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German Pages 154 Year 2016
Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht Band 6
Der Atomausstieg und seine Folgen
Herausgegeben von Markus Ludwigs
Duncker & Humblot · Berlin
MARKUS LUDWIGS (Hrsg.)
Der Atomausstieg und seine Folgen
Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht Herausgegeben von Ralf Brinktrine und Markus Ludwigs
Band 6
Der Atomausstieg und seine Folgen
Herausgegeben von Markus Ludwigs
Duncker & Humblot · Berlin
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Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Printed in Germany ISSN 2198-0632 ISBN 978-3-428-15024-3 (Print) ISBN 978-3-428-55024-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-85024-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Als Lehre aus der Atomkatastrophe von Fukushima ist in Deutschland seit 2011 ein radikaler Wandel in der Klima- und Energiepolitik erfolgt. Prägend hierfür ist nicht zuletzt der durch die 13. Atomgesetznovelle fixierte Ausstieg aus der Kernenergie bis Ende 2022. Damit verbunden ist zugleich eine Vielzahl komplexer Rechtsfragen und Folgeprobleme. Aktuelle Schlaglichter bilden die anstehenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungskonformität von Atomausstiegsgesetz und Kernbrennstoffsteuer, die vieldiskutierte Schiedsklage von Vattenfall vor dem Weltbankgericht ICSID sowie die kontroversen Rechtsfragen sowohl im Kontext der Stilllegung und des Rückbaus von Kernkraftwerken als auch hinsichtlich der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle. Daneben steht in interdisziplinärer Perspektive die Frage nach der moralisch-ethischen Bewertung von Atomausstieg und Energiewende im Fokus. Den derart skizzierten zentralen Problemkomplexen rund um den Atomausstieg gehen die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes nach. Er dokumentiert die von meinem Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht veranstaltete Tagung „Der Atomausstieg und seine Folgen“, die am 8. April 2016 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg stattfand. Die Veranstaltung ist Teil eines von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Drittmittelprojekts. Zum Forschungsvorhaben „Das Recht der Energiewende“ entstehen hier in den nächsten zwei Jahren u. a. mehrere Doktorarbeiten und eine übergreifende Monografie. Einen Kernbestandteil des Projekts bildet auch die Durchführung von Konferenzen und Workshops. Ein besonderer Dank gilt den engagierten Referenten und Diskussionsteilnehmern sowie den Förderern der Tagung. Dank gebührt zudem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Europarecht an der Universität Würzburg für die unentbehrliche Unterstützung bei der Planung und Durchführung der Veranstaltung. Besonders zu erwähnen sind hier Frau Nicole Jördening und Herr Christopher Langer sowie Frau Patricia Zentgraf und Herr Thomas Zorn. Dem Verlag Duncker & Humblot, namentlich Herrn Dr. Florian R. Simon, LL.M., sowie Frau Birgit Müller, sei für die erneut hervorragende Zusammenarbeit bei der Entstehung dieses Bandes herzlich gedankt. Würzburg, im Juni 2016
Markus Ludwigs
Inhaltsverzeichnis Markus Ludwigs Begrüßung und Einführung in das Tagungsthema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Christoph Moench Verfassungs- und europarechtliche Rahmenbedingungen des Kernenergieausstiegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jörg Gundel Völkerrechtliche Rahmenbedingungen des Kernenergieausstiegs. Der Energiecharta-Vertrag und das Vattenfall-Verfahren vor dem ICSID-Schiedsgericht . . .
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Thomas Potthast Atomausstieg und Energiewende – ethische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rainer Wernsmann Die Kernbrennstoffsteuer auf dem Prüfstand von EuGH und BVerfG . . . . . . . . .
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Tobias Leidinger Rechtsfragen der Stilllegung und des Rückbaus von Kernkraftwerken . . . . . . . .
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Bettina Keienburg Rechtsfragen der Endlagerung radioaktiver Abfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Patricia Zentgraf Tagungsbericht. Der Atomausstieg und seine Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Begrüßung und Einführung in das Tagungsthema Von Markus Ludwigs, Würzburg Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte Sie sehr herzlich zu unserer Tagung „Der Atomausstieg und seine Folgen“ im Hörsaal I der Alten Universität begrüßen. Wir freuen uns sehr, dass hierzu mehr als 140 Anmeldungen aus Wissenschaft und Praxis eingegangen sind. Für die in den letzten drei Jahren durchgeführten energierechtlichen Tagungen an der Juristischen Fakultät bedeutet dies einen Rekordwert.
I. Thematische Einordnung Der Grund für das große Interesse an der Veranstaltung dürfte in der Aktualität der Thematik liegen. Sie lässt sich anhand einer Vielzahl von Ereignissen und Diskussionen der letzten Wochen und Monate veranschaulichen. An erster Stelle ist die am 15. und 16. März 2016 vor dem Bundesverfassungsgericht durchgeführte mündliche Verhandlung zum Atomausstiegsgesetz von 2011 zu nennen.1 Schon der Umstand, dass dafür zwei Tage angesetzt wurden, dokumentiert die Relevanz des Verfahrens. Die Energieversorger E.ON, RWE und Vattenfall wenden sich hier gegen den beschleunigten Atomausstieg bis Ende des Jahres 2022 und fordern letztlich unter primärem Rekurs auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG eine Entschädigung. Medienberichten zufolge steht ein Betrag von bis zu 22 Milliarden Euro im Raum. Neben dem Karlsruher Verfahren hat auch die Klage von Vattenfall vor dem ICSID-Schiedsgericht große Aufmerksamkeit erregt.2 Das schwedische Staatsunternehmen macht auf Basis des Energiecharta-Vertrages (EnCT) eine Entschädigung von knapp 4,7 Mrd. Euro gegenüber Deutschland geltend. Rechtliche Anknüpfungspunkte bilden u. a. der Schutz vor entschädigungslosen Enteignungen (Art. 13 EnCT) und das Gebot zur fairen und gerechten Behandlung (Art. 10 EnCT). Die jüngste Entwicklung bildete die im Sommer 2015 erfolgte Zulassung der EU-Kommission als amicus curiae zum Verfahren. Dem Vernehmen nach hält es die Kommission für eu-
1 Die Verfassungsbeschwerden sind beim BVerfG anhängig unter den Aktenzeichen 1 BvR 2821/11 (E.ON Kernkraftwerk GmbH), 1 BvR 321/12 (RWE Power AG) und 1 BvR 1456/12 u. a. (Kernkraftwerk Krümmel GmbH & Co. oHG und Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH). 2 ICSID Case No ARB/12/12, Vattenfall AB et al. v. Federal Republic of Germany (No 2).
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roparechtswidrig, dass ein Unternehmen aus einem EU-Mitgliedstaat ein anderes EU-Mitglied vor einem internationalen Schiedsgericht verklagt. Ebenfalls im Sommer 2015 urteilte der EuGH zur sog. Brennelementesteuer.3 Der Gerichtshof erkannte darin weder einen Verstoß gegen das Beihilfeverbot oder das Verbot zollgleicher Abgaben noch eine Verletzung des europäischen Sekundärrechts. Mit umso größerer Spannung ist nunmehr die für dieses Jahr angekündigte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Steuer zu erwarten.4 Auf dem Prüfstand steht die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Elementare Voraussetzung hierfür ist die Einordnung als Verbrauchsteuer bzw. die Anerkennung eines Steuererfindungsrechts. Neben den aufgezeigten Gerichtsverfahren sind auch die rechtspolitischen Diskussionen zu den Themen Stilllegung, Rückbau und Entsorgung von tagesaktueller Relevanz. Schlaglichtartig sind hier der umstrittene Gesetzentwurf für ein sog. Nachhaftungsgesetz,5 die Diskussionen um eine langfristige Finanzierung der Kernenergieausstiegs6 sowie die für den Sommer erwarteten Empfehlungen der Endlagerkommission zu den Entscheidungsgrundlagen der Standortauswahl7 zu nennen.
II. Programm der Tagung Themen über Themen also, aus denen das Programm unserer Tagung eine Auswahl der bedeutsamsten Problemkomplexe in den Mittelpunkt stellt. Neben den Rechtsfragen wollen wir uns dabei auch der ethischen Bewertung von Atomausstieg und Energiewende zuwenden. Der hierin zum Ausdruck kommende interdisziplinäre Bezug prägt im Übrigen zugleich das Drittmittelprojekt, in dessen Kontext die heutige Veranstaltung steht. Es handelt sich um ein von der Fritz Thyssen Stiftung gefördertes Forschungsvorhaben zum „Recht der Energiewende“. In den nächsten zwei Jahren entstehen hierzu in Würzburg u. a. mehrere Doktorarbeiten und eine übergreifende Monografie. Einen Kernbestandteil des Projekts bildet auch die Durchführung von Konferenzen und Workshops.
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EuGH, Rs. C-5/14, ECLI:EU:C:2015:354 – Kernkraftwerke Lippe-Ems. Das konkrete Normenkontrollverfahren ist beim BVerfG anhängig unter dem Aktenzeichen 2 BvL 6/13. 5 Vgl. den Entwurf eines Gesetzes zur Nachhaftung für Rückbau- und Entsorgungskosten im Kernenergiebereich v. 09. 11. 2015 (Rückbau- und Entsorgungskostennachhaftungsgesetz), BT-Drs. 18/6615. 6 Vgl. insoweit den am 27. 04. 2016 vorgelegten Abschlussbericht der Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs unter dem Titel „Verantwortung und Sicherheit – Ein neuer Entsorgungskonsens“ (abrufbar unter: www.bmwi.de – letzter Abruf: 18. 06. 2016). 7 Entwürfe zu Berichtsteilen sind abrufbar unter: https://www.bundestag.de/endlager/media thek/dokumente (letzter Abruf: 18. 06. 2016). 4
Begrüßung und Einführung in das Tagungsthema
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Mit Blick auf die heutige Auftakttagung freue ich mich sehr, dass es gelungen ist, ausgewiesene Experten aus Wissenschaft und Praxis als Referenten zu gewinnen. Sie werden sich in ihren Vorträgen mit dem Rechtsrahmen des Atomausstiegs befassen, die interdisziplinäre Perspektive in den Blick nehmen und zentrale Einzel- und Folgefragen diskutieren. 1. Rechtsrahmen des Atomausstiegs Den Anfang macht Herr Rechtsanwalt Dr. Christoph Moench. Er ist Partner der international tätigen Kanzlei Gleiss Lutz und Honorarprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt a.M. In seinem Eröffnungsvortrag beschäftigt er sich mit den verfassungs- und europarechtlichen Rahmenbedingungen des Atomausstiegs. Uns erwartet ein brandaktueller Vortrag zu diesen fundamentalen Grundfragen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil Herr Moench zurzeit in Karlsruhe den Energieversorger E.ON im Rahmen der Verfassungsbeschwerde zum Atomausstieg vertritt. Der Fokus des Verfahrens wie auch des heutigen Vortrags liegt insbesondere auf der umstrittenen Reichweite des grundrechtlichen Eigentumsschutzes. Im Anschluss wird sich Herr Kollege Jörg Gundel von der Universität Bayreuth den völkerrechtlichen Rahmenbedingungen des Kernenergieausstiegs zuwenden. Im Zentrum steht das auf Basis des Energiecharta-Vertrags eingeleitete Vattenfall-Verfahren vor dem ICSID-Schiedsgericht in Washington. Daneben wird sich der Referent aber auch in allgemeinerer Perspektive der rechtspolitischen Kritik an der Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit zuwenden. Herr Gundel ist für den Vortrag auch deshalb die Idealbesetzung, weil er sich bereits früh in grundlegenden Beiträgen u. a. für das Archiv des Völkerrechts8 mit dem Energiecharta-Vertrag befasst hat. 2. Interdisziplinäre Perspektive Nach einer Kaffeepause werden wir uns den ethischen Perspektiven von Atomausstieg und Energiewende zuwenden. Mit Herrn Kollegen Thomas Potthast von der Eberhard Karls Universität Tübingen konnte hierfür einer der beiden Sprecher des Internationalen Zentrums für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) gewonnen werden. Die Bedeutung einer interdisziplinären Weitung des Blicks wird deutlich, wenn man bedenkt, dass Atomausstieg und Energiewende elementare Fragen der Generationenverantwortung aufwerfen, die kritischer Reflektion bedürfen. Vor diesem Hintergrund wurde nach der Katastrophe von Fukushima auch die Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung unter der Leitung von Klaus Töpfer und Matthias Kleiner einberufen. Wie die Arbeit dieser Ethikkommission aus ethischer Sicht zu bewerten ist, stellt einen der Aspekte dar, die Herr Potthast in seinem Vortrag beleuchten wird. 8 Gundel, Regionales Wirtschaftsvölkerrecht in der Entwicklung – Das Beispiel des Energiecharta-Vertrages, AVR 42 (2004), S. 157 – 183.
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3. Zentrale Einzel- und Folgefragen Im Anschluss an einen Mittagsimbiss sollen zentrale Einzel- und Folgefragen erörtert werden. Herr Kollege Rainer Wernsmann von der Universität Passau wird zunächst die Zulässigkeit der Kernbrennstoffsteuer analysieren. Im Zentrum steht neben dem EuGH-Urteil vom Sommer 2015 vor allem die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Kompetenzmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes (KernbrStG). Nachdem die Richter in Luxemburg den Charakter der sog. Brennelementesteuer als Verbrauchsteuer verneint haben,9 dürfen wir auf die Einschätzung des Referenten gespannt sein, ob dies Auswirkungen auch auf die Bewertung der Karlsruher Richter haben könnte. Die nachfolgenden beiden Referate behandeln die ordnungsgemäße Abwicklung der Kernenergie in Deutschland. Den Anfang macht Herr Rechtsanwalt Dr. Tobias Leidinger. Er ist Counsel der Kanzlei Luther und Honorarprofessor an der Ruhr-Universität Bochum. Herr Leidinger wird sich den Rechtsfragen der Stilllegung und des Rückbaus von Kernkraftwerken widmen. Im Zentrum stehen die zulässige Reichweite von Änderungsgenehmigungen in der Nachbetriebsphase sowie die Reichweite der UVP-Pflichtigkeit von Stilllegungs- und Abbaugenehmigungen. Die Praxisrelevanz dieser Fragen wird nicht zuletzt mit Blick darauf deutlich, dass bislang noch für keines der neun im Zuge des beschleunigten Kernenergieausstiegs vom Netz gegangenen KKWs eine Stilllegungsgenehmigung erteilt wurde. Der Abschluss bleibt Frau Rechtsanwältin und Notarin Dr. Bettina Keienburg, Sozia der Kanzlei Kümmerlein vorbehalten. Sie wird sich mit Rechtsfragen der Standortsuche eines Endlagers für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle befassen. Frau Keienburg ist hierfür auch deshalb prädestiniert, weil sie als eine der Ersten die Schwachstellen des Standortauswahlgesetzes identifiziert und jüngst ein wirkmächtiges Gutachten für die Endlagerkommission erstellt hat. Am Ende ihres Vortrags werden wir klarer sehen, inwieweit das rechtsschutzbeschränkende und die Gewaltenteilung herausfordernde Konzept der Legalplanung im demokratischen Rechtsstaat realisierbar ist. Die Tagung schließt mit einem Empfang, zu dem Sie alle sehr herzlich eingeladen sind. Der Empfang, wie auch die gesamte Tagung wäre im Übrigen ohne die großzügige Unterstützung unserer Drittmittelgeber und Medienpartner nicht möglich. Namentlich zu nennen sind – neben der Fritz Thyssen Stiftung – der Verlag Duncker & Humblot sowie die Zeitschriften EWS (Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht), NVwZ (Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht) und RdE (Recht der Energiewirtschaft). Meine sehr geehrten Damen und Herren. Ich hoffe es ist mir gelungen, Vorfreude auf die kommenden Vorträge und Diskussionen zu wecken. Uns allen wünsche ich jetzt eine erfolgreiche Tagung und gebe das Wort weiter an den ersten Referenten. Lieber Herr Moench, wir freuen uns auf Ihren Vortrag! 9
EuGH, Rs. C-5/14, ECLI:EU:C:2015:354, Rn. 55 ff. – Kernkraftwerke Lippe-Ems.
Verfassungs- und europarechtliche Rahmenbedingungen des Kernenergieausstiegs1 Von Christoph Moench, Berlin
I. Die Gesetzgebung 1. Die Entwicklung des Atomgesetzes a) Das Atomgesetz 1959 und EURATOM Wenn man über den Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie durch die 13. AtGNovelle spricht2 und den spezifisch deutschen Hype nach Fukushima am 11. März 2011 reflektiert, ist es zweckmäßig, kurz die Geschichte des Atomgesetzes einzublenden. Die 1959 getroffene Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers für die friedliche Nutzung der Kernenergie durch das AtG in seiner Ausgangsfassung3 beruhte auf einem Grundkonsens in Gesellschaft und Politik, der die Parteien und die Wirtschaft, die Gewerkschaften und die Regierung von Bund und Ländern, die Wissenschaft und die öffentliche Meinung umfasste. Alle waren von der Zweckmäßigkeit und dem großen Potential der Kernenergie überzeugt. Das „Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren“ (Atomgesetz) wurde 1959 fast einstimmig im Bundestag verabschiedet. Es steht inhaltlich im Kontext mit dem sogenannten EURATOM-Vertrag aus dem Jahre 1957.4 Dieser nach wie vor geltende Vertrag belässt zwar den Mitgliedstaaten die Wahl seiner Energieträger und -quellen, sieht aber die Kernenergie als „eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und den friedlichen Fortschritt“.5 Diese Einstellung zur Kernenergie – das vergessen wir gerne in 1 Es handelt sich um die Langfassung des Manuskriptes zu dem Vortrag, der am 8. April 2016 in der Universität Würzburg auf der Tagung ,Der Atomausstieg und seine Folgen‘ gehalten wurde. Der Verfasser ist Partner bei Gleiss Lutz im Berliner Büro und Honorarprofessor an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er vertritt E.ON in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren gegen den Atomausstieg. 2 Gesetz vom 31. 07. 2011, BGBl. I, S. 1704. 3 Gesetz vom 23. 12. 1959, BGBl. I, S. 814. 4 EURATOM-Vertrag vom 25. 03. 1957, BGBl. II, S. 1678, in der zuletzt geänderten Fassung durch die EU-Beitrittsakte 2013, ABl. 2012, Nr. L 112, S. 21. 5 So die Präambel. Es sei das Anliegen der EURATOM „die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen“. Insoweit sei „ein gemeinsames
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Christoph Moench
Deutschland – ist noch immer weitgehend internationaler Standard. Die Kommission hat erst kürzlich ein neues Arbeitspapier vorgelegt6 und auch auf dem G7-Treffen in Japan wurde die Bedeutung der Kernenergie für die sichere, effiziente und CO2-freie Erzeugung der Grundlast gewürdigt.7 Dies war – und ist bis heute – die ratio des Einstieges in die Kernenergie8, trotz der hohen Investitionskosten. Die Dekarbonisierungsstrategie nach dem Abkommen von Paris hat der Kernenergie neuen Auftrieb gegeben, ungeachtet aller Bemühungen um den Ausbau der erneuerbaren Energieträger. Denn Wind und Sonne sind volatil. Und: gegenwärtig und auf absehbare Zeit lässt sich Strom großmaßstäblich nicht zu tragbaren Kosten effizient speichern.9 Das wird zwar eine Frage der Zeit sein. Aber diese Zeit gilt es zu überbrücken. Nach internationalen Standards und Politiken erfüllt die Kernenergie eine gut geeignete Brückenfunktion, wobei die Brücke ,lang‘ genug sein muss. Vorgehen“ erforderlich. Der EURATOM-Vertrag normierte Förderpflichten, insbesondere der EU-Organe. Noch heute spielt der Vertrag als geltendes primäres Gemeinschaftsrecht eine nicht unerhebliche Rolle, insbesondere bei den aktuellen Beihilfe-Diskussionen bei der staatlichen Förderung neuer Kernkraftwerke. Dazu etwa die Diskussion um Hinkley Point und die Anhörung vor dem zuständigen Ausschuss des Bundestags, Deutscher Bundestag, Britische AKW-Förderung strittig, Pressemitteilung vom 17. 06. 2015, im Internet abrufbar unter https://www.bundestag.de/presse/hib/2015_06/-/379176 (alle Internetverweise wurden zuletzt abgerufen am: 17. 06. 2016). 6 Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission, Hinweisendes Nuklearprogramm – Vorlage nach Artikel 40 Euratom-Vertrag zwecks Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 04. 04. 2016, COM(2016) 177 final. 7 G7 Ise-Shima Leaders’ Declaration, G7 Ise-Shima Summit, 26 – 27 May 2016, S. 29. Die Erklärung ist im Internet abrufbar unter http://www.mofa.go.jp/files/000160266.pdf. Dabei wird selbstverständlich unterstellt, dass die Kernkraftwerke unter höchsten Sicherheitsstandards betrieben werden. Die Klimafreundlichkeit der Kernenergie wird in vielen Ländern stark betont, namentlich etwa in Großbritannien. Das wurde in der Anhörung des englischen Sachverständigen Mark Higson vor dem Umweltausschuss des Bundestages zum Thema Hinkley Point deutlich, Deutscher Bundestag, Britische AKW-Förderung strittig, Pressemitteilung vom 17. 06. 2015, im Internet abrufbar unter https://www.bundestag.de/presse/hib/ 2015_06/-/379176. 8 Im Dezember 2015 waren in 31 Ländern 441 Kernkraftwerke mit einer installierten elektrischen Bruttoleistung von etwa 409 GW in Betrieb und in 15 Ländern 65 Kernkraftwerke mit einer elektrischen Bruttoleistung von etwa 69 GW im Bau, http://www.kernenergie.de/kern energie/themen/kernkraftwerke/kernkraftwerke-weltweit.php. 9 Zur Bedeutung und zum Stand der Speichertechnik Fraunhofer, Abschlussbericht Metastudie „Energiespeicher“, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi), 31. 10. 2014, im Internet abrufbar unter http://www.umsicht.fraunhofer.de/ content/dam/umsicht/de/dokumente/pressemitteilungen/2015/Abschlussbericht-MetastudieEnergiespeicher.pdf. Die energiewirtschaftlich effizienteste Form der Stromspeicherung findet in Pumpspeicherkraftwerken statt. Ihre Errichtung dauert lange, sie erfordern hohe Investitionen und speziell in Deutschland gibt es nur wenige geeignete Plätze. Bei den derzeitigen Strompreisen rechnen sich Speicherkraftwerke nur in Ausnahmefällen, dazu FfE, Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V., Gutachten zur Rentabilität von Pumpspeicherkraftwerken, September 2014, im Internet abrufbar unter http://www.stmwi.bayern.de/fileadmin/ user_upload/stmwivt/Themen/Energie_und_Rohstoffe/Dokumente_und_Cover/2014-Pumpspei cher-Rentabilitaetsanalyse.pdf.
Verfassungs- und europarechtliche Rahmenbedingungen des Kernenergieausstiegs
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Das AtG 1959, auf dessen Rechtsgrundlage (§ 7) die in den 70er und 80er Jahren erteilten Genehmigungen für alle deutschen Kernkraftwerke beruhen, kannte keine Laufzeitbeschränkung. Einschränkungen waren gemäß § 17 AtG nur konkret zum Schutz von Leben und Gesundheit und Sachgütern möglich. Die Genehmigungen waren daher weder zeitlich noch mengenmäßig beschränkt. „As long as safe“, wie es weltweit hieß und noch heute heißt. Auch das entspricht dem internationalen Standard, von den USA über England bis zur Schweiz. Überwiegend geht man davon aus, dass die Laufzeiten ca. 60 Jahre betragen, wobei natürlich durch Nachrüstungen der hohe Sicherheitsstandard aufrechterhalten bleibt.10 In den USA diskutiert man sogar über Laufzeiten von 80 Jahren.11 b) Die Rolle des Gesetzgebers und die ,Stunde‘ der Grundrechte Es obliegt dem Gesetzgeber, die normative Grundsatzentscheidung für oder gegen die Nutzung der Kernenergie zu treffen. Das hat das BVerfG in der Kalkar-Entscheidung 1978 ausgeführt.12 Dieser Satz ist opinio communis. Auch die Betreiber der deutschen Kernkraftwerke bekennen sich dazu. Sie stellen das grundsätzliche Ziel der parlamentarischen Gesetzgebung bei der Ausstiegsnovelle 2011 deshalb nicht infrage, sondern nur die Art und Weise, wie es verfolgt wurde. Sie monieren, dass ihnen bei acht Kernkraftwerken die Betriebserlaubnis unmittelbar entschädigungslos entzogen wurde, und dass bei den weiteren neun Kernkraftwerken die Laufzeiten um durchschnittlich 12 Jahre reduziert wurden (ausgedrückt in Strommengen). Auch wenn die Entscheidung über den Ausstieg aus der Kernenergie und die Laufzeiten der Kraftwerke grundsätzlich dem Gesetzgeber obliegt, ist er doch an verfassungsrechtliche – und soweit sie bestehen – europarechtliche Vorgaben gebunden. Verfassungsrechtlich ergeben sich die Vorgaben vor allem aus den Grundrechten. Stimmungen in der Bevölkerung, Umfrageergebnisse oder auch Wahlentscheidungen entheben ihn nicht davon. Im Gegenteil: Solche Stimmungslagen und der dadurch evozierte Eingriff in Freiheit und Eigentum sind gerade die ,Stunde‘ der Grundrechte. Der Gesetzgeber kann zwar die Nutzung der Kernenergie bis hin zum Ausstieg regeln, er muss aber die Grundrechte seiner Bürger wahren. Grundrechte sind vor allem Minderheitenrechte, die sich dann bewähren müssen, wenn die Mehrheit, auch große Mehrheiten, gesetzliche Eingriffe fordern.
10 Um dies klarzustellen: Soweit dem Vernehmen nach teilweise in anderen Ländern ältere Kraftwerke betrieben werden, die nicht internationalen Vorgaben – insbesondere den deutschen Sicherheitsstandards – entsprechen, ist das deutlich zu kritisieren. Selbstverständlich sollten KKW, die nicht diesen Standards entsprechen, vom Netz genommen werden. Einbußen an der Sicherheit und der Vorsorge sind nicht akzeptabel. 11 The New York Times, Power Plants Seek to Extend Life of Nuclear Reactors for Decades, 19. 10. 2014, der Artikel ist im Internet abrufbar unter http://www.nytimes.com/2014/10/ 20/business/power-plants-seek-to-extend-life-of-nuclear-reactors.html?_r=0. 12 BVerfGE 49, 89, 127.
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c) Ausstiegsvereinbarung und Ausstiegsgesetz 2002 Der unbeschränkten Betriebserlaubnis auf der Grundlage des AtG 1959 folgte im Jahr 2002 erstmals eine Einschränkung. Die 1998 gewählte rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder – mit Jürgen Trittin als Umweltminister – strebte einen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie an. Auf der Grundlage einer Vereinbarung13 zwischen der Bundesregierung und den Konzerngesellschaften der Betreiber der Kernkraftwerke wurde das AtG novelliert. Aus dem Gesetz zur friedlichen Nutzung der Kernenergie wurde ein Ausstiegsgesetz.14 Die Erteilung von Neugenehmigungen wurde ausgeschlossen. Jedem der (damals) 19 Kernkraftwerke wurde eine Reststrommenge zugeteilt,15 die es produzieren durfte; die Produktivität war zeitlich nicht befristet. In der Anlage 3 zu § 7 Abs. 1a AtG sind die entsprechenden Elektrizitätsmengen aufgelistet. d) Die 11. AtG-Novelle Es gab schon früh Stimmen, die auf eine Revision des Ausstiegsbeschlusses drängten. Dazu trugen viele Faktoren bei: Deutsche Kernkraftwerke galten und gelten im Weltmaßstab als höchst effizient, robust und sicher, ohne jede Einschränkung. International wurde und wird der Ausbau der Kernenergie weiter forciert. Das gilt nicht zuletzt für die Europäische Union, die in ihren vielen energiepolitischen Programmen immer wieder unterstrich, dass die Kernenergie eine wichtige Säule der Energiepolitik sei und dass letztlich nur auf diese Weise den energiepolitischen Zielen des Art. 194 AEUV genügt werden könne.16 In Deutschland hatten die CDU/CSU 13 Die Vereinbarung v. 11. 06. 2001 war freilich in gewisser Weise ein ausgehandelter ,sanfter‘ Oktroi. Die Betreiber stimmten dem Ausstieg unter Verzicht von Rechtsmitteln notgedrungen zu, da die Vereinbarung gegenüber dem zunächst avisierten gesetzlichen Ausstieg (ohne Zustimmung/Vereinbarung) deutliche Vorteile bot, sie war ein „Gesamtpaket“, wie es in der Gesetzbegründung heißt, BT-Drs. 14/6890, S. 15 f. Die Vereinbarung ist abgedruckt in Posser/Schmans/Müller-Dehn, Atomgesetz, Kommentar zur Novelle 2002, 2003, S. 285 ff. Dazu die Erläuterung von Schmans, § 1 Rn. 6 ff. 14 Atomgesetz vom 25. 07. 2002, BGBl. I S. 2674. Das Gesetz ist ohne Zustimmung des Bundesrats ergangen, ebenso wie die 11. AtG-Novelle. Dazu Moench/Ruttloff, DÖV 2011, 354 m. w. N. 15 Die (Rest-)Strommenge wurde individuell so festgelegt, dass dies einer „Regellaufzeit von 32 Jahren für das jeweilige Kernkraftwerk“ entsprach, Gesetzesbegründung BT-Drs. 14/ 6890, S. 15, 21; dazu Posser, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, a.a.O., Fn. 13. 16 Unter dem Titel „Energie 2020 – Eine Strategie für wettbewerbsfähige, nachhaltige und sichere Energie“ (KOM(2010) 639) wird ausdrücklich darauf Bezug genommen, dass die energiepolitischen Ziele der Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit im Vertrag von Lissabon verankert seien (Art. 194 AEUV). Die Kommission befasst sich auch mit dem Beitrag der Kernenergie, „auf die ungefähr ein Drittel des in der EU erzeugten und zwei Drittel des CO2-frei erzeugten Stromes entfallen“ (S. 6). Ausdrücklich wird auf die Bedeutung der Kernspaltung und der Entwicklung einer neuen Reaktorgeneration (Generation IV) Bezug genommen. Auch in ihrem ,Energiefahrplan 2050‘ vom 12. 12. 2011 KOM (2011) 885/2 (S. 15) wird auf die Bedeutung der Kernenergie, insbesondere als CO2-arme Option,
Verfassungs- und europarechtliche Rahmenbedingungen des Kernenergieausstiegs
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und auch die FDP seit 2002 programmatisch erklärt, dass man über die Zukunft der Kernenergie mit dem Ziel einer Laufzeitverlängerung nachdenken müsse. Nach dem Wahlerfolg der beiden Parteien im September 2009 wurde diese Absichtserklärung umgesetzt. In der Koalitionsvereinbarung vom 24. Oktober 2009 wurde geregelt, dass die Laufzeiten der Kernkraftwerke unter Einhaltung strenger Sicherheitsstandards zu verlängern seien. Die Kernenergie sei eine Brückentechnologie. Daraufhin wurde die 11. AtG-Novelle erlassen. Funktional wurden – gedanklich – die Laufzeiten um durchschnittlich 12 Jahre verlängert, und für diese verlängerte Produktionszeit wurden den Kernkraftwerken entsprechende Strommengen (Elektrizitätsmengen) zugeteilt, die sie dann ohne zeitliche Fixierung produzieren durften.17 Die Strommengen waren grundsätzlich übertragbar. In der Gesetzesbegründung heißt es: „Eine befristete Verlängerung der Laufzeiten der vorhandenen Kernkraftwerke leistet einen Beitrag, um in einem Übergangszeitraum die drei energiepolitischen Ziele Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit in Deutschland zu verwirklichen. Die Kernenergie hat in diesem Sinne im Strommix Deutschlands eine Brückenfunktion.“18
Die Verlängerung der Laufzeiten um durchschnittlich 12 Jahre sei „sinnvoll und erforderlich“, um diese Ziele zu erreichen.19 Der Gesetzgeber hat sich dabei ausführlich mit der Sicherheit der Kernkraftwerke befasst. Er hat den deutschen Anlagen „ein – im internationalen Vergleich gesehen – hohes Schutzniveau“ attestiert.20
Bezug genommen. Zuletzt hat sich die Kommission 2016 dazu geäußert, siehe Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission, Hinweisendes Nuklearprogramm – Vorlage nach Artikel 40 Euratom-Vertrag zwecks Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 04. 04. 2016, COM(2016) 177 final. 17 Die 12 Jahre Laufzeitverlängerung war gewissermaßen ein Berechnungsfaktor, auf dessen Grundlage dann die Strommengen zugeteilt wurden. Ob die Strommengen tatsächlich innerhalb der 12 Jahre produziert werden, ließ der Gesetzgeber offen, er wollte insoweit eine gewisse Flexibilisierung des Einsatzes der Kraftwerke, im Hinblick auf die Marktnachfrage, aber auch, um einem ausstiegsorientierten Vollzug vorzubeugen bzw. diesen nicht zulasten der Kernkraftwerksbetreiber gehen zu lassen. Vgl. dazu BT-Drs. 14/6890, S. 13. 18 So auf S. 1 unter A „Probleme und Ziele“. 19 So die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/3051, 6. Die Ziele werden an dieser Stelle konkretisiert. Es gehe um die „Erreichung der Klimaschutzziele, bezahlbarer Energiepreise und verringerter Abhängigkeit vom Ausland“. 20 Gesetzesbegründung BT-Drs. 17/3051, 6. – Zeitgleich mit der 11. AtG-Novelle wurde die 12. AtG-Novelle durch den Deutschen Bundestag verabschiedet. Die 12. AtG-Novelle dient vor allem der Umsetzung der Richtlinie 2009/71/EURATOM über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen. Die Richtlinie bezweckt, „einen europäischen Gemeinschaftsrahmen zur Aufrechterhaltung und zur Förderung der kontinuierlichen Verbesserung der nuklearen Sicherheit kerntechnischer Anlagen zu schaffen“. Darüber hinaus wurde mit § 7d eine neue Bestimmung mit dem programmatischen Titel „Weitere Vorsorge gegen Risiken“ eingefügt. Die Maßnahmen orientieren sich „an dem fortschreitenden Stand von Wissenschaft und Technik“. Die Maßnahmen sollen – wie es in der Gesetzesbegründung heißt – „zur weiteren Risikominimierung jenseits der erforderlichen Vorsorge gegen Schäden“ dienen.
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Parallel zur 11. AtG-Novelle wurde zwischen der Bundesrepublik Deutschland, den Kernkraftwerksbetreibergesellschaften und ihren Konzerngesellschaften ein Vertrag geschlossen, der erhebliche Mittel seitens der Energieversorger zugunsten eines Energie- und Klimafonds generiert (Förderfondsvertrag). Der Bundestag beschloss in diesem Zusammenhang das Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ (EKFG).21 Und schließlich wurde ein Gesetz über die Erhebung einer (erstmaligen) Kernbrennstoffsteuer (KernBrStG)22 verabschiedet. Entgegen den Ausführungen in der Gesetzesbegründung, die die vollständige Überwälzung der Steuerlast23 auf den Stromkunden für möglich hielt, sollte mittels der neuen Steuer ein Teil der Gewinne der Kernkraftwerksbetreiber abschöpft werden.24 e) Die 13. AtG-Novelle Die 11. und 12. AtG-Novellen gingen einher mit dem vom Deutschen Bundestag am 28. September 2010 verabschiedeten „Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung“25. Dort formulierte die Bundesregierung Leitlinien für die künftige Energiepolitik. Sie wollte damit eine „langfristige Orientierung“ geben. Eine erfolgreiche Energiepolitik brauche „ein Mindestmaß an Kontinuität“. Keine sechs Monate nach dem Inkrafttreten der 11. und 12. AtGNovelle wurde aus der Kontinuität Diskontinuität. Das Ereignis in Fukushima vom 11. März 2011, das in Deutschland weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht vorstellbar ist und das nach allgemeiner Einschätzung weder an der Gefahrenlage noch an der erforderlichen Vorsorge und dem hinnehmbaren Restrisiko objektiv etwas änderte, führte bei der Bundesregierung zu einer veränderten Wahrnehmung des Restrisikos. Die Regierung setzte sich an die Spitze der alten Forderung der Kernkraftgegner. Sie veranlasste – über die zuständigen Länderministerien – zunächst im Rahmen eines „Moratoriums“ die sofortige, auf 21 Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens ,Energie- und Klimafonds‘ vom 08. 12. 2010, BGBl. I, S. 1807. Auf dieser Grundlage haben die Betreiber der Kernkraftwerke erste Zahlungen in Höhe von EUR 75 Mio. an den Fonds vorgenommen. Weitere Zahlungen wurden nach Erlass der 13. AtG-Novelle ausgesetzt. 22 Kernbrennstoffsteuergesetz vom 08. 12. 2010, BGBl. I, S. 1804. Das Bundesverfassungsgericht ist auf der Grundlage eines Vorlagebeschlusses des Finanzgerichtes Hamburg mit der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Kernbrennstoffsteuer befasst (Az. 2 BvL 6/13). Der EuGH hat mit Urt. v. 04. 06. 2015 diese Steuer als vereinbar mit den Vorgaben des Europarechts angesehen, EuGH, ABl. EU 2015, C 236, 13. 23 BT-Drs. 17/3054, S. 5. 24 Darauf wies das FG Hamburg unter Heranziehung der Gesetzesmaterialen ausdrücklich hin, FG Hamburg, EuGH-Vorlage v. 19. 11. 2013, 4 K 122/13, juris, Rn. 217. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass eine Überwälzung der den Stromerzeugern entstehenden zusätzlichen Kosten nur in geringem Umfang möglich sein würde, und dass für den Verbraucher allenfalls relativ geringe Erhöhungen des Endabnehmerpreises für Strom zu erwarten seien, BT-Drs. 17/ 3054, S. 1 f. 25 BT-Drs. 17/3049.
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drei Monate befristete Außerbetriebnahme der ältesten Kernkraftwerke.26 Während des Moratoriums sollte die Sicherheit und Robustheit der deutschen Kernkraftwerke angesichts des Unfalls in Fukushima untersucht werden, um eine rationale Basis für weitere Entscheidungen herzustellen. Obgleich die ersten Analysen der Geschehnisse in Fukushima und der von der Bundesregierung beauftragte RSK-Bericht keine Zweifel an der Sicherheit und Robustheit der deutschen Kernkraftwerke begründeten, legte die Bundesregierung am 06. Juni 2011 dennoch einen Gesetzentwurf (13. AtGNovelle) vor, der die Laufzeitverlängerung der 11. AtG-Novelle rückgängig machen und infolge der zeitlichen Befristung des Betriebes der Kernkraftwerke sogar noch hinter das Ausstiegsgesetz 2002 zurückfallen sollte. Diese Vorgehensweise war weltweit einzigartig. Bis heute ist ihr kein anderes Land,27 in dem die Kernenergie zur Stromerzeugung genutzt wird, gefolgt. Auch nicht ansatzweise. Erstaunlich und beispiellos an dem Vorgehen ist die Art und Weise der Gesetzgebung: die Hast, die offensichtliche Diskontinuität, die unzulängliche Ermittlung des regelungsrelevanten Sachverhaltes, die mangelhafte Begründung und Abwägung, der Ausfall einer echten Diskussion im Bundestag wie in den Parteien.28 Es lohnt, einen Blick auf die Ereignisse am 11. März 2011 vor der japanischen Pazifikküste zu werfen. Das illustriert die ,Rationalität‘ der Reaktion der deutschen Bundesregierung und des Gesetzgebers, auch der deutschen Öffentlichkeit. International wird hier von ,German Angst‘ gesprochen, einem Hang zur Irrationalität. Vergleiche mit dem ,Waldsterben‘, der Furcht vor der Gentechnik und die Angst vor dem Fracking werden gezogen.29 Was war geschehen? Direkt am Ufer des Pazifiks im Nordosten Japans liegt das Kernkraftwerk Fukushima Daiichi, das insgesamt sechs Reaktorblöcke umfasst.30 Das Kraftwerk ist seeseitig durch einen ca. 5,7 m hohen Betonwall gegen eine Über26
Der VGH Kassel hat mit Urt. v. 27. 02. 2013 (BeckRS 2013, 48797)) die Moratoriumsanordnung (für Biblis A und B) aus vier selbstständig tragenden Gründen als (evident) rechtswidrig aufgehoben. Das BVerwG hat die Entscheidung bestätigt, Beschl. v. 20. 12. 2013 (DVBl. 2014, 303). Dazu Battis/Ruttloff, NVwZ 2013, 817. 27 Auch nicht die Schweiz – wie es oft fälschlich heißt –, dazu Wetzel, Deutschland beim Atomausstieg allein auf weiter Flur, Die Welt vom 11. 03. 2015 (http://www.welt.de/wirt schaft/energie/article138288809/Deutschland-beim-Atomausstieg-allein-auf-weiter-Flur. html). Und selbst Schweden hat eine Regierungsvereinbarung im Juni 2016 getroffen und beschlossen, das zunächst erlassene Atomausstiegsgesetz wie auch die spezielle Stromsteuer auf Kernenergie zurück zu nehmen. Dazu energate messenger v. 13. 06. 2016, S. 2. 28 Zur grundlegenden verfassungsrechtlichen wie verfassungspolitischen Kritik an der übereilten und damit im Ergebnis unzureichenden parlamentarischen Beratung des Gesetzentwurfs vgl. Kloepfer, UPR 2012, 41, 48 f. Auf die gravierenden Mängel im Verfahren gehe ich hier nicht weiter ein. 29 Eine Übersicht der politischen Reaktionen nach den Ereignissen in Fukushima: FORATOM, Political reactions in Europe due to the Japanese nuclear accident, 10. 1. 2012. 30 6 Siedewasserreaktoren mit einer Leistung von insgesamt 4.547 MWe (netto). Auf die Details wird hier nicht weiter eingegangen. Beispielhaft sei auf den Bericht von Kuczera, atw 2011, 234 ff., verwiesen. Ferner Mohrbach, atw 2011, 242 ff., der auf die Unterschiede in den Sicherheitskonzepten deutscher und japanischer Anlagen eingeht.
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flutung geschützt.31 Am 11. März 2011 ereignete sich an diesem Küstenabschnitt ein ungewöhnlich heftiges See- und Erdbeben (etwa Stärke 9,0 der Richterskala). Ausgelöst wurde das Beben durch tektonische Verschiebungen von vier in diesem Bereich aneinanderstoßenden Kontinentalplatten, ca. 20 – 30 km unterhalb der Meeresoberfläche. Wegen der geophysikalischen Besonderheiten an dieser Stelle (Kontinentaldrift) ereignen sich Beben regelmäßig, etwa drei Mal im Jahrhundert. Die sich aufstauende Energie ist berechenbar, freilich nicht der Termin und die Folgen des Bebens. Das On-Shore-Erdbeben löste zunächst die automatische Schnellabschaltung der Reaktorblöcke aus. Das Kraftwerk selbst blieb aber baulich intakt. Infolge des Bebens brach die allgemeine Stromversorgung in der Region zusammen, auch die der Kraftwerksblöcke. Mit Hilfe der (im Untergeschoss) installierten Notstromdieselgeneratoren wurde die Stromversorgung der Kraftwerksblöcke zunächst aufrechterhalten, sodass die Kühlsysteme weiter funktionierten. Etwa 55 Minuten später erreichte die von dem Seebeben (Off-Shore) ausgelöste Tsunami-Welle das Ufer des Kernkraftwerkes. Die Tsunami-Welle hatte eine Scheitelhöhe von ca. 12 m. Der Tsunami überflutete das Gelände des Kernkraftwerkes. Er drang in das durch ein einfaches Rolltor ,gesicherte‘ – wie bei einer Garage in Deutschland – Maschinenhaus mit den Notstromgeneratoren ein und setzte diesen Gebäudeteil unter Wasser. Die nebeneinander stehenden Notstromgeneratoren fielen aus. Darüber hinaus wurden die außerhalb des Maschinenhauses untergebrachten Dieseltanks, die die Generatoren mit Diesel versorgten, von der Tsunami-Welle fortgerissen, so dass auch keine Treibstoffversorgung mehr zur Verfügung gestanden hätte. Nach wenigen Stunden ging der Batteriestrom zur Neige, und damit fiel auch die Notkühlung aus. Dies bewirkte eine Kernschmelze,32 da auch das Notfall-Management versagte. Auf die Komplexität und Interdependenz aller zusammenspielenden Faktoren braucht hier nicht eingegangen zu werden. Es reicht aus festzustellen, dass das Kernkraftwerk Fukushima weder auf ein Erdbeben dieser Stärke noch auf eine Tsunami-Welle dieser Höhe ausgelegt war. Die Auslegung des Kernkraftwerks war völlig unangemessen.33 Die Kraftwerke waren entgegen dem kerntechnischen Regelwerk nicht auf naheliegende Gefahren und periodisch eintretende Ereignisse ausgelegt.34 Ein Tsunami dieser Größenordnung tritt an dieser Stelle ca. dreimal im Jahrhundert auf. Mit den Schwachstellen des Kernkraftwerkes Fukushima Daiichi und dem Versagen von Betreibern und Aufsichtsbehörden – auf allen Ebenen – befassen
31 Bundesamt für Strahlenschutz, Die Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima nach dem Seebeben vom 11. März 2011, Beschreibung und Bewertung von Ablauf und Ursachen, März 2012, S. 20, 78, 79, im Internet abrufbar unter http://doris.bfs.de/jspui/handle/ urn:nbn:de:0221 – 201203027611; dazu Mohrbach, atw 2013, 152 ff. 32 Bundesamt für Strahlenschutz, (a.a.O., Fn. 29). 33 Dazu zusammenfassend Güldner, atw 2011, 390, 391 f. Deshalb spricht man von einem sogenannten Auslegungsstörfall. 34 Zum Vergleich: In deutschen Kernkraftwerken ist das Bemessungshochwasser nach KTS ein zehntausendjährliches Hochwasser. In Bezug auf Erdbeben sind deutsche Kraftwerke auf ein hunderttausendjährliches Erdbeben (10-5) ausgelegt.
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sich viele internationale Untersuchungsberichte.35 Prägnant ist der offizielle japanische Untersuchungsbericht, der ungewöhnlich offen auf gravierende Auslegungsmängel und erhebliche Fehler beim Umgang mit den Unfallfolgen hinwies. „What must be admitted – very painfully – is that this was a disaster ,made in Japan‘.“36 Die Fachwelt war und ist sich einig, dass dies mit einem „Restrisiko“, das man als Konsequenz einer modernen Industriegesellschaft hinzunehmen bereit ist (in den Grenzen der ,praktischen Vernunft‘, wie es das Bundesverfassungsgericht wiederholt entschieden hat37) nichts zu tun hat. In deutschen Kategorien liegen hier (bedingter) Vorsatz und / oder gröbste Fahrlässigkeit vor. Das führt zu der Schlussfolgerung, dass in der Tat ein solcher Unfall in Deutschland mit Sicherheit auszuschließen ist.38 An der „Robustheit deutscher Anlagen“ (RSK-SÜ) bestehen keine Zweifel. Ungeachtet dieser sich rasch abzeichnenden Erkenntnisse hat die Bundesregierung an ihrem Beschluss zum Ausstieg aus der Kernenergie festgehalten. Die Legitimation hierfür hat unter anderem die von der Bundeskanzlerin eingesetzte EthikKommission „Sichere Energieversorgung“ geliefert, die entgegen aller Erkenntnisse die Havarie in den Zusammenhang mit einem Restrisiko setzte.39 Die Ethik-Kommission sprach sich für einen raschen Ausstieg – wie von der Bundeskanzlerin vorgezeichnet – aus der Kernenergie aus. Gleichwohl konzedierte sie: „Die Risiken der Kernenergie haben sich mit Fukushima nicht verändert, wohl aber die Risikowahr-
35 Vgl. nur den GRS-Bericht vom 11. 03. 2011 in der überarbeiteten Fassung aus dem Jahre 2013. Ferner den Bericht des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (NSI) vom 29. 08. 2011, S. 17. Dazu zusammenfassend Mohrbach, ET 2013, 36 ff. RSK-Stellungnahme, Anlagenspezifische Sicherheitsüberprüfung (RSK-SÜ) deutscher Kernkraftwerke unter Berücksichtigung der Ereignisse in Fukushima-I (Japan), S. 4. 36 Und der Bericht fährt fort: „Its fundamental causes are to be found in the ingrained conventions of Japanese culture: our reflexive obedience; our reluctance to question authority; our devotion to ,sticking with the program‘; our groupism; and our insularity.“ Nuclear Accident Independent Investigation Commission, The Official Report of the Fukushima Nuclear Accident Independent Investigation Commission – Executive Summary, The National Diet of Japan, 23. 07. 2012, S. 16, in der Übersetzung der GRS, Fukushima Daiichi, 11. 03. 2011, Unfallablauf/Radiologische Folgen, 2. Aufl. 2013, S. 76. 37 BVerfG, NVwZ 2010, 114, 116, Rn 23. 38 Statt aller die Schlussfolgerung der RSK-Stellungnahme ,Anlagenspezifische Sicherheitsüberprüfung (RSK-SÜ) deutscher Kernkraftwerke unter Berücksichtigung der Ereignisse in Fukushima – I (Japan)‘. Ebenso das Ergebnis des EU-Stresstests, national report of Germany, S. 92 ff. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die umfassenden Risiko- und Sicherheitsbewertungen („Stresstests“) von Kernkraftwerken in der Europäischen Union und damit verbundenen Tätigkeiten, v. 04. 10. 2012, COM(2012) 571 final, S. 7, im Internet abrufbar unter: http://ec.europa.eu/energy/nuclear/safety/doc/com_ 2012_0571_de.pdf. 39 Den Vorsitz hatten Klaus Töpfer und Matthias Kleiner. Der Bericht wurde am 30. Mai 2011 der Kanzlerin abgeliefert. Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung, Deutschlands Energiewende – Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft, 30. 05. 2011, im Internet abrufbar unter https://www.nachhaltigkeitsrat.de/fileadmin/_migrated/media/2011 - 05 - 30-abschlussbe richt-ethikkommission_property_publicationFile.pdf, S. 31.
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nehmung“40. Obgleich die deutsche wie die internationale Fachwelt die Sicherheit speziell der deutschen Kernkraftwerke betonte, wurde das Gesetzgebungsverfahren mit großer Eile durchgezogen.41 Am 6. Juni 2011 wurde der Gesetzesentwurf eingebracht. Zwei Tage später fand die Anhörung vor dem Umweltausschuss des Deutschen Bundestages statt. Die angehörten Fachleute hatten jeweils fünf Minuten Redezeit; je Redner waren zweimal eine Minute Fragezeit zugelassen. Es gab keine vertiefte Diskussion, weder hier noch später im Gesetzgebungsverfahren. Am 30. Juni 2011 wurde der Gesetzesentwurf in dritter Lesung verabschiedet. Nach der Behandlung im Bundesrat am 8. Juli 2011 wurde die 13. AtG-Novelle am 31. Juli 2011 durch den Bundespräsidenten ausgefertigt. Sie wurde im Bundesgesetzblatt am 5. August 2011 verkündet und ist am 6. August 2011 in Kraft getreten. Der Gesetzgeber hat die Folgen des Gesetzes für die Kernkraftwerksbetreiber – auch nicht die hohen Schäden infolge der sofortigen Stilllegung von acht Kernkraftwerken am 6. August 2011 – weder ermittelt noch abgewogen. Ebenso wenig hat er die Auswirkungen auf den Strommarkt, den EU-Energiebinnenmarkt und die Wirtschaft und Gesellschaft berücksichtigt, auch nicht die volkswirtschaftliche Dimension.42 Fiat voluntas, das war die Maxime. Parlamentarischen Diskurs gab es nicht. Und die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Untersuchungen einschließlich des nationalen und des EU-Stresstests spielten keine Rolle. Das Gesetz wurde strikt durchgezogen. Demgemäß ist auch die Gesetzesbegründung völlig unzulänglich.43 40 Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung, Deutschlands Energiewende – Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft, 30. 05. 2011, S. 11. 41 Helmut Kohl sprach von einem „überhasteten Ausstieg“, der „das Fundament unserer Industriegesellschaft aushöhlen, uns technologisch isolieren, unsere Abhängigkeit von weniger sicheren Kraftwerken erhöhen und – wegen unserer erhöhten Nachfrage – die Zahl weniger sicherer Kraftwerke in zumal unmittelbarer Nachbarschaft unseres Landes womöglich vergrößern“ wird, zitiert nach Bild.de v. 25. 03. 2011. Kurt Biedenkopf nannte diese Form der Energiewende „unbegreiflich“, und nicht mit Tatsachen begründet. Josef Joffe fasst zusammen: „panische Flucht aus der Atomenergie“, Handelsblatt v. 06. 06. 2011, S. 10. Dies nur pars pro toto. 42 Die durch die 13. AtG-Novelle entzogenen Strommengen von 1.804 TW (das sind 1.804.000 GW) entsprechen einer durchschnittlichen Laufzeit der Kernkraftwerke von 12 Jahren. Das entspricht dem Stromverbrauch in Deutschland über einen Zeitraum von drei Jahren (Gesamtbedarf Industrie und Haushalte). Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle lag der Produktionswert einer Gigawattstunde bei EUR 58.000. Derzeit liegt er bei weniger als der Hälfte, legt man den Strompreis an der Börse in Leipzig zugrunde (ca. EUR 25/26 day ahead Preis). Wegen des großen Zubaus der erneuerbaren Energien und auch des Strombinnenmarktes in der EU lässt sich die Preisentwicklung kaum prognostizieren. Eine gewisse Abhängigkeit besteht auch von den Öl- und Gaspreisen, dazu et (Redaktion) 2016, Heft 3, 38. 43 Zu den besonderen Sorgfaltspflichten des Gesetzgebers bei wesentlichen Eingriffen in die Grundrechte, insbesondere zum Gebot der Sachverhaltsermittlung und der Gesetzesbegründung umfassend Degenhart, Gesetzgeberische Sorgfaltspflichten bei der Energiewende, 2013. BVerfGE 86, 90, 108 ff. Die Bedeutung der Sachverhaltsermittlung für den Beurteilungs- und Prognosespielraum des Gesetzgebers betont das BVerfGE 50, 290, 332; 106, 62, 151. In diesem Zusammenhang ist durch das Gericht überprüfbar, „ob der Gesetzgeber seine Entscheidung auf möglichst vollständig Ermittlungen gestützt oder ob er relevante Tatsachen übersehen hat.“ Und das BVerfG betont ausdrücklich, dass „äußere oder vom Gesetzgeber zu
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Die 13. AtG-Novelle regelt im Kern die Entziehung der Berechtigung zum Leistungsbetrieb (= wesentlicher Inhalt der Genehmigung) bei acht Kernkraftwerken mit sofortiger Wirkung zum 6. August 2011. Diese Kraftwerke mussten sofort stillgelegt werden. Die 13. AtG-Novelle streicht die durch die 11. Novelle neu geregelten Strommengen vollständig, sodass formal wieder die Strommengen der Novelle 2002 gelten. Anders als die AtG-Novelle 2002 befristet sie zugleich die Betriebsgenehmigung, unabhängig davon, ob die grundsätzlich übertragbaren Strommengen erzeugt bzw. übertragen werden können. Die neun verbleibenden Kernkraftwerke müssen stufenweise bis spätestens 31. Dezember 2022 den Betrieb einstellen. Das Gesetz normiert keine (Enteignungs-)Entschädigung für den Entzug der Strommengen und die unmittelbare Stilllegung der acht Kraftwerke. Es enthält auch keine finanzielle Kompensation für die Schäden infolge der sofortigen Abschaltung. Alle Schäden, Folgekosten und Belastungen sind von den Betreibern der Kernkraftwerke zu tragen.44 2. Folgen für die Betreiber der Kernkraftwerke und Eingrenzung der verfassungsrechtlichen Prüfung a) Auswirkungen Die Folgen für die Betreiber der Kernkraftwerke sind gravierend und im Detail sehr unterschiedlich. Darauf kann hier nicht vertieft eingegangen werden. Nur in Stichworten sei auf einige wesentliche Aspekte hingewiesen: @ Der Entzug der 1.804 TWh Strommengen (S für alle Kraftwerksbetreiber gemäß der 11. AtG-Novelle) ist finanziell der bedeutendste Einschnitt.45 @ Infolge der Befristung der Laufzeiten der Kraftwerke können nicht einmal alle im AtG 2002 geregelten Reststrommengen produziert werden. Sie können nach Lage vertretende Umstände wie Zeitnot oder unzureichende Beratung [sind] nicht geeignet, den Prognosespielraum zu erweitern.“, a.a.O., S. 151. Zum defizitären Gesetzgebungsverfahren Kloepfer, UPR 2012, 41, 45 ff. Renneberg (früherer Abteilungsleiter im BMU) erklärte in seiner Anhörung vor dem Umweltausschuss des BT ausdrücklich, dass aus der Gesetzesbegründung nicht hervorgeht, weshalb und mit welchen Argumenten zwischen den einzelnen Kernkraftwerken differenziert wird. Die Regelung sei deshalb „willkürlich“ und bedeute „einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot nach Art. 3 GG“, das sei „offensichtlich“ (so das Protokoll Nr. 17/46, 18 der Anhörung vom 08. 06. 2011). Ähnlich hat sich der frühere Staatssekretär Baake geäußert. 44 Gegen das Gesetz haben die Betreiber der KKW (E.ON Kernkraft, RWE und Vattenfall, nicht hingegen EnBW, da dieses Unternehmen wegen seiner öffentlichen Eigentümerstruktur kein Grundrechtsträger ist) Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht 2011/ 2012 eingelegt (AZ 1 BvR 2821/11, 1 BvR 321/12 und 1 BvR 1456/12). Über die Verfassungsbeschwerden wurde am 15. und 16. März 2016 mündlich verhandelt. Ein Verkündungstermin wurde nicht festgelegt. Es ist davon auszugehen, dass das Gericht (etwa nach den Maßstäben der Garzweiler-Entscheidung) ca. sechs Monate bis zur Verkündung der Entscheidung braucht. Die überaus komplexe und umfangreiche Entscheidung wird im Senat Satz für Satz beraten. Schon daraus erklärt sich ein großer Zeitbedarf. 45 Dazu s. oben Fn. 42.
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der Dinge auch nur teilweise auf andere Kraftwerksbetreiber übertragen werden. Das gilt insbesondere für die sogenannten Mülheim-Kärlich Strommengen46 (die ein Surrogat für den gerichtlich bestätigten Schadensersatzanspruch sind) und für die dem KKW Krümmel normativ zustehenden Strommengen. @ Besonderer Betrachtung bedarf ferner die sofortige Stilllegung der acht Kernkraftwerke, denen mit Inkrafttreten des Gesetzes die Betriebserlaubnis entzogen wurde. @ Durch die sofortige Stilllegung entstehen spezifische Schäden. Es handelt sich um sogenannte Vollbremsungsschäden, weil die Kraftwerke nicht geordnet über einen längerfristigen Zeitraum heruntergefahren werden konnten und frustrierte Aufwendungen. Sie ergeben sich aus der Verlängerung der Nachbetriebsphase um ca. 4 – 5 Jahre, aus spezifischen Entsorgungs- und Zwischenlagerkosten für teilabgebrannte Brennelemente, aus der Ersatzstrombeschaffung (für die Erfüllung laufender Verträge), aus entwerteten Brennelementen und anderen Investitionen (die nicht mehr rentierlich sind), sowie den Aufwendungen für den Förderfondsvertrag. Bei jedem Kraftwerk addieren sich diese Schäden auf +/- EUR 300 Mio. Das ist unwidersprochen in den Verfassungsbeschwerdeverfahren vorgetragen worden. @ Kraftwerke gleicher Bauart, die nahezu gleichzeitig (wenige Monate voneinander getrennt) in Betrieb gegangen sind, werden zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten stillgelegt; bspw. kann das KKW Gundremmingen C (Beginn des kommerziellen Betriebs 18. Januar 1984) vier Jahre länger laufen als das KKW Gundremmingen B (Beginn des kommerziellen Betriebs 19. Juli 1984). Die sachlichen Gründe für die unterschiedliche Behandlung der Kraftwerke sind nicht erkennbar.47 b) Verfassungsrechtliche Eingrenzung der Darstellung Das Thema des Beitrages lautet „Verfassungsrechtliche und europarechtliche Rahmenbedingungen für den Atomausstieg“. Es geht nicht um die detaillierte, abschließende verfassungsrechtliche und europarechtliche Bewertung der einzelnen Sachverhaltsaspekte und Auswirkungen der Regelungen. Vielmehr konzentriere 46 Der Betreiber (RWE) hatte infolge der Aufhebung der Genehmigung (§ 7 AtG) erfolgreich auf Schadensersatz geklagt. Nach der Zurückverweisung durch den BGH haben sich RWE und das beklagte Land auf die Zuteilung von Reststrommengen an der Stelle eines primären Schadensersatzanspruches geeinigt. 47 So spielt das Alter der Kernkraftwerke unter Sicherheitsaspekten keine Rolle. Es ist auch nicht erkennbar, weshalb Krümmel als jüngstes Kraftwerk den Betrieb sofort einstellen musste. Aus der Gesetzesbegründung gehen keine validen Kriterien hervor. Auf die mangelhafte Begründung für die Differenzierung und den darin liegenden Gleichheitsverstoß haben namhafte Experten auch in der Anhörung vor dem BT-Ausschuss hingewiesen, etwa der frühere Staatssekretär Baake oder der Abteilungsleiter Renneberg, Bundestag, EnergiewendeRegelungen unter Experten umstritten, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2011/ 34624706_ kw23_pa_umwelt/ 205516.
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ich mich auf die Darstellung der europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Kern der Regelung der 13. AtG-Novelle: Das ist die sofortige Stilllegung der acht Kernkraftwerke sowie der Entzug der Strommengen der 11. AtG-Novelle. Ich prüfe dies anhand der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Ferner gehe ich typisiert auf die Schäden ein, die sich aus der sofortigen Stilllegung der acht Kernkraftwerke ergeben. Nicht hingegen thematisiere ich die unterschiedliche Behandlung der Kernkraftwerke (den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG), ebenso wenig die unterschiedliche rechtliche Qualität der Reststrommengen. In aller Kürze skizziere ich das Verhältnis von Art. 14 GG zu Art. 12 GG.
II. Europarechtliche Rahmenbedingungen für den Kernenergieausstieg 1. Vereinbarkeit mit dem EURATOM-Vertrag Der EURATOM-Vertrag befasst sich zwar mit der besonderen Bedeutung der Kernenergie als Energieträger. Er intendiert, „die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen“ (Präambel, 3. Unterabsatz), und er regelt zu diesem Zweck den Kapitalverkehr für die Investitionen, einheitliche Sicherheitsnormen und die Forschung. Er verpflichtet die Mitgliedsländer aber nicht zur Nutzung der Kernenergie.48 EURATOM spielt im Hinblick auf die Förderung der Kernenergie vor allem bei Abkommen mit Drittstaaten und internationalen Organisationen eine Rolle. In der Praxis ist er auch bei der Gewährung von Beihilfen für Neuinvestitionen bedeutsam.49 2. Vereinbarkeit mit Art. 194 AEUV a) Freie Wahl der Energieträger Art. 194 Abs. 2 AEUV vergemeinschaftet zwar in einem gewissen Umfang die Energiepolitik und gibt gemeinsame Ziele vor. Dazu gehört die Sicherstellung des Funktionierens des Energiemarktes, die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit und auch die Förderung der Energieeffizienz sowie der Verbindung (Interkonnektion) der Energienetze. Art. 194 überlässt aber die Wahl der Energiequellen und der Energieträger ausdrücklich den Mitgliedstaaten. Es obliegt ihrer Entschei-
48 Das wird in einer gemeinsamen Erklärung der Mitgliedstaaten aus dem Jahre 1994 bestätigt. Dazu Ludwigs, NVwZ 2016, 1, 4; Dazu kurz und prägnant Oppermann/Classen/ Nettesheim, Europarecht, 6. Aufl. 2014, § 23 Rn. 15 ff. 49 Dazu aufschlussreich die Anhörung vor dem Umweltausschuss des Deutschen Bundestages zur Beihilfeentscheidung in Sachen Hinkley Point, s. o. Fn. 7.
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dung, ob sie die Kernenergie nutzen. Sie sind frei, aus der Kernenergie auszusteigen oder in sie einzusteigen.50 b) Kooperationspflichten Aus Art. 194 AEUV lassen sich in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 23 GG für den deutschen Gesetzgeber Koordinations-, Kooperations- und Loyalitätspflichten ableiten. Diese sind im Verlauf der Gesetzgebung der 13. AtG-Novelle massiv verletzt worden. Der deutsche Gesetzgeber hat sich um die Auswirkungen der Novelle auf den europäischen Energie- und Strombinnenmarkt nicht gekümmert. Er hat die Auswirkungen des Atomausstiegs – immerhin die sofortige Stilllegung von acht Kernkraftwerken mit 8.500 MW Leistung – weder ermittelt noch abgewogen. Er hat keine Abstimmung oder Konsultation mit der Union oder mit anderen Mitgliedstaaten durchgeführt. Das ist ein krasser Verstoß gegen das Gebot der Kooperation und Koordination mit den Organen der EU und den anderen Mitgliedsländern.51 Daraus könnten sich zwar im Einzelfall gemäß Art. 4 Abs. 3 (Unterabsatz 3) EUV Unterlassungspflichten ergeben. Jedoch ist die 13. AtG-Novelle in Kraft getreten, sie gilt (solange das Bundesverfassungsgericht sie nicht aufhebt) und wird umgesetzt. Infolgedessen ergeben sich aus dem Verstoß gegen diese Verhaltenspflichten keine weiteren Konsequenzen. Diese Pflichten wirken – zumindest ex-post – als eine Art ,soft law‘. Sie tangieren nicht den Inhalt der 13. AtG-Novelle. Die materielle Europarechtskonformität des Gesetzes bleibt an diesem Punkt unberührt, ungeachtet des weder mit dem Geiste noch den Buchstaben des Vertrages über die Europäische Union zu vereinbarenden deutschen Vorgehen. Dies war im wahrsten Sinne des Wortes rücksichtslos. 3. Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten des AEUV a) Binnenmarkt, Art. 34, 35 AEUV Der in den Art. 34 und 35 AEUV gewährleistete Binnenmarkt gilt für Waren aller Art, von den Energieträgern52 bis hin zum Strom. Strom ist eine handelbare Ware. Der Umstand, dass er leitungsgebunden ist, mithin besonderen Transportwegen unterliegt, spielt hier keine Rolle.53 Ein- und Ausfuhrbeschränkungen aller Art sowie ,Maßnahmen gleicher Wirkung‘ sind mithin grundsätzlich unzulässig. Die 50 Bings, in: Streinz, AEUV/EUV, 2. Aufl. 2012, Art. 194 AEUV, Rn. 40; Ludwigs, RW 2014, 254, 258. 51 Nettesheim, Gesetzgebungsverfahren im europäischen Staatenverbund – zwischen Voluntarismus und Loyalitätspflicht, 2013, S. 77 ff., 97. 52 Für die Kernenergie gilt freilich der EAGV (EURATOM) als Spezialmaterie. Das spielt hier weiter keine Rolle. 53 EuGH 1994, I-1508 – Almelo; Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Kommentar, 5. Aufl. 2010, Art. 34 Rn. 5; Oppermann/Classen/Nettesheim, a.a.O., § 23 Rn. 7.
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13. AtG-Novelle berührt zwar den europäischen Strombinnenmarkt, indem sofort und auch mittelfristig gestuft – entsprechend den Abschaltterminen der Kernkraftwerke – erhebliche Strommengen aus dem Markt genommen werden. Diese infolge des Erlöschens der Betriebserlaubnis nicht produzierten Mengen können dann zwangsläufig nicht mehr exportiert werden. Allerdings ist nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH eine faktische Beschränkung der Ausfuhrströme nur dann als grundsätzlich unzulässige ,Maßnahme gleicher Wirkung‘ im Sinne von Art. 35 AEUV zu bejahen, wenn die gesetzlichen Regelungen „spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken oder bewirken und unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel innerhalb eines Mitgliedstaates und seinen Außenhandel schaffen“ soll.54 Der Ausstieg aus der Kernenergie enthält keine spezifische Beschränkung des Stromexports.55 Dass auf diese Weise faktisch der Export eingeschränkt wird, ist eine nicht beabsichtigte, wenn auch bewusst in Kauf genommene Nebenwirkung. Das aber macht sie nicht zu einer gezielten Beschränkung, zumal der nationale Strommarkt Deutschlands dadurch keinen besonderen Vorteil erlangte. b) Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV Das Kernkraftwerk Krümmel wird von einem schwedischen Unternehmen (Vattenfall) betrieben.56 Krümmel ist durch die 13. AtG-Novelle unmittelbar mit dem 6. August 2011 stillgelegt worden. Damit wird im weitesten Sinne in die Freiheit der Niederlassung eines Betreibers von Kraftwerken aus einem anderen Mitgliedstaat eingegriffen. Die Niederlassungsfreiheit kann gewissermaßen nicht mehr aktiviert werden; das Ergebnis der Niederlassung – die Errichtung und der Betrieb eines Kernkraftwerkes – kann nur noch kostenträchtig abgewickelt im Sinne von rückgebaut werden. Für den eigentlichen Unternehmenszweck – die Erzeugung von Strom 54 EuGHE 1979, 3410 – Groenveld; EuGH 1981, 1993 – Oebel, st. Rspr. Hinzukommen muss, dass die nationale Produktion bzw. der nationale Binnenmarkt des Staates infolge des Ausfuhrverbotes einen besonderen Vorteil erlangt. Dazu Oppermann/Classen/Nettesheim, a.a.O., § 22 Rn. 35. 55 Im Übrigen wäre dann zu prüfen, ob der Ausstieg aus der Kernenergie (das faktische Produktionsverbot) nicht als Ausnahme gemäß Art. 36 AEUV zu rechtfertigen wäre. Angesichts der strengen Voraussetzungen für eine Rechtfertigung halte ich dies allerdings für zweifelhaft. Denn der Atomausstieg wird nicht mit der öffentlichen Sicherheit oder dem Schutz von Gesundheit und Leben begründet, sondern mit der veränderten Wahrnehmung des Restrisikos. Es ist fraglich, ob dieses Verbot tatsächlich im Sinne der Rechtsprechung erforderlich ist, denn zahlreiche andere Länder nutzen weiter die Kernenergie. Auch nach internationalen Abkommen und dem EURATOM-Regime ist die Kernenergie zulässig, teilweise gar präferiert. Letztlich kann diese Frage dahingestellt bleiben, da es sich eindeutig nicht um eine spezifische Beschränkung der Ausfuhrströme handelt, sodass Art. 35 AEUV schon tatbestandlich nicht eingreift. 56 Unabhängig davon, dass die ,Kernkraftwerk Krümmel GmbH & Co. oHG‘ in Gestalt einer deutschen Gesellschaft organisiert ist. Ich lasse in diesem Zusammenhang auch unberücksichtigt, dass Vattenfall zugleich das Kernkraftwerk Brunsbüttel GmbH & Co. oHG betreibt, dessen Betriebsgenehmigung ebenfalls zum 06. 08. 2011 erloschen ist.
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mit Hilfe von Kernenergie – gibt es keine Betriebserlaubnis mehr. Eine neue Erlaubnis für dieses oder andere Kernkraftwerke schließt das AtG aus. Demnach ist Art. 49 AEUV grundsätzlich tatbestandlich einschlägig. Allerdings ist streitig, ob und in welchem Umfang Art. 49 AEUV auch vor Regelungen schützt, die nach dem Marktzugang (d. h. der Niederlassung) ergehen. Sofern die staatliche Regelung (das Ausstiegsgesetz) dazu führt, dass die Niederlassung faktisch aufgegeben werden muss, mithin der Marktzugang funktionell rückgängig gemacht wird, fällt nach der ratio legis des Art. 49 AEUV eine solche Maßnahme in den Schutzbereich dieser Norm. Fraglich ist aber, ob dies auch für unterschiedslos anwendbare nationale Maßnahmen gilt. Das ist verknüpft mit der Frage, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV hat.57 Diesen schwierigen Fragen kann hier nicht weiter nachgegangen werden. Im Ergebnis ist meines Erachtens bei einer systematischen Interpretation zu berücksichtigen, dass der Mitgliedstaat gemäß Art. 194 AEUV den Energiemix selbst festlegen kann, mithin Kernenergie auch ausschließen kann. Und sofern eine solche Regelung auf nichtdiskriminierender Basis erfolgt und Inländer und Ausländer gleichermaßen betrifft, kann sie nicht über Art. 49 AEUV als unzulässig angesehen werden. Insoweit kann bei einer nichtdiskriminierenden Beschränkung auch auf die Grundsätze der sogenannten CassisRechtsprechung zurückgegriffen werden.58 Der deutsche Gesetzgeber kann sich – aus seiner Sicht – auf zwingende Gründe des Allgemeinwohls berufen,59 die in nichtdiskriminierender Weise Inländer wie Ausländer gleich behandeln. Und eine solche Regelung lässt Art. 194 AEUV ausdrücklich zu. Das ist tatbestandlich nicht als unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit anzusehen, unabhängig davon, ob die Regelung vor oder nach dem Marktzugang ergangen ist. c) Sekundäres Gemeinschaftsrecht Es gibt keine sonstigen Vorschriften des sekundären Gemeinschaftsrechtes, auch keine Richtlinien, gegen die die 13. AtG-Novelle verstößt. 4. EU-Grundrechte Die EU-Grundrechte der Grundrechte-Charta (GRCh)60 sind nicht Prüfungsmaßstab der 13. AtG-Novelle. Die Grundrechte gelten nach Art. 51 GRCh für die Organe 57
Dazu EuGHE 1977, 1200 – Patrick. Dazu Ludwigs, NVwZ 2016, 1, 4; Oppermann/ Classen/Nettesheim, a.a.O., § 28 Rn. 33 ff. 58 EuGHE 1979, 650, Rs. 120/78 – Cassis de Dijon. 59 Dass die geltend gemachten Gründe nicht ausreichen, um einen entschädigungslosen Entzug der Strommengen und die sofortige Stilllegung des Kernkraftwerkes Krümmel zu rechtfertigen, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, das ist eine Frage der Reichweite des Eigentumsschutzes. Die Grundfreiheiten des AEUV haben insoweit eine andere Schutzrichtung. 60 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, vom 14. 12. 2007, ABl. Nr. C303, S. 1.
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und Einrichtungen der Union „und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“. Dazu gehören der Vollzug von Verordnungen und die Umsetzung von Richtlinien, ebenso Maßnahmen, mit denen Grundfreiheiten beschränkt werden.61 Der Wortlaut des Art. 51 GRCh kann bei einer semantischen wie systematischen Interpretation nicht bedeuten, dass jede nationale Regelung im „Geltungsbereich“ des EU-Rechts an den EU-Grundrechten zu messen ist.62 Nach der inzwischen ergangenen Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Siragusa63 ist Art. 51 GRCh nur dann einschlägig, wenn in dem betreffenden Sachbereich Verpflichtungen der Mitgliedstaaten bestehen, es sich mithin um Durchführung oder Umsetzung von Gemeinschaftsrecht handelt. Das ist im Nuklearbereich nicht der Fall. Die 13. AtG-Novelle ist ohne jeden formalen oder inhaltlichen Bezug zum Europarecht ergangen. Gemäß Art. 51 Abs. 1 GRCh enthalten die EU-Grundrechte daher keinen eigenen Prüfungsmaßstab.
III. Vereinbarkeit mit den Grundrechten 1. Einschlägige Grundrechte a) Betreiber-Grundrechte Bei der gesetzlichen Regelung des Atomausstieges hat der Gesetzgeber die Grundrechte der Betreiber und Eigentümer der Kernkraftwerke zu wahren. Einschlägig sind Art. 14 Abs. 1 GG (Schutz des Eigentumes), Art. 12 Abs. 1 GG (Berufs- und Gewerbefreiheit) sowie Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitssatz). Im Zusammenhang mit den einzelnen Grundrechten stehen verschiedene Ausprägungen rechtsstaatlicher Garantien (Vertrauensschutz, Verhältnismäßigkeit und Übermaßverbot, verfahrensrechtliche Garantien, Begründungs- und Darlegungserfordernisse), deren Prüfung teilweise eine gewisse Verselbstständigung erfahren hat. Ich gehe darauf im Zusammenhang mit den jeweiligen Grundrechten und auch dies nur in aller Kürze ein. Ebenso verzichte ich auf eine differenzierte und vertiefte Darstellung und Prüfung des Gleichheitssatzes. Denn dies setzt eine detaillierte Darlegung des regelungsrelevanten Sachverhaltes voraus. Das sprengte den Rahmen dieses Beitrages.
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EuGHE 2011, I – 819, Rs. C-457/09 – Charty. Die insoweit missverständliche Åkerberg Fransson-Entscheidung des EuGH (C-617/10, NVwZ 2013, 561) ist – sollte sie in diesem Sinne zu verstehen sein – mit dem Wortlaut des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh unvereinbar. In diesem Sinne auch BVerfGE 133, 277, 316 – Antiterrordatei. Danach darf der Entscheidung des EuGH „keine Lesart unterlegt werden, nach der diese offensichtlich als Ultra-vires-Akt zu beurteilen wäre“. Demnach muss die nationale Regelung einen „sachlichen Bezug“ zum Unionsrecht haben. Die GRCh gelte nur „in unionsrechtliche geregelten Fallgestaltungen“, unter Bezugnahme auf die Rn. 19 der Entscheidung des EuGH. Zum Ganzen Ludwigs/Sikora, EWS 2016, 121, 125 ff. 63 EuGH, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, dazu Ludwigs, NVwZ 2016, 1, 4. 62
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b) Bürger-Grundrecht auf Schutz Auf eines sei an dieser Stelle gesondert hingewiesen: Neben den Grundrechten der Betreiber und Eigentümer stehen die Grundrechte der Bürger, die sich durch den Betrieb der Kernkraftwerke in ihrer Gesundheit bedroht fühlen und die Schutzansprüche gegen den Gesetzgeber geltend machen. Insofern wäre vorrangig zu prüfen, ob es solche Schutzansprüche gibt. Das Ergebnis dieser Prüfung ist einfach. Das Bundesverfassungsgericht hat sich wiederholt mit verfassungsrechtlichen Schutzansprüchen der Bürger gegenüber dem Betrieb von Kernkraftwerken und der Nutzung der Kernenergie befasst. Es hat zu dem gesetzlichen Regelungsregime des Atomgesetzes und des Strahlenschutzgesetzes sowie der zahlreichen dazu ergangenen Durchführungsverordnungen festgestellt, dass das gesetzliche Regelungsregime hinreichend ist. Es vermittelt dem Bürger einen Schutz vor den Gefahren und Risiken, die mit der Nutzung der Kernenergie verbunden sind. Insofern ist der Gesetzgeber den vor allem aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Verpflichtungen zum Schutz der Bürger nachgekommen. Der Atomausstieg kann sich nicht auf ein verfassungsrechtliches Gebot stützen.64 2. Eingriff in das Eigentum, Art. 14 Abs. 1 GG Die 13. AtG-Novelle greift unmittelbar in das Eigentum an den Kraftwerken ein. Sie entzieht die Nutzungsbefugnis ganz oder kappt sie bei neun Kraftwerken sukzessive. Diesen Eingriff in das Eigentum behandle ich aufgrund seiner Evidenz als erstes. Danach gehe ich kursorisch auf Art. 12 GG und das Verhältnis dieser Norm zu Art. 14 GG ein. a) Bedeutung des Grundrechtes des Art. 14 Abs. 1 GG Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistet das Privateigentum. Diese Garantie umfasst neben der subjektiven Schutz- und Abwehrdimension auch die objektivrechtliche Gewährleistung des Privateigentums als Rechtsinstitut. Die zentrale Bedeutung von Art. 14 GG betonte das Bundesverfassungsgericht schon in seinem Feldmühle-Urteil: „Das Eigentum ist ebenso wie die Freiheit ein elementares Grundrecht; das Bekenntnis zu ihm ist eine Wertentscheidung des Grundgesetzes von besonderer Bedeutung für den sozia-
64 Ausgangspunkt sind die beiden Leitentscheidungen im Verfahren Mülheim-Kärlich (BVerfGE 53, 30, 56) und zu Kalkar (BVerfGE 49, 89, 143). In beiden Entscheidungen bejahte das Bundesverfassungsgericht, dass der Staat „seiner grundrechtlichen Schutzpflicht im Zuge des atomrechtlichen Instrumentariums hinreichend nachgekommen ist“ (BVerfGE 53, 30, 57 ff.). Ferner: BVerfG, NVwZ 2010, 114, Rn. 36 – Schacht Konrad, BVerfG, NVwZ 2009, 171, Rn. 26 – Standortzwischenlager; BVerfG, NVwZ 2009, 515 – Castortransporte; BVerwGE 104, 36, 54 – KKW Obrigheim.
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len Rechtsstaat. Das Eigentum ist das wichtigste Rechtsinstitut zur Abgrenzung privater Vermögensbereiche.“65
Art. 14 Abs. 1 GG schützt die Zuordnung aller vermögenswerter Rechte – nicht des Vermögens als solches – zu dem Grundrechtsträger.66 Art. 14 GG sichert die privatnützige Gebrauchsmöglichkeit, Ertragsfähigkeit und Verfügungsbefugnis des Eigentümers. Der Eigentumsschutz umfasst auch das Anteilseigentum und das gesellschaftsrechtlich vermittelte Eigentum;67 dies erstreckt sich einerseits auf das in dem Gesellschaftsanteil verkörperte vermögenswerte Recht, zum anderen auf die mitgliedschaftsrechtliche Komponente.68 Die Bedeutung des Eigentumes ergibt sich aus der Privatnützigkeit und dem damit verknüpften Recht, die Ertragsfähigkeit als Grundlage für die eigenverantwortliche Lebensgestaltung einzusetzen.69 Dies hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt in der Garzweiler-Entscheidung70 bestätigt. Die Eigentumsgarantie ist eine Substanzgarantie und nicht bloß eine Wertgarantie. Sie schützt nach der zitierten Rechtsprechung den konkreten Bestand in der Hand des einzelnen Eigentümers. Schon daraus folgt, dass der Eigentumsschutz gilt, unabhängig davon, ob sich das Eigentum in der Hand des Eigentümers amortisiert hat.71 b) Eingriff in das Eigentum durch die 13. AtG-Novelle Die 13. AtG-Novelle greift in mehrfacher Hinsicht in den Normbereich des Art. 14 Abs. 1 GG ein. Sie erfasst folgende Eigentumsrechte: Die Eigentumsgarantie schützt das Eigentum an dem Kernkraftwerk selbst. Sie erfasst aber nicht nur das dingliche Eigentum an den Kraftwerksanlagen und der Liegenschaft, sondern auch das Kernkraftwerk in seiner Funktionalität und seinem Be-
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BVerfGE 14, 263, 277; dazu zusammenfassend Schwarz, DVBl. 2013, 133 ff. St. Rspr. vgl. etwas BVerfGE 24, 367, 396; 53, 257, 290; 58, 300, 336; 83, 201, 209; 91, 294, 307. 67 BVerfGE 50, 290, 340 ff; BVerfGE 100, 289, 302 ff. Zum Ganzen Papier, in: Maunz/ Dürig, GG, 75. EL Dezember 2015, Art. 14 Rn. 195. 68 BVerfGE 50, 280, 342. 69 BVerfGE 51, 193 – Schloßberg. Ebenso zuletzt in der Kammer-Entscheidung zur WeserQuerung, B. v. 16. 12. 2015, DVBl. 2016, 307 m. Anm. Stüer. 70 BVerfGE 134, 242. 71 Di Fabio, in: Durner/Peine/Schirvani, FS Papier, 2013, 503, 511 f. Die Reduzierung auf den Amortisationsschutz bedeutete, dass einerseits besonders ertragreiche Wirtschaftsgüter nach einer bestimmten Zeit keinen Schutz mehr genössen, ebenso würde das amortisierte Auto, Fahrrad, Haus etc. in der Hand des Eigentümers keinen Schutz mehr genießen. Speziell dieses Eigentum, auch das ererbte Eigentum, hat häufig eine besondere Affinität zum Eigentümer. Dies infolge der Amortisation schutzlos zu stellen, ist mit der oben skizzierten besonderen Bedeutung des Eigentumes in der Hand des Eigentümers nicht vereinbar. Es ist rechtlich auch nicht zu begründen. 66
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trieb, das durch § 7 AtG genehmigt ist. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt:72 „Anknüpfungspunkt für den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz ist das zivilrechtliche Sacheigentum an der Anlage. Hierauf beschränkt sich der Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG allerdings nicht. Der Anlagenbetreiber tätigt seine (erheblichen) Investitionen in die Anlage gerade auf der Grundlage der den Anlagenbetrieb erst gestattenden immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Aufgrund dieser Verknüpfung der verwaltungsrechtlichen Grundlagen des Anlagenbetriebes mit den privatwirtschaftlichen Eigenleistungen des Anlagenbetreibers umfasst der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz grundsätzlich auch die durch die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vermittelte Rechtsposition.“73 [Herv. d. Verf.]
Das gilt für jede aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung errichtete Anlage. Ist die Genehmigung erteilt und wurde die Anlage genehmigungskonform errichtet, ist normgeprägtes Eigentum entstanden. Dies gilt umso eher dann, wenn auf die Erteilung der Genehmigung ein letztlich in Art. 14 Abs. 1 GG wurzelnder Rechtsanspruch besteht. Ein solcher Genehmigungsanspruch besteht nicht nur nach dem Immissionsschutzrecht und nach dem Baurecht, sondern auch nach § 7 AtG. Diese Norm statuiert ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt74 und kein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt. Der Gesetzgeber hat den Betrieb eines Kernkraftwerkes nicht repressiv verboten, vielmehr ordnet er vor der Errichtung des Kraftwerkes und seiner Inbetriebnahme eine behördliche Prüfung an, damit präventiv die Gesetzeskonformität der Anlage festgestellt wird. Es muss eine Ausnahmesituation vorliegen, die durch „besondere und unvorhergesehene Umstände“ begründet ist.75 Das Versagungsermessen kann nur in engen Grenzen ausgeübt werden. Im Regelfall besteht ein Rechtsanspruch auf Genehmigung. Es sei dahingestellt, ob es darauf ankommt, dass die Errichtung wie auch der Betrieb des Kernkraftwerkes auf erheblichen eigenen Leistungen beruhen. Das Kriterium der Eigenleistung hat ursprünglich seinen Platz bei den sozialstaatlich begründeten Leistungsansprüchen der Bürger, etwa sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen.76 Selbst wenn man auf dieses Kriterium abhebt – worauf die beiden zitier72 BVerfG, NVwZ 2010, 771; ebenso B. v. 24. 02. 2010 zu einer nach dem Sächsischen Wasserrecht genehmigten Wasserkraftanlage, SächsVBl. 2010, 140, 142. 73 BVerfG, NVwZ 2010, 771, 772; siehe außerdem: Di Fabio, Der Ausstieg aus der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie, 1999, S. 121 ff.; Schmidt-Preuß, NJW 2000, 1524, 1525. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, a.a.O., Art. 14 Rn. 203a; Schwarz, DVBl. 2013, 133; Krappel, DÖV 2012, 640, 641. 74 BVerfGE 49, 89, 142. 75 BVerfGE 49, 89, 146 f. – Kalkar. 76 BVerfGE 69, 272, 300; 112, 368. Kritisch zur Übertragung dieser Rechtsprechung auf andere öffentlich-rechtliche Ansprüche Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, 175; M. Schröder, in: FS Papier (s. o. Fn. 71), 605, 611 ff., Di Fabio, in: Di Fabio/ Durner/Wagner, Kernenergieausstieg 2011, 2013, 9, 22 ff. Ob es auf eine Eigenleistung ankommt, könnte unter anderem deshalb fraglich sein, weil ja auch das ohne Eigenleistung
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ten Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes (s. oben Fn. 72) hindeuten –, liegt eine solche Leistung hier evident vor. Sie steckt nicht nur im Ausarbeiten einer genehmigungsreifen Kraftwerksplanung und in den Kosten des Genehmigungsverfahrens (die einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag ausmachen), sondern auch in der Investition als solcher.77 Die Errichtung eines Kernkraftwerkes selbst kostet buchstäblich Milliarden, es gibt keine Industrieanlage, die höhere Investitionen erfordert. Das Eigentum an der gesetzes- und genehmigungskonform errichteten Kraftwerksanlage und ihrem genehmigten Betrieb ist damit verfassungsrechtlich geschützt. Der Schutz erstreckt sich auf die atomrechtliche Anlagengenehmigung in der normativen Ausgestaltung im Zeitpunkt des Eingriffes in das Eigentum. Das hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt entschieden. „Die Bestandsgarantie erfasst bei einer ausgeübten Grundstücksnutzung den rechtlichen und tatsächlichen Zustand, der im Zeitpunkt der hoheitlichen Maßnahme besteht.“78 Im Zeitpunkt des Eingriffes in das Eigentum – mit Inkrafttreten des Gesetzes am 06. August 2011 – galt § 7 AtG in der Ausgestaltung der 11. AtG-Novelle. Die Berechtigung zum Leistungsbetrieb einschließlich des Umfanges der Betriebserlaubnis ergibt sich aus dieser Gesetzesfassung. In diese normativ ausgestaltete Genehmigung hat die 13. AtGNovelle eingegriffen und die Betriebserlaubnis komplett entzogen oder erheblich eingeschränkt. Als eigenständiges Eigentumsrecht sind auch die Strommengen (= Produktionsrechte) der 11. AtG-Novelle anzusehen (§ 7 AtG, Anlage 3, Spalte 4). Strommengen sind nichts anderes als die Quantifizierung der Betriebserlaubnis im Sinne eines Produktionsrechtes. Der Begriff der Strommengen findet sich erstmals in der AtG-Novelle 2002. Der Gesetzgeber hat diesen Begriff gewählt, um einerseits die Betriebserlaubnis partiell als handelbares Produkt auszugestalten. Andererseits wollte er die Betriebserlaubnis zeitlich nicht begrenzen, sondern in den Kraftwerken die Produktion einer bestimmten Menge Strom erlauben, ohne Rücksicht darauf, innerhalb welchen Zeitraumes der Strom produziert würde. Die Strommengen der AtG-Novelle 2002 sind ebenso wie die Strommengen der 11. AtG-Novelle selbstständig handelbar, verfügbar und von dem Anlageneigentum im eigentlichen Sinne trennbar. Das wird besonders deutlich bei den sogenannten Reststrommengen des schon zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der 11. AtG-Novelle (auch schon im Zeitpunkt der Novelle 2002) stillgelegten Kernkraftwerkes Mülheim-Kärlich. Die Betriebserlaubnis war längst erloschen, die Produktionsrechte in Gestalt von Strommengen aber ein weiterhin handelbares Gut. Das System der Strommengen ist zur Ermöglichung einer Flexibilisierung bewusst auf die Übertragbarkeit, d. h. Veräußerbarkeit, angelegt. erworbene Eigentum – wie etwa bei einer Schenkung oder einer Erbschaft oder einem Fund – durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt ist. 77 Alleine die Genehmigungsgebühr kostet nach der Kostenverordnung zum Atomgesetz 2 % der Investition, das wären bei Errichtungskosten von – beispielhaft – EUR 3 Mrd. EUR 6 Mio. 78 BVerfGE 58, 300, 352 – Nassauskiesung; ebenso BVerfGE 134, 242 – Garzweiler.
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Der Wert der Strommengen ergibt sich aus Angebot und Nachfrage. Die Strommengen sind privatnützig, und zwar für denjenigen, der sie veräußert ebenso wie für denjenigen, der sie erwirbt. Zu Recht hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Mülheim-Kärlich-Entscheidung79 ausgeführt, dass der „in der öffentlich-rechtlichen Zuweisung einer Reststrommenge liegende Vermögenswert“ und damit „die Reststrommenge“ von Art. 14 GG geschützt ist. Es gibt weitere Positionen, bei denen es naheliegt, dass sie durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sind – ich kann darauf in diesem Kontext nicht weiter eingehen, sondern nur stichwortartig hinweisen: @ Das gilt für den eigentumsrechtlichen Schutz der eingesetzten Kernbrennstoffe. Eigentümerin im formalen Sinne der Kernbrennstoffe ist nach Art. 86 EURATOM-Vertrag zwar die Europäische Atomgemeinschaft (EAG). Allerdings steht das dingliche unbeschränkte Nutzungs- und Verbrauchsrecht an den Kernbrennstoffen gemäß Art. 87 EURATOM-Vertrag den Betreibern des Kernkraftwerkes zu. Dieses dingliche Nutzungsrecht ist dem Eigentum gleichzustellen und genießt den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG. @ Es stellt sich die Frage, ob nicht die atomrechtliche Betriebsgenehmigung selbst einen eigenständigen Schutz durch Art. 14 Abs. 1 GG genießt. Die Betriebsgenehmigung berechtigt zum Betrieb einer Anlage, zur Nutzung des Anlageneigentums. Die Betriebsgenehmigung geht nicht zwangsläufig mit der Eigentümerstellung an den Kraftwerksanlagen einher. Sie vermittelt eine eigenständige, geschützte, privatnützige Rechtsposition, die auch übertragbar ist (allerdings unter der Voraussetzung, dass die subjektiv-rechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen des Betriebes eines Kernkraftwerkes bei dem Übernehmer der Genehmigung erneut geprüft werden). Die atomrechtliche Genehmigung beruht auf hohen Eigenleistungen des Inhabers. Es spricht manches dafür, dass sie ähnlich wie die Baugenehmigung durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt ist. Bei der Baugenehmigung gibt es sogar den eigenständigen Beruf des Projektentwicklers, der Gebäude projektiert, das Planungsrecht und die Genehmigung hierfür ,beschafft‘ und dann die Genehmigung veräußert. Letztlich kann die Frage des eigenständigen Schutzes der Betriebsgenehmigung80 dahinstehen, weil beim Atomausstieg die atomrechtlichen Genehmigungen in Gestalt der genehmigten und errichteten Kernkraftwerke gewissermaßen im Anlageneigentum und seinem Betrieb aufgehen. @ Schließlich wird vielfach die Auffassung vertreten, dass der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb auch dem verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG unterliegt.81 In frühen Entscheidungen hat das Bundesver-
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BVerwG, NVwZ 2009, 921, 923. Befürwortend etwa Schmidt-Preuß, NJW 2000, 1524; Wagner, NVwZ 2001, 1089, 1095. 81 Papier, in: Maunz/Dürig, GG, (Fn. 67), Art. 14, Rn. 95; Badura, AöR 1973, 153, 153 ff.; BGHZ 23, 157 162 f.; BVerwG NJW 1982, 63, 64. 80
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fassungsgericht dieser Auffassung zugeneigt,82 freilich fehlt dazu ein grundsätzliches Judikat. Der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb umfasst das Unternehmen als Gesamtheit und unter Zusammenfassung aller sachlichen, persönlichen und sonstigen Mittel. Der Begriff kennzeichnet die betriebliche und organisatorische Wirtschaftseinheit, als die ein Unternehmen am Markt auftritt und nach außen in Erscheinung tritt.83 Hierbei zeigt sich, dass ein Unternehmen gerade mehr ist, als die einzelnen Güter, aus denen es besteht, sodass bei einer funktionalen Betrachtung das Eigentum am Gewerbebetrieb, wie er in der sozialen Wirklichkeit in Erscheinung tritt, geschützt werden muss. Im vorliegenden Kontext kommt es darauf letztlich nicht weiter an.
c) Keine grundsätzlichen Einwände gegen Eigentumsschutz Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass es auf die normative Ausgestaltung des Anlageneigentumes im Zeitpunkt des Eingriffes ankommt. Maßgebender Stichtag ist mithin der 6. August 2011. Das gilt nicht nur für die sofort stillgelegten Kernkraftwerke, sondern auch für die Kernkraftwerke, denen mit diesem Tag die Strommengen der 11. AtG-Novelle entzogen sind. Gegen das Abstellen auf die 11. AtG-Novelle könnte eingewendet werden, dass diese Novelle die Laufzeiten der Kernkraftwerke im Durchschnitt um 12 Jahre verlängert hat – ausgedrückt in Produktionsrechte für Strommengen – und zwar ohne Eigenleistung der Kraftwerksbetreiber geregelt hat. Vor der 11. AtG-Novelle galten die Laufzeiten / Strommengen gemäß der AtG-Novelle 2002.84 Ich habe diesen Einwand schon gestreift: Die Eigenleistung spielt eine Rolle bei der Gewährung subjektiver öffentlicher Rechte wie etwa Versorgungsansprüchen, Versicherungsansprüchen, Renten, Unterhaltsgeld, Wohngeld etc. Das Element der ,Eigenleistung‘ will vermeiden, dass aus sozialstaatlichen Gründen gewährte Ansprüche über den eigentumsrechtlichen Schutz faktisch nicht mehr – oder nur gegen Entschädigung – entziehbar sind. Wenn es hingegen um die normative Ausgestaltung dinglichen Eigentumes geht, kommt es auf die Eigenleistung nicht an. Der Gesetzgeber gestaltet das Eigentum aus, prägt es inhaltlich, ohne dass es per se um eine Gegen- oder Eigenleistung geht. An welche Voraussetzungen er die Ausgestaltung knüpft, ist – in den Grenzen der Verfassung – seiner Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit vorbehalten. Eine aus Art. 14 Abs. 1 GG ableitbare Pflicht zur Eigenleistung als Voraussetzung für den eigentumsrechtlichen Schutz der normativen Gestaltung des Eigentumes ist nicht zu begründen. Ein prägnantes Beispiel dafür: Die Ausgestaltung des Bodeneigentumes durch das BauGB in Verbindung mit dem Bebauungsplan (der als Satzung ein Gesetz im materiellen Sinne ist). Wenn ein Acker als Bauland ausgewiesen wird, erhält der Eigentümer ohne jede Eigenleistung einen hohen Nutzungs- und 82
BVerfGE 1, 264, 277 f. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, (Fn. 67), Art. 14, Rn. 95 f. 84 Siehe dazu oben A.I.3. 83
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Wertzuwachs, die Wertsteigerung kann den Faktor 50 – 100 (oder mehr) ausmachen. Die durch den (Orts-)Gesetzgeber im Bebauungsplan normativ festgelegte Nutzung und der dadurch verkörperte Wert sind gemäß § 42 BauGB nur gegen eine volle Entschädigung zu entziehen, etwa wenn das Bauland durch eine Planänderung nicht mehr in dem ursprünglichen Sinne privatnützig nutzbar ist, sondern nur noch für öffentliche Zwecke (den Bau einer Straße oder Schule etc.). Die Wertdifferenz zwischen den beiden Nutzungsarten ist von der planenden, rechtsetzenden Gemeinde zu ersetzen. Das ist die Folge des Entzuges (wertvoller, durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützter) Nutzungsrechte, die durch eine gesetzliche Ausgestaltung des Eigentumes am Grund und Boden entstanden sind. Auf eine Eigenleistung kommt es dabei nicht an. Gegen den Eigentumsschutz lässt sich auch nicht einwenden, dass sich die Aufwendungen der KKW-Betreiber für die Errichtung und den Betrieb der Anlagen im Zeitpunkt des Eingriffes amortisiert hätten. Die Substanz des Eigentumes ist geschützt, sein Bestand ist gewährleistet. Eine (etwaige) Amortisation begründet keine Einschränkung des Schutzbereiches des Art. 14 Abs. 1 GG. Die Privatnützigkeit und Nutzungsbefugnis als essentieller Bestandteil des Eigentumes stehen nicht unter dem Vorbehalt der Amortisation. Das Eigentum ist in seiner dauerhaften Nutzung geschützt. Sonst wäre der Schutz des Eigentumes relativ und immer nur auf Zeit gewährt. d) Liegt eine Enteignung vor? Es ist nun der Frage nachzugehen, ob die 13. AtG-Novelle als Enteignung des eigentumsrechtlich geschützten Anlageneigentumes anzusehen ist. Die gleiche Frage stellt sich hinsichtlich der Strommengen der 11. AtG-Novelle.85 Zunächst zum Anlageneigentum, das ja – wie dargestellt – die Nutzung und den Betrieb umfasst. Zunächst zum Enteignungsbegriff im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. In ständiger Rechtsprechung beider Senate des Bundesverfassungsgerichtes ist die Enteignung der staatliche Zugriff auf das Eigentum des Einzelnen. „Sie ist auf die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver, durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteter Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben gerichtet.“86 Es gibt demnach drei Tatbestandsmerkmale der Enteignung:
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Auf den Sonderfall der in Folge der zeitlichen Fixierung der Abschaltung der Kernkraftwerke nicht mehr verstrombaren (Rest-)Strommengen der AtG-Novelle 2002 gehe ich hier nicht weiter ein. Ebenso wenig auf die Besonderheiten bei den Reststrommengen des KKW Mülheim-Kärlich und – ein nochmals anders gelagerter Fall – des KKW Krümmel. 86 So zuletzt in der Garzweiler-Entscheidung BVerfGE 134, 249, Rn. 161, m.w.N. BVerfGE 101, 239, 259.
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(1) Der ganz oder teilweise Entzug von Rechten, sodass die von Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Nutzungs- und / oder Verfügungsbefugnis ganz oder teilweise erlischt; (2) der Eigentumsentzug muss final, das heißt gezielt sein, und (3) der Entzug muss der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienen (das heißt nicht dem Ausgleich privater Interessen87). Es müssen Zwecke des Gemeinwohls verfolgt werden. Ehe ich mich der Subsumtion der einzelnen Tatbestandsmerkmale zuwende, möchte ich noch auf ein vermeintlich weiteres Merkmal der Enteignung eingehen, nämlich die Güterbeschaffung. Entgegen einer häufig geäußerten Auffassung88 ist die Güterbeschaffung keine notwendige Bedingung der Enteignung.89 Auch nicht im Kontinuum der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. Es gibt eine Vielzahl von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes – beider Senate –, die die Güterbeschaffung explizit nicht als Merkmal der Enteignung definieren. So heißt es in der Vorkaufsrechtsentscheidung90 ausdrücklich, die Enteignung hänge „nicht davon ab, dass es sich um ein Güterbeschaffungsvorgang handelt. Ihr entscheidendes Merkmal ist der Entzug des Eigentumes und der dadurch bewirkte Rechts- und Vermögensverlust, nicht aber die Übertragung des entzogenen Objekts.“91 Es gibt von den vielen Senatsentscheidungen eine, allenfalls zwei Ausnahmen. Als Leitentscheidung wird regelmäßig das Urteil zur Baulandumlegung92 zitiert. Dort wird in der Tat der Vorgang der Güterbeschaffung als Merkmal der Enteignung aufgeführt. Dieses Tatbestandsmerkmal wird aber in keiner Weise erläutert oder thematisiert. Warum die Enteignung auf Fälle der hoheitlichen Güterbeschaffung beschränkt werden soll, wird mit keinem Satz dargelegt. Der Senat verweist nur auf seine Rückenteignungs-Entscheidung;93 in jener Entscheidung ging es um die Rückenteignung einer ursprünglich für den Straßenbau (mithin Zwecke der Güterbeschaffung) durchgeführten Enteignung, ohne dass dort das Merkmal der Güterbeschaffung für die Enteignung definiert wurde, im Gegenteil. Das Wesen der Enteignung sei gerade kein auf Vermögenserwerb durch den Staat ausgerichtetes Instrument.94 Im Kern ging es in der Entscheidung um den Anspruch auf Rückerwerb, wenn der ursprünglich intendierte öffentliche Zweck (Straßenbau) entfallen ist. 87
So ausdrücklich BVerfGE 104, 1, 9 f., Baulandumlegung. Zuletzt Ludwigs, NVwZ 2016, 1, 2; ferner etwa Lege, JZ 2011, 1084, 1089; dazu Papier, in: Maunz/Dürig (Fn. 67), Art. 14 Rn. 355. 89 Zutreffend Schwarz (Fn. 65), 137 ff.; Krappel (Fn. 73), 644 f. 90 BVerfGE 83, 201. 91 BVerfGE 83, 201; ebenso etwa in der Entscheidung BVerfGE 56, 249 – Dürkheimer Gondelbahn; BVerfGE 45, 297 – Hamburger U-Bahn; BVerfGE 24, 367 – Hamburger Deichordnungsgesetz. 92 BVerfGE 104, 1. 93 BVerfGE 38, 175. 94 BVerfGE 38, 175, 179. 88
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Die weitere, sogenannte Miterben-Entscheidung95 aus dem Jahre 2010 nahm zwar unter Hinweis auf die Entscheidung zur Baulandumlegung auf die Güterbeschaffung Bezug, prüfte sie aber nicht weiter und lehnte die Enteignung in Folge der fehlenden Finalität des Eingriffes ab. Es verbleibt also letztlich nur die Entscheidung zur Bauland-Umlegung des Bundesverfassungsgerichtes, die die Güterbeschaffung als Merkmal der Enteignung eigenständig definiert. Dies aber ohne Begründung und ohne jeden Hinweis auf die bis dato anders lautende Rechtsprechung desselben (ersten) Senates.96 Die Entscheidung zur Baulandumlegung kann daher kaum als eine Änderung der Rechtsprechung oder gar eine Rückkehr zum klassischen Enteignungsbegriff gedeutet werden. So auch ausdrücklich die frühere Verfassungsrichterin Haas; sie erklärte, dass mit dieser Entscheidung „keine Änderung der Definition der Enteignung beabsichtigt“97 war, vielmehr sei dies der besonderen Fallkonstellation (der Baulandumlegung) geschuldet gewesen. Die Güterbeschaffung ist demnach kein konstituierendes Merkmal der Enteignung. Das ergibt sich auch aus folgenden, hier nur stichwortartig genannten Gründen: @ Der klassische Enteignungsbegriff des 19. Jahrhundert ist der veränderten Bedeutung des Eigentumsschutzes unter dem Grundgesetz anzupassen. Das Grundgesetz schützt die Privatnützigkeit des Eigentumes umfassend, auch als Grundlage freier Lebensgestaltung. Das erfordert die Erweiterung des Enteignungsbegriffes.98 @ Der Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG spricht von der Enteignung und nicht von einer damit gekoppelten Zueignung. @ Aus der Sicht des durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentümers ist es ohne Belang, ob die ihm entzogene Rechtsposition in der Person des Staates oder eines Dritten fortbesteht oder ob sie für öffentliche Zwecke kassiert oder sonst funktionslos wird. Er erfährt nur den Entzug einer Rechtsposition. @ Böhmer skizziert die Enteignung funktional zutreffend als Überwindungsvorgang. Die Enteignung dient der Überwindung grundrechtlicher Schranken (der Abwehrrechte).99 95
BVerfGE 126, 286. Dazu siehe die oben zitierten Entscheidungen (Fn. 91). 97 NVwZ 2002, 272, 274. In diesem Sinne ist auch die Entscheidung des zweiten Senates zum Halbteilungsgrundsatz gewissermaßen vermittelnd zu verstehen (E 115, 97, 112). Demnach ist der Enteignungsbegriff beschränkt „auf die Entziehung konkreter Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben, also weitgehend zurückgeführt auf Vorgänge der Güterbeschaffung (vgl. BVerfGE 104, 1, 9 f. m.w.N. der st. Rspr.).“ 98 Dazu: von Mangoldt in seiner frühen Kommentierung zum Bonner Grundgesetz, in: von Mangoldt/ Klein, 2. Aufl. 1957, Art. 14 Anmerkung VII; von Mangoldt war Mitglied des parlamentarischen Rates und Vorsitzender des Ausschusses für Grundsatzfragen und Grundrechte. Art. 14 GG geht insoweit auch bewusst über Art. 153 WRV hinaus, dazu grundlegend BVerfGE 24, 367, 400; Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 14 Rn. 11 ff. 99 Böhmer, NJW 1988, 2561, 2564. Ebenso Wendt, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 14 Rn. 78, 80. Ebenso prägnant Wieland, in: Dreier, GG, (Fn. 97), Art. 14 Rn. 93. Deutlich wird 96
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Die Güterbeschaffung ist daher keine notwendige Bedingung der Enteignung. Sie ist eine Modalität der Enteignung, aber nicht mehr. Entscheidend ist, dass das Eigentum zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben entzogen (= enteignet) wird. Ob an die Stelle des Eigentümers eine Zueignung beim Staat oder Dritten oder von diesen autorisierten Dritten vorliegt oder gar eine Kassation, ist unerheblich. Die 13. AtG-Novelle enthält eine (Legal-)Enteignung der Betreiber der Kernkraftwerke. Das gilt für das Anlageneigentum ebenso wie für die Strommengen der 11. AtG-Novelle. Auf die oben erwähnten anderen Rechtsgüter gehe ich hier nicht weiter ein: (1) Unmittelbar mit Inkrafttreten des Gesetzes am 6. August 2011 wurden acht Kernkraftwerken die Betriebserlaubnis und damit das eigentumskräftig geschützte Nutzungsrecht vollständig entzogen (erste Voraussetzung der Enteignung). Das Eigentum ist nicht mehr nutzbar, es ist eine leere – und kostspielige – Hülle. Das Anlageneigentum hat damit dauerhaft jede Privatnützigkeit verloren. Es ist mit der Stilllegung einer modernen, ständig nachgerüsteten Industrieanlage vergleichbar, die gerade die Hälfte ihrer verkehrsüblichen Lebensdauer erreicht hat. Die Betriebserlaubnis ist – zweitens – final100 erloschen. Es war das erklärte Ziel der 13. AtG-Novelle, zunächst acht Kernkraftwerke sofort stillzulegen und die anderen 11 Kraftwerke dann sukzessive bis Ende 2022. Und der Entzug der Betriebserlaubnis verfolgt – drittens – öffentliche Zwecke und dient der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Es ging dem Gesetzgeber um die Verminderung der Restrisiken. Zu diesem Zweck sollte die Nutzung der Kernenergie zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestaffelt beendet werden.101 Zugleich sollte die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung und der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien unterstützt werden. Insoweit verfolgt die 13. AtGNovelle ganz gezielt und konkret öffentliche Zwecke. Damit liegen die Enteignungsvoraussetzungen bezogen auf das Eigentum am Kernkraftwerk und seiner Nutzbarkeit bei den sofort stillgelegten acht Kernkraftwerken vor.
diese Sichtweise in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum rheinland-pfälzischen Denkmalschutzgesetz, BVerfGE 100, 226. Ebenso K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rn. 450. 100 Die Bedeutung des Merkmales der Finalität zeigt sich, wenn man die Auswirkungen der Stilllegung auf die Brennelemente analysiert. Die Brennelemente sind, selbst wenn sie erst kürzlich in den Reaktor eingefahren wurden, nicht mehr nutzbar. Sie können anderweitig nicht verwendet werden (ungeachtet ihres hohen Buchwertes, der bei einer erst kürzlich erfolgten Bestückung durchaus in einem mittleren zweistelligen Millionenbereich liegen kann). Es ging dem Gesetzgeber nicht final/ zielgerichtet um den Entzug der Brennelemente sondern um den Entzug der Betriebserlaubnis. Die funktionale Entwertung der Brennelemente hat er dabei in Kauf genommen. Das ist eine kompensationsbedürftige Inhaltsbestimmung des Eigentumes an den Nutzungsrechten der Brennelemente; ich komme darauf noch zurück. 101 Dazu die Gesetzesbegründung zur 13. AtG-Novelle, BT-Drucks. 17/6070, S. 5, 7.
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(2) Auch der vollständige Entzug der Strommengen der 11. AtG-Novelle ist eine Enteignung. Es gilt vice versa das oben ausgeführte: Die Strommengen sind individualisierte und konkrete Rechte. Sie sind verfügbar, handelbar und haben einen eigenen Wert. Die als Strommengen ausgestalteten Produktionsrechte können übertragen und veräußert werden. Und zwar in einem doppelten Sinne. Zum einen kann das Recht zur Produktion bezifferter Strommengen übertragen werden. Der Erwerber, ein Kernkraftwerksbetreiber, hat dann das Recht die entsprechenden Strommengen zu erzeugen. Zum anderen können die erzeugbaren Strommengen – ohne Übertragung der Produktionsrechte – als Handelsgut ,Strom‘ vertraglich als sogenannte futures bspw. an der Strombörse in Leipzig verkauft werden. Solche Verträge über drei, vier oder gar fünf Jahre sind verkehrsüblich. Sie dienen dem Interesse des Verkäufers (Stromproduzenten) an einer langfristig kalkulierbaren, stabilen Abnahme des Stromes. Und ebenso dienen sie dem Interesse des Käufers (Kunden) an der langfristigen Sicherung der Versorgung. Diese eigentumsrechtlich selbstständigen Rechte sind durch die 13. AtG-Novelle vollständig entzogen, mit der Folge, dass die Privatnützigkeit erloschen ist. Der Eigentumsentzug erfolgte final: Der Entzug war das Ziel des Gesetzgebers. Und mit diesem Entzug verfolgte er öffentliche Zwecke. Er wollte gemäß dem von ihm definierten öffentlichen Zweck den vorzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie herbeiführen. Das war nur durch die Überwindung des Eigentumes – den Entzug der Nutzungsrechte – möglich. Der Annahme einer Enteignung kann nicht entgegengehalten werden, es liege eine Neuordnung eines Rechtsgebietes und mithin eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums vor. Unbeschadet dessen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes auch die Neuordnung eines Rechtsgebietes keineswegs den entschädigungslosen Entzug von Rechten grundsätzlich zulässt, geht es hier nicht um die Neuordnung eines Rechtsgebietes mit der gewissermaßen unbeabsichtigten Nebenfolge einer Beseitigung der Nutzungsmöglichkeiten der vorhandenen Kernkraftwerke. Die Regelungen der 13. AtG-Novelle zielen auf die Streichung der mit der 11. AtG-Novelle festgelegten Strommengen und auf die zeitliche Befristung der Betriebserlaubnis bzw. auf die sofortige Stilllegung von acht Kraftwerken. Es geht, wie Ossenbühl102 zutreffend formuliert „nicht um einen Neuzuschnitt der Eigentumsordnung“. Ausschließlicher Zweck „ist die Stilllegung – und damit regelmäßig verbunden die Beseitigung – von Kernkraftwerken“. Die grundsätzlichen Regelungsstrukturen des Gesetzes bleiben langfristig unverändert und sichern den befristeten Weiterbetrieb, die Stilllegung, den Rückbau, den Schutz und die Vorsorge vor Gefahren, die Grundzüge der Entsorgung etc. Die 13. AtG-Novelle regelt den finalen Eingriff in die Anlagennutzung und legt die Kraftwerke still. Sie ist in Gestalt eines klassischen Maßnahmegesetzes eine typische Legalenteignung. Die Nutzungsrechte 102 Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen eines beschleunigten Ausstieges aus der Kernenergie, 2012, S. 50.
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am Eigentum werden – je nach Kraftwerk – vollständig oder temporär gestaffelt entzogen, mit den oben beschriebenen Auswirkungen. Unabhängig davon kann das Bedürfnis nach einer Neuordnung eines Rechtsgebietes „nicht den ersatzlosen Entzug von Rechten rechtfertigen“103. Das Bundesverfassungsgericht hielt den ersatzlosen Entzug einer (Wein-)Lage (Ausstattungsschutz) für unvereinbar mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Der Eingriff sei verfassungsrechtlich nicht durch die Neuregelung des Weinbezeichnungsrechts legitimiert. Ganz ähnlich in der Entscheidung zum entschädigungslosen Entzug eines Vorkaufsrechtes im Zuge der Neuordnung des Bergrechts.104 Auch wenn das Bundesverfassungsgericht es offen gelassen hat, ob in diesen Entscheidungen105 eine Enteignung vorlag oder eine nur gegen Entschädigung zulässige Inhaltsbestimmung, belegt dies, dass eine Enteignung nicht an dem Einwand der Neuordnung eines Rechtsgebietes scheitert, selbst wenn man die 13. AtG-Novelle als Neuordnung eines Rechtsgebietes – entgegen der hier vertretenen Auffassung – qualifizieren wollte. e) Junktim-Klausel, Art. 14 Abs. 3 GG Die festgestellte Enteignung ist gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG nur aufgrund eines Gesetzes zulässig, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Es handelt sich um die sogenannte Junktim-Klausel. Sie bezweckt, dass sich der Gesetzgeber der Schwere des Eingriffes in das Eigentum bewusst ist, und der Enteignete unverzüglich einen Wertersatz erhält, wenn er den Substanzverlust des Eigentumes erleidet. Die 13. AtG-Novelle enthält keine Entschädigungsregelung. Sie ist folglich als Enteignung verfassungswidrig. Die Entschädigung muss zwingend durch den Gesetzgeber geregelt werden.106
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BVerfGE 78, 58 – Weingesetz. Ähnlich BVerfGE 83, 201 – Vorkaufsrecht. BVerfGE 83, 201. Auch in der Hamburger U-Bahn-Entscheidung (BVerfGE 45, 297) erklärte das Bundesverfassungsgericht, dass beim Entzug von bislang geschützten Rechtspositionen eine Enteignung vorliegen könne, selbst wenn dies im Zuge einer Reform des geltenden Rechts geschehe. Ähnlich in der Kleingarten-Entscheidung (BVerfGE 52, 1). 105 Dazu gehören auch die Hamburger U-Bahn-Entscheidung und die Kleigarten-Entscheidung, s. o. Fn. 104. 106 Wenn ein Gesetz infolge Verletzung der Junktim-Klausel verfassungswidrig ist, kann das Bundesverfassungsgericht selbst keine Entschädigung zusprechen. Es hat folgende Tenorierungsvarianten: Zum einen kann es das Gesetz für nichtig erklären,– das ist die im Bundesverfassungsgerichtsgesetz vorgesehene Regelfolge. Es kann aber auch die Verfassungswidrigkeit feststellen und dem Gesetzgeber einen Zeitraum geben, innerhalb dessen er eine Entschädigungsregelung zu treffen hat. Wenn er dies aus gesetzgeberischen Gründen nicht für opportun erachtet, tritt nach Ablauf einer bestimmten Frist die Nichtigkeit ein (insoweit ist das Bundesverfassungsgericht frei und flexibel bei der Tenorierung, dazu Hömig, in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 48. EL (Februar 2016) § 95 Rn. 55. Im Fall der Verfassungswidrigkeitserklärung (und einer Fristsetzung für die Entschädigungsregelung) muss sich das Gericht über die befristete Weitergeltung des Gesetzes Gedanken machen. Es kann die Fortgeltung bis zur Entschädigungsregelung bzw. dem Ablauf der Frist anordnen. 104
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f) Inhaltsbestimmung des Eigentumes, Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Wenn man der Qualifikation der 13. AtG-Novelle als Enteignung – wie unter Ziff. 4 dargelegt – nicht folgt, ist zu prüfen, ob es sich um eine verfassungsmäßige Inhaltsbestimmung des Eigentumes im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG handelt. Gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG werden Inhalt und Schranken des Eigentumes durch die Gesetze bestimmt. Eigentum ist insoweit ein normgeprägtes Grundrecht. Die Inhaltsbestimmung des Eigentumes wird durch die generelle und abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten durch den Gesetzgeber geregelt. Die Inhaltsbestimmung muss dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Sie hat zugleich den Kernbereich des individuellen Eigentumes zu achten, insbesondere die Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis. Die Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit der Ausgestaltung und Einschränkung des Eigentumes müssen gewahrt sein. Sonst ist die Inhaltsbestimmung mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbar. Die Inhaltsbestimmung ist unverhältnismäßig, wenn der Eigentümer von dem Eigentum „keinen vernünftigen Gebrauch machen und es praktisch auch nicht veräußern kann“, wenn mithin die Privatnützigkeit „nahezu vollständig beseitigt ist“.107 Die eigentumsrechtlich geschützte Rechtsposition darf „nicht ausgehöhlt werden“108. Der Gesetzgeber hat bei der Beschränkung des Eigentumes die Maßstäbe und Wertungen des Art. 14 Abs. 3 GG zu berücksichtigen. Es ist ihm untersagt, unter dem „Etikett einer Inhaltsbestimmung zu enteignen“109. Trotz des kategorialen Unterschiedes von Inhaltsbestimmung und Enteignung hat der Gesetzgeber „das in Art. 14 Abs. 3 zum Ausdruck kommende Gewicht des Eigentumsschutzes bei der nach Art. 14 Abs. 1 GG vorzunehmenden Abwägung zu beachten“110. Das gilt vor allem dann, wenn „sich die Belastung für den Betroffenen faktisch wie eine Enteignung“111 auswirkt. Der Gesetzgeber ist in solchen Fällen gehalten, diesen sich funktionell als Enteignung auswirkenden Eingriff durch kompensatorische Maßnahmen zu verhindern. Dafür kommen grundsätzlich – je nach Fallgestaltung – Übergangsregeln oder eine finanzielle Entschädigung in Betracht.112 Eine Inhaltsbestimmung des Eigentumes muss daher mit einer Ausgleichsregelung einhergehen, wenn sie ansonsten nicht den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit
Dem Ablauf der Frist wird eine Ablehnung der Entschädigungsregelung durch den Gesetzgeber gleichgestellt. 107 BVerfGE 100, 226 – Rheinland-Pfälzisches Denkmalschutzgesetz; ebenso BVerfGE 52, 1 – Kleingarten-Entscheidung. 108 BVerfGE 52, 1, 35 – Kleingarten-Entscheidung. 109 BVerfGE 42, 263, 295; 50, 290, 341 – Mitbestimmung; BVerfGE 52, 1, 30 – Kleingarten-Entscheidung. 110 BVerfGE 83, 201, 212 – Vorkaufsrechtsentscheidung. 111 BVerfGE 102, 1, 23 – Altlasten; Hervorhebung nicht im Original. Ebenso BVerfGE 126, 331, 364 – Miterben-Entschädigungsfonds. 112 BVerfGE 100, 226, 244 f.
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(oder anderer verfassungsrechtlicher Gebote, wie dem Gleichheitssatz und dem Vertrauensschutz) entspricht.113 Auf der Grundlage der hier nur knapp skizzierten114 verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine zulässige Inhaltsbestimmung des Eigentumes ist die 13. AtGNovelle mit Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die 13. AtG-Novelle für die Betroffenen wie eine Enteignung wirkt. Bei der sofortigen Stilllegung wird die Nutzungsbefugnis vollständig entzogen, es bleibt eine leere Hülle. Und bei dem Entzug der Strommengen wird das Nutzungsrecht, sukzessive eingeschränkt und entzogen. Funktional ist dies eine Enteignung: Dem Eigentümer wird die Nutzung seines Eigentumes untersagt oder temporär befristet. Ein solcher Eingriff ist nur dann verhältnismäßig, wenn für den Eingriff eine finanzielle Entschädigung erfolgt. Die Kraftwerksbetreiber müssen nicht infolge einer veränderten Risikowahrnehmung des deutschen Gesetzgebers (kein anderes Land ist dem gefolgt), die wirtschaftlich ,wertvollen‘, mit hohen Investitionen erworbenen und ständig ,gepflegten‘ Nutzungsrechte ersatzlos aufgeben. Der sofortige Entzug der Privatnützigkeit betrifft den eigentlichen Kern des Eigentumes. Das ist völlig unangemessen. Gleiches gilt im Ergebnis auch für den Entzug wesentlicher Produktionsrechte und die Limitierung der Betriebserlaubnis. Wenn man dem Gesetzgeber die Kompetenz zur – auch rasch wirkenden – Neugestaltung des Eigentumes zubilligt (und das wird hier nicht infrage gestellt), muss er jedenfalls den Wert der Substanz des Eigentumes durch eine kompensatorische finanzielle Entschädigung wahren.115 Diese finanzielle Kompensation hätte im Gesetz selbst geregelt werden müssen, insoweit gilt das Gleiche wie bei der Junktim-Klausel des Art. 14 Abs. 3 GG. Ich hatte bereits auf die erheblichen Schäden hingewiesen, die den Kraftwerksbetreibern infolge der sofortigen Stilllegung drohen, ebenso auf die frustrierten Aufwendungen.116 Diese Schäden sind die unmittelbare Folge des Eingriffes in das Eigentum, sie sind freilich nicht final bewirkt. Denn dem Gesetzgeber kam es zwar auf die sofortige Stilllegung der betroffenen acht Kernkraftwerke an, nicht aber auf die damit zwangsläufig verknüpften finanziellen Folgewirkungen. Diese Folgewirkun113 Dazu zutreffend Di Fabio, Der Ausstieg aus der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie, 1999, 163; BVerfGE 58, 137, 149 f. 114 Es wäre weiter zu untersuchen, ob das Gesetz den Anforderungen an den Vertrauensschutz entspricht (jahrelang wurden Investitionsentscheidungen auf der Grundlage spezifischer atomgesetzlicher Gewährleistungen getroffen), ob sie der Konsensvereinbarung genügt, den oben (B.II.2) erwähnten Anforderungen an das Verfahren entspricht sowie dem Gleichheitssatz aus Art. 3 GG und dem Gebot der Systemgerechtigkeit. 115 Kersten/Ingoldt, ZG 2011, 350, 372 ff.; Kersten, in: Kersten/Schuppert, Politikwechsel als Governance-Problem, 2012, 114, 123 f.; Wagner, in: Di Fabio/Durner/Wagner, Kernenergieausstieg 2011, 2013, 123, 171 ff. 116 Es handelt sich im Einzelnen um je nach Kraftwerk unterschiedliche Kosten für die Verlängerung der Nachbetriebsphase, für den unmittelbaren Rückstellungsbedarf, die Erfüllung vertraglicher Vereinbarungen (u. a. Ersatzstrombeschaffung), die Aufwendungen für die Brennelemente und nicht rentierliche Investitionen, die in der Größenordnung bei ca. EUR 300 Mio. je Kraftwerk liegen, s. o. A.II.1.
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gen sind unmittelbare und zwangsläufige Konsequenz des Eingriffes in das Eigentum. Um den Eingriff verhältnismäßig und zumutbar auszugestalten, müssen diese Wirkungen als Teil der entschädigungspflichtigen Inhaltsbestimmung ausgeglichen werden.117 3. Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG a) Verhältnis Art. 12 GG zu Art. 14 GG Die Regelungen der 13. AtG-Novelle sind nicht nur am Eigentumsgrundrecht des Art. 14 Abs. 1 GG zu messen, sondern auch an der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit der Kraftwerksbetreiber. Das Grundrecht der Berufsfreiheit schützt nach der Formulierung des Bundesverfassungsgerichts im wegweisenden Apotheken-Urteil von 1958 die Freiheit des Einzelnen, „jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als ’Beruf’ zu ergreifen, d. h. zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen“118. Das Grundrecht ist damit im Kern persönlichkeitsbezogen. Es ist eine spezifische Konkretisierung des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) und ist im hohen Maße zukunftsgerichtet. Es schützt den zukünftigen Erwerb durch die gewählte Tätigkeit.119 Das Eigentumsgrundrecht ist dagegen objektsbezogen und schützt den Bestand an vermögenswerten Gütern; es sichert so dem Einzelnen einen Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich.120 Nach diesen Maßstäben ist Art. 12 GG hier neben der Eigentumsgarantie anzuwenden. Beide Grundrechte stehen in einer Idealkonkurrenz zueinander. Eine ausschließlich eigentumsbezogene Betrachtung der 13. AtG-Novelle erschöpft den durch sie aufgeworfenen grundrechtlichen Schutzbedarf nicht. Die Regelungen betreffen nicht allein die konkreten Eigentumspositionen, die sie entziehen. Sie wirken sich ebenso stark auf die berufliche Tätigkeit der Kraftwerksbetreiber aus. b) Unzulässiger Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG Die 13. AtG-Novelle schränkt in schwerwiegender Art und Weise die wirtschaftliche Nutzbarkeit der kerntechnischen Anlagen und ihre Betriebsgenehmigungen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit der Betreiber der Anlagen ein. Das von den Kraftwerksbetreibern auf der Grundlage bestandskräftiger Genehmigungen jahrzehntelang rechtmäßig ausgeübte Gewerbe wird durch die Regelungen der 13. AtG-Novelle ganz oder zeitlich sukzessiv entzogen. Die Berufsausübung der Kraftwerksbetreiber wird unmöglich gemacht. Für das normativ gefestigte Berufsbild der „Kernenergieerzeugung“ – die 19 KKWs sind in jeweils eigenen Gesellschaften organisiert, und es 117
Eine andere Möglichkeit des finanziellen Regresses haben die Betreiber der Kernkraftwerke nicht. Die finanziellen Belastungen sind daher der Inhaltsbestimmung des Eigentumes zuzuordnen und als nicht finaler Eingriff zu entschädigen. 118 BVerfGE 7, 377, 397; siehe auch: BVerfGE 30, 392, 334; 1, 264, 274; 90, 330, 336 f. 119 BVerfGE 30, 292, 335. 120 BVerfGE 30, 292, 334; 20, 31, 34; 14, 288, 293.
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gibt eine Vielzahl personaler Berufsträger, die bei den Kernkraftwerken tätig sind –121 ist die 13. AtG-Novelle ein faktisches Verbot und wirkt mithin wie eine Berufswahlregelung. Eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende Rechtfertigung122 liegt für diesen Eingriff wohl nicht vor.123 Durch eine gesetzliche Entschädigungsregelung könnte ein kompensatorischer verfassungsrechtlicher Ausgleich hergestellt werden.124 Die Regelung wäre dann verfassungskonform. 4. Art. 3 Abs. 1 GG Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG geht bereits in die Prüfung des Art. 14 Abs. 1 GG ein, sodass eine gesonderte Prüfung nicht notwendig ist.125 Gleichwohl sei nochmals darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber bei der Enteignung sowie bei der Ausgestaltung des Eigentums auf eine strikte Gleichbehandlung zu achten hat. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt im Bereich des Art. 14 Abs. 1 GG, die Elemente einer inhaltsbestimmenden Regelung so zu ordnen, dass „einer unterschiedlichen Inanspruchnahme der Eigentümer und damit dem unterschiedlichen Gewicht ihrer Belange gegenüber den Belangen der Allgemeinheit hinreichend differenziert Rechnung getragen wird und einseitige Belastungen vermieden werden“126. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber diesen Maßstäben genügt. Er hat mit der 11. und 12. AtG-Novelle das Kontinuitätsgebot und die Folgerichtigkeit und Systemgerechtigkeit dieser Regelung betont. Und nun regelt er nur wenige Zeit später das Gegenteil und differenziert zwischen den Kernkraftwerken und ihren Betreibern ohne erkennbare Linie.127 Der Gesetzgeber muss insoweit den Details des 121
All das kann hier nicht weiter ausgeführt werden. Es reicht insoweit aus, in Stichworten thematisch den Zusammenhang aufzuzeigen. 122 Da es sich funktional um eine Berufswahlregelung handelt, ist sie nur zulässig, soweit „der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter es zwingend erfordert“ (s. BVerfGE 7, 377, 405 ff.; st. Rspr.). Ob bei einer veränderten Wahrnehmung des Restrisikos zwingende Gründe in diesem Sinne vorliegen, lasse ich an dieser Stelle dahingestellt. Es ist fraglich, ob eine Veränderung der Sicherheitsphilosophie ausreicht (verneinend etwa Ossenbühl, AöR 124 (1999), 1, 47 ff.). Die Anwendung von Art. 12 GG neben Art. 14 Abs. 1 GG bedürfte hier einer vertieften Betrachtung. Es bleibt an dieser Stelle offen, ob die unterschiedlichen Normbereiche dieser Grundrechte zu einer differenzierten Wertung führen. 123 Ein geringerer Rechtfertigungsmaßstab ergibt sich auch dann nicht, wenn man von einer Berufsausübungsregelung ausginge. Nach dem BVerfG ist eine Regelung, die sich nach der (formalen) Stufenlehre zwar als Berufsausübungsregelung zeigt aber in ihren Wirkungen einer Berufswahlbeschränkung gleich kommt, ebenfalls an den für Beschränkungen der Berufswahl geltenden strengen Anforderungen zu messen: BVerfGE 30, 292, 313 f.; 36, 47, 58 f.; 38, 61, 85 f.; 50, 290, 364; 82, 209, 229. 124 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu Art. 12 GG gleicht insoweit der Rechtsprechung zu Art. 14 Abs. 1 GG, vergleiche etwa BVerfGE 54, 251, 271; 57, 107, 117; Wieland, in: Dreier (Fn. 97), Art. 14 Rn. 132. 125 BVerfGE 71, 230, 255. 126 BVerfGE 58, 137, 150 f; zum Maßstab BVerfGE 98, 365, 385. 127 Dazu auch Durner, in: Di Fabio/Durner/Wagner (Fn. 76), 123, 150 ff.
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Sachverhalts, den besonderen Umständen eines jeden Kraftwerks und der normativ individuell geregelten Strommenge (auch aus der Novelle 2002) gerecht werden. Nur dann genügt er dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, unabhängig davon, an welcher Stelle dieser geprüft wird.
Völkerrechtliche Rahmenbedingungen des Kernenergieausstiegs Der Energiecharta-Vertrag und das Vattenfall-Verfahren vor dem ICSID-Schiedsgericht* Von Jörg Gundel, Bayreuth
I. Einleitung: Die rechtliche Überprüfung des Ausstiegs aus der Kernenergie Der beschleunigte Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie, den der deutsche Gesetzgeber im Sommer 2011 im Anschluss an die Katastrophe von Fukushima beschlossen hat1, trifft wirtschaftlich die vier in Deutschland tätigen großen Energieversorger und Kernkraftwerksbetreiber: E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW. Die drei zuerst genannten Unternehmen haben Verfassungsbeschwerden2 gegen die gesetzliche Regelung erhoben, die ihnen den Weiterbetrieb ihrer Anlagen untersagt.3 Nur EnBW hat auf diesen Schritt mit der Begründung verzichtet, dass es als staatseigenes Unternehmen4 kein Grundrechtsträger und eine Beschwerde damit wenig aussichtsreich sei; das Unternehmen hat allerdings festgehalten, dass es die Ausstiegsregelung ebenfalls als verfassungswidrig ansieht, und die Erwartung geltend gemacht, im Fall eines Erfolgs der Verfassungsbeschwerden gegenüber den Beschwerdeführern nicht benachteiligt zu werden.5
* Aktualisierte und mit Nachweisen versehene Fassung des am 8. 4. 2016 gehaltenen Vortrags; die Vortragsform wurde weitgehend beibehalten. 1 13. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes v. 31. 7. 2011, BGBl. I S. 1704. 2 Az. 1 BvR 2821/11 (E.ON), 1 BvR 321/12 (RWE) u. 1 BvR 1456/12 (Vattenfall). 3 s. die Neufassung des § 7 Abs. 1 a AtomG durch das Gesetz v. 31. 7. 2011 (Fn. 1), nach der die erteilten Betriebsgenehmigungen kraft Gesetzes zu den angegebenen Zeitpunkten erlöschen. 4 Das Unternehmen gehört nach dem – kurz vor der Katastrophe von Fukushima erfolgten – Rückkauf der von EdF gehaltenen Anteile durch das Land Baden-Württemberg zu je 47 % dem Bundesland und dem Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW), kleinere Beteiligungen werden von anderen öffentlich-rechtlichen Trägern gehalten; s. nur FAZ Nr. 299 v. 24. 12. 2015, S. 27: „EnBW-Eigner ziehen Notbremse bei Atom-Altlasten – Land und OEW lösen Aktionärsvereinbarung auf“. 5 s. FAZ Nr. 176 v. 31. 7. 2012, S. 13: „EnBW klagt nicht gegen Atomausstieg“.
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Die Verfassungsbeschwerde von Vattenfall wirft dabei ein besonderes Problem auf, weil dieses Unternehmen voraussichtlich nicht als grundrechtsberechtigt angesehen und die Beschwerde daher wohl als unzulässig abgewiesen werden wird, wenn das BVerfG bei dieser Gelegenheit nicht eine radikale Neuausrichtung seiner Rechtsprechung vornimmt: Denn Vattenfall ist ein schwedisches Unternehmen, das sich darüber hinaus zu 100 % im Besitz des schwedischen Staates befindet.6 Die fehlende Grundrechtsfähigkeit ergibt sich dabei nicht schon daraus, dass es sich um eine ausländische juristische Person handelt, die von der Erstreckung der Grundrechte auf juristische Personen durch Art. 19 Abs. 3 GG nicht erfasst wird: Das BVerfG hat in der Cassina-Entscheidung aus dem Jahr 2011 (und damit relativ spät) anerkannt, dass über diese Hürde das europarechtliche Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV) hinweghilft, soweit Unternehmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten betroffen sind.7 Nach dieser Weichenstellung sind Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten einer entsprechenden inländischen juristischen Person gleichzustellen: Das bedeutet allerdings in Bezug auf Vattenfall, dass die Gleichbehandlung mit einem deutschen Staatsunternehmen vorzunehmen ist, das aber nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ebenfalls nicht grundrechtsfähig ist;8 inländisches Gegenstück von Vattenfall wäre danach in grundrechtlicher Hinsicht das Staatsunternehmen EnBW. Dementsprechend bestreitet die Bundesregierung im laufenden Verfahren vor dem BVerfG die Zulässigkeit der Vattenfall-Beschwerde.9 Tatsächlich erfasst die Ratio dieser Rechtsprechung des BVerfG nicht nur inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts,10 sondern gilt auch für auslän-
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s. dazu das Zitat in Fn. 12. s. BVerfG, 19. 7. 2011 – 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78 = JZ 2011, 1112 m. krit. Anm. Hillgruber; ausführlich dazu Ludwigs, JZ 2013, 434 ff.; Strohmayr, in: Becker/Lange (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des BVerfG, Bd. 3, 2014, S. 143 ff.; s. jetzt auch präzisierend BVerfG (K), 4. 11. 2015 – 2 BvR 282/13, NJW 2016, 1436. 8 So im Ausgangspunkt die Leitentscheidung BVerfG, 2. 5. 1967 – 1 BvR 578/63, BVerfGE 21, 362; für das Privateigentum von Gemeinden kategorisch BVerfG, 8. 7. 1982 – 2 BvR 1187/ 80, BVerfGE 61, 82, 108 f. – Sasbach: „Art. 14 als Grundrecht schützt nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater“; zur Entwicklung der Rechtsprechung s. Harks, in: Emmenegger/Wiedmann (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 2, 2011, S. 107 (mit dem Hinweis S. 119, dass diese Fragen in Bezug auf ausländische Staatsunternehmen in jüngerer Zeit immer wieder im Energiesektor relevant geworden sind, nachdem hier verschiedene Staatsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten in Deutschland tätig sind); speziell für Energieversorger mit staatlicher Mehrheitsbeteiligung BVerfG (K), 16. 5. 1989 – 1 BvR 707/88, NJW 1990, 1783 = JZ 1990, 335 m. Anm. Kühne – HEW; BVerfG (K), 18. 5. 2009 – 1 BvR 1731/05, NVwZ 2009, 1282 – Mainova. 9 s. dazu FAZ Nr. 62 v. 14. 3. 2016, S. 17. 10 Innerhalb der EU besteht in dieser Frage der Grundrechtsträgerschaft staatlicher Einheiten allerdings kein einheitliches Bild, s. dazu z. B. Gundel, in: Grabenwarter (Hrsg.), Europäischer Grundrechteschutz, 2014, § 2 Rn. 25 ff. 7
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dische Einheiten oder Staaten.11 Insoweit greift zwar nicht das Konfusionsargument, nach dem die Grundrechte keinen Schutz des Staates „gegen sich selbst“ begründen sollen, wohl aber die tragende Erwägung der BVerfG-Rechtsprechung, dass ein Grundrechtsschutz für juristische Personen nur insoweit gerechtfertigt ist, als ein Durchgriff auf hinter der juristischen Einheit stehende natürliche Personen als die eigentlichen Grundrechtsträger12 möglich ist: Das scheidet bei inländischen wie ausländischen staatlich beherrschten Einheiten aus.
II. Die Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit als Option für ausländische Unternehmen Vattenfall hat allerdings neben der danach wenig aussichtsreich erscheinenden Verfassungsbeschwerde noch eine zweite Rechtsschutz-Option aktiviert, indem es ein Investitionsschutz-Schiedsgerichtsverfahren gegen Deutschland auf der Grundlage des Energiecharta-Vertrages13 eingeleitet hat,14 mit dem nach Mitteilung der Bundesregierung eine Entschädigungsforderung von knapp 4,7 Mrd. Euro geltend gemacht wird.15 Ein solches Verfahren können Unternehmen aus anderen Vertragsstaaten16 des Energiecharta-Vertrags einleiten, um eine Verletzung der in diesem Ab11 Zum grundsätzlichen Ausschluss der Grundrechtsfähigkeit fremder Staaten, die insoweit als ausländische juristische Personen des öffentlichen Rechts behandelt werden, s. BVerfG (K), 8. 2. 2006 – 2 BvR 575/05, NJW 2006, 2907 (Argentinien). 12 Ebenso Ludwigs, NVwZ 2016, 1, 2; s. für den Fall der deutschen Tochtergesellschaft der schwedischen Vattenfall BVerfG (K), 21. 12. 2009 – 1 BvR 2738/08, NVwZ 2010, 373, 374 = RdE 2010, 92: „Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich zwar um eine inländische juristische Person, die ihren Sitz im Inland hat (…). Die Anteile an der Beschwerdeführerin werden jedoch letztlich vollständig vom schwedischen Staat gehalten. Hiernach könnte die Bildung und Betätigung der Beschwerdeführerin ebenso wenig als Ausdruck der freien Entfaltung natürlicher Personen angesehen werden, wie dies grundsätzlich bei Personen der Fall ist, die vollständig von einem deutschen Hoheitsträger beherrscht werden.“ (Die Frage wurde freilich nicht abschließend entschieden, weil die Verfassungsbeschwerde als jedenfalls unbegründet angesehen wurde.) 13 ABl. EG 1994 L 380/3; ABl. EG 1998 L 69/5; 34 ILM (1995), 381 m. Einführung Wälde, S. 360 ff., sowie BGBl. 1997 II S. 5; näher zu diesem Abkommen u. III. 1. 14 Vattenfall AB u. a. ./. Deutschland, ICSID Case No ARB/12/12. 15 s. die Auskunft der Bundesregierung, BT-Drs. 18/3012 v. 31. 10. 2014, S. 2 f.; zum im Übrigen sehr zurückhaltenden Informationsverhalten der Bundesregierung s. noch V. 3.; zur faktischen Beschränkung der Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit auf die Gewährung von Schadenersatz s. u. III. 4. 16 Unschädlich ist es dabei auch, wenn Vermögensträger und Kläger eine inländische Tochtergesellschaft des Investors ist: Hier legt der EnCV die im Investitionsschutzrecht übliche Lösung zugrunde, auf die Staatsangehörigkeit der Eigentümer abzustellen, s. z. B. Art. 25 Abs. 2 lit. b ICSID-Konvention (u. Fn. 28); Art. 17 EnCV erlaubt nur den Ausschluss des Schutzes von Unternehmen, die tatsächlich von Investoren aus Nicht-Vertragsstaaten beherrscht werden. Hinter dieser Lösung bleibt in dieser Hinsicht das klassische völkerrechtliche Instrument des diplomatischen Schutzes zurück; dazu m.w.N. Gundel, ArchVR 51 (2013),
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kommen gewährleisteten Schutzstandards durch den Gaststaat der Investition geltend zu machen; in diesem Rahmen schadet die staatliche Trägerschaft des Unternehmens nicht, weil die Investitionsschutzabkommen nicht zwischen privaten und staatlich beherrschten Unternehmen unterscheiden17 und hier auch der menschenrechtliche Hintergrund fehlt, der den Ausschluss der Grundrechtsfähigkeit von Staatsunternehmen begründet. Vattenfall und Deutschland haben in Bezug auf solche Verfahren auch schon gemeinsame Erfahrungen gesammelt, weil Vattenfall eine derartige Schiedsklage schon im Streit um die Genehmigung des Kohlekraftwerks Moorburg erhoben hatte.18 Diese Klage, die schließlich durch einen Vergleich erledigt wurde, war das erste Investitionsschutz-Schiedsverfahren überhaupt, in dem Deutschland sich als beklagter Staat verteidigen musste, während solche Verfahren nach dem überkommenen Bild grundsätzlich von Investoren aus Industriestaaten gegen Entwicklungsländer betrieben werden.19 Dieses Verfahren und die folgende Klage Vattenfalls gegen den Kernenergie-Ausstieg scheinen in der deutschen politischen Landschaft eine durchaus traumatische Erfahrung begründet zu haben, die zumindest zum Teil auch die politische Mobilisierung gegen die Freihandelsabkommen CETA (EU-Kanada) und TTIP (EU-USA) und insbesondere gegen die in diesen Abkommen vorgesehenen Investitionsschutz-Schiedsverfahren20 erklärt.
III. Die Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit nach dem Energiecharta-Vertrag 1. Der Hintergrund des Energiecharta-Vertrages Grundlage des Vattenfall-Verfahrens ist damit der wenig bekannte EnergiechartaVertrag; dieses völkerrechtliche Abkommen sollte nach dem Ende des Kalten Krieges die Ost-West-Zusammenarbeit im Energiesektor auf eine tragfähige Grundlage
108, 131; Franke, Der personelle Anwendungsbereich des internationalen Investitionsschutzrechts, 2013, S. 105 ff., 181 ff. 17 Dazu z. B. Feldman, 31 ICSID Review (2016), 24 ff.; Konrad, in: Bungenberg/Griebel/ Hobe/Reinisch (eds.), International Investment Law, 2015, S. 545 ff.; Ludwigs, NVwZ 2016, 1, 5. 18 Vattenfall AB, Vattenfall Europe AG, Vattenfall Europe Generation AG ./. Deutschland, ICSID Case No. ARB/09/06, Award v. 11. 3. 2011 (abrufbar unter www.encharter.org); zu diesem Verfahren s. z. B. Krajewski, ZUR 2014, 396, 398 f.; Cameron, International Energy Investment Law, 2010, Rn. 8.42 ff.; Tams, NordÖR 2010, 329 ff. 19 Dazu noch u. V. 2. mit Fn. 94. 20 Zu dieser Diskussion s. z. B. Hess, in: FS Stein, 2015, S. 163 ff.; Karl, RIW 2015, 41 ff.; Hoffmeister, ArchVR 53 (2015), 35, 50 ff.; Bungenberg, in: FS Müller-Graff, 2015, S. 857 ff.; zu den Kritikpunkten noch u. V.
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stellen.21 Aus damaliger Sicht bestand die Chance einer win-win-Situation: Die westund mitteleuropäischen Industriestaaten waren (und sind) auf Energieimporte angewiesen und verfügten zugleich über das notwendige Kapital für entsprechende Investitionen; die osteuropäischen Staaten und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion besaßen die natürlichen Ressourcen, aber nicht die Mittel, um sie zu erschließen. Vor diesem Hintergrund hatte die EU die Initiative zur Ausarbeitung des EnCV ergriffen, der 1994 zur Ratifikation aufgelegt wurde und 1998 in Kraft getreten ist. Entsprechend der geschilderten Interessenlage deckt er vor allem zwei Bereiche ab: Zum einen werden Energie-Investitionen in anderen Vertragsstaaten unter besonderen Schutz gestellt – das betrifft das hier relevante Kapitel zum Investitionssschutz –, zum anderen soll auch der Transit von Energie zwischen den Vertragsstaaten erleichtert werden. Das Abkommen verbindet damit Elemente eines Freihandelsvertrags mit den Strukturen eines Investitionsschutzabkommens, wie sie sich seit dem Ende der 1950er Jahre in zahlreichen bilateralen Investitionsschutzverträgen etabliert haben.22 Die erhoffte Bedeutung als Ost-West-Brücke im Energiesektor hat der Vertrag allerdings nie entfalten können, weil insbesondere Russland, das in diesem Konzept als Herkunfts- und als Transitstaat für Energielieferungen eine zentrale Rolle spielte, den Prozess zwar zunächst mitgetragen und das Abkommen – noch in der Zeit von Präsident Jelzin – unterzeichnet hat, schließlich aber nach einer längeren Periode der Unklarheit im Jahr 2009 explizit zu erkennen gegeben hat, dass eine endgültige Bindung in Form der Ratifikation nicht mehr erfolgen wird.23 Hinzu kommt, dass zahlreiche der ursprünglichen Nicht-EU-Vertragsstaaten zwischenzeitlich der Union beigetreten sind, in deren Rahmen ohnehin die Regeln des Energie-Binnenmarktes gelten,24 was die besondere Absicherung als entbehrlich erscheinen lässt; tatsächlich stellen die EU-Mitgliedstaaten heute die Mehrheit der 50 EnCV-Vertragsstaaten25 – womit die noch zu behandelnde Frage zentrale Bedeutung erlangt, ob der Vertrag auch im Verhältnis unter EU-Mitgliedstaaten Geltung beansprucht.26 Ob der ins Stocken geratene Energiecharta-Prozess durch die im Frühjahr 2015 proklamierte 21 Zu Entstehung und Inhalt des EnCV s. Gundel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Bd. 1/1, 3. A. 2014, Einl. D Rn. 303 ff.; Happ, in: Bungenberg u. a. (Fn. 17), S. 240 ff.; Germelmann, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, EnCharta Rn. 4 ff. (88. EL 2016). 22 Für einen Überblick zur Entwicklung der Investitionsschutzabkommen s. z. B. Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, 2009, § 18, S. 801 ff.; Brown, in: Bungenberg u. a. (Fn. 17), S. 153 ff.; Leben, in: ders. (dir.), Droit international des investissements et de l’arbitrage transnational, 2015, S. 1, 47 ff. 23 Dazu m.w.N. Gundel, in: Säcker (Fn. 21), Einl. D Rn. 306; Germelmann (Fn. 21), Rn. 46 ff. 24 s. dazu im Überblick Gundel, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, EuEnR Rn. 46 ff. (79. EL 2013); Ludwigs, in: Ruffert (Hrsg.), Europäisches sektorales Wirtschaftsrecht, 2012, § 5 Rn. 121 ff. 25 s. zum Stand der Ratifikationen www.encharter.org. 26 s. dazu noch unter IV. 1.
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– rechtlich nicht bindende – Internationale Energiecharta27 wiederbelebt werden kann, erscheint fraglich. 2. Der Investitionsschutz als aktives Feld des EnCV Wirkliche Dynamik hat der EnCV tatsächlich nur im Bereich des Investitionsschutzes entfaltet; hier eröffnet Art. 26 des Abkommens betroffenen Investoren prozessual die Wahl zwischen einem Schiedsverfahren nach dem ICSID-Abkommen28 – diesen Weg hat Vattenfall eingeschlagen – , einer Ad-hoc-Schiedsgerichtsbarkeit nach den UNCITRAL-Regeln29 oder einem Schiedsverfahren im Rahmen des Instituts für Schiedsverfahren der Stockholmer Handelskammer. Eine förmliche Koordination mit nationalen Gerichtsverfahren sieht der EnCV nicht verpflichtend vor,30 insbesondere besteht keine Verpflichtung zur Erschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe.31 Das in diesem Bereich nun vorliegende Fallmaterial ist tatsächlich beachtlich: Die ersten Verfahren wurden 2001 eingeleitet, inzwischen liegen über 90 anhängige oder bereits abgeschlossene Schiedsverfahren zwischen Vertragsstaaten und Investoren aus anderen Vertragsstaaten vor.32 Dazu zählt mit einer im Sommer 2014 erfolgten Verurteilung Russlands zu 50 Mrd. Dollar Schadenersatz die höchste bisher bekannt gewordene Urteilssumme in einem Investitionsschutz-Schiedsverfahren;33 betroffen 27
Der Text dieser im Mai 2015 von 72 Staaten und 3 Internationalen Organisationen unterzeichneten Erklärung findet sich unter www.encharter.org; s. dazu Gundel, in: SchmidtPreuß/Körber (Hrsg.), Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 312, 326. 28 Convention on the Settlement of Investment Disputes between States and Nationals of Other States, 4 ILM (1965), 532 = BGBl. 1969 II S. 371; zu ihr z. B. Schöbener/Markert, ZVglRWiss 105 (2006), 65 ff.; Hofmann/Tams (eds.), The International Convention on the Settlement of Investment Disputes (ICSID) – Taking Stock after 40 Years, 2007; Horchani (éd.), Le CIRDI 45 ans après. Bilan d’un système, 2011; Parra, 28 ICSID Review (2013), 169 ff. 29 s. www.uncitral.org; zu den neuen UNCITRAL-Transparenzregeln für die Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit s. u. V. 3. 30 Art. 26 Abs. 2 lit. b EnCV eröffnete den Vertragsstaaten die Möglichkeit, den Zugang zur Schiedsgerichtsbarkeit auszuschließen, wenn nationaler Rechtsschutz in Anspruch genommen wurde (sog. Fork in the Road-Klausel), s. m.w.N. Gundel, in: Säcker (Fn. 21), Rn. 337; Deutschland hat hiervon keinen Gebrauch gemacht. 31 s. Art. 26 Abs. 2 lit. a EnCV; allgemein zur Bedeutung nationaler Rechtsbehelfe im Investitionsschutzrecht s. Gindler, Die local remedies rule im Investitionsschutzrecht, 2014. Bei den nun parallel vor dem BVerfG und dem ICSID-Schiedsgericht anhängigen Verfahren liegt Identität im Sinne einer anderweitigen Rechtshängigkeit nicht vor, weil weder das Klageziel noch die anwendbaren Maßstabsnormen übereinstimmen, s. zum Problem Audit, in: Leben (Fn. 22), S. 941, 957 ff.; Cuendet, in: de Nanteuil (dir.), L’accès de l’investisseur à la justice arbitrale, 2015, S. 107, 117 ff. 32 s. die Auflistung unter www.encharter.org (96 Verfahren im Juni 2016). 33 Final Awards v. 18. 7. 2014, PCA Case No AA 226 – Hulley Enterprises Ltd (Cyprus) ./. Rußland; PCA Case No AA 227 – Yukos Universal Ltd. (Isle of Man) ./. Rußland; PCA Case
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war hier die Zwangsverstaatlichung des russischen Ölkonzerns Yukos, gegen die sich Anteilseigner mit Sitz in anderen Vertragsstaaten gewehrt hatten.34 Zur Erklärung ist hinzuzufügen, dass Russland das Abkommen zwar – wie erwähnt – nicht ratifiziert, aber unterzeichnet hatte, was nach Art. 45 Abs. 1 des Vertrages mit dessen vorläufiger Anwendbarkeit verbunden war: Diese vorläufige Anwendbarkeit genügte nach Auffassung des Schiedsgerichts, um seine Kompetenz zu begründen.35 3. Die materiellen Schutzstandards des EnCV Der EnCV gewährleistet in seinem Art. 13 wie praktisch alle InvestitionsschutzAbkommen Schutz vor entschädigungslosen Enteignungen – auch soweit sie auf Umweltschutzgründen beruhen („environmental taking of property“). Der Schutz umfasst dabei auch indirekte oder de facto-Enteignungen,36 wie sie etwa im Fall von Yukos gegeben war;37 der enge Enteignungsbegriff der deutschen Verfassungsdogmatik findet sich hier nicht wieder.38 In jüngerer Zeit steht in der Investitionsschutz-Schiedspraxis allerdings weniger dieses klassische Enteignungsverbot, sondern vor allem der in den Investitionsschutzabkommen eigenständig normierte Standard der fairen und angemessenen Behandlung (fair and equitable treatment)39 im No AA 228 – Veteran Petroleum Ltd. (Cyprus) ./. Russland, verfügbar unter www.pca-cpa.org; s. auch FAZ Nr. 173 v. 29. 7. 2014, S. 15. Zu im Anschluss erfolgten Schritten zur Vollstreckung der Schiedsurteile in westeuropäischen Staaten s. FAZ Nr. 141 v. 22. 6. 2015, S. 6; zur Vollstreckungsfrage auch Fouret/Daureu, 30 ICSID Review (2015), 336 ff.; Uchkunova/Temnikov, 29 ICSID Review (2014), 187 ff. 34 Ein Parallelverfahren vor dem EGMR wegen Verletzung der Eigentumsgarantie aus Art. 1 des 1. ZP zur EMRK hat ebenfalls zur einer Verurteilung geführt, EGMR (1. Sektion), 31. 7. 2014 – OAO Neftyanaya Kompaniya Yukos ./. Russland; dazu De Brabandere, 30 ICSID Review (2015), 345 ff. 35 So die Zwischenentscheidungen zur Zuständigkeit in den Yukos-Verfahren v. 30. 11. 2009 – Hulley Enterprises LtD (Cyprus) ./. Russland, Tz. 395; Veteran Petroleum Trust (Cyprus) ./. Russland, Tz. 395; Yukos Universal Ltd (Isle of Man) ./. Russland, Tz. 395; dazu z. B. Gazzini, 30 ICSID Review (2015), 293 ff.; Ishikawa, 31 ICSID Review (2016), 270 ff.; zuletzt wurde allerdings berichtet, dass das Bezirksgericht Den Haag diese Grundlage als unzureichend beanstandet hat, s. FAZ Nr. 97 v. 21. 4. 2016, S. 21: „Moskau triumphiert im Fall Yukos“. 36 Zum Begriff s. eingehend Kriebaum, in: Bungenberg u. a. (Fn. 17), S. 959 ff.; Dupuy/ Radi, in: Leben (Fn. 22), S. 375 ff.; monographisch de Nanteuil, L’expropriation indirecte en droit international de l’investissement, 2013; zu Einschränkungen in neueren Abkommen s. u. Fn. 97. 37 Zu dieser Einordnung s. z. B. Gibson, 30 ICSID Review (2015), 303 ff. 38 Dazu auch Ludwigs, NVwZ 2016, 1, 6. 39 Zum Gehalt dieser in bilateralen Investitionsschutzabkommen verbreiteten Formel s. in jüngerer Zeit z. B. Paparinskis, Minimum Standard and Fair and Equitable Treatment, 2011; Kläger, Fair and Equitable Treatment in International Investment Law, 2011; Tudor, The Fair and Equitable Treatment Standard, 2008; zuvor z. B. Vasciannie, 70 BYIL (1999), 99 ff.; zuletzt v. Hammerstein/Roegele, SchiedsVZ 2015, 275 ff.; Nouvel, in: Leben (Fn. 22), S. 287 ff.
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Vordergrund,40 den auch der EnCV in Art. 10 Abs. 1 gewährleistet; hierzu gehört auch die Gewährung von Vertrauensschutz.41 Abzuwarten bleibt, wie unter diesen Prämissen das Schiedsgericht die sprunghafte deutsche Politik der Jahre 2010 und 2011 bewerten wird;42 diese Unsicherheit ist unvermeidbar mit den sehr abstrakten Vorgaben verbunden. Neben dem Vattenfall-Verfahren sind im Übrigen derzeit auch zahlreiche Klagen vor allem von deutschen Investoren anhängig, die sich unter Berufung auf den EnCV gegen die Kürzungen der Förderung für Erneuerbare-Energien-Vorhaben in Spanien43 und Tschechien44 wenden, die diese Staaten im Gefolge der Finanzkrise vorgenommen hatten;45 in jüngerer Zeit sind aus diesem Grund auch Klagen gegen Italien anhängig gemacht worden.46 Diese Konstellation zeigt, dass die InvestitionsschutzStandards nicht – wie das im Zusammenhang des Vattenfall-Verfahrens häufig geschehen ist – eindimensional als Hindernis für die nationale Umweltpolitik eingeordnet werden können; sie bieten vielmehr Vertrauensschutz gegen abrupte staatliche Kurswechsel, die auch eine Verminderung des Umweltschutzes und entsprechender Investitionsanreize beinhalten können.47 4. Bisheriges Verfahren und mögliche Konsequenzen Die bisherigen Verfahrensschritte lassen sich in Umrissen auf der ICSID-Webseite ablesen.48 Soweit erkennbar hat Deutschland zunächst die Abweisung der Klage 40
Zu dieser Verlagerung s. z. B. McLachlan, 57 ICLQ (2008), 361, 375 ff. Zur umstrittenen Frage, ob dieser Schutz eigenständig oder als Teil des FET-Standards zu verankern ist, s. Lorz, in: Bungenberg. u. a. (Fn. 17), S. 764, 786 ff. 42 Zu den Abläufen um die 2010 zunächst durch das 11. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes v. 8. 12. 2010, BGBl. I S. 1814, beschlossene Verlängerung der Laufzeiten, den teils mit dem Klimaförderfonds-Vertrag vertraglich zugesagten Gegenleistungen und zur Kehrtwende nach Fukushima s. z. B. Kloepfer/Bruch, JZ 2011, 377 ff. Fraglich ist dabei u. a., inwieweit mit diesen Maßnahmen entschädigungsbedürftige Vertrauenstatbestände geschaffen wurden; skeptisch insoweit Ludwigs, NVwZ 2016, 1, 6, unter dem Vorbehalt, dass Vattenfall konkrete Investitionen nachweisen könne, die im Vertrauen auf die damaligen Entscheidungen getätigt wurden. 43 s. u.a. Stadtwerke München GmbH, RWE Innogy GmbH u. a. ./. Spanien, ICSID Case No. ARB/15/1; BayWa r.e. Renewable Energy GmbH u. a. ./. Spanien, ICSID Case No. ARB/ 15/16; Landesbank Baden-Württemberg u. a. ./. Spanien, ICSID Case No. ARB/15/45. 44 s. z. B. ICW Europe Investments Ltd. ./. Tschechien, Case registered 8. 5. 2013 (UNCITRAL-ad-hoc-Schiedsgericht); Natland Investment Group NV u. a. ./. Tschechien, Case registered 8. 5. 2013 (UNCITRAL-ad-hoc-Schiedsgericht); Antaris Solar u. a. ./. Tschechien, Case registered 8. 5. 2013 (UNCITRAL-ad-hoc-Schiedsgericht). 45 s. speziell zu diesen Verfahren Reuter, RIW 2014, 43 ff.; ders., BKR 2013, 485 ff. 46 s. Blusun u. a. ./. Italien, ICSID Case No ARB/14/3; Silver Ridge Power BV ./. Italien, ICSID Case No ARB/15/37; Belenergia SA ./. Italien, ICSID Case No ARB/15/40. 47 Dazu Escher/Sliskovic, RIW 2016, 190, 200, die zu Recht monieren, dass diese Konstellation in der TTIP-Diskussion nicht berücksichtigt wird. 48 s. https://icsid.worldbank.org. 41
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als offensichtlich unbegründet beantragt und im Anschluss die Zulässigkeit der Klage bestritten; zwischenzeitlich haben die Parteien aber auch Schriftsätze zur Begründetheit eingereicht.49 Im Sommer 2015 hat zudem die EU-Kommission als amicus curiae50 im Verfahren Stellung genommen; der Inhalt dieser Stellungnahme ist offiziell nicht bekannt,51 er lässt sich aber vermuten, weil die Kommission bereits in anderen Schiedsverfahren Stellung genommen hat und diese Position in den Gründen der dazu ergangenen Schiedsurteile52 wiedergegeben ist: Danach wird die europarechtliche Zulässigkeit von Schiedsverfahren zwischen EU-Mitgliedstaaten bestritten.53 Im Erfolgsfall wird in der Praxis keine Verpflichtung zur Naturalrestitution ausgesprochen – was theoretisch möglich wäre54 –, sondern nur eine Entschädigung zugesprochen.55 Es ergeht insoweit aber ein verbindliches Urteil, zu dessen Beachtung nicht nur der verklagte Staat verpflichtet ist, sondern das auch in allen anderen Vertragsstaaten der ICSID-Konvention wie ein Urteil der eigenen staatlichen Gerichte vollstreckbar ist (Art. 54 ICSID-Konvention). Im Fall des Obsiegens von Vattenfall wäre damit die Energiewende zwar nicht unmöglich, sie würde aber teurer werden.
IV. Kollisionen mit Europarecht? Die Frage nach einer Kollision zwischen Energiecharta-Vertrag und EU-Recht erscheint auf den ersten Blick überraschend, weil der Energiecharta-Vertrag ja historisch ein EU-Projekt ist.56 Seit seiner Erarbeitung haben sich die europarechtlichen Koordinaten allerdings tatsächlich deutlich verändert, weil mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon die Außenhandelskompetenz der EU auf den Investitionsschutz erweitert worden ist. Auch rechtstatsächlich sind unerwartete Veränderungen eingetreten, nachdem der EnCV in jüngerer Zeit vor allem für Verfahren zwischen 49
Zum weiteren Fortgang s. auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 18/3721 v. 13. 1. 2015, S. 4, wonach mit einer mündlichen Verhandlung im Sommer 2016 gerechnet werde. 50 Regel 37 (2) der ICSID Arbitration Rules erlaubt die Zulassung solcher Stellungnahmen von Nicht-Streitparteien; zur inzwischen entwickelten Kommissionspraxis s. Menétrey, JDI 2010, 1127 ff. 51 Zur Kritik an der fehlenden Transparenz der Verfahren s. noch u. V. 3. 52 s. insbes. zum EnCV Electrabel ./. Ungarn, ICSID Case No ARB/07/19, Decision on Jurisdiction, Applicable Law and Liability v. 30. 11. 2012, Tz. 4.92 ff.; zu Intra-EU-BITs s. Eureko B.V. ./. Slowakei, PCA Case No 2008 – 13, Award on Jurisdiction, arbitrability and Suspension v. 26. 10. 2010, §§ 175 ff. 53 s. zu diesen Einwänden noch unter IV. 54 Dazu Marboe, in: Bungenberg u. a. (Fn. 17), S. 1031, 1036; Krönke, ZaöRV 2016, 97, 116 f., 135 ff. 55 s. m.w.N. Krönke, ZaöRV 2016, 97, 137 ff. 56 s. o. III. 1.; zu dieser überraschenden Neubewertung auch Kottmann, EuZW 2015, 729.
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EU-Mitgliedstaaten in Anspruch genommen wird; bei mehr als der Hälfte der Verfahren handelt es sich nun um solche sog. Intra-EU-Verfahren.57 1. Kein Investitionsschutz für Intra-EU-Streitigkeiten? Die Frage der Zulässigkeit solcher Intra-EU-Streitigkeiten – also Schiedsverfahren durch EU-Investoren gegen die EU oder ihre Mitgliedstaaten – ist ein neues Phänomen, das auch darauf zurückgeht, dass die neuen osteuropäischen Mitgliedstaaten vor dem EU-Beitritt entsprechende bilaterale Abkommen mit Alt-Mitgliedstaaten (oder anderen späteren Neu-Mitgliedern) abgeschlossen haben. Die EU-Kommission verficht allerdings seit einiger Zeit die Auffassung, dass zwischen EU-Mitgliedstaaten abgeschlossene Investitionsschutz-Abkommen gegen EU-Recht verstoßen,58 ist mit dieser Ansicht aber bisher nicht durchgedrungen.59 Das gewichtigste Argument ist dabei wohl eine Diskriminierung von Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten, im Verhältnis zu denen entsprechende Abkommen nicht bestehen. Die Überzeugungskraft dieses Einwands ist schon für sich genommen zweifelhaft;60 auf den Energiecharta-Vertrag passt das Argument aber schon rechtstatsächlich nicht, weil ja alle EU-Mitgliedstaaten durch den EnCV gebunden sind.61
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s. Coop, 29 ICSID Review (2014), 515, 517; Sackmann, SchiedsVZ 2015, 15, 17. Dazu z. B. Moskvan, 22 MJ (2015), 732 ff.; die Kommission hat in diesem Zusammenhang im Sommer 2015 Vertragsverletzungsverfahren gegen die Niederlande, Österreich, Rumänien, Schweden und die Slowakei eingeleitet, mit denen die Unterlassung der Kündigung bestehender bilateraler Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten als Verstoß gegen EU-Recht verfolgt wird, s. die Pressemitteilung IP/15/5198 v. 18. 6. 2015; dazu Kottmann, EuZW 2015, 729 f. 59 Die Schiedsgerichte, denen die Kommission diese Position als amicus curiae vorgetragen hat, sind der Argumentation in der Sache nicht gefolgt, s. o. Fn. 52; für die Vereinbarkeit mit EU-Recht auch ausführlich OLG Frankfurt, 10. 5. 2012 – 26 SchH 11/10 (Eureko), IPRax 2013, 83 m. Anm. Tietje S. 64 ff.; dazu Schäfer/Gaffney, SchiedsVZ 2013, 68 ff. (ohne Stellungnahme in der Sache bestätigt durch BGH, 19. 9. 2013 – III ZB 37/12, IPRax 2015, 350 m. Anm. Griebel S. 324 ff.); nochmals OLG Frankfurt, 18. 12. 2014 – 26 Sch 3/13 – juris, Tz. 51 ff.; nun hat in diesem Fall der BGH dem EuGH vorgelegt, s. BGH, 3. 3. 2016 – I ZB 2/ 15, EuZW 2016, 512 m. Anm. Kottmann (anhängig als Rs. C-284/16 – Achmea). 60 Eine solche Meistbegünstigung müsste auch für Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den Mitgliedstaaten gelten, was der EuGH aber verneint hat, EuGH, 5. 7. 2005 Rs. C-376/03 (D.), Slg. 2005, I-5821, Tz. 53 ff. = RIW 2005, 713 m. Anm. Weggenmann; außerdem wäre die Diskriminierung nicht durch Entzug, sondern durch Ausweitung der Begünstigung zu beheben; zu beiden Punkten Tietje, IPRax 2013, 64, 68; zum zweiten Kaddous, SZIER 2013, 3, 5. 61 Vertragsparteien sind heute allerdings nur noch 27 der 28 Mitgliedstaaten, nachdem Italien die Mitgliedschaft im Dezember 2014 gekündigt hat und damit seit Anfang 2016 nicht mehr Vertragspartei ist, s. www.encharter.org/who-we-are/members-observers/countries/italy; dazu Escher/Sliskovic, RIW 2016, 190, 196; die Bindung durch den Investitionsschutz wirkt allerdings noch 20 Jahre fort, s. Art. 47 Abs. 3 EnCV sowie noch u. Fn. 116. 58
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Dass auch Energie-Investitionen zwischen EU-Mitgliedstaaten dem Schutzregime des EnCV unterliegen62, war ursprünglich wohl kaum bedacht worden; es wird durch den Text des Abkommens aber eben auch nicht ausgeschlossen, obwohl sich solche Ausschlussklauseln, nach denen ein multilateraler Vertrag nicht im Verhältnis zwischen EU-Mitgliedern gelten soll, in anderen Abkommen durchaus finden.63 Insofern steht die Argumentation der Kommission zum EnCV, nach der die EU und ihre Mitgliedstaaten als eine Vertragspartei zu behandeln seien und daher bei Intra-EU-Verfahren kein Streit mit einem Investor aus einem anderen Vertragsstaat vorliege,64 auf schwachen Füßen. 2. Kompetenzübergang auf die EU? Der Vertrag von Lissabon begründet in Art. 207 Abs. 1 AEUVals Teil der Außenhandelskompetenz eine (ausschließliche) Zuständigkeit der EU auch im Bereich des Investitionsschutzes.65 Die Reichweite dieser Kompetenz ist umstritten;66 diese Diskussion betrifft aber jedenfalls nur das Verhältnis zu Drittstaaten, nicht aber die sog. Intra-EU-Abkommen, die von der Außenhandelskompetenz der EU auf keinen Fall erfasst werden.67 3. Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit und EU-Beihilfenrecht Ein weiterer möglicher Konfliktherd ist das EU-Beihilfenrecht: Auf das Konfliktpotential hat die aufsehenerregende Micula-Entscheidung der Kommission vom
62 Allgemein zu dieser Möglichkeit Kleinheisterkamp, 15 JIEL (2012), 85 ff.; Burgstaller, 26 Journal of internat. Arbitration (2009), 181 ff.; Coop, 27 JENRL (2009), 404 ff.; Tietje, The Applicability of the Energy Charter Treaty in ICSID Arbitration of EU Nationals vs. EU Member States, 2008. 63 s. z. B. Art. 27 der Fernsehkonvention des Europarats von 1989 (ETS Nr. 132); zum Phänomen z. B. Economides/Kolliopoulos, RGDIP 2006, 273 ff. 64 So zuletzt der amicus curiae-Vortrag der Kommission im Fall Charanne, s. Endurteil v. 21. 1. 2016, SCC No 062/2012 – Charanne BV u. a. ./. Spanien, §§ 433 ff. (in spanischer Sprache verfügbar unter www.italaw.com). 65 s. dazu die Kommissionsmitteilung „Auf dem Weg zu einer umfassenden europäischen Auslandsinvestitionspolitik“, KOM (2010) 343 endg. v. 7. 7. 2010; Art. 3 der VO (EU) Nr. 1219/2012 des EP und des Rates v. 12. 12. 2012 zur Einführung einer Übergangsregelung für bilaterale Investitionsschutzabkommen zwischen den Mitgliedstaaten und Drittländern, ABl. EU 2012 L 351/40, stellt klar, dass von den Mitgliedstaaten mit Drittstaaten geschlossene Abkommen fortgelten, bis sie durch ein von der EU geschlossenes Abkommen ersetzt werden. 66 s. zur Diskussion ausführlich Ahner, Investor-Staat-Schiedsverfahren nach Europäischem Unionsrecht, 2015, S. 92 ff. 67 So zu Recht Ahner (Fn. 66), S. 96 f.; Engel, SchiedsVZ 2015, 218, 222; Sackmann, SchiedsVZ 2015, 15, 17; Tietje, IPRax 2013, 64; anders, aber ohne Problematisierung Miron, 20 ELJ (2014), 332, 338.
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März 201568 aufmerksam gemacht, mit der die Erfüllung eines Schiedsurteils durch den rumänischen Staat als staatliche Beihilfe beanstandet und untersagt wurde.69 Diese Durchschlagskraft des Beihilfenrechts ist nicht verwunderlich, nachdem ihm auch rechtskräftige Urteile staatlicher Gerichte weichen müssen – wie zuletzt das EuGH-Urteil vom Oktober 2015 in der Rs. Klausner Holz70 festgehalten hat. Dahinter steht die Befürchtung des Gerichtshofs, dass der beihilfengewährende Staat und das empfangende Unternehmen sich hier durch eine gemeinsam herbeigeführte Entscheidung gegenüber der Beihilfenkontrolle durch die Kommission absichern könnten71 – wobei eine solche Gefahr kollusiven Zusammenwirkens sicher gegeben ist, in jüngerer Zeit aber auch häufiger der Fall auftritt, dass der Staat sich nachträglich aus einer Verpflichtung lösen will und sich zu diesem Zweck selbst gegenüber dem Unternehmen und der EU-Kommission auf einen Verstoß gegen Beihilfenrecht beruft.72 Diese besondere Durchschlagskraft des EU-Beihilfenrechts ist aber jedenfalls kein grundsätzliches Argument gegen die Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit als solche, genauso wenig wie gegen die Entscheidungszuständigkeit nationaler – staatlicher – Gerichte,73 deren rechtskräftige Entscheidungen im jeweiligen Einzelfall auch durch das Beihilfenrecht konterkariert werden können. In dieser Lage können die Schiedsgerichte nur versuchen, den Konflikt dadurch zu vermeiden, dass sie selbst die Maßstäbe des EU-Beihilfenrechts anwenden und damit ihre Entscheidung unionsrechtlich absichern.74 Zur Anwendung des EU68 Beschluß (EU) 2015/1470 der Kommission v. 30. 3. 2015 über die von Rumänien durchgeführte staatliche Beihilfe SA.38517 (2014/C) (ex 2014/NN) – Schiedsspruch vom 11. 12. 2013 in der Sache Micula ./. Rumänien, ABl. EU 2015 L 232/43; Grundlage des Schiedsurteils war in diesem Fall ein BIT zwischen Schweden und Rumänien. 69 Dagegen sind Klagen der begünstigten Unternehmen anhängig, Rs. T-624/15 (European Food u. a./Kommission), T-694/15 (Micula/Kommission), T-704/15 (Micula u. a./Kommission). 70 EuGH, 11. 11. 2015 Rs. C-505/14, EWS 2015, 334 = DVBl. 2016, 42 m. Anm. Frenz; s. in diesem Sinne erstmals EuGH, 18. 7. 2007 Rs. C-119/05 (Lucchini), Slg. 2007, I-6199 = EuR 2007, 642 m. Anm. Hatje = JZ 2008, 141 m. Anm. Haratsch/Hensel = EWS 2007, 402 m. Bespr. Germelmann S. 392 ff. = JA 2008, 158 m. Anm. Gundel; dazu Biondi, 45 CMLRev. (2008), 1459 ff.; Nebbia, 33 ELRev. (2008), 427 ff.; weiter EuGH, 22. 12. 2010 Rs. C-507/08 (Kommission/Slowakei), Slg. 2010, I-13489; dazu Simon, Europe 2/2011, 10 f.; zuletzt EuG, 16. 7. 2014 Rs. T-309/12 (Zweckverband Tierkörperbeseitigung/Kommission), Tz. 229 ff., 243 ff.; dazu Kühling/Schwendinger, EWS 2015, 1, 7. 71 s. entsprechend schon zu nationalen Ausschlussfristen für die Rücknahme von Verwaltungsakten EuGH, 20. 3. 1997 Rs. C-24/95 (Alcan), Slg. 1997, I-1591 = EuZW 1997, 276 m. Anm. Hoenike = JZ 1997, 722 m. Anm. Classen. 72 Dazu Gundel, EWS 2016, 2, 6; für eine solche Konstellation s. auch EuG, 28. 1. 2016 Rs. T-427/12 (Österreich/Kommission), EWS 2016, 27 (Klage Österreichs gegen die Genehmigung der österreichischen Beihilfen für die zahlungsunfähige Bank Hypo Alpe-Adria). 73 Ähnlich Anou, JDI 2015, 505, 517 f. 74 So im Fall Electrabel (Fn. 52): Hier hat das Schiedsgericht Vertrauensschutz in Bezug auf eine EU-beihilfenrechtswidrige Förderung verneint, weil dem Investor die Mechanismen des EU-Beihilfenrechts bekannt sein mussten; zu dieser Entscheidung Kulick, SchiedsVZ 2013, 81 ff.
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Rechts sind sie ohnehin verpflichtet, soweit es für den Sachverhalt Geltung beansprucht;75 dabei sind sie allerdings anders als die (mitglied-)staatlichen Gerichte auf sich allein gestellt, nachdem ihnen die Möglichkeit der Vorlage an den EuGH nicht offensteht.76 4. Genereller Ausschluss „fremder“ Gerichtsbarkeit im EU-Rechtsraum? Im Anschluss an das im Dezember 2014 ergangene EuGH-Gutachten zum EMRK-Beitritt,77 das grundsätzliche Vorbehalte gegen die Auslegung von EURecht durch nicht der EU-Rechtsordnung unterworfene Gerichte erkennen lässt, finden sich in der Literatur Überlegungen, ob eine mit der schiedsgerichtlichen Zuständigkeit ggf. verbundene Auslegung und Anwendung von EU-Recht durch „fremde“ Gerichte akzeptabel ist.78 Allerdings wird man davon ausgehen müssen, dass das EURecht die etablierten Mechanismen der Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit akzeptiert, andernfalls wäre die Kompetenzerweiterung auf diesen Bereich in Art. 207 AEUV wenig sinnvoll. Auch hat die EU in der Vergangenheit diese Instrumente mit einer gewissen Selbstverständlichkeit zugrunde gelegt, wie die Erarbeitung des EnCV und seine Ratifikation durch die EU zeigen.79 In Abgrenzung von den EuGH-Gutachten zu EMRK-Beitritt und Patentabkommen wird man auch davon ausgehen können, dass das EU-Recht durch die Tätigkeit der Investitionsschutz-Schiedsgerichte nur punktuell und in Einzelfällen berührt werden wird, dem EuGH also nicht die Autorität über ein ganzes Rechtsgebiet entgleitet.80 Denk75 So zutreffend das Schiedsurteil PCA Case No 2008 – 13 v. 26. 10. 2010 – Eureko B.V. ./. Slowakei (Admissibility), §§ 281 ff., Rev. arb. 2011, 245 m. Anm. Poulain. 76 St. Rspr. seit EuGH, 23. 3. 1982 Rs. 102/81 (Nordsee), Slg. 1982, 1095, Tz. 10 ff.; weiter z. B. EuGH, 27. 1. 2005 Rs. C-125/04 (Denuit), Slg. 2005, I-923, Tz. 12 ff.; s. zuletzt e contrario für ein gesetzlich vorgesehenes Schiedsgericht EuGH, 13. 2. 2014 Rs. C-555/13 (Merck Canada Inc.), Tz. 15 ff.; dazu A. Rigaux, Europe 4/2014, 17 f.; für eine Zulassung von Vorlagen dagegen das Plädoyer von v. Papp, 50 CMLRev. (2013), 1039 ff.; im Ergebnis ebenso Hindelang, 39 LIEI (2012), 179, 201 f. 77 EuGH, 18. 12. 2014 – Gutachten 2/13, EuGRZ 2015, 56; dazu zu Recht kritisch Grabenwarter, EuZW 2015, 180; Jacqué, RTDE 2014, 823 ff.; Labayle/Sudre, RFDA 2015, 3 ff.; Wendel, NJW 2015, 921 ff.; positiver Thym, EuZW 2015, 180; Picod, JCP 2015, 230 ff.; zuvor bereits EuGH, 8. 3. 2011 – GA 1/09 (Europäisches Patentgericht), Slg. 2011, I-1137. 78 Dazu z. B. Hindelang, ArchVR 53 (2015), 68 ff.; Kerkemeyer, EuZW 2016, 10 ff.; Art. 344 AEUV, der für Streitigkeiten unter den Mitgliedstaaten allein auf den EuGH verweist, ist jedenfalls nicht einschlägig, weil Investitionschutz-Streitigkeiten regelmäßig nicht zwischen Staaten ausgetragen werden, s. Kaddous, SZIER 2013, 3, 5; Ahner (Fn. 66), S. 214 f.; Anou, JDI 2015, 505, 517; anders nur vereinzelte Stimmen, so z. B. Jaeger, EuR 2016, 203, 225; ernsthafter kommt ein Eingreifen der Bestimmung allerdings in Betracht, wenn der Investor – wie vorliegend – ein von einem Mitgliedstaat beherrschtes Unternehmen ist, s. Ahner (Fn. 66), S. 215. 79 Zu diesem Punkt auch OLG Frankfurt, 10. 5. 2012 – 26 SchH 11/10 (Eureko), IPRax 2013, 83, 88. 80 So Classen, EuR 2012, 611, 622.
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bare Regelungen, nach denen zur Beurteilung europarechtlicher Fragen zwingend der EuGH eingeschaltet werden müsste,81 stünden jedenfalls in deutlichem Gegensatz zum Gedanken einer neutralen Streitbeilegung, der die InvestitionsschutzSchiedsgerichtsbarkeit prägt.82 Insgesamt wird man nicht davon ausgehen müssen, dass die EU sich aufgrund der Autonomie der EU-Rechtsordnung vollständig aus der Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit zurückziehen müsste.83
V. Die rechtspolitische Kritik an der Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit Nachdem europarechtliche Hindernisse jedenfalls für Intra-EU-Streitigkeiten und insbesondere für die Anwendung des Energiecharta-Vertrags nicht bestehen, bleibt damit die rechtspolitische Kritik an der Institution der InvestitionsschutzSchiedsgerichtsbarkeit, die im Rahmen der Diskussion um die derzeit verhandelten EU-Freihandelsabkommen breiten Raum gewonnen hat.84 1. Privilegierung ausländischer Unternehmen Diese Kritik richtet sich zum einen gegen die Besserstellung ausländischer Unternehmen, die jedenfalls in einem rechtsstaatlich organisierten Gaststaat nicht gerechtfertigt sei.85 Dass dieser Befund jedenfalls für Deutschland nicht ganz zutrifft, zeigt sich schon daran, dass ausländische Unternehmen nach deutschem Verfassungsrecht nicht grundrechtsfähig sind, was nur für Unternehmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten durch das EU-rechtliche Diskriminierungsverbot korrigiert wird.86 Eine solche 81 Als Grundlage hierfür käme Art. 272 AEUV in Betracht, der die Vereinbarung der Schiedszuständigkeit des EuGH ermöglicht, s. Ohler, JZ 2015, 337, 345; für einen Fall der Nutzung s. EuGH, 8. 12. 2005 Rs. C-220/03 (EZB/Deutschland), Slg. 2005, I-10595 (EZBSitzabkommen); dazu Bernard, Europe 2/2006, 9; weiter die anhängige Rs. C-648/15 (Deutschland/Österreich) zur Auslegung des zwischen diesen Staaten bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens. 82 So zu Recht Hindelang, ArchVR 53 (2015), 68, 84 f.; Classen, EuR 2012, 611, 622; Ahner (Fn. 66), S. 238; denkbar wäre eine solche Lösung aber bei den Intra-EU-BITs, weil der EuGH hier nicht der Seite einer Streitpartei zuzuordnen wäre, dafür z. B. v. Papp, CMLRev (2013), 1039, 1074 ff., 1079. 83 s. auch Classen, EuR 2012, 611, 624 ff., u. a. mit dem Hinweis darauf, dass die Mitgliedstaaten hier in Bezug auf ihre Rechtsordnungen und deren letztentscheidende Gerichte keine Probleme hatten; Ahner (Fn. 66), S. 215 ff.; anders Kerkemeyer, EuZW 2016, 10, 16. 84 Dazu o. bei Fn. 20. 85 s. z. B. Krajewski, in: GS Rittstieg, 2015, S. 80, 95; Jaeger, EuR 2016, 203, 207 ff. 86 So zu Recht Kottmann, EuZW 2015, 729, 730; s. auch o. bei Fn. 6 ff.; Krajewski, in: GS Rittstieg, 2015, S. 80, 95 f. geht darauf nicht ein, sondern scheint anzunehmen, dass das BVerfG Rechtsschutz gewähren wird; tatsächlich wäre diesem Einwand am ehesten zu begegnen, wenn das BVerfG seine restriktive, aber gut begründete Rechtsprechung zum Ausschluss des Grundrechtsschutzes für Staatsunternehmen aufgeben würde.
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Besserstellung ist außerdem mit dem sogenannten fremdenrechtlichen Mindeststandard im Völkerrecht fest verankert: Nach den ganz traditionellen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts dürfen ausländische Unternehmen z. B. auch dann nicht entschädigungslos enteignet werden, wenn dies gleichermaßen für inländische Unternehmen vorgesehen ist.87 Der „fair and equitable treatment“-Standard der Abkommen dürfte über diesen Mindestschutz zwar hinausgehen; die bloße Gleichstellung mit Inländern in Enteignungsfragen würde aber schon gegen Völkergewohnheitsrecht verstoßen.88 2. Untergrabung nationaler Souveränität Der zweite Einwand, wonach demokratisch legitimierte Entscheidungen der Gaststaaten in Frage gestellt werden könnten, richtet sich eigentlich generell gegen die Bindung staatlicher Hoheitsgewalt durch internationales Recht: Denn bestehende investitionsschutzrechtliche Verpflichtungen beruhen auf der vertraglich eingegangenen Bindung dieser Hoheitsgewalt,89 die gegenüber Ausländern allerdings schon kraft Völkergewohnheitsrecht nicht bindungsfrei besteht;90 zudem wird diese Bindung in der Erwartung der Gegenseitigkeit eingegangen, um den eigenen Investoren entsprechenden Schutz zu sichern.91 Der Widerwille gegenüber der konkreten Ermittlung der Standards durch unabhängige Dritte – das Schiedsgericht – betrifft letztlich denselben Ansatzpunkt wie der Unwille des EuGH, „fremde“ Richter zu akzeptieren. Auch dies ist im Völkerrecht und damit in der zwischenstaatlichen Schiedsgerichtsbarkeit allerdings ein völlig normaler Vorgang, weil kein Staat allein ein für beide Streitparteien verbindliches Ergebnis herbeiführen kann; bei der Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit wird dieser Kontrollverlust allerdings offensichtlich deutlicher empfunden, weil hier an Stelle des Heimatstaats des Investors92 87 Zum fremdenrechtlichen Mindeststandard s. z. B. Tomuschat, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte VI/2, 2009, § 178; Dolzer, in: Vitzthum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 6. A. 2013, § 6 Rn. 42 ff.; Franke (Fn. 16), S. 34 ff. Dieser besondere Schutz spiegelt sich auch in der Eigentumsgarantie gem. Art. 1 des 1. ZP EMRK wieder: Der dortige Verweis auf die Regeln des Völkerrechts wird vom EGMR als Bezug auf die fremdenrechtlichen Schutzstandards verstanden; er gilt konsequent nur in Bezug auf ausländisches Eigentum, s. EGMR, 21. 2. 1986 – James u. a. ./. Großbritannien, Série A No 98, § 66 = EuGRZ 1988, 341; EGMR (5. Sektion), 3. 7. 2007 – Poznanski u. a. ./. Deutschland, NJW 2009, 489, 491; s. auch Kriebaum, in: FS Hafner, 2008, S. 649 ff.; Russo, in: Mélanges en l’honneur de Gérard Wiarda, 1988, S. 547 ff. 88 Anders, aber ohne Problematisierung Krajewski, in: GS Rittstieg, 2015, S. 80, 96, nach dem Investoren auf die allgemeinen Standards des Gaststaats verwiesen sind. 89 Ähnlich Duve/Rösch, ZVglRWiss 114 (2015), 387, 404 f.; Hoffmeister, ArchVR 53 (2015), 35, 51. 90 Zu den Standards des völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrechts s. o. Fn. 87; s. auch Bungenberg, in: FS Müller-Graff, 2015, 857, 862 f. 91 So zu Recht Hoffmeister, ArchVR 53 (2015), 35, 51. 92 Die zwischenstaatliche Streitbeilegung ist vielfach auch im Investitionsschutzrecht vorgesehen, s. für den Energiecharta-Vertrag Art. 27 EnCV; genutzt wird sie allerdings nur selten, weil der prozessuale Kunstgriff des Investitionsschutzrechts gerade darin liegt, dass der
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das investierende Unternehmen selbst tätig wird, der Gaststaat der Investition sich also auf eine Stufe mit einem Unternehmen begeben muss.93 Allerdings ist das ein Mechanismus, den die westlichen Industrienationen seit mehr als 50 Jahren zum Schutz ihrer Investoren einfordern; die Einlassungen, nach denen solche Verfahren nur gegenüber unseriösen und korrupten Entwicklungsländern angebracht wären, erhalten dadurch fast schon einen neokolonialistischen Zungenschlag.94 Zudem gehen diese Einordnungen am Sinn der Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit vorbei: Auch bei einem grundsätzlich funktionierenden nationalen Gerichtswesen ist die Vermutung nicht abwegig, dass die staatlichen Gerichte unterschwellig der Versuchung ausgesetzt sein könnten, „ihrem“ Staat die Haftung gegenüber einem ausländischen Unternehmen zu ersparen95 – während diese Gefahr bei Richtern, die gleichberechtigt durch beide Parteien bestimmt werden, neutralisiert erscheint. Dem entspricht die völkerrechtliche Einordnung der staatlichen Gerichte, nach der sie ungeachtet ihrer internen Unabhängigkeit als Organe des jeweiligen Staates behandelt werden.96 Abhilfe kann insoweit ggf. durch eine präzisere Fassung der materiellen Schutzstandards geschaffen werden, mit der die Berechenbarkeit entsprechender Entscheidungen verbessert und das Recht der Gaststaaten zur Gestaltung ihrer Rechtsordnung („right to regulate“) stärker geschützt werden könnte.97 Allerdings sind wirklich Herkunftsstaat seinen Investoren durch die Vereinbarung der Schiedsgerichtsbarkeit die Befähigung verschafft, die Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber dem Gaststaat selbst zu betreiben. Für ein jüngeres Beispiel s. die Entscheidungen des Ad-hoc-Schiedsgerichts im Fall Italien ./. Kuba, Interim Award v. 15. 3. 2005, Final Award v. 15. 1. 2008 (verfügbar unter www.italaw.com); dazu Potestà, 106 AJIL (2012), 341 ff.; Tonini, Riv. dir. int. 2008, 1046 ff. 93 Zur funktionalen Ersetzung des diplomatischen Schutzes durch den Heimatstaat durch die Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit s. z. B. Gundel, ArchVR 51 (2013), 108, 129 ff. 94 Insofern kann die Tatsache, dass solche Verfahren heute tatsächlich nicht mehr nur in eine Richtung – gegen Entwicklungsländer – geführt werden (dazu bereits o. bei Fn. 19), durchaus auch positiv als Normalisierung verstanden werden; in diese Richtung Tams, NordÖR 2010, 329, 334; Gundel, ArchVR 51 (2013), 108, 136 ff. 95 Ähnlich Classen, EuZW 2014, 611, 163: „Institutionell befangen“; Bungenberg, in: FS Müller-Graff, 2015, S. 857, 861. Dass die Staatsangehörigkeit der Richter aus völkerrechtlicher Perspektive die Vermutung der Loyalität gegenüber dem Heimatstaat begründen kann, zeigt das Institut der ad hoc-Zusatzrichter beim IGH, s. Art. 31 IGH-Statut: Wenn ein Staatsangehöriger der Gegenpartei dem Richterkollegium angehört, darf der andere Staat einen ad hoc-Richter nominieren, um diesen Einfluss zu kompensieren; dazu Schwebel, in: Mélanges Valticos, 1999, S. 319 ff.; Kooijmans, Art. 31, in: Zimmermann/Tomuschat/OellersFrahm/Tams (eds.), The Statute of the International Court of Justice, 2. A. 2012. 96 s. Art. 4 Abs. 1 des ILC-Entwurfs zur Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen v. 12. 12. 2001, GAOR 56th Session, Suppl. No 10 [A/56/10], 29 ff.; zur Zurechnung der nationalen Rechtsprechungsorgane s. deutlich IGH, 3. 2. 2012 – Jurisdictional Immunities of the State (Deutschland ./. Italien), ICJ Reports 2012, S. 99; dazu z. B. Hess, IPRax 2012, 201 ff.; Payandeh, JZ 2012, 949 ff.; Kloth/Brunner, ArchVR 50 (2012), 218 ff.; Muir Watt, RCDIP 2012, 539 ff.; Oellers-Frahm, in: FS E. Klein, 2013, 389 ff. 97 Zu entsprechenden Klauseln im CETA-Freihandelsabkommen mit Kanada s. Dumanoir, RevMC 2016, 132 ff.; danach werden z. B. indirekte Enteignungen nur noch erfasst, wenn sie
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„skandalöse“ Fälle, in denen (nicht nur) demokratisch getroffene, sondern auch inhaltlich angemessene nationale Regelungen zu Schadensersatz-Schiedsurteilen geführt hätten, soweit ersichtlich nicht vorweisbar.98 Als Kronzeugen werden hier zwar immer wieder die Schiedsklagen von Tabakkonzernen gegen nationale Regelungen zur Beschränkung des Tabakkonsums angeführt; diese Klagen sind jedoch teils bereits als unzulässig99 oder als unbegründet100 abgewiesen worden, in anderen Fällen noch anhängig101 und damit jedenfalls nicht zugunsten der Kläger entschieden. Eine Analyse der auf der Grundlage des EnCV entschiedenen Streitfälle zeigt auch, dass die Schiedsgerichte keineswegs systematisch zugunsten der Investoren urteilen.102 Das macht auch das im Januar 2016 veröffentlichte erste Schiedsurteil103 zu den zahlreichen Verfahren gegen Spanien wegen der Kürzung der Erneuerbare-Energien-Förderung deutlich: Die Klage wurde als unbegründet abgewiesen und dabei das Recht des Gaststaats zur Reaktion auf veränderte Umstände betont, solange er dem Investor keine individuellen Zusagen gemacht hat.104 3. Fehlende Transparenz der Verfahren Am gewichtigsten erscheint damit der Vorwurf der Intransparenz der Verfahren;105 er wird dadurch bestärkt, dass die Bundesregierung selbst unter die Berufung auf die Vertraulichkeit des Verfahrens Auskünfte zum Stand des Vattenfall-Verfah-
offensichtlich willkürlich erfolgen – die Sicherung des Spielraums der Gaststaaten geht damit unweigerlich mit einer Minderung des Investitionsschutzes einher; restriktiv auch die Kommissions-Vorschläge für TTIP, kritisch dazu Escher/Sliskovic, RIW 2016, 190, 193 ff., die eine Entwertung des Schutzes befürchten. 98 Ähnlich Bungenberg, in: FS Müller-Graff, 2015, 857, 860. 99 Philip Morris Asia Ltd (Hong Kong) ./. Australien, PCA Case No 2012 – 12, Award on Jurisdiction and Admissibility v. 17. 12. 2015, noch nicht veröff.; s. FAZ Nr. 298 v. 23. 12. 2015, S. 1. 100 So im Fall von Grand River Six Nations Ltd. u. a. ./. USA (UNCITRAL/NAFTA), Award v. 12. 1. 2011 (verfügbar unter www.italaw); dazu Pirker, EJRR 2011, 267 ff. 101 Noch anhängig ist das Verfahren Philip Morris Brands Sàrl, Philip Morris Products S.A. u. Abal Hermanos S.A.(Switzerland) u. a. ./. Uruguay, ICSID Case No ARB/10/7, Decision on Jurisdiction v. 2. 7. 2013; zu ihm Sabahi/Duggal, 108 AJIL (2014), 67 ff; McGrady, EJRR 2011, 254 ff. 102 s. die Auswertung bei Coop, 29 ICSID Review (2014), 515, 518. 103 Charanne BV u. a. ./. Spanien, SCC No 062/2012, Endurteil v. 21. 1. 2016 (in spanischer Sprache verfügbar unter www.italaw.com). 104 Die Präjudizwirkung in Bezug auf die anderen anhängigen Verfahren (s. Fn. 43) ist aber begrenzt, weil Gegenstand dieses Verfahrens nur die noch begrenzte erste Änderung der spanischen Erneuerbaren-Förderung war. 105 Dazu Buntenbroich/Kaul, SchiedsVZ 2014, 1 ff.; Sackmann, SchiedsVZ 2015, 15 ff.; Risse/Oehm, ZVglRWiss 114 (2015), 407 ff.
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rens verweigert hat.106 In der Literatur wird diese Position allerdings unter Verweis auf Präjudizien in Frage gestellt, die eine Information der Öffentlichkeit in Investitionsschutz-Streitigkeiten durchaus als zulässig angesehen haben. Nach dieser Praxis entscheidet das Schiedsgericht im Einzelfall über die Vertraulichkeit von Dokumenten, wenn keine Einigkeit zwischen den Parteien hergestellt werden kann;107 solche Entscheidungen sind ausweislich der ICSID-Seite auch im Vattenfall-Verfahren ergangen. Tatsächlich unterscheidet sich die Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit in diesem Punkt von der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, deren Instrumente sie insoweit ohne Problematisierung übernommen hat. Diesem Kritikpunkt kann aber natürlich auch innerhalb des Systems der Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit Rechnung getragen werden; so sind die UNCITRAL-Schiedsregeln 2013 durch spezielle Regeln zur Transparenz in der Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit ergänzt worden, die unter anderem die Veröffentlichung der Entscheidungen sicherstellen sollen.108 Unabhängig von dieser Neuregelung sind die Investitionsschutz-Schiedsurteile bereits heute überwiegend öffentlich zugänglich; soweit allerdings kritisiert wird, dass nicht jeder einzelne Schriftsatz öffentlich einsehbar ist, wird man darauf hinweisen müssen, dass dies auch bei Verfahren vor staatlichen Gerichten nicht der Fall ist.109 4. Konsequenzen Insgesamt wird diese Kritik vielleicht dazu führen, dass neue Abkommen wie TTIP ohne oder nur mit modifizierter Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit abgeschlossen werden; so ist zuletzt bekannt geworden, dass das Konzept eines gemeinsamen Investitionsschutz-Gerichtshofs, das die Kommission im Herbst 2015 im Rahmen der TTIP-Verhandlungen präsentiert hatte,110 nicht nur für das vor 106 s. z. B. zu Fragen nach Einzelheiten der Entschädigungsforderung BT-Drs. 18/3721 v. 13. 1. 2015; die Unterrichtung der Abgeordneten erfolgt zur Wahrung der Vertraulichkeit über die Geheimschutzstelle des Bundestages, s. BT-Drs. 18/2451 v. 1. 9. 2014. 107 s. die Nachw. bei Sackmann, SchiedsVZ 2015, 15, 18; tatsächlich dürfte die zurückhaltende Informationspolitik nicht nur der Einhaltung rechtlicher Verpflichtungen, sondern auch der Wahrung der eigenen Verhandlungsposition dienen. 108 UNCITRAL Rules on Transparency in Treaty-based Investor-State Arbitration, abgedr. in 52 ILM (2013), 1303 mit Vorbem. Loken S. 1300 ff.; dazu Buntenbroich/Kaul, SchiedsVZ 2014, 1, 7 f. S. im Anschluss daran die UN Convention on Transparency in Treaty-based Investor-State Arbitration (Mauritius Convention), abgedr. in 54 ILM (2015), 751 mit Vorbem. Bergman S. 747 ff., die diese Regeln auch auf nicht nach den allgemeinen UNCITRAL-Bestimmungen abgewickelte Verfahren erstreckt, sofern der Heimatstaat des Investors und der Gaststaat diese Konvention ratifiziert haben. 109 Das gilt im Übrigen auch für Verfahren vor dem EuGH; kritisch dazu Wegener, in: FS Jarass, 2015, S. 159 ff. 110 Dazu z. B. Jaeger, EuR 2016, 203, 211 ff.; s. auch Duve/Rösch, ZVglRWiss 114 (2015), 387 ff.; Wuschka, ZEuS 2016, 153 ff.; zum Parallelentwurf des deutschen BMWi s. Sandrock, RIW 2015, 625 ff.
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dem Abschluss stehende Freihandelsabkommen mit Vietnam111, sondern auch von Kanada für das eigentlich bereits fertig ausverhandelte CETA-Abkommen112 akzeptiert worden ist. Ob die Gegner der Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit damit besänftigt werden können, ist allerdings fraglich,113 weil die Grundsatzkritik an einer außerhalb der staatlichen Gerichte stattfindenden Streitbeilegung damit natürlich nicht ausgeräumt wird. Dem bereits geltenden Bestand von Abkommen – zu dem auch der EnergiechartaVertrag gehört – werden diese Diskussion allerdings aller Voraussicht nach nicht gefährlich werden: Ihre Geltung könnte nur durch Kündigung beendet werden; solche Kündigungen von Investitionsschutzabkommen, wie sie vereinzelt zu registrieren sind,114 werden aber allgemein als Signal für Rechtsunsicherheit und für eine Verschlechterung des Investitionsklimas im Gaststaat wahrgenommen. Zudem können sie den kündigenden Staat auch nicht unmittelbar aus der eingegangenen Bindung befreien, weil die Abkommen regelmäßig eine langfristige Nachwirkung der Schutzstandards und der Schiedsverpflichtung für bereits erfolgte Investitionen vorsehen, um sicherzustellen, dass eine Investition nicht vor ihrer Amortisation schutzlos gestellt werden kann115. Beim EnCV gilt diese nachwirkende Bindung gemäß Art. 47 Abs. 3 EnCV über 20 Jahre,116 was dem langen Investitionszyklus im Energiesektor durchaus entspricht.
VI. Ergebnisse Das Vattenfall-Verfahren fällt in eine Zeit, in der die Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit zum einen aus europarechtlichen Gesichtspunkten, zum anderen unter souveränitätsbezogenen Aspekten grundsätzlich in Frage gestellt wird. Zumindest in Bezug auf den zweiten Aspekt und auf die deutsche Diskussion verstärkt das 111 s. FAZ Nr. 281 v. 3. 12. 2015, S. 20: „EU beschließt Freihandel mit Vietnam und betritt Neuland – Erstmals Gerichtshof für Investorenschutz“; s. auch Stöbener de Mora, EuZW 2016, 165; Birkner, EuZW 2016, 454, 458. 112 s. FAZ Nr. 51 v. 1. 3. 2016, S. 15: „Durchbruch im Streit um Investorenschutz – Kanada akzeptiert Reformvorschläge der EU-Kommission“; s. auch Stöbener de Mora, EuZW 2016, 203; zu den zuvor vereinbarten Investitionsschutz-Regeln des CETA s. Ackhurst/Nattrass/ Brown, 31 ICSID Review (2016), 58 ff. 113 Skeptisch etwa Duve/Rösch, ZVglRWiss 114 (2015), 387, 401 ff. 114 So kündigt Südafrika seit einiger Zeit systematisch seine bilateralen Investitionsschutzabkommen, s. dazu FAZ Nr. 257 v. 5. 11. 2013, S. 10: „Investoren in Südafrika bangen um Schutz“; Schlemmer, 31 ICSID Review (2016), 167 ff. Auch sind in jüngerer Zeit vereinzelte Kündigungen der ICSID-Rahmenkonvention (Fn. 28) durch einige südamerikanische Staaten zu verzeichnen – Bolivien (2007), Ecuador (2009), Venezuela (2012), s. m.w.N. Gundel, AVR 51 (2013), 108, 139, – die aber keine weiteren Nachahmer gefunden haben; zu den Entwicklungen in Südamerika s. Böttcher, Dekonstitutionalisierungstendenzen im internationalen Investitionsschutzrecht, 2015, S. 83 ff. 115 Dazu z. B. Voon/Mitchell, 31 ICSID Review (2016), 413 ff. 116 Das betrifft z. B. die Beendigung der vorläufigen Anwendung des EnCV durch Russland im Jahr 2009 (s. o. Fn. 23 u. 35) und die Kündigung des EnCV durch Italien (s. o. Fn. 61).
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Verfahren diese Tendenz sogar, weil es als Beleg für einen „Missbrauch“ des Investitionsschutzes herangezogen wird.117 Gerechtfertigt ist diese Einordnung im konkreten Fall nicht, weil die Klage anders als im erwähnten Fall der Tabakkonzerne118 kaum als frivol bezeichnet werden kann – schließlich haben die inländischen Kraftwerksbetreiber ebenfalls Verfassungsbeschwerde zum BVerfG erhoben, sehen die Regelung also ebenso als rechtswidrig an und nutzen den ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsschutz, der Vattenfall als ausländischem Staatsunternehmen voraussichtlich verschlossen bleiben wird. Letztlich macht das Vattenfall-Verfahren nur den Mehrwert der Investitionsschutz-Gerichtsbarkeit für ausländische Unternehmen deutlich: Nämlich nach völkervertraglich festgelegten Standards durch ein nicht dem Gaststaat zuzurechnendes Gericht gehört zu werden. Auf der Seite des Gaststaats kann diese Internationalisierung des Rechtstreits als Kontrollverlust empfunden werden, der aber im Sinne des Reziprozitätsprinzips der Preis für den entsprechenden Schutz der Investitionen der eigenen Unternehmen in anderen Vertragsstaaten ist – zu erinnern ist an die zahlreichen Schiedsklagen deutscher Investoren gegen die Kürzung der Erneuerbaren-Förderung in Spanien und Tschechien. Selbst im Fall der größten denkbaren Diskrepanz zwischen den anstehenden Entscheidungen – also z. B. der Zurückweisung der Verfassungsbeschwerden der deutschen Energieversorger bei einem gleichzeitigem Erfolg der Vattenfall-Schiedsklage – würde im Übrigen kein grundsätzlicher Wertungswiderspruch vorliegen:119 Ausländische Unternehmen müssen sich mit ihren Vermögenswerten nicht notwendig an einem nationalen Projekt wie der Energiewende beteiligen, selbst wenn das nationale Verfassungsrecht diese Maßnahmen gutheißt. Wie schon erwähnt, behandelt das klassische Völkerrecht die entschädigungslose Enteignung von inländischen Unternehmen letztlich als „innere Angelegenheit“ des jeweiligen Staates, während ausländischen Unternehmen danach eine Entschädigung gewährt werden muss. Ob in Bezug auf die Investition von Vattenfall eine indirekte Enteignung oder ein Verstoß gegen das Gebot der fairen und angemessenen Behandlung vorliegt, wird das Schiedsgericht entscheiden müssen.
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Dazu z. B. Hindelang/Wernicke, EuZW 2015, 809, 810, die von einem immensen rechtspolitischen und legitimatorischen Schaden durch das Vattenfall-Verfahren sprechen. 118 s. o. bei Fn. 99 ff. 119 In diese Richtung aber Krajewski, in: GS Rittstieg, 2015, S. 80, 94; zurückhaltender Ludwigs, NVwZ 2016, 1, 4, 6.
Atomausstieg und Energiewende – ethische Perspektiven Von Thomas Potthast, Tübingen Mit der am 22. März 2011 von der Bundesregierung einberufenen „Ethikkommission ,Sichere Energieversorgung‘“ ist die Ethik unübersehbar im regierungs- und gesellschaftspolitischen Diskurs zum Atomausstieg und zur Energiewende in Deutschland verankert worden. Nicht immer eindeutig ist, was genau mit dem Ausdruck „Ethik“ dabei gemeint ist. Der vorliegende Beitrag befasst sich aus wissenschaftlich-ethischer Perspektive sowohl mit terminologischen als auch mit den entsprechenden Sachfragen. Dazu soll zunächst geklärt werden, was „Ethik“ bedeutet und welche Rolle sie im akademischen sowie im politischen Kontext spielt (Abschnitt I.). Danach werden die – auch ethische – Debatte um die Atomenergie (Abschnitt II.) und die ethischen Dimensionen des Klimawandels und der Energiewende im Hinblick auf eine Nachhaltige Entwicklung (Abschnitt III.) dargestellt. Überlegungen zu allgemeinen Kriterien für Nachhaltige Energieversorgung (Abschnitt IV.) sowie Bemerkungen zu Wachstum und Suffizienz (Abschnitt V.) schließen den Beitrag ab. Insgesamt wird dabei argumentiert, dass sowohl der Atomausstieg als auch die Ziele der Energiewende ethisch plausibel begründet sind, dass aber zugleich damit wichtige Folgefragen einer Umsetzung aufgeworfen werden, die einer weiteren intensiven ethischen, rechtlichen und politischen Debatte bedürfen.
I. Ethische Vorüberlegungen 1. Der Fakten-Werte-Kontext Fragen der Atomenergienutzung und der Energieversorgung insgesamt stehen im Zusammenhang der Debatten um Umweltfragen, die insbesondere seit den 1970er Jahren mit globaler Ausrichtung geführt werden. Symbolisch zeigt das Buch „Grenzen des Wachstums“, publiziert von einer ExpertInnengruppe namens „Club of Rome“ (Meadows et al. 1972) diesen Diskurs an, der allerdings eine ausgesprochen komplexe Vorgeschichte hat (vgl. Radkau 2000). Etwa zur selben Zeit hat sich die Umweltethik als akademisches Feld etabliert (vgl. Potthast 2011), was keinen Zufall darstellt. Die Menschheit als Weltgesellschaft ist derzeit mit zahlreichen schwerwiegenden Themen konfrontiert: fast eine Milliarde Menschen sind unter- bzw. fehlernährt; es bestehen extreme Unterschiede zwischen Reichen und Armen; 60 % der Ökosysteme weltweit sind degradiert oder werden nicht nachhaltig genutzt; 80 %
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der Fischbestände weltweit sind bedroht; 15.000 – 30.000 Arten pro Jahr sterben aus; Bodenverlust, Dürre, Pestizide, radioaktive Strahlung und andere Faktoren gefährden die Ernährung und Gesundheit von Menschen; und der Klimawandel verstärkt schließlich viele dieser Effekte massiv (UNEP 1995, UN 2005, IPCC 2007; 2013). Eine solche Situationsbeschreibung kombiniert geradezu zwingend die faktische Beschreibung mit einer Bewertung, und zwar als nicht wünschenswert.1 Sollen aus der Bewertung Handlungsverpflichtungen präskriptiver (also vorschreibender/ normativer) Art abgeleitet werden, müssen Fragen der Moral und Ethik beantwortet und durch Politik und (staatlich gesetztes und in einem eigenen System praktiziertes) Recht institutionalisiert werden. In diesem Sinne ist in der Tat der moralisch bedeutsame Fakten-Werte-Kontext der Politik und dem Recht vorgängig, wobei selbstverständlich der Rahmen des Denk- und Sagbaren der Moral, sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene, stark von politischen und rechtlichen Bedingungen mitbestimmt wird.2 So trivial diese Frage erscheinen mag: Warum sollen sich Menschen in moralischer Hinsicht um die Welt kümmern und die bedrohte Umwelt eigentlich retten? Dazu müssen wir zunächst eine moralische Verpflichtungsinstanz bestimmen: Sind wir zur Verbesserung einer nicht wünschenswerten Situation uns selbst gegenüber individuell, (auch) anderen heutigen Menschen, (auch) zukünftigen Menschen, (auch) von oder vor Gott bzw. Göttern, oder (auch) der Natur selbst gegenüber direkt verpflichtet? Wie auch immer man diese Frage nach den Adressaten moralischer Verpflichtungen, der moralischen Gemeinschaft (moral community), beantwortet, eines ist klar: Wer nach systematisch gerechtfertigten Begründungen eines Sollens bzw. Wertens fragt, betreibt Ethik. In der sog. Anwendungsbezogenen Ethik, die sich in diesem Fall beispielsweise auf das Thema Umwelt bezieht, kommt der Kombination von empirisch-wissenschaftlichen, technischen und normativen Kontexten eine besondere Bedeutung zu. Anwendungsbezogene Ethik ist in dieser Hinsicht notwendig interdisziplinär, weil die Fakten, wie oben angedeutet, maßgeblich den Horizont moralischer Fragen mitbestimmen – keineswegs aber die Antworten vorgeben können (vgl. Ammicht Quinn/Potthast 2015).
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Ein Nihilist oder eine Zynikerin könnten stets einwenden: „Dass sehr viele Menschen hungern ist ein Fakt, der sich nicht bestreiten lässt, nur: Was geht mich das an und warum sollte das per se schlecht sein?“. Aber selbst eine solche Position ist unmittelbar erläuterungsund begründungsbedürftig mit Bezug auf die Frage, ob denn eine a- oder antimoralische Sicht auf menschliches Leid und extreme Ungleichheit von Lebenschancen moralisch plausibel sein kann. Der Sachverhalt selbst, so ließe sich formulieren, erfordert zwar nicht formal-logisch aber gleichsam von seiner Struktur und seinem Gehalt her eine wertende Stellungnahme; vgl. auch Potthast (2015). 2 Hier schließen sich sehr tiefe rechtsphilosophische Fragen an, die aber nicht weiter erörtert werden können. Wichtig ist mir an dieser Stelle, dass Politik und Recht alleine keinen hinreichenden Beschreibungs- und Analyserahmen bieten können.
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2. Moral und/oder Ethik? – Zur Klärung vorab Die Begriffe „Moral“ und „Ethik“ werden häufig synonym verwandt. Der vorliegende Beitrag folgt dem Verständnis, dass „Moral“ die individuellen und/oder kollektiven Vorstellungen des Guten und des Gerechten bezeichnet, also einerseits die Vorstellungen vom gelingenden Leben (gr.: eudaimonia; zumeist nach Aristoteles) und andererseits die Vorstellungen vom richtigen Handeln, was sich auf Forderungen bezieht, die sich aus der Verpflichtung gegenüber anderen und uns selbst ergeben (oft mit Bezug auf Immanuel Kants Ethik). In extremer Kürze ausgedrückt: Moralisch gut ist, was um seiner selbst willen angestrebt bzw. getan werden soll und nicht (nur) um eines anderen Zweckes willen. Beispielsweise ist die Würde anderer Menschen zu achten in sich selbst geboten und nicht (nur), weil ggf. Gesellschaften dadurch konfliktfreier und länger funktionieren. „Ethik“ ist der hier verwendeten Definition nach die Reflexionstheorie der Moral. Sie lässt sich grob unterteilen in a) deskriptive Ethik (inkl. Moralgeschichte, Moralsoziologie etc.), b) Metaethik (Sprachanalyse der Moral und der Ethik) sowie c) normative Ethik (Moralphilosophie i. e.S.). Die normative Ethik untersucht die Stichhaltigkeit der Gründe (= Akzeptabilität) für moralische Verpflichtungen und Wertungen, sowohl mit Bezug auf allgemeine Prinzipien als auch auf Einzelurteile. Allgemeine Prinzipien wären beispielsweise die Menschenwürde und bestimmte materiale Auffassungen von Gerechtigkeit, ein spezielles Urteil die Frage, ob der Atomausstieg in Deutschland moralisch geboten ist und welche Maßnahmen dabei (in)akzeptabel sind.3 Solche begrifflichen Überlegungen sind keine bloßen akademischen Glasperlenspiele: Die Unterscheidung von Moral und Ethik macht unter anderem klar, dass Jede und Jeder sich ihrer und seiner moralischen Urteilskraft zu bedienen hat und moralische Überlegungen und Entscheidungen nicht an Moralapostel und Moralprediger delegieren kann. EthikerInnen sind dann Experten für Moralphilosophie, also die theoretische Reflexionsebene, nicht für die praktizierte Moral selbst. Nichtsdestotrotz können sie selbst begründete Bewertungen zu moralischen Themen in die akademische und auch die öffentliche Debatte einbringen.4
3 Die Grenze zwischen Moral und Ethik ist nicht trennscharf, sondern graduell, weil jede und jeder über Moral reflektiert und (hoffentlich) auch Begründungen liefert. Aber es bestehen Unterschiede in der Systematizität und der Begründungstiefe, mithin im Gültigkeits- und Verallgemeinerungsanspruch. 4 Abgelehnt wird mithin eine – durchaus verbreitete – Auffassung, dass moralische Positionen rein individuelle und private Präferenzen oder Emotionen sind, die gar nicht argumentativ verhandelbar wären. Zumindest in gewisser Weise beharrt die hier vorgestellte Auffassung der Ethik darauf, dass sich gute von weniger gut begründeten moralischen Positionen unterscheiden lassen. Dies schließt wiederum moralischen Pluralismus keinesfalls aus und erfordert auch keine sog. „Letztbegründungen“ (die es in keiner Wissenschaft geben kann, sondern nur in Religionen oder Quasi-Religionen). Doch das argumentative Ringen um angemessene und begründete Moral wird als möglich und sinnvoll erachtet.
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II. Die – auch ethische – Debatte um die Atomenergie als Technologieoption Die Debatte um die friedliche Nutzung der Atomenergie ist parallel zur Debatte um allgemeinpolitische und Umweltthemen seit Ende der 1960er Jahre aufgekommen. Im Folgenden sei Erstere nur schlaglichtartig und pointiert angedeutet, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern in systematischer Hinsicht bezogen auf unterschiedliche Begründungen einer kritischen Sichtweise.5 Der marxistische Philosoph Ernst Bloch hat in seinem Hauptwerk „Das Prinzip Hoffnung“ folgende energietechnische Utopie überliefert: „Wie die Kettenreaktionen auf der Sonne uns Wärme, Licht und Leben bringen, so schafft die Atomenergie, in anderer Maschine als der der Bombe, in der blauen Atmosphäre des Friedens, aus Wüste Fruchtland, aus Eis Frühling. Einige Hundert Pfund Uranium und Thorium würden ausreichen, die Sahara und die Wüste Gobi verschwinden zu lassen, Sibirien und Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu verwandeln“ (Bloch 1959: 775).6 Die Euphorie über eine völlig neue Energienutzungsform ist keinesfalls spezifisch für eine bestimmte politische Position, denn ähnliche Ideen finden sich auch bei marktliberalen und konservativen Zeitgenossen. Heute erscheinen solche Visionen kurios, naiv, voller Hybris. Der Grund für den moralischen Hautgout liegt im zumindest partiellen Verschwinden von postulierten Sicherheiten: Zum einen ist bei heutigen Produkten wissenschaftlicher Praxis nicht selten strittig, ob sie wirklich ein erwünschtes und wünschbares Gut befördern. Zum anderen ist klargeworden, dass Wissenschaft und Technik die Folgen und Nebenfolgen ihres Handelns und ihrer Produkte nicht (mehr) überblicken können und auch, dass Technik in modernen Gesellschaften niemals durch eine kleine Kaste Eingeweihter verantwortungsvoll kontrollierbar ist. Diese Frage nach dem gesellschaftspolitischen Kontext ist für die Atomenergiedebatte konstitutiv und sie geht weit über Risikofragen im engeren Sinne hinaus. In seinem Buch „Der Atomstaat – Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit“ verwandte der Publizist, Friedens- und Umweltaktivist Robert Jungk (1977) die von ihm maßgeblich mitentwickelte systematische Zukunftsforschung als Methode, um Fragen gesellschaftlicher Folgen einer Technologie zu erörtern. Mit Bezug auf die Atomenergie schildert er die gesellschaftspolitischen Probleme von (Groß-)Technologien, die bereits im Normalbetrieb ein hohes Gefahrenpotential aufweisen. Jungk nennt unter anderem die Terrorismusgefahr, Nebenfolgen für die innere Sicherheit (Überwachung der Atomanlagen, Kontrolle von Atomkraftgegnern), die militärische 5 Aus der sehr umfangreichen Literatur seien nur zwei anregende Werke genannt: Jung (1994) zur sehr bedeutsamen Sprach- und Diskursgeschichte sowie Radkau & Hahn (2013) in kritisch-technikhistorischer Sicht. 6 Über die ganz andere Lesbarkeit dieser Vision im Zeitalter des Klimawandels ließe sich noch einiges mehr ausführen. Doch das Muster ist wichtig: Was uns in bestimmter Sichtweise als wünschenswert erscheint, trägt zugleich möglicherweise eine ungeahnte Bedrohung menschlichen Lebens und anderer Lebensformen in sich.
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Nutzung (dual use) sowie die ungelöste Endlagerung mit Ewigkeitshorizont der Gefahren(abwehr) und ihrer Kosten. Wichtig ist hier, dass die Nutzung einer machtvollen Energieproduktionsoption verbunden ist mit weitgehenden politischen Strukturentscheidungen, deren Folgen und Nebenfolgen zu berücksichtigen sind, bereits ohne dass sich ein Unfall ereignet haben muss. In Österreich entschied bereits 1978 eine Volksabstimmung, das im Bau befindliche einzige AKW Zwentendorf nicht in Betrieb zu nehmen. Allerdings erwiesen sich letztlich Reaktorunfälle wiederholt als entscheidende Transformatoren der Debatte. Am 28. März 1979 ereignete sich ein Unfall im Atomkraftwerk Three Mile Island in den USA. Dieser Unfall symbolisierte die Frage nach der technischen Beherrschbarkeit der Atomkraft sowie nach dem Risiko eines GAU oder gar eines Super-GAU. Zudem löste dieses Ereignis eine gesellschaftspolitische Debatte um Technologien und die Zumutbarkeit von großen Schäden bei geringer Eintrittswahrscheinlichkeit aus. Die Kernschmelze im Block 4 des AKW Tschernobyl in der damaligen Sowjetunion, heute Ukraine, am 26. April 1986 verursachte Verstrahlungen auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene, deren Folgen sowohl kurzzeitig als auch langfristig spürbar waren und heute noch sind. Es gab teilweise extreme direkte Gesundheitsfolgen sowie langfristige Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit. Der Reaktorunfall in Tschernobyl stieß eine gesellschaftspolitische Debatte an, die oft im Kontext des Kalten Krieges geführt wurde. Beiderseits war die naive Idee zum Ausdruck gebracht worden, dass das politische System die Gefahren heraufbeschwöre und nicht die Technik selbst: Überzeugte KommunistInnen behaupteten, die Atomkraft sei sicher, weil sie im Volkseigentum sei und nur im Westen die kapitalistischen Ausbeuter Risiken der friedlichen Atomenergienutzung erzeugten. Länger hielt sich die Gegenposition, dass allein sozialistische Schlamperei eine Katastrophe wie die in Tschernobyl möglich gemacht habe und so etwas im „freien“ Westen gar nicht möglich sei. Selbstverständlich waren und sind die Einschätzungen zur Notwendigkeit, Sicherheit und Zumutbarkeit sehr unterschiedlich. Im Jahr 2000 vereinbarte die Regierung aus SPD und Grünen in Absprache mit der Energiewirtschaft einen langfristigen Ausstieg durch Begrenzung der Stromproduktionsmengen der AKWs („Atomkonsens“; Novellierung des Atomgesetzes 2002); die letzte Abschaltung wäre dann etwa 2021 zu erwarten gewesen. Eine deutliche Laufzeitverlängerung der AKWs beschloss dann die Regierung aus CDU/CSU und FDP 2010; der Neubau von Anlagen in Deutschland wurde allerdings nicht wieder auf die Agenda gesetzt. Am 11. März 2011 kam es infolge eines Seebebens und nachfolgenden Tsunamis an der Küste zu mehreren (Teil-)Kernschmelzen im japanischen AKW Fukushima. Dieser Unfall verursachte lokale und regionale Verstrahlung und verdeutlichte, dass ein GAU auch in einem westlichen High-Tech Land möglich ist. Die gesellschaftspolitischen Debatten um die Zumutbarkeit von Risiken wurden daraufhin auch in Deutschland erneuert. Von März bis Mai 2011 befasste sich die „Ethik-Kommission
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,Sichere Energieversorgung‘“ des Deutschen Bundeskanzleramtes mit den Implikationen dieser Ereignisse. Im Juni 2011 beschloss der Deutsche Bundestag unter einer Regierung von CDU/CSU und SPD den Ausstieg aus der Atomenergie und fasste weitere Beschlüsse zur Energiewende.7 Werfen wir nun einen Blick auf die bereits am 22. März 2011 von der Bundesregierung einberufene „Ethik-Kommission ,Sichere Energieversorgung‘“: Bundeskanzlerin Angela Merkel zufolge ging es der Ethik-Kommission darum, „einen breiten gesellschaftlichen Konsens und hohe Akzeptanz bei Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen für die Energiewende zu erreichen.“ Der Kommission, die vom früheren Umweltminister Klaus Töpfer und dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Matthias Kleiner, geleitet wurde, gehörten Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kirchen an (Bundesregierung 2011). Aus dem oben Zitierten geht eindeutig hervor, dass die Kommission nicht der ethischen Frage nach „Atomenergieausstieg: ja oder nein“ nachgehen sollte, sondern um die kommunikative und argumentative Begleitung eines Prozesses, der selbst Resultat eines bereits erfolgten politischen Beschlusses zur Energiewende war. Dieser dürfte maßgeblich durch die promovierte Physikerin und vormalige Atomkraftbefürworterin Angela Merkel bewirkt worden sein, passte aber auch ins Konzept der mitregierenden SPD, die ihren früheren Beschluss zum Ausstieg 2000 wieder in Geltung setzen konnte – und sogar zeitlich erheblich rascher, u. a. aufgrund der sofortigen, zunächst befristet vorgesehenen Abschaltung von acht der 17 AKWs. Wie sieht es nun mit der ethischen Rechtfertigung des Ausstiegs selbst aus? Risikobewertungs- und Energieversorgungsfragen sind ethische und politische Fragen eines gerechtfertigten Sollens und politischer bzw. letztlich rechtlicher Gestaltung, keine rein technischen (vgl. Droste-Franke et al. 2014). Im Zuge der Arbeit der Ethik-Kommission kam es zu einem – aus meiner Sicht durchaus – angemessen begründeten Nexus von Atomausstieg und Energiewende, formuliert im Bericht „Deutschlands Energiewende – Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft“ (EthikKommission 2011). Basierend auf dem normativen Leitbild einer Nachhaltigen Entwicklung mit der Verantwortung für kommende Generationen und der Verpflichtung zur Erhaltung einer lebenswerten Umwelt8 wird „die Versorgung mit Energie und eine faire Verteilung von langfristigen oder gar zeitlich nicht begrenzbaren Risiken und Lasten sowie die mit diesen verbundenen Handlungsfolgen“ (ebd.: 25) gefordert. Wichtig ist folgende Passage: „Die Risiken der Kernenergie haben sich mit [dem Atomunfall in; Anm. TP] Fukushima nicht verändert, wohl aber die Risikowahrnehmung. Mehr Menschen ist bewusst geworden, dass die Risiken eines großen Unfalls 7
Zu den gesetzlichen und rechtlichen Details vgl. die übrigen Beiträge in diesem Band. Warum nun spezifisch „(a)us der christlichen Tradition und der Kultur Europas (…) eine besondere Verpflichtung des Menschen gegenüber der Natur“ (ebd.: 24) resultieren soll, bleibt unklar. Politisch-strategisch ist dieser Verweis allerdings mit Blick auf christlich orientierte Parteien und Personen und WählerInnen plausibel. 8
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nicht nur hypothetisch vorhanden sind, sondern dass sich solche großen Unfälle auch konkret ereignen können.“ (ebd.: 25). Risikoethisch betrachtet, hat sich durch Fukushima in der Tat nichts geändert: Ein Atomausstieg war aufgrund der extremen Gefahren bereits davor gut begründet bzw. geboten: Atomare Unfälle haben gesundheitlich, umweltbezogen und nicht zuletzt volkswirtschaftlich dramatisch negative Folgen und die Eintrittswahrscheinlichkeit ist nachweislich gegeben. Diese lebensgefährliche Bedrohung durch Strahlenschäden wird zudem nicht freiwillig eingegangen (im Gegensatz zu statistisch vergleichbaren anderen Gefährdungen). Vor allem aber sind Rechte von Menschen auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Würde „in dem Sinne absolut, als es hier nicht auf das Aggregat ankommt“ (Nida-Rümelin 2014: 45). Auch bei bzw. trotz einer sehr geringen Eintrittswahrscheinlichkeit beeinträchtigt ein atomarer Unfall insofern zentrale ethische und demokratisch-politische Prinzipien, so dass ein Atomausstieg eben ethisch sehr gut begründet ist. Die Erschütterung des – bereits vorher – falschen Glaubens an technische Sicherheit oder zumindest Beherrschbarkeit in Verbindung mit der neuen politischen Lage führten nach dem Reaktorunfall in Fukushima eben nicht zu einer „neuen“ oder dringenderen ethischen Forderung nach dem Atomausstieg, sehr wohl aber einer politischen. Die politische „Akzeptanz“ (also faktische Zustimmung) sollte aber nicht fälschlicherweise mit der ethischen „Akzeptabilität“ (also begründeter Zustimmungsfähigkeit) gleichgesetzt werden. Ob, wie die Kommission es formuliert, eine veränderte Risikowahrnehmung ein gutes Argument darstellt, sei hier füglich bestritten. Wahrnehmungen allein können sich auch auf imaginierte oder absurd verzerrte Gefahren beziehen. Mit dem politischen Atomausstiegsbeschluss im Jahre 2011 sollte folglich das ethisch Richtige getan werden, aber – nur – in dieser Hinsicht mit einem falschen Argument. Um nicht missverstanden zu werden: Politische Opportunitätserwägungen, die dem Beschluss 2011 auch (!) zugrundelagen, sind nicht per se moralisch problematisch. Auch die Sorgen und Nöte eines zunehmend größeren Teils der Bevölkerung zu berücksichtigen, ist moralisch erlaubt, ggf. sogar geboten. Aber dies gilt dann – und nur dann – wenn diese Sorgen nicht völlig absurd und grundlos oder sogar selbst ethisch verwerflich sind. Hier liegt im Übrigen dann auch der Unterschied zwischen politischer Opportunität und ethisch inakzeptablem Populismus.9 Nochmals zurück zur Ethik-Kommissionen als einer Art politischer Mode-Institution: Das Schlagwort „Ethik“ erfuhr seit Beginn der 2000er Jahre eine ambivalente Erfolgsgeschichte. Die Notwendigkeit ethischer Reflexion vor allem mit Bezug auf neue Technologien sowie Fragen der Nachhaltigen Entwicklung ist grundsätzlich sehr begrüßenswert. In vielen Bereichen entstanden Ethik-Kommissionen, oft als Experten- und/oder politische Gremien, in denen vor allem Nicht-EthikerInnen sitzen. 9 Dies zeigen die immer wieder aufkommenden Forderungen nach der Todesstrafe in Deutschland und Europa, die selbst dann inakzeptabel wären, wenn sie eine Mehrheit äußern würde. Im Zusammenhang mit Flucht, Migration und internationalem Terror sind – leider – derzeit vergleichbare Populismen an der Tagesordnung.
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Diese Kommissionen dienen nicht nur fachlich als wertvolle Politikberatung, sondern zuweilen auch als Beruhigungspille in politischen Krisenfällen. Problematisch sind sie vor allem dann, wenn sie die Auslagerung einer Vor-Entscheidung und somit gleichsam einen Politik-Ersatz darstellen. In einer Demokratie sollen allerdings nicht Ethik-Kommissionen entscheiden, sondern Parlamente und BürgerInnen. Die EthikKommission „Sichere Energieversorgung“ hat ihre spannungsreiche Zwischenstellung im politischen Raum in Deutschland ,nach Fukushima‘ konzise auf den Punkt gebracht: „Die Mitglieder der Ethik-Kommission vertreten unterschiedliche Positionen zu wichtigen Fragen der Beurteilung von Risiken und zur Energieversorgung, die in großer Offenheit und mit Respekt erörtert worden sind. Ohne diese Grundpositionen aufzugeben, haben sich die Mitglieder der Ethik-Kommission im Konsens auf die handlungspraktischen Konsequenzen geeinigt, die in dem Bericht dargelegt sind. Mit ihm will die Ethik-Kommission zu einer informierten und reflektierenden Diskussionskultur beitragen“ (Ethik-Kommission 2011: 19). Auf einen sehr wichtigen, nur scheinbar ganz ethikfernen, Punkt der Atomausstiegsdebatte weist Uekötter (2014: 244) hin: „Mit dem freien Spiel der Kräfte am Markt hatte die Entwicklung der Kernenergie nicht viel zu tun, umso mehr dagegen mit Utopien, staatlichen Machtansprüchen und planerischen Allmachtsfantasien.“ Komplementär zur Risikodebatte war die Atomindustrie mit Ausnahme der abgeschriebenen, aber noch nicht altersschwachen, laufenden Reaktoren in erhebliche betriebswirtschaftliche Probleme geraten. Insofern sei es, so Uekötter, geradezu eine „neue Dolchstoßlegende“, wenn nun behauptet würde, die mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz habe „Atomkraft als klimaneutrale Spitzentechnologie“ (ebd.: 245) verhindert. Solche Hinweise und Überlegungen sind (wirtschafts-)ethisch von entscheidender Bedeutung, weil eben nicht vermeintlich staatliche Willkür gegen freies Unternehmertum steht, sondern der gesamte Energiebereich schon seit seiner Entstehung einen staatlich-industriellen Komplex bildet – übrigens in jeder bestehenden Form möglicher Wirtschaftssysteme. Insofern ist also die rechtliche Frage einer möglichen staatlichen finanziellen Entschädigung der Energieversorger aufgrund des Atomausstiegs ausgesprochen differenziert anzugehen und ethisch zu reflektieren. Energieversorgung als Teil der Daseinsvorsorge und Infrastruktur beruht stets auf politischen, staatlichen Grundentscheidungen. Insofern stellen Atomausstieg und Energiewende keine fremden und per se schlechten ,dirigistischen‘ Eingriffe dar, sondern lediglich andere als vorher.
III. Das „Prinzip Verantwortung“, der Klimawandel und die Energiewende Der Philosoph Hans Jonas formuliert: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“ (Jonas 1979: 36). Er schreibt weiter, dass wir als individuelle Menschen und als Menschheit verantwortlich dafür sind, „dass eine Menschheit sei“.
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Jonas kritisiert den weiter oben erwähnten Ernst Bloch. In provozierender Form formuliert er seine neue Sicht der Dinge in dem Buch Das Prinzip Verantwortung. Es ist eines der wohl einflussreichsten technik- und wissenschaftsethischen Werke der Gegenwart. Und es ist kein Zufall, dass der Titel Assoziationen mit Blochs Prinzip Hoffnung weckt, denn er ist explizit dagegengesetzt. Bloch ist nach Immanuel Kant und vor Marx der meistzitierte Autor in Jonas’ Opus Magnum. Seine Kritik richtet sich gegen die Selbstverständlichkeiten in den Konzepten von Francis Bacon, René Descartes und auch Bloch, dass die Resultate von Wissenschaft und Technik im Prinzip das moralisch Gute befördern würden. Auch die Naturvergessenheit der technischen Moderne wird von Jonas scharf kritisiert. Er widmet den Großteil seines Buches einer Kritik des falschen Naturverhältnisses und Technikverständnisses. Jonas wendet sich gegen jede quasi-utopische Heilsgewissheit der Technologie unabhängig vom Gesellschaftssystem. Fragen des politischen Kontexts der technischen Zivilisation entwickelt er lediglich ex negativo, indem er die sozialistische Alternative nach sorgfältiger Prüfung verwirft. Zur Frage der Gesellschaftsform, in der Jonas’ eigenes Prinzip Verantwortung umsetzbar wäre, ist nichts zu erfahren. Die politische (Wissenschafts- und Technik-)Philosophie verschwindet zugunsten einer individuell-anthropologisch orientierten Ethik – allerdings orientiert auf das Ziel einer Menschheit, in der alle ein gutes Leben führen können. Jonas zeigt dabei, dass sowohl rein gesellschaftspolitisch modellierte Technikvisionen als auch die heute verbreiteten vollständig individualisierten Positionen – Entscheidungen über Techniken sind rein private Entscheidungen autonomer Individuen über deren auch moralische Präferenzen in einem Markt von Angeboten – von der Sache her unangemessen und aus ethischer Perspektive unverantwortlich sind. Aus der Verpflichtung zur Erhaltung einer Welt, in der Menschen ein gutes Leben führen können, leitet sich die Verpflichtung für Biodiversitäts-, Umwelt-, und Klimaschutz (und für noch vieles mehr!) ab. Aus dem Prinzip Verantwortung ergibt sich außerdem eine Begründung für die Energiewende – zur Gefahrabwehr sowie zur Gewährleistung einer dauerhaften Energieversorgung. An dieser Stelle ist es sinnvoll, sich den normativ-politischen Rahmen der Nachhaltigen Entwicklung zu vergegenwärtigen. Im Jahre 1987 erschien der „BrundtlandBericht“ der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (UNCED). Darin wurde Sustainable Development, weit über die forstliche Ressourcen-Nachhaltigkeit nach Carlowitz (1713) hinausgehend, folgendermaßen definiert: „Dauerhafte [sic!] Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. Zwei Schlüsselbegriffe sind wichtig: der Begriff von ,Bedürfnissen‘, insbesondere der Grundbedürfnisse der Ärmsten der Welt, die die überwiegende Priorität haben sollten; und der Gedanke von Beschränkungen, die der Stand der Technologie und sozialen Organisation auf die Fähigkeit der Umwelt ausübt, gegenwärtige und zukünftige Bedürfnisse zu befriedigen.“ (UNCED 1987: 46). Der letzte Punkt zielt auf die naturale und technische Basis zur Befriedigung
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menschlicher Bedürfnisse (dazu aus ethischer Perspektive u. a. Nussbaum 2011). Die derzeitige normativ-politische Rahmung sowie die Umsetzungsziele der Nachhaltigen Entwicklung bündeln sich in den Sustainable Development Goals (SDG), die von den Vereinten Nationen im September 2015 beschlossen wurden (UN 2015). Oft erscheint der Begriff der Nachhaltigkeit bzw. der Nachhaltigen Entwicklung als völlig unterbestimmt und opak, so dass er sich zu allem Möglichen und Unmöglichen ge- und missbrauchen lässt. Das ist sicherlich der Fall, gleichwohl ist aus ethischer Sicht mehr und Substanzielles zu gewinnen: Zunächst einmal wird auf die Gerechtigkeitsforderung gegenüber allen heutigen und zukünftigen Menschen verwiesen, was Haltungen à la „was gehen mich die Armen dieser Welt an“ und „nach mir die Sintflut“ schlichtweg und zweifelsfrei als unmoralisch ausweist. Hier werden im Gegenteil anspruchsvolle Forderungen der Gerechtigkeit erhoben. Das gilt auch für den Fokus auf die Ärmsten der Welt, die besonders zu berücksichtigen sind. Daraus ergeben sich sehr konkrete Forderungen nach globalem Teilen und langfristig orientierter Vorsorge sowie die Kritik an Gruppen-, Klassen- und nationalen Egoismen. Wie jedes allgemeine Prinzip muss Nachhaltigkeit konkretisiert und spezifiziert werden, hier unterscheidet es sich nicht von anerkannten Prinzipien wie Freiheit, Menschenwürde, Demokratie/Partizipation oder ähnlichen. Ott & Döring (2008) zufolge umfasst Nachhaltigkeit als ethisch basierte Theorie sieben Ebenen, die Schritt für Schritt auseinander zu entwickeln sind: (1) die Grundidee der inter- und intragenerationellen Gerechtigkeit, (2) die Konzeption der starken Nachhaltigkeit, also die Einsicht, dass nicht alle Güter der Natur durch Geld, Technik oder Wissen ersetzbar sein können, insbesondere die sog. Urproduktion der Umwandlung von Sonnen- und chemischer Energie in energiereiche Verbindungen sowie die Basisleistungen der Ökosysteme zur Aufrecht- bzw. Reinhaltung von Boden, Wasser und Atmosphäre, sowie dazu passende Grundregeln der Erhaltung; (3) die Leitlinien der Resilienz (Systemerhaltung bzw. dynamische Weiterentwicklung), Suffizienz (Bestimmung des Nötigen) und Effizienz; (4) die Identifikation prioritärer Handlungsfelder (u. a. Klimaschutz, Energie); (5) Regeln und Zielsysteme für unterschiedliche Handlungsfelder; (6) Spezialkonzepte und -modelle, Indikatorenbildung; (7) Implementation und Monitoring. Diese kurze Auflistung soll lediglich anzeigen, dass sich Nachhaltigkeit sehr wohl systematisch entwickeln und operationalisieren lässt. Betrachten wir nun die Energiewende vor dem Hintergrund des Klimawandels. Die deskriptiven Ausgangspositionen sind inzwischen weitgehend unstrittig: Erstens entscheidet die Höhe der akzeptierten CO2-(und N2O-, CH4-…)Konzentration(en) über Lebenschancen und Lebensweisen von Menschen, über Existenz und Verbreitung von Tier- und Pflanzenarten sowie über Struktur und Funktion von Ökosystemen. Zweitens stellt die Festlegung von Treibhausgas-Reduktionszielen kein technisches Problem dar, sondern ein politisches (IPCC 2007, 2014). Energieversorgung auf lokaler, regionaler und globaler Ebene und Gesellschaftspolitik hängen (auch) hinsichtlich des Klimawandels untrennbar zusammen. Die eva-
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luativen und normativen Fragen betreffen genuin ethische und rechtliche und politische Dimensionen. Bereits lange vor der AKW-Katastrophe von Fukushima gab es die Zielvorstellung, zu 100 % auf regenerative Energien umzusteigen. Der Politiker und Solarenergieexperte Hermann Scheer (2010) lieferte in seinem Buch „Der energethische Imperativ“ eine Begründung der Dringlichkeit dieser Zielsetzung sowie Belege für ihre Machbarkeit. Außerdem argumentierte er zugunsten der Ablehnung von Atomkraft oder auch Kohle als „Brückentechnologien“. Die Begründung zum möglichst raschen Verzicht auf Atomenergie, auch nicht als Überbrückung des Ausstiegs aus fossilen Quellen, ergibt sich aus den weiter oben ausgeführten Argumenten. Scheer vertritt darüber hinaus eine inhaltlich und strukturpolitisch kompromisslose Position. Er kann zeigen, dass die Skepsis gegenüber erneuerbaren Energien sachlich unrichtig war und die Prognosen gegenüber deren Einführungstempo und des maximal möglichen Anteils falsch waren. Zugleich postuliert er, dass die derzeitige zentralistische Struktur mit großen Energieversorgungsunternehmen eine echte Energiewende unmöglich mache und ausschließlich die lokale und dezentrale Produktion der richtige Weg sei. So streitbar und strittig diese Thesen sein mögen, sie scheinen einen sehr wahren Kern zu haben, insofern in der Tat die meisten aktuellen politischen Hauptprobleme der Energiewende mit der zentralistischen Ausrichtung zu tun haben: Stromtrassen, Machbarkeit massiver Offshore Windenergie, Beharren auf Grundlastproduktion durch große AKW und Kohlekraftwerke. Gegen Scheer scheinen die vielfachen lokalen Widerstände mit Bezug auf die Windkraft zu sprechen, doch auch hier geht es vor allem um die extreme Konzentration von immer größeren Anlagen. Wie dem auch sei, zugleich – mit Scheer und darüber hinaus – ist jedoch offensichtlich, dass beim derzeitigen Anteil der fossilen Energieträger von 85 % (Primärenergie in Deutschland) niemand ernsthaft von einem vollständigen Umstieg ,bis morgen‘ reden kann. Die Berücksichtigung der Klimaschutzziele (inkl. der Beschlüsse der Conference of Parties in Paris 2015) erfordert allerdings in der Tat sehr radikale Schritte. Der Atomausstieg und die Energiewende werden sich inkrementell und von Land zu Land verschieden vollziehen müssen, müssen jedoch im Sinne der Vorsorge möglichst rasch erfolgen. Deutschland ist hier gegenüber Frankreich in einem erheblichen Vorteil, was aber aus ethischer Sicht für besonders hohes Tempo des Aus- und Umstiegs spricht. Die bisherigen Erfahrungen sprechen dafür, dass der Verzicht auf AKW sehr viel radikaler und früher möglich ist als bislang vermutet. Die Vorreiterrolle von Deutschland begründet keine moralische Überlegenheit, sondern im Gegenteil: Gerade weil die Energiewende hier günstigere Voraussetzungen findet als anderswo, ist sie besonders rasch voranzutreiben.
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IV. Kriterien zur Beurteilung von Systemen der Energieversorgung Zur Beurteilung der Nachhaltigkeit von Energieversorgungssystemen lassen sich zunächst generell folgende fünf Kriterien heranziehen: Wirtschaftlichkeit, langfristige Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit, Verteilungsgerechtigkeit (Gewinne und Lasten) sowie Sozialverträglichkeit (Akzeptabilität und Kompatibilität im Kontext; verändert nach Streffer et al. 2005). Als zusätzliche Kriterien sollten die Politikverträglichkeit, also die Vereinbarkeit mit grundlegenden demokratischen Rechten und Zielen, sowie die technische und systemische Handhabbarkeit im Sinne von Fehlerfreundlichkeit bzw. Reversibilität dienen. Es ist klar, dass sich bestimmte Aspekte nicht eindeutig nur einem Kriterium zuordnen lassen. Die aufgeführten Kriterien dürfen sich ferner weder auf eine reine Bedarfsorientierung noch auf die rein technische Machbarkeit konzentrieren. Alle Kriterien integriert bilden den konkreten ethischen Sinn von „Nachhaltigkeit“ als „Zukunftsgerechtigkeit“ (anders angesetzt, aber im Ergebnis ähnlich, argumentieren Droste-Franke et al. 2014). Bezüglich einer zukunftsgerechten Energieversorgung sind folgende Konsense und moralische Verpflichtungen erkennbar: die intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit soll gewährleistet werden; die Biodiversität soll erhalten, der Sortenund Artenrückgang gestoppt werden (Potthast 2007); die Effizienz der Energienutzung soll erheblich erhöht werden; ein rascher und weitgehender Ersatz der fossilen Energieträger soll vollzogen werden. Darüber hinaus besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass nicht jede Form regenerierbarer oder CO2-neutraler Energiequellen per se nachhaltig ist. Hier muss eine Abwägung mittels der Kriterien vorgenommen werden. Der vielleicht wichtigste Punkt, der sich nicht oder nur indirekt in den o.g. Kriterien findet, ist die Frage nach dem Energiebedarf. Wer bestimmt eigentlich mit welchen guten Gründen, welche Energiemenge pro Kopf oder Region oder Staat „nötig“ ist. Die Frage „Was bedeutet genug?“ ist die Frage nach der Suffizienz, die notorisch marginalisiert wird. Der Grund dafür ist, dass die Suffizienz vielleicht am radikalsten ethische Fragen nach dem individuell gelungenen Leben mit der politischen Ökonomie verbindet: In einem alles andere als trivialen Sinne wird das Private wieder politisch, weil grundsätzlich und eben gesellschaftspolitisch nach gerechtfertigten Ansprüchen eines energieintensiven Lebens gefragt wird.
V. Schlussbemerkungen zu Grenzen des Wachstums und Suffizienz Drei Punkte lassen sich an dieser Stelle zum Verhältnis von Energiewende und Nachhaltiger Entwicklung zusammenfassend festhalten: a) Fragen der Energiewende sind Fragen einer Nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Gerechtigkeit gegenüber heute und künftig lebenden Generationen; b) Fragen der Nachhaltigen Entwick-
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lung sind Fragen nach Entwürfen menschlicher Natur- und Gesellschaftsverhältnisse (vgl. Rink et al. 2004; Potthast 2015); c) Fragen der Nachhaltigen Entwicklung beziehen sich auf die Leitlinien Konsistenz/Resilienz – Effizienz – Suffizienz. Hier ergibt sich ein Übergang zur Frage nach Paradigmata des Wachstums in/von Gesellschaften. Die politisch-ethische Problemlage zu den Grenzen des Wachstums sieht folgendermaßen aus: „Wachstum“ als Kriterium für gutes Regieren und sozialen Ausgleich ist langfristig illusionär, da kein unendlich-kontinuierliches Wachstum möglich ist. Zudem ist die Kopplung von Wachstum und Glück fraglich bzw. nicht gegeben. Die Kehrseiten des Wirtschaftswachstums liegen darüber hinaus auf der Hand: es gibt zahlreiche Verlierer in Gesellschaft (tendenziell die Ärmsten/Marginalisierten) und Umwelt, auf deren Kosten das Wachstum erfolgt. Die drei Leitlinien der Nachhaltigen Entwicklung wurden bereits weiter oben genannt: (1) Konsistenz/Resilienz: Bewirtschaftungsmodelle werden als Kreislaufoder Recyclingmodelle vorgestellt, das Ziel für unsere Fragestellung ist unstrittig die Umstellung auf 100 % regenerative Energiequellen. (2) Effizienz: Das Wirtschaftswachstum soll vom Ressourcenverbrauch entkoppelt werden, das ebenfalls unstrittige Ziel ist eine Effizienzsteigerung bei Energieproduktion, Transport, Speicherung. (3) Suffizienz: Hier steht die Frage der Notwendigkeit einer bestimmten Menge an Energie zur Debatte, und die ist ausgesprochen strittig. Gefordert wird von nicht Wenigen die Reduktion des Ressourcenverbrauchs, das bedeutet als Ziel die absolute Reduktion des Energiebedarfs. Dies hätte aber als Resultat ein letztlich negatives Wachstum: de-growth. Die These der Degrowth-Bewegung lautet nun, dass Effizienz und Konsistenz nicht nur nicht ausreichen, sondern dass Effizienz sogar grundsätzlich der falsche Ansatz ist, weil über sog. Rebound-Effekte letztlich noch mehr Ressourcen verbraucht werden, weil mehr Menschen sich mehr Energieeinsatz leisten können, was wiederum absolut mehr von allem erfordert (vgl. Fatheuer et al. 2015). Das Verhältnis von Nachhaltigkeit, Wachstum und Kultur ist keine ganz neue Thematik. Bereits John Stuart Mill hielt in seinem Werk „Grundsätze der Politischen Ökonomie“ fest: „Ich brauche wohl nicht zu bemerken, dass ein Stillstand in der Kapital- und Bevölkerungszunahme nicht notwendig auch einen Stillstand des menschlichen Kulturfortschritts in sich schließt. Der Spielraum für alle geistliche Kultur, für alle sittlichen und gesellschaftlichen Fortschritte würde noch ebenso groß sein, es wäre noch ebenso viel Raum da für die Verschönerung der Lebenshaltung und auch viel mehr Wahrscheinlichkeit, für deren Fortschritte, wenn die Gemüter nicht mehr so ausschließlich durch die Sucht, wirtschaftlich vorwärtszukommen, in Anspruch genommen würden.“ (Mill 1921: 395). Mill als einer der Begründer des Liberalismus sollte all die beruhigen, die einen ,Zwangsstaat‘ bei der Energiewende befürchten.
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Abschließend sei Folgendes festgehalten: Der Ausstieg aus der Atomenergie ist ethisch mit Blick auf extreme Risiken und das Vorsorgeprinzip, aber auch mit Blick auf sozioökonomische Erwägungen sehr gut begründet. Details des Ausstiegs sind politisch-ökonomisch-technisch zu klären, und diese Aufgabe ist ungeheuer anspruchsvoll. Die Atomenergie im Sinne einer Überbrückung statt fossiler Energieträger zu nutzen, ist nicht plausibel. Die Energiewende hin zu 100 % regenerativ ist ethisch gut begründet. Grundzüge des neuen Energiesystems und damit verbundene Details der Energiewende hinsichtlich der Art und Weise sind ethisch zu reflektieren und politisch-ökonomisch-technisch zu klären. Nicht nur möglicher-, sondern notwendigerweise setzen hier sehr grundlegende politisch-ökonomische und zugleich ethische Debatten über die Struktur der (Markt-)Wirtschaft, Gemeinwohlorientierung und Wachstumsfragen an. Die Energiewende kann gelingen, aber nur dann, wenn auch Suffizienzfragen – ethisch ausgedrückt: Aspekte des Lebens- bzw. Energiekonsumstils als kulturelle und strebensethische aber auch deontologische Fragen – adressiert und anders gelöst werden als bisher. Business as usual nur mit 100 % Regenerativen wird nicht reichen – und ist daher auch ethisch nicht legitimiert.
Literatur Ammicht Quinn, Regina/Thomas Potthast (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit Julia Dietrich, Jessica Heesen, Birgit Kroeber und Simon Meisch: Ethik in den Wissenschaften – 1 Konzept, 25 Jahre, 50 Perspektiven. Materialien zur Ethik in den Wissenschaften 10, IZEW, Tübingen 2015. Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1959. Bundesregierung o.J.: https://www.bundesregierung.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/Artikel/ 2011/04/2011-04-04-ethikkommission.html;jsessionid=26AE597E435973A13DBC05 DA10BB5509.s3t1?nn=392066. Carlowitz, Hans Carl von: Silvicultura oeconomica – oder hausswirthschaftliche Nachricht und naturmässige Anweisung zur wilden Baum-Zucht. Joh. Leipzig 1713. Neuausgabe u. a. Joachim Hamberger (Hrsg.): Sylvicultura oeconomica oder Haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht. oekom, München 2013. Digital: http:// reader.digitale-sammlungen.de/resolve/display/bsb10214444.html. Droste-Franke, Bert/Carrier, Martin/Kaiser, Matthias/Schreurs, Miranda/Weber, Christoph/ Ziesemer, Thomas: Improving Energy Decisions – Towards a better scientific policy making for a safe and secure future energy system. Springer, Dordrecht 2014. Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung: Deutschlands Energiewende – Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft Berlin 2011. https://www.bundesregierung.de/ContentArchiv/ DE/Archiv17/Artikel/2011/05/2011 - 05 - 30-bericht-ethikkommission.html. Fatheuer, Thomas/Fuhr, Lili/Unmüßig, Barbara: Kritik der Grünen Ökonomie. oekom, München 2015. IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change: Climate Change 2007 – Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Fourth Assessment Report of the Inter-
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Die Kernbrennstoffsteuer auf dem Prüfstand von EuGH und BVerfG* Von Rainer Wernsmann, Passau
I. Die Kernbrennstoffsteuer Zu den letzten „juristischen Rückzugsgefechten der Atomkonzerne“1 nach dem (zweiten) Ausstieg aus der Atomkraft zählt auch der Streit um die Vereinbarkeit der Kernbrennstoffsteuer mit Unionsrecht und deutschem Verfassungsrecht. Die Kernbrennstoffsteuer wurde vom Bund mit dem Kernbrennstoffsteuergesetz vom 8. 12. 2010 (KernbrStG)2 eingeführt. Sie wird seit Anfang 2011 erhoben und ist befristet bis zum 1. 1. 2017. Der Steuer unterliegen die Kernbrennstoffe Plutonium 239 und 241 sowie Uran 233 und 235 (§ 2 Nr. 1 KernbrStG). Sie entsteht dadurch, dass ein Brennelement oder einzelne Brennstäbe in einen Kernreaktor erstmals eingesetzt werden und eine sich selbsttragende Kettenreaktion ausgelöst wird (§ 5 Abs. 1 KernbrStG). Dadurch entsteht im Reaktor Wärme, wodurch wiederum Strom produziert wird. Pro Gramm Brennstoff entfallen 145 Euro an Kernbrennstoffsteuer (§ 3 KernbrStG). Steuerschuldner sind die jeweiligen Anlagenbetreiber (§ 5 Abs. 2 KernbrStG). Ausweislich der Gesetzesbegründung beruhte die Einführung der Kernbrennstoffsteuer auf fiskalpolitischen Erwägungen: Die Erträge aus der Steuer sollten vor dem Hintergrund der Haushaltskonsolidierung die Belastung des Bundes durch die Sanierung der Schachtanlage Asse II verringern.3 Hintergrund war demzufolge das Verursacherprinzip. Die Betreiber mehrerer Kernkraftwerke stellten Eilanträge auf Aussetzung der Vollziehung der von Anfang an umstrittenen Steuer. Sowohl das FG Hamburg4 als auch das FG München5 hegten ernstliche Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes und gewährten einstweiligen Rechtsschutz. Das FG Baden-Württem* Für vorbereitende Arbeiten danke ich Frau Wiss. Mit. Johanna Wernthaler. 1 Kahl/Bews, NVwZ 2015, 2081. 2 BGBl. I 2010, 1804. 3 BT-Drs. 17/3054, S. 1. 4 FG Hamburg v. 16. 9. 2011, 4 V 133/11, NVwZ 2011, 1401 ff.; zuletzt FG Hamburg v. 11. 4. 2014, 4 V 154/134, DStRE 2014, 1333 ff. 5 FG München v. 4. 10. 2011, 14 V 2155/11, DStRE 2012, 48 ff.
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berg6 und später auch der BFH7 hielten die Kernbrennstoffsteuer hingegen für mit Verfassungs- und Unionsrecht vereinbar. Im Hauptsacheverfahren setzte das FG Hamburg dann später zwei Klageverfahren aus und legte wegen verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Bedenken parallel sowohl dem BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG8 als auch dem EuGH nach Art. 267 AEUV9 vor. Seither stand bzw. steht die Kernbrennstoffsteuer auf dem Prüfstand – sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene.
II. Prozessuale Frage: Parallele Vorlagen an EuGH und BVerfG Das Verfahren zur Kernbrennstoffsteuer warf auch ein prozessuales Problem auf: Darf ein Fachgericht die Frage, ob die Kernbrennstoffsteuer mit dem Unionsrecht vereinbar ist, nach Art. 267 AEUV dem EuGH vorlegen, wenn es zuvor bereits im selben Ausgangsverfahren dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG vorgelegt hat, weil es von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt ist? Es ging um die grundsätzliche Klärung des Konkurrenzverhältnisses von Vorlagen an BVerfG und EuGH, wenn die nationale Norm nach Auffassung des Fachgerichts sowohl gegen Verfassungsrecht als auch gegen Unionsrecht verstößt.10 Die Vorlage an den EuGH wäre für das Ausgangsverfahren nicht mehr entscheidungserheblich, wenn das BVerfG das KernbrStG ex tunc für nichtig erklärt hätte (§§ 78, 82 Abs. 1 BVerfGG). Solange die Entscheidung des BVerfG jedoch noch aussteht, kann die Entscheidungserheblichkeit im Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH nicht verneint werden. Dasselbe würde auch für den Fall gelten, dass das BVerfG die Kernbrennstoffsteuer für mit der Verfassung vereinbar gehalten hätte oder das KernbrStG zwar für verfassungswidrig, aber nur für die Zukunft für unanwendbar erklärt hätte. Stellte sich die Frage, ob eine nationale Norm sowohl verfassungs- als auch unionsrechtswidrig ist, nahm das BVerfG bisher ein „Wahlrecht“ des Fachgerichts an, welchem Gericht (BVerfG oder EuGH) zuerst vorgelegt wird.11 Der EuGH hält nunmehr eine parallele Vorlage nicht nur für möglich, sondern gegebenenfalls (in den Fällen des Art. 267 Abs. 3 AEUV) sogar für verpflichtend.12 Das Recht zur Vorlage 6 FG Baden-Württemberg v. 11. 1. 2012, 11 V 2661/11, DStRE 2012, 296 ff.; FG BadenWürttemberg, v. 11. 1. 2012, 11 V 4024/11, juris. 7 BFHE 236, 206; vgl. auch BFHE 247, 182. 8 FG Hamburg v. 29. 1. 2013, 4 K 270/11, juris; beim BVerfG ist das Verfahren unter dem Aktenzeichen 2 BvL 6/13 anhängig. 9 FG Hamburg v. 19. 11. 2013, 4 K 122/13, DStRE 2014, 1255. 10 Dazu näher Wernsmann, in: Schenke/Suerbaum, Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Europäischen Union, 2016, S. 147 ff. m.w.N. 11 BVerfGE 116, 202, 214 f.; 129, 186, 203. 12 EuGH v. 4. 6. 2015, Rs. C-5/14, Kernkraftwerke Lippe Ems GmbH, NVwZ 2015, 1122 ff., Rn. 39.
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an den Gerichtshof aus Art. 267 AEUV ist unbeschränkt.13 Aus der Natur des Unionsrechts folgt, dass jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung, auch wenn sie Verfassungsrang hat, die volle Wirksamkeit der Unionsnormen nicht beeinträchtigen darf.14 Auch wenn in Art. 100 Abs. 1 GG die Anrufung des BVerfG zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit bzw. Nichtigerklärung zwingend vorgeschrieben ist, ist das innerstaatliche Gericht befugt bzw. verpflichtet, dem EuGH Fragen nach der Auslegung oder Gültigkeit des Unionsrechts vorzulegen.15 Wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts kann Art. 100 Abs. 1 GG keine Sperrwirkung entfalten.16 Der Entscheidungserheblichkeit17 steht nicht entgegen, dass die Norm möglicherweise bereits wegen Verstoßes gegen die nationale Verfassung nichtig ist, solange dies noch nicht vom BVerfG festgestellt wurde; erst nach der Entscheidung des BVerfG ist die Norm ggf. nicht mehr Teil der nationalen Rechtsordnung (§ 31 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG).18 Selbiges gilt im umgekehrten Fall – ganz im Sinne des Kooperationsverhältnisses19: Im Verfahren der konkreten Normenkontrolle vor dem BVerfG entfällt die Entscheidungserheblichkeit erst, wenn die Norm wegen Unionsrechtswidrigkeit nicht mehr von nationalen Gerichten angewandt werden kann.20 Dem ist aus Gründen des effektiven (hier vor allem beschleunigten) Rechtsschutzes zuzustimmen.21 Nur so lässt sich ein paradoxes „Ping-Pong-Spiel“ zwischen EuGH und BVerfG verhindern, bei dem das eine Gericht die Vorlage wegen einer bereits beim anderen Gericht anhängigen Vorlage für unzulässig erklären könnte.22 13
EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 31 f. EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 33. So bereits EuGH v. 9. 3. 1978, Rs. C-106/77, Simmenthal, Slg. 1978 629, Rn. 22; v. 19. 6. 1990, Rs. C-213/89, Factortame u. a., Slg. 1990 I-2433, Rn. 20; v. 15. 1. 2013, Rs. C-416/10, Krizˇ an u. a., NVwZ 2013, 347, 350, Rn. 70; nicht überzeugend Nieskens, EU-UStB 2015, 45, 46, der in der Herabstufung von Art. 100 GG zur „nationalen Verfahrensvorschrift“ mangelnden Respekt des EuGH gegenüber dem Verfassungsrecht und dem höchsten deutschen Gericht erblickt; zu fragen wäre zudem noch, ob Art. 100 Abs. 1 GG überhaupt eine parallele Befassung des EuGH verbietet. 15 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 34. 16 So bereits FG Hamburg v. 19. 11. 2013 (Fn. 9), DStRE 2014, 1255, 1256 f.; ausführlich hierzu Kahl/Bews, NVwZ 2015, 1081, 1082. 17 Zur großzügigen Handhabung des Kriteriums „Entscheidungserheblichkeit“ vgl. z. B. Wegener, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 267 Rn. 23 m.w.N. 18 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 29 ff. 19 Anders Nieskens, EU-UStB 2015, 45, 46, der davon ausgeht, dass sich der EuGH „das erste und entscheidende Beurteilungsrecht“ anmaßt. 20 BVerfGE 85, 191, 203 ff.; 106, 275, 295; 116, 202, 214 f.; Wernsmann, in: Ehlers/ Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2009, § 16 Rn. 61. Vgl. auch BVerfGE 110, 141, 155 f. für die Verfassungsbeschwerde. 21 Im Ergebnis auch Fischer, ZfZ 2015, 198. 22 So auch Kahl/Bews, NVwZ 2015, 1081, 1082; Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2015, Rn. 638. 14
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III. Die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht Die Kernbrennstoffsteuer ist mit dem Unionsrecht vereinbar. So entschied der EuGH am 4. 6. 201523 auf ein Vorabentscheidungsersuchen des FG Hamburg vom 19. 11. 201324 hin. In Frage stand die Vereinbarkeit der Kernbrennstoffsteuer mit der Energiesteuerrichtlinie25 (EnergieStRL), der Verbrauchsteuer-Systemrichtlinie26 (VerbrauchStStystemRL), dem europäischen Beihilferecht sowie dem EURATOMVertrag. 1. Vereinbarkeit mit der EnergieStRL Aus materiell-rechtlicher Sicht stellte sich vor allem die Frage, ob die EnergieStRL (RL 2003/96/EG) die Erhebung einer Steuer auf die Verwendung von Kernbrennstoff verbietet. Nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EnergieStRL sind bestimmte bei der Stromerzeugung verwendete „Energieerzeugnisse“ von der Steuer zu befreien. Das vermeintliche Konzept dahinter ist die reine Output-Besteuerung von elektrischem Strom, um eine Mehrfachbesteuerung von Strom zu vermeiden.27 Strom soll nur beim Verbrauch durch den Endverbraucher besteuert werden. Dies entspräche auch dem Bestimmungslandprinzip, welches als dem EU-Verbrauchsteuerregime immanent gilt.28 Die mit der Kernbrennstoffsteuer einhergehende Input-Besteuerung läuft diesem Grundgedanken zuwider.29 Wie kommt der EuGH dennoch zu einer Vereinbarkeit mit Unionsrecht? In Art. 2 Abs. 1 EnergieStRL wird der Begriff der „Energieerzeugnisse“ im Sinne der Richtlinie mit Verweis auf die Codes der Kombinierten Nomenklatur abschließend definiert. Insoweit beschränkt sich der EuGH auf den Hinweis, dass der vom KernbrStG erfasste Kernbrennstoff nicht auf der Liste steht und somit kein „Energieerzeugnis“ für Zwecke der Richtlinie darstellt.30 Nach dem Wortlaut unterfällt die Kernbrennstoffsteuer nicht dem sachlichen Anwendungsbereich der EnergieStRL. Ein Teil des Schrifttums sprach sich jedoch für eine analoge Anwendbarkeit des Art. 14 EnergieStRL aus.31 Der EuGH erkennt dagegen mit Recht keinen Grundsatz, 23
EuGH v. 4. 6. 2015, Rs. C-5/14 (Fn. 12). FG Hamburg v. 19. 11. 2013 (Fn. 9). 25 Richtlinie Nr. 2003/96/EG des Rates v. 27. 10. 2003, ABl. EG Nr. L 283 S. 51 v. 31. 10. 2003. 26 Richtlinie Nr. 2008/118/EG des Rates v. 16. 12. 2008, ABl. EG 2009 Nr. L 9 S. 12 v. 14. 1. 2009. 27 Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281; Stein/Thoms, BB 2011, 471, 477; Kube, IStR 2012, 553, 555; Martini, ZUR 2012, 219, 227; Gärditz, in: Löwer, Veranlassung und Verantwortung bei der Energiewende, S. 73, 98; Kahl/Bews, NVwZ 2015, 1081, 1084. 28 Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. 2016, § 12 Rn. 10. 29 Ebenso statt vieler Gärditz (Fn. 27), S. 73, 98 m.w.N. 30 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 47 f. 31 Kube, IStR 2012, 553, 556 ff.; Stein/Thoms, BB 2011, 471, 477; wohl auch Birk, Handelsblatt Steuerboard v. 21. 7. 2010, abrufbar unter http://blog.handelsblatt.com/steuerboard/ 24
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nach dem die Erhebung einer Steuer auf den Verbrauch elektrischer Energie einer Steuer auf den zu ihrer Erzeugung eingesetzten Energieträger entgegenstünde.32 Das vermeintliche Verbot der Inputbesteuerung wird sogar für „Energieerzeugnisse“ im Sinne der EnergieStRL selbst durchbrochen, indem es den Mitgliedstaaten nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 freisteht, Inputumsätze aus umweltpolitischen Gründen zu besteuern.33 Erst recht kann nichts anderes für Energieerzeugnisse gelten, die vom Unionsgesetzgeber bewusst aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeklammert wurden.34 Es fehlt daher jedenfalls schon an einer planwidrigen Regelungslücke als Voraussetzung für eine analoge Anwendung einer Norm.35 Die EnergieStRL steht also einer Inputbesteuerung durch die Kernbrennstoffsteuer nicht entgegen. 2. Vereinbarkeit mit der VerbrauchStSystemRL Überdies beriefen sich Kritiker auf die mangelnde Vereinbarkeit der Kernbrennstoffsteuer mit der VerbrauchStSystemRL (RL 2008/118/EG).36 Dabei ist aber die entscheidende Vorfrage, ob in Bezug auf die Kernbrennstoffsteuer überhaupt der sachliche Anwendungsbereich der VerbrauchStSystemRL eröffnet ist. Der EuGH verneint dies.37 Der unionsrechtliche Verbrauchsteuerbegriff weist im Vergleich zum deutschen Verbrauchsteuerbegriff in dogmatischer Hinsicht weniger Grenzschärfe auf.38 Der EuGH fasst darunter indirekte Steuern, die auf den Verbrauch bestimmter Waren erhoben werden.39 Zu beantworten war mithin die Frage, ob die Kernbrennstoffsteuer als indirekte Steuer auf elektrischen Strom qualifiziert werden kann.40 Voraussetzung wäre nach Ansicht des EuGH ein unmittelbarer und untrennbarer Zusammenhang 2010/07/21/kommt-die-kernbrennstoff steuer/; a.A. Martini, ZUR 2012, 219, 227; FG BadenWürttemberg v. 11. 1. 2012 (Fn. 6), DStRE 2012, 296, 302, mit Verweis auf die mangelnde Planwidrigkeit der Regelungslücke; Eiling, Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben an die Einführung neuer Verbrauchsteuern, S. 212 f.; Gärditz (Fn. 27), S. 73, 99. 32 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 51. 33 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 51; so bereits Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281. 34 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 52; so bereits Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281; a.A. Kube, IStR 2012, 553, 556; näher hierzu Kahl/Bews, NVwZ 2015, 1081, 1084. 35 Zu den Analogievoraussetzungen z. B. Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/ FGO, Stand: Juli 2016, § 4 AO Rn. 692 m.w.N. 36 Z. B. Kube, IStR 2012, 553, 558 m.w.N. 37 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 66; im Ergebnis ebenso Martini, ZUR 2012, 219, 227; Eiling (Fn. 31), S. 215; Gärditz (Fn. 27), S. 73, 101. 38 So auch Kahl/Bews, NVwZ 2015, 1081, 1084 f. 39 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 56. 40 Bei der Kernbrennstoffsteuer handelt es sich nicht um eine Steuer auf „Energieerzeugnisse“ im Sinne der EnergieStRL. Der Anwendungsbereich wäre deshalb nur eröffnet, wenn die Kernbrennstoffsteuer entweder als mittelbare Steuer auf den Verbrauch von Strom gemäß Art. 1 Abs. 1 VerbrauchStSystemRL oder als andere indirekte Steuer auf Strom nach Art. 1 Abs. 2 VerbrauchStSystemRL eingeordnet werden könnte.
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zwischen der Verwendung von Kernbrennstoff und dem Verbrauch des vom Reaktor erzeugten elektrischen Stroms.41 Wegen der verschiedenen Arten und Eigenschaften der Brennstoffe sowie der unterschiedlichen Wirkungsgrade der Kraftwerke wird die vom EuGH geforderte Proportionalität allerdings nicht erreicht.42 Im Gegenteil entsteht die Steuer bereits durch das Auslösen einer selbsttragenden Kettenreaktion durch Einsatz der Brennelemente, ohne dass dadurch notwendigerweise Strom erzeugt oder verbraucht wird.43 Mangels Abwälzbarkeit werde die Kernbrennstoffsteuer letztendlich auch nicht im Strompreis abgebildet, die Steuer sei für den Erzeuger nicht neutral.44 Die Kernbrennstoffsteuer unterfällt im Ergebnis Art. 1 Abs. 3 Buchst. a VerbrauchStSystemRL. Sie ist als nicht harmonisierte Verbrauchsteuer ohne weiteres zulässig, weil keine mit dem Grenzübertritt verbundene Formalität eingeführt wird.45 Obwohl der EuGH die Anwendbarkeit der VerbrauchStSystemRL wegen Verneinung des Verbrauchsteuercharakters i. S. d. Richtlinie ablehnt, ist der Ausgang des Verfahrens vor dem BVerfG offen. Denn mit der Entscheidung des EuGH über den unionsrechtlichen Verbrauchsteuercharakter ist noch keine Aussage darüber getroffen, ob es sich um eine Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG handelt: Erstens gilt in Bezug auf den Verbrauchsteuerbegriff im Unionsrecht der Grundsatz der autonomen Auslegung, so dass keine Deckungsgleichheit mit dem nationalen Verbrauchsteuerbegriff bestehen muss.46 Zweitens stützt sich der EuGH hier bei der Beurteilung der tatsächlichen Abwälzbarkeit auf Angaben des vorlegenden Gerichts, welche er als Sachverhaltsfrage voraussetzt. Drittens erforderte die Prüfung des EuGH einen Kunstgriff: Es ging um die Besteuerung des Verbrauchs von durch Kernbrennstoffe erzeugtem Strom – nicht um den Verbrauch der Kernbrennstoffe selbst.47 Ob dieser Stellschrauben wäre die Annahme einer Verbrauchsteuer durch das BVerfG keineswegs Ausdruck „judikativer Schizophrenie“48.
41 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 65; kritisch zum engen Kriterium der Deckungsgleichheit zwischen eingesetztem Produktionsmittel und Endprodukt Kahl/Bews, NVwZ 2015, 1081, 1085. 42 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn.12), Rn. 63; dazu auch bereits Generalanwalt Szpunar in seinen Schlussanträgen zur Rs. C-5/14 vom 3. 2. 2015, Rn. 58 ff., abrufbar unter http://curia.europa. eu/juris/document/document.jsf?docid=162041&doclang=DE. 43 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 63. 44 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 64. 45 Ebenso Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281; Martini, ZUR 2012, 219, 227. 46 Z. B. Eiling (Fn. 31), S. 15 m.w.N. 47 So auch Kahl/Bews, NVwZ 2015, 1081, 1086. 48 Kahl/Bews, NVwZ 2015, 1081, 1086.
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3. Vereinbarkeit mit dem Beihilfenrecht Die Kernbrennstoffsteuer stellt schließlich auch keine nach Art. 107 Abs. 1 AEUV verbotene Beihilfe dar.49 Zwar können steuerliche Vergünstigungen als staatliche Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV qualifiziert werden, wenn bestimmte Produktionszweige gegenüber anderen Produktionszweigen begünstigt werden sollen.50 Dies gilt jedoch nur, wenn sich diese im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden.51 Bei Arten von Stromerzeugung, bei der kein Kernbrennstoff verwendet wird, fallen keine radioaktiven Abfälle an. Diese sind auch nicht von der Kernbrennstoffsteuer betroffen. Eine Steuerregelung, nach der zur Stromerzeugung eingesetzte Energieträger grundsätzlich der Besteuerung unterliegen, gibt es nicht.52 Ziel der Kernbrennstoffsteuer ist nicht die Begünstigung der übrigen Kraftwerksbetreiber, indem sie von der regelhaften Besteuerung von Energieträgern ausgenommen werden. Hintergrund der Kernbrennstoffsteuer war die Beteiligung der Atomkonzerne an den Sanierungskosten für die Schachtanlage Asse II. Daraus ergibt sich zugleich die spezifische Beschränkung der Steuer.53 Es mangelt somit an der Selektivität der Maßnahme.54 4. Vereinbarkeit mit dem Euratom-Vertrag Die Kernbrennstoffsteuer wird nicht erhoben, weil Kernbrennstoff eine Grenze überquert, sondern unabhängig von der Herkunft des Brennstoffs wegen seiner Verwendung für die gewerbliche Stromerzeugung. Daraus schließt der EuGH, dass es sich hier um keine verbotene Abgabe zollgleicher Wirkung im Sinne von Art. 93 Abs. 1 des Euratom-Vertrags (EA) handelt.55 Nach Art. 86 EA steht das Eigentum an Brennstoffen der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) zu. Art. 191 EA i. V. m. Art. 3 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union schränkt das Besteuerungsrecht der Mitgliedstaaten dahingehend ein, dass sich eine direkte Besteuerung der EA verbietet. Steuerschuldner der Kernbrennstoffsteuer ist aber der jeweilige Anlagenbetreiber,
49 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 69 f., so bereits auch Martini, ZUR 2012, 219, 226, ausführlich Kahl/Bews, NVwZ 2015, 1081, 1082 f.; a.A. Englisch, StuW 2012, 318, 328. 50 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 72 f.; Wernsmann, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 3. Aufl. 2015, § 30 Rn. 121; speziell zum Energiemarkt s. Frenz, in: Danner/ Theobald, Energierecht, Art. 107 AEUV Rn. 57 f. 51 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 74. 52 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 77. 53 Ebenso Frenz, EWS 2015, 194, 195. 54 EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 80; a.A. Englisch, StuW 2012, 318, 326 ff. 55 EuGH v. 4. 6. 2015, (Fn. 12), Rn. 91 f.; vgl. auch ausführlich Kahl/Bews, NVwZ 2015, 1081, 1083 f.
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dem nach Art. 87 EA das Nutzungs- und Verbrauchsrecht zukommt. Eine direkte Besteuerung der EAG erfolgt somit gerade nicht.56 Der EuGH sieht die Verwirklichung der Ziele des Euratom-Vertrages gemäß Art. 192 Abs. 2 EA nicht gefährdet.57 5. Zwischenergebnis Der Kernbrennstoffsteuer stehen nach Auffassung des EuGH keine unionsrechtlichen Hindernisse entgegen. Nicht verbindlich geklärt ist damit nur noch die verfassungsrechtliche Frage, ob die Kernbrennstoffsteuer mit dem Grundgesetz vereinbar ist; die Entscheidung des BVerfG wird bald erwartet.
IV. Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz Aus verfassungsrechtlicher Sicht stellt sich die Frage, ob der Bund die Gesetzgebungskompetenz für die Kernbrennstoffsteuer besitzt. Der Bund hat die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 105 Abs. 2 Alt. 1 GG i. V. m. Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG, wenn die Kernbrennstoffsteuer als Verbrauchsteuer zu qualifizieren ist (1.). Handelt es sich nicht um eine Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG, stellt sich die Frage, ob dem Bund ein freies Steuerfindungsrecht zukommt, ob unter den „übrigen Steuern“ im Sinne des Art. 105 Abs. 2 Alt. 2 GG i. V. m. Art. 72 Abs. 2 GG also auch solche Steuern zu verstehen sind, die das Grundgesetz nicht kennt (2.). 1. Der Begriff der Verbrauchsteuer Das Grundgesetz definiert den Begriff der Verbrauchsteuer nicht. Es handelt sich um einen Typusbegriff.58 Nicht alle den Typus repräsentierenden Merkmale müssen im Einzelfall vorliegen.59 Entscheidend ist allein, ob der Sachverhalt dem typischen Bild einer Verbrauchsteuer entspricht.60 Dieses wird folgendermaßen beschrieben: Verbrauchsteuern sind Warensteuern auf den Verbrauch vertretbarer, regelmäßig zum baldigen Verzehr oder kurzfristigen Verbrauch bestimmter Güter, die regelmäßig bei dem das Verbrauchsgut anbietenden Unternehmer erhoben werden, jedoch
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EuGH v. 4. 6. 2015 (Fn. 12), Rn. 97; die Frage nach einer möglichen Sachhaftung der EAG gemäß § 76 AO lässt der EuGH offen, vgl. hierzu Anm. Fischer, ZfZ 2015, 198, 199 f. 57 EuGH v. 4. 6. 2015, (Fn. 12), Rn. 100 ff. 58 Zum Typusbegriff vgl. Wernsmann, DStR-Beih 2011, 72 ff. 59 Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Mai 2016, § 4 Rn. 395 m.w.N. 60 Ausführlich Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Juli 2016, § 4 Rn. 388.
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auf Überwälzung auf den Verbraucher angelegt sind.61 Verbrauchsteuern sind – schon aus Praktikabilitätsgründen – in aller Regel indirekte Steuern: Derjenige, der wirtschaftlich die Steuer tragen soll, und derjenige, der die Steuer rechtlich schuldet, fallen auseinander.62 Verbrauchsteuern zielen auf die in der Einkommens- und Vermögensverwendung zu Tage tretende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Konsumenten ab.63 Die Prüfung der Verbrauchsteuereigenschaft spitzt sich im Grunde auf die Frage zu, ob die Kernbrennstoffsteuer abwälzbar ist.64 Dies wurde von Stimmen in der Rechtsprechung und in der Literatur zum Teil angezweifelt.65 Die weiteren Merkmale des Verbrauchsteuerbegriffs können letztlich nicht in Frage gestellt werden:66 Zum einen handelt es sich bei Kernbrennstoff um „ein verbrauchsfähiges Gut“. Zum anderen steht der Annahme einer Verbrauchsteuer weder die Anknüpfung an ein Produktionsmittel entgegen67 noch, dass die Ware nicht in den freien Verkehr übergeht. a) Kriterium der Abwälzbarkeit als formelle Voraussetzung? In einem ersten Schritt ist bereits fraglich, ob das Kriterium der Abwälzbarkeit vom BVerfG überhaupt noch als formelle Voraussetzung gesehen wird. Umstritten ist, ob die Abwälzbarkeit bereits für die Frage nach der Gesetzgebungskompetenz oder nur im Rahmen der materiellen Verfassungsmäßigkeit eine Rolle spielt.68 Eine Entscheidung darüber kann aber dahinstehen, wenn bei der Kernbrennstoffsteuer das Kriterium der Abwälzbarkeit ohnehin bejaht werden kann. b) Begriff der kalkulatorischen Abwälzbarkeit Erforderlich und ausreichend ist die bloße kalkulatorische Abwälzbarkeit. Das BVerfG führt dazu aus: Insoweit genügt die Möglichkeit einer kalkulatorischen Überwälzung in dem Sinne, dass der Steuerpflichtige den von ihm gezahlten Betrag in die Kalkulation seiner Selbstkosten einsetzen und hiernach die zur Aufrechterhal61 BVerfGE 98, 106, 123 f.; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 2 Rn. 47; Voß, DStJG 11 (1988), 261, 265 ff. 62 BVerfGE 110, 274, 297 f. 63 BVerfGE 98, 106, 124; 110, 274, 297. 64 Vgl. hierzu ausführlich Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Juli 2016, § 3 Rn. 388. 65 FG Hamburg v. 16. 9. 2011 (Fn. 4), DStRE 2012, 53, 57 f.; FG München v. 4. 10. 2011 (Fn. 5), DStRE 2012, 48, 50 f.; ebenso Seer, DStR 2012, 325, 332 ff.; ausführlich zum Überwälzungskriterium vgl. Eiling (Fn. 31), S. 82 ff. 66 Näher Wernsmann, NVwZ 2011, 1367, 1368 f. 67 Z. B. Thiemann, ZG 2013, 75, 87; a.A. bei reinen Rohstoff- bzw. Faktoreinsatzsteuern Englisch, in: Kube u. a. (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts II, 2013, § 190 Rn. 6. 68 Vgl. zu diesem Problemkreis BVerfGE 123, 1, 17 f.; Wernsmann, NVwZ 2011, 1367, 1368.
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tung der Wirtschaftlichkeit seines Unternehmens geeigneten Maßnahmen – Preiserhöhung, Umsatzsteigerung oder Senkung der sonstigen Kosten – treffen kann.69 Unerheblich ist, ob die Überwälzung tatsächlich gelingt.70 Dies hängt von vielen Faktoren ab und unterliegt insbesondere der Marktfluktuation. Die Frage der Gesetzgebungskompetenz kann deshalb nicht davon abhängen, ob eine Preiserhöhung am Markt durchsetzbar ist.71 Eine Überwälzung muss lediglich angelegt sein.72 Dem Merkmal ist schon dann Genüge getan, wenn die Überwälzung vom Gesetzgeber weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich gemacht wird.73 Im Falle der Kernbrennstoffsteuer scheidet eine Überwälzung der Kosten nicht von vornherein aus. Weder erfährt der Strompreis eine gesetzliche Deckelung, noch wird der Atomstrom durch die Kernbrennstoffsteuer derart verteuert, dass sie einen wirtschaftlichen Betrieb von Kernkraftwerken ausschließt.74 Kritiker der Kernbrennstoffsteuer lehnen die grundsätzliche Abwälzbarkeit mit Verweis auf die grenzkostenorientierte Strompreisbildung an der Strombörse nach dem Merit-Order-Prinzip ab.75 Der Strompreis bestimmt sich unitarisch für alle Stromerzeugnisquellen nach der teuersten Stromquelle, die benötigt wird, um den aktuellen Strombedarf zu decken.76 Tatsächlich ist aber nicht ausgeschlossen, dass auch hier der Atomstrom preissetzend sein kann.77 Jedenfalls für den außerbörslichen Handel von Strom ist es jedoch unerheblich, ob auf Großhandelsebene ökonomische Abwälzungshindernisse bestehen. Bei Haushaltskunden, die ihren Strom nicht an der Strombörse beziehen, sondern direkt von den Energieversorgungsunternehmen, trägt die Argumentation mit dem speziellen Preisbildungsmechanismus an der Strombörse nicht.78 69 BVerfGE 123, 1, 35; 110, 274, 295 f., teils unter Verweis auf BVerfGE 14, 76, 96; 27, 375, 384; 31, 8, 20. Ebenso BFHE 141, 369, 375. 70 BVerfGE 14, 76, 96; 27, 375, 384. 71 So bereits Waldhoff, ZfZ 2012, 57, 64; Wernsmann, NVwZ 2011, 1367, 1369; vgl. auch Gawel, ZfZ 2014, 230, 238 f. 72 BVerfGE 110, 274, 295 f. 73 BVerfGE 27, 375, 384. 74 So bereits Hartmann, DStZ 2012, 205, 208. 75 Beispielhaft Gärditz (Fn. 27), S. 71, 84 f.; ausführlich zum Stromhandel s. Ritzau/ Schuffelen, in: Zenke/Schäfer, Energiehandel in Europa, 3. Aufl. 2012, § 5 Rn. 22 ff. 76 Beispielhaft Martini, ZUR 2012, 219, 223 m.w.N. 77 Was selbstverständlich aufgrund der vergleichbar niedrigen Grenzkosten selten der Fall sein wird. Vgl. Martini, ZUR 2012, 219, 223; vgl. aber Bundeskartellamt (Hrsg.), Sektoruntersuchung, Stromerzeugung und –großhandel, Abschlussbericht gemäß § 32e GWB – Januar 2011, S. 272: „Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass sich auch die Kernbrennstoffsteuer als Besteuerung der Primärenergie erhöhend auf die Grenzkosten auswirken wird, was im Ergebnis – nämlich immer dann, wenn Kernkraftwerke marktpreissetzend sind – zu höheren Großhandelspreisen führen kann.“, so bereits Gärditz (Fn. 27), S. 85. 78 Ausführlich hierzu Gawel, ZfZ 2014, 230, 241 mit Verweis auf das nicht unerhebliche Liefervolumen der Energieversorgungsunternehmen an Endkunden auf Vertriebsebene.
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Fraglich ist aber, ob es auf diese Argumentation überhaupt ankommt. Die wirtschaftliche Abwälzbarkeit muss nicht tatsächlich vollständig realisierbar sein. Nach dem BVerfG ist es „nicht erforderlich, dass die Verbrauchsteuerbelastung durch erhöhte Warenpreise oder Dienstleistungsentgelte weitergegeben werden kann“79. Der Preisdruck der jeweiligen Branche, der zudem temporären Marktschwankungen unterliegt, kann nicht über die Einordnung als Verbrauchsteuer entscheiden.80 Die Abwälzbarkeit setzt nicht voraus, dass der Betreiber des Kernkraftwerks den Atomstrompreis im Hinblick auf die Steuer erhöhen kann. Schmälert die Kernbrennstoffsteuer zwar den Ertrag des Betreibers, so wird diese letztlich dennoch über den Strompreis vom Stromkunden getragen.81 Wenn es ausreicht, dass der Steuerpflichtige den von ihm gezahlten Steuerbetrag in die Kalkulation seiner Selbstkosten einsetzen kann, ohne dass dies die Wirtschaftlichkeit seines Unternehmen ausschließt, so leuchtet nicht ein, warum dies beim Betrieb eines Kernkraftwerks nicht bewerkstelligt werden könnte.82 Dem Steuerschuldner muss nicht die rechtliche Gewähr geboten werden, dass er den Betrag immer von demjenigen erhält, der nach der Gesetzeskonzeption die Steuer tragen soll.83 Dass Kernkraftwerke infolge der Belastung mit der Kernbrennstoffsteuer nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können, liegt fern. Die Abwälzbarkeit der Kernbrennstoffsteuer im hier verstandenen Sinne ist somit nicht grundsätzlich ausgeschlossen.84 c) Kriterium der Quantität der Überwälzbarkeit? Nicht zu überzeugen vermag weiter, dass Stimmen in der Rechtsprechung und Literatur Anforderungen quantitativer Art an die Abwälzbarkeit der Kernbrennstoffsteuer stellen.85 Anknüpfungspunkt ist zunächst die Gesetzesbegründung. Dort heißt es, dass „eine Überwälzung der den Stromerzeugern entstehenden Kosten nur in geringem Umfang möglich sein wird“86. Es seien „Auswirkungen auf […] das Verbraucherpreisniveau […] nur in begrenztem Umfang zu erwarten.“ Daraus wird geschlossen, dass bereits „der Gesetzgeber selbst nicht von der Überwälzbarkeit 79
BVerfGE 110, 274, 296. Ebenso Hartmann, DStZ 2012, 205, 208. 81 Ebenso FG Baden-Württemberg v.11. 1. 2012 (Fn. 6), DStRE 2012, 296, 301. 82 Nicht überzeugend daher FG Hamburg v. 16. 9. 2011 (Fn. 4), NVwZ 2011, 1401, 1406, das mit Blick auf die Gesetzesbegründung ausschließlich auf „die deutliche Positionierung des Gesetzgebers“ (und damit letztlich auf die subjektiven Vorstellungen des Gesetzgebers und seine Motive) abstellt; näher unten IV 1 e. 83 BVerfGE 110, 274, 295; so bereits BVerfGE 14, 76, 96; 31, 8, 20. 84 Im Ergebnis ebenso Hartmann, DStZ 2012, 205, 2012; Martini, ZUR 2012, 219, 223; Gawel, ZfZ 2014, 230, 242; a.A. Drüen, ZfZ 2012, 309, 320 m.w.N. 85 So z. B. FG Hamburg (Fn. 4), NVwZ 2011, 1401, 1406; FG München v. 4. 10. 2011 (Fn. 5), DStRE 2012, 48, 50; Seer, DStR 2012, 325, 333. 86 BT-Drucks. 17/3054, S. 2. 80
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der Kernbrennstoffsteuer ausgegangen ist.“87 Diese Ansicht fordert also – entgegen der Rechtsprechung des BVerfG – nicht nur einen tatsächlichen Abwälzungserfolg, sondern darüber hinaus eine nicht nur geringe Abwälzbarkeit. Es wurde bereits dargelegt, warum sich der tatsächliche Abwälzungserfolg nicht als Abgrenzungskriterium eignet. Dies muss erst recht für einen „Minimalerfolg“ an Abwälzbarkeit gelten.88 d) Kriterium der Erkennbarkeit der Überwälzung? Beim Strompreis wird nicht zwischen den unterschiedlichen Energiequellen differenziert. In der Folge gibt es keinen „Atomstrompreis“ auf dem Strommarkt, sondern einen einheitlichen Strompreis. Teils wird daraus geschlossen, dass sich die Ware „Atomstrom“ aus Sicht des Erwerbers dadurch gar nicht verteuern kann, wodurch die Belastung beim Hersteller verbleibt.89 Fehl geht aber nicht nur die Argumentation, nach der von einer mangelnden Erkennbarkeit der Überwälzung auf ein mangelndes Funktionieren des Überwälzungsmechanismus geschlossen wird.90 Darüber hinaus ergeben sich aus der Rechtsprechung des BVerfG keine Anhaltspunkte, nach denen es für die Frage der Abwälzbarkeit auf deren strukturelle Erkennbarkeit ankommen soll.91 e) Kriterium der Intention des Gesetzgebers? Teils wird darauf rekurriert, dass die Kernbrennstoffsteuer ausweislich der Gesetzesbegründung nach dem Willen des Gesetzgebers von vornherein nicht auf Abwälzung angelegt sei. Tatsächlich kann aber der Gesetzesbegründung nicht die Aussage entnommen werden, dass eine Abwälzung zielgerichtet ausgeschlossen werden soll. Der Gesetzgeber gibt eher eine mitteilende, nicht auf konkreten ökonomischen Berechnungen basierende Vermutung ab, keine eigene Absichtserklärung.92
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Seer, DStR 2012, 325, 333 m.w.N. So bereits Gawel, ZfZ 2014, 230, 238 f.: Es mache „keinen Sinn, etwas klar nicht Erforderliches im Wege einer noch so kunstvollen Auslegung […] nun doch für wenigstens minimal erforderlich zu erklären.“ 89 Eiling (Fn. 31), S. 196. 90 So auch Gawel, ZfZ 2014, 230, 240. 91 Nach FG Hamburg v. 29. 1. 2013 (Fn. 7), juris Rz. 439 ist erforderlich, dass sich der höhere Preis nicht nur als allgemeine Preiserhöhung darstellt. Vielmehr muss klar erkennbar sein, dass sich dieser aus einem verbrauchsteuerbelasteten Prozess ergibt. 92 So auch Gawel, ZfZ 2014, 230, 241; Waldhoff, ZfZ 2012, 57, 63, im Ergebnis auch Hartmann, DStZ 2012, 205, 209, nach dem eine unzureichende, möglicherweise irreführende Gesetzesbegründung nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes führt. 88
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2. Steuererfindungsrecht Ist die Kernbrennstoffsteuer richtiger Ansicht nach als Verbrauchsteuer zu qualifizieren, stellt sich nicht mehr die Frage, ob es ein freies Steuerfindungsrecht des Gesetzgebers gibt. Nach h. M. sind die Steuergesetzgebungskompetenzen durch die Regelungen der Ertragsverteilung in Art. 106 GG begrenzt.93 Eine Steuer, deren Aufkommen das Grundgesetz nicht selbst verteilt, ist dann verfassungswidrig. Die Finanzverfassung enthält einen numerus clausus der zulässigen Steuern und Steuerarten, so dass die Aufzählung der Ertragszuweisungen in Art. 106 GG abschließend ist.94 Dem Bund steht kein freies Steuerfindungsrecht zu.95
V. Ausblick Die Kernbrennstoffsteuer ist zwar ein „Exot im deutschen Verbrauchsteuerrecht“96. Gleichwohl entspricht sie dem verfassungsrechtlichen Typus „Verbrauchsteuer“. Insbesondere ist kaum anzunehmen, dass eine kalkulatorische Abwälzung nicht gelingt. Dann folgt die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aber – entgegen den vom FG Hamburg geäußerten Zweifeln – aus Art. 105 Abs. 2 Alt. 1 i. V. m. Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG. Mangels eines freien Steuererfindungsrechts ist dieses Merkmal weit auszulegen.97 Zwar verliert das Merkmal der Abwälzbarkeit durch die weite Auslegung („kalkulatorische Abwälzbarkeit“) an Kontur und zieht nur noch eine äußerste Grenze, wenn die Steuer der Wirtschaftlichkeit nicht entgegenstehen darf und die unternehmerische Tätigkeit nicht erdrosseln darf.98 Wollte man das Kriterium der Abwälzbarkeit anders (enger) verstehen, so würde sich aller93
Ausführlich Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Juli 2016, § 4 Rn. 382 m.w.N. 94 Vgl. BVerfGE 67, 256, 286. Eine Erweiterung der Gesetzgebungskompetenz auf nicht in Art. 106 GG geregelte Steuern würde das System der Ertragsverteilung gefährden. Eine Ertragsverteilung in Anwendung des Art. 30 GG an die Länder würde dazu führen, dass diese die abschließende Verteilung gem. Art. 106 GG jederzeit zu ihren Gunsten ändern könnten. 95 Ebenso Müller-Franken, in: Berliner Komm., Stand: Juli 2016, Art. 105 GG Rn. 206 ff.; Siekmann, in: Sachs, 7. Aufl. 2014, GG, Art. 105 Rn. 50; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1118 ff.; Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland-Schweiz, 1997, S. 186; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem 2005, S. 324 ff.; vgl. auch Küssner, Die Abgrenzung der Kompetenzen des Bundes und der Länder im Bereich der Steuern sowie der Begriffe der Gleichartigkeit von Steuern, 1992, S. 54 ff., 65, 66 m.w.N.; a.A. Wendt, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, 3. Aufl. 2009, § 139 Rz. 29 f.; Osterloh, NVwZ 1991, 823, 828; Heintzen, in: v. Münch/ Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 105 Rn. 46; Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 106 Rn. 14; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern unter dem Grundgesetz, 1999, S. 17 ff.; Söhn, in: FS Stern, Verfassungsstaatlichkeit, 1997, S. 587, 599 ff. 96 Jatzke, ZfZ 2010, 278, 283. 97 Ebenso Hartmann, DStZ 2012, 205, 207 m.w.N.; zu den Aufwandsteuern bereits Thiemann, ZG 2013, 75, 86 f. 98 In diese Richtung auch Drüen, ZfZ 2012, 309, 318.
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dings die Frage anschließen, wieso eine Verbrauchsteuer nur als indirekte Steuer in diesem engen Sinne denkbar und verfassungsrechtlich zulässig sein sollte. Die Aufwandsteuer als „Schwester“ der Verbrauchsteuer ist jedenfalls auch als direkte Steuer zulässig. Abzuwarten bleibt, wie das BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit der Kernbrennstoffsteuer entscheiden wird. Abzuwarten bleibt auch, ob es zu einer Entfristung der Kernbrennstoffsteuer bis zur Abschaltung aller Kraftwerke in Deutschland kommt, falls das BVerfG die Kernbrennstoffsteuer für verfassungsgemäß erklärt. Eine lange Zukunft hat die Kernbrennstoffsteuer mit dem Atomausstieg aber ohnehin nicht mehr.
Rechtsfragen der Stilllegung und des Rückbaus von Kernkraftwerken Von Tobias Leidinger, Düsseldorf Durch den 2011 gesetzlich beschlossenen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Deutschland ist das Thema Stilllegung und Rückbau von Kernkraftwerken in den Fokus gerückt. Dabei sind technisch und rechtlich komplexe Fragestellungen zu bewältigen, die häufig eng miteinander verzahnt sind. Eine nähere Befassung aus rechtlicher Sicht setzt voraus, dass die tatsächliche Ausgangssituation beim Kraftwerksbetrieb (I.) und die rechtliche Einordnung der technischen Betriebsphasen eines Kernkraftwerks geklärt sind (II.). Vor diesem Hintergrund sind einige besonders relevante Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Stilllegung und dem Rückbau genauer zu beleuchten. Sie betreffen die Phase nach Abschaltung aber noch vor Erlass der Stilllegungsgenehmigung, ein Vorgehen in Teilschritten und die Reichweite sowie den Prüfmaßstab bei der Umweltverträglichkeitsprüfung (III.). Eine Zusammenfassung der Ergebnisse schließt die Untersuchung ab (IV.).
I. Tatsächliche und rechtliche Ausgangssituation 1. Tatsächliche Situation Aktuell stellt sich die Situation in Bezug auf die deutschen Kernkraftwerke wie folgt dar: Von den im Jahre 2011 – d. h. vor den Ereignissen in Fukushima/Japan – ursprünglich 17 betriebenen Anlagen befinden sich noch acht Kraftwerke im Leistungsbetrieb, neun Anlagen sind bereits abgeschaltet.
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Abbildung 1: Ausgangssituation – Status quo stillgelegte und laufende KKW in Deutschland
Im Einzelnen: Zu den neun stillgelegten Anlagen gehören die acht so genannten „Moratoriums-Kraftwerke“ (Biblis A und B, Neckarwestheim 1, Brunsbüttel, Isar 1, Unterweser, Philippsburg 1, Krümmel), deren Betrieb infolge des Unfalls in Fukushima am 11. März 2011 zunächst aufgrund einer Anordnung nach § 19 AtG der Landes-Aufsichtsbehörden am 17. bzw. 18. März 2011 eingestellt wurde1 und die ihr Recht zum Leistungsbetrieb dann endgültig aufgrund gesetzlicher Regelung nach § 7 Abs. 1a Ziff. 1. AtG mit dem Inkrafttreten der 13. AtG-Novelle, d. h. mit Ablauf des 6. August 2011, verloren haben.2 Am 27. Juni 2015 wurde außerdem das KKW Grafenrheinfeld durch den Betreiber – und damit etwas früher als gesetzlich auf den 31. Dezember 2015 bestimmt – abgeschaltet.3 Die acht noch betriebenen Kernkraftwerke (Gundremmingen B, Philippsburg 2, Gundremmingen C, Grohnde, Brokdorf, Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2) werden ihr Recht zum Leistungsbetrieb nach § 7 Abs. 1a Ziff. 2.–6. AtG spätestens mit Ende des Jahres 2017 (Gundremmingen B), 2019 (Phillipsburg 2), 2021 (Gund1
Gegen diese auf § 19 Abs.1 AtG gestützte Anordnungen legte nur RWE Power AG als Betreiberin des KKW Biblis Block A und B fristgerecht Klage beim VGH Kassel ein. Die Rechtswidrigkeit dieser Anordnungen wurde durch den VGH Kassel festgestellt (Urt. v. 27. 2. 2013, Az. 6 C 824/11.T und 6 C 825/11 T, EnWZ 2013, 233 ff.) und vom BVerwG bestätigt (Beschl. v. 20. 12. 2013, Az. 7 B 18.13, DVBl. 2014, 303 ff.), vgl. dazu Leidinger, atw 2013, S. 475 und atw 2014, S. 142. 2 Die 13. AtG-Novelle vom 31. 7. 2011 (BGBl. I 1704) trat mit Wirkung vom 6. 8. 2011 in Kraft. 3 Dafür waren ausschließlich wirtschaftliche und nicht sicherheitstechnische Gründe ausschlaggebend.
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remmingen C, Grohnde, Brokdorf) und schließlich 2022 (Isar 2, Emsland, Neckarwestheim 2) verlieren. Auch hier ist – wie im Fall des KKW Grafenrheinfeld – eine frühere Abschaltung durch den Betreiber denkbar oder erforderlich, sollte – wider Erwarten – die der Anlage gesetzlich jeweils zustehende oder die auf sie übertragene Elektrizitätsmenge bereits zu einem früheren Zeitpunkt vollständig erzeugt worden sein oder der Leistungsbetrieb unwirtschaftlich werden.4 2. Rechtliche Situation Im Hinblick auf die genehmigungsrechtliche Situation, die sich vor dem Hintergrund dieses tatsächlichen Sachverhalts zeigt, ergibt sich ein differenziertes Bild:
Abbildung 2: Ausgangssituation – Genehmigungsstatus abgeschalteter Leistungsreaktoren
Bei den neun bereits nicht mehr im Leistungsbetrieb befindlichen KKW wurden zwar Anträge auf Erteilung der 1. Stilllegungsgenehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG gestellt, diese Anträge sind indes noch nicht beschieden. Die acht noch laufenden KKW verfügen über bestandskräftige Betriebsgenehmigungen nach § 7 Abs. 1 AtG. Es zeigt sich, dass der Zeitraum zwischen Abschaltung der Anlage und Erteilung der 1. Genehmigung zur Stilllegung beachtlich ausfällt. Er beträgt i. d. R. vier bis fünf Jahre. Das gilt aber nicht nur in Bezug auf die Moratoriums-Kraftwerke, die „über-
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Vgl. § 7 Abs. 1a i.V.m. Anlage 3 Spalte 2 AtG.
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raschend“ abgeschaltet worden sind, sondern auch für die verbliebenen Anlagen, die mehr Zeit zur Vorbereitung ihrer Stilllegung hatten oder haben.
II. Rechtliche Einordnung technischer Betriebsphasen Eine vertiefte rechtliche Prüfung einzelner Fragen im Zusammenhang mit der Stilllegung und dem Rückbau eines KKW setzt weiterhin die „Synchronisierung“ von technischem Sachverhalt und rechtlichen Vorgaben, insbesondere in Bezug auf die unterschiedlich verwendeten Begriffe für verschiedene technische und rechtliche Betriebszustände, voraus. Das Atomgesetz kennt zwei Varianten der Stilllegung: Den sofortigen Rückbau und den sicheren Einschluss.
Abbildung 3: Varianten der Stilllegung
Während beim Rückbau die Anlage „bis zur grünen Wiese“ unmittelbar beseitigt wird, erfolgen beim sicheren Einschluss zunächst der Verschluss und die Aufbewahrung des Aktivitätsinventars für einen Zeitraum von ca. 30 Jahren. Durch eine längere Abklingphase lässt sich das Aktivitätspotential deutlich reduzieren, was den späteren Abbau erleichtert. In der Praxis spielt die Variante des „Sicheren Einschlusses“ indes keine nennenswerte Rolle, da die Vorteile im Fall des sofortigen Rückbaus regelmäßig überwiegen. Gesetzlich existiert insoweit keine Rangfolge. Beide Stilllegungsvarianten stehen in § 7 Abs. 3 Satz 1 AtG gleichberechtigt nebeneinander.5 Der Betreiber kann durch seine Antragstellung bestimmen, wie vorgegangen wird. Bei beiden Stilllegungsvarianten stellt sich rechtlich die Frage der Zuordnung der einzelnen Betriebs- und Stilllegungsphasen des KKW zu den Genehmigungskategorien des Atomgesetzes. 5 Leidinger, Energieanlagenrecht, 2007, S. 240.; Müller-Dehn, Stilllegung von Kernkraftwerken, in: Ossenbühl (Hrsg.) Deutscher Atomrechtstag 2002, 2003, S. 197; Blümel, Aktuelle Probleme des Atomrechts, 1993, S. 42, 45; Haedrich, Atomgesetz, 1986, § 7 Rn. 125.
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Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die Bezeichnung der technischen Betriebsphasen eines KKW nicht mit den gesetzlichen Begrifflichkeiten übereinstimmt.
Abbildung 4: Rechtliche Einordnung technischer Betriebsphasen
Technisch zu unterscheiden ist die Phase des Leistungsbetriebs zur Stromerzeugung, der anschließende Nachbetrieb und schließlich der Restbetrieb samt Rückbau oder sicherem Einschluss der Anlage.6 Der Nachbetrieb beginnt in dem Zeitpunkt, in dem die Anlage nicht mehr zur Stromerzeugung eingesetzt wird, d. h. spätestens im Zeitpunkt des Erlöschens des Rechts zum Leistungsbetrieb, da die Anlage dann abzuschalten ist. Im Zeitpunkt des Beginns des Nachbetriebs befinden sich die Brennelemente noch im Reaktordruckgefäß, d. h. das radioaktive Inventar der Anlage ist zunächst noch in vollem Umfang vorhanden, bevor anschließend – also noch in der Nachbetriebsphase – die Brennelemente in das Nasslager des Reaktors entladen werden. Der Restbetrieb beginnt erst mit dem eigentlichen Abbau der nuklearen Anlagenteile oder dem sicheren Einschluss. Der Restbetrieb umfasst technisch den Weiterbetrieb von Systemen und Komponenten, die zur Gewährleistung der noch relevanten Schutzziele während des Abbaus benötigt werden sowie solcher Anlagen, die für den Abbau erforderlich sind. Sobald die Anlage vollständig abgebaut und aus der Aufsicht des Atomgesetzes entlassen ist, folgt der konventionelle Abriss der Gebäudeteile. 6 Vgl. dazu: Stilllegungsleitfaden BMU v. 26. 6. 2009 (BAnz 2009, Nr. 162a), Ziff. 4.2, S. 9; Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS), Stilllegung kerntechnischer Anlagen, 2012, S. 17.
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Genehmigungsrechtlich unterfallen die technischen Phasen unterschiedlichen Rechtsregimen: Während die Phase des Leistungsbetriebs und der Nachbetrieb dem Regime der Betriebsgenehmigung nach § 7 Abs. 1 AtG zuzuordnen sind, fällt die Phase des Restbetriebs und des Abbaus oder der sichere Einschluss in den Regelungsbereich der Stilllegungsgenehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG. Diese Zuordnung ergibt sich daraus, dass der Begriff der Stilllegung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sehr eng zu verstehen ist, nämlich als formaler Akt der dauerhaften und endgültigen Einstellung des Leistungsbetriebs eines Kernkraftwerks.7 Dieser formale Akt wird erst durch die Erteilung der Stilllegungsgenehmigung gemäß § 7 Abs. 3 AtG festgestellt. Erst im Anschluss daran vollzieht sich entweder der sichere Einschluss oder der Abbau der Anlage. Daraus folgt, dass das Ende des Leistungsbetriebs eines KKW, also seine endgültige Abschaltung, genehmigungsrechtlich nicht identisch ist mit der Stilllegung im Rechtssinne. Der eigentliche Leistungsbetrieb endet bereits in dem Zeitpunkt, in dem die zur Produktion zur Verfügung stehende Elektrizitätsmenge erzeugt, der nach dem Gesetz definierte Zeitpunkt für das Erlöschen des Rechts zum Leistungsbetrieb erreicht ist oder der Betreiber die Anlage von sich aus endgültig abschaltet. Die Berechtigung zum Leistungsbetrieb ist nur ein Ausschnitt aus der Betriebsgenehmigung nach § 7 Abs. 1 AtG.8 Daher fällt die Phase des Nachbetriebs, also der Zeitraum direkt nach der Abschaltung, genehmigungsrechtlich unter das Regime der Betriebsgenehmigung. Es besteht in dieser Nachbetriebsphase ein Anlagenzustand wie bei einer Revision oder einem sonstigen Anlagenstillstand. Es gilt dann das Rechtsregime, das die Anlage durch ihre Errichtungs- und Betriebsgenehmigung nach § 7 Abs. 1 AtG erlangt hat.9 Dagegen fällt die Phase des Restbetriebs und des Abbaus (oder der sichere Einschluss) unter die Stilllegungsgenehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG. Restbetrieb und Abbau bzw. sicherer Einschluss beginnen also erst, wenn die dafür eigens erforderliche Genehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG erteilt worden ist.
III. Rechtsfragen bei Stilllegung und Rückbau Unter genehmigungsrechtlichen Aspekten sind folgende Fragen bei der Stilllegung und beim Rückbau eines Kernkraftwerkes von besonderer praxisrelevanter Bedeutung, die daher eine nähere Betrachtung rechtfertigen: 7 BVerwG, Urt. v. 19. 5. 1988, 7 C 43/88, NVwZ 1988, 913, 914 f.; Leidinger, Energieanlagenrecht, 2007, S. 238. 8 Leidinger, Energieanlagenrecht, 2007, S. 238 f.; Posser, in: Posser/Schmans/MüllerDehn, AtG, Kommentar zur Novelle 2002, § 7 Rn. 120; Braun, Rechtsprobleme von Nachbetrieb und Stilllegung aus Betreibersicht, in: 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 2013, S. 222, 227. 9 Posser, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Kommentar zur Novelle 2002, § 7 Abs. 1, Rn. 120 f.
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(1) Welche Möglichkeiten bestehen vor Erhalt der Stilllegungsgenehmigung, d. h. schon in der Nachbetriebsphase unter dem Genehmigungsregime der Betriebsgenehmigung nach § 7 Abs. 1 AtG, Tätigkeiten im Hinblick auf den weiteren Abbau zu entfalten? (2) Wie verhält es sich mit einem Abbau in verschiedenen Teilschritten? Welche Maßgaben gelten insoweit, insbesondere wie stellt sich das Verhältnis von Betriebs- zur Stilllegungsgenehmigung dar? (3) Was gilt im Hinblick auf die Reichweite und den Prüfmaßstab bei der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) im Rahmen der Stilllegungsgenehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG?
1. Abbaumaßnahmen in der Nachbetriebsphase In der Phase des Nachbetriebs, also nach Abschalten der Anlage, aber noch vor Erlass der Genehmigung zur Stilllegung nach § 7 Abs. 3 AtG, stellt sich die Frage, wie sich der betriebliche und technische Anlagenzustand im Hinblick auf den weiteren Rückbau der Anlage gestalten lässt und welches Rechtsregime insoweit maßgebend ist. In der Phase des Nachbetriebs werden sämtliche Brennelemente in das Lagerbecken im Reaktorgebäude verbracht, was sicherheitstechnisch bedeutet, dass zwar das radioaktive Inventar als solches noch vorhanden ist, unter sicherheitstechnischen Aspekten aber eben nur noch ein Lagerbetrieb vorherrscht und kein Leistungsbetrieb mehr zur Erzeugung von Elektrizität.10 In dieser Phase geht es um die Anpassung des vormaligen Leistungsbetriebs an einen dauerhaften Nichtleistungsbetrieb. Zu solchen Maßnahmen in der Nachbetriebsphase gehören u. a.: @ anforderungsgerechte Anpassung des Betriebsreglements (BHB); @ anforderungsgerechte Festlegung der Personalstärke; @ Entfall von wiederkehrenden Prüfungen an nicht mehr erforderlichen Systemen; @ Entfall von Wartungen an nicht mehr erforderlichen Systemen; @ Präzisierung der Berichtspflichten für die Erfordernisse eines dauerhaften Nichtleistungsbetriebs. Darüber hinaus kommen vorbereitende Maßnahmen für die Stilllegung und den Abbau in Betracht, z. B. die Schaffung von Transportwegen oder zusätzlichen Flächen innerhalb der Anlage für die Lagerung radioaktiver Stoffe, Aufbau von Hilfsgeräten (z. B. Zerlegemaschinen) oder die Außerbetriebnahme von nicht mehr erforderlichen Systemen. 10 Vgl. Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS), Stilllegung kerntechnischer Anlagen, 2012, S. 17.
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Rechtlich entscheidend ist, wo die Grenze für reguläre „Anpassungsmaßnahmen“ verläuft, die unter dem Regime der bisherigen Betriebsgenehmigung nach § 7 Abs. 1 AtG zulässig sind und solchen, die die vorherige Erteilung der Stilllegungsgenehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG voraussetzen. Bei näherer Betrachtung sind unter genehmigungsrechtlichen Gesichtspunkten verschiedene Fallgruppen zu unterscheiden: a) Durchführung bereits genehmigter Maßnahmen Rechtlich unproblematisch sind solche Maßnahmen in der Nachbetriebsphase, die bereits ausdrücklich Gegenstand einer schon erteilten Genehmigung nach § 7 Abs. 1 AtG (insbesondere im Rahmen einer Änderungsgenehmigung) gewesen oder im Rahmen einer aufsichtlichen Anordnung nach § 19 Abs. 3 AtG legitimiert worden sind. Solche Maßnahmen bedürfen, wie sich aus § 7 Abs. 3 Satz 3 AtG ausdrücklich ergibt, keiner weiteren Genehmigung – auch nicht im Rahmen der späteren Stilllegungsgenehmigung.11 Solche Maßnahmen werden nach Maßgabe des Betriebshandbuchs (BHB) und ggf. unter Einbeziehung der Aufsichtsbehörde im aufsichtlichen Verfahren umgesetzt. Dazu gehören insbesondere die schon genannten vorbereitenden Maßnahmen. Nach dem Stilllegungsleitfaden des BMU fallen darunter ferner:12 @ Entladen und Entfernen der Brennelemente oder von Kernbrennstoffen aus der kerntechnischen Anlage; @ Verwertung radioaktiver Stoffe und Beseitigung radioaktiver Abfälle aus dem Betrieb; @ Für die Antragstellung der Stilllegung erforderliche Probenahmen an Systemen und Komponenten sowie @ Anlagen bzw. Systemdekontaminationen. b) Abbaumaßnahmen außerhalb der atomrechtlichen Anlage Unstreitig können auch solche Abbaumaßnahmen ohne Erteilung der atomrechtlichen Stilllegungsgenehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG schon in der Nachbetriebsphase ergriffen werden, die sich außerhalb der atomrechtlich relevanten Anlage bewegen. Rechtlich folgt diese Erkenntnis aus der klaren Aussage des § 7 Abs. 3 Satz 1 AtG, der sich seinem Wortlaut nach eindeutig nur auf Anlagen im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 AtG bezieht. Daraus folgt, dass kein Genehmigungserfordernis besteht, wenn die Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 11 Leidinger, Energieanlagenrecht, 2007, S. 239 mit Fn. 523; Kurz, Stilllegung und Beseitigung nuklearer Anlagen, 1993, S. 78 ff., 81; Rebentisch, DVBl. 1992, 1256, 1257. 12 Vgl. Stilllegungsleitfaden BMU v. 26. 6. 2009 (BAnz 2009, Nr. 162a), Ziff. 4.2, S. 9
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AtG unberührt bleibt. Damit wird die Frage praxisrelevant, was Teil der Anlage im atomrechtlichen Sinne ist und was nicht darunter fällt. Abzulehnen ist eine rein formelle Betrachtung, wonach Maßstab für die Frage, was zur atomrechtlichen Anlage gehört, allein der Inhalt der bisherigen Betriebsgenehmigung ist.13 Zutreffend ist vielmehr ein schutzzielorientiertes, d. h. am Schutzzweck des Atomgesetzes orientiertes Anlagenverständnis.14 So argumentiert auch die Rechtsprechung, die sich mehrfach mit dem Anlagenbegriff befasst hat. Schon in der Wyhl-Entscheidung von 1985 hat das Bundesverwaltungsgericht dargelegt, dass zur Anlage neben dem Reaktor auch alle mit diesem in einem räumlichen und betrieblichen Zusammenhang stehenden Einrichtungen, die seinen gefahrlosen Betrieb überhaupt erst ermöglichen, gehören. Hierzu zählten alle diejenigen Vorrichtungen, welche erforderlich seien, um eine unzulässige radioaktive Strahlung – sei es während des bestimmungsgemäßen Betriebs, sei es im Fall eines Störfalls – auszuschließen.15 Hier zeigt sich klar die schutzzielorientierte Sichtweise. Später hat das Gericht im Wackersdorf-Urteil konkretisiert, dass auch solche Teileinrichtungen vom Anlagenbegriff umfasst seien, die zwar keine nuklearspezifische Gefährlichkeit als solche aufwiesen, allerdings mittelbar gefährlich werden könnten, weil sie in einem sicherheitstechnischen Zusammenhang mit der Kernspaltanlage stünden.16 Schließlich hat das Gericht in seiner Entscheidung zum Standortzwischenlager Brunsbüttel im Jahre 2008 erneut zum Anlagenbegriff Stellung bezogen und in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung wie folgt definiert: „Das Genehmigungserfordernis nach § 7 Abs. 1 AtG erfasst außer dem Reaktor auch alle mit ihm in einem räumlichen und betrieblichen Zusammenhang stehenden Einrichtungen, die seinen gefahrlosen Betrieb im Sinne des auf Erzeugung, Bearbeitung, Verarbeitung, Spaltung oder (Wieder-)Aufarbeitung von Kernbrennstoffen gerichteten Arbeitsprozesses einschließlich Einlagerung der Brennelemente und Anlagen interner Kompaktlagerung im Abklingbecken ermöglichen (…).“17
Es kommt also letztlich und entscheidend darauf an, ob der jeweiligen Komponente sicherheitstechnische Relevanz zukommt oder nicht. Das lässt sich klar verneinen z. B. in Bezug auf das Verwaltungsgebäude, den Kühlturm18 oder das Maschinenhaus. Aber auch der Generator und die Turbine dürften danach bereits in der Nach13 So Rosin, in: Büdenbender/Heintschel von Heinegg/Rosin, Energierecht I, 1999, Rn. 737; Cloosters, in: Pelzer, (Hrsg.) Stilllegung und Beseitigung, 1993, S. 197, 233. 14 In diesem Sinne auch Bundtzen, EurUP 2006, S. 124, 128 f.; Wittkamp, Die rechtlichen Rahmenbedingungen des Rückbaus von Kernkraftwerken – Ein Sanierungsfall?, 2012, S. 36 f. 15 BVerwG, Urt. v.19. 12. 1985, Az. 7 C 65/82, NVwZ 1986, 208, 216. 16 BVerwG, Urt. v. 4. 7. 1988, Az. 7 C 88/87, NVwZ 1988, 1024, 1025 f. 17 BVerwG, Urt. 10. 4. 2008, Az. 7 C 39/07, NVwZ 2008, 1012, 1013. 18 Der Kühlturm ist zwar Teil des Kühlwassersystems, steht aber in keinem sicherheitstechnischen Zusammenhang mit der Kernspaltanlage, so ausdrücklich BVerwG, Urteil v. 19. 12. 1985, Az. 7 C 65/82, NVwZ 1986, 208, 216.
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betriebsphase ausgebaut werden.19 Das bedarf jeweils einer genauen, schutzzielorientierten Prüfung im Einzelfall, d. h. hier bestehen durchaus Spielräume. Soweit es sich im Ergebnis nicht um Komponenten der Anlage im atomrechtlichen Sinne handelt, kommt ihre Beseitigung somit in der Nachbetriebsphase in Betracht, ohne dass es dafür der vorherigen Erteilung einer Stilllegungsgenehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG bedarf. c) Abbaumaßnahmen im Wege einer Änderungsgenehmigung Handelt es sich um Anlagenkomponenten, die aufgrund ihres technisch-funktionalen Zusammenhangs mit dem Reaktorbetrieb als Teil der Anlage im atomrechtlichen Sinne gemäß § 7 Abs. 1 AtG zu bewerten sind, kommt dem Sachverhalt unstreitig genehmigungsrechtliche Relevanz zu. Fraglich ist dann, ob ein vorgezogener Abbau im Wege einer Änderungsgenehmigung nach § 7 Abs. 1 AtG in der Nachbetriebsphase erfolgen kann. Insoweit werden unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten. aa) Änderungsgenehmigung ausgeschlossen Die Auffassung, dass Änderungsgenehmigungen in der Nachbetriebsphase, d. h. nach dauerhafter Einstellung des Leistungsbetriebs, bereits grundsätzlich nicht denkbar seien,20 ist abzulehnen. Sie steht weder im Einklang mit dem Wortlaut noch mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Sowohl aus der Formulierung in § 7 Abs. 3 AtG aber auch aus den Gesetzesmaterialien lässt sich nichts dafür entnehmen, dass Änderungsgenehmigungen in der Nachbetriebsphase ausgeschlossen sein sollen.21 bb) Änderungsgenehmigung nur für Komponenten des Leistungsbetriebs Teilweise wird die These vertreten, ein Abbau von Anlagenkomponenten könne in der Nachbetriebsphase über die Erteilung einer Änderungsgenehmigung nach § 7 Abs. 1 AtG erfolgen, soweit es sich dabei um Änderungen an solchen Systemen,
19 Dafür kann im Einzelfall eine Genehmigung nach anderen Vorschriften (z. B. LBauO) erforderlich sein. Schon deshalb überzeugt das Argument nicht, die ausgebauten Komponenten würden – sofern eine atomrechtliche Genehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG dafür nicht eingeholt würde – gleichsam unbemerkt „verschwinden“, so aber: Rosin, in: Büdenbender/ Heintschel von Heinegg/Rosin, Energierecht I, 1999, Rn. 737. Darüber hinaus bedarf es in jedem Fall der Zustimmung der Aufsichtsbehörde im aufsichtlichen Verfahren nach § 19 AtG, d. h. auch insoweit ist ein „Verschwinden“ ausgeschlossen. 20 Greipl, in: Pelzer, Stilllegung und Beseitigung kerntechnischer Anlagen, 1993, S. 171, 174. 21 Braun, Rechtsprobleme von Nachbetrieb und Stilllegung aus Betreibersicht, in: 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 2013, S. 222, 230 f.
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Komponenten und Anlagenteilen handele, die ausschließlich dem Leistungsbetrieb dienten.22 Eine solche Lösung sei – ausgehend von allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen – möglich, wenn durch die Änderung das Vorhaben in seiner Identität unverändert bleibe, also nicht zu einem aliud werde. Durch die 13. AtG-Novelle, die das Recht zum Leistungsbetrieb zu definierten Zeitpunkten entfallen lasse, sei die Grenze, bis zu der eine solche Änderung ohne Identitätsverlust möglich sei, verschoben worden. Sei nämlich das Recht zum Leistungsbetrieb dauerhaft entfallen, ein dauerhafter Leistungsbetrieb also weder rechtlich möglich noch technisch beabsichtigt, müsse sich dies auf die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Änderung, insbesondere also ihre sicherheitstechnische Bewertung und auch auf die Beurteilung des sicherheitstechnischen Zustands der Gesamtanlage auswirken. Komponenten, die ausschließlich dem Leistungsbetrieb dienten, seien nach dem Verlust des Rechts zum Leistungsbetrieb nicht mehr betriebsrelevant und könnten daher vorab, auf Basis einer Änderungsgenehmigung nach § 7 Abs. 1 AtG abgebaut werden. Dadurch könnten Zeit und Kosten gespart und sinnvoll schon in der Nachbetriebsphase eingesetzt werden. Das vor Erlass der 13. AtG-Novelle bestehende Betriebs- und Anlagenverständnis, das stets am Ziel der Erhaltung und der Wiederaufnahme des Leistungsbetriebs orientiert ist, wird hier einschränkend ausgelegt. Man könnte insoweit von einem teleologisch reduzierten Betriebs- und Anlagenverständnis sprechen. Daraus resultierte, dass Abbaumaßnahmen, die mit diesem Verständnis konform gehen, im Wege der Änderungsgenehmigung in Betracht kämen. cc) Änderungsgenehmigungen nur zur Optimierung des Nachbetriebs Von Behördenseite wird dieser Rechtsauffassung entgegengehalten, sie mache eine Abgrenzung des Genehmigungsregimes nach § 7 Abs. 1 zu dem nach § 7 Abs. 3 AtG unmöglich. Dafür komme es nicht auf eine Veränderung der Genehmigungslage durch die 13. AtG-Novelle an, sondern auf den konkreten Genehmigungsgegenstand. Ob eine Abbaumaßnahme vorliege oder nicht, könne nicht davon abhängen, ob das Recht zum Leistungsbetrieb aufgrund Gesetzes oder durch Verzicht des Betreibers entfallen sei oder nicht.23 Im Ergebnis seien daher nur solche Maßnahmen im Wege einer Änderungsgenehmigung in der Nachbetriebsphase möglich, die der Aufrechterhaltung oder Verbesserung sicherheitsrelevanter, technischer, organisatorischer oder personeller Maßnahmen in der Nachbetriebsphase dienten. Denn ausgehend vom Schutzzweck des Atomgesetzes in § 1 Nr. 2 AtG müsste es als widersprüchlich angesehen werden, 22
Scheuten, atw 2012, S. 156, 160. Veit, Rechtsprobleme von Nachbetrieb und Stilllegung aus der Perspektive einer Landesbehörde, in: 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 2013, S. 193, S. 211 – 213. 23
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wenn für solche Änderungen ein Zuwarten auf eine Stilllegungsgenehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG erforderlich wäre.24 Dieser Ansicht zufolge könnten also z. B. Verbesserungen im Hinblick auf die Kühlung der Brennelemente in der Nachbetriebsphase als wesentliche Änderung gleichwohl gemäß § 7 Abs. 1 AtG genehmigt werden. dd) Änderungsgenehmigungen ohne Vorwegnahme der Gesamtmaßnahmen zum Abbau Die von Behördenseite vertretene Ansicht, wonach Änderungsgenehmigungen ausschließlich auf Optimierungen in der Nachbetriebsphase bezogen sein können, erscheint bei genauerer Betrachtung als zu eng. Für ein praxisgerechtes und genehmigungsrechtlich gleichwohl vertretbares Gesetzesverständnis zur Frage der Reichweite einer Änderungsgenehmigung in der Nachbetriebsphase kann die Regelung und Ratio aus § 19b AtVfV herangezogen werden.25 Diese verfahrensrechtliche Vorschrift bestimmt für die Erteilung der 1. Stilllegungsgenehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG den Umfang der Umweltverträglichkeitsprüfung danach, ob Umweltauswirkungen im Rahmen des Gesamtvorhabens der Stilllegung auftreten können und ob durch die beantragten Maßnahmen weitere Abbaumaßnahmen erschwert oder verhindert werden. Das bedeutet im Gegenschluss: Können durch die in der Nachbetriebsphase vorgesehenen einzelnen, vorgezogenen Maßnahmen Umweltwirkungen schon offensichtlich nicht hervorgerufen werden und kommt es darüber hinaus auch nicht zu einer Erschwerung oder Behinderung der sachgerechten Reihenfolge beim weiteren Abbau, können sie keine Vorwegnahme der Maßnahmen i.S.v. § 19b AtVfV darstellen, die im Rahmen der Erteilung der Stilllegungsgenehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG zu betrachten sind. Sie spielen nach der gesetzlichen Wertung für die eigentliche Abbautätigkeit keine relevante Rolle. Das spricht für ihre Zulässigkeit schon in der Nachbetriebsphase in Form der Änderungsgenehmigung nach § 7 Abs. 1 AtG. Kurzum: Die Abgrenzung des Regelungsbereichs einer Änderungsgenehmigung nach § 7 Abs. 1 von dem der Stilllegungsgenehmigung nach Abs. 3 AtG ist nicht anhand einer rein anlagenfunktionalen Betrachtung vorzunehmen, sondern unter Berücksichtigung wertender Komponenten, insbesondere der Schutzzielorientierung des Atomgesetzes einerseits sowie der Frage der Umweltauswirkungen der in Rede stehenden Maßnahmen andererseits. Maßnahmen, die offensichtlich weder sicherheits- noch umweltrelevante Auswirkungen auf und für den Restbetrieb haben, 24
Stellungnahme des Fachausschusses Recht des Länderausschusses für Atomkernenergie vom 20./21. 9. 2012, Ziffer 6. 25 Zutreffend Braun, Rechtsprobleme von Nachbetrieb und Stilllegung aus Betreibersicht, in: 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 2013, S. 222, 235 f.
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können im Wege einer Änderungsgenehmigung schon in der Nachbetriebsphase vorgenommen werden. Dafür bedarf es in jedem Einzelfall einer detaillierten Prüfung und Abstimmung mit der Genehmigungsbehörde. 2. Vorgehen in Teilschritten Beim Rückbau von Leistungsreaktoren ist ein genehmigungsrechtlich gestuftes Vorgehen in Form von Teilgenehmigungen die Regel. Auf diesem Wege lassen sich technisch abgrenzbare Sachverhalte sinnvoll zusammenfassen, die dann getrennt beantragt, genehmigt und umgesetzt werden.26 Die Vorteile liegen bei einem schrittweisen Vorgehen darin, dass die Erkenntnisse und Erfahrungen aus den abgeschlossenen Abschnitten bei der Beantragung und Realisierung der nachfolgenden Abschnitte gewinnbringend berücksichtigt werden können. Die erforderliche Begutachtung durch Sachverständige für den jeweils nächsten Teilschritt, die in der Praxis einen großen Zeitbedarf auslöst, kann parallel zur Ausführung des bereits genehmigten Abschnitts durchgeführt werden.27 Genehmigungsrechtlich wirft das verschiedene Fragen auf. Insbesondere stellt sich die Frage, welche Anforderungen von Teilgenehmigungen zu erfüllen sind und wie sich ihr Verhältnis zur ursprünglich erteilten Betriebsgenehmigung darstellt. a) Teilgenehmigungen ohne vorläufiges positives Gesamturteil Der Erteilung von Teilgenehmigungen zum Abbau eines Kernkraftwerks als solches ist nach dem Atomgesetz zulässig.28 Die Zulässigkeit ergibt sich explizit aus § 7b AtG, der eine Regelung zum Einwendungsausschluss Dritter im Fall von Teilgenehmigungen enthält. Diese Vorschrift bezieht sich nicht nur auf die erstmalige Erteilung von Errichtungs- und Betriebsgenehmigungen, sondern auch auf Genehmigungen zur Stilllegung nach § 7 Abs. 3 AtG. Praktisch relevant ist sodann die Frage, ob die jeweilige Teilgenehmigung im Zeitpunkt ihrer Erteilung der Verklammerung durch ein sog. „vorläufiges positives Gesamturteil“ bedarf. Dieses Rechtsinstitut soll verhindern, dass durch „Zerlegung“
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Der Abbau in Schritten erfolgt im Grundsatz von „Außen nach Innen“: Zum Inhalt der 1. Teilgenehmigung gehört regelmäßig der Abbau von Systemen, Systembereichen, Komponenten und Anlagenteilen, einschl. des Dampfererzeugers oder Einbauten des Reaktordruckbehälters. Die 2. Teilgenehmigung erfasst dann den Abbau des Reaktordruckbehälters, des biologischen Schildes und Einrichtungen zur Umschließung des äußeren Sicherungsbereiches. 27 Stilllegungsleitfaden BMU v. 26. 6. 2009 (BAnz 2009, Nr. 162a), Ziff. 4.3, S. 10 28 Zuletzt VGH Mannheim, Urt. v. 30. 10. 2014, Az. 10 S 3450/11, DVBl. 2015, 189 ff.; Beschl. v. 26. 6. 1992, Az. 10 S 1350/92, NVwZ 1993, 196; Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, 1983, S. 407; Kurz, Stilllegung und Beseitigung nuklearer Anlagen, 1991, S. 45.
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eines einheitlichen Vorhabens in mehrere Schritte für die Behörde nicht übersehbare Folgen oder Risiken entstehen können. Ist ein vorläufiges positives Gesamturteil für eine Teilgenehmigung erforderlich, hätte das unmittelbar Einfluss auf die Frage des Umfangs und Tiefgangs der Genehmigungsunterlagen.29 Denn ein Gesamturteil kann die Behörde nur abgeben, wenn detaillierte Informationen zum Gesamtvorhaben nachprüfbar vorliegen. Für das Erfordernis eines vorläufigen positiven Gesamturteils könnte die Regelung in § 18 AtVfV sprechen, wonach bei Erteilung einer Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage eine vorläufige Prüfung ergibt, dass die Genehmigungsvoraussetzungen im Hinblick auf die Errichtung und den Betrieb der gesamten Anlage vorliegen und ein berechtigtes Interesse an der Erteilung einer Teilgenehmigung besteht. Der Wortlaut dieser Norm bezieht sich indes ausdrücklich nur auf die Errichtung und den Betrieb, d. h. den Leistungsbetrieb einer Anlage, nicht aber auf die Stilllegung und den Rückbau. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ist ferner zu entnehmen, dass der Normgeber die Thematik reflektiert und dann ausdrücklich davon abgesehen hat, eine solche Voraussetzung auch für den Erlass von Stilllegungsgenehmigungen nach § 7 Abs. 3 AtG in Form von Teilgenehmigungen zu normieren.30 b) Verhältnis mehrerer Genehmigungen Aus Sicht des Antragsstellers stellt sich auch die Frage, in welchem Verhältnis eine von ihm beantragte (Teil-)Genehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG zur bestehenden Betriebsgenehmigung nach § 7 Abs. 1 AtG steht. Rechtlich möglich ist es, dass die 1. Stilllegungsgenehmigung die bisherige Betriebsgenehmigung entweder vollständig ersetzt, also ablöst, oder diese lediglich in Teilen ändert, sie also weiterhin gilt, soweit keine ausdrücklich anderen Regelungen durch die neu erteilte Genehmigung getroffen werden.31 Die Ablösung der bisherigen Betriebsgenehmigung durch die Neugenehmigung bietet zwar den Vorteil der besseren Übersichtlichkeit in Bezug auf die Genehmigungslage während der Abbauphase.32 Andererseits bedeutet die Ablösung der Altgenehmigung, dass sie ihren Bestandsschutz verliert. Dabei ist zu bedenken, dass die zuvor geltende Genehmigungslage regelmäßig aus verschiedenen, auf einander Bezug nehmende Teil- und Änderungsgenehmigungen bestehen wird. Wenn diese 29
Kurz, Stilllegung und Beseitigung nuklearer Anlagen, 1991, S. 44. Vgl. BT-Drs. 14/4599, S. 166 und S. 154. 31 Vgl. Stilllegungsleitfaden BMU v. 26. 6. 2009 (BAnz 2009, Nr. 162a), Ziff. 4.2, S. 9. 32 Abzulehnen ist die Auffassung von Schattke, in: Ossenbühl (Hrsg.), Deutscher Atomrechtstag, 2002, S. 171, 175 f., wonach neben einer Stilllegungsgenehmigung nach § 7 Abs. 3 kein Platz mehr für eine Betriebsgenehmigung nach § 7 Abs. 1 AtG sei. Für ein solches Ausschlussverhältnis lassen sich dem Gesetz keine Anhaltspunkte entnehmen. 30
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Regelungen grundsätzlich weitergelten, ist die Gefahr gebannt, dass im Zuge der Erteilung der 1. Teilgenehmigung Regelungslücken entstehen. Der Antragsteller entscheidet mithin durch den von ihm gestellten Antrag darüber, wie sich das Verhältnis der schon erteilten zur neu beantragten Genehmigung darstellt. Ob eine vollständige Ersetzung, eine Änderung der bisherigen Betriebsgenehmigung oder ein Nebeneinander verschiedener Genehmigungen eintritt, kann er – nach Abwägung der Vor- und Nachteile – durch die Ausgestaltung seines Genehmigungsantrags bestimmen. c) Öffentlichkeitsbeteiligung und UVP Bei einem Vorgehen in Teilschritten bei Stilllegung und Rückbau stellt sich weiterhin die Frage, welche Konsequenzen sich daraus für das Verfahren zur Beteiligung der Öffentlichkeit ergeben. Dass die Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen der Erteilung der 1. Teilgenehmigung obligatorisch ist, ergibt sich aus § 19b Abs. 2 AtVfV. Darüber hinaus bestimmt § 19b Abs. 1 Satz 1 AtVfV, dass dem Antrag Angaben auch zu den insgesamt geplanten Maßnahmen – also auch solchen jenseits der ersten Genehmigung – beizufügen sind und dazu, welche Auswirkungen die Maßnahmen auf die UVP-Schutzgüter haben können. Allerdings müssen nach dem gesetzlichen Regelungskonzept die mit dem erstmaligen Antrag beizubringenden Unterlagen typischerweise noch nicht den Detaillierungsgrad nachfolgender Genehmigungsschritte aufweisen. Beides – Antrags- und UVP-Unterlagen – sind im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung auszulegen und anschließend Gegenstand der Erörterung.33 Sinnvoll ist es, die Unterlagen für die 1. Teilgenehmigung in Bezug auf den Sicherheitsbericht und die Darstellung der UVP-relevanten Umweltauswirkungen – bewusst – so ausführlich und aussagekräftig zu fassen, dass nach Abschluss des Verfahrens für die 1. Teilgenehmigung eine weitere Beteiligung der Öffentlichkeit und erneute UVP-Vollprüfung im Rahmen der weiteren Genehmigungsschritte nicht erforderlich sind. Ein solches Vorgehen lassen die Vorschriften der AtVfV zu: Nach § 4 Abs. 4 Satz 1 AtVfV kann die Behörde von einer erneuten Bekanntmachung und Auslegung von Antragsunterlagen, z. B. für die 2. Teilgenehmigung absehen, wenn die „nachteiligen Auswirkungen“ auf Dritte bereits im Sicherheitsbericht für die 1. Teilgenehmigung dargelegt wurden. Die Angaben für die 1. Teilgenehmigung müssen dann eine entsprechend umfassende und abdeckende Darstellung der Gesamtmaßnahme im Hinblick auf ihre potentiellen drittschutzrelevanten Aspekte enthalten.
33 Von der Erörterung kann gem. § 19b Abs. 2 Satz 2, 1. HS. AtVfV abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen nach § 4 Abs. 4 AtVfV („keine nachteiligen Auswirkungen auf Dritte“) erfüllt sind.
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In Bezug auf die Umweltverträglichkeitsprüfung ist bei weiteren Anträgen auf Teilgenehmigung von atomrechtlich relevanten Abbaumaßnahmen nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 3c UVPG zwar eine Vorprüfung durch die Behörde zwingend vorgeschrieben.34 Diese Vorprüfung kann aber zügig und mit dem eindeutigen Ergebnis beendet werden, dass es keiner weiteren, d. h. keiner erneuten UVP-Vollprüfung bedarf, wenn sämtliche nachteiligen Umwelteinwirkungen bereits Gegenstand der UVP im Rahmen der Erteilung der 1. Teilgenehmigung waren.35 Nur wenn die mit der weiteren Teilgenehmigung verbundenen Maßnahmen von den ursprünglich geplanten Maßnahmen derart abweichen, dass daraus erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen folgen, bleibt eine weitere, vollumfängliche Umweltprüfung unumgänglich. Kurzum: Der Antragssteller hat es im Wesentlichen selbst in der Hand, die Unterlagen für die Erteilung der 1. Teilgenehmigung hinsichtlich drittschutz- und UVP-relevanter Belange so ausführlich, vollständig und mit hinreichendem Tiefgang zu gestalten, dass Unsicherheiten oder Streitigkeiten über die Erforderlichkeit einer weiteren UVP-Vollprüfung oder die erneute Beteiligung der Öffentlichkeit bei den nachfolgenden Genehmigungsschritten von vornherein ausgeschlossen werden können. 3. Reichweite und Prüfungsmaßstab der UVP Dass für die Erteilung der 1. Stilllegungsgenehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG zwingend eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, ergibt sich – wie schon aufgezeigt – unmittelbar aus den Regelungen des UVPG i.V.m. den Bestimmungen der AtVfV. Unsicherheiten sind in der Genehmigungspraxis festzustellen, wenn es um die Frage geht, worauf sich die UVP-Prüfung gegenständlich genau bezieht und welcher Prüfmaßstab bei der Umweltverträglichkeitsprüfung anzulegen ist. a) Reichweite der UVP Die wichtigste Frage vor Beginn einer Umweltverträglichkeitsprüfung ist, worauf sie sich bezieht, was also genau ihr Prüfungsgegenstand ist. In der Praxis ist zu beobachten, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung beim Rückbau eines Kernkraftwerks häufig nicht nur auf die einzelnen Abbauschritte der atomrechtlichen Anlage bezogen wird, sondern auch auf den abschließenden konventionellen Abriss der Gebäude.36 34 Die Erforderlichkeit einer UVP-Vollprüfung bei den weiteren (Teil-)Genehmigungen nach § 7 Abs. 3 AtG folgt weder aus Nr. 11.1 der Anlage 1 zum UVPG noch unmittelbar aus der UVP-Richtlinie (RL 85/337/EWG i. d. F. der Änderungs-RL 97/11/EG), vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 30. 10. 2014, Az. 10 S 3450/11, DVBl. 2015, 189 ff. 35 Dazu eingehend VGH Mannheim, Urt. v. 30. 10. 2014, Az. 10 S 3450/11, DVBl. 2015, 189 ff. 36 Während z. B. beim Rückbau des Forschungsreaktors Frankfurt, des KKW MülheimKärlich und des KKW Biblis (Block A und Block B) die UVP richtigerweise auf den Ge-
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Hier ist zu erinnern, dass es sich bei der Umweltverträglichkeitsprüfung nach Maßgabe des UVPG um Verfahrensrecht handelt. Dass bedeutet, was materieller Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung ist, bestimmt sich nicht nach Maßgabe der verfahrensrechtlichen Bestimmungen des UVPG, sondern anhand des materiellen Rechts. Die Umweltverträglichkeitsprüfung verhält sich akzessorisch zum Fachrecht.37 Prüfgegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung ist nur das, was nach Maßgabe des materiellen Rechts, hier also nach § 7 Abs. 3 AtG, genehmigungsbedürftig ist. Die Stilllegungsgenehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG bezieht sich indes allein auf die dem Atomrecht unterliegende Anlage. Der konventionelle Abriss von Gebäuden setzt dagegen voraus, dass diese aus dem Atomrecht entlassen sind. Was nicht (mehr) Gegenstand der atomrechtlichen Genehmigung zur Stilllegung i.S.v. § 7 Abs. 3 AtG ist, kann kein Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens zur Stilllegung sein. Etwas anderes folgt auch nicht aus den Vorgaben in § 19b AtVfV. Wenn es dort heißt, dass die Unterlagen für die 1. Teilgenehmigung Angaben zu den „insgesamt geplanten Maßnahmen“ enthalten müssen, ist damit keinesfalls der konventionelle Abriss erfasst. § 19b bezieht sich ausweislich der Überschrift dieser Bestimmung ausdrücklich und ausschließlich auf Genehmigungen nach § 7 Abs. 3 AtG und nicht auf konventionelle Baugenehmigungen, die für den Abriss der Gebäude im Regelfall erforderlich sind.38 Im Übrigen können verfahrensrechtliche Regelungen – wie § 19b AtVfV – nicht den materiellen Regelungsgegenstand des Atomgesetzes erweitern, sondern nur konkretisieren. Da der konventionelle Abriss der Gebäude nach Maßgabe der einschlägigen Bauordnungen der Länder zwar genehmigungsbedürftig ist, diese Genehmigung ihrerseits aber nicht der UVP-Pflicht unterliegt, lässt sich auch nicht argumentieren, dass sich durch die Ausweitung der UVP auch auf den konventionellen Abriss im Rahmen der atomrechtlichen Genehmigung, im Vorgriff „Synergien“ in Bezug auf eine bauordnungsrechtliche Prüfung ergäben. Festzuhalten ist, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung auf den atomrechtlich relevanten Genehmigungsgegenstand begrenzt ist. b) Prüfmaßstab der UVP Mit Blick auf die Entwicklung in der Praxis ist festzustellen, dass ein Trend zu immer aufwendigeren UVP-Verfahren geht. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist indes kein allgemeines Prüfverfahren zur Ermittlung abstrakter Erkenntnisse über allgemeine Umweltverhältnisse oder die Entwicklung der Umwelt als solche, nehmigungsgegenstand nach § 7 Abs. 3 AtG, d. h. die Anlage im atomrechtlichen Sinn, beschränkt blieb, wurde beim Kernkraftwerk Lingen (KWL), Kernkraftwerk Brunsbüttel (KWB) und beim Forschungsreaktor Geesthacht auch der konventionelle Abriss betrachtet und damit zum Gegenstand der UVP gemacht. 37 Kment, in: Hoppe/Beckmann (Hrsg.), UVPG, 4. Aufl. 2012, § 5 Rn. 18. 38 Müller-Dehn, Stilllegung von Kernkraftwerken, in: Ossenbühl (Hrsg.), Deutscher Atomrechtstag 2002, S. 197, 199.
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Tobias Leidinger
sondern sie hat sich auf die Prüfung der relevanten Umweltauswirkungen des konkret zur Genehmigung gestellten Projekts zu beziehen und darauf zu beschränken. Die Prüfung der Umweltverträglichkeit, d. h. die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der Auswirkungen auf die UVP-Schutzgüter ist also allein durch Art und Umfang des konkret zur Genehmigung gestellten Vorhabens determiniert. Deshalb müssen auch Untersuchungsmethoden und Prüftiefe auf das konkret zur Genehmigung gestellte Vorhaben ausgerichtet sein. Im hier betrachteten Zusammenhang geht es nicht um die Neuerrichtung und den Betrieb einer Anlage, deren Gefährdungspotential weiter zunimmt, sondern im Gegenteil, es geht um die Demontage und Abbau einer Anlage, bei der das radioaktive Inventar mit Beginn des Abbaus bereits stark reduziert und stetig kleiner wird, das Gefährdungspotential also abnimmt. Sämtliche Arbeiten in Zusammenhang mit kontaminierten Komponenten und Materialien finden technisch mehrfach abgeschirmt von der Außenwelt statt. Methode und Prüftiefe sind daher unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten anhand des konkret zur Genehmigung gestellten Vorhabens zu bestimmen. Dazu ist eine frühzeitige Abstimmung mit Gutachtern und Behörde erforderlich und sinnvoll.
IV. Zusammenfassung der Ergebnisse 1. In der Phase des Nachbetriebs, d. h. – noch unter dem Genehmigungsregime der Betriebsgenehmigung nach § 7 Abs. 1 AtG – können neben der Anpassung der Betriebsweise der Anlage – u. U. auch schon einzelne Komponenten aus der Anlage entfernt werden. Das gilt nicht nur für solche Teile, für die bereits eine Genehmigung vorlag oder die nicht Teil der Anlage im atomrechtlichen Sinne sind. Vielmehr lassen sich Teile der Anlage möglicherweise im Wege einer Änderungsgenehmigung abbauen. Das gilt jedenfalls für solche Komponenten, deren Entfernung weder sicherheits- noch umweltrelevante Auswirkungen auf den Restbetrieb oder den Abbau der Anlage insgesamt haben. Das bedarf im Einzelfall einer genauen Prüfung und Abstimmung mit der Genehmigungsbehörde. 2. Der Abbau eines Kernkraftwerkes kann in Teilschritten erfolgen, die genehmigungsrechtlich in Form von Teilgenehmigungen erfasst werden. Für ihre Erteilung bedarf es jeweils nicht des Vorliegens eines vorläufigen positiven Gesamturteils. Die Genehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG kann anstelle der vorherigen Betriebsgenehmigung nach § 7 Abs. 1 AtG treten, diese also vollumfänglich ersetzen oder sie lediglich ergänzen. Insofern ist die Antragsgestaltung des Betreibers maßgebend. In Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und die Umweltverträglichkeitsprüfung sollten sämtliche drittschutz- und UVP-relevanten Auswirkungen bereits im Verfahren zur Erteilung der 1. Teilgenehmigung zum Abbau der Anlage abdeckend für das Gesamtvorhaben dargelegt werden. Eine weitere Beteiligung der Öffentlichkeit und erneute UVP-Vollprüfung ist bei den weiteren Genehmigungsschritten dann regelmäßig nicht erforderlich.
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3. Die für die Erteilung der Stilllegungsgenehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung ist gegenständlich auf den genehmigungsrechtlich relevanten Prüfgegenstand nach Maßgabe des Atomgesetzes auszurichten und zu begrenzen. Dazu gehört der konventionelle Abriss der Gebäude eindeutig nicht. Bei der Prüfung der Umweltverträglichkeit ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten, insbesondere ist das bereits reduzierte und kontinuierlich abnehmende Gefährdungspotential einer stillgelegten Anlage zu berücksichtigen.
Rechtsfragen der Endlagerung radioaktiver Abfälle Von Bettina Keienburg, Essen Mit dem Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle (StandAG) vom 23. 07. 20131 hat der Gesetzgeber erstmals ein Verfahren zur Suche und Auswahl eines Endlagerstandorts geregelt und verpflichtend vorgegeben. Während nach früherem Recht Errichtung und Betrieb eines Endlagers ohne vorgeschaltetes formalisiertes Standortauswahlverfahren in einem Planfeststellungsverfahren zuzulassen waren und im Rahmen dieses Planfeststellungsverfahrens rechtskonform auch die Eignung des von dem Vorhabenträger ausgewählten Standorts überprüft wurde, ist nunmehr auch die Standortauswahl als solche Gegenstand eines gesetzlich geregelten Verfahrens und ist eine Auswahlentscheidung auf Grundlage einer vergleichenden Betrachtung mehrerer Standorte erforderlich.
I. Zielsetzung Ziel des Standortauswahlverfahrens ist gem. § 1 Abs. 1 S. 1 StandAG, „in einem wissenschaftsbasierten und transparenten Verfahren für die im Inland verursachten, insbesondere hoch radioaktiven Abfälle den Standort für eine Anlage zur Endlagerung nach § 9a Absatz 3 Satz 1 des Atomgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland zu finden, der die bestmögliche Sicherheit für einen Zeitraum von einer Million Jahren gewährleistet.“
Die Zielsetzung des Gesetzes konnte juristisch und naturwissenschaftlich kontrovers verstanden werden. Muss auf Grundlage der Zielsetzung der eine, ultimativ beste Standort der Bundesrepublik Deutschland gefunden werden und muss dieser Standort ultimativen Sicherheitsanforderungen genügen? Oder handelt es sich bei dem Standort mit der bestmöglichen Sicherheit um den Standort, der im Rahmen einer vergleichenden Betrachtung mehrerer Standorte die bestmögliche Sicherheit gewährleistet und ist Maßstab der bestmöglichen Sicherheit das für den Bereich des Atomrechts seit jeher gültige Erfordernis der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Vorsorge gegen Schäden?
1 Verkündet als Artikel 1 des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze, BGBl. I S. 2553.
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Die Verfasserin hat mehrfach letzteren Standpunkt vertreten, auch in ihrer Stellungnahme für die Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe (Endlagerkommission) vom 24. 10. 2014.2 Ziel des Standortauswahlverfahrens ist danach nicht die Findung des besten Standorts, sondern des Standorts, der im Vergleich mehrerer Standorte die bestmögliche Sicherheit gemessen an der erforderlichen Schadensvorsorge nach dem Stand von Wissenschaft und Technik gewährleistet. Die amtliche Begründung des StandAG führt aus, dass der Standort gefunden werden soll, der die im Vergleich bestmögliche Sicherheit gewährleistet.3 Schon das belegt, dass nicht der eine ultimative Standort gefunden werden soll, sondern ein Standort mit der bestmöglichen Sicherheit unter mehreren. Alles andere würde auch dem Umstand, dass die Bundesrepublik nicht unbeplant ist und auf vorhandene Nutzungen Rücksicht zu nehmen ist, sowie wirtschaftlichen Verhältnismäßigkeitserwägungen widersprechen. Der auszuwählende Standort muss ausweislich § 19 Abs. 1 S. 2 StandAG sowie der amtlichen Begründung erwarten lassen, dass die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung, den Betrieb und die Stilllegung des Endlagers gewährleistet ist.4 Der Stand von Wissenschaft und Technik, der für kerntechnische Anlagen seit jeher Zulassungsmaßstab ist, ist damit Maßstab auch der Standortauswahl und der bestmöglichen Sicherheit i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 StandAG. Das BVerfG hat bereits in der Kalkar-Entscheidung dargelegt, dass der Stand von Wissenschaft und Technik die bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge gewährleistet.5 Das gilt für kerntechnische Anlagen jedweder Art, auch für Endlager für radioaktive Abfälle. Mehr als die bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge nach dem Stand von Wissenschaft und Technik ist nicht erforderlich. Auf vorstehendes Verständnis der Zielsetzung des StandAG hat sich am 21. 01. 2016 auch die Endlagerkommission verständigt. Die von der Endlagerkommission beschlossene Definition lautet: „Der Standort mit der bestmöglichen Sicherheit für ein Endlager insbesondere für hoch radioaktive Abfälle ist der Standort, der im Zuge eines vergleichenden Verfahrens zwischen den in der jeweiligen Phase nach den entsprechenden Anforderungen geeigneten Standorten gefunden wird und die bestmögliche Sicherheit für den dauerhaften Schutz von Mensch und Umwelt vor ionisierender Strahlung und sonstigen schädlichen Wirkungen dieser Abfälle für einen Zeitraum von einer Million Jahren gewährleistet. Dazu gehört auch die Vermeidung unzumutbarer Lasten und Verpflichtungen für zukünftige Generationen. Der Standort mit der bestmöglichen Sicherheit wird nach dem Stand von Wissenschaft und Technik mit 2
Keienburg, Stellungnahme vom 24. 10. 2014 für die Anhörung der Endlagerkommission am 03. 11. 2014, K-Drs. 39, S. 3 f.; dies., NVwZ 2014, 1133, 1134; ebenso Posser, in: Kirchhof/Paetow/Uechtritz, FS für Dolde, 2014, 251, 278. 3 BT-Drs. 17/13833 mit Verweis auf BT-Drs. 17/13471, dort S. 19. 4 BT-Drs. 17/13833 mit Verweis auf BT-Drs. 17/13471, dort S. 15. 5 BVerfGE, 49, 89, 143.
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dem in diesem Bericht beschriebenen Standortauswahlverfahren und den darin angegebenen und anzuwendenden Kriterien und Sicherheitsuntersuchungen gefunden. Dazu gehört auch die Implementierung von Möglichkeiten zur Fehlerkorrektur.“6
Diese Definition soll auch Basis des von der Endlagerkommission gem. § 4 Abs. 1 S. 1 StandAG zu erarbeitenden Berichts werden. In dem zum Zeitpunkt der Endredaktion dieses Aufsatzes vorliegenden Gesamtberichtsentwurf der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, ist vorstehende Definition noch nicht enthalten. Der singuläre Entwurf des Berichtsteils zu Kapitel 8.8.5. „Komperatives Verfahren der Standortauswahl“, der in den Gesamtberichtsentwurf noch nicht eingefügt wurde, enthält die vorzitierte Definition.7
II. Verfahrensablauf Die eigentliche Standortsuche erfolgt in drei Schritten, die jeweils mit einem Gesetz des Deutschen Bundestags enden. Dieser dreiphasigen Standortsuche vorgeschaltet ist eine Vorbereitungsphase, in welcher die Endlagerkommission gem. § 4 Abs. 1 S. 1 StandAG zur Vorbereitung des Standortauswahlverfahrens einen Bericht zur Evaluierung des Gesetzes und zur Empfehlung von Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen, Abwägungskriterien und weiteren Entscheidungsgrundlagen für die Standortauswahl erarbeitet, über die der Bundestag anschließend gem. § 4 Abs. 5 StandAG durch Gesetz beschließt. 1. Endlagerkommission Die Endlagerkommission hat ihre Tätigkeit am 22. 05. 2014 aufgenommen. Der von ihr zu erstellende Bericht sollte gem. § 3 Abs. 5 S. 1 StandAG ursprünglich bis zum 31. 12. 2015 vorliegen. Da die Endlagerkommission von der ihr in § 3 Abs. 5 S. 2 StandAG eingeräumten Möglichkeit einer einmaligen Verlängerung der Frist um sechs Monate Gebrauch gemacht hat,8 ist der Bericht bis zum 30. 06. 2016 zu erstellen. Ein Gesamtberichtsentwurf liegt, wie oben dargelegt, im Zeitpunkt der Endredaktion des Aufsatzes mit Stand vom 19. 05. 2016 vor. Erst nach Vorlage des Berichts der Endlagerkommission und Beschluss des Bundestags über die Empfehlungen der Kommission als Gesetz kann die eigentliche Standortsuche beginnen, in die mehrere Behörden und erneut der Bundestag als Gesetzgeber eingebunden sind.
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http://www.bundestag.de/endlager/mediathek/textarchiv/kw03-endlager-do/401772. Entwurf des Berichtsteils der Endlagerkommission zu Teil B – Kapitel 8.8.5, Stand 11. 05. 2016, K-Drs. 224, S. 3. 8 Beschluss der Endlagerkommission vom 03. 07. 2015, abrufbar unter: https://www.bundes tag.de/dokumen-te/textarchiv/2015/kw27_pa_endlagerkommission2/381078. 7
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2. Behördenzuständigkeiten Vorhabenträger und damit Verantwortlicher für die Erarbeitung von Entscheidungsvorschlägen, Erkundungsprogrammen und die Durchführung der Erkundung mehrerer Standorte ist nach der derzeitigen Fassung des § 6 S. 1 StandAG das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), das gem. § 23 Abs. 1 Nr. 2 AtG auch für Errichtung und Betrieb von Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle zuständig ist. Das BfS ist eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB). Reguliert wird das Standortauswahlverfahren gem. § 7 StandAG durch das im Zuge des Erlasses des StandAG neu geschaffene Bundesamt für kerntechnische Entsorgung (BfE),9 das seine Tätigkeit am 01. 09. 2014 aufgenommen hat.10 Auch das BfE ist eine obere Bundesbehörde im Geschäftsbereich des BMUB. Das BfS hat dem BfE seine Auswahlvorschläge und Erkundungsprogramme vorzulegen. Das BfE wiederum legt dem BMUB Vorschläge für die Standortentscheidung vor, legt die Erkundungsprogramme fest und ist zuständig für die Beteiligung der Öffentlichkeit. Gem. § 23d S. 1 Nr. 1 AtG ist das BfE seit dem 01. 01. 2014 auch zuständige Behörde für Planfeststellung und Genehmigung von Endlagern für radioaktive Abfälle gem. § 9b AtG. Dem BfE wurde damit zulässigerweise eine Aufgabe übertragen, die zuvor bei den Ländern lag.11 Über das BMUB informiert die Bundesregierung den Bundestag und den Bundesrat. Die Entscheidung über die zu erkundenden Standorte und den letztlich auszuwählenden Endlagerstandort erfolgt gem. §§ 14 Abs. 2 S. 5, 17 Abs. 2 S. 5 und 20 Abs. 2 S. 1 StandAG jeweils durch Gesetz. Die Verantwortlichkeit des BfS als Vorhabenträger für die Standortsuche und die Endlagerung wird zukünftig voraussichtlich entfallen. Die Endlagerkommission schlägt in ihrem Gesamtberichtentwurf, Stand 19. 05. 2016, vor, die Betreiberaufgaben des BfS, die DBE GmbH und die Asse GmbH – beides Gesellschaften, die als Erfüllungsgehilfen gem. § 9a Abs. 3 S. 2 AtG fungieren – in einer Bundesgesellschaft für kerntechnische Entsorgung (BGE) zusammenzuführen, was eine Änderung des StandAG sowie des AtG erfordert. Die Gesellschaft soll in privater Rechtsform geführt und zu 100 Prozent in öffentlicher Hand stehen. Eine Privatisierung soll ausgeschlossen werden. Das BfE bleibt nach dem Vorschlag Regulierungsbehörde und Planfeststellungsbehörde für Endlager; zusätzlich sollen beim BfE die Zustän9 Das Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes für kerntechnische Entsorgung wurde als Art. 3 des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze verkündet, BGBl. I S. 2553. 10 Ziffer I.1. des Organisationserlasses des BMUB vom 05. 08. 2014, abrufbar unter: http:// www.bfe.bund.de/ fileadmin/user_upload/PDF/organisationserlass_bf.pdf. 11 Zur Verfassungskonformität der Übertragung der vormaligen Länderaufgabe der Planfeststellung von Endlagern für radioaktive Abfälle auf eine Bundesbehörde: Keienburg, atw 2012, 725, 727 f.
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digkeiten als Genehmigungsbehörde für Zwischenlager und Transporte angesiedelt werden, die bisher beim BfS liegen. Das BfS soll nur noch für den Bereich Strahlenschutz zuständig sein.12 Als Gründe für die Neuordnung der Aufgabe des Vorhabenträgers führt die Endlagerkommission Gründe der Wirtschaftlichkeit und Transparenz an.13 Nach Verlautbarung von Bundesumweltministerin Hendricks soll die BGE noch im ersten Halbjahr 2016 gegründet werden.14 Die BGE soll beim BMUB angehängt werden. 3. Übertägige Erkundung Im Standortauswahlverfahren ermittelt der Vorhabenträger gem. § 13 Abs. 1 S. 1 StandAG auf Grundlage durch Bundesgesetz – nach Abschluss der Arbeit der Endlagerkommission – noch festzulegender Anforderungen und Kriterien zunächst Standortregionen für die übertägige Erkundung. Der Vorhabenträger übermittelt seinen Vorschlag für die übertägige Erkundung in Betracht kommender Standortregionen an das BfE, das den Vorschlag überprüft und in diesem Zusammenhang eine strategische Umweltprüfung durchführt. Die Öffentlichkeit wird gem. § 13 Abs. 4 StandAG beteiligt. Anschließend übermittelt das BfE nach einer erneuten Beteiligung der betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften und Grundstückseigentümer den Vorschlag der übertägig zu erkundenden Standorte an das BMUB. Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag und den Bundesrat. Der Bundestag entscheidet über die übertägig zu erkundenden Standorte durch Bundesgesetz. Nach gesetzlicher Festlegung der übertägig zu erkundenden Standorte schlägt der Vorhabenträger gem. § 15 Abs. 1 StandAG standortbezogene Erkundungsprogramme und Prüfkriterien vor, die vom BfE nach einer erneuten Öffentlichkeitsbeteiligung festzulegen sind. Erst daran anschließend kann die übertägige Erkundung der festgelegten Standorte durch den Vorhabenträger beginnen. Der Gesetzgeber geht in der amtlichen Begründung des StandAG von der übertägigen Erkundung von fünf Standorten zu Kosten in Höhe von jeweils 100 Mio. E aus.15 4. Untertägige Erkundung Auf Grundlage der Ergebnisse der übertägigen Standorterkundung schlägt der Vorhabenträger dem BfE gem. § 16 Abs. 2 S. 2 StandAG Standorte, auf die sich die weitere, untertägige Erkundung beziehen soll, sowie zugehörige Erkundungspro12 Zu alledem Gesamtberichtsentwurf der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, K-Drs. 202c, S. 203 f. 13 Gesamtberichtsentwurf der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, K-Drs. 202c, S. 205. 14 Ankündigung der Bundesumweltministerin in der Sitzung der Endlagerkommission vom 18. 12. 2015, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2015/endlager kommission_kommissionsbericht/399214. 15 BT-Drs. 17/13833 mit Verweis auf BT-Drs. 17/13471, dort S. 3.
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gramme vor. Die Öffentlichkeit wird gem. § 16 Abs. 3 StandAG beteiligt. Das BfE führt eine strategische Umweltprüfung durch und beteiligt erneut die betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften und Grundstückseigentümer. Anschließend stellt das BfE gem. § 17 Abs. 4 S. 1 StandAG durch rechtsbehelfsfähigen Verwaltungsakt fest, ob das bisherige Standortauswahlverfahren nach den Anforderungen und Kriterien des StandAG durchgeführt wurde und übermittelt sodann den Vorschlag der untertägig zu erkundenden Standorte dem BMUB. Auch wenn dies im Gesetz nicht verankert ist, geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Bundestag über die untertägig zu erkundenden Standorte erst nach dem Abschluss etwaiger Rechtsbehelfsverfahren gegen den feststellenden Verwaltungsakt des BfE entscheidet.16 Die Entscheidung des Bundestags über die untertägig zu erkundenden Standorte durch Gesetz soll nach Unterrichtung sowohl des Bundestags als auch des Bundesrats durch die Bundesregierung gem. § 17 Abs. 5 StandAG bis Ende 2023 erfolgen. Nach gesetzlicher Festlegung der untertägig zu erkundenden Standorte schlägt der Vorhabenträger gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 StandAG ein vertieftes geologisches Erkundungsprogramm und Prüfkriterien vor, die vom BfE nach einer erneuten Öffentlichkeitsbeteiligung festzulegen sind. Daran anschließend beginnt die untertägige Erkundung der festgelegten Standorte durch den Vorhabenträger. Der Gesetzgeber geht von der untertägigen Erkundung von zwei Standorten zu Kosten in Höhe von jeweils 500 Mio. E aus.17 5. Standortfestlegung Die Ergebnisse der untertägigen Erkundung teilt der Vorhabenträger dem BfE mit. Das BfE führt gem. § 18 Abs. 4 S. 2 StandAG eine Umweltverträglichkeitsprüfung des favorisierten Standorts durch und schlägt gem. § 19 Abs. 1 StandAG auf Grundlage der durchgeführten Sicherheitsuntersuchungen und der Umweltverträglichkeitsprüfung letztlich unter Abwägung sämtlicher Belange sowie der Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung einen Standort vor, zu welchem die Öffentlichkeit beteiligt wird. Anschließend übermittelt das BfE den Standortvorschlag nach einer erneuten Beteiligung der betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften und Grundstückseigentümer dem BMUB. Das BMUB überprüft gem. § 20 Abs. 1 S. 1 StandAG, dass das Standortauswahlverfahren nach den Anforderungen und Kriterien des StandAG durchgeführt wurde. Anschließend schlägt die Bundesregierung dem Bundestag den Standort in Form eines Gesetzentwurfs vor. Über den Endlagerstandort entscheidet gem. § 20 Abs. 2 S. 1 StandAG erneut der Bundestag durch Gesetz. Abgeschlossen sein soll die Standortauswahl gem. § 1 Abs. 3 StandAG bis zum Jahr 2031 und damit ausgehend von einem Beschluss des Bundestags über die von der Endlagerkommission festzulegenden Kriterien und Entscheidungsgrundlagen 16 17
BT-Drs. 17/13833 mit Verweis auf BT-Drs. 17/13471, dort S. 28. BT-Drs. 17/13833 mit Verweis auf BT-Drs. 17/13471, dort S. 3.
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bis Ende 2016 innerhalb von 15 Jahren. Dass die in § 1 Abs. 3 StandAG enthaltene zeitliche Festlegung nicht verbindlich ist, ergibt sich schon aus der „Soll“-Formulierung. Dazu heißt es in der amtlichen Begründung, dass die Soll-Regelung deutlich mache, dass es sich um eine Zielvorgabe handele, die, wenn sachliche Gründe dies rechtfertigen, auch überschritten werden dürfe.18 Die Fristenregelung des § 1 Abs. 3 StandAG ist sanktionslos. Die Inbetriebnahme eines Endlagers für Wärme entwickelnde Abfälle soll um das Jahr 2050 erfolgen.19 Mit der Standortfestlegung am Ende des Standortauswahlverfahrens ist nur der Standort festgelegt. Errichtung, Betrieb und Stilllegung des Endlagers sind damit noch nicht zugelassen. Errichtung, Betrieb und Stilllegung des Endlagers an dem festgelegten Standort erfordern eine vorherige atomrechtliche Genehmigung gem. § 9b Abs. 1a AtG; eine bisher für Errichtung und Betrieb eines Endlagers erforderliche atomrechtliche Planfeststellung gem. § 9b Abs. 1 AtG ist im Fall einer vorherigen gesetzlichen Standortfestlegung aufgrund Änderung des AtG mit dem Standortauswahlgesetz entbehrlich.20 In dem atomrechtlichen Genehmigungsverfahren ist über alle Aspekte der Errichtung, des Betriebs und der Stilllegung des Endlagers zu entscheiden. Allein der Standort als solcher ist hinsichtlich der mit seiner Festlegung getroffenen Bewertung als Standort, der die bestmögliche Sicherheit für einen Zeitraum von einer Million Jahren gewährleistet, im Genehmigungsverfahren nicht mehr zu überprüfen. Der durch Gesetz festgelegte Standort ist gem. § 20 Abs. 3 StandAG für das anschließende atomrechtliche Genehmigungsverfahren des Endlagers verbindlich.
III. Rechtsschutz Die Festlegung des Standorts durch Legalplanung, der nach der amtlichen Begründung des StandAG enteignende Vorwirkung zukommen können soll,21 wirft insbesondere aufgrund der damit einhergehenden Rechtsschutzverkürzung viele Fragen auf, die nachfolgend speziell mit Blick auf völkerrechtliche und europarechtliche Erfordernisse betrachtet werden sollen.
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BT-Drs. 17/13833 mit Verweis auf BT-Drs. 17/13471, dort S. 19. Ziffer 3.1.2 des Programms für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle (Nationales Entsorgungsprogramm) des BMUB aus August 2015, abrufbar unter: http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/ Download_PDF/Nukleare_Sicherheit/nationales_entsorgungsprogramm_aug_bf.pdf. 20 Die Änderung des Atomgesetzes wurde als Art. 2 des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze verkündet, BGBl. I S. 2553. 21 BT-Drs. 17/13833 mit Verweis auf BT-Drs. 17/13471, dort S. 26, 27 u. 29. 19
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1. Eingeschränkter Rechtsschutz Die Entscheidung über den Endlagerstandort durch Gesetz geht in Würdigung der derzeitigen Fassung des StandAG mit erheblichen Einschränkungen des Rechtsschutzes einher.22 Während auf Grundlage der früheren Regelungen des Atomgesetzes und der Entscheidung auch über den Standort erst im atomrechtlichen Planfeststellungsverfahren verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegen die atomrechtliche Planfeststellung des Endlagers inklusive der in der Planfeststellung beinhalteten Standortentscheidung möglich war,23 erstreckt sich der mögliche verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz gegen die für Errichtung, Betrieb und Stilllegung eines Endlagers nach gesetzlicher Standortentscheidung erforderliche atomrechtliche Genehmigung nicht auf die Standortentscheidung. Denn der Standort ist nicht Regelungsgegenstand der atomrechtlichen Genehmigung; der Standort ist gem. § 20 Abs. 3 StandAG mit der gesetzlichen Standortentscheidung verbindlich und damit ohne erneute behördliche Überprüfungsmöglichkeit festgelegt. Auch das Verwaltungsgericht kann die gesetzliche Standortentscheidung in Rechtsbehelfsverfahren gegen die atomrechtliche Genehmigung nicht inzident überprüfen, da Gesetze auch für die Verwaltungsgerichte verbindlich sind. Eine verfassungsgerichtliche Prüfung der Standortfestlegung, die im Fall einer Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a oder 4b GG oder einer abstrakten oder konkreten Normenkotrolle gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG denkbar wäre, ist auf eine Überprüfung des Verfassungsrechts beschränkt. Einfachrechtliche Gesetzesverstöße können gegenüber dem BVerfG nicht gerügt werden. Damit ist eine gesetzliche Standortentscheidung materiell-rechtlich hinsichtlich der der Standortauswahl zugrundeliegenden naturwissenschaftlichen Grundlagen und der Zielerreichung der bestmöglichen Sicherheit nicht überprüfbar. Diese Reduzierung des Rechtsschutzes aufgrund gesetzlicher Standortfestlegung und des damit einhergehenden Ausschlusses einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle des Standorts wird nicht durch den in § 17 Abs. 4 S. 3 StandAG ermöglichten Rechtsschutz gegen den feststellenden Verwaltungsakt des BfE hinsichtlich einer ordnungsgemäßen Durchführung des Standortauswahlverfahrens vor gesetzlicher Entscheidung über die untertägig zu erkundenden Standorte kompensiert. Gem. § 17 Abs. 4 S. 3–5 StandAG können anerkannte Vereinigungen sowie die Gemeinden, in deren Gebiet ein zur untertägigen Erkundung vorgeschlagener Standort liegt, und deren Einwohner, den feststellenden Bescheid ohne das Erfordernis eines behördlichen Vorverfahrens vor dem BVerwG beklagen und das aufgrund der Regelung einer entsprechenden Anwendung des UmwRG wohl ohne das Erfor22 Posser, in: Kirchhof/Paetow/Uechtritz, FS für Dolde, 2014, 251, 278; Wollenteit, in: Koch/Roßnagel/ Schneider/Wieland, 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 1. Aufl. 2013, 292, 297 ff.; im Einzelnen Keienburg, atw 2014, 571 ff. 23 BVerwG, NVwZ 2007, 833, 835; BVerwG, NVwZ 2007, 841, 843; BVerwG, NVwZ 2007, 837, 838 f.
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dernis der Geltendmachung einer Verletzung eigener, drittgeschützter Rechte.24 Damit kann die von dem BfE festzustellende ordnungsgemäße Durchführung des Standortauswahlverfahrens bis zur Festlegung der untertägig zu erkundenden Standorte inklusive des zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegenden Vorschlags des BfE über die untertägig zu erkundenden Standorte einer verwaltungsgerichtlichen Prüfung zugeführt werden. Die eigentliche Standortfestlegung, die erst nach der untertägigen Erkundung erfolgt, ist aber nicht Gegenstand dieses zeitlich früheren verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Der in § 17 Abs. 4 StandAG ermöglichte Rechtsschutz setzt daher zu früh an. Denn er bezieht sich nicht auf die abschließende Standortfestlegung und ermöglicht damit keine Überprüfung des Standorts. 2. Verfassungsrecht Legalplanungen mit enteignender Vorwirkung verstoßen ausweislich der StendalEntscheidung des BVerfG vom 17. 07. 1996, 2 BvF 2/93, nicht a priori gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG.25 In welchen Fällen eine Verkürzung des Rechtsschutzes verfassungsrechtlich zulässig ist, hat das BVerfG in der Stendal-Entscheidung nicht abschließend entschieden. Als verfassungskonform bestätigt hat das BVerfG eine Legalplanung jedenfalls für den Fall, in dem eine Enteignung nicht nur zum Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist, sondern triftige Gründe für die Annahme bestehen, dass die Durchführung eines behördlichen Verfahrens mit erheblichen Nachteilen für das Gemeinwohl verbunden wäre, denen nur durch eine gesetzliche Regelung begegnet werden kann.26 Derart triftige Gründe bejahte das BVerfG in der Stendal-Entscheidung hinsichtlich der der dortigen Legalplanung zugrunde liegenden Annahme des Gesetzgebers, dass eine behördliche Entscheidung im Vergleich zu einer gesetzlichen Entscheidung eine deutliche Verzögerung des Projekts und damit eine Verzögerung der Stärkung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern und der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im gesamten Gebiet der Bundesrepublik bedeuten würde.27 Der Gesetzgeber begründet die Festlegung des Endlagerstandorts durch Legalplanung mit der besonderen Bedeutung der Endlagerung radioaktiver Abfälle als großes Infrastrukturprojekt und nationale Aufgabe.28 Über die Einbeziehung des Gesetzgebers in die Standortauswahl und insbesondere die abschließende Festlegung des ausgewählten Endlagerstandorts durch Gesetz erhofft sich der Gesetzgeber Akzeptanz. In der amtlichen Begründung ist ausgeführt, dass die Entscheidungsform des Geset24 Vgl. Gesamtberichtsentwurf der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, K-Drs. 202c, S. 221; ebenso Keienburg, atw 2014, 571, 574 und wohl auch Hennenhöfer, in: Kirchhof/ Paetow/Uechtritz, FS für Dolde, 2014, 209, 218; offen gelassen von Posser, in: Kirchhof/ Paetow/Uechtritz, FS für Dolde, 2014, 251, 272. 25 BVerfGE 95, 1, 22. 26 BVerfGE 95, 1, 22. 27 BVerfGE 95, 1, 23 f. 28 BT-Drs. 17/13833 mit Verweis auf BT-Drs. 17/13471, dort S. 29.
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zes das größtmögliche Maß an demokratischer Legitimation und damit die größtmögliche Chance auf eine dauerhaft akzeptierte Streitentscheidung biete.29 Damit sieht der Gesetzgeber gute bzw. triftige Gründe als gegeben an, die das BVerfG in der Stendal-Entscheidung als Voraussetzung einer Legalplanung mit enteignender Vorwirkung gefordert hat. Ob diese Wertung des Gesetzgebers zutreffend ist, ist Gegenstand einer kontroversen juristischen Diskussion.30 Zweifelsfrei ist, dass die vom BVerfG in der Stendal-Entscheidung als gute und triftige Gründe für eine Legalplanung mit enteignender Vorwirkung angeführte, von der damaligen Legalplanung erhoffte, Beschleunigung der Entscheidung – dort zum Zweck der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im gesamten Gebiet der Bundesrepublik – nicht Grunde für die gesetzliche Entscheidung über den Endlagerstandort ist. Die Einbeziehung des Gesetzgebers in die Standortauswahl wird nicht zu einer Beschleunigung führen und ist auch nicht dazu gedacht. Die Verfasserin bezweifelt bereits die Verfassungskonformität von Enteignungen für die Standortauswahl. Denn es ist Grundlage der Standortauswahl, dass nicht alle zu erkundenden Standorte der Endlagerung dienen werden, sondern am Ende nur ein Standort ausgewählt wird. Damit sind jedenfalls Enteignungen an anderen Standorten als dem letztlich ausgewählten, zur Endlagerung nicht erforderlich, was dazu führt, dass die Erforderlichkeit von Enteignungen für keinen Standort festgestellt werden kann, da zu Anfang des Auswahlverfahrens nicht feststeht, welcher Standort letztlich ausgewählt wird.31 Die Verfasserin bezweifelt zudem Überlegungen des Gesetzgebers zum größtmöglichen Maß demokratischer Legitimation als gute und triftige Gründe einer Entscheidung über den Standort durch Gesetz.32 Denn es ist Grundlage der Gewaltenteilung, dass die verwaltungsbehördliche Legitimation ausreichend ist, über Vorhabenzulassungen und auch über Vorhabenzulassungen mit enteignender Vorwirkung zu entscheiden. Unterscheidungen zwischen einem größeren oder kleineren Maß an demokratischer Legitimation bergen die Gefahr, den Grundsatz der Gewaltenteilung aufzuweichen. Der unmittelbar demokratisch legitimierte Gesetzgeber muss auf29
BT-Drs. 17/13833 mit Verweis auf BT-Drs. 17/13471, dort S. 30. Gute Gründe bejahend: Bull, DVBl. 2015, 593, 600; ders., DÖV 2014, 897, 904; Kment, Die Verwaltung 2014, 400, 404 f.; Burgi, in: Koch/Roßnagel/Schneider/Wieland, 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 1. Aufl. 2013, 258, 274 ff.; Niehaus, in: Koch/Roßnagel/ Schneider/Wieland, 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 1. Aufl. 2013, 247, 254; bezweifelnd: Posser, in: Kirchhof/Paetow/Uechtritz, FS für Dolde, 2014, 251, 275 f.; Wiegand, NVwZ 2014, 830, 834; Wollenteit, in: Koch/Roßnagel/Schneider/Wieland, 14. Deutsches Atomrechtssymposium, 1. Aufl. 2013, 292, 307 ff.; ders., ZNER 2013, 132, 137 f.; Gaßner/ Neusüß, ZUR 2009, 347, 351 zum Vorschlag einer gesetzlichen Entscheidung im BMU-Papier Standortauswahlverfahren vom 25. 02. 2009. 31 Keienburg, Stellungnahme vom 24. 10. 2014 für die Anhörung der Endlagerkommission am 03. 11. 2014, K-Drs. 39, S. 7 f. dies., NVwZ 2014, 1133, 1136 ff. 32 Keienburg, NVwZ 2014, 1133, 1135 u. 1136. 30
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grund des Gesetzesvorbehalts parlamentsgesetzliche Grundlagen für das Handeln der Exekutive schaffen und alle wesentlichen Entscheidungen im Bereich der Grundrechtsausübung treffen. Das bedeutet aber nicht, dass der Gesetzgeber Entscheidungen über die Zulassung konkreter Vorhaben bzw. Teile desselben, hier des Standorts eines Endlagers für Wärme entwickelnde Abfälle, selbst treffen müsste. Erforderlich ist allein, dass der Gesetzgeber alle für verwaltungsbehördliche Entscheidungen über konkrete Vorhaben wesentlichen Fragen regelt. Dies hat der Gesetzgeber bereits mit dem Atomgesetz getan. Das BVerfG hat im Jahre 2010 in Sachen Endlager Konrad bestätigt, dass der Gesetzgeber im Atomgesetz alle mit der Endlagerung zusammenhängenden und wesentlichen Fragen geregelt hat.33 Weiterhin hat das BVerfG ausgeführt, dass die Vorschriften des AtG über die Endlagerung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, soweit sie die Endlagerung – im Endlager Konrad allein zur Endlagerung zugelassener – Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung betreffen.34 Ob dies auch für die Endlagerung Wärme entwickelnder Abfälle gilt, deren Endlagerung die im StandAG geregelte Standortsuche speziell dient, hat das BVerfG offen gelassen.35 Daraus ergibt sich aber, selbst wenn verfassungsrechtlich zusätzliche oder andere gesetzliche Regelungen für die Endlagerung Wärme entwickelnder Abfälle, als für die Endlagerung von Abfällen mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung erforderlich wären, nicht, dass der Gesetzgeber die Einzelfallentscheidung über den Standort selbst treffen müsste. Auch der Gesetzgeber geht daher in der amtlichen Begründung des StandAG nicht von einer verfassungsrechtlichen Notwendigkeit einer gesetzlichen Entscheidung über den Standort aus, sondern von der Möglichkeit einer gesetzlichen Entscheidung aufgrund dafür sprechender guter Gründe. Die mit einer Legalplanung mit der Möglichkeit einer enteignenden Vorwirkung einhergehende Reduzierung des Rechtsschutzes ist daher verfassungsrechtlich problematisch und diskutabel. 3. Völkerrecht und Europarecht Unabhängig von den verfassungsrechtlichen Fragen verstößt der mit einer gesetzlichen Standortentscheidung verbundene eingeschränkte Rechtsschutz gegen Europarecht und Völkerrecht. a) Umweltverträglichkeitsprüfung des Standorts Errichtung und Betrieb eines Endlagers für radioaktive Abfälle erfordern gem. § 3b Abs. 1 S. 1 i.V.m. Ziff. 11.2 der Anlage 1 des UVPG eine Umweltverträglichkeitsprüfung; dies entspricht den europarechtlichen Vorgaben in Art. 4 Abs. 1 i.V.m. 33
BVerfG, NVwZ 2010, 114 Rn. 39. BVerfG, NVwZ 2010, 114 Rn. 18. 35 BVerfG, NVwZ 2010, 114 Rn. 18. 34
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Ziff. 3b) lit. iii) und iv) des Anhangs I der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 12. 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-Richtlinie). Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung ist gem. § 2 Abs. 2 UVPG ein konkretes Vorhaben, wozu Errichtung und Betrieb einer technischen Anlage, der Bau einer sonstigen Anlage, die Durchführung einer sonstigen in Natur und Landschaft eingreifenden Maßnahme sowie Änderungen einschließlich Erweiterungen derartiger Vorhaben zählen. Der Standort einer Anlage als solcher ist kein UVP-pflichtiges Vorhaben. Dem Standort kommt aber Relevanz für die Umweltverträglichkeitsprüfung jedes Vorhabens zu, denn an unterschiedlichen Standorten können sich aufgrund unterschiedlicher Umgebungsbedingungen unterschiedliche Umweltauswirkungen zeigen. Bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle in tiefen geologischen Formationen kommt dem Standort darüber hinaus aufgrund der Barrierewirkung des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs eine relevante sicherheitstechnische Bedeutung zu. Deshalb kann der Standort aus der Umweltverträglichkeitsprüfung von Errichtung und Betrieb eines Endlagers nicht ausgeklammert werden. Bei einer Festlegung des Standorts durch Gesetz mit Bindungswirkung für das anschließende atomrechtliche Genehmigungsverfahren, wie in § 20 Abs. 3 StandAG geregelt, muss die Umweltverträglichkeitsprüfung des Standorts im Vorfeld der gesetzlichen Standortfestlegung erfolgen. Sie kann nicht Gegenstand des anschließenden atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens sein, da der Standort als solcher nach gesetzlicher Standortfestlegung kein Prüf- und Regelungsgegenstand des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens ist. Die UVP-Pflicht ist in § 18 Abs. 4 S. 2 StandAG berücksichtigt. Das BfE führt im Standortauswahlverfahren eine Umweltverträglichkeitsprüfung des Standorts durch. Darüber hinaus ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung der Anlage – die in diesem Zusammenhang von dem Standort abzugrenzen ist – gem. § 9b Abs. 2 S. 3 AtG im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren durchzuführen. b) Erfordernisse des Art. 11 Abs. 1 UVP-Richtlinie und des Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention An die UVP-Pflicht eines Vorhabens knüpfen sich spezielle völkerrechtliche und europarechtliche Rechtsschutzanforderungen. Gemäß Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, „dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die a) ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Hand-
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lungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten.“
Mit den Vorgaben des Art. 11 UVP-Richtlinie wurden auf europäischer Ebene die Anforderungen des Art. 9 Abs. 2 u. 4 des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 25. 06. 1998 (Aarhus-Konvention)36 hinsichtlich des Zugangs zu Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen i.S.d. Art. 6 Aarhus-Konvention umgesetzt.37 Gemäß Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 1a) und Nr. 1 des Anhangs I der Aarhus-Konvention besteht auch eine völkerrechtliche Pflicht, Rechtsschutz zur Überprüfung der materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit von Entscheidungen über die Zulassung von Anlagen mit dem Zweck der endgültigen Beseitigung bestrahlter Kernbrennstoffe und bestrahlter radioaktiver Abfälle zu gewähren. Der EuGH betont die Bedeutung des Art. 11 UVP-Richtlinie in ständiger Rechtsprechung. Die Rechtsschutzanforderungen des Art. 11 Abs. 1 UVP-Richtlinie sowie des Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention dürfen nicht unterlaufen werden. Die mitgliedstaatlichen Verfahrensregelungen dürfen die Ausübung der durch das Völkerrecht und das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen.38 Umweltverbänden, die die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 1 UVP-Richtlinie erfüllen, darf nicht über nationale Regelungen die Möglichkeit genommen werden, die Rolle zu spielen, die ihnen die UVP-Richtlinie sowie die Aarhus-Konvention zuerkennen;39 sie müssen in einem Überprüfungsverfahren geltend machen können, dass eine Entscheidung gegen Rechtsvorschriften verstößt, die dem Umweltschutz dienen.40 Die Gründe, die mit einem solchen Rechtsbehelf von anerkannten Vereinigungen geltend gemacht werden können, dürfen nicht entgegen des Ziels, weiten Zugang zu einer gerichtlichen Überprüfung zu geben, beschränkt werden.41 Auch der Rechtsschutz Einzelner darf nicht über nationale Regelungen nahezu vollständig 36 Ratifiziert durch die Europäische Union mit Beschluss des Rates vom 17. 02. 2005, 2005/ 370/EG, ABl. L 124 vom 17. 05. 2005, S. 1 und durch die Bundesrepublik Deutschland mit dem Aarhus-Vertragsgesetz vom 09. 12. 2006, BGBl. II, S. 1251. 37 Erwägungsgründe 5, 9 und 11 der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 05. 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/ 337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, mit der der heutige Art. 11 UVP-Richtlinie als damaliger Art. 10a eingefügt wurde. 38 EuGH, NVwZ 2015, 1665 Rn. 30; EuGH, DVBl. 2015, 767 Rn. 37; EuGH, NVwZ 2014, 49 Rn. 45; EuGH, NVwZ 2013, 347 Rn. 85 ff.; EuGH, NVwZ 2012, 553 Rn. 45; EuGH, NVwZ 2011, 801 Rn. 43. 39 EuGH, NVwZ 2011, 801 Rn. 44. 40 EuGH, NVwZ 2011, 801 Rn. 48. 41 EuGH, NVwZ 2015, 1665 Rn. 77; EuGH, NVwZ 2011, 801 Rn. 37.
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ausgeschlossen werden.42 Zwar steht es den Mitgliedstaaten frei, eine Beschränkung der Rechte, die ein Einzelner geltend machen kann, auf subjektiv-öffentliche Rechte zu regeln.43 Ein zur betroffenen Öffentlichkeit i.S.d. UVP-Richtlinie gehörender Einzelner, der die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf ein ausreichendes Interesse oder ggf. eine Rechtsverletzung erfüllt, darf aber nicht durch nationale Regelungen daran gehindert werden, eine Entscheidung mit Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. die Entscheidung eine Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterlassen im Rahmen eines Rechtsbehelfs anzufechten.44 Die alleinige Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen eine gesetzliche Standortfestlegung genügt den Anforderungen des Art. 11 Abs. 1 UVP-Richtlinie sowie des Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention nicht. Auch soweit eine Verfassungsbeschwerde gegen die gesetzliche Standortentscheidung aufgrund daraus resultierender eigener, gegenwärtiger und unmittelbarer Betroffenheit des Beschwerdeführers zulässig sein sollte, wäre die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit der Standortauswahl entsprechend Art. 11 Abs. 1 UVP-Richtlinie und Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention keinesfalls Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Überprüfung. Damit wird den Zielen des Art. 11 Abs. 1 UVP-Richtlinie sowie des Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention nicht ausreichend Rechnung getragen. c) Keine Ausnahmemöglichkeit für gesetzliche Standortentscheidung Die UVP-Richtlinie regelt allerdings in Art. 1 Abs. 4 in der Fassung der Richtlinie 2011/92/EU vom 13. 12. 2011, dass sie nicht für Projekte gilt, „die im einzelnen durch einen besonderen einzelstaatlichen Gesetzgebungsakt genehmigt werden, da die mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele, einschließlich desjenigen der Bereitstellung von Informationen, im Wege des Gesetzgebungsverfahrens erreicht werden.“ Auch die Aarhus-Konvention gilt nicht für legislative Entscheidungen, sondern findet Anwendung nur gegenüber Entscheidungen einer Behörde i.S.d. Art. 2 Nr. 2 S. 1 der Konvention und erfordert damit eine funktionelle verwaltungsbehördliche Entscheidung. Damit können durch Gesetz zugelassene Projekte auf Grundlage der Aarhus-Konvention und der UVP-Richtlinie in der Fassung vom 13. 12. 2011 – zu der Änderungsrichtlinie 2014/52/EU vom 16. 04. 2014 weiter unten – durch Gesetz zugelassen werden, ohne dass die Anforderungen der Konvention und der Richtlinie einschlägig sind und damit auch die dort geregelten Rechtsschutzerfordernisse gewährt werden müssen. Das gilt aber auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH, die sowohl für die Auslegung der UVP-Richtlinie als auch für die Auslegung der Aarhus-Konvention als völkerrechtlicher Vertrag, der unionsrechtliche Zuständigkeiten betrifft, maßgeb42
EuGH, DVBl. 2015, 767 Rn. 43. EuGH, NVwZ 2015, 1665 Rn. 33; EuGH, DVBl. 2015, 767 Rn. 40; EuGH, NVwZ 2011, 801 Rn. 45. 44 EuGH, DVBl. 2015, 767 Rn. 43 f. 43
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lich ist,45 nur für Gesetzgebungsakte, die die gleichen Merkmale aufweisen, wie eine Genehmigung. Voraussetzung für die Ausnahme eines Gesetzes aus dem Anwendungsbereich sowohl der Aarhus-Konvention als auch der UVP-Richtlinie ist nach der Rechtsprechung des EuGH, dass das Gesetz das Projekt gleich einer Genehmigung zulässt.46 Der Gesetzgebungsakt muss dem Projektträger insbesondere das Recht zur Durchführung des Projekts verleihen.47 Nicht im Einzelnen durch einen Gesetzgebungsakt genehmigt ist ein Projekt dagegen, wenn der Gesetzgebungsakt den Erlass weiterer Akte erfordert, damit der Projektträger das Recht zur Durchführung des Projekts erhält.48 In einem solchen Fall ist eine Ausnahme von den Vorgaben der UVP-Richtlinie und der Aarhus-Konvention nicht gerechtfertigt und muss die Entscheidung damit dem völker- und europarechtlich erforderlichen Rechtsschutz zugänglich sein. Die für einen Gesetzgebungsakt, der aus dem Anwendungsbereich der UVPRichtlinie und der Aarhus-Konvention ausgenommen ist, erforderliche genehmigungsersetzende Wirkung entfaltet das am Ende des Standortauswahlverfahrens stehende Gesetz zur Festlegung des Standorts nicht. Das Standortgesetz legt nur den Standort fest, wirkt aber nicht genehmigungsersetzend. Für Errichtung, Betrieb und Stilllegung eines Endlagers an dem gesetzlich festgelegten Standort bedarf es zusätzlich einer atomrechtlichen Genehmigung gem. § 9b Abs. 1a AtG. Damit erfüllt das Gesetz zur Festlegung des Standorts nicht die Voraussetzungen eines genehmigungsersetzenden Gesetzes. Mit der Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 zur Änderung der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten wurde die bisherige Regelung in Art. 1 Abs. 4 UVP-Richtlinie gestrichen. Damit will der Europäische Gesetzgeber den nach Auffassung des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Art. 1 Abs. 4 UVP-Richtlinie in der Fassung vom 13. 12. 2011 enthaltenen „Freibrief für Abweichungen mit eingeschränkten Verfahrensgarantien … wodurch die Umsetzung dieser Richtlinie in wesentlichen Teilen umgangen werden konnte“ eliminieren.49 In Art. 2 Abs. 5 UVP-Richtlinie wurde neu geregelt: 45
Zur Bedeutung von Entscheidungen des EuGH zu völkerrechtlichen Verträgen, die unionsrechtliche Zuständigkeiten betreffen, als Unionsrecht: BVerwG, BVerwGE 147, 312 Rn. 22. 46 EuGH, NVwZ 2012, 617 Rn. 31 u. 45. 47 EuGH, NVwZ-RR 2013, 18 Rn. 80 ff.; EuGH, NVwZ 2012, 617 Rn. 32 ff.; EuGH, NVwZ 2011, 1506 Rn. 38 ff.; EuGH, 16. 09. 1999, C-435/97, juris Rn. 58. 48 EuGH, NVwZ-RR 2013, 18 Rn. 82; EuGH, NVwZ 2012, 617 Rn. 39; EuGH, NVwZ 2011, 1506 Rn. 40; EuGH, 16. 09. 1999, C-435/97, juris Rn. 62. 49 Bericht des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelrecht vom 22. 07. 2013, A7 – 0277/2013, dort Änderungsantrag 18, abrufbar unter: http://www. europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A7-20130277+0+DOC+XML+V0//DE.
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„Unbeschadet des Artikels 7 können die Mitgliedstaaten ein Projekt, das durch einen besonderen einzelstaatlichen Gesetzgebungsakt zugelassen wird, von den Bestimmungen dieser Richtlinie, die sich auf die Beteiligung der Öffentlichkeit beziehen, ausnehmen, jedoch unter der Voraussetzung, dass die Ziele dieser Richtlinie verwirklicht werden.“
Die Änderungsrichtlinie ist gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 bis zum 16. 05. 2017 in nationales Recht der Mitgliedstaaten umzusetzen. Damit werden in dem zur Entscheidung über den Standort vorgesehenen Zeitpunkt im Jahr 2031 selbst Gesetze, die die vom EuGH aufgestellten Anforderungen einer genehmigungsersetzenden Wirkung erfüllen, Ausnahmen nur noch von den Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung ermöglichen. Ausnahmen von den Vorschriften über den Rechtsschutz sind dann auch im Fall eines genehmigungsersetzenden Gesetzes, das den Anforderungen des EuGH entspricht, nicht mehr möglich. Die Rechtsschutzverkürzung durch gesetzliche Entscheidung über den Standort inklusive Umweltverträglichkeitsprüfung verstößt damit gegen die Vorgaben des Art. 11 Abs. 1 UVP-Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicherzustellen haben, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die ein ausreichendes Interesse haben oder – sofern das Verwaltungsverfahrens- oder -prozessrecht des Mitgliedstaats dies fordert – eine Rechtsverletzung geltend machen, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht haben, um die materielle Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen, für die die Bestimmungen der Richtlinie gelten, anzufechten. Gleichzeitig liegt ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 2 der Aarhus-Konvention vor. Dies ergeben auch von der Endlagerkommission u. a. bei der Verfasserin beauftragte Gutachten.50 4. Zukünftige Änderung des StandAG Die Endlagerkommission hat bereits mit Beschluss vom 03. 07. 2015 u. a. auf Grundlage der von ihr beauftragten vorerwähnten Gutachten die Feststellung getroffen, dass das StandAG ein Rechtsschutzdefizit enthält und damit gegen die Vorgaben
50 Däuper/Mirbach/Michaels, Gutachten vom 18. 06. 2015 zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben, insbesondere der UVP-Richtlinie, der SUP-Richtlinie und der Aarhus-Konvention im Auftrag der Endlagerkommission, K-Mat 37a, S. 17 ff. u. 32; Keienburg, Gutachten aus Juni 2015 zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben im Auftrag der Endlagerkommission, K-Mat 37b, S. 15 ff. u. 41 f.; ebenso dies. zuvor in der Stellungnahme vom 24. 10. 2014 für die Anhörung der Endlagerkommission am 03. 11. 2014, K-Drs. 39, S. 6 und in NVwZ 2014, 1133, 1139 f.; Däuper/Bernstorff, ZUR 2014, 24, 28; Kment, Die Verwaltung 2014, 377, 405.
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der UVP-Richtlinie verstößt.51 Dies ist auch Inhalt des Entwurfs des Gesamtberichts der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016.52 a) Lösungsvarianten Zur Behebung des derzeitigen völkerrechtlichen und europarechtlichen Rechtsschutzdefizits kommen mehrere Möglichkeiten in Betracht. Die Verfasserin hat in ihrem Gutachten zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EU-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben im Auftrag der Endlagerkommission vorgeschlagen, von einer abschließenden gesetzlichen Entscheidung über den Standort Abstand zu nehmen, indem das Standortauswahlverfahren nach gesetzlicher Festlegung der übertägig und der untertägig zu erkundenden Standorte mit einer Standortentscheidung des Vorhabenträgers endet und diese Standortentscheidung des Vorhabenträgers dann im atomrechtlichen Zulassungsverfahren für Errichtung, Betrieb und Stilllegung des Endlagers mit der Möglichkeit verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes zur Prüfung gestellt wird.53 Der Vorteil dieser Lösung läge abgesehen von der Behebung des Rechtsschutzdefizits darin, dass auf diese Weise mögliche Friktionen, die aus der Trennung der Entscheidung über den Standort als solchen und der erst späteren Entscheidung über Errichtung, Betrieb und Stilllegung des Endlagers resultieren können,54 vermieden würden. Der Nachteil einer derartigen Lösung läge darin, dass Rechtssicherheit über den Standort erst am Ende des atomrechtlichen Zulassungsverfahrens und nicht bereits am Ende des Standortauswahlverfahrens erreicht würde, könnte aber durch Gebrauch machen von der in § 9b Abs. 1 S. 2 AtG neu eingefügten Möglichkeit von Teilplanfeststellungsbeschlüssen kompensiert werden. Über den Standort könnte vorrangig durch einen 1. Teilplanfeststellungsbeschluss entschieden werden. Voraussetzung eines Teilplanfeststellungsbeschlusses wäre neben einer positiven Bestätigung des Standorts gem. § 9b Abs. 1 S. 2 AtG ein vorläufiges positives Gesamturteil hinsichtlich Errichtung, Betrieb und Stilllegung des Endlagers an dem Standort. Damit werden Friktionen, die sich im Standortauswahlverfahren aus einer alleinigen Entscheidung
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Beschluss der Kommission vom 03. 07. 2015, K-Drs. 114 neu, S. 2. Gesamtberichtsentwurf der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, K-Drs. 202c, S. 209. 53 Keienburg, Gutachten aus Juni 2015 zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EUrechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben im Auftrag der Endlagerkommission, K-Mat 37b, S. 51 f.; eine gesetzliche Entscheidung über den Standort als entbehrlich erachtend auch: Kment, Die Verwaltung 2014, 377, 405, und Posser, in: Kirchhof/Paetow/Uechtritz, FS für Dolde 2014, 251, 276. 54 Dazu Keienburg, Stellungnahme vom 24. 10. 2014 für die Anhörung der Endlagerkommission am 03. 11. 2014, K-Drs. 39, S. 4 f. 52
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über den Standort ohne vorläufige Prüfung der Endlagerkonzeption ergeben können, vermieden. Alternativ dazu kommt eine Entscheidung des Gesetzgebers über den Endlagerstandort nur als Vorrangstandort und ohne Verbindlichkeitswirkung für das anschließende Zulassungsverfahren oder, bei Beibehaltung einer abschließenden gesetzlichen Entscheidung mit Verbindlichkeitswirkung für das anschließende atomrechtliche Zulassungsverfahren, ein vorgeschalteter und verwaltungsgerichtlich beklagbarer Verwaltungsakt des BfE über den Standort inklusive Umweltverträglichkeitsprüfung in Betracht.55 b) Überlegungen der Endlagerkommission zu ergänzendem Rechtsschutz Die Endlagerkommission will das Instrument der Legalplanung am Ende des Standortauswahlverfahrens beibehalten.56 Sie sieht im Entwurf ihres Berichts, Stand 19. 05. 2016, eine Kombination aus verschiedenen Lösungsansätzen vor.57 In § 19 Abs. 2 StandAG soll eine dem § 17 Abs. 4 StandAG nachgebildete zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeit eingefügt werden, indem das BfE „durch Bescheid fest [stellt], ob das bisherige Standortauswahlverfahren nach den Anforderungen und Kriterien dieses Gesetzes durchgeführt wurde und der Standortvorschlag diesen Anforderungen und Kriterien entspricht.“58 Gegen diesen feststellenden Bescheid soll Klage vor dem BVerwG erhoben werden können, in deren Rahmen dann auch die Umweltverträglichkeitsprüfung des Standorts gerichtlich überprüfbar ist. Zudem soll in § 20 Abs. 3 StandAG ein neuer Satz 2 eingefügt werden, nach welchem die Eignung des Vorhabens im Genehmigungsverfahren vollumfänglich zu prüfen ist: „Auf der Grundlage dieser Entscheidung [sic. gesetzliche Standortentscheidung] ist die Eignung des Vorhabens im Genehmigungsverfahren vollumfänglich zu prüfen.“59
Die Endlagerkommission ist der Auffassung, dass die isolierte Einführung einer Rechtsschutzmöglichkeit in § 19 Abs. 2 StandAG analog zu der Regelung in § 17 Abs. 4 StandAG den europarechtlichen Vorgaben nicht mit Gewissheit genüge, da – so die Endlagerkommission – damit die Entscheidung des Bundestags gem. § 20 Abs. 2 StandAG bestehen bleibe und diese Entscheidung, die ein Teil der Sachent55
Keienburg, Gutachten aus Juni 2015 zur Überprüfung des Standortauswahlgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Regelungen zum Standortauswahlverfahren mit EUrechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben im Auftrag der Endlagerkommission, K-Mat 37b, S. 52 f. 56 Gesamtberichtsentwurf der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, K-Drs. 202c, S. 210. 57 Gesamtberichtsentwurf der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, K-Drs. 202c, S. 210 f. 58 Gesamtberichtsentwurf der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, K-Drs. 202c, S. 208. 59 Gesamtberichtsentwurf der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, K-Drs. 202c, S. 208.
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scheidung im UVP-pflichtigen Verfahren ist, nachträglich weiterhin nicht überprüfbar ist. Einem Kläger könne, so die Überlegung der Endlagerkommission, bei Anfechtung der späteren atomrechtlichen Genehmigungsentscheidung möglicherweise vorgehalten werden, dass über bestimmte Fragen schon im Rahmen der bindenden gesetzlichen Standortauswahl entschieden wurde, was – so die Endlagerkommission – einer europarechtlich geforderten materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Überprüfbarkeit der Genehmigungsentscheidung widerspreche. Deshalb soll – so die Endlagerkommission – die Bindungswirkung der gesetzlichen Standortentscheidung über einen neuen Satz 2 in § 20 Abs. 3 StandAG so reduziert werden, dass eine spätere gerichtliche Überprüfung der Standortentscheidung im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren möglich bleibt.60 Dieser Lösungsansatz wirft Fragen und neue Probleme auf. Die vorgeschlagene Formulierung des neuen Satzes 2 in § 20 Abs. 3 StandAG lässt nicht erkennen, was gewollt ist: Soll das BfE im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren auch den Standort erneut prüfen? Das widerspricht der nach dem Vorschlag der Endlagerkommission unverändert bleibenden Regelung in § 20 Abs. 3 S. 1 StandAG, wonach die gesetzliche Standortentscheidung für das anschließende atomrechtliche Genehmigungsverfahren verbindlich ist. Soll geregelt werden, dass Errichtung, Betrieb und Stilllegung eines Endlagers an dem festgelegten Standort im Genehmigungsverfahren auch mit der Möglichkeit, dass Errichtung, Betrieb und Stilllegung an dem Standort nicht zulassungsfähig sind, geprüft werden müssen? Das ist, nicht soweit es um die Standortfestlegung, aber um die Eignung der Endlagerkonzeption für den konkreten Standort geht, eine Selbstverständlichkeit und bedarf keiner zusätzlichen Regelung. Oder soll die Standortentscheidung zwar nicht einer behördlichen Prüfung im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren, aber einer verwaltungsgerichtlichen Prüfung in anschließenden Klageverfahren gegen die Genehmigung zugeführt werden? Dafür spricht die Begründung der Endlagerkommission im Entwurf des Berichts, Stand 19. 05. 2016, wenn dort ausgeführt ist: „Zudem soll die Bindungswirkung der gesetzlichen Standortentscheidung so reduziert werden, dass eine spätere gerichtliche Überprüfung der Standortentscheidung im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren möglich bleibt.“61
Dies ergibt sich aber nicht aus dem Wortlaut des vorgeschlagenen neuen Satzes 2 in § 20 Abs. 3 StandAG. Zudem ist zu bezweifeln, dass die Regelung einer Inzidentprüfung des Standortgesetzes im Verwaltungsprozess betreffend die atomrechtliche Genehmigung möglich ist, da damit der Grundsatz der Verbindlichkeit von Gesetzen auch für die Verwaltungsgerichte überregelt würde. Schließlich wäre eine derartige Regelung auch nicht verfahrens- und prozessökonomisch. Denn damit stünde die Entscheidung über den Standort bis zur Bestandskraft der Genehmigung für Errich60
Zu alledem Gesamtberichtsentwurf der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, K-Drs. 202c, S. 210. 61 Gesamtberichtsentwurf der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, K-Drs. 202c, S. 211.
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tung, Betrieb und Stilllegung des Endlagers zur Disposition und würde die mit einer Abschichtung der Entscheidung über den Standort auch bezweckte Rechtssicherheit gerade nicht erreicht. Die beiden letztgenannten Punkte hat auch die Endlagerkommission gewürdigt und kommt im Entwurf des Berichts, Stand 19. 05. 2016, kurz vor ihren Ausführungen zur Ergänzung des § 20 Abs. 3 StandAG zu dem Ergebnis: „Bei der alleinigen ,Abschwächung‘ der Bindungswirkung der gesetzlichen Standortentscheidung, um eine Überprüfbarkeit im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes gegen die Endlagergenehmigung nach § 9b AtG zu ermöglichen, wurden insbesondere die folgenden Schwachstellen erkannt: Unklar wäre, wie eine Reduzierung der Bindungswirkung rechtsdogmatisch erfolgen könne, ohne die Entscheidung des Bundestags zu entwerten. Zudem erginge dann eine gerichtliche Entscheidung erst am Ende eines langjährigen Verfahrens.“62
Vor dem Hintergrund dieser – zutreffenden – Überlegungen der Endlagerkommission sind die weiter oben zitierten Erwägungen zur Ergänzung des § 20 Abs. 3 StandAG um einen neuen Satz 2 kaum nachvollziehbar. Zur Erfüllung der europarechtlichen und völkerrechtlichen Rechtsschutzerfordernisse genügt eine Klagemöglichkeit gegen den von der Endlagerkommission in einer Ergänzung des § 19 Abs. 2 StandAG vorgesehenen feststellenden Bescheid des BfE, wobei klar sein muss, dass es sich um einen feststellenden Bescheid nicht nur über das bisherige Verfahren, sondern über das Ergebnis des als umweltverträglich bestätigten Standorts handeln muss. Die Abschichtung einer Umweltverträglichkeitsprüfung durch stufenweise Entscheidungen ist europarechtskonform. Auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH muss im Fall mehrstufiger Genehmigungsverfahren, die grundsätzlich eine Umweltverträglichkeitsprüfung auf Ebene der ersten Stufe erfordern, gewährleistet sein, dass Auswirkungen, die sich erst auf einer nachfolgenden Stufe ermitteln lassen, auf der nachfolgenden Stufe geprüft werden und dies sowohl für Auswirkungen gilt, die auf der ersten Stufe noch nicht geprüft wurden, als auch für Auswirkungen, die eine erneute Prüfung erfordern.63 Das bedeutet umgekehrt, dass bereits auf der ersten Stufe ermittelte und unveränderte Auswirkungen auf der folgenden Stufe nicht erneut zu prüfen sind und keiner erneuten Rechtsschutzmöglichkeit auch auf der folgenden Stufe zugeführt werden müssen. Es ist daher nicht erforderlich, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung des Standorts mit Rechtsbehelfen gegenüber der atomrechtlichen Genehmigung gerügt werden können müsste. Prüfbar sein muss gem. Art. 11 Abs. 1 UVP-Richtlinie sowie gem. Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von „Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen“ für die die Bestimmungen der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie bzw. der AarhusKonvention gelten. Eine derartige Entscheidung stellt auch der nach dem Vorschlag der Endlagerkommission in § 19 Abs. 2 StandAG neu einzufügende, rechtsmittelfä62 Gesamtberichtsentwurf der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, K-Drs. 202c, S. 210. 63 EuGH, NVwZ 2006, 803 Rn. 104 ff.; EuGH, NVwZ 2006, 806 Rn. 48.
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hige Verwaltungsakt des BfE dar. Zwar genügt der feststellende Bescheid des BfE nach der von der Endlagerkommission weiterhin verfolgten Konzeption einer Legalplanung nicht als Grundlage des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens; der Standort soll weiterhin zusätzlich durch Gesetz festgelegt werden. Die Endlagerkommission ist sich aber bewusst, dass die Entscheidung des Gesetzgebers im Anschluss an den neu vorgesehenen feststellenden Bescheid des BfE nur in einer Ablehnung oder einer Bestätigung des Standorts liegen kann, ohne weitergehende abweichende Entscheidungsmöglichkeit des Gesetzgebers;64 der gesetzlichen Standortfestlegung kommt damit eine andere – vermeintlich höhere – Qualität im Vergleich zu dem Verwaltungsakt des BfE aber kein anderer Inhalt zu. Bei dieser Sachlage genügt zur Gewährleistung der europarechtlichen und völkerrechtlichen Rechtsschutzerfordernisse eine Klagemöglichkeit gegen den feststellenden Verwaltungsakt des BfE und muss die Umweltverträglichkeitsprüfung des Standorts nicht zusätzlich mit Rechtsmitteln gegenüber der späteren atomrechtlichen Genehmigung überprüfbar sein. c) Überlegungen der Endlagerkommission zu § 17 Abs. 4 StandAG Ob die in § 17 Abs. 4 StandAG geregelte Rechtsschutzmöglichkeit vor Übermittlung des Auswahlvorschlags der untertägig zu erkundenden Standorte beibehalten bleiben soll, also bei Umsetzung der Überlegungen der Endlagerkommission zur Einräumung einer Rechtsschutzmöglichkeit gegen einen neuen feststellenden Verwaltungsakt des BfE zum Endlagerstandort zweifache Rechtsschutzmöglichkeiten im Standortauswahlverfahren sowohl im Vorfeld der untertägigen Erkundung als auch nach deren Abschluss bestehen sollen, ist in der Endlagerkommission noch nicht entschieden. Der Entwurf des Berichts der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, enthält gelb unterlegte und damit noch nicht beratene Texte zu beiden Varianten, nämlich der Beibehaltung des § 17 Abs. 4 StandAG und der Streichung des § 17 Abs. 4 StandAG.65 § 17 Abs. 4 StandAG sollte gestrichen werden und dies aus mehreren Gründen: @ Es besteht kein rechtliches Erfordernis einer Rechtsschutzmöglichkeit vor Übermittlung des Auswahlvorschlags der untertägig zu erkundenden Standorte. @ Rechtsschutz in diesem Verfahrensstadium führt, wenn von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, zu einer Verzögerung des Standortauswahlverfahrens; denn der Gesetzgeber geht, wie unter II.4. dargelegt, davon aus, dass der Bundestag über die untertägig zu erkundenden Standorte erst nach dem Abschluss von Rechtsbehelfsverfahren gem. § 17 Abs. 4 StandAG entscheidet.
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Gesamtberichtsentwurf der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, K-Drs. 202c, S. 211. 65 Gesamtberichtsentwurf der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, K-Drs. 202c, S. 211 ff.
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@ Frühzeitiger Rechtsschutz vor Übermittlung des Auswahlvorschlags der untertägig zu erkundenden Standorte führt nicht zu einer – grundsätzlich sinnvollen – Abschichtung des Rechtsschutzes, sondern zu einer Verdopplung des Rechtsschutzes. Im Entwurf des Berichts der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, wird als Argument für die Beibehaltung des Rechtsschutzes gem. § 17 Abs. 4 StandAG angeführt, dass damit eine Abschichtung des Rechtsschutzes möglich sei und der spätere Rechtsschutz nach der Umweltverträglichkeitsprüfung und vor der abschließenden Standortentscheidung auf die Elemente des Auswahlverfahrens beschränkt werden könne, die nicht bereits Gegenstand der Überprüfungsmöglichkeit nach § 17 Abs. 4 StandAG waren.66 Dass eine solche Abschichtung erreichbar ist, ist zu bezweifeln. Das Standortauswahlverfahren lässt sich nicht mit einem Teilgenehmigungsverfahren, in welchem auf einer vorausgegangenen Genehmigungsstufe bestandskräftig geregelte Aspekte einer nachfolgenden Genehmigung nicht mehr entgegengehalten werden können, vergleichen. Denn vor der abschließenden Standortentscheidung werden im Standortauswahlverfahren zwar andere Standorte aus der Auswahl sukzessive ausgeschlossen, aber keine verbindlichen Entscheidungen über den verbleibenden Standort getroffen. Es dürfte kaum zulässig sein und wäre auch verfahrensökonomisch nicht sinnvoll, von der abschließenden Standortentscheidung potentiell Betroffene zu verpflichten, zur Wahrung ihrer Rechtsschutzmöglichkeit gegen die abschließende Standortauswahl Rechtsschutz bereits gegen einen vorherigen feststellenden Bescheid des BfE gem. § 17 Abs. 4 StandAG zu ergreifen. Zu bedenken ist, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers unter Berücksichtigung des Umstands, dass ein Standortvergleich stattfinden soll, mindestens zwei Standorte einer vertieften geologischen Erkundung unterzogen werden müssen.67 Daher muss der einem Rechtsschutz nach § 17 Abs. 4 StandAG zugängliche Auswahlvorschlag des BfE mindestens zwei untertägig zu erkundende Standorte benennen, von denen schließlich allenfalls einer als Endlagerstandort festgestellt werden wird. Eine Verpflichtung zu Klagen gegen einen feststellenden Bescheid i.S.d. § 17 Abs. 4 StandAG zur Wahrung von Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die abschließende Standortentscheidung würde damit Klagen auch gegen untertägig zu erkundende Standorte erzwingen, die letztlich nicht als Standort festgelegt werden. Derartige Klagen gegen eine nur hypothetische spätere Standortfestlegung können aber nicht verlangt werden. @ Etwaige Fehler der Standortauswahl bereits vor Übermittlung des Auswahlvorschlags der untertägig zu erkundenden Standorte können auch ohne Gewährung von Rechtsschutz in diesem Verfahrensstadium bei Einfügung eines feststellenden Bescheids des BfE nach der untertägigen Erkundung gerügt werden.
66 Gesamtberichtsentwurf der Endlagerkommission, Stand 19. 05. 2016, K-Drs. 202c, S. 212 f. 67 BT-Drs. 17/13833, S. 3.
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@ Soweit Rechtsverletzungen aus Erkundungsmaßnahmen als solchen befürchtet werden, sind diese ohnehin nicht Gegenstand des in § 17 Abs. 4 StandAG ermöglichten Rechtsschutzes, der allein der Prüfung dient, ob das bisherige Standortauswahlverfahren den Anforderungen und Kriterien des StandAG entspricht. Rechtsverletzungen aufgrund konkreter Erkundungsmaßnahmen können und müssen daher unabhängig von einem feststellenden Bescheid i.S.d. § 17 Abs. 4 StandAG zur Wahrung des Rechtsschutzes gegenüber den für die konkrete Erkundung erforderlichen Verwaltungsakten gerügt werden.68 Wenn daher letztlich die Lösung vorgezogenen Rechtsschutzes nach der Umweltverträglichkeitsprüfung und vor der gesetzlichen Standortentscheidung gegen einen feststellenden Bescheid des BfE umgesetzt wird, sollte der bisher in § 17 Abs. 4 StandAG geregelte Rechtsschutz im Vorfeld der untertägigen Erkundung entfallen. Der von der Endlagerkommission angedachte Rechtsschutz nach der Standortentscheidung des BfE ermöglicht eine vollständige und ausreichende Kontrolle des Auswahlverfahrens. Die Einräumung von Rechtsschutz vor Übermittlung des Auswahlvorschlags der untertägig zu erkundenden Standorte provoziert überflüssige Klageverfahren, was dem Grundsatz der Prozessökonomie widerspricht und auch kaum geeignet sein dürfte, eine mit dem Standortauswahlverfahren erhoffte Akzeptanz zu fördern.
IV. Zusammenfassung Die Standortauswahl eines Endlagers für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle ist eine bedeutsame Aufgabe. Sie ist auf Grundlage des StandAG nicht weiter Inhalt des atomrechtlichen Zulassungsverfahrens nach § 9b AtG, sondern Gegenstand eines gesonderten Auswahlverfahrens. Diese Grundkonzeption ist mit dem StandAG „gesetzt“. Änderungen des StandAG werden aber vor Beginn der eigentlichen Standortauswahl beschlossen werden müssen. Dies betrifft notwendigerweise den Rechtsschutz. Über die Frage der Verfassungskonformität einer Legalplanung mit enteignender Vorwirkung kann mit Blick auf die dafür erforderlichen guten bzw. triftigen Gründe gestritten werden. Die Endlagerkommission will eine Legalplanung als Ergebnis der von ihr durchgeführten Evaluierung des StandAG beibehalten. Ermöglicht werden muss aber zur Erfüllung der bisher nicht in ausreichendem Maße gewährleisteten Rechtsschutzerfordernisse der UVP-Richtlinie sowie der Aarhus-Konvention eine Rechtsschutzmöglichkeit im Vorfeld der gesetzlichen Entscheidung über den Standort zur Prüfung der materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit der Entscheidung über den Standort. Dies soll nach Vorstellung der Endlagerkommission durch Einführung eines feststellenden Verwaltungs68 Zu dem Erfordernis öffentlich-rechtlicher Zulassungen für Erkundungsmaßnahmen: Keienburg, atw 2014, 571, 574 f.
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akts des BfE hinsichtlich des Standorts in § 19 Abs. 2 StandAG und Eröffnung einer dagegen gerichteten Klagemöglichkeit vor dem BVerwG erfolgen. Das ist eine mögliche Lösung zur Behebung der bisherigen europa- und völkerrechtlichen Rechtsschutzdefizite. Zusätzlicher Rechtsschutz betreffend den Standort am Ende des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens ist dann nicht erforderlich. Auch die bisher in § 17 Abs. 4 StandAG geregelte Rechtsschutzmöglichkeit im Vorfeld der untertägigen Erkundung sollte gestrichen werden.
Tagungsbericht* Der Atomausstieg und seine Folgen Von Patricia Zentgraf, Würzburg Unter dem Eindruck der Atomkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 ist in Deutschland ein radikaler Wandel in der Klima- und Energiepolitik erfolgt. Mit der 13. Atomgesetznovelle wurde der vollständige und beschleunigte Ausstieg aus der Kernenergie bis Ende 2022 fixiert. Zudem wurde die Suche nach einem geeigneten Standort für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle intensiviert. Die bereits im Jahr 2010 eingeführte Kernbrennstoffsteuer wurde beibehalten. Diese und weitere mit dem Kernenergieausstieg verbundene Rechtsfragen und Folgeprobleme waren Schwerpunkt der Tagung „Der Atomausstieg und seine Folgen“ an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Die Veranstaltung fand am 8. April 2016 auf Einladung von Prof. Dr. Markus Ludwigs – Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Europarecht – im Rahmen des von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Forschungsvorhabens „Das Recht der Energiewende“ statt.
Einleitung Die Dekanin der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg, Frau Prof. Dr. Eva-Maria Kieninger, begrüßte die zahlreichen Tagungsteilnehmer in den Räumen der Alten Universität. Sie betonte die große Aktualität der Thematik, die sich insbesondere in den Diskussionen zur Stilllegung der Kernkraftwerke und Endlagerung der radioaktiven Abfälle zeige. Im Anschluss führte Prof. Dr. Markus Ludwigs in die Thematik der Tagung ein. Hinsichtlich des „Rechtsrahmens des Atomausstiegs“ erwähnte Ludwigs die Mitte März vor dem Bundesverfassungsgericht durchgeführte mündliche Verhandlung zur 13. AtG-Novelle von 2011 im Rahmen der Verfassungsbeschwerden von RWE, E.ON und Vattenfall. Zudem habe auch die Investitionsschutz-Schiedsgerichtsklage von Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem Weltbankgericht ICSID große Aufmerksamkeit erregt. Im Rahmen der Einführung des Themenblocks „Zentrale Einzel- und Folgefragen“ verwies Ludwigs auf das EuGH-Urteil vom 4. 6. 2015 – Rs. C-5/14, KKW Lippe-Ems, welches die Unionsrechts-konformität der Kernbrennstoffsteuer bestätigte. Mit umso größerer Span* Geringfügig veränderte Fassung des Tagungsberichts aus EWS 2016, S. 154 ff.
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nung werde daher die für dieses Jahr angekündigte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Kernbrennstoffsteuer erwartet. Zudem sei auch die rechtspolitische Diskussion zu den Themen Stilllegung, Rückbau und Entsorgung der Kernkraftwerke von besonderer Relevanz. Konkret betreffe dies den umstrittenen Gesetzesentwurf zum Rückbau- und Entsorgungskostennachhaftungsgesetz, die Finanzierung des Kernenergieausstiegs sowie die Empfehlungen der Endlagerkommission. Schließlich verwies Ludwigs auf den interdisziplinären Bezug der Tagung in Form eines Vortrags zur moralisch-ethischen Bewertung von Atomausstieg und Energiewende.
Themenblock I: Rechtsrahmen des Atomausstiegs I. Verfassungs- und europarechtliche Rahmenbedingungen des Kernenergieausstiegs Im ersten Vortrag erläuterte Rechtsanwalt Prof. Dr. Christoph Moench, Partner der Sozietät Gleiss Lutz in Berlin, zunächst die Gesetzgebung im Rahmen des Atomausstiegs. Nach der Begrenzung der Reststrommengen durch die AtG-Novelle im Jahr 2002, seien durch die Gesetzesänderung im Jahr 2010 die Laufzeiten der Kraftwerke wieder verlängert worden. Unter dem Eindruck der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 sei schließlich die 13. AtG-Novelle erfolgt, welche die Rücknahme der im Jahr 2010 beschlossenen Laufzeitverlängerungen der Kernkraftwerke sowie die Fixierung des vollständigen Atomausstiegs bis Ende 2022 zum Gegenstand gehabt habe. Anschließend ging Moench auf die europarechtlichen Rahmenbedingungen des Kernenergieausstiegs ein. Hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem EURATOM Vertrag bestünden keine Bedenken, da dieser den Mitgliedstaaten die Nutzung der Kernenergie nicht vorschreibe. Aus Art. 194 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 23 GG ließen sich für den deutschen Gesetzgeber zwar Koordinations-, Kooperations- und Loyalitätspflichten ableiten, diese würden prozedural allerdings als eine Art „soft law“ wirken und daher den Inhalt der 13. AtGNovelle nicht tangieren. Auch eine Verletzung von EU-Grundrechten komme nicht in Betracht, denn diese seien nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH (Rs. Siragusa, C-206/13) nicht Prüfungsmaßstab der 13. AtG-Novelle. Zudem stehe der Atomausstieg mit der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 35 AEUV im Einklang, da die 13. AtG-Novelle keine spezifische Beschränkung der Ausfuhrströme enthalte. Schließlich sei auch die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV nicht berührt. Bei der 13. AtG-Novelle handele es sich um eine unterschiedslos anwendbare nationale Maßnahme, die erst nach Markteintritt ergangen sei. Den Schwerpunkt von Moenchs Vortrag bildete die Vereinbarkeit des Kernenergieausstiegs mit den deutschen Grundrechten, insbesondere mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG. Die geschützte Rechtsposition stelle vor allem das Anlageneigentum in der Ausgestaltung durch die atomrechtliche Genehmigung dar. Dabei sei
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die Betriebserlaubnis gemäß der 11. AtG-Novelle mit den dort geregelten Strommengen maßgeblich. Die zentrale Frage sei, ob es sich bei der 13. AtG-Novelle um eine Enteignung handle, die nur nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG – also mit gleichzeitiger Festlegung einer Entschädigungsregelung – zulässig wäre, oder um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung. Die Unterscheidung hänge maßgeblich davon ab, ob das Merkmal der hoheitlichen Güterbeschaffung notwendige Bedingung des Enteignungsbegriffs sei. Laut gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei eine hoheitliche Güterbeschaffung grundsätzlich nicht notwendig. Unter den Senatsentscheidungen bestehe mit der Entscheidung zur Baulandumlegung aus dem Jahr 2001 nur eine Ausnahme, in der das Merkmal der Güterbeschaffung allerdings kein tragendes Argument dargestellt habe, sodass hierin kein Bruch des Kontinuums der Rechtsprechung liege. Aus Sicht des Eigentümers sei es zudem unerheblich, ob die entzogene Rechtsposition in der Person des Staates oder eines Dritten fortbestehe. Im Ergebnis sei eine hoheitliche Güterbeschaffung also nicht erforderlich. Somit liege eine Enteignung vor, die aufgrund der in Art. 14 Abs. 3 GG verorteten Junktim-Klausel rechtswidrig sei. Selbst wenn man aber annehmen wolle, dass es sich lediglich um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung handele, müsste diese zumindest ausgleichspflichtig sein. Durch die sofortige Stilllegung von acht Kraftwerken und den Entzug wesentlicher Produktionsrechte sei die Privatnützigkeit des Eigentums vollständig beseitigt worden. Die Kraftwerke seien nicht mehr nutzbar und nunmehr lediglich eine leere Hülle. Aus diesem Grund müsse der Gesetzgeber eine finanzielle Kompensation leisten. Dies gelte insbesondere für frustrierte Aufwendungen, die im Vertrauen auf die 11. AtG-Novelle und die dadurch verlängerten Laufzeiten getätigt wurden, aber durch die 13. AtG-Novelle nutzlos geworden seien. In seinem Fazit betonte Moench, dass gegen die Verfassungsmäßigkeit der 13. AtG-Novelle erhebliche Bedenken bestünden. Somit würden bezüglich der anhängigen Verfassungsbeschwerden der Kernkraftwerksbetreiber hohe Erfolgschancen bestehen. II. Völkerrechtliche Rahmenbedingungen des Kernenergieausstiegs: Der Energiecharta-Vertrag und das Vattenfall-Verfahren vor dem ICSID-Schiedsgericht Prof. Dr. Jörg Gundel von der Universität Bayreuth konzentrierte sich in seinem Vortrag auf das Investitionsschutzverfahren der Vattenfall AB vor dem ICSIDSchiedsgericht. Vattenfall habe das Verfahren auf der Basis des Energiecharta-Vertrages (EnCV) eingeleitet, einem so genannten gemischten Abkommen, das im Jahr 1994 u. a. von den damaligen EG-Mitgliedstaaten gemeinsam mit der EG angenommen wurde. Der einschlägige Art. 26 eröffne dabei den Investoren im Konfliktfall die Möglichkeit, ein Schiedsverfahren nach dem ICSID-Übereinkommen gegen einen Staat einzuleiten. Im Vattenfall-Verfahren kämen als geltend gemachte Rechtsverletzungen insbesondere der Schutz vor entschädigungslosen Enteignungen nach Art. 13
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sowie das Gebot zur fairen und gerechten Behandlung nach Art. 10 des EnCV in Betracht. Mit Blick auf den Prüfungsmaßstab des Art. 13 EnCV wies Gundel darauf hin, dass hiervon auch Maßnahmen enteignungsgleicher Wirkung umfasst seien. Die Beurteilung erfolge dabei allerdings einzelfallbezogen und hänge von den jeweiligen Umständen ab. Bezüglich der Auslegung des Gebots der fairen und gerechten Behandlung nach Art. 10 EnCV bestehe eine gewisse Uneinheitlichkeit in der Schiedsgerichtsbarkeit. Während einige Entscheidungen einen internationalen Mindeststandard genügen lassen würden, werde vielfach ein höheres Schutzniveau zu Grunde gelegt. Somit könne die Klage von Vattenfall in diesem Punkt durchaus Erfolg haben. Im Hinblick auf die Frage nach der Kollision des Schiedsgerichtsverfahrens mit dem Europarecht, verwies Gundel zunächst auf die Zulassung der EU-Kommission als amicus curiae im Sommer 2015. Die Kommission halte es dem Vernehmen nach für europarechtswidrig, dass ein Unternehmen aus einem EU-Mitgliedstaat einen anderen EU-Mitgliedstaat vor dem ICSID-Schiedsgericht verklage. Nach Ansicht der Kommission seien Intra-EU-Streitigkeiten nicht vom EnCV erfasst. Zudem sei der EU mit dem Vertrag von Lissabon die ausschließliche Zuständigkeit für Direktinvestitionen aus Drittstaaten übertragen worden. Dieser Argumentation sei aber entgegenzuhalten, dass der Wortlaut des Art. 26 EnCV keinen Ausschluss von IntraEU-Streitigkeiten erkennen lasse. Zudem müsse beachtet werden, dass die Mehrheit der Mitglieder des EnCV zugleich Mitgliedstaaten der EU seien, sodass ein Ausschluss von Intra-EU-Streitigkeiten zu einer weitgehenden Aushöhlung des Vertrags führen würde. Auch die Kompetenzübertragung für Direktinvestitionen aus Drittstaaten an die EU begründe nicht die Europarechtswidrigkeit der Schiedsgerichtsklage, da sie die im Außenverhältnis übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nicht berühre. Schließlich erläuterte Gundel verschiedene rechtspolitische Kritikpunkte an der Investitionsschutz-Schiedsgerichtsbarkeit. So werde die Privilegierung ausländischer Unternehmen gegenüber inländischen Unternehmen, welche sich nicht im Wege einer Investitionsschutz-Schiedsgerichtsklage gegen den Kernenergieausstieg wenden können, gerügt. Dagegen sei aber einzuwenden, dass Vattenfall als staatlich beherrschtes Unternehmen nicht verfassungsbeschwerdeberechtigt sei und die Schiedsgerichtsklage dieses Rechtsschutzdefizit kompensiere. Vattenfall sei daher im Ergebnis gegenüber inländischen Unternehmen nicht substantiell bessergestellt. Auch stelle das Schiedsgerichtsverfahren keine Untergrabung nationaler Souveränität dar, da der EnCVals bindender völkerrechtlicher Vertrag von den Mitgliedstaaten selbst ratifiziert wurde. Als weiteres rechtspolitisches Problem identifizierte Gundel die fehlende Transparenz der ICSID-Schiedsgerichtsverfahren. Der Öffentlichkeit seien Informationen zum Verlauf des Verfahrens nur in sehr begrenztem Umfang zugänglich. Allerdings müsse in diesem Zusammenhang beachtet werden, dass es den Parteien im Schiedsgerichtsverfahren grundsätzlich gestattet sei, Informationen über das Verfahren zu veröffentlichen, soweit dies dem Fortkommen des Verfahrens nicht zuwiderlaufe.
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In seinem Schlussfazit betonte Gundel, dass das Vattenfall-Verfahren nicht als Beleg für Mängel im Investitionsschutz-Verfahren diene. Vielmehr mache es den Mehrwert des Verfahrens deutlich. Vattenfall hätte aufgrund der fehlenden Beschwerdeberechtigung bei einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht ansonsten keine Rechtsschutzmöglichkeiten gegen den Kernenergieausstieg. Zudem prognostizierte er eine Änderung der Regelungen für den Investitionsschutz, die das right to regulate der Staaten stärker berücksichtigen würden.
Themenblock II: Interdisziplinäre Perspektive Atomausstieg und Energiewende – ethische Perspektiven Eine interdisziplinäre Sichtweise auf die Energiewende wurde dem Auditorium von Prof. Dr. Thomas Potthast von der Universität Tübingen eröffnet, der in seinem Vortrag die ethischen Fragen des Atomausstiegs beleuchtete. Nach einer Darstellung der Weltsituation, die durch Mangelernährung, Artensterben und Klimawandel geprägt sei, zeigte Potthast die daraus resultierenden Handlungsverpflichtungen auf. Dabei sei der Mensch zur Verbesserung der Situation sowohl gegenüber sich selbst als auch gegenüber anderen Menschen, sowie zukünftigen Generationen und der Natur selbst verpflichtet. Somit sei die Debatte um den Atomausstieg auch eine ethische Debatte. In deren Mittelpunkt stünden die gesellschaftspolitischen Probleme von Technologien mit hohem Gefahrenpotential bereits im Normalbetrieb. Dieses ergebe sich beispielsweise aus dem Terrorismus, der militärischen Nutzung sowie der ungelösten Endlagerung. Unfälle würden die Frage nach der technischen Beherrschbarkeit der Anlagen und der Zumutbarkeit von daraus resultierenden großen Schäden bei geringer Eintrittswahrscheinlichkeit aufwerfen. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 sei diese gesellschaftliche Debatte erneut aufgekommen. Daraufhin sei in Deutschland die „Ethik-Kommission, Sichere Energieversorgung“ eingesetzt worden und schließlich der Atomausstiegsbeschluss erfolgt. Die Arbeit der Kommission wurde von Potthast aus ethischer Perspektive bewertet. Risikobewertungs- und Energieversorgungsfragen seien ethische und politische Themen und keine rein technischen. Allerdings habe sich durch die Katastrophe von Fukushima nichts geändert. Der Atomausstieg sei aufgrund der bestehenden Gefahren schon vorher geboten gewesen. Es sei zu einer Zielvermischung von politischer Akzeptanz (faktische Zustimmung) und ethischer Akzeptabilität (begründete Zustimmungsfähigkeit) gekommen. Somit sei der Atomausstiegsbeschluss zwar ethisch richtig, aber aus den falschen Gründen erfolgt. Zudem würden Ethik-Kommissionen häufig als Politikberatung und Beruhigung in politischen Krisenfällen eingesetzt. In einer Demokratie solle aber nicht eine Ethik-Kommission entscheiden, sondern Parlamente und Bürger.
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Anschließend ging Potthast auf die ethische Dimension des Klimawandels ein. Im Mittelpunkt stehe dabei das Verantwortungsprinzip und somit die Verpflichtung zur Erhaltung einer Welt, in der Menschen ein gutes Leben führen können. Daher sei die Energiewende ethisch geboten. Ein zentrales Element stelle die nachhaltige Entwicklung dar, also eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedige, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. Die Festlegung der Ziele der Energiewende sei dabei kein rein technisches Problem. Vielmehr würden die evaluativen und normativen Fragen der Energieversorgung genuin ethische, rechtliche und politische Dimensionen betreffen. Zur Beurteilung von Systemen der Energieversorgung seien verschiedene Kriterien heranzuziehen, wie beispielsweise Wirtschaftlichkeit, langfristige Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit aber auch Politikverträglichkeit sowie technische Handhabbarkeit. Alle diese Kriterien zusammen würden den konkreten ethischen Sinn von „Nachhaltigkeit als Zukunftsgerechtigkeit“ bilden. Im Hinblick auf die moralischen Verpflichtungen einer zukunftsgerechten Energieversorgung seien die Schaffung von intra- und intergenerationeller Gerechtigkeit, die Erhaltung der Biodiversität, die Erhöhung der Effizienz der Energienutzung sowie ein rascher und weitgehender Ersatz fossiler Energieträger zu nennen. In seinen Schlussbemerkungen stellte Potthast einen Zusammenhang zwischen der Energiewende und einer nachhaltigen Entwicklung her. Hieraus würden wiederum Fragen nach dem Wachstum von und in Gesellschaften resultieren. Es bestünden Grenzen des Wachstums, da ein unendlich-kontinuierliches Wachstum nicht möglich sei. Zudem sei die Kopplung von Wachstum und Glück fraglich. Schließlich forderte Potthast Nachhaltigkeit statt Wachstum. Die Energiewende könne nur gelingen, wenn auch Suffizienzfragen, also Fragen nach dem Lebensstil bzw. dem Energiekonsumstil adressiert und anders gelöst würden als bisher. Ansonsten reiche selbst die – ethisch gebotene – vollständige Umstellung auf regenerative Energien nicht aus.
Themenblock III: Zentrale Einzel- und Folgefragen I. Die Kernbrennstoffsteuer auf dem Prüfstand von EuGH und BVerfG Die Frage der Europarechts- und Verfassungskonformität der Kernbrennstoffsteuer stand im Mittelpunkt des Vortrags von Prof. Dr. Rainer Wernsmann von der Universität Passau. Die Kernbrennstoffsteuer sei im Jahr 2010 eingeführt worden und entstehe dadurch, dass ein Brennelement in einen Kernreaktor erstmals eingesetzt wird und eine sich selbst tragende Kettenreaktion auslöst. In den Fokus rückte die Frage nach der Vereinbarkeit der Steuer mit Unions- und Verfassungsrecht anlässlich der doppelten Vorlage des Finanzgerichts Hamburg (in Parallelverfahren) an den EuGH sowie das BVerfG. Eine Befassung beider Gerichte sei möglich, da weder
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das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH noch die konkrete Normenkontrolle vor dem BVerfG eine Sperrwirkung für das jeweils andere Verfahren entfalten würden. Auch die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Frage entfalle durch eine parallele Vorlage an beide Gerichte nicht. Anknüpfend an das Urteil des EuGH (Rs. C-5/14) aus dem Jahr 2015, diskutierte Wernsmann zunächst die Europarechtskonformität der Kernbrennstoffsteuer. Zum einen handle es sich bei der Nichtbesteuerung anderer Unternehmen nicht um eine verbotene Beihilfe gem. Art. 107 AEUV. Zwar könne auch eine steuerliche Vergünstigung einen Vorteil im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV begründen, allerdings fehle es zur Annahme einer Beihilfe am Merkmal der Selektivität. Auch handle es sich nicht um eine Abgabe zollgleicher Wirkung nach Art. 93 des EURATOM Vertrags. Sie unterscheide nicht nach Herkunft der Erzeugnisse, sondern erfasse ausländische sowie inländische Kernbrennstoffe gleichermaßen. Bedenken bezüglich der Vereinbarkeit der Kernbrennstoffsteuer mit primärem Unionsrecht bestünden daher nicht. Die Vereinbarkeit der Kernbrennstoffsteuer mit sekundärem Unionsrecht bejahte Wernsmann ebenfalls. So sei die Energiesteuerrichtlinie nicht anwendbar, da Kernbrennstoff kein Energieerzeugnis sei. Zudem finde auch die Verbrauchsteuersystemrichtlinie laut EuGH wegen des fehlenden Charakters als Verbrauchsteuer keine Anwendung. Im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Kernbrennstoffsteuer mit dem Grundgesetz hinterfragte Wernsmann die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Wenn es sich bei der Kernbrennstoffsteuer um eine Verbrauchsteuer handeln würde, ergäbe sich diese aus Art. 105 Abs. 2 Alt. 1 i.V.m. Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG. Verbrauchsteuern würden auf den Verbrauch vertretbarer, regelmäßig zum baldigen Verzehr oder kurzfristigen Verbrauch bestimmter Güter gewöhnlich bei dem anbietenden Unternehmer erhoben, seien jedoch auf eine Abwälzung auf den Verbraucher angelegt. Bei der Verbrauchsteuer handele es sich um einen Typusbegriff, der bereits dann erfüllt sei, wenn der Sachverhalt dem typischen Bild entspreche. Für den Charakter einer Verbrauchsteuer sei prägend, dass an das Verbringen eines Verbrauchsguts in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr angeknüpft werde. Dies sei bei Kernbrennstoffen aber gerade nicht der Fall. Allerdings habe das Bundesverfassungsgericht zur Ökosteuer entschieden, dass es keinen Rechtssatz gebe, der das Anknüpfen einer Verbrauchsteuer an ein Produktionsmittel verbiete. Obwohl es sich bei dem Strompreis im Wesentlichen um einen Einheitspreis handele, sei die Überwälzung der Kernbrennstoffsteuer auf den Endverbraucher nicht rechtlich oder tatsächlich unmöglich. Somit liege im Ergebnis wohl eine Verbrauchsteuer vor. Darüber hinaus bestehe kein Steuererfindungsrecht des Bundes aus Art. 105 Abs. 2 GG für alle übrigen Steuern. Die Finanzverfassung des Grundgesetztes enthalte einen numerus clausus der zulässigen Steuern und sei auf Formenklarheit und Formenbindung angelegt. Schließlich betrachtete Wernsmann die möglichen Folgen widersprüchlicher Urteile von EuGH und BVerfG. Schließlich könne das Kernbrennstoffsteuergesetz nur dann als verfassungskonform angesehen werden, wenn das Bundesverfassungsgericht die Kernbrennstoffsteuer als Verbrauchsteuer einordne. Vom EuGH sei die Verbrauchsteuereigenschaft der Kernbrennstoffsteuer aber explizit verneint worden.
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Dieser Widerspruch könne jedoch aufgelöst werden, da es sich bei dem unionsrechtlichen Verbrauchsteuerbegriff um einen eigenständigen, autonomen Begriff handle, der unabhängig vom deutschen Begriff auszulegen sei. Allerdings bestehe eine gewisse faktische Bindungswirkung des EuGH-Urteils, da dieser die Tatsachenfrage der vollständigen Abwälzbarkeit auf den Endverbraucher verneint habe. Nähme das Bundesverfassungsgericht dagegen die Abwälzbarkeit an, bestünde durchaus eine faktische Dissonanz zur Entscheidung des EuGH. II. Rechtsfragen der Stilllegung und des Rückbaus von Kernkraftwerken Rechtsanwalt Prof. Dr. Tobias Leidinger, Counsel bei Luther, Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, in Düsseldorf, ging in seinem Vortrag den Rechtsfragen der Stilllegung und des Rückbaus von Kernkraftwerken nach. Seit der 13. AtG-Novelle seien bereits neun Kraftwerke nicht mehr am Netz, bei den übrigen Kraftwerken erfolge die Abschaltung bis spätestens 2022. Die Ausgangssituation der bereits stillgelegten Kernkraftwerke stelle sich dabei so dar, dass der Leistungsbetrieb nach § 7 Abs. 1 a AtG bereits geendet habe, die Stilllegungsgenehmigung allerdings noch nicht erteilt wurde. Die Kraftwerke befänden sich daher in der Phase des Nachbetriebs. In dieser Phase seien die anforderungsgerechte Anpassung des Betriebsreglements und die Festlegung der Personalstärke sowie der Entfall von wiederkehrenden Prüfungen und Wartungen regulär zulässig. Die zentrale Frage sei aber, ob auch weitere Maßnahmen insbesondere im Hinblick auf die Stilllegung und den Rückbau möglich seien. Zur Beantwortung dieser Frage unterteilte Leidinger die denkbaren Maßnahmen in drei Fallgruppen. Die erste Fallgruppe umfasst die Durchführung genehmigter Maßnahmen nach § 7 Abs. 3 S. 3 AtG, wozu beispielsweise das Entladen von Brennelementen, die Verwertung radioaktiver Stoffe aus dem Betrieb sowie Probenahmen an Systemen und Komponenten für den Abbauantrag gehören. Abbaumaßnahmen außerhalb der atomrechtlichen Anlage bilden die zweite Fallgruppe der möglichen Tätigkeiten in der Nachbetriebsphase. Für die Frage der Reichweite der Anlage sei eine schutzzielorientierte Betrachtung zugrunde zu legen, es sei also die sicherheitstechnische Relevanz der jeweiligen Komponente ausschlaggebend. Bestandteile ohne sicherheitstechnische Relevanz seien daher u. U. ohne Stilllegungsgenehmigung im Rahmen der Aufsicht abbaubar. Die dritte Fallgruppe umfasse schließlich Maßnahmen im Wege einer Änderungsgenehmigung. Zulässig seien jedenfalls Schritte zur Aufrechterhaltung oder Verbesserung sicherheitsrelevanter, technischer, organisatorischer oder personeller Maßnahmen. Gesamtmaßnahmen zum Abbau dürften mit der Änderungsgenehmigung dagegen nicht vorweggenommen werden. Eine weitere Frage stelle das Vorgehen in Teilschritten dar. Dazu bedürfe es keines vorläufigen positiven Gesamturteils nach § 18 AtVfV. Denn diese Regelung gilt nur für die Erteilung der Betriebsgenehmigung, nicht aber für die Erteilung der Stilllegungsgenehmigung. Für das Verhältnis mehrerer Teilgenehmigungen zueinander und insbesondere für die
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Klärung der Frage, ob die Stilllegungsgenehmigung neben die Betriebsgenehmigung trete oder diese ersetze, sei der Genehmigungsantrag entscheidend. Schließlich erläuterte Leidinger Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Öffentlichkeitsbeteiligung und der Umweltverträglichkeitsprüfung im Stilllegungsgenehmigungsverfahren. Dabei sei es sinnvoll, bereits im ersten Schritt des Genehmigungsverfahrens umfassende Angaben zu den Auswirkungen zu machen, was die Anforderungen des § 19b Abs. 1 AtVfV zwar übersteige. Auf diese Weise könne aber eine Öffentlichkeitsbeteiligung sowie eine UVP-Vollprüfung bei den weiteren Teilschritten vermieden werden. Im Hinblick auf die Reichweite der UVP sei deren Akzessorietät zum Fachrecht zu beachten, d. h. der Prüfgegenstand richte sich nach dem Genehmigungsgegenstand des § 7 Abs. 3 AtG. Der Prüfungsmaßstab der UVP beziehe sich dabei auf die relevanten Umweltauswirkungen des konkreten Projekts, die Prüftiefe sowie die Untersuchungsmethode seien also einzelfallabhängig. In seinem Schlussfazit betonte Leidinger, dass Maßnahmen ohne Sicherheits- und Umweltrelevanz für den Restbetrieb oder Abbau insgesamt in der Nachbetriebsphase grundsätzlich – d. h. nach einer Einzelfallprüfung – möglich seien. Im Hinblick auf die Teilschritte des Genehmigungsverfahrens bedürfe es keines vorläufigen positiven Gesamturteils. Für das Verhältnis der Genehmigungen zueinander sei der Genehmigungsantrag entscheidend. Eine umfassende Darstellung der drittschutz- und UVPrelevanten Auswirkungen der Genehmigung im ersten Teilschritt sei sinnvoll. Im Rahmen der UVP müsse die Beschränkung auf den relevanten Genehmigungsgegenstand beachtet werden. III. Rechtsfragen der Endlagerung radioaktiver Abfälle Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Standortauswahlgesetz (StandAG) vom 23. 7. 2013, welches die Standortauswahl eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle regelt, war das zentrale Thema des abschließenden Vortrags von Rechtsanwältin Dr. Bettina Keienburg, Sozia der Kanzlei Kümmerlein in Essen. Nach einem Überblick über die Zielsetzung des StandAG, in einem wissenschaftsbasierten und transparenten Verfahren den Standort für ein Endlager zu finden, welcher die bestmögliche Sicherheit für einen Zeitraum von einer Million Jahren gewährleistet, schilderte Keienburg den Ablauf der Standortsuche. An die Vorbereitungsarbeit der Kommission „Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe“, die einen Bericht zu den Entscheidungsgrundlagen der Standortauswahl erarbeiten soll, schließe sich die Entscheidung des Gesetzgebers über diese Kriterien an. Daran knüpfe die Entscheidung über eine übertägige Erkundung nach §§ 13 – 16 StandAG, später über die untertägige Erkundung nach §§ 16 – 17 StandAG und schließlich über den abschließend festzulegenden Standort §§ 19 – 20 StandAG an. Danach sei für die Errichtung und den Betrieb des Endlagers ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren durchzuführen, für welches das abschließende Gesetz bezüglich des Standortes Bindungswirkung entfalte.
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In verfassungsrechtlicher Hinsicht sei das StandAG problematisch, da es sich um eine Legalplanung handle. Im Beschluss zur „Südumfahrung Stendal“ habe das BVerfG zwar ausgeführt, dass der Gesetzgeber eine Entscheidung über eine konkrete Fachplanung nur dann an sich ziehen dürfe, wenn dafür im Einzelfall gute Gründe bestünden. Solche Gründe sehe der Gesetzgeber des StandAG in der besonderen Bedeutung der Endlagerung radioaktiver Abfälle als großes Infrastrukturprojekt und nationale Aufgabe. Die Entscheidungsform des Gesetzes biete das größtmögliche Maß an demokratischer Legitimation und damit die größte Chance auf eine dauerhaft akzeptierte Streitentscheidung. Der Verweis auf die demokratische Legitimation vermag laut Keienburg jedoch nicht zu überzeugen, da auch die Verwaltung sachlich-inhaltlich legitimiert sei und eine Differenzierung zwischen unmittelbarer und mittelbarer demokratischer Legitimation im Gewaltenteilungsgrundsatz nicht angelegt sei. Schließlich sei die gesetzliche Festlegung des Standorts hinsichtlich des europarechtlich geforderten Rechtsschutzes gegenüber Entscheidungen mit Umweltverträglichkeitsprüfung problematisch. Ein Endlager für hochradioaktive Abfälle erfordere eine UVP. Aufgrund der Einbeziehung in die gesetzliche Standortentscheidung unterliege diese aber nur dem eingeschränkten Rechtsschutz gegen Gesetze in Gestalt einer Verfassungsbeschwerde. Einer verwaltungsgerichtlichen Prüfung und insbesondere den Rechtsschutzmöglichkeiten anerkannter Vereinigungen gemäß Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz sei die Standort-UVP entzogen. Gemäß Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie müssen Mitgliedstaaten allerdings sicherstellen, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die ein ausreichendes Interesse haben oder eine Rechtsverletzung geltend machen, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht haben. Eine Ausnahme nach Art. 1 Abs. 4 der UVP-Richtlinie liege nicht vor. Danach gelte die Richtlinie zwar für solche Projekte nicht, die im Einzelnen von einem besonderen staatlichen Gesetzgebungsakt genehmigt werden. Das Standortgesetz entscheide aber nur über den Standort verbindlich und habe keine Gestattungswirkung für den Betrieb des Endlagers. Somit verstoße die Standortfestlegung auch gegen Unionsrecht. Zudem stelle sich noch die Frage nach der materiellen Praktikabilität der Trennung zwischen Standort und Endlager. Es sei zu befürchten, dass Prüfungsdefizite durch die Trennung von gesetzlicher Standortfestlegung und verwaltungsbehördlicher Genehmigung entstehen könnten, da der Gesetzgeber den Standort nicht an der Genehmigung messen könne und die Genehmigungsbehörde den Standort nicht mehr überprüfen dürfe. In ihrem Fazit prognostizierte Keienburg, dass bis zur Inbetriebnahme eines Endlagers noch Jahrzehnte vergehen würden. Durch den Bericht der Endlagerkommission werde es voraussichtlich zu einer Gesetzesänderung kommen, in der ein abschließender feststellender Bescheid durch das Bundesamt für kerntechnische Entsorgung eingeführt werden solle. Dadurch würde verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz vor dem Bundesverwaltungsgericht gewährleistet. Obwohl durch eine
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solche Gesetzesänderung auch erhebliche Zeitverluste zu befürchten seien, werde das Konzept der Legalplanung aber wohl nicht aufgegeben.
Resümee In seinem Schlusswort bedankte sich Prof. Dr. Markus Ludwigs bei den Referenten, dem interessierten Auditorium, den Förderern sowie den Mitarbeitern seines Lehrstuhls.
Verzeichnis der Autoren Prof. Dr. Jörg Gundel, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Universität Bayreuth Dr. Bettina Keienburg, Rechtsanwältin und Notarin, Sozia der Kanzlei KÜMMERLEIN Rechtsanwälte & Notare, Essen Prof. Dr. Tobias Leidinger, Rechtsanwalt und Counsel bei Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf und Honorarprofessor an der Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr. Markus Ludwigs, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Europarecht, Julius-Maximilians-Universität Würzburg Prof. Dr. Christoph Moench, Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz in Berlin sowie Honorarprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt Prof. Dr. Thomas Potthast, Professor für Ethik, Theorie und Geschichte der Biowissenschaften und Sprecher des Internationalen Zentrums für Ethik in den Wissenschaften (IZEW), Eberhard Karls Universität Tübingen Prof. Dr. Rainer Wernsmann, Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, insbesondere Finanz- und Steuerrecht und Vizepräsident der Universität Passau Patricia Zentgraf, Studentische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht (Prof. Dr. Markus Ludwigs) an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg