitimer Gemeinwohlziele und der Angst vor einem Regulatory Chill zu begegnen. Diese vertraglichen Rekalibrierungen des Ausgleichs zwischen effektivem Investorenschutz und Regulierungsinteresse waren keineswegs nur „leises Murren“209, sondern unmissverständlicher Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Entwicklung der Schiedsrechtsprechung.210 So war etwa die Einfügung eines Annex zum Enteignungsstandard ein klares Signal, dass man die expansive Auslegung regulatorischer Enteignungen nicht hinnehmen wird.211 In gleicher Weise war die Beschränkung des FET-Standards auf den gewohnheitsrechtlichen International Minimum Standard of Treatment („Minimum Standard, MST“)212 ein sehr entschiedener Widerspruch gegen eine als zu weit erachtete Auslegung und Fortentwicklung dieses 208  Zum US-Model BIT und den damit verfolgten Zielen, siehe Alvarez, The Public International Law Regime Governing Investment, S. 162 ff.; zum kanadischen Mustervertrag 2004, Newcombe, Canada’s New Model Foreign Investment Protection Act (2004); siehe auch Lévesque, Influences on the Canadian Model FIPA and the US Model BIT, S. 249. 209  Vgl. Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 13; siehe auch bei supra Fn. 177. 210  Siehe etwa Alvarez, The Public International Law Regime Governing Investment, S. 165 zum US-Model BIT 2004; Alvarez, The Once and Future Foreign ­Investment Regime, S. 632 f.; Schwebel, The United States 2004 Model Bilateral Investment Treaty: An Exercise in the Regressive Development of International Law, S. 815. 211  So in Bezug auf US-Model BIT 2004 auch Ratner, 102 Am. J. Int. Law 2008, S. 515: „[The annex] makes clear that the United States will not tolerate an expansive notion of regulatory takings.“; vgl. auch Reisman / Digón, Eclipse of Expropriation, S. 43. 212  So in Nachvollziehung der verbindlichen Interpretationsvorgabe der NAFTA Free Trade Commission auf BIT-Ebene, siehe NAFTA Free Trade Commission, ­Notes of Interpretation of Certain Chapter 11 Provisions, vom 31. Juli 2001.

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Standards sowie ein deutlicher Protest gegen eine unzureichende Berücksichtigung staatlicher Regulierungsinteressen.213 Selbst seit dieser Zeit sind nunmehr bereits über zehn weitere Jahre verstrichen, in welchen die breite Kritik an Investor Staat Verfahren nicht abgeebbt ist, sondern der Druck auf Staaten, sich in Reaktion auf das Krisengefühl gegenüber Investitionsschiedsgerichten Gehör zu verschaffen noch immens angewachsen ist. Dem Widerspruch wurde dabei mit dem Abschluss weiterer Abkommen der Neuen Generation stetig Nachdruck verliehen, wodurch ein zunehmender Konsens der Staaten über die Notwendigkeit der Einschränkung zu weitgehender Investorenrechte zum Ausdruck kommt, durch den der für eine expansive Auslegung nutzbare Entscheidungsspielraum der Schiedsgerichte ebenfalls zurückgedrängt wird.214 So spricht sich zwar auch die EU heute grundsätzlich noch für das Festhalten an Investor-Staat-Verfahren aus, doch tut auch sie dies mit deutlich erhobenem Zeigefinger in Gestalt vertraglicher Präzisierungen zur Einschränkung des Entscheidungsspielraums der zur Entscheidung berufenen (Schieds-)Richter.215 Hierin kann man durchaus auch einen gewissen Vertrauensentzug erblicken. In Anbetracht ihres Eigeninteresses am Fortbestehen von Investor-Staat-Verfahren sind Schiedsrichter indes darauf angewiesen, dass ihnen dieses Vertrauen weiterhin entgegengebracht wird.216 Nur dann nämlich werden Staaten sie nicht als Ursache, sondern langfristig als 213  So auch Ratner, 102 Am. J. Int. Law 2008, S. 515, in Bezug auf die verbindliche Interpretationsvorgabe der NAFTA Free Trade Commission zu Art. 1105 NAFTA: „[T]he note sent a strong message to the panels that the interpretations of Article 1105 had strayed too far from the views of the parties.“ 214  Zu dem Umstand, dass heute die wenigsten Staaten mit dem gegenwärtigen Streibeilegungssystem zufrieden sind, siehe UNCTAD, WIR 2014, S. 126; siehe auch Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 196 f., überzeugend die Erzielung eines inhaltlichen Konsenses zwischen den Vertragsparteien als einen der Punkte anführend, von denen es abhängt, wie sie sich mit ihrer Auffasung gegenüber Schiedsgerichten Gehör verschaffen können. Dies, indem sich der Entscheidungsspielraum der Schiedsgerichte entsprechend der Reichweite des zwischen den Vertragsparteien bestehenden Konsenses verengt. Roberts betont dabei, dass unabhängig davon, ob man die Beziehung zwischen Staat und Schiedsgericht als engeres „principal – agent“- oder unabhängigeres „principal – trustee“-Verhältnis ansieht, Schiedsgerichte bei der Interpretation auch den Vertragsparteien verantwortlich sind; zu den Entwicklungen, welche einen Konsens zwischen den Vertragsparteien heute erleichtern, siehe bereits unter A.I.2. 215  Zu den mittel- und langfristigen Reformbestrebungen hin zu einer Investitionsgerichtsbarkeit, siehe EU-Konzeptpapier, supra Fn. 21 und supra Fn. 38. 216  In diesem Sinne auch Waibel / Kaushal, Kyo-Hwa / Balchin, The Backlash Against Investment Arbitration, S. li: „The current backlash has fuelled concerns that the existing system serves no one but the lawyers and arbitrators. This all too cynical view corrodes trust in the fairness and efficiency of international dispute settlement. Against this background, international lawyers, in particular, should be



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Teil der Lösung ihres Dilemmas ansehen, effektiven Investorenschutz und zugleich ihre staatliche Regulierungsfreiheit sicherstellen zu müssen. All dies spricht in der Theorie für eine erhöhte Sensibilität der Schiedsrichter für die Sicherstellung staatlicher Regulierungsinteressen und eine grundsätzliche Bereitschaft, kritisierte Fehlentwicklungen zu korrigieren. f) Erste Hinweise auf eine erhöhte Sensibilität und Korrekturbereitschaft der Schiedsgerichte Sind die vorstehenden Erwägungen und Argumente für eine erhöhte Sensibilität und Korrekturbereitschaft der Schiedsgerichte mehr als nur ein theoretisch plausibles Gedankenspiel? Während die Frage, inwieweit der Widerspruch und eine latente Abwanderungsdrohung ihren Niederschlag in der Entwicklung der Schiedspraxis zum Schutz vor indirekter Enteignung und zum FET-Standard gefunden haben, in den nachfolgenden Kapiteln ausführlich beantwortet wird, soll hier bereits auf allgemeine Entwicklungen und Aussagen in der Schiedspraxis hingewiesen werden. In ihnen kann man erste Hinweise für einen wirksamen Widerspruch und die grundsätzliche Bereitschaft der Schiedsgerichte erblicken, der gegen die Schiedspraxis vorgebrachten Kritik zu begegnen. So finden sich Aussagen, in welchen die Schiedsgerichte das Bewusstsein dafür offenbaren, dass die Bereitschaft der Staaten, langfristig weitgehende Investorenrechte einzuräumen und Investor-Staat-Verfahren vorzusehen, von dem Vertrauen der Staaten und der Öffentlichkeit in die den Schiedsgerichten überantwortete Streitbeilegung abhängt. Besonders deutlich wurde dies etwa in der NAFTA-Entscheidung Glamis Gold vs. USA, einer der Entscheidungen, die im Spannungsfeld von Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen insbesondere mit seinen Ausführungen zum FET-Standard für Furore und Kontroversen sorgte.217 Gleich zu Beginn der Entscheidung offenbarte das Schiedsgericht ausführlich sein Verständnis der ihm überantworteten Aufgabe. Diese bestehe zwar darin, den konkreten Einzelfall zu entscheiden, doch dürften Schiedsgerichte dabei nicht vergessen, dass sie im Kontext eines „public system of private investment protection“ agieren, dessen Integrität einer Vielzahl lose besetzter Schiedsgerichte anvertraut ist.218 Gerade das einzelfallbezogene Mandat der Schiedsgerichte erfordere concerned about the legitimacy, operation and policy choices of investment arbitration. Widespread trust by states and foreign investors is essential.“ 217  Glamis Gold, Ltd. vs. United States of America, Award, 8. Juni 2009 („Glamis Gold vs. USA“). 218  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 5, in Bezug auf den Investitionsschutz unter NAFTA Chapter 11.

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es daher, dass Entscheidungen mit Rücksicht auf die Lage zukünftiger Gerichte und auch im Bewusstsein weiterer Implikationen dieses Kontexts getroffen werden.219 Neben der Betonung des Erfordernisses, dass Staaten eine detaillierte und überzeugende Urteilsbegründung erhalten müssen, führte das Gericht im Hinblick auf eine langfristige Bereitschaft der NAFTAStaaten, an Investor-Staat-Verfahren festzuhalten aus: „First, States are complex organizations composed of multiple branches of government that interact with the people of the State. An award adverse to a State requires compliance with the particular award and such compliance politically may require both governmental and public faith in the integrity of the process of arbitration. Second, while a corporate participant in arbitration may withdraw from utilizing arbitration in the future or from doing business in a particular country, the three NAFTA State Parties have made an indefinite commitment to the deepening of their economic relations. In this sense, not only compliance with a particular award, but the long-term maintenance of this commitment requires both governmental and public faith in the integrity of the process of arbitration.“220 219  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 6, zugleich betonte das Gericht jedoch mehrfach, dass dies keine Einschränkung der Pflicht zur Entscheidung des Einzelfalls bedeute: „The Tribunal emphasizes that it in no way views its awareness of the context in which it operates as justifying (or indeed requiring) a departure from its duty to focus on the specific case before it. Rather it views its awareness of operating in this context as a discipline upon its reasoning that does not alter the Tribunal’s decision, but rather guides and aids the Tribunal in simultaneously supporting the system of which it is only a temporary part.“ (a. a. O., Abs. 7). In dieser Aussage wird die Zwickmühle offenbar, in welche sich Schiedsgerichte häufig befinden, indem sie zur Entscheidung des konkreten Einzelfalls auf Grundlage der einschlägigen Bestimmungen berufen sind, zugleich aber zur Entwicklung einer kohärenten Rechtsprechung beitragen sollen; hierzu auch Reinisch, The Challenge of Fostering Greater Coherence in IIL, S. 238: „BIT standards, diverging slightly in their texts, often give rise to endless e contrario v. per analogiam arguments, and the parties and tribunals are torn between respecting the wording of the specific treaty (and the intentions of the respective contracting parties) and the quest to contribute to a meaningful body of investment law that extends beyond the individ­ ual case.“ 220  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 8, hier auch fordernd, dass eine Zusammenfassung der Entscheidung gegeben werden sollte, um die Entscheidung auch im Hinblick auf die beteiligte Öffentlichkeit kurz und bündig zu vermitteln. Die Entscheidung lässt sich zudem als Beleg dafür anführen, dass sich Schiedsgerichte des Umstands sehr wohl bewusst sind, dass sie unter großer Beobachtung stehen und Entscheidungen im Spannungsfeld von Investorenschutz und Regulierungsinteresse besonders sensibel zu treffen sind: „The Tribunal is aware that the decision in this proceeding has been awaited by private and public entities concern­ ed with environmental regulation, the interests of indigenous peoples, and the tension sometimes seen between private rights in property and the need of the State to regulate the use of property. These issues were extensively argued in this case and considered by the Tribunal.“ (ibid.). 



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Freilich ließe sich einwenden, dass doch gerade diese Entscheidung im Kontrast zu anderen Entscheidungen herausstach, indem der Entscheidung ein besonders restriktives und als längst überkommen kritisiertes Verständnis des gegenwärtigen Gewohnheitsrechts zu Grunde gelegt wurde.221 Doch unabhängig von dieser Kritik wurden die genannten Ausführungen des Gerichts über den Kontext, in welchem Schiedsgerichte agieren und die Folgerungen für die Aufgaben des Gerichts, zurecht für sich betrachtet und als wichtiger Beitrag für die Entwicklung der Streitbeilegung hervorgehoben.222 Einen weiteren Hinweis darauf, dass die an der Schiedspraxis geäußerte Kritik nicht auf taube Ohren stößt, geben die Bemühungen, dem auch im Hinblick auf die Ergreifung staatlicher Gemeinwohlmaßnahmen verbreiteten Vorwurf der Inkonsistenz der Schiedspraxis zu begegnen, die Staaten infolge der einhergehenden Rechtsunsicherheit von der Ergreifung legitimer Gemeinwohlregulierung absehen lassen könnte und das Vertrauen in die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit schwächt.223 So wird die beklagte Unberechenbarkeit, wie eine Entscheidung letztlich ausfallen wird, in den Entscheidungen zunehmend adressiert und der Frage der Relevanz vorangegangener Entscheidungen in jüngerer Zeit vermehrt sogar eine eigene Urteilspassage gewidmet.224 In einigen Entscheidungen wurde dabei sogar eine Pflicht zur Berücksichtigung vorangegangener Entscheidungen und eine Begründung im Falle des Abweichens gefordert.225 So führte beispielsweise das Gericht in Saipem vs. Bangladesh aus: „The Tribunal considers that it is not bound by previous decisions. At the same time, it is of the opinion that it must pay due consideration to earlier decisions of international tribunals. It believes that, subject to compelling contrary grounds, it has a duty to adopt solutions established in a series of consistent cases. It also 221  Siehe

hierzu unter B.II.3.b)aa)(2). etwa Schill, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 259; Harhay, 18 Sw. J. Int. Law 2012, S. 97 f.; Kahn, 33 Fordham Int. Law J., S. 155: „Glamis’s analyses […] are golden contributions to international law.“ 223  Zur Kritik der Inkonsistenz der Entscheidungen, siehe auch Banifatemi, Consistency in the Interpretation of Substantive Investment Rules und Bjorklund, Practic­al and Legal Avenues; siehe auch Reinisch, The Challenge of Fostering Great­ er Coherence in IIL, S. 236 f. 224  Ausführlich zur Beachtung vorangegangener Entscheidungen in der Rechtsprechung der ICSID-Schiedsgerichte bis einschließlich 2006 und zu der erst seit etwa 2005 zu beobachtenden Praxis, ausdrücklich zur Relevanz früherer Entscheidung Stellung zu beziehen, siehe Commission, 24 J. Int. Arbitr. 2007, S. 144 ff., 147 ff.; siehe auch die Schlussfolgerung von Fauchald, 19 Eur. J. Int. Law 2008, S. 343, 358: „[M]ost ICSID tribunals showed a general willingness […] to contrib­ ute to the general development of international law.“ 225  Hierzu auch Banifatemi, Consistency in the Interpretation of Substantive Investment Rules, S. 226 f. 222  Siehe

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believes that, subject to the specifics of a given treaty and of the circumstances of the actual case, it has a duty to seek to contribute to the harmonious development of investment law and thereby to meet the legitimate expectations of the community of States and investors towards certainty of the rule of law.“226

Ähnliche Ausführungen finden sich in zahlreichen weiteren Entscheidungen.227 Es soll damit weder der Eindruck erweckt werden, es bestünde Einigkeit darüber, inwieweit vorangegangenen Entscheidungen zu folgen ist228 noch eine Aussage verbunden sein, inwieweit eine auf diesem Wege erhöhte Konsistenz überhaupt erstrebenswert ist.229 Dessen ungeachtet kann man 226  Saipem S.p.A. vs. The People’s Republic of Bangladesh, ICSID Case No. ARB / 05 / 07, Decision on Jurisdiction, 21.  März 2007, Abs. 67 (Fußnoten entfernt), ebenso im Award vom 30. Juni 2009, Rn. 90. 227  Nahezu identisch – und ebenfalls unter Vorsitz von Kaufmann-Kohler – N ­ oble Energy, Inc. and MachalaPower Cia. Ltda. vs. The Republic of Ecuador and Consejo Nacional de Electricidad, ICSID Case No. ARB / 05 / 12, Decision on Jurisdiction, 05. März 2008 („Noble Energy vs. Ecuador“), Abs. 50, Duke Energy Electroquil Partners & Electroquil S.A. vs. Republic of Ecuador, ICSID Case No. ARB / 04 / 19, Award, 18. August 2008 („Duke Energy vs. Ecuador“), Abs.  116 f., Bayindir Insaat Turizm Ticaret Ve Sanayi vs. Islamic Republic of Pakistan, ICSID Case No. ARB / 03 / 29, Award, 27.  August 2009 („Bayindir vs. Pakistan“), Rn. 145 und Burlington Resources Inc. vs. Republic of Ecuador, ICSID Case No. ARB / 08 / 05, Decision on Liability, 14. Dezember 2012 („Burlington Resources vs. Ecuador“), Abs. 187; Victor Pey Casado and President Allende Foundation vs. Republic of Chile, ICSID Case No. ABR / 98 / 2, 08. Mai 2008, Abs. 119; siehe auch Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Rn. 8, als einem der Prinzipien für eine Streitentscheidung im Bewusstsein des größeren Kontexts, unter Verweis auf die Ausführungen von Wälde zur wichtigen Rolle von precedents in dessen Separate Opinion, in Thunderbird Gaming vs. United Mexican States, 1. Dezember 2005 („Thunderbird vs. Mexico, Separate opinion of Thomas Wälde“), Abs. 129 und ähnliche Erwägungen in weiteren Entscheidungen; ähnlich auch Suez, Sociedad General de Aguas de Barcelona S.A., and Vivendi Universal S.A. vs. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB / 03 / 19, Decision on Liability, 30.  Juli 2010 („Suez vs. Argentina“), Abs. 189. 228  Siehe nur die abweichende Auffasung von Stern über die Rolle des Schiedsrichters in Burlington Resources vs. Ecuador, supra Fn. 226, Abs. 187: „Arbitrator Stern does not analyze the arbitrator’s role in the same manner, as she considers it her duty to decide each case on its own merits, independently of any apparent jurisprudential trend.“; ähnlich auch die Anmerkung von Rowley, The Forum Panel Discussion: Precedent in Investment Arbitration, S. 328, zur bei Fn. 226 zitierten Passage aus Saipem vs. Bangladesh: „I actually wonder whether it goes too far when it says ‚subject to compelling grounds, a tribunal has a duty to adopt solutions established in a series of consistent decisions‘. I am not sure. And I am pretty sure that I do not think we who make these decisions have a duty to develop a whole body of law. I think our primary duty is to determine the issue before us.“ 229  Hierzu Schultz, Against Consistency in Investment Arbitration, S. 297; siehe auch Bjorklund, Practical and Legal Avenues, S. 176 ff., warnend vor den Nachteilen und Risiken eines übereilten und undifferenzierten Strebens nach inhaltlicher und „frühreifer“ Konvergenz des Investitionsrechts, die letztlich niemanden zufrieden



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auch in der zunehmenden Betonung der Verantwortung der Schiedsgerichte, zu einer harmonischen und konsistenten Entwicklung des Investitionsrechts beizutragen, eine Reaktion auf die Kritik an inkonsistenten Entscheidungen und die Forderungen erblicken, wonach sich die Schiedsrichter dieser Verantwortung und den Konsequenzen inkonsistenter Entscheidungen stärker bewusst werden müssen.230 Schließlich kann man einen Indikator für eine generelle Korrekturbereitschaft zur Erzielung eines ausgewogeneren Systems der Streitbeilegung auch darin erblicken, dass Schiedsgerichte zunehmend betonen, dass eine teleologische Auslegung, die einseitig auf den Zweck des Investorenschutzes abstellt und im Zweifel zugunsten einer Interpretation zugunsten des Investors führt, nicht mit einem neutralen Streitbeilegungssystem zu vereinbaren ist.231 Stattdessen wurde – statt wiederum einer Interpretation in dubio mitius – eine ausgewogene Interpretation angemahnt, die beiden Interessen Rechnung trägt und den Investitionsschutz nicht als Selbstzweck begreift.232 stellt sowie zur Frage, ob Konvergenz auf Normebene oder im Rahmen der Norm­ anwendung in Investor-Staat-Verfahren erstrebt werden sollte; siehe auch Banifatemi, Consistency in the Interpretation of Substantive Investment Rules, S. 210 ff. und 225 f.: „Inconsistency is also part of the system because that may be what the parties wish. While commentators and other observers call for consistency as a manner to predict the law, investors and host states may wish to safeguard their opportunity to fully argue their case, even this means arguing their case differently from the solutions that have been adopted in practice. […][I]nconsistency may in fact help the development of the law.“; siehe auch Ortino, The Forum Panel Discussion: Precedent in Investment Arbitration, S. 318, siehe bereits in supra Fn. 134; siehe auch Tietje, Int. Investitionsschutzrecht im Spannungsverhältnis, S. 18, den Wettbewerb um die „beste“ Rechtsansicht durchaus auch positiv bewertend. 230  Siehe etwa Blackaby, Public Interest and Investment Arbitration, S. 360, „In the light of the increased publicity of investor-state awards, the treaty arbitrator has a new responsibility for establishing a corpus of law.“; Griebel / Kim, SchiedsVZ 2007, S. 193. 231  Zu dieser Beobachtung aufgrund der Untersuchung der Vertragsinterpretation durch Investitionsschiedsgerichte, Weeramantry, Treaty Interpretation in Investment Arbitration, S. 216. 232  Siehe z. B. Saluka Investments BV vs. The Czech Republic, Partial Award, 17. März 2006 („Saluka vs. Czech Republic“), Abs. 300, wo das Gericht den gebotenen ausgewogenen Interpretationsansatz mit dem ausweislich der Präambel durch den Investorenschutz verfolgten Ziel der Investitionsförderung und Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen begründete, welches durch eine Überbetonung des Investorenschutzes und hierdurch abklingende Öffnung zugunsten ausländischer Direktinvestitionen gefährdet werden könnte; bestätigt auch in den jüngeren Entscheidungen Ioan Micula, Virorel Micula, S.C. European Food S.A., S.C. Starmill S.R.L. and S.C. Multipack S.R.L. vs. Romania, ICSID Case No. ARB / 05 / 20, Award, 11. Dezember 2013 („Micula vs. Romania“), Abs. 516 und Mamidoil Jetoil Greek Petroleum Products Societe S.A. vs. Republic of Albania, ICSID Case No. ARB / 11 / 24, Award, 30. März 2015 („Mamidoil vs. Albania“), Abs. 614; ähnlich hob auch das Gericht in Joseph

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A. Vertragsgestaltung vor neuen Herausforderungen

Ein Ansatz, welchem heute nach einer aktuellen Studie zur Vertragsinterpretation durch Investitionsschiedsgerichte mehrheitlich gefolgt wird.233

V. Schlussfolgerungen aus dem ersten Teil Im ersten Teil dieser Arbeit wurde zunächst deutlich, dass die Vertragsgestaltung heute vor dem Hintergrund eines gewandelten Investitionsumfelds erfolgt, in welchem früher rein kapitalexportierende Staaten heute vor der Herausforderung stehen, in einer regelmäßigen Doppelrolle als Heimatund Gaststaat, nicht länger nur den offensiven Interessen ihrer eigenen Investoren, sondern gleichzeitig ihren defensiven Regulierungsinteressen gerecht zu werden. Indem hierdurch die Notwendigkeit der Bewahrung eines angemessenen regulatorischen Handlungsspielraums nicht länger die alleinige Sorge kapitalimportierender Entwicklungsstaaten ist, wurde diese Entwicklung als ein Umstand ausgemacht, durch welchen die Erzielung eines Ausgleichs gefördert wird. In einem zweiten Kapitel wurden die Präzisierungsbemühungen vor dem Hintergrund der massiven Kritik betrachtet, welcher sich die Schiedsgerichtsbarkeit in bisher unerreichtem Maße ausgesetzt sieht, sowie vor dem Hintergrund der Wahrnehmung von Investor-Staat-Verfahren als Bedrohung für die Verfolgung legitimer Gemeinwohlziele. Auch indem Staaten, die zukünftig an Investor-Staat-Verfahren festhalten wollen, diese Haltung zunehmend rechtfertigen müssen, erhalten die Bemühungen und der politische Wille zur Erzielung eines Ausgleichs weiteren Schub. Charles Lemire vs. Ukraine, ICSID Case No. ARB / 06 / 18, Decision on Jurisdiction and Liability, 14. Januar 2010 („Lemire vs. Ukraine, Decision on Jurisdiction and Liability“), Abs.  272 f., zur Begründung eines abwägenden Ansatzes hervor: „Thus, the object and purpose of the Treaty is not to protect foreign investments per se, but as an aid to the development of the domestic economy. And local development re­ quires that the preferential treatment of foreigners be balanced against the legitimate right of Ukraine to pass legislation and adopt measures for the protection of what as a sovereign it perceives to be its public interest.“; siehe auch El Paso Energy International Company vs. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB / 03 / 15, Award, 31. Oktober 2011 („El Paso vs. Argentina“), Abs. 650; für weitere Beispiele, siehe Weeramantry, Treaty Interpretation in Investment Arbitration, S. 191 ff. 233  Weeramantry, Treaty Interpretation in Investment Arbitration, S. 216, siehe auch a. a. O., S. 75, 191 ff., mit weiteren Beispielen und Nachweisen; diese Einschätzung teilt auch Schreuer, IIL and General International Law – From Clinical Isolation to Systemic Integration?, S. 72: „Since investment treaties are focused on the rights of investors their restrictive interpretation will tend to favour host States. Conversely, their effective interpretation will typically favour investors. Although tribunals have at times subscribed to one or the method of interpretation the pre­ valent and clearly better view appears to be a balanced approach that rejects both theses methods.“



V. Schlussfolgerungen aus dem ersten Teil85

Im dritten Kapitel wurde beleuchtet, dass präzisere Formulierungen der Abkommenstexte zur vertraglichen Verankerung eines Ausgleich die Antwort auf eine beobachtete Fehlentwicklung der Investitionsrechtsprechung sind und heute aufgrund der Möglichkeit von den Erfahrungen aus der Schiedspraxis zu profitieren, deutlich mehr „Rohmaterial“ zur Verfügung steht, um Abkommenstexte präziser zu fassen, als noch vor einigen Jahren. Zugleich aber wurde deutlich, dass das Interesse an einer Präzisierung auch an seine Grenzen stößt und durchaus – und über das stets unvermeidliche Maß der Auslegungsbedürftigkeit hinaus – auch ein Interesse an vertrag­ licher Unbestimmtheit zur Erhaltung der erforderlichen normativen Flexibilität der Vertragsbestimmungen fortbesteht. Ein Interesse, welches gerade auch im Hinblick auf die Formulierung von Vertragsregelungen fortbesteht, mit welchen die Verfolgung bestimmter Gemeinwohlbelange vom vertraglichen Schutz ausgenommen werden kann. Das defensive Interesse an einer weitgefassten Normierung der Regulierungsfreiheit birgt jedoch zugleich die Gefahr, dass diese Unbestimmtheit dem anderen Vertragsstaat einen zu weiten Deckmantel bieten könnte, missbräuchliche Maßnahmen zu verschleiern. Hierin zeigt sich, dass eine effektive Kontrolle der Legitimität behaupteter Gemeinwohlmaßnahmen gerade auch im Interesse eines Staats liegt, welcher für sich selbst einen weiten Regulierungsfreiraum beansprucht und somit einen Ausweg aus dem Dilemma der heutigen Doppelrolle als Heimat- und Gaststaat bieten kann. Im vierten Kapitel wurde der Blick auf die Interessenslage der Investoren und Schiedsrichter angesichts der heutigen Kritik an der Schiedsgerichtsbarkeit und den Abwanderungsforderungen gelegt. Dabei wurde ersichtlich, dass auch von Investorenseite ein Ausgleichsbedürfnis durchaus anerkannt wird und heute nicht die Bemühungen einer ausdrücklichen Verankerung des Regulierungsinteresses als solche, sondern eine Überreaktion der Staaten gefürchtet wird, die den Investorenschutz zu weit aushöhlen könnte. Die Interessenslage der Schiedsrichter wurde anschließend im Hinblick auf das fortbestehende Interesse der Staaten betrachtet, die Schiedsgerichte zur Bewahrung vertraglicher Flexibilität sowie für einen möglichst effektiven Schutz vor einer missbräuchlichen Berufung auf die Regulierungsfreiheit, in die Bemühungen zur Erzielung eines Ausgleichs einbeziehen zu können. Angesichts dessen wird die Vertragsgestaltung zwischen Präzisierung und vertraglicher Unbestimmtheit zum Austarieren der zukünftigen Rolle der Schiedsgerichte. Diese hängt entscheidend davon ab, inwieweit absehbar ist, dass Schiedsrichter zukünftig gewillt sein werden, der Sorge um eine unangemessene Einschränkung der staatlichen Regulierungsfreiheit Rechnung zu tragen oder aber damit zu rechnen ist, dass Schiedsgerichte Spielräume – unvermeidbare wie bewusst belassene – lediglich einseitig für eine Erweiterung des Investorenschutzes nutzen würden.

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A. Vertragsgestaltung vor neuen Herausforderungen

Für die hiernach notwendige Prognose, wie gut die Chancen stehen, durch die Vertragsgestaltung in einem Dialog mit den Schiedsgerichten zu Wort zu kommen, wurde das von Hirschman analysierte Zusammenspiel der Reaktionsmöglichkeiten von Abwanderung und Widerspruch auf die Situation des heutigen Investitionsrechts übertragen. Hierbei wurde deutlich, dass die theoretischen Voraussetzungen für einen möglichst effektiven Widerspruch gegen eine expansive Auslegung der Abkommen zu Lasten staat­ licher Regulierungsinteressen heute vorliegen. Nämlich nicht nur ein vielfältiger, massiver und ausdauernder Widerspruch, welcher bereits über viele Jahre auf die Schiedspraxis einwirken konnte, sondern auch die glaubwürdige Abwanderungsdrohung von Investor-Staat-Verfahren in zukünftigen Investitionsschutzabkommen abzusehen, sollte es nicht bereits durch den Widerspruch zur gewünschten Reaktion kommen. Die motivierende Wirkung des Widerspruchs und der Abwanderungsdrohung lässt sich dabei selbst im Fall eines unterstellten Handelns im Gruppeninteresse begründen, da das insoweit vorgeworfene Handeln im Interesse einer Zunahme der Zahl an Schiedsklagen denknotwendig die Bereitschaft der Staaten voraussetzt, zukünftig überhaupt an Investor-Staat-Verfahren in bisherigem Umfang festzuhalten. Erste Anzeichen dafür, dass auch der massive Widerspruch an der Schiedspraxis nicht spurlos vorübergegangen ist, ließen sich schließlich bereits in den Bemühungen um ein einheitlichere und vorhersehbarere Entscheidungen sowie der Betonung der Abhängigkeit der Streitbeilegung vom Vertrauen der Staaten und der Bevölkerung ausmachen. Hierin kann ein erster genereller Hinweis auf die grundsätzliche Kritikempfänglichkeit und Korrekturbereitschaft der Schiedsgerichte erblickt werden. Inwieweit der vielfältige, massive und ausdauernde Widerspruch und eine glaubwürdige Abwanderungsdrohung aber tatsächlich auch die Bereitschaft erhöht haben, der Kritik an einer zu weitgehenden Einschränkung der staatlichen Regulierungsfreiheit nachzukommen und bereits zu einer ausgewogeneren Schiedspraxis geführt hat, ist anhand der Entwicklung der Schiedspraxis zum Enteignungsschutz und zum FET-Standard im folgenden zweiten Teil dieser Arbeit ausführlich zu betrachten.

B. Die Entwicklung der Schiedspraxis zum Schutz vor indirekter Enteignung und zu Fair and Equitable Treatment als Ausdruck eines wirksamen Widerspruchs Regelmäßiger Schauplatz des Aufeinandertreffens von Investoren- und Regulierungsinteressen in Investorenklagen und Inbegriff der Befürchtungen einer unangemessenen Einschränkung der staatlichen Regulierungsfreiheit sind der Schutz vor indirekter Enteignung und der Standard des Fair and Equitable Treatment. Schiedsgerichte stehen hier vor der schwierigen Aufgabe, im konkreten Einzelfall und auf Grundlage der maßgeblichen Vertragstexte zu entscheiden, wo die Grenze zwischen legitimer Regulierung und der vertraglichen Verpflichtung zum Investitionsschutz verläuft. Neben der Kritik, Regulierungsfreiräume würden durch eine immer expansivere Auslegung dieser Standards immer weiter eingeschränkt, wird zudem die Uneinheitlichkeit dieser Entscheidungen beklagt, die häufig maßgeblich von den persönlichen Ansichten der jeweiligen Schiedsrichter abhingen. Hierdurch sei die Verfolgung legitimer Gemeinwohlinteressen dem hohen und unvorhersehbaren Risiko einer Entschädigungspflicht ausgesetzt. Entsprechend stehen der Schutz vor indirekten Enteignungen und der Fair and Equitable Treatment Standard im Mittelpunkt der Bemühungen um eine Präzisierung der Abkommenstexte und folglich auch dieser Arbeit. Wenn im Folgenden die Entwicklung der Schiedspraxis zunächst zum Schutz vor indirekter Enteignung (I.) und anschließend zum Fair and Equitable Treatment Standard (II.) analysiert wird, soll der Fokus jeweils auf zwei eng verknüpfte Fragekomplexe gelegt werden: Zum einen auf Fragen, welche die Notwendigkeit der vertraglichen Verankerung eines Ausgleichs betreffen. So die bereits aufgeworfene Frage, inwieweit ein massiver, ausdauernder und vielfältiger Widerspruch gegen eine immer expansivere Auslegung dieser Standards nicht in Teilen bereits das erreicht hat, was durch eine vertragliche Festschreibung des Ausgleichs erstrebt wird: Eine ausgewogenere Schiedspraxis, in welcher legitimen Regulierungsinteressen schon heute vermehrt Rechnung getragen wird. Sind Staaten also heute tatsächlich einem solch großen Risiko ausgesetzt, sich durch legitime Maßnahmen im Gemeinwohlinteresse schadensersatzpflichtig zu machen, wie es die lauten Stimmen behaupten, die auch das öffentliche

88 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Meinungsbild prägen? Besteht hiernach ein Handlungsbedarf zur Risiko­ begrenzung?234 Zum anderen soll der Fokus darauf gelegt werden, in welchem Maße die textlich unbestimmten Standards und die zur Abgrenzung von einer entschädigungslosen Regulierung herangezogenen Kriterien in einer sukzessive herangereiften Schiedspraxis mittlerweile eine Präzisierung erfahren haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass selbst eine erzielte Einheitlichkeit der Schiedspraxis nicht bedeuten muss, dass diese auch dem jeweiligen Verständnis eines Staats von einem Ausgleich seiner offensiven und defensiven Interessen entspricht.235 Die Betrachtung der erreichten Konsistenz soll daher aufzeigen, inwieweit hierdurch eine Entscheidung im Spannungsfeld zwischen dem Investorenschutz und legitimen Gemeinwohlmaßnahmen bereits in verlässlicher und vorhersehbarer Weise vorgezeichnet ist bzw. in welchen Punkten eine vertragliche Präzisierung angezeigt ist. Sei es, um fortbestehenden Kontroversen und Unsicherheiten im Sinne des jeweiligen Verständnisses eines Ausgleichs verbindlich zu entscheiden und auszuräumen, oder gegebenenfalls auch einer konsistenten Entwicklung zu widersprechen, die dem jeweiligen Verständnis nicht entspricht. Dabei wird ein besonderes Augenmerk darauf zu legen sein, inwieweit die unterschiedlichen Ausprägungen und Formulierungen der Standards in den Abkommen Einfluss auf die Entscheidung der Schiedsgerichte hatten und ein Rückgriff auf sie bei der Vertragsgestaltung Optionen zur effektiven Verankerung des jeweiligen Verständnisses eines Ausgleichs im Vertragstext bietet.

I. Der Schutz vor indirekter Enteignung als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen? 1. Einführung Vor der Zeit der Investitionsschutzabkommen bestand der Schutz ausländischer Investitionen in erster Linie im Schutz vor Enteignungen, wie er durch das Völkergewohnheitsrecht und Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsverträge gewährt wurde.236 Dass Staaten aufgrund ihrer territorialen 234  Siehe schon den damaligen Ausblick in UNCTAD, Int. Investment Rule-Mak­ ing, S. 74, wonach für den Fall, dass sich die Entscheidungspraxis zukünftig weiter verfestigen sollte und zu einer erhöhten Vorhersehbarkeit der Entscheidungen führen sollte, sich auch das Bedürfnis für eine Neugestaltung von IIAs verringern würde. 235  Vgl. Bjorklund, Practical and Legal Avenues, S. 176, 178; Banifatemi, Consistency in the Interpretation of Substantive Investment Rules, S. 225 f., siehe bereits in Fn. 229.



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?89

Hoheitsgewalt das souveräne Recht zusteht, das Eigentum ausländischer Investoren zu enteignen, wurde aber auch durch den Abschluss der Investitionsschutzabkommen ab Ende der 1950er Jahre nicht in Frage gestellt. Auch sie stellen lediglich die Rechtmäßigkeit der Enteignung unter die Bedingung, dass die Enteignung einem öffentlichen Zweck dient, in nichtdiskriminierender Weise sowie insbesondere gegen Entschädigung erfolgt.237 Für das zur Entscheidung berufene Gericht war die Feststellung eines taking bzw. einer expropriation238 zumeist unproblematisch.239 Gleich, ob es sich um eine weitangelegte Verstaatlichung eines ganzen Sektors oder die direkte Enteignung einzelner Eigentümer handelte, war die Maßnahme des Gaststaats stets unbestritten darauf gerichtet, das Eigentum des ausländischen Investors zu entziehen, weshalb sich die Debatte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf die Frage nach der erforderlichen Entschädigungshöhe konzentrierte.

236  Für einen historischen Überblick siehe etwa Dugan / Wallace / Rubins / Sabahi, Investor-State Arbitration, S.  430 ff., m. w. N. 237  Diese Grundprinzipien wurden freilich mehrfach in Frage gestellt, insbesondere durch die Ansicht der damaligen Sowjetunion, wonach ein ausländischer Investor stets dem nationalen und nicht dem internationalen Recht unterläge sowie der lateinamerikanischen Staaten, die sich entsprechend der Calvo Doctrine darauf beriefen, das Völkerrecht verlange lediglich eine Inländerbehandlung, aber keinen weitergehenden Schutz ausländischer Investoren; einzelne Abkommen, wie z. B. Art. 6(1)(d) US-Model BIT 2012 – welcher in seinem Annex B für sich beansprucht Gewohnheitsrecht wiederzugeben – bestimmen als viertes Kriterium ausdrücklich, dass die Enteignung in einem ordnungsgemäßen Verfahren (due process) erfolgen muss, wobei unklar ist, ob hierdurch eine weiteres Kriterium für die Rechtmäßigkeit der Enteignung aufgestellt wird, siehe Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 100; Reinisch, Legality of Expropriations, S. 191 ff.; Griebel, Internationales Investitionsrecht, S. 77. 238  Die Terminologie ist nicht einheitlich, unterschiedliche Begriffe wie taking, deprivation, dispossession oder auch nationalization werden in der Praxis häufig synonym verwendet, wobei sich ihr Gebrauch häufig auf nationale Rechtstraditionen oder als der Übersetzung geschuldet zurückführen lässt, vgl. UNCTAD, Expropria­ tion, S. 5; Stern, Frontiers of Indirect Expropriation, S. 30 ff.; siehe aber Paulsson / Douglas, Ind. Expr. in Investm. Treaty Arb., S. 145, 148, hierin gerade die Ursache dafür erblickend, dass häufig nicht ausreichend zwischen einem taking im Sinne einer tatsächlichen Beeinträchtigung und der Frage einer ausreichenden Beeinträchtigung für eine entschädigungspflichtige expropriation unterschieden werde, siehe hierzu bei infra Fn. 311. 239  Einzelne Beispiele, wie etwa eigentumsbeeinträchtigende Maßnahmen Kubas gegen das Eigentum von US-Staatsangehörigen im Jahre 1960 oder Indonesiens gegen niederländische Staatsangehörige 1957 führten zum Streit darüber, ob diese bereits eine Enteignung darstellten, doch erledigten sie sich, ohne dass es zur gerichtlichen Klärung dieser Frage kam, indem schließlich noch eine formelle Verstaatlichung folgte, siehe Christie, Br. Yearb. Int. Law 1962, S. 307 f.

90 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Heute sind direkte Enteignungen hingegen selten geworden und die Fälle indirekter Enteignung, in denen der Eigentümer zwar formell Rechtsinhaber bleibt, jedoch die wirtschaftliche Nutzungsmöglichkeit der Investition beeinträchtigt wird, stehen im Mittelpunkt. Allgemein anerkannt ist, dass auch diese Fälle eine entschädigungspflichtige Enteignung darstellen können240, doch kennzeichnet die indirekte Enteignung gerade, dass ihr Vorliegen vom Gaststaat bestritten wird. Möglich ist dies, da der Tatbestand einer indirekten Enteignung, im Unterschied zur direkten Enteignung, keine vergleich­ bare Klarheit aufweist. Zu dieser trugen auch nicht die bisherigen „klassischen“ Abkommenstexte bei. Diese zielten lediglich darauf ab, möglichst alle denkbaren Maßnahmen zu erfassen, die die eigenen Investoren wie im Fall einer direkten Enteignung treffen könnten. Dies zeigt sich auch daran, dass sie in aller Regel zwar ausdrücklich auch den Schutz vor indirekten Enteignungen nennen241, dies jedoch oftmals unter dem Begriff der Enteignung, welcher als Sammelbegriff für alle eigentumsentziehenden Maßnahmen verwendet wird, die eine Entschädigungspflicht nach sich ziehen sollen.242 Bei zahlreichen Unterschieden in der jeweiligen Formulierung, werden Investoren so regelmäßig auch geschützt vor measures tantamount to expropriation oder measures having equivalent effect to nationalisation or expropriation, wobei 240  So schon in den 1920er Jahren, Norwegian Shipowners’ Claims Arbitration (Norway vs. USA), 13.  Oktober 1922; siehe auch die vielzitierte Passage des IranU.S. Claims Tribunal in Starret Housing, et al. vs. Government of the Islamic Republic of Iran, et  al., Iran-U.S.-Claims Tribunal, case No. 24, Interlocutory Award, 19. Dezember 1983 („Starret Housing vs. Iran“), S. 51: „[I]t is recognized in international law that measures taken by a State can interfere with property rights to such an extent that these rights are rendered so useless that they must be deemed to have been expropriated, even though the State does not purport to have expro­ priated them and the legal title to the property formally remains with the original owner.“ 241  Manche, vorwiegende ältere BITs, nennen den Schutz vor indirekten Enteignungen nicht ausdrücklich, darunter auch BITs von EU-Mitgliedsstaaten, siehe Woolcock, Studie zum Konzept der Auslandsinvestitionspolitik der EU, S. 42, 83. In diesen wenigen Fällen stellt sich aber die Frage, ob indirekte Enteignungen nicht gleichwohl implizit von einem weit zu fassenden Enteignungsbegriff umfasst sind, der nicht zwischen direkter und indirekter Enteignung differenziert, siehe UNCTAD, Expropriation, S. 8. 242  Stern, Frontiers of Indirect Expropriation, S. 30; Fortier / Drymer, 19 ICSID Review 2004, S. 296; die verbreitete Praxis, spezifische Unterkategorien der Enteignung aufzuführen, diese aber anschließend einheitlich als expropriation zu definieren, findet sich neben zahlreichen BITS auch in Art. 13 ECT und in Art. 1110 Abs. 1 NAFTA: „No Party may directly or indirectly nationalize or expropriate an investment of an investor of another Party in its territory or take a measure tantamount to nationalization or expropriation of such an Investment („expropriation“), except […].“



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?91

sich diese Formulierungen teilweise an Stelle der indirekten Enteignung oder auch zusätzlich zum Schutz vor indirekter Enteignung finden.243 Durch diese uneinheitliche Terminologie werfen die Abkommenstexte eher zusätzliche Auslegungsfragen auf, als dass sie durch ihren Wortlaut Antworten für die Bestimmung einer indirekten Enteignung und ihre Abgrenzung zu entschädigungslosen Regulierungsmaßnahmen lieferten und einen Ausgleich vorzeichneten. Indem die indirekte Enteignung anhand des Vergleichsmaßstabs der direkten Enteignung beschrieben wird (tantamount to, equivalent to) ermöglicht dies zwar, sich an dieser zu orientieren, doch lassen sich Kontroversen über die Kriterien, welche für das Vorliegen einer indirekten Enteignung erfüllt sein müssen, zum Teil auch gerade auf die Frage zurückführen, inwieweit die indirekte Form der Enteignung einer direkten Enteignung entsprechen muss.244 So unklar aber der Schutzbereich der indirekten Enteignung, so klar und eindeutig ihre Rechtsfolge: „Alles oder Nichts“.245 Entweder muss der Investor die Maßnahme entschädigungslos als legitime Beschränkung seiner Investition dulden oder aber der Staat ist zur vollen Entschädigung verpflichtet. Wann aber wird eine Beeinträchtigung der Investition zur indirekten Enteignung, „How far is ‚too far‘?“246 Die große Schwierigkeit diese Schwelle zu bestimmen, wurde im Kontext des völkerrechtlichen Enteignungsrechts schon vor einigen Jahrzehnten analysiert247 und indirekte Enteignungen fanden insbesondere auch aufgrund zahlreicher Entscheidungen des IranU.S. Claims Tribunal zunehmende Beachtung in der wissenschaftlichen Diskussion.248 Vor allem aber infolge der Befürchtungen eine zu investoren243  So z. B. Art. 1110 Abs. 1 NAFTA, siehe supra Fn. 242; für weitere Beispiele für die unterschiedlichen Vertragstexte, siehe UNCTAD, Expropriation, S. 10 f. 244  Neben den heute geklärten und verneinten Fragen, ob eine indirekte Enteignung eine Enteignungsabsicht voraussetzt und mit einer Aneignung durch den Staat oder der Übertragung auf vom Staat bestimmten Dritten einhergehen muss, siehe infra Fn. 257, vor allem die Frage, ob sie eine vollständige Entziehung oder Entwertung der Investition erfordert, zu der es durch eine direkte Enteignung käme; siehe hierzu unter B.I.2.a). 245  Vgl. Kriebaum, Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 21, 34 ff., eben dieses Alles oder Nichts Konzept kritisierend und einen Ausgleich auf Rechtsfolgenseite befürwortend. 246  Dugan / Wallace / Rubins / Sabahi, Investor-State Arbitration, S. 483, unter Zitierung der US Supreme Court Entscheidung in Lingle vs. Chevron, vom 23. Mai 2005. 247  Herz, 35 Am. J. Int. Law, S. 251, etwa erkannte: „[I]t may often be very difficult to decide whether or not […] the limits of usual interference [with property rights] have been reached or transgressed.“; Christie, What Constitutes a Taking of Property, S. 307. 248  Auch wenn die Übertragbarkeit der Rechtsprechung des IUSCT zu indirekten Enteignungen, aufgrund eines Schutzes vor „other measures affecting property

92 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

freundliche Auslegung und eine ungewisse Entschädigungspflicht könne die Staaten von der Ergreifung legitimer Gemeinwohlmaßnahmen abhalten, wurde die Frage, wo die Grenze zwischen legitimer Regulierung und einem regulatory taking249 verläuft, zu einer der meistdiskutierten Fragen des ­Investitionsrechts. Die dabei bisher gezeigte Zurückhaltung klare Kriterien zur Abgrenzung zwischen entschädigungsloser Regulierung und indirekter Enteignung in Abkommenstexten zu verankern, ist dabei häufig auch der Erkenntnis geschuldet, dass sich die Abgrenzungsfrage in so unterschiedlichen Konstellationen stellt, dass es für besser erachtet wird, sie der sukzessiven Entwicklung der Rechtsprechung durch Einzelfallentscheidungen zu überlassen.250 Schon Christie gelangte zu dem Schluss, dass diese Methode nicht nur die beste, sondern wahrscheinlich die einzige ist, um die Rechtsentwicklung voranzutreiben.251 Mehr als vierzig Jahre später bestätigten ihn Paulsson und Douglas, indem sie feststellten, dass die Suche nach einer Zauberformel zur Abgrenzung nicht von Erfolg gekrönt war und weder Anwälte noch Schiedsrichter weiter beschäftigen müsse.252 Erfolgsversprechender ließen sich Anhaltspunkte induktiv durch eine generalisierende Betrachtung der rights“, vereinzelt bezweifelt wurde, werden die Entscheidungen regelmäßig in Schiedsklagen herangezogen; zur Frage der Heranziehbarkeit siehe z. B. Fireman’s Fund Insurance Company vs. The United Mexican States, ICSID Case No. ARB (AF) / 02 / 01, Award, 17.  Juli 2006 („Fireman’s Fund vs. Mexico“), Abs. 273; zur Rechtsprechung des IUSCT zu indirekten Enteignungen, siehe auch Ratner, 102 Am. J. Int. Law 2008, S. 505 ff. sowie Meifort, Begriff der Enteignung, S. 95 ff. 249  Die Terminologie ist hier nicht einheitlich, der Begriff des regulatory taking unterfällt der indirekten Enteignung. Weitere Bezeichnungen der Enteignung als de facto, disguised, consequential, virtual oder creeping exproriation sind ebenfalls Synonym bzw. charakterisieren eine besondere Unterform der indirekten Enteignung, siehe Stern, Frontiers of Indirect Expropriation, S. 36 f.; UNCTAD, Expropriation, S. 11. 250  In diesem Sinne etwa auch Ratner, 102 Am. J. Int. Law 2008, 484 ff., zudem betonend, dass die Vergeblichkeit der Suche nach einer einheitlicheren und präziseren Formel zur Abgrenzung auch auf die Vielfältigkeit der verschiedenen Regime und des institutionellen Kontexts zurückzuführen ist, in welchen über das Vorliegen einer regulatorischen Enteignung zu entscheiden ist. 251  Christie, What Constitutes a Taking of Property, S. 338. 252  Paulsson / Douglas, Ind. Expr. in Investm. Treaty Arb., S. 146: „The only real guidance with respect to the threshold of interference for state measures affecting investments is the product of inductive generalizations from the findings of international tribunals and domestic courts as to the factual circumstances that give rise to a compensable taking. […] The search for the chimerical rule on indirect expropriation need not preoccupy counsel and arbitrators. The more ardous but realistic approach suggested by Professor Christie is the way forward.“; siehe auch die Schlussfolgerung der Untersuchung von Perkams, IIA im Spannungsfeld zwischen effektivem Investitionsschutz und staatlichem Gemeinwohl, S. 403, eingestehend,



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?93

Umstände gewinnen, aufgrund derer in den Einzelfallentscheidungen eine indirekten Enteignung bejaht wurde.253 „I know it when I see it“, lautete denn auch nach der Studie von Fortier und Drymer zur Schiedspraxis aus dem Jahr 2004 die wohl beste Antwort auf die Frage, wann und unter welchen Umständen eine Regulierungsmaßnahme zur indirekten Enteignung wird.254 Eine Zauberformel wird auch im Folgenden nicht gesucht. Stattdessen soll betrachtet werden, inwieweit die nachfolgende Auseinandersetzung mit der Abgrenzung zwischen legitimen Gemeinwohlmaßnahmen und indirekten Enteignungen in einer Vielzahl von Entscheidungen zu einer Fortentwicklung geführt hat und eine größere Rechtssicherheit erzielt wurde. Dies soll eine vorsichtige Einschätzung des gegenwärtigen Entschädigungsrisikos aufgrund der Verfolgung eines Gemeinwohlziels, wie etwa dem Umweltund Gesundheitsschutz ermöglichen und aufzeigen, inwieweit ein vertrag­ licher Präzisierungsbedarf besteht. 2. Die Fortentwicklung der Kriterien zur Abgrenzung zwischen Regulierung und indirekter Enteignung in der Schiedspraxis Seit sich insbesondere im NAFTA-Kontext auch die Gemeinwohlmaßnahmen der Industriestaaten an dem zugesicherten Enteignungsschutz messen lassen mussten, haben die Entscheidungen der Schiedsgerichte und die zur Beurteilung des Vorliegens einer indirekten Enteignung herangezogenen Kriterien eine beachtliche Fortentwicklung und Präzisierung erfahren.255 Der Fokus der folgenden Betrachtung dieser Rechtsprechung256 soll dabei dass eine genaue Konkretisierung des Tatbestands der indirekten Enteignung nicht gelungen ist. 253  Paulsson / Douglas, Ind. Expr. in Investm. Treaty Arb., S. 146. 254  Fortier / Drymer, 19 ICSID Review 2004, S. 293, 327. 255  UNCTAD, Expropriation, S. 2; Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 101; bereits 2005 machte Paulsson, Indirect Expropriation: Is the Right to Regulate at Risk?, S. 2, insoweit eine „increasing sophistication of international awards“ aus. 256  Auch der Begriff der Rechtsprechung der Schiedsgerichte darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entscheidungen in unterschiedlichem Kontext und auf Grundlage verschiedener Vertragswerke und Zuständigkeiten erging, was etwa auch Paulsson / Douglas, Ind. Expr. in Investm. Treaty Arb., S. 147 betonten. Auch in den Entscheidungen wurde die Frage erörtert, inwieweit etwa Entscheidungen des IUSCT Berücksichtigung finden können oder ein NAFTA-Schiedsgericht und ein auf Grundlage eines BIT entscheidendes Schiedsgericht die im jeweils anderen Kontext ergangenen Entscheidungen heranziehen können, wobei es gängiger und zumeist stillschweigender Praxis entspricht, Entscheidungen aus anderen Foren im Bewusstsein ihres Ursprungs und Kontexts heranzuziehen, siehe auch Mostafa, 15 Austra­lian Int. Law J. 2008, S. 271.

94 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

auf jene Kriterien gelegt werden, die entscheidend darüber bestimmen, inwieweit ein Staat durch eine den Investor nachteilig treffende Regulierungsmaßnahme Gefahr läuft, entschädigungspflichtig zu werden.257 In einem ersten Schritt sollen daher die Anforderungen betrachtet werden, die an die Wirkungen der Maßnahme, insbesondere hinsichtlich ihrer Eingriffsintensität gestellt werden (a)). Denn man muss sich bewusst sein, dass sich die Problematik der Abgrenzung einer indirekten Enteignung zu einer entschädigungslosen Regulierung überhaupt erst dann stellt, wenn diese Anforderungen erfüllt sind. Erst dann nämlich, läge an sich eine indirekte Enteignung vor – Stern bezeichnet sie treffend als „potential expropri­ ation“258 –, bedarf es weiterer Überlegungen, ob die Prüfung damit beendet ist oder ob und inwieweit dieses Ergebnis aufgrund des Vorliegens einer im Gemeinwohlinteresse ergriffenen Regulierungsmaßnahme weiterer Korrektur bedarf (b)).259

257  Hinsichtlich des Kriterium einer Enteignungsabsicht, sei hier daher nur festgestellt, dass heute Einigkeit darüber besteht, dass eine solche keine notwendige Bedingung ist, siehe nur Kriebaum, Expropriation, S. 995. Einigkeit besteht in der Praxis auch darüber, dass es nicht auf das Kriteriums eines Gütertransfers auf den Staat oder einen vom Staat bestimmten Dritten ankommt, für deren Erforderlichkeit die Heranziehung einer direkten Enteignung als strengem Vergleichsmaßstab sprechen könnte; zu dieser Schiedspraxis siehe auch, Meifort, Begriff der Enteignung, S.  113, 185 ff. 258  Stern, Frontiers of Indirect Expropriation, S. 38. 259  So auch Kriebaum, Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 27; für eine solche Prüfungsreihenfolge auch Gudofsky, 21 Nw. J. Int. Law Bus., S. 298; dieser zweistufige Prüfungsaufbau zeigt sich z. B. auch sehr deutlich in Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 356: „There is for all expropriations, however, the foundational threshold inquiry of whether the property or property right was in fact taken. […][T]he threshold examination is an inquiry as to the degree of the interference with the property right. […] Therefore, a panel’s analysis should begin with determining whether the economic impact of the complained of measures is sufficient to potentially constitute a taking at all.“; ebenso in Tecnicas Medioambientales Tecmed S.A. vs. The United Mexican States, ICSID Case No. ARB (AF) / 00 / 2, Award, 29. Mai 2003 („Tecmed vs. Mexico“), Abs. 115; siehe auch Mostafa, 15 Australian Int. Law J. 2008, S. 282 f., einen Abwägungsansatz ablehnend, durch welchen eine indirekte Enteignung aufgrund eines Abwägungsprozesses auch dann bejaht werden könnte, wenn die hohe Eingriffsschwelle der indirekten Enteignung nicht erreicht wird: „Such an argument errs by conflating expropriation law with other investor protection law. […]Where a measure falls below the high treshold required for an expropriation finding, its unreasonableness cannot result in that treshold being lowered.“



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?95

a) Die Eingriffsintensität als notwendiges Kriterium einer potentiellen Enteignung So diffus die Grenze zwischen einer entschädigungslosen Regulierung und einer regulatorischen Enteignung auch verläuft, besteht Einigkeit jedenfalls darüber, dass die Eingriffsintensität der staatlichen Maßnahme auf die Investition ein entscheidender, wenn nicht gar der allein entscheidende Faktor für das Vorliegen einer indirekten Enteignung ist.260 Ohne eine ausreichende Intensität der Beeinträchtigung der Investition durch die staatliche Maßnahme scheidet eine indirekte Enteignung aus. Somit entscheidet also bereits die jeweils geforderte Eingriffsintensität ganz maßgeblich darüber, wo ein Ausgleich zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteresse angesetzt wird. Denn je höher die an die Schwere der Beeinträchtigung gestellten Anforderungen, desto mehr werden dem Investor das Risiko und die Kosten der Regulierung im Gemeinwohlinteresse zugewiesen und desto unbegründeter entpuppen sich folglich Befürchtungen, bloße Gewinneinbußen des Investors könnten zu einer Entschädigungspflicht des Staats führen. Zieht man eine direkte Enteignung als Vergleichsmaßstab heran, so ist sie der denkbar schwerste Eingriff, welcher zur vollständigen Entziehung des Eigentums und der Nutzungsmöglichkeit der Investition führt. In der Frage, inwieweit auch die indirekte Form der Enteignung in ihren Wirkungen jenen einer direkten Enteignung entsprechen muss, waren bereits die unterschiedlichen Formulierungen der Vertragstexte Quelle zusätzlicher Unsicherheit. Sie warfen nämlich die Frage auf, ob durch sie mitunter geringere Anforderungen an die erforderliche negative Beeinträchtigung der Investition gestellt und folglich ein „Mehr“ an Schutz gewährt werden sollte. So ließen Bestimmungen, die den Schutz z. B. vor measures tantamount to nationalisation or expropriation zusätzlich zum Schutz vor indirekten Enteignungen nennen Raum für die Argumentation, die Investition solle auch vor geringeren Beeinträchtigungen geschützt werden als im selbständig genannten Fall der indirekten Enteignung.261 Heute besteht jedoch Einigkeit darüber, dass durch die unterschiedlichen Formulierungen der Schutz nicht erweitert wird.262 vieler Kriebaum, Expropriation, S. 982. dieser Diskussion Grillitsch, Regulatorische Enteignungen, S. 167 f. 262  Pope & Talbot Inc. vs. Canada, Interim Award, 26. Juni 2000, („Pope and Talbot vs. Canada, Interim Award“), Abs. 103: „ ‚Tantamount‘ means nothing more than equivalent. Something that is equivalent to something else cannot logically encompass more.“; siehe nur Kriebaum, Expropriation, S. 980; auf die Diskussionen um die Formulierung tantamount to dürfte auch zurückzuführen sein, dass in den seit 2004 erfolgten Neufassungen des U.S.-Model BIT die Formulierung measures equivalent to verwendet wurde, was auch Stern, Frontiers of Indirect Expropriation, S. 34, in dortiger Fußnote 8 vermutet. 260  Statt 261  Zu

96 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Ebenso darüber, dass aus dem Umstand, dass manche Vertragstexte den Vergleich der indirekten Enteignung ausdrücklich auf die Auswirkungen der staatlichen Maßnahme beziehen (z. B. „measures the effects of which would be tantamount to expropriation“263), während diese explizite Bezugnahme in anderen Abkommen fehlt, keine Rückschlüsse auf die erforderliche Eingriffsintensität zu ziehen sind.264 Im Hinblick auf die Vertragsgestaltung zur Erzielung eines Ausgleichs ist somit festzuhalten, dass in der Schiedspraxis an die verschiedenen Formulierungen der Enteignungsbestimmungen keine unterschiedlich hohe Anforderungen an die erforderliche Eingriffsintensität geknüpft wurden, so dass auch mit dem Rückgriff auf eine dieser gängigen Umschreibungen des indirekten Enteignungsschutzes keine Aussage in Bezug auf eine höhere oder niedrigere Eingriffsschwelle getroffen würde. aa) Die hohe Hürde des Kontroll- oder nahezu vollständigen Wertverlusts Die Frage der für eine potentielle Enteignung erforderlichen Eingriffs­ intensität wird in der Schiedspraxis insoweit einheitlich beantwortet, als nicht jeder bloße Wertverlust und jede Verminderung der Profitabilität bereits zu einer Entschädigungspflicht führen kann.265 Vielmehr haben Schiedsgerichte – wenngleich mit sehr unterschiedlichen Formulierungen266 – zum Ausdruck gebracht, dass eine indirekte Enteignung voraussetzt, 263  So z. B. in Art. 4 Abs. 2 des 2010 geschlossenen BIT zwischen Deutschland und Bahrain. 264  Hierzu auch Stern, Frontiers of Indirect Expropriation, S. 33 f., folgernd: „[T] he different formulas are probably quite equivalent. […] Whatever the expression used, indirect expropriation is probably best characterized by its effect equivalent to direct expropriation.“; so auch Rensmann, Völkerrechtlicher Enteignungsschutz, S. 43. 265  Zur Metalclad-Entscheidung, siehe nachfolgend unter B.I.2.a)bb). 266  Siehe z. B. Starret Housing vs. Iran, supra Fn. 240, S. 51: „[Property rights] are rendered so useless that they must be deemed to have been expropriated.“; Pope and Talbot vs. Canada, Interim Award, supra Fn. 262, Abs. 102: „sufficiently restrictive to support a conclusion that the property has been taken“; S.D. Myers, Inc. vs. Government of Canada, NAFTA / UNCITRAL, Partial Award, 13.  November 2000 („S.D. Myers vs. Canada“), Abs. 283: „a lasting removal of the ability of an owner to make use of its economic rights“; CMS Gas Transmission Company vs. The Argentine Republic, ICSID Case ARB / 01 / 8, Award, 12.  Mai 2005 („CMS vs. Argentina“), Abs. 262: „effectively neutralized“; Grand River Enterprises Six Nations, Ltd. et  al. vs. United States of America, NAFTA / UNCITRAL, Award, 12.  Januar 2011 („Grand River vs. USA“), Abs. 154: „deprivation of all, or a very great measure, of a claimant’s property interests“; für zahlreiche weitere Beschreibungen der hohen Eingriffsschwelle in Schiedsurteilen, siehe Kriebaum, Expropriation, S. 984.



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?97

dass dem Investor die Investition vollständig oder jedenfalls in wesentlichen Umfang entzogen wurde und zwar dauerhaft oder zumindest für einen wesentlichen, nicht nur vorübergehenden Zeitraum.267 Am häufigsten wurde zur Beschreibung der erforderlichen Eingriffsintensität auf eine substantial deprivation abgestellt268, wobei dieser unscharfe Begriff selbst offen lässt, was letztlich hierunter zu verstehen ist.269 Während er vermittelt, dass es keiner vollständigen Entziehung sämtlicher Rechte des Investors bedarf, ist zunächst festzuhalten, dass auch einem sehr strengen Verständnis dieses Begriffs, welches als total deprivation besser umschrieben wäre, nicht entgegensteht, dass der Investor weiterhin Inhaber seiner Immobilien und Anlagen bleibt, denn es kommt auf eine wesentliche Beeinträchtigung der Möglichkeit an, die Investition zu wirtschaftlichen Zwecken zu nutzen.270 Weiter lehrt die Erfahrung aber, dass selbst dann, wenn zwischen den Parteien Einigkeit über das Erfordernis einer substan­tial deprivation besteht, dies nicht bedeutet, dass sie damit auch einig gehen, auf welche Kriterien zur Bestimmung einer solchen abzustellen ist, welche 267  Siehe zusammenfassend Electrabel S.A. vs. The Republic of Hungary, ICSID Case No. ARB / 07 / 19, Decision on Jurisdiction, Applicable Law and Liability, 30. November 2012 („Electrabel vs. Hungary“), Abs. 6.62: „[T]he Tribunal con­ siders that the accumulated mass of international legal materials, comprising both arbitral decisions and doctrinal writings, describe for both direct and indirect expropriation, consistently albeit in different terms, the requirement under international law for the investor to establish the substantial, radical, severe, devastating or fundamental deprivation of its rights or the virtual annihilation, effective neutralisation or factual destruction of its investment, its value or enjoyment.“; UNCTAD, Expropriation, S. 63. 268  Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 104, m. w. N.; Kriebaum, Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 27. 269  Zusätzlich erschwert wird diese Frage durch eine uneinheitliche Terminologie, siehe etwa Dugan / Wallace / Rubins / Sabahi, Investor-State Arbitration, S. 460 den Begriff zur Beschreibung der in Metalclad formulierten Eingriffsschwelle und in Abgrenzung zu Entscheidungen verwendend, welche den Begriff der substantial deprivation selbst heranzogen, ihn indes an einem Kontrollverlust bzw. am Kriterium eines vollständigen oder zumindest nahezu vollständigen Wertverlusts festmachen; siehe auch UNCTAD, Expropriation, S. 64, „[I]nterference must be equal to or approach total impairment and not simply be significant or substantial, as some tribunals have suggested.“, eben dieser vollständige oder nahezu vollständige Wertverlust wird indes regelmäßig für eine substantial deprivation gefordert; siehe aber z. B. auch Philipp Morris vs. Uruguay, supra Fn. 18, Abs. 183, 191, wo die Parteien darüber stritten, ob eine substantial deprivation genügt, oder aber erforderlich ist, dass die verbleibenden Rechte des Investors nahezu wertlos sind. 270  Reisman / Digón, Eclipse of Expropriation, S. 131; insoweit bleibt also auch eine total deprivation stets eine teilweise Entziehung der Investition, worauf Kriebaum, 8 J. World Invest. Trade 2007, S. 72, zutreffend hinweist; ebenso in Kriebaum, Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 27.

98 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Gewichtung diesen Kriterien zu geben ist und wann eine Beeinträchtigung in ihrer Intensität als substantial anzusehen ist.271 In der Schiedspraxis wurde eine ausreichende Beeinträchtigung an zwei Kriterien festgemacht: Zum einen wurde sie auf den Wert und Nutzen der Investition bezogen, zum anderen anhand des Kriteriums der Kontrolle des Investors über die Investition beurteilt.272 Im ersten Fall wurde also gefragt, ob dem Investor der wirtschaftliche Wert und Nutzen der Investition vollständig oder jedenfalls nahezu vollständig entzogen wurde. In Tecmed vs. Mexico beispielsweise, entschied das Gericht, dass eine staatliche Maßnahme einer Enteignung dann gleichkommt, „if the Claimant […] was radically deprived of the economical use and enjoyment of its investment, as if the rights related thereto  – such as the income or benefits related to the Landfill or its exploitation  – had ceased to exist. In other words, if due to the actions of the Respondent, the assets involved have lost their value or economic use for their holder and the extent of the loss. This determination is important because it is one of the main elements to distinguish […] between a regulatory measure, which is an ordinary expression of the exercise of the state’s police power that entails a decrease in assets or rights, and a de facto expropriation that deprives those assets and rights of any real substance.“273 271  Siehe Chemtura Corporation vs. Government of Canada, NAFTA / UNCITRAL, Award, 2. August 2010 („Chemtura vs. Canada“), Abs. 244: „While both Parties refer to essentially the same NAFTA cases, their understanding of the ‚substantial deprivation‘ test diverges, particularly with respect to the use of the criteria identified in Pope & Talbot v. Canada, and to the weight of Metalclad v. Mexico. […][T]he Parties also disagree on the degree required for deprivation to be substantial.“; zum unterschiedlichen Verständnis dieses Begriffs, siehe auch Dolzer /  Schreuer, Principles of IIL, S. 104. 272  Siehe z. B. Archer Daniels Midland Company and Tate and Lyle Ingredients Americas, Inc. vs. The United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF) / 04 / 05, Award, 21. November 2007 („Archer Daniels Midland Company vs. Mexico“), Abs. 242: „Notwithstanding the fact that previous cases are not identical, and that certain considerations and decisions have not been uniform, a common principle may be extracted: only loss of control over the investment or substantial loss of its economic value may amount to an indirect expropriation.“; Sempra Energy International vs. Argentine Republic, ICSID Case ARB / 02 / 16, Award, 28. September 2007 („Sempra Energy vs. Argentina“), Abs. 285: „A finding of indirect expropriation would require more than adverse effects. It would require that the investor no longer be in control of its business operation, or that the value of the business have been virtually annihilated.“; Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 112. 273  Tecmed vs. Mexico, supra Fn. 259, Abs. 115. Das Gericht bejahte dies, da es nicht nur den zukünftigen Betrieb der Mülldeponie, sondern jegliche wirtschaftliche Nutzungsmöglichkeit für ausgeschlossen hielt, a. a. O., Abs. 117; siehe auch a. a. O., Abs. 116, im Hinblick auf den völkergewohnheitsrechtlichen Enteignungsbegriff, den es als mit dem Enteignungsbegriff des Abkommens identisch erachtete: „[I]t is understood that the measures adopted by a State, whether regulatory or not, are an indirect de facto expropriation if they are irreversible and permanent and if the



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?99

Auch die Gerichte in Vivendi vs. Argentina und LG&E vs. Argentina verwiesen auf das in zahlreichen Entscheidungen herangezogene Kriterium eines vollständigen oder zumindest nahezu vollständigen Wertverlusts: „Numerous tribunals have looked at the diminution of the value of the investment to determine whether the contested measure is expropriatory. The weight of authority […] appears to draw a distinction between only a partial deprivation of value (not an expropriation) and a complete or near complete deprivation of value (expropriation).“274

Ebenso forderte das Gericht in Tokios Tokėles vs. Ukraine, dass dem Investor durch die staatliche Maßnahme „a ‚substantial‘ part of the value of the investment“ genommen sein müsse, wobei es hinsichtlich der konkreten Eingriffsschwelle weiter ausführte: „Although neither the relevant treaty text nor existing jurisprudence have clarified the precise degree of deprivation that will qualify as ‚substantial‘, one can reasonably infer that a diminution of 5 % of the investment’s value will not be enough for a finding of expropriation, while a diminution of 95 % would likely be sufficient. The determination in any particular case of where along that continuum an expropriation has occurred will turn on the particular facts before the tribunal.“275

In der NAFTA-Entscheidung Fireman’s Fund vs. Mexico forderte das Gericht unter Berücksichtigung der zu Art. 1110 NAFTA ergangenen Entscheidungen: „[A] substantially complete deprivation of the use and enjoyment of the rights to the property, or of identifiable distinct parts thereof (i. e., it approaches total impairment).“276 assets or rights subject to such measure have been affected in such a way that ‚… any form of exploitation thereof …‘ has disappeared; i. e. the economic value of the use, enjoyment or disposition of the assets or rights affected by the administrative action or decision have been neutralized or destroyed.“; hierzu auch Schill, RIW 2005, S. 334. 274  Compañía de Aguas del Aconquija S.A. and Vivendi Universal S.A. vs. Argentine Republic, ICSID Case ARB / 97 / 3, Award, 20. August 2007 („Vivendi vs. Argentina“), Rn. 7.5.11, u. a. unter Verweis auf CME Czech Republic B.V. vs. The Czech Republic, UNICTRAL, Partial Award, 13. September 2001, Abs. 604; LG&E Energy Corp., LG&E Capital Corp., LG&E International Inc. vs. Argentine Republic, ­ICSID Case No. ARB / 02 / 1, Decision on Liability, 3. Oktober 2006 („LG&E vs. ­Argentina“), Abs. 191: „In many arbitral decisions, the compensation has been denied when it [the measure of the host state] has not affected all or almost all the investment’s economic value.“, wobei es anfügte, „Interference with the investment’s ability to carry on its business is not satisfied where the investment continues to operate, even if profits are diminished.“ 275  Tokios Tokelės vs. Ukraine, ICSID Case ARB / 02 / 18, Award, 26.  Juli 2007, Abs. 120. 276  Fireman’s Fund Insurance Company vs. The United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF) / 02 / 01, Award, 17.  Juli 2006 („Fireman’s Fund vs. Mexico“), Abs. 176 c).

100 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Bestätigt wurde dies wiederum auch in Corn Products International vs. Mexico, mit einer weiteren anschaulichen Umschreibung der hohen erforderlichen Eingriffsintensität: „In the absence of a physical taking or transfer of ownership, CPI [the Claimant] needed to show that there had been such a degree of interference as to sterilise its business“[…].277 Government measures which have a detrimental effect on an investor’s markets, even if they are discriminatory […], are not expropriatory unless they have the effect of destroying the business in question.“278

Auch das Gericht in Total vs. Argentina stellte klar, dass es für die Annahme einer indirekten Enteignung aufgrund eines Wertverlusts auf eine praktisch vollständige Entwertung der Investition ankommt, wobei es den Gleichlauf mit einer direkten Enteignung hervorhob: „An effective deprivation requires […] a total loss of value of the property such as when the property affected is rendered worthless by the measure, as in case of direct expropriation […]. […] Total has not shown that the negative economic negative impact of the Measures has been such as to deprive its investment of all or substantially all its value.“279

Neben zahlreichen weiteren Entscheidungen280 sei als abschließendes Beispiel die jüngere Entscheidung Philipp Morris vs. Uruguay angeführt, 277  Corn Products International, Inc. vs. The United Mexican States, ICSID Case No. ARB(AF) / 04 / 01, Decision on Responsibility, 15. Januar 2008, („Corn Products vs. Mexico“), Abs. 91 f., unter Verweis auf die Umschreibung der erfoderlichen Eingriffsschwelle als „intervention by the state amounting to a […] sterilising of the enterprise“ in Waste Management Inc. vs. United Mexican States, ICSID Case No. ARB (AF) / 00 / 3, 30. April 2004 („Waste Management vs. Mexico“), Abs. 160. 278  Corn Products vs. Mexico, supra Fn. 277, Abs. 93. 279  Total S.A. vs. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB / 04 / 1, Decision on Liability, 27. Dezember 2010, („Total vs. Argentina“), Abs. 196, dabei erachtete das Gericht den Wortlaut des französisch-argentinischen BITs („autre mesure équivalente ayant un effet similaire de dépossession“) aufgrund der geforderten dépossession als restriktiver als tantamount to expropriation und an sich einen Verlust der Kon­ trolle für erforderlich, ging aber anschließend – über den speziellen Wortlaut des einschlägigen BIT hinaus – gleichwohl auch auf eine Enteignung infolge eines Wertverlusts ein (a. a. O., Abs.  193 ff.). 280  Middle East Cement Shipping and Handlings Co. S.A. vs. Arab Republic of Egypt, ICSID Case ARB / 99 / 6, Award, 12.  April 2002, („Middle East Cement vs. Egypt“), Abs. 107, hier bedeutete der Entzug einer Lizenz zum Import einer bestimmten Zementsorte das Aus für die Investition, stellte doch die Fortführung des Unternehmens mit von dem Importverbot nicht betroffenen Zementsorten keine ­ wirtschaftliche Alternative dar, was das Gericht hier jedoch erst bei der Entschä­ digungshöhe im Hinblick auf eine Schadensminderunspflicht des Investors prüfte (a. a. O., Abs. 168); Consortium RFCC vs. Kingdom of Morocco, ICSID Case ARB / 00 / 6, Award, 22.  Dezember 2003 („Consortium RFCC vs. Morocco“), Abs. 69: „effets substantiels d’une intensité certaine qui réduisent et / ou font disparaître les bénéfices légitimement attendus de l’exploitation des droits objets de



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?101

die – bis zu ihrer Entscheidung – in der öffentlichen Diskussion besonders häufig als Beleg für die Auswüchse der Klagemöglichkeiten ausländischer Investoren bemüht wurde. Auch hier bestätigte das Gericht, dass eine indirekte Enteignung ausscheidet, wenn die Investition ohne die infolge der staatlichen Maßnahmen erlittenen Maßnahmen lediglich profitabler gewesen wäre. „In the Tribunal’s view, in respect of a claim based on indirect expropriation, as long as sufficient value remains after the Challenged Measures are implemented, there is no expropriation. As confirmed by investment treaty decisions, a partial loss of the profits that the investment would have yielded absent the measure does not confer an expropriatory character on the measure.“281

In zahlreichen anderen Entscheidungen wurde darauf abgestellt, ob der Investor durch die Maßnahme die Kontrolle über die Investition und die unternehmerischen Entscheidungen genommen wurde.282 Eine substantial deprivation wurde hiernach verneint, wenn der Investor weiterhin die Kontrolle über ein agierendes Gesamtunternehmen ausüben konnte, wenngleich dieses aufgrund der Vereitelung bestimmter Rechte Gewinneinbußen zu verzeichnen hatte.283 So verneinte das Gericht in Pope & Talbot eine indirekte Enteignung nach Art. 1110 NAFTA anhand folgender Indikatoren: „[T]he investor […] directs the day-to-day operations of the investment, and no officers or employees of the Investment have been detained […]. Canada does not supervise the work of the officers or employees of the Investment, does not take any of the proceeds of company sales (apart from taxation), does not interfere with management or shareholders’ activities, does not prevent the Investment from paying dividends to its shareholders, does not interfere with the appointment of directors or management and does not take any other actions ousting the Investor from full ownership and control of the Investment. The sole ‚taking‘ that the Investor has identified is interference with the Investment’s ability to carry on its business of exporting softwood lumber to the U.S. While this interference has, according to the Investor, resulted in reduced profits for the Investment, it continladite mesure à un point tel qu’ils rendent la détention de ces droits inutile.“; Sempra Energy vs. Argentina, supra Fn. 272, Abs. 285: „A finding of indirect expropriation would require more than adverse effects. It would require that the investor no longer be in control of its business operation, or that the value of the business have been virtually annihilated.“; siehe auch Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 355: „[I]n an indirect expropriation, some entitlements inherent in the property right are taken by the government or the public so as to render almost without value the rights remaining with the investor.“, aufgrund des verbleibenden Restwerts des Projekts von über 20 Mio US-Dollar gegenüber einem in Höhe von 49,1 Mio US-Dollar angenommenen Wert vor den beeinträchtigenden Maßnahmen, verneinte das Gericht eine „radical diminution in the value“ (a. a. O., Abs. 17, 366, 534). 281  Philipp Morris vs. Uruguay, supra  Fn. 18, Abs. 286. 282  Siehe hierzu Ratner, 102 Am. J. Int. Law 2008, S. 482. 283  Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 117.

102 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs ues to export substantial quantities of softwood lumber to the U.S. and to earn substantial profits on those sales.“284

Im Hinblick auf die geringeren Gewinneinnahmen infolge verringerter Absatzmöglichkeiten komme es entscheidend darauf an, „whether that inter­ ference is sufficiently restrictive to support a conclusion that the property has been ‚taken‘ from the owner“.285 Wenn aber die Investition, wenn auch mit Gewinneinbußen, weitergeführt werden kann, so werde die Schwelle einer substantial deprivation nicht erreicht.286 Unter Verweis auf diese Ausführungen verneinte anschließend etwa auch das Gericht in Feldman vs. Mexico eine indirekte Enteignung, da dem Investor durch die Versagung von Steuerrückerstattungen zwar effektiv die Möglichkeit genommen wurde, Zigaretten gewinnbringend zu exportieren, aber die Möglichkeit bestand das Unternehmen mit dem Export anderer Produkte fortzuführen.287 In gleicher Weise wurde unter regelmäßigem Verweis auf Pope & Talbot in zahlreichen weiteren Entscheidungen eine indirekte Enteignung trotz mitunter gravierender finanzieller Einbußen aufgrund der fortbestehenden Kontrolle über die Investition verneint und sinngemäß wie in BG Group vs. Argentina festgestellt: „[A] measure does not qualify as equivalent to expropriation if the ‚investment continues to operate, even if profits are diminished‘.“288

Während dabei das Kriterium des Kontrollverlusts zumeist als alternatives Kriterium zu einem (zumindest nahezu) vollständigen Wertverlust aufgeführt wurde289, wurde zum Teil auch allein die Kontrollmöglichkeit als entscheidendes Kriterium erachtet. So in El Paso vs. Argentina: 284  Pope  &  Talbot

vs. Canada, Interim Award, supra Fn. 262, Abs. 100 f. vs. Canada, Interim Award, supra Fn. 262, Abs. 102. 286  Ibid., das Gericht beschrieb also mit dem Begriff der substantial deprivation eine Eingriffsintensität, welche der einer direkten Enteignung entspricht, so auch Mostafa, 15 Australian Int. Law J. 2008, S. 280 f.: „Although the tribunal […] also stated that a ‚substantial deprivation‘ will constitute an expropriation, this inherently ambigous phrase should be read consistently with its previous statement; that is, ‚substantial deprivation‘ denotes the effects of a direct expropriation. To suggest otherwise would be to claim the Pope and Talbot tribunal intended to contradict itself in the space of one paragraph.“ 287  Marvin Feldman vs. Mexico, ICSID Case No. ARB(AF) / 99 / 1, Award, 16. Dezember 2002 („Feldman vs. Mexico“), Abs. 152. 288  BG Group Plc. vs. The Republic of Argentina, UNCITRAL, Award, 24. Dezember 2007 („BG Group vs. Argentina“), Abs. 268; LG&E, supra Fn. 274, Abs. 191; CMS vs. Argentina, Fn. 266, Abs. 263 f.; Enron Corporation and Ponderosa Assets, L.P. vs. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB / 01 / 3, Award, 22. Mai 2007 („Enron vs. Argentina“), Abs. 245 f., die in Pope & Talbot für einen Kontrollverlust genannten Indikatoren, als „legal standard“ für die Bejahung einer indirekten Enteignung erachtend; siehe auch Philipp Morris vs. Uruguay, supra  Fn. 18, Abs. 286 sowie die Entscheidungen in nachfolgender Fußnote. 285  Pope  &  Talbot



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?103 „The Tribunal considers that at least one of the essential components of the property rights must have disappeared for an expropriation to have occurred. It emphasises that the overwhelming majority of investment arbitration cases stand for the proposition that an expropriation usually implies a ‚removal of the ability of an owner to make use of its economic rights.‘ It is generally accepted that the decisive element in an indirect expropriation is the ‚loss of control‘ of a foreign investment, in the absence of any physical taking.290 […] In the Tribunal’s view, a mere loss in value of the investment, even if important, is not an indirect expropriation. […] The Tribunal is, of course, aware of some cases or general dicta that might seem to support the idea that a substantial deprivation of the value of an investment can also be viewed as an expropriation. But a careful scrutiny of those cases, some of which were cited by the Claimant, does not support such a conclusion […].“291

Aus dieser Aussage dürfte indes nicht zu schließen sein, dass das Gericht damit ein besonders restriktives Verständnis im Vergleich zu jenen Entscheidungen artikulieren wollte, in welchen für eine substantial deprivation auf einen (zumindest nahezu) vollständigen Wertverlust abgestellt wurde.292 Das Gericht trat wohl vielmehr bloß einer Lesart dieser Entscheidungen entgegen, wonach auch allein aufgrund eines Wertverlusts oder vereitelter Gewinnerwartungen eine indirekte Enteignung angenommen werden könne, indem es beleuchtete, dass der Wertverlust in diesen Entscheidungen stets die Konsequenz des vollständigen Wegfalls der Nutzungsmöglichkeit der

289  Archer Daniels Midland Company vs. Mexico, supra Fn. 272, Abs. 244, 246: „As to the intensity of the measure, a first indication is whether the investor lost control of the investment […]. An alternative criterion regarding intensity is whether the host State measure affects most of the investment’s economic value or renders useless the most economically optimal use of it.“; Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 195, in dortiger Fn. 226; Sempra Energy vs. Argentina, siehe in supra Fn. 272; siehe auch UNCTAD, Expropriation, S. 67: „Loss of control is thus a factor that is alternative to destruction of value.“ 290  El Paso Energy International Company vs. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB / 03 / 15, Award, 31. Oktober 2011 („El Paso vs. Argentina“), Abs. 245. 291  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 249, siehe auch a. a. O., Abs. 255: „Regulations that reduce the profitability of an investment but do not shut it down completely and leave the investor in control will generally not qualify as indirect expropriations even though they might give rise to liability for violation of other standards of treatment, such as national treatment or fair and equitable treatment.“; den Wegfall der Nutzungsmöglichkeit setzte das Gericht dem Verlusts der Kontrolle gleich, siehe a. a. O., Abs.  250: „The loss of benefit is a result of the impossibility to use the investment  – equivalent to a loss of control over the investment  – and not an expropriation per se.“ 292  Vgl. aber Kriebaum, Expropriation, S. 988: „The Tribunal in El Paso went even further and considered loss of control rather than a mere loss of value as the decisive element for the existence of an expropriation.“ Wohl aber wie hier nur die Betonung des Unterschieds zu einem bloßen Wertverlust herausstellend.

104 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Investition war.293 Im Einklang mit diesen Entscheidungen verneinte das Gericht somit lediglich eine indirekte Enteignung aufgrund eines bloßen Wertverlusts, der nicht die Folge eines Verlusts der Kontrolle oder der Nutzungsmöglichkeit der Investition ist: „In conclusion, the Tribunal, consistently with mainstream case-law, finds that for an expropriation to exist, the investor should be substantially deprived not only of the benefits, but also of the use of his investment. A mere loss of value, which is not the result of an interference with the control or use of the investment, is not an indirect expropriation.“294

Um die Frage, welches Gewicht dem Kriterium eines Kontrollverlusts im Rahmen der Prüfung einer substantial deprivation beizumessen ist, ging es auch in Chemtura vs. Canada.295 Während die kanadische Regierung große Betonung auf die in Pope  &  Talbot formulierten Kriterien und den Verlust der Kontrolle legte, berief sich der Investor darauf, dass der Umfang der nach der staatlichen Maßnahme fortbestehenden Kontrolle über die Investition zwar ein Faktor sei, der berücksichtigt werden könne, jedoch weder ein ausschließliches noch ein notwendiges Kriterium für eine indirekte Enteignung.296 Das Gericht entschied, dass es sich bei den in Pope & Talbot aufgestellten Kriterien zwar um Leitkriterien handle, stellte im Übrigen aber hinsichtlich der Prüfung einer substantial deprivation fest: „This is a matter of degree and not one of specific conditions.“297 Gleichwohl aber ist insbe293  So El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 250 ff.: „The loss of benefit is a result of the impossibility to use the investment  – equivalent to a loss of control over the investment – and not an expropriation per se.“, so in Bezug auf Middle East Cement vs. Egypt, supra Fn. 280, Abs. 107 sowie die Entscheidungen Antoine Goetz et consorts vs. République du Burundi, ICSID Case No. ARB / 95 / 3, Award, 10. Februar 1999, Abs. 124, Tecmed vs. Mexico, supra Fn. 259, Abs. 115, R.F.C.C. vs. Morocco, supra Fn. 280, Abs. 68 f. und insbesondere auch Metalclad Corporation vs. The United Mexican States, ICSID Case No. ARB (AF) / 97 / 1, Award, 30. August 2000 („Metalclad vs. Mexico“), Abs. 103. 294  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 255 f.; nachfolgend bestätigt etwa in Mamidoil vs. Albania, supra Fn. 232, Abs. 572; siehe auch Pope & Talbot vs. Canada, Interim Award, supra Fn. 262, Abs. 102, wo das Gericht zwar auch auf einen Wertverlust einging, einen ausreichende Beeinträchtigung aufgrund eines Wertverlust jedoch praktisch erst im Fall eines Kontrollverlust annahm. 295  Chemtura vs. Canada, supra Fn. 271; siehe auch White Industries Australia Ltd. vs. The Republic of India, Final Award, 30. November 2011 („White Industries vs. India“), Abs. 12.3.4 f., hier machte Indien geltend, dass es im Rahmen der Prüfung einer substantial deprivation nicht auf den Wert der Investion ankomme, sondern allein auf eine Beeinträchtigung der Rechte des Investors in Bezug auf die Investition, während der Investor unter Verweis u. a. auf Metalclad vs. Mexico – so die Vermutung des Gerichts – darauf hinauswollte, dass es auf eine negative Beeinträchtigung des Werts der Investition ankomme (a. a. O., Abs. 12.3.4. in dortiger Fn. 83). 296  Chemtura vs. Canada, supra Fn. 271, Abs. 246.



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?105

sondere in neueren Entscheidungen der Trend zu beobachten, dass der Verlust der Kontrolle über die Investition gefordert wurde, so dass eine Entschädigungspflicht ausscheidet, wenn die Investition fortgeführt werden kann.298 Hiernach lässt sich festhalten, dass die Schiedspraxis hinsichtlich der für eine potentielle Enteignung notwendigen Eingriffsintensität insoweit ein geschlossenes Bild zeigt, dass eine sehr hohe Eingriffsschwelle angesetzt wird. Wie erklärt sich dann aber, dass der Schutz des Investors vor indirekten Enteignungen mitunter auch gerade deshalb hartnäckig als Gefahr für staatliche Regulierungsmaßnahmen im Gemeinwohlinteresse wahrgenommen wird, da – anders als im Fall einer direkten Enteignung – bereits ein bloßer Wertverlust der Investition und Gewinneinbußen zu einer Entschädigungspflicht führen könne? bb) Und immer wieder Metalclad Sucht man nach Gründen für die Wahrnehmung und Besorgnis, Investoren könnten bereits im Fall eines bloßen Wertverlusts und erlittener Gewinn­ einbußen Entschädigungen aufgrund einer indirekten Enteignung geltend 297  Chemtura vs. Canada, supra Fn. 271, Abs. 247. Hinsichtlich des Ausmaßes der Beeinträchtigung, welche für das Vorliegen einer substantial deprivation erreicht sein muss, betonte das Gericht, dass dies eine Frage des jeweiligen Einzelfalls sei, welcher die starre Benennung einer bestimmten Eingriffschwelle nicht gerecht werde (a. a. O., Abs. 249); siehe auch Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 118, die Heranziehung eines einzelnes Kriterium, wie dem der Kontrolle über die Investition, ablehnend, da hierdurch jene Fälle nicht erfasst werden, in welchen der Investor zwar die Kontrolle behält, die Investition aber lediglich als leere Hülle fortbesteht. 298  So auch Kriebaum, Expropriation, S. 992 f., unter Verweis auf zahlreiche weitere Entscheidungen: „There is an increasing trend also to require loss of control over the investment. Tribunals will in general not find that an expropriation has occurred if the investment has continued to perform its business activity.“; ein solcher Trend ist – neben den vorstehend genannten Entscheidungen zum Kontrollkriterium – etwa auch zu erblicken in Spiridon Roussalis vs. Romania, ICSID Case No. ARB / 06 / 1, Award, 7.  Dezember 2011, Abs. 354 f.: „Repondent’s behaviour did not deprive the investor from its right to use or enjoy its investment. The companies still function and Claimant continues to profit from their operations.“; Grand River vs. USA, supra Fn. 266, Abs. 155; AES Summit Generation Limited AES-Tisza Erömü Kft. vs. Republic of Hungary, ICSID Case No. ARB / 07 / 22, 23.  September 2010 („AES vs. Hungary“), Abs. 14.3.2 f., wobei das Gericht hier nach der Verneinung eines Kontrollverlusts des Investors auch einen ausreichenden Wertverlust der Investition verneinte; ebenso in Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 146 ff.; Azurix Corp. vs. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB / 01 / 12, Award, 14. Juli 2006 („Azurix vs. Argentina“), Abs. 322; LG&E, supra Fn. 274, Abs. 199.

106 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

machen, so trägt hierzu noch immer vor allem eine Entscheidung bei. Sie wird von Investoren und Interessengruppen – dem Anschein nach unbeeindruckt von der sonstigen Geschlossenheit der Schiedspraxis – innerhalb wie außerhalb des NAFTA, wieder und wieder angeführt wird, um das jeweilige Schiedsgericht von diesem Verständnis zu überzeugen299, bzw. der Öffentlichkeit vor Augen zu führen, dass die Gefahr einer ausufernden Investi­ tionsrechtsprechung für staatliche Gemeinwohlmaßnahmen real und belegbar ist.300 Die Rede ist von der bereits im Jahr 2000 ergangenen Entscheidung Metalclad vs. Mexico.301 Als erste – und einzige – NAFTA-Entscheidung, in welcher bislang eine indirekte Enteignung bejaht wurde, rief diese Entscheidung größte Befürchtungen hervor, hierdurch sei eine Art Präzedenzfall geschaffen worden, wonach Staaten fortan für Verluste und enttäuschte Gewinnerwartungen entschädigungspflichtig seien, die ausländische Investoren aufgrund legitimer Regulierungsmaßnahmen im Gemeinwohlinteresse erleiden.302 Die nähere Betrachtung zeigt indes, dass der in Metalclad vs. Mexico formulierte Enteignungsbegriff die Homogenität der Rechtsprechung hinsichtlich der klaren Ablehnung eines solch weiten Verständnisses nicht in Frage stellt. Vielmehr wird er heute allein durch die hartnäckige und kontinuierliche Erwähnung und Berufung auf diese Entscheidung in Investorenklagen und zur unermüdlichen Illustration der Risiken einer immer expansiveren Auslegung künstlich am Leben gehalten. Wenngleich unzählige Male besprochen, ist es hilfreich, sich den entscheidungserheblichen Sachverhalt und die wesentlichen Entscheidungsgründe zu vergegenwärtigen. Bereits sie widersprechen deutlich dem zu weiten Verständnis, welches durch den isolierten Verweis auf den in dieser Entscheidung formulierten Enteignungsbegriff vermittelt wird und lassen die Entscheidung jedenfalls weniger verstörend und alarmierend erscheinen, als eine verkürzte Zusammenfassung der Entscheidung als die erfolgreiche Klage in Millionenhöhe wegen der Untersagung einer Sondermülldeponie in einem Naturschutzgebiet.303 299  So z. B. in El Paso vs. Mexico, supra Fn. 290, Abs. 252; Chemtura vs. Canada, supra Fn. 271, Abs. 248; siehe auch White Industries vs. India, supra Fn. 295, Abs. 12.3.4, in dortiger Fn. 83. 300  Siehe z. B. van Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 18. 301  Siehe supra Fn. 293. 302  Siehe z. B. Sands, Lawless World, S. 136 ff.; Been / Beauvais, N.Y.U. Law Rev. 2003, S. 132 ff.; Public Citizen, NAFTA’s Threat to Sovereignty and Democracy, S.  27 ff. 303  Kingsnorth, A Journey to the Heart of the Global Resistance Movement, S. 15 etwa schrieb: „Metalclad, for example, successfully sued the Mexican government



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?107

Um eine Sondermülldeponie zu errichten und zu betreiben, erwarb das U.S.-Unternehmen Metalclad das mexikanische Unternehmen COTERIN, welchem die hierfür erforderlichen Genehmigungen durch den mexikanischen Staat und den Bundesstaat San Luis Potosí erteilt worden waren. Die erforderliche kommunale Genehmigung der Stadt Guadalcazar, in deren Nähe die Anlage errichtet werden sollte, lag hingegen nicht vor. Die Errichtung stieß auf massiven Widerstand der Bevölkerung. Gleichwohl begann Metalclad im Mai 1994 mit der Errichtung der Anlage, bis die Kommune im Oktober 1994 einen Baustopp verhängte. Ende 1994 nahm Metalclad die Errichtungsmaßnahmen wieder auf und beantragte die ausstehende kommunale Genehmigung. Dies – so der Klägervortrag –, obgleich Metalclad von den Bundesbehörden zugesichert worden sei, dass keine weitere Genehmigung erforderlich sei, eine solche lediglich im Sinne eines guten Verhältnisses zur Kommune beantragt werden sollte und es jedenfalls keine Hand­habe gebe, eine solche Genehmigung zu verweigern. Mexiko bestritt diese Aussagen. Ende 1995 wurde die kommunale Genehmigung verweigert und die Schließung der Anlage verfügt. Metalclads Bemühungen um eine Genehmigung blieben erfolglos. Als zwischenzeitlich entstandene Streitigkeiten mit dem Bundesstaat San Luis Potosí über den Betrieb der Anlage nicht auf dem Verhandlungswege ausgeräumt werden konnten, leitete Metalclad im Januar 1997 ein Verfahren unter NAFTA Chapter Eleven ein. Im September 1997 schließlich erklärte der Gouverneur des Bundestaats das Gebiet, auf dem sich die Anlage befand, zum Schutzgebiet für seltene Kakteenarten. Das Gericht bejahte eine indirekte Enteignung, wobei es wesentlich da­ rauf abstellte, dass Mexiko das Verhalten der Kommune und die Verweigerung der Genehmigung tolerierte, obwohl der Betrieb der Anlage bundesbehördlich genehmigt und Metalclad zugesichert worden war, dass keine weitere Genehmigung erforderlich sei.304 Zusätzlich erblickte das Gericht in dem ergangenen Dekret zur Errichtung des Schutzgebiets einen alternativen Grund für die Bejahung einer Enteignung.305 Besondere Beachtung fand diese Entscheidung dabei aufgrund einer sehr weiten Formulierung des Enteignungsbegriffs, welchen das Gericht seiner Begründung im berüchtigten und meistzitierten Abs. 103 der Entscheidung voranstellte: „Thus, expropriation under NAFTA includes not only open, deliberate and acknowledged takings of property, such as outright seizure or formal or obligatory transfer of title in favour of the host State, but also covert or incidental interference with the use of property which has the effect of depriving the owner, in whole for almost $ 17 million when it was prevented from siting a toxic waste dump in an ecological reserve.“ 304  Metalclad vs. Mexico, supra Fn. 293, Abs. 107. 305  Metalclad vs. Mexico, supra Fn. 293, Abs. 109, 111.

108 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs or in significant part, of the use or reasonably-to-be-expected economic benefit of property even if not necessarily to the obvious benefit of the host State.“306

Durch den Verweis auf die legitimen Erwartungen des Investors sowie das Abstellen auf die Entziehung von „significant parts of the use or reasonably-to-be-expected economic benefit of property“ führte dies zu dem weitverbreiteten Verständnis, wonach – im Vergleich zu einer direkten Enteignung sowie gegenüber dem sonstigen Kriterium des Verlusts der Kon­ trolle oder des wirtschaftlichen Nutzens – eine niedrigere Eingriffsschwelle formuliert werden sollte, nach welcher bereits ein bloßer Wertverlust oder verminderte Gewinne für die Bejahung einer indirekten Enteignung ausreichten.307 In der Tat ließe die sehr weite Definition des Enteignungsbegriffs – welcher nicht der Überprüfung durch den Supreme Court of British Columbia unterlag308 – ein solches Verständnis zu, weshalb die Metalclad-Entscheidung fortan für eine vollständige Darstellung der in der Schiedspraxis vertretenen Ansichten zur erforderlichen Eingriffsintensität als Extremposition 306  Metalclad

vs. Mexico, supra Fn. 293, Abs. 103. z. B. auch das Verständnis des überprüfenden Supreme Court, The United Mexican States vs. Metalclad Corporation, Supreme Court of British Columbia, BCSC 664, L002904, 2. Mai 2001 („Supreme Court of British Columbia, Metalclad vs. Mexico Review“), Abs. 99: „The Tribunal gave an extremely broad definition of expropriation for the purposes of Article 1110. In addition to the more conventional notion of expropriation involving a taking of property, the Tribunal held that expropriation under the NAFTA includes covert or incidental interference with the use of property which has the effect of depriving the owner, in whole or in significant part, of the use or reasonably-to-be-expected economic benefit of property. This is sufficiently broad to include a legitimate rezoning of property by a municipality or other zoning authority.“; Subedi, IIL, S. 131 f.; siehe auch Paulsson / Douglas, Ind. Expr. in Investm. Treaty Arb., S. 149: „Most commentators have interpreted the Tribunals words as an endorsement of a ‚mere diminution of value‘ test for expropriation“, selbst indes für ein restriktiveres Verständnis dieser Passage argumentie­ rend; Stern, Frontiers of Indirect Expropriation, S. 39; Siwy, Indirect Expropriation and Legitimate Expectations, S. 359: „This must be interpreted as advocacy for a lowering of the intensity with which the regulation must affect the investment.“ 308  Supreme Court of British Columbia, Metalclad vs. Mexico Review, supra Fn. 307, Abs. 99, siehe auch a. a. O., Abs. 39 ff. sowie supra Fn. 307. Der Supreme Court hob die Entscheidung bezüglich einer indirekten Enteignung nur insoweit auf, als diese in dem staatlichen Verhalten vor Erlass des Ecological Decree gesehen wurde, da die Entscheidung nach Ansicht des Gerichts entscheidend auf einen zuvor festgestellten Verstoß gegen den FET-Standard gestützt worden war, der seinerseits mit intransparentem Verhalten begründet wurde, wodurch das Schiedsgericht jedoch außerhalb seiner Zuständigkeit handelte (a. a. O., Abs. 77 ff.). Dem Einwand Mexikos, dass die Ausführungen zur alternativen Bejahung einer Enteignung durch den Ecological Decree lediglich obiter erfolgten entgegnete das Gericht, dass dies nicht ausschließe, dass die obiter dicta zur ratio decidendi würden, wenn die erste bejahte Enteignung entfällt (a. a. O., Abs. 84). 307  So



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?109

nicht fehlen durfte.309 Zugleich sprechen gute Gründe gegen ein Verständnis, wonach das Gericht eine solch niedrige Eingriffsschwelle überhaupt formulieren wollte. Paulsson und Douglas etwa vermuteten, dass das Gericht seinen Lesern möglicherweise schlicht zuviel abverlangte, indem es sauber zwischen einem taking und einer entschädigungspflichtigen expropriation trennte und lediglich einen Schritt in einer zweistufigen Prüfung für das Vorliegen einer entschädigungspflichtigen Enteignung übersprang.310 Obgleich der Begriff des taking zweideutig auch auf die rechtliche Ebene verweise und synonym zur expropriation verwendet werde, bezeichne er eben auch die erste Prüfungsebene dieser zweistufigen Prüfungsreihenfolge, welche häufig nicht beachtet werde.311 In diesem ersten Schritt sei zu betrachten, inwieweit die Investition durch eine dem Staat zurechenbare Maßnahme beeinträchtigt wurde (taking). Erst anschließend sei zu fragen, ob das taking auch die nach der konkreten Enteignungsbestimmung erforderliche Intensität erreicht und daher zu einer Entschädigungspflicht führt.312 Nicht jedes taking sei also auch eine entschädigungspflichtige expropriation.313 Wie die Verwendung des Wortes includes in der zitierten Passage der Entscheidung vermuten lasse, habe das Gericht möglicherweise gar nicht definieren wollen, wann eine entschädigungspflichtige Enteignung i. S. v. Art. 1110 NAFTA vorliegt, sondern lediglich auflisten wollen, welche Arten von takings vom Enteignungsbegriff potentiell umfasst sind, vorbehaltlich des zweiten Prüfungsschritts, ob damit auch die für eine Entschädigungspflicht erforderliche Eingriffsintensität erreicht ist.314 Folglich habe das Gericht möglicherweise gar nicht sagen wollen, dass auch ein bloßer Wertverlust infolge einer staatlichen Maßnahme eine entschädigungspflichtige Verletzung von Art. 1110 NAFTA darstellt.315 309  Siehe etwa Stern, Frontiers of Indirect Expropriation, S. 38  f., allein unter Verweis auf das weite Verständnis der Enteigungsdefiniton in Metalclad für die erforderliche Eingriffsintensität zwei Ansichten gegenüberstellend. 310  Paulsson / Douglas, Ind. Expr. in Investm. Treaty Arb., S. 150: „It may well be that the Tribunal assumed too much of readers, and skipped a step in the expectation that it was implicit.“ 311  Paulsson / Douglas, Ind. Expr. in Investm. Treaty Arb., S. 148: „It is possible that the ‚taking‘ terminology for the first stage of the expropriation analysis is partly to blame for this confusion, because, as one commentator has put it, there is a ‚simultaneous and therefore ambiguous reference to both fact and legal consequence‘ “, unter Verweis auf Weston, 16 VA. J. Int. Law 1975, S. 112. 312  Paulsson / Douglas, Ind. Expr. in Investm. Treaty Arb., S. 148, 150, unter Verweis auf die saubere Trennung in Pope & Talbot. 313  Paulsson / Douglas, Ind. Expr. in Investm. Treaty Arb., S. 148. 314  Paulsson / Douglas, Ind. Expr. in Investm. Treaty Arb., S. 149. 315  Ibid.

110 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Letztlich lässt sich keine abschließende Aussage über das tatsächliche Verständnis des Gerichts treffen316 und man kann meines Erachtens darüber streiten, ob die mögliche Interpretation der Urteilspassage von Paulsson und Douglas angesichts der klaren Aussagen des Gerichts wirklich zu überzeugen vermag. Eindeutig steht hingegen fest, dass das Gericht – so es denn tatsächlich eine niedrigere Eingriffsschwelle formulierte – jedenfalls selbst nicht auf diese zurückgreifen musste. Mitnichten bejahte es eine indirekte Enteignung allein aufgrund eines bloßen Wertverlusts, sondern es stellte in Bezug auf das erlassene Dekret zur Errichtung des Naturschutzgebiets klar: „This decree had the effect of barring forever the operation of the landfill“317, „Metalclad has completely lost its investment.“318 Der Bejahung einer indirekten Entscheidung in Metaclad vs. Mexico lag also ein Sachverhalt zu Grunde lag, nach welchem auch im Fall des Abstellens auf das Kriterium des Kontrollverlusts des Investors oder des vollständigen Wertverlusts der Investition eine indirekte Enteignung zu bejahen gewesen wäre.319 Wenn gleichwohl die weite Enteignungsdefinition fortan – innerhalb wie außerhalb des NAFTA – isoliert vom Sachverhalt, als Beleg für eine niedrigere Eingriffsschwelle angeführt wurde, welche bereits bei einem bloßen Wertverlust erreicht wird, so führte dies in nachfolgenden Entscheidungen jedoch nicht zu den befürchteten Folgen eines ausgeweiteten Investorenschutzes zu Lasten staatlicher Regulierungsinteressen. Statt isoliert und abstrakt auf die weite Enteignungsdefinition in Metalclad abzustellen, haben nachfolgende Schiedsgerichte regelmäßig auf den zugrundeliegenden Sachverhalt und die vollständige Entziehung der Nutzungsmöglichkeit verwiesen, um in Ermangelung vergleichbarer Umstände eine indirekte Enteignung zu verneinen. So betonte etwas das Gericht in El Paso vs. Mexico ausdrücklich, dass die Metalclad-Entscheidung zwar häufig bemüht werde, um eine Enteignung aufgrund eines bloßen Wertverlusts geltend zu machen, doch würde die dortige weite Enteignungsdefinition falsch verstanden, zöge man sie verkürzt und isoliert von dem Umstand heran, dass es in diesem Fall zu einer vollständigen Neutralisierung der Investition gekommen war.320 Ähnauch Paulsson / Douglas, Ind. Expr. in Investm. Treaty Arb., S. 149. vs. Mexico, supra Fn. 293, Abs. 109. 318  Metalclad vs. Mexico, supra Fn. 293, Abs. 109, 113, so verbot insbesondere Art. 14 des Dekrets jegliches Verhalten, welches zu einer Aufschüttung oder Ablagerung verunreinigender Stoffe führt sowie jegliche potentiell bodenverunreinigende Aktivität. 319  Ratner, 102 Am. J. Int. Law 2008, S. 513; Paulsson / Douglas, Ind. Expr. in Investm. Treaty Arb., S. 149; siehe auch Mann, IISD Issues Int. Invest. Law 2007, S. 5. 320  El Paso vs. Mexico, supra Fn. 290, Abs. 252, siehe auch schon in Fn. 293. 316  So

317  Metalclad



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?111

liche Ausführungen finden sich in weiteren Entscheidungen.321 Doch auch dann, wenn der Enteignungsdefinition ein besonders weites Verständnis beigemessen wurde, ist diesem jedenfalls keines der nachfolgenden Schiedsgerichte gefolgt.322 Bereits in Feldman vs. Mexico ist eine bewusste Zurückweisung eines weiten Metalclad-Verständnisses zu erblicken.323 Neben der Verneinung einer indirekten Enteignung aufgrund der fortbestehenden Kontrolle des Investors, der Möglichkeit das Unternehmen mit dem Export sonstiger Produkte fortzuführen sowie dem Fehlen verbindlicher und unzweifelhafter Zusicherungen des Staats324, zeigt sich dies vor allem auch darin, mit welchem Nachdruck das Gericht das notwendige Recht der Staaten betonte, entschädigungslos regulierend tätig zu werden. Während der berüchtigte Abs. 103 in Metalclad zum Inbegriff der Bedrohung von Regulierungsinteressen avancierte, stellte das Gericht in Feldman vs. Mexico in seinem Abs. 103 klar: „[G]overnments must be free to act in the broader public interest through protection of the environment, new or modified tax regimes, the granting or withdrawal of government subsidies, reductions or increases in tariff levels, imposition of zoning restrictions and the like. Reasonable governmental regulation of this type cannot be achieved if any business that is adversely affected may seek compensation, and it is safe to say that customary international law recognizes this […].“325

Auch Fireman’s Fund vs. Mexico illustriert, dass ein weites Verständnis eines Metaclad-Standard keine Gefolgschaft fand. Nach der Feststellung, dass in vorangegangenen Entscheidungen zum Teil unterschiedliche Enteignungsdefinitionen verwendet wurden, listete das Gericht die herangezogenen 321  Siehe z. B. EnCana Corporation vs. Republic of Ecuador, Award, LCIA Case No. UN3481, 3. Februar 2006, Abs. 177: „It is true that the width of this dictum has been criticised, but it must be read in the context of that case as found by the tribunal.“ (Fußnote entfernt); Occidential Exploration and Production Company vs. The Republic of Ecuador, LCIA Case No. UN 3467, Final Award, 1. Juli 2004 („Occi­dental vs. Ecuador“), Abs. 88. 322  Die Aussage von Ratner, 102 Am. J. Int. Law 2008, 512: „Metalclad remains the outlier in its test for an indirect expropriation […]. No subsequent panel has adopted its standard“, trifft weiter zu; Bernal-Corredor, 15 Revista Colombiana de Derecho Internacional 2009, S. 288, 310. 323  So auch Bernal-Corredor, 15 Revista Colombiana de Derecho Internacional 2009, S. 304: „All in all, the Tribunal rejected all arguments presented by the Claimant coming from the Tribunal in the Metalclad case. […][T]he Tribunal rejected not only what the British Columbia Supreme Court set aside, but it also rejected the philosophy behind the Metalclad Tribunal award. […]. [T]he Tribunal in this case intended to limit the definition of indirect expropriation and thereby the potential influence of foreign investors over domestic regulation.“; siehe auch Ratner, 102 Am. J. Int. Law 2008, S. 512. 324  Feldman vs. Mexico, supra Fn. 287, Abs. 148, 152. 325  Feldman vs. Mexico, supra Fn. 287, Abs. 103.

112 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Kriterien für die Bejahung einer indirekten Enteignung auf. Ein weitverstandener Metalclad-Standard findet in dieser Auflistung keine Erwähnung.326 Stattdessen verwies das Gericht lediglich auf die verbreiteten Bedenken, wonach der in Metalclad formulierte Standard zu weitgehend sei.327 In Corn Products vs. Mexico ließ das Gericht zwar offen, ob der Metalclad-Standard zu weit ist, erteilte aber jenem Verständnis, wonach auch staatliche Maßnahmen eine Enteignung darstellen, die sich nachteilig auf den Markt des Investors auswirken, ohne jedoch zu einer Vernichtung des Unternehmens zu führen, eine deutliche Absage.328 Auch in Chemtura vs. Canada betonte das Gericht die extreme Weite der Enteignungsdefinition in Metalclad vs. Mexico und die hierdurch ausgelöste Kontroverse, ging ansonsten jedoch nicht weiter auf das Argument des Investors ein, wonach für eine substantial deprivation eine geringere Beeinträchtigung im Sinne eines weiten Metalclad-Standard genüge.329 Die durch die Metalclad-Entscheidung ausgelöste Kontroverse bezüglich der erforderlichen Eingriffsintensität müsse nicht entschieden werden, da ohnehin nicht anhand einer starren Regel, sondern nur anhand der Umstände des Einzelfalls ermittelt werden könne, ob eine wesentliche Entziehung vorliegt.330 Die Verneinung einer indirekten Enteignung stützte das Gericht auf die geringe Beeinträchtigung im Vergleich zur Gesamtinvestition sowie auf die fortbestehende Kontrolle über ein weiterhin agierendes Unternehmen.331

326  Fireman’s Fund vs. Mexico, supra Fn. 248, Abs. 176 f., vielmehr verwies das Gericht auf das Erfordernis einer „substantially complete deprivation“ (a. a. O., Abs. 176c)); hierauf hinweisend auch Bernal-Corredor, 15 Revista Colombiana de Derecho Internacional 2009, S. 307 f. 327  Fireman’s Fund vs. Mexico, Abs. 177: „In retaining the above elements the tribunal notes the doubts expressed concerning the definition of expropriation given by the Metalclad tribunal as being too broad.“ Weiter betonte das Gericht, das jedenfalls selbst die Heranziehung des Metalclad-Standards zu keinem anderen Ergebnis geführt hätte (ibid.). 328  Corn Products vs. Mexico, supra Fn. 277, Abs. 93: „Government measures which have a detrimental effect on an investor’s markets, even if they are discriminatory […] are not expropriatory unless they have the effect of destroying the business in question. Whether or not one considers the standard laid down in Metalclad to be too broad, the fact is that what happened in the present case would not meet that standard.“ 329  Chemtura vs. Canada, supra Fn. 271, Abs. 248 f. 330  Chemtura vs. Canada, supra Fn. 271, Abs. 249, siehe auch bereits bei supra Fn. 297. 331  Chemtura vs. Canada, supra Fn. 271, Abs. 263 f.



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?113

cc) Fazit Trotz der terminologischen Vielfalt der Beschreibungen der erforderlichen Eingriffsschwelle und insbesondere der häufigen Heranziehung des unbestimmten Begriffs einer substantial deprivation, besteht heute Konsens, dass eine indirekte Enteignung eine Eingriffsintensität voraussetzt, die in ihren Auswirkungen jenen einer direkten Enteignung zumindest nahezu gleichkommt, indem die Investition ihren wirtschaftlichen Nutzen vollständig oder jedenfalls nahezu vollständig verliert oder – wie insbesondere auch in neueren Entscheidungen zunehmend betont – der Investor nicht länger die Kontrolle über die eine fortgeführte Investition ausüben kann.332 Auch durch die Entscheidung in Metalclad vs. Mexico wird die sonstige Geschlossenheit der Investitionsrechtsprechung hinsichtlich der geforderten Eingriffsintensität nicht beeinträchtigt.333 Zu Recht wurde eine solch weit verstandene Enteignungsdefinition als ein Damoklesschwert beschrieben, welches nur in akademischen Artikel fortbesteht.334 Mehr noch: Statt zu einer befürchteten Entschädigungspflicht der Staaten für die infolge legiti332  Kriebaum, Expropriation, S. 992: „unanimity in academic writings and case law.“; ob eine (nahezu) vollständige Entziehung von Eigentumsrechten vorliegt, kann dabei entscheidend davon abhängen, ob für ihr Vorliegen stets auf die Investition als Ganzes abgestellt wird oder aber sie sich auch nur auf einen Teil der Teil der Gesamtinvestition beziehen kann, welcher für sich eine eigenständige Investition im Sinne des Abkommens darstellt. Eine solche Partial Expropriation wurde in einigen Entscheidungen explizit oder implizit anerkannt, so z. B. obiter in S.D. Myers vs. Canada, supra Fn. 266, Abs. 283, in Waste Management vs. Mexico, supra Fn. 277, Abs. 141. Insbesondere in einigen neueren Entscheidungen wurde hingegen auf die Gesamtinvestition abgestellt, so z. B. ausdrücklich in Electrabel vs. Hungary, supra Fn. 267, Abs. 6.57 f.: „[I]t is clear that both in applying the wording of Article 13(1) ECT and under international law, the test for expropriation is applied to the relevant investment as a whole, even if different parts may separately qualify as investments for jurisdictional purposes.“ Insbesondere wurde eine indirekte Enteignung zunehmend aufgrund einer fortbestehenden Kontrolle über das Gesamtunternehmen verneint, siehe bereits bei Fn. 298; für eine vertiefte Betrachtung der Rechtsprechung zur Partial Expropriation, siehe Kriebaum, 8 J. World Invest. Trade 2007, S. 83., die vorschlägt, die Anerkennung einer Partial Expropriation von den drei Kriterien der Aufteilbarkeit der Gesamtinvestition in eigenständige Rechte, ihrer Qualifikation als Investition i. S. d. jeweiligen Abkommens und von der Möglichkeit einer von der übrigen Investition wirtschaftlich unabhängigen Nutzung abhängig zu machen. 333  So u. a. auch Brower / Schill, 9 Chicago Journal of International Law, 2009, S.  486 f. 334  So Bernal-Corredor, 15 Revista Colombiana de Derecho Internacional 2009, S. 279, 310: „[C]ontrary to what many environmentalists have written, Metalclad’s definition of expropriation is currently a damocles sword that lives only in their academic articles.“

114 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

mer Gemeinwohlmaßnahmen erlittenen Nachteile der Investoren zu führen, bewirkte die Metalclad-Entscheidung vielmehr das Gegenteil: Die durch sie hervorgerufenen Befürchtungen und Kontroversen vergrößerten den Widerspruch und stärkten auch in der Investitionsrechtsprechung das Bewusstsein, dass das staatliche right to regulate nicht durch zu weitgehende Investorenrechte in Frage gestellt werden darf.335 Befürchtungen, wonach bereits ein bloßer Wertverlust und eine Verminderung der Rentabilität infolge einer legitimen Regulierungsmaßnahme zur Bejahung einer indirekten Enteignung führen könnten, sind hiernach unbegründet. Nur in wenigen Ausnahmefällen wird durch legitime Regulierungsmaßnahmen überhaupt die hohe Hürde der erforderlichen Eingriffsintensität erreicht und somit erst die im Folgenden zu erörternde Frage aufgeworfen, inwieweit gleichwohl aufgrund der Berücksichtigung des mit der Regulierungsmaßnahme verfolgten Gemeinwohlzwecks eine entschädigungspflich­ tige Enteignung verneint werden sollte.336 b) Korrektur einer potentiellen Enteignung durch die Berücksichtigung des Gemeinwohlziels? Sollte das Ergebnis einer den Auswirkungen nach vorliegenden entschädigungspflichtigen indirekten Enteignung durch die Berücksichtigung des verfolgten Gemeinwohlziels korrigiert werden? Während Einigkeit besteht, dass eine indirekte Enteignung keine Enteignungsabsicht erfordert337, stehen sich in dieser Frage zwei Ansichten gegenüber. Eine dritte Ansicht vermittelt zwischen beiden Extremen.338 So ist 335  In diesem Sinne auch Subedi, IIL, S. 161: „Has served as an alarm to international arbitrators and regulation agencies regarding the sovereignity of regulation and public policies.“; auch das Vordringen der police powers doctrine wird man wohl gerade auch als Reaktion auf die Metalclad-Entscheidung ansehen können; in diesem Sinne auch Rensmann, Völkerrechtlicher Enteignungsschutz, S. 45; siehe hierzu unter B.I.2.b). 336  So auch Moloo / Jacinto, Berkeley 29 J. Int. Law 2011, S. 24, wonach diese hohe Eingriffintensität durch generelle Regulierungsmaßnahmen kaum erreicht werden dürfte, sondern nur in Fällen, in denen die Maßnahme auf eine individuelle Investition gerichtet ist; Mostafa, 15 Australian Int. Law J. 2008, S. 288, 291, in Bezug einen befürworteten „sole effect“ Ansatz: „[I]t takes truly exceptional regulation to constitute an indirect expropriation under this approach. […] As such, most governmental regulations simply do not come close to being expropriatory.“ (a. a. O., S. 295); in diesem Sinne auch Kriebaum, Expropriation, S. 1000; Newcombe / Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, S. 357; Ratner, 102 Am. J. Int. Law 2008, S. 483. 337  Siehe auch bereits supra Fn. 257. 338  Nach einem weiteren Ansatz, den Kriebaum, Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 34 ff., vorschlägt, soll der verfolgte Gemeinwohlzweck –



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?115

nach der sole effects doctrine für das Vorliegen einer indirekten Enteignung allein auf die beeinträchtigenden Auswirkungen der Maßnahme abzustellen. Dem stehen jene Stimmen gegenüber, wonach der verfolgte legitime Gemeinwohlzweck zu berücksichtigen ist und zur Verneinung einer entschädigungspflichtigen indirekten Enteignung führen kann.339 Nach dem eigent­ lichen Verständnis dieser police powers doctrine ist dabei – als Antithese zur sole effects doctrine – allein auf den verfolgten Gemeinwohlzweck abzustellen sein, weshalb es auch als sole purpose approach340 oder auch als „radikale“ police powers doctrine341 bezeichnet wird, um es von einer vermittelnden Position zu unterscheiden, die als „gemäßigte“ police powers doctrine bezeichnet werden soll.342 Nach dieser ist das verfolgte Gemeinwohlziel neben den Auswirkungen der Maßnahme auf die Investition zu berücksichtigen. Die Bejahung oder Verneinung einer Entschädigungspflicht kann somit entscheidend davon abhängen, welchem dieser Ansätze das jeweilige Schiedsgericht in seiner Entscheidung folgt. Einzelne Staaten haben in neueren Abkommen mit einer entsprechenden Ausgestaltung des Enteignungsstandards eine Entscheidung in dieser Kon­ wie nach der klassischen Enteignungsprüfung – erst im Rahmen einer Rechtmäßigkeitsprüfung Berücksichtigung finden und über die Entschädigungshöhe einen ­Ausweg vom bisherigen Alles oder Nichts-Konzept zwischen Regulierung und Ent­ eignung bieten. 339  Dem wohl vorherrschenden Verständnis, welches sich auch in der Investi­ tionsrechtsprechung und den neueren vertraglichen Gestaltungsbemühungen zeigt, entspricht es dabei, dass eine Maßnahme in Ausübung der police powers zur Verneinung einer indirekten Enteignung führt und nicht lediglich eine Ausnahme der Entschädigungspflichtigkeit der Enteignung begründet, siehe Viñuales, Foreign Investment and the Environment in Int. Law, S. 125; Asteriti, Environmental Lan­guage in Investment Treaties, S. 142 f.; siehe schon Christie, What Constitutes a Taking of Property, S. 331 f.; Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 262; siehe demgegenüber z. B. Gudofsky, 21 Nw. J. Int. Law Bus., S. 287, 289; Mostafa, 15 Aus­ tralian Int. Law J. 2008, S. 273 erachtet diese Frage als letztlich akademisch; siehe demgegenüber Mann, IISD Issues Int. Invest. Law 2007, S. 6, auf die Relevanz hinsichtlich der Beweislast hinweisend: „In strict legal terms, the police powers rule is a ‚carve out‘ from the definition or scope of expropriation. It is not about an expropriation that is non-compensable. Rather, it addresses a measure that is not compensable because it is not an expropriation. The distinction is not just esoteric, but impacts significantly on the burden of proof and other factors in arbitrations around this issue.“ 340  Siwy, Indirect Expropriation and Legitimate Expectations, S. 355, 363. 341  Kriebaum, Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 31; siehe Mostafa, 15 Australian Int. Law J. 2008, S. 273, darauf hinweisend, dass allein diese „radikale“ Verständnis dem eigentlichen Verständnis der police powers doctrine entspricht. 342  So die von Kriebaum, Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 32, gewählte Bezeichnung.

116 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

troverse getroffen.343 Findet sich – wie noch im klaren Regelfall – keine vergleichbare Bestimmung, liegt die Entscheidung, das verfolgte Gemeinwohlziel zu berücksichtigen, allein im Ermessen des Gerichts.344 Hiernach, so die Kritik, hänge es allein von der subjektiven Auffassung der jewei­ ligen Schiedsrichter ab, ob und inwieweit sie gewillt sind, staatlichen Regulierungsinteressen durch eine Berücksichtigung des verfolgten Gemeinwohlziels Rechnung zu tragen, was ihre Entscheidung unvorhersehbar mache. Neben einer näheren Betrachtung der verschiedenen Ansätze soll daher betrachtet werden, inwieweit der Widerspruch in Sorge um die staatliche Regulierungsfreiheit auch hier ihren Niederschlag in der Entwicklung der Schiedspraxis gefunden hat und heute absehbar ist, welchem Ansatz ein Schiedsgericht folgen würde, wenn der Vertragstext – wie bisher noch im klaren Regelfall – keine Vorgabe macht. aa) Sole effects doctrine Indem die sole effects doctrine allein auf die Auswirkungen der staat­ lichen Maßnahme abstellt, ist die Prüfung mit der Feststellung einer ausreichenden Eingriffsintensität und -dauer beendet. Die potentielle Enteignung ist zugleich eine endgültige entschädigungspflichtige Enteignung. Eine Korrektur dieses Ergebnisses findet nicht statt. Dies beruht auf dem grundlegenden Verständnis der direkten und der indirekten Form der Enteignung als einem einheitlichen Rechtsinstitut, welches zugleich das Hauptargument gegen die police powers doctrine liefert.345 Denn wenn die Verfolgung eines öffentlichen Interesses Voraussetzung der Rechtmäßigkeit einer Enteignung ist, wie kann dann dieses Kriterium zugleich zur Verneinung einer indirek343  Siehe, wie erstmals bereits im Musterabkommen aus 2004, US-Model BIT (2012), Annex B Abs. 4 (a) (i). 344  Siehe Mr. Patrick Mitchell vs. The Democratic Republic of Congo, ICSID Case No. ARB / 99 / 7, Decision on the Application on Annulment of the Award, 1. November 2006, Abs. 53 f., wo im Hinblick darauf, dass das Schiedsgericht nur die Auswirkungen der Maßnahme berücksichtigt hatte, lediglich festgestellt wurde: „This appears to be a practice of arbitrators  – at present a majority of them  – in international investment disputes when they are assessing the tantamount character. […] In any event, regardless of the various positions adopted in legal doctrine and case law on the question of determining whether the effect should be the sole and unique criterion to be used in assessing an indirect expropriation or a measure tantamount to expropriation, or whether the purpose sought by the State is also to be taken into account, it cannot but be found in the case at hand that the Arbitral Tribunal, in apparently opting for the ‚sole effect‘ doctrine, was merely exercising its freedom of judgment.“; so auch Titi, Right to Regulate, S. 287. 345  Vgl. Mostafa, 15 Australian Int. Law J. 2008, S. 282.



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?117

ten Enteignung führen?346 Folglich spielt das mit der Maßnahme verfolgte öffentliche Interesse nach diesem Ansatz – wie bei einer direkten Enteignung – keine Rolle für das Vorliegen einer indirekten Enteignung, sondern allein für die Frage ihrer Rechtmäßigkeit. Infolgedessen wird die sole effects doctrine als der investorenfreundlichere Ansatz erachtet. Für die Überlegung, in welchem Ansatz man letztlich einen angemessen Ausgleich erblicken mag, sei klarstellend betont, dass die Gegenüberstellung von sole effects doctrine und police powers doctrine nicht zu der Vorstellung führen darf, mit ersterer würde dem Staat das Recht abgesprochen, entschädigungslos regulierend tätig zu werden. Vielmehr werden von diesem Recht eben nur Maßnahmen als umfasst angesehen, die in ihren Auswirkungen unter der für eine indirekte Enteignung erforderlichen Eingriffsintensität bleiben.347 Eine generelle Ausnahme nichtdiskriminierender Regulierung im Gemeinwohlinteresse vom Enteignungsschutz, ungeachtet ihrer Auswirkungen, wird hingegen unter Verweis auf die hierdurch entstehenden empfindlichen Schutzlücken abgelehnt.348 Betrachtet man die Schiedspraxis, so finden sich zahlreiche Entscheidungen, die der sole effects doctrine zugeordnet werden können. So wird etwa 346  Siehe etwa Azurix vs. Argentina, supra Fn. 298, Abs. 310, unter Verweis auf die vielzierten Bedenken von Judge Higgins, The Taking of Property by the State: Recent Developments in International Law“, Recueil des Cours, Vol. 176 (1982), S. 331, die fragte: „Is this distinction intellectually viable? Is not the State in both cases (that is, either by a taking for a public purpose, or by regulating) purporting to act in the common good? And in each case has the owner of the property not suffered loss? Under international law standards, a regulation that amounted (by virtue of its scope and effect) to a taking, would need to be ‚for a public purpose‘ (in the sense of in the general, rather than for a private, interest). And just compensation would be due. At the same time, interferences with property for economic and financial regulatory purposes are tolerated to a significant degree.“; siehe auch Vivendi vs. Argentina, supra Fn. 274, Rn. 7.5.21, zitiert bei infra Fn. 358.  347  Vgl. Fortier / Drymer, 19 ICSID Review 2004, S. 308 f.: „The ‚exception‘ for police power regulation is understood as follows: general measures taken in the exercise of a State’s police powers consist precisely, and exclusively, in measures that do not unduly deprive a foreign investor of his economic interest in the investment. […] Proponents of the sole effect doctrine acknowledge that, in practice, not all regulatory interferences amount to expropriation, but this is due to their effects and not their purposes.“; dies betonend auch Mostafa, 15 Australian Int. Law J. 2008, S. 279, 295. 348  Siehe z. B. Pope & Talbot, Interim Award, supra Fn. 262, Abs. 99: „While the exercise of police powers must be analyzed with special care, the Tribunal believes that Canada’s formulation goes too far. Regulations can indeed be exercised in a way that would constitute creeping expropriation. […] Indeed, much creeping expropriation could be conducted by regulation and a blanket exception for regulatory measures would create a gaping loophole in international protection against expropriation.“

118 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

regelmäßig auf die Urteile des Iran-US Claims Tribunal in Starret Housing oder Tippets verwiesen, indem hier auf die Auswirkung der Maßnahme abgestellt wurde.349 Oder auch auf Phelps Dodge, wo zwar Verständnis für die Motivation geäußert wurde, durch die Übertragung der Geschäftsführung einer Gesellschaft und ihrer Fabrik auf zwei staatliche Gesellschaften die Schließung der Fabrik zu vermeiden und unter anderem die Zahlung von Löhnen sicherzustellen, dies aber keine Rolle für die Entschädigungspflicht spielte.350 Im NAFTA-Kontext ist in Pope & Talbot vs. Canada eine Befürwortung der sole effects doctrine zu sehen, stellte doch das Schiedsgericht für die Frage einer Enteignung allein darauf ab, ob die Beeinträchtigung ausreichend intensiv war.351 Ein eindeutiges Beispiel für die sole effects doctrine wird auch in Metalclad vs. Mexico gesehen, indem das Gericht klarstellte, dass der Umstand, dass das erlassene Dekret Umweltschutzbelangen diente, nicht zu berücksichtigen sei.352 Die Entscheidung in Merrill & Ring vs. Canada verdeutlicht schließlich, dass sich durchaus auch jüngere Beispiele finden lassen, in welchen darauf abgestellt wurde, dass ein Recht zur entschädigungslosen Regulierung nur insoweit besteht, als die Schwelle einer substantial deprivation nicht erreicht wird.353 Betrachtet man auf Grundlage von BITs entschiedene Fälle, finden sich auch hier Aussagen, aufgrund derer die Entscheidungen der sole effects 349  Starret Housing vs. Iran, supra Fn. 240, S. 53; Tippets, Mc Carthy, Straton vs. TAMS-AFFA, 22. Juni 1984, 219, 225 f., wobei das Gericht allerdings nicht feststellte, dass der verfolgte Zweck gar keine Rolle spielt, sondern feststellte: „The intent of the government is less important than the effects of the measure on the owner.“; diese Entscheidungen führt etwa auch Mostafa, 15 Australian Int. Law J. 2008, S. 280 für die sole effect doctrine an, siehe auch a. a. O., S. 282 ff., wonach auch weitere Entscheidungen des IUSCT, die auf eine unreasonable interference with property rights abstellten, nicht im Sinne einer Abwägung zwischen den Auswirkungen und dem verfolgten Zweck zu lesen seien und daher ebenfalls im Einklang mit der sole effects doctrine stünden. 350  Phelps Dodge Corp. and Overseas Private Investment Corp. vs. The Islamic Republic of Iran, Award, 19. März 1986, Abs. 130: „The Tribunal fully understands the reasons why the Respondent felt compelled to protect its interests through this transfer of management, and the Tribunal understands the financial, economic and social concerns that inspired the law pursuant to which it acted, but those reasons and concerns cannot relieve the Respondent of the obligation to compensate Phelps Dodge for its loss.“ 351  Pope & Talbot, Interim Award, supra Fn. 262, Abs. 101 f.; Mostafa, 15 Australian Int. Law J. 2008, S. 280 f.; so i. E. auch Meifort, Begriff der Enteignung, S. 165. 352  Metalclad vs. Mexico, supra Fn. 293, Abs. 111: „The Tribunal need not decide or consider the motivation or intent of the adoption of the Ecological Decree.“; Fortier / Drymer, 19 ICSID Review 2004, S. 313. 353  Merrill & Ring Forestry L.P. vs. Government of Canada, NAFTA / UNCITRAL, Award, 31. März 2010 („Merill & Ring vs. Canada“), Abs. 143.



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?119

doctrine zuzuordnen sind. Sei es, indem allein auf die erforderliche Eingriffsintensität abgestellt wurde oder auch ausdrücklich nicht nur die Relevanz einer Enteignungsabsicht, sondern jeglicher Intention für die Frage des Vorliegens einer indirekten Enteignung verneint wurde.354 So schloss etwa das Gericht in Vivendi vs. Argentina unmittelbar auf eine indirekte Enteignung, nachdem es eine ausreichende Beeinträchtigung des Eigentums bejaht hatte.355 Im Hinblick auf das Vorbringen Argentiniens, es läge eine legitime Regulierungsmaßnahme vor, führte das Schiedsgericht aus: „Turning to Respondent’s proposition that an act of state must be presumed to be regulatory, absent proof of bad faith, this is incorrect. There is extensive authority for the proposition that the state’s intent, or its subjective motives are at most a secondary consideration. While intent will weigh in favour of showing a measure to be expropriatory, it is not a requirement, because the effect of the measure on the investor, not the state’s intent, is the critical factor.“356

Anhand der Struktur der zugrundeliegenden Enteignungsbestimmung – die insoweit keine Besonderheiten aufwies357 – erteilte das Schiedsgericht der Berücksichtigung des mit der Maßnahme verfolgten Gemeinwohlzwecks eine Absage: „[T]he structure of Article 5(2) of the Treaty directs the Tribunal first to consider whether the challenged measures are expropriatory, and only then to ask whether they can comply with certain conditions, ie public purpose, non-discriminatory, specific commitments, et cetera. […] Respondent’s public purpose arguments suggest that state acts causing loss of property cannot be classified as expropriatory. If public purpose automatically immunises the measure from being found to be expropriatory, then there would never be a compensable taking for a public pur­ pose.“358

Ähnlich wurde auch in Siemens vs. Argentina entschieden, dass sich die Frage des mit der Maßnahme verfolgten Ziels erst in Bezug auf die Recht354  CMS vs. Argentina, supra Fn. 266, Abs. 262; Consortium RFCC vs. Morocco, supra Fn. 280, Abs. 69; siehe auch Biwater Gauff (Tanzania) Ltd. vs. United Republic of Tanzania, ICSID Case No. ARB / 05 / 22, Award, 24.  Juli 2008 („Biwater Gauff vs. Tanzania“), Abs. 463; siehe hierzu auch Meifort, Begriff der Enteignung, S.  166 f. 355  Vivendi vs. Argentina, supra Fn. 274, Rn. 7.5.34. 356  Vivendi vs. Argentina, supra Fn. 274, Rn. 7.5.20 (Fußnote entfernt, Hervorhebung im Original). 357  Art. 5(2) des zugrunde liegenden argentinisch-französischen BIT lautet in seinen hier relevanten Teilen wie folgt: „The Contracting Parties shall not adopt, directly or indirectly, measures of expropriation or nationalization or any other equivalent measure having an effect similar to dispossession, except for public purpose and provided that such measures are not discriminatory or contrary to a specific commitment.“ 358  Vivendi vs. Argentina, supra Fn. 274, Rn. 7.5.21.

120 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

mäßigkeit einer vorliegenden Enteignung stelle.359 Schließlich wird häufig – auch von anderen Schiedsgerichten360 – die Entscheidung Santa Elena vs. Costa Rica als klarer Beleg für die Heranziehung der sole effects doctrine angeführt, da das Gericht ausdrücklich unberücksichtigt lies, dass die enteignende Maßnahme zum Zwecke des Umweltschutzes ergriffen worden war: „While an expropriation or taking for environmental reasons may be classified as a taking for a public purpose, and thus may be legitimate, the fact that the Property was taken for this reason does not affect either the nature or the measure of the compensation to be paid for the taking. That is, the purpose of protecting the environment for which the Property was taken does not alter the legal character of the taking for which adequate compensation must be paid. […] Expropriatory environmental measures  – no matter how laudable and beneficial to society as a whole  – are, in this respect, similar to any other expropriatory measures that a state may take in order to implement its policies: where property is expropriated, even for environmental purposes, whether domestic or international, the state’s obligation to pay compensation remains.“361

Indem hier allein über die Rechtmäßigkeit und entsprechende Entschädigungshöhe einer direkten Enteignung zu entscheiden war362, wirft dies die Frage auf, ob sich aus dieser Aussage überhaupt Rückschlüsse in Bezug auf indirekte Enteignung ziehen lassen.363 Diese Frage ist besonders deshalb 359  Siemens AG vs. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB / 02 / 8, Award, 6. Februar 2007, („Siemens vs. Argentina“), Abs. 270, wobei das Gericht seine Entscheidung interessanterweise auch auf den Wortlaut des Deutsch-Argentinischen BIT stützte: „The treaty refers to measures that have the effect of an expropriation; it does not refer to the intent of the State to expropriate.“ 360  So z. B. Azurix vs. Argentina, supra Fn. 298, Abs. 309; ebenso Tecmed vs. Mexico, supra Fn. 259, Abs. 121. 361  Compañia del Desarrollo de Santa Elena S.A. v. Republic of Costa Rica, ICSID Case No. ARB / 96 / 1, Award, 17.  Februar 2000 („Santa Elena vs. Costa Rica“), Abs.  71 f. 362  Siehe Santa Elena vs. Costa Rica, supra Fn. 361, Abs. 54. 363  Dies verneinend, Meifort, Begriff der Enteignung, S. 171 f.; auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 14, in dortiger Fn. 69, scheinen aus der Zurückweisung des Gemeinwohlziels in diesem Fall der direkten Enteignung wohl keine großen Rückschlüsse für eine indirekte Enteignung zu ziehen; siehe auch Stern, Frontiers of Indirect Expropriation, S. 45, darauf hinweisend, dass der Umstand, dass sich die Aussage auf eine direkte Enteignung bezog zu berücksichtigen ist, bevor die Argumentation des Schiedsgerichts auf den Fall einer indirekten Enteignung übertragen wird; bejahend hingegen Titi, Right to Regulate, S. 285; ebenso Fortier / Drymer, 19 ICSID Review 2004, S. 312, wobei anzumerken ist, dass Fortier den Vorsitz in dieser Entscheidung hatte. Ebenso ist darauf hinzuweisen, dass Fortier in seiner späteren Studie selbst eine Tendenz der Schiedsgerichte zur Berücksichtigung von effect und purpose ausmachte und in einer abwägenden Betrachtung mehrer Faktoren den wohl einzig vernünftigen Ansatz erblickte, a. a. O., S. 326.



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?121

interessant, da jede andere Antwort als ihre zwingende Bejahung rechtfertigen muss, wie sich das Vorliegen der indirekten Form der Enteignung, als Teil eines einheitlichen Enteignungsstandards, nach anderen Voraussetzungen beurteilen kann, als eine direkte Enteignung. Eben hiermit sieht sich die police powers doctrine konfrontiert. bb) Police powers doctrine Die police powers doctrine verweist auf das gewohnheitsrechtlich anerkannte Recht der Staaten, regulierend tätig zu werden, ohne für die hierdurch erlittenen Nachteile entschädigungspflichtig zu sein. Gegenüber der sole effects doctrine wird die police powers doctrine als der den Gaststaat bevorzugende Ansatz erachtet, da selbst im Fall des Erreichens der hohen erforderlichen Eingriffsintensität nicht automatisch auf eine entschädigungspflichtige Enteignung zu schließen ist. Vielmehr kann die Berücksichtigung des verfolgten Zwecks zur Korrektur des nach der sole effects doctrine erzielten Ergebnisses einer indirekten Enteignung führen, vorausgesetzt die Regulierungsmaßnahme verfolgt in nichtdiskriminierender Weise einen legitimen öffentlichen Zweck.364 Dogmatisch werden also die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer direkten Enteignung maßgeblichen Kriterien von der Ebene der Rechtmäßigkeit auf die Eingriffsebene verschoben, wodurch es zu einer Fragmentierung innerhalb des Enteignungsstandards zwischen einer direkten und einer indirekten Enteignung durch regulatorische Maßnahmen kommt.365 Nach dem „radikalen“ Verständnis der police powers doctrine führt die Bejahung der Voraussetzungen einer legitimen Regulierungsmaßnahme im Gemeinwohlinteresse sogar ungeachtet ihrer beeinträch364  Die Frage, welche Gemeinwohlziele unter diese police powers fallen, wird indes uneinheitlich beantwortet, und gerade der fehlende Konsens hierüber als Quelle weiterer Rechtsunsicherheit ausgemacht, siehe hierzu Mostafa, 15 Australian Int. Law J. 2008, S. 273 ff., 278, ausführlich auch zu den verschiedenen Ansichten. Es entspricht aber jedenfalls dem weitverbreiteten Verständnis in Literatur und Investitionsrechtsprechung, dass durch eine Heranziehung der police powers doctrine Gemeinwohlinteressen, wie dem Umwelt- und Gesundheitsschutz, dessen Einschränkung durch Investorenklagen in ganz besonderem Maße gefürchtet wird, Rechnung getragen werden kann, siehe hierzu Titi, Right to Regulate, S. 281; Gudofsky, 21 Nw. J. Int. Law Bus., S. 287, 290 m. w. N.; vgl. auch Christie, What Constitutes a Taking of Property, S. 331 f.; siehe hingegen Baughen, 18 Journal of Environmental Law 2006, S. 211, wonach gewohnheitsrechtlich nur steuerliche Maßnahmen, Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung und zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit unter die police power fielen. 365  Zu dieser Fragmentierung auch Kriebaum, Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 32, 34. Hierzu kommt es jedoch nicht nur im Falle eines „radikalen“, sondern auch im Falle eines „gemäßigten“ Verständnisses der police powers doctrine.

122 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

tigenden Auswirkungen auf die Investition zur Verneinung einer indirekten Enteignung. Die Abgrenzung zwischen Regulierung wird also nicht von Seiten einer Enteignung und ihren Auswirkungen aus betrachtet, sondern es wird allein nach dem Vorliegen der Voraussetzungen einer legitimen Regulierungsmaßnahme gefragt. Während also die nichtdiskriminierende Verfolgung des Gemeinwohlziels durch eine direkte Enteignung zur Entschädigung verpflichtet, geht der Investor leer aus, wenn das identische Ziel mit identischen Auswirkungen für die Investition durch eine Regulierungsmaßnahme verfolgt wird.366 Betrachtet man die Entwicklung der Schiedspraxis, so betonen zahlreiche Entscheidungen das Recht und die Notwendigkeit der Staaten ohne Entschädigungspflicht regulierend tätig werden zu können, häufig mit solchen Nachdruck, etwa als „unbestritten“ oder „unzweifelhaftes Gewohnheits­recht“367, dass allein durch diese Passagen der Eindruck gewonnen werden könnte, nichtdiskriminierende Gemeinwohlregulierung würde generell vom Enteignungsstandard ausgenommen.368 Eine solche Aussage ist den Entscheidungen zumeist jedoch nicht zu entnehmen. Regelmäßig wird nämlich anschließend betont, dass es sich nur um einen Grundsatz handelt und auch Regulierungsmaßnahmen zur Verfolgung von Gemeinwohlinteressen sehr wohl als indirekte Enteignung zur Entschädigung verpflichten können.369 Entscheidungen, wonach im Sinne einer „radikalen“ police powers doctrine Regulierungsmaßnahmen ungeachtet ihrer Auswirkungen generell vom Enteignungsstandard ausgenommen wurden, finden sich hingegen äußerst selten.370 366  Kriebaum,

Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 32. z. B. Tecmed vs. Mexico, supra Fn. 259, Abs. 119: „The principle that the State’s exercise of its sovereign powers within the framework of its police power may cause economic damage to those subject to its powers as administrator without entitling them to any compensation whatsoever is undisputable.“; Feldman vs. Mexico, supra Fn. 287, Abs. 103, zitiert bei supra Fn. 325. 368  Siehe die Kritik des Schiedsgericht in Azurix vs. Argentina, supra Fn. 298, Abs. 310 f., an der Entscheidung in S.D. Myers vs. Canada und der Widersprüchlichkeit der Berücksichtigung des Gemeinwohlziels im Sinne einer generellen Ausnahme. Indes nahm Gericht in S.D. Myers vs. Canada, supra Fn. 266, Abs. 281, Regulierungsmaßnahmen im Gemeinwohlinteresse nicht generell vom Enteignungs­ standard des Art. 1110 NAFTA aus, sondern kam lediglich zu dem Schluss: „Regulatory conduct by public authorities is unlikely to be the subject of legitimate complaint under Art. 1110 of the NAFTA, although the Tribunal does not rule out that possibility.“ (Hervorhebung durch den Autor); hierauf weisen auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 19, hin. 369  Siehe z. B. Oxus Gold vs. The Republic of Uzbekistan, Award, 17. Dezember 2015 („Oxus Gold vs. Uzbekistan“), Abs. 743, 744.  370  Vgl. Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 18: „Few, if any, cases provide a blanket exception for the obligation to compensate investors for regulatory actions that a state adopts.“ 367  Siehe



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?123

Die Entscheidung in Methanex vs. USA ist ein solches seltenes und klares Beispiel.371 Methanex, ein Produzent von Methanol, welches für den Benzinzusatzstoff MTBE verwendet wurde, machte geltend, durch das kalifornisches Verbot MTBE weiterhin zu verwenden, enteignet worden zu sein. Unter Verweis darauf, dass nach dem Völkerrecht anerkannt sei, dass nichtdiskriminierende und in einem ordnungsgemäßen Verfahren ergriffene Regulierungsmaßnahmen keine Enteignung darstellen, soweit keine spezifischen Zusicherungen gegeben wurden, dass diese Maßnahmen nicht erfolgen würden, verneinte das Gericht eine indirekte Enteignung: „Methanex is correct that an intentionally discriminatory regulation against a foreign investor fulfils a key requirement for establishing expropriation. But as a matter of general international law, a non-discriminatory regulation for a public purpose, which is enacted in accordance with due process and, which affects, inter alios, a foreign investor or investment is not deemed expropriatory and compensable unless specific commitments had been given by the regulating government to the then putative foreign investor contemplating investment that the government would refrain from such regulation.“372

Das Gericht betrachtete die Frage der Abgrenzung also von Seiten einer zulässigen Regulierungsmaßnahme aus und schloss ungeachtet der Auswirkungen der Maßnahme: „[T]he California ban was made for a public purpose, was non-discriminatory and was accomplished with due process. […] From the standpoint of international law, the California ban was a lawful regulation and not an expropriation.“373

Auch die Entscheidung in Saluka vs. Czech Republic wird regelmäßig als eine der Entscheidungen angeführt, in welcher das Gericht der „radikalen“ police powers doctrine folgte.374 Der Investor hatte hier in die tschechische Bank IPB investiert und machte geltend, durch Maßnahmen, die schließlich in der Entscheidung der tschechischen Nationalbank mündeten, IPB auf371  Methanex Corporation vs. United States of America, NAFTA, Final Award, 3. August 2005 („Methanex vs. USA“); so auch Rensmann, Völkerrechtlicher Enteignungsschutz, S. 45 f.; Kriebaum, Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 31; Siwy, Indirect Expropriation and Legitimate Expectations, S. 361 f. 372  Methanex vs. USA, supra Fn. 371, unter IV, D, Abs. 7. 373  Methanex vs. USA, supra Fn. 371, unter  IV, D, Abs. 15; erst nach der Bejahung einer legitimen Regulierung und folglich Verneinung einer Enteignung ging das Gericht auch auf die Auswirkungen der Maßnahme auf eine geschützte Investition ein (a. a. O., unter IV, D, Abs. 16); hierzu auch Mann, IISD Issues Int. Invest. Law 2007, S. 5; Spears, Making Way for the Public Interest in IIA, S. 278. 374  Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 234; Kriebaum, Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 31; Siwy, Indirect Expropriation and Legitimate Expectations, S. 363; Titi, Right to Regulate, S. 284 f.; Stern, Frontiers of Indirect Expropriation, S. 47, 51, zutreffend darauf hinweisend, dass wiederum Gegenausnahmen anerkannt wurden.

124 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

grund ihrer Liquiditätsschwierigkeiten unter Zwangsverwaltung zu stellen, entschädigungslos enteignet worden zu sein.375 Das Gericht stellte zunächst fest, dass der zugrundeliegende BIT zwar keine explizite Ausnahme für Regulierungsmaßnahmen vorsehe, jedoch bei der Interpretation des Enteignungsstandards Völkergewohnheitsrecht heranzuziehen sei.376 Unter Verweis auf die Harvard Draft Convention377, die OECD Draft Convention378, das United States Third Restatement of the Law of Foreign Relations379 sowie gestützt auf zahlreiche Entscheidungen, darunter vorgenannte Entscheidung in Methanex vs. USA, stellte es fest: „In the opinion of the Tribunal, the principle that a State does not commit an expropriation and is thus not liable to pay compensation to a dispossessed alien investor when it adopts general regulations that are ‚commonly accepted as within the police power of States‘ forms part of customary international law today.“380

Indem das Gericht auf eine solche entschädigungslose Regulierungsmaßnahme erkannte, obwohl es zugleich feststellte, dass die Investition vollständig vernichtet wurde381, mag man auch diese Entscheidung als Beleg für die „radikale“ police powers doctrine ansehen, zwingend erscheint dies indes nicht.382 Neben weiteren Entscheidungen383 verstand auch das Schiedsge375  Saluka

vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 246 ff. vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 254. 377  Harvard Draft Convention on the International Responsibility of States for Injury to Aliens (1961), Art. 10(5), in 55 Am. J. Int. Law, S. 554. 378  OECD Draft Convention on the Protection of Foreign Property, 12. Oktober 1967, Art. 3, Comment A. 1 a). 379  Restatement (Third) of the Foreign Relations Law of the United States (1987), § 712 comment (g): „A State is not responsible for the loss of property or for other economic disadvantages resulting from bona fide taxation, regulation, forfeiture for crime, or other action of the kind that is commonly accepted as within the police power of States.“ 380  Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 262, siehe zuvor schon a. a. O., Abs. 255. 381  Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 276: „[T]he Czech Republic adopted a measure which was valid and permissible as within its regulatory powers, notwithstanding that the measure had the effect of eviscerating Saluka’s investment […].“ 382  Siehe bereits supra Fn. 374; betrachtet man die Ausführungen in Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 264, sprechen diese vielmehr für einen abwägenden Ansatz im Sinne eines „gemäßigten“ police power-Verständnisses: „It thus inevitably falls to the adjudicator to determine whether particular conduct by a state ‚crosses the line‘ that separates valid regulatory activity from expropriation. Faced with the question of when, how and at what point an otherwise valid regulation becomes, in fact and effect, an unlawful expropriation, international tribunals must consider the circumstances in which the question arises.“ (Hervorhebung im Original); in diesem Sinne auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 1, 17 f.: „balanced approach“. 376  Saluka



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?125

richt in der jüngeren NAFTA-Entscheidung Chemtura vs. Canada die Saluka-Entscheidung in diesem Sinne und verneinte eine Enteignung aufgrund des Vorliegens einer zulässigen Gemeinwohlmaßnahme im Rahmen der staatlichen police powers. Zwar verneinte das Gericht bereits eine substantial deprivation384, stellte aber anschließend unter Verweis auf Saluka klar, dass die Maßnahmen der kanadischen Behörde jedenfalls eine zulässige Ausübung der staatlichen police powers war: „[T]he Tribunal considers in any event that the measures challenged by the Claimant constituted a valid exercise of the Respondent’s police powers. […][T] he PMRA [the Pest Management Regulatory Agency of Canada] took measures within its mandate, in a non-discriminatory manner, motivated by the increasing awareness of the dangers presented by lindane for human health and the environment. A measure adopted under such circumstances is valid exercise of the State’s police powers, and as a result, does not constitute an expropriation.“385

Obgleich diese Passage im Sinne einer generellen Ausnahme nichtdiskriminierender Gemeinwohlmaßnahmen verstanden werden könnte, ist fraglich, ob das Gericht mit ihr tatsächlich ein „radikales“ police power-Verständnis befürwortete.386 Hiergegen dürfte indes die vorherige Prüfung einer substantial deprivation sprechen, welcher es für die Verneinung einer indirekten Enteignung nach einem „radikalen“ police powers-Verständnis nicht bedurft hätte. Vielmehr spricht dies dafür, dass diese Entscheidung in dem gegenwärtigen Trend liegt, das verfolgte Gemeinwohlziel neben den Auswirkungen der Maßnahme zu berücksichtigen.387 cc) Der Trend zur Abkehr von Extremen – Die „gemäßigte“ Police Powers Doctrine und ihre Fortentwicklung zu einer Verhältnismäßigkeitsprüfung Wie die sole effects doctrine verneint auch die „gemäßigte“ police powers doctrine eine generelle Ausnahme regulierender Gemeinwohlmaßnahmen 383  Siehe Continental Casualty Company vs. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB / 03 / 9, Award, 5.  September 2008, („Continental Casualty vs. Argentina“), Abs. 277, in dortiger Fn. 407. 384  Chemtura vs. Canada, supra Fn. 271, Abs. 265. 385  Chemtura vs. Canada, supra Fn. 271, Abs. 266. 386  So aber Kriebaum, Expropriation, S. 1005 f.; ebenso Asteriti, Environmental Language in Investment Treaties, S. 143, die Entscheidung in dortiger Fn. 77, als Beleg für einen vorherrschenden „refined Methanex approach“ anführend; so wohl auch Titi, Right to Regulate, S. 284. 387  In diesem Sinne auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 63 f., vor einer weiten Lesart der zitierten Passage im Sinne einer „general police power exception“ warnend.

126 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

vom Enteignungsschutz.388 Nach Betrachtung der Auswirkungen der Regulierungsmaßnahme wird hier für die Prüfung einer indirekten Enteignung jedoch auf unterschiedliche Weise auch auf den mit der Maßnahme verfolgten Gemeinwohlzweck abgestellt. Die NAFTA-Entscheidungen in S.D. Myers vs. Canada und Feldman vs. Mexico lassen sich als frühe Beispiele eines solchen Ansatzes anführen. So stellte das Gericht in S.D. Myers vs. Canada fest: „The general body of precedent usually does not treat regulatory action as amounting to expropriation. Regulatory conduct by public authorities is unlikely to be the subject of legitimate complaint under Article 1110 of the NAFTA, although the Tribunal does not rule out that possibility.“389

Auch das Gericht in Feldman vs. Mexico betonte, dass Recht zur entschädigungslosen Gemeinwohlregulierung, widersprach aber zugleich einer generellen Ausnahme vom Enteignungsschutz deutlich: „No one can seriously question that in some circumstances government regulatory activity can be a violation of Article 1110.390 […][N]ot all government regulatory activity that makes it difficult or impossible for an investor to carry out a particular business, change in the law or change in the application of existing laws that makes it uneconomical to continue a particular business, is an expropriation under Art. 1110 [NAFTA]. Governments, in their exercise of regulatory power, frequently change their laws and regulations in response to changing economic circumstances or changing political, economic or social considerations. Those changes may well make certain activities less profitable or even uneconomic to continue.“391

Hinsichtlich der entscheidenden Frage, mit welcher Gewichtung die Kriterien der Auswirkungen der Maßnahme und des verfolgten Gemeinwohlziels zu berücksichtigen sind und unter welchen Voraussetzungen sich das Investoren- oder das Regulierungsinteresse durchsetzen sollte, schwiegen diese Entscheidungen indes.392 Insoweit konnte man ihnen lediglich einen 388  Siehe Tecmed vs. Mexico, supra Fn. 259, Abs. 121 f., unter Verweis auf das Fehlen anderweitiger Anhaltspunkte im zugrunde liegenden spanisch-mexikanischen BIT: „[W]e find no principle stating that regulatory administrative actions are per se excluded from the scope of the Agreement, even if they are beneficial to society as a whole  – such as environmental protection  –, particularly if the negative economic impact of such actions on the financial position of the investor is sufficient to neutralize in full the value, or economic or commercial use of its investment without receiving any compensation whatsoever. […][R]egulatory actions and measures will not be initially excluded from the definition of expropriatory acts.“ (Hervorhebung im Original). 389  S.D. Myers vs. Canada, supra Fn. 266, Abs. 281. 390  Feldman vs. Mexico, supra Fn. 287, Abs. 110 (Hervorhebung durch den Autor). 391  Feldman vs. Mexico, supra Fn. 287, Abs. 112. 392  Fortier / Drymer, 19 ICSID Review 2004, S. 324; Kriebaum, Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 33; wobei sich eine fehlende Aussage über die



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?127

Hinweis auf ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der Regulierungsfreiheit entnehmen. Eine entscheidende Entwicklung brachte insoweit die Entscheidung in Tecmed vs. Mexico, indem das Schiedsgericht hier die den Investor treffenden Auswirkungen und das verfolgte Gemeinwohlziel erstmals im Wege einer Verhältnismäßigkeitsprüfung in Bezug setzte und somit die police powers doctrine fortentwickelte.393 Nachdem es festgestellt hatte, dass nach den Auswirkungen der Maßnahme eine Enteignung vorliegt394, führte das Gericht unter Verweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte weiter aus: „After establishing that regulatory actions and measures will not be initially excluded from the definition of expropriatory acts, in addition to the negative financial impact of such actions or measures, the Arbitral Tribunal will consider, in order to determine if they are to be characterized as expropriatory, whether such actions or measures are proportional to the public interest presumably protected thereby and to the protection legally granted to investments, taking into account that the significance of such impact has a key role upon deciding the proportionality. […] There must be a reasonable relationship of proportionality between the charge or weight imposed to the foreign investor and the aim sought to be realized by any expropriatory measure.“395

In der Folge sind einige weitere Entscheidungen diesem Ansatz gefolgt, worin bereits ein „emerging consensus on the balancing and proportionality test“ ausgemacht wurde.396 Unter Verweis auf Tecmed vs. Mexico erachtete etwa auch das Schiedsgericht in Azurix vs. Argentina die Berücksichtigung des Gemeinwohlziels neben den Auswirkungen der Maßnahme zur Abgrenzung zwischen entschädigungsloser Regulierung und Enteignung für ergänzungsbedürftig, um dem Widerspruch zu entgehen, dass die Verfolgung des öffentlicher Zwecks einerseits Voraussetzung für die RechtmäßigGewichtung des angeblichen Gemeinwohlziels in S.D. Myers vs. Canada, supra Fn. 266, daraus erklärt, dass sich diese Frage aufgrund einer nur temporären Maßnahme und somit unzureichenden Eingrifssintensität gar nicht stellte, siehe a. a. O., Abs. 284. 393  Tecmed vs. Mexico, supra Fn. 259; hierzu Fortier / Drymer, 19 ICSID Review 2004, S. 324, 326. 394  Tecmed vs. Mexico, supra Fn. 259, Abs. 117. 395  Tecmed vs. Mexico, supra Fn.  259, Abs.  122, inbesondere verwies das Schiedsgericht auf die Ausführungen des EGMR in Case of James and Others vs. The United Kingdom, 21. Februar 1986, Abs. 50: „Not only must a measure depriving a person of his property pursue, on the facts as well as in principle, a legitimate aim ‚in the public interest‘, but there must also be a reasonable relationship of proportionality between the means employed and the aim sought to be realised […]. The requisite balance will not be found if the person concerned has had to bear ‚an individual and excessive burden‘[…].“ 396  Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 1, 23.

128 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

keit der Enteignung wäre und andererseits, im Falle der Regulierung, zur Verneinung ihrer Entschädigungspflicht führen würde: „For the Tribunal, the issue is not so much whether the measure concerned is legitimate and serves a public purpose, but whether it is a measure that, being legitimate and serving a public purpose, should give rise to a compensation claim. […] The public purpose criterion as an additional criterion to the effect of the measures under consideration needs to be complemented.“397

In der vom EGMR herangezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung sowie seiner Erwägung, wonach es die fehlende Möglichkeit politischer Einflussnahme des Investors geboten erscheinen lassen könnte, ihm im Vergleich zu Staatsangehörigen eine geringere Last zur Erzielung des Gemeinwohls aufzubürden, erblickte es in diesen zusätzlichen Kriterien hilfreiche Anhaltspunkte für die Prüfung einer Enteignung infolge einer Regulierungsmaßnahme.398 Ebenso sprach sich auch das Gericht in LG&E vs. Argentina für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit zwischen den Auswirkungen der Regulierungsmaßnahme und ihrem Zweck aus: „It is this Tribunal’s opinion that there must be a balance in the analysis both of the causes and the effects of a measure in order that one may qualify a measure as being of an expropriatory nature. It is important not to confound the State’s right to adopt policies with its power to take an expropriatory measure. […] With respect to the power of the State to adopt its policies, it can generally be said that the State has the right to adopt measures having a social or general welfare purpose. In such a case, the measure must be accepted without any imposition of liability, except in cases where the State’s action is obviously disproportionate to the need being addressed.“399

Auch in Continental Casualty vs. Argentina stellte das Schiedsgericht klar: „[L]imitations to the use of property in the public interest that fall within typical government regulations of property entailing mostly inevitable limitations imposed in order to ensure the rights of others or of the general public […] do not impede the basic, typical use of a given asset and do not impose an unreasonable burden on the owner as compared with other similarly situated property owners. These restrictions are not therefore considered a form of expropriation and do not require indemnification, provided however that they do not affect property in an intolerable, discriminatory or disproportionate manner.“400 397  Azurix vs. Argentina, supra Fn. 298, Abs. 311; dazu, dass hierdurch der Widerspruch zwar entschärft, nicht aber beseitigt wird, siehe auch in infra Fn. 1020. 398  Azurix vs. Argentina, supra Fn. 298, Abs. 311 f., unter Verweis auf EGMR, Case of James and Others vs. The United Kingdom, 21. Februar 1986, Abs. 50, 63. 399  LG&E vs. Argentina, supra Fn. 274, Abs. 194  f. (Hervorhebung durch den Autor). 400  Continental Casualty vs. Argentina, supra Fn. 382, Abs. 276 (Hervorhebung durch den Autor).



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?129

Ein solches Regel-Ausnahme Verhältnis und die Heranziehung des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit zur Abgrenzung zwischen entschädigungsloser Regulierung und indirekter Enteignung wurde – neben weiteren Entscheidungen – auch in El Paso vs. Mexico bestätigt: „1. Some general regulations can amount to indirect expropriation a. As a matter of principle, general regulations do not amount to indirect expropriation. b. By exception, unreasonable general regulations can amount to indirect expropriation. […].“401

Ein solcher Ausnahmefall läge im Fall einer diskriminierenden oder unverhältnismäßigen Maßnahme vor, deren Auswirkungen auf die Rechte des Investors in einem Missverhältnis zu dem verfolgten Gemeinwohlziel stehen.402 Als abschließendes Beispiel soll wiederum die Entscheidung des Gerichts im Verfahren Philipp Morris vs. Uruguay betrachtet werden, die lange Zeit als Paradefall exzessiver Klagemöglichkeiten bemüht wurde. Auch hier brach das Gericht die Prüfung einer indirekten Enteignung nach der Verneinung einer ausreichenden Eingriffsintensität ganz bewusst nicht ab, um zu der Frage des Verhältnisses zu den staatlichen police powers klar und ausführlich Stellung zu beziehen.403 Dabei verwies es auch auf Entscheidungen nach dem Jahr 2000, in welchen eine Trend zu beobachten sei, Maßnahmen in Ausübung der police powers nicht als Enteignung anzusehen, wenn sie die Voraussetzungen einer legitimen Berufung auf die police powers erfüllen, die durch die Entscheidungen weiter präzisiert wurden.404 Diese Voraus­ setzungen einer bona fide zur Erreichung des Gemeinwohlziels ergriffenen, nicht-diskriminierenden und verhältnismäßigen Regulierungsmaßnahme sah das Gericht als erfüllt an und schloss: „[T]he tribunal concludes that the Challenged Measures were a valid exercise by Uruguay of its police powers for the protection of public health. As such, they cannot constitute an expropriation of the Claimant’s investment.“405 401  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 233; siehe auch Corn Products vs. Mexico, supra Fn. 277, Abs. 87 f., unter Bestätigung der Auflistung in Fireman’s Fund vs. Mexico, supra Fn. 248, Abs. 176(j), wobei die Heranziehung der Rechtsprechung des EGMR für die Interpretation jedoch in dortiger Fn. 161 in Frage gestellt wurde; Archer Daniels Midland Company vs. Mexico, supra Fn. 272, Abs. 250. 402  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 243. 403  Philipp Morris vs. Uruguay, supra  Fn. 18, Abs. 287. 404  Philipp Morris vs. Uruguay, supra  Fn. 18, Abs. 295. 405  Continental Casualty vs. Argentina, supra Fn. 382, Abs. 276 (Hervorhebung durch den Autor).

130 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Wenn sich die Frage der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme hier – wie auch in den meisten anderen Fällen – letztlich gar nicht stellte, da bereits das Vorliegen einer ausreichenden Eingriffsintensität zu verneinen war406, verdeutlicht dies einen wichtigen Punkt: Auch die Heranziehung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung führt zu keiner Herabsetzung der stets zu überwindenden Eingriffsschwelle.407 Sie dient vielmehr allein der Einschränkung einer generellen Ausnahme regulierender Gemeinwohlmaßnahmen vom investitionsrechtlichen Enteignungsschutz.408 Indem die Verhältnismäßigkeitsprüfung – im Gegensatz zur Rechtsprechung des EGMR – in der Investi­ tionsrechtsprechung aber nicht zur Prüfung herangezogen wurde, ob ein Eigentumseingriff gerechtfertigt ist, sondern ob eine Enteignung vorliegt, ändert die Ergänzung der Berücksichtigung des öffentlichen Zwecks um eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nichts daran, dass es wie bei der „radikalen“ police powers doctrine zu einem Auseinanderfallen der Prüfung zwischen direkten und indirekten Enteignungen infolge regulativer Maßnahmen kommt.409 c) Indirekte Enteignung und der Schutz legitimer Erwartungen Eine weit größere Rolle als im Rahmen des Enteignungsschutzes spielt der Schutz legitimer Investorenerwartungen heute im Rahmen des FETStandards, wo er zum Teil sogar ausschließlich verortet wird.410 Gerade die Fortentwicklung des Schutzes legitimer Erwartungen von einem im Rahmen 406  Neben Philipp Morris vs. Uruguay, supra  Fn. 18, Abs. 287 z.  B. auch in LG&E vs. Argentina, supra Fn. 274, Abs. 200; Azurix vs. Argentina, supra Fn. 298, Abs. 322; Corn Products vs. Mexico, supra Fn. 277, Abs. 92. 407  Sehr deutlich El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 243: „In other words, discriminatory or disproportionate general regulations have the potential to be considered as expropriatory if there is a sufficient interference with the investor’s rights.“; dies betont auch Siwy, Indirect Expropriation and Legitimate Expectations, S. 374 f.; vgl. auch Mostafa, 15 Australian Int. Law J. 2008, S. 282 f.; siehe schon bei und in supra Fn. 259. 408  Vgl. auch Fireman’s Fund vs. Mexico, supra Fn. 248, Abs. 176(j), in dortiger Fn. 162. 409  So auch Siwy, Indirect Expropriation and Legitimate Expectations, S. 367; Mostafa, 15 Australian Int. Law J. 2008, S. 283; Kriebaum, Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 34; siehe bei supra Fn. 397. 410  Siehe El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 227: „There is not always a clear distinction between indirect expropriation and violation of legitimate expectations, as can be seen from an excerpt of the Claimant’s Memorial stating that ‚measures that are inconsistent with an investor’s legitimate expectations constitute an expropriation‘ […]. According to this Tribunal, the violation of a legitimate expectation should rather be protected by the fair and equitable treatment standard.“; vgl. auch Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 98.



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?131

der Interpretation zu berücksichtigenden Aspekt zu einem eigenständigen Element des FET-Standards, wurde als einer der Hauptgründe für einen Trend zur restriktiven Auslegung des Enteignungsschutzes und eine Verlagerung zum FET-Standard ausgemacht.411 Dementsprechend steht heute die Möglichkeit, eine Investorenklage auf die Verletzung des FET-Standards infolge der Enttäuschung legitimer Erwartung stützen zu können im Mittelpunkt der Sorge um legitime Regulierungsinteressen, weshalb die Betrachtung der Entwicklung der Schiedspraxis zum Schutz legitimer Erwartungen im Rahmen der Betrachtung des FET-Standards ausführliche Betrachtung finden wird.412 Die Verlagerung zum FET-Standard bedeutet indes nicht, dass die Berücksichtigung legitimer Investorenerwartungen im Rahmen des Enteignungsschutzes keine Rolle mehr spielte.413 Dies zeigen auch neuere Abkommenstexte, welche die Erwartungen des Investors ausdrücklich als eines der Kriterien zur Beurteilung des Vorliegens einer indirekten Enteignung nennen.414 Wie im Rahmen des FET-Standards stellt sich auch hier die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Investor in seinen legitimen Erwartungen zu schützen ist. Anschließend ist zu klären, auf welche Weise legitime Investorenerwartungen in der Abgrenzung zwischen einer indirekten Enteignung und entschädigungsloser Regulierung Berücksichtigung finden. Hinsichtlich der ersten Frage nach den Voraussetzungen, unter denen legitime Investorenerwartungen anerkannt wurden, sei an dieser Stelle415 le411  Siehe Thunderbird vs. Mexico, Separate opinion of Thomas Wälde, supra Fn. 227, Abs. 37. 412  Siehe unter B.II.4.c) und d). 413  UNCTAD, Expropriation, S. 73; Reinisch, Expropriation, S. 448; hierauf wies auch Fietta, 23 J. Int. Arbitr. 2006, S. 398 f. hin. 414  U.S. Model BIT 2012, Annex B; China-Colombia BIT (2008), Art. 4; Australia-Chile FTA (2008), Annex 10-B; zu den Konzepten der investment-backed expectations aus dem U.S.-Recht und der legitimate expectations aus dem englischen Recht, siehe Fietta, 23 J. Int. Arbitr. 2006, S. 378. 415  Dem Verständnis folgend, wonach sich die Anerkennung legitimer Erwartungen unter dem Enteignungsstandard und dem FET-Standard nach gleichen Maßstäben beurteilt, soll auf diese Frage im Rahmen des FET-Standards ausführlicher eingegangen werden, siehe unter B.II.4.c). Auch in der Investitionsrechtssprechung werden insoweit die Ausführungen zu einem auf den jeweils anderen Standard übertragen, siehe z. B. Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 197. In Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 802, offenbarte das Gericht hingegen – ohne eine Begründung hierfür zu liefern – ein Verständnis, wonach im Rahmen des Art. 1110 NAFTA für die Anerkennung legitimer Erwartungen ein niedrigerer Standard gelte, als im Rahmen des MST nach Art. 1105 NAFTA. Gleichwohl verwies das anschließend auf Entscheidungen zur indirekten Enteignung und übertrug das Erfordernis einer spezifischen Zusicherung auf den MST, vgl. hierzu Kahn, 33 Fordham Int. Law J., S. 148.

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diglich festgehalten, dass Erwartungen nur dann berechtigt und schützenswert sind, wenn sie durch ein dem Staat zurechenbares Handeln hervorgerufen wurden.416 Hierfür wurde im Rahmen des Enteignungsschutzes grundsätzlich ein strenger Maßstab angelegt, indem legitime Erwartungen in Ermangelung einer spezifischen Zusicherung an den Investor verneint wurden.417 Die Entscheidung in Grand River vs. USA kann hierfür als eines unter zahlreichen Beispielen dienen: „Ordinarily, reasonable or legitimate expectations of the kind protected by ­NAFTA are those that arise through targeted representations or assurances made explicitly or implicitly by a State party.“418

Auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine solche spezifische Zusicherung anerkannt wird und ob durch dieses Erfordernis eine angemessene Einschränkung eines Vertrauensschutzes erzielt, wird im Rahmen des FET-Standards zurückzukommen sein.419 Betrachtet man, auf welche Weise legitime Erwartungen in der Frage der Abgrenzung zwischen Regulierung und indirekter Enteignung eine Rolle spielten, ist festzuhalten, dass sie zwar auf unterschiedliche Weise Berücksichtigung fanden, jedoch unabhängig davon, welchem Ansatz das Gericht hinsichtlich einer Berücksichtigung des verfolgten Gemeinwohlziels folgte.420 D. h. gleich ob es der „radikalen“ police powers doctrine folgte421, „gemäßigt“ auf die Verhältnismäßigkeit422 oder aber im Sinne der sole ef416  Kriebaum, Expropriation, S. 1008; siehe auch Thunderbird vs. Mexico, Separate opinion of Thomas Wälde, supra Fn. 227, Abs. 21. 417  Zu dieser Beobachtung vgl. Reinisch, Expropriation, S. 448: „Investment trib­ unals apparently use a rather high treshold concerning investor expropriations for purposes of expropriation claims. Where investors are not specifically made to believe in specific state assurances […], their expectations appear to be regarded as less legitimate for property protection purposes.“; UNCTAD, Expropriation, S. 75; Kriebaum, Expropriation, S. 1008 f. 418  Grand River vs. USA, supra Fn. 266, Abs. 141; siehe z. B. auch Merrill & Ring vs. Canada, supra Fn. 353, Abs. 150; Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 197; Sergei Paushok, CJSC Golden East Company, CJSC Vostokneftegaz Company vs. Mongolia, UNCITRAL, Award on Jurisdiction and Liability, 28. April 2011, („Sergei Paushok vs. Mongolia“), Abs. 302; für weitere Beispiele, siehe Kriebaum, Expropriation, S. 1009. 419  Siehe unter B.II.4.d)aa). 420  Siwy, Indirect Expropriation and Legitimate Expectations, S. 372 ff.; Kriebaum, Expropriation, S. 1007. 421  Siehe Methanex vs. USA, supra Fn. 371, unter IV, D, Abs. 7, zitiert bei supra Fn. 372. 422  Die Eingriffsintensität wurde in diesem Fall auch auf die legitimen Erwartungen des Investors bezogen und diese Auswirkungen gegen das Regulierungsinteresse des Staats abgewogen, siehe Tecmed vs. Mexico, supra Fn. 259, Abs. 122, 149, 150; LG&E vs. Argentina, supra Fn. 274, Abs. 190: „In evaluating the degree of the



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?133

fects doctrine allein auf die Auswirkungen Maßnahme abstellte.423 Mit der vertraglichen Festlegung eines dieser Ansätze im Abkommenstext ist somit keine Aussage über die Berücksichtigung bzw. Nichtberücksichtigung legitimer Erwartungen im Rahmen des Enteignungsstandard verbunden.424 Vor allem aber ist festzuhalten, dass Einigkeit besteht, dass allein die Enttäuschung legitimer Erwartungen keineswegs zu einer Bejahung einer indirekten Enteignung führt.425 Exemplarisch sei dies an der Entscheidung in CMS vs. Argentina verdeutlicht, die im Rahmen des FET-Standards gerade als eine der Entscheidungen angeführt wird, um eine zu weitgehende Anerkennung legitimer Erwartungen aufgrund der abstrakt-generellen innerstaatlichen Rechtslage zu illustrieren.426 Im Rahmen der Prüfung einer indirekten Enteignung ging das Gericht auf den streitigen Vortrag zum Vorliegen legitimer Erwartungen indes gar nicht ein, sondern erblickte die essentielle Frage im Vorliegen einer substantial deprivation, welche es aufgrund fortbestehender Kontrolle über die Investition verneinte.427 Umso verständlicher erscheint daher die Befürchtung, dass eine zu weitgehende Anerkennung legitimer Erwartungen im Rahmen des FET-Standards – für welche die hohe Hürde einer substantial deprivation nicht gemeasure’s interference with the investor’s right of ownership, one must analyze the measure’s economic impact ‒ its interference with the investor’s reasonable expectations ‒ and the measure’s duration.“ 423  Siehe Metalclad vs. Mexico, supra Fn. 293, Abs. 107, für die Berücksichtigung, obwohl doch eigentlich allein auf die Auswirkungen der Maßnahme abzustellen sein soll, indem die erforderliche Eingriffschwelle auch auf die legitimen Erwartungen infolge spezifischer staatlicher Zusicherungen bezogen wird: „These measure, taken together with the representations of the Mexican federal government, on which Metalclad relied, and the absence of a timely, orderly or substantive basis for the denial by the Municipality of the local construction permit, amount to an indirect expropriation.“; hierzu auch Siwy, Indirect Expropriation and Legitimate Expectations, S. 373: „The key to this problem must be to include the legitimate expectation into the ‚object‘ affected by the measure and see them as part of the property of the investor. Thus, the ‚investment‘ on which the regulation has an influence must include the legitimate expectations of the investor.“ 424  Vgl. Mostafa, 15 Australian Int. Law J. 2008, S. 287, der sich für die Heran­ ziehung der sole effects doctrine ausspricht, zugleich aber gegen eine Berücksichtigung legitimer Erwartungen im Rahmen des Schutzes vor indirekten Enteignungen. 425  Fietta, 23 J. Int. Arbitr. 2006, S. 385: „In the absence of a substantial interference with the investment, governmental assurances upon which the claimant has relied in the context of its investment will […] carry little or no weight in the expropriation equation.“; Siwy, Indirect Expropriation and Legitimate Expectations, S. 373; Kriebaum, Expropriation, S. 1006. 426  Siehe unter B.II.4.d)aa)(2). 427  CMS vs. Argentina, supra Fn. 266, Abs. 262 f.

134 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

nommen werden muss – einen angemessenen Ausgleich zwischen effektivem Investitionsschutz und Regulierung in Frage stellen könnte.428 3. Schlussfolgerungen aus der Fortentwicklung der Schiedspraxis zum Schutz vor indirekter Enteignung Die Betrachtung der Entwicklung der Schiedspraxis zum Schutz vor indirekten Enteignungen offenbart, dass der massive Widerspruch gegen eine zu weitgehende Anerkennung von Investorenrechten zu Lasten staatlicher Regulierungsinteressen deutliche Spuren hinterlassen hat und zu einer Reaktion geführt hat. Entgegen der verbreiteten Wahrnehmung einer immer investorenfreundlicheren Auslegung der Schutzstandards lässt sich hinsichtlich des Schutzes vor indirekten Enteignungen bereits an dieser Stelle eine klare Tendenz zur Relativierung des Investorenschutzes ausmachen. Diese verdeutlicht, dass die Schiedsgerichte zunehmend Korrekturbereitschaft zeigen und gewillt sind, den Sorgen um die Sicherstellung des Rechts zur entschädigunglosen Regulierung im Gemeinwohlinteresse zu begegnen.429 Im Einzelnen zeigte sich dies in der Betonung der hohen erforderlichen Eingriffsintensität. Daneben auch in der Geschlossenheit, mit welcher das von zahlreichen Stimmen hartnäckig kommunizierte Verständnis, wonach angeblich bereits bloße Gewinneinbußen zur Bejahung einer Enteignung führen könnten, zurückgewiesen wird.

Reisman / Digón, Eclipse of Expropriation, S. 37, 45 f. dieser Reaktion der Schiedsgerichte auch Schreuer, 6 J. World Invest. Trade 2010, S. 3, die Entwicklung zu einer zögerlichen und restriktiven Annahme von indirekten Enteignungen als ein Beispiel dafür anführend, dass Schiedsgerichte im Hinblick auf die wachsende Besorgnis gegenüber der Schiedsgerichtsbarkeit die Zeichen der Zeit verstanden haben und diese Entwicklung eine bewusste oder auch unbewusste Reaktion auf diese Besorgnis ist: „How have tribunals reacted to concerns about investment arbitration? My impression is that tribunals have understood the signs of the time and have become relatively cautious, certainly more cautious than initially. Let me give you just a few examples. For instance, investment tribunals have become very hesitant and even restrictive about findings of expropriation. Nowadays it is very difficult to convince an investment tribunal that an expropriation, even an indirect expropriation, has occurred.“; siehe auch Meifort, Begriff der Enteignung, S. 207, in Anbetracht der Schiedspraxis zu dem Ergebnis gelangend, dass die Befürchtungen und Angstszenarien angesichts der Zurückhaltung der Schiedsgerichte bei der Annahme einer indirekten Enteignung übertrieben erscheinen; speziell in Bezug auf nichtdiskriminierende Umwelt- und Gesundheitsschutzmaßnahmen siehe auch die Einschätzung von Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 37: „[I]t is hard to conceive of a situation in which a tribunal would award compensation for a taking resulting from a non-discriminatory, legitimate environmental or health regulation.“ 428  Vgl. 429  Zu



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?135

Vor allem aber zeigt sich eine deutliche Reaktion der Schiedsgerichte in dem klaren Trend, bei der Prüfung einer indirekten Enteignung auch den verfolgten Gemeinwohlzweck der Regulierungsmaßnahme korrigierend zu berücksichtigen. Während Dolzer und Bloch 2002 / 2003 unter dem Eindruck von Metalclad zutreffend noch eine Tendenz zur Berücksichtigung allein der Auswirkungen der Maßnahme ausmachten430, konnten Fortier und Drymer 2004 aufgrund späterer Entscheidungen wie Tecmed vs. Mexico bereits beobachten, dass zunehmend von den Extremen einer sole effects doctrine oder einer „radikalen“ police powers doctrine Abstand genommen wird und eine mehrheitliche Berücksichtigung der Auswirkungen und des verfolgten Gemeinwohlzwecks ausmachen.431 Einzelne nachfolgende Entscheidungen, wie insbesondere Methanex vs. USA, trugen dem Recht zur entschädigungslosen Regulierung sogar durch eine „radikale“ Regulierungsausnahme vom Enteignungsschutz Rechnung oder werden mitunter – wie die Entscheidungen Saluka vs. Czech Republic und Chemtura vs. Canada – jedenfalls in diesem Sinne verstanden. Eine Reaktion, die auf Zustimmung von Umweltund weiteren Interessensverbänden stieß432 und auch Eingang in neuere Abkommenstexten fand433, von ebenso zahlreichen Stimmen jedoch wiederum als Überreaktion kritisiert wurde, durch welche der Schutz vor Enteignung aufgrund regulatorischer Maßnahmen letztlich leer liefe und dem

430  Dolzer / Bloch, 5 International Law FORUM du Droit International 2003, S. 163. 431  Fortier / Drymer, 19 ICSID Review 2004, S. 326: „Tribunals appear increasingly disinclined to adhere to extreme versions of the ‚sole effect‘ or ‚purpose‘ doctrines, and are wont in any case to consider both the character and the practical impact of governmental measures. […] In most cases the determination of when State conduct crosses the line between non-compensable regulation and compensable indirect expropriation tends to involve a balancing of several condiderations.“; siehe auch OECD, Indirect Expropriation and the Right to Regulate, S. 14. 432  So beispielsweise auch im Rahmen des Konsultationsprozesses zur Überarbeitung des amerikanischen Musterabkommens für das US-Model BIT 2012, siehe Stumberg, supra Fn. 80, S. 2: „[T]he ruling [in Methanex vs. United States] provides a model for reforming the language of indirect expropriation in the U.S. agreements.“ 433  So im Investment Agreement for the COMESA Common Investment Area („COMESA CIAA“), Art. 20 Abs. 8: „Consistent with the right of states to regulate and the customary international law principles on police powers, bona fide regulatory measures taken by a Member State that are designed and applied to protect or enhance legitimate public welfare objectives, such as public health, safety and the environment, shall not constitute an indirect expropriation under this Article.“; siehe auch die absolute Ausnahme legitimer und nichtsdiskriminierender Regu­ lierungsmaßnahmen vom Enteignungsschutz in Annex 2 Abs. 4 ASEAN Comprehensive Investment Agreement („ASEAN CIA“); hierzu auch Spears, Making Way for the Public Interest in IIA, S. 279.

136 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

I­nvestor einseitig die Last der Verfolgung eines öffentlichen Interesses auferlegt werde.434 In diesem Sinne zeigt auch die jüngere Entwicklung der Schiedspraxis, dass die genannten Entscheidungen zwar als Nachweis für eine überwältigende Befürwortung der police powers doctrine angeführt werden können435, eine generelle Regulierungsausnahme unter Verweis auf das Entstehen erhebliche Schutzlücken indes weit mehrheitlich verneint wird. Stattdessen ist heute ein klarer Trend zu einer abwägenden Berücksichtigung des verfolgten Gemeinwohlziels auszumachen, vorausgesetzt, dass die Auswirkungen die erforderliche Eingriffsintensität überhaupt erreichen.436 Eine nichtdiskriminierende Regulierungsmaßnahme zur Verfolgung eines legitimen Gemeinwohlziels stellt hiernach grundsätzlich keine indirekte Enteignung dar, es sei denn, ihre hohe Eingriffsintensität steht in einem Missverhältnis zu dem verfolgten Gemeinwohlziel. Mit dieser abwägenden Berücksichtigung des Gemeinwohlziels folgt die Investitionsrechtsprechung zur Abgrenzung zwischen indirekter Enteignung und entschädigungsloser Regulierung somit heute weit mehrheitlich bereits dem Verständnis eines Ausgleichs, welches schon in einigen neueren Abkommenstexten zum Ausdruck gebracht wurde, um die Schiedsgerichte zu eben diesem Vorgehen anzuhalten.437 Allen voran 434  Brower, Obstacles and Pathways, S. 363 f., unter Verweis auf zahlreiche weitere kritische Stimmen; hierzu auch Spears, Making Way for the Public Interest in IIA, S. 277; vor einer solchen Überreaktion zum Ausgleich einer zu investorenfreundlichen Entwicklung warnend auch Mostafa, 15 Australian Int. Law J. 2008, S. 287, 292; ebenso Siwy, Indirect Expropriation and Legitimate Expectations, S. 363: „This approach could seriously overstate the competence of a state under its police powers.“; Kriebaum, Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 32, im Hinblick darauf, dass nur in äußerst seltenen Fällen ein öffentliches Interesse verneint wurde; siehe auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S.  63 f. 435  So UNCTAD, Expropriation, S. 85, insoweit jedoch nicht zwischen einem „radikalen“ und einem „gemäßigten“ police powers-Ansatz differenzierend. 436  So auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 21: „The trend is clear: both the purpose and the effect is relevant.“; auch Ratner, 102 Am. J. Int. Law 2008, S. 482 f. bestätigte in seiner Studie zu regulatorischen Enteignungen: „[T]he better view from a review of decisions is that this third factor [the context of the governmental measure, including its purpose and the proportionality between the harm to the investor and the benefit to the public] is relevant.“; siehe auch Kriebaum, Expropriation, S. 999, zum neueren Trend der Berücksichtigung von Kontext und Ziel der Maßnahme im Falle ausreichender Eingriffsintensität; siehe auch bereits Kriebaum, Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 35, ein gegenläufige Strömung und den Trend zur Berücksichtigung von Zweck und Kontext unter teilweiser gänzlicher Ignorierung der Auswirkungen ausmachend; siehe auch Siwy, Indirect Expropriation and Legitimate Expectations, S. 376. 437  Siehe auch Kriebaum, Indirekte Enteignung oder Zulässige Regulierung?, S. 35, bereits aufgrund der bis zum damaligen Zeitpunkt ergangenen Entscheidungen



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?137

den neueren Abkommen der USA und Kanadas, welche als Vorreiter bereits 2004 mit der Umgestaltung ihrer Musterabkommen einer Auslegung des Enteignungsstandards zulasten staatlicher Regulierungsinteressen widersprachen.438 Soweit dieser klare Trend dem eigenen Verständnis eines Ausgleichs entspricht, stellt er die Erforderlichkeit seiner ausdrücklichen Verankerung im Abkommenstext in Frage. Gleichwohl erscheint es ratsam, sich auch in diesem Fall nicht darauf zu verlassen, dass Schiedsgerichte diesem Trend zukünftig im Rahmen ihres Ermessens folgen werden. Wie gesehen finden sich auch in jüngeren Entscheidungen Beispiele für eine sole effects doc­ trine sowie ein „radikales“ police powers-Verständnis, so dass auch heute noch nicht davon gesprochen werden kann, dass sich eine „gemäßigte“ police powers doctrine gegenüber diesen Ansätzen endgültig durchgesetzt hätte.439 Ohne eine ausdrückliche Festlegung im Abkommenstext besteht somit weiterhin die Unsicherheit fort, welches Verständnis ein Schiedsgericht nach seinem Ermessen zu Grunde legen wird. Eine ausdrückliche Festlegung im Abkommenstext erscheint darum geboten.440 Erst recht ist ein Handlungsbedarf angezeigt, wenn der gegenwärtige Trend der abwägenden Berücksichtigung der Auswirkungen und des Gemeinwohlziels nicht dem eigenen Verständnis eines angemessenen Ausgleichs entspricht. Also dann, erachtetet man eine generelle Ausnahme regulativer Maßnahmen für erforderlich441 oder ist man – entgegen der gegenwärtigen vertraglichen Gestaltungsbemühungen – der Auffassung, dass staatlichen Regulierungsinteressen bereits durch die hohe erforderliche Eingriffsintensität für eine Entschädigungspflicht, die nur in den seltensten Fällen erreicht wird, ausreichend Rechnung getragen wird und im Sinne der und mit Blick auf den US-Model BIT 2004 eine Neigung der Schiedsgerichte ausmachend, der Tendenz zur Sicherstellung staatlicher Regulierungsinteressen Folge zu leisten. 438  Siehe Annex B (4)(b) des insoweit unveränderten US Model BIT 2012: „Except in rare circumstances, non-discriminatory regulatory actions by a Party that are designed and applied to protect legitimate public welfare objectives, such as public health, safety, and the environment, do not constitute indirect expropriations.“; siehe beispielsweise Canada-China BIT (2012), Annex B.10(3); ColombiaIndia BIT (2009), Art. 6(2)(c). 439  So auch Titi, Right to Regulate, S. 287; Mostafa, 15 Australian Int. Law J. 2008, S. 268, jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt sogar ein Vorherrschen der von ihm befürworteten sole effects doctrine ausmachend. 440  Spears, Making Way for the Public Interest in IIA, S. 279; im Interesse der Rechtssicherheit und einer garantierten Berücksichtigung staatlicher Regulierungs­ interessen spricht sich hierfür auch Titi, Right to Regulate, S. 151, 281, 287 ff., 293 f. aus. 441  So wie im COMESA CIAA und im ASEAN CIA, siehe supra Fn. 433.

138 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

sole effects doctrine durch eine ausnahmslose Entschädigungspflicht im Fall ihres Überschreitens ein angemessener Ausgleich erzielt würde.442 Wie ein Ausgleich infolge der entsprechenden Ausgestaltung der Enteignungsbestimmung aussieht, in welchem Maße also jeweils Investoren- und Regulierungsinteressen Rechnung getragen wird, lässt sich jedoch letztlich nur in der Zusammenschau mit den weiteren Schutzstandards beurteilen. Denn selbst eine generelle Ausnahme regulierender Gemeinwohlmaßnahmen oder gar der vollständige Verzicht auf einen Schutz vor indirekter Enteignung kann einen Ausgleich darstellen, sofern der intendierte Schutz des Investors durch einen anderen Standard sichergestellt ist.443 In diesem Sinne zeigt die Entwicklung der Schiedspraxis, dass die Tendenz, eine indirekte Enteignung nur unter äußerst restriktiven Voraussetzungen zu bejahen, mit einer zunehmenden Verlagerung zum FET-Standard einhergeht. 4. Zunehmende Verlagerung zum FET-Standard Die zunehmende Verlagerung zum FET-Standard444 zeigt sich – neben zahlreichen weiteren Beispielen – sehr anschaulich an der Entscheidung 442  So etwa Mostafa, 15 Australian Int. Law J. 2008, S. 294 ff., eine Verhältnismäßigkeitsprüfung und auch die Berücksichtigung legitimer Investorenerwartungen daher im Rahmen des Enteignungstandards ablehnend. In den Extremfällen, in welchen die hohe Eingriffsintensität überhaupt erreicht wird, könne auch eine Abwägung nicht rechtfertigen, dem Investor die alleinigen Kosten einer Gemeinwohlmaßnahme aufzuerlegen (a. a. O., S. 283). Auch sei die Frage, welche Gemeinwohlziele letztlich unter die police powers fallen eine weitere Quelle der Rechtsunsicherheit, weshalb die sole effects doctrine auch zu einer erhöhten Einheitlichkeit und Vorhersehbarkeit der Entscheidungen führe (a. a. O., S. 273 ff.); gegen eine Berücksichtigung des verfolgten Gemeinwohlziels auch Siwy, Indirect Expropriation and Legitimate Expectations, S. 364, gleichwohl den neueren Trend zu seiner Berücksichtigung neben den Auswirkungen trotz fortbestehender Bedenken als praktikablen Ansatz erachtend, der Extrempositionen vermeidet (a. a. O., 367, 376). 443  Vgl. Ortino, 28 ICSID Review 2013, S. 160 f., der sich für eine Beschränkung des Enteignungsschutzes auf direkte Enteignungen oder Fälle vollständigen Wertverlusts ausspricht, da sonstige Fälle ohne Schutzlücken über den FET-Standard erfasst seien; siehe auch Mostafa, 15 Australian Int. Law J. 2008, S. 294, der sich für die sole effects doctrine und gegen die Berücksichtigung legitimer Erwartungen im Rahmen des Enteignungsstandards ausspricht und einen angemessenen Ausgleich im Zusammenspiel mit dem Schutz vor Diskriminierung sowie dem FET-Standard befürwortet. 444  Ausführlich hierzu auch Reisman / Digón, Eclipse of Expropriation, S. 27 und Reed / Bray, FET Fairly and Equitable Applied in Lieu of Unlawful Indirect Expropriation?, S. 13, insbesondere zur Übertragung der üblichen Entschädigungshöhe; siehe auch Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 101, 117 f.; UNCTAD, IIA Monitor 1 / 2008, S. 7; siehe schon Paulsson, Indirect Expropriation: Is the Right to Regulate at Risk?, S. 4, wonach vor diesem Hintergrund davon abgesehen werden sollte, in-



I. Enteignungsschutz als Hemmnis für Regulierungsinteressen?139

Sempra Energy vs. Argentina.445 So verneinte das Gericht das Vorliegen einer indirekten Enteignung mangels eines Kontroll- oder vollständigen Wertverlusts, erklärte aber zugleich, dass die gleichwohl vorliegende, jedoch für eine indirekte Enteignung unzureichende Beeinträchtigung der Investi­ tion, vielmehr nach den weiteren Standards zu beurteilen sei.446 Hiernach erörterte das Gericht die Schließung der durch die spezielleren Standards verbleibenden Schutzlücken als die wesentliche Funktion des FET-Standards sowie das Verhältnis zum Schutz vor indirekter Enteignung. Dabei brachte es zum Ausdruck, dass es letztlich allein darauf ankomme, dass der durch das Abkommen intendierte Investorenschutz erzielt wird, gleich ob durch einen oder mehrere Standards: „[Fair and equitable treatment] ensures that even where there is no clear justification for making a finding of expropriation, as in the present case, there is still a standard which serves the purpose of justice and can of itself redress damage that is unlawful and that would otherwise pass unattended. Whether this result is achieved by the application of one or several standards is a determination to be made in the light of the facts of each dispute. What counts is that in the end the stability of the law and the observance of legal obligations are assured, thereby safeguarding the very object and purpose of the protection sought by the treaty.“447 direkte Enteignung allein deshalb obiter zu verneinen, um der im Rahmen von FET unterliegenden Partei auch „etwas zu geben“, da solche obiter dicta unbeabsichtigte Folgen für Sachverhalte haben könnte, in welchen es – wie im Fall einer Klage aufgrund einer Versicherung gegen Enteignung – allein um die Beurteilung des Vorliegen einer Enteignung geht und kein „Ausweichen“ auf FET möglich ist. 445  Sempra Energy vs. Argentina, supra Fn. 272; weitere Entscheidungen, welche diese Verlagerung durch eine restriktive Auslegung des Enteignungsstandards und die Bejahung eines Verstoßes gegen FET illustrieren sind etwa CMS vs. Argentina, supra Fn. 266; LG&E, supra Fn. 274; Enron vs. Argentina, supra Fn. 288; Azurix vs. Argentina, supra Fn. 298; Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232; PSEG ­Global Inc. vs. Republic of Turkey, ICSID Case No. ARB / 02 / 5, Award, 19.  Januar 2007 („PSEG vs. Turkey“). 446  Sempra Energy vs. Argentina, supra Fn. 272, Abs. 285. 447  Sempra Energy vs. Argentina, supra Fn. 272, Abs. 285, 300, unter Verweis auf Dolzer, 39  The International Lawyer 2005, S. 90; ähnlich auch PSEG vs. Turkey, supra Fn. 445, Abs. 238 f.: „The standard of fair and equitable treatment has acquired prominence in investment arbitration as a consequence of the fact that other standards traditionally provided by international law might not in the circumstances of each case be entirely appropriate. This is particularly the case when the facts of the dispute do not clearly support the claim for direct expropriation, but when there are notwithstanding events that need to be assessed under a different standard to provide redress in the event that the rights of the investor have been breached. […] [I]t clearly does allow for justice to be done in the absence of the more traditional breaches of international law standards. This role has resulted in the concept of fair and equitable treatment acquiring a standing on its own, separate and distinct from that of other standards, albeit many times closely related to them, and thus ensuring that the protection granted to the investment is fully safeguarded.“

140 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Zugleich wies das Gericht darauf hin, dass insbesondere bei einem massiven FET-Verstoß nur eine dünne Linie zwischen beiden Standards verlaufe. Im Zweifelsfall spräche jedoch die gebotene gerichtliche Zurückhaltung für eine Heranziehung des FET-Standards, was auch erkläre, warum in diesen Fällen die Entschädigungshöhe letztlich keine wesentlichen Unterschiede aufweise.448 Neben weiteren Gründen wurde vor allem die textliche Weite und Ausweitung des FET-Standards sowie die gestiegene Bedeutung der Berücksichtigung legitimer Investorenerwartungen für die schwindende Bedeutung des indirekten Enteignungsschutzes ausgemacht.449 So wird der FET-Standard unter Verweis auf die Möglichkeit einer umfassenderen Interessensabwägung sowie die Ausübung von Ermessen hinsichtlich der Entschädigungshöhe häufig als der geeignetere Standard zur Erzielung eines Ausgleichs zwischen Regulierungs- und Investorenschutzinteressen erachtet.450 Zugleich gibt es jedoch auch Stimmen, die bezweifeln, dass es die richtige Lösung ist, der Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen Investorenschutzund Regulierungsinteressen durch eine Beurteilung anhand des FET-Standards auszuweichen. Durch die Verlagerung zu einem hinsichtlich seiner Voraussetzungen und der Entschädigungshöhe vageren Standard, welcher den Schiedsgerichten ein weitergehendes Ermessen einräumt und die vergleichsweise klaren Voraussetzungen des indirekten Enteignungsschutzes nicht erfordert, werde vielmehr die Balance zwischen Investoren- und Regulierungsinteressen gefährdet.451 448  Sempra

Energy vs. Argentina, supra Fn. 272, Abs. 301. 23 J. Int. Arbitr. 2006, S. 398; Reisman / Digón, Eclipse of Expropriation, S. 32, kritisch auch zu weiteren Erklärungsversuchen, a. a. O., S. 28 f.; siehe auch Rensmann, Völkerrechtlicher Enteignungsschutz, S. 44. 450  Siehe schon Thunderbird vs. Mexico, Separate opinion of Thomas Wälde, supra Fn. 227, Abs. 37: „One can observe over the last years a significant growth in the role and scope of the legitimate expectation principle […] to its current role as a self-standing subcategory and independent basis for a claim under the ‚fair and equitable standard‘  […]. This is possibly related to the fact that it provides a more supple way of providing a remedy appropriate to the particular situation as compared to the more drastic determination and remedy inherent in concept of regulatory expropriation. It is probably partly for these reasons that ‚legitimate expectation‘ has become for tribunals a preferred way of providing protection to claimants in situations where the tests for a ‚regulatory taking‘ appear too difficult, complex and too easily assailable for reliance on a measure of subjective judgment.“; siehe auch Stone Sweet, Law & Ethics of Human Rights 2010, S. 62; vgl. auch Ortino, 28 ICSID Review 2013, S. 160 ff., siehe bereits Fn. 443; siehe auch Kahn, 33 Fordham Int. Law J., S. 148, in Bezug auf Investorenerwartungen, welche aufgrund der flexibleren Entschädigungshöhe statt zwingendem fair market value besser im Rahmen von FET zu berücksichtigen seien; siehe auch S.D. Myers vs. Canada, supra Fn. 266, Abs. 309. 449  Fietta,



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?141

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die beobachtete Tendenz zur restriktiven Auslegung des Schutzes vor indirekter Enteignung unter Berücksichtigung des verfolgten Gemeinwohlziels keine abschließende Aussage zulässt, inwieweit staatlichen Regulierungsinteressen in der Schiedspraxis Rechnung getragen wird und ein Haftungsrisiko der Staaten besteht. Denn dem Regulierungsinteresse ist freilich nicht gedient, wenn zwar eine indirekte Enteignung verneint wird, die Verletzung des FET-Standards jedoch zur Entschädigungspflicht führt. Im Folgenden ist daher zu betrachten, inwieweit der Widerspruch gegen eine zu expansive Anerkennung von Investorenrechten auch in Bezug auf den FET-Standard seinen Niederschlag in einer stärkeren Berücksichtigung staatlicher Regulierungsinteressen gefunden hat.

II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen? 1. Einführung Neben dem Schutz vor indirekten Enteignungen stand in den vergangenen Jahren vor allem der FET-Standard regelmäßig im Mittelpunkt jener Investorenklagen, in denen eine Entscheidung im Spannungsfeld von Investorenschutz- und Regulierungsinteressen zu treffen war. Auch in Zukunft ist davon auszugehen, dass sich entsprechende Investorenklagen entscheidend auf diesen Standard stützen werden452, welcher nur in wenigen Ausnahmefällen nicht im Abkommenstext verankert ist.453 Wie kein anderer hat der FET-Standard dabei erst in jüngerer Zeit eine rasante und in mehrfacher Hinsicht erstaunliche Entwicklung erfahren. Denn während der FET-Standard bereits vor weit mehr als fünfzig Jahren in Abetwa Reisman / Digón, Eclipse of Expropriation, S. 37, 45 f. 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 38; zur generellen zukünftigen Bedeutung von FET ebenso Dolzer, 12 Santa Clara J. Int. Law 2014, S. 32. 453  Auch wenn einzelne Abkommen keine FET-Verpflichtung enthalten (z.  B. Australia-Singapore BIT (2003), India Singapore FTA (2005)), besteht gleichwohl die Verpflichtung zur Behandlung des Investors entsprechend des MST. Zudem ist zu beachten, dass der FET-Standard über die MFN-Klausel des Abkommens zur Anwendung gelangen kann. So nannte z. B. der damalige Türkei ‒ Pakistan BIT (1995) entgegen dem neuen BIT von 2012 fair and equitable treatment lediglich in der Präambel. Das Gericht in Bayindir vs. Pakistan, supra Fn. 227, Abs. 153 ff. verwies darauf, dass aus der Präambel keine Verpflichtung folgt, sah hierin aber das Argument dafür, dass eine FET Klausel aus einem nachfolgenden BIT Pakistans über die MFN-Klausel importiert werden könne; siehe auch UNCTAD, FET, S. 18 ff., 104. 451  So

452  Moloo / Jacinto,

142 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

kommenstexten enthalten war, führte er lange Zeit ein Schattendasein.454 Erst im Zuge der rapide gestiegenen Zahl von Investorenklagen hatten sich Schiedsgerichte regelmäßig mit seinem Inhalt auseinandersetzen, wodurch dieser notorisch unbestimmte Standard eine enorme Fortentwicklung und Konkretisierung erfahren hat. War die Zusicherung billiger und gerechter Behandlung in ihren Anfängen vor allem auch ein politisches Signal, ist er heute nicht nur der am häufigsten, sondern auch der mit den größten Erfolgsaussichten geltend gemachte Standard.455 Die große Popularität des FET-Standards lässt sich dabei auf verschiedene Ursachen zurückführen: Zunächst auf den Umstand, dass sich sein Inhalt nicht in Relation zur Behandlung inländischer Investoren oder Investoren aus Drittstaaten bestimmt, sondern dem Investor ein insoweit absolutes Schutzniveau gewährt.456 Über die Funktion der Vermeidung von Schutzlücken relativer Standards hinaus, findet der FET-Standard aber auch neben spezielleren Standards selbständige Anwendung, so dass die Beschreibung des FET-Standards als bloßem Lückenfüller seiner heutigen Bedeutung nicht gerecht würde.457 Wie gesehen, gelangt der FET-Standard insbesondere auch dann bevorzugt zur Anwendung, wenn aufgrund des Sachverhalts nicht klar auf eine indirekte Enteignung zu schließen ist, gleichwohl aber ein Bedürfnis gesehen wird, eine ungerechte Behandlung des Investors auf andere Weise zu ahnden, um das vertraglich intendierte Schutzniveau sicherzustellen.458 Als Inbegriff eines unbestimmten Standards ermöglicht es der FET-Standard, unterschiedlichste und unvorhergesehene Sachverhalte zu erfassen und der Beurteilung durch einen neutralen Dritten zuzuführen, weshalb in der fehlenden Bestimmtheit und Ausfor454  Zu den Anfängen des vertraglichen FET-Standard, siehe UNCTAD, FET (1999), S. 7 ff.; Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 33. 455  UNCTAD, FET, S. 1. 456  Dazu, dass die Bezeichnung als absoluter Standard hingegen nicht bedeutet, dass der FET-Standard statisch unter allen Umständen gleich zur Anwendung gelangt, sondern ein flexibler Standard ist, siehe Dolzer / von Walter, Lines of Jurisprudence, S. 113 f.; siehe auch Kläger, FET, S. 304 f., wonach die Differenzierung zwischen absoluten und relativen Standards oder auch die alternative Kategorisierung in non-contingent und contingent obligations aufgegeben werden sollte, jedenfalls aber für eine flexible Generalklausel wie FET unpassend sei. 457  Kläger, FET, S. 306 f.; siehe auch Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 132 f., sowie Dolzer, 12 Santa Clara J. Int. Law 2014, S. 11 ff. 458  Siehe unter B.I.4 und bereits supra Fn. 447; siehe auch Swisslion DOO Skopje vs. The Former Yugolav Republic of Macedonia, ICSID Case No. ARB / 09 / 16, Award, 6. Juli 2012, Abs. 273: „[The Tribunal] does subscribe to the view expressed by certain tribunals that the standard basically ensures that the foreign investor is not unjustly treated, with due regard to all surrounding circumstances, and that it is a means to guarantee justice to foreign investors.“



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?143

mungsbedürftigkeit auch weniger ein Nachteil als ein Vorteil des FETStandards erblickt wird.459 Ursprünglich wurde diese Unbestimmtheit von Staaten wie Investoren geschätzt, doch heute fürchten Staaten, trotz ihres Interesses an der Bewahrung der Flexibilität des FET-Standards, die mit der Unbestimmtheit einhergehende Rechtsunsicherheit. Der FET-Standard wurde infolge seiner Entwicklung zur unberechenbaren Unbekannten, zum „schwarzen Loch“ der Investitionsschutzabkommen.460 Spiegelbildlich zum Enteignungsstandards wird kritisiert, dass der FET-Standard in den Händen der Schiedsrichter eine immer investorenfreundliche Entwicklung erfahren habe, wodurch dem Standard heute ein Schutzumfang beigemessen werde, der über die ursprünglich intendierte Reichweite des Investorenschutzes weit hinausgehe und staatliche Regulierungsinteressen gefährde.461 Beklagt wird dabei auch die Ungewissheit über die inhaltliche Reichweite der FET-Verpflichtung und eine mögliche Haftung. Dies sowohl in Bezug auf die konkreten Einzelverpflichtungen, an denen sich das staatliche Verhalten gegenüber dem Investor aufgrund der Zusicherung von fair and equitable treatment messen lassen muss als auch in Bezug auf die damit sehr eng verknüpfte, aber gleichwohl zu trennende Frage, wie gravierend ein Verstoß gegen diese dem FETStandard unterfallenden Einzelverpflichtungen sein muss, um einen entschädigungspflichtigen Verstoß zu begründen („liability treshold“).462 Sucht man nach den Gründen, welche die beklagte Rechtsunsicherheit begünstigen und eine konsistente Bestimmung des Inhalts und der Reichweite – zumal durch ad hoc gebildete Schiedsgerichte – erschweren, sind mehrere unmittelbar zusammenhängende Faktoren auszumachen: Zunächst eben die genannte textliche Unbestimmtheit, die weite Interpretationsspielräume eröffnet. Daneben der Umstand, dass der FET-Standard mit sehr unterschiedlichen Formulierungen in den Abkommenstexten verankert wurde. Denn anstatt stets einen einheitlich formulierten Standard auslegen zu können, ist diesen verschiedenen Ausprägungen und Ausgestaltungen bei der Auslegung Rechnung zu tragen und die Frage zu beantworten, etwa Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 133. 16 Fla. J. Int. Law 2004, S. 333. 461  Siehe etwa Miles, The Origins of International Investment Law, S. 171; van Harten, Investment Treaty Arbitration and Public Law, S. 89 f. 462  Zur Unterscheidung zwischen der inhaltlichen Erstreckung des FET-Standards auf einzelne Verpflichtungen (components oder elements) und der Frage, wie gravierend der Verstoß gegen diese Verpflichtung sein muss, um eine Verletzung des Standards zu begründen (overall threshold oder auch liability threshold), UNCTAD, FET, S. 12; zur engen Verknüpfung auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S.  41 f. 459  So

460  Garcia,

144 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

inwieweit sich die verschiedenen Ausgestaltungen hinsichtlich ihres Inhalts und des durch sie gewährten Schutzniveaus unterscheiden. Diese Frage stellte sich – neben den präzisierten Formulierungen der FET-Verpflichtung in neueren Abkommenstexten – insbesondere in Bezug auf das Verhältnis des vertraglichen FET-Standard zu seinem gewohnheitsrechtlichen Ursprung, dem International Minimum Standard of Treatment. Sollte also durch die vertragliche FET-Zusicherung auf diesen Mindeststandard verwiesen werden und sind beide Standards gleichzusetzen, da – so die Argumentation für diesen sog. Equating Approach – durch die Verankerung von FET die Ungewissheit über die Existenz eines gewohnheitsrechtlichen Mindeststandards ausgeräumt, zugleich aber der unbestimmten FET-Verpflichtung durch den Rückgriff auf ein durch die Rechtsprechung und Lehre bereits konkretisiertes Konzept, Inhalt und Kontur verliehen werden sollte?463 Oder aber wollten die Vertragsparteien einen autonomen Standard garantieren, nach welchem gerade unabhängig von seinem gewohnheitsrechtlichen Ursprung anhand der jeweiligen Umstände zu bestimmen ist, ob eine staatliche Maßnahme fair and equitable ist, um hierdurch die vergiftete Diskussion über das Bestehen und den vagen Inhalt eines gewohnheitsrechtlichen Mindeststandards hinter sich zu lassen (Plain Meaning Approach464)? Auch diese langwährende Diskussion um das Verhältnis eines vertraglichautonomen FET-Standard zum Minimum Standard ist heute nach wie vor als eine weitere Quelle der Rechtsunsicherheit und Inkonsistenz auszumachen.465 Gerade infolge der gegenwärtigen Bemühungen um eine Einschränkung ausufernder Investorenrechte durch die Beschränkung auf den Minimum Standard drängt sie – berechtigt oder nicht – nämlich weiter in den Fokus. Gerade vor dem Hintergrund der Bemühungen um die Festschreibung des als angemessen erachteten Ausgleichs durch die unterschiedlichen Formulie463  Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 28 f.; ausführlich zur Entwicklung des Equating Approach sowie den für und gegen ihn vorgetragenen Argumenten, Kläger, FET, S. 56 ff.; vgl. auch UNCTAD, FET (1999), S. 12 f. 464  Zum Plain Meaning Approach und den befürwortenden wie kritischen Stimmen, siehe Kläger, FET, S. 59 f. 465  Zum Fortbestehenden der Diskussion des Verhältnisses des FET-Standards zum MST als Quelle der Inkonsistenz und Rechtsunsicherheit, siehe Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 39: „a source of additional inconsistency and uncertainty until a consensus emerges“; Spears, Making Way for the Public Interest in IIA, S. 284: „It also remains to be seen […] whether arbitral tribunals will begin to produce consistent answers to the three questions […]  regarding the content of the FET standard, its relationship to the MST and its impact on customary international law.“; UNCTAD, WIR 2012, S. 139; siehe auch UNCTAD, FET, S. 7; zur Entstehung und den Hintergründen der Diskussion um das Verhältnis des FETStandards zum MST, Kläger, FET, S. 48 ff.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?145

rungen der FET-Klauseln wird ein ganz entscheidender Punkt deutlich: Verallgemeinerungen hinsichtlich der unterschiedlichen FET-Klauseln sind mit großer Vorsicht zu genießen.466 Während sie einem einheitlichen Verständnis und einer konsistenten Anwendung des Standards gewiss zuträglich wären, drohen durch sie bewusste Entscheidungen der Vertragsparteien übergangen und vertragliche Gestaltungsspielräume genommen zu werden. So ist zu bedenken, dass die unterschiedlichen Ausgestaltungen – bezogen auf das Gesamtsystem – zwar einerseits ein Hindernis für die Erhöhung der Konsistenz und Rechtssicherheit sein können, andererseits aber bietet sich allein durch sie die Möglichkeit, die Reichweite des gewährten Investorenschutzes und somit den für angemessen erachteten Ausgleich mit legitimen Regulierungsinteressen zu bestimmen. Sobald unterschiedliche Ausgestaltungen hingegen stets in gleicher Weise interpretiert werden und ihnen der gleiche Inhalt und die gleiche Reichweite beigemessen wird, ist zwar der Vorhersehbarkeit und Konsistenz gedient, jedoch entfällt hierdurch die Gestaltungsmöglichkeit zur vertraglichen Formulierung des jeweils für angemessen erachteten Ausgleichs.467 Im Hinblick auf die zukünftige Vertragsgestaltung soll im Folgenden eine kurze Übersicht über die gängigen Klauselformulierungen gegeben und betrachtet werden, inwieweit die Vertragsparteien durch sie die Bestimmung des Inhalts der FET-Verpflichtung delegieren oder zurückbehalten. Zudem soll ein erster Blick darauf geworfen werden, ob den unterschiedlichen Formulierungen in der Schiedspraxis Beachtung geschenkt wurde (2.). Anschließend ist der Frage nachzugehen, inwieweit den verschiedenen Klau466  So auch Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 132; Moloo / Jacinto, Berkeley J. Int. Law 2011, S. 39. 467  In diesem Sinne auch Bjorklund, Practical and Legal Avenues, S. 176, 178, die einen der möglichen Nachteile von Konvergenz und schließlich Uniformität darin erblickt, dass hierdurch die Freiheit der Staaten entfällt, durch die vertragliche Ausgestaltung bestimmen zu können, inwieweit sie gewillt sind, ihre staatliche Souveränität durch die Eingehung vertraglicher Schutzverpflichtungen gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner einzuschränken: „The third potential drawback [of uniformity] is the limitation on freedom of choice by home and host governments. In ratifying any investment agreement a state cedes some sovereignty; if there is only ‚one rule‘ available, or if all rules inevitably are interpreted to mean the same thing, regardless of the language states put into their agreements, their freedom of action is thereby limited.“; vgl. demgegenüber Kläger, FET, S. 87, der sich zur Vermeidung inkonsistenter Entscheidungen gegen eine Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Ausprägungen und Schutzniveaus innerhalb des FET-Standards ausspricht: „[F]air and equitable treatment should be construed as representing only onle single concept. Any division into distinct constructions of the standard  – such as a presumably lower customary international law standard and a presumably higher self-contained standard  – would threaten consistency in international investment law.“

146 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

seln dann letztlich auch ein unterschiedlicher Inhalt beigemessen wurde, so dass sie nicht nur Hindernis sind, sondern tatsächlich Gestaltungsoptionen zur Erzielung eines Ausgleichs eröffnen (3.). 2. Zwischen Hindernis und Gestaltungsoption – die unterschiedlichen Ausprägungen des FET-Standards und ihre Berücksichtigung in der Schiedspraxis Ist die Entscheidung über das Vorliegen einer indirekten Enteignung bereits in entscheidendem Maße von den Umständen des Einzelfalls abhängig, so ist die abstrakte Bestimmung des Inhalts der Verpflichtung zur billigen und gerechten Behandlung erst recht unmöglich. Soll der FET-Standard nicht seiner Funktion als Generalklausel beraubt werden, wird es stets die Aufgabe der Schiedsgerichte bleiben, anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, ob die Behandlung des Investors dem zugesicherten Standard entspricht.468 Wie frei das Gericht diese Aufgabe wahrnehmen kann, wird jedoch durch die Formulierung der FET-Klausel bestimmt. Je präziser der abstrakte Inhalt der FET-Verpflichtung vorgezeichnet wird, an dem sich die konkrete staatliche Maßnahme unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls messen lassen muss, desto mehr wird die Delegation an das Schiedsgericht eingeschränkt. Betrachtet man die gängigen Ausgestaltungen, die sich in heutigen Abkommen finden, so bieten diese ein Spektrum von einer weitestmöglichen bis zu einer deutlich eingeschränkten Delegation, durch die sich Staaten die Kontrolle über den Inhalt der Verpflichtung bewahren können. a) Unqualifizierte FET-Klauseln Ein Höchstmaß an Unbestimmtheit weisen FET-Klauseln auf, die lediglich bestimmen, dass der ausländische Investor fair and equitable zu behandeln ist, ohne den Inhalt dieser Verpflichtung weiter vorzuzeichnen oder ihr Grenzen zu setzen.469 Inhalt und Reichweite der Verpflichtung wird durch 468  In diesem Sinne etwa Mondev International Ltd. vs. United States of America, NAFTA, ICSID Case No. ARB(AF) / 99 / 2, Award, 11.  Oktober 2002 („Mondev vs. USA“), Abs. 118: „[A] judgement of what is fair and equitable cannot be reached in the abstract; it must depend on the specific facts of the particular case. It is part of the essential business of courts and tribunals to make judgements such as these.“; ebenso Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 285. 469  So z. B. Art. 2 Abs. 2 des deutschen Mustervertrags (2009): „Each Contract­ ing State shall in its territory in every case accord investments by investors of the



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?147

solche FET-Klauseln lediglich durch zwei in höchstem Maße wertungs- und kontextabhängige wie austauschbare Begriffe beschrieben. Zieht man im Ausgangspunkt ein Wörterbuch zu Rate, so weiß man hinterher, dass fair unter anderem equitable bedeutet und umgekehrt, wodurch lediglich die allgemeine Auffassung unterstrichen wird, dass FET ein einheitliches Konzept beschreibt und nicht etwa zwei zu trennende Standards von fairness und equity enthält.470 Auch die Versuche einzelner Schiedsgerichte, die gewöhnliche Bedeutung dieser Begriffe näher zu beleuchten, erschöpfte sich in der Ersetzung der Begriffe durch gleichermaßen unbestimmte Synonyme, wie etwa „ ‚just‘, ‚even-handed‘, ‚unbiased‘, ‚legitimate‘ “471, die weder weitere Erkenntnisse lieferte noch die Weite und Unbestimmtheit des FETStandards einschränkt.472 Durch unqualifizierte FET-Klauseln wird folglich die Bestimmung, unter welchen Voraussetzungen eine Behandlung des Investors nicht mehr als billig und gerecht anzusehen ist, in weitestmöglichem Maße an das Schiedsgericht delegiert, welches die konkrete Bedeutung des FET-Standards erst anhand der spezifischen Umstände des Einzelfalls ermittelt.473 Indem diese Delegation mit keinerlei Vorgabe oder Beschränkung verbunden ist, begeben sich die Vertragsparteien ihrer Mitsprache und eröffnen in besonderem Maße die Möglichkeit, dass es im Wege der Vertrags­ interpretation zu einer sukzessiven Erweiterung des Umfangs der FET-Verpflichtung kommen kann, die über das intendierte Schutzniveau hinausgeht.474 other Contracting State fair and equitable treatment as well as full protection under this Treaty.“ 470  Siehe nur Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 133; Kläger, FET, S. 41 f. 471  MTD Equity Sdn. Bhd. and MTD Chile S.A. vs. Republic of Chile, ICSID Case No. ARB / 01 / 7, Award, 25. Mai 2004 („MTD vs. Chile“), Abs. 113; siehe auch National Grid Plc. vs. Argentina, UNCITRAL, Award, 3. November 2008, Abs. 168. 472  Angesichts der Austauschbarkeit der Begriffe, wird auch dem Umstand, dass ein Vertrag auf equitable and reasonable treatment verweist, keine abweichende Bedeutung hinsichtlich des intendierten Schutzniveaus beigemessen. So wies das Gericht in Parkerings Compagniet AS vs. Republic of Lithuania, ICSID Case No. ARB / 05 / 8, Award, 11.  September 2007 („Parkerings vs. Lithuania“), Abs. 277 das Argument zurück, wonach der litauische Staat aufgrund der BIT-Formulierung „equitable and reasonable treatment“ an einem strengeren Standard festzuhalten sei, als durch den üblicheren FET-Standard gewährt werde: „[A] difference of interpretation between the terms ‚fair‘ and ‚reasonable‘ is insignificant.“; siehe auch Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 132; ebenso ergeben sich keine Unterschiede daraus, dass insbesondere spanische und französische BITs „just and equitable treatment“ zusichern, siehe UNCTAD, FET, S. 20. 473  Vgl. MTD vs. Chile, supra Fn. 471, Abs. 109, unter Verweis auf Judge Schwebel: „[T]he meaning of what is fair and equitable is defined when that standard is applied to a set of specific facts.“ 474  Vgl. UNCTAD, FET, S. 22.

148 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Betrachtet man, inwieweit Schiedsgerichte den Inhalt unqualifizierter FET-Klauseln bestimmten, so wurden diese weit mehrheitlich als völkervertragsrechtliche Norm autonom auf der Grundlage ihres jeweiligen Wortlauts und im Lichte ihres Ziels und Zwecks ausgelegt.475 So ließ etwa das Gericht in MTD vs. Chile den Verweis Chiles auf die einschränkende Auslegung im Rahmen des NAFTA unbeachtet und stellte klar, dass es allein die einschlägige BIT-Klausel zu interpretieren habe, welche selbst nicht auf das Gewohnheitsrecht verweise.476 Auf das Fehlen eines solchen ausdrücklichen Verweises auf den Minimum Standard in der allein maßgeblichen Formulierung der einschlägigen FET-Klausel verwies auch das Gericht in Saluka vs. Czech Republic.477 Hierin erblickte es gerade eine bewusste Entscheidung, um der Diskussion über den Minimum Standard zu entgehen und einen klaren Hinweis für den autonomen Charakter unqualifizierter FET-Klauseln.478 Folglich widersprach das Gericht anschließend auch dem weiteren Vortrag Tschechiens, wonach die Klausel jedenfalls einen impliziten Verweis auf den Minimum Standard enthalte und ein solcher impliziter Verweis in der Entscheidung Genin vs. Estonia angenommen worden sei.479 So habe das Gericht in jener Entscheidung lediglich erklärt, dass die Verpflichtung zu fair and equitable treatment einen internationalen, vom nationalen Recht unabhängigen Mindeststandard erfordere, mitnichten aber den BIT-Standard mit dem gewohnheitsrechtlichen Minimum Standard gleichgesetzt.480 Ob die Entscheidung in Genin vs. Estonia tatsächlich als eine der Entscheidungen angeführt werden kann, in denen das Gericht den BIT-Standard 475  Art. 31 Abs. 1 WVRK, vgl. auch Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 137, in Bezug auf sämtliche Klauseltypen, die nicht eine ausdrückliche Aussage über ihr Verhältnis zum MST enthalten; Dralle, FET am Beispiel des Schiedsspruchs Glamis Gold, S. 9. 476  Siehe MTD vs. Chile, supra Fn. 471, Abs. 110 ff. 477  Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 294. 478  Ibid. 479  Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 295, unter Verweis auf Alex Genin, Eastern Credit Limited, Inc. and A.S. Baltoil vs. The Republic of Estonia, ICSID Case No. ARB / 99 / 2, Award, 25.  Juni 2001 („Genin vs. Estonia“). 480  Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 295: „The Genin tribunal merely held that a BIT standard of ‚fair and equitable‘ treatment provides ‚a basic and general standard which is detached from the host States’ domestic law‘. This standard is characterised by the Genin tribunal as ‚an‘ international minimum standard, not as ‚the‘ international minimum standard. Far from equating the BIT’s standard with the customary minimum standard, the Genin tribunal merely emphasised that the ‚fair and equitable treatment‘ standard requires the Contracting States to accord to foreign investors treatment which does not fall below a certain minimum, this minimum being in any case detached from any lower minimum standard of treatment that may prevail in the domestic laws of the Contracting States.“



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?149

als Verweis auf den MST erachtete und beide Standards gleichsetzte481, wurde unterschiedlich beurteilt und bleibt letztlich unklar.482 Auch Siemens vs. Argentina wird als eine der Entscheidungen angeführt, in welcher eine uneingeschränkte FET-Klausel als Verweis auf den Minimum Standard erblickt und mit diesem gleichgesetzt worden sei.483 Das Gericht in Biwater Gauff vs. Tanzania nahm eine Gleichsetzung in den beiden vorgenannten Entscheidungen an, widersprach aber selbst der entsprechenden Argumentation Tansanias, wonach die einschlägige uneingeschränkte FET-Klausel nichts anderes als der Minimum Standard sei.484 Unter Verweis auf den Wortlaut und das Fehlen eines Verweises auf das Gewohnheitsrecht, schloss das Schiedsgericht auf die Intention der Vertragsparteien, einen autonomen FET-Standard festzulegen.485 Dies mit der Argumentation Schreuers, wonach die Vertragsparteien, so sie denn auf den Minimum Standard hätten verweisen wollen, das Kind beim Namen genannt hätten: „[I]t is inherently implausible that a treaty would use an expression such as ‚fair and equitable treatment‘ to denote a well-known concept such as the ‚minimum standard of treatment in customary international law‘. If the parties to a treaty want to refer to customary international law, it must be presumed that they will refer to it as such rather than using a different expression.“486 481  Genin

vs. Estonia, supra Fn. 479, Abs. 367. Kläger, FET, S. 58: „not clearly equating fair and equitable treatment with the international minimum standard“; eine Gleichsetzung hingegen annehmend UNCTAD, FET, S. 59, in dortiger Fn. 16. Zu beachten ist auch, dass keine unqualifizierte Klausel zu Grunde lag, siehe Art. 2(3)(a) US – Estonia BIT (1994): „shall in no case be accorded treatment less than required by international law“. 483  Siemens vs. Argentina, supra Fn. 359, verwiesen wird dabei auf eine Aussage des Gerichts in Abs. 291: „There is no reference to international law or to a minimum standard. However, in applying the Treaty, the Tribunal is bound to find the meaning of these terms under international law […]“, so etwa das Vorbringen Pakistans in Bayindir vs. Pakistan, supra Fn. 227, Abs. 173; UNCTAD, FET, S. 59, in dortiger Fn. 16. 484  Biwater Gauff vs. Tanzania, supra Fn. 354, Abs. 587, 589; zur gebotenen Differenzierung zwischen tatsächlicher Gleichsetzung und Bejahung einer im konkreten Fall nicht über einen fortentwickelten MST hinausgehenden FET-Verpflichtung siehe unter B.II.3.b)bb). 485  Biwater Gauff vs. Tanzania, supra Fn. 354, Abs. 591. 486  Ibid. unter Verweis auf Schreuer, 6 J. World Invest. Trade 2005, S. 360; ebenso in Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 134; kritisch zu diesem e contrario Argument Nikken in seiner Separate Opinion zu Suez vs. Argentina, supra Fn. 227, („Suez vs. Argentina, Separate Opinion of Arbitrator Pedro Nikken“), Abs.  11 ff., wonach diese Argumentation dem langen und schweren Weg nicht gerecht werde, bis der MST auch von Entwicklungsländern nicht mehr als unakzeptabel erachtet wurde. Vor diesem Hintergrund der historischen Last des Begriffs International ­Minimum Standard, sei dieser auch Ende des 20. Jahrhunderts noch „a ‚forbidden phrase‘ “ gewesen, welcher bei Vertragsverhandlungen zwar inhaltlich, nicht aber 482  Vgl.

150 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Als abschließendes Beispiel für die heute in der Tat als jurisprudence constante auszumachende, autonome Auslegung unqualifizierter FET-Klauseln487, kann die Entscheidung Micula vs. Romania dienen, in welcher sich die Parteien einig waren, dass die FET-Klausel einen vom Minimum Standard autonomen Standard aufstellt.488 b) FET in accordance with / no treatment less than required by international law Andere FET-Klauseln stellen explizit einen Bezug zum Völkerrecht oder auch nur zum Völkergewohnheitsrecht her. Auch sie lassen sich danach einordnen, inwieweit Inhalt und Reichweite der FET-Verpflichtung von den Vertragsparteien vorgezeichnet wird, anstatt deren Bestimmung zu delegieren. Einer unqualifizierten Klausel am nächsten kommen dabei jene Klauseln, die dem Investor fair and equitable treatment zusichern, keinesfalls aber eine weniger günstigere Behandlung, als die nach dem Völkerrecht geforderte.489 Da keine Aussage über die Obergrenze des gewährten Schutzes getroffen wird, ist der Auslegungsspielraum für eine potentiell expansive Auslegung ebenso wenig eingeschränkt wie im Fall einer unqualifizierten Klausel.490 Betrachtet man auch hier, welche Rolle diese Formulierungen für die Auslegung spielten, so zeigt sich kein einheitliches Bild.491 Einige Entscheidungen gelangten zu dem Ergebnis, dass eine Beschränkung auf den Minimum Standard abzulehnen sei und ein autonomer Standard festgelegt werden sollte, wobei häufig der Argumentation gefolgt wurde, dass aufgrund der getrennt aufgeführten FET-Verpflichtung der Zweck des Verweises auf das Völkerrecht allein darin bestehe, als Untergrenze eine Interpretation auszuschließen, wonach ein geringerer Schutz als nach dem allgemeinen Völkerrecht gewährt werde.492 expressis verbis akzeptiert worden wäre. Der Begriff FET sei somit schlicht als neutraler und unbelasteten Beschreibung des MST verwendet worden: „[A] formula had to be found for saying the same thing but with different words, neutral words, which were not historically demonized.“ 487  Vgl. Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 34. 488  Micula vs. Romania, supra Fn. 232, Abs. 482. 489  Siehe z. B. Art. 2.2(a) Argentina-United States of America BIT (1991): „Investment shall at all times be accorded fair and equitable treatment, shall enjoy full protection and security and shall in no case be accorded treatment less than that required by international law.“ 490  UNCTAD, FET, S. 23. 491  So auch UNCTAD, FET, S. 59, in Bezug auf alle Klauseltypen ohne ausdrückliche Kopplung an den MST.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?151

Im Gegensatz dazu erblickte etwa das Gericht M.C.I. Power Group vs. Ecuador in der identischen FET-Klausel einen Verweis auf das Gewohnheitsrecht und setzte den vertraglichen FET-Standard mit dem Minimum Standard gleich.493 Ebenso werden die Entscheidungen in Genin vs. Estonia und Occidental vs. Ecuador als Beispiele dafür angeführt, dass ein so formulierter FET-Standard mit dem Minimum Standard gleichgesetzt wurde.494 Über die Auslegung dieses Klauseltyps stritten die Parteien auch in El Paso vs. Argentina. Hier verwies das Gericht darauf, dass dem MST und dem FET gleichermaßen die Funktion zukomme, einen von der Behandlung der inländischen Investoren und der Investoren aus Drittstaaten unabhängigen Mindestschutz zu gewährleisten und schloss daher: „[T]he FET of the BIT is the international minimum standard required by international law […].“495 In wieder anderen Abkommenstexten wird dem Investor fair and equitable treatment in accordance with international law oder auch traitement juste et equitable conformement aux principes du droit international496 gewährt. Dem Schiedsgericht werden hierdurch insoweit Schranken gesetzt, als sich die Reichweite der FET-Verpflichtung danach bestimmen soll, welche ihm unter Heranziehung der völkerrechtlichen Quellen – insbesondere auch allgemeiner Rechtsgrundsätze – beizumessen ist, nicht hingegen 492  Azurix vs. Argentina, supra Fn. 298, Abs. 361: „The clause, as drafted, permits to interpret fair and equitable treatment and full protection and security as higher standards than required by international law. The purpose of the third sentence is to set a floor, not a ceiling […].“; siehe auch Duke Energy vs. Ecuador, supra Fn. 227, Abs. 337; so auch Lemire vs. Ukraine, Decision on Jurisdiction and Liability, supra Fn. 232, Abs. 252 f., wobei bemerkenswert ist, dass das Gericht berücksichtigte, dass die Klausel auf den damaligen amerikanischen Model-BIT zurückging, welcher erst ab seiner Neufassung 2004 eine Beschränkung der FETVerpflichtung auf den MST vorsah. Vor diesem Hintergrund lehnte es eine solche Gleichsetzung des vertraglichen FET-Standard mit dem MST ausdrücklich ab, da zum damaligen Zeitpunkt zweifellos vereinbart worden sei, dass der MST nicht als Deckelung, sondern als Mindestlevel des FET-Standards fungieren sollte. Durch die vertragliche FET-Klausel werde ein autonomer Standard festgelegt (a. a. O., Abs. 284). 493  M.C.I. Power Group L.C. and New Turbine, Inc. v. Republic of Ecuador, ICSID Case No. ARB / 03 / 6, Award, 31.  Juli 2007, Abs. 369. 494  Genin vs. Estonia, supra Fn. 479, Abs. 369; Occidental vs. Ecuador, supra Fn. 321, Abs. 189 f.; angeführt z. B. in UNCTAD, FET, S. 59, in dortiger Fn. 16. In beiden Entscheidungen erscheint dies indes fraglich. In Genin vs. Estonia bleibt ungeklärt, ob das Gericht den FET-Standard mit dem MST gleichsetzte, siehe bereits bei supra Fn. 480 und 482. In Occidental vs. Ecuador wurde keine vollständige Gleichsetzung angenommen, das Gericht ging der Kontroverse um das FET-MST Verhältnis aus dem Weg, siehe bei und in infra Fn. 617. 495  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 337. 496  Etwa im Argentina-France BIT (1991), Art. 3.

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nach dem Inhalt welcher ihm im Wege einer rein semantischen Auslegung beigemessen werden könnte.497 Betrachtet man auch hier, wie Klauseln dieses Typs ausgelegt wurden, so zeigt sich, dass in ihnen nicht lediglich ein Verweis auf den Minimum Standard erblickt wurde. In Tecmed vs. Mexico zum Beispiel begründete das Gericht die gebotene autonome Auslegung damit, dass allein dies der Intention der Vertragsstaaten entspräche, mit dieser Klausel den Schutz ausländischer Investoren zu stärken und zu erhöhen.498 In Vivendi vs. Argentina stützte sich das Gericht auf den Wortlaut, der auf eine Behandlung in Einklang mit den Prinzipien des Völkerrechts, nicht aber mit dem Minimum Standard verwies.499 Der Begriff der principles of international law spräche vielmehr für eine weitergehende Lesart und eine breitere Berücksichtigung völkerrechtlicher Prinzipien, als dies nach dem Minimum Standard der Fall sei, weshalb die Begriffe nicht gleichzusetzen seien.500 Diesem Verständnis folgte auch das Gericht in Total vs. Argentina und rechtfertigte über das Gebot von Treu und Glauben (good faith) als allgemeinem Rechtsgrundsatz seine anschließende rechtsvergleichende Analyse zum Schutz berechtigter Erwartungen in den nationalen Rechtsordnungen.501

497  UNCTAD,

FET, S. 22. vs. Mexico, supra Fn. 259, Abs. 155 f.: „Article 4(1) of the Agreement would be deprived of any semantic content or practical utility of its own, which would surely be against the intention of the Contracting Parties upon executing and ratifying the Agreement since, by including this provision in the Agreement, the parties intended to strengthen and increase the security and trust of foreign investors that invest in the member States […].“ Zugleich aber ist zu beachten, dass das Gericht ausführte, dass seine vielzitierte Definition des Standards in Abs. 154 aus einer autonomen Auslegung nach der WVRK resultiere oder aus dem Völkerrecht und dem Prinzip von Treu und Glauben folge: „The scope of the undertaking of fair and equitable treatment under Article 4(1) of the Agreement described above is that resulting from an autonomous interpretation […] or from international law and the good faith principle, on the basis of which the scope of the obligation assumed under the Agreement and the actions related to compliance therewith are to be assessed.“; dies hervorhebend auch Dolzer / von Walter, Lines of Jurisprudence, S. 109: „What is not so often noted ist hat the Tribunal makes clear that in its view this standard is the same in treaty law and in general international law.“ 499  Vivendi vs. Argentina, supra Fn. 274, Abs. 7.4.6, in der französischen Fassung gewährte die Klausel: „un traitement juste et équitable, conformément aux principes du Droit International“. 500  Vivendi vs. Argentina, supra Fn. 274, Abs. 7.4.7; zudem argumentierte das Gericht unter Verweis auf das auch in Azurix vs. Argentina akzeptierte „The floornot-a-ceiling principle“, dass das Erfordernis einer Behandlung des Investors im Einklang mit den völkerrecht­lichen Grundsätzen statt als Begrenzung „nach oben“ ebenso gut als Beschränkung „nach unten“ verstanden werden könne. 501  Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 127 f. 498  Tecmed



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?153

c) FET begrenzt auf den International Minimum Standard of Treatment Eine weitergehende Einschränkung des FET-Standards und folglich der Delegation seiner Inhaltsbestimmung bezwecken Klauseln, welche allein auf das Völkergewohnheitsrecht verweisen. Ausdrücklich wird also der Umfang der gegenüber dem Investor eingegangenen Verpflichtung an den Minimum Standard gekoppelt und klargestellt, dass durch die Verpflichtung zu fair and equitable treatment keine weitergehenden Verpflichtungen begründet werden. An sich erscheint dies als ein zielführender Ansatz, um einer ausufernden Interpretation des Standards vorzubeugen und die Legitimität der Entscheidungen zu erhöhen, bestimmt sich was fair and equitable ist doch nicht länger danach, was die im Einzelfall berufenen Schiedsgerichte als entsprechendes Verhalten empfinden, sondern allein danach, was der übereinstimmenden Übung und entsprechenden Rechtsüberzeugung der Staaten entspricht. Als Beispiel ist hier Art. 1105(1) NAFTA zu nennen, der bereits durch seine Überschrift sowie durch seine besondere Verknüpfung zwischen dem Völkerrecht und der FET-Verpflichtung („including“) verdeutlicht, dass man es mit dem Minimum Standard zu tun hat. „Each Party shall accord to investments of investors of another Party treatment in accordance with international law, including fair and equitable treatment and full protection and security.“

Zudem widersprachen die NAFTA-Staaten im Wege einer verbindlichen Interpretationsvorgabe unmissverständlich einer über den gewohnheitsrechtlichen Schutz hinausgehenden Auslegung.502 Eine Vorgabe, die auch in den Model-BITs der USA und Kanadas nachvollzogen wurden, indem diese seit 2004 fortan nicht mehr auf das international law sondern allein auf das customary international law verwiesen und seither eine Klarstellung entsprechend der Interpretationsvorgabe enthalten.503 Trotz anfänglicher Kritik folgten alle nachfolgenden NAFTA-Schiedsgerichte dieser bindenden Interpretationsvorgabe, so dass für das NAFTA insoweit abschließend geklärt 502  NAFTA Free Trade Commission, Notes of Interpretation of Certain Chapter 11 Provisions, 31. Juli 2001, unter B. 503  Art. 5(1) U.S.-Model BIT (2012), überschrieben „Minimum Standard of Treatment“, lautet wie folgt: „Each Party shall accord to covered investments treatment in accordance with customary international law, including fair and equitable treatment and full protection and security.“ Zusätzlich stellt Art. 5 Abs. 2 klar, dass der Verweis des Abs. 1 auf das Völkergewohnheitsrecht allein auf den gewohnheitsrechtlichen Minimum Standard verweist und das FET keine über diesen hinausgehenden Investorenrechte begründet. Annex A enthält zudem eine gemeinsame Erklärung der Vertragsparteien zum Verständnis des Verweises auf das Völkergewohnheitsrecht.

154 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

war, dass die Zusicherung von fair and equitable treatment den Minimum Standard beschreibt, welcher von einem vertraglich-autonomen FET-Standard klar zu unterscheiden ist.504 Folglich ist auch bei der Betrachtung der Investitionsrechtsprechung klar zu trennen zwischen den Entscheidungen zum NAFTA und sonstigen Abkommen.505 d) FET konkretisiert durch die Benennung von Einzelverpflichtungen Lediglich zur Vervollständigung eines Überblicks über die Klauselformulierungen sei bereits an dieser Stelle darauf verwiesen, dass sich in vereinzelten Abkommenstexten ein noch entschiedeneres Vorgehen zur Einschränkung einer zu weitgehenden Auslegung der FET-Verpflichtung findet, indem ihr Inhalt durch die konkrete Benennung der hierunter zu fassenden Einzelverpflichtungen noch präziser vorgezeichnet und folglich die Delegation der Inhaltsbestimmung in noch weiterem Maße zurückgenommen wird. Auf diese bisher erst in vergleichsweise geringer Zahl gewählte Formulierung, wird im Rahmen der Betrachtung der Gestaltungsoptionen zurückzukommen sein.506 e) Fazit Vorstehender Überblick über die gängigen Klauselformulierungen verdeutlichte, dass durch die unterschiedlichen Optionen zur Ausgestaltung der FET-Verpflichtung die Bestimmung ihres Inhalts in unterschiedlichem Maße an das Schiedsgericht delegiert werden kann. Ein erster Blick auf die Schiedspraxis zeigte dabei, dass die Schiedsgerichte den unterschiedlichen 504  Zu dieser beabsichtigten klaren Trennung, siehe Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 30; Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 28, 42; UNCTAD, FET, S. 93, in dortiger Fn. 15; Dolzer / von Walter, Lines of Jurisprudence, S. 103. 505  Auf die eingeschränkte Bedeutung der NAFTA-Entscheidungen für die Auslegung sonstiger Abkommen wiesen auch Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 137 und Kinnear, The Continuing Development of FET,  S. 220 hin; siehe auch die Begründung des Schiedsgerichts in Azurix vs. Argentina, supra Fn. 298, Abs. 362 f., mit welcher es die von Argentinien angeführte Interpretationsvorgabe der NAFTA FTC zu Art. 1105 NAFTA sowie der dieser folgenden Vertragspraxis der USA als Argument für die Auslegung der einschlägigen BIT-Klausel zurückwies: „[T]he Tribunal has difficulty in reading it [the interpretation of the FTC or the examples of FTA] in the text of the BIT which governs these proceedings. The fact that the FTC interpreted Article 1105 in reaction to a tribunal’s different understanding of this article and that, in recent agreements, the correlative clause has been drafted to reflect the FTC’s interpretation show that the meaning of that article and similar clauses in other agreements could reasonably be understood to have a different meaning.“ 506  Siehe unter D.II.3.b).



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?155

Formulierungen und Ausgestaltungen grundsätzlich Beachtung geschenkt haben und sie nicht schlicht übergangen wurden, wodurch die Überlegungen über die geeignete Formulierung zur Erzielung eines Ausgleichs sinnlos wären. Zugleich wurde ersichtlich, dass sich die Unterscheidung zwischen den vielfältigen Formulierungen in der Schiedspraxis bisher im Wesent­ lichen auf die Frage konzentrierte, ob der FET-Standard auf den Minimum Standard verweist oder aber einen vertraglich-autonomen Standard beschreibt. Die für die Vertragsgestaltung entscheidende Frage ist dabei freilich nicht, wie die jeweilige FET-Klausel auszulegen ist, sondern inwieweit sich die Reichweite und das Schutzniveau einer autonomen FET-Klausel von einer FET-Verpflichtung unterscheidet, deren Inhalt durch eine Ermittlung des geltenden Gewohnheitsrechts zu bestimmen ist. Denn hiervon hängt ab, ob die unterschiedlichen Formulierungen auch Gestaltungsoptionen zur Festlegung des intendierten Schutzniveaus und somit des für angemessen erachteten Ausgleichs eröffnen. In den heutigen Fokus drängt diese Frage gerade deshalb, da die Kopplung des FET-Standards an den Minimum Standard offensichtlich als besonders geeignet erachtet wird, um den Standard zu begrenzen, einer expansiven Auslegung entgegenzuwirken und die staatliche Regulierungsfreiheit so sicherzustellen. Dies verdeutlicht die steigende Zahl entsprechender Klauseln in neueren Abkommenstexten. Mittlerweile sind zahlreiche Staaten dem Beispiel der USA und Kanadas gefolgt und haben auf diese Weise einer expansiven Auslegung der FET-Verpflichtung ausdrücklich widersprochen.507 Inwieweit sich hierdurch die intendierte Begrenzung der FET-Verpflichtung wirklich erzielen lässt oder aber entschiedenere Schritte erforderlich sind, um sich zur Erzielung des als angemessen erachteten Ausgleichs gegenüber Schiedsgerichten Gehör zu verschaffen, soll im Folgenden beantwortet werden.

507  Nachdem etwa das Gericht in Temced vs. Mexico erklärte, der zugrunde gelegte Umfang der FET-Verpflichtung des spanisch-mexikanischen BIT folge auch aus einer autonomen Auslegung, schlossen Spanien und Mexiko 2006 einen neuen BIT ab, welcher seither klarstellt, dass der FET-Standard im MST enthalten ist, siehe Mexiko-Spanien BIT (2006), Art. 4(1): „trato acorde con el derecho internacional consuetudinario, incluido trato justo y equitativo“; weitere Beispiele sind das ASEAN-Australia-New Zealand FTA (2009), Chapter 11, Art. 6(2)(c): „[T]he concepts of ‚fair and equitable treatment‘ and ‚full protection and security‘ do not require treatment in addition to or beyond that which is required under customary international law, and do not create additional substantive rights.“; COMESA CIA (2007), Art. 14(2); Türkei-Pakistan BIT (2012), Art. 3(2).

156 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

3. Der FET-Standard und sein Verhältnis zum Minimum Standard – Fortbestehende Gestaltungsalternative oder Unterscheidung ohne Relevanz? a) Das Verhältnis des FET zum MST  – zu Recht weiterhin im Fokus? Indem die Ansätze des Equating Approach und des Plain Meaning Approach, in deren Lager sich die Diskussion um das Verhältnis des FETStandards zu seinem gewohnheitsrechtlichen Ursprung teilt, lediglich bestimmen, ob der Inhalt der FET-Verpflichtung durch eine autonome Auslegung oder durch die Ermittlung des geltenden Gewohnheitsrechts zu bestimmen ist, treffen sie an sich keine Aussage darüber, ob ein autonomer FET-Standard einen über den Minimum Standard hinausgehenden Schutz bietet.508 Im Gegenteil wurde gerade vermutet, dass Staaten, die einen Minimum Standard ablehnten, allein deshalb bereit waren, sich zur Gewährung von Fair and Equitable Treatment zu verpflichteten, da sie erwarteten, diese Verpflichtung bliebe hinter dem Minimum Standard zurück.509 Ent508  So auch Kläger, FET, S. 69, unter Hinweis darauf, dass das Verständnis, wonach ein autonomer FET-Standard einen weitergehenden Schutz gewährt, vor allem in der vielzitierten Aussage von Mann, Br. Yearb. Int. Law 1982, S. 244, vertreten wurde: „It is submitted that nothing is gained by introducing the conception of a minimum standard and, more than this, it is positively misleading to introduce it. The terms ‚fair and equitable treatment‘ envisage conduct which goes far beyond the miminum standard and afford protection to a greater extent and according to a much more objective standard than any previously employed form of words. A trib­ unal would not be concerned with a minimum, maximum or average standard. It will have to decide whether in all the circumstances the conduct in issue is fair and equitable or unfair and inequitable. No standard defined by other words is likely to be material. The terms are to be understood and applied independently and autonomously.“ In der Tat wurde diese Aussage Manns häufig von Investoren, aber auch von Schiedsgerichten zur Stützung eines über den MST hinausgehenden Schutzes angeführt, siehe z. B. Azurix vs. Argentina, supra Fn. 298, Abs. 325, Vivendi vs. Argentina, supra Fn.  274, Abs.  7.4.8 f., m. w. N., Pope & Talbot Inc vs. The Government of Canada, Award on the Merits of Phase 2, 10. April 2001 („Pope & Talbot, Award on the Merits of Phase 2“), Abs. 111, unter Fn. 105; kritisch zu dieser He­ ranziehung Thomas, 17 ICSID Rev. 2002, S. 52, 58, 76, wonach diese Aussage erst durch ihre ständige Wiederholung sukzessive an Gewicht gewonnen habe, wodurch eine Diskussion angestoßen worden sei, die verkannt habe, dass Mann nur wenig später in The Legal Aspects of Money gerade die vertragliche FET-Verpflichtung als treffendstes Beispiel dafür anführte, dass in völkerrechtlichen Verträgen zum Teil nur bestätigt werde, was im Wesentlichen schon gewohnheitsrechtlich gilt. 509  Zu dieser enttäuschten Erwartung, Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 35 f.; in UNCTAD, FET (1999), S. 1, wurde vermutet, dass die Unsicherheit über den FETInhalt die Investitionspolitik beeinflussen könnte: „[U]ncertainty concerning the precise meaning of the phrase ‚fair and equitable treatment‘ may, in fact, assume practical importance for States. […] In practical terms, this uncertainty may influ-



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?157

sprechend wurde kritisiert, eine Gleichsetzung des FET-Standards mit dem Minimum Standard verkenne, dass angesichts der Ablehnung des Minium Standard durch einige Entwicklungsstaaten kaum angenommen werden kann, diese hätten eine vollständige Gleichsetzung ohne Weiteres akzeptiert.510 Gleichwohl entspricht es einem verbreiteten Verständnis, dass durch eine autonome FET-Klausel ein weitergehender Investorenschutz eingeräumt wird, als im Fall einer Klausel, die den gewohnheitsrechtlichen Mindeststandard zusichert.511 Dies erscheint auch einleuchtend, berücksichtigt man, dass der Minimum Standard als Gewohnheitsrecht doch eben nur den kleinsten gemeinsamen Nenner der Staaten über das absolute Minimum des zu gewährenden Schutzes umfasst, nicht hingegen den Konsens eines speziell zum Schutz ausländischer Investoren abgeschlossenen Abkommens zweier Vertragspartner. Wie bereits angemerkt, offenbart sich gerade in den jüngeren Abkommenstexten das Verständnis zahlreicher Staaten, dass eine Begrenzung von FET auf den Mininum Standard das geeignete Mittel ist, um eine aus dem Ruder gelaufene Rechtsprechung einzufangen und einen Ausgleich zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen durch eine FET-Verpflichtung sicherzustellen, deren Schutz gegenüber einem weitergehenden autonomen FET-Standard begrenzt ist. Andere Staaten hingegen streben einen weitergehenden Investorenschutz an und fürchten durch eine Kopplung an den Minium Standard eine zu weitgehende Einschränkung, so dass die Frage der ence the policy decisions of a host country that is willing to accept a treaty clause on fair and equitable treatment, but that is not prepared to offer the international minimum standard. This may be particularly the case where the host country believes that the international minimum standard implies that foreign investors could be entitled to more favourable treatment than local investors.“ 510  Siehe z. B. UNCTAD, FET (1999), S. 13, 40; siehe auch Kläger, FET, S. 69 in dortiger Fn. 259, darauf verweisend, dass das Argument der Befürworter des Plain Meaning Approach gerade selbst darauf beruht, dass der MST selbst lange Zeit von einer Reihe von Staaten nicht anerkannt war, was somit eher für ein engeres als ein weiteres Verständnis des durch den FET-Standard eingeräumten Schutzniveaus spräche. 511  Siehe etwa El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 333: „The second approach deals with FET as an autonomous concept, considered in general as more demanding and more protective of investors’ rights than the minimum standard of treatment provided for by general international law.“; vgl. CMS vs. Argentina, Fn. 266, Abs. 284: „choice between requiring a higher treaty standard and that of equating it with the international minimum standard“; siehe auch Porterfield, IISD Invest. Treaty News 3 / 2013, S. 3; neben der zuverlässigen Berufung der Investoren auf eine gebotene autonome Auslegung, statt einer vom Gaststaat geforderten Anwendung des MST, kommt dieses Verständnis auch darin zum Ausdruck, dass der FET-Standard auf den MST „beschränkt“ werden soll oder wenn eine autonom zu interpretierende FET-Klausel auch als „unrestrained“ bezeichnet wird, wie etwa bei Kahn, 33 Fordham Int. Law J., S. 137.

158 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Ausgestaltung der FET-Klausel weiterhin eine der großen Streitfragen für die zukünftige Vertragsgestaltung bleiben dürfte. Auch die EU-Kommission sprach sich im Hinblick auf die Verhandlung zukünftiger EU-Abkommen dafür aus, sich an bewährten Verfahren zu orientieren, um zu gewährleisten, dass europäische Investoren künftig nicht schlechter gestellt werden, als unter den bisherigen mitgliedstaatlichen BITs512, die in aller Regel einen unqualifizierten FET-Standard vorsehen.513 So war die Frage, welche FETKlausel angemessen ist, wenig überraschend auch einer der Hauptstreitpunkte in den Verhandlungen zum Investitionsschutz im CETA. Während sich Kanada – entsprechend seiner BIT-Praxis – dafür aussprach, sich auf das Schutzniveau des Minimum Standard zu beschränken, bewertete die EU-Kommission dies als problematisch für die EU, da dies zu einer erheblichen Reduzierung des gewährten Schutzniveaus führen könne.514 Schließlich spricht für die augenscheinlich hohe Relevanz der Diskussion auch der Umstand, dass auch in jüngsten Schiedsverfahren die Investoren wieder und wieder die gebotene autonome Auslegung der FET-Klausel einfordern, während sich die Gaststaaten auf die zwingende Beschränkung der FET-Verpflichtungen auf den Minimum Standard berufen.515 Obgleich in den beschriebenen Vertragsgestaltungen, -verhandlungen und Investor-Staat-Verfahren die Überzeugung zum Ausdruck kommt, dass es 512  Siehe die Mitteilung der Kommission, supra Fn. 137; das EU-Parlament hingegen sprach sich demgegenüber – obgleich an sich ebenfalls die Ansicht vertretend, dass „künftige von der EU geschlossene Investitionsabkommen auf nach der Erfahrung der Mitgliedstaaten bewährten Methoden aufbauen […] sollten“ – für einen FET Standard „definiert auf der Grundlage der Behandlung nach dem internationalen Gewohnheitsrecht“ aus, siehe die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 6. April 2011 zur zukünftigen europäischen Auslandsinvestitionspolitik (2010 /  2203(INI)), unter Punkt 19. 513  Siehe Malik, Fair and Equitable Treament, iisd Best Practices Series, 2009, S. 16, abrufbar unter: http: / / www.iisd.org / pdf / 2009 / best_practices_bulletin_3.pdf; in vereinzelten jüngeren BITs europäischer Mitgliedsstaaten wurde hingegen FET an das Gewohnheitrecht gekoppelt, siehe Woolcock, Studie zum Konzept für die Auslandsinvestitionspolitik der EU, S. 39, 83 ff. 514  Siehe das während der Verhandlungen durchgesickerte Dokument der EUKommission „CETA Landing Zones  – November 2012“, vom 6. Dezember 2012, welches die streitigen Verhandlungspositionen zusammenfasste, unter Punkt 7.(6), abrufbar unter: http: / / www.bilaterals.org / ?eu-canada-fta-ceta-landing-zones&lang=en. 515  Siehe z. B. Teco Guatemala Holdings LLC vs. The Republic of Guatemala, ICSID Case No. ARB / 10 / 17, Award, 19.  Dezember 2013 („Teco vs. Guatemala“), Abs. 267 und Abs. 362, 366 f.; Marion and Reinhard Unglaube vs. Republic of Costa Rica, ICSID Cases No. ARB / 08 / 01, ARB / 09 / 20, Award, 16.  Mai  2012 („Unglaube vs. Costa Rica“), Abs. 242; SAUR International S.A. vs. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB / 04 / 4, Decision on Jurisdiction and Liability, 6.  Juni 2012 („SAUR vs. Argentina“), Abs. 489 f.; Philipp Morris vs. Uruguay, supra Fn. 18, Abs. 312; in diesem Sinne auch Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 43.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?159

möglich ist, durch einen „beschränkten“ oder einen unqualifizierten FETStandard ein unterschiedliches Schutzniveau festzulegen, wird die heutige Relevanz der Diskussion über das Verhältnis des FET-Standards zum Minimum Standard mit Blick auf eine Konvergenz beider Standards zunehmend in Frage gestellt.516 Doch während es Stimmen gibt, die einer Begrenzung der FET-Verpflichtung auf den Minimum Standard jede Bedeutung absprechen und dies mit der fehlenden Berücksichtigung dieser Beschränkung durch die Schiedsgerichte begründen517, betonen andere Stimmen die weiterhin dringend gebotene Trennung zwischen dem Minimum Standard und einem weitergehenden FET-Standard, wobei sie sich gleichermaßen auf die Schiedspraxis berufen.518 Vor diesem Hintergrund ist zu beantworten, inwieweit diese fortwährende Diskussion für die heutige Vertragsgestaltung wirklich noch von Bedeutung ist oder aber die Unterscheidung zwischen FET und Minimum Standard eine Unterscheidung ohne Relevanz ist, die entschiedenere Schritte zur ­effektiven Einschränkung des FET-Standards erforderlich macht. b) Die Konvergenz von MST und FET  – Wegfall einer Gestaltungsoption? Die langwährende Diskussion über das Verhältnis des FET-Standards zum Minimum Standard und ein unterschiedliches Schutzniveau rückte insbesondere im NAFTA-Kontext in den Mittelpunkt, nachdem das Gericht in Pope & Talbot Art. 1105 NAFTA entsprechend eines weitergehenden FET-Standards 516  Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 138; Schill, FET, The Rule of Law, and Comparative Public Law, S. 152 ff.; hinterfragend auch Kläger, FET, S. 85 ff.; Tudor, The FET Standard, S. 85, 154. 517  Siehe etwa Porterfield, IISD Invest. Treaty News 3 / 2013, S. 1, 3: „A distinction without a difference“, „largely meaningless“; siehe auch; Kläger, FET, S. 86; Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 138: „The emphasis on linkages between FET and customary international law is unlikely to restrain the evolution of the FET standard.“ 518  Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011; auch UNCTAD, FET, S. 90: „[I]t is becoming apparent that the clarification of the FET standard by reference to its source  – in particular, by reference to the minium standard of treatment under customary international law  – is likely to lead to a stricter and narrower interpretation of the standard.“; vgl. auch van Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 7, der zwar ingesamt eine klare Tendenz der Schiedsgerichte ausmacht, sogar trotz ausdrücklicher vertraglicher Beschränkungen, investorenfreundlichen Ansätzen zu folgen, gleichwohl scharf kritisiert, dass für das CETA auf eine Beschränkung auf den MST – wohlgemerkt in einem Verständnis vor einer ausufernden Investitionsrechtsprechung – verzichtet wurde, da er diesem Ansatz durchaus Beschränkungspotential einräumt (a. a. O., S.  5 f., 13).

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in sonstigen BITs ausgelegt hatte.519 Dies veranlasste die NAFTA-Staaten entscheidend dazu, der bisherigen extensiven Auslegung des Art. 1105 NAFTA im Wege einer verbindlichen Interpretationsvorgabe unmissverständlich zu widersprechen.520 Durch diese Interpretationsvorgabe wurde eine klare Trennung zwischen dem gewohnheitsrechtlichen Minimum Standard und einem weitergehenden vertraglich-autonomen FET-Standard bekräftigt.521 Doch bezweckten die NAFTA-Staaten die Diskussion um das Verhältnis des Minimum Standard zu einem weitergehenden autonomen FET-Standard zu beenden, so erreichten sie vielmehr das Gegenteil. War die Diskussion über den Umfang des gewohnheitsrechtsrechtlichen Schutzes durch den Abschluss tausender BITs mit FET-Klausel gerade bewusst verdrängt worden, so entflammte erst die ausdrückliche Gleichsetzung und Begrenzung der FET-Verpflichtung mit dem Minimum Standard erneut eine intensive Debatte über den Inhalt und die Reichweite des gegenwärtigen Gewohnheitsrechts.522 Es hat also durchaus etwas von Ironie, dass erst die Interpretationsvorgabe die Fortentwicklung des Gewohnheitsrechts – oder jedenfalls die weitverbreitete Annahme einer solchen – ungewollt beschleunigte und die zunehmende Konvergenz zwischen dem Gewohnheitsrecht und dem völkervertraglichen FET-Standard initiierte.523 Doch auch wenn sich die Diskussion um das Verhältnis des Minimum Standard zum FET zunächst vor allem in Bezug auf Art. 1105 NAFTA ab519  Die über den Wortlaut hinausgehende Heranziehung eines in sonstigen BITs enthaltenen und über den MST hinausgehenden Schutzes (fairness elements), welcher zusätzlich und somit unabhängig von einer für die Verletzung des MST anwendbaren Eingriffsschwelle zur Anwendung gelange, begründete das Gericht insbesondere damit, dass ein ansonsten weitergehender Schutz der Investoren aus Drittstaaten aufgrund bestehender BITs nicht nur kaum gewollt sein könne, sondern auch eine Verletzung der MFN-Verpflichtung und der Verpflichtung zur Inländerbehandlung bedeuten würde, siehe Pope and Talbot, Award on the Merits of Phase 2, supra Fn. 508, Abs. 110 f., 115 ff.; hierzu auch Kläger, FET, S. 67 ff. 520  NAFTA Free Trade Commission, Notes of Interpretation of Certain Chapter 11 Provisions, 31.  Juli 2001, unter B; diese Interpretationsvorgabe war auch eine Reaktion auf die Entscheidungen in Metalclad vs. Mexico, supra Fn. 293 und S.D. Myers vs. Canada, supra Fn. 266. 521  Siehe Dolzer / von Walter, Lines of Jurisprudence, S. 103: „[T]he NAFTA Parties were determined to insist on the concept of the minium standard as opposed to a treaty standard sowie a. a. O., S. 112; Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 28, 42; zur Intention einer klaren Trennung, siehe auch UNCTAD, FET, S. 93, in dortiger Fn. 15. 522  Hierzu auch Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 29. 523  Zu diesem beschleunigenden Effekt auch Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 138; Dralle, FET am Beispiel des Schiedsspruchs Glamis Gold, S. 14.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?161

spielte, war sie nicht auf den NAFTA-Kontext beschränkt. Auch Schiedsgerichte außerhalb des NAFTA, die auf Grundlage von Klauseln zu entscheiden hatten, die den FET-Standard nicht an das Gewohnheitsrecht koppelten, waren durch den Vortrag der Parteien und angesichts der Diskussionen zu Art. 1105 NAFTA regelmäßig aufgefordert, zum Stand des gegenwärtigen Gewohnheitsrechts Stellung zu beziehen. Betrachtet man die Schiedspraxis, ist jedoch zu beachten, dass der Blickwinkel auf das Gewohnheitsrecht innerhalb und außerhalb des NAFTA in aller Regel verschieden war und nicht zwangsläufig zu identischen Ergebnissen führen muss.524 Hierauf ist sogleich, im Rahmen der folglich getrennten Betrachtung des Konvergenztrends innerhalb und außerhalb des NAFTA, zurückzukommen. aa) Die Annahme einer Evolution des Gewohnheitsrechts innerhalb des NAFTA – Ausdruck des vorsätzlichen Übergehens restriktiver Gestaltungsbemühungen? (1) D  ie Begrenzung auf den Minimum Standard als Katalysator des Konvergenztrends Durch die verbindliche Interpretationsvorgabe der NAFTA-Staaten, welche zwar den Schutz von Art. 1105 NAFTA auf den Minimum Standard beschränkte, jedoch keine Anhaltspunkte über seinen Inhalt lieferte, sahen sich die NAFTA-Schiedsgerichte fortan mit der Aufgabe konfrontiert, diesen zu ermitteln. Ausgangspunkt der Betrachtung war dabei regelmäßig der sog. Neer-Standard. Dieser geht bekanntlich auf die gleichnamige Entscheidung aus dem Jahr 1926 zurück, in welcher zu entscheiden war, ob Mexiko infolge der unzureichenden strafrechtlichen Verfolgung eines Tatverdächtigen, der im Verdacht stand den amerikanischen Staatsbürger Paul Neer in Mexiko getötet zu haben, zum Schadensersatz verpflichtet war.525 Dies wurde verneint, da die Schwelle zu einem Völkerrechtsverstoß sehr hoch angesetzt wurde: „[T]he treatment of an alien, in order to constitute an international delinquency should amount to an outrage, to bad faith, to wilful neglect of duty, or to an insuf524  Die Notwendigkeit der Trennung der Rechtsprechungslinien inner- und außerhalb des NAFTA betonten Dolzer / von Walter, Lines of Jurisprudence, S. 100, deren Beobachtung, wie die im Folgenden betrachteten Rechtsprechungslinien zeigen, auch durch nachfolgende Entscheidungen bestätigt wurde; vgl. demgegenüber Tudor, The FET Standard, S. 154, unter der Annahme eines einheitlichen FET-Standard auf eine Trennung verzichtend. 525  L. F. H Neer and Pauline Neer (U.S.A.) vs. United Mexican States, General Claims Commission, Award, 15. Oktober 1926 („Neer vs. Mexico“), Reports of International Arbitral Awards, Vol. IV, S. 61 ff.

162 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs ficiency of governmental action so far short of international standards that every reasonable and impartial man would readily recognize its insufficiency.“526

Vielfach wurde zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Entscheidung gar nicht beabsichtigte, den fremdenrechtlichen Mindeststandard abschließend zu definieren, sondern in erster Linie dafür zu würdigen ist, dass überhaupt anerkannt wurde, dass die Behandlung eines Fremden einem bestimmten und vom nationalen Recht unabhängigen Mindeststandard genügen muss.527 Ebenso wird stark bezweifelt, dass sich diese Entscheidung betreffend einer Rechtsverweigerung erkenntnisgewinnend für die Beurteilung moderner Investitionsstreitigkeiten übertragen lässt.528 All dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die NAFTA-Schiedsgerichte die aus dem Minimum Standard folgende Verpflichtung stets aus einer historischevolutiven Sichtweise analysiert haben, deren Ausgangspunkt eben zumeist dieser Neer-Standard war.529 Vielmehr sind dies Gründe dafür, warum der Neer-Standard in aller Regel eben lediglich der Ausgangspunkt der Betrachtung blieb. So auch in Pope & Talbot, der ersten Entscheidung, in welcher sich das Gericht mit der Aufgabe der Ermittlung des geltenden Minimum Standard konfrontiert sah.530 Interessant ist dabei, vor welchem Hintergrund das Gericht zu seiner Entscheidung zum evolutiven Verständnis des Minimum Standard gelangte, welche auch das Verständnis in zahlreichen nachfolgenden Entscheidungen prägen sollte. Unter Verweis darauf, dass das Gewohnheitsrecht nur eine der Rechtsquellen des Völkerrechts ist und in Ermangelung eines Hinweises, wonach mit dem Abkommenswortlaut nur auf das Gewohnheitsrecht verwiesen werden sollte, erblickte das Gericht in einer Beschränkung hierauf eine Vertragsänderung.531 Letztlich beließ es das Gericht allerdings dabei, dies nur obiter anzumerken. Unter der Annahme einer bloßen 526  Neer

vs. Mexico, supra Fn. 525, S. 61 f., Abs. 4. Neer vs. Mexico, supra Fn. 525, S. 61, Abs. 4: „[I]t is in the opinion of the Commission possible […] to hold […] that the propriety of governmental acts should be put to the tests of international standards […].“; dies betonten Newcombe /  Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, S. 237. 528  Siehe etwa Newcombe / Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, S. 236 f.; UNCTAD, FET, S. 46; Dralle, FET am Beispiel des Schiedsspruchs Glamis Gold, S. 11. 529  Vgl. etwa ADF Group Inc. vs. United States of America, ICSID Case No. ARB(AF) / 00 / 1, Award, 3.  Januar 2003 („ADF vs. USA“), Abs. 181; zu den Entscheidungen Roberts und Hopkins, die in einzelnen Entscheidungen als einschlägigerer Ausgangspunkt der Minimum Standard angesehen wurden, siehe Tudor, The FET Standard, S. 63 f. 530  Pope & Talbot Inc. vs. Government of Canada, Award in respect of Damages, 31. Mai 2002 („Pope & Talbot, Award in respect of Damages“). 531  Pope & Talbot, Award in respect of Damages, supra Fn. 530, Abs. 20, 46 f. 527  Siehe



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?163

Vertragsinterpretation ging das Gericht einer Konfrontation aus dem Weg und akzeptierte die Interpretationsvorgabe hinsichtlich der bereits zuvor getroffenen Feststellungen zu Art. 1105 NAFTA als bindend.532 Die Bejahung einer Evolution des Minimum Standard erlaubte nämlich, die Entwicklungen einzubeziehen, welche nach Auffassung des Gerichts richtigerweise auch durch eine Entscheidung auf Grundlage aller Rechtsquellen zu berücksichtigen gewesen wären.533 Hatte das Gericht also bisher eine zusätzliche FET-Verpflichtung angenommen, die nicht erst dann verletzt sei, wenn das beklagte Verhalten entsprechend der Neer-Formel als „ ‚egregious‘, ‚outrageous‘ or ‚shocking‘ or otherwise extraordinary“ anzusehen ist534, war durch die Be­ jahung des evolutiven Charakters des Minimum Standard trotz der Ablehnung einer zusätzlichen FET-Verpflichtung weiterhin die Möglichkeit eröffnet, staatliche Maßnahmen ohne Begrenzung durch eine solche Erheblichkeitsschwelle an der im Minimum Standard enthaltenen FET-Verpflichtung zu messen.535 Dies, obgleich die NAFTA-Staaten durch die Interpretationsvorgabe auf einen Minimum Standard verweisen wollten, welcher entsprechend der Neer-Formel nur vor Maßnahmen schützt, die als „gross misconduct, manifest injustice or an outrage, bad faith or the wilful neglect of duty“ einzustufen sind.536 Wenngleich der fortentwickelte Minimum Standard letztlich gar nicht bemüht werden musste – das Gericht bejahte einen Verstoß selbst unter Zugrundelegung des von Kanada vertretenen Neer-Standard537 – so war dies doch die erste NAFTA-Entscheidung, in welcher auf den evolutiven Charakter des Gewohnheitsrechts verwiesen und ein statisches Verständnis des Minimum Standard ausdrücklich abgelehnt wurde. In dem Abschluss tausen532  Pope

& Talbot, Award in respect of Damages, supra Fn. 530, Abs. 47, 51. Pope & Talbot vs. Cananda, Award in respect of Damages, supra Fn. 530, Abs. 46, wo das Gericht deutlich herausstellte, wie entscheidend die Beschränkung der Rechtsquellen auf das Gewohnheitsrecht sei, was insbesondere der implizite Vortrag Kanadas zeige, wonach das Gewohnheitsrecht auf das Schutz­ niveau beschränkt sei, welches in den Fällen der „Neer“-Ära der 1920er Jahre angenommen wurde: „[I]nternational law in its entirety would bring into play a lage variety of subsequent developments.“ (Fußnote entfernt). 534  Siehe Pope and Talbot, Final Merits Award, supra Fn. 508, Abs. 111, 118. 535  Siehe Pope & Talbot vs. Cananda, Award in respect of Damages, supra Fn. 530, Abs. 56, wonach die vorangegangene Entscheidung des Gerichts – auch bei Anwendung des fortentwickelten MST – keiner Aufhebung bedürfe, da nämlich trotz der abweichenden Interpretationsvorgabe und deren rückwirkender Anwendung kein Widerspruch zu dieser vorläge. 536  Dies zeigte auch der entsprechende Vortrag Kandas sehr deutlich, siehe Pope & Talbot vs. Cananda, Award in respect of Damages, supra Fn. 530, Abs. 57. 537  Pope & Talbot vs. Cananda, Award in respect of Damages, supra Fn. 530, Abs. 65, 69. 533  Siehe

164 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

der BITs, welche Staaten zu fair and equitable treatment verpflichten, erblickte das Gericht dabei den Nachweis für eine einheitliche Staatenpraxis.538 Eine Argumentation, welcher zahlreiche Schiedsgerichte in nachfolgenden Entscheidungen in großer Regelmäßigkeit gefolgt sind. So lehnte bereits kurze Zeit später auch das Gericht in Mondev vs. USA eine statische Heranziehung des Neer-Standard ab, wobei es drei Argumente anführte. Erstens bestehe kein Grund zur Annahme, dass sich die Bestimmungen der BITs sowie des NAFTA auch dann auf den Neer-Standard beschränken, wenn es nicht lediglich um die Verpflichtung des Staates zum Schutz vor den die körperliche Sicherheit gefährdenden Handlungen Privater und deren effektive nachträgliche Verfolgung geht, sondern um die Behandlung des Investors durch den Staat selbst.539 Zweitens verwies das Gericht darauf, dass Neer und ähnliche Fälle der 1920er Jahre zu einer Zeit entschieden wurden, in welcher die materielle und prozessuale Rechtsstellung des Individuums im Völkerrecht sowie der Schutz ausländischer Investitionen noch weit weniger ausgeprägt war. Daher überzeuge es nicht, die Bedeutung von fair and equitable treatment darauf zu beschränken, was dieser Begriff in den 1920er Jahren möglicherweise bedeutete.540 Schließlich erblickte es in dem weltumspannenden Netz tausender Abkommen, in welchen sich Staaten wiederholt zu fair and equitable treatment verpflichteten, eine einheitliche Staatenpraxis, die das gegenwärtige Gewohnheitsrecht geprägt habe: „In the Tribunal’s view, such a body of concordant practice will necessarily have influenced the content of rules governing the treatment of foreign investment in current international law. It would be surprising if this practice and the vast number of provisions it reflects were to be interpreted as meaning no more than the Neer Tribunal (in a very different context) meant in 1927.541[…][T]he content of the minimum standard today cannot be limited to the content of customary international law as recognised in arbitral decisions in the 1920s.542 […][T]here can be no doubt that, by interpreting Article 1105(1) the term ‚customary international law‘ refers to customary international law as it stood no earlier than the time at which NAFTA came into force. It is not limited to the international law of the 19th century or even of the first half of the 20th century […]. In holding that Article 1105(1) refers to customary international law, the FTC interpretations incorporate current international law, whose content is shaped by the conclusion of more than two thousand bilateral investment treaties and many treaties of friendship and commerce.“543 538  Pope & Abs.  58 f., 62. 539  Mondev 540  Mondev 541  Mondev 542  Mondev 543  Mondev

Talbot vs. Cananda, Award in respect of Damages, supra Fn. 530, vs. vs. vs. vs. vs.

USA, USA, USA, USA, USA,

supra supra supra supra supra

Fn. 468, Fn. 468, Fn. 468, Fn. 468, Fn. 468,

Abs. 115. Abs. 116. Abs. 117. Abs. 123. Abs. 125.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?165

Bestätigung fand diese Entscheidung wiederum in ADF vs. USA, wo ebenfalls eine statische Heranziehung der Neer-Formel abgelehnt544 und darauf verwiesen wurde, dass der evolutive Charakter des Minimum Standard auch von den NAFTA-Staaten akzeptiert worden sei.545 Nach weiteren NAFTA-Schiedsgerichten, die in der Folge im Ergebnis einheitlich eine Fortentwicklung des Gewohnheitsrechts annahmen546, erblickte das Gericht in Waste Management vs. Mexico in den vorangegangenen Entscheidungen, die sich allesamt vom Neer-Standard distanzierten, gar einen im Entstehen begriffenen „general standard for Art. 1105“, welcher für 544  ADF vs. USA, supra Fn. 529, Abs. 179  ff., in Abs. 183 f., im Einklang mit Mondev vs. USA ein Verständnis zurückweisend, wonach eine autonome FET-Verpflichtung selbst zu Gewohnheitsrechrecht erstarkt sei: „We understand Mondev to be saying  – and we would respectfully agree with it  – that any general requirement to accord ‚fair and equitable treatment‘ and ‚full protection and security‘ must be disciplined by being based upon State practice and judicial or arbitral caselaw or other sources of customary or general international law.“; hierzu auch Dolzer / von Walter, Lines of Jurisprudence, S. 105. 545  ADF vs. USA, supra Fn. 529, Abs. 179; in der Tat hatte Kanada im Nachgang zu Pope & Talbot erklärt, die Möglichkeit einer Evolution nie bestritten zu haben und vom Gericht in Pope & Talbot falsch wiedergegeben worden zu sein, siehe ADF Group Inc. vs. United States of America, ICSID Case No. ARB(AF) / 00 / 1, Submission of Canada on the Pope & Talbot Award on Damages, 19. Juli 2002, Abs. 33. Gleichwohl bleibe die Schwelle, die für die Annahme eines Verstoßes gegen den MST zu überschreiten ist, aber auch heute noch eine hohe und werde noch immer an besten durch den Neer-Standard umschrieben (a. a. O., Abs. 30). Insbesondere könne nicht von den zu abgeschlossenen BITs auf eine Fortentwicklung des Gewohnheitsrechts geschlossen werden, wonach die Neer-Formulierung nicht länger die für einen Verstoß gegen den MST maßgebliche Schwelle definiere. Wie nämlich die Awards in Pope & Talbot selbst betonten, gäbe es nicht nur zwischen den NAFTA- und den BIT-Vorschriften große Unterschiede, sondern auch zwischen den BITs selbst, weshalb schon keine einheitliche Staatenpraxis vorliege. Ebenso zeige auch die Position Kanadas, wonach der Neer-Standard noch immer der maßgebliche Standard ist, dass auch keine entsprechende opinio juris gegeben sei: „Clearly, Canada has not considered itself bound by the ‚customary‘ norm the Tribunal purports to find in bilateral investment treaties.“ (a. a. O., Abs. 36 ff.); diese Position Kanadas und Mexikos betonte auch das Gericht in Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 601, siehe hierzu unter B.II.3.b)aa)(2). 546  Dies selbst hinsichtlich des Vorliegens einer Rechtsverweigerung, um welche es in der Neer-Entscheidung ging, siehe The Loewen Group, Inc. and Raymond L. Loewen vs. United States of America, ICSID Case No. ARB(AF) / 98 / 3, Award, 26. Juni 2003, Abs. 132: „Neither State practice, the decisions of international trib­ unals nor the opinion of commentators support the view that bad faith or malicious intention is an essential element of unfair and inequitable treatment or denial of justice amounting to a breach of international justice. Manifest injustice in the sense of a lack of due process leading to an outcome which offends a sense of judicial propriety is enough […].“; Dralle, FET am Beispiel des Schiedsspruchs Glamis Gold, S. 12.

166 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

den Vergleich seiner Reichweite mit einem BIT-Standard wiedergegeben sei: „[T]he minimum standard of treatment of fair and equitable treatment is infringed by conduct attributable to the State and harmful to the claimant if the conduct is arbitrary, grossly unfair, unjust or idiosyncratic, is discriminatory and exposes the claimant to sectional or racial prejudice, or involves a lack of due process leading to an outcome which offends judicial propriety ‒ as might be the case with a manifest failure of natural justice in judicial proceedings or a complete lack of transparency and candour in an administrative process. In applying this standard it is relevant that the treatment is in breach of representations made by the host State which were reasonably relied on by the claimant.“547

Weitere Entscheidungen lassen sich anführen, die diesem Verständnis folgten.548 Um es kurz zu machen: Etwa ab 2005 bestand im NAFTAKontext weitgehende Einigkeit, dass die Divergenz zwischen einem vertraglich-autonomen FET-Standard und dem Minimum Standard jedenfalls nicht mehr so signifikant ist, wie sie im Vergleich zu einem statischen NeerStandard ausgefallen wäre. Die Evolution des Gewohnheitsrechts seit Neer konnte als gemeinhin akzeptiert betrachtet werden.549 Dies verdeutlicht sich auch an der Überraschung und den Reaktionen, welche die 2009 ergangene Entscheidung in Glamis Gold vs. USA hervorrief, indem sie den Neer-Standard heranzog und diesem Konvergenztrend widersprach.550 Entsprechend stützt sich die Argumentation von Teilen der Literatur sowie der Vortrag beklagter Staaten, wonach weiterhin strikt zwi547  Waste

Management vs. Mexico, supra Fn. 277, Abs. 98. Investments, Inc. vs. The Government of the United Mexican States, NAFTA / UNCITRAL, Award, 15.  November 2004 („GAMI vs. Mexico“), Abs. 95; International Thunderbird Gaming Corporation vs. The United Mexican States, NAFTA / UNCITRAL, Award, 26.  Januar 2006 („Thunderbird vs. Mexico“), Abs. 194. 549  Tudor, The FET Standard, S. 60: „generally confirmed“; Ratner, 102 Am. J. Int. Law 2008, S. 515; vgl. auch Dolzer / von Walter, Lines of Jurisprudence, S. 113, in Bezug auf die bis einschließlich Thunderbird vs. Mexico ergangenen Entscheidungen: „All of them have stated, one way or another, that the standard must not be understood in a static manner.“, zugleich aber jedenfalls damals noch zu Recht auch darauf hinweisend, dass über die Anerkennung hinaus, ein klarer Konsens noch ausstehe: „As to the components which have guided and shaped the direction of the evolution of the standard, no clear consensus has emerged. It would appear that, within NAFTA, the concept of an evolutionary approach has by now been generally accepted, but the precise contours of defining the normative guidelines for the evolutionary process and the borders have so far received limited attention.“ 550  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217; Schill, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 257 etwa beschrieb sie – wohlgemerkt nur falls verstanden als vollständige Heranziehung des Neer-Formel – als „atavistic ruling“, in der als überholt geltende Sichtweisen plötzlich wieder hervortraten, siehe auch Fn. 570. 548  GAMI



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?167

schen dem Minimum Standard und einem autonomen Standard zu trennen sei, ganz entscheidend auch auf diese Entscheidung.551 Dies sowohl aufgrund fortbestehender Unterschiede in Bezug auf den Umfang der inhalt­ lichen Einzelverpflichtungen als auch die für eine Verletzung dieser Verpflichtungen erforderliche Eingriffsschwelle (threshold).552 (2) D  ie Entscheidungen Glamis Gold und Cargill – Hinweise auf fortbestehende Gestaltungsalternativen? In Glamis Gold vs. USA, einem Paradefall im Spannungsfeld zwischen Investorenschutz und Gemeinwohlregulierung, machte der kanadische Investor aufgrund der Verzögerung und Ablehnung seines Genehmigungsantrags zum Abbau von Gold und Silber im Südosten Kaliforniens sowie aufgrund eines neuen Gesetzes Kaliforniens zum Schutz in der Nähe des Abbaugebiets belegener kultureller und heiliger Stätten und der Umwelt, eine Verletzung von Art. 1105 NAFTA geltend.553 Eine solche verneinte das Schiedsgericht. Da551  Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, z. B. auf S. 31, 37, 39, 41 f., 44; Porterfield, IISD Invest. Treaty News 3 / 2013, S. 4 in Fn. 13; siehe z. B. das Vorbringen Guatemalas und weiterer CAFTA-Staaten in Railroad Development Corporation vs. Republic of Guatemala, ICSID Case No. ARB / 07 / 23, Award, 29.  Juni 2012 („RDC vs. Guatemala“), Abs. 160, 172, 192, 209 f. 552  Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 37, in Bezug auf die Einzelverpflichtungen, auf S. 39 in Bezug auf den treshold. 553  Bereits 1994 hatte das Unternehmen eine Abbaugenehmigung für ein Gebiet beantragt, welches im California Desert Conservation Area lag, in welchem der Abbau den geltenden Bestimmungen nach grundsätzlich zuzulassen war, die Genehmigungsauflagen jedoch vorsahen, dass Bergbauprojekte geeignete Maßnahmen zum Schutz vor unnötiger und unangemessener Verschlechterung der Flächen ergreifen müssen und nach Beendigung für eine angemessene Rekultivierung verantwortlich sind. Letztere beinhaltete die Wiederherstellung eines angemessenen Landschaftsbilds, sah aber weder die Verpflichtung zum vollständigen Verfüllen der Abbauschächte vor, noch bestand die Möglichkeit eine Genehmigung gänzlich zu versagen, um einer anderen Nutzung des Gebiets den Vorrang einzuräumen. Nach Einwänden des Stammes der Quechan gegen das Projekt und der Erkenntnis, dass das Projekt unvermeidbare Auswirkungen auf eine besonders heilige Stätte hätte, kam ein Rechtsgutachten des Innenministerium („M-Opinion“) zu dem Ergebnis, dass für die Genehmigung ein strengerer Maßstab angelegt werden könne, wonach Projekte zum Schutz kultureller Werte auch gänzlich untersagt werden könnten. Hierauf wurde die Genehmigung des Projekts Anfang 2001 untersagt. Nachdem infolge des Regierungswechsels die Bush Regierung die M-Opinion und alle hierauf beruhenden Entscheidungen aufgehoben hatte, war erneut über das Projekt zu entscheiden und eine Genehmigung erschien wahrscheinlich. Parallel erließ jedoch der kalifornische Gesetzgeber im April 2003 ein Gesetz, wonach Bergbauunternehmen in bestimmten Gegenden ab sofort verpflichtet waren nach der Beendigung des Abbaus sämtliche Tagebaue zu verschließen und das ursprüngliche Landschaftsbild im Wesentlichen wieder herzustellen. Glamis Gold hatte beabsichtigt, die ersten beiden

168 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

bei betonte es, dass strikt zwischen den Entscheidungen zu unterscheiden sei, die das Gewohnheitsrecht zu ermitteln hatten und jenen, die sich der Auslegung der jeweiligen autonomen BIT-Klausel Norm, nicht aber der Frage nach dem geltenden Gewohnheitsrecht zu widmen hatten.554 Letztere, wie insbesondere die Entscheidung in Tecmed vs. Mexico, seien für die Bestimmung des Gewohnheitsrechts nicht von Bedeutung555, womit das Gericht eine klare Spaltung zwischen dem Minimum Standard und einem weitergehenden, autonomen BIT-Standard anerkannte.556 Den Vortrag des Investors, wonach vertragliche FET-Klauseln durch ihre Entwicklung in der Schiedspraxis mit dem Gewohnheitsrecht konvergiert seien, wies das Gericht als Übertreibung zurück, seien doch zahlreiche BITKlauseln in einer über das Gewohnheitsrecht hinausgehenden Weise interpretiert worden.557 Für die anschließenden Ermittlung des gegenwärtigen Minimum Standard verwies das Gericht auf die Einigkeit der NAFTAStaaten, dass der Neer-Standard von 1926 jedenfalls den Ausgangspunkt bildet, wobei jedoch keine eindeutige Entscheidung darüber getroffen worden sei, ob sich dieser fortentwickelt habe, wie es der Investor geltend machte.558 Das Gericht untersuchte hiernach zwei mögliche Arten einer Evolution. Die erste Möglichkeit, wonach sich die Sichtweise und Einstellung darüber, was heute als outrageous empfunden wird, seit der Zeit der Neer-Entscheidung geändert hat, hielt das Gericht für durchaus möglich und führte unter Verweis auf Mondev vs. USA aus: „[T]he Neer standard, when applied with current sentiments and to modern situations, may find shocking and egregious events not considered to reach this level in the past.“559

Den vom Investor zu erbringenden Nachweis für eine zweite Möglichkeit der Evolution, wonach sich das Gewohnheitsrecht fortentwickelt habe und der Minimum Standard heute über den Neer-Standard hinausgehe, sah das Gericht hingegen als nicht erbracht an.560 Schiedsurteile seien weder für die der genutzten Schächte sukzessive durch den Abraum des Aushubs des nächsten Schachts zu füllen, den dritten Schacht aber aus Kostengründen für zukünftigen Abbau nicht gänzlich zu verfüllen und erhob daraufhin Klage; zum Sachverhalt siehe Glamis Gold vs. USA, supra Fn.  217, Abs.  53 ff., 148 ff., 164 ff.. 554  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 606. 555  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 607 ff. 556  So auch Kahn, 33 Fordham Int. Law J., S. 137. 557  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 609 f., die Entscheidung Tecmed vs. Mexico, supra Fn. 259, als Beispiel hierfür anführend. 558  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 21, 612. 559  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 613, unter Verweis auf Mondev vs. USA, supra Fn. 468, Abs. 116, siehe schon supra Fn. 540 560  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 614.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?169

Entstehung von Gewohnheitsrecht noch dessen Nachweis geeignet, wenngleich sie zu seiner Illustration dienen könnten.561 In letzterem Sinne verwies das Gericht als Beleg gegen eine Fortentwicklung darauf, dass Schiedsgerichte durch den Gebrauch von Adjektiven wie gross oder manifest weiterhin regelmäßig einen strengen Standard zum Ausdruck brächten.562 Unter Betonung der Funktion des Minimum Standard als absolutem Mindeststandard, welcher folglich auch keine Differenzierung zwischen Staaten zulasse563, erklärte das Gericht den Neer-Standard auch heute noch für anwendbar: „[A]lthough situations may be more varied and complicated today than in the 1920s, the level of scrutiny is the same. The fundamentals of the Neer standard thus still apply today: to violate the customary international law minimum standard of treatment codified in Article 1105 of the NAFTA, an act must be sufficiently egregious and shocking ‒ a gross denial of justice, manifest arbitrariness, blatant unfairness, a complete lack of due process, evident discrimination, or a manifest lack of reasons ‒ so as to fall below accepted international standards and constitute a breach of Article 1105(1). […] The standard for finding a breach of the customary international law minimum standard of treatment therefore remains as stringent as it was under Neer; it is entirely possible, however that, as an international community, we may be shocked by State actions now that did not offend us previously.“564

Im Hinblick auf das Bestehen alternativer Gestaltungsoptionen ist zudem bemerkenswert, dass das Gericht darauf verwies, dass den NAFTA-Staaten jederzeit offen stehe, festzulegen, dass ihre Maßnahmen künftig an einem strengeren Standard gemessen werden sollen. Von dieser Möglichkeit sei jedoch offenkundig noch kein Gebrauch gemacht worden.565 Für die Frage der Reichweite des Investorenschutzes lässt das erklärte Festhalten des Gerichts am Neer-Standard zunächst erhebliche Unterschiede gegenüber einem autonomen FET-Standard vermuten. Bereits die in der zitierten Passage aufgeführten Einzelverpflichtungen machen indes schnell deutlich, dass man es auch in Glamis Gold nicht mit dem ursprünglichen Neer-Standard zu tun hat.566 Dies, zumal das Gericht hinsichtlich der einhelligen Auffassung, wonach ein Verstoß gegen den Minimum Standard kein 561  Glamis

Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 605. Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 614. 563  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 615. 564  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 616, siehe auch Abs. 829. 565  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 829: „The State Parties to the NAFTA can always choose to negotiate a higher standard against which their behavior will be judged. It is very clear, however, that they have not yet done so and therefore a breach of Article 1105 still requires acts that exhibit a high level of shock, arbitrariness, unfairness or discrimination.“ 566  Vgl. UNCTAD, FET, S. 57, in dortiger Fn. 14. 562  Glamis

170 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Handeln in bösem Glauben voraussetzt, sogar ausdrücklich eine Fortentwicklung seit Neer bejaht.567 Spätestens als das Gericht zu den Voraussetzungen eines Schutzes legitimer Investorenerwartungen unter dem Minimum Standard Stellung nimmt568, wird klar, dass es mit gutem Grund lediglich von den weiterhin anwendbaren „Grundsätzen“ des Neer-Standard spricht.569 So zog das Gericht den Neer-Standard – jedenfalls in erster Linie – zur Beschreibung der Eingriffsschwelle heran, welche zur Bejahung eines Verstoßes gegen den FET-Standard überschritten sein muss, nicht aber zur Bestimmung der vom Standard umfassten Einzelverpflichtungen, an welchen sich die Behandlung des Investors messen lassen muss.570 Betrachtet man Letztere, so legt die Entscheidung nahe, dass sich selbst nach dem restriktiven Verständnis in Glamis Gold der Umfang der materiellen Einzelverpflichtungen nach dem Minimum Standard nur hinsichtlich einer Verpflichtung zur Transparenz vom Schutzumfang einer autonom zu interpretierenden FET-Klausel unterscheidet.571 Glamis Gold war indes nicht die einzige Entscheidung mit einer besonders konservativen Rechtsaufassung. Auch das Gericht in Cargill vs. Mexico sah den vom Investor zu erbringenden Nachweis für eine Evolution des 567  Glamis

Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 616. Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 619 ff. 569  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 616; siehe auch Dralle, FET am Beispiel des Schiedsspruchs Glamis Gold, S. 17; vgl. auch Kahn, 33 Fordham Int. Law J., S. 153 f., die Gleichsetzung mit Neer hinsichtlich des Schutzes legitimer Erwartungen als „preposterous“ bezeichnend, weshalb auch von einem separatem Standard, anstatt einer „modern variation of Neer“ gesprochen werden sollte und in seiner Analyse der Entscheidung zwischen einem herangezogenen „characterbased standard“ und einem „expectations-based standard“ differenzierend, a. a. O., S.  136 ff., 146 f. 570  So auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 53: „[T]he tribunal essentially crafted the Neer requirement that the conduct be ‚egregious and shocking‘ upon the substantive components of the FET standard.“; Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 31: „[T]he tribunals in Glamis Gold v. United States and Cargill v. Mexico cogently differentiate between the application of the international minimum standard to contemporary economic circumstances and its threshold“; UNCTAD, FET, S.  52 f.: „MST is equated to the standard of treatment set by the Neer case in terms of the level of scrutiny (high liability treshold).“; auf diese Verständnismög­ lichkeit gegenüber einem „otherwise atavistic ruling“ hinweisend auch Schill, 104 Am. J. Int. Law 2010, 257 f.: „primarily […] concerning the standard of review“; Dralle, FET am Beispiel des Schiedsspruchs Glamis Gold, S. 17; Kahn, 33 Fordham Int. Law J., S. 153; vgl. auch Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 164; siehe auch Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 617, wo das Gericht eine zusätzliche Zurückhaltung (deference) bei der Überprüfung der Entscheidungen staatlicher Behörden deshalb ablehnte, da eine solches Element bereits im dargelegten strengen Standard enthalten sei. 571  Zu dieser Auffassung gelangt auch Schill, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 257 f. 568  Glamis



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?171

Gewohnheitsrechts als nicht erbracht an.572 Dabei erkannte das Gericht durchaus die große Schwierigkeit an, eine konsistente Staatenpraxis nachzuweisen. Zwar sei weithin akzeptiert, dass ein verbreiteter Rückgriff zahlreicher Staaten auf einheitliche Vertragsklauseln mit Vorsicht als Nachweis von Gewohnheitsrecht dienen könne, doch sei unqualifizierten FET-Klauseln keine entscheidende Bedeutung beizumessen, da angenommen werden könne, dass durch sie gerade ein vom Gewohnheitsrecht abweichender, weitergehender Standard festgelegt werden sollte.573 Zudem verwies das Gericht darauf, dass die explosionsartige Verbreitung von BITs eine neuere Entwicklung sei und Staaten erst jetzt nach und nach – beispielsweise im Wege von Neuverhandlungen – Antworten auf die durch die BITs aufgeworfenen Fragen lieferten.574 Vor diesem Hintergrund erachtete es das Gericht als wenig ratsam, selbst einem weitverbreiteten Rückgriff auf vertragliche FET-Klauseln signifikantes Gewicht beizumessen.575 Mangels Nachweises einer Fortentwicklung des Gewohnheitsrechts zog das Gericht den NeerStandard auf den heutigen Kontext heran: „If the conduct of the government toward the investment amounts to gross misconduct, manifest injustice or, in the classic words of the Neer claim, bad faith or the willful neglect of duty, whatever the particular context the actions take in regard to the investment, then such conduct will be a violation of the customary obligation of fair and equitable treatment.“576

Auch hier wird deutlich, dass das Gericht den Neer-Standard in erster Linie als erforderlichen threshold für Verstöße heranzog, zu denen es auf vielfältige Weise kommen könne.577 Bemerkenswert ist dabei, dass das Gericht im Festhalten an Neer nicht etwa ein Abweichen gegenüber vorangegangenen NAFTA-Entscheidungen erblickte, sondern in diesen vielmehr einen entsprechenden Trend ausmachte.578 Der gewohnheitsrechtliche Standard sei hiernach bedeutend enger als jener BIT-Standard, der in Tecmed vs. Mexico angenommen wurde, da sich dort eine entsprechend hohe Eingriffsschwelle, 572  Cargill Incorporated vs. United Mexican States, ICISD Case No. ARB(AF) / 05 / 2, Award, 18. September 2009 („Cargill vs. Mexico“), Abs. 286. 573  Cargill vs. Mexico, supra Fn. 572, Abs. 276. 574  Cargill vs. Mexico, supra Fn. 572, Abs. 276. 575  Ibid. 576  Cargill vs. Mexico, supra Fn. 572, Abs. 286; hierzu auch Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 31. 577  Cargill vs. Mexico, supra Fn. 572, Abs. 285. 578  Cargill vs. Mexico, supra Fn. 572, Abs. 284: „The Tribunal observes a trend in previous NAFTA awards, not so much to make the holding of the Neer arbitration more exacting, but rather to adapt the principle underlying the holding of the Neer arbitration to the more complicated and varied economic positions held by foreign nationals today. Key to this adaptation is that, even as more situations are addressed, the required severity of the conduct as held in Neer is maintained.“

172 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

welche sich durch Adjektive wie „gross“, „manifest“, „complete“ artikuliere, nicht finde.579 Im Hinblick auf fortbestehende Unterschiede zwischen den unter den Minimum Standard und einem autonomen BIT-Standard angenommenen Einzelverpflichtungen, verneinte das Gericht – wie in Glamis Gold – eine gewohnheitsrechtliche Verpflichtung des Staats zu transparentem Handeln.580 Daneben wies das Gericht eine gewohnheitsrechtliche Verpflichtung zur Gewährleistung eines stabilen und vorhersehbaren Investitionsumfelds, wie sie in Entscheidungen zu autonomen FET-Klauseln angenommen wurde, jedenfalls insoweit zurück, als die Erwartungen an ein solches nicht wenigstens auf quasi-vertraglicher Grundlage beruhten.581 Festzuhalten ist hiernach, dass sich die Reichweite des Investorenschutzes selbst nach diesen restriktivsten NAFTA-Entscheidungen weniger von einem autonomen FET-Standard unterscheidet, als es ein erklärtes Festhalten an Neer zunächst vermuten ließe. Betrachtet man die materiellen Einzelverpflichtungen, so schwindet auch nach diesen Entscheidungen der Unterschied zu jenen Einzelverpflichtungen, an welchen die Behandlung des Investors auf Grundlage eines autonomen FET-Standard gemessen wurde. Er beschränkt sich auf die Ablehnung einer Verpflichtung zur Transparenz und zum Schutz der Erwartung eines stabilen und vorhersehbaren Investitionsumfelds, soweit diese nicht zumindest auf einer quasi-vertraglichen Grundlage beruht. Ein Unterschied, welcher zudem die noch im Einzelnen zu betrachtende, einschränkende Entwicklung dieser Verpflichtungen in Entscheidungen zu autonomen FET-Klauseln ausblendet.582 In erster Linie betonen Glamis Gold und Cargill somit einen besonders hohen treshold des Minimum Standard, wobei sie sich mit der Forderung nach einem als „egregious“ und „shocking“ anzusehenden Verhalten nicht von anderen NAFTA-Entscheidungen unterscheiden, die Neer zwar aufgrund eines evolutiven Verständnisses ablehnten, jedoch ebenfalls eine weiterhin hohe Eingriffsschwelle betonten.583 Zum einen wird man nämlich in der Tat 579  Cargill

vs. Mexico, supra Fn. 572, Abs. 285. vs. Mexico, supra Fn. 572, Abs. 294. 581  Cargill vs. Mexico, supra Fn. 572, Abs. 290; Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 39, in dortiger Fn. 55. 582  Siehe hierzu unter B.II.4.d). 583  So auch die Position Uruguays in Philipp Morris vs. Uruguay, supra  Fn. 18, Abs. 314; siehe auch Thunderbird vs. Mexico, supra Fn. 548, Abs. 194: „Notwithstanding the evolution of customary law since decisions such as Neer Claim in 1926, the threshold for finding a violation of the minimum standard of treatment still remains high.“; siehe auch Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 39; siehe auch UNCTAD, FET, S. 52, in den Entscheidungen Thunderbird vs. Mexico, Cargill vs. Mexico und Glamis Gold vs. USA einen Trend zu einer zurückhaltenderen und strengeren Interpretation von FET im NAFTA-Kontext erblickend. 580  Cargill



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?173

bereits bezweifeln können, ob sich die Beschreibung einer Behandlung als „egregious“ in der Beurteilung des konkreten Einzelfalls wirklich von einer Behandlung des Investors trennen lässt, welche „nur“ als „grossly unjust“, „manifest injustice“ etc. zu bewerten ist.584 Zum anderen verwiesen diese Entscheidungen zur Begründung gerade auch auf die Betonung einer hohen Eingriffsschwelle in vorangegangenen NAFTA-Entscheidungen und dortige Formulierungen, wie „gross denial of justice“, „manifest arbitrariness“ etc., zur Beschreibung eines Verhaltens, welches heutzutage als „egregious and shocking“ anzusehen ist.585 Dies verdeutlicht, dass eine solche Unterscheidung auch nicht intendiert war. Im Vergleich zu einem autonomen FET-Standard wird indes dieser hohe threshold des Minimum Standard als weiterhin bedeutender Unterschied ausgemacht.586 Doch wie die nachfolgenden Entscheidungen zeigen, wurde 584  Ebenfalls an einer praxisrelevanten Unterscheidung zweifelnd bereits Dolzer / von Walter, Lines of Jurisprudence, S. 113: „From a practical point of view, a central issue that has arisen concerns the difference in the wordings which the various tribunals used to the define the standard in more detail in an individual case. In particular, it may be asked whether the evolutionary approach at the centre of the NAFTA jurisprudence has indeed led to a view of the standard which is clearly distinct from more traditional formulae, distinct in the sense that the application of the different formulae will clearly lead to different results in a significant number of factual scenarios. How different is ‚grossly unjust‘ from ‚egregious‘? It will not be doubted that arbitrators might in certain settings consider that these are different indeed, but, for other arbitrators, the nuances may also appear to be elusive.“; vgl. jedoch William Ralph Clayton, William Richard Clayton, Douglas Clayton, Daniel Clayton and Bilcon of Delaware Inc. v. Government of Canada, UNCITRAL, PCA Case No. 2009-04, Award on Jurisdiction and Liability, 17. März 2015 („Clayton / Bilcon vs. Canada“), Abs. 443 f., unter Verweis auf Waste Management vs. Mexico die hohe Eingriffschwelle unter Art. 1105 NAFTA betonend, wonach jedoch keine als „shocking“ oder „outrageous“ zu beurteilende Behandlung erforderlich sei; siehe aber auch die Dissenting Opinion von Professor McRae, 10.  März 2015, („Clayton / Bilcon vs. Canada, Dissenting Opinion Prof. McRae“), Abs.  37 f., kritisierend, dass diese hohe Schwelle letztlich bereits aufgrund einer willkürlichen Behandlung infolge eines Verstoßes gegen kanadischen Recht angenommen wurde. 585  Siehe Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 614, selbst u. a. auf Thunderbird vs. Mexico verweisend sowie a. a. O., Abs. 616 und 627, wo das Gericht „a gross denial of justice, manifest arbitrariness, blatant unfairness, a complete lack of due process, evident discrimination, or a manifest lack of reasons“ als Verhaltensweisen aufführt, die heute als „sufficiently egregious and shocking“ zu charakterisieren sind; siehe auch Cargill vs. Mexico, supra Fn. 572, Abs. 285 und 286, wo das Gericht „gross misconduct“ und „manifest injustice“ schlicht als Umschreibung der in Neer gewählten Formulierung nannte: „If the conduct of the government toward the investment amounts to gross misconduct, manifest injustice or, in the classic words of the Neer claim, bad faith or the willful neglect of duty, […], then such conduct will be a violation of the customary obligation of fair and equitable treatment.“ 586  UNCTAD, FET, S. 60 f., 86 f.

174 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

selbst dieser Unterschied in nachfolgenden NAFTA-Entscheidungen in Frage gestellt. (3) D  ie Fortsetzung des Konvergenztrends in nachfolgenden Entscheidungen Insbesondere die Entscheidung Merril & Ring vs. Canada, die nur kurze Zeit nach der Entscheidung in Glamis Gold vs. USA erging, setzte sich zu deren restriktiven Verständnis in klaren Widerspruch.587 In den seit der Interpretationsvorgabe ergangenen NAFTA-Entscheidungen erkannte das Gericht zwar eine Entwicklung, eine restriktivere Eingriffsschwelle anzusetzen, was beispielsweise das Festhalten in Glamis Gold vs. United States an Neer zeige.588 Hinsichtlich der Behandlung von Ausländern und deren wirtschaftliche Aktivitäten und Investitionen – einer vom engen Neer-Anwendungsbereich zu trennenden zweiten Entwicklungslinie des Minimum Standard – habe die Staatenpraxis jedoch grundsätzlich einen weiteren und nicht auf die Schwelle von „outrageousness“ beschränkten Ansatz verfolgt.589 Im Hinblick auf diese Entwicklung des Minimum Standard sah das Gericht den Nachweis als erbracht an, dass Fair and Equitable Treatment als eigenständiger Standard selbst zu Gewohnheitsrecht erstarkt sei, weshalb es auch weniger um die zwischen den Parteien diskutierte Konvergenz zwischen dem Minimum Standard und FET gehe.590 In Bezug auf die Behandlung ausländischer Investoren gehe der Minimum Standard heute somit über Neer hinaus und schütze den Investor „against all such acts or behavior that might infringe a sense of fairness, equity and reasonableness.“591 Ein Verständnis der Interpretationsvorgabe, wonach fair and equitable treatment auf einen Mindeststandard beschränkt werden sollte, welcher den hohen Neertreshold erfordert, wies das Gericht ausdrücklich zurück, da andernfalls 587  Merrill

& Ring vs. Canada, supra Fn. 353; vgl. UNCTAD, FET, S. 56. & Ring vs. Canada, supra Fn. 353, Abs. 200. 589  Merrill & Ring vs. Canada, supra Fn. 353, Abs. 205, 209. 590  Merrill & Ring vs. Canada, supra Fn. 353, Abs. 209 ff.: „The parties have extensively discussed whether the customary law standard might have converged with the fair and equitable treatment standard, but convergence is not really the issue. The situation is rather one in which the customary law standard has led to and resulted in establishing the fair and equitable treatment standard as different stages of the same evolutionary process. A requirement that aliens be treated fairly and equitably in relation to business, trade and investment […] has become sufficiently part of widespread and consistent practice so as to demonstrate that it is reflected toady in customary international law as opinio juris. […][A]gainst the backdrop of the evolution of the minimum standard of treatment […], the Tribunal is satisfied that fair and equitable treatment has become a part of customary law.“ 591  Merrill & Ring vs. Canada, supra Fn. 353, Abs. 210, 213. 588  Merrill



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?175

dieser Standard zwingend auch auf die Behandlung von NAFTA-Investoren durch andere Staaten zur Anwendung gelangen müsste, was jedoch nicht der Fall sei.592 Auch in Chemtura vs. Canada wurde die Unterscheidung zwischen dem Minimum Standard und dem autonomen FET-Standard in Frage gestellt.593 Zwar wurde FET nicht selbst als Gewohnheitsrecht erachtet, doch – wie in den Entscheidungen vor Glamis Gold und Cargill – eine durch die BITPraxis vorangetriebene Entwicklung des Minimum Standard angenommen und der Konvergenztrend zwischen dem Minimum Standard und FET fortgesetzt. So verneinte das Gericht neben dem Verstoß gegen Art. 1105 NAFTA auch die vom Investor geltend gemachte Verletzung der Verpflichtung zur Meistbegünstigung in Verbindung mit einer importierten, autonomen FET-Klausel.594 Letztere hatte der Investor damit begründet, dass zahlreiche kanadische BITs mit Drittstaaten eine uneingeschränkte FETVerpflichtung enthielten, während ihm lediglich der Schutz einer auf den Minimum Standard beschränkten FET-Verpflichtung zu Teil werde.595 In seiner Begründung verwies das Gericht darauf, dass es die Evolution des Minimum Standard berücksichtigt habe, wonach für einen Verstoß nicht erforderlich ist, dass diese Maßnahmen als „outrageous“ im Sinne des Neer-Standard erscheinen.596 Zudem habe der Investor weder den Nachweis erbracht, dass sonstige FET-Klauseln den Investor in einer über den Minimum Standard hinausgehenden Weise schützten, noch das der Gaststaat gegen eine hypothetisch zusätzliche Schutzkomponente verstoßen hätte.597 Obgleich keine NAFTA-Entscheidung, soll schließlich die Entscheidung in RDC vs. Guatemala besondere Beachtung finden, in welcher die Parteien über die Reichweite von Art. 1105 CAFTA stritten. Auch diese Entscheidung illustriert nämlich als jüngeres Beispiel, wie eine Klausel ausgelegt 592  Merrill & Ring vs. Canada, supra Fn. 353, Abs. 212: „[I]f the FTC Interpretation was construed so as to narrow the protection against unfair and inequitable treatment to an international minimum standard requiring outrageous conduct of some kind, then consistency would demand that the same standard be followed in respect of such claims made by the NAFTA States in respect of the conduct of other countries affecting business, trade or investments interests of their citizens abroad. Yet, this is not the case under current international practice. Customary international law cannot be tailor made to fit different claimants in different ways. To do so would be to countenance an unacceptable double standard.“ 593  Chemtura vs. Canada, supra Fn. 271. 594  Chemtura vs. Canada, supra Fn. 271, Abs. 236 f. 595  Chemtura vs. Canada, supra Fn. 271, Abs. 226. 596  Chemtura vs. Canada, supra Fn. 271, Abs. 215, 236, siehe auch a.  a. O., Abs. 121 f., die Fortentwicklung – entgegen der Ansicht der NAFTA-Staaten (a. a. O., Abs. 114) – inbesondere mit der BIT-Praxis begründend. 597  Chemtura vs. Canada, supra Fn. 271, Abs. 236.

176 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

wird, in welcher die Vertragsstaaten – wie durch die zu Art. 1105 NAFTA ergangene Interpretationsvorgabe und entsprechend dem Trend in einigen neueren IIA – den FET ausdrücklich auf das Gewohnheitsrecht begrenzten, um einer expansiven Auslegung Einhalt zu gebieten.598 Zusätzlich stellt auch hier ein Annex klar, dass Gewohnheitsrecht nur durch eine einheitlichen Staatenpraxis und eine entsprechende Rechtsüberzeugung entsteht.599 Guatemala berief sich hierauf wiederholt und verwies auf die entsprechenden Ausführungen in Glamis Gold vs. USA.600 Der Investor habe keinen Beweis dafür erbracht, dass der Standard den geltend gemachten Schutz vor willkürlicher Behandlung, die Verpflichtung zur Transparenz oder den Schutz legitimer Erwartungen umfasst. Doch selbst wenn dieser Beweis gelänge, fehle der Nachweis, dass ein solcher Standard verletzt wurde, wobei Guatemala auf die äußerst restriktive Eingriffsschwelle verwies, welche für eine Verletzung des Minimum Standard erreicht sein müsse.601 Auch USA, El Salvador und Honduras betonten als Non-Disputing Parties den im Vertragstext eindeutig zum Ausdruck kommenden Willen der Staaten, den Inhalt der Verpflichtung auf das Gewohnheitsrecht zu beschränken, welches allein durch die Praxis und Rechtsüberzeugung der Staaten entstehe, nicht aber durch die Interpretation ähnlicher, jedoch unterschiedlicher Vertragsklauseln.602 Wie in den im NAFTA-Kontext ergangenen Entscheidungen hatte das Gericht somit zu entscheiden, ob der Neer-Standard noch immer die ak­ tuelle Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung zum Ausdruck bringt. Dabei zeigte das Gericht gleich in seiner ersten Anmerkung auf, dass der in NeerEntscheidung formulierte Standard selbst nicht auf der Analyse der Staatenpraxis beruhte und folglich selbst den strengen Anforderungen des Nachweises von Gewohnheitsrecht nicht genügte, wie sie in Glamis Gold vs. USA gestellt wurden. Damit begegnete das Gericht den Forderungen nach einem strengen und durch die Heranziehung von Schiedsurteilen nicht zu erbringenden Nachweis von Gewohnheitsrecht, indem es einen gewissen Widerspruch zur Berufung auf Neer aufzeigte: 598  RDC

vs. Guatemala, supra Fn. 551. 10-B CAFTA. 600  RDC vs. Guatemala, supra Fn. 551, Abs. 160, 192, 203, unter Verweis auf Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 605. 601  RDC vs. Guatemala, supra Fn. 551, Abs. 161 f., 192 f., 203, 205. 602  RDC vs. Guatemala, supra Fn. 551, Abs. 207 ff.; El Salvador machte auch deutlich, dass es die Interpretation des Gerichts in Glamis Gold vs. USA zum Minimum Standard weitgehend für korrekt erachte und die dortige strenge Neer-Eingriffschwelle Anwendung finde. Zudem verneinte es ebenfalls, dass bestimmte Einzelverpflichtungen auf die sich der Investor berief, dem Minimum Standard unterfielen (a. a. O., Abs.  209 f.). 599  Annex



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?177 „It is ironic that the decision considered reflecting the expression of the minimum standard of treatment in customary international law is based on the opinions of commentators and, on its own admission, went further than their views without an analysis of State practice followed because of a sense of obligation. By the strict standards of proof of customary international law applied in Glamis Gold, Neer would fail to prove its famous statement […] to be an expression of customary international law.“603

Schiedsurteile stellten zwar als solche keine Staatenpraxis dar, doch zeige die gängige Praxis, dass sie regelmäßig herangezogen würden, um die eigene Rechtsauffassung zu stützen und auf effiziente Weise zu veranschau­ lichen.604 Unter Verweis auf entsprechende NAFTA-Entscheidungen bejahte das Gericht eine Fortentwicklung des Gewohnheitsrechts.605 Inhaltlich folgte das Gericht ausdrücklich dem synthetisierten Standard aus Waste Management vs. Mexico606, in welchem es eine überzeugende Zusammenfassung der Analyse früherer NAFTA-Entscheidungen und eine ausgewogene Beschreibung des Minimum Standard erblickte.607 Aufgrund dieser Vorgehensweise, wird diese Entscheidung als Beispiel dafür angeführt, dass der Inhalt einer an das Gewohnheitsrecht gekoppelten FET-Klausel in der Praxis auf identische Weise bestimmt werde, wie im Fall eines autonomen Standards.608 Nämlich durch einen Verweis auf vorangegangene Entscheidungen, ohne jeglichen Nachweis einer entsprechenden Staatenpraxis und opinio juris. Daher spiele die Unterscheidung zwischen einem autonomen und einem an das Gewohnheitsrecht gekoppelten Standard keine Rolle mehr und ließen sich Schiedsgerichte durch letzteren Ansatz nicht von ihrem Expansionskurs bei der Auslegung von FET abbringen.609 bb) Zur Relevanz einer Unterscheidung außerhalb des NAFTA Auch die Betrachtung der Entwicklung der Schiedspraxis außerhalb des NAFTA lässt an der heutigen praktischen Relevanz der Unterscheidung zwischen dem Minimum Standard und einem autonomen FET-Standard stark zweifeln. Denn auch hier wurde in einigen Entscheidungen die Fortentwick603  RDC

vs. Guatemala, supra Fn. 551, Abs. 216. vs. Guatemala, supra Fn. 551, Abs. 217. 605  RDC vs. Guatemala, supra Fn. 551, Abs. 218, unter Verweis auf ADF vs. USA, supra Fn. 529, Abs. 179. 606  Zitiert bei supra Fn. 547. 607  RDC vs. Guatemala, supra Fn. 551, Abs. 219. 608  Porterfield, IISD Invest. Treaty News 3 / 2013, S. 3 f. 609  Ibid. 604  RDC

178 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

lung des Gewohnheitsrechts hervorgehoben.610 Zutreffend wurde indes darauf hingewiesen, dass diese Entscheidungen im Gegensatz zu den NAFTAEntscheidungen zumeist nicht auf der Annahme beruhten, dass das Gewohnheitsrecht über den Inhalt der FET-Verpflichtung bestimmt.611 Ein Aspekt, der schnell übersehen wird, wenn darauf verwiesen wird, dass auch in einigen Entscheidungen außerhalb des NAFTA der FET-Standard mit dem Minimum Standard gleichgesetzt worden sei. Vielmehr betrachteten Schiedsgerichte in- und außerhalb des NAFTA den Stand des Gewohnheitsrechts aus einem unterschiedlichen Blickwinkel und gelangten zu Schlussfolgerungen, die nicht zwangsläufig zu identischen Ergebnissen führen müssen.612 Wie bereits angedeutet, könnte hierin eine Erklärung dafür liegen, dass auch jüngere BIT-Entscheidungen einerseits angeführt werden, um zu belegen, dass große Zweifel an der heutigen Relevanz der Unterscheidung zwischen dem MST und dem FET-Standard angebracht sind613, während andererseits auf eben jene Entscheidungen verwiesen wird, um die Ansicht einer weiterhin unbedingt gebotenen Trennung zu bekräftigen.614 So kamen einige Entscheidungen lediglich in einem zweiten Schritt zu dem Ergebnis, dass sich der zunächst im Wege der autonomen Auslegung ermittelte Inhalt der FET-Verpflichtung im konkreten Fall nicht von den Verpflichtungen nach dem gegenwärtigen Stand des Gewohnheitsrechts unterscheide.615 Wenn etwa das Gericht in Occidental vs. Ecuador der Frage eines über das Gewohnheitsrecht hinausgehenden bzw. hierdurch beschränkten Investorenschutzes bewusst auswich, so gelang dies eben nur, weil die Gewährleistung der Stabilität und Vorhersehbarkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen nicht nur als Element der vertraglichen FET-Verpflichtung, sondern auch eines fortentwickelten MST erachtet wurde. Insoweit könne der FET-Standard daher mit dem Minimum Standard gleichgesetzt werden.616 Eine vollständige Gleichsetzung beider Standards wurde indes nicht angenommen.617 z. B. Philipp Morris vs. Uruguay, supra Fn. 18, Abs. 319. Walter, Lines of Jurisprudence, S. 100. 612  Dolzer / von Walter, Lines of Jurisprudence, S. 100. 613  Vgl. etwa El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 332, die Entscheidung in CMS vs. Argentina, supra Fn. 266, als Beispiel für den Equating Approach he­ ranziehend; Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 110. 614  Für diese spricht sich Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011 aus. 615  Siehe auch bereits Dolzer / von Walter, Lines of Jurisprudence, S. 100, 109, unter Hinweis auf die Entscheidungen in Tecmed vs. Mexico, Occidental vs. Ecuador, CMS vs. Argentina sowie darauf, dass in Saluka vs. Czech Republic nur auf den ersten Blick eine „Gleichsetzung“ erfolgte. 616  Occidental vs. Ecuador, supra Fn. 321, Abs. 188, 190 ff.: „[I]n the instant case the Treaty standard is not different from that required under international law 610  Siehe

611  Dolzer / von



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?179

Eben dies ist der Ansatzpunkt jener Stimmen, die für eine weiterhin gebotene Trennung beider Standards argumentieren. Zwar sei in einigen Entscheidungen angemerkt worden, dass die Standards ähnlich seien, jedoch seien die Standards in keiner dieser Entscheidungen als identisch angesehen worden, was der Möglichkeit Raum gäbe, dass sie differieren könnten.618 Betrachtet man die BIT-Rechtsprechung, so lassen sich einige weitere Entscheidungen entweder als Bestätigung für die heutige weitgehende Irrelevanz der Unterscheidung zwischen Minimum Standard und dem autonomen FET-Standard anführen oder aber als Beleg dafür, dass die Kopplung von FET an den Minimum Standard eine fortbestehende Gestaltungsalternative darstellt. So kann man in CMS vs. Argentina einerseits darauf abstellen, dass ein Unterschied zwischen beiden Standards verneint wurde.619 Andererseits kann man betonen, dass der Minimum Standard und der autonome FETStandard wiederum lediglich im konkreten Fall und in Bezug auf eine Verpflichtung zur Stabilität und Vorhersehbarkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen „gleichgesetzt“ wurden und das Gericht ebenso ausführte, dass die Unterscheidung zwischen einem weitergehenden Standard und dem Minimum Standard in anderen Fällen durchaus Relevanz erlangen könnte.620 Ähnlich kann darauf verwiesen werden, dass das Gericht in Azurix vs. Argentina ausdrücklich entschied, dass es die einschlägige Klausel erlaube, den FET-Standard als über den Minimum Standard hinausgehende Verpflichtung auszulegen, welcher nur den Mindestschutz festleconcerning both the stability and predictability of the legal and business framework of the investment. To this extent the Treaty standard can be equated with that under international law.“ (Hervorhebung durch den Autor). 617  Vgl. Duke Energy vs. Ecuador, supra Fn. 227, Abs. 334: „The Occidental Tribunal [left] aside the question of whether a treaty standard may be more demanding than customary law.“; ebenso Kläger, FET, S. 78: „obviously unwilling to take sides in the contention concerning the relationship of fair and equitable treatment and the minimum standard.“ 618  Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 36. 619  CMS vs. Argentina, supra Fn. 266, Abs. 284: „While the choice between requiring a higher treaty standard and that of equating it with the international minimum standard might have relevance in the context of some disputes, the Tribunal is not persuaded that it is relevant in this case. In fact, the Treaty standard of fair and equitable treatment and its connection with the required stability and predictability of the business environment […] is not different from the international law minimum standard and its evolution under customary law.“ (Hervorhebung durch den Autor); so wurde diese Entscheidung in El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 332, als Beispiel für den Equating Approach angeführt. 620  Siehe supra Fn. 619; dies betont Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 36.

180 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

ge.621 Oder aber man stellt darauf ab, dass das Gericht dieser Aussage im unmittelbaren Anschluss widersprach oder jedenfalls jegliche Bedeutung nahm622, indem es auf die Evolution des MST verwies, seinen Inhalt als „substantially similar“ zu einer autonom auszulegenden FET-Verpflichtung erachtete623 und weiter ausführte: „The question whether fair and equitable treatment is or is not additional to the minimum treatment requirement under international law is a question about the substantive content of fair and equitable treatment and, whichever side of the argument one takes, the answer to the question may in substance be the same.“624

In diesem Sinne erachtete auch das Gericht in Duke Energy vs. Ecuador die Frage, ob die identische FET-Klausel des US-Ecuador-BIT einen autonomen Standard festlegt oder nur den gewohnheitsrechtlichen Standard widerspiegelt angesichts der Umstände des zugrundeliegenden Falls für „irrelevant“ und augenscheinlich durch die Entwicklungen in den Entscheidungen in Azurix vs. Argentina und CMS vs. Argentina überholt.625 Wie in diesen Entscheidungen schloss das Gericht: „The standards are essentially the same“.626 Diesen Entscheidungen folgte etwa auch das Gericht in Rumeli vs. Kazakhstan und erachtete daher den einzig streitigen Vortrag Ka­ zakhstan, wonach die Verpflichtung aus dem FET-Standard nicht über den Minimum Standard hinausgehe, für eher theoretischer Natur.627 621  Azurix vs. Argentina, supra Fn. 298, Abs. 361, bemerkenswert ist hierbei, dass das Gericht eine Übertragung des Verständnisses der NAFTA FTC zu Art. 1105 NAFTA und einer entsprechenden späteren BIT-Praxis des Vertragspartners USA ablehnte und die Tatsache, dass es einer solchen in Reaktion auf eine gegensätzliche Interpretation bedurfte gerade als Beleg dafür ansah, dass sehr wohl auch ein anderes Verständnis dieser und ähnlicher Klauseln möglich ist (a. a. O., Abs. 363): „The fact that the FTC interpreted Article 1105 in reaction to a tribunal’s different understanding of this article and that, in recent agreements, the correlative clause has been drafted to reflect the FTC’s interpretation show that the meaning of that article and similar clauses in other agreements could reasonably be understood to have a different meaning.“ 622  So El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 333. 623  Azurix vs. Argentina, supra Fn. 298, Abs. 361. 624  Azurix vs. Argentina, supra Fn. 298, Abs. 364. Für die Begründung verwies das Gericht auf die Annahme einer Evolution in zahlreichen NAFTA-Entscheidungen, a. a. O., Abs.  368 ff. 625  Duke Energy vs. Ecuador, supra Fn. 227, Abs. 333, 335 f. 626  Duke Energy vs. Ecuador, supra Fn. 227, Abs. 337. 627  Rumeli Telekom A.S. and Telsim Mobil Telekomikasyon Hizmetleri A.S. vs. Republic of Kazakhstan, ICSID Case No. ARB / 05 / 16, Award, 29.  Juli 2008, Abs. 597 und 611: „The only aspect on which the parties differ is that for Respondent, the concept does not raise the obligation upon Respondent beyond the international minimum standard of protection. The Arbitral Tribunal considers that this precision is more theoretical than real. It shares the view of several ICSID tribunals



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?181

Auch Saluka vs. Czech Republic wird angeführt, um zu bekräftigen, dass diese Kontroverse letztlich unergiebig ist und erhebliche Zweifel bestehen, ob die Unterscheidung für die Beurteilung des konkreten Einzelfalls letztlich überhaupt eine Rolle spielt628: „Whatever the merits of this controversy […] may be, it appears that the difference between the Treaty standard […] and the customary minimum standard, when applied to the specific facts of a case, may well be more apparent than real. To the extent that the case law reveals different formulations of the relevant thresholds, an in-depth analysis may well demonstrate that they could be explained by the contextual and factual differences of the cases to which the standards have been applied.“629

Ebenso kann jedoch auch der Blick darauf gelenkt werden, dass das Gericht den FET-Standard gleichwohl nicht mit dem Minimum „gleichsetzte“, sondern in den folgenden beiden Absätzen obiter auch mögliche Konsequenzen der Unterscheidung erörterte.630 So sei zu berücksichtigen, dass ein Staat selbst dann an den Minimum Standard gebunden ist, wenn er eine Politik verfolgt, die sich grundsätzlich gegen ausländische Investitionen richtet. Während in diesem Fall wohl tatsächlich nur ein Minimalschutz des Investors angenommen werden könne, sei angesichts des mit Investitionsschutzverträgen verfolgten Zwecks der Investitionsförderung möglicherweise bereits eine geringere Verfehlung des Staats für die Bejahung eines Verstoßes gegen den BIT-Standard ausreichend.631 Schließlich kann in Sempra Energy vs. Argentina darauf verwiesen werden, dass nach Auffassung des Gerichts die entscheidende Frage häufig gar nicht darin bestehen werde, ob der FET-Standard einen weitergehenden Schutz bietet, sondern allein darum, ob er spezieller, weniger allgemein und zeitgemäßer formuliert ist und seine Heranziehung daher für die Entscheidung des jeweiligen Falles angemessener erscheint.632 So verneinte das Gericht für den zu beurteilenden Fall einen über das Gewohnheitsrecht hinausgehenden Schutz.633 Ebenso kann jedoch auch betont werden, dass das Gericht ausdrücklich nicht ausschloss, dass eine vertragliche FETKlausel eine über das Gewohnheitsrecht hinausgehende Behandlung erforthat the treaty standard of fair and equitable treatment is not materially different from the minimum standard of treatment in customary international law.“ 628  Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 138. 629  Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 291. 630  Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 40; Vgl. Dolzer / von Walter, Lines of Jurisprudence, S. 111. 631  Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 292 f. 632  Siehe Sempra Energy vs. Argentina, supra Fn. 272, Abs. 302. 633  Ibid.

182 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

dert.634 Gerade in den jüngsten Bemühungen, die Bedeutung und Reichweite des Standards im Wege der Interpretationsvorgabe oder in neuen Abkommen zu ändern, sah das Gericht eine Bestätigung dafür, dass der vertragliche FET-Standard ohne diese einschränkenden Maßnahmen ein weitergehender Standard sein könnte: „[T]he Tribunal concludes that the fair and equitable standard, at least in the context of the Treaty applicable to this case, can also require a treatment additional to, or beyond that of, customary law. Such does not appear to be the case with the present dispute, however. The very fact that recent interpretations of investment treaties have purported to change the meaning or extent of the standard only confirms that, those specific instruments aside, the standard is or might be a broader one.“635

Wie die vorgenannten BIT-Entscheidungen verdeutlichen, kommt es also auf das Auge des Betrachters an, ob man in ihnen einen klaren Konvergenztrend erblickt, durch welchen die Relevanz der Unterscheidung zwischen dem Minimum Standard und FET zunehmend in Frage gestellt wird oder man den Blick darauf fokussiert, dass sie die Möglichkeit offen ließen, dass der vertragliche Standard weiter gehen könnte. Den Befürwortern einer klaren Trennung, die sich ebenfalls auf die genannten Entscheidungen berufen, kann daher nicht schlicht der Vorwurf gemacht werden, den eindeutigen Konvergenztrend zu verkennen. Doch auch wenn jüngere Entscheidungen nicht von der Identität der Standards sprechen, ihre Aussagen auf die Umstände des vorliegenden Einzelfalles beschränken und weiterhin davon Abstand nehmen, allgemeinere Aussagen zu treffen636, so ist gleichwohl keine Entscheidung ersichtlich, in welcher ein potentieller Unterschied praktische Relevanz erlangt hätte. Daher sprechen diese Entscheidungen dafür, dass die Unterscheidung zwischen dem Minimum Standard und einem autonomen FET-Standard in der Investitionsrechtsprechung letztlich keine praktische Rolle mehr spielt.

634  Siehe Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 37, der auch in der Aussage, dass der FET-Standard mitunter „more precise“ sein könne, einen Hinweis darauf erblickt, dass der FET-Standard spezifische Einzelverpflichtungen enthalte, welche nicht vom MST umfasst sind. Eine Auffassung, welche auch durch die Entscheidungen in Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217 und Cargill vs. Mexico, supra Fn. 572, bestätigt werde. 635  Sempra Energy vs. Argentina, supra Fn. 272, Abs. 302; nahezu Wortgleich in der ebenfalls unter dem Vorsitz von Orrego-Vicuña ergangenen Entscheidung in Enron vs. Argentina, supra Fn. 288, Abs. 258. 636  Vgl. schon die Beobachtung von Dolzer / von Walter, Lines of Jurisprudence, S. 112 unter Betrachtung der bis einschließlich Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, ergangenen Entscheidungen.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?183

In diesem Sinne schloss auch das Gericht in Biwater Gauff vs. Tanzania von der unqualifizierten FET-Klausel auf den Willen der Vertragsparteien, einen autonomen Standard festzulegen.637 Dies, um im Anschluss den Feststellungen vorangegangener Schiedsgerichte und Kommentatoren zu folgen und den Inhalt beider Standards als „not materially different“ zu beschreiben.638 Wenn freilich auch hier theoretischer Raum für einen potentiell weitergehenden FET-Standard verbleibt, so ist besonders hervorzuheben, dass das Gericht ausdrücklich auch in Bezug auf die Eingriffsschwelle einen Unterschied zum Minimum Standard verneinte. So stellte das Gericht für den autonomen FET-Standard klar: „This threshold is a high one“, wobei es diese Feststellung auf die NAFTA-Entscheidungen in Waste Management vs. Mexico und Thunderbird vs. Mexico zu 1105 NAFTA stützte.639 Doch trotz der völlig unterschiedlichen Ausgestaltung dieser Klausel gegenüber der einschlägigen BIT-Klausel – in den Augen des Gerichts lediglich „slightly different wording“  – sowie der bindenden Interpretationsvorgabe der NAFTA-Staaten, erachtete das Gericht es als angemessen, die in diesen Entscheidungen formulierte Eingriffsschwelle auch auf den autonomen BITStandard zu übertragen.640 Zusätzlich begründete das Gericht die Anwendung dieser hohen Eingriffsschwelle auch damit, dass einzelne Beschreibungen eines niedrigeren thresholds – insbesondere der in Tecmed vs. Mexico formulierte Test – auch außerhalb des NAFTA auf Kritik gestoßen sei.641 Daneben finden sich auch Entscheidungen, die nahelegen, dass die Schiedsgerichte sogar von einer vollständigen Identität beider Standards ausgingen. So erachtete z. B. das Gericht in El Paso vs. Argentina die Ansicht, wonach der vertragliche FET-Standard mit dem Minium Standard gleichzusetzen sei, als letztlich überzeugender642 und schloss: „[T]he FET of the BIT is the international minimum standard required by international law.“643 Bereits zuvor hatte das Gericht allerdings die gesamte Diskussion 637  Biwater

Gauff vs. Tanzania, supra Fn. 354, Abs. 591. Gauff vs. Tanzania, supra Fn. 354, Abs. 592. 639  Biwater Gauff vs. Tanzania, supra Fn. 354, Abs. 597. 640  Biwater Gauff vs. Tanzania, supra Fn. 354, Abs. 599, 601. 641  Biwater Gauff vs. Tanzania, supra Fn. 354, Abs. 600, unter Verweis auf die in MTD Equity Sdn. Bhd. and MTD Chile S.A. vs. Chile, ICSID Case No ARB / 01 / 7, Decision on Annulment, 21. März 2007 („MTD vs. Chile, Decision on Annulment“), Abs. 67 geäußerte Kritik. 642  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 336: „[T]he position according to which FET is equivalent to the international minimum standard is more in line with the evolution of investment law and international law and with the identical role assigned to FET and to the international minimum standard.“ 643  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 337, bei der Erörertung der identischen Funktion der Standards (a. a. O., Abs. 336) spricht das Gericht indes von „similar standards“. 638  Biwater

184 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

um das Verhältnis des Minimum Standard zum FET-Standard als überflüssig bezeichnet. Letztlich seien beide Standards in gleichem Maße unbestimmt, so dass ihr Vergleich nichts zu der entscheidenden Frage beitrage, welcher Schutz dem Investor gewährt werde.644 Das wirkliche Problem bestehe darin, Inhalt und Reichweite von FET zu bestimmen.645 Dass angesichts des Bedürfnisses konkreterer Prüfungsmaßstäbe die Unterscheidung zwischen dem Minimum Standard und einem autonomen FETStandard in der Schiedspraxis in den Hintergrund tritt und sich die Schiedsgerichte daher darauf konzentrieren, den Inhalt der FET-Verpflichtung näher zu konkretisieren, gleich ob eine uneingeschränkte Klausel zu Grunde liegt oder nicht, illustriert als letztes Beispiel auch die Entscheidung in Unglaube vs. Costa Rica.646 So betonte das Gericht zwar, dass der jeweilige Wortlaut zu beachten sei647, erläuterte aber bereits zuvor, dass seine Aufgabe darin bestehe, die Behandlung des Investors an bestimmten Einzelverpflichtungen, insbesondere dem Schutz legitimer Erwartungen, zu beurteilen, ob nun nach dem gewohnheitsrechtlichen oder einem autonomen Standard.648 Bevor 644  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 335, 338; auch die Entscheidung in SAUR vs. Argentina, supra Fn. 515, ist wohl so zu verstehen, dass das Gericht die Relevanz einer Unterscheidung zwischen dem MST und einem autonomen FET Standard („une discussion plutôt dogmatique et conceptualiste“) nicht nur in Bezug auf das Erfordernis eines besonders gravierenden, bösgläubigen Verhalten des Staats im Sinne der Neer-Entscheidung („élément volitif renforcé“) – im Grunde stritten die Parteien allein hierüber (a. a. O., Abs. 491 f.) – sondern generell verneinte („et“): „Quelle que soit l’interprétation correcte du „niveau minimal coutumier „en 1926, on ne peut douter qu’avec le temps, ce niveau a dû évoluer et se perfectionner. Quand l’art. 3 de l’APRI définit le TJE [Traitement juste et équitable] conforme aux principes du droit international, le traité se réfère aux dits principes tels qu’on les comprend actuellement. Et, actuellement, l’interprétation selon laquelle le principe n’exige pas d’élément volitif renforcé dans la conduite de l’État offenseur est pratiquement unanime. Par conséquent, il est devenu indifférent que le concept de TJE soit interprété conformément à son ‚sens courant‘, comme l’exige la Convention de Vienne, ou conformément au droit international coutumier; dans les deux cas, le niveau de conduite exigible de l’État est le même et il ne requiert pas d’élément volitif renforcé.“, a. a. O., Abs. 494 (Fußnote entfernt, Hervorhebung durch den Autor). 645  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 338. 646  Unglaube vs. Costa Rica, supra Fn. 515; zu diesem Trend in jüngeren Entscheidungen UNCTAD, FET, S. 60 f. 647  Unglaube vs. Costa Rica, supra Fn. 515, Abs. 243. 648  Unglaube vs. Costa Rica, supra Fn. 515, Abs. 242: „Whether the fair and equitable treatment requirement is viewed in terms of customary international law as urged by Respondents or, as Claimants have argued, by a somewhat more inclusive standard, the responsibility of this Tribunal is clear. It is not the Tribunal’s role, having appraised the evidence presented, to decide based on its own judgments of fairness. It is, instead, to assess whether investors have been subjected to arbitrary or discriminatory treatment, to legal arrangements which violate due process, and,



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?185

auf die Entwicklung und sukzessive Konkretisierung der Einzelverpflichtung einzugehen ist, bleibt ein Fazit zu ziehen, was die Konvergenz des Minimum Standard und einem autonomen FET-Standard für die zukünftige Vertragsgestaltung bedeutet. c) Rückschlüsse und Konsequenzen für die zukünftige Vertragsgestaltung Einerseits kann die Beobachtung, dass Schiedsgerichte dem jeweiligen Wortlaut der FET-Klausel Beachtung schenkten und zum Teil ausdrücklich klarstellten, dass sie sich allein auf die Auslegung der einschlägigen Klausel zu beschränken haben, zuversichtlich stimmen. Zuversichtlich, dass eine vertragliche Feinjustierung zur Erzielung eines Ausgleichs nicht schlicht übergangen würde, wodurch sich die Bemühungen durch eine bestimmte vertragliche Gestaltung der FET-Klausel Einfluss auf ihre Auslegung zu nehmen, letztlich als vergebene Liebesmüh’ erweisen würde. Andererseits wurde die Relevanz dieser Differenzierung anschließend durch die regelmäßige Annahme der Entwicklung des Minimum Standard und der Konvergenz mit dem autonomen FET-Standard – jedenfalls weitgehend – verneint. Widerspricht dies denn nicht der Argumentation, wonach Schiedsgerichte infolge des Widerspruchs gegen eine zu weitgehende Anerkennung von Investorenrechten und angesichts ihres Eigeninteresses an einem Festhalten an Investor-Staat-Verfahren gewillt sind, den vertraglichen Einschränkungsbemühungen der Staaten zur Sicherstellung ihrer Regulierungsinteressen Rechnung zu tragen? Nein, denn dieses Vorgehen lässt sich ebenso wie die beobachtete Konvergenz schlicht auf das Bedürfnis der Schiedsgerichte nach präzisen und bewährten Prüfungsmaßstäben zurückführen, welche eine bloße Beschränkung auf den seinerseits unbestimmten Minimum Standard nicht bieten konnte.649 Erst aus diesem Bedürfnis heraus haben sich Schiedsgerichte für die Interpretation des Minimum Standard zunehmend auch an den Fallgrupin particular, whether the legitimate expectations of the investor (i. e., expectations reasonably held by the investor at the time the investment was made) have been duly respected.“ (Fußnoten entfernt); auch in EDF International S.A., SAUR International S.A., and León Participaciones Argentinas S.A. vs. Argentine Republic, ICSID Case ARB / 03 / 23, Award, 11.  Juni 2012 („EDFI vs. Argentina“), Abs. 999, spielte die Unterscheidung für die Entscheidung keine Rolle: „The Tribunal need not decide whether Article 3 establishes an autonomous and independent standard of fairness or simply coincides with customary international minimum standard. In either event, failure to abide by express commitments without re-establishing economic balance in a reasonable period of time constitutes inequitable conduct.“ 649  Auch Dralle, FET am Beispiel des Schiedsspruchs Glamis Gold, S. 15, weist auf das Bedürfnis präziser und bewährter Prüfungsmaßstäbe und die hierdurch ver-

186 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

pen und Kriterien orientiert, die sich auch durch Entscheidungen auf Grundlage anderer Abkommenstexte herausgebildet haben.650 Dass infolgedessen die unterschiedlichen Ausgestaltungen der Klauseln in den Hintergrund traten, ist nicht als Indikator für die fehlende Bereitschaft der Schiedsgerichte zu sehen, Vorgaben Beachtung zu schenken, die dem Bedürfnis nach einem präzisen und praktikablen Prüfungsmaßstab gerecht würden. Ist aber die Bemühung der Staaten gescheitert, die Delegation der Bestimmung der Reichweite der FET-Verpflichtung durch eine Kopplung an den Minimum Standard einzuschränken und einer expansiven Auslegung einen Riegel vorzuschieben? Scheidet sie als effektive Gestaltungsalternative aus? Auch hier ist zu differenzieren. Insbesondere ist zu unterscheiden zwischen einer Beschränkung des FET-Standards in Bezug auf die inhaltlichen Einzelverpflichtungen und der Einschränkung des Investorenschutzes durch einen restriktiven threshold. Die Beschränkung der FET-Verpflichtung auf den Minimum Standard hat ihr Ziel eines restriktiveren Standards verfehlt und, wie gesehen, vielmehr zur Beschleunigung der Fortentwicklung des Gewohnheitsrechts beigetragen bzw. zur regelmäßigen Annahme einer solchen.651 Darüber, ob die Schiedsgerichte im Hinblick auf die erforderliche Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung bei der Annahme einer Fortentwicklung des Minimum Standard vergleichsweise vorsichtig vorgegangen seien, wird man daher sicherlich streiten können.652 Erst recht angesichts der zahlreichen Kritik an einer vorschnellen, unbegründeten und zu weitgehenden Annahme einer Fortentwicklung des Gewohnheitsrechts.653 Für eine solche Zurückhaltung und die Effektivität der Beschränkung auf den Minimum Standard ließen sich zwar die Entscheidungen in Glamis Gold und Cargill anführen654, doch selbst nach diesen restriktivsten Entscheidungen, die erklärtermaßen an Neer festhielten, war eine inhaltliche stärkte Orientierung an Präzedenzfällen als einen der ganz praktischen Gesichtspunkte für die Konvergenz zwischen FET und dem MST hin. 650  Schill, 12 German Law J. 2011, S. 1096; Dralle, FET am Beispiel des Schiedsspruchs Glamis Gold, S. 15; Tudor, The FET Standard, S. 154. 651  Siehe bei supra Fn. 523. 652  So aber Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 41; gegen diese Zurückhaltung lässt sich heute insbesondere auf Merrill & Ring vs. Canada, supra Fn. 353, verweisen, da durch die Annahme, dass FET selbst zu Gewohnheitsrecht erstarkt sei, jeglicher Unterschied des Mininum Standard zu einem autonomen FET-Standard entfällt. 653  Siehe etwa Porterfield, IISD Invest. Treaty News 3 / 2013, S. 3 ff. 654  Siehe unter B.II.3.b)aa)(2); auch Haeri, 27 Arbitr. Int. 2011, S. 41 f., der die gewohnheitsrechtliche Rechtsquelle als einen der Gründe für die vergleichsweise Zurückhaltung der Schiedsgerichte ausmacht, den MST zu erweitern, verweist nur auf diese beiden Entscheidungen; siehe auch UNCTAD, FET, S. 52 f., Glamis Gold



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?187

Beschränkung gegenüber einem autonomen Standard allenfalls in der Verneinung einer Verpflichtung zur Transparenz und der Erwartung eines stabilen und vorhersehbaren Investitionsumfelds ohne quasi-vertragliche Zusage auszumachen.655 Noch dazu blieben diese Entscheidungen, wie gesehen, Ausnahmen, und der Nachweis an die erforderliche Staatenpraxis und opinio juris wurde ansonsten weniger streng gehandhabt.656 So wird der Inhalt der Verpflichtung des auf das Gewohnheitsrecht beschränkten Standards auf die gleiche Weise bestimmt, wie im Fall eines autonomen Standards. Nämlich durch Rückgriff auf vorangegangene Entscheidungen und somit – so die Kritik – gestützt auf die Ausführungen der Schiedsrichter, statt auf eine erwiesene Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung.657 Doch auch wenn die Annahme einer Fortentwicklung des Gewohnheitsrechts als vorschnell und zu weitgehend zu kritisieren sein mag, steht doch fest, dass die Beschränkung der FET-Verpflichtung auf den Minimum Standard nach der heutigen Schiedspraxis bezüglich der Einzelverpflichtungen zu keiner Einschränkung geführt hat und jedenfalls insoweit gescheitert ist.658 Ein Befund, welcher auch durch die Betrachtung der Entscheidungen zum autonomen FET-Standard bestätigt wurde, wenngleich diese vereinzelt die theoretische Möglichkeit eines weitergehenden Schutzes durch einen autonomen Standard offen ließen. Für die zukünftige Vertragsgestaltung folgt hieraus eine klare und eindeutige Konsequenz: Erachtet ein Staat den Inhalt, welcher dem FET-Standard in der heutigen Schiedspraxis beigemessen wird, als zu weitgehend, so bedarf es eines entschiedeneren Vorgehens als nur der Beschränkung auf einen selbst unbestimmten Mindeststandard.659 vs. USA zur Illustration des Trends zu einer vorsichtigeren Interpretation von FET unter Art. 1105 NAFTA anführend. 655  Siehe bei supra Fn. 571. 656  Siehe insbesondere Merrill & Ring vs. Canada, supra Fn. 353; hierauf berief sich auch der Investor in RDC vs. Guatemala, supra Fn. 551, Abs. 177; siehe auch Porterfield, IISD Invest. Treaty News 3 / 2013, S. 4, in dortiger Fn. 13 die Entscheidung in Glamis Gold vs. USA als einzige Ausnahme anführend. 657  Porterfield, IISD Invest. Treaty News 3 / 2013, S. 4. 658  Vgl. Kläger, FET, S. 86: „[I]rrespective of the pertinent investment treaty formulation, a real difference as regards the practical outcome between the two approaches when considering the facts of a specific case seems to be non-existent.“; Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 50, 146 f.; vgl. Tudor, The FET Standard, S. 84 f., 154, die sich für die Anerkennung von FET als einem vom MST zu trennenden gewohnheitsrechtlichen Standard ausspricht und trotz der unterschiedlichen Ausgestaltungen in verschiedenen BITS und im NAFTA von einem einheitlichen Inhalt des FET-Standards ausgeht. 659  In diesem Sinne auch Porterfield, IISD Invest. Treaty News 3 / 2013, S. 3: „The reluctance of investment tribunals to base their interpretations of CIL [Custo-

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Kann aber durch die Begrenzung auf den Minimum Standard wenigstens eine inhaltliche Beschränkung auf den status quo erzielt werden? D. h. auf die Einzelverpflichtungen, die heute gleichermaßen unter einem autonomen wie unter einem auf das Gewohnheitsrecht beschränkten Standard angenommen werden und damit einer zukünftigen, noch weitergehenden Ausdehnung der FET-Verpflichtung vorgebeugt werden? Der Einwand liegt freilich auf der Hand: Eine Beschränkung auf den Minimum Standard konnte bisher keine inhaltliche Einschränkung bewirken – warum sollte dies zukünftig anders sein?660 Ein mögliches Argument könnte sich mit Blick auf die genannte Ursache des Scheiterns einer inhaltlichen Beschränkung661 – die fehlende Aussage über die umfassten Einzelverpflichtungen – gewinnen lassen. So könnte dafür sprechen, dass heute für beide Standards einheitliche und ausreichend gefestigte Einzelverpflichtungen angenommen werden, so dass diese Ursache für das Scheitern der Beschränkung heute entfallen ist. Denn unter Zugrundelegung des in der Schiedspraxis herangezogenen, inhaltsgleichen Standards, gibt es keinen weitergehenden autonomen FET-Standard, dessen Heranziehung – wie bisher – zur Annahme einer solch rapiden Fortentwicklung des Gewohnheitsrechts führen könnte. Insoweit bringt eine Beschränkung auf den Minimum Standard durchaus einen Widerspruch gegen eine leichtfertige Auslegung des Standards zum Ausdruck, welche über die heute bereits einheitlich angenommenen Einzelverpflichtungen noch hinausginge. Vor allem aber ist zu beachten, dass die Reichweite des Investorenschutzes aufgrund der inhaltlichen Einzelverpflichtungen ganz entscheidend davon abhängt, wie hoch der für ihre Verletzung zu überschreitende threshold angesetzt wird. Diese Eingriffsschwelle kann maßgeblichen Einfluss darauf haben, wie eine inhaltliche Einzelverpflichtung ausgelegt und angewendet wird und ihr eine andere Qualität geben, wodurch entsprechend das Risiko einer Haftung des Staats steigt oder fällt.662 Nicht der Umstand, dass ein mary International Law] on actual state practice and opinio juris suggests that more aggressive approaches may be necessary to deter tribunals from adopting increasingly broad intepretations of FET.“; die bloße Normierung der Rechtsquelle für eine Begrenzung ungeeignet erachtend auch Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 152, indes ohne Differenzierung zwischen einer Begrenzung in Bezug auf die inhaltlichen Einzelverpflichtungen und durch einen hohen threshold. 660  Skeptisch auch Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 138: „The emphasis on linkages between FET and customary international law is unlikely to restrain the evolution of the FET standard.“ 661  Siehe bei Fn. 649. 662  Die ganz maßgebliche Bedeutung des threshold für die Anwendung und Auslegung der inhatlichen Einzelverpflichtung heben auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 41 f. hervor.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?189

inhaltlich breites Spektrum von Einzelverpflichtungen unter den FET-Standard gefasst wird, sondern vielmehr die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Verstoß gegen diese angenommen wird, entscheidet also ganz maßgeblich darüber, wie hoch das Risiko ist, dass sich ein Staat infolge einer Regulierungsmaßnahme einer Schadensersatzpflicht ausgesetzt sehen könnte. Die Entscheidung darüber, wo ein Ausgleich zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen verläuft, wird somit ganz entscheidend auch durch die Höhe des thresholds getroffen. Hinsichtlich der Festlegung der Eingriffsschwelle kommt der Beschränkung des FET-Standards auf den Minimum Standard eine weitaus größere Rolle zu als in Bezug auf die inhaltliche Breite des Standards.663 Wie die besonders restriktiven Entscheidungen in Glamis Gold und Cargill, aber auch weitere Entscheidungen, verdeutlichten, unterscheidet sich der auf den das Gewohnheitsrecht beschränkte Standard in erster Linie durch einen besonders hohen threshold von einem autonomen FET-Standard. Zwar ist auch insoweit eine gewisse Konvergenz beider Standards zu beobachten, doch wird der an den Minimum Standard gekoppelte Standard im Vergleich zum unqualifizierten FET-Standard nach wie vor als restriktiverer Standard erachtet und entsprechend interpretiert.664 Eine Beobachtung, welche auch durch die Fallstatistik klar belegt wird. Diese deutet darauf hin, dass die Erfolgsaussichten einer Klage im NAFTA-Kontext, d. h. auf Grundlage einer auf den Minimum Standard beschränkten FET-Klausel, weitaus geringer sind, als im Falle der Geltendmachung eines Verstoßes auf Grundlage einer unqualifizierten BIT-Klausel.665 Durch eine an das Gewohnheitsrecht gekoppelte FET-Klausel kann somit zum Ausdruck gebracht werden, dass dieser hohe threshold zur Anwendung gelangen soll. Dem zur Entscheidung berufenen Schiedsgericht wird hierdurch signalisiert, dass dem Investor lediglich ein Schutz vor äußerst schwerwiegenden Verstößen zukommen soll und ein schadensersatzpflichtiges Fehlverhalten nicht bereits dann anzunehmen ist, wenn das Gericht zu der Einschätzung gelangt, dass ein geringeres Fehlverhalten eine unfaire Behandlung des Investors darstellt.666 Hierdurch wird das Risiko einer Schadensersatzpflicht weiter reduziert. 663  UNCTAD, FET, S. 12 f.; Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 164; Moloo / Jacinto, Berkeley J. Int. Law 2011, S. 53. 664  Siehe UNCTAD, FET, S. 60. 665  Siehe die Statistik der UNCTAD, FET, S. 60 f., 86 f., wonach bis Oktober 2010 ein FET-Verstoß im NAFTA-Kontext lediglich in 4 von 18 Fällen erfolgreich geltend gemacht wurde (22 %), während ein FET-Verstoß in BIT-Entscheidungen in 41 von 66 Fällen angenommen wurde (62 %). 666  UNCTAD, FET, S. 13, 29.

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Dass aber durch Begrenzung auf den Minimum Standard nicht gewährleistet ist, dass diese hohe Eingriffsschwelle auch tatsächlich herangezogen wird, belegt die Entscheidung in Merrill Ring vs. Canada, in welcher angenommen wurde, dass ein selbst zu Gewohnheitsrecht erstarkter FET-Standard Schutz biete gegen „all such acts or behaviour that might infringe a sense of fairness, equity and reasonableness.“667 Dies verdeutlicht, dass eine Unvorhersehbarkeit fortbesteht, welchem Ansatz ein Gericht letztlich folgen wird und spricht dafür, dass auch die für angemessen erachtete Eingriffsschwelle in zukünftigen Abkommenstexten präziser zum Ausdruck gebracht werden sollte.668 Erblickt man einen angemessenen Ausgleich darin, dass der Schutz des Investors auf besonders schwerwiegende Fälle beschränkt bleibt, ist somit auch zur Sicherstellung dieser hohen Eingriffsschwelle ein entschiedenerer Ansatz als eine Beschränkung auf den Minimum Standard angeraten. Insgesamt ist jedoch festzuhalten, dass gerade auch in neueren Entscheidungen zum NAFTA wie zu BITs der grundsätzliche Konsens auszumachen ist, dass die generelle Eingriffsschwelle für einen FET-Verstoß hoch anzusetzen und eine Haftung des Staats nur in Fällen besonders schwerwiegender Verletzungen der unter den FET-Standard gefassten Einzelverpflichtungen anzunehmen ist.669 Auch hierin verdeutlicht sich, dass der massive Widerspruch gegen eine zu weitgehende Auslegung des FET-Standards nicht spurlos an der Investitionsrechtsprechung vorübergegangen ist. Inwieweit dieser Widerspruch seinen Niederschlag auch im Einzelnen, nämlich im Zuge einer sukzessiven Konkretisierung und Einschränkung der unter den FET-Standard gefassten Einzelverpflichtungen gefunden hat, bleibt im Folgenden zu betrachten. bei supra Fn. 591. fortbestehenden Unvorhersehbarkeit auch UNCTAD, FET, S. 58; auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 53 heben die erheblichen Unterschiede hinsichtlich des thresholds hervor; so auch Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 164. 669  Einen „emerging consensus on the issue of a high treshold for liability“ beschreibt auch UNCTAD, FET, S. 88; die Konvergenz zeigt sich etwa darin, dass NAFTA- und BIT-Schiedsgerichte zur Begründung eines hohen thresholds jeweils auch auf die zu unqualifizierten bzw. beschränkten FET-Klauseln ergangenen Entscheidungen verweisen, siehe z. B. Biwater Gauff vs. Tanzania, supra Fn. 354, Abs.  596 f.: „[T]he general threshold for finding a violation of the standard […] is a high one.“, Toto Construzioni Generali S.p.A. vs. Republic of Lebanon, ICSID Case No. ARB / 07 / 12, Award, 7.  Juni 2012 („Toto vs. Lebanon“), Abs. 155, jeweils unter Verweis auf die NAFTA-Entscheidung in Thunderbird vs. Mexico, supra Fn. 548, Abs. 194, wo das Gericht für einen weiterhin hohen treshold neben Waste Management vs. Mexico auch auf die Entscheidung in Genin vs. Estonia gestützt hatte und somit auch auf die Enscheidungspraxis außerhalb des NAFTA abstellte. 667  Siehe 668  Zur



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?191

4. Die Entwicklung der unter FET gefassten Einzelverpflichtungen im Fokus der Gemeinwohlregulierung – offene Fragen und Haftungsrisiken a) Fokussierung auf die Einzelverpflichtungen im Mittelpunkt der Regulierungsfälle Während früher nur die Möglichkeit bestand, den Inhalt von FET in breite Formeln und Umschreibungen zu gießen, bot sich späteren Schiedsgerichten alternativ die Möglichkeit, auf vorangegangene Entscheidungen und typische Konstellationen zurückzugreifen und auf diese Weise den Inhalt des FET-Standards näher zu bestimmen und für die Entscheidung des Einzelfalls handhabbarer zu machen.670 Die Ablehnung und Bestätigung der Argumentation vorangegangener Entscheidungen sowie die Bejahung oder Verneinung ihrer Übertragbarkeit auf die Umstände des vorliegenden Einzelfalls trugen dabei gleichermaßen dazu bei, dass sich in der Schiedspraxis dem FET-Standard unterfallende Einzelverpflichtungen herausgebildet haben und diesen sukzessive eine präzisere Kontur verliehen wurde.671 Heute entspricht es gängiger Praxis, dass Investoren nicht eine generelle FETVerletzung geltend machen, sondern sich gezielt auf die Verletzung einzelner Verpflichtungen berufen, die dann in der Entscheidung separat adressiert werden.672 Auch im Folgenden soll es nicht um die erschöpfende Darstellung aller Einzelverpflichtungen gehen, sondern nur jene betrachtet werden, die regelmäßig dann im Mittelpunkt stehen, wenn ein Investor geltend macht, aufgrund einer Regulierungsmaßnahme, etwa zum Zweck des Umwelt- oder 670  Siehe Suez vs. Argentina, supra Fn. 227, Abs. 189: „In interpreting this vague, flexible, basic, and widely used treaty term, this Tribunal has the benefit of decisions by prior tribunals that have struggled strenuously, knowledgeably, and sometimes painfully, to interpret the words ‚fair and equitable‘ in a wide variety of factual situations and investment relationships.“; zu den alternativen Ansätzen der näheren Bestimmung des Inhalts von FET, Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 141 f.; siehe auch Tudor, The FET Standard, 154 f. 671  Verschiedene Begriffe wurden verwendet, um die dem FET-Standard unterfallenden Einzelverpflichtungen zu bezeichnen, etwa „components“, in Biwater Gauff vs. Tanzania, supra Fn. 354, Abs. 602, ebenso Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 39; in Bayindir vs. Pakistan, supra Fn. 227, Abs. 178, ist die Rede von „factors“; Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 145 sprechen von „principles“ und „contexts“. 672  Siehe z. B. Biwater Gauff vs. Tanzania, supra Fn. 354, Abs. 602 f.: The general standard of ‚fair and equitable treatment‘ as set out above comprises a number of different components, which have been elaborated and developed in previous arbitrations in response to specific fact situations. These have been the subject of detailed consideration in the parties’ submissions.“

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Gesundheitsschutzes, unfair und ungerecht behandelt worden zu sein. In diesen Fällen geht es nämlich regelmäßig um die gleichen Vorwürfe: Zum einen um den Vorwurf, die Maßnahme entbehre eines legitimen Grundes, insbesondere einer objektiven Grundlage. Vielmehr diene sie nur vordergründig dem vorgetragenen Gemeinwohlbelang, während sie in Wahrheit andere Ziele verfolge, insbesondere protektionistisch motiviert sei. Zum anderen machen Investoren regelmäßig geltend, sich für die Investition aufgrund der im Gaststaat bestehenden Rechtslage entschieden zu haben. Durch die Regulierungsmaßnahme seien sie nun in ihrem Vertrauen auf das Fortbestehen der ihrer Investitionsentscheidung zugrundeliegenden Rahmenbedingungen enttäuscht worden. Entsprechend soll im Folgenden der Fokus gelegt werden auf den Schutz des Investors vor willkürlichen und diskriminierenden Maßnahmen, den Schutz legitimer Investorenerwartungen sowie, unmittelbar mit Letzteren verknüpft, die Verpflichtung zur Gewährleistung eines stabilen und vorhersehbaren Investitionsrahmens. Dies soll aufzeigen, in welchem Maße von diesen Einzelverpflichtungen heute tatsächlich ein Haftungsrisiko für die Ergreifung von Regulierungsmaßnahmen ausgeht und wie dringend ein vertraglicher Gestaltungsbedarf zur Sicherstellung des als angemessenen erachteten Ausgleichs angezeigt ist. Ebenfalls eng verknüpft mit dem Schutz legitimer Erwartungen ist die Frage, ob und inwieweit aufgrund des FET-Standards auch eine Verpflichtung zur Transparenz besteht, die erfordert, dass der Investor den innerstaatlichen Rechtsrahmen überblicken kann, der auf die Investition Anwendung finden wird und auch sämtliche Entscheidungen betreffend seiner Investition auf diesen Rechtsrahmen zurückgeführt werden können.673 Eine solche Transparenzverpflichtung wurde erstmals in Metalclad vs. Mexico angenommen. Sie schließe ein, „that all relevant legal requirements for the purpose of initiating, completing and successfully operating investments made, or intended to be made, under the Agreement should be capable of being read­ ily known to all affected investors of another Party.“674 Diese Entscheidung wurde gerade insoweit aufgehoben, als das Gericht seine Entscheidung auf eine Transparenzverpflichtung außerhalb von NAFTA Chapter Eleven stützte und somit außerhalb seiner Zuständigkeit handelte.675 Doch etwa auch das Gericht in Tecmed vs. Mexico forderte – als Teil der ­legitimen Investorenerwartungen – vollständige Transparenz gegenüber dem Investor, so dass dieser bereits im Vorfeld der Investition erkennen könne, welche Rechtsvorschriften auf seine Investition Anwendung finden.676 673  Dolzer / Schreuer,

Principles of IIL, S. 149. vs. Mexico, supra Fn. 293, Abs. 76. 675  Supreme Court of British Columbia, Metalclad vs. Mexico Review, supra Fn. 307, Abs. 72. 674  Metalclad



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?193

Während aufgrund dieser und weiterer Entscheidungen die Verpflichtung zu transparentem Verhalten zum Teil als eigenständiges FET-Element genannt wird677, verneinen andere Stimmen angesichts der zahlreichen Kritik hieran, dass eine solche Verpflichtung zum jetzigen Zeitpunkt eine ausreichend gesicherte Anerkennung erfahren hat.678 Zum Teil wird die Transparenzverpflichtung heute aber auch als vom Schutz legitimer Investorenerwartungen verdrängt erachtet und ihr ein eigenständiger Anwendungsbereich abgesprochen.679 Daher soll die Frage, inwieweit sich der Staat heute aufgrund einer Verpflichtung zur Transparenz an der entschädigungslosen Ergreifung legitimer Regulierungsmaßnahmen und einer nachteiligen Veränderung der bestehenden Rechtslage gehindert sieht, im Lichte der Fortentwicklung der Schiedspraxis zum Schutz legitimer Erwartungen betrachtet werden.680 Schließlich gibt es jene Fälle, in welchen der Investor – unabhängig von dem nachteiligen Inhalt der Regelung selbst – geltend macht, dass das Verfahren im Zusammenhang mit der Ergreifung der Regulierungsmaßnahme unbillig und ungerecht gewesen sei. Jene Fälle also, in welchen es um ein dem FET-Standard unterfallendes Element des due process bzw. der procedural fairness geht, welches sich nicht nur auf das gerichtliche Verfahren beschränkt, sondern auch auf schwere Verfahrensfehler in administrativen 676  Tecmed vs. Mexico, supra Fn. 259, Abs. 154: „The foreign investor expects the host state to act […] totally transparently in its relations with the foreign investor, so that it may know beforehand any and all rules and regulations that will govern its investment […].“ 677  So z. B. Tudor, The FET Standard, S. 175 ff. und Dolzer / Schreuer, Principles of Int. Investment Law, S. 149 ff., jeweils die enge Verknüpfung mit dem Schutz legitimer Investorenerwartungen betonend; siehe auch Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S.  139, m. w. N. 678  Siehe z. B. UNCTAD, FET, S. 63: „A number of possible elements, such as transparency […] have generated concern and criticism. So far, they may not be said to have materialized into the content of fair and equitable treatment with a sufficient degree of support.“, wobei diese Aussage des UNCTAD-Berichts auch vor dem Hintergrund der Besorgnis zu sehen ist, das Entwicklungsländer an einem für sie unrealistisch hohen Transparenzmaßstab gemessen werden könnten und hiernach das Risiko der Investition in einem erst in der Entwicklung begriffenen Investitionsumfeld einseitig auf den Gaststaat verlagert werden könnte, siehe a. a. O., S. 72. 679  Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 139 ff., beobachtend, dass ein Transparenzerfordernis als solches in der jüngeren Rechtsprechung weniger Beachtung gefunden habe und davon ausgehend, dass der Transparenzbegriff auch hinsichtlich einer Herleitung von Verfahrensrechten, welche von der überwiegenden Rechtsprechung unter die Verpflichtung zur procedural fairness gefassst wird, an Bedeutung verliert; siehe auch Dolzer, 12 Santa Clara J. Int. Law 2014, S. 30, wonach Fragen der Transparenz im engeren Sinne die Schiedsgerichte in den letzten Jahren selten beschäftigten. 680  Siehe unter B.II.4.c).

194 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

und regulatorischen Verfahren erstreckt681 und in zahlreichen Entscheidungen anerkannt wurde.682 Beispielfälle sind etwa eine unterbliebene Konsultation oder Anhörung im Gegensatz zu dem privilegierten Zugang, welchen Wettbewerber zu den Entscheidungsträgern genossen683 oder der Vorwurf einer intransparenten, verschleppten und benachteiligenden Behandlung im Rahmen der Zulassung eines Ersatzprodukts für ein aus Gründen des Gesundheitsschutzes verbotenen Pestizids.684 Da diese Vorwürfe jedoch nicht die eigentliche Problematik eines inhaltlichen Ausgleichs zwischen dem Investorenschutz und einer Maßnahme betreffen, die selbst in einem ordnungsgemäßen Verfahren ergriffen wird, bleiben diese Fälle hier weitgehend ausgeklammert. b) Der Schutz vor willkürlicher Behandlung aa) Zum Inhalt und den Befürchtungen Dass die Verpflichtung zu FET den Schutz des Investors vor willkür­ lichen oder diskriminierenden Maßnahmen umfasst, ist in der Investitionsrechtsprechung regelmäßig bestätigt worden.685 Dies, in Ermangelung eines 681  Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 41; die Begriffe due process und procedural fairness werden uneinheitlich gebraucht. Hier soll der Begriff als Oberbegriff verstanden werden, welcher sowohl administratives und als auch die Unterkategorie des denial of justice für judikatives Handeln umfasst; vgl. hingegen Tudor, The FET Standard, S. 157; zum unterschiedlichen Begriffsverständnis siehe auch Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 84 f., m. w. N. 682  Siehe z. B. Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 308; siehe auch Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 154, 156. 683  Siehe S.D. Myers, Inc. vs. The Government of Canada, Memorial on the Merits, 20. Juli 1999, Abs. 101 ff. wo der Investor als „second basis“ für einen Verstoß gegen Art. 1105 NAFTA, ein „right to some minimum standard of procedural fairness“ geltend machte, zu dessen Begründung er auf eine Analyse von BITs und WTO Abkommen verwies. Das Gericht ging aufgrund der Bejahung eines FETVerstoßes infolge eines Verstoßes gegen die Inländerbehandlung, nicht mehr auf dieses Vorbringen ein, siehe dafür aber S.D Myers, Inc. vs. The Government of Canada, Separate opinion by Dr. Bryan Schwartz, 12. November 2000 („S.D. Myers vs. Canada, Separate opinion Dr. Bryan Schwartz“), Abs.  249 ff. 684  So in Chemtura vs. Canada, supra Fn. 271, Abs. 93; zur gebotenen Unterscheidung zwischen Mitwirkungs- und Anhörungsrechten in individuellen Verwaltungsverfahren und bei der Verabschiedung genereller regulatorischer Verordnungen und Gesetze, siehe auch S.D. Myers vs. Canada, Separate opinion Dr. Bryan Schwartz, supra Fn. 683, Abs. 243; zu den Verfahrensrechten des Investors in adminstrativen Verfahren, siehe Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S.  85 ff. 685  Das Prinzip der Nichtdiskriminierung wird in der Schiedspraxis sehr weit verstanden und nicht zwischen non-discrimination, non-arbitrariness oder reason­



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?195

ausdrücklichen Willkürverbots, insbesondere auch im NAFTA-Kontext, wo selbst in den besonders restriktiven Entscheidungen Glamis Gold und Cargill die strengen Anforderungen an den Nachweis einer gewohnheitsrecht­ lichen Schutzverpflichtung als erbracht angesehen wurden.686 Ebenso aber auch in Entscheidungen zu sonstigen Abkommen, in welchen der Schutz vor willkürlichen oder diskriminierenden Maßnahmen zumeist auch ausdrücklich genannt ist, sei es in Kombination mit dem FET-Standard oder als eigenständige Verpflichtung.687 Hierdurch kommt es zu Überschneidungen und Abgrenzungsfragen zwischen diesen Verpflichtungen. Auf diese soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden688, zumal insbesondere in neueren Entscheidungen sehr häufig nicht zwischen einer eigenständigen Verpflichtung und der Prüfung unter FET unterschieden wurde.689 ableness unterschieden, siehe Kläger, FET, S. 187, 196 und Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 49. Ob die Prüfung der Rechtfertigung einer beeinträchtigenden bzw. benachteiligenden staatlichen Maßnahme unter dem Begriff der diskriminierenden oder der willkürlichen Behandlung erfolgt, hängt häufig allein davon ab, ob ein Vergleichsobjekt vorliegt oder nicht, siehe z. B. Parkerings vs. Lithuania, supra Fn. 472, Abs. 290 und 292: „The tribunal is not in a position to determine if there had been a discriminatory measure against the Claimant as no comparison is possible with another investor. […] However, the Tribunal shall review the question whether the conduct of the Respondent was arbitrary.“ 686  Siehe z. B. Waste Management vs. Mexico, supra Fn. 277, Abs. 98; Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 626; Cargill vs. Mexico, supra Fn. 572, Abs. 293: „[A]rbitrariness may lead to a violation of a State’s duties under Art. 1105“, wobei dies – entsprechend des Neer-tresholds – eben nur unter äußerst strengen Voraussetzungen zu bejahen sei. Das Gericht bejahte einen Verstoß aufgrund der eingeführten Importgenehmigung, da sie die Schädigung der Investiton bezweckt habe und über eine als „gross misconduct“ anzusehende Behandlung sogar noch hinausgehe und „more akin to an action in bad faith“ sei (a. a. O., Abs.  298). 687  Siehe z. B. Bayindir vs. Pakistan, supra Fn. 227, Abs. 178; vgl. auch UNCTAD, FET, S. 78; siehe auch Dolzer, 12 Santa Clara J. Int. Law 2014, S. 15, arbitrariness and discrimination unabhängig davon unter FET fassend, ob diese Elemente in spezielleren BIT-Klauseln erfasst sind. 688  Hierzu Kriebaum, Arbitrary / Unreasonable or Discriminatory Measures, S.  794 ff. 689  Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 460: „The standard of ‚reasonableness‘ has no different meaning in this context than in the context of the ‚fair and equitable treatment‘ standard with which it is associated; and the same is true with regard to the standard of ‚non-discrimination‘.“; CMS vs. Argentina, supra Fn. 266, Abs. 290; PSEG vs. Turkey, supra Fn. 445, Abs. 261; Parkerings vs. Lithuania, supra Fn. 472, Abs. 293, 300; Lemire vs. Ukraine, Decision on Jurisdiction and Liability, supra Fn. 232, Abs. 259; Oxus Gold vs. Uzbekistan, supra Fn. 369, Abs. 323; zu diesem Trend auch Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 194; Dralle, FET am Beispiel des Schiedsspruchs Glamis Gold, S. 24; Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 96 f.; auch Stimmen, die sich für eine gebotene Trennung zwischen dem FET-Standard und dem Schutz vor willkürlichen und diskriminierenden Maßnahmen aussprechen, weisen darauf hin, dass es hinsichtlich der

196 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Im Hinblick auf die Erzielung eines Ausgleichs zwischen Regulierungsfreiheit und effektivem Investorenschutz verdient der Schutz des Investors vor willkürlicher Behandlung Betrachtung, da er immer dann in den Mittelpunkt von Investorenklagen gegen Regulierungsmaßnahmen rückt, wenn der Investor geltend macht, die ihn beeinträchtigende Maßnahme sei im Hinblick auf das vorgetragene Gemeinwohlziel nicht zu rechtfertigen, sondern in Wahrheit aus illegitimen Motiven ergriffen worden. Der Schutz vor willkürlicher Behandlung bietet somit den Ansatzpunkt, um die Legitimität der ergriffenen Gemeinwohlmaßnahme zu hinterfragen und die Rechtfertigung des Gaststaats für eine beeinträchtigende bzw. benachteiligende Maßnahme zu überprüfen. Inwieweit laufen hiernach einerseits Gaststaaten Gefahr, dass ihre Entscheidung für eine bestimmte Regulierungsmaßnahme zur Verfolgung eines Gemeinwohlziels nicht als legitime Ausübung ihrer Regulierungsfreiheit anerkannt wird und zu einer Entschädigungspflicht führen könnte? Wie effektiv ist andererseits der Investor vor beeinträchtigenden Maßnahmen geschützt, die unter dem Deckmantel des Gemeinwohls ergriffen werden könnten? Die Antwort auf beide Fragen hängt davon ab, inwieweit die Regulierungsmaßnahme einer effektiven Überprüfung durch das Schiedsgericht unterliegt. Während das offensive Investoreninteresse für eine strenge Überprüfung streitet, welches die beeinträchtigende Maßnahme auch im Hinblick auf ihre inhaltliche Geeignetheit oder sogar Erforderlichkeit und Angemessenheit prüft, widerspräche dies dem defensiven Regulierungsinteresse. Zur Sicherstellung ihrer Regulierungsfreiheit fordern die Staaten daher Zurückhaltung ein. Schiedsgerichte sollen die Entscheidungen gewählter Regierungen für die Ergreifung einer bestimmten Maßnahme zur Verfolgung eines legitimen Gemeinwohlziels nicht hinterfragen. Die schwierige Frage ist indes, wie weit diese Zurückhaltung reichen sollte, um zugleich eine missbräuchliche Berufung auf die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen zu erschweren. Während die erschöpfende Auseinandersetzung mit der Frage des angemessenen Überprüfungsmaßstabs von Investitionsschiedsgerichten nicht nur Rahmen und Zielsetzung dieser Arbeit sprengen würde690, sondern ihre Beantwortung auch von dem individuellen Verständnis eines Ausgleichs Kriterien zur Beurteilung der Willkürlichkeit einer Maßnahme zu weitgehenden Überlappungen kommt, siehe Kriebaum, Arbitrary / Unreasonable or Discriminatory Measures, S. 797, ähnlich Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 194. 690  Für einen Überblick sei verwiesen auf Roberts, The Next Battleground, S. 170; Schill, Deference in Investment Arbitration, S. 1, Henckels, 15 J. Int. Econ. Law 2012, S. 223; von Staden, IISD Invest. Treaty News 2012, S. 3; Moloo, IISD



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?197

abhinge, soll im Folgenden betrachtet werden, in welchem Maße Investitionsschiedsgerichte bereits gerichtliche Zurückhaltung gezeigt haben und wie hoch hiernach ein Haftungsrisiko für legitime Regulierungsmaßnahmen tatsächlich einzuschätzen ist. bb) Einschätzung des Haftungsrisikos anhand der jüngeren Schiedspraxis Schiedsgerichte verfolgten unterschiedliche Ansätze, um zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die ergriffenen Maßnahmen als willkürlich zu bewerten sind. Zum Teil wurde das Wörterbuch konsultiert und willkürliches Verhalten als ein Verhalten beschrieben, welches nicht auf Gründen oder Fakten beruht.691 Häufig wurde auch auf die Willkürdefinition in der ELSI-Entscheidung des IGH zurückgegriffen, mit welcher nicht nur klargestellt wurde, dass ein Verstoß gegen innerstaatliche Rechtsvorschriften allein nicht die Willkürlichkeit einer Maßnahme begründet, sondern im Übrigen auch ein zurückhaltender Prüfungsmaßstab zum Ausdruck gebracht wurde: „Arbitrariness is not so much something opposed to a rule of law, as something opposed to the rule of law […]. It is a wilful disregard of due process of law, an act which shocks, or at least surprises, a sense of juridical propriety.“692

Während diese Definition auch ein subjektives Kriterium zur Bestimmung der Willkürlichkeit enthält693, zogen andere Schiedsgerichte die objektiven Kriterien heran, in welche Schreuer willkürliche Maßnahmen einteilte und wonach als willkürlich anzusehen ist: „(a.) a measure that inflicts damage on the investor without serving any apparent legitimate purpose; (b.) a measure that is not based on legal standards but on discretion, prejudice or personal preference; Invest. Treaty News 1 / 2012, S. 5; Vadi / Gruszczynski, 16 J. Int. Econ. Law 2013, S. 613. 691  Ronald S. Lauder vs. The Czech Republic, UNCITRAL, Award, 3. September 2001, Abs. 221; El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 319. 692  Case Concerning Elettronica Sicula (ELSI), (USA vs. Italy), 20. Juli 1989, ICJ Reports 1989, S. 15; z. B. Philipp Morris vs. Uruguay, supra  Fn. 18, Abs. 390; El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 319; auf die ELSI-Definition griffen dabei selbst die an Neer festhaltenden Entscheidungen fest, siehe Cargill vs. Mexico, supra Fn. 572, Abs. 291, unter Verweis darauf, dass diese Definition zumindest von den NAFTA-Staaten Kanada und Mexiko als „ ‚best expression‘ of arbitrariness“ akzeptiert worden sei sowie Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 625; siehe auch Pope & Talbot, Award in respect of Damages, supra Fn. 530, Abs. 64, die ELSI-Formel gegenüber einem strengeren Neer-Maßstab vergleichend. 693  Zum objektivem und dem subjektiven Element der ELSI-Definition, siehe Kriebaum, Arbitrary / Unreasonable or Discriminatory Measures, S. 799 f.

198 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs (c.) a measure taken for reasons that are different from those put forward by the decision maker; (d.) a measure taken in wilful disregard of due process and proper procedure.“694

Trotz der verschiedenen Ansätze ist den Entscheidungen gemeinsam, dass die Schiedsgerichte grundsätzlich davon absahen, die konkrete Maßnahme einer strengen inhaltlichen Prüfung zu unterziehen, sondern danach fragten, ob die Maßnahme aufgrund eines rational nachvollziehbaren Entscheidungsfindungsprozesses ein legitimes Politikziel verfolgt.695 Zur Beurteilung, ob dies tatsächlich der Fall ist oder aber ein legitimes Politikziel nur als Vorwand dient, wurde in einigen Entscheidungen auch das Verhältnis zwischen der konkreten Maßnahme und dem vorgetragenen Zweck beleuchtet. Gefordert wurde insoweit ein rational nachvollziehbarer Zusammenhang696 oder auch eine „reasonable relationship to some rational policy“.697 Ausdrücklich erklärte auch das Gericht in AES vs. Hungary, dass zwischen dem rationalen Politikziel und der ergriffenen Maßnahme selbst zu trennen sei.698 Letztere müsse in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Gemeinwohlziel stehen: „A rational policy is taken by a state following a logical (good sense) explanation and with the aim of addressing a public interest matter. Nevertheless, a rational 694  EDF (Services) vs. Romania, ICSID Case No. ARB / 05 / 13, Award, 8. Oktober 2009 („EDF vs. Romania“), Abs. 303 ff.; auf diese Kriterien wurde auch verwiesen in Lemire vs. Ukraine, Decision on Jurisdiction and Liability, supra Fn. 232, Abs. 262, SAUR vs. Argentina, supra Fn. 515, Abs. 488 und Toto vs. Lebanon, su­pra Fn. 669, Abs. 157; hierzu Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 193. 695  Dies heben auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 61, anhand ihrer Analyse, wie Investitionsschiedsgerichte die Legitimität einer Regulierungsmaßnahme zum Gesundheits- oder Umweltschutz beurteilten, als entscheidenden Unterschied gegenüber Prüfung der Legitimität einer Maßnahme nach dem Welthandelsrecht hervor: „[I]t is possible to identify one crucial distinction: legitimacy in the international investment law context largely concerns the objectives and proced­ ural soundness of a measure, not its substantive merits (although substantive deficiencies may evidence a wrongful motive).“; auf einen rationalen Entscheidungsfindungsprozess wurde z. B. abgestellt in LG&E vs. Argentina, supra Fn. 274, Abs. 258 und 261; auch Dolzer, 12 Santa Clara J. Int. Law 2014, S. 31, hebt hervor, dass eine staatliche Maßnahme dann in Verdacht gerät illegitime Motive zu verfolgen, wenn sie nicht auf Grundlage einer Betrachtung und Einschätzung der entscheidungserheblichen Fakten basiert; zur eingeschränkten Überprüfung, siehe auch Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 97. 696  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 803: „rationally related to its stat­ ed purpose and reasonably drafted to address its objectives“; vgl. auch UNCTAD, FET, S. 78: „Establishing some rational relationship to the alleged objective of a measure should be considered non-arbitrary […].“ 697  Saluka vs. Czech Republic, supra Fn.  232, Abs. 460, siehe auch a.  a.  O., Abs. 309, „unreasonable“ als „unrelated to some rational policy“ definierend. 698  AES vs. Hungary, supra Fn. 298, Abs. 10.3.7.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?199 policy is not enough to justify all the measures taken by a state in its name. A challenged measure must also be reasonable. That is, there needs to be an appropriate correlation between the state’s public policy objective and the measure adopted to achieve it.“699

Während die genannten Begriffe zur Beschreibung der Mittel-ZweckRelation wenig aufschlussreich sind, zeigt die Betrachtung der Schiedspraxis, dass sich die Prüfung in der Regel darin erschöpfte, ob die ergriffene Maßnahme im Hinblick auf das verfolge Ziel nachvollziehbar und nicht völlig ungeeignet war.700 Darüber hinaus haben Schiedsgerichte jedoch davon Abstand genommen, einer bestimmten Maßnahme angesichts ihrer umstrittenen Geeignetheit oder Erforderlichkeit die Legitimität abzusprechen, sondern den Gaststaaten eine weite Einschätzungsprärogative eingeräumt.701 Für eine solche Zurückhaltung spricht bereits deutlich der Wortlaut der Abkommenstexte, denn im Gegensatz zum Welthandelsrecht verlangt dieser gerade nicht, dass eine Maßnahme zu ihrer Rechtfertigung erforderlich sein muss, sondern eben lediglich, dass die beeinträchtigende Maßnahme nicht willkürlich ist.702 Eine strengere inhaltliche Überprüfung könnte demgegenüber dann angezeigt sein, wenn der Abkommenstext dem Investor nicht den Schutz vor abitrary or discriminatory measures, sondern vor unreasonable or discriminatory measures zusichert.703 Im Hinblick auf die Vertragsgestaltung ist indes festzuhalten, dass die Begriffe unreasonable und arbitrary in der Praxis synonym verstanden werden704, so dass sich folglich hinter der be699  AES

vs. Hungary, supra Fn. 298, Abs. 10.3.8 und 10.3.9. FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 98; siehe aber AES vs. Hungary, supra Fn. 298, Abs. 10.3.36 f., wo das Gericht die ergriffenen Maßnahmen u. a. auch als „proportionate“ und daher nicht willkürlich bzw. „unreasonable“ erachtete. Bei der Betrachtung der konkreten Maßnahme erkannte das Gericht zudem ebenfalls eine weite Einschätzungsprärogative an, siehe a. a. O., Abs. 10.3.35: „The Hungarian parliament voted for the reintroduction of administrative pricing, which parliament considered to be the best option at the moment.“; vgl. auch Kläger, FET, S. 245, beobachtend, dass eine strukturierte Verhältnismäßigkeitsprüfung, die nach der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit fragt, allenfalls rudimentäre Anwendung findet. 701  Zu diesem Ergebnis gelangt auch Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 98. 702  Diesen Unterschied hervorhebend auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 61 f. 703  Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 41; z. B. Art. 2(2) Argen­ tina – United Kingdom BIT (1990). 704  Siehe National Grid vs. Argentina, supra Fn. 471, Abs. 194, 197; Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 191: „interchangeable“; Kriebaum, Arbitrary / Unreasonable or Discriminatory Measures, S. 791 ff.; Kläger, FET, S. 196; siehe auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 56: „In a situation where the applic­ 700  Schernbeck,

200 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

wussten Gewährung eines Schutzes vor unreasonable measures keine Gestaltungsalternative hinsichtlich einer inhaltlich strengeren Überprüfung durch die Schiedsgerichte verbirgt. Die Zurückhaltung hinsichtlich einer inhaltlichen Überprüfung der beeinträchtigenden Maßnahmen verdeutlicht beispielsweise Enron vs. Argentina. Hier verneinte das Gericht die Willkürlichkeit der ergriffenen Maßnahmen, da sie im Hinblick auf die Überwindung der damaligen Wirtschaftskrise jedenfalls nicht völlig überraschend erschienen: „The measures adopted might have been good or bad, a matter which is not for the Tribunal to judge, and as concluded they were not consistent with the domestic and the Treaty legal framework, but they were not arbitrary in that they were what the Government believed and understood was the best response to the unfolding crisis. Irrespective of the question of intention, a finding of arbitrariness requires that some important measure of impropriety is manifest, and this is not found in a process which although far from desirable is nonetheless not entirely surprising in the context it took place.“705

In Anbetracht divergierender Expertenmeinungen über die Geeignetheit der ergriffenen Maßnahmen, beschränkte sich das Gericht in El Paso vs. Argentina auf die Feststellung, dass sie in konsistenter Weise zur Überwindung der andauernden Wirtschaftskrise ergriffen wurden.706 able treaty expressly prohibits ‚unreasonable‘ conduct, a bona fide and procedurally legitimate measure, could, in theory, be so disproportional and unjustified as to constitute a breach. No such examples are seen in the jurisprudence, however.“; die Entscheidung in AES vs. Hungary, supra Fn. 272 könnte indes für eine strengere Überprüfung sprechen, welche nicht nur nach der Willkürlichkeit sondern auch nach der Verhältnismäßigkeit der ergriffenen Maßnahme fragt, siehe hierzu das Zitat bei supra Fn. 699. Auch hier sprach das Gericht indes von einer „arbitrary or unreason­ able measure“ (a. a. O., Abs. 10.3.37) und ließ keinen Zweifel an einer Einschätzungsprärogative des ungarischen Parlaments, siehe a. a. O., Abs. 10.3.35. 705  Enron vs. Argentina, supra Fn. 288, Abs. 281, unter Rückgriff auf die ELSIDefinition. 706  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 322: „The Tribunal thinks that the GOA [Government of Argentina] certainly tried to take the best measures to cope with the situation. Judging whether the measures taken were or were not the best is very difficult as shown by the diverging views expressed on the subject by commentators of the Argentinian crisis of 2001. Something had to be done. The only item to be verified by the Tribunal is whether the measures were taken arbitrarily. In view of the extensive file before it, which it has studied exhaustively, it appears to the Tribunal that the measures adopted in the context of the crisis were not arbitrary but reasonable and consistent with the aim pursued. They were intended to face the extremely serious crisis that Argentina was going through and emanated from the police power regularly exercised by governments.“; ähnlich auch in LG&E vs. Argentina, supra Fn. 274, Abs. 162: „Even though the measures adopted by Argentina may not have been the best, they were not taken lightly, without due consideration. […][T]he charges imposed by Argentina to Claimants’ investment,



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?201

Äußerste Zurückhaltung zeigte insbesondere auch das Gericht in der Entscheidung Glamis Gold, wo der Investor geltend machte, die Verpflichtung zur Verfüllung aller offenen Grabungsschächte sei willkürlich, da sie nicht geeignet sei, den erklärten Schutz kultureller Werte zu erreichen. Im Gegenteil würden hierdurch die Gefahr ihrer Zerstörung vergrößert und mögliche Umweltschäden hervorgerufen.707 Für die Vertragsgestaltung ist der restriktive Prüfungsansatz vor allem deshalb interessant, da ihn das Gericht ausdrücklich damit begründete, dass der Standard nur den Schutz vor „manifest arbitrariness“ umfasse.708 Dabei betonte das Gericht, dass sich ein solch hohes Maß an Willkür von einer Maßnahme unterscheide, die schon deshalb willkürlich erscheinen könnte, da das Gericht das Vorgehen einer Behörde als falsch erachtet oder der Auffassung ist, dass eine gesetzgeberische Maßnahme nicht geeignet ist, um allen Missständen Abhilfe zu schaffen.709 Statt einer solchen „mere appearance of arbitrariness“ sei vielmehr das offenkundige Fehlen sachlicher Gründe („a manifest lack of reason“) erforderlich.710 Aufgrund dieses strengen Maßstabs begnügte sich das Gericht in Glamis Gold damit, dass die Maßnahme prima facie einen rationalen Zusammenhang zum vorgetragenen Gemeinwohlziel aufwies und sah davon ab, die Maßnahme einer eingehenderen Prüfung zu unterziehen, soweit nicht der Investor überzeugende Gründe gegen die Rechtfertigung der Maßnahme vorträgt.711 Zwar sei durchaus möglich, dass die Verfüllung der Schächte auch selbst zu Schäden führen könne, da es jedoch nur das offenkundige Fehlen sachlicher Gründe zu prüfen habe, genügte dem Gericht, dass der Staat allem Anschein nach in gutem Glauben davon ausgegangen war, durch die Maßnahme drohende Schäden abwenden zu können.712 Auch das Gericht in Philipp Morris vs. Uruguay mahnte zu großer Zurückhaltung bei der Beurteilung staatlicher Einschätzungen in Bereichen wie dem Gesundheitsschutz und führte in seiner Mehrheitsentscheidung gegen einen FET-Verstoß aufgrund einer willkürlichen Maßnahme auch den in Glamis Gold formulierten Maßstab an.713 though unfair and inequitable, were the result of reasoned judgment rather than simple disregard of the rule of law.“; siehe hierzu auch UNCTAD, FET, S. 79. 707  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 687, 803, 805. 708  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 803. 709  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 625, 803. 710  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 625, 803; 711  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 803; Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 52. 712  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 805: „[I]t appears to the Tribunal that the government had a sufficient good faith belief that there was a reasonable connection between the harm and the proposed remedy.“ 713  Philipp Morris vs. Uruguay, supra  Fn. 18, Abs. 399, 410.

202 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Angesichts der deutlichen Selbstbeschränkung der Schiedsgerichte in Bezug auf eine inhaltlichen Überprüfung staatlicher Regulierungsmaßnahmen, von welcher vorgenannte Entscheidung exemplarisch zeugen, ist das Risiko, dass eine in gutem Glauben ergriffene Gemeinwohlmaßnahmen aufgrund des Investorenschutzes vor willkürlichen Maßnahmen zu einer Haftung der Gaststaaten führen könnte, als eher gering einzuschätzen. Bekräftigend könnte durch eine zusätzliche Präzisierung des Abkommenstexts zum Ausdruck gebracht werden, dass hohe Anforderungen an den vom Investor zu erbringenden Nachweis einer willkürlichen Maßnahme zu stellen sind. Die etwa in Glamis Gold betonte Beschränkung auf einen Schutz ­lediglich vor „manifest arbitrariness“, wie sie nun auch im CETA-Text ausdrücklich verankert wurde, ist eine mögliche Formulierung, dies zu tun.714 Notwendig erscheint dies indes nicht. Solange Regulierungsmaßnahmen infolge eines rationalen Entscheidungsprozesses sowie unter Berücksichtigung der entscheidungserheblichen Fakten ergriffen werden und sie nicht völlig ungeeignet erscheinen, das angestrebte Gemeinwohlziel zu erreichen, ist nach den bisherigen Erfahrungen nicht zu befürchten, dass ihnen aufgrund einer umstrittenen wissenschaftlichen Begründung oder einer zweifelhaften Erforderlichkeit oder Angemessenheit die Legitimität abgesprochen werden könnte.715 cc) Geht die Zurückhaltung mitunter zu weit – Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit und Angemessenheit zur Aufdeckung von Missbrauch? Nach der Feststellung, dass in Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen durch den Schutz vor willkürlichen Maßnahmen kein signifikantes Haftungsrisiko ersichtlich ist, stellt sich die Frage, ob die Schiedspraxis einem Ausgleich entspricht, der auch Investorenschutzinteressen ausreichend Rechnung trägt. Geht die gezeigte Zurückhaltung nicht bisweilen zu weit geht und macht sie es Gaststaaten möglicherweise zu leicht, illegitime Ziele unter dem Deckmantel des Gemeinwohls zu verfolgen?716 714  Siehe

Art. 8.10 CETA. dieser Einschätzung gelangen auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 56: „A measure that is substantively flawed (e. g., disproportionate or based on unsound science) is unlikely to be considered a breach of the FET standard if it is otherwise legitimate.“, siehe auch a. a. O., Abs. 61; ähnlich Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 98, wonach eine Annahme von Willkür nur denkbar ist, wenn eine staatliche Maßnahme ganz offensichtlich nicht zielführend ist. 716  So Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 62. 715  Zu



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?203

In der Tat fällt die Vorstellung nicht schwer, dass Gaststaaten z. B. Umwelt- oder Gesundheitsschutzmaßnahmen ergreifen könnten, die angesichts eines formal ordnungsgemäßen, rationalen Entscheidungsfindungsprozesses und ihrer grundsätzlichen Geeignetheit zur Erreichung des Gemeinwohlziels durchaus legitim erscheinen, in Wahrheit jedoch andere Zwecke verfolgen. Nur in seltenen Fällen wird es dem Investor gelingen, einen direkten Nachweis etwa für protektionistisches Handeln zu erbringen.717 Vor diesem Hintergrund wäre zu überlegen, ob ein angemessener Ausgleich nicht auch darin erblickt werden könnte, die ergriffenen Maßnahmen einer inhaltlich strengeren Prüfung unterziehen und auch mit Blick auf ihre Erforderlichkeit und Angemessenheit hinterfragen zu lassen. Dies, um in Ermangelung eines direkten Nachweises auch auf diese Weise illegitime Maßnahmen effektiver aufdecken zu können.718 Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine strenge Überprüfung der Erforderlichkeit und Angemessenheit von Regulierungsmaßnahmen durch Schiedsgerichte erfolgen sollte. Eine solche würde nicht nur den Entscheidungsspielraum der Gaststaaten zu sehr einschränken, sondern erscheint schon deshalb verfehlt, wenn und soweit die Investitionsschutzabkommen diese 717  Siehe Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 55: „It is not difficult to imagine a state enacting an environmental or health regulation in accordance with established procedures, and perhaps even undertaking a risk assessment providing justification for the regulation, as pretext to achieve an improper purpose“, zurecht auf die Erfahrungen mit verschleiertem Protektionismus aus dem Welthandelsrecht verweisend. Dass dies auch im Investitionsrecht nicht anderes ist, verdeutlicht z. B. die Entscheidung S.D. Myers vs. Canada, supra Fn. 266, Abs. 162, 194 f., welche ans Licht förderte, dass das Exportverbot giftiger Abfallstoffe zur Gewährleistung ihrer Beseitigung in Kanada nicht aus Gründen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes verhängt wurde, sondern in erster Linie einen Schutz der kanadischen Industrie vor amerikanischer Konkurrenz bezweckte. 718  In diesem Sinne auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 55 f. aus: „[T]ribunals should be willing to consider whether other forms of evidence are sufficient. Examining the measure’s effects can be particularly helpful in this regard as a wrongful purpose should have certain symptomatic effects (e. g., benefits to domestic investors at the expense of foreign investors). Whether the enactment of the measure is consistent with the state’s typical practice is also significant as an anomalous measure may indicate that the state was motivated by other purposes. […][T]ribunals may also examine the substantive merits of a measure as evidence that the measure was highly disproportional, irrational, or not scientifically justified may suggest that it was used as a pretext for an improper objective.“; zur Einführung eines Verhältnismäßigkeitstest im Rahmen des Schutzes vor willkürlichen Maßnahmen, siehe auch Kriebaum, Arbitrary / Unreasonable or Discriminatory Measures S. 801; die Effektivität der Prüfungsstufen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitprüfung zur Aufdeckung einer missbräuchlichen Berufung auf legitime Gemeinwohlziele, hebt auch Kulick, Global Public Interest, S. 214, hervor.

204 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Erforderlichkeit doch gerade nicht verlangen. Hiervon zu trennen ist indes eine Prüfung, die – unter Wahrung einer Einschätzungsprärogative demokratisch legitimierter Entscheidungsträger – die beeinträchtigende Maßnahme zwar unter dem Gesichtspunkt ihrer Erforderlichkeit und Angemessenheit hinterfragt, jedoch lediglich, um die Verschleierung illegitimer Motive möglichst effektiv aufdecken und durch die potentiell drohende Überprüfung hiervon abzuschrecken zu können. So kann insbesondere das offensichtliche Vorliegen milderer Mittel oder die grobe Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme einen Hinweis dafür liefern, dass das erklärte Gemeinwohlziel lediglich als Vorwand diente.719 Moloo und Jacinto wiesen darauf hin, dass sich auch in der Schiedspraxis einzelne Beispiele für eine solche Differenzierung finden lassen.720 Als wichtiges Beispiel führten sie S.D. Myers vs. Canada als eine der Entscheidungen an, in welchen die Gerichte zwar davon Abstand nahmen zu prüfen, ob eine Maßnahme nicht erforderlich oder unverhältnismäßig war und daher einen FET-Verstoß vorlag, diese Gesichtspunkte jedoch zur Beurteilung der wahren Motive des Gaststaats im Rahmen der Beurteilung beleuchtete, ob der Staat diskriminierend oder willkürlich handelte.721 So prüfte das Gericht das Exportverbot von PCB-Abfällen unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten, wobei es sich nicht auf die Legitimität des verfolgten Ziels und die grundsätzliche Geeignetheit der Maßnahme beschränkte, sondern auch die Erforderlichkeit der Maßnahme betrachtete.722 Diese verneinte es, da mehrere mildere und gleich effektive Mittel zur Verfügung gestanden hätten, um das legitime Ziel zu verfolgen.723 auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 56. dieser „subtle distinction“, Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 45: „While they [the tribunals] refrain from judging whether a measure was unnecessary, unreasonable, or disproportionate and thus a breach, the tribunal will examine such substantive issues as part of the process of assessing whether the state acted discriminatorily or arbitrarily.“, siehe auch a. a. O., S. 50 und S. 61: „substantive deficiencies may evidence a wrongful motive“. 721  Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 45; zu beachten ist allerdings, dass das Gericht in S.D. Myers vs. Canada, supra Fn. 266, mehrheitlich allein aufgrund des zuvor bejahten Verstoßes gegen das Prinzip der Inländerbehandlung auch eine Verletzung von Art. 1105 NAFTA bejahte (a. a. O., Abs. 266). Gleichwohl ist die Entscheidung aufschlussreich, denn wie im Rahmen der Prüfung einer willkürlichen Maßnahme ging es um die Beurteilung, ob sich die Maßnahme unter Berufung auf ein legitimes Gemeinwohlziel rechtfertigen ließ oder vielmehr durch protektionistische Zwecke motiviert war. 722  S.D. Myers vs. Canada, supra Fn. 266, Abs. 255. 723  S.D. Myers vs. Canada, supra Fn. 266, Abs. 255 sowie Abs. 195 und dortige Fn. 33: „The Tribunal has noted that there were other equally effective means of encouraging the development and maintenance of a Canadian based PCB’s remediation industry.“ 719  So

720  Zur



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?205

Diese Verneinung der Erforderlichkeit überrascht zunächst, wird doch diese Entscheidung regelmäßig als Paradebeispiel für die Anerkennung der gebotenen Zurückhaltung bei der Hinterfragung der Entscheidungen demokratisch legitimierter Regierungen angeführt, welche das Gericht mit großer Bestimmtheit betonte: „When interpreting and applying the ‚minimum standard‘, a Chapter 11 tribunal does not have an open-ended mandate to second-guess government decision-making. Governments have to make many potentially controversial choices. In doing so, they may appear to have made mistakes, to have misjudged the facts, proceeded on the basis of a misguided economic or sociological theory, placed too much emphasis on some social values over others and adopted solutions that are ultimately ineffective or counterproductive. The ordinary remedy, if there were one, for errors in modern governments is through internal political and legal processes, including elections.724 […] The Tribunal considers that a breach of Article 1105 occurs only when it is shown that an investor has been treated in such an unjust or arbitrary manner that the treatment rises to the level that is unacceptable from the interna­tional perspective. That determination must be made in the light of the high mea­sure of deference that international law generally extends to the right of domestic authorities to regulate matters within their own borders.“725

War die ausdrückliche Betonung der gebotenen Zurückhaltung und des staatlichen right to regulate somit nur ein Lippenbekenntnis?726 Der vermeintliche Widerspruch zwischen der erklärten Zurückhaltung und der Prüfung der Erforderlichkeit löst sich indes auf, berücksichtigt man, dass das Gericht die Erforderlichkeit in dem Kontext erörterte, ob sich die protektionistische Maßnahme tatsächlich im Hinblick auf ein lediglich indirekt verfolgtes Umweltschutz rechtfertigen ließ.727 So hatte das Gericht bereits festgestellt, dass das erlassene Exportverbot von PCB-Abfällen in erster Linie aus protektionistischen Motiven, nicht aber aus Umwelt- und Gesundheitsschutzgründen ergriffen worden war.728 Hiernach prüfte das 724  S.D.

Myers vs. Canada, supra Fn. 266, Abs. 261. Myers vs. Canada, supra Fn. 266, Abs. 263. 726  So Titi, Right to Regulate, S. 289, da das Gericht in S.D. Myers vs. Canada trotz der Betonung der „high measure of deference“ zugunsten des Investors entschied. Die Entscheidung S.D. Myers vs. Canada überzeugt indes auch deshalb nicht als Nachweis für ein bloßes Lippenbekenntnis, da die staatliche Regulierungsfreiheit zur Verfolgung legitimer Gemeinwohlziele nicht infrage gestellt wird, wenn – wie in dieser Entscheidung – die Verfolgung protektionistischer Ziele unter dem Deckmantel des Gemeinwohls zu einer Haftung führt. 727  Siehe die S.D. Myers vs. Canada, supra Fn. 266, Überschrift vor Abs. 252. 728  S.D. Myers vs. Canada, supra Fn. 266, Abs. 194: „intended primarily to protect the Canadian PCB disposal industry from U.S. competition.“ sowie a. a. O., Abs. 162: „[T]he protectionist intent of the lead minister in this matter was reflected in decision-making at every stage that led to the ban.“ Kanada hatte das Exportver725  S.D.

206 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Gericht, ob die benachteiligende Behandlung des Investors dadurch zu rechtfertigen sein könnte, dass sie indirekt auch durch ein Umweltschutzziel motiviert war.729 Hinsichtlich der Legitimität des verfolgten Zwecks prüfte das Gericht – im Einklang mit der betonten Zurückhaltung – äußerst großzügig und erblickte in dem lediglich indirekten Ziel, über eine Stärkung der heimischen Abfallbeseitigungsindustrie mittelbar eine sichere Entsorgung der Abfälle in Kanada sicherzustellen, ein nachvollziehbares Motiv und einen legitimen Zweck im Einklang mit dem Basler Übereinkommen.730 Wenn es im Anschluss die Erforderlichkeit eines radikalen Exportverbots verneinte, so maßte sich das Gericht indes nicht an zu entscheiden, welche Maßnahme die allein erforderliche gewesen wäre, um das indirekte Umweltschutzziel durch eine Stärkung der heimischen Industrie auf legitime Weise zu erreichen. Vielmehr verneinte es die Erforderlichkeit unter Verweis auf eine ganze Reihe legitimer Alternativmaßnahmen, von welchen es lediglich zwei naheliegende Beispiele benannte, zu welchen ein Exportverbot jedoch offensichtlich nicht gehöre.731 Versteht man die Entscheidung so, dass das Gericht keine strenge Prüfung der Erforderlichkeit vornahm, sondern dem Exportverbot lediglich die Legitimität absprach, da es dieses als offensichtlich nicht erforderlich erachtete, ist dies mit der betonten Zurückhaltung und Anerkennung einer Einschätzungsprärogative demokratisch legitimierter Regierungen durchaus vereinbar. Auch passte dann ins Bild, dass das Gericht das Vorliegen milderer Mittel wohl für so naheliegend hielt, dass es nicht für nötig erachtete näher darzulegen, dass die exemplarischen Alternativmaßnahmen auch wirklich mildere und gleich effektive Mittel darstellten.732 Einem ähnlichen Ansatz folgte auch das Gericht in Methanex vs. USA, wo der Investor geltend machte, das Verbot allein des Benzinzusatzstoffs MTBE sei irrational. Zum einen, da andere giftige Stoffe, wie insbesondere Ethanol, die in gleicher Weise über undichte Lagertanks das Grundwasser kontaminieren konnten, nicht vom Verbot erfasst waren. Zum anderen, da dem eigentlichen Problem undichter Lagertanks mit weit geringeren Kosten hätte abgeholfen werden können, als durch das verhängte Verbot.733 Daher, bot mit Gesundheits- und Umweltschutzzielen begründet, siehe den Wortlaut des Interim Order und des Final Order, zitiert a. a. O., Abs. 125 f. sowie die Zusammenfassung Kanadas Vorbringens (a. a. O., Abs.  152). 729  S.D. Myers vs. Canada, supra Fn. 266, Abs. 255. 730  S.D. Myers vs. Canada, supra Fn. 266, Abs. 255 und Abs. 195; Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung vom 22. März 1989. 731  S.D. Myers vs. Canada, supra Fn. 266, Abs. 255. 732  Vgl. Kläger, FET, S. 241, wonach das Gericht dies hätte darlegen sollen, um wirklich überzeugend zu sein.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?207

so Methanex, ließen die Fakten darauf schließen, dass der Gesundheits- und Umweltschutz lediglich als Vorwand diente und das kalifornische Verbot in Wahrheit zur Stärkung der amerikanischen Ethanol-Industrie in Kalifornien ergriffen worden sei.734 Vor diesem Hintergrund widmete sich das Gericht sehr vertieft der Frage, ob sich das erlassene Verbot von MTBE unter Berufung auf die vorgetragenen Ziele des Umwelt- und Gesundheitsschutzes rechtfertigen ließ. Hierzu berücksichtigte es umfassend vierzehn Expertengutachten der Parteien sowie die mündlichen Vernehmungen der von den USA benannten Experten. In den Gutachten wurde ausführlich und kontrovers die methodische und inhaltliche Hinlänglichkeit der dem Verbot zugrundeliegenden Studie der University of California („UC Report“) diskutiert, welche die von Methanex benannten Experten verneinten.735 Ihre Schlussfolgerungen lassen sich damit zusammenfassen, dass die von MTBE ausgehende Gefahr falsch bewertet sei und das Verbot weder ein notwendiges noch ein angemessenes Mittel sei, um potentiellen Verunreinigungen des Grund- und Trinkwassers zu begegnen.736 Das Gericht begnügte sich also nicht damit, die Legitimität des Verbots allein aufgrund eines rational nachvollziehbaren Zusammenhangs zu einem legitimen Gemeinwohlziel und einer als Entscheidungsgrundlage vorgetragenen Studie zu bejahen, sondern war bereit, den UC Report und die hiernach ergriffene Regulierungsmaßnahme auch inhaltlich sehr vertieft zu beleuchten. Ähnlich wie in S.D. Myers vs. Canada erfolgte diese vertiefte Prüfung aber nicht, um der ergriffenen Maßnahme aufgrund einer anderen Einschätzung des Gerichts über die Richtigkeit der im UC Report gezogenen Schlussfolgerungen die Legitimität abzusprechen, sondern allein um zu ermitteln, ob das vorgetragene Umwelt- und Gesundheitsschutzziel lediglich zur Verschleierung illegitimer Motive diente.737 Aufgrund der ausführlichen Betrachtung der Expertenstellungnahmen schloss das Gericht, dass es hierfür keine Hinweise gebe:

733  Methanex

vs. USA, supra Fn. 371, Part II, Ch. D, Abs. 24. vs. USA, supra Fn. 371, Part II, Ch. D, Abs. 25. 735  Methanex vs. USA, supra Fn. 371, Part III, Ch. A, Abs. 43 ff.). 736  Siehe z. B. die a. a. O., Part III, Ch. A, Abs. 70 wiedergegebene Schlussfolgerung eines Gutachtens. 737  Siehe Methanex vs. USA, supra Fn. 371, Part III, Ch. A, Abs. 41: „The resulting expert testimony contained in these many reports is extremely important in this arbitration, going to the heart of the question of whether the US measures, as alleged by Methanex, constitute a ‚sham environmental protection in order to cater to local political interests or in order to protect a domestic industry‘.“ (Fußnote ent­ fernt); dies heben auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 50, hervor. 734  Methanex

208 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs „Having considered all the expert evidence adduced in these proceedings by both Disputing Parties, the Tribunal accepts the UC Report as reflecting a serious, objective and scientific approach to a complex problem in California. Whilst it is possible for other scientists and researchers to disagree in good faith with certain of its methodologies, analyses and conclusions, the fact of such disagreement, even if correct, does not warrant this Tribunal in treating the UC Report as part of a political sham by California.“738

So zeigen die Entscheidungen in S.D. Myers vs. Canada und Methanex vs. USA einen möglichen Ausgleich auf, welcher durch die Zurückhaltung gegenüber demokratisch legitimierten Entscheidungen staatlichen Regulierungsinteressen Rechnung trägt, zugleich aber einen effektiven Investorenschutz sicherstellt, indem es Gaststaaten nicht zu leicht gemacht wird, illegitime Motive unter dem Deckmantel des Gemeinwohls verschleiern zu können. Auch der vergleichende Blick auf die Maßnahmen, die andere Staaten ergriffen haben, um etwa dem gleichen Umwelt- oder Gesundheitsschutzsrisiko zu begegnen, kann hier ein Indiz für die Legitimität der Maßnahme bieten.739 Ohne einem Staat abzusprechen, sich legitimerweise aufgrund seiner eigenen Einschätzung des Risikos für einen anderen Weg zu entscheiden, sollte hingegen ein völlig anderes Vorgehen mit vergleichs­ weise weitaus gravierenderen Nachteilen für ausländische Investoren ein Schiedsgericht hellhörig machen und dazu veranlassen, sich die Erwägungen hierfür zur Plausibilisierung der Rationalität des zugrundeliegenden Entscheidungsfindungsprozesses darlegen zu lassen.

738  Methanex vs. USA, supra Fn. 371, Part III, Ch. A, Abs. 101 sowie a. a. O., Abs. 102. 739  Siehe in diesem Sinne etwa Chemtura vs. Canada, supra Fn. 271, wo der Investor insbesondere geltend machte, die Risikobeurteilung des agrochemischen Stoffs Lindane sei nicht aus Gesundheits- und Umweltschutzgründen initiiert worden und die erfolgte Risikobeurteilung sei prozessual und wissenschaftlich fehlerhaft und habe letztlich zu einem Ergebnis geführt, welches von vorherein feststand (a. a. O., Abs. 133). Auch hier betonte das Gericht, dass es nicht seine Aufgabe sei, zu entscheiden, ob ein bestimmter Gebrauch des Pestizids gefährlich sei und die Richtigkeit einer auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Entscheidung hochspezialisierter Regulierungsbehörden zu beurteilen (a. a. O., Abs. 134). Ungeachtet des Stands der Wissenschaft berücksichtigte das Gericht aber die weiteren Umstände, insbesondere die in zahlreichen Staaten und auf internationaler Ebene egriffenen Bemühungen zur Abschaffung von Lindane, um einen strengen Nachweis bösgläubigen Handelns als nicht erbracht anzusehen (a. a. O., Abs. 135 ff.).



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?209

c) Der Schutz legitimer Investorenerwartungen und die Pflicht zur Gewährleistung stabiler und vorhersehbarer Investitionsbedingungen aa) Zum Inhalt und den Befürchtungen Wenngleich Investorenerwartungen zunächst im Kontext des Schutzes vor indirekter Enteignung Berücksichtigung fanden, spielt ihr Schutz heute im Rahmen von FET eine ungleich größere Rolle. Zum Teil wird er sogar ausschließlich hier verortet740, wo er schon lange nicht mehr nur ein bei der Auslegung zu berücksichtigendes Kriterium ist, sondern ein eigenständiges FET-Element, auf welches eine Verletzung von FET gestützt werden kann.741 Dass der Schutz legitimer Investorenerwartungen der FET-Verpflichtung unterfällt, wurde erstmals in Tecmed vs. Mexico ausdrücklich formuliert.742 Unter Verweis auf die Anerkennung ihres Schutzes in den jeweils vorangegangenen Entscheidungen, ist dies im Anschluss in Entscheidungen zu FETKlauseln in sämtlicher Ausgestaltung743 sowie zum NAFTA anerkannt und der Schutz legitimer Erwartungen als bedeutendstes Element des FETStandards hervorgehoben worden.744 740  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 227: „There is not always a clear distinction between indirect expropriation and violation of legitimate expectations, as can be seen from an excerpt of the Claimant’s Memorial stating that ‚measures that are inconsistent with an investor’s legitimate expectations constitute an expropriation‘ […]. According to this Tribunal, the violation of a legitimate expectation should rather be protected by the fair and equitable treatment standard.“ (Fußnoten entfernt); siehe auch Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 98. 741  Zu dieser Entwicklung des Schutzes legitimer Erwartungen von einem subsidiären Auslegungskriterium zu einem eigenständigen Element unter dem FET Standard und unter Art. 1105 NAFTA, siehe Thunderbird vs. Mexico, Separate opinion of Thomas Wälde, supra Fn. 227, Abs. 37. Vor diesem Hintergrund ist interessant zu beobachten, dass Art. 8.10 Abs. 4 CETA legitime Erwartungen nicht als eines der Elemente des FET-Standards aufführt, sondern wieder darauf reduziert, dass legitime Erwartungen infolge spezifischer Zusicherungen bei der Anwendung des Standards berücksichtigt werden können. 742  Tecmed vs. Mexico, supra Fn. 259, Abs. 154; bereits in früheren Entscheidungen wie Metalclad vs. Mexico, supra Fn. 293, Abs. 98 und ADF vs. USA, supra Fn. 529, Abs. 189, wurde das Vertrauen in staatliche Zusicherungen erörtert und somit implizit von einem Schutz legitimer Erwartungen ausgegangen, worauf auch Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 99, in dortiger Fn. 67, hinweist. 743  UNCTAD, FET, S. 63. 744  Siehe z. B. Electrabel vs. Hungary, supra Fn. 267, Abs. 7.75: „It is widely accepted that the most important function of the FET standard is the protection of the investor’s reasonable and legitimate expectations.“; El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 348: „There is an overwhelming trend to consider the touchstone of fair and equitable treatment to be found in the legitimate and reasonable expectations […].“; Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 302: „[T]he dominant

210 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Der Schutz legitimer Erwartungen unter dem FET-Standard wurde also einheitlich bestätigt, würden die einen sagen. Er wurde mechanisch und unreflektiert als gegeben hingenommen und die gebotene Erörterung der Grundlagen eines solchen Schutzes durch einen bloßen Verweis auf vorangegangene Entscheidungen ersetzt, würden kritischere Stimmen urteilen.745 Doch auch wenn der dogmatische Hintergrund, warum Erwartungen unter FET geschützt werden, selten begründet wurde, ist heute jedenfalls keine Entscheidung bekannt, in welcher ein Gericht generell verneint hätte, dass legitime Erwartungen grundsätzlich unter FET geschützt sind.746 Dabei wäre es auch möglich, die weiteren Einzelverpflichtungen des FET-Standards unter sie zu fassen und aus Sicht der Investorenerwartungen zu betrachten.747 Ein Investor erwartet etwa, nicht willkürlich behandelt zu werden. Während sich zum Teil eine solche Betrachtung findet748, wurde sie in anderen Entscheidungen ausdrücklich abgelehnt. So verneinte etwa das Gericht in Teco vs. Guatemala die Relevanz der Investorenerwartung für die Beurteilung, ob der Staat aufgrund einer willkürlichen Behandlung zum Schadensersatz verpflichtet ist: element of that [FET] standard.“; Biwater Gauff vs. Tanzania, supra Fn. 354, Abs. 602; Thunderbird vs. Mexico, supra Fn. 548, Abs. 147; Dralle, FET am Beispiel des Schiedsspruchs Glamis Gold, S. 18; Kinnear, The Continuing Development of FET,  S. 226; hierzu auch Tudor, The FET Standard, 165 ff. 745  So etwa Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 91; diese Kritik, anlässlich der vielfachen Heranziehung des obiter dictum in Tecmed vs. Mexico nicht nur an die Schiedsgerichte, sondern auch an die Klägeranwälte richtend schon Douglas, 22 Arbitration International, S. 27 f.: „It is not the arbitrators who must shoulder all the responsibility for disquieting developments such as this. The submissions of counsel often stop short of providing any real analysis of the context for the truncated quotations from awards cited in aid of their clients’ case […].“ 746  Trotz der dogmatischen Begründungsdefizite pragmatisch auf das Resultat der Etablierung der legitimen Erwartungen als Subkategorie von FET abstellend schon Thunderbird vs. Mexico, Separate opinion of Thomas Wälde, supra Fn. 227, Abs. 30; trotz der besonders restriktiven Betrachtung des Stands der gewohnheitsrechtlich anerkannten Schutzes, wurde der Schutz legitimer Erwartungen grundsätzlich auch in Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 621 anerkannt; ebenso wurde in Cargill vs. Mexico, supra Fn. 572, Abs. 290, eine gewohnheitsrechtliche Verpflichtung zur Gewährleistung eines stabilen und vorhersehbaren Investitionsumfeld nur insoweit ausdrücklich abgelehnt, als die Erwartung des Investors nicht aus einer ver­ traglichen oder quasivertraglichen Grundlage erwächst, im Übrigen jedoch offen gelassen; auch in Teco vs. Guatemala, supra Fn. 515, Abs. 617, wurde der Schutz legitimer Erwartungen entgegen dem Vorbringen Guatemalas (a. a. O., Abs. 616) grundsätzlich anerkannt und lediglich die gebotene Unterscheidung gegenüber den generellen Erwartungen eines jeden Investors betont; siehe auch Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 100. 747  Vgl. Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 39 f. 748  Tecmed vs. Mexico, supra Fn. 259, Abs. 154.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?211 „It is clear, in the eyes of the Arbitral Tribunal, that any investor has the expectation that the relevant applicable legal framework will not be disregarded or applied in an arbitrary manner. However, that kind of expectation is irrelevant to the assessment of whether a State should be held liable […]. What matters is whether the State’s conduct has objectively been arbitrary, not what the investor expected years before the facts. A willful disregard of the law or an arbitrary application of the same by the regulator constitutes a breach of the minimum standard, with no need to resort to the doctrine of legitimate expectations.“749

In der Verneinung der Notwendigkeit eines Rückgriffs auf die Investorenerwartungen und der Betonung der alleinigen Maßgeblichkeit einer objektiven Beurteilung des staatlichen Maßnahmen kann man auch die Bemühung erblicken, den verbreiteten Befürchtungen keinen Raum zu geben, die im Mittelpunkt der Diskussion über den Schutz legitimer Investorenerwartungen stehen: Das Abstellen auf die Investorenerwartungen als Grundlage der staatlichen Schutzverpflichtung könnte dazu führen, dass subjektiv übersteigerte und unrealistische Investorenerwartungen über den Umfang des Investorenschutzes entscheiden, wodurch die staatliche Regulierungsfreiheit unangemessen eingeschränkt würde.750 Ohne der weiteren Betrachtung vorzugreifen, inwiefern der Schutz von Investorenerwartungen eine ausreichende Einschränkung erfahren hat, um einen angemessenen Ausgleich mit staatlichen Regulierungsinteressen zu 749  Teco vs. Guatemala, supra Fn. 515, Abs. 621 f. (Fußnote entfernt), das Gericht vermied hierdurch auf die streitige Frage eingehen zu müssen, ob Erwartungen des ursprünglichen Investors auf einen späteren Erwerber übergehen und von diesem geltend gemacht werden können (a. a. O., Abs. 616, 622). 750  Deutlich wurde diese Befürchtung etwa geäußert in der Non-Disputing Party Submission of the Republic of El Salvador, 5. Oktober 2012, Abs. 13 f., 16, auf die das Gericht in Teco vs. Guatemala, supra Fn. 520, in vorstehend zitiertem Abs. 621 f. verwies: „State conduct is the only relevant factor […], because the Minimum Standard of Treatment must be an objective concept that evaluates the treatment a State accords to an investor, and not a concept that can vary depending on the investor’s subjective understanding about the treatment it expects to receive based on what has been offered. Considering the investor’s legitimate expectations would have the effect of eliminating States’ regulatory capacity. That is why no evidence has been presented about the existence of a general and consistent State practice, followed out of a sense of legal obligation, of protecting the legitimate expectations of investors.“; siehe auch die Warnung des Gerichts in MTD vs. Chile, Decision on Annulment,  supra Fn. 641, Abs. 67, dass aus Investorenerwartungen keinesfalls andere Verpflichtungen generiert werden dürfen, als sie aus dem BIT selbst folgen: „[T]he TECMED Tribunal’s apparent reliance on the foreign investor’s expectations as the source of the host State’s obligations […] is questionable. The obligations of the host State towards foreign investors derive from the terms of the applicable investment treaty and not from any set of expectations investors may have or claim to have. A tribunal which sought to generate from such expectations a set of rights different from those contained in or enforceable under the BIT might well exceed its powers, and if the difference were material might do so manifestly.“

212 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

erzielen, lässt sich an dieser Stelle bereits eines festhalten: Jedenfalls die Sorge, es könnte infolge ihrer Subjektivität zu uferlosen Investorenerwartungen und einem entsprechend unbegrenzten Haftungsrisiko der Gaststaaten kommen, ist heute unbegründet. So besteht Einigkeit darüber, dass keineswegs alle Erwartungen, die der Investor seiner Investitionsentscheidung zu Grunde legt, einen Schutz erfahren und der Schutz legitimer Erwartungen weder eine Versicherung gegen schlechte Geschäftsentscheidungen bietet noch den Investor vor den Geschäftsrisiken schützt, die jeder Investition innewohnen.751 Der Schutz ist vielmehr auf legitime Erwartungen beschränkt. Dabei ist festzuhalten, dass durch die unterschiedliche Beschreibung der geschützten Erwartungen als legitimate, reasonable, justified, fundamental oder auch basic expectation keine unterschiedlichen Anforderungen hinsichtlich der Schutzwürdigkeit formuliert werden und sich folglich insoweit keine vertraglichen Gestaltungsoption bietet.752 Während die entscheidende Frage freilich bleibt, unter welchen Voraussetzungen eine Erwartung als schützenswert anzuerkennen ist, besteht Konsens, dass es auf die objektive Berechtigung der Erwartungen ankommt, welche sich anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls sowie danach beurteilt, inwieweit der Gaststaat durch sein Verhalten dieses Vertrauen objektiv hervorgerufen hat.753 751  Siehe z. B. Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 124; El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 401. 752  Siehe Tudor, The FET Standard, S. 165: „interchangeable“; siehe auch Dolzer, 12 Santa Clara J. Int. Law 2014, S. 18, in dortiger Fn. 23, wonach der Begriff der „basic expectations“, wie er in Tecmed vs. Mexico, supra Fn. 259, Abs. 154 verwendet wurde, zwar die Frage aufwarf, inwieweit es auf die subjektive Erwartung des Investors ankommt, selbst sein Gebrauch aber heute nicht dazu führen würde, dass es für den Schutzumfang auf die subjektive Erwartung ankommt. 753  So z. B. Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 304: „[T]he scope of the Treaty’s protection of foreign investment against unfair and inequitable treatment cannot exclusively be determined by foreign investors’ subjective motivations and considerations. Their expectations, in order for them to be protected, must rise to the level of legitimacy and reasonableness in light of the circumstances.“; Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 627: „objective expectations“; El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 356 und 358: „[T]hese expectations, as well as their violation, have to be examined objectively. […][L]egitimate expectations cannot be solely the subjective expectations of the investor, but have to correspond to the objective expectations that can be deduced from the circumstances and with due regard to the rights of the State.“; Toto vs. Lebanon, supra Fn. 669, Abs. 166: „The fair and equitable treatment standard of international law does not depend on the perception of the frustrated investor.“; Dolzer, 12 Santa Clara J. Int. Law 2014, S. 16: „It is generally recognized today that legitimate expectations arise out of the objective conduct of the host state and not out of subjective postulates of the investor.“



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?213

Verschiedene Konstellationen und potentielle Vertrauensgrundlagen aufgrund des staatlichen Handelns können dabei unterschieden werden: Zunächst die Fälle, in denen der Gaststaat eine vertragliche Beziehung mit dem Investor eingegangen ist und der Investor geltend macht, er habe darauf vertraut, der Staat werde seine Verpflichtungen aus dem InvestorStaat-Vertrag einhalten. Hinsichtlich dieser Fälle besteht in der Schiedspraxis insoweit Einigkeit, dass der FET-Standard nicht die Funktion einer umbrella clause übernimmt und somit nicht jede bloße Vertragsverletzung als Enttäuschung der Erwartung eines vertragsgemäßen Verhaltens zu einem FET-Verstoß führt.754 Daneben können jene Fälle unterschieden werden, in welchen gegenüber dem Investor insbesondere im Rahmen von Verwaltungs- und Genehmigungsverfahren Zusicherungen seitens staatlicher Behörden abgegeben wurden. So etwa die Erklärung, wonach alle erforder­ lichen Genehmigungen zur Durchführung des Investitionsvorhabens vorlägen.755 Hier geht es insbesondere um den Schutz des Vertrauens des Investors auf ein widerspruchsfreies administratives Handeln und es stellt sich die Frage, welche Kriterien dieses Handeln in Bezug auf die Form, Zuständigkeit, Konkretisierung und individuelle Adressierung erfüllen muss, um als objektive Grundlage schützenswerter Investorenerwartungen zu dienen.756 Im Mittelpunkt der Diskussion um eine Bedrohung legitimer Regulierungsinteressen stehen jedoch jene Fälle, in welchen der Investor geltend macht, durch den Erlass oder die Umsetzung neuer oder verschärfter Gesetze und Vorschriften im Gemeinwohlinteresse in seinen legitimen Erwartungen verletzt zu sein. Nämlich in seiner Erwartung, dass sich die innerstaatliche Rechtslage nicht zu seinem Nachteil ändert, sondern stabil und vor754  Siehe z. B. Gustav F W Hamester GmbH & Co KG vs. Republic of Ghana, ICSID Case No. ARB / 07 / 24, Award, 18. Juni 2010, Abs. 335 ff., unter Zitierung von Parkerings vs. Lithuania, supra Fn. 472, Abs. 344: „It is evident that not every hope amounts to an expectation under international law. The expectation a party to an agreement may have of the regular fulfilment of the obligation by the other party is not necessarily an expectation protected by international law. In other words, contracts involve intrinsic expectations from each party that do not amount to expectations as understood in international law.“; Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 620; keine vergleichbare Einigkeit besteht indes hinsichtlich der Frage, welches zusätzliche Kriterium zu einem zu einem bloßen Vertragsverstoß hinzutreten muss, um eine FET-Verletzung zu begründen. Zu den in der Rechtsprechung herangezogenen Kritierien, wie etwa dem Erfordernis, dass der Verstoß auf hoheitlichem Handelns (puissance publique) beruhen oder ein Element der Rechtsverweigerung oder Diskriminierung enthalten muss, siehe Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 102 f. 755  So lag etwa der Fall in Metalclad vs. Mexico, supra Fn. 293, Abs. 85. 756  Zu diesen Fragen und den in der Schiedspraxis angenommen Voraussetzungen, Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 102 ff.

214 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

hersehbar bleibt. Inwieweit diese Erwartung in der Schiedspraxis als schützenswert anerkannt wurde und hiernach die staatliche Regulierungsfreiheit zur entschädigungslosen Verfolgung legitimer Gemeinwohlziele tatsächlich eine Einschränkung erfährt, soll im Folgenden beantwortet werden. bb) Das Vertrauen des Investors auf die Fortgeltung der bestehenden Rechtslage Entscheidet sich ein Investor für die Investition in einem bestimmten Gaststaat, so ist dies das Ergebnis einer häufig jahrelangen Planung und umfassenden Prüfung der Realisierbarkeit, Finanzierbarkeit und wirtschaftlichen Erfolgsaussichten des Projekts. Eine der wesentlichen Grundlagen der wirtschaftlichen Kalkulation ist dabei die innerstaatliche Rechtslage im potentiellen Gaststaat, wie sie sich dem Investor aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Informationen darstellt. Im Vergleich etwa zu wirtschaftlichen Marktanalysen bietet diese Entscheidungsgrundlage eine besondere Belastbarkeit, erfordert sie doch keine zukunftsgerichtete Prognose, sondern lässt sie sich durch eine präzise, faktenbasierte Ermittlung des Ist-Zustands gewinnen. Damit sich die Investition nicht im Nachhinein als unrentabel bzw. in Relation zu einer alternativen Investition als unrentablere und somit falsche Entscheidung herausstellt, ist für den Investor von immenser Bedeutung, dass die seinen Berechnungen und Prognosen zugrundegelegten rechtlichen Rahmenbedingungen stabil bleiben. Dies, zumal Auslandsinvestitionen regelmäßig Langzeitprojekte sind, die sich überhaupt erst durch ein langfristiges Engagement im Gaststaat rentieren und angesichts ihrer Größe und Komplexität eine flexible Reaktion auf nachteilig veränderte Investi­ tionsbedingungen, etwa eine rasche Verlagerung in einen anderen Staat, in der Regel ausgeschlossen ist. Die Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen ist somit ein gewichtiges Argument für die Entscheidung in einem bestimmten Staat zu investieren. Entsprechend ist es für jeden Gaststaat zur Setzung von Investitionsanreizen wichtig, potentiellen Investoren dieses Argument zu liefern und zu signalisieren, diese stabilen Investitionsbedingungen bieten zu können. Investitionsschutzabkommen senden ein solches Signal und machen häufig bereits in ihren Präambeln deutlich, dass stabile Investitionsbedingungen erzielt werden sollen.757 Darf also ein Investor berechtigterweise darauf vertrauen, dass die innerstaatliche Rechtslage, auf deren Grundlage er sich doch womöglich überhaupt erst für die Investition im Gaststaat entschieden hat, nicht nachträglich zu seinem Nachteil verändert wird? Läuft hiernach jede nachfolgende Regu757  Siehe

z. B. die Präambel des Argentina ‒ USA BIT (1991).



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?215

lierungsmaßnahme, etwa die Verschärfung umwelt- oder gesundheitsrecht­ licher Bestimmungen, Gefahr, zu einer Entschädigungspflicht zu führen? Zu betonen ist eines: Die verbreiteten Befürchtungen zu diesem poten­ tiellen Risiko dürfen nicht einfach als unbegründet beiseite gewischt werden, denn Sie entstanden keineswegs aus dem Nichts. Vielmehr gaben äußerst weite Formulierungen in der Schiedspraxis sowie die Annahme einer weitreichend verstandenen Verpflichtung des Gaststaats zur Gewährleistung stabiler und vorhersehbarer Rahmenbedingungen durchaus berechtigten Anlass zu dieser Sorge. Sie konnten den Eindruck erwecken, der Investor werde letztlich zu Lasten staatlicher Regulierungsinteressen vor dem wirtschaftlichen Risiko seiner Investition geschützt. cc) Anlass zur Befürchtung – Tecmed vs. Mexico und die Annahme einer Verpflichtung zur Gewährleistung stabiler und vorhersehbarer Rahmenbedingungen Zur Befürchtung, durch die Anerkennung legitimer Investorenerwartungen werde es zu einer unangemessenen Einschränkung legitimer Regulierungsinteressen kommen, trug besonders die Entscheidung in Tecmed vs. Mexico bei.758 In dieser Entscheidung wurde obiter ein besonders weit­ gehendes Verständnis der Investorenerwartungen formuliert, welches zum Inbegriff eines besonders investorenfreundlichen Ansatzes wurde.759 Als Teil der „basic expectations“, welche der Investor seiner Investitionsentscheidung zugrunde gelegt habe und der Staat zu wahren verpflichtet sei, erwarte der Investor vom Gaststaat, „to act in a consistent manner, free from ambiguity and totally transparently in its relations with the foreign investor, so that it may know beforehand any and all rules and regulations that will govern its investments, as well as the goals of the relevant policies and administrative pratices or directives, to be able to plan its investment and comply with such regulations.“760

Nimmt man diese Formulierung beim Wort, so könnte in der Tat potentiell jede Regulierung einen FET-Verstoß begründen.761 Einschränkende 758  Tecmed

vs. Mexico, supra Fn. 259. wurde hingewiesen, dass in Tecmed vs. Mexico dieser besonders strenge Standard selbst nicht herangezogen wurde, sondern entschieden wurde, dass kein legitimer Grund bestand die Genehmigung zu versagen, siehe Douglas, 22 Arbitration International, S. 28, in dortiger Fn. 2, eine häufig geradezu missbräuchliche Berufung auf dieses obiter dictum kritisierend; siehe auch Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 47. 760  Tecmed vs. Mexico, supra Fn. 259, Abs. 154. 761  Hölken, KSzW 2011, S. 140. 759  Zutreffend

216 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Voraussetzungen, wann die Erwartungen als legitim anzusehen sind, finden sich – jedenfalls in dieser Urteilspassage, wie sie meistzitiert, isoliert von dem zugrundeliegenden Sachverhalt vorgetragen wurde – nicht.762 Ein so weitgehender Schutz der Erwartungen des Investors wurde als übertrieben und unrealistisch kritisiert. Der hier aufgestellte Maßstab, sei überhaupt kein Standard mehr, sondern vielmehr „a description of perfect regulation in a perfect world, to which all States should aspire but very few (if any) will ever attain.“763 Aber eben unter Verweis auf diese Urteilspassage und die gängige Präambelformulierung, wonach fair and equitable treatment für stabile Investitionsbedingungen erstrebenswert ist, wurde nachfolgend eine Verpflichtung des Staats zur Gewährleistung der Stabilität und Vorhersehbarkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen unter dem FET-Standard angenommen.764 Gerade diese Verpflichtung, auf welche noch im Einzelnen einzugehen sein wird765, befeuert in besonderem Maße die Befürchtungen einer zu weitgehenden Einschränkung der Regulierungsfreiheit zum Erlass und der Durchführung neuer oder verschärfter Bestimmungen im Gemeinwohlinteresse.766 Indem jede nachteilige Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen gegen die Erwartungen des Investors an deren Vorhersehbarkeit und Stabilität verstoßen könnte, könnten Staaten angesichts einer drohenden Schadenser762  Snodgrass, 21 ICSID Rev. 2006, S. 37 f., weist zutreffend darauf hin, dass die in dieser Entscheidung geschützten Erwartungen aus der individuellen Kommunikation und einer individuellen Vereinbarung zwischen dem Investor und dem Staat folgten, so dass man in der Tat auch Tecmed vs. Mexico als Beleg dafür anführen kann, dass ein individuell an den Investor adressiertes Handeln jedenfalls ein höheres Maß an Schutz genießt, als ein Schutz der Erwartungen aufgrund genereller Rechtsvorschriften. Insoweit lassen sich auch in dieser Entscheidung sehr wohl Einschränkungen des Schutzes legitimer Erwartungen finden; zur verkürzten und zusammenhangslosen Berufung auf diese Urteilspassage in der Schiedspraxis, siehe auch Douglas, 22 Arbitration International, S. 28. 763  Douglas, 22 Arbitration International, S. 28; UNCTAD, FET, S. 65: „nearly impossible to achieve“. 764  Occidential Exploration and Production Company vs. The Republic of Ecuador, LCIA, UNCITRAL, UN 3467, Final Award, 1.  Juli 2004, Abs. 185 und 191; CMS vs. Argentina, supra Fn. 266, Abs. 274; LG&E vs. Argentina, supra Fn. 274, Abs. 124; Enron vs. Argentina, supra Fn. 288, Abs. 259 f. 765  Siehe unter B.II.4.d)aa)(2). 766  Besondere Relevanz erlangt die Frage der Reichweite einer allein durch den Abschluss des Investitionsschutzabkommens eingegangenen Verpflichtung des Staats Stabilität und Vorhersehbarkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen zu gewährleisten in jenen Fällen, in welchen eine individuelle Zusicherung, die bestehende Rechtslage nicht entschädigungslos zum Nachteil des Investors zu modifizieren, nicht vorliegt. Hier stellt sich die Frage, ob inwieweit diese Verpflichtung zur Stabilität die mangels individueller Zusicherung fehlende Verpflichtung ersetzen kann, siehe unter B.II.4.d)aa)(2).



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?217

satzpflicht davon Abstand nehmen, legitime Regulierungs- und notwendige Reformmaßnahmen durchzuführen.767 Während die Besorgnis und Kritik an einer zu weitgehenden Anerkennung von Investorenerwartungen zu Lasten staatlicher Regulierungsinteressen weiterhin weit verbreitet ist, weisen andere Stimmen diese Befürchtungen als unbegründet zurück, so dass sich die Frage stellt, inwieweit die Kritik heute noch ihre Berechtigung hat. Hat nicht gerade diese Kritik als Teil des massiven Widerspruchs gegen eine Fehlentwicklung der Investi­ tionsrechtsprechung auch hier dazu geführt, dass ihr die Schiedspraxis bereits deutlich Rechnung getragen hat? Wurde hierdurch der heutigen Kritik der einst durchaus berechtigte Anlass entzogen? Nun, nicht von der Hand zu weisen ist jedenfalls, dass auch hier die Kritik an den Schiedsgerichten nicht spurlos vorbeigegangen ist. Sie hat ihren Niederschlag darin gefunden, dass sich die Gerichte in jüngeren Entscheidungen nicht mehr mit der grundsätzlichen Bejahung des Schutzes von Investoren­ erwartungen begnügt haben, sondern sich verstärkt der Konkretisierung der Voraussetzungen und Grenzen einer berechtigten Investorenerwartung zugewandt haben und dabei das right to regulate stärkere Betonung fand.768 Dass eine solche Entwicklung stattgefunden hat, bestreiten indes auch einzelne kritische Stimmen nicht. Sie machen jedoch geltend, die vorgetragenen Einschränkungen in der Schiedspraxis seien unzureichend und letztlich bloße Augenwischerei. Trotz dieser vorgeblichen Einschränkungen des Vertrauensschutzes sähen sich Gaststaaten noch immer einem unangemessen hohen Schadensersatzrisiko infolge der Ergreifung legitimer Regulierungsmaßnahmen ausgesetzt.769 Inwieweit haben sich also in der Schiedspraxis bereits ausreichend klare Kriterien und Grenzen für die Annahme objektiv schützenswerten Vertrau767  Siehe etwa UNCTAD, FET, S. 67: „This approach is unjustified, as it would potentially prevent the host State from introducing any legitimate regulatory change, let alone from undertaking a regulatory reform that may be called for.“; Johnson / Volkov, Invest. Treaty News 1 / 2014, S. 3. 768  Auch Kinnear, The Continuing Development of FET, S. 226, machte dies bereits anhand der bis zum damaligen Zeitpunkt ergangenen Entscheidungen als „The most significant development in recent FET cases“ aus. Dieser Trend hat sich, wie die folgende Betrachtung zeigt, in neueren Entscheidungen fortgesetzt und verfestigt; zur zunehmenden Konkretisierung der einschränkenden Voraussetzungen, siehe auch Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 100; hierzu auch Tietje, Int. Investi­ tionsschutzrecht im Spannungsverhältnis, S. 12 f., wonach – nach ersten Entscheidungen, die einen geradezu uferlosen Investorenschutz unter FET postulierten – in der schiedsgerichtlichen Praxis „klar und deutlich“ erkannt wurde, dass der FETStandard in Abwägung der widerstreitenden Interessen zu konkretisieren ist. 769  So etwa Johnson / Volkov, Invest. Treaty News 1 / 2014, S. 1, 3.

218 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

ens etabliert? Ist ein vertraglicher Handlungsbedarf zur Nachjustierung und Reduzierung des Haftungsrisikos angezeigt? d) Der Trend zur Einschränkung von Investorenerwartungen  – ausreichende Reaktion auf den Widerspruch? aa) Ausreichende Beschränkung auf Fälle spezifischer Zusicherungen? Im Grundsatz besteht heute Einigkeit, dass das Vertrauen des Investors in die Fortgeltung der zum Investitionszeitpunkt bestehenden Rechtslage jedenfalls dann schützenswert ist, wenn es auf einer entsprechenden Zusicherung des Gaststaats beruht.770 Dabei ist weiter anerkannt, dass nicht jede informelle Verlautbarung als Vertrauensgrundlage genügt, sondern die Zu­ sicherung ein gewisses Maß an Konkretisierung und Eindeutigkeit aufweisen muss.771 Problematisch ist hingegen, inwieweit die Erwartung der Fortgeltung der bestehenden Rechtslage als legitim anzusehen ist, wenn sie sich allein auf die abstrakt-generelle Rechtslage im Zeitpunkt der Investition stützt.772 In der großen Mehrzahl der Entscheidungen wurde dies verneint und insoweit ein Trend zur strikten Begrenzung entsprechender Investorenerwartungen auf das Vorliegen einer spezifischen Zusicherung ausgemacht.773 Das Erfordernis eines specific commitment soll ausschließen, dass Gaststaaten die Möglichkeit genommen werden könnte, ohne Haftungsfolgen auf neue Entwicklungen und Erkenntnisse durch eine Anpassung der bisherigen Rechtslage zu reagieren. Zugleich suggeriert das Kriterium eine klare Grenzziehung zwischen legitimer Investorenerwartung und staatlicher Regulierungsfreiheit. Entsprechend liegt es nahe, bei der Analyse der Schiedspraxis zu differenzieren zwischen Entscheidungen, welche ausschließlich eine spezifische Zusicherung als Vertrauensgrundlage anerkannt haben und jenen, welche einen Vertrauensschutz auch auf Grundlage der im Zeitpunkt der Investition bestehenden abstrakt-generellen Rechtsvorschriften anerkannt haben. Hierbei ist jedoch Vorsicht geboten, denn schnell droht die gerade umstrittene Frage, ob eine spezifische Zusicherung auch auch Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 114. 28 ICSID Rev. 2013, S. 105, dies ist eine der Verständnismöglichkeiten eines specific commitment. 772  Hierzu unter B.II.4.d)aa)(2). 773  Siehe z. B. Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 117, 119; Téllez, ICSID Rev. 2012, S. 441; Pandya / Moody, Legitimate Expectations in Investment Treaty Arbitration: An Unclear Future?, S. 10; Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 113. 770  So

771  Potestà,



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?219

aus den abstrakt-generellen Rechtsnormen des Gaststaats sowie allgemeinen und öffentlich verbreiteten Informationen folgen kann, zwischen den so gebildeten Kategorien durchzurutschen.774 Die Frage, ob eine spezifische Zusicherung notwendige Voraussetzung ist, ist also zu trennen von der Frage, woraus sie folgen kann. Hiervon hängt nämlich ab, inwieweit das Kriterium eines specific commitment seinen Zweck einer effektiven Einschränkung des Schutzes von Investorenerwartungen und staatlicher Haftungsrisiken wirklich erreicht. So wird kritisiert, dass in der Schiedspraxis eine angemessene Einschränkung des uferlosen Schutzes legitimer Erwartungen durch das Erfordernis einer spezifischen Zusicherung zwar proklamiert werde, dies aber in Wirklichkeit nicht der Fall sei.775 Und zwar weil das Kriterium einer spezifischen Zusicherung viel zu weit ausgelegt und zu schnell bejaht werde.776 So zeige die Schiedspraxis, dass das ausdrücklich geforderte commitment letztlich gar nicht so specific sein müsse.777 Eine spezifische Zusicherung von der staatlichen Regulierungsfreiheit nicht Gebrauch zu machen, werde nämlich bereits unter weit weniger strengen Voraussetzungen angenommen, als eine entsprechende Verpflichtung in den nationalen Rechtsordnungen.778 Die Schiedsgerichte offenbarten im Vergleich vielmehr eine offenkundige Bereitwilligkeit, entsprechende implizite Zusicherungen zu bejahen, wodurch die strengeren Voraussetzungen der nationalen Rechtsordnungen zur Sicherstellung der Regulierungsfreiheit übergangen 774  Zur dieser Frage, siehe Kinnear, The Continuing Development of FET, S. 228 f.; auch Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 105 f., betont die gebotene Trennung und differenziert ebenfalls deutlich zwischen einem specific commitment im Sinne einer individuell an den Investor adressierten Zusicherung und Zusicherungen, welche in abstrakt-generellen Gesetzen, Verordnungen und Bestimmungen enthalten sein können, a. a. O., S. 110 ff., zutreffend differenzierend auch Téllez, ICSID Rev. 2012, S. 436 f.; bei Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 116 ff., findet diese Frage hingegen, soweit ersichtlich, keine Berücksichtigung. Schernbeck verweist auf die Entscheidungen LG&E vs. Argentina und Enron vs. Argentina, in welchen ein Vertrauensschutz auch ohne spezifische Zusicherung angenommen worden sei (a. a. O., dortige Fn. 361 a. E.). Dies ist nur dann korrekt, versteht man spezifische Zusicherungen – wie wohl Schernbeck, a. a. O., S.  118 – lediglich als individuell an den Investor gerichtete Zusicherung, denn in diesen Entscheidungen wurden spezifische Zusicherungen aufgrund des spezifisch geschaffenen Rechtsrahmens bejaht. 775  Johnson / Volkov, Invest. Treaty News 1 / 2014, S. 3. 776  Ibid. 777  Ibid. 778  So Johnson / Volkov, Invest. Treaty News 1 / 2014, S. 3 ff.; hierzu auch Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 98, wonach ein Vergleich zeige, dass legitime Erwartungen im Investitionsrecht einfacher geltend gemacht werden können, als in den nationalen Rechtsordnungen und nach dem Recht der EU.

220 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

würden.779 Zum einen würden nämlich zu geringe Anforderungen an die Klarheit und Unmissverständlichkeit der Zusicherung gestellt.780 Zum anderen werde eine spezifische Zusicherung auch dann bejaht, wenn sie sich nicht individuell an den Investor richtet, was die Fälle zeigten, in welchen eine spezifische Zusicherung auch abstrakt-generellen Gesetzen und Verordnungen entnommen wurde.781 Auch an dieser Kritik verdeutlicht sich, dass dem Erfordernis einer spezifischen Zusicherung verschiedene Bedeutungen beigemessen werden können, die es für die Würdigung dieser Kritik und im Hinblick auf die künftige Vertragsgestaltung zu unterscheiden gilt. Dies unterstrich auch das Gericht in El Paso vs. Argentina. Nachdem es betonte, dass selbst eine allgemeine und an sich legitime Regulierungsmaßnahme einen FET-Verstoß begründen könne, wenn sie gegen ein specific commitment verstößt782, sah es das Bedürfnis einer näheren Erörterung, wann ein solches vorliegt und identifizierte zwei Arten von Zusicherungen, die als specific angesehen werden können.783 Zum einen kann specific die erforderliche Klarheit und Unmissverständlichkeit der Zusicherung kennzeichnen, mit welcher zum Ausdruck kommen muss, dass Ziel und Zweck des staatlichen Handelns gerade darin bestand, eine Stabilitätsgarantie gegenüber Investoren abzugeben und hierdurch bewusst einen Investitionsanreiz zu setzen („specific regarding their object and purpose“).784 Zum anderen kann damit gemeint sein, dass sich die 779  So am Beispiel des amerikanischen Rechts, Johnson / Volkov, Invest. Treaty News 1 / 2014, S. 5: „apparent willingness to find implied enforceable and non-revocable commitments against regulatory change“. 780  Johnson / Volkov, Invest. Treaty News 1 / 2014, S. 3 ff., dies zeige etwa der Vergleich mit den im amerikanischen Recht entschiedenen Fällen, wo eine Haftung des Staats aufgrund der Auswirkungen staatlicher Regulierung auf vertragliche oder quasi-vertragliche Rechtsverhältnisse mit dem Staat nur unter den sehr viel strengeren Kriterien der doctrine of unmistakablity bejaht würde. Insbesondere würden im Rahmen des unmistakability test strengere Voraussetzungen an die Annahme eines klaren und unmissverständlichen Willens des Staats gestellt, sich einer Entschädigungspflicht im Fall einer nachträglichen nachteiligen Regulierung zu unterwerfen. Eine entsprechende Zusicherung stehe hier grundsätzlich unter dem Vorbehalt, dass der Staat damit nicht zugleich verspricht, von seiner Regulierungsfreiheit auch zukünftig nur eingeschränkt Gebrauch zu machen, es sei denn dieser Wille ist kommt in der Vereinbarung „unmistakably clear“ zum Ausdruck. 781  Johnson / Volkov, Invest. Treaty News 1 / 2014, S. 3, führen exemplarisch die Entscheidungen EDFI vs. Argentina, supra Fn. 648; Enron vs. Argentina, supra Fn. 288; LG&E, supra Fn. 274 und Occidental vs. Ecuador, supra Fn. 321 an; siehe auch Téllez, 12 ICSID Rev. 2012, S. 436. 782  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 375. 783  Ibid. 784  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 377.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?221

Zusicherung individuell an einen bestimmten Investor richten muss, um schutzwürdiges Vertrauen zu schaffen („specific as to their adressee“).785 Ob sich die Zusicherung individuell an den Investor richten muss, wurde in der Schiedspraxis unterschiedlich beurteilt.786 Dieses Erfordernis ist entscheidend für die Frage, ob legitime Erwartungen in die unveränderte Fortgeltung der bestehenden Rechtslage auch allein auf Grundlage der generellen innerstaatlichen Rechtsvorschriften erwachsen können.787 (1) Zum Erfordernis einer individuellen Zusicherung In der großen Mehrzahl der Entscheidungen wurde eine legitime Erwartung, vor nachfolgenden Änderungen der bestehenden Rechtslage geschützt zu sein, ausschließlich im Fall einer spezifischen Zusicherung, im Sinne einer individuell an den Investor gerichteten Zusicherung, anerkannt.788 Eine ausdrückliche Begründung dafür, weshalb das Vertrauen in die unver785  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 376; zu dieser Differenzierung auch UNCTAD, FET, S. 69. 786  Hierzu auch Kinnear, The Continuing Development of FET, S. 228. 787  So auch Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 105 f. 788  Philipp Morris vs. Uruguay, supra Fn. 18, Abs. 426: „It clearly emerges from the analysis of the FET standard by investment tribunals that legitimate expectations depend on specific undertaking and representations made by the host State to induce investors to make an investment. Provisions of general legislation applicable to a plurality of persons or category of persons, do not create legitimate expectations that there will be no change in law.“ (Hervorhebungen im Original); Oxus Gold vs. Uzbekistan, supra Fn. 369, Abs. 823: „As far as stabilization clauses are concerned, it is the view of the Tribunal that such a clause in a law or a general regulation does not give a vested right to the investor, as the State can always modify its laws and general regulations. The situation is different when a stabilization clause is included in a contract or a regulation specifically directed at the investor, as in the present case […].“; Parkerings vs. Lithuania, supra Fn. 472, Abs. 332: „Save for the existence of an agreement, in the form of a stabilisation clause or otherwise, there is nothing objectionable about the amendment brought to the regulatory framework existing at the time an investor made its investment.“; PSEG vs. Turkey, supra Fn. 445, Abs. 241–243; Metalpar S.A. and Buen Aire S.A. vs. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB / 03 / 5, Award on the Merits, 6.  Juni 2008 („Metalpar vs. Argentina“), Abs. 186; Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 766; Cargill vs. Mexico, supra Fn. 572, Abs. 290; EDF vs. Romania, supra Fn. 694, Abs. 217; Ulysseas, Inc. vs. The Republic of Ecuador, Final Award, 12. Juni 2012 („Ulysseas vs. Ecuador“), Abs. 249; siehe auch die Entscheidungen in Continental Casualty vs. Argentina, supra Fn. 382, Abs. 260 f., Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 117, 119, 145, 429 und El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 368, 378; vgl. auch Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 117, indes nicht zwischen individuellen Zusicherungen und spezifischen Zusicherungen in generellen Rechtsvorschriften differenzierend.

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änderte Fortgeltung der Rechtslage nur in diesem Fall als legitim anzuerkennen sein soll, findet sich häufig nicht. Insbesondere neueren Entscheidungen lässt sich aber entnehmen, dass dieses Erfordernis rechtsvergleichend aus den nationalen Rechtsordnungen übernommen wurde.789 Daneben wird das Erfordernis einer individuellen Zusicherung auch mit der elementaren Bedeutung begründet, welche der Regulierungshoheit des Staats zur Verfolgung seiner Ziele zukommt. In Anbetracht dieser, so die Argumentation, stelle ein Verzicht auf die Ausübung dieses Rechts einen so tiefgreifenden Eingriff in staatliche Kernkompetenzen und so außergewöhnlichen Vorgang dar, dass schlicht undenkbar sei, dass ein Staat hierauf implizit durch die unpräzise Formulierung eines Schutzstandards verzichten würde. Vielmehr könne ein solch weitreichender Verzicht nur im Fall einer expliziten und unmissverständlichen Verpflichtungserklärung des Staats angenommen werden.790 Auch wurde argumentiert, dass eine solche vertragliche Verpflichtung das Ergebnis einer individuellen Verhandlung ist, in welcher es dem Investor gelungen ist, dem Staat eine solche abzuringen. Einem Investor, dem es trotz Bemühungen nicht gelungen ist, eine Stabilisierungsklausel durchzusetzen, dürfe daher nicht deren Schutz durch die Anerkennung entsprechender Erwartungen zuteilwerden.791 789  Siehe die rechtsvergleichenden Betrachtungen zum Schutz legitimer Erwartungen in den nationalen Rechtsordnungen und im Recht der EU in Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 128 ff.; vgl. indes Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 117, wonach keine Begründung geliefert werde, jedoch ebenfalls vermutend, dass die Unterscheidung zwischen abstrakt-genereller Regelung und spezifischer Zusicherung auf nationale Prinzipien zurückzuführen ist. 790  So die Begründung von Nikken unter Ablehnung einer Verpflichtung zur Stabilität, in Suez vs. Argentina, Separate Opinion of Arbitrator Pedro Nikken, supra Fn. 486, Abs. 31: „The regulatory power is essential to the achievement of the goals of the State, so to renounce to exercise it is an extraordinary act that must emerge from an unequivocal commitment […]. That commitment would touch on core competencies of the State, which it is inconceivable that the State would impliedly renounce. A treaty obligation, whereby the State guarantees the stability of its legal order renouncing the exercise of regulatory power must be explicit and cannot be assumed through an implicit declaration, diluted in general and ambiguous expressions about a treatment of investment standard (nor even by the way, through the preamble of a treaty).“; ähnlich El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 367 und 372: „[I]t is unconceivable that any State would accept that, because it has entered into BITs, it can no longer modify pieces of legislation which might have a negative impact on foreign investors […]. [I]t is unthinkable that a State could make a general commitment to all foreign investors never to change its legislation whatever the circumstances and it would be unreasonable for an investor to rely on such freeze.“ 791  Siehe Sergei Paushok vs. Mongolia, supra Fn. 418, Abs. 302, wo sich der Investor mehrfach um eine Stabilisierungsvereinbarung zum Ausschluss zukünftiger Steuererhöhungen bemüht hatte, was ihm jedoch nur für eine andere Gesellschaft gelungen war; so auch Snodgrass, 21 ICSID Rev. 2006, S. 38: „It would be surpris­



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?223

Daneben stellt sich die Frage, welche einschränkenden Anforderungen an die Form und Klarheit der individuell an den Investor gerichteten Zusicherung gestellt werden. Angesprochen ist also die weitere Verständnismöglichkeit des specific commitment. In der Zusammenfassung der in der Schiedspraxis herangezogenen Kriterien betonte das Gericht in Total vs. Argentina, dass neben der Form und dem speziellen Inhalt der Zusicherung ebenso entscheidend ist, mit welcher Klarheit die staatlichen Behörden ihren Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich für die Zukunft binden zu wollen.792 Generell gilt hier, je formeller und eindeutiger die an den Investor gerichtete Zusicherung ist, desto eher darf der Investor auf diese vertrauen.793 Paradebeispiel einer individuellen und unmissverständlichen Zusicherung ist eine Stabilisierungsklausel in einem Investor-Staat-Vertrag. Ebenso kommen auch sonstige Verträge und Konzessionen als Vertrauensgrundlage in Betracht.794 Daneben wurden aber auch Zusicherungen in einem bloßem letter of intent oder sogar in einem Geschäftsgespräch als Vertrauensgrundlage genannt und betont, dass es weniger auf die rechtliche Verbindlichkeit der Zusicherung ankommt, als vielmehr darauf, dass sich die Zusicherung direkt an den Investor richtet.795 So kommen auch Investorenerwartungen in Bezug auf eine zukünftige Behandlung in Betracht, die durch eine einseitige individuelle Zusicherung in Form von Behördenaussagen hervorgerufen wurden.796 In den sehr restriktiven Entscheidung in Glamis Gold vs. USA und Cargill vs. Mexico wurde hingegen das Erfordernis einer zumindest vertragsähnlichen Beziehung zwischen Staat und Investor betont, mit weling for a general principle of protecting legitimate expectations effectively to pro­ vide to all investors the protection that some had won through a bargained-for exchange.“ 792  Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 121. 793  Siehe Thunderbird vs. Mexico, Separate opinion of Thomas Wälde, supra Fn. 227, 32; Kläger, FET, S. 187. 794  Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 117: „The expectation of the investor is undoubtedly ‚legitimate‘, and hence subject to protection under the fair and equitable treatment clause, if the host State has explicitly assumed a specific legal obligation for the future, such as by contracts, concessions or stabilisation clauses on which the investor is therefore entitled to rely as a matter of law.“; Parkerings vs. Lithuania, supra Fn. 472, Abs. 332: „stabilisation clause or otherwise“. 795  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 376. 796  Siehe Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 118, wonach die Situation, in welcher eine Behörde des Gaststaats durch sein Verhalten oder seine Erklärung die Erwartung des Investors hervorruft, es bestünde eine Verpflichtung, mit einer aufgrund eines Vertrags bestehenden Verpflichtung vergleichbar sei; vgl. hierzu auch die Analyse in Thunderbird vs. Mexico, Separate opinion of Thomas Wälde, supra Fn.  227, 31 f.

224 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

cher der Staat gezielt einen Investitionsanreiz für die Investition des Investors zu setzen beabsichtigte.797 Lässt man nur eine individuell an den Investor gerichtete Zusicherung als Grundlage legitimer Investorenerwartungen genügen – erst recht wenn nur in Form einer zumindest quasi-vertraglichen Zusicherung oder gar hinsichtlich seiner Form qualifiziert (z. B. ein Schriftformerfordernis) – so ergibt sich eine klare Abgrenzung zwischen berechtigten und unberechtigten Erwartungen. Weitaus schwieriger ist hingegen die Frage zu beurteilen, ob und inwieweit eine legitime Erwartung der Fortgeltung der Rechtslage auch aus dieser selbst folgen kann. (2) L  egitime Erwartungen aufgrund der generellen innerstaatlichen Rechtslage? Liegt eine individuell an den Investor gerichtete Zusicherung als Vertrauensgrundlage nicht vor, stellt sich die Frage, inwieweit sich ein Investor berechtigterweise auch darauf berufen kann, seine Erwartung der Fortgeltung der bestehenden Rechtslage beruhe auf den generellen innerstaatlichen Rechtsvorschriften und sei durch deren nachträgliche Änderung enttäuscht worden. Mit anderen Worten, kann allein aufgrund des Abschlusses eines Investitionsschutzabkommens mit FET-Verpflichtung eine Verpflichtung angenommen werden, die bestehende Rechtslage nicht einseitig zum Nachteil des Investors zu modifizieren? Kann diese eine entsprechende individuelle Zusicherung ersetzen?798 Einigkeit besteht zunächst hinsichtlich einer ganz wesentlichen Einschränkung: Eine Investorenerwartung könnte allein aus der Rechtslage im Zeitpunkt der jeweiligen Investition erwachsen, durch deren status quo die Investorenerwartungen also grundsätzlich begrenzt werden.799 Diese zeitliche Zä797  Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 621, 766: „[A] violation of Article 1105 based on the unsettling of reasonable, investment-backed expectation requires, as a threshold circumstance, at least a quasi-contractual relationship between the State and the investor, whereby the State has purposely and specifically induced the investment.“; Cargill vs. Mexico, supra Fn. 572, Abs. 290. 798  Vgl. Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 99 f., wo das Gericht seine Aufgabe in unstreitiger Ermangelung einer individuellen vertraglichen oder sonstigen Vereinbarung wie folgt beschrieb: „The first issue for the Tribunal is to determine whether the legislation, regulation and provisions invoked by Total constitute a set of promises and commitments towards Total whose unilateral modifications entail a breach of the legitimate expectations of Total and, as a consequence, are in breach of the fair and equitable treatment standard in the BIT […]. All of the laws and regulations, which Total invokes as a source of the promises that it relies upon […], are instruments of general application […].“; siehe auch a. a. O., Abs. 122.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?225

sur ist deshalb angemessen, da der Investor mit der Entscheidung für eine Investition die rechtlichen Bedingungen aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Informationen zumindest als so günstig einschätzte, dass sie aus seiner Sicht eine Investition rechtfertigten. Er hat sich somit zugleich dafür entschlossen, die bestehende Rechtslage im Gaststaat als gegeben zu akzeptieren und willigt ein, dass seine Investition dieser unterstellt wird. Die Geltendmachung, dass die bestehende nationale Rechtsordnung selbst unbillig und ungerecht sei, ist daher ausgeschlossen.800 Zudem sollte man sich vor Augen führen, dass in den nationalen Rechtsordnungen heute zwar mehrheitlich ein materiell-rechtlicher Vertrauensschutz in Bezug auf verwaltungsrechtliche Entscheidungen anerkannt ist, dass aber abgesehen von Rückwirkungsverboten grundsätzlich keine Beschränkungen bestehen, wodurch einer Modifizierung der allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch den Erlass neuer Gesetze oder Verordnungen Grenzen gesetzt würden.801 Ein 799  Frontier Petroleum Services Ltd. vs. The Czech Republic, UNCITRAL, Final Award, 12. November 2010, Abs. 287 f.: „Tribunals have stated consistently that protected expectations must rest on the conditions as they exist at the time of the investment. They have pointed out that a foreign investor has to make its business decisions and shape its expectations on the basis of the law and the factual situation prevailing in the country as it stands at the time of the investment. […] Expectations created after that date, especially in the course of seeking remedies, would not be covered by the notion of legitimate expectations as developed in the context of the fair and equitable treatment standard.“ (Fußnote entfernt); siehe auch Kinnear, The Continuing Development of FET, S. 226 sowie Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 145 f., zahlreiche weitere Entscheidungen auflistend; Dolzer, 39 The International Lawyer, S. 103; dazu, dass Investitionsentscheidungen oftmals in mehren Schritten erfolgen und somit auf die Rechtslage im Zeitpunkt der jeweiligen Investitionsent­ scheidungen abzustellen sein kann, siehe Schreuer / Kriebaum, At What Time Must Legitimate Expectations Exist, S. 276. 800  Siehe GAMI vs. Mexico, supra Fn. 548, Abs. 93: „NAFTA arbitrators have no mandate to evaluate laws and regulations that predate the decision of a foreign investor to invest.“; siehe auch a. a. O., Abs. 94. 801  Zum Umfang des Vertrauensschutzes in den nationalen Rechtsordnungen (insbesondere zum englischen Recht, wo ein materiell-rechtlicher Schutz lange umstritten war), zur Verneinung eines Schutzes legitimer Erwartungen hinsichtlich der unveränderten Rechtslage in der gefestigten Rechtsprechung des EuGH sowie zur Frage, ob der Schutz legitimer Erwartungen als Allgemeiner Rechtsgrundsatz i. S. v. Art. 38 Abs. 1 c) IGH-Statut anzuerkennen ist, siehe Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 92 ff.; siehe hierzu schon Snodgrass, 21 ICSID Rev. 2006, S. 36 f., insbesondere zum französischen Recht; vgl. auch Kläger, FET, S. 166; einen rechtsvergleichenden Ansatz zur Bestimmung der Grenzen und Voraussetzungen legitimer Erwartungen als wichtigen Interpretationsansatz erachtend schon Thunderbird vs. Mexico, Separate opinion of Thomas Wälde, supra Fn. 227, Abs. 27 ff.; ebenso zog auch das Gericht in Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 128 ff., rechtsvergleichend die europäischen Rechtsordnungen und die Rechtsprechung des EuGH zur grundsätz­ lichen Verneinung eines Schutzes legitimer Erwartungen in Bezug auf Legislativakte heran: „However it appears that only exceptionally has the concept of legitimate

226 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

solch weitgehender Vertrauensschutz des ausländischen Investors würde daher die Frage aufdrängen, wodurch sich eine solche Besserstellung gegenüber nationalen Unternehmen rechtfertigen könnte. Zieht man als Vergleich nur inländische Investoren in gleichermaßen langfristigen und planungs- und ­investitionsintensiven Projekten heran, wie sie typischerweise ausländische Direktinvestitionen kennzeichnen, überzeugt ein Verweis auf die besondere Angewiesenheit auf stabile Investitionsbedingungen jedenfalls nicht. Wie bereits erwähnt, ist in einer Reihe von Entscheidungen allerdings ein Vertrauen in die Fortgeltung der bestehenden Investitionsbedingungen auf Grundlage der innerstaatlichen Rechtslage anerkannt worden, was damit begründet wurde, dass unter dem FET-Standard eine Verpflichtung des Staats zur Gewährleistung der Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen für die getätigte Investition bestehe. So verwies das Gericht in Occidental vs. Ecuador auf die Präambel des US-Ecuadorianischen-BIT, wonach fair and equitable treatment zur Gewährleistung eines stabilen Investitionsumfelds erstrebenswert ist, um zu dem Schluss zu gelangen: „The stability of the legal and business framework is thus an essential of fair and equitable treatment.“802 Dies, um im Anschluss – insoweit den vertraglichen FET-Standard mit dem gewohnheitsrechtlichen Standard gleichsetzend – auch für Letzteren festzustellen: „[U]nder international law […] there is certainly an obligation not to alter the legal and business environment in which the investment has been made.“803 Unter Verweis auf Occidental vs. Ecuador wurde auch in den früheren Entscheidungen zur Argentinienkrise auf den einschlägigen Präambeltext rekurriert und eine Verpflichtung zur Gewährleistung eines stabilen und vorhersehbaren Investitionsumfelds angenommen. So hatte das Gericht in CMS vs. Argentina angesichts der Präambel keinen Zweifel daran, dass die Gewährleistung eines stabilen Investitionsumfelds ein wesentliches Element des FET-Standards ist.804 Ebenso unter Rückgriff auf die Präambel und expectations been the basis of redress when legislative action by a State was at stake.“; siehe auch Toto vs. Lebanon, supra Fn. 669, Abs. 166: „The fair and equit­ able treatment […] should use public international law and comparative domestic public law as a benchmark.“; hierzu auch Schill, The Public Law Challenge: Killing Or Rethinking International Investment Law, S. 1. 802  Occidental vs. Ecuador, supra Fn. 321, Abs. 185, zusätzlich führte das Gericht für das Stabilitätserfordernis die bei supra Fn. 760 zitierte Passage der TecmedEntscheidung sowie das in Metalclad verletzte „transparent and predictable framework“ an (a. a. O., Abs.  183). 803  Occidental vs. Ecuador, supra Fn. 321, Abs. 191. 804  CMS vs. Argentina, supra Fn. 266, Abs. 274: „The Treaty Preamble makes it clear, however, that one principal objective of the protection envisaged is that fair



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?227

unter Verweis auf die jeweils vorangegangenen Entscheidungen wurde auch in LG&E vs. Argentina805 und Enron vs. Argentina die Verpflichtung zur Gewährleistung eines stabilen Investitionsrahmens als „key element“ des FET-Standards anerkannt.806 Es sind eben diese Entscheidungen, auf welche sich auch die jüngste Kritik regelmäßig stützt, wonach ein unangemessenes Haftungsrisiko infolge eines zu weitgehenden Schutzes von Investorenerwartungen bestünde.807 Sie werden angeführt, um zu belegen, dass auch das einschränkende Erfordernis einer spezifischen Zusicherung keine ausreichende Beschränkung von Investorenerwartungen darstelle, da selbst Bestimmungen aus abstrakt-generellen Gesetzen und Verordnungen als unwiderrufliche Zusicherung ausgelegt würden.808 Mehrere Gründe sprechen indes dagegen, dass mit dem Verweis auf diese Entscheidungen ein realistisches Bild des Haftungsrisikos gezeichnet wird, welchem sich Staaten gegenwärtig infolge der Ergreifung von Regulierungsmaßnahmen im Gemeinwohlinteresse tatsächlich ausgesetzt sehen. Zunächst verdienen die besonderen Umstände dieser Entscheidungen nähere Betrachtung. Bereits diese lassen den Rückschluss auf ein hohes Haftungsrisiko infolge der bloßen nachteiligen Änderung der innerstaatlichen Rechtslage, etwa durch den Erlass verschärfter Umwelt- und Gesundheitsschutzvorschriften, zweifelhaft erscheinen. Betrachtet man den Sachverand equitable treatment is desirable ‚to maintain a stable framework for investments and maximum effective use of economic resources.‘ There can be no doubt, therefore, that a stable legal and business environment is an essential element of fair and equitable treatment.“ 805  LG&E vs. Argentina, supra Fn. 274, Abs. 124, bemerkenswert ist hier, dass das Gericht nur für den konkreten Fall und die einschlägigen Präambelziele auf das Bestehen einer Stabilitätsverpflichtung schloss: „In light of these stated objectives, this Tribunal must conclude that stability of the legal and business framework is an essential element of fair and equitable treatment in this case […].“ (Hervorhebung durch den Autor). 806  So – unter Verweis auf Occidental vs. Ecuador, CMS vs. Argentina und LG&E vs. Argentina – Enron vs. Argentina, supra Fn. 288, Abs. 259 f.: „The Tribunal gives weight to the text of the Treaty’s Preamble, which links the standard to the goal of legal stability […]. Thus, the Tribunal concludes that a key element of fair and equit­able treatment is the requirement of a ‚stable framework for the investment‘.“ 807  Johnson / Volkov, Invest. Treaty News 1 / 2014, S. 3; UNCTAD, FET, S. 67. 808  Johnson / Volkov, Invest. Treaty News 1 / 2014, S. 3, unter Verweis auf Kinnear, The Continuing Development of FET, S. 228 und deren Feststellung, wonach „[t]he weight of authority suggests that an undertaking or promise need not be directed specifically to the investor and that reliance on publicly announced representations or well known market conditions is a sufficient foundation for investor expectations.“

228 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

halt809 und die Entscheidungsgründe in Occidental vs. Ecuador, ist bereits fraglich, ob hier für den FET-Verstoß tatsächlich ausschließlich auf die Enttäuschung von Investorenerwartungen beruhend auf der abstrakt-generellen Rechtslage abgestellt wurde. Möglich ist auch, dass erst das intransparente und widersprüchliche Verhalten der Steuerbehörde, durch welches der Investor trotz seiner Klärungsbemühungen im Ungewissen über die Bedeutung und Reichweite der Gesetzesänderung gelassen wurde, zur Annahme eines FET-Verstoßes führte.810 Indem das Gericht in seiner Begründung nicht zwischen dem widersprüchlichen administrativem Handeln der Steuerbehörde und der legislativen Änderung der Steuergesetze differenzierte, lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, ob die Änderung der generellen Steuergesetze allein für die Annahme eines FET-Verstoßes ausgereicht hätte.811 Dies könnte durchaus auch in den angeführten Argentinien-Fällen bezweifelt werden.812 Doch selbst unter der Annahme, dass hier wirklich allein die Veränderung der generellen Rechtslage den FET-Verstoß begründete, ist zu 809  So ging es hier um die Auslegung der ecuadorianischen Steuergesetze und die Frage, ob der Investor auch nach Abschluss einer vertraglichen Vereinbarung – nunmehr selbst als Ölexporteur agierend – auf Grundlage der ecuadorianischen Steuergesetze, wie bisher, Anspruch auf die Erstattung der auf Produkte und Dienstleistungen gezahlten Mehrwertsteuer hatte oder aber diese bereits in der im Beteiligungsvertrag vorgesehenen Beteiligungsquote enthalten war. Die bisherigen gesetzlichen Regelungen über die Erstattungen der Mehrwertsteuer waren dabei speziell für Exporteure durch neue Voraussetzungen verschärft und beschränkt worden. Dem Investor, der sich um eine Klärung seiner Berechtigung bemühte, wurden die Steuererstattungen zunächst von der Steuerbehörde bewilligt, die Entscheidung aber später zurückgenommen und eine Rückzahlung der erstattenen Mehrwehrtsteuer zuzüglich Zinsen verlangt, da die Steuergesetze falsch ausgelegt worden seien; zum Sachverhalt, siehe Occidental vs. Ecuador, supra Fn. 321, Abs. 26 ff. und 119 ff. 810  Hierfür spricht insbesondere folgende Passage, a. a. O., Abs. 184: „The clarifications that OEPC sought on the applicability of VAT by means of a ‚consulta‘ […] received a wholly unsatisfactory and thoroughly vague answer. The tax law was changed without providing any clarity about its meaning and extent and the practice and regulations were also inconsistent with such changes.“ 811  Hierauf hinweisend auch Kläger, Fair and Equitable Treatment, S. 170. 812  So weist Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 112, zutreffend darauf hin, dass sich die Investoren in diesen Fällen auch auf die individuell an sie vergebenen Lizenzen beriefen, welche nicht nur auf die in den Gesetzen enthaltenen Garantien verwiesen, sondern auch selbst vorsahen, dass sie nicht einseitig zu Lasten des Investors verändert werden dürfen (siehe z. B. CMS vs. Argentina, supra Fn. 266, Abs. 41 und 57). Zwar können diese Lizenzen als Teil der rechtlichen Rahmenbedingungen verstanden werden – und werden üblicherweise hierunter gefasst – doch ginge es in diesem Fall nicht um das Vertrauen allein aufgrund der abstrakt-generellen Rechtslage. Auch in diesen Entscheidungen lässt sich also nicht sagen, inwieweit diese Lizenzen in die Entscheidung hineinspielten.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?229

berücksichtigen, welche besonderen Umstände diesen Entscheidungen zu Grunde lagen. So war Argentinien in seinen Bemühungen zur Überwindung der Wirtschaftskrise gegen Ende der 80er Jahre in ganz wesentlichem Maße auf das Kapital ausländischer Investoren angewiesen. Im Zuge der Privatisierung des argentinischen Gassektors in den 90er Jahren, durch welche das bisherige Staatsunternehmen Gas del Estado in mehrere Transport- und Vertriebsgesellschaften aufgeteilt wurde, waren Gesetze und Verordnungen erlassen worden, durch welche ganz gezielt den Bedenken ausländischer ­Investoren hinsichtlich einer Investition im notorisch instabilen Gassektor begegnet werden sollte. Den Investoren sollte größtmöglicher Schutz eingeräumt werden.813 Der so geschaffene Rechtsrahmen wurde in einem Information Memorandum zusammengefasst, welcher gezielt zu Werbezwecken eingesetzt wurde. So wurde durch das erlassene Gasgesetz ein Tarifsystem geschaffen, welches den Lizenzinhabern eine stabile Rendite ermöglichen sollte. Verordnungen sahen insbesondere vor, dass sich der Gas Tarif in US-Dollar berechnet und dann in argentinische Peso umgerechnet wird und die Lizenzen nicht ohne Zustimmung der Lizenzinhaber zu deren Nachteil modifiziert werden können. Zusätzlich wurden per Verordnung die Basic Rules of the Licence geregelt. Diese legten den Inhalt von Musterlizenzen fest und verpflichteten die Regierung dazu, den Lizenzinhaber für alle Verluste aufgrund einer Veränderung des garantierten Tarifsystems zu entschädigen. Zudem sahen sie vor, dass die Tarife alle sechs Monate an den USProduzentenpreisindex angepasst werden.814 Dieses speziell geschaffene Regime wurde jedoch infolge der argentinischen Wirtschaftskrise der Jahre 2000–2002 sukzessive aufgehoben. Wenn die Gerichte in CMS vs. Argentina, LG&E vs. Argentina und Enron vs. Argentina einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen annahmen, so wurde somit nicht ein bloßes Vertrauen in die Fortgeltung der bestehenden abstrakt-generellen Rechtslage an sich als schützenswert anerkannt. Vielmehr wurde ein spezielles und detailliertes Regelungsgeflecht, welches konkrete Zusagen an eine Gruppe von Lizenznehmern enthielt und zu deren gezielter Anlockung geschaffen 813  Vgl. LG&E vs. Argentina, supra Fn. 274, Abs. 49: „Foreign investors were encouraged to purchase shares with guarantees, such as tariffs calculated in U.S. dollars, automatic and periodic adjustments to the tariffs based on the PPI, a clear legal framework that could not be unilaterally modified, and the granting of ‚licenses‘ instead of ‚concessions‘ with a view to offering the highest degree of protection to prospective investors.“ 814  Zu dem für den argentinischen Gassektor geschaffenen Regelungsgeflecht, siehe LG&E, supra Fn. 274, Abs. 38 ff., 49 ff.; CMS vs. Argentina, supra Fn. 266, Abs. 55 ff.; Enron vs. Argentina, supra Fn. 288, Abs. 264.

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wurde, als spezifische Zusicherung gewertet.815 So machte auch das Gericht in CMS vs. Argentina deutlich, dass es bei der Verpflichtung zu Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen nicht darum gehe, dass der gesetzliche Rahmen nicht verändert und an gewandelte Umstände angepasst werden dürfe, sondern allein um die Frage, ob die rechtlichen Rahmenbedingungen dann vollständig entfallen dürfen, wenn gerade Gegenteiliges durch ein specific commitment zugesichert worden war.816 Dem pflichtete auch das Gericht in Enron vs. Argentina bei und stellte auf die spezifischen Garan­tien zur Förderung ausländischer Investitionen in einem historisch instabilen und unberechenbaren Sektor ab.817 Ebenso hob auch das Gericht in LG&E vs. Argentina hervor, dass spezifische Zusicherungen und Garantien im dem geschaffenen Rechtsrahmen enthalten waren, welche spezifische Erwartungen hervorriefen.818 Durch die vollständige Aufhebung dieses speziell zum Zweck der Anlockung ausländischer Investoren geschaffenen Rechtsrahmens sei Argentinien zu weit gegangen.819 Diese besonderen Umstände verdeutlichen, dass ohne das Vorliegen entsprechender zukunftsgerichteter Zusicherungen in dem innerstaatlichen Rechtsrahmen, aus den genannten Entscheidungen keine überzeugenden Rückschlüsse auf ein hohes gegenwärtiges Haftungsrisiko aufgrund der Ergreifung von Regulierungsmaßnahmen gezogen werden können. Gegen ein solch hohes Haftungsrisiko spricht hingegen deutlich, dass eine Fortentwicklung der Investitionsrechtsprechung zu beobachten ist, welche einen klaren Trend zur Relativierung und Einschränkung einer Verpflichtung zur Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen zeigt.

815  Vgl. Continental Casualty vs. Argentina, supra Fn. 382, Abs. 260, dortige Fn. 389, wo das Gericht eben diese Besonderheit des Vorliegens auch spezifischer, zielgerichteter legislativer Zusicherungen – und nicht lediglich an die Allgemeinheit gerichteter Bestimmungen des gesetzlichen Rahmens – hervorhob und daher die Berufung des Investors auf CMS vs. Argentina zurückwies. 816  CMS vs. Argentina, supra Fn. 266, Abs. 277; dies hervorhebend auch das Gericht in El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 371; beipflichtend auch BG Group vs. Argentina, supra Fn. 288, 299. 817  So unter Verweis auf CMS vs. Argentina, Enron vs. Argentina, supra Fn. 288, Abs. 261: „[T]he stabilization requirement does not mean the freezing of the legal system or the disappearance of the regulatory power of the state.“; siehe auch a. a. O., Abs. 264; 818  LG&E vs. Argentina, supra Fn. 274, Abs. 133 f. 819  LG&E vs. Argentina, supra Fn. 274, Abs. 139: „Certainly, LG&E was aware of the risks inherent in investing in a foreign State. But here, the Tribunal is of the opinion that Argentina went too far by completely dismantling the very legal framework constructed to attract investors.“



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bb) Die kontinuierliche Relativierung einer Verpflichtung zur Stabilität im Zuge der Fortentwicklung der Schiedspraxis Betrachtet man die Fortentwicklung der Schiedspraxis, so wurde eine Verpflichtung des Staats zur Gewährleistung der Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen zwar auch in jüngeren Entscheidungen grundsätzlich anerkannt, im gleichen Atemzug aber in einem zu weitgehend verstandenen Sinne entschieden abgelehnt.820 So lässt sich eine kontinuierliche Entwicklung der Schiedspraxis nachzeichnen, welche sich durch eine Relativierung der Stabilitätsverpflichtung und eine stärkere Betonung des right to regu­late kennzeichnet. So warnte bereits das Gericht in Saluka vs. Czech Republic davor, Aussagen zur Anerkennung von Investorenerwartungen und sogar einer Verpflichtung des Gaststaats zur Gewährleistung von Stabilität, allzu wörtlich zu nehmen: „This tribunal would observe, however, that while it subscribes to the general thrust of these and similar statements, it may be that, if their terms were to be taken too literally, they would impose upon host States’ obligations which would be inappropriate and unrealistic. […] No investor may reasonably expect that the circumstances prevailing at the time the investment is made remain totally unchanged. In order to determine whether frustration of the foreign investor’s expectations was justified and reasonable, the host State’s legitimate right subsequently to regulate domestic matters in the public interest must be taken into consideration as well.“821

Ähnlich hob das Gericht in Parkerings vs. Lithuania für den Fall des Fehlens individueller Zusicherungen und Garantien das souveräne Recht zur Regulierung hervor: „It is each State’s undeniable right and privilege to exercise its sovereign legislative power. A State has the right to enact, modify or cancel a law at its own discretion. Save for the existence of an agreement, in the form of a stabilisation clause or otherwise, there is nothing objectionable about the amendment brought to the regulatory framework existing at the time an investor made its investment. As a matter of fact, any businessman or investor knows that laws will evolve over time.“822 820  Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 304; PSEG vs. Turkey, supra Fn. 445, Abs. 253; Duke Energy vs. Ecuador, supra Fn. 227, Abs. 339; vgl. auch Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 114: „[C]ase law is not uniform as to the preconditions for an investor to claim that its expectations were ‚legitimate‘ concerning the stability of a given legal framework that was applicable to its investment when it was made.“ 821  Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 304 f.; BG Group vs. Argentina, supra Fn. 288, Abs. 298; Mamidoil vs. Albania, supra Fn. 232, Abs. 619. 822  Parkerings vs. Lithuania, supra Fn. 472, Abs. 331 ff., zu beachten ist aber, dass das Schiedsgericht Erwartungen an eine gewisse Stabilität auch ohne spezifi-

232 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Sehr deutlich zeigt sich die Bestätigung des Schutzes legitimer Erwartungen und dem Erfordernis von Stabilität bei gleichzeitiger Betonung der Grenzen des Investorenschutzes auch in Duke Energy vs. Ecuador: „The Tribunal concurs with the findings of the tribunals in CMS, Tecmed, Occidental v. Ecuador […] pursuant to which a stable and predictable legal and business environment is considered an essential element of the fair and equitable treatment standard. […] The stability of the legal and business environment is directly linked to the investor’s justified expectations. The Tribunal acknowledges that such expectations are an important element of fair and equitable treatment. At the same time, it is mindful of their limitations.“823

Auch in EDF vs. Romania erteilte das Gericht einem zu weitgehenden Verständnis einer Verpflichtung zur Stabilität eine deutliche Absage: „The idea that legitimate expectations, and therefore FET, imply the stability of the legal and business framework, may not be correct if stated in an overly-broad and unqualified formulation. The FET might then mean the virtual freezing of the legal regulation of economic activities, in contrast with the State’s normal regulatory power. Except where specific promises or representations are made by the State to the investor, the latter may not rely on a bilateral investment treaty as a kind of insurance policy against the risk of any changes in the host State’s legal and economic framework. Such expectation would be neither legitimate nor reasonable.“824

Ebenso unterstrich auch das Gericht in AES vs. Hungary, dass die in Art. 10(1) ECT genannte Verpflichtung zur Gewährleistung stabiler recht­ licher Rahmenbedingungen gerade keine Stabilitätsklausel darstellt.825 Weiter führte es aus: „A legal framework is by definition subject to change as it adapts to new circumstances day by day and a state has the sovereign right to exercise its powers which include legislative acts.“826

Auch die Entscheidungen in den jüngeren Argentinien-Fällen Continental, Total und El Paso distanzierten sich davon, aufgrund der Präambelformulierung in Kombination mit dem Schutz legitimer Erwartungen auf eine sche Zusicherung aufgrund der Umstände des Vertragsschlusses prüfte, siehe unter B.II.4.d)cc). 823  Duke Energy vs. Ecuador, supra Fn. 227, Abs. 339 f. 824  EDF vs. Romania, supra Fn. 694, Abs. 217, bestätigt in Toto vs. Lebanon, supra Fn. 669, Abs. 156; zu EDF vs. Romania als möglichen Wendepunkt zu einem restriktiveren Ansatz, der aber gleichwohl noch zu weit gehe, siehe Pandya / Moody, Legitimate Expectations in Investment Treaty Arbitration: An Unclear Future?, S.  10 ff. 825  AES vs. Hungary, supra Fn. 298, Abs. 9.3.29. 826  AES vs. Hungary, supra Fn. 298, Abs. 9.3.29, siehe auch a. a. O., Abs. 9.3.34: „[A]ny reasonably informed business person or investor knows that laws can evolve in accordance with the perceived political or policy dictates of the times.“



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?233

Verpflichtung des Gaststaats zu schließen, die bestehende Rechtslage nicht nachträglich zum Nachteil des Investors zu ändern.827 So erkannte das Gericht in Continental vs. Argentina die große Bedeutung von Stabilität, insbesondere für langjährig angelegte Investitionsprojekte, sehr wohl an. Unter Hervorhebung der Sachverhaltsunterschiede zu Entscheidungen wie CMS vs. Argentina versagte das Gericht dem Investor jedoch die Berufung auf die Erwartung des zukünftigen Fortbestehens des im Investitionszeitpunkt bestehenden Währungs- und Wechselkurssystems.828 In aller Deutlichkeit stellte es klar, dass die Auslegung und Erwartung, ein Staat habe sich durch eine entsprechende BIT-Präambel seines Rechts begeben wollen, die Rechtslage im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen und Bedürfnisse anzupassen, verfehlt ist: „[I]t would be unconscionable for a country to promise not to change its legislation as time and needs change, or even more to tie its hands by such a kind of stipulation in case a crisis of any type or origin arose. Such an implication as to stability in the BIT’s Preamble would be contrary to an effective interpretation of the Treaty; reliance on such an implication by a foreign investor would be misplaced and, indeed, unreasonable.“829

Generelle Rechtsvorschriften stünden naturgemäß unter dem Vorbehalt späterer Änderung, weshalb sie im Vergleich mit vertraglichen Zusicherungen lediglich „reduced expectations“ hervorrufen könnten.830 Ähnlich unterstrich auch das Gericht in Total vs. Argentina, dass die Erwartungen des Investors an die Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen in den Entscheidungen zwar regelmäßig genannt worden sei, jedoch keine Einheitlichkeit hinsichtlich der Voraussetzungen bestehe, unter denen sich ein Investor darauf berufen kann, er habe auf die Stabilität der im Investitionszeitpunkt bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen vertrauen dürfen.831 Das Ge827  Zu einer gewissen Distanzierung, siehe auch Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 113. 828  Siehe Continental Casualty vs. Argentina, supra Fn. 382, Abs. 257 ff. und dortige Fn. 389, wo das Gericht die signifikanten Sachverhaltsunterschiede zu den vom Investor angeführten Entscheidungen wie CMS vs. Argentina hervorhob, indem dort der Investitionsentscheidung u. a. gezielte Zusicherungen zu Grunde gelegen hätten, während die legislativen Zusicherungen, auf die sich Continental berief, erst nach der Investition erfolgten und somit nicht der Investitionsentscheidung zu Grunde lagen. 829  Continental Casualty vs. Argentina, supra Fn. 382, Abs. 258. 830  Continental Casualty vs. Argentina, supra Fn. 382, Abs. 261: „[G]eneral legislative statements engender reduced expectations, especially with competent major international investors in a context where the political risk is high. Their enactment is by nature subject to subsequent modification, and possibly to withdrawal and cancellation, within the limits of respect of fundamental human rights and ius cogens.“; diesem Ansatz folgend auch El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 377 f. 831  Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 114, zitiert in Fn. 820.

234 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

richt betonte, dass sich Staaten bei der Eingehung von BITs der großen Bedeutung bewusst sein müssten, welcher der Aufrechterhaltung stabiler rechtlicher Rahmenbedingungen für den Investor zukommt.832 Zugleich aber hob es nicht nur das Recht, sondern auch die uneingeschränkte Verantwortung des Staats hervor, die bestehende Rechtslage an die gewandelte Umstände und Bedürfnisse anzupassen und kritisierte eine zu leichtfertige Annahme diesbezüglicher Beschränkungen: „[S]ignatories of such treaties do not thereby relinquish their regulatory powers nor limit their responsibility to amend their legislation in order to adapt it to change and the emerging needs and requests of their people in the normal exercise of their prerogatives and duties. Such limitations upon a government should not lightly be read into a treaty which does not spell them out clearly nor should they be presumed.833[…] In the absence of some ‚promise‘ by the host State or a specific provision in the bilateral investment treaty itself, the legal regime in force in the host country at the time of making the investment is not automatically subject to a ‚guarantee‘ of stability merely because the host country entered into a bilateral investment treaty with the country of the foreign investor.“834

Ebenso erkannte das Gericht in El Paso vs. Argentina zwar den Schutz legitimer Investorenerwartungen als wesentliches FET-Element an, kritisierte jedoch ein zu weitgehendes Verständnis. Ausdrücklich lehnte es ab, jenen Entscheidungen zu folgen, in welchen unter Verweis auf die Präambel eine 832  Total

vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 114. Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 115, unter Verweis auf das in S.D. Myers vs. Canada betonte hohe Maß an deference, welche das Völkerrecht gegenüber dem Recht zur Regulierung gundsätzlich übe. 834  Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 117. Das Gericht erkannte an, dass sich legitime Investorenerwartungen an die Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen ausnahmsweise auch aus generellen gesetzlichen Bestimmungen folgen können, wenn durch die gesetzlichen Bestimmungen gerade ein spezieller, zukunftsgerichteter Rechtsrahmen errichtet werden sollte (a. a. O., Abs. 122), doch sei das staatliche right to regulate ebenso zu berücksichtigen. Das Gericht versagte Total eine Berufung auf die im Gasregime vorgesehene Tarifberechnung in US-Dollar sowie die vorgesehene regelmäßigen Anpassung an den US-Produzentenpreisindex, da sie sich nicht an Total richtete, welches nicht im Rahmen des ursprünglichen Privatisierungsprozesses, sondern erst 2001 investitiert hatte (a. a. O., Abs. 145, 148 und Abs. 178). Einen FET-Verstoß bejahte das Gericht jedoch aufgrund der unzureichenden Bemühungen nach der Krise die Tarife wieder anzupassen und zu den im Gasregime angelegten Prinzipien zur Sicherstellung eines wirtschaftlichen Gleichgewichts und Wirtschaftlichkeit der Investionen zurückzukehren. Auf diese Prinzipien hätten nicht nur die ursprünglichen, sondern auch spätere Investoren wie Total vertrauen dürfen (a. a. O., Abs. 168). Siehe auch die ausführliche Auseinandersetzung mit den vorangegangenen Entscheidungen, in welcher das Gericht die Sachverhaltsunterschiede gegenüber Entscheidungen wie Enron vs. Argentina zu den ursprüng­ lichen Teilnehmern des Privatisierungsprozesses erläuterte sowie sein Abweichen gegenüber Sempra Energy vs. Argentina, LG&E vs. Argentina und CMS vs. Argentina begründete (a. a. O., Abs.  176 ff.). 833  So



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?235

Verpflichtung zur Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen angenommen wurde: „[S]ome tribunals have however extended the scope of the FET to a point where, according to this Tribunal, the sovereign power of the State to regulate its economy is negated […].835 […][I]f the often repeated formula to the effect that ‚the stability of the legal and business framework is an essential element of fair and equitable treatment‘ were true, legislation could never be changed: the mere enunciation of that proposition shows its irrelevance. Such a standard of behaviour, if strictly applied, is not realistic, nor is it the BITs’ purpose that States guarantee that the economic and legal conditions in which investments take place will remain unaltered ad infinitum.836 […][T]he Tribunal cannot follow the line of cases in which fair and equitable treatment was viewed as implying the stability of the legal and business framework. Economic and legal life is by nature evolutionary.“837

Auch das Gericht in Ulysseas vs. Ecuador kontrastierte ein in Occidental vs. Ecuador und CMS vs. Argentina zugrunde gelegtes Stabilitätserfordernis mit dem deutlich engeren Verständnis anderer Entscheidungen, wonach der Schutz legitimer Erwartungen unter dem Vorbehalt der normalen staatlichen Regulierungsfreiheit steht und pflichtete diesem bei.838 Als abschließendes Beispiel sei auch hier ein Blick auf die Klage Philipp Morris vs. Uruguay geworfen, auf welche – bis zur Entscheidung – häufig als Paradebeispiel für die befürchteten Entschädigungspflichten infolge der Verschärfung von Gesundheitsschutzvorschriften verwiesen wurde. Auch hier wurde in aller Deutlichkeit unter Verweis auf die jüngere Schiedspraxis klargestellt: „It is common ground in the decisions of more recent investment tribunals that the requirements of legitimate expectations and legal stability as manifestations of the FET standard do not affect the State’s rights to exercise its sovereign authority to legislate and to adapt its legal system to changing circumstances.“839

All die vorstehend zitierten Passagen jüngerer Entscheidungen illustrieren eine deutliche und kontinuierliche Distanzierung von der Anerkennung einer Investorenerwartung der Fortgeltung der bestehenden rechtlichen Rahmen835  El

Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 340. Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 350, siehe auch a. a. O., Abs. 367 f.; siehe auch Impreglio S.p.A. vs. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB / 07 / 17, Award, 21. Juni 2011 („Impreglio vs. Argentina“), Abs. 290. 837  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 352, unter Distanzierung von Occidental vs. Ecuador, CMS vs. Argentina und LG&E vs. Argentina (a. a. O., Abs.  344 ff. und Abs. 369). 838  Ulysseas vs. Ecuador, supra Fn. 788, Abs. 248 f., unter Zitierung von EDF vs. Romania und Verweis auf Saluka vs. Czech Republic, Parkerings vs. Lithuania und El Paso vs. The Argentine Republic. 839  Philipp Morris vs. Uruguay, supra Fn. 18, Abs. 422. 836  El

236 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

bedingungen, die sich allein auf die im Investitionszeitpunkt geltende Rechtslage und die Annahme einer entsprechend weitgehenden Verpflichtung zur Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen stützt. Unter regelmäßiger Betonung des right to regulate machen sie deutlich, dass kein ­Investor allein aufgrund der bestehenden Rechtslage darauf vertrauen darf, dass diese nicht zu seinem wirtschaftlichen Nachteil verändert wird.840 Wird ein berechtigtes Vertrauen, vor Änderungen der bestehenden Rechtslage geschützt zu sein, allein dann anerkannt, wenn dies dem Investor zugesichert wurde, wird im Sinne erhöhter Rechtssicherheit eine klare Grenze zwischen der Regulierungsfreiheit und dem Schutz der Investorenwartungen gezogen. Defensiven Regulierungsinteressen wird Rechnung getragen, indem das Risiko nachträglicher Veränderungen der bestehenden Rechtslage dem Investor zugewiesen wird. Dieser muss entscheiden, ob er bereit ist, die Investition in Kenntnis dieses Risikos zu tätigen. Wäre aber hierin ein Ausgleich gegenüber den offensiven Investorenschutzinteressen zu erblicken, welchen der Staat in seiner häufigen Doppelrolle als Kapitalexporteur ebenfalls gerecht werden muss? Ist es angemessen, dem Investor ohne eine spezifische Zusicherung jeglichen Schutz vor nachfolgenden Änderungen der bestehenden Rechtslage zu versagen? Auch dies hängt wiederum davon ab, worin man einen Ausgleich erblickt und ab welchem Punkt man die Schraube des Investorenschutzes außerhalb der nationalen Gerichte für überdreht erachtet.841 Zu beachten ist dabei aber, dass den Entscheidungen eine solche Absolutheit häufig gar nicht zu entnehmen ist, sondern es lediglich zu einer Relativierung überzogener Erwartungen in die Stabilität der bestehenden innerstaatlichen Rechtslage kam. So wurde auch in Entscheidungen, in welchen der Schutz der Erwartung in die unveränderte Fortgeltung der Rechtslage strikt von einer individuellen Zusicherung abhängig gemacht wurde, dem Investor ohne eine solche nicht schlechthin jeglicher Schutz hinsichtlich nachfolgender Änderungen der bestehenden Rechtslage abgesprochen.842

diesem neueren Trend auch Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 148. Bernstorff, Streitigkeiten über gemeinwohlorientierte Regulierung von Investoren gehören im demokratischen Rechtsstaat vor die nationalen Gerichte, VerfBlog vom 15. Mai 2014, die Frage aufwerfend, ob die Schraube des Investorenschutzes über das berechtigte Schutzanliegen ausländischer Investoren hinaus überdreht wurde. 842  Siehe auch Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 115 ff. 840  Zu

841  Vgl.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?237

cc) Die Anerkennung eines Schutzes vor diskriminierenden und unverhältnismäßigen Änderungen im Rahmen eines Abwägungsvorgangs In der bereits angeführten Entscheidung Saluka vs. Czech Republic relativierte das Gericht eine Erwartung absoluter Stabilität, indem es einen Abwägungsansatz heranzog. So sei die staatliche Regulierungsfreiheit zu berücksichtigen und – unter Beachtung des insoweit zu übenden hohen Maßes an Zurückhaltung – gegen die berechtigten Investorenerwartungen abzuwägen.843 In jedem Falle aber – und somit unabhängig vom Vorliegen einer spezifischen Zusicherung – erkannte das Gericht bestimmte Erwartungen des Investors als legitim an, durch welche der staatlichen Regulierungsfreiheit wiederum gewisse Grenzen gesetzt werden: „A foreign investor […] may in any case properly expect that the Czech Republic implements its policies bona fide by conduct that is, as far as it affects the investors’ investment, reasonably justifiable by public policies and that such conduct does not manifestly violate the requirements of consistency, transparency, evenhandedness and non-discrimination.“844

Unter Verweis darauf, dass das Gericht das Erfordernis einer spezifischen Zusicherung auch explizit zurückwies845, wird diese Entscheidung häufig jenen Entscheidungen gegenübergestellt, in welchen der Schutz legitimer Erwartungen vom Vorliegen einer spezifischen Zusicherung abhängig gemacht wurde und der differenzierende Abwägungsansatz in Saluka vs. Czech Repub­ 843  Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 305 f.: „The determination of a breach […] therefore requires a weighing of the Claimant’s legitimate and reasonable expectations on the one hand and the Respondent’s legitimate regulatory interests on the other.“; siehe bereits bei supra Fn. 821. 844  Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 307. Hiernach habe der Investor zwar nicht darauf vertrauen dürfen, dass es zu keinem Politikwechsel hinsichtlich der Privatisierung und Unterstützung der weiteren Banken und zu keinen nachteiligen Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedinungen kommt, jedoch darauf, dass im Fall solcher Änderungen, sie in nichtdiskriminierender Weise erfolgen (a. a. O., Abs.  351 ff., 358). 845  Verwiesen wird dabei auf Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 329, wo das Gericht ausführte: „The Tribunal finds that the Claimant’s reasonable expectations to be entitled to protection under the Treaty need not be based on an explicit assurance from the Czech Government.“ Zu beachten ist, dass diese Aussage im Rahmen der Prüfung einer diskriminierenden Behandlung erfolgte (a.  a.  O., Abs. 312 ff.). Auch aus der Prüfung im Rahmen des Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Gewährleistung vorhersehbarer und transparenter Rahmenbedingungen geht jedoch hervor, dass selbst der Investor einräumte, dass jedenfalls keine spezifische Zusicherung vorlag, durch welche die gegenwärtige Regierung gebunden war. Der anschließenden Frage, ob der Investor gleichwohl eine nichtdiskriminierende Behand­lung erwarten durfte, ging das Gericht nicht weiter nach, da sie sich mit den bereits im Rahmen der diskriminierenden Behandlung beantworteten Fragen decke.

238 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

lic hervorgehoben.846 Dies darf jedoch nicht zu der Annahme verleiten, in all jenen Entscheidungen, in welchen eine berechtigte Erwartung der unveränderten Fortgeltung der Rechtslage von einer spezifischen Zusicherung abhängig gemacht wurde, sei darüber hinaus jede Erwartung hinsichtlich nachträglicher Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen als nicht schutzwürdig erachtet worden. Vielmehr wurden auch hier Ausnahmen formuliert und Erwartungen anerkannt, die Ausdruck eines zumindest impliziten Abwägungsvorgangs sind, welcher in der Folge der Entscheidung in Saluka vs. Czech Republic zunehmende Verbreitung und Präzisierung erlangt hat. Parkerings vs. Lithuania etwa wird regelmäßig als eine der Entscheidungen angeführt, in welcher die Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf die bestehende Rechtslage ausdrücklich vom Vorliegen einer spezifischen Zusicherung abhängig gemacht wurde.847 Seltener wird indes zutreffend darauf hingewiesen, dass das Gericht damit die Erwartungen des Investors an eine gewisse Stabilität und Vorhersehbarkeit848 auch ohne Stabilisierungsklausel oder sonstige spezielle Zusicherung nicht generell als nicht schutzwürdig erachtete.849 Trotz der Betonung der mangels spezifischer Zusicherung grundsätzlich uneingeschränkten Befugnis zur Änderung der Rechtslage, machte das Gericht deutlich, dass dem Staat in der Ausübung seiner Rechtssetzungsbefugnis insoweit Grenzen gesetzt würden, als er nicht „unfairly, unreasonably or inequitably“ handeln dürfe.850 Anhaltspunkte hierfür verneinte das Gericht und gelangte mangels Nachweises, dass der Staat die legislativen Änderungen allein zum Zweck der Schädigung der Investition vornahm, zur Ablehnung eines FET-Verstoßes.851 Unter Verweis auf Saluka vs. Czech Republic und Parkerings vs. Lithuania finden sich ähnliche Ausführungen etwa auch in EDF vs. Romania852 und 846  Téllez, 12 ICSID Rev. 2012, S. 437; Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 119; Hölken, KSzW 2011, S. 190. 847  Siehe z. B. Téllez, 12 ICSID Rev. 2012, S. 437; Schernbeck, FET in int. Investitionsschutzabkommen, S. 117. 848  Vgl. Parkerings vs. Lithuania, supra Fn. 472, Abs. 333: „right to a certain stability and predictability of the legal environment of the investment“. 849  „[I]n the situation where the host-State made no assurance or representation, the circumstances surrounding the conclusion of the agreement are decisive to determine if the expectation of the investor was legitimate.“, Parkerings vs. Lithuania, supra Fn. 472, Abs. 331; siehe Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 105, 116, zutreffend hervorhebend, dass vorliegend aber zumindest ein Investitionsvertrag zwischen der Stadt Vilnius und dem Investor bestand, also Erwartungen aufgrund der Umstände des Vertragsschlusses und nicht allein aufgrund der bloßen abstrakt-generellen Rechtslage selbst betrachtet wurden; hierzu auch Kläger, FET, S. 175; Kinnear, The Continuing Development of FET, S. 229. 850  Parkerings vs. Lithuania, supra Fn. 472, Abs. 332. 851  Parkerings vs. Lithuania, supra Fn. 472, Abs. 337 f.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?239

Toto vs. Lebanon853 und auch das Gericht in Impreglio vs. Argentina machte deutlich: „The legitimate expectations of foreign investors cannot be that the State will never modify the legal framework, especially in times of crisis, but certainly investors must be protected from unreasonable modifications of that legal frame­ work.“854

Auch in Lemire vs. Ukraine betonte das Gericht das Erfordernis einer einzelfallabhängigen Abwägung, in welcher – neben weiteren einschränkenden Gesichtspunkten – das Interesse der Gaststaaten am Erlass von Regulierungsmaßnahmen zu berücksichtigen sei, wobei das Gericht einen Vorbehalt und Schutz im Fall einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Investors erkennen ließ.855 Ebenfalls unter Verweis auf Saluka führte auch das Gericht in Total vs. Argentina aus, dass es für die Beurteilung, ob eine Berufung auf legitime Investorenerwartungen im Hinblick auf legislative und regulatorische Änderungen berechtigt ist, auf ein Abwägung der widerstreitenden Interessen ankomme und hierzu in der Schiedspraxis verschiedene Faktoren berücksichtigt worden seien. Auf der Investorenseite insbesondere Zusicherungen, auf die der Investor umso mehr vertrauen dürfe, je präziser sie sich individuell an ihn richten.856 Im schwierigsten Fall eines schützenswerten Vertrauens allein auf Grundlage der generellen Rechtslage, mahnte das Gericht einen „cautious approach“ an, basierend auf einer Analyse aller relevanten Umstände des Einzelfalls.857 Auch hier beließ es das Gericht also nicht bei 852  EDF

vs. Romania, supra Fn. 694, Abs. 218 f. vs. Lebanon, supra Fn. 669, Abs. 244, einen Schutz vor Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen ohne spezifische Zusicherung nur „in case of a drastic or discriminatory change in the essential features of the transaction“ als Verstoß erachtetend, welcher durch die nachteilige Änderungen der Steuer- und Zollverpflichtungen nicht angenommen wurde. Zur gebotenen Abwägung, siehe auch a. a. O., Abs.  165. 854  Impreglio vs. Argentina, supra Fn. 836, Abs. 291. 855  Lemire vs. Ukraine, Decision on Jurisdiction and Liability, supra Fn. 232, Abs. 285: „The evaluation of the State’s action cannot be performed in the abstract and only with a view of protecting the investor’s rights. The Tribunal must also balance other legally relevant interests, and take into consideration a number of countervailing factors, before it can establish that a violation of the FET standard, which merits compensation, has actually occurred: ‒ the State’s sovereign right to pass legislation and to adopt decisions for the protection of its public interests, especially if they do not provoke a disproportionate impact on foreign investors […].“ 856  Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 121. 857  Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 121 f., aufgrund der gegebenen Umstände und einer „inherently prospective nature“ des zielgerichtet zur Anlockung ausländischer Investoren geschaffenen Gasregimes, legitime Erwartungen ausnahmsweise auch ohne individuelle Zusicherung annehmend. 853  Toto

240 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

dem strikten und eindeutigen Kriterium einer individuellen Zusicherung, sondern erkannte legitime Erwartungen auch im Hinblick auf generelle Rechtsvorschriften an, durch welche ein spezieller, zukunftsgerichteter Rechtsrahmen errichtet werden sollte, der gerade für den Fall unvorhergesehener Umstände bestimmte Vorkehrungen zum Schutz langfristiger Investitionen vorsieht.858 So seien die Umstände, d. h. die Bedeutung und Dringlichkeit des verfolgten öffentlichen Interesses, gegen die Schwere der Beeinträchtigung der Investition im Lichte eines Maßstabs der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit abzuwägen.859 Ähnlich – und wiederum unter Verweis auf Saluka – betonte auch das Gericht in El Paso vs. Argentina die zur Erzielung eines Ausgleichs gebotene Abwägung der objektiven Investorenerwartungen gegen das widerstreitende Regulierungsinteresse unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.860 So dürfe ein Investor erwarten, dass die gesetzlichen Bestimmungen nicht geändert werden, ohne dass dies durch wirtschaftliche, soziale oder sonstige Gründe gerechtfertigt ist.861 Während das Gericht in El Paso vs. Argentina ein Vertrauen in die Fortgeltung der bestehenden Rechtslage angesichts einer ernsthaften Wirtschaftskrise allenfalls im Fall individueller „very specific commitments“ für denkbar hielt, gelangte es in Anbetracht der sukzessive ergriffenen Maßnahmen, welche bei kumulativer Betrachtung zu einer völligen Aufhebung des für ausländische Investoren geschaffenen Rechtsrahmens führten, gleichwohl zu einer „creeping violation of the FET standard“.862 Auch in diesem Ausnahmefall erkannte es also die Erwartung des Investors vor nachteiligen Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen geschützt zu sein, als berechtigt an.863 Als weiteres Beispiel für die Anerkennung einer legitimen Erwartung stabiler rechtlicher Rahmenbedingungen trotz des Fehlens einer individuellen Zusicherung kann die Entscheidung in PSEG vs. Turkey dienen. Hier erblickte das Gericht allein aufgrund der türkischen Politik zur Privatisierung des 858  Total

vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 122, siehe bereits supra Fn. 834. vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 123. 860  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 356, 358: „[T]he notion of ‚legitimate expectations‘ is an objective concept, that it is the result of a balancing of interests and rights, and that it varies according to the context.“; siehe auch a. a. O., Abs. 373: „[F]air and equitable treatment is a standard entailing reasonableness and proportionality.“ 861  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 372. 862  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 517 ff. 863  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 374: „No reasonable investor can have such an expectation [that the legal framework will remain unchanged] unless very specific commitments have been made towards it or unless the alteration of the legal framework is total.“ (Hervorhebung durch den Autor). 859  Total



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?241

Energiesektors keine ausreichende individuelle Zusicherung an den Investor, auch wenn sie auf die maßgebliche Beteiligung ausländischer Investoren abzielte.864 Wenngleich hiernach kein Investor vernünftigerweise erwarten dürfe, dass die Rechtslage völlig unverändert bleibe865, erblickte das Gericht zwar nicht in einer Änderung der Rechtslage an sich, jedoch – in der Zusammenschau mit weiteren Versäumnissen – in den zahlreichen und einer Achterbahnfahrt gleichenden Gesetzesänderungen einen FET-Verstoß.866 Als abschließendes Beispiel brachte auch das Gericht in der jüngeren Entscheidung Philipp Morris vs. Uruguay unter Verweis auf El Paso vs. Argentina zum Ausdruck, dass der Investor auch ohne spezifische Zusicherung in seinem Vertrauen auf die Stabilität der im Zeitpunkt der Investition bestehenden Rechtslage nicht gänzlich schutzlos ist, sondern auch hier gewisse Grenzen bestehen. „[C]hanges to general legislation (at least in the absence of a stabilization clause) are not prevented by the fair and equitable treatment standard if they do not exceed the exercise of the host State’s normal regulatory powers in the pursuance of a public interest and do not modify the regulatory framework relied upon by the investor at the time of the investment ‚outside the acceptable margin of change‘.“867

dd) Zwischenfazit Wie die vorgenannten Entscheidungen verdeutlichen, wurden unterschiedliche Kriterien und Gesichtspunkte herangezogen, um zu beurteilen, inwieweit trotz des – mangels anderslautender spezifischer Zusicherung – grundsätzlich uneingeschränkten Rechts zur Änderung der bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen, ausnahmsweise gleichwohl legitime Erwartungen enttäuscht sein können.868 So wurde dem Investor unabhängig von einer spezifischen Zusicherung unter anderem ein Schutz vor diskriminierenden, drastischen, vollständigen, stetig wechselnden oder solchen Veränderungen 864  PSEG

vs. Turkey, supra Fn. 445, Abs. 241 ff. vs. Turkey, supra Fn. 445, Abs. 255, unter Verweis auf Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 301, 305. 866  PSEG vs. Turkey, supra Fn. 445, Abs. 250, 254: „[T]he Tribunal also finds that the fair and equitable treatment obligation was seriously breached by what has been described above as the ‚roller-coaster‘ effect of the continuing legislative changes […] Stability cannot exist in a situation where the law kept changing continuously and endlessly, as did its interpretation and implementation.“ 867  Philipp Morris vs. Uruguay, supra Fn. 18, Abs. 423 (Hervorhebung durch den Autor). 868  Zu den unterschiedlichen Kriterien, die in der Schiedspraxis herangezogen wurden auch Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 117; hierzu auch Kinnear, The Continuing Development of FET, S. 227. 865  PSEG

242 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

der bestehenden Rechtslage zuerkannt, die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfall in einem Missverhältnis zu ihrem vorgetragenen Gemeinwohlziel stehen. Zurückzuführen sind diese unterschiedlichen Kriterien auf die grundlegendere Gemeinsamkeit dieser Entscheidungen. Nämlich darauf, dass dem Investor in Ermangelung einer individuellen Zusicherung nicht einseitig jegliches Risiko hinsichtlich nachfolgender Rechtsänderungen zugewiesen wurde, sondern die Berufung auf die staatliche Regulierungsfreiheit unter einen Vorbehalt gestellt wird. So sind die unterschiedlichen Kriterien – indem dem Recht zur Regulierung nicht automatisch der Vorrang eingeräumt wird – das Resultat eines zumindest impliziten Abwägungsvorgangs, in der Bemühung um einen Ausgleich zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen.869 Gab es früher nur selten Entscheidungen, in welchen Gerichte die notwendige Abwägung der widerstreitenden Interessen von Stabilität und Regulierung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls betonten870, verdeutlicht heute der zunehmende Verweis eine solche Abwägung, dass die Schiedspraxis einen erheblichen Schritt hin zu einer ausgewogeneren Anwendung des FET-Standards zurückgelegt hat.871 Die dabei regelmäßige erfolgende Betonung der Notwendigkeit einer Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls mag unbefriedigend erscheinen. Gewiss wäre es im Hinblick auf eine größere Vorhersehbarkeit und 869  Dies auch um den Preis, nicht an einer starren und ausnahmslosen Heranziehung des Kriteriums einer spezifischen Zusicherung festhalten zu können, welche eine höhere Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit bedeuten würde. So deuten einzelne Entscheidungen darauf hin, dass die darin aufgestellten Grundsätze – obgleich in der Entscheidung der nachfolgenden Subsumtion als abstrakte Regel vorangestellt – nicht a priori abstrakt aufgestellt wurden, sondern erst in Anbetracht der besonderen Umstände formuliert wurden. Nahe liegt dies z. B. in El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 374 und dem – alternativ zur spezifischen Zusicherung – formulierten Kriterium der vollständigen Modifizierung des Rechtsrahmens, siehe supra Fn. 863. Diesen Eindruck beschreibt ähnlich auch Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 117: „The impression is that in some instances the legal test was dictated by the specific facts of the case (and possibly also the different industry sectors at stake).“ 870  Vgl. noch Kläger, 11 J. World Invest. Trade 2010, S. 454, unter Berücksichtigung der bis 2008 ergangenen Entscheidungen. 871  Vgl. Griebel, Internationales Investitionsrecht, S. 73, zum damaligen Zeitpunkt noch abwartend, ob der in Saluka vs. Czech Republic erstmals herangezogene Abwägungsansatz Gefolgschaft finden würde. Neben den bereits genannten Entscheidungen lassen sich einige weitere Beispiele anführen, in welchen diese Abwägungsmethodik betont wurde, siehe z. B. BG Group vs. Argentina, supra Fn. 288, Abs. 298; siehe auch Duke Energy vs. Ecuador, supra Fn. 227, Abs. 340; Bayindir vs. Pakistan, supra Fn. 227, Abs. 192; Suez vs. Argentina, supra Fn. 227, Abs. 236.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?243

Rechtssicherheit wünschenswert, ließe sich exakt und abstrakt bestimmen, unter welchen Voraussetzungen eine nachträgliche Änderung der im Zeitpunkt der Investition bestehenden Rechtslage zu einer Verletzung des FETStandards führt. Bereits die angeführten Entscheidungen belegen indes, dass die Umstände, welche eine Änderung des rechtlichen Rahmenbedingungen bedingen oder mit dieser einhergehen können, schlicht zu vielfältig sind, um sie mit einer abstrakten Definition fassen zu können.872 Eine solche brächte zwar abstrakte Vorhersehbarkeit, liefe jedoch Gefahr, einen angemessenen Ausgleich im konkreten Einzelfall zu verfehlen. Um den Preis einer gewissen Unbestimmtheit bietet hingegen die heute regelmäßig offenbarte Bereitschaft zur Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls die notwendige Flexibilität, um den Spagat zwischen der Sicherstellung defensiver Regulierungsinteressen und der gleichzeitigen Berücksichtigung offensiver Investoreninteressen vollführen zu können, den Staaten heute in ihrer häufigen Doppelrolle als kapitalimportierende und -exportierende Staaten bewältigen müssen. In diesem Sinne bietet die betonte Notwendigkeit der Berücksichtigung des Einzelfalls den Gaststaaten aber auch die Möglichkeit, dem Schiedsgericht durch die Art und Weise der Ergreifung der Regulierungsmaßnahme weitere Argumente zu liefern, die gegen eine ausnahmsweise Haftung aufgrund der nachträglichen Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen sprechen: Nämlich das Bemühen um ein faires, transparentes und um Kooperation und Schadensbegrenzung bemühtes Verhalten gegenüber jenen Investoren, denen infolge einer beabsichtigten Rechtsänderung gravierende Nachteile drohen. Die Berücksichtigung eines solchen Verhaltens, welches etwa in einer möglichst frühzeitigen Ankündigung geplanter Regulierungsmaßnahmen oder auch durch vorgesehene Übergangsphasen zum Ausdruck kommt873, reduziert nicht nur das eigene Haftungsrisiko.874 Es dient zugleich auch den eigenen, im Ausland investierenden Unternehmen und damit 872  In diesem Sinne auch Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 117 und Hölken, KSzW 2011, S. 192. 873  Siehe auch Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 265, der zur Erzielung eines angemessenen Ausgleichs die Orientierung an der von der OECD erstellten Richtlinien zur Durchsetzung staatlicher Regulierungsinteressen im Bereich der nationalen Sicherheit anregt, siehe OECD, Building Trust and Confidence in International Investment, 2009, Annex, S. 17, abrufbar unter: http: / / www.oecd.org / investment / investment-policy / 42446942. pdf. Diese bestimmen zur Erzielung größtmöglicher Transparenz und Vorhersehbarkeit u. a., dass der Gaststaat den Investor möglichst frühzeitig über geplante Regulierungsmaßnahmen unterrichten und vor Ergreifung der Regulierungsmaßnahme einen Dialog anstreben sollte. 874  Auch Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 217, zeigt sich davon überzeugt, dass solche Vorkehrungen von den Schiedsgerichten berücksichtigt würden.

244 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

den offensiven Interessen der Staaten, indem auch deren Gaststaaten ein Anreiz gesetzt wird, ausländischen Investoren eine solche Behandlung bei der Ergreifung von Regulierungsmaßnahmen zukommen zu lassen. Neben dem dargelegten Trend zur Relativierung und einer Abwägungsmethodik ist auch zu sehen, dass durch die vorangeschrittene Schiedspraxis weitere Gesichtspunkte, im Lichte derer die jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu beleuchten und abzuwägen sind, eine sukzessive Konkretisierung erfahren haben. So ist in zahlreichen Entscheidungen bestätigt worden, dass auch das Investorenverhalten in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Gaststaats in die Beurteilung der Schutzwürdigkeit der Investorenerwartungen einzubeziehen ist. Auch durch diese Festigung der Schiedspraxis, die im abschließenden Kapitel dieses Teil betrachtet wird, kam es zu einer weiteren Einschränkung des Schutzes von Investorenerwartungen. ee) Die weitere Einschränkung legitimer Erwartungen durch die Berücksichtigung des Investorenverhaltens in Anbetracht der jeweiligen Umstände im Gaststaat „Caveat Investor!“, so schloss Muchlinski bereits 2006 in seiner Analyse, welche Berücksichtigung das Investorenverhalten in der Ersten Generation von Entscheidungen zum FET-Standard gefunden hatte.875 Muchlinski beobachtet damals, dass eine ausdrückliche Erörterung der Relevanz des Investorenverhaltens jedenfalls im Kontext des FET-Standards noch recht selten stattfand.876 Gleichwohl erblickte er in den sich damals bereits herausbildenden Fallgruppen den Beginn einer Entwicklung, die zu einer neuen Begrenzung des FET-Standards führen könne, indem sich Gaststaaten in Verteidigung ihrer Regulierungsmaßnahmen auf die einschränkende Berücksichtigung des Investorenverhaltens berufen könnten.877 Muchlinski machte dabei drei wesentliche Verpflichtungen des Investors im Begriff des Entstehens aus: Zunächst eine Verpflichtung, von jeglichem sittenwidrigen und betrügerischem Verhalten abzusehen, insbesondere von der Vorspiegelung falscher Tatsachen und Erteilung falscher Auskünfte in Bezug auf die Investition selbst oder die eigene Kompetenz zu ihrer Durchführung (duty to refrain from unconscionable conduct).878 Daneben 875  Muchlinski,

55 Int. Comp. Law Q. 2006, S. 530, 556 f. Muchlinski, 55 Int. Comp. Law Q. 2006, S. 529, daher auch die Berücksichtigung des Investorenverhaltens in Entscheidungen zu indirekten Enteignungen erkenntnisgewinnend heranziehend. 877  Muchlinski, 55 Int. Comp. Law Q. 2006, S. 530, 556. 878  Muchlinski, 55 Int. Comp. Law Q. 2006, S. 536, verweist hier als leading case auf Robert Azinian, Kenneth Davitian & Ellen Baca vs. United Mexican States, 876  Siehe



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?245

die Verpflichtung, die Investition – nach ihrer initialen Tätigung – in einer angemessenen und vernünftigen Weise zu betreiben (duty to conduct business in a reasonable manner).879 Und schließlich die Verpflichtung, auf welche die Betrachtung hier konzentriert werden kann: Die Verpflichtung des Investors, die Investition auf Grundlage einer angemessenen Risikoeinschätzung zu tätigen (duty to invest with adequate knowledge of risk). D. h., die Verpflichtung, sich über die Risiken der Investition adäquat zu informieren, diese abzuschätzen und sich der potentiellen Fallstricke und Hindernisse für die angestrebte Profitabilität der Investition bewusst zu sein.880 In diesem Fall verteidigt der Staat seine ergriffene Maßnahme nicht damit, dass sie durch das Verhalten des Investors motiviert sei. Der Gaststaat verweist stattdessen auf ein Investorenverhalten, welches keine direkte Kausalverknüpfung zur staatlichen Maßnahme selbst aufweist, jedoch für den infolge der staatlichen Maßnahme geltend gemachten Schaden zumindest mitverantwortlich ist.881 Dem Investor wird insoweit versagt, sich auf seine legitimen Erwartungen zu berufen bzw. Entschädigung in voller Höhe geltend zu machen.882 Ähnlich einer Schadensminderungspflicht, handelt es sich also um ein Verschulden des Investors „gegen sich selbst“, weshalb im Folgenden auch von einer Obliegenheit des Investors gesprochen werden soll.

ICSID Case No. ARB(AF) / 97 / 2, Award, 1.  November 1999, in welchem der Investor eine Konzession zur Abfallbeseitigung auf der Grundlage eines business plan erhalten hatte, in welchem u. a. behauptet wurde, die Investoren verfügten über vierzigjährige Erfahrung im Bereich der Abfallbeseitigung, während tatsächlich allenfalls einer der Investoren – selbst gerade einmal 40 Jahre alt – lediglich über eine vierzehnmonatige Erfahrung verfügte und auch die zur Durchführung der Investition erforderlichen Ressourcen nicht vorhanden waren (a. a. O., Abs. 29). Auch hatten die Investoren nicht offengelegt, dass ein Projektpartner abgesprungen war (a. a. O., Abs. 109 f.); siehe auch Thunderbird vs. Mexico, supra Fn. 548, Abs. 151 ff., wo die Mehrheit des Gerichts dem Investor aufgrund der Übermittlung unzureichender und irreführender Informationen an die staatliche Behörde im Rahmen einer Anfrage (Solicitud) legitime Erwartungen aufgrund der auf diesen Informationen beruhenden behördlichen Stellungnahme (Oficio) absprach. 879  Muchlinski, 55 Int. Comp. Law Q. 2006, S. 547 ff. 880  Muchlinski, 55 Int. Comp. Law Q. 2006, S. 542. 881  Zu dieser Differenzierung auch Muchlinski, 55 Int. Comp. Law Q. 2006, S. 528, in dortiger Fn. 4. 882  Siehe MTD vs. Chile, supra Fn. 471, Abs. 167 ff., wo das Gericht zwar einen FET-Verstoß bejahte, jedoch jedoch die Entschädigungssumme u. a. deshalb um 50 % reduzierte, da der Investor nicht selbstständig prüfen ließ, ob das Projekt am Standort auch wirklich rechtlich durchführbar war, sondern sich auf die selbstdienlichen Aussagen des Grundstückverkäufers verließ, wonach das für landwirtschaftliche Nutzung ausgewiesene Grundstück zur Ermöglichung des städtebaulichen Projekts umgewidmet werden könne (a. a. O., Abs.  167 ff.).

246 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Wie die Betrachtung der weiteren Fortentwicklung der Schiedspraxis seither zeigt, hat die einschränkende Berücksichtigung des Investorenverhaltens in weiteren Entscheidungen Bestätigung und zunehmende Konkretisierung erfahren. Im Rahmen der abwägenden Beurteilung, inwieweit eine Erwartung an rechtliche Stabilität in Anbetracht aller Umstände legitim ist, fand das Investorenverhalten als weiterer Gesichtspunkt Berücksichtigung.883 Wie bereits in früheren Entscheidungen wurde dabei generell betont, dass BITs keine Versicherung gegen unvernünftige Investitionsentscheidungen darstellen.884 Dementsprechend wurde die Schutzwürdigkeit der Investorenerwartungen unter den Vorbehalt gestellt, dass der Investor die gebührende Sorgfalt (due diligence) eines in vernünftiger Weise handelnden Geschäftsmannes walten ließ.885 Dies setzt voraus, dass der Investor seine Investi­ tionsentscheidung auf eine ausreichend gesicherte Grundlage stützt, welche die potentiellen Investitionsrisiken einkalkuliert, die der rechtlichen Durchführbarkeit und der angestrebten Profitabilität der Investition im Wege stehen könnten.886 Dabei muss der Investor damit rechnen, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen zukünftig ändern könnten, wobei mitunter sogar eine Obliegenheit angenommen wurde, die Investition bereits im Hinblick auf nachfolgende Änderungen und entsprechenden Anpassungsbedarf zu strukturieren.887 Ausführlich analysierte und zitierte auch das Gericht in 883  Siehe z. B. Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 124: „Besides […] an objective comparison of the competing interests in context, the conduct of the investor in relation to any undertaking of stability is also, so to speak ‚subjectively‘, relevant.“; Mamidoil vs. Albania, supra Fn. 232, Abs. 634. 884  Siehe z. B. Total vs. Argentina, supra Fn. 279, Abs. 124, unter Verweis auf Emilio Augustín Maffezini vs. The Kingdom of Spain, ICSID Case No. ARB / 97 / 7, Award, 9. November 2000, Abs. 64 und MTD vs. Chile, supra Fn. 471, Abs. 178; El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 401. 885  Parkerings vs. Lithuania, supra Fn. 472, Abs. 333: „The investor will have a right of protection of its legitimate expectations provided it exercised due diligence and that its legitimate expectations were reasonable in light of the circumstances.“; Unglaube vs. Costa Rica, supra Fn. 515, Abs. 258: „As intelligent and experienced investors, Claimants were, of course, required, as part of their due diligence, to become familiar with Costa Rican law and procedure.“; Biwater Gauff vs. Tanzania, supra Fn. 354, Abs. 601; siehe schon MTD vs. Chile, supra Fn. 471, Abs. 167: „This conclusion of the Tribunal [of a breach of FET] does not mean that Chile is responsible for the consequences of unwise business decisions or for the lack of diligence of the investor. The Tribunal will now address the alleged Claimants’ lack of diligence and of prudent business judgment […].“ 886  Lemire vs. Ukraine, Decision on Jurisdiction and Liability, supra Fn. 232, Abs. 285; siehe auch Kinnear, The Continuing Development of FET,  S. 232; zum zentralen Erfordernis einer Machbarkeitsstudie schon Muchlinski, 55 Int. Comp. Law Q. 2006, S. 542. 887  Siehe Parkerings vs. Lithuania, supra Fn. 472, Abs. 333: „Consequently, an investor must anticipate that the circumstances could change, and thus structure its



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?247

Mamidoil vs. Albania die Berücksichtigung des Investorenverhaltens in vorangegangenen Entscheidungen und bestätigte diese: „The Tribunal concurs with these findings. They reflect the specificities of the fair and equitable standard, which protects investors against a certain conduct, namely inacceptable and inappropriate changes of conditions and circumstances by the State. The investor is entitled to rely on the stability and transparency of the legal framework. However, the obligation of the State does not dispense the obligation of the investor to evaluate the circumstances. Reliance has at its prerequisite diligent inquiry and information. The investor has to understand the content and the context of the law and the administrative practice. Put differently, the standard is addressed to both the State and the investor. Fairness and equitableness cannot be established adequately without an adequate and balanced appraisal of both parties’ conduct.“888

Da sich die angemessene Sorgfalt des Investors in Anbetracht der jeweiligen Umstände beurteilt, ist sie eng mit der Berücksichtigung der Umstände im jeweiligen Gaststaat verknüpft.889 Wie die Entwicklung der Schiedspraxis zeigt, hat der absolute Charakter des FET-Standards die Schiedsgerichte nicht davon abgehalten, die jeweiligen wirtschaftlichen und politischen Umstände im Gaststaat regelmäßig zur Beurteilung der Schutzwürdigkeit der Investorenerwartung an stabile Investitionsbedingungen heranzuziehen, wodurch auch die Berücksichtigung solcher Umstände weitere Festigung und Präzisierung erfahren hat.890 Insbesondere wurden der Entwicklungsstand und die Ressourcen des Gaststaats sowie wirtschaftliche Notlagen und politische Instabilität im Gaststaat in die investment in order to adapt it to the potential changes of legal environment.“; siehe auch El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 402, wo das Gericht zugleich zum Ausdruck brachte, dass diese Obliegenheit wiederum nicht grenzenlos ist: „The Tribunal will thus consider whether any of the measures complained of by El Paso can be considered as adopted outside the acceptable margin of change that must be taken into account by any investor and therefore be characterised as unfair and inequitable treatment.“ (Hervorhebung im Original); in diesem Sinne, unter Verweis auf El Paso vs. Argentina auch Philipp Morris vs. Uruguay, supra Fn. 18, Abs. 425, 427. 888  Mamidoil vs. Albania, supra Fn. 232, Abs. 634. 889  Muchlinski, 55 Int. Comp. Law Q. 2006, S. 544 f.; zu dieser Verknüpfung auch Mamidoil vs. Albania, supra Fn. 232, Abs. 622 ff., 630. 890  Siehe z. B. National Grid vs. Argentina, supra Fn. 471, Abs. 180: „What is fair and equitable is not an absolute parameter. What would be unfair and inequitable in normal circumstances may not be so in a situation of an economic and social crisis.“; siehe Kinnear, The Continuing Development of FET, S. 232, 236, fragend, inwieweit dies mit FET-Standard als absolutem Standard vereinbar ist; ­hierzu Potestà, 28 CSID Rev. 2013, S. 118; zur Berücksichtigung der Umstände im Gaststaat in der Schiedspraxis, auch bereits Kriebaum, Law Pract. Int. Court. Trib. 2011, 383.

248 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Betrachtung einbezogen.891 So stellte etwa das Gericht in Duke Energy vs. Ecuador klar: „The assessment of the reasonableness or legitimacy must take into account all circumstances, including not only the facts surrounding the investment, but also the political, socioeconomic, cultural and historical conditions prevailing in the host State.“892

Entsprechend ist in der Schiedspraxis weiter bestätigt worden, dass somit auch der Investor diese Umstände in seine realistische Beurteilung der Machbarkeit und Risikoanfälligkeit des Investitionsvorhabens einzubeziehen hat, um seiner Obliegenheit nachzukommen, nur in adäquater Kenntnis der Risiken des Vorhabens zu investieren.893 So fand in Parkerings vs. Lithuania der Entwicklungsstand des Gaststaats als einer der Umstände des Vertragsabschlusses über die Entwicklung und den Betrieb eines öffentlichen Parksystems in der Stadt Vilnius, einschränkende Berücksichtigung. Vor dem Hintergrund, dass sich Litauen bei Vertragsschluss im Umbruch von einem ehemaligen Sowjetstaat zu einem EU-Beitrittskandidaten befand, schloss das Gericht, dass jeder Geschäftsmann Änderungen der Rechtslage 891  So wurde z.  B. in LG&E vs. Argentina, supra Fn. 274, Abs. 139, berück­ sichtigt, dass die Abschaffung der im argentinischen Gasregime vorgesehenen Inves­ torenrechte durch die wirtschaftliche Notlage Argentiniens motiviert waren und daher ein herabgesetzer Erwartungsmaßstab angelegt, welcher gleichwohl letztlich als verletzt angesehen wurde: „The Tribunal nevertheless recognizes the economic hardships that occurred during this period, and certain political and social realities that at the time may have influenced the Government’s response to the growing economic difficulties. Certainly, LG&E was aware of the risks inherent in investing in a foreign State.“; siehe auch Philipp Morris vs. Uruguay, supra Fn. 18, Abs. 393, 396, wo in anderem Kontext, nämlich bei der Frage, inwieweit Uruguay vor Ergreifung der Regulierungsmaßnahmen selbst zusätzliche wissenschaftliche Studien hätte anstellen müssen, die beschränkten Ressourcen eines Landes wie Uruguay berück­ sichtigt wurden; auch in Oxus Gold vs. Uzbekistan, supra Fn. 369, Abs. 793, wurde der Entwicklungsstand Uzbekistans bei der Beurteilung der bürokratischen Hürden berücksichtigt, denen sich der Investor ausgesetzt sah. 892  Duke Energy vs. Ecuador, supra Fn. 227, Abs. 340; ähnlich auch Toto vs. Lebanon, supra Fn. 669, Abs. 165. 893  So, wenngleich noch zurückhaltend, schon die Beobachtung von Muchlinski, 55 Int. Comp. Law Q. 2006, S. 543 f.: „It would appear that the investor must also take [the overall investment climate in the host country] into account when assessing the viability and profitability of the proposed investment.“; vgl. Kinnear, The Continuing Development of FET, S. 232: „Part of assessing country risk is evaluation of the political and economic stability of the host State.“; siehe z. B. Metalpar vs. Argentina, supra Fn. 788, Abs. 187, wo das Gericht darauf abstellte, dass den Investoren bekannt gewesen sei, in welch schlechter Verfassung sich die argentini­ sche Automobilindustrie seit 1997 befand und in Anbetracht der sich bereits abzeichnenden Krise mit der Ergreifung nachteiliger Maßnahmen zu deren Überwindung gerechnet werden musste.



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?249

als wahrscheinlich habe einkalkulieren müssen.894 Die Umstände des Vertragsschlusses seien gewiss kein Indikator für die Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen gewesen.895 Um vor dem bewusst eingegangen Geschäftsrisiko einer nachteiligen Änderung der Rechtslage geschützt zu sein, habe sich der Investor um eine Stabilisierungsklausel bemühen können, was er im Nachhinein besser habe tun sollen.896 Diese Ausführungen zog das Gericht in Toto vs. Lebanon entsprechend auf die Umstände in den Nachkriegsjahren im Libanon heran und verneinte eine legitime Erwartung, dass es zu keiner Erhöhung der Steuern für bestimmte Produkte, wie Baumaterialien, Zement, Diesel, Stahl kommen würde, welche folglich die Kosten des Investors erhöhten.897 Ähnlich war auch bereits in früheren Entscheidungen einschränkend berücksichtigt worden, dass Investoren im Hinblick auf höhere Gewinnchancen, als sie in einem entwickelten Land zu erzielen wären, ganz bewusst und sehenden Auges das Geschäftsrisiko eingingen, in einem instabilen und risikobehafteten Investitionsumfeld zu investieren.898 Als jüngeres Beispiel berücksichtigte das Gericht in Mamidoil vs. Albania das Albanien – wie es auch dem Investor bewusst war – im Zeitpunkt der Investition erst dabei war die ersten Schritte zu unternehmen, um desaströsen, instabilen und unvorhersehbaren Verhältnissen zu entkommen. „Claimant knew the country well and had managed to establish business relations with the ancien régime. When it decided to invest, it was aware that the country was in a dilapidated situation, with its infrastructure run down and with its legal framework, regulation and independent justice absent and with no stability. As Claimant has stated, ‚[e]ven for a country in transition, the legal framework was 894  Parkerings 895  Ibid.

896  Parkerings

vs. Lithuania, supra Fn. 472, Abs. 335.

vs. Lithuania, supra Fn. 472, Abs. 336. vs. Lebanon, supra Fn. 669, Abs. 245. 898  Siehe schon Generation Ukraine, Inc. vs. Ukraine, ICSID Case No. ARB / 00 / 9, Award, 16. September 2003, Abs. 20.37: „The Claimant was attracted to the Ukraine because of the possibility of earning a rate of return on its capital in significant excess to the other investment opportunities in more developed economies. The Claimant thus invested in the Ukraine on notice of both the prospects and the potential pitfalls.“; Genin vs. Estonia, supra Fn. 479, Abs. 348, wo unabhängig von einzelnen Standards generelle Berücksichtigung fand, dass sich der Investor im Klaren darüber war, dass er in einem Staat investiert hatte, welcher sich in der Übergangsphase zu einer Marktwirktschaft befand: „[T]he Tribunal considers it imperative to recall the particular context in which the dispute arose, namely, that of a renascent independent state, coming rapidly to grips with the reality of modern financial, commercial and banking practices and the emergence of state institutions responsible for overseeing and regulating areas of activity perhaps previously unknown. This is the context in which Claimants knowingly chose to invest in an Estonian financial institution.“ 897  Toto

250 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs exceptionably unstable, unclear and contradictory‘. It was obvious that the country was trying to get on its feet and build the rule of law and democratic institutions. It had made some initial steps to provide an infrastructure that would allow private investors, national as well as international, to pursue structured and sustainable business activities. The Tribunal holds that these circumstances matter. An investor may have been entitled to rely on Albania’s efforts to live up to its obligations under international treaties, but that investor was not entitled to believe that these effort would generate the same results of stability as in Great Britain, USA or Japan.“899

In der Schiedspraxis wurde allerdings nicht nur der Umstand der rückständigen Entwicklung des Gaststaats einschränkend in die Betrachtung einbezogen. So entschied das Gericht in Methanex vs. USA, dass ein Investor gerade auch in einem entwickelten und hochreguliertem Investitionsumfeld das Risiko weiterer regulatorischer Änderungen einkalkulieren müsse.900 Es stellte darauf ab, dass der Bereich der chemischen Zusatzstoffe dafür bekannt, ja berüchtigt war, dass die Verwendung und Auswirkungen von chemischen Zusatzstoffen unter ständiger Aufsicht staatlicher Gesundheitsund Umweltschutzbehörden stand, die ihrerseits unter der wachsamen Beobachtung der Medien, betroffener Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen standen und Verbote und Beschränkungen aus Gründen des Gesundheits- oder Umweltschutzes üblich waren.901 Unter Verweis darauf, dass sich der Investor dieses Regulierungsumfelds bewusst war und sich auch selbst mit Hilfe von Lobbyisten aktiv an diesem beteiligte, verneinte das Gericht ein schutzwürdiges Vertrauen vor Änderungen der Rechtslage verschont zu bleiben.902 Während das Bestehen eines hochregulierten Investitionsumfelds hier im Rahmen des Enteignungsschutzes berücksichtigt wurde, würde dieser Umstand dem Investor in gleicher Weise auch im Rahmen des FET-Standards die Möglichkeit nehmen, eine legitime Erwartung an das Ausbleiben weiterer Regulierungsmaßnahmen zu behaupten. Hierauf wurde auch in jüngeren Entscheidungen zum FET-Standard verwiesen.903 Den Investor trifft hiernach also gerade auch in einem solchen Investitionsumfeld die Obliegenheit, das Risiko einer regulatorischer Änderungen realistisch einzukalkulieren904, 899  Mamidoil

vs. Albania, supra Fn. 232, Abs. 625 f. (Fußnote entfernt). vs. USA, supra Fn. 371, Part IV, chapter D, Abs. 9. 901  Methanex vs. USA, supra Fn. 371, Part IV, chapter D, Abs. 9. 902  Methanex vs. USA, supra Fn. 371, Part IV, chapter D, Abs. 10. 903  El Paso vs. Argentina, supra Fn. 290, Abs. 361; Philipp Morris vs. Uruguay, supra Fn. 18, Abs. 427, 430; zur Übertragbarkeit der Erwägungen schon Muchlinski, 55 Int. Comp. Law Q. 2006, S. 529; diese gar nicht erst thematisierend, sondern stillschweigend annehmend, auch UNCTAD, FET, S. 71. 904  Vgl. Kinnear, The Continuing Development of FET,  S. 233; UNCTAD, FET, S. 71; siehe schon Muchlinski, 55 Int. Comp. Law Q. 2006, S. 547, 550 ff., hier 900  Methanex



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?251

wodurch es zu einer weiteren Reduzierung des staatlichen Haftungsrisikos kommt. 5. Schlussfolgerungen aus der Fortentwicklung der Schiedspraxis zu FET Wie die Betrachtung der Entwicklung der Investitionsrechtsprechung zum FET-Standard zeigte, waren die Befürchtungen, der unbestimmte FETStandard könnte aufgrund seiner Unbestimmtheit in den Händen der Schiedsgerichte eine immer expansivere Auslegung erfahren, wodurch Regulierungsinteressen zur Verfolgung legitimer Gemeinwohlziele zunehmend eingeschränkt würden, keineswegs aus der Luft gegriffen. Die rasante Fortentwicklung und Popularität des FET-Standards, besonders weitreichende Formulierungen zur Anerkennung eines Schutzes legitimer Investorenerwartungen und erst recht die Annahme einer Verpflichtung zur Gewährleistung der Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen, boten durchaus berechtigten Anlass zu der Sorge, künftig könnte es bereits als unfaire Behandlung des Investors angesehen werden, wenn die bestehende Rechtslage etwa durch verschärfte Umwelt- und Gesundheitsschutzbestimmungen zum Nachteil des Investors verändert wird. Entgegen verbreiteter Behauptungen ist heute jedoch eine einseitig investorenfreundliche und immer expansivere Interpretation des FET-Standards mit der Folge eines zunehmenden Haftungsrisikos der Gaststaaten nicht auszumachen. Ganz im Gegenteil offenbart die jüngere Schiedspraxis einen klaren und eindeutigen Trend zur Einschränkung des Investorenschutzes unter dem FET-Standard.905 Diese Entwicklung zeigt sich generell an einer hohen Eingriffsschwelle, die für einen FET-Verstoß angesetzt wird sowie in einer stärkeren Betonung staatlicher Regulierungsinteressen. Deutlich lässt sich diese Entwicklung aber auch im Einzelnen anhand der unter den FET-Standard gefassten Einzelverpflichtungen nachweisen, die eine zunehmende Konkretisierung und Einschränkung erfahren haben.

betrachtet im Rahmen der nach der initialen Riskobewertung fortbestehenden duty to conduct business in a reasonable manner, siehe aber auch bereits im Rahmen der Obliegenheit zur Risikoeinschätzung vor der Investition, a. a. O., S. 546 und dortige Fn. 75. 905  In diesem Sinne auch Nettesheim, Die Auswirkungen von CETA auf den politischen Gestaltungsspielraum von Ländern und Gemeinden, S. 19, was zeige, dass in der Kritik am FET-Standard vielfach nicht unterschieden wird zwischen den Behauptungen der Kläger und dem, was das Schiedsgericht entschieden hat.

252 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Dies verdeutlichte sich zunächst in der Betrachtung der Schiedspraxis zum Schutz des Investors vor willkürlichen Maßnahmen. Hier maßten sich die Schiedsgerichte bei der Prüfung der Legitimität der ergriffenen Maßnahmen nicht etwa an, die Willkürprüfung in eine strenge Erforderlichkeitsprüfung umzufunktionieren, wie sie zwar im Investoreninteresse läge, jedoch in den Investitionsschutzabkommen gerade nicht vorgesehen ist. Stattdessen konzentrierten sie sich in erster Linie auf das Vorliegen von Anhaltspunkten, die gegen die Ergreifung der Regulierungsmaßnahme auf Grundlage eines ordnungsgemäßen und rationalen Entscheidungsfindungsprozesses im Hinblick auf ein legitimes Politikziel sprechen und räumten den Gaststaaten weite Entscheidungsprärogativen ein. Hiernach besteht wenig Anlass zur Befürchtung, in gutem Glauben erlassenen Maßnahmen könnte deshalb die Legitimität abgesprochen werden, da ein Schiedsgericht eine bestimmte Alternativmaßnahme als milderes Mittel einschätzt oder auch wissenschaftliche Zweifel hinsichtlich der Notwendigkeit einer vorsorgenden Regulierung zum Ausschluss möglicher Gesundheits- oder Umweltschutzrisiken fortbestehen. Vielmehr wurde erwogen, ob nicht eine Prüfung, die sich nicht mit dem Vorliegen eines prozessual ordnungsgemäßen Entscheidungsprozesses begnügt, sondern als Indikatoren zur Aufdeckung illegitimer Motive auch inhaltliche Aspekte, wie etwa das Vorliegen offensichtlich milderer Alternativen oder auch die positiven Auswirkungen der Maßnahme für einheimische Investoren in den Blick nimmt, geeigneter erscheint, einen wirklichen Ausgleich zwischen Regulierungsfreiheit und effektivem Investorenschutz zu erzielen. Ein solcher Ansatz, der sich gerade in jenen Entscheidungen findet, in welchen die staatliche Regulierungsfreiheit besondere Betonung fand, dient nicht nur defensiven Regulierungsinteressen. Er trägt zugleich den Befürchtungen der Investoren Rechnung, im Falle einer zu weitgehenden Zurückhaltung bei der Überprüfung regulierender Maßnahmen Beeinträchtigungen unter dem Deckmantel des Gemeinwohls ausgesetzt zu sein und mag daher als ein Beitrag zu einem Ausgleich erachtet werden. Ein sehr deutlicher Trend zur Relativierung des Investorenschutzes war aber vor allem bei der Betrachtung der Fortentwicklung der Schiedspraxis zum Schutz legitimer Investorenerwartungen auszumachen. Während infolge der Anerkennung des Schutzes legitimer Erwartungen unter dem FETStandard Befürchtungen aufkamen, subjektiv übersteigerte Erwartungen könnten zukünftig über eine Haftung des Staats entscheiden, hat sich der Fokus der Schiedspraxis zu der Frage hin verschoben, unter welchen einschränkenden Voraussetzungen Investorenerwartungen als schützenswert anzuerkennen sind. Hierdurch hat der Schutz legitimer Erwartungen einen erheblichen Schritt weg von einem diffusen und potentiell uferlosen Konzept und hin zu seiner differenzierteren und restriktiveren Anwendung gemacht.906



II. FET als Hemmnis für die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen?253

Entgegen hartnäckiger Befürchtungen, Gaststaaten liefen Gefahr, sich allein durch Gesetzesänderungen, die zu verringerten Gewinneinnahmen des Investors führen, einer Schadensersatzpflicht ausgesetzt zu sehen, ist heute eine gefestigte Schiedspraxis auszumachen, wonach kein Investor darauf vertrauen darf, die im Zeitpunkt der Investition bestehende Rechtslage werde sich nicht zu seinem Nachteil verändern, es sei denn, eben dies ist ihm in einer spezifischen Zusicherung zugesichert worden. Der Schutz legitimer Erwartungen erfährt durch dieses Erfordernis eine signifikante und effektive Einschränkung zugunsten eines grundsätzlich weiten Regulierungsfreiraums.907 Dies, obgleich kritische Stimmen zutreffend darauf hinweisen, dass keine einheitliche Definition einer spezifischen Zusicherung existiert und eine solche in einzelnen Entscheidungen auch infolge genereller Bestimmungen angenommen wurde. Anhand dieser Entscheidungen ist indes nicht zu folgern, Gaststaaten liefen Gefahr, allein aus der im Zeitpunkt der Investition bestehenden Rechtslage könnte ohne weiteres eine spezifische Zusicherung hergeleitet werden. Statt die ihnen vorgeworfenen offenkundige Bereitwilligkeit zu offenbaren, spezifische Zusicherungen auch aufgrund genereller Bestimmungen anzunehmen, verdeutlicht sich in der Relativierung, die eine Verpflichtung zur Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen erfahren hat, vielmehr eine Distanzierung und Kurskorrektur der Schiedsgerichte gegenüber einem zu weitgehenden Verständnis dieser Verpflichtung in früheren Entscheidungen. Aus ihr folgt keine Verpflichtung zur Unveränderlichkeit der bestehenden Investitionsbedingungen im Sinne einer Stabilisierungsklausel, weshalb sie keine entsprechende spezifische Zusicherung ersetzt. Die Erfolgsaussichten einer Klage, in welcher sich der Investor allein aufgrund der bestehenden Rechtslage auf deren unveränderte Fortgeltung beruft, sind hiernach als gering einzuschätzen.908 906  Zu dieser Einschätzung gelangt auch Potestà, 28 ICSID Rev. 2013, S. 122; auch Tietje, Int. Investitionsschutzrecht im Spannungsverhältnis, S. 12 f., beobachtete bereits anhand der bis damals ergangenen Entscheidungen, dass die Schiedspraxis gegenüber den ersten Entscheidungen, die durch einen uferlosen Reichweite des FET-Standards den Eindruck erweckten, Investoren seien letztlich vor jeglichem wirtschaftlichen Risiko geschützt, zwischenzeitlich ausgewogener seien. 907  Zu dieser Entwicklung auch Schill, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 257, der bereits in Glamis Gold vs. USA die Forsetzung eines allgemeinen Trends der Schiedsspraxis erblickte, Staaten ohne einen Investor-Staat-Vertrag oder eine spezifische Zusicherung zum Zwecke des Investitionsanreizes einen weiten Spielraum zur Regulierung im Gemeinwohlinteresse einzuräumen; Brower / Schill, 9 Chicago Journal of International Law, 2009, S. 483 ff.; diese Entwicklung anhand der bis Ende 2007 bekannten Entscheidungen kritisch beobachtend auch bereits von Walter, FET und der Schutz berechtigter Erwartungen, S. 209. 908  In diesem Sinne auch Téllez, 12 ICSID Rev. 2012, S. 441.

254 B. Entwicklung der Schiedspraxis als Ausdruck wirksamen Widerspruchs

Das Erfordernis einer spezifischen Zusicherung bedeutet indes nicht, dass ohne spezifische Zusicherung jegliche Erwartung des Investors hinsichtlich des Schutzes vor zukünftigen Rechtsänderungen verneint würde. Unabhängig von einer spezifischen Zusicherung wurde Investoren ein gewisser Schutz zuerkannt, insbesondere vor diskriminierenden und unverhältnismäßigen Änderungen der bestehenden Rechtslage. Dabei sind die unterschiedlichen Kriterien weniger Ausdruck bestehender Inkonsistenz, als vielmehr der sukzessiven Herausbildung einer Abwägungsmethodik unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Diese bietet – wenn auch um den Preis einer gewissen Unbestimmtheit – die nötige Flexibilität, um auch im Einzelfall einen angemessenen Ausgleich zwischen defensiven Regulierungsinteressen und offensiven Investoreninteressen zu erzielen. Eine Konkretisierung und größere Vorhersehbarkeit hat dieser Abwägungsvorgang dabei durch die weitere Festigung der ebenfalls einschränkenden Berücksichtigung des jeweiligen Entwicklungsstands und der Umstände im Gaststaat sowie das jeweilige Investorenverhalten in Anbetracht dieser Umstände erfahren.

C. Konsequenzen für die vertragliche Verankerung eines Ausgleichs Im dritten Teil dieser Arbeit ist ausgehend von der zusammenfassenden Beobachtung, dass der massive Widerspruch gegen eine immer expansivere Anerkennung von Investorenrechten nicht ohne Folgen geblieben ist, sondern eine Kurskorrektur in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit bewirkt hat (I.), anhand der gewonnenen Erkenntnisse, die Frage nach den Konsequenzen dieser Entwicklung für die Vertragsgestaltung zur Erzielung eines Ausgleichs zu beantworten. So zunächst in Bezug auf die Frage, ob hiernach überhaupt ein ausreichender Handlungsbedarf besteht einen Ausgleich in einem Abkommenstext zu verankern, zumal in Anbetracht der potentiellen Nachteile und Argumente, welche hiergegen sprechen könnten und die es zu bedenken gilt (II.). Warum diese Nachteile und Argumente aber angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre und in der gegenwärtigen Situation heute nicht mehr verfangen und ein Untätigbleiben statt der vertraglichen Fixierung und Präzisierung eines Ausgleich keine Option ist, wird anschließend dargelegt (III.)

I. Die beobachtete Entwicklung als Ausdruck eines wirksamen Widerspruchs Wie die vorangegangene Betrachtung der Schiedspraxis zum Schutz vor indirekter Enteignung und zum FET-Standard belegt, ist der anhaltende, massive und vielfältige Widerspruch gegen eine als zu weitgehend erachtete Anerkennung von Investorenrechten zu Lasten legitimer staatlicher Regulierungsinteressen in der Investitionsrechtsprechung angekommen und hier keineswegs ungehört verhallt. Dieser Widerspruch hat vielmehr zu einer erhöhten Empfänglichkeit der Schiedsgerichte geführt, der verbreiteten Besorgnis um eine unangemessene Einschränkung legitimer Regulierungsinteressen infolge einer immer expansiveren und uferlosen Auslegung dieser Standards zu begegnen.909 Eine Kurskorrektur hat eingesetzt. 909  Auch Martinez, Invoking State Defenses in Investment Treaty Arbitration, S. 336 f., gelangte bereits unter Verweis auf die Entscheidungen Methanex vs. United States, Saluka vs. Czech Republic und Parkerings vs. Lithuania zu der Einschätzung, dass Schiedsgerichte in den letzten Jahren für die Berufung des Staats auf eine legitime Ausübung staatlicher Souveränität empfänglicher geworden sind, worin auch

256

C. Konsequenzen für die vertragliche Verankerung eines Ausgleichs

Hat der massive Widerspruch also bereits das bewirkt, was man durch neue vertragliche Regelungen zur Stärkung des right to regulate zu erreichen bezweckt? Eine Aussage darüber, ob die stärkere Betonung einer notwendigen Berücksichtigung der Regulierungsfreiheit auch dazu geführt hat, dass dieser dann stets auch in jedem Einzelfall in ausreichendem und angemessenem Maße Rechnung getragen wurde, kann und soll schon aufgrund ihrer Abhängigkeit von dem jeweiligen Verständis eines angemessenen Ausgleichs nicht getroffen werden.910 Entscheidungen wie Clayton / Bilcon vs. Canada, in welcher das Gericht in Anbetracht der verbreiteten Sorge um eine unbillige Einschränkung umweltrechtlicher Regulierung klarstellend zur Regulierungsfreiheit ausführte und gleichwohl mehrheitlich zugunsten des Investors er eine Antwort auf die Bedenken jener erblickte, wonach die Schiedspraxis staat­ licher Souveränität nicht ausreichend Rechnung tragen würde. Auch Martinez führte diesen Trend auf die Rückzugstendenzen und Reaktionen der Staaten gegenüber der Schiedspraxis zurück: „State defenses are increasingly upheld by investment treaty tribunals. This last trend arguably indicates that investment treaty tribunals are more willing to consider the specific circumstances by states and less receptive to the plight of investors. This is arguably a symptom of the backlash against investment arbitration.“ Wie gezeigt, bestätigen seither zahlreiche weitere Entscheidungen diesen Zusammenhang; siehe auch bereits zum Schutz vor indirekter Enteignung Ratner, 102 Am. J. Int. Law 2008, S. 153 f. supra Fn. 429; ähnlich machte auch Schreuer, 6 J. World Invest. Trade 2010, S. 3 f., aufgrund der bis zum damaligen Zeitpunkt bereits zu beobachtenden Entwicklung der Schiedspraxis, eine höhere Empfänglichkeit für staatlichen Regulierungsinteressen und die gegenüber der Schiedsgerichtsbarkeit bestehenden Bedenken sowie eine vorsichtigere Haltung der Schiedsgerichte aus und erblickte hierin eine Reaktion zur Abkehr eines Rückzugs von der Schiedsgerichtsbarkeit: „My impression is that tribunals have understood the signs of the time and have become relatively cautious, certainly more cautious than initially. […] All of this, I believe, is a reaction to growing concerns and is designed consciously or unconsciously to prevent a backlash against investment arbitration.“; siehe zu FET auch bereits Yannaca-Small, FET-Standard, S. 126 f.: „For those who are concerned about possible abusive claims by investors of violation of their legitimate expectations and, consequently, the potential for abusive interpretation by tribunals ‒ which might have a chilling effect on the governments’ exercise of regulatory power ‒ it is worth looking at the balanced, proportionate positions taken by some recent tribunals which accompanied their interpretation with a proportionate clarification.“; siehe auch Muchlinski, 55 Int. Comp. Law Q. 2006, S. 528, der hinsichtlich der Bedenken wegen zu weitgehender Investorenerwartungen bereits aufgrund der bis Mitte 2006 ergangenen Entscheidungen zu dem Schluss gelangte: „[S]uch concerns have not gone unheeded before international investment tribunals.“ Wie gezeigt, wurde diese Beobachtung in zahlreichen Entscheidungen bestätigt. 910  Auch unter Aufgabe der in dieser Arbeit gebotenen Neutralität zur Frage, worin ein angemessener Ausgleich zu erblicken ist, würde die Beantwortung die rechtliche Würdigung der Sachverhalte der Entscheidungen anhand dieses Verständnisses erfordern.



I. Beobachtete Entwicklung als Ausdruck eines wirksamen Widerspruchs257

entschied911 und die Dissenting opinion von Professor McRae, der in der Mehrheitsentscheidung eine für viele beunruhigende Entscheidung und „a  remarkable step backwards in environmental protection“ erblickte912, verdeutlichen zweierlei: Zum einen, dass es auch zukünftig weiterhin Entscheidungen geben wird, in welchen man trefflich darüber streiten können wird, ob ein angemessener Ausgleich zwischen Investoreninteressen und staat­licher Gemeinwohlregulierung in der Entscheidung des Einzelfalls erzielt wurde. Zum anderen verdeutlichen sie, wozu die stärkere Betonung des right to regulate jedenfalls nicht geführt hat: Sie hat Schiedsgerichte nicht davon abgehalten, auch zu Lasten des regulierenden Staats zu entscheiden.913 Hieraus ist jedoch nicht auf ein bloßes Lippenbekenntnis der Schiedsgerichte zu schließen.914 Ein automatischer Vorrang staatlicher Regulierungsinteressen entspräche zwar dem Interesse eines allein um seine defensiven Interessen besorgten Staats, wäre jedoch kaum der Ausgleich, welcher den Herausforderungen jener Staaten gerecht wird, die zugleich auch ihr offensives Mandat verfolgen müssen. Gleichwohl lässt die dargelegte Entwicklung der Schiedspraxis die Einschätzung zu, dass Staaten, die in gutem Glauben eine Regulierungsmaßnahme zur Verfolgung eines legitimen Gemeinwohlziels, wie insbesondere dem Umwelt- oder Gesundheitsschutz ergreifen, weitaus weniger um eine Entschädigungspflicht besorgt sein müssen, als hierzu noch vor einigen Jahren berechtigterer Anlass bestand und es häufig dargestellt wird.915 911  Clayton / Bilcon vs. Canada, supra Fn. 584, Abs. 595 ff., u.a betonend, dass es dem Gesetzgeber beispielsweise auch unbenommen gewesen wäre vorzusehen, dass in einem lokalen Referendum über die Fortführung des Projekts zu entscheiden ist. 912  Clayton / Bilcon vs. Canada, Dissenting Opinion Prof. McRae, supra Fn. 584, Abs. 51. 913  Siehe auch Titi, Right to Regulate, S. 288 f., in dortiger Fn. 1576 auf Entscheidungen verweisend, in welchen trotz der Betonung des Regulierungsinteresses eine indirekte Enteignung oder ein FET-Verstoß bejaht wurde. 914  Vgl. aber Titi, Right to Regulate, S. 289, siehe hierzu schon bei supra Fn. 726. 915  Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangten auch bereits Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 62, insbesondere bezogen auf Gesundheits- und Umweltschutzmaßnahmen: „[A] state’s ability to engage in good faith environmental and health regulation does not appear to be significantly impeded by international investment law. […] States that conduct their regulatory affairs in a transparent, factdriven manner with the aim of fulfilling legitimate environmental and health objectives should have little cause to worry about liability under investment treaties.“; siehe auch a. a. O., S. 65; in diesem Sinne auch Vandevelde, 17 Sw. J. Int. Law, S. 313: „For the most part, host states that honor their commitments, that refrain from the complete destruction of the value of investment, that act on the basis of legitimate policy concerns rather than animus against foreign investors, and that deal candidly with investors have had little to fear from arbitral awards.“; in Bezug auf den FETStandard siehe auch Dolzer / Schreuer, Principles of IIL, S. 160: „[T]he standard of

258

C. Konsequenzen für die vertragliche Verankerung eines Ausgleichs

Mit der heute verbreiteten Heranziehung eines Abwägungsansatzes unter Betonung des Rechts zur Regulierung sowie der sukzessiven Konkretisierung weiterer relativierender Umstände, wie dem Investorenverhalten und den Umständen im Gaststaat, hat die Investitionsrechtsprechung eine deutliche Fortentwicklung hin zu einer ausgewogeneren Anwendung des vertraglich eingeräumten Investorenschutzes genommen. Eine Entwicklung, in deren Anfängen man sich bereits erhofft hatte, sie werde der Kritik begegnen können, wonach das internationale Investitionsrecht einseitig auf den Schutz von Investoren ausgerichtet sei.916 Dies lässt den Schluss zu, dass der Widerspruch gegen eine beklagte Fehlentwicklung des Investitionsrechts in Bezug auf den Schutz vor indirekten Enteignungen und den FET-Standard in beachtlichem Umfang bereits das erreicht hat, was mit einer Präzisierung und Rekalibrierung der Abkommenstexte – selbst deutlicher Ausdruck dieses Widerspruchs – bezweckt wird.

II. Konsequenzen und Handlungsbedarf angesichts befürchteter Nachteile der vertraglichen Rekalibrierung? Welche Konsequenzen sind aus diesem Befund für die Vertragsgestaltung zu ziehen? Zahlreiche Fragen stellen sich: Besteht hiernach überhaupt ein ausreichender Handlungsbedarf, das Haftungsrisiko aufgrund der Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen zu reduzieren, der es rechtfertigt, die mögliche Nachteile und befürchteten Risiken einer Anpassung der Abkommenstexte in Kauf zu nehmen? Ist es gleichwohl angeraten, spezielle Regelungen und Ausnahmen zur Sicherstellung der Regulierungsinteressen vertraglich zu verankern, trotz der Befürchtungen, sie könnten den eigenen im Ausland investierenden Unternehmen auf die Füße fallen917 und obgleich auch die fair and equitable treatment will […] leave a measure for governmental space for regulation. Presumably, the degree of freedom generally considered in appropriate in domestic legal orders will not be affected.“; Brower / Schill, 9 Chicago Journal of International Law, 2009, S. 487 ff.; siehe auch Dralle, FET am Beispiel des Schiedsspruchs Glamis Gold, S. 28; zur Empfänglichkeit der Schiedsge­richte umwelt­ rechtlichen Aspekten Rechnung zu tragen, auch Crawford, International Protection of Foreign Direct Investments, S. 27, wenngleich einzelne frühe Entscheidungen, wie etwa Metalclad vs. Mexico, jedenfalls den Eindruck vermitteln könnten, die Gerichte seien nicht bereit gewesen, Umweltschutzzielen Rechung zu tragen. 916  Hierzu Spears, 13 J. Int. Econ. Law 2010, S. 1071 sowie zum FET-Standard Kläger, FET, S. 164; Griebel, Internationales Investitionsrecht, S. 73 und YannacaSmall, FET-Standard, S. 126 f. 917  Vgl. Beechey / Crocket, New Generation of Bilateral Investment Treaties, S. 25, die den Schluss zogen: „[T]he major capital-exporting countries of Europe […] have little reason to fear a plethora of claims against them. Such States have



II. Handlungsbedarf trotz befürchteter Nachteile?259

Möglichkeit gesehen wird, sie könnten gar zu einer weitergehenden Einschränkung staatlicher Regulierungsfreiheit führen, als sie Gaststaaten bisher zuerkannt wird?918 Wird hierdurch nicht unnötigerweise ein mögliches Signal eines reduzierten Investorenschutzes an potentielle Investoren gesendet und als Gaststaat ein relativer Nachteil im Wettbewerb um ausländische Investoren gegenüber untätigen Staaten riskiert?919 Werden durch eine Präzisierung der unbestimmten Standards zu mehr rule ohne Not die Vorteile vertraglicher Unbestimmtheit geopfert?920 Zu all diesen möglichen Nachteilen und Befürchtungen kommt schließlich noch ein weiterer Aspekt hinzu, der gegen die vertragliche Verankerung eines Ausgleichs sprechen könnte: Die vertragliche Neugestaltung und Anpassung der Abkommenstexte bezweckt zwar eine konsistentere und vorhersehbarere Schiedspraxis im Spannungsfeld zwischen Investorenschutz und Regulierungsfreiheit, doch durch die so geschaffene Neue Generation von Investitionsschutzabkommen wird zunächst keine einheitliche und homogene Entscheidungsgrundlage entstehen. Infolge der unterschiedlichen Ansätze zur Erzielung des als angemessen erachteten Ausgleichs kommt es vielmehr zu einer Zersplitterung der Entscheidungsgrundlagen, die sich als Hindernis für eine einheitlichere Schiedspraxis erweisen könnte. Denn neben dem Umstand, dass die neuen Normierungen ihrerseits auslegungsbedürftig sind und eine potentielle Quelle divergierender Schiedsentscheidungen darstellen921, kommt hinzu, dass die unterschiedlichen Abkommenstexte zwar zu individuell präzisierten Abkommen führen mögen, in ihrem Verhältnis zueinander aber zu neuen Abgrenzungsfragen und einem insgesamt undurchschaubareren Investitionsschutzsystem führen könnten.922 Gewiss, die unpräzisierten Abkommenstexte der scant incentive to dilute the protections contained in their treaties by the introduction of provisions directed specifically to environmental or social concerns or of other language narrowing the scope of key obligations in favor of host-State regulatory discretion.“ 918  Zu diesen Erwägungen und Befürchtungen siehe unter D.I.2 und D.III.2. 919  Zu den Bedenken, die viele Staaten noch zu einem „wait and see“ veranlassen, UNCTAD, WIR 2014, S. 126. 920  Siehe A.III.1. sowie A.IV.2.a). 921  Auf diesen möglichen Einwand gegen eine Normierung hinweisend auch Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 258. 922  Zu den Bedenken, dass die Ungewissheit über den Inhalt neuer Abkommen und neuer Ansätze zu einer noch weiteren Komplexität und Unsicherheit führen könnten auch UNCTAD, WIR 2014, S. 126; zum Trend immer komplexerer, detaillierterer und vielfältigerer Abkommenstexte, die zwar die Möglichkeit bieten, die jeweiligen Umstände und Interessenslagen der Vertragsstaaten individueller zu berücksichtigen, aber zugleich das Risiko erhöhen, dass es zu Widersprüchen und ei-

260

C. Konsequenzen für die vertragliche Verankerung eines Ausgleichs

Alten Generation mit ihrer Unbestimmtheit und Weite widersprachen erst recht jeglicher Einheitlichkeit. Doch war es gerade diese textliche Unbestimmtheit, die notgedrungen dazu zwang, den Inhalt der Standards nicht anhand des vagen und unbestimmten Vertragstexts, sondern unter Berücksichtigung der Entscheidungen anderer Schiedsgerichte herauszuarbeiten, was letztlich zu der zunehmenden Vereinheitlichung und Konkretisierung der Standards beitrug.923 So könnte man argwöhnen, dass diese übliche Praxis der Schiedsgerichte, die großen Anteil an der bereits erreichten Einheitlichkeit der Rechtsprechung trägt, durch die unterschiedlichen Ansätze erschwert wird und eine noch weitergehende Konkretisierung und Vereinheitlichung durch die Schiedspraxis selbst verzögert werden könnte.924 Denn bevor die Erwägungen einer anderen Entscheidung zur Begründung der eigenen Entscheidung übertragen werden können, wäre neben der Vergleichbarkeit der Sachverhalte auch danach zu fragen, ob die unterschiedlichen Ansätze der Abkommenstexte zur Erzielung eines als angemessenen Ausgleichs diese Übertragung zulassen. Schließlich wirft die Umgestaltung der Standards zur Stärkung der Regulierungsfreiheit die Frage auf, was dies für die fortbestehenden Abkommen bedeutet, welche diese Regelungen nicht enthalten.925 Während die genannten Bedenken umso weiter in den Hintergrund treten und desto mehr in Kauf zu nehmen wären, je höher das Haftungsrisiko für staatliche Gemeinwohlregulierung ohne ein Tätigwerden im Wege der Vertragsgestaltung einzuschätzen ist, könnten sie angesichts der beobachteten stärkeren Betonung der Regulierungsinteressen auch bereits ohne spezielle Präzisierungen und ausdrückliche Regulierungstatbestände, mehr Raum beanspruchen. Gleichwohl sprechen – wie sogleich zu zeigen ist – die weitaus besseren Argumente dafür, Regulierungsinteressen im Vertragstext zu verannem immer undurchsichtigeren Investitionsschutzsystem kommt, bereits UNCTAD, Int. Investment Rule-Making, S. 28 ff., 61 f., insbesondere auch zum gestiegenen Risko, dass es zu Inkonsistenzen innerhalb des IIA-Netzes eines Staats kommt, der – mangels ausreichender Verhandlungsmacht stets die gleichen Vertragsbestimmungen durchzusetzen – Vertragspartei unterschiedlicher Vertragsbestimmungen ist (a. a. O., S.  55 f.). 923  Siehe hierzu unter A.III.2. 924  Zu den Gründen, die trotz der großen Zahl an Abkommenstexten zu einer beachtlichen Harmonisierung der Schutzstandards geführt haben, siehe auch Asteriti, Environmental Language in Investment Treaties, S. 125 f. 925  Siehe z. B. die Argumentation von Philipp Morris in Philipp Morris vs. Uruguay, supra  Fn. 18, Abs. 184, die sich darauf stützte, dass der einschlägige BIT zwischen der Schweiz und Uruguay im Gegensatz zum BIT zwischen Uruguay und den USA beim Enteignungsschutz keine Ausnahmeregelungen und carve-outs für Regulierungsmaßnahmen vorsieht; zu dieser Frage siehe auch Dugan / Wallace / Rubins / Sabahi, Investor-State Arbitration, S. 488, zum US-Model BIT (2004).



III. Warum ein Untätigbleiben keine Option ist261

kern. Durch vertragliche Präzisierungen oder sogar ausdrückliche Regulierungsausnahmen sollte den Schiedsgerichten klarer und bestimmter vorgegeben werden, auf welche Weise Regulierungsinteressen in der Entscheidung des Einzelfalls Rechnung zu tragen ist, um den für angemessen erachteten Ausgleich zu erzielen. Hierzu steht den Staaten ein Spektrum an Optionen zur Verfügung. Ein Untätigbleiben sollte hingegen als Option ausscheiden.

III. Warum ein Untätigbleiben keine Option ist Wenngleich der Widerspruch gegen eine expansive Auslegung des Enteignungs- und des FET-Standards Wirkung gezeigt hat und die Schiedspraxis insoweit heute eine Konsistenz aufweist, die man angesichts des jungen Rechtsgebiets des Investitionsrechts mit Recht als bemerkenswert bezeichnen kann926, so besteht doch Unsicherheit fort, inwieweit das jeweils zur Streitentscheidung berufene Schiedsgericht letztlich gewillt sein wird, Regulierungsinteressen – zumal in dem für ausreichend erachteten Maße – Rechnung zu tragen. Dies spricht für eine Verankerung des Regulierungsinteresses im Vertragstext. So wurde bereits im Kontext des Schutzes vor indirekten Enteignungen festgehalten, dass heute zwar ein klarer Trend zur Heranziehung eines abwägenden und „gemäßigten“ police power-Verständnisses zu verzeichnen ist, damit aber gleichwohl nicht garantiert ist, dass ein Schiedsgericht diesem Ansatz folgen wird. Ohne eine vertragliche Präzisierung bleibt dies eine Entscheidung, die allein im Ermessen des jeweiligen Schiedsgerichts liegt. Insoweit wurde ein fortbestehender Präzisierungsbedarf identifiziert, um das schiedsrichterliche Ermessen hinsichtlich der Entscheidung zu reduzieren, inwieweit staatliche Regulierungsinteressen zu berücksichtigen sind oder ihnen – im Sinne eines „radikalen“ police power-Ansatzes – sogar der Vorrang einzuräumen ist.927 Ähnlich wird auch durch die Relativierung des Investorenschutzes unter dem FET-Standard infolge der Herausbildung eines Abwägungsansatzes, das Bedürfnis vertraglicher Präzisierung oder ausdrücklicher Regulierungsausnahmen in Frage gestellt.928 Doch auch hier erscheint eine ausdrückliche Betonung staatlicher Regulierungsinteressen angezeigt, da weiterhin keine verlässliche Rechtsicherheit besteht, in welchem Maße Schiedsrichter ohne 926  Asteriti,

Environmental Language in Investment Treaties, S. 126. unter B.I.3. 928  Vgl. Alvarez, The Public International Law Regime Governing Investment, S. 325; Yannaca-Small, FET-Standard, S. 126 f.; siehe auch Titi, Right to Regulate, S. 145, jedoch ausdrücklich betonend, dass Ausnahmen hierdurch nur zu einem gewissen Teil entbehrlich würden. 927  Siehe

262

C. Konsequenzen für die vertragliche Verankerung eines Ausgleichs

vertragliche Vorkehrungen bereit sein werden, Regulierungsinteressen zu berücksichtigen929 und es auch Schiedsrichter gibt, denen jedenfalls ihr Ruf, für staatliche Regulierungsinteressen empfänglich zu sein, mehr vorauseilt als anderen.930 Während die vorstehenden Argumente aus dem Grund der weiteren Reduzierung des staatlichen Haftungsrisikos für die ausdrückliche Normierung eines Ausgleichs streiten, spricht hierfür – unabhängig von der Höhe des heute tatsächlich bestehenden Haftungsrisikos – noch ein weiterer Punkt: Auch wenn das Risiko des Staats, infolge legitimer Gemeinwohlregulierung zum Schadensersatz verpflichtet zu werden, heute bereits geringer ist, als es in der öffentlichen Debatte häufig dargestellt wird, so beruht das tiefe Misstrauen gegenüber einem Sonderklagerecht ausländischer Investoren außerhalb nationaler Gerichte, weiterhin auf der Wahrnehmung einer 929  Auch Martinez, Invoking State Defenses in Investment Treaty Arbitration, S. 336, gelangt im Sinne der Saluka-Entscheidung zu dem Schluss, dass mangels präziser Klärung, welche Maßnahmen letztlich zulässig sind, die Anerkennung der Berufung auf eine legitime Ausübung staatlicher Souveränität in gewissem Maße ermessensabhängig und unvorhersehbar ist; zu diesem Schluss gelangt auch Titi, Right to Regulate, S. 288 f., 294, 296 f., die sich für ausdrückliche Ausnahmeklauseln ausspricht, um hierdurch die garantierte Berücksichtigung staatlicher Regulierungsinteressen als „legal right to regulate“ sicherzustellen, siehe a. a. O., S. 302: „[T]he existence of an implicit right to regulate is not borne out in practice and the inadequate extent to which arbitral tribunals have taken into account regulatory interests sua sponte to date, as well as the unpredictable nature of such deference, advocates express treaty-based exceptions, at least to the extent that contracting parties whish to reserve their policy space.“ Die Beobachtung Titis, dass Schiedsgerichte lediglich nicht immer „taub und blind“ für die Berücksichtigung legitimer Interessen des Gaststaats gewesen seien (a. a. O., S. 289), erscheint indes angesichts der jüngeren Schiedspraxis eher als untertrieben; für eine ausdrückliche Normierung staatlicher Regulierungsinteressen auch Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 258, 268, trotz einzelner Vorbehalte und Risiken das Konzept der Normierung der Regulierungsinteressen mittels Regelbeispielen nach Vorbild von Art. XX GATT / Art. XIV GATS favorisierend; befürwortend auch van Aaken, Smart Flexibility Clauses, S. 28: „For general exceptions, as for labor and environment, bona fide regulations should be explicitly allowed for with a view to controlling for discriminatory intent.“; für Interpretationsvorgaben und Regulierungsausnahmen auch Spears, 13 J. Int. Econ. Law 2010, S. 1071, sowie Spears, Making Way for the Public Interest in IIA, S. 295 ff.; für eine Anpassung und Präzisierung der Abkommenstexte angesichts eines noch immer ungewissen Haftungsrisikos auch: UNCTAD, FET, S. 103: „Even though there are signs of emerg­ing substantive content of the standard […] the extent of host State exposure to potential liability is still uncertain.“ 930  Zu dieser Wahrnehmung, für welche die statistische Häufigkeit der Benennung durch den Staat oder den Investor ein mögliches Indiz sein mag, siehe CEO, Profiting From Injustice, S. 38 ff.; siehe auch Goldhaber, Arbitration Scorecard 2015.



III. Warum ein Untätigbleiben keine Option ist263

unangemessenen Einschränkung der staatlichen Regulierungsfreiheit. So wurde bereits beleuchtet, dass den Klauseln zur Verankerung staatlicher Regulierungsinteressen auch eine vertrauensstiftende Funktion zukommt, möchte man zukünftig an Investor-Staat-Verfahren festhalten.931 Mit ihnen wird ein deutliches Signal gesendet, ein unangemessen hohes Haftungsrisiko infolge der Ergreifung legitimer Gemeinwohlregulierung zukünftig effektiv ausgeschlossen zu haben und der Wahrnehmung entschieden entgegengetreten, man unterwerfe sich durch den Abschluss von Investitionsschutzabkommen in unverantwortlicher Weise einem Regime, auf dessen Spielregeln man längst jeden Einfluss verloren hat. Ein solches, deutliches Signal erscheint heute, angesichts der breiten Ablehnung gegen Investor-StaatVerfahren, erforderlicher denn je. Der Umstand, dass die Investitionsrechtsprechung bereits infolge eines wirksamen Widerspruchs eine beachtliche Entwicklung hin zu einer ausgewogeneren Anwendung der Schutzstandards genommen hat und damit in erheblichen Teilen bereits das erreicht hat, was durch die Neue Generation von Investitionsschutzabkommen bezweckt wird, drohte hingegen ohne ein solches Signal im unvermindert lauten Widerspruch unterzugehen. Doch was ist mit dem anderen Signal, dem eines „kühleren“ Investi­ tionsklimas, welches durch die ausdrückliche Verankerung staatlicher Regulierungsinteressen zugleich an ausländische Investoren gesendet werden könnte? Diese und die weiteren der im vorstehenden Kapitel geschilderten Bedenken sprechen deshalb nicht gegen die vertragliche Verankerung eines Ausgleichs, da sie sich, im Lichte der Entwicklung des Investitionsumfelds und der Schiedspraxis betrachtet, entschärft haben oder ihnen jedenfalls im Wege der Vertragsgestaltung begegnet werden kann. So erscheint äußerst fraglich, ob die Bedenken, wonach sich jene Staaten, die sich für diesen Schritt entschließen, einen Nachteil im Wettbewerb um ausländische Investoren erleiden könnten, heute überhaupt noch tragen und eine abwartende Haltung rechtfertigen.932 Angesichts der Tatsache, dass spezielle Regelungen zur Sicherstellung staatlicher Regulierungsinteressen mittlerweile bereits seit geraumer Zeit und in zunehmender Regelmäßigkeit Einzug in neue Abkommenstexte gefunden haben sowie in Anbetracht der gewandelten Interessenslage der Investoren, denen die Sorge um eine zu weitgehende Einschränkung legitimer Regulierungsinteressen ebenfalls nicht verborgen geblieben ist933, sprechen gute Gründe dafür, dass solche First 931  Siehe

oben, unter A.II.2. diesen Bedenken, die viele Staaten noch zu einem „wait and see“ veranlasse, bereits supra Fn. 919. 933  Siehe hierzu A.IV.1. 932  Zu

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C. Konsequenzen für die vertragliche Verankerung eines Ausgleichs

Mover-Nachteile längst entfallen sind. Es steht vielmehr zu erwarten, dass es in Anbetracht dieser Entwicklung zunehmend schwieriger werden wird, an Abkommenstexten nach Vorbild der Alten Generation festzuhalten.934 So spricht auch das pragmatische Argument, dass der Prozess einer Rekalibrierung der Abkommenstexte ohnehin bereits im Gange ist und man sich kaum vor ihm verschließen können wird, ebenfalls für eine ausdrückliche Verankerung eines Ausgleichs.935 Angesichts der allgegenwärtigen Betonung der notwendigen Gewährleistung der staatlichen Regulierungsfreiheit im Rahmen der Verhandlung jüngerer Abkommen wie CETA, bedarf es keiner hellseherischen Fähigkeiten, um mit großer Wahrscheinlichkeit vorausahnen zu können, dass der Trend einer Neuen Generation von Investitionsschutzabkommen auch in den nächsten Jahren anhalten wird und eine Rückkehr zur Alten Generation nicht zu erwarten ist.936 Zwar sind die dafür herangezogenen unterschiedlichen Ansätze – wie zu Bedenken gegeben wurde937 – ihrerseits auslegungsbedürftig und führen zu einer erhöhten Zersplitterung und Komplexität der Entscheidungsgrundlagen, gleichwohl dürfte die Präzisierung der Abkommen durch klarere Vorgaben schneller zu einer noch konsistenteren Rechtsprechung führen, als wenn eine weitere Vereinheitlichung der Schiedspraxis dieser selbst überlassen bliebe.938 Auch wäre in letzterem Fall nicht gesagt, dass eine auf diese Weise erzielte Einheitlichkeit und Vorhersehbarkeit der jeweiligen Vorstellung von einem angemessenen Ausgleich zwischen Investoren- und Regulierungsinteressen entspräche. Die erhöhte Komplexität und Vielfalt der vertraglichen Grundlagen ist nun einmal Ausdruck und Kehrseite davon, dass heute – trotz einer Annäherung939 – noch immer unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, worin ein angemessener Ausgleich zwischen Investoren- und Regulierungsinteressen zu erblicken ist und auf welche Weise dieser Ausgleich am effektivsten durch eine vertragliche Klausel artikuliert werden kann. Letztlich ist jedoch zu erwarten, dass sich von den Gestaltungsoptionen bestimmte Ansätze durchsetzen werden, die sich in der praktischen Erprobung bewährt haben, wodurch sich die erhöhte Vielfältigkeit der Abkommenstexte als ein potentielles Hindernis einer einheitlichen Schiedspraxis wieder verringern würde. 934  Angesichts der zunehmend verbreiteten Reform von IIA so auch UNCTAD, WIR 2014, S. 126. 935  So bereits Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S.  258 f. 936  So auch die Einschätzung von Titi, Right to Regulate, S. 302 f. 937  Siehe unter C.II. 938  Diese Einschätzung teilt auch Markert, Der Ausgleich zwischen Investorenund staatlichen Regulierungsinteressen, S. 258. 939  Siehe unter A.I.2.



III. Warum ein Untätigbleiben keine Option ist265

So bleiben von den im vorangegangenen Kapitel aufgeführten Bedenken gegen die vertragliche Fixierung und Präzisierung eines Ausgleichs noch zwei Punkte aus dem Weg zu räumen: Zum einen die Sorge, durch spezielle Regulierungsklauseln und die Präzisierung der unbestimmten Standards könnten statische und unflexible Abkommen entstehen. Diese Bedenken bestehen freilich nicht hinsichtlich jeder bloßen Betonung staatlicher Regulierungsinteressen und jeglicher Präzisierung der Abkommenstexte. Sie wachsen vielmehr, je mehr es für erforderlich erachtet wird, die Entscheidung zur Erzielung des Ausgleichs zwischen Regulierung und Investorenschutz durch präzise und abschließende Vorgaben ex ante durch die Vertragsparteien zu treffen und die Delegation an die Schiedsgerichte einzuschränken.940 Während nämlich den Befürchtungen vertraglicher Inflexibilität bereits durch einfache Mittel der Vertragsgestaltung Rechnung getragen werden kann – insbesondere, indem präzisierende Vorgaben nicht abschließend ausgestaltet werden – könnte dies wiederum die Befürchtung nähren, Schiedsgerichten würde hierdurch ein Schlupfloch geboten, um das zu tun, was ihnen unter Verweis auf die bisherige Schiedspraxis nachgesagt wird: Vertragliche Unbestimmtheit in ihrem Eigeninteresse für eine expansive und investorenfreundliche Auslegung ausnutzen.941 Zum anderen, bleibt auf die eng verknüpften Bedenken einzugehen, es könne statt zur intendierten Stärkung und Erweiterung im Gegenteil zu einer Einschränkung der bisherigen Regulierungsfreiheit kommen. Darauf, dass auch diese verbleibenden Bedenken nicht durchgreifen, ist im Folgenden zurückzukommen, wenn anhand der durch die Analyse der Schiedspraxis gewonnen Erkenntnisse betrachtet werden soll, wo im Wege einer vertragliche Präzisierung und Feinjustierung die identifizierten Unklarheiten im Sinne des jeweiligen Verständnisses eines Ausgleichs beseitigt werden können. Für eine Prognose der Erfolgsaussichten dieser vertrag­ lichen Gestaltungsoptionen ist nämlich ein entscheidender Punkt zu berücksichtigen: Diese Prognose kann vor dem Hintergrund der beobachteten Bereitschaft der Schiedsgerichte erfolgen, Regulierungsinteressen infolge eines wirksamen Widerspruchs auch ohne präzisierende Vertragsbestimmungen bereits in weitem und zunehmendem Umfang Rechnung zu tragen. 940  Angesprochen ist also die Herausforderung das richtige Maß zwischen vertraglicher Präzisierung und Unbestimmtheit zu treffen, um die Vorteile vertraglicher Unbestimmtheit nicht ohne Not zu opfern, siehe unter A.III. 941  Vgl. van Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 3; siehe auch UNCTAD, FET, S. 110, zur nicht-abschließenden Benennung von Einzelverpflichtungen unter dem FET-Standard: „[D]oes not completely remove the possibility of an expansive reading by arbitral tribunals.“

D. Gestaltungsoptionen vor dem Hintergrund eines wirksamen Widerspruchs und der beobachteten Fortentwicklung der Schiedspraxis Den Staaten steht ein Spektrum an Optionen zur vertraglichen Verankerung des jeweils für angemessen erachteten Ausgleichs und zum Austarieren der zukünftigen Rolle der Schiedsrichter zur Verfügung. Es reicht von der Betonung staatlicher Regulierungsinteressen in der Präambel oder speziellen Regulierungsklauseln, über die Präzisierung der Voraussetzungen einer Berufung auf den Schutzstandard, bis hin zu ausdrücklichen Regulierungsausnahmen. Diese Optionen bleiben in diesem vierten und abschließenden Teil dieser Arbeit im Lichte eines wirksamen Widerspruchs und der beobachteten Fortentwicklung der Schiedspraxis zu bewerten.

I. Optionen zur stärkeren Berücksichtigung des Regulierungsinteresses bei der Auslegung 1. Die Betonung des Regulierungsinteresses in den Abkommenspräambeln Neben einer Einschränkung des Auslegungsspielraums der Schiedsgerichte durch präzisere Vorgaben im Vertragswortlaut, dem Ausgangspunkt jeder Auslegung, kann durch eine Betonung staatlicher Regulierungsinteressen in der Abkommenspräambel einer expansiven und einseitig auf Investoreninteressen ausgelegten Auslegung begegnet werden.942 Wenngleich keine neue Erfindung, sind sorgsamer formulierte Präambeltexte, die auf die Verfolgung bestimmter Gemeinwohlziele, wie etwa den Gesundheits- und Umweltschutz, Bezug nehmen, heute kein Ausnahmefall mehr. Sie finden sich in den Abkommen der Neuen Generation in zunehmender Regelmäßigkeit. Durch sie wird häufig zum Ausdruck gebracht, dass der Schutz und die Förderung ausländischer Investitionen und die Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen nicht um jeden Preis, sondern in einer mit diesen Gemeinwohlzielen zu vereinbarenden Weise erzielt wer942  Zu dieser Option UNCTAD, Interpretation of IIAs: What States Can Do, S. 9 f.; UNCTAD, FET, S. 111 ff.



I. Stärkung des Regulierungsinteresses bei der Auslegung267

den soll.943 In anderen Präambeltexten – und zum Teil kumulativ – wird das staatliche right to regulate zur Verfolgung legitimer Gemeinwohlziele auch ausdrücklich bestätigt und klargestellt, dass dieses durch die Bestimmungen des Abkommens nicht in Frage gestellt werden soll.944 Für die Ergreifung dieser Option spricht bereits, dass nichts gegen sie spricht. Schlimmstenfalls wird das kostenlose Risiko einer ineffektiven, jedoch unschädlichen Betonung des Regulierungsinteresses eingegangen. So mag man unterschiedlicher Ansicht darüber sein, ob eine Anpassung der Präambel eine signifikante Wirkung zeigen würde und durchaus bezweifeln, ob allein sie genügt, um sich der angemessen Berücksichtigung staatlicher Regulierungsinteressen sicher sein zu können, doch führt sie jedenfalls zu keinen Bedenken hinsichtlich des Verlusts vertraglicher Unbestimmtheit, geschweige denn hinsichtlich einer Einschränkung staatlicher Regulierungsfreiheit gegenüber dem status quo.945 Ja, noch nicht einmal die übliche Struktur der Abkommen würde sich ändern.946

943  Siehe z. B. die Präambel des US-Model BIT 2012: „Desiring to achieve these objectives in a manner consistent with the protection of health, safety, and the environment, and the promotion of internationally recognized labor rights.“; siehe auch die Präambel des CETA: „REAFFIRMING their commitment to promote sustainable development and the development of international trade in such a way as to contribute to sustainable development in its economic, social and environmental dimensions.“; erstmals sah die Präambel des Niederländisch-Marokkanischen BIT (1971) einen solchen Verweis vor. Ähnliche Verweise auf Gemeinwohlverpflichtungen finden sich seit Mitte der neunziger Jahre regelmäßig in Investitionsschutzabkommen, etwa in allen BITs, die von den USA auf Grundlage des US-Model-BITs von 1994 abgeschlossen wurden, siehe hierzu Asteriti, Environmental Language in Investment Treaties, S.  129, m. w. N. 944  Dies sieht auch die Präambel des CETA vor: „RECOGNIZING that the provisions of this Agreement preserve the right to regulate within their territories and resolving to preserve their flexibility to achieve legitimate policy objectives, such as public health, safety, environment, public morals and the promotion and protection of cultural diversity.“; siehe aber z. B. auch die Präambel des Indien-Singapur CEPA (2005): „REAFFIRMING their right to pursue economic philosophies suited to their development goals and their right to regulate activities to realise their national policy objectives.“; zu den unterschiedlichen Präambeltypen, die sich in den neueren Abkommenstexten finden, siehe Spears, Making Way for the Public Interest in IIA, S. 293 f.; Titi, Right to Regulate, S. 116 ff.; Mann, IISD Issues Int. Invest. Law 2007, Annex 1, S. 14 ff. 945  Vgl. van Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 3, im Hinblick auf die Adressierung des right to regulate nur auf diese Weise: „It is insufficient, indeed damaging, to affirm the right to regulate only as part of an aspirational statement in a preamble or elsewhere in the treaty.“ 946  Hierauf weist auch Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungs­interessen, S. 259, hin.

268

D. Gestaltungsoptionen

Freilich, wie sollten auch Bedenken entstehen, wird doch durch die Nennung der Regulierungsinteressen neben dem Schutz und der Förderung ausländischer Investitionen eben lediglich der Konflikt dieser widerstreitenden Interessen beschrieben. Seine Auflösung im Einzelfall wird jedoch weiterhin an die die Schutzstandards auslegenden Schiedsgerichte delegiert, die hierbei – ohne eine zusätzliche Präzisierung der rechtlichen Verpflichtungen – weiterhin keinen einschränkenden Vorgaben unterlägen. Gewiss, dem Präambeltext kommt keine unmittelbare Verbindlichkeit zu.947 Doch selbst wenn die Betonung des Regulierungsinteresses in der Präambel damit weniger effektiv sein mag, als eine rechtlich verbindliche Verankerung des right to regulate, stellt sie gleichwohl eine in ihrer Effektivität nicht zu unterschätzende Gestaltungsoption zur Erzielung einer ausgewogeneren Anwendung der Investitionsschutzabkommen und einer Stärkung staatlicher Regulierungsinteressen dar.948 Dies aus zwei Gründen: Zum einen kann man sich hinsichtlich dieser Gestaltungsoption recht sicher sein, dass sie Beachtung finden wird. Wie die Erfahrung zeigt, ziehen Schiedsgerichte regelmäßig, ja in einer mitunter sogar als exzessiv kritisierten Häufigkeit und Gewichtung das teleologische Kriterium der Auslegungsregel des Art. 31 Abs. 1 WVRK heran, wobei der Sinn und Zweck der Abkommen häufig unter Rückgriff auf den Präambeltext ermittelt wird.949 947  Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 259, eine Verankerung der Regulierungsinteressen in der Präambel daher nicht als die optimale Lösung erachtend; siehe auch Titi, Right to Regulate, S. 122. 948  In diesem Sinne auch Titi, Right to Regulate, S. 121 f., wonach die Verankerung staatlicher Regulierungsinteressen in der Präambel gerade aufgrund des häufigen Rückgriffs auf sie zur Bestimmung von Sinn und Zweck des Vertrags einem „genuine right to regulate“ – im Sinne eines durchsetzbaren Rechts gegenüber bloßer positive language – nahe komme. Infolgedessen sei die Bekräftigung staat­ licher Regulierungsinteressen in der Prämbel – wenngleich ebenfalls positive language – „de facto qualitatively different“ gegenüber der rechtlich unverbindlichen Betonung staatlicher Regulierungsinteressen in sonstigen Vertragsbestimmungen; zuversichtlich, dass die Präambelziele zukünftig maßgeblich die Auslegung der operativen Investitionsschutznormen anleiten wird, Dederer, Neujustierung der Balance von Investorenschutz und „right to regulate“, VerfBlog vom 16.  April 2014; siehe demgegenüber Krajewski, Gutachten zur TTIP, S. 14, erwartend, dass die Präambel­ erwägungen zur Betonung des Rechts zur Regulierung, wie in der Konsultation unter Verweis auf den Text des CETA vorgeschlagen, kaum eine Wirkung zeigen dürfte; ähnlich auch van Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 3; das nicht unmittelbar operative Bekenntnis zur Erhaltung mitgliedsstaatlicher Regulierungsautomie in der CETA-Präambel nicht zu überschätzen rät auch Nettesheim, Die Auswirkungen von CETA auf den politischen Gestaltungsspielraum von Ländern und Gemeinden, S.  8 f. 949  Siehe z. B. Aguas de Tunari, S.A. vs. Republic of Bolivia, ICSID Case No. ARB / 02 / 3, Decision on Respondent’s Objections to Jurisdiction, 21.  Oktober 2005, Abs. 241, in dortiger Fn. 216: „It is widely accepted that the preamble lan-



I. Stärkung des Regulierungsinteresses bei der Auslegung269

Der Umstand, dass in diesen bisher in aller Regel allein der Schutz und die Förderung von Investitionen als Ziel benannt wurde, hat – jedenfalls in der Vergangenheit – häufig dazu geführt, dass die Bestimmungen der Abkommen expansiv und einseitig zugunsten des Investors, Ausnahmeklauseln hingegen restriktiv interpretiert wurden und im Zweifel eine effektive Auslegung zugunsten des Investorenschutzes gerechtfertigt wurde.950 Nur in Ausnahmefällen führte der Zweck der Investitionsförderung, der unter einer Überbetonung eines Investorenschutzes im Endeffekt leiden könnte, mittelbar zu einer ausgewogeneren Auslegung.951 guage of a treaty can be particularly helpful in ascertaining the motive, object and circumstances of a treaty.“; für eine ausführliche Analyse der teleologischen Auslegung durch die Schiedsgerichte, insbesondere unter Rückgriff auf die Abkommens­ präambeln, siehe Weeramantry, Treaty Interpretation in Investment Arbitration, S.  67 ff. sowie Fauchald, 19 Eur. J. Int. Law 2008, S. 322 f., jeweils auch darauf hinweisend das die vergleichsweise niedrige Zahl der Entscheidungen, in welchen ausdrücklich auf die Präambel verwiesen wurde nicht bedeuten muss, dass den Präambeln keine Beachtung geschenkt wurde, sondern dies auch darauf zurückzuführen sein kann, dass Sinn und Zweck als so eindeutig ersichtlich angenommen wurden, dass man einen Rückgriff nicht für erforderlich erachtete. 950  Weeramantry, Treaty Interpretation in Investment Arbitration, S. 191, siehe auch zum principle of effectiveness a. a. O., S. 143 ff.; UNCTAD, Interpretation of IIAs: What States Can Do, S. 9; Titi, Right to Regulate, S. 119; Spears, Making Way for the Public Interest in IIA, S. 290 ff.; siehe z. B. SGS Société Générale de Surveillance S.A. vs. Republic of the Philippines, ICSID Case No. ARB / 02 / 6, Decision on Objections to Jurisdiction, Abs. 116; Siemens vs. Argentina, ICSID Case No. ARB / 02 / 8, Decision on Jurisdiction, 3.  August 2004, Abs. 81, am Beispiel letzterer Entscheidung kritisch zu einem exzessiven Verweis auf das Ziel des Investorenschutzes statt einem zu befürwortenden „ ‚conservative‘ approach“ der ­ sorgfältigen und strengen Beachtung des Wortlauts, welcher den Erwartungen der Staaten und Investoren gerecht würde, Waibel, IIL and Treaty Interpretation, S.  39 f., 52: „This interpretative approach betrays a cavalier attitude to treaty interpretation. Rather than engaging in careful textual analysis, the tribunal underscored that the aim of the treaty was to create favourable investment conditions. The dividing line between favouring broad investment protection and construing the ordinary meaning of ambiguous treaty terms in light of an ideological prior of maximal investment protection is thin  – tribunals cross it at their peril. In such cases, the interpreter’s prior of maximal investment protection as a good onto itself lurks visibly behind such outcome-driven interpretative strategies. The risk is a repoliticization of investment disputes and, in the long run, losing support among state parties.“ (a. a. O., S. 40); kritisch auch Markert, IIL and Treaty Interpretation, S. 55 ff.; Kläger, FET, S. 40 ff.; van Aaken, Smart Flexibility Clauses, S. 27; Doug­ las, 22 Arbitration International, S. 51; die Gefahr einer von Subjektivität geprägten Auslegung, sobald sich die Auslegung durch das Abstellen auf Sinn und Zweck vom Abkommenstext entfernt, betonte auch Franck, 73 Fordham Law Rev. 2005, S. 1578. 951  Saluka vs. Czech Republic, supra Fn. 232, Abs. 300; Micula vs. Romania, supra Fn. 488, Abs. 516.

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D. Gestaltungsoptionen

Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass gerade unter Verweis auf die Präambeltexte die Annahme einer Verpflichtung zur Gewährleistung stabiler rechtlicher Rahmenbedingungen unter dem FET-Standard begründet wurde, die zur Befürchtung Anlass gab, hierdurch könne jede Modifizierung der bestehenden Rechtslage zur Entschädigungspflicht führen.952 Die Betonung staatlicher Regulierungsinteressen und legitimer Gemeinwohlziele ändert nichts daran, dass Investitionsschutzabkommen abgeschlossen werden, um ausländische Investitionen zu schützen und zu fördern.953 Jedoch kann damit klar zum Ausdruck gebracht werden, was durch eine synonymes Verständnis von object und purpose auf der Strecke bliebe und zahlreiche kritische Stimmen mit Recht betonen: Der Schutz ausländischer Investitionen ist kein Selbstzweck.954 Er ist vielmehr seinerseits ein Mittel, welches zu einer wirtschaftlichen und nachhaltigen Entwicklung im öffentlichen Gemeinwohlinteresse beitragen soll.955 Ein Umstand, welchem bei der Auslegung der Schutzstandards und der Beurteilung staatlicher Maßnahmen, die jenen Gemeinwohlzielen dienen, in größerem Umfang Rechnung 952  Hierzu

unter B.II.4.d)aa)(2). betont auch Titi, Right to Regulate, S. 119; siehe auch Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 166. 954  Zum synonymen Verständnis von object und purpose in der Praxis und der im Französischen deutlicher zum Ausdruck kommenden Differenzierung zwischen dem objet als zeitlich näherliegendem Zwischenziel welches Mittel zur Erreichung des längerfristigeren but ist, siehe Weeramantry, Treaty Interpretation in Investment Arbitration, S. 68 ff.; siehe auch van Aaken, Smart Flexibility Clauses, S. 27: „[T]he first layer, investment protection, is the object of the treaty, investment promotion an intermediary purpose, and development the ultimate purpose of an IIA.“ 955  So etwa auch van Aaken, Smart Flexibility Clauses, S. 27: „It seems puzzling how tribunals could mistake the means (investment) for the end (development) when identifying the purpose of a treaty.“ Erklären lasse sich dies nur mit der problematischen Gleichung, wonach der Investitionsschutz zu FDI und letztlich stets zu einer wirtschaftlichen und nachhaltigen Entwicklung führe, weshalb er stellvertretend als Ziel der IIA angesehen werden könne; dass der Investitionsschutz nicht als Selbstzweck verstanden werden darf, forderte auch das Public Statement, supra Fn. 16, gleich zu Beginn: „The protection of investors, and by extension the use of investment law and arbitration, is a means to the end of advancing the public welfare and must not be treated as an end in itself.“; siehe auch Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 166: „It is clear that the investment protection guarantees provided in an investment treaty (such as the FET standard) are instruments to encourage capital flows between the signatory countries and in turn contribute to their prosperity (or development). While those guarantees should be seen as imposing certain principles of good public governance that already feature in domestic public law (such as fairness and reasonableness), the ultimate purpose goes beyond a concept of development that only focuses on economic growth. Development should be seen as a broader process involving economic, social, political and legal considerations.“; UNCTAD, Interpretation of IIAs: What States Can Do, S. 9; hierzu auch Lemmerz, Investitions- und schutzverträge, S. 223. 953  Dies



I. Stärkung des Regulierungsinteresses bei der Auslegung271

zu tragen ist, als wenn der Investorenschutz das alleinige Ziel wäre.956 Auf diese Weise könnten legitime Gemeinwohlinteressen auch dort verstärkt Eingang in die Entscheidung finden, wo eine ausdrückliche Verankerung in den Abkommensbestimmungen selbst fehlt und unbestimmter Auslegungsspielraum verbleibt.957 Selbst wenn Schiedsgerichten durch die alleinige Anpassung der Präambeltexte „nur“ der Weg verschlossen würde, eine expansive und einseitige investorenfreundliche Auslegung durch das Ziel des Investorenschutzes zu begründen, statt die eindeutige Durchsetzung staatlicher Regulierungsinteressen zu gewährleisten958, so wäre doch auch dies bereits ein weiterer beachtlicher Schritt zur Gewährleistung einer ausgeglicheneren Auslegung zukünftiger Abkommen. Dies gerade auch im Zusammenspiel mit Bemühungen um eine Sicherstellung legitimer Regulierungsinteressen durch präzisere Standards oder auch Regulierungsausnahmen, deren Effektivität und Reichweite wiederum entscheidend davon abhängen wird, im Lichte welches Zwecks sie ausgelegt werden. 2. Normierung staatlicher Regulierungsinteressen in speziellen Regulierungsklauseln In neueren Abkommen finden sich zunehmend auch spezielle Klauseln, in denen auf unterschiedliche Weise das Recht zur Regulierung adressiert wird, ohne dass hierdurch rechtlich durchsetzbare Rechte und Pflichten begründet würden (Positive language).959 So etwa Bestimmungen, in welchen die Vertragsparteien das Recht der Vertragsstaaten anerkennen, das eigene Umweltschutzniveau festzulegen und entsprechend Gesetze zu erlassen oder zu modifizieren und daneben übereinkommen, ein hohes Schutz­ niveau und eine sich stetig verbessernde Gesetzgebung anzustreben.960 Da956  van

Aaken, Smart Flexibility Clauses, S. 27. auch Asteriti, Environmental Language in Investment Treaties, S. 130; in diesem Sinne auch Mann, IISD Issues Int. Invest. Law 2007, S. 7: „increases the likelihood that a tribunal called upon to interpret the substantive clauses will take a more balanced view of them“; siehe auch Mann, 17 Lewis & Clark Law Review 2013, S. 537: „has potentially significant impacts“. 958  Vgl. Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 259. 959  Zu den unterschiedlichen Formulierungen dieser Klauseln Asteriti, Environmental Language in Investment Treaties, S. 138 ff., diese gegenüber exceptions und carve-outs als Balancing Clauses bezeichnend; siehe auch UNCTAD, ISDS and Impact on Rulemaking, S. 77 f. 960  Siehe z. B. Art. 24.3 CETA: „The Parties recognise the right of each Party to set its environmental priorities, to establish its levels of environmental protection, and to adopt or modify its laws and policies accordingly and in a manner consistent 957  So

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D. Gestaltungsoptionen

neben finden sich jene Klauseln, wonach davon abzusehen ist, Investitionen durch die Absenkung etwa von Umwelt-, Sicherheits- oder Gesundheitsvorschriften anzulocken.961 Besondere Beachtung verdienen schließlich jene Klauseln, die ausdrücklich klarstellen, dass das Recht zur Regulierung durch das Investitionsschutzabkommen nicht beeinträchtigt werden soll. So bestimmt beispielsweise Art. 12 Abs. 5 des US Model BIT (2012) unter der Überschrift „Investment and Environment“: „Nothing in this Treaty shall be construed to prevent a Party from adopting, maintaining, or enforcing any measure otherwise consistent with this Treaty that it considers appropriate to ensure that investment activity in its territory is undertaken in a manner sensitive to environmental concerns.“962

Entgegen dem Eindruck, welchen diese Bestimmungen schnell erwecken können, räumen sie den Gaststaaten indes keineswegs ein weitreichendes Recht zur Regulierung ein, welches dem Investorenschutz vorginge. In aller Regel sehen diese Klauseln nämlich – wie in den zitierten Beispielen – vor, dass die Gemeinwohlmaßnahmen nicht gegen die anderen Bestimmungen des Abkommens verstoßen dürfen („otherwise consistent“).963 Der Erkenntnisgewinn für die Frage, unter welchen Voraussetzungen Gemeinwohlregulierung zur Entschädigungspflicht führt, ist hiernach freilich ähnlich groß, als wenn es hieße: „Der Staat ist zur Entschädigung verpflichtet, wenn er gegen einen Schutzstandard verstößt.“ Angesichts dieser entscheidenden Einschränkung durch das otherwise consistent-Erfordernis, sind solche Klauseln als deklaratorisch bezeichnet964 und als irreführend, tautologisch und rechtlich überflüssig beurteilt worden, da sie – was zutrifft – zu keiner Erweiterung des staatlichen Regulierungsrechts führen und Staaten nicht vor der Klage bewahren, die ergriffene with the multilateral environmental agreements to which it is party and with this Agreement. Each Party shall seek to ensure that those laws and policies provide for and encourage high levels of environmental protection, and shall strive to continue to improve such laws and policies and their underlying levels of protection.“ 961  So z. B. in Art. 2  Abs. 4 Canada ‒ Czech Republic BIT (2009); Art. 10.16 Abs. 2 Korea-India CEPA (2009). 962  Nahezu identisch auch Art. 1114 Abs. 1 NAFTA (Environmental Measures); Art. 10.11 DR-CAFTA; siehe auch Art. 24.3 CETA, zitiert in supra Fn. 960. 963  Ein seltenes Beispiel einer solchen Klausel, ohne das entscheidende otherwise consistent-Erfordernis, findet sich im UK-Colombia BIT (2010), Art. VIII (Investment and Environment), wobei hier allerdings zugleich ein Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit vorgesehen wird: „Nothing in this Agreement shall be construed to prevent a Party from adopting, maintaining, or enforcing any measure that it considers appropriate to ensure that an investment activity in its territory is undertaken in a manner sensitive to environmental concerns, provided that such measures are non-discriminatory and proportionate to the objectives sought.“ 964  Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungs­ interessen, S. 246.



I. Stärkung des Regulierungsinteresses bei der Auslegung273

Regulierungsmaßnahme verstoße gegen die Abkommensverpflichtungen.965 Andere Stimmen führen eine Bewertung rein deklaratorischer Klauseln als nutzlos hingegen auf das Missverständnis zurück, es handele sich – wenngleich sie im Ergebnis durch die Entscheidung des Gerichts zu identischen Ergebnisse führen könnten – um eine rechtfertigende exception clause oder einen carve-out, während ihr Potential vielmehr darin bestehe, als balancing clause die Abwägung der vertraglichen Investitionsschutzverpflichtungen mit sonstigen Verpflichtungen des Gaststaats zu ermöglichen.966 Doch nicht nur der Nutzen dieser Klauseln, wenigstens eine Vermutung der Zulässigkeit der Regulierungsmaßnahmen zu statuieren, die dann bei der Auslegung den Ausschlag zugunsten der verankerten Regulierungsinteressen geben könnte967, wird angesichts des klaren consistent with-Erfordernisses bezweifelt.968 Vielmehr wird sogar gewarnt, es werde ein ausdrücklicher 965  Mann, IISD Issues Int. Invest. Law 2007, S. 8: „The problem with this article is that legally it accomplishes nothing, a result that was not accidental. While it appears to create a broad exclusion for environmental law measures specifically, in reality the key words ‚otherwise consistent with this Chapter‘ make the paragraph not just flawed but meaningless. It does nothing to save a claim against a government that a measure is a breach of the Chapter.“; Mann / von Moltke / Peterson / Cosbey, IISD Model International Agreement on Investment for Sustainable Development ‒ Negotiators’ Handbook (2006), S. 38; Newcombe / Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, S. 509, zu Art. 1114 NAFTA: „This type of provision is tautological […]. At most it might serve as an interpretive presumption that non-discriminatory environmental measures made in good faith do not contravene investment obligations.“; siehe auch Titi, Right to Regulate, S. 112; siehe auch UNCTAD, BITS 1995–2006: Trend in Investment Rulemaking, S. 89, 99, wonach durch diese Klauseln lediglich gegenüber der Zivilgesellschaft die fortbestehende Befugnis der Staaten zur Sicherstellung von Umwelt- und Arbeit­ nehmerschutzstandards tätig zu werden; siehe zum CETA auch Nettesheim, Die Auswirkungen von CETA auf den politischen Gestaltungsspielraum von Ländern und Gemeinden, S. 9. 966  Siehe Asteriti, Environmental Language in Investment Treaties, S. 141 f., wonach das Gericht in der Praxis zwar durch die Berücksichtigung des Gemeinwohlziels, insbesondere in Erfüllung der Verpflichtungen aus Umweltschutzabkommen, ebenfalls zu der Entscheidung gelangen könne, dass kein Verstoß vorliegt bzw. die Maßnahme gerechtfertigt ist, jedoch auch die dritte Möglichkeit denkbar sei, Schiedsgerichten durch „balancing clauses“ den Freiraum zu geben, nicht-investi­ tionsbezogene Verpflichtungen des Gaststaats bei der Entschädigungshöhe zu berücksichtigen. 967  Newcombe / Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, S. 509; zu dieser Intention einer Art. 1114 Abs. 1 NAFTA entsprechenden Klausel, siehe MAI, Commentary to the Consolidated Text, S. 28: „Article 1114(1) is meant to ‚tilt the balance‘ in favour of the environment by establishing a presumption that normal measures do not violate NAFTA investment obligations.“ 968  Titi, Right to Regulate, S. 112: „[S]uch an interpretation would fly in the face of the very letter of the article, which explicitly states that the measure needs to be consistent with the BIT.“

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D. Gestaltungsoptionen

und unmissverständlicher Vorrang des vertraglichen Investitionsschutzes vor dem right to regulate verankert.969 Hierdurch, so die Befürchtung, komme es nicht nur zu keiner Erweiterung, sondern es könne gar zu einer Einschränkung der Regulierungsfreiheit kommen.970 Diese Bedenken erscheinen unbegründet. Gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Bereitschaft der Schiedsgerichte, das right to regulate in weitem Umfang bereits ohne ausdrückliche vertragliche Vorkehrungen zu betonen, erscheint es erst recht unwahrscheinlich, dass ein Schiedsgericht eine solche Klausel, die von den Vertragsparteien offensichtlich in Sorge um eine unangemessene Einschränkung der Regulierungsfreiheit als eigenständige Bestimmung vorgesehen wurde, so ausgelegt werden könnte, dass sie zu einer weiteren Einschränkung der Regulierungsfreiheit führt.971 Mit oder ohne einem deklaratorischen right to regulate ist die staatliche Regulierungsfreiheit durch die vertraglichen Schutzverpflichtungen eingeschränkt. Eingeschränkt jedoch nicht durch klare Regeln, mit denen sie im Einklang stehen muss, sondern durch unbestimmte Standards, deren inhaltliche Reichweite und Abgrenzung zur entschädigungslosen Regulierung in hohem Maße auslegungsbedürftig sind. Im Rahmen dieser Auslegung ist dem durch eine eigenständige Vertragsbestimmung zum Ausdruck gebrachten Willen der Vertragsparteien Rechnung zu tragen. Nur in diesem Fall nämlich wird der jeweilige Schutzstandard entsprechend seiner ihm im 969  Mann, Anhörung vor dem Kanadischen House of Commons Standing Committee on International Trade, 5. Dezember 2013, S. 8: „The right to regulate clause clearly restricts the right to regulate, it does not expand it […] This […] means, as a matter of settled law, that the agreement prevails over the right to regulate, and all exercises of the right to regulate, at both the federal and provincial levels, must conform to the agreement. Contrary to what is often implied by referring to a right to regulate provision, it in fact prioritizes conformity with the treaty obligations over the right to regulate. This is absolutely beyond legal doubt, as seen in the history of the NAFTA itself.“ 970  Ibid.; so auch Titi, Right to Regulate, S. 115. 971  Bedenken hinsichtlich einer Einschränkung könnten allenfalls insoweit bestehen, als nur ein bestimmtes Regulierungsinteresse, wie etwa der Umweltschutz, ausdrücklich hervorgehoben wird, da hierdurch die Frage aufgeworfen wird, ob und inwieweit in gleichem Umfang auch anderen legitimen Regulierungsinteresse Rechnung zu tragen ist; gegen eine Fokussierung allein auf den Umweltschutz, unter Auschluss anderer Gemeinwohlziele Mann, IISD Issues Int. Invest. Law 2007, S. 8 f.; zu dieser Problematik auch Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 260; es finden sich aber auch deklaratorische right to regulate Klauseln, die keine abschließende Normierung bestimmter Gemeinwohlinteressen vorsehen, z. B. Art. 10.16 Abs. 1 Korea-India CEPA (2009): „Nothing in this Agreement shall be construed to prevent a Party from adopting, maintaining or enforcing any measure consistent with this Agreement that is in the public inter­ est, such as measures to meet health, safety or environmental concerns.“



I. Stärkung des Regulierungsinteresses bei der Auslegung275

Kontext zukommenden Bedeutung ausgelegt972 und der Auslegungsmaxime entsprochen, wonach Verträge so auszulegen sind, dass jeder Bestimmung eine Bedeutung zukommt, nicht aber einer Bestimmung jede Bedeutung genommen darf (principe de l’efficacité).973 Allein ein Verständnis, wonach das deklaratorische right to regulate seinerseits den Umfang des durch den jeweiligen Standard gewährten Investorenschutz mitbestimmt und diesem Grenzen setzt, wird einer solchen Auslegung gerecht. Auch ein lediglich deklaratorisches right to regulate erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schiedsgericht dem ausdrücklich normierten Interesse an der Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen im Wege der Auslegung der Standards Rechnung tragen wird, selbst in dem Fall, dass Regulierungsinteressen nicht ausdrücklich in den Schutzstandards selbst adressiert sind.974 Ohne eine Präzisierung in den Schutzstandards würde hierdurch freilich lediglich signalisiert, dass der Konflikt der widerstreitenden Interessen erkannt wurde und dem normierten Regulierungsinteresse Rechnung zu tragen ist.975 Die Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Maßnahme in Verfolgung des normierten Regulierungsinteresses einen Verstoß begründet, würde hingegen weiterhin delegiert. Ausdrückliche Erklärungen, wonach die Vertragsstaaten ein hohes Umweltschutzniveau und eine kontinuierliche Verbesserung ihrer Gesetzgebung anstreben976 können jedoch ein deutliches Signal setzen, dass der Investor eine kontinuierliche Veränderung der bestehenden Rechtslage und die damit verbundenen Kostenrisiken jederzeit einzukalkulieren hat. Hierdurch 972  Art. 31

Abs. 1 WVRK. betont auch Mann, IISD Issues Int. Invest. Law 2007, S. 7: „When included in the substantive part of a treaty, it is likely that such articles can have a significant impact on the interpretation of a treaty. It is fundamental in treaty interpretation that all the provisions of a treaty must be interpreted in the light of the other provisions to ensure that each is given effect.“ Dass Mann dann aber einem deklaratorischen right to regulate infolge des otherwise consistent-Erfordernisses jede Bedeutung abgespricht (a. a. O., S. 8), erklärt sich daraus, dass sich seine Aussage auf die Effektivität einer solchen Klausel als eine regulatory exception clause bezieht, so ausdrücklich ibid.; zum principe de l’efficacité, welches als Unterfall des principe de l’effet utile von der règle de l’effectivité unterschieden werden kann, siehe Oettingen, Effet utile und individuelle Rechte im Recht der EU, S. 36, m. w. N.; speziell zur Schiedspraxis Weeramantry, Treaty Interpretation in Investment Arbitration, S. 147 und Schreuer, IIL and General International Law – From Clinical Isolation to Systemic Integration?, S. 71 f. 974  Mann, IISD Issues Int. Invest. Law 2007, S. 7; so für sonstige Positive language grundsätzlich auch Titi, Right to Regulate, S. 105, 107; nicht ersichtlich ist, wie gezeigt, warum dies nicht auch für deklaratorische Right to regulate-Klauseln gelten sollte, wenngleich sie kein legal right to regulate schaffen. 975  Vgl. UNCTAD, FET, S. 114, skeptisch, ob selbst dies überhaupt erreicht würde. 976  Siehe bei und in supra Fn. 960. 973  Dies

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D. Gestaltungsoptionen

wird Investorenerwartungen Grenzen gesetzt und eine Verpflichtung zur Gewährleistung stabiler rechtlicher Rahmenbedingungen relativiert.977 Positive language kann daher eine bedeutende Funktion für das Verständnis der materiellen Schutzstandards zukommen. Dies auch in Kombination und Ergänzung einer Präzisierung der Standards sowie carve-outs oder exception clauses.978

II. Mehr Rule – Die Präzisierung der unbestimmten Standards 1. Zu den Präzisierungsoptionen und gegen die Kritik an einer vertraglichen Verankerung der Schiedspraxis Das Ziel, einen Ausgleich zu artikulieren und Schiedsrichtern klarere Vorgaben zu machen, wie der Konflikt der widerstreitenden Interessen im Einzelfall aufzulösen ist, kann im Wege der Präzisierung der Schutzstandards mit zwei kombinierbaren Ansätzen verfolgt werden: Zum einen mit Hilfe von Interpretationsvorgaben, carve-outs und Ausnahmeklauseln, indem gleichsam „negativ“ präzisiert wird, wann jedenfalls keine Verletzung der Schutzstandards angenommen werden soll. D. h. es erfolgt eine Präzisierung der Voraussetzungen legitimer Gemeinwohlregulierung, wie dies freilich auch außerhalb des einzelnen Standards möglich ist.979 Zum anderen kann man sich darum bemühen, den Umfang des gewährten Schutzes „positiv“ festzuschreiben und die Kriterien benennen, an welchen ein Verstoß gegen den Schutzstandard festzumachen ist. Je strenger und enger die formulierten Voraussetzungen, desto mehr wird auch auf diese Weise staatlichen Regulierungsinteressen Rechnung getragen. Trotz der vermeintlichen Banalität dieser Unterscheidung mag man sich in Erinnerung rufen, dass im Fall einer „positiven“ Präzisierung einschränkender Kriterien potentielle Schutzlücken im Investorenschutz im Hinterkopf zu behalten sind, die im Fall einer „negativen“ Präzisierung nicht zu bedenken sind. Hier ist hingegen die Gefahr einer unbeabsichtigten Einschränkung der Regulierungsfreiheit zu berücksichtigen, wobei in der Festlegung der Voraussetzungen legitimer Regulierung und der Benennung be977  In diesem Sinne auch Asteriti, Environmental Language in Investment Treaties, S. 141. 978  So zu Positive language grds. auch Titi, Right to Regulate, S. 111, siehe auch supra Fn. 974. 979  Auf diese Möglichkeit der Normierung staatlicher Regulierungsinteressen fokussiert sich Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S.  243 ff.



II. Mehr Rule – Die Präzisierung der unbestimmten Standards

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stimmter Gemeinwohlziele gegenüber einer generellen Regulierungsfreiheit gerade auch ein Ausgleichspotential erblickt werden kann.980 Für die präzisere „positive“ Inhaltsbestimmung ex ante durch die Vertragsparteien wurde bereits der heutige große Vorteil betont, auf die in der Schiedspraxis sukzessive gefestigten Kriterien zurückgreifen zu können.981 Gegen eine Neuformulierung der Investitionsschutzabkommen basierend auf der Investitionsrechtsprechung könnte man jedoch einwenden, hierdurch würden methodische Defizite vertieft und ein unausgewogenes Regime nach den Vorstellungen der Schiedsrichter als den wahren lawmakern nur noch weiter verfestigt.982 Indes ist zu sehen, dass es keineswegs darum geht, die Investitionsrechtsprechung zum Schutz vor indirekter Enteignung und zum FET-Standard im Interesse der Rechtsklarheit vorbehaltlos zu akzeptieren und schlicht in Textform zu gießen. Vielmehr erfolgt ein Rückgriff auf einzelne in der Schiedspraxis erprobte und sukzessive gefestigte Kriterien aufgrund einer bewussten Entscheidung der Vertragsparteien, die sich dieser Kriterien gezielt bedienen, um durch sie ihr eigenes Verständnis eines angemessenen Ausgleichs zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen ex ante möglichst präzise zu artikulieren und für die Entscheidung im Einzelfall vorzuzeichnen.983 Insbesondere an jenen Stellen, an welchen die Analyse der Schiedspraxis eine fortbestehende Auslegungsunsicherheit offenbarte und eine Entscheidung mitunter von den persönlichen Anschauungen der Schiedsrichter abhängen kann, wird durch den Rückgriff auf diese Kriterien das Verständnis der Parteien von einem angemessenen Ausgleichs zwischen Investorenschutz- und Regulierungsinteressen festgeschrieben, anstatt diese Entscheidung dem jeweiligen Verständnis der Schiedsrichter zu überlassen. 980  Auch Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 260, 262, hebt das Augleichspotential und die größere Recht­ sicherheit einer präziseren und begrenzten Regulierungsfreiheit gegenüber einer diffusen, generellen Regulierungsfreiheit hervor. 981  Siehe oben, unter A.III.2. 982  Vgl. die Kritik an einem solchen Ansatz im Public Statment on the International Investment Regime vom 31. August 2010, supra Fn. 16, unter Punkt 13: „Proposals […] to restate international investment law based on recent arbitration awards are misguided because they risk entrenching and legitimizing an international investment regime that lacks fairness and balance, including basic requirements of openness and judicial independence.“; van Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 14. 983  Vgl. auch Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 152, der hervorhebt, dass es auch in Anbetracht hunderter Entscheidungen nicht an „Rohmaterial“ mangelt, siehe bereits supra Fn. 134.

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D. Gestaltungsoptionen

Auf diese Weise entgeht die Option des Rückgriffs auf die durch die Schiedspraxis konkretisierten Kriterien dem beschriebenen Einwand, die law-making function der Schiedsgerichte werde hierdurch zur Vollendung gebracht. Vielmehr kann man in der Bestätigung, konkludenten Zurückweisung und weiteren Präzisierung einzelner in der Schiedspraxis herausgebildeter Kriterien durch eine Verankerung im Vertragstext – oder den Verzicht hierauf – die Fortsetzung eines iterativen Entwicklungsprozesses erblicken.984 2. Optionen zur Präzisierung des Schutzes vor indirekter Enteignung a) Stärkung der Regulierungsinteressen durch die „positive“ Präzisierung des Schutzumfangs Eine erste Möglichkeit den Enteignungsstandard zu präzisieren, bestünde darin, den Schutz auf direkte Enteignungen zu beschränken und die Fälle indirekter Enteignung allein über den FET-Standard zu erfassen. Vor dem Hintergrund der beobachteten Verlagerung der Fälle indirekter Enteignung zum FET-Standard985 und der zunehmenden Heranziehung eines Abwägungsansatzes im Rahmen der indirekten Enteignung, welcher zentraler Bestandteil des FET-Ansatzes ist, stellt sich in der Tat die Frage, ob die Bemühungen um einen angemessenen Ausgleich nicht allein auf den FETStandard konzentriert werden könnten, ohne dass das Risiko von Schutz­ lücken zu befürchten wäre.986 984  Einen Dialog also zwischen den die Bestimmungen schaffenden Staaten und den sie anwendenden und fortbildenden Gerichten, wie ihn auch Roberts, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 179, beschreibt, siehe hierzu unter A.IV.2.b). 985  Siehe unter B.I.4. 986  Für eine Begrenzung auf Fälle direkter Enteignung oder zumindest Fälle des vollständigen Wertverlusts, Ortino, 28 ICSID Review 2013, S. 160 ff.: „[T]here is really no need to extend the treaty prohibition to indirect expropriations. […] Adopting the suggested approach on expropriation would not run the risk of being underinclusive (and thus failing to protect investors) as long as the underlying treaty contains (as it usually does) the FET-Standard. In other words, the protection offered to foreign investors by extending the scope of the expropriation provision to cover governmental measures going beyond formal or complete takings, is already provided by the FET-Standard.[…][T]here does not appear to be any difference in principle in terms of the amount of damages recognized for an unlwaful exproriation and a violation of the FET standard.“; zum Fehlen wesentlicher Unterschiede hinsichtlich der Entschädigungshöhe in der Schiedspraxis, die auf den sehr schmalen Grat zwischen indirekter Enteignung und FET-Verletzung zurückzuführen sein könnte, auch Sempra Energy vs. Argentina, supra Fn. 272, Abs. 301.

II. Mehr Rule – Die Präzisierung der unbestimmten Standards



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Während dies die radikalste Option wäre, um den Enteignungsschutz von einem Standard in eine präzise rule zu transformieren987, beschränken sich die gegenwärtigen Bemühungen der Staaten auf eine Präzisierung der Kriterien zur Bestimmung, wann eine indirekte Enteignung zu bejahen und wann zu verneinen ist. Wie erstmals bereits in 2004 in den Model-BITs der USA und Kanadas benennt etwa der US-Model BIT 2012 in seinem Annex B, unter 4(a), zunächst – in Anlehnung an die Rechtsprechung des US Supreme Court – „positiv“ einzelne Faktoren, anhand derer zu bestimmen ist, ob im jeweiligen spezifischen Einzelfall eine indirekte Enteignung zu bejahen ist: „(a) The determination of whether an action or series of actions by a Party, in a specific fact situation, constitutes an indirect expropriation, requires a case-by-case, fact-based inquiry that considers, among other factors: (i) the economic impact of the government action, although the fact that an action or series of actions by a Party has an adverse effect on the economic value of an investment, standing alone, does not establish that an indirect expropriation has occurred; (ii) the extent to which the government action interferes with distinct, reasonable investment-backed expectations; and (iii) the character of the government action.“988

Mit annähernd identischem Wortlaut werden auch im CETA Kriterien zur Beurteilung des Vorliegens einer indirekten Enteignung benannt.989 Indem die Normierung der Faktoren in den genannten Beispielen nicht abschlie987  Ortino,

28 ICSID Rev. 2013, S. 160. niedergelgten Kriterien, welche die USA durch die Verankerung in Abkommenstexten in Gewohnheitsrecht zu überführen streben (siehe US-Model BIT (2012), Annex B, unter 1.: „intended to reflect customary international law“) orientieren sich dabei an der Entscheidung des US Supreme Courts in Penn Central Transportation Co. vs. New York City, 438 US 104, 123–125 (1978). Ob damit jedoch tatsächlich das geltende Gewohnheitsrecht vertraglich verankert wurde, erscheint zweifelhaft. Dies insbesondere da der Berücksichtigung des „character of the government action“ und somit u. a. auch dem Zweck der staatlichen Maßnahme gewohnheitsrechtlicher Status zugesprochen wird, siehe Dugan / Wallace / Rubins / Sabahi, Investor-State Arbitration, S. 488. 989  Siehe Annex 8-A, Abs. 2, auf welchen Art. 8.12 CETA für seine Auslegung verweist: „The determination of whether a measure or series of measures of a Party, in a specific fact situation, constitutes an indirect expropriation requires a case-by-case, fact-based inquiry that considers, among other factors: (a) the economic impact of the measure or series of measures, although the sole fact that a measure or series of measures of a Party has an adverse effect on the economic value of an investment does not establish that an indirect expropria­ tion has occurred; (b) the duration of the measure or series of measures by a Party; 988  Die

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D. Gestaltungsoptionen

ßend ausgestaltet ist („among other factors“), wird die vertragliche Flexibilität bewahrt, besonderen Faktoren des jeweiligen Einzelfalls Rechnung tragen zu können. Gleichwohl wird durch die Benennung der wesentlichen Faktoren der Auslegungsspielraum der Schiedsgerichte erheblich eingeschränkt. Über eine solche Präzisierung hinaus besteht die Möglichkeit, die genannten Faktoren noch weiter zu konkretisieren und den insoweit fortbestehenden Auslegungsunsicherheiten zu begegnen. Hierdurch werden die Zügel nochmals gestrafft und erfährt die Delegation der Erzielung eines angemessenen Ausgleichs an die Schiedsgerichte eine weitere Einschränkung. b) Ansatzpunkte zur Beseitigung identifizierter Auslegungsunsicherheiten aa) Präzisierung der erforderlichen Eingriffsintensität Um die Voraussetzungen noch präziser vorzuzeichnen, unter welchen eine indirekte Enteignung in Betracht kommt und zugleich das – nach der Schiedspraxis bereits äußerst unwahrscheinliche – Risiko auszuschließen, ein bloßer Wertverlust infolge staatlicher Regulierungsmaßnahmen könnte zur Bejahung einer indirekte Enteignung führen, kann die für eine (potentielle) indirekte Enteignung erforderliche Eingriffsschwelle präzisiert werden. Der bereits exemplarisch angeführte Annex B des US-Model BIT prä­ zisiert insoweit, dass die indirekte Enteignung in ihrer Auswirkung einer direkten Enteignung gleichkommen muss.990 Mit Annex 8-A CETA, bemühen sich die Vertragsparteien darum, die durch den Vergleichsmaßstab der direkten Enteignung bereits zum Ausdruck kommende hohe Eingriffsschwelle noch weiter zu konkretisieren: „indirect expropriation occurs where a measure or series of measures of a Party has an effect equivalent to direct expropriation, in that it substantially deprives the investor of the fundamental attributes of property in its investment, including the right to use, enjoy and dispose of its investment, without formal transfer of title or outright seizure.“991

(c) the

extent to which the measure or series of measures interferes with distinct, reasonable investment-backed expectations; and (d) the character of the measure or series of measures, notably their object, context and intent.“ 990  US-Model BIT (2012), Annex B, Abs. 4: „The second situation addressed by Article 6 […] is indirect expropriation, where an action or series of actions by a Party has an effect equivalent to direct expropriation without formal transfer of title or outright seizure.“; UNCTAD, Expropriation, S. 127. 991  Annex 8-A, Abs. 3 CETA (Hervorhebung durch den Autor).



II. Mehr Rule – Die Präzisierung der unbestimmten Standards

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Während durch das Kriterium der substantial deprivation ein gewisser Wertungsspielraum verbleibt, bestünde eine noch deutlichere, rule-ähnlichere Inhaltsbestimmung ex ante darin, eine potentielle Enteignung ausdrücklich vom Vorliegen eines vollständigen Wert- oder Kontrollverlusts abhängig zu machen.992 bb) Beseitigung fortbestehender Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Berücksichtigung des verfolgten Zwecks der Maßnahme Trotz des klaren Trends zur abwägenden Berücksichtigung des mit der Regulierungsmaßnahme verfolgten Gemeinwohlziels wurde ein fortbestehender Präzisierungsbedarf ausgemacht, um die Frage, inwieweit der mit der Maßnahme verfolgte Gemeinwohlzweck zu berücksichtigen ist, nicht in das Ermessen des Schiedsgerichts zu stellen und der persönlichen Anschauungen der Schiedsrichter zu entziehen.993 Durch eine vertragliche Präzisierung kann somit der dominierende Ansatz einer „gemäßigten“ police powers doctrine verbindlich bestätigt werden, soweit hierin der für angemessen erachtete Ausgleich erblickt wird.994 Wie erstmals im Musterabkommen 2004, bringen etwa der vorstehend auszugsweise wiedergegebene Annex B des US-Model BIT (2012) sowie das CETA ein solches Verständnis zum Ausdruck. Der sole effects doctrine wird eine klare Absage erteilt.995 Wie andere Beispiele veranschaulichen, ließe sich durch eine absolute ausgestaltete Ausnahme nichtdiskriminierender Regulierung zur Verfolgung bestimmter Gemeinwohlinteressen aber ebenso das Verständnis eines Ausgleichs im Sinne der „radikalen“ police powers doctrine artikulieren.996 cc) Präzisierung der Rolle und Voraussetzungen legitimer Erwartungen Auch wenn neuere Abkommenstexte ausdrücklich auf legitime Erwartungen Bezug nehmen, lassen sie in aller Regel offen, welche Vertrauensgrund992  Für eine Beschränkung auf Fälle vollständigen Wertverlusts, wenn nicht gar einer noch klareren Beschränkung auf Fälle direkter Enteignung, spricht sich Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 160, aus. 993  Siehe unter B.I.3. 994  Zu den Stimmen, wonach sich ein angemessener Interessensausgleich gerade durch die sole effects doctrine erzielen ließe, siehe supra Fn. 442. 995  US-Model BIT (2012), Annex B Abs. 4 (a)(i), wiedergegeben bei supra Fn. 988; Annex 8-A CETA, auszugsweise wiedergegeben in supra Fn. 989; siehe UNCTAD, Expropriation, S. 128. 996  Siehe die Beispiele in supra Fn. 433.

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D. Gestaltungsoptionen

lagen des Investors in Betracht kommen.997 Eine größere Rechtssicherheit im Hinblick auf die Verfolgung legitimer Regulierungsinteressen ließe sich durch eine verbindliche Einschränkung der Voraussetzungen legitimer Erwartungen erzielen. So ließe sich – über die Konkretisierung als „distinct, reasonable investment-backed expectations“998 hinaus – etwa weiter präzisieren, dass Investorenerwartungen nur dann als legitim anzuerkennen sind, wenn sie auf einer vorherigen schriftlichen Zusicherung beruhen, die gegenüber dem spezifischen Investor abgegeben wurde.999 Ein seltenes Beispiel findet sich im Annex des ASEAN Comprehensive Investment Agreement: „The determination of whether an action or series of actions by a Member State, in a specific fact situation, constitutes an expropriation […] requires a case-bycase, fact-based inquiry that considers, among other factors: […] b) whether the government action breaches the government’s prior binding written commitment to the investor whether by contract, licence or other legal document […].“1000

Für eine ausdrückliche Beschränkung auf schriftliche Zusagen spräche nicht nur, dass dieses Erfordernis für den Investor zumutbar wäre. Sondern auch, dass es als Gebot der gebührenden Sorgfalt jedes Investors erscheint, für eine Zusicherung, die für die Investitionsentscheidung von solch großer Bedeutung ist, dass ihre Enttäuschung zu einer berechtigten Schiedsklage Anlass geben soll, eine schriftliche Bestätigung einzufordern.1001 c) Stärkung der Regulierungsinteressen durch „negative“ Präzisierung In Kombination mit der „positiven“ Präzisierung – insbesondere in Ergänzung einer Vorgabe, wonach der Charakter der Maßnahme zu berücksichtigen ist1002 – finden sich in neueren Abkommen zunehmend Klarstel997  Kriebaum, 998  Siehe

Expropriation, S. 1008. US-Model BIT (2012), Annex B, Abs. 4 a)  (ii); Annex 8-A, Abs. 2 (c)

CETA. 999  Siehe den ergänzten Formulierungsvorschlag in UNCTAD, Expropriation, S.  128 f.: „distinct, reasonable investment-backed expectations [arising out of the Party’s prior binding written commitment to the investor]“; siehe auch Krajewski, Gutachten zur TTIP, S. 7 f., für eine Inbezugnahme eines im Rahmen des FETStandards entsprechend eingeschränkten Schutzes legitimer Erwartungen, für welchen er auch die Voraussetzung der Zuständigkeit der zusichernden Stelle anregt; für ein Schriftformerfordernis auch van Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 15 f. 1000  Art. 14 i.Vm. Annex 2 Abs. 3 ASEAN CIA (Hervorhebung durch den Autor). 1001  In diesem Sinne das Fehlen einer ausdrücklichen Beschränkung auf schriftliche Zusicherungen im CETA als Quelle von Korruption kritisierend auch van Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 16: „Any sophisticated adult, let alone major company, should know that promises should come in writing.“ 1002  Wie im US Model BIT (2012), siehe bei supra Fn. 988; über den character of the measure sind mit „nature, purpose and specific characteristics“ die für eine



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lungen und Interpretationsvorgaben, wonach staatliche Regulierungsmaßnahmen, die in gutem Glauben und nichtdiskriminierender Weise zur Verfolgung bestimmter Gemeinwohlinteressen ergriffen werden, keine indirekte Enteignung darstellen.1003 Dabei unterscheiden sich die Ausgestaltungen darin, ob nichtdiskriminierende Regulierungsmaßnahmen ausnahmslos keine indirekte Enteignung darstellen oder aber auch sie in Ausnahmefällen – die zum Teil weiter präzisiert werden – als indirekte Enteignung zu einer Entschädigungspflicht führen sollen.1004 Wie bereits angeführt, haben die Parteien einzelner neuer Abkommen zur Sicherstellung ihrer Regulierungsinteressen eine ausnahmslose Aus­ gestaltung für erforderlich erachtet1005, welche einem „radikalen“ police powers Verständnis, wie es etwa in Methanex vs. USA zu Grunde lag, entspricht.1006 Während die Verankerung eines solchen Ansatzes von NGOs und weiteren Stimmen etwa auch im Rahmen der Überarbeitung des USlegitime Gemeinwohlregulierung entscheidenden Faktoren zu berücksichtigen, nämlich insbesondere ob eine in gutem Glauben ergriffene Regulierungsmaßnahme (nature) zugunsten eines legitimen Gemeinwohlziels (purpose) in nichtdiskriminerender Weise und in einem ordnungsgemäßen Verfahren (specific characteristics) vorliegt, vgl. UNCTAD, Expropriation, S. 128 f.; vgl. die diesbezüglich noch detailliertere Präzisierung im CETA, supra Fn. 989; siehe auch Art. 92 Abs. 6 i. V. m. Annex 10 Japan-India EPA (2011), wonach es inbesondere auf den nichtdiskriminerenden Charakter sowie Art. 14 i.Vm. Annex 2 Abs. 3 c) ASEAN CIA, wonach es inbesondere auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme ankommen soll. 1003  Zur Rechtsnatur dieser Klarstellungen, Asteriti, Environmental Language in Investment Treaties, S. 142, wonach es richtiger sei, solche Präzisierungen als carveout anzusehen, anstatt als exception zur an sich bestehenden Verpflichtung und Ent­ schädigungspflicht, wenngleich nicht völlig klar sei, ob das Ziel dieser Bestimmungen darin bestehe, bestimmte Regulierungsmaßnahmen a priori vom Schutzbereich der Enteignungsklausel auszunehmen; in diesem Sinne, als Ausnahme vom Ent­ eigungsstandard und nicht der Entschädigungspflicht, auch Titi, Right to Regulate, S. 44, 151: „[H]as the appearance of an interpretive statement. However, it is, in effect, tantamount to a genuine exception to the indirect expropriation standard.“; zu Regulierungsmaßnahmen in Ausübung der police power vgl. auch Mann, IISD Issues Int. Invest. Law 2007, S. 6.: „For clarity, it is important to note that the reason such measures are not compensable is that they do not fall within the definition or scope of expropriation. In strict legal terms, the police powers rule is a ‚carve out‘ from the definition or scope of expropriation. It is not about an expropriation that is non-compensable. Rather, it addresses a measure that is not compensable because it is not an expropriation. The distinction is not just esoteric, but impacts significantly on the burden of proof and other factors in arbitrations around this issue.“ 1004  Siehe die Übersicht über die wesentlichen Formulierungsoptionen in UNCTAD, Expropriation, S. 130. 1005  Siehe bereits bei supra Fn. 996 und die Beispiele in supra Fn. 433. 1006  Methanex vs. USA, supra Fn. 371,  IV, D, Abs. 7; Spears, Making Way for the Public Interest in IIA, S. 279.

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D. Gestaltungsoptionen

Model BIT befürwortet wurde1007, obsiegten hier schließlich die Stimmen auch jener Wirtschaftsvertreter, die hierin einen zu sicheren Hafen der Gaststaaten erblickten, welcher mit hoher Wahrscheinlichkeit von einigen Staaten zu Lasten ausländischer Investoren genutzt werde.1008 So lässt der Annex des US-Model BIT (2012) Raum für seltene Ausnahmefälle, indem er bestimmt: „Except in rare circumstances, non-discriminatory regulatory actions by a Party that are designed and applied to protect legitimate public welfare objectives, such as public health, safety, and the environment, do not constitute indirect ex­ propriations.“1009

Während hier offen bleibt, wann solche seltenen Umstände zu bejahen sind, unter welchen selbst eine nichtdiskriminierende Gemeinwohlregulierung ausnahmsweise als indirekte Enteignung zu einer Entschädigungspflicht führt und diese Entscheidung somit dem Schiedsgericht überantwortet wird1010, schränken andere Abkommenstexte diesen Entscheidungsspielraum durch weitere Vorgaben weiter ein. So bestimmen die auf Grundlage des kanadischen Model-BIT abgeschlossenen Abkommen, dass ein solcher Ausnahmefall insbesondere dann vorliegt, wenn die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme in Hinblick auf das verfolgte Gemeinwohlziel zu dem Schluss einer missbräuchlichen Maßnahme drängt: „Except in rare circumstances, such as when a measure or series of measures are so severe in the light of their purpose that they cannot be reasonably viewed as having been adopted and applied in good faith, non-discriminatory measures of a Party that are designed and applied to protect legitimate public welfare objec1007  Siehe z. B. Stumberg, supra Fn. 80, S. 2: „[T]he [Methanex] ruling provides a model for reforming the language of indirect expropriation in the U.S. agreements.“; kritisch zu den Gegenausnahmen in den Model-BITs der USA und Kandas auch Mann, IISD Issues Int. Invest. Law 2007, S. 12.: „The irony of this, however, is that under the NAFTA interpretation in Methanex, a bright line in the sand was drawn: bona fide regulatory measures are not expropriations and are not compensable. Under the more recent Canadian and US texts, both intended to fix the flaws in NAFTA, additional arguments may be available to investors to cross this bright line.“ 1008  Darunter z. B. Menghetti, Vice President, Emergency Committee for American Trade, Testimony before the US House of Representatives, Committee on Ways and Means, Subcommittee on Trade, 14. Mai 2009, S. 96, abrufbar unter: http: / / www. gpo.gov / fdsys / pkg / CHRG-111hhrg53473 / pdf / CHRG-111hhrg53473.pdf. 1009  US Model BIT (2012), Annex B, Abs. 4 (b), wie schon im US Model BIT (2004). 1010  Kritisch hierzu Mann, IISD Issues Int. Invest. Law 2007, S. 10, da nicht klar sei, an welchen Faktoren ein solcher Ausnahmefall festzumachen ist und Investoren im Vergleich zur weiteren Präzisierung im kanadischen Model-BIT ein größerer Argumentationsspielraum eröffnet werde, warum eine Regulierungsmaßnahme einen solchen seltenen Ausnahmefall begründen sollte.



II. Mehr Rule – Die Präzisierung der unbestimmten Standards

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tives, such as health, safety and the environment, do not constitute indirect expropriation.“1011

Ähnlich präzisiert auch das CETA, wann der Ausnahmefall der Entschädigungspflicht einer nichtdiskriminierenden Regulierungsmaßnahme zu bejahen sein soll: „For greater certainty, except in the rare circumstance where the impact of the measure or series of measures is so severe in light of its purpose that it appears manifestly excessive, non-discriminatory measures of a Party that are designed and applied to protect legitimate public welfare objectives, such as health, safety and the environment, do not constitute indirect expropriations.“1012

Eine nichtdiskriminierende Regulierungsmaßnahme zum Schutz von Gemeinwohlinteressen wie der Gesundheit, Sicherheit und Umwelt muss also in Anbetracht des verfolgten Gemeinwohlziels offensichtlich unverhältnismäßig (manifestly excessive) sein, um zu einer Entschädigungspflicht des beeinträchtigten Investors zu führen. Gewiss, auch diese Formulierung ist wiederum wertungsabhängig und ermöglicht subjektive Bewertungen der Schiedsrichter1013, doch kommt hierdurch unmissverständlich eine weitere beachtliche Einschränkung zum Ausdruck, durch welche dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungsspielraum eingeräumt wird.1014 Auch fällt auf, dass die Präzisierung des seltenen Ausnahmefalls einer Entschädigungspflicht abschließend ausgestaltet ist.1015 Durch diese äußerst restriktive Präzisierung des seltenen Ausnahmefalls einer Entschädigungspflicht wird somit einer Auslegung, die einen entschädigungspflichtigen Ausnahmefall bereits unter weniger gravierenden Umständen bejahen könnte, ein Riegel vorgeschoben. 1011  So z.  B. Canada-Peru BIT (2006), Annex B 13(1)(c), Canada-Jordan BIT (2009), Annex B 13(1)(c), Canada-Slovakia BIT (2010), Annex A (c), Hervorhebung durch den Autor; damit wird gegenüber dem Regelfall einer legitimen, in gutem Glauben ergriffenen Regulierungsmaßnahme genaugenommen keine Ausnahme begründet. 1012  Annex 8.A, Abs. 3 CETA, Hervorhebung durch den Autor. 1013  Kritisch hierzu Krajewski, Gutachten zur TTIP, S. 8, 14, weshalb die Reichweite solcher Konkretisierungen durch offene Formulierungen wie u. a. manifestly excessive „kaum abschätzbar“ sei; in dem Konzept der greifbaren Übertreibung ebenfalls ein „weites Feld der Unklarheit“ und „Einfallstor, mit dem das ‚right to regulate‘ unterlaufen werden kann“ erblickend, Nettesheim, Die Auswirkungen von CETA auf den politischen Gestaltungsspielraum von Ländern und Gemeinden, S. 20. 1014  Schill, CETA Gutachten im Auftrag des BMWi, S. 18; dazu, dass ein eingeschränkter Überprüfungsmaßstab durch Adjektive wie u. a. „manifest“ bereits im materiellen Schutzstandard enthalten sein kann, vgl. Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Rn. 617: „In the present case, the Tribunal finds the standard of deference to already be present in the standard as stated, rather than being additive to that standard. The idea of deference is found in the modifiers ‚manifest‘ and ‚gross‘ that make this standard a stringent one.“ 1015  Vgl. demgegenüber bei supra Fn. 1011.

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D. Gestaltungsoptionen

Soweit man hierin einen angemessenen Ausgleich zwischen Investorenschutz und staatlicher Regulierungsfreiheit erblickt, verschiebt dieser die Balance jedenfalls deutlich zugunsten Letzterer. So deutlich, dass man auch die Frage stellen kann, inwieweit damit noch ein effektiver Investorenschutz gewährleistet bleibt.1016 Denn abgesehen von dem Schutz vor diskriminierenden Belastungen und einer – nur äußerst schwer nachzuweisenden – missbräuchlichen Maßnahme unter dem Deckmantel des Gemeinwohls, bliebe der Investor in den Fällen, in welchen eine evidente Unverhältnismäßigkeit und somit eine indirekte Enteignung zu verneinen wäre insoweit unter dem Abkommen schutzlos.1017 In Anbetracht der beobachteten Sensibilisierung und Bereitschaft der Schiedsgerichte, staatlichen Regulierungsinteressen Rechnung zu tragen und weite staatliche Einschätzungsspielräume bereits anzuerkennen, erschiene stattdessen ein Ausgleich vorstellbar, für welchen Schiedsgerichten die Beurteilung staatlicher Regulierungsmaßnahmen nach einem Verhältnismäßigkeitsmaßstab überantwortet werden kann, welcher nicht auf Fälle offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit beschränkt ist, ohne dass hierdurch eine unangemessene Einschränkung der staatlichen Regulierungsfreiheit zu befürchten stünde.1018 Die Einschränkung des Schutzes auf Fälle evidenter Unverhältnismäßigkeit könnte hingegen die Bereitschaft der Schiedsgerichte verringern, Maßnahme des Gaststaats – ohne diesem eine Einschätzungspräroga1016  Vgl. Schill, CETA Gutachten im Auftrag des BMWi, S. 32, wonach Haftungsrisiken und Einschränkungen des gesetzgeberischen Handlungsspielsraums durch die nicht wesentlich über die bereits bestehenden verfassunges- oder unionsrechtlichen Vorgaben des Gesetzgebers hinausgehenden Bestimmungen in CETA „zu vernachlässigen“ seien, vielmehr das ingesamt vergleichsweise geringe Maß an völkerrechtlichem Investitionsschutz den Wert des Investitionskapitels im CETA für den Schutz deutscher und europäischer Investoren in Kanada in Frage stelle. 1017  D. h. auch in den Fällen jeglicher – nicht evidenter – Unverhältnismäßigkeit, in welchen nach dem Schutz des Art. 14 GG, insbesondere unter der Rechtsfigur der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG), im Einzelfall ein Ausgleich zu leisten wäre, um die Verhältnismäßigmäßigkeit des staatlichen Handelns zu gewährleisten; siehe Schill, CETA Gutachten im Auftrag des BMWi, S. 18, hervorhebend, dass der Schutz insoweit hinter dem strengeren Grundgesetz zurückbleibt; ebenso Dederer, Neujustierung der Balance von Investorenschutz und „right to regulate“, VerfBlog vom 16. April 2014, im Fall einer „schlicht unverhältnismäßigen[n]“ Ausübung des right to regulate eine „offene Flanke“ des Investorenschutzes ausmachend und auf den Widerspruch zu der Erklärung der EUKommission hinweisend, die Investitionsschutzstandards spiegelten sich in den Rechtspositionen wider, die demokratische Staaten ihren Bürgern gewährleisten, vgl. das EU-Konsultationspapier, supra Fn. 31, S. 2; warnend auch BDI Stellungnahme vom 7. Mai 2015 zum Konzeptpapier der EU-Kommission, supra Fn. 144, S. 3; zum Institut der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen, Ossenbühl / Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 212 ff. 1018  Zu Formulierung einer solchen Klausel, UNCTAD, Expropriation, S. 130.

II. Mehr Rule – Die Präzisierung der unbestimmten Standards



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tive abzusprechen – sorgsam und effektiv zu hinterfragen und es Gaststaaten zu einfach machen, Maßnahmen unter dem Deckmantel des Gemeinwohls ergreifen zu können.1019 Grundsätzlich aber erscheint das Abstellen auf die Verhältnismäßigkeit der ergriffenen Regulierung als gangbarer Weg zur Erzielung eines Interessensausgleichs, indem Extrempositionen, wie etwa im Fall einer absoluten Ausnahme staatlicher Gemeinwohlregulierung vom Enteignungsschutz, vermieden werden.1020 3. Optionen zur Präzisierung des Fair and Equitable Treatment Standard Dass die Verpflichtung zu FET in der Regel ausnahmslos gewährt wird1021, erklärt sich leicht, wenn sie ausdrücklich auf das Gewohnheitsrecht beschränkt ist, soll doch dann eben nur ein absoluter Mindeststandard gewährt werden, hinter welchem der Schutz des Investors nicht zurückbleiben darf.1022 Unabhängig von der Beschränkung auf den Minimum Standard wurde das Fehlen von Ausnahmen auch auf das Verständnis eines bereits im Standard selbst angelegten Abwägungsvorgangs zurückgeführt.1023 Es erscheint aber auch dann wenig überraschend, stellt man die Frage, ob ein Gaststaat in Ausnahmefällen das Recht haben sollte, ausländische Investoren unbillig und ungerecht zu behandeln.1024 Umso wichtiger erscheint es hier1019  Siehe

hierzu die Erwägungen bei B.II.4. b) cc). diesem Sinne auch Siwy, Indirect Expropriation and Legitimate Expectations, S. 367, zu Recht darauf hinweisend, dass der dogmatische Widerspruch einer Berücksichtigung des Gemeinwohlziels zur Verneinung einer Enteignung statt als einer Rechtmäßigkeitsvoraussetzung durch das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit nicht beseitigt, sondern lediglich abgeschwächt wird. 1021  Art. 3(2) des China-Madagascar BIT (2005) enthält einen carve-out, wie sonst bei indirekter Enteignung: „Measures for reasons of security, public order and health, or for morality and the protection of the environment shall not be considered breaches.“; hierzu Asteriti, Environmental Language in Investment Treaties, S. 145. 1022  Siehe Glamis Gold vs. USA, supra Fn. 217, Abs. 615: „The customary international law minimum standard of treatment is just that, a minimum standard. It is meant to serve as a floor, an absolute bottom, below which conduct is not accepted by the international community.“; Titi, Right to Regulate, S. 144, 146 f., auch darauf hinweisend, dass Art. 14 Abs. 3 COMESA CIAA – trotz der Beschränkung auf den MST – ausdrücklich die differenzierende Berücksichtigung des Entwicklungsstands des jeweiligen Gaststaats anerkennt, was wieder zu der Frage führt, wie sich dies mit dem MST als absolutem Mindeststandard vereinbaren lässt. 1023  Titi, Right to Regulate, S. 145, 147. 1024  Die von Dolzer, 12 Santa Clara J. Int. Law 2014, S. 13, formulierte Frage, ob ein Staat das Recht zur unfairen und unbilligen Behandlung ausländischer Investoren haben sollte, bleibt auch im Ausnahmefall rhetorisch. 1020  In

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D. Gestaltungsoptionen

nach, durch eine „positive“ Präzisierung den intendierten Schutzumfang möglichst präzise zum Ausdruck zu bringen und so die Ausnahmslosigkeit zu kompensieren. a) Beschränkung auf den Minimum Standard Dass die Option der Beschränkung des FET-Standards auf den absoluten und ausnahmslosen Minimum Standard kaum geeignet erscheint, den als angemessen erachteten Schutzumfang zu artikulieren, wurde bereits im Anschluss an die Betrachtung der Entwicklung der Schiedspraxis zum FETStandard ausführlich dargelegt. Im Hinblick auf eine intendierte inhaltliche Einschränkung der unter dem FET-Standard fallenden Einzelverpflichtungen wurde ersichtlich, dass diese Bemühung gescheitert ist und erwogen, dass der Beschränkung auf den Minimum Standard inhaltlich allenfalls hinsichtlich einer zukünftigen, noch weitergehenden Auslegung des Standards Bedeutung zukommen könnte. Hieraus wurde gefolgert, dass ein Staat, der den Inhalt, welcher dem FETStandard in der heutigen Schiedspraxis beigemessen wird, als zu weitgehend empfindet, ein entschiedeneres Vorgehen zeigen muss, als nur eine Beschränkung des Standards auf einen seinerseits unbestimmten Minimum Standard.1025 Ebenso wurde auch im Hinblick auf die verbleibende Funk­ tion der Betonung einer besonders restriktiven und tendenziell noch höheren Eingriffsschwelle, als sie heute auch im Fall eines autonomen FET-Standard angenommen wird, ersichtlich, dass allein die Kopplung des FET-Standards an das Gewohnheitsrecht nicht ausreicht, um sich der Anwendung dieser besonders restriktiven Eingriffsschwelle sicher zu sein.1026 Verschiedene Alternativen werden daher vorgeschlagen, um einer expansiven Auslegung noch entschiedener zu begegnen.1027 So wird zum Teil sogar erwogen, auf den FET-Standard in zukünftigen Abkommen ganz zu verzichten1028 oder ihn durch einen deutlich engeren Behandlungsstandard zu ersetzen.1029 Während ein Verzicht die radikalste Option wäre, um eine 1025  Siehe 1026  Dies

unter B.II.3.c). zeigte die Entscheidung in Merrill & Ring vs. Canada, siehe bei supra

Fn. 591. 1027  Siehe z. B. die Vorschläge von Porterfield, IISD Invest. Treaty News 3 / 2013, S. 4 f.; Southern African Development Community Model Bilateral Investment Trea­ ty 2012 („SADC Model BIT (2012)“), S. 23. 1028  Porterfield, IISD Invest. Treaty News 3 / 2013, S. 5; vgl. UNCTAD, WIR 2012, S. 139. 1029  Siehe SADC Model BIT (2012), supra Fn. 1027, S. 22 f.: „The fair and equitable treatment provision is, again, a highly controversial provision. The Drafting Committee recommended against its inclusion in a treaty due to very broad inter-



II. Mehr Rule – Die Präzisierung der unbestimmten Standards

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expansive Auslegung des FET-Standards durch Schiedsgerichte zu verhindern, so bliebe ein Gaststaat nach wie vor zur Behandlung ausländischer Investoren entsprechend des gewohnheitsrechtlichen Minimum Standard verpflichtet, über dessen inhaltliche Auslegung und Reichweite weiterhin keine Klarheit und Vorhersehbarkeit gewonnen wäre.1030 Gleiches gilt auch für den Vorschlag, zusätzlich zur Begrenzung des FETStandards auf den Minimum Standard, ausdrücklich dem Investor die Beweislast aufzuerlegen, dass die als verletzt geltend gemachte Pflicht überhaupt besteht und zusätzlich klarzustellen, dass der Nachweis entsprechender staatlicher Übung und opinio juris nicht durch den bloßen Verweis auf Schiedsurteile erbracht werden kann.1031 Auch erschiene fraglich, ob es einem angemessenen Ausgleich entspräche, dem Investor angesichts eines deutlichen Informationsdefizits eine solche, kaum erfüllbare Nachweispflicht aufzuerlegen.1032

pretations in a number of arbitral decisions.“, abrufbar unter: http: / / www.iisd.org /  itn / wp-content / uploads / 2012 / 10 / sadc-model-bit-template-final.pdf. Das Draft­ing Committee, bestehend aus Vertretern der beteiligten Staaten, erachtete den von der südafrikanischen Regierung vorgeschlagenen und deutlichen engeren Standard eines Fair Administrative Treatment einhellig als gangbare Alternative zum FET-Standard. Für die Option des Festhaltens an einem an den Minimum Standard gekoppelten FET-Standard wurde eine Klarstellung vorgeschlagen, wonach ein Verstoß den Nachweis einer Maßnahme voraussetzt, welche die Eingriffsschwelle der Neer-Entscheidung erreicht (siehe a. a. O., S. 23 f.). 1030  Davon zu trennen ist die Frage, ob die Verletzung auch vor dem Schiedsgericht geltend gemacht werden kann, was davon abhängt, ob im Abkommen eine weite Streitbeilegungsklausel vorgesehen ist oder aber ein Zugang zur Streitbeilegung nur für Vertragsverstöße gegeben ist, siehe UNCTAD, FET, S. 104. 1031  Porterfield, IISD Invest. Treaty News 3 / 2013, S. 5 f. 1032  In diesem Sinne Schill, 104 Am. J. Int. Law 2010, S. 258, der kritisierte, dass das Schiedsgericht in Glamis Gold vs. USA dem Investor die Beweislast der für das Entstehen von Völkergewohnheitsrecht erforderlichen Staatenpraxis und opinio juris auferlegte: „Instead, the tribunal should have applied the principle iura novit curia and accepted that the content of the international minimum standard today, rather than emerging through the aggregation of state practice, is forged primarily by the rulings of arbitral tribunals, which are called to determine what international standards of justice require of states in times of a rapidly evolving, global economy.“; zudem bliebe offen, inwieweit ein Schiedsgericht bereit sein könnte, den Nachweis gleichwohl mit Blick auf die Schiedspraxis als erbracht anzusehen, siehe nur nur die Ausführungen des Gerichts in RDC vs. Guatemala, mit welchen es den Forderungen nach einem solchen strengen und durch die Heranziehung von Schiedsurteilen nicht zu erbringenden Nachweis von Gewohnheitsrecht begegnete, siehe bei supra Fn. 603.

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D. Gestaltungsoptionen

b) Präzisierung der Einzelverpflichtungen unter dem FET-Standard Ein weiterer, entschiedener Ansatz, die Delegation an das Schiedsgericht zurückzunehmen und die Kontrolle über die Auslegung der FET-Verpflichtung zurückzuerlangen, anstatt den Inhalt und die Reichweite der FETVerpflichtung allein durch eine Kopplung an die gewohnheitsrechtliche Quelle zu füllen, besteht darin, selbst konkrete Aussagen über den Inhalt und die erforderliche Eingriffsintensität zu treffen. Dies, indem unter Rückgriff auf die in der Schiedspraxis herausgebildeten Einzelverpflichtungen jene benannt werden, die nach dem Verständnis der Vertragsparteien von einem angemessenen Ausgleich dem FET-Standard unterfallen sollen bzw. ihr Verständnis des gewohnheitsrechtlichen anerkannten Schutzumfangs zum Ausdruck bringen.1033 In einzelnen Abkommen findet sich bereits ein solcher Ansatz. So etwa im US-Model BIT (2012), der – wie bereits sein Vorgänger aus 2004 – ausdrücklich bestimmt, dass ein Verstoß gegen die dem Minimum Standard unterfallende FET-Verpflichtung den Fall der Rechtsverweigerung einschließt.1034 Soweit der Wortlaut dabei, wie zumeist1035, zu erkennen gibt, dass sich der Inhalt der Verpflichtung nicht abschließend auf Fälle der Rechtsverweigerung beschränkt, verbleibt den Schiedsgerichten ein Spielraum, der potentiell wiederum zu einer expansiven Auslegung und Anerkennung weiterer Verpflichtungen genutzt werden könnte. Dies, obgleich durch die ausdrückliche Nennung der Rechtsverweigerung – welche nur in äußerst schwerwiegenden Fällen vorliegt – zugleich zum Ausdruck kommt, dass auch andere Verpflichtungen (wie z. B. das Verbot willkürlicher oder diskriminierender Behandlung) nur in ähnlich gravierenden Fällen als verletzt anzusehen sein soll.1036 In einzelnen Abkommenstexten bringt der Wortlaut daher zum Ausdruck, dass sich der Schutz unter dem FET-Standard allein auf den Fall der Rechtsverweigerung beschränkt.1037 1033  So auch das erklärte Ziel des EU-Ansatzes im EU-Konsultationspapier, supra Fn. 31,  S. 6: „The main objective of the EU is to clarify the standard, in particular by incorporating key lessons learned from case-law. This would eliminate uncertainty for both states and investors.“; zu dieser Option auch UNCTAD, FET, S.  108 f. sowie UNCTAD, WIR 2012, S. 139. 1034  Siehe etwa U.S.-Model BIT (2012), Art. 5(2)(a): „The obligation to provide ‚fair and equitable treatment‘ includes the obligation not to deny justice in criminal, civil, or administrative adjudicatory proceedings in accordance with the principle of due process embodied in the principal legal systems of the world.“ 1035  UNCTAD, FET, S. 29, 110. 1036  Vgl. UNCTAD, FET, S. 30. 1037  Siehe z.  B. Art. 11(2)(a) ASEAN Comprehensive Investment Agreement (2009), Art.  6(2)(a) ASEAN-Australia-New Zealand FTA, deren Wortlaut den Schluss nahelegt, dass sich der Schutz allein auf den Fall der Rechtsverweigerung



II. Mehr Rule – Die Präzisierung der unbestimmten Standards

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Der Vorteil einer abschließenden Aufzählung einzelner Verpflichtungen – die sich freilich nicht auf den Fall der Rechtsverweigerung beschränken müsste – besteht darin, dass diese ausdrücklich bestätigt werden, was die Rechtsklarheit und Vorhersehbarkeit für Staaten wie Investoren erhöht. Anderen Verpflichtungen, die in der Vergangenheit von Schiedsgerichten herangezogen wurden, die jedoch von den Vertragsparteien als zu weitgehend und als Gefahr für legitime Regulierungsinteressen angesehen werden, wird hingegen aufgrund des abschließenden Charakters der Aufzählung implizit widersprochen. Im CETA wird nun erstmals in einem internationalen Investitionsabkommen dieser Ansatz verfolgt und – nach dem erklärten Willen der Kommission1038 – in abschließender Weise festgelegt, in welchen Fällen ein Verstoß gegen die in Art. 8.10 Abs. 1 des Abkommens übernommene autonome Verpflichtung zu fair and equitable treatment vorliegt.1039 So bestimmt Art. 8.10 Abs. 2 CETA: „A Party breaches the obligation of fair and equitable treatment referenced in paragraph 1 where a measure or series of measures constitutes: (a) denial of justice in criminal, civil or administrative proceedings; (b) fundamental breach of due process, including a fundamental breach of transparency, in judicial and administrative proceedings. (c) manifest arbitrariness; (d) targeted discrimination on manifestly wrongful grounds, such as gender, race or religious belief; beschränken soll: „fair and equitable treatment requires each Member State not to deny justice[…].“ Deutlicher bringt dies Art. 7(2)(a) ASEAN-China Investment ­Agreement zum Ausdruck: „fair and equitable treatment refers to the obligation of each Party not to deny justice in any legal or administrative proceedings“. Dieses Verständnis wird in den genannten Fällen dadurch gestützt, dass nicht auf den MST und damit weitere unter diesen fallende Verpflichtungen verwiesen wird, siehe UNCTAD, FET, S. 30 f. 1038  Sie EU-Konsultationspapier, supra Fn. 31, S. 6: „This list may be extended only where the Parties […] (the EU and the US) specifically agree to add such elements to the content of the standard, for instance where there is evidence that new elements of the standard have emerged from international law.“; van Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 15, bezeichnet die Erklärung der EU-Kommission, es handele sich um eine abschließende Auflistung hingegen als irreführend, da nicht ausdrücklich klar gestellt werde, dass die Aufzählung abschließend ist, was etwa durch die Einfügung des Wortes „only“ im ersten Satz des Absatzes leicht hätte erreicht werden können. So aber bleibe den Schiedsgerichten Raum für eine expansive Auslegung: „[T]he clause’s ambiguity allows arbitrators to infer that the list was not intended by both states parties to be closed. Statements to the contrary in the consultation text are misleading.“ 1039  Bierbrauer, Analyse zum Abschluss der Verhandlungen über CETA, S. 8.

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D. Gestaltungsoptionen

(e) abusive treatment of investors, such as coercion, duress and harassment; or (f) a breach of any further elements of the fair and equitable treatment obliga­tion adopted by the Parties in accordance with paragraph 3 of this Article.“

Nur im Fall eines Verstoßes gegen elementare rechtsstaatliche Grundsätze, wie im Fall einer grundlegenden Verletzung des Rechts auf ein ordnungsgemäßes Verfahren, offenkundiger Willkür, der gezielten Diskriminierung aus offenkundig ungerechtfertigten Gründen, wie beispielsweise aus Gründen des Geschlechts, der Rasse oder der religiösen Überzeugung oder im Fall der missbräuchlichen Behandlung von Investoren, einschließlich Fällen der Nötigung, des Zwangs und von Schikane, liefe hiernach eine Regulierung im Gemeinwohlinteresse Gefahr, zu einer Entschädigungspflicht des Gaststaats zu führen. Ein äußerst restriktives Verständnis eines Ausgleichs, welches eine beachtliche Einschränkung gegenüber dem Schutzumfang bisheriger Abkommen zum Ausdruck bringt.1040 Dies zeigt sich gerade auch an der Verwendung von Adjektiven, wonach die Verletzung grundlegend (fundamental) oder offenkundig (manifest) sein muss. Hier zeigt sich – so denn man hierin den richtigen Weg zu einem angemessenen Ausgleich erblickt – eine weitere Option, um in zukünftigen Abkommenstexten einen besonders zurückhaltenden Überprüfungsmaßstab einzufordern und eine hohe Eingriffsschwelle zum Ausdruck zu bringen.1041 1040  So auch Schill, CETA Gutachten im Auftrag des BMWi, S. 14 f., wonach eine Einschränkung des gesetzgeberischen Handlungsspielraums gegenüber Bindungen durch das deutsche Verfassungsrecht hiernach keinesfalls zu befürchten steht, sondern im Gegenteil die gewählte Ausgestaltung des FET-Standards nicht nur hinter dem bisherigen Standard von Investitionsschutzabkommen, sondern auch hinter dem durch die deutsche Verfassung materiell gewährten Schutz von Investitionen zurückbleibe; hierin eine erhebliche Reduktion der Tragweite des FET-Standards und eine deutlich über das übliche Maß hinausgehende Einschränkung des Interpretationsspielsraums der Schiedsgerichte erblickend und – wie hier –, entgegen manch anderslautender Behauptungen, nicht erwartend, dass sich Schiedsgerichte über die in CETA formulierten Eingrenzungen einfach hinwegsetzen werden, auch Nettesheim, Die Auswirkungen von CETA auf den politischen Gestaltungsspielraum von Ländern und Gemeinden, S. 18 f.; siehe im Kontrast die scharfe Kritik an einem besonders unglücklichen und gerade zu „heuchlerischen“ Ansatz der Kommission, van Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 5 f.: „[T]he Commission’s clarification on fair and equitable treatment codifies a major expansion of this term compared to its widely-accepted customary meaning before the investor-state arbitrators came on the scene about 15 years ago. In particular, the Commission’s approach expands significantly the meaning of fair and equitable treatment as accepted by Canada, the U.S. and Mexico in the NAFTA context. Thus, the Commission endorses the arbitrators’ power grab on fair and equitable treatment and, in turn, heightens the risk to the right to regulate. In this and other ways, the Commission’s approach has undermined, not affirmed, the right to regulate.“, zu den einzelnen Kritikpunkten, siehe a. a. O., S.  11 ff.



II. Mehr Rule – Die Präzisierung der unbestimmten Standards

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Dies auf eine Weise, die gegenüber der Option, die entsprechende Botschaft an die Schiedsgerichte über eine bloße Kopplung an den Minimum Standard zu vermitteln, deutlich verbindlicher und effektiver erscheint. Weiter bietet sich auch im Rahmen des FET-Standards die Möglichkeit, fortbestehende Unsicherheiten hinsichtlich der Voraussetzungen einzelner Schutzverpflichtungen durch eine Präzisierung zu beseitigen. Zu denken ist auch hier insbesondere an eine Einschränkung der Voraussetzungen des Entstehens legitimer Erwartungen, wie sie bereits im Rahmen des Enteignungsstandards dargelegt wurde.1042 Betrachtet man insoweit den Text des CETA, so fällt ins Auge, dass der Schutz legitimer Erwartungen, die potentiell gefährlichste Einschränkung gesetzgeberischer Handlungsfreiheit zur Verfolgung legitimer Gemeinwohlziele, in der abschließenden Aufzählung des Art. 8.10 Abs. 2 CETA gar nicht als eigenständige Fallgruppe aufgelistet ist. Stattdessen eröffnet Abs. 4 der Bestimmung den Schiedsgerichten lediglich die Möglichkeit, die Enttäuschung legitimer Investorenerwartungen im Rahmen der Anwendung des FET-Standards und der Subsumtion unter die benannten Einzelverpflichtungen zu berücksichtigen. Selbst dies jedoch nur, soweit diese auf spezifischen Zusicherungen beruhen, die vom Gaststaat als Investitionsanreiz gemacht wurden und der Investor in seiner Investitionsentscheidung auf sie vertraute.1043 Legitime Investorenerwartungen werden somit von ihrer durch die Investitionsrechtsprechung zugewachsenen Rolle eines eigenständigen FET-Elements wieder auf ihre Rolle eines Auslegungsund Abwägungskriteriums reduziert.1044 Auch dies bedeutet eine signifikante Einschränkung gegenüber der bisherigen Praxis, um das right to regulate der Gaststaaten sicherzustellen.1045 1041  Zur Verwendung von Adjektiven, wie etwa auch evident, flagrant, continuous, unjustified, zur Einforderung eines zurückhaltenden Überprüfungsmaßstabs und eines hohen threshold, siehe auch UNCTAD, FET, S. 110. 1042  Siehe unter D.II.2.b)cc). 1043  Siehe Art. 8.10 Abs. 4 CETA: „When applying the above fair and equitable treatment obligation, a tribunal may take into account whether a Party made a specific representation to an investor to induce a covered investment, that created a legitimate expectation, and upon which the investor relied in deciding to make or maintain the covered investment, but that the Party subsequently frustrated.“ 1044  Siehe schon bei und in supra Fn. 741. 1045  Zu dieser Herabstufung legitimer Erwartungen auch Dederer, Neujustierung der Balance von Investorenschutz und „right to regulate“, VerfBlog vom 16. April 2014; auch Krajewski, Gutachten zur TTIP, S. 7, erwartet, dass die legitimen Erwartungen gegenüber der bisherigen Praxis an Bedeutung verlieren werden; hierzu auch Nettesheim, Die Auswirkungen von CETA auf den politischen Gestaltungsspielraum von Ländern und Gemeinden, S. 19, nicht erwartend, dass es unter CETA zu einer weiten Interpretationspraxis zu Investorenerwartungen kommen wird, wie sie mache Schiedsgerichte entwickelt haben.

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D. Gestaltungsoptionen

Während durch eine abschließende Auflistung der von FET umfassten Fallgruppen einer expansiven Auslegung des Standards zu Lasten legitimer Regulierungsinteressen ein effektiver Riegel vorgeschoben und die Rechtssicherheit erhöht wird, so erwachsen hieraus die potentiellen Nachteile fehlender Flexibilität zur Berücksichtigung zukünftiger Entwicklungen und möglicher Schutzlücken. Nachteile, die wieder zu der Frage führen, inwieweit es zu ihrer Vermeidung nicht auch möglich wäre, sich durch eine nichtabschließende Normierung der FET-Elemente und die entsprechende Delegation nicht normierter Anwendungsfälle an die Schiedsgerichte, vertragliche Flexibilität zur Erzielung eines im Einzelfall angemessenen Ausgleichs zu bewahren, ohne befürchten zu müssen, dass die vertragliche Unbestimmtheit von Schiedsgerichten einseitig zu Gunsten von Investoren und zu Lasten staatlicher Regulierungsinteressen genutzt würde.1046 In der beobachteten erhöhten Sensibilität der Schiedsgerichte für die Sorge um eine unangemessene Einschränkung legitimer Regulierungsinteressen und die gestiegene Bereitschaft, diesen Rechnung zu tragen, kann man ein Argument dafür erblicken, dass auch hierin eine verantwortbare Option zur Erzielung eines Ausgleichs zwischen Regulierungsfreiheit und effektivem Investorenschutz bestünde. Eine vorsichtigere Alternative zur Vermeidung vertraglicher Inflexibilität, welche die Schiedsrichter nicht einbezieht, zeigt hingegen das CETA auf, indem die Vertragsstaaten den Inhalt der abschließend normierten FET-Verpflichtung durch das CETA Joint Committe erweitern und so auf zukünftige Entwicklungen reagieren können.1047 Ein Mechanismus, dessen Praktikabilität die Zukunft erweisen wird.1048

1046  Siehe

bereits unter A.IV.2.a). Art. 8.10 Abs. 3 CETA: „The Parties shall regularly, or upon request of a Party, review the content of the obligation to provide fair and equitable treatment. The Committee on Services and Investment, established under Article 26.2.1 (b) (Specialised committees) may develop recommendations in this regard and submit them to the CETA Joint Committee for decision.“; siehe hierzu auch die Erläuterung der EU-Kommission im EU-Konsultationspapier, supra Fn. 31, S. 6, zitiert in supra Fn. 1038; Bedenken gegen diese Bestimmung äußert Nettesheim, Die Auswirkungen von CETA auf den politischen Gestaltungsspielraum von Ländern und Gemeinden, S. 19, da nicht vorgesehen ist, dass etablierte oder anerkannte Schutzstandards das Orientierungsmuster bilden müssen und das right to regulate nicht unterlaufen werden darf. Hiernach sei nicht ausgeschlossen, dass der FET-Standard eine neue und bislang so nicht bekannte Gestalt gewinnen könnte. 1048  Zweifelnd, ob die Vertragsparteien in der Praxis jemals von diesem Gebrauch machen werden, etwa der BDI, supra Fn. 141, zu Frage 3 unter 1. 1047  Siehe

III. General Exceptions nach Vorbild von Art. XX GATT

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III. General Exceptions nach Vorbild von Art. XX GATT Obgleich General Exceptions nach Vorbild von Art. XX GATT noch immer eher eine Seltenheit sind, greifen die Vertragsstaaten insbesondere in Freihandelsabkommen mit Investitionsschutzkapitel zunehmend auf diese Option zur Erzielung eines Ausgleichs zurück.1049 In verschiedener Ausgestaltung, die sich enger oder weiter an Art. XX  GATT und / oder Art. XIV GATS anlehnt, sehen diese General Exceptions also zunächst einen Katalog bestimmter Gemeinwohlinteressen vor, zu welchem die Maßnahme in dem jeweils geforderten, mehr oder weniger strengen Zusammenhang (nexus) stehen muss (z. B. necessary to, relating to, designed and applied to). Zusätzlich, und zumeist vorangestellt, charakterisiert diese General Exceptions ein Chapeau, der als Ausdruck von Treu und Glauben die Gefahr einer diskriminierenden und missbräuchlichen Berufung auf die Verfolgung dieser Gemeinwohlinteressen adressiert.1050 Für ein Beispiel kann auf die Vertragspraxis Kanadas zurückgegriffen werden, in deren Abkommen bereits seit 1994 General Exceptions in unterschiedlich strenger Anlehnung an Art. XX GATT enthalten waren, die auch bereits im kanadischen Model-FIPA (2004) – hier noch mit GATT-typischer Voranstellung des Chapeau – Eingang fanden: „General Exceptions Subject to the requirement that such measures are not applied in a manner that would constitute arbitrary or unjustifiable discrimination between investments or between investors, or a disguised restriction on international trade or investment, nothing in this Agreement shall be construed to prevent a Party from adopting or enforcing measures necessary: (a) to protect human, animal or plant life or health; (b) to ensure compliance with laws and regulations that are not in consistent with the provisions of this Agreement; or 1049  Siehe UNCTAD, WIR 2014, S. 116 f., nebst Übersicht; zur zunehmenden Verbreitung gleichermaßen unter primär kapitalimportierenden wie kapitalexportierenden Staaten, auch Sabanogullari, Invest. Treaty News 2 / 2015, S. 4. 1050  Zum Teil findet sich auch ein funktionsgleiches Äquivalent, welches dem Ausnahmekatalog nachfolgt und hier gleichfalls von der Bezeichnung Chapeau umfasst sein soll, siehe z. B. in den neueren Abkommen Kanadas, etwa Art. 20 Abs. 1 Canada-Benin FIPA (2014); siehe auch die Ausgestaltung in Art. 16.1(c) und 16.3 des Japan-Korea BIT, wonach der Staat, solange er damit nicht missbräuchlich seinen Verpflichtungen aus dem Abkommen entgehen will, erforderliche Gesundheitsund Umweltschutzmaßnahmen ergreifen kann, wenn diese dem Vertragspartner zuvor oder schnellmöglich nach Inkrafttreten mitgeteilt und dargelegt werden. Gegenüber Art. XX GATT soll statt weiterer materieller Voraussetzungen auf diese Weise der missbräuchlichen Berufung auf die General Exceptions begegnet werden, hierzu Spears, Making Way for the Public Interest in IIA, S. 289.

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D. Gestaltungsoptionen

(c) for the conservation of living or non-living exhaustible natural resourc­ es.“1051

Einige weitere Beispiele lassen sich anführen, welche ebenfalls General Exceptions nach GATT und / oder GATS Vorbild vorsehen.1052 Zum Teil werden Art. XX GATT und / oder Art. XIV GATS auch als Bestandteil des Abkommens inkorporiert.1053 Der Zweck dieser Klauseln besteht darin, den Gaststaat standardübergreifend von nach dem Vertrag bestehenden Verpflichtungen zu befreien, wenn die Einhaltung dieser Verpflichtungen im Widerspruch zu den explizit im Vertrag bestimmten Politikzielen steht.1054 Unterfällt die staatliche Maßnahme dem normierten Politikziel und erfüllt sie neben dem jeweils geforderten nexus zwischen Maßnahme und Politikziel auch den Chapeau, so entfällt eine Entschädigungspflicht aufgrund der Verletzung einer bestehenden Verpflichtung.1055 Gleich, ob dem Rückgriff auf General Exceptions die Annahme zu Grunde liegt, ohne diese läge eine entschädigungspflichtige Verlet1051  Canada Model-FIPA (2004), Art. 10 Abs. 1, hier angeführt zur Illustrierung des Art. XX GATT entsprechend vorangestellten Chapeau, so z. B. auch im Canada – Colombia FTA (2008), Art. 2201 Abs. 3; Canada – Korea FTA (2014), Art. 22.1 Abs. 3. In neueren Abkommen ist der Chapeau hingegen nicht mehr vorangestellt, sondern unter den Ausnahmenkatalog gerutscht, siehe bereits supra Fn. 1050; zur dieser und weiterer sukzessiver Anpassungen des kanadischen Mustervertrags, siehe Titi, IISD Invest. Treaty News 3 / 2013, S. 14. 1052  Z. B. Chapter 8, Art. 21 Singapore – Australia Free Trade Agreement (SAFTA) (2003); Art. 16 Agreement on Investment of the Framework Agreement on Comprehensive Economic Cooperation between ASEAN and China (2009); Art. 10.18 Korea-India Comprehensive Partnership Agreement (2009); auch in Art. 22 COMESA CIAA sind General Exceptions vorgesehen, wobei die Maßnahme nicht erforderlich sein muss, um das normierte Regelungsziel zu erreichen, sondern es genügt, wenn sie zu diesem Zweck vorgesehen und angewandt wurde („designed and applied“); für weitere Beispiele, Spears, Making Way for the Public Interest in IIA, S. 288. 1053  Siehe z. B. Chapter 17, Art. 200 Abs. 1 China – New Zealand FTA (2008), wo sowohl Art. XX GATT als auch Art. XIV GATS inkorporiert wird: „For the purposes of this Agreement, Article XX of GATT 1994 and its interpretative notes and Article XIV of GATS (including its footnotes) are incorporated into and made part of this Agreement, mutatis mutandis.“; siehe auch Chapter 16, Art. 1601 Thailand – Australia FTA (2005), wo Art. XIV GATS und zusätzlich Art. XX (e)‒(g) GATT inkorporiert wird, wodurch insbesondere der Schutzes natürlicher Ressourcen ergänzt wird; vgl. auch Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 361, wonach Art. XX GATT aufgrund dieses in XIV GATS nicht vorgesehenen Gemeinwohlziels für die Heranziehung im Investitionsschutzrecht die angemessene General exception sei. 1054  Spears, Making Way for the Public Interest in IIA, S. 287, verweisend auf United States  – Measures Affecting the Cross-Border Supply of Gambling and Betting Services, WT / DS285 / AB / R, 20. April 2005, Abs. 291. 1055  UNCTAD, Expropriation, S. 132: „[A] State cannot be held liable for violat­ ing substantive protections of the treaty.“; Spears, Making Way for the Public Interest in IIA, S. 287.

III. General Exceptions nach Vorbild von Art. XX GATT

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zung des entsprechend weit verstandenen Schutzstandards vor oder aber General Exceptions angesichts der Anerkennung impliziter Ausnahmen des Schutzes nur als vorsorgliche Sicherheitsvorkehrung im Hinblick auf die Unsicherheit über die Reichweite der Schutzstandards vorgesehen werden1056, ist das verfolgte Ziel dasselbe: Auch durch General Exceptions wollen sich Staaten ihren Regulierungsfreiraum zur Verfolgung der benannten Gemeinwohlziele sichern und einen angemessenen Ausgleich zwischen Investorenschutz- und Gemeinwohlzielen erzielen. Ob dieser Ansatz aber das geeignete Mittel ist, dieses Ziel zur erreichen, wird sehr unterschiedlich beurteilt. Nach einem Blick auf die Vorteile und das Potential dieses Ansatzes, einen Ausgleich zwischen effektivem Investorenschutz und staatlicher Regulierungsfreiheit zu erzielen (1.), ist auf die Bedenken und Vorbehalte gegen diese Option einzugehen (2.), bevor abschließend eine Bewertung erfolgen soll, inwieweit in General Exceptions ein vorzugswürdiger Ansatz zur Erzielung eines Ausgleichs zu erblicken ist (3.). 1. Vorteile und Ausgleichspotential von General Exceptions a) Ausgleichspotential durch ein beschränktes und bedingtes right to regulate Betrachtet man die Vorteile dieses Ansatzes, so mag man einen ersten in der Einfachheit und Klarheit einer Klausel für das right to regulate gegenüber unübersichtlicheren und über den Abkommenstext verstreuten Regelungen erblicken.1057 Das Potential aber, einen Ausgleich zwischen Regulierungsfreiheit und effektivem Investorenschutz zu erzielen, besteht darin, dass den Gaststaaten kein unbeschränktes und unbedingtes Recht zur Regulierung eingeräumt wird. Vielmehr wird ein right to regulate normiert, das in mehrfacher Weise durch Bedingungen beschränkt ist, deren Erfüllung der Überprüfung durch ein neutrales Schiedsgericht unterliegt.1058 So bietet dies auch aus Sicht des Investors und der offensiven Interessen der Vertragsstaaten den Vorteil erhöhter Rechtssicherheit. Zwar werden ausdrücklich Politikziele normiert, in Verfolgung derer der Investor – vorbehaltlich des geforderten nexus und des Chapeau – keinen Schutz durch fi1056  Auf diese Unklarheit des zugrunde liegenden Verständnisses hinweisend, Newcombe, The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 277. 1057  Titi, Right to Regulate, S. 179. 1058  Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 369; siehe auch Titi, Right to Reg­ ulate, S. 175, den Unterschied zu self-judging security exceptions hervorhebend.

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D. Gestaltungsoptionen

nanzielle Kompensation erfährt, zugleich besteht jedoch ein ausgleichendes Gegengewicht darin, dass sich der Investor einer kalkulierbareren Regulierungsfreiheit gegenübersieht. Nämlich einer Regulierungsfreiheit, die auf die benannten Gemeinwohlziele beschränkt ist, anstatt eines diffusen Freiraums, der es dem Gaststaat ermöglichen würde, für ein beliebiges Ziel entschädigungslos regulierend tätig werden zu können, das er als im Gemeinwohlinteresse liegend deklariert.1059 Dies wäre ein Ausgleich im Sinne der Erwägung, dass eine klare Grenzziehung, die dem Investor deutlich und kalkulierbar die Grenzen und Einschränkungen seines Schutzes aufzeigt, auch dem Investoreninteresse mehr entspricht, als vermeintlich günstigere Investitionsbedingungen, die von einem diffusen right to regulate überschattet werden.1060 Auch darf man nicht der Fehlvorstellung unterliegen, hinsichtlich der normierten Gemeinwohlziele sei der Investor schutzlos. Indem den Schiedsgerichten die Aufgabe überantwortet wird, zu überprüfen, ob die staatliche Maßnahme unter die benannten Politikziele fällt, der von den Parteien für einen Ausgleich für erforderlich erachtete nexus zwischen der Maßnahme und dem verfolgten Gemeinwohlziel zu bejahen ist und vor allem dem Vorbehalt des Chapeau genügt wird, erfahren ausländische Investoren einen effektiven Schutz. Insbesondere auch vor der von ihnen mit am meisten gefürchteten Gefahr, durch die stärkere Betonung der Regulierungsinteressen zukünftig schutzlos diskriminierenden oder rechtsmissbräuchlichen Maßnahmen unter dem Schleier des Gemeinwohls ausgesetzt zu werden. General Exceptions erscheinen unter diesen Gesichtspunkten grundsätzlich als geeignetes Mittel, um einen angemessenen Ausgleich erzielen zu können.1061 Dabei eröffnet insbesondere auch die Formulierung des erforderlichen nexus zwischen Maßnahme und verfolgtem Gemeinwohlziel die Möglichkeit, das jeweilige Verständnis dieses Ausgleichs auszutarieren. So kann durch einen losen nexus (designed to, intended to, directed to) ein weiter Einschätzungsspielraum artikuliert und gerichtliche Zurückhaltung eingefordert werden, während durch einen strengen nexus (necessary to) der Rechtsfertigungsdruck des Staats für die ergriffene Regulierungsmaßnahme infolge 1059  So auch Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 262, der daher in der Normierung von Regelbeispielen eine angemessene Form des Interessensausgleichs erblickt. 1060  Siehe hierzu unter A.IV.1.; vgl. auch Ortino, 28 ICSID Rev. 2013, S. 58: „More than an open and friendly investment regime, investors seek clarity, stability and predictability of investment conditions in the host State.“ 1061  In diesem Sinne auch Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 262, 268, diesen Ansatz favorisierend; ebenfalls befürwortend Titi, Right to Regulate, S. 189, 296.

III. General Exceptions nach Vorbild von Art. XX GATT

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eines strengeren Überprüfungsmaßstabs erhöht werden kann.1062 Auch in der Frage, inwieweit hier ein zurückhaltenderer oder aber einen strengerer Überprüfungsmaßstab bei der Beurteilung staatlicher Regulierungsmaßnahmen angesetzt wird, wird in ganz entscheidendem Maße eine Verteilung des Risikos der Kosten staatlicher Gemeinwohlregulierung vorgenommen und damit der für angemessenen erachteten Ausgleich vorgezeichnet.1063 b) Profitieren von der WTO-Rechtsprechung? Einen weiteren Vorteil von General Exceptions nach Vorbild von Art. XX GATT könnte man zudem darin erblicken, dass damit zugleich die zu dieser Bestimmung in der Rechtsprechung des WTO Appellate Body vorgenommene Auslegung und Anwendung in das Investitionsrecht importiert werden könnten. Auf diese Weise, so die Erwägung, könnte man von einem Streitbeilegungssystem profitieren, dessen Kohärenz die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit schon systembedingt nur schwerlich erreichen könnte.1064 Diese verlockende Möglichkeit liegt insbesondere dann nahe, führt man sich vor Augen, dass das Investitionsrecht eine Entwicklung durchläuft, die das Welthandelsrecht bereits hinter sich hat. Auch um das GATT und die WTO entbrannten zunehmend Diskussionen über Souveränität, Legitimität und einen Ausgleich, je mehr sie sich nicht länger auf die grenzbezogene Herabsetzung von Zöllen fokussierten, sondern sich auch Fragen der Binnenpolitik und des Umwelt- und Gesundheitsschutzes annahmen. Auch könnte der Trend zum Abschluss umfassender Handelsabkommen mit Investitionsschutzkapitel eine Orientierung am Welthandelsrecht nahelegen. Dies erst recht, je mehr Art. XX GATT / Art. XIV GATS nicht nur strukturell, sondern wortwörtlich übernommen oder sogar ausdrücklich inkorporiert werden und somit die Berücksichtigung der WTO-Rechtsprechung geradezu aufdrängen. 1062  Zum Spektrum der unterschiedlichen nexus-Formulierungen, die dem Staat mehr oder weniger Regulierungsfreiraum belassen, siehe auch Titi, Right to Regu­ late, S.  190 ff. 1063  Zur schwierigen Frage, worin ein angemessenes Mittelmaß zwischen einer strengen Überprüfung im Interesse effektiven Investorenschutzes und gerichtlicher Zurückhaltung zur Sicherstellung staatlicher Regulierungsfreiheit zu erblicken ist, siehe die Erwägungen unter B.II.4.b)cc). 1064  Generell zu den Möglichkeiten von der WTO-Rechtsprechung für die Anwendung und Interpretation ähnlicher Konzepte im Investitionsrecht zu profitieren, siehe Tereposky / Maguire, Utilizing WTO Law in Investor-State Arbitration, S. 247, auch zu den systembedingten Unterschieden, die einer ähnlichen Einheitlichkeit der herangezogenen Auslegungsgrundsätze in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit im Wege stehen (a. a. O., S. 257); siehe auch Markert, IIL and Treaty Interpretation, S.  61 ff.

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D. Gestaltungsoptionen

Betrachtet man, was es denn konkret bedeuten würde, die welthandelsrechtlichen Prinzipien zu importieren, so werden vor allem drei Punkte ausgemacht, die für das Investitionsrecht übernommen werden könnten. Zunächst die two-tier-Prüfung, wonach in einem ersten Schritt zu prüfen ist, ob die staatliche Maßnahme unter eine der normierten Ausnahmen fällt und anschließend der Chapeau zum Ausschluss rechtsmissbräuchlichen Verhaltens.1065 Dann die Beweislast, wonach dem Staat, der sich auf die Ausnahme beruft, die Beweislast für ihre Anwendbarkeit obliegt.1066 Schließlich wurde vor allem die Übertragung der Rechtsprechung zum nexus der Erforderlichkeit zur Erzielung eines Ausgleichs befürwortet.1067 Dies unter Verweis auf die Abwägung im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, die der Appellate Body für die Beurteilung der Erforderlichkeit der Maßnahme vornimmt, anstatt den Begriff der Erforderlichkeit aufgrund des Ausnahmecharakters der Bestimmung im Zweifel eng auszulegen oder aber ihm starr ein weites Verständnis beizumessen.1068 Andere Stimmen warnen hingegen gerade im Hinblick auf den einhergehenden Import einer strengen Erforderlichkeitsprüfung, die stets sehr strikt zu Lasten der handelnden Regierungen ausgelegt worden sei, vor der Einführung von General Exceptions nach Vorbild des Art. XX GATT.1069 1065  Newcombe,

General Exceptions in IIA, S. 364 f. General Exceptions in IIA, S. 364. 1067  Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 365; ebenso Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 267. 1068  Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 365; siehe auch Newcombe, The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 271 f., jeweils unter Verweis auf die Entscheidung des Appellate Body in Korea – Measures Affecting Imports of Fresh, Chilled and Frozen Beef, WT / DS161 / AB / R und WT / DS169 / AB / R, 10. Januar 2001, Abs. 161 und die Bestätigung eines Abwägungs­ ansatzes in Brazil – Measures Affecting Imports of Retreaded Tyres, WT / DS332 / AB / R, vom 17. Dezember 2007, Abs. 210: „To be characterized as necessary, a measure does not have to be indispensable. However, its contribution to the achievement of the objective must be material, not merely marginal or insignificant […]. Thus, the contribution of the measure has to be weighed against its trade restritcitiveness, taking into account the importance of the interests or the values underlying the objective pursued by it.“; im Hinblick auf die Abgrenzung legitimer Regulierung im Umweltschutzinteresse und indirekter Enteignung für die Orientierung an den GATT Entscheidungen zu Art. XX bereits Waelde / Kolo, 50 Int. Comp. Law Q. 2001, S. 833: „[T]hese GATT cases]give us a clue on how the proportionality / necessity test may be applied in other contexts, and as such, they do provide us with some useful analogies.“; skeptisch gegenüber einer solchen Analogie aufgrund des speziellen Wortlauts von Art. XX GATT hingegen Moloo / Jacinto, 29 Berkeley J. Int. Law 2011, S. 7. 1069  Siehe z. B. Mann, Anhörung vor dem Kanadischen House of Commons Standing Committee on International Trade, 5. Dezember 2013, S. 8, anhand der damals geleakten CETA-Texte zu General Exceptions nach Vorbild von 1066  Newcombe,

III. General Exceptions nach Vorbild von Art. XX GATT

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Während diese unterschiedlichen Positionen auch Ausdruck eines unterschiedlichen Verständnisses darüber sind, worin ein angemessener Ausgleich zwischen Investorenschutz- und Regulierungsfreiheit zu erblicken ist, wird die Diskussion über die Normierung von General Exceptions in Investi­ tionsschutzabkommen auch von der Unsicherheit geprägt, wie Investitionsschiedsgerichte General Exceptions im unterschiedlichen Kontext des Investitionsrechts auslegen werden und ein so erzielter Ausgleich folglich überhaupt aussähe. So wird im Hinblick auf diesbezüglich fehlende Erfahrungswerte und in Sorge um eine zu weitgehende Beschränkung der Regulierungsfreiheit sowie der Verkennung der Systemunterschiede eine Übertragung dieser Klauseln auf das Investitionsrecht abgelehnt1070 oder ihr jedenfalls mit deutlicher Skepsis begegnet.1071 Zugleich werden aber auch Bedenken im Hinblick auf eine zu weitgehende Einschränkung des Investorenschutzes vorgetragen. 2. Bedenken gegen General Exceptions Ob durch die Einfügung von General Exception nach ihrem welthandelsrechtlichen Vorbild ein Ausgleich erzielt werden kann, durch welche GastArt. XX  GATT: „Several government[s] have argued that regulatory space is protected by including a more broadly worded general exception for certain type of government measures relating to the environment and human health. However, in my view, the presence of such a general exception clause, which is along the lines of the well known Art. XX of the GATT, does not save any of the above problems. Instead, it imports a strict test of necessity from the WTO, a text that has always been interpreted very restrictively against governments. […] It also allows three arbitrators to decide what is necessary for, in this case Canada or a province, if Canada ever seeks to use this exception, with no appeal possible of their decision as there would be in the WTO Appellate Body process.“; siehe auch Cosbey, The Road to Hell?, S. 165; siehe auch Lévesque, The Challenges of Marrying Investment Liberalisation and Protection in CETA, S. 143 f. 1070  Siehe z. B. Mann, Anhörung vor dem Kanadischen House of Commons Standing Committee on International Trade, 5. Dezember 2013, S. 8: „There is no history of the use of this type of exception in the very different context of investment as opposed to trade law, and no obvious pathways for how it might be used.“; kritisch auch Asteriti, Environmental Language in Investment Treaties, S.  136 f. 1071  Newcombe, The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 268, 282 f., der insbesondere vor dem Hintergrund der ungewissen Auslegung in General Exceptions nicht den vorzugswürdigen Ansatz erblickt, sondern sich stattdessen für eine Präzisierung der Standards ausspricht; siehe schon Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 369; ebenso die Einschätzung von Muchlinski, General Exceptions in IIA – Preface, S. 352: „In the end, we must all wait and see what tribunal arbitrators actually do with general exclusions clauses […].“

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D. Gestaltungsoptionen

staaten die intendierte Regulierungsfreiheit sichergestellt würde, wird vor allem aus zwei Gründen bezweifelt. Erstens, da die Geeignetheit und Relevanz von General Exceptions für den Schutz vor entschädigungsloser Enteignung sowie für den FET-Standard zu hinterfragen ist (a)). Zweitens – und eng verknüpft – aufgrund der Unsicherheit, ob General Exceptions zukünftig durch die Schiedsgerichte eine Auslegung erfahren werden, die zur intendierten Sicherstellung staatlicher Regulierungsfreiheit führen wird oder aber eine Auslegung, die gar das Risiko einer Einschränkung der Regulierungsfreiheit gegenüber dem status quo birgt (b)). a) Zweifel an der Geeignetheit für den Enteignungs- und den FET-Standard Gerade im Hinblick auf den in den Regulierungsfällen im Fokus stehenden Enteignungsschutz und den FET-Standard wird ein Anwendungsbereich und die Geeignetheit von General Exceptions in Frage gestellt. Betrachtet man den Schutz vor entschädigungsloser Enteignung, so ist fraglich, ob und welche Konsequenz General Exceptions hätten.1072 Neben Stimmen, die mit Blick auf die gewohnheitsrechtliche Anerkennung der police powers den Mehrwert von General Exceptions in Frage stellen1073, wird vor allem bezweifelt, dass ein Schiedsgerichte hiernach zu einer Auslegung gelangen könnte, dass eine Regulierungsmaßnahme, die zur Erreichung des Gemeinwohlziels erforderlich ist und den Chapeau erfüllt, stets entschädigungslos zulässig ist. Dies, da ein solches Auslegungsergebnis bedeuten würde, dass die Vertragsparteien mit dem Abschluss eines Abkommens zum Schutz ausländischer Investoren bezweckten, diesen einen geringeren Schutz zu gewähren, als ihnen ohne dieses Abkommen bereits nach 1072  Siehe Mann, IISD Issues Int. Invest. Law 2007, S. 12: „[I]t is not clear how it would be applied [in relation to an expropriation claim]. Most unclear is whe­ther it would be invoked to determine that a measure is not an expropriation, or that compensation is not required if it is an expropriation. […][T]he applicability of this type of article to an expropriation clause is far from clear. […] The background to these clauses is not well known, and there has been no usage of them in an arbitration that we are currently aware of. Still, it is evident that such provisions can raise as many questions as they seek to answer.“; Bernasconi-Osterwalder, IISD Invest. Treaty News 4 / 2013, S. 12: „Exceptions clauses […] will not safeguard government policy space in a satisfactory manner.“ 1073  Legum / Petculescu, GATT Article XX and IIL, S. 362, die allerdings sogar so verstanden werden können, es würden durch General Exception im Wesentlichen gewohnheitrechtlich anerkannte police powers festgeschrieben, was die unterschiedlichen Konsequenzen verkennen würde; einem solchen Verständnis zu Recht widersprechend auch Lévesque, The Inclusion of GATT Art. XX exceptions in IIAs, S.  367 ff.

III. General Exceptions nach Vorbild von Art. XX GATT

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dem Völkergewohnheit zukommen würde. In der Tat wäre dies überraschend.1074 Gegen eine solche Auslegung lässt sich zudem auf Abkommen verweisen, in welchen der Enteignungsstandard ausdrücklich vom Anwendungsbereich der General Exceptions ausgenommen wird1075, wie es auch im CETA der Fall ist.1076 Zudem wurde mit Blick auf die gegenüber dem Welthandelsrecht unterschiedliche Sanktionsfolge eines Verstoßes darauf hingewiesen, dass nach dem üblichen Wortlaut der General Exceptions („nothing in this Agreement shall be construed to prevent“) die Gaststaaten nicht daran gehindert sein sollen, Maßnahmen zur Verfolgung der normierten Gemeinwohlziele zu ergreifen, dies aber nicht bedeutet, dass auch eine Entschädigungspflicht als Hindernis anzusehen ist.1077 Auch im Hinblick auf den FET-Standard wird die Geeignetheit von Gen­ eral Exceptions bezweifelt. Insbesondere in Bezug auf einen ausdrücklich 1074  Newcombe, The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 282; Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 369; im Hinblick auf den Enteignungsstandard ablehnend auch Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 263 f.; kritisch zum Vergleich mit den gewohnheitsrechtlichen Schutz hingegen Titi, Right to Regulate, S. 181, da ein solcher zu falschen Schlussfolgerungen führe, da zwar das Gewohnheitsrecht ein Recht zur Entschädigung begründen mag, der Investor aber erst durch das Abkommen in die Lage versetzt werde, dieses Recht auch im Wege der Klage geltend zu machen. Weiter erwägt Titi, a. a. O., dass General Exceptions nach Vorbild von Art. XX GATT auf indirekte Enteignungen beschränkt werden könnten. 1075  So auch Lévesque, The Inclusion of GATT Art. XX exceptions in IIAs, S.  368 f. und Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 369, jeweils unter Verweis auf Art. 24 Abs. 1 ECT und Art. 6 des gescheiterten MAI Verhandlungstexts, der ebenfalls auf den Enteignungen keine Anwendung finden sollte, siehe den Kommentar auf S. 40 des Commentary to the Consolidated Text, abrufbar unter: http: / / www. oecd.org / daf / mai / htm / 2.htm: „1. The text by the Chairman proposes that the general exceptions provisions not be applicable to all of the obligations under the agreement. […] 2. The question is whether certain obligations of the agreement are considered so central to investor protection, for example compensation in case of expropriation, that a provision should limit the right of a Contracting Party to invoke this Article for actions that would be inconsistent with its obligation to pay compensation in the case of an expropriation. 3. The majority view was that the MAI should provide an absolute guarantee that an investor will be compensated for an expropriated investment. […].“ 1076  Siehe Art. 28.3 Abs. 1 CETA, wonach die Anwendung nur für bestimmte Abschnitte des Investitionskapitels des CETA vorgesehen wird, nämlich Section B (Establishment of investments) und Section C (Non-discriminatory treatment), nicht aber auf den Enteignungs- und den FET-Standard, die in Section  D geregelt sind; hierauf hinweisen auch Sabanogullari, Invest. Treaty News 2 / 2015, S. 4 f. 1077  Lévesque, The Inclusion of GATT Art. XX exceptions in IIAs, S. 368; Mann, IISD Issues Int. Invest. Law 2007, S. 12.

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auf den Minimum Standard beschränkten Schutz, mit welchen dem Investor doch gerade ein absolutes und auch nicht ausnahmsweise zu unterschreitendes Mindestmaß an Schutz gewährleistet werden soll.1078 Die Relevanz von General Exceptions in Bezug auf den FET-Standard wird zudem deshalb stark bezweifelt, da sich in der Tat die Frage stellt, in welchen Situationen eine Maßnahme, welche die Voraussetzungen des Chapeau erfüllen würde, überhaupt erst einen an sich entschädigungspflichtigen Verstoß begründen sollte.1079 Insoweit wurde darauf hingewiesen, dass ein Anwendungsbereich jedenfalls mit Blick auf den Schutz legitimer Erwartungen bestehe.1080 Gleichwohl erscheint die Relevanz von General Exceptions in Bezug auf den FET-Standard sehr eingeschränkt.1081 Groß wird hingegen die Unsicherheit eingeschätzt, welche Auslegung General Exception künftig durch die Schiedsgerichte erfahren werden. b) Bedenken aufgrund der Auslegungsunsicherheit Bis heute ist keine öffentliche Entscheidung bekannt, in welcher General Exceptions zur Anwendung gelangten1082, so dass auch diese fehlenden Erfahrungswerte die Vorbehalte und Skepsis gegen ihren Einzug in Investi1078  Newcombe, The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 281; Titi, Right to Regulate, S. 185; zu Ausnahmen von FET, siehe schon unter D.II.3. 1079  Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 368 f.; Newcombe / Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, S. 505; Legum / Petculescu, GATT Article XX and IIL, S. 355 f.; siehe auch Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 266, 268, der mit Blick darauf, dass durch den Chapeau Schutzstandards, die durch den Regulierungstatbestand eigentlich außer Kraft gesetzt werden sollten, zumindest teilweise in gleicher oder ähnlicher Weise durch die Hintertür doch wieder zu beachten seien, die Gefahr divergenter Auslegung erblickt. Eine Gefahr, die sich sogar noch dadurch verschlimmern könne, dass die Standards möglicherweise nicht mehr genau den bereits bekannten Standards entsprechen könnten und sich auch hier zunächst wieder eine einheitliche Rechtsprechungslinie entwickeln müsste. 1080  Soweit sich die Verletzung des Standards nämlich allein auf die Enttäuschung legitimer Erwartungen stützt, könne sich der Gaststaat auf die General Exceptions und die Verfolgung eines Gemeinwohlziels berufen, ohne dass diese Berufung am Chapeau scheitern würde, während ohne General Exceptions auch eine nichtdis­ kriminierende Verfolgung dieses Gemeinwohlziels zu einer Entschädigungspflicht führt, soweit sie im Widerspruch zu anderslautenden Zusicherungen steht, siehe Legum / Petculescu, GATT Article XX and IIL, S. 356; siehe auch Titi, Right to Reg­ ulate, S. 185. 1081  Legum / Petculescu, GATT Article XX and IIL, S. 355 f.; Titi, Right to Regulate, S. 185. 1082  So auch Sabanogullari, Invest. Treaty News 2 / 2015, S. 3.

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tionsschutzabkommen nähren.1083 Vor dem Hintergrund der ungewissen Konsequenzen der Einführung von General Exceptions identifizierte Newcombe drei Möglichkeiten, wie diese Klauseln zukünftig von den Schiedsgerichten ausgelegt werden könnten:1084 Erstens könnten sich Schiedsgerichte davon leiten lassen, dass die vertragliche Festlegung von General Exceptions in nur einigen wenigen Abkommen eine Besonderheit darstellt und hiernach unter effet utile geleiteten Erwägungen auf den Willen der Vertragsparteien schließen, Gaststaaten zukünftig ein Mehr an Regulierungsfreiheit, den Investoren hingegen ein entsprechend verringertes Schutzniveau zukommen einräumen zu wollen.1085 Eine zweite Möglichkeit bestünde darin, dass General Exceptions als vertragliche Fixierung der heutigen Investitionsrechtsprechung angesehen werden, in welcher bereits anerkannt sei, dass Investoren- und Regulierungs­ interesse in einen Ausgleich zu bringen sind. Hiernach würden sie nicht zu einer Erweiterung der Regulierungsfreiheit gegenüber dem status quo führen, sondern lediglich explizit festschreiben, was in der heutigen Schieds­ praxis implizit ohnehin bereits gelte.1086 Schließlich bestehe aber auch die dritte Möglichkeit, dass Schiedsgerichte General Exceptions so auslegen könnten, dass die Staaten zukünftig einen geringeren Regulierungsfreiraum genießen könnten, als jenen, der den Gaststaaten nach dem status quo ohne General-Exceptions zukommt.1087 Dies zum einen im Hinblick darauf, dass Ausnahmen unter Verweis auf das Ziel bereits die Nachweise in supra Fn. 1070, 1071 und 1072. The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 277, so bereits Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 366; Newcombe / Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, S. 503. 1085  Newcombe, The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 277; Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 366. 1086  Newcombe, The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 278; Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 357, 366, 370; Newcombe / Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, S. 256. 1087  Newcombe, The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 278 f.; Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 358, 366: „IIA tribunals might interpret general exceptions as providing less regulatory flexibility than which is currently permitted in most IIA, rather than more.“ Hierin sei auch einer der Gründe zu erblicken, warum im IISD Model International Investment ­Agreement for Sustainable Development auf General Exceptions verzichtet worden sei; siehe auch Cosbey, The Road to Hell?, S. 165, General Exceptions auch vor dem Hintergrund in Frage stellend, dass hiernach statt von der Vermutung der Zulässigkeit legitimer Gemeinwohlregulierung von ihrer Unzulässigkeit ausgegangen wird, die nur in bestimmten Fällen entfällt; siehe auch Lévesque, The Inclusion of GATT Art. XX exceptions in IIAs, S. 364: „[T]here is a risk that such provision could reduce rather that improve this balance [between investment protection and other public policy objectives].“ 1083  Siehe

1084  Newcombe,

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D. Gestaltungsoptionen

des Investitionsschutzes zumeist eng ausgelegt wurden.1088 Zum anderen mit Blick auf die in General Exceptions enthaltene, abschließende Auszählung von Gemeinwohlinteressen. Diese könne im Umkehrschluss zu einer unbeabsichtigten Einschränkung der Gemeinwohlziele führen, die ein Staat entschädigungslos verfolgen darf. So könnte Gaststaaten hinsichtlich der Verfolgung nicht explizit aufgelisteter Gemeinwohlinteressen, deren entschädigungslose Verfolgung in der Schiedspraxis bisher aber bereits implizit angenommen wird, zukünftig ein geringerer Regulierungsfreiraum zuerkannt werden.1089 In ähnlicher Weise zu einem Umkehrschluss könnte auch die Problematik einer uneinheitlichen Vertragspraxis führen, wenn also Abkommen eines Staats zum Teil General Exceptions enthalten, während sie in anderen Abkommen fehlen.1090 Gewiss, hinsichtlich älterer Abkommen kann das Fehlen ausdrücklicher General Exceptions schlicht damit erklärt werden, dass sie vor einer Zeit abgeschlossen wurden, in welcher die Entwicklung der Schiedspraxis wie im heutigen Maße als Bedrohung staatlicher Regulierungsfreiheit wahrgenommen wurde und zum Normierung des Regulierungsfreiraums Anlass bot.1091 Damit erklärt sich jedoch nicht eine uneinheitliche Praxis hinsichtlich gleichzeitig abgeschlossener Abkommen. Häufig wird eine uneinheit­ liche Vertragspraxis schlicht darauf zurückgeführt werden können, dass Vertragsstaaten – je nach ihrer relativen Verhandlungsmacht – schlicht nicht immer in der Lage sind, ihren präferierten Ansatz auch einheitlich im Verhandlungswege durchzusetzen. Es kann sich aber auch die Frage stellen, inwieweit ein Staat – je nachdem, ob für ihn im jeweiligen bilateralen Verhältnis eher offensive oder defensive Interessen im Vordergrund stehen – möglichweise unterschiedliche Schutzniveaus erzielen wollte. Auch hierin kann eine zusätzliche Quelle der Auslegungsunsicherheit gesehen werden.1092 1088  Newcombe, The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 278. 1089  Newcombe, The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 279, wonach dies etwa im Vergleich zur bisherigen Schiedspraxis, im Rahmen der Inländerbehandlung eine unbeschränkte Zahl legitimer Gemeinwohlinteressen zu berücksichtigen und keinen strengen nexus der Erforderlichkeit zu verlangen, zu einer strengeren und restriktiveren Investitionsrechtsprechung führen könnte als bisher. Newcombe selbst gelangte indes zu der Einschätzung, dass letztlich nur der implizit bereits anerkannte Regulierungsfreiraum explizit festgeschrieben werde, so dass keine Erweiterung oder Verringerung des Freiraums zu erwarten sei, siehe Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 369. 1090  Newcombe, The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 276; Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 370. 1091  Titi, Right to Regulate, S. 295.

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3. Bewertung und Prognose im Lichte eines wirksamen Widerspruchs Während die Option der General Exceptions nach handelsrechtlichem Vorbild durchaus Potential zur Erzielung eines Ausgleichs zwischen Individual- und Gemeinwohlinteressen aufweist, scheinen vor allem die Bedenken im Hinblick auf eine mögliche Beschränkung der staatlichen Regulierungsfreiheit gegenüber dem status quo, gegen die Normierung von General Exceptions zu sprechen. Auch wenn sie meines Erachtens nicht als der vorzugswürdige Ansatz erscheinen, rechtfertigen es allein diese Bedenken gleichwohl nicht, die General Exceptions als Option zu verwerfen. Zutreffend wurde darauf hingewiesen, dass der Gefahr einer potentiellen Einschränkung, soweit sie aus dem Risiko einer under-inclusiveness infolge einer Normierung bestimmter Gemeinwohlinteressen erwächst, bereits schlicht durch eine Formulierung begegnet werden kann, die den nicht-abschließenden Charakter der benannten Gemeinwohlziele zum Ausdruck bringt (including, inter alia)1093, wenngleich General Exceptions hierdurch ein Aspekt ihres Ausgleichspotentials genommen wird.1094 Schon hiernach ist die Gefahr, der staatlichen Regulierungsfreiheit durch die vertragliche Betonung eines ausdrücklichen right to regulate eher zu schaden als sie zu stärken, weitaus geringer einzuschätzen, als es den Anschein haben könnte.1095 1092  Siehe Newcombe, The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 276: „This leads to siginificant interpretative uncertainty  – did these states intend to undertake significantly different obligations in their contemporaneously signed IIAs?“; Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 370. 1093  Titi, Right to Regulate, S. 296; siehe auch Sabanogullari, Invest. Treaty News 2 / 2015, S. 4, wonach General Exceptions die Schiedsgerichte nicht daran hinderten, über die durch die benannten Gemeinwohlinteressen gewährte Flexibilität hinauszugehen und Letztere vielmehr nur als Auffangnetz angesehen werden sollten. 1094  Siehe unter D.III.1.a). 1095  Ebenfalls die Bedenken vertraglicher Inflexibilität und einer Einschränkung staatlicher Regulierungsinteressen u. a. deshalb für übertrieben erachtend, da heute nicht davon gesprochen werden könne, dass Schiedsgerichte Regulierungsinteressen systematisch und einheitlich berücksichtigen, Sabanogullari, Invest. Treaty News 2 / 2015, S. 4; ähnlich Titi, Right to Regulate, S. 296 f., die zu dieser Schlussfolgerung allerdings vor dem Hintergrund ihrer Einschätzung gelangt, Gaststaaten werde unter dem status quo nur eine sehr begrenzte Regulierungsfreiheit eingeräumt, weshalb das mögliche Risiko einer Einschränkung als kleineres Übel gegenüber diesem status quo zu erachten sei, um ein Mindestmaß an Regulierungsfreiheit garantiert sicherzustellen. In dieser Arbeit wurde hingegen – jedenfalls hinsichtlich der untersuchten Entwicklung der Schiesdpraxis zum Schutz vor indirekter Enteignung und zum FET-Standard – ein klarer Trend ausgemacht, staatlichen bereits in einem weitergehenden, wenngleich nicht einheitlichem Maße, Rechnung zu tragen.

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D. Gestaltungsoptionen

Hinzu kommt, dass eine Prognose, wie Schiedsgerichte General Exceptions künftig auslegen werden, wiederum vor dem Hintergrund der beobachteten Entwicklung der Schiedspraxis erfolgen kann, legitimen staatlichen Regulierungsinteressen in Reaktion auf einen wirksamen Widerspruch bereits ohne ihre ausdrückliche Betonung in zunehmendem Maße Rechnung zu tragen. Dies lässt auch hier erst recht die Prognose zu, dass jedenfalls nicht damit zu rechnen ist, dass General Exceptions, die klarer Ausdruck dieses Widerspruchs sind und mit dem unmissverständlichen Willen einer stärkeren Berücksichtigung staatlicher Regulierungsfreiheit Eingang in den Abkommenstext gefunden haben, eine Auslegung erfahren könnten, die zu einer Einschränkung gegenüber dem bisherigen status quo führen könnte. Doch auch wenn hiernach die Bedenken hinsichtlich einer möglichen Einschränkung nicht zum Ausschlusskriterium werden, erscheinen General Exceptions gleichwohl nicht als der vorzugswürdige Ansatz zur vertrag­ lichen Verankerung eines Ausgleichs. Auch nicht im Hinblick auf die Möglichkeit, von der WTO-Rechtsprechung zu profitieren. Gewiss könnte eine zuverlässige Heranziehung der in der welthandelsrechtlichen Rechtsprechung herausgebildeten Prinzipien zu einer einheitlicheren Investitionsrechtsprechung zu diesen neuen Regulierungsklauseln führen.1096 Auf einem ganz anderen Blatt steht jedoch die Frage, ob Investitionsschiedsgerichte – zumal in Anbetracht ihrer bisherigen Zurückhaltung1097 – so zuverlässig auf die welthandelsrechtlichen Prinzipien zurückgreifen würden, dass es tatsächlich zu einer erhofften Vereinheit­ lichung und nicht infolge einer nur vereinzelten Heranziehung eher noch zu weiterer Unsicherheit kommen könnte.1098 Weitere Unsicherheit könnte 1096  Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S.  267 f., General Exceptions und die Heranziehung begrüßend, soweit die investitionsrechtlichen Klauseln ausreichende Ähnlichkeit aufweisen und investitionsrechtliche Besonderheiten durch die Schiedsgerichte angemesse Berücksichtigung finden; für die Orientierung an den Auslegungsgrundsätzen, die sich in der WTO-Rechtsprechung zu Art. XX GATT herausgebildet haben, Newcombe / Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, S. 504; siehe auch Newcombe, The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 275, den Ansatz der Übertragung der General Exceptions aus dem sehr verschiedenen Kontext des Welthandelsrechts in das Investitionsrecht jedoch nicht als vorzugswürdigen Ansatz zur Erzielung eines Ausgleichs erachtend (a. a. O., S. 283). 1097  Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 364; Titi, Right to Regulate, S. 177 ff.; siehe auch Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 267, angesichts der bisherigen Zurückhaltung und Skepsis der Schiedsgerichte gegenüber einer Heranziehung der WTO-Rechtsprechung eine ausdrückliche Verankerung des Rückgriffs in einem Abkommensannex oder in der dokumentierten Verhandlungshistorie erwägend. 1098  So auch Markert, Der Ausgleich zwischen Investoren- und staatlichen Regulierungsinteressen, S. 268.

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aufgrund von Abweichungen gegenüber dem welthandelsrechtlichen Vorbild in Bezug auf den Wortlaut, den strukturellen Aufbau und den geforderten nexus entstehen. So kann hier die Frage aufkommen, ob die Vertragsstaaten damit eine bewusste Entkopplung vom Welthandelsrecht beabsichtigten und einer entsprechenden Auslegung gerade begegnen wollten, um ihr Verständnis eines Ausgleichs zu verankern.1099 Schließlich ist es vor allem die eingeschränkte Eignung und der eingeschränkte Anwendungsbereich für die Standards des indirekten Enteignungsschutzes sowie des FET-Standards, die stark daran zweifeln lassen, dass General Exceptions einen signifikanten Beitrag zur Erzielung eines Ausgleich und zur Erhöhung der Rechtssicherheit leisten würden. In Bezug auf den Schutz vor entschädigungsloser Enteignung bleibt insoweit zu betonen, dass General Exceptions nicht als vertragliche Fixierung der police powers zu verstehen sind, im Falle derer eine Entschädigungspflicht aufgrund des Fehlens einer Enteignung nicht besteht.1100 Vielmehr könnte sich eine Normierung von Regulierungsinteressen als General Exceptions angesichts inhaltlicher Überschneidung mit dem Vortrag in Widerspruch setzen, wonach die Verfolgung dieser Gemeinwohlziele als Teil der staatlichen po­ lice powers anzuerkennen sind und damit keiner Ausnahme bedürfen.1101 Mit Blick auf die in der Schiedspraxis bereits in zunehmendem Maße anerkannten impliziten Grenzen und Ausnahmen des Investorenschutzes 1099  So hält Kanada heute zwar wie in seinem Model-BIT (2004) an General Exceptions fest, jedoch findet sich der Chapeau nun in einem Unterabsatz. Dass hierdurch möglicherweise eine bewusste Abgrenzung zu Art. XX GATT zum Ausdruck gebracht werden sollte und dies eine Reaktion auf Diskussionen um die Übertragung dieser Bestimmung in das Investitionsrecht darstellt, vermutete Titi, IISD Invest. Treaty News 3 / 2013, S. 14. 1100  Siehe Lévesque, The Inclusion of GATT Art. XX exceptions in IIAs, S. 367 ff., darauf hinweisend, dass manche Abkommenstexte, darunter z. B. kanadische IIA General Exceptions und zusätzlich speziell für den Enteignungsstandard im Annex eine Präzisierung hinsichtlich des Verständnisses des Umfangs der police powers enthalten, was in der Tat fragwürdig erschiene, wenn bereits die General Exceptions die police powers für den Enteignungsstandard vertraglich verankerten: „[I]t is the police power doctrine at customary international law (or the modified version included in some treaties in an annex, that are not expropriations, and, as such, do not call for a duty of compensation.“; vgl. demgegenüber Legum / Petculescu, GATT Article XX and IIL, S. 362. 1101  Mit ähnlicher Erwägung hinterfragte auch bereits Cosbey, The Road to Hell?, S. 165, diesen Ansatz: „[T]o request an exception for a given behaviour is to concede that such behaviour is not normal and acceptable in the first place.“; Zur inhaltlichen Überschneidung der im Rahmen des Enteignungsschutzes als police powers anerkannten und den in Art. XX GATT benannten, weitergehenden Gemeinwohlzielen, Legum / Petculescu, GATT Article XX and IIL, S. 361 f.; Lévesque, The Inclusion of GATT Art. XX exceptions in IIAs, S. 368.

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D. Gestaltungsoptionen

kann man die verbleibende Funktion der General Exceptions in der eines vorsorglichen „Sicherheitsnetzes“ erblicken.1102 Ein Netz, welches dann absichert, sollte es zu einer unerwarteten und expansiven Auslegung der Standards durch ein Schiedsgericht kommen, welches die in der sonstigen Schiedspraxis bereits implizit angenommenen Beschränkungen des Investorenschutzes ignorieren oder nicht anerkennen könnte. Statt einer Normierung bestimmter Gemeinwohlziele in General Exceptions erscheint jedoch eine Präzisierung der Voraussetzungen und Grenzen des dem Investor zugesicherten Schutzes in den einzelnen Schutzstandards als vorzugswürdiges Mittel einer solchen Sicherheitsvorkehrung.1103 Hierdurch können den Schiedsgerichten, wie gesehen, klarere und präzisere Vorgaben gemacht werden, welche Aspekte im Rahmen eines Abwägungsvorgangs zur Erzielung eines angemessenen Ausgleichs zu berücksichtigen sind.1104 Zudem kann durch die Qualifizierung dieser Voraussetzungen eine Aussage über den anzulegenden Überprüfungsmaßstab getroffen werden.1105 1102  So Newcombe, The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 278; Newcombe, General Exceptions in IIA, S. 357, 370; Newcombe / Paradell, Law and Practice of Investment Treaties, S. 506. 1103  So auch die Einschätzung von Newcombe, The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 269, 283: „[I]t is preferable to address concerns about balancing of private and public rights directly by clarifying the scope of the primary obligations (i. e. fair and equitable treatment or expropriation).“; für eine Präzisierung des Verpflichtungsumfangs und speziellere Ausnahmen auch Lévesque, The Inclusion of GATT Art. XX exceptions in IIAs, S. 370: „[C]larifying the interpretation of primary obligations has more potential than gen­ eral exceptions to improve the balance […][O]ther exceptions  – better suited or tailored to the balance sought in the international investment regime  – would be more appropriate than the GATT Art. XX variety exceptions.“; siehe auch Bernasconi-Osterwalder, IISD Invest. Treaty News 4 / 2013, S. 12: „It is much more important to include clarifications and delimitations to the crucial substantive provisions included in the investor chapter, such as related to fair and equitable treatment, expropriation.“; diesen Ansatz an sich bevorzugend auch Cosbey, The Road to Hell?, S. 166; skeptisch gegenüber dem Mehrwert von General Exceptions auch Legum / Petculescu, GATT Article XX and IIL, S. 362; auch im CETA hat man sich hinsichtlich des Enteignungs- und des FET-Standards dafür entschieden. Die Ungewissheit darüber, wie die General Exceptions in Bezug auf diese Standards Anwendung finden würden, mag ein Grund hierfür gewesen sein, was auch Sabanogullari, Invest. Treaty News 2 / 2015, S. 5 vermutet. 1104  So auch Newcombe, The Use of General Exceptions in IIAs: Increasing Legitimacy or Uncertainty?, S. 283. 1105  Zu den materiellen Standards als besonders wichtige Quelle auch des anzulegenden Prüfungsmaßstabs, siehe Moloo, IISD Invest. Treaty News, Ausgabe 4 / 2012, S. 5 f., der eine Beachtung des vertraglich durch die Parteien festgelegten Prüfungsmaßstabs einfordert: „One ought to begin by asking what the substantive investment treaty standards say about the standard of review. […][T]he appropriate standard of review follows from the interpretation of the substantive standard of protection

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Hierin kann man auch den Vorteil erblicken, dass dem durch eine expansive Schiedspraxis erweiterten Schutzumfang einzelner Standards, welcher über die von den Staaten intendierte Schutzverpflichtung hinausgeht, widersprochen werden kann, ohne diesen erweiterten Schutzumfang durch die Beanspruchung einer Ausnahme hiervon, zunächst indirekt zu bestätigen.1106 Schließlich wird durch die Präzisierung des Schutzumfangs auch zum Ausdruck gebracht, dass die Regulierungsfreiheit zur Verfolgung legitimer Gemeinwohlinteressen die Regel ist, die nur im Ausnahmefall durchbrochen wird.1107

itself. […] [T]he question of the applicable standard of review ought to be answered with reference to the applicable law as agreed by the parties. The determination of the applicable standard of review is too important and determinative to be subject to approaches inserted by arbitrators, as learned as they may be, on an ad hoc basis. Tribunals should follow the discipline of asking what the parties to the treaty have agreed with respect to the criterion by which their actios are to be judged. It is only this approach that can gain the legitimacy that comes with the rule of law.“ 1106  Vgl. Cosbey, The Road to Hell?, S. 165, zur Option der Einführung von General Exceptions im NAFTA in Reaktion auf eine expansive Auslegung der Standards, welche über den von den NAFTA-Staaten intendierten Schutz hinausging: „It has been suggested […] that some of the expanded interpretations have gone beyond what was intended by the drafters of NAFTA  – an argument which would be severely compromised by seeking exceptions to cover the newly prohibited behaviour.“ 1107  Vgl. auch Cosbey, The Road to Hell?, S. 165: „[T]o request an exception for a given behaviour is to concede that such behaviour is not normal and acceptabe in the first place. […][T]he right to regulate may be circumscribed by international agreements, but to start by assuming that regulating in the public interests is illegal (save for certain exceptions) seems a weak position.“

Schlussbetrachtung und Ausblick In ihren Bemühungen ihr Verständnis eines Ausgleichs zwischen Investoren- und Regulierungsinteressen in Internationalen Investitionsschutzabkommen in den Vertragstexten präzisierend festzuschreiben, stehen Staaten vor vielfältigen und neuen Herausforderungen. Die Vertragsgestaltung erfolgt heute nämlich aufgrund eines gewandelten Investitionsumfelds und unter gänzlich anderen Vorzeichen als zur Zeit der ersten BITs und selbst noch vor einigen Jahren. Konnten sich die kapitalexportierenden Industriestaaten früher auf die Sicherstellung größtmöglichen Investorenschutzes fokussieren, kommt Staaten aufgrund der heutigen Investitionsströme regelmäßig gleichzeitig die Rolle eines kapitalexportierenden Heimat- und eines kapitalimportierenden Gaststaats zu. In dieser Doppelrolle wird die vertragliche Reziprozität der Schutzverpflichtungen aus Investitionsschutzabkommen aktuell und zur Herausforderung für die Vertragsgestaltung, da nun zugleich defensiven Regulierungsinteressen Rechnung zu tragen ist. Diese heutige Bündelung offensiver und defensiver Interessen auf Seiten einer Vertragspartei zwingt zur Auseinandersetzung mit der Frage, wie ein Interessensausgleich erzielt werden kann und hat dazu geführt, dass heute unter den Staaten ein weitergehender Konsens über die Notwendigkeit eines Ausgleich besteht, als noch vor einigen Jahren. Bereits angesichts dieser gewachsenen Bereitschaft zur Erzielung eines Ausgleichs sowie der zunehmenden Einigkeit über die Notwendigkeit der Sicherstellung legitimer Regulierungsinteressen, die einem „höchstmöglichen“1108 Investorenschutz Grenzen setzt, stehen die Chancen, dass es gelingt, einen Ausgleich vertraglich zu verankern, heute besser denn je. Hierzu ganz wesentlich beigetragen haben aber vor allem die massive Kritik, die großen Bedenken und die zum Teil sogar vollständige Ablehnung, die der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit heute in Sorge um eine unangemessene Einschränkung staatlicher Regulierungsfreiheit und eines regelrechten „Booms“ der Investor-Staat-Verfahren mehr denn je auf breiter Front entgegenschlagen. Es ist ein Widerspruch von staatlicher Seite, zahlreichen Interessensgruppen und nicht zuletzt auch einer zunehmend hell­ hörigen und verunsicherten Öffentlichkeit, die häufig erstmals im Zuge der 1108  Vgl.

bei Fn. 33.



Schlussbetrachtung und Ausblick313

ausgiebigen Berichterstattung über Abkommen wie CETA und TTIP und breitangelegte Protestaktionen und Aktionstage verwundert von der Klagemöglichkeit ausländischer Investoren vor privaten Schiedsgerichten erfährt. Dieser ausdauernde und vielfältige Widerspruch ist dabei von der Wahrnehmung geprägt, staatlichen Regulierungsinteressen werde in der Schieds­ praxis nicht ausreichend Rechnung getragen, sondern sie werde im Gegenteil immer mehr den Investorenrechten großer Wirtschaftskonzerne untergeordnet. Zunehmend wird daher hinterfragt, inwieweit es legitim ist, in InvestorStaat-Verfahren außerhalb nationaler Gerichte über die Zulässigkeit der Gemeinwohlmaßnahmen demokratisch legitimierter Regierungen befinden zu lassen und das Streitbeilegungssystem in seiner gegenwärtigen Verfassung nicht als geeignet erachtet, eine angemessene und abgewogene Streitbeilegung zwischen souveränen Staaten und ausländischen Investoren zu gewährleisten. Staaten, die beabsichtigen, auch zukünftig an Investor-StaatVerfahren festzuhalten – sei es vor Schiedsgerichten oder auch einem Investitionsgericht – stehen hierdurch unter einem immensen Druck, diese Position als verantwortungsbewusstes Regierungshandeln rechtfertigen zu können. Die verschiedenen Ansätze der Staaten zur Erzielung eines Ausgleichs in einer Neuen Generation von Abkommen sollen dieser Rechtfertigung dienen, indem einer expansiven Auslegung der Abkommensverpflichtungen zulasten des Freiraums zur entschädigungslosen Verfolgung legitimer Gemeinwohlziele begegnet werden soll. Vertragliche Unbestimmtheit und ­ die damit einhergehende weite Delegation der Konkretisierung ex ante an Schiedsgerichte sind hiernach nicht länger das Mittel der Wahl zur Bewahrung vertraglicher Flexibilität im Interesse höchstmöglichen und lückenlosen Investorenschutzes. In der Position als nicht länger nur theoretisch Beklagter werden unbestimmte Standards als Bedrohung für staatliche Regulierungsinteressen wahrgenommen. Erst die vertragliche Unbestimmtheit, so die Kritik, ermöglichte es doch schließlich, den Umfang der eingegangenen Schutzverpflichtung im Wege einer immer expansiveren und investorenfreundlicheren Auslegung zu erweitern und hierdurch das finanzielle Risiko legitimer Regulierung zu weit vom Investor auf den Staat zu verlagern. Folgerichtig soll dies zukünftig durch die Neugestaltung der Abkommenstexte ausgeschlossen werden. Durch präzisere Standards und die Normierung des Regulierungsinteresses in Gestalt von Interpretationsvorgaben und Regulierungsausnahmen sollen die Zügel durch die Staaten zukünftig enger geführt und ein Enteilen der Schiedsgerichte verhindert werden, ­indem klarer vorgezeichnet wird, wie eine Kollision der widerstreitenden ­Investoren- und Regulierungsinteressen im Einzelfall aufzulösen ist.

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Schlussbetrachtung und Ausblick

Eine solche Präzisierung der Abkommenstexte durch die souveränen Vertragsparteien ist geeignet einer expansiven Auslegung effektiv vorzubeugen und die Rechtssicherheit und Legitimität der zukünftigen Entscheidungsgrundlagen zu erhöhen. Sie ist somit weit mehr als nur eine ineffektive „Beruhigungspille“ für eine besorgte Öffentlichkeit. Gleichwohl sendet sie auch in dieser Funktion ein wichtiges Signal: Die verbreitete Sorge um die Behinderung der Verfolgung legitimer Gemeinwohlziele infolge einer immer expansiveren Auslegung von Investorenrechten und hierdurch zu weitgehend eröffneten Klagemöglichkeiten ausländischer Investoren wird geteilt und ernst genommen, doch kann ihr durch vertragliche Vorkehrungen effektiv begegnet werden. Hierdurch wird entschieden der Wahrnehmung entgegengetreten, nicht die Vertragsstaaten, sondern die Schiedsrichter bestimmten in Wirklichkeit als wahre lawmaker über die Reichweite des gewährten Investorenschutzes. Angesichts der Forderungen nach vertraglicher Präzisierung und einer Einschränkung des Auslegungsspielraums der Schiedsgerichte sollte dabei jedoch nicht übersehen werden, dass eine präzisere Ausgestaltung der Abkommenstexte heute überhaupt erst deshalb möglich ist, da man auf ­ die Erkenntnisse hunderter Investor-Staat-Verfahren zu unterschiedlichsten Sachverhaltskonstellationen und entschieden auf Grundlage unterschiedlich formulierter Abkommenstexte, zurückgreifen kann. Ungeachtet aller Kritik an fortbestehenden Inkonsistenzen der Schiedspraxis und dem Vorwurf der Entfernung vom vertraglich intendierten Investorenschutz haben diese Entscheidungen unzweifelhaft zu einer beachtlichen Konkretisierung der unbestimmten Standards beigetragen und offene Problemfelder sowie den Präzisierungsbedarf der unterschiedlichen Vertragsklauseln überhaupt erst aufgezeigt. Hiervon können Staaten heute für die Präzisierung ihres Verständnisses eines angemessenen Ausgleichs in den Abkommenstexten profitieren. Dies, indem sie im Sinne eines fortgesetzten, konstruktiven Dialogs mit den Schiedsgerichten auf die Kriterien, Fallgruppen und Lösungsansätze zurückgreifen können, die sich erst infolge der vertraglichen Unbestimmtheit der Abkommen und unter dem Eindruck der Parteivorträge von Investor und Gaststaat als jeweilige Verfechter der Individual- und Gemeinwohlinteressen herausgebildet und eine sukzessive Verfeinerung erfahren haben. Dabei kann dieser Rückgriff entweder erfolgen, um die Kriterien, Fallgruppen und Ansätze der Schiedspraxis durch eine vertragliche Verankerung als im Einklang mit dem Willen der Vertragsparteien stehend zu bestätigen oder aber ihnen durch eine abweichende vertragliche Ausgestaltung ausdrücklich und unmissverständlich zu widersprechen. Indem sich die Staaten auf diese Weise der Kriterien der Schiedspraxis zur präziseren Artikulierung ihres



Schlussbetrachtung und Ausblick315

Verständnisses eines Ausgleichs bedienen, entgeht dieser Ansatz auch der Kritik, durch eine vertragliche Verankerung der Schiedspraxis werde ein einseitig investorenfreundliches System nach den Vorstellungen der Schiedsgerichte als den wahren lawmakern zur Vollendung gebracht. Das Interesse an einer präziseren Inhaltsbestimmung ex ante und einer entsprechenden Einschränkung der Delegation der inhaltlichen Konkretisierung ex post an die im Einzelfall zur Entscheidung berufenen Schiedsgerichte stößt aber auch an Grenzen, indem der Verlust der Vorteile vertrag­ licher Unbestimmtheit zu bedenken ist. So wird hierdurch der Ansatz in Frage gestellt, welcher bislang – neben weiteren Vorteilen – Gewähr für vertragliche Flexibilität bot. Notwendige Flexibilität, an welcher Staaten weiterhin großes Interesse haben, um Schutzlücken im offensiven Interesse ihrer Investoren auszuschließen, die Berücksichtigung besonderer und unvorhergesehener Umstände des Einzelfalls zu ermöglichen sowie zukünftigen Entwicklungen und Spannungsfeldern infolge technischen Fortschritts oder auch gewandelter gesellschaftlicher Anschauungen Rechnung tragen zu können. Für die Vertragsgestaltung führt dies zur Frage, auf welche Weise vertragliche Bestimmtheit erzielt werden kann, ohne vertragliche Flexibilität ohne Not zu opfern und inwieweit präzisierende, abschließende und ausnahmslose Inhaltsbestimmungen durch die Vertragsstaaten zur Sicherstellung legitimer Regulierungsinteressen wirklich erforderlich sind. Inwieweit ist es also möglich, Schiedsgerichte in die Erzielung eines angemessenen Ausgleichs zwischen effektivem Investorenschutz und staatlicher Regulierungsinteressen einzubeziehen und sich durch vertragliche Unbestimmtheit und Delegation Flexibilität zu bewahren, ohne befürchten zu müssen, dass diese vertragliche Unbestimmtheit und bewusst belassene Auslegungsspielräume von den Schiedsgerichten einseitig zu Lasten legitimer staatlicher Regulierungsinteressen genutzt würden? Insbesondere in diesem Punkt wird deutlich, dass die Vertragsgestaltung zugleich ein Austarieren der zukünftigen Rolle der Schiedsrichter ist. Aber auch im Hinblick auf die erhöhte Gefahr einer missbräuchlichen Berufung auf die angebliche Verfolgung von Gemeinwohlzielen durch die Formulierung weitreichender Regulierungsfreiräume und die Einforderung eines besonderes zurückhaltenden Überprüfungsmaßstabs – eine der größten Befürchtungen der Investoren in Bezug auf die Normierung staatlicher Regulierungsinteressen – wird deutlich, dass eine potentiell drohende, effektive Überprüfungsmöglichkeit der Legitimität staatlicher Regulierungsmaßnahmen den Staaten auch einen Ausweg aus dem Dilemma bieten kann, gleichzeitig einem offensiven und defensiven Mandat dienen zu müssen. Ein Ausweg, welcher freilich die Bereitschaft voraussetzt, auch die eigene

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Schlussbetrachtung und Ausblick

Lauterkeit bei der Ausübung der Regulierungsfreiheit der effektiven Überprüfungsmöglichkeit durch ein neutrales Gericht in einem potentiellen Verfahren zu unterstellen. Dieses Austarieren der zukünftigen Rolle der Schiedsrichter zwischen Präzisierung und Delegation im Wege der Vertragsgestaltung setzt eine Prognose voraus: Inwieweit ist heute absehbar, dass in zukünftigen Entscheidung im Spannungsfeld von Investorenschutz und Gemeinwohlregulierung, dem Interesse der Gaststaaten an einer entschädigungslosen Regulierung zur diskriminierungsfreien Verfolgung legitimer Gemeinwohlinteressen Rechnung getragen wird, und dies ggf. selbst im Fall fortbestehender Unbestimmtheit und einer effektiven Überprüfungsmöglichkeit? Erst die Anwendung der unterschiedlichen Ansätze in den Abkommenstexten der Neuen Generation in künftigen Schiedsverfahren wird erweisen, welche Bedeutung ihnen beigemessen werden wird1109 und ob es den Staaten gelungen ist, den intendierten Ausgleich festzuschreiben oder hierfür weitere und entschiedenere Nachjustierungen erforderlich sind. Auch die Einschätzung und Bewertung der Erfolgsaussichten der verschiedenen Ansätze zur vertraglichen Verankerung eines Ausgleichs muss also aufgrund einer Prognose erfolgen, ob und inwieweit Schiedsgerichte zukünftig gewillt sein werden, diesen Bemühungen um die Sicherstellung staatlichen Regulierungsinteressen Rechnung zu tragen. Legt man dieser Prognose die Befürchtungen zu Grunde, die mit der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit heute unvermindert verbunden werden und stellt man auf die Fakten und Schiedsentscheidungen ab, auf welche zur Untermauerung der Gefahr für die Regulierungsfreiheit unermüdlich verwiesen wird, sind die Aussichten düster. Zutreffend ist, dass die unbestimmten Schutzstandards im Vergleich zu den Anfängen des vertraglichen Investitionsschutzes eine Entwicklung und beachtliche Ausweitung erfahren haben und man mag durchaus darüber streiten, ob nicht der den ausländischen Investoren gewährte Schutz heute über deren berechtigtes Schutzanliegen hinausgeht. Man könnte aus dieser Erweiterung – wie dies zum Teil geschieht – den Schluss ziehen, dass Schiedsrichter in ihrem finanziellen Eigeninteresse und Hunger nach Macht und Einfluss, trotz aller vertraglicher Ausgleichsbemühungen der Staaten, auch zukünftig einen Weg finden werden, die Abkom1109  In diesem Sinne auch Spears, Making Way for the Public Interest in IIA, S. 294, wonach die Erwägungen, wie die Präzisierungen in den neuen Abkommen das Investitionsrecht beeinflussen wird, zuvor Spekulation bleiben; ähnlich Bjork­ lund, Practical and Legal Avenues, S. 182: „[T]he interpretation tribunals will actually give to the language remains to be seen.“; siehe auch bereits Fn. 54.



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menstexte aufgrund der stets verbleibenden Unbestimmtheit für eine weite und investorenfreundliche Auslegung zu Lasten staatlicher Regulierungsinteressen auszunutzen.1110 Weiter könnte für eine düstere Prognose darauf verwiesen werden, dass heute in der Schiedspraxis der Schutz legitimer Investorenerwartungen fest etabliert ist, ja sogar ein legitimes Vertrauen des Investors in stabile und vorhersehbare Rahmenbedingungen und die abstrakt-generelle Rechtslage anerkannt wurde und dies als Bedrohung für legislative Änderungen im Gemeinwohlinteresse angeführt werden. Auch könnte – wie dies noch immer häufig geschieht – auf eine Entscheidung aus dem Jahr 2000 verwiesen werden, um mit ihr belegen zu wollen, wie real die Gefahr ist, Investoren könnten bereits im Fall eines bloßen Wertverlusts infolge staatlicher Regulierung Entschädigungen für eine indirekte Enteignung geltend machen.1111 Ein optimistischeres Bild ergibt sich indes dann, trifft man eine Prognose im Lichte mehrerer Umstände, die deutlich dafür sprechen, dass die Gestaltungsbemühungen der Staaten ihr Ziel erreichen werden, einen Regulierungsfreiraum zur Ergreifung legitimer Gemeinwohlinteressen sicherzustellen und die Befürchtungen, diese vertraglichen Vorkehrungen könnten schlicht übergangen werden oder gar zu einer Einschränkung des bestehenden Regulierungsfreiraums führen, nicht berechtigt sind. Zunächst der Umstand, dass Staaten heute gegenüber Schiedsgerichten die Sicherstellung legitimer Regulierungsinteressen mit größerer Einstimmigkeit einfordern. Daneben ist das Eigeninteresse der Schiedsrichter da­ ran zu berücksichtigen, dass Staaten angesichts glaubhafter Abwanderungsdrohungen auch zukünftig überhaupt bereits sein werden, an InvestorStaat-Verfahren festzuhalten. Dies vor allem im Hinblick auf den entscheidendsten Umstand, der in die Prognose einzubeziehen ist: Nämlich wiederum den massiven und ausdauernden Widerspruch gegen eine expansive Schiedspraxis zu Lasten legitimer Regulierungsinteressen, der bereits seit vielen Jahren auf die Schiedspraxis einwirken konnte und sich auf vielfältige Weise artikuliert: Durch die Kündigung bestehender Investitionsschutz­ abkommen, den Rückzug einzelner Staaten von ICSID, die langfristigen Pläne der Ersetzung der Schiedsgerichtsbarkeit durch eine Investitionsgerichtsbarkeit, den bereits genannten, lauten Protest zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie einer zunehmend alarmierten Öffentlichkeit. Und nicht zuletzt eben auch durch die präzisierende Verankerung des Ausgleichs von Investoren- und Regulierungsinteressen in der Neuen Generation von Investitionsschutzabkommen. 1110  van

Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 3, siehe supra Fn. 60. unermüdlichen Anführung der Entscheidung in Metalclad vs. Mexcico, siehe unter B.I.2.a)bb). 1111  Zur

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Schlussbetrachtung und Ausblick

Dass eine erhöhte Sensibilisierung und Empfänglichkeit der Schiedsgerichte für die Sorge um eine Anerkennung legitimer Gemeinwohlregulierung infolge dieses Widerspruchs und als Gegenreaktion auf einen backlash nicht nur eine theoretische Erwägung ist, sondern der Widerspruch bei den Schiedsgerichten auch tatsächlich nicht auf taube Ohren gestoßen ist, verdeutlicht dabei – neben generelleren Aussagen der Schiedsgerichte zu ihrer Rolle und Aufgabe im Investitionsschutzsystem – eine Betrachtung der Entwicklung, die die Schiedspraxis zum Schutz vor indirekten Enteignungen und zum FET-Standard in den letzten Jahren genommen hat. Entgegen den lauten Stimmen, die unter Verweis auf eine immer expansivere Auslegung dieser Standards eine Abkehr von Investor-Staat-Verfahren fordern und auf das öffentliche Meinungsbild einwirken, ist der Trend zu einer solchen expansiven Auslegung heute nicht mehr zu verzeichnen. Er wurde gestoppt, infolge des seit weit mehr als einem Jahrzehnt andauernden Widerspruchs, den eine solche expansive Auslegung hervorrief. Die zeigt sich unter anderem etwa in einer heute weit mehrheitlichen Berücksichtigung des verfolgten Gemeinwohlziels bei der Beurteilung des Vorliegens einer indirekten Enteignung. Im Rahmen der Zusicherung von Fair and Equitable Treatment zeugt hiervon, dass äußerst weitreichende Entscheidungen und Schutzverpflichtungen, wie der Schutz legitimer Investorenerwartungen und die Verpflichtung der Gaststaaten zur Gewährleistung der Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen, die sehr wohl berechtigten Anlass zur Sorge um eine ausreichende Anerkennung legitimer Regulierungsinteressen gaben, sukzessive eine einschränkende Korrektur und erhebliche Relativierung erfahren haben. Das Risiko eines Gaststaats, im Einzelfall trotz einer nichtdiskriminierenden Maßnahme zur Verfolgung eines legitimen Gemeinwohlziels gegenüber einem ausländischen Investor zu Entschädigung verurteilt zu werden, ist auch hiernach weder aus der Welt noch zu verharmlosen. Es ist jedoch weit geringer einzuschätzen, als es häufig dargestellt und wahrgenommen wird. Der Widerspruch gegen eine Fehlentwicklung der Investitionsrechtsprechung hat somit in Teilen bereits das bewirkt, was durch die ausdrückliche Festschreibung des Ausgleichs in neuen Investitionsschutzabkommen bezweckt wird: Eine deutliche Rekalibrierung zugunsten staatlicher Regulierungsinteressen. Eine Entwicklung, die jedoch im unvermindert lauten Widerspruch unterzugehen droht. Schon deshalb sollte einer falschen Wahrnehmung infolge einer punktuellen Betrachtung und Berichterstattung über die Schiedspraxis sowie Befürchtungen, die sich angesichts dieser Entwicklung als übertrieben darstellen, durch die vertragliche Fixierung eines Ausgleichs entgegengetreten werden.



Schlussbetrachtung und Ausblick319

Aber nicht allein deshalb scheidet ein Untätigbleiben trotz dieser Entwicklung als Option aus. Trotz des klaren Trends zur stärkeren Betonung staatlicher Regulierungsinteressen hängt letztlich das Ausmaß ihrer Berücksichtigung häufig allein von der Einschätzung und dem Ermessen des jeweiligen Schiedsgerichts ab. Auch verdeutlicht die Betrachtung der Schiedspraxis, dass weiter Auslegungsunsicherheiten in Bezug auf die Voraussetzungen eines Investorenschutzes fortbestehen, die durch eine verbindliche Entscheidung der Vertragsparteien – entsprechend ihres Verständnisses eines Ausgleiches strenger oder großzügiger – ausgeräumt werden können. Dies dient der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit, an welcher auch die Investoren ein größeres Interesse haben als an vermeintlich günstigeren, jedoch unkalkulierbaren Investitionsbedingungen. So bleibt zum Abschluss dieser Arbeit zu betonen, dass auch durch die Normierung des Regulierungsinteresses und die Präzisierung der Neuen Generation der Investitionsschutzabkommen die Aufgabe der Schiedsrichter nicht entfallen wird, eine wertende Entscheidung zu treffen, ob die staat­ lichen Regulierungsmaßnahmen zugesicherte Schutzstandards verletzen. Diese Entscheidung wird durch die neuen Abkommenstexte im Vergleich zu den früheren Abkommenstexten durch klarere und präzisere Vorgaben vorgezeichnet und erleichtert, nicht aber ersetzt.1112 So wird den Schiedsgerichten auch zukünftig die verantwortungsvolle Aufgabe zukommen, durch die Auslegung der Standards und etwaiger ausdrücklicher Regulierungsausnahmen angesichts der Umstände des Einzelfalls, zu einer konsistenten Fortentwicklung und weiteren Konkretisierung dieser Bestimmungen beizutragen.1113 In Anbetracht der beobachteten Entwicklung und des klaren Trends der Schiedspraxis, der Besorgnis um eine unangemessene Einschränkung der staatlichen Regelungsfreiheit zunehmend zu begegnen, steht dabei jedoch nicht zu befürchten, dass Schiedsgerichte diese Aufgabe künftig in einer Weise ausführen werden, in welcher vertragliche Unbestimmtheit einseitig zur Erzielung eines immer expansiveren Investorenschutzes ausgenutzt wird oder die Bemühungen der Staaten um eine Sicherstellung legitimer Regulierungsinteressen übergangen werden oder eine Auslegung erfahren könnten, die gar zu einer weitergehenden Einschränkung des staatlichen right to regulate gegenüber dem status quo führen könnte. Staatliche Regulierungsinteressen haben in der Investitionsrechtsprechung zur indirekten Enteignung und zum FET-Standard infolge eines wirksamen Widerspruchs bereits zunehmend stärkere Berücksichtigung gefunden, ohne betont auch Spears, 13 J. Int. Econ. Law 2010, S. 1071 f. diesem Sinne auch Spears, 13 J. Int. Econ. Law 2010, S. 1072.

1112  Dies 1113  In

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Schlussbetrachtung und Ausblick

dass spezielle Klauseln zur Sicherstellung staatlicher Regulierungsinteressen dies explizit anordneten. Erst recht stimmt dies zuversichtlich, dass solche Klauseln und die Bemühungen der Staaten um eine Präzisierung der Abkommensverpflichtungen nicht lediglich ein vergeblicher Akt in einem nicht zu gewinnenden „Katz-und-Maus-Spiel“ sind.1114 Vielmehr ist ihnen ein konstruktiver Dialog mit den Schiedsgerichten zu erblicken. Ein Dialog, in welchem die Vertragsstaaten, die sich als Ausdruck ihrer Souveränität zum Schutz ausländischer Investoren und die Einschränkung ihrer eigenen Handlungsfreiheit entscheiden, zu Wort kommen.

1114  van

Harten, Why Arbitrators Not Judges, S. 3, siehe supra Fn. 60.

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Sachverzeichnis Abwägung im Rahmen von FET  237 ff., 242 ff., 254, 258, 261, 278, 287, 293, 310 Abwanderung und Widerspruch  67 ff. ADF vs. USA (ICSID Case No. ARB(AF)/00/1)  162, 165, 177, 209 AES vs. Hungary (ICSID Case No. ARB/07/22)  105, 198, 199 f., 232 Aguas de Tunari vs. Bolivia  268 Albert O. Hirschman  67 ff. Angemessenheit (Prüfung der)  196, 199, 202 ff., 240 Archer Daniels vs. Mexico (ICSID Case No. ARB(AF)/04/05)  98, 102, 129 Ausgleich (Begriffsverständnis)  30 Azurix vs. Argentina (ICSID Case No. ARB/01/12)  105, 117, 120, 122, 127f, 130, 139, 151 f., 154, 156, 179 f. Bayindir vs. Pakistan (ICSID Case No. ARB/03/29)  82, 141, 149, 191, 195, 242 BG Group vs. Argentina  102, 230 f., 242 Biwater Gauff vs. Tanzania (ICSID Case No. ARB/05/22)  119, 149, 183, 190 f., 210, 246 Burlington Resources vs. Ecuador (ICSID Case No. ARB/08/05)  82 Calvo Doktrin  37, 40, 89 Cargill vs. Mexico (NAFTA)  170 ff., 182, 195, 197, 223 f. CETA  21 f., 25, 27, 76, 158, 159, 202, 209, 251, 264, 267 f., 271 f., 273, 279 ff., 291 ff., 303, 310, 313 Chemtura vs. Canada (NAFTA)  98, 104 ff., 112, 125, 135, 175, 194, 208

Clayton/Bilcon vs. Canada (NAFTA)  173, 256 f. CME vs. Czech Republic  99 CMS vs. Argentina (ICSID Case ARB/01/8)  96, 102, 119, 133, 139, 157, 178 ff., 195, 216, 226 ff., 230, 233 ff. Components  191, 143, 166, 170, 191 ff. Consortium RFCC vs. Morocco (ICSID Case ARB/00/6)  100, 119 Continental Casualty vs. Argentina (ICSID Case No. ARB/03/9)  125, 128 f., 221, 230, 233 Corn Products vs. Mexico (ICSID Case No. ARB(AF)/04/01)  100, 112, 129 f. Deference  64, 140, 170, 196 ff., 237, 252, 298 f., 308 Deklaratorisches right to regulate  272 ff. Doppelrolle der Staaten  39 ff. Due process/procedural fairness unter FET  193 f. Duke Energy vs. Ecuador (ICSID Case No. ARB/04/19)  82, 151, 179 f., 231 ff., 242, 248 EDF vs. Romania  198, 221, 232, 235, 239 EDFI vs. Argentina  185, 220 Eigeninteresse der Schiedsrichter  29, 32, 73 ff., 185, 256, 316 f. El Paso vs. Argentina (ICSID Case No. ARB/03/15)  84, 102 ff., 129 f., 151, 157, 178 ff., 183 f., 197, 200, 209, 212, 220 ff., 230, 233 ff., 240 ff., 246 f., 250 Electrabel vs. Hungary (ICSID Case No. ARB/07/19)  97, 113, 209

Sachverzeichnis337 EnCana vs. Ecuador (LCIA Case No. UN3481)  111 Enron vs. Argentina (ICSID Case No. ARB/01/3)  102, 139, 182, 200, 216, 219 f., 227, 229 f. Equating Approach  144, 156, 178 Erforderlichkeit (Prüfung der)  196, 199, 202 ff., 252, 300, 306 Ethyl Corp. vs. Canada  19 f. Exit, Voice and Loyalty   67 ff. Feldman vs. Mexico (ICSID Case No. ARB(AF)/99/1)  102, 11, 122, 126, Fireman’s Fund vs. Mexico (ICSID Case No. ARB(AF)/02 /01)  92, 99, 111 f., 129 f. GAMI vs. Mexico (NAFTA)  166, 225 Gemäßigte police powers doctrine  125 ff., 137 General Exceptions nach Vorbild von Art. XX GATT  295 ff. Genin vs. Estonia (ICSID Case No. ARB/99/2)  148 f., 151, 190, 249 Glamis Gold vs. USA (NAFTA)  79 f. 82, 94, 101, 105, 131, 165 ff., 185 ff., 195, 201 f., 210, 212 f., 221, 223 f., 253, 285, 287, 289 Gleichsetzung von MST und FET  148 f., 151, 157, 160, 178 f. Goetz vs. Burundi (ICSID Case No. ARB/95/3)  104 Grand Bargain  37, 40 Grand River vs. USA (NAFTA)  96, 105, 132 Impreglio vs. Argentina  235, 239 International Investment Court  29, 76 International Minimum Standard of Treatment  144 f., 153 f., 156 ff. Investorenverhalten (Berücksichtigung des)  244 ff., 254, 258 Legitime Erwartungen (im Rahmen des Schutzes vor indirekter Enteignung)  130 ff.

Legitime Investorenerwartungen  130 ff., 140, 170, 172, 209 ff., 281 f., 293, 304, 317 f. Lemire vs. Ukraine (ICSID Case No. ARB/06/18)  83 f., 151, 195, 198, 239, 246, LG&E vs. Argentina (ICSID Case No. ARB/02/1)  99, 128, 130, 132, 198, 200, 216, 219, 227, 229 f., 234 f., 248 Liability threshold (FET)  143, 167, 170 ff., 186 ff. Mamidoil vs. Albania (ICSID Case No. ARB/11/24)  83, 104, 231, 246 f., 249 f. M.C.I. Power Group vs. Ecuador (ICSID Case No. ARB/03/6)  151 Merrill & Ring vs. Canada (NAFTA)  118, 132, 174 f., 186 f., 190, 288 Metalclad vs. Mexico (ICSID Case No. ARB(AF)/97/1)  96 ff., 104 ff., 118, 133, 135, 160, 192, 209, 213, 226, 258, 317 Methanex vs. USA (NAFTA)  123 f., 132, 135, 206 ff., 250, 283 Micula vs. Romania (ICSID Case No. ARB/05/20)  83, 150, 269 Middle East Cement vs. Egypt (ICSID Case ARB/99/6)  100, 104 Minimum Standard   144 f., 153 f., 156 ff. Mondev vs. USA (NAFTA, ICSID Case No. ARB(AF)/99/2)  146, 164 f., 168 MTD vs. Chile (ICSID Case No. ARB/01/7)  147 f., 183, 211, 245 f. Nachteile vertraglicher Präzisierung  49 ff. National Grid Plc. vs. Argentina  147 Neer vs. Mexico  161f, 165 f., 168, 170 ff., 177, 195, 197 Negative Präzisierung  276, 282 ff. Neue Generation von Investitionsschutzabkommen (Begriffsverständnis)  28 Nexus (im Rahmen von General Exceptions)  295, 298 ff., 309

338 Sachverzeichnis Noble Energy vs. Ecuador (ICSID Case No. ARB/05/12)  82 Norwegian Shipowners’ Case (Norway vs. USA)  90 Object and purpose (synonymes Verständnis von)  270 f. Occidential vs. Ecuador (LCIA Case No. UN 3467)  111, 151, 178, 220, 227 f., 235 Open Letter from lawyers to the negotiators of the Trans-Pacific Partnership  43 over-inclusiveness  52 Oxus Gold vs. Uzbekistan  122, 195, 221, 248 Parkerings vs. Lithuania (ICSID Case No. ARB/05/8)  147, 195, 213, 221, 223, 231, 235, 238, 246, 249, 255 Patrick Mitchell vs. Congo (ICSID Case No. ARB/99/7)  116 Paushok vs. Mongolia  132, 222 Penn Central Transportation Co. vs. New York City  279 Phelps Dodge vs. Iran  118 Philip Morris vs. Australia (PCA Case No. 2012-12)  22 Philip Morris vs. Uruguay (ICSID Case No. ARB/10/7)  18, 97, 100 ff., 129 f., 158, 172, 178, 197, 201, 221, 235, 241, 247 f., 250, 260 Plain Meaning Approach  144, 156 f. Police powers doctrine  121 ff. Pope & Talbot vs. Canada (NAFTA)  95 f., 101 f., 104, 109, 117 ff., 156, 159 f., 162 ff., 197 Positive Language  268, 271, 275 f. Positive Präzisierung  276 ff. Potential expropriation  94 f., 114, 116 Principe de l’éfficacité  275 Protektionismus  32, 64, 192, 203 ff. PSEG vs. Turkey (ICSID Case No. ARB/02/5)  139, 195, 221, 231, 240 f. Public Statement on the International Investment Regime  21, 43, 270

Radikale police powers doctrine  121 f., 137 RDC vs. Guatemala  167 Regulatory Chill  20, 28, 77, 256 Rumeli vs. Kazakhstan  180 Saipem vs. Bangladesh (ICSID Case No. ARB/05/07)  81 f. Saluka vs. Czech Republic  83, 115, 123 f., 135, 139, 146, 148, 178, 181 f., 194 f., 198, 209, 212, 231, 235, 237 f., 241 f., 255, 269 Santa Elena vs. Costa Rica (ICSID Case No. ARB/96/1)  120 SAUR vs. Argentina  158, 184, 198 S.D. Myers vs. Canada (NAFTA)  96, 113, 122, 126 f., 140, 160, 197, 203 ff., 234, Sempra Energy vs. Argentina (ICSID Case ARB/02/16)  98, 101, 103, 139 f., 181 f., 234, 278 SGS vs. Philippines  269 Siemens vs. Argentina (ICSID Case No. ARB/02/8)  119 f., 149, 269 Sole effects doctrine  116 ff. Specific commitment  132, 218 ff., 230, 236 f., 239, 241, 253 f. Spezielle Regulierungsklauseln  271 ff. Spezifische Zusicherung  132, 218 ff., 230, 236 f., 239, 241, 253 f. Spiridon Roussalis vs. Romania (ICSID Case No. ARB/06/1)  105 Stabile und vorhersehbare Investitionsbedingungen  209 ff., 231 ff., 241 ff., 251, 253, 270, 276, 317 f. Stabilität (Verpflichtung zur)  209 ff., 231 ff., 241 ff., 251, 253, 270, 276, 317 f. Standards und Rules  49 ff. Starret Housing vs. Iran  90, 96, 118 Substantial deprivation  97 ff., 114 Suez vs. Argentina (ICSID Case No. ARB/03/19)  82, 149, 191, 222, 242 Swisslion vs. Macedonia (ICSID Case No. ARB/09/16)  142

Sachverzeichnis339 Tecmed vs. Mexico (ICSID Case No. ARB(AF)/00/2)  94, 98, 104, 120, 122, 126 f., 132, 135, 152, 168, 171, 178, 183, 192 f., 209 f., 212, 215 f. Teco vs. Guatemala (ICSID Case No. ARB/10/17)  158, 210 f. Threshold (FET)  143, 167, 170 ff., 186 ff. Thunderbird Gaming vs. Mexico (NAFTA)  82, 131 f., 140, 166, 172 f., 183, 190, 209 f., 223, 225, 245 Thunderbird vs. Mexico (NAFTA)  82, 131, 132, 140, 166, 172, 183, 190, 209 f. 223, 225, 245 Tippets vs. TAMS­AFFA  118 Tokios Tokelės vs. Ukraine (ICSID Case ARB/02/18)  99 Total vs. Argentina (ICSID Case No. ARB/04/1)  100, 103, 131 f., 152, 212, 221 ff., 231, 233 f., 239f, 246, Toto vs. Lebanon  190, 198, 212, 226, 232, 239, 248 f. Transparenzverpflichtung unter FET  192 f. TTIP  21, 26 f., 59 ff., 268, 282, 285, 293, 313 Ulysseas vs. Ecuador  221, 235

Umstände im Gaststaat (Berücksichtigung der)  244 ff., 254, 258 under-inclusiveness  52, 307 Unglaube vs. Costa Rica  158, 184, 246 Vattenfall vs. Germany (ICSID Case No. ARB/12/12)  22 Vertragsgestaltung als Widerspruch  71 ff. Vertrauen auf die Fortgeltung der bestehenden Rechtslage  214 ff. Vertrauensstiftende Funktion der vertraglichen Gestaltungsbemühungen  48, 263 Victor Pey Casado vs. Chile (ICSID Case No. ABR/98/2)  82 Vivendi vs. Argentina (ICSID Case ARB/97/3)  99, 117, 119, 152, 156 Waste Management vs. Mexico (ICSID Case No. ARB(AF)/00/3)  100, 113, 165 f., 173, 177, 183, 190, 195 White Industries vs. India  104, 106 Willkürliche Behandlung  194 ff., 290, 292 Zurückhaltender Prüfungsmaßstab  64, 140, 170, 196 ff., 237, 252, 298 f., 308