Der alte Mensch als Verschlusssache: Corona und die Verdichtung der Kasernierung in Pflegeheimen 9783839455005

Die soziale Ausgrenzung hochaltriger Menschen in Pflegeheimen ist mit der Corona-Krise eskaliert und macht die tradition

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Table of contents :
Inhalt
Verzeichnis der Schaubilder
Vorwort
A. Eine integrierte Zusammenhangsanalyse
B. Eine vertiefende psychodynamische Kulturanalyse
I. Der alte Mensch als »Figuration des eingeschlossenen Ausgeschlossenen«
II. Diskursanalysen
III. Von der Analyse zur Positionierung
IV. Die Einschreibung von Corona in die vorgängige Logik der Versorgungslandschaft
V. Fazit
VI. Ausblick
Anhang I: Glücksmaximierung der Mehrheit auf Kosten des Todes einer Minderheit?
Anhang II: Übertragungs-Gegenübertragungs- Mechanismen des Alltags
Literatur
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Der alte Mensch als Verschlusssache: Corona und die Verdichtung der Kasernierung in Pflegeheimen
 9783839455005

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Frank Schulz-Nieswandt Der alte Mensch als Verschlusssache

Care – Forschung und Praxis  | Band 4

Frank Schulz-Nieswandt (Dr. rer. soc.), geb. 1958, lehrt Sozialpolitik, qualitative Sozialforschung und Genossenschaftswesen an der Universität zu Köln und Sozialökonomie der Pflege an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar. Darüber hinaus war er Vorsitzender des Kuratoriums »Deutsche Altershilfe« (KDA) und Ehrenvorsitzender der »Gesellschaft für Sozialen Fortschritt«.

Frank Schulz-Nieswandt

Der alte Mensch als Verschlusssache Corona und die Verdichtung der Kasernierung in Pflegeheimen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5500-1 PDF-ISBN 978-3-8394-5500-5 https://doi.org/10.14361/9783839455005 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Vorwort ......................................................................9 A. Eine integrierte Zusammenhangsanalyse .............................. 13 Die »Corona-Gesellschaft« ................................................... 17 Eskalation der Kasernierung................................................. 20 Rückbau der Sozialraumöffnung .............................................. 31 Im »Spinnennetz des Kapitalismus« ......................................... 35 Eine alternative Vision ...................................................... 37 Modernisierung des Wächterstaates ......................................... 43 Fazit ........................................................................ 45 B.

Eine vertiefende psychodynamische Kulturanalyse ................... 49

I.

Der alte Mensch als »Figuration des eingeschlossenen Ausgeschlossenen« Corona als Kontext hyperbolischer Ausgrenzung......................... 51

II.

Diskursanalysen ...................................................... 57

III. 1. 2. 3.

Von der Analyse zur Positionierung ................................... 97 Warum »Altenpolitik« in Anführungsstrichen? .......................... 100 Reformbedarf im SGB XI und SGB V und nun die Corona-Krise ........... 101 Zugangspfade zur Problemsichtung ................................... 103 3.1 Sozialwissenschaftliche Zeitdiagnosen und ihre Bedürftigkeit tiefenpsychologischer Ergänzungen ............... 107

Von Freud zu Lacan ............................................. 107 Existenzphilosophie und daseinsanthropologischphänomenologische Psychiatrie.................................108 Anwendungen auf sozialpolitische Themen mit Fokus auf die Alter(n)sproblematik ........................................... 109 4.1 Habitushermeneutik in der qualitativen Sozialforschung ......... 109 4.2 Dämonenängste in der Sozialraumbildung ........................ 111 4.3 Apotropäische Hygieneangst in Altenpflegeheimen .............. 113 3.2 3.3

4.

IV.

Die Einschreibung von Corona in die vorgängige Logik der Versorgungslandschaft ........................................... 115 1. Das Pflegeheim in Zeiten von Corona: Mechanismen der Übertragung und Gegenübertragung ................. 115 Exkurs: Der Beigeschmack der Held*innenkultes ............................. 118 2. Rechtsphilosophische Erwägungen zu den Grundrechtsdebatten der Corona-Krise ......................... 120 3. Einordnung in ein vom Capability-Denken geprägtes Verständnis von innovativer Sozialpolitik ............................... 126 4. Digitalisierung als Rettung? ............................................ 128 V.

Fazit .................................................................. 131

VI.

Ausblick ..............................................................139

Anhang I: Glücksmaximierung der Mehrheit auf Kosten des Todes einer Minderheit? .................................... 141 Anhang II: Übertragungs-Gegenübertragungs-Mechanismen des Alltags ... 145 Literatur ................................................................... 151

Verzeichnis der Schaubilder Schaubild 1: Die ontologisch-empirische Differenz verstehen ................. 86 Schaubild 2: Innenräume und Außenräume im Innenraum .................... 146 Schaubild 3: Mechanismen der Übertragung-Gegenübertragungs-Dynamik .... 147

Vorwort

Die Abhandlung beschäftigt sich mit der Analyse der Figuration des alten Menschen als eingeschlossenen Ausgeschlossenen und ihre Hyperbolisierung unter Corona-Bedingungen. Pflegeheime sollten Orte des alltäglichen Lebens und normalen Wohnens sein, de facto aber bestimmen mehr denn je Schutz und Sicherheit statt sozialer Kontakte die Wirklichkeit der Bewohnerinnen und Bewohner. Corona hat die Dichteform der Isolierung in gesteigerter Form auf die Spitze getrieben. Und: Die aktuelle Krise hält uns als Gesellschaft den Spiegel vor, dass die Transformation der Wohnformen im Alter als Normalisierung der Form des sozialen Daseins mit den Dimensionen von Selbstbestimmung, Selbständigkeit und Teilhabe nicht gelungen ist. Die COVID-19-Pandemie bringt die Gesellschaft in einen fundamentalen Zielkonflikt. Einerseits gilt die Sorge explizit dem Schutz vulnerabler Gruppen und insbesondere dem hohen Alter. Andererseits werden Menschen im hohen Alter in den Pflegeheimen verstärkt dem sozialen Tod infolge von sozialen Ausgrenzungen ausgesetzt. Die Vermeidung des biologischen Todes wird teuer erkauft mit dem sozialen Tod. Die pauschale Stigmatisierung der Schutzbedürftigkeit der vulnerablen Gruppe der »Alten« kappt die gerade erst im langsamen und widerspruchsvollen Wachstum befindliche Sozialraumöffnung der Heime. Das Grundrecht des alten Menschen auf Selbstgefährdung als Ausdruck der Selbstbestimmung mit Blick auf das ebenso grundrechtlich kodifizierte Teilhaberecht wird massiv verletzt. Die Mehrheitsbevölkerung erlebt noch einen öffentlichen Außenraum ihres

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Der alte Mensch als Verschlusssache

privat-häuslichen Innenraums; die Lebenswelt der Pflegeheime ist eine extreme Form der Ausgrenzung. Auch ohne Sars-CoV-2 (Corona-Virus genannt) ist die Atmosphäre in Heimen an dem Vorbild von klinischen Hygieneverordnungen von Akutkrankenhäusern orientiert (Schulz-Nieswandt, 2020d). Dies, gepaart mit den Corona-Hygienemaßnahmen, wirkte sich nun in einer eskalierenden Form der Kasernierung aus. Das Risikomanagement von Corona läuft nicht wie im Fall des normalen Alltags der nachbarschaftlich und infrastrukturell vernetzten privaten Häuslichkeiten und gemeinschaftlichen Formen privaten Wohnens ab. Als Frage rückt in das Zentrum der kritischen Diagnostik des Heimlebens: In welcher Lebensqualität würden die Menschen das Corona-Virus bewältigen oder auch eventuell am Virus sterben, wenn dies in lokalen Caring Communities statt in der Dichte des Heimlebens geschehen würde? Und: Hat die Gesellschaft den expliziten oder mutmaßlichen Willen der Bewohnerinnen und Bewohner überhaupt befragt? Eine rhetorische Nachfrage! Eben nicht. Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Schuld der Gesellschaftspolitik – und damit aller Bürgerinnen und Bürger – liegt in der über lange Zeit nicht wirklich gewollten Transformation der Wohnformen im Alter als Normalisierung der Form des sozialen Daseins. Corona hat die Dichteform der Kasernierung nur noch auf die Spitze getrieben und uns damit einen Spiegel vorgehalten. Denn die Gesellschaft ist in Bezug auf die Würde des älteren und alten Menschen nicht gut aufgestellt: Die Krise erinnert an den Traum einer Weltgemeinschaft der gegenseitigen Hilfe. Und weiter: Der sozialen Wirklichkeit der Pflegelandschaft im Alter ist ein anderer Geist einzuhauchen, damit ihre kranke Seele gesundet. Zu Beginn eine Anmerkung zum Design der vorliegenden wissenschaftlichen Essayistik. Gerade auch in wissenschaftlichen bzw. wissenschaftlich fundierten Abhandlungen, mögen sie mit Blick auf die Werte-orientierten Schlussfolgerungen auch politisch sein, geht es nicht um bösartige Hermetik. Gerade die vielfach verfluchten Fremdwörter können auch anregend sein: Sie fordern Aufmerksamkeit (Schmieder & Toepfer, 2017) und damit Anstrengung des Denkens. Nicht immer alles gleich zu verstehen, es leicht verdaulich aufbereitet,

Vorwort

präsentiert und letztendlich gefüttert zu bekommen, wie es heute ein wesentlicher Teil der Studierenden an den Universitäten möchte und denen wohl kaum noch eine Gestalt oder ein Schicksal zum Symbol (Maurina, 1956: 7) wird, also nachschlagen, gar recherchieren und dabei lesen zu müssen, das ist einerseits eine Zumutung, aber andererseits eben auch eine Anregung und deshalb eine Bereicherung.

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A. Eine integrierte Zusammenhangsanalyse

Der große Zusammenhang muss integriert gesehen und verstanden werden: Deswegen stelle ich der vertiefenden Analyse im Teil B diese dichte integrale Zusammenfassung als Teil A voran. Wenngleich auch schon in dieser dichten Zusammenschau die psychoanalytische Dimension angesprochen wird, spielt sie im Teil B die eher zentrale Rolle. Es geht bei dem vorliegenden Thema um Grundrechtverletzungen von Erwachsenden durch eine Kultur der Kasernierung in Pflegeheimen. Und es geht um die Psychodynamik (Schulz-Nieswandt, 2020j; 2020d) von Angst, Solidarität und Ausgrenzung. Es geht um die Betroffenheit der stationären Langzeitpflege in Zeiten von Corona. Ich handele also nicht insgesamt über die Corona-Krise. Es geht – nur, aber dennoch exemplarisch bedeutsam im Sinne einer kulturgrammatischen Analyse – um die Betroffenheit der stationären Langzeitpflege in Zeiten von Corona. Was ist in diesem Feld geschehen? Wie ist dieses Geschehen sozial- und gesellschaftspolitisch im Spiegel normativ-rechtlicher Regimevorgaben zu beurteilen? Was für Konsequenzen müssen aus diesem dergestalt beurteilten Geschehen gezogen werden? Nochmals in aller Deutlichkeit: Es geht um – und das ist wichtig: vermeidbare – Grundrechtsverletzungen in Corona-Zeiten, also im Kontext der COVID-19-Pandemie (Sars-CoV-2), aber auch schon vorher, weil der Code traditionell zur kulturellen Grammatik der sozialen Praktiken in Einrichtungen und ihrer Ökonomik der Betriebsgrößenökonomik (als Effizienz-Dispositiv der »economics of scale, scope und density«) und ihrer Tradition der Klinikarchitektur – morphologisch im Durchschnitt und unter Beachtung der Streuung verstanden – gehört.

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Der alte Mensch als Verschlusssache

Unter Corona-Bedingungen kommt es nun zu Eskalationen im Pflegeheimsektor und zu einer bröckelnden Sozialraumidee, die sich oftmals doch ohnehin erst noch in einem embryonalen Entwicklungsstadium befindet. Die notwendigen erfahrungswissenschaftlichen Differenzierungen, um der zu erwartenden einschlägigen Kritik vorzugreifen, mit Blick auf die Landschaft der Einrichtungen und dem sozialen Wandel dieses Feldes (Brandenburg, Bode & Werner, 2014) sind mir achtsam bewusst. Insofern wird die Sichtweise als eine stilisierte Hypothese des strukturellen Trends in einer deutlich pointierten Art und Weise vorgetragen. Was ist also das Problem? Pflegeheime sollen, und das ist Ausdruck der Freiheitsfokussierung unserer Verfassung der bürgerlichen Gesellschaft, eigentlich Orte des alltäglichen Lebens und normalen privaten Wohnens sein, de facto aber bestimmen mehr denn je Schutz und Sicherheit statt Teilhabechancen durch soziale Kontakte die Wirklichkeit der Bewohnerinnen und Bewohner. Es handelt sich um Bewohner*innen, nicht um Patient*innen. Nicht nur aktuell ist daher zu betonen: In den Pflegeheimen wird der alte Mensch zur »Verschlusssache«. Aber nicht nur aktuell. Jenseits dieser Aktualität muss eben auch konstatiert werden: Dieses Phänomen ist tatsächlich zu verstehen als Eskalation eines ohnehin traditionellen, also lange schon wirksamen Strukturproblems des Pflegesektors, nun aber sich in Eskalationsdynamik unter Corona-Bedingungen befindlich. Das Thema steht im Spiegel der Lebensqualitätsforschung (Kaltenegger, 2016) in der auch grundrechtstheoretisch bedeutsamen kritischen Tradition der Einschätzung von Heimstrukturen als »totale Anstalten« (Goffman, 1973), in denen ältere Menschen institutionalisiert und z.B. mit Blick auf die Hygieneregime (KDA, 2019) hospitalisiert werden. Institutionalisierung meint eine Kultur der sozialen Interaktionen, in denen und (ethnomethodologisch [Schulz-Nieswandt, 2020m] auf die Methoden der Wirklichkeitsbewältigung des Alltags abstellend) durch die der Mensch in seiner personalen Autonomie und in seiner Teilhabe am Gemeinwesen gefährdet wird. Das Gegenteil von dieser Diskriminierung und Ausgrenzung ist ein »gutes« Leben

A. Eine integrierte Zusammenhangsanalyse

(Nussbaum, 1998) in der inklusiven Gemeinde. Es misslingt oftmals im Heimleben also die gute Pflege als soziale Interaktionsarbeit. Das Thema ist angemessen nur mit einer ausgeprägten Interdisziplinarität anzugehen. Dabei dürfte der Einbau psychodynamischer Sichtweisen (Schulz-Nieswandt, 2020j) bedeutsam und hilfreich sein. Dieser Einbau ist in Verbindung mit dem aus der Religionswissenschaft stammendem Theorem der »apotropäischen Hygieneangst« (Angst und Ekel als Affekte sozialer Ausgrenzung als Form eines »Dämonenabwehrzaubers« seitens des professionellen Personals sowie, im Kontext der Öffnung von Einrichtungen, seitens der Anwohnerschaft im Quartier: Schulz-Nieswandt, 2020) zu modellieren. Diese Sicht kann dramatisch deutlich machen, wie tief die Praktiken der sozialen Ausgrenzung der vulnerablen hochaltrigen Menschen in der Grammatik der sozialen Interaktionen verankert sind. Blicken wir also in ethnologischer Distanz in die »fremde« Lebenswelt der sog. Altenpflegeheime und blicken wir kritisch problematisierend auf die hospitalisierenden Hygieneregime, die eine akutklinische Atmosphäre in die Altenpflegeheimen einschreiben und die Normalisierung des Lebens im Heim als Wohnort unterlaufen. Apotropäische Haltungen sind in der Religionswissenschaft breit erforscht und verweisen auf die Dämonenangst und auf entsprechende animistisch anmutende soziale Praktiken des magischen Dämonenabwehrzaubers. Der alte Mensch als »Keimträger« ist exemplarisch für die Bedeutung von apotropäischen Haltungen und Praktiken, die mit Blick auf ihre neurotischen Verstiegenheiten affektpsychologisch als Hygieneangst verstanden werden können. Hieraus resultieren magische Mechanismen als Dämonenabwehrzauber klinischer Art, die die Bewohner*innenschaft als feindliche Andere konstituieren. Da es sich um Anstalten der Fürsorge handelt und ein aus der Verhaltensforschung bekanntes Fluchtverhalten der Professionen aus Gründen der professionellen Ethik helfender Berufe nicht in Frage kommt, werden die latenten präventiven Tötungstriebe angesichts der Imagination des Feindes zivilisiert zu manifesten sozialen Ausgrenzungen des Quarantäne-Paradigmas in Krisen und transformiert zur persistenten Berührungsangst, zur paternalisti-

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schen Dominanzattitüde, zum »dependency-support-script« und zum »overprotection« in den Zeiten fehlender Infektionskrisen. Diese psychoanalytische Sicht, appliziert auf die Kultur der Pflege als Interaktionsarbeit (Reuschenbach, 2020), ist ein anderer Zugang zu dem Themenkreis, »Was die Krise mit uns macht und was wir daraus machen« (Spitzer, 2020) als es sonstige aktuelle psychologische Problemsichtungen (Benoy, 2020; Haas, 2020; Tylor, 2020) ermöglichen. Es geht um eine gewisse Abgründigkeit, die m.E. hier als Problemanzeige aufgegriffen werden muss. Hierzu liegt allerdings ein instruktiver Beitrag von Bernd Heimerl (2020) vor. Die These lautet: Diese apotropäische Haltung ist in »Normalzeiten« zu beobachten. Unter Corona-Bedingungen wird diese überdeckt von einem allgemeinen Sicherheits-Dispositiv angesichts der netzwerkartigen sozialen Verkettungen in der Diffusion von Ansteckungen im Sinne negativer Externalitäten. Die Folge ist eine Praxis der »Kasernierung«. Im Sinne von Giorgio Agamben (2002) wird die Gestaltqualität der Personalität eingetauscht gegen die reduktionistische Sicherheit des »nackten Lebens«. Diese Dramatik soll hier das Thema sein. Es war im Zuge der sozialen Verdrängungsprozesse nicht (obwohl die Angst vor Pandemien ein ubiquitäres Phänomen im kollektiven Bewusstsein der Menschen angesichts der Koevolution von Mensch und Virus bzw. Bakterien darstellt) absehbar, dass das Thema der sozialen Praktiken in der stationären Altenpflege eine eskalierende Bedeutung bekam. Durch die Corona-Pandemie trat diese Eskalationsdynamik jedoch ein. Zwei weitere Schritte der Analyse schließen sich daher an. 1) Das Thema knüpft im Lichte der Diskurse über die Normalisierung des Wohnens im Alter an die Debatten um die Sozialraumorientierung als Idee der Caring Communities im Quartier als Alternative zu stationären Sonderwelten an. 2) Und so macht sich die navigierende Dringlichkeit eines Gegenkurses deutlich, bei dem, um die Verantwortungsrolle des Gewährleistungsstaates in die Feldanalyse einzubeziehen, die Idee der Modernisierung des Wächterstaates (Schulz-Nieswandt, Köster & Mann, 2019ff.; Schulz-Nieswandt, 2020i) als Figur der Aufsichtsfunktion des sozialen Rechtsstaates einen wichtigen Baustein der neuen

A. Eine integrierte Zusammenhangsanalyse

Strukturbildung darstellen kann. Hier liegen Möglichkeit einer neuartigen gouvernementalen Perspektive vor, die innovativ ganz andere – »heterotope« (Foucault, 2013) – Räume des Lebens im Alter im Gefüge des inklusiven Gemeinwesens eröffnen können.

Die »Corona-Gesellschaft« Die Erfahrungen mit der Eskalation der Kasernierung älterer und alter Menschen in der Corona-Krise (Volkmer & Werner, 2020) haben die klassischen Themen der Deinstitutionalisierung und Enthospitalisierung sowie die nach wie vor dringliche Bedeutung der Leitbilder des Empowerments bzw. der Befähigung im Sinne des Capability-Ansatzes (Nussbaum, 1998; Sen, 2020a; 2020b), wobei die Gesundheitskompetenz (Okan O u.a., 2020) nur eine Dimension ist, und der Normalisierung des wohnenden Lebens als noch unerfüllte Träume somit im Sinne der Hoffnung an die Kritische Theorie des »Noch-Nicht« der Gestaltwahrheit des personalen Selbst-Seins (ein »gutes Leben« der Würde selbständiger Selbstbestimmung im Modus der Teilhabe am Gemeinwesen) des Menschen in Erinnerung gebracht. Bevor die Corona-Krise ausbrach, entwickelte sich eine kritische Hygiene-Debatte in Bezug auf das Heimleben (KDA, 2019). In einer kulturwissenschaftlichen Analyse auf psychoanalytischer Grundlage habe ich die akutklinischen Standards als »Hospitalisierung« älterer und alter Menschen bzw. als De-Normalisierung des Wohnens in diesem stationären Setting zu dechiffrieren versucht (Schulz-Nieswandt, 2019g; 2020d). Die Corona-Krise hat diese Problematik verschärft (Schulz-Nieswandt, 2020p). Ich musste allerdings die Hypothesen anpassen. Denn die apotropäische Hygieneangst gegenüber dem alten Menschen wurde nunmehr im Zuge der Corona-Krise überdeckt. Das Sicherheits-Denken (vgl. z.B. Hindrichs & Rommel, 2020), dass auch Teil des stationären Habitus ist, wurde in Bezug auf die Bewohner*innenschaft unter Bezug auf das Grundrecht der Unversehrtheit in Art. 2 (Abs. 2) GG, dabei aber das Grundrecht auf Selbstbestimmung in Abs. 1 des Art. 2 GG quasi übergehend, verschärft, womit der alte Mensch

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in der Rolle des Virusempfängers abgeschirmt wurde. Gleichzeitig wurde die Bedrohung und Belastung des Personals betont, die sich aus der Sicht des alten Menschen als Virusträgers sowie mit Blick auf die externen sozialen Kontakte der Bewohner*innenschaft ergeben kann. Es ergibt sich also eine Figuration der Angst vor negativen Externalitätsketten. Negative externe Effekte sind, argumentativ aus der Wohlfahrtökonomie (vgl. auch de Swaan, 1993; Ewald, 1993) kommend, »spill-over«-Effekte zwischen den »well-being«-Funktionen der Individuen. Als Fürsorgepflicht gegenüber dem alten Menschen wurde er aus seinem Netzwerk sozialer Beziehungen gelöst und somit wurde eine zentrale Quelle aktualgenetischer Förderung verschlossen. War die apotropäische Hygieneangst noch in Bezug auf die »Infektion« (Heiland, 2020) eine symbolische Ordnung von ÜbertragungsGegenübertragungsmechanismen im Umgang mit dem Anders- und Fremdartigen, stellt sich nun eine echte Hygieneangst ein, die zu einer gesteigerten sozialen Ausgrenzung führt. Solche psychische Infektionen behandelt Freud in »Massenpsychologie und Ich-Analyse« (Freud, 1981: 11ff.) und bezieht sich dabei auf LeBon. Dieser schrieb: »Unter den Massen übertragen sich Ideen, Gefühle, Erregungen, Glaubenslehren mit ebenso starker Ansteckungskraft wie Mikroben. Diese Erscheinung beobachtet man auch bei Tieren, wenn sie in Scharen zusammen sind. Das Krippenbeißen eines Pferdes im Stall wird bald von den andern Pferden nachgeahmt. Ein Schreck, die wirre Bewegung einiger Schafe greift bald auf die ganze Herde über. Die Übertragung der Gefühle erklärt die plötzlichen Paniken. Gehirnstörungen, wie der Wahnsinn, verbreiten sich gleichfalls durch Übertragung. Es ist bekannt, wie häufig der Irrsinn bei Psychiatern auftritt. Man berichtet sogar von Geisteskrankheiten, zum Beispiel der Platzangst, die vom Menschen auf Tiere übertragen werden.« (LeBon, 1982: 89f.) Der bereits angeführte Beitrag von Heimerl (2020) fügt sich hier an. Analysiert wird u.a. in Anlehnung an die Arbeit von Sonntag (2012), der variantenreich metaphorische Charakter des Virus als Figur in der Unordnung des Sozialen, als Eindringlichkeit des feindlichen (unheimlichen) Fremden (Kristeva, 1990) vom Raum des Da-Draußens in das eigene Innere. In Bezug auf Freud wird aber zugleich plausibilisiert,

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wie diese Angst auf das »eigene Fremde« im »inneren Ausland« des Unbewussten verweist. Wieder in das Außen gekehrt wird diese Haltung zur paranoiden Angst vor der Heterogenität, die einer pluralen Welt eigen ist. Wie Freud analysiert hat (Freud, 1981: 44ff.), kann Identifikation höchst ambivalent sein: Sie kann von positiv zuneigender Begierde wie von der Negativität der hassenden Tötungsneigung (eine Manifestation des Todestriebes: Klein, 1983: 136) zugleich geprägt sein und Schuldzuweisungsmechanismen in dieser ambivalenten Beziehungskonstellation transportieren. Es kann zu einer widerspruchsvollen Konfliktsituation von Solidarisierung und Ent-Solidarisierung – uno actu – kommen. Social Distancing, obwohl eigentlich eine physische Distanz (physical distancing) gemeint ist, wird hier in den realen Praktiken wie in der Sprechakttheorie wörtlich genommen und soziale Wirklichkeit geschaffen. Was ist mit Übertragung und Gegenübertragung hier gemeint? Ausgangspunkt ist, dass das hohe Alter wie ein Spiegel die Endlichkeit der pflegerischen Bezugsperson symbolisch verkörpert: Das bin ja ich, irgendwann. Und in der Folge mag im animistischen Sinne (der Mitmensch als Verkörperung böser Geister) eine imaginierte Übertragung der Endlichkeit des älteren und alten Menschen als ein ansteckender Tod die Haltung der pflegerischen Bezugsperson prägen. Was ist der Reaktionsstil der pflegerischen Bezugsperson? Die von der Angst getriebene Gegenübertragung ist eine Art von Dämonenabwehrzauber. Selbst der aufgeklärte moderne Mensch weist hier also archaische Züge auf und praktiziert offensichtlich Magie. Nimmt man dieses Referenzdenken zum Bezugspunkt der Skalierung der Wirklichkeit, so muss man, auf die notwendige Achtsamkeit dieser Hypothese des strukturellen Trends im Spiegel der durchaus beobachtbaren Wandlungen der letzten Dekaden wurde eingangs schon hingewiesen, argumentieren: Bei allem differenzierenden Wandel, die man in achtsamer Verantwortung zu beachten hat, haben wir die Tradition der »totalen Anstalten« noch nicht vollumfänglich überwunden. Wohnorte müssen, egal wo und in welcher Form des Wohnens, Orte des teilhabenden Lebens und der Selbstbestimmung sein, gerade dann, wenn die Potenziale der Selbständigkeit sinken. Denn so wichtig auch die Selbständigkeit als handwerkliches Selbstmanagement des prakti-

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schen Tun-Könnens im Kohärenzerleben der menschlichen Person ist, entscheidend ist die Selbstdefinitionsmacht im personalistischen Verständnis der würdevollen, wenngleich in der »Gottähnlichkeit« nur bedingten, somit eine prometheische Hybris vermeidenden Souveränität der Menschen. Alle Orte des Wohnens müssen im Sinne der aus der theoretischen Biologie stammenden, nun aber auf die soziale Ökologie der Lebenswelt des Menschen adaptierten transaktionalen Theorie der Wechselwirkung von Mensch und Umwelt eine aktivierende (im Sinne der Gestaltpsychologie und der Humanistischen Psychologie: »aktualgenetische«) Kultur aufweisen.

Eskalation der Kasernierung Ich fokussiere die Debatte um die »Corona-Gesellschaft« (Volkmer & Werner, 2020) auf die Situation hochaltriger Menschen im Pflegeheim als ein Ort des Wohnens. Ich widme mich daher in den nachfolgenden Ausführungen der Frage, was (also im Sinne des »generativen Wie sozialer Praktiken« ethnomethodologisch gesehen: Schulz-Nieswandt, 2020m) im Kontext der Corona-Krise an und mit diesen Menschen geschieht. Dass in den Alltagserzählungen der Praxis von einem »für« die Menschen die Rede ist, ist hierbei, zunehmend erkannt und kritisch disputiert, Teil der paternalistischen Grammatik traditioneller Formen des Sorge-Dispositivs. Die oben formulierte Hypothese kann somit nochmals in anderer Form ohne inhaltlichen Widerspruch zur ersten Formulierung wie folgt ausgedrückt werden: 1) Corona hat die Dichteform der Isolierung des Wohnens in stationären Settings in gesteigerter Form auf die Spitze getrieben. Und in diesem Lichte kann man mit Evidenz der Meinung sein: 2) Die aktuelle Krise hält uns als Gesellschaft den Spiegel vor, dass die Transformation der Wohnformen im Alter als Normalisierung der Form des sozialen Daseins mit den Dimensionen von Selbstbestimmung, Selbständigkeit und Teilhabe bislang nicht hinreichend nicht gelungen ist.

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Beginnen wir mit der Problematik der verdrängten Grundrechtsverletzungen im Pflegeheimsektor: ein altes Problem, das aber eskaliert unter den aktuellen Corona-Bedingungen. Normalität meint hier ein Verständnis von Wohnen als Ort des alltäglichen Lebens, das die moderne Gesellschaft in einem normativen Sinne für sich selbst reklamiert. Diese Normalitätsvorstellung ist geprägt von der Haltung, wonach die Autonomie und die Partizipation als Merkmale dieses Lebens uns wichtig, mit guten Gründen ja geradezu »heilig« (Möbius, 2020) seien: Gemeint ist die Würde der Person, mit Blick auf die praktische Erlebbarkeit definiert über die Dimensionen von Selbstbestimmung, Selbständigkeit und Teilhabe, umgekehrt gesehen: definiert über fehlende Diskriminierung und über die Abwesenheit von Demütigung. Die neuere Diskussion ist mitunter ausgelöst durch den Beitrag von Hans Joas (2011), der in diesem Sinne von der »Sakralität der Person« spricht (Schulz-Nieswandt, 2017a; Möbius, 2020). Diese Auffassung ist grundrechtstheoretisch fundiert und mehrschichtig verankert und konstitutionell als »Verfassungsvertragsverbund« verschachtelt im Völkerrecht der UN, in der Grundrechtscharta der Unionsbürgerschaft in der EU, im bundesdeutschen Verfassungsrecht in Art. 1 und 2 GG und sodann mit Blick auf die politische Implementation konkretisiert in den Sozialgesetzbüchern (vgl. § 1 SGB I) und in den Bundeslandesgesetzgebungen, dort u.a. in den Wohn- und Teilhabegesetzen (WTG). Die COVID-19-Pandemie (Sars-CoV-2) bringt die Gesellschaft in eine fundamentale Zielkonfliktsituation. Einerseits gilt die Sorge explizit dem Schutz vulnerabler Gruppen und insbesondere dem hohen Alter. Die bedeutsame Wertigkeit dieser Dimension des sozialen Geschehens steht außer Frage. Andererseits werden Menschen im hohen Alter, zugespitzt, aber deshalb nicht falsch formuliert, in den Pflegeheimen verstärkt dem »sozialen Tod« infolge von sozialen Ausgrenzungen ausgesetzt. Diese These habe ich eingangs ja schon in dieser Weise formuliert. Nun nochmals anders formuliert: Die Vermeidung des biologischen Todes wird – das war die Einbringung des Rückgriffs auf Giorgio Agamben (2002) – teuer erkauft mit dem sozialen Tod. Die soziale Wirklichkeit, trotz der seit längerer Zeit morphologisch beobachtbaren Differenzierung und der sich langsam, und eben auch widerspruchs-

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voll herausbildenden Vielfalt der Lebenswelt »Heim« als Andeutung eines Kulturwandels, sieht oftmals anders aus als es die Normvorstellungen unserer Rechtswelt, die soeben (vom Völkerrecht bis zu den Sozialgesetzgebungen und den Verordnungen der Bundesländer) nur aufgezählt worden ist, zwingend vorsehen. Kritische Theorie hat nicht dominant die hoffnungsvollen Spuren (die aber auch nicht ungenannt bleiben sollen) zu feiern, sondern auf die verbleibende Kluft zwischen Soll und Ist hinzuweisen, ja, dieses »Delta« als schmerzhafte Kluft in Tiefe und Breite zu vermessen und zu skandalisieren. Es ist nicht die Aufgabe kritischer Wissenschaft, »nett« zur sozialen Wirklichkeit zu sein. Es geht daher um die Erfahrung einer im Lichte des Gerechtigkeitsempfindens schmerzhaften Differenz, auf die sich bereits die lange Geschichte des Rückbaus »totaler Institutionen« der anstaltsförmigen Orte der sozialen Ausgrenzung als kritische Reflexion der Institutionalisierung und Hospitalisierung bis heute bezieht. Das Problem bleibt die unheilige Hochzeit von Renditeökonomik, panoptischer Architekturideologie und einem primitiven sozialen Paternalismus der »Für-Sorge«, von der schon Martin Heidegger in »Sein und Zeit« (Heidegger, 2001) handelte. Also nochmals formuliert: Die in der gestressten Gesellschaft der Corona-Situation – entgegen den Befunden differenzieller, also auf die inter-individuellen Varianzen abstellenden Gerontologie – nochmals in gesteigerter Form praktizierte pauschale, stereotypische, letztendlich (analytisch gesehen) defizittheoretische und (normativ gesehen) auf Disengagement abzielende Stigmatisierung der Schutzbedürftigkeit der vulnerablen Gruppe der »Alten« kappt die gerade erst das im langsamen und widerspruchsvollen und voller Ambivalenzen seiende Wachstum befindliche Sozialraumöffnung der Heime in Stadt und Land, die an das normale Wohnen und Leben im Quartier und somit im Kontext von Nachbarschaft als lokale sorgenden Gemeinschaften anknüpft. So nimmt das soziale Drama seinen Lauf: Keine schöne Geschichte, die hier zu erzählen ist. Nochmals gefragt: Was bedeutet die Praktik des Wegschließens des alten Menschen in Zeiten von Corona? Und nochmals eindeutig geantwortet: Das menschenrechtskonventionelle Grundrecht des alten Menschen auf Selbstgefährdung als Ausdruck der grundrechts-

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theoretisch gefassten Selbstbestimmung mit Blick auf das ebenso grundrechtlich kodifizierte Teilhaberecht und somit das Recht auf Normalität sozialer Kontaktkulturen und sozialraumorientierter Kommunikation werden massiv verletzt. Die Mehrheitsbevölkerung der sog. aktuellen »Corona-Gesellschaft« (Volkmer & Werner, 2020) erlebt noch einen öffentlichen Außenraum ihres privat-häuslichen Innenraums. Die Lebenswelt der Pflegeheime ist dagegen eine extreme Form der Ausgrenzung. Aber, ebenso nochmals gesagt: Auch ohne CoronaVirus, also jenseits der aktuellen Eskalation als Problemzuspitzung, ist die belastend erlebbare Atmosphäre in Heimen u.a. an dem Vorbild von klinischen Hygieneverordnungen von Akutkrankenhäusern orientiert (Schulz-Nieswandt, 2020d). Diese hospitalisierenden Hygieneregime schreiben eine akutklinische Atmosphäre in die Altenpflegeheime ein und unterlaufen die Normalisierung des Lebens im Heim als Wohnort. Diese pauschale Stigmatisierung der Schutzbedürftigkeit der vulnerablen Gruppe der »Alten« kappt also, so hatte ich meine Einschätzung eben formuliert, die gerade erst im zaghaften Wachstum befindliche Sozialraumöffnung der Heime, denn weiter ist die Entwicklung, einen Kulturwandel meinend, nicht. Schutz und Sicherheit statt soziale Kontakte: So könnte die Situation betitelt werden. Das Grundrecht des alten Menschen auf Selbstgefährdung als Ausdruck der Selbstbestimmung mit Blick auf das ebenso grundrechtlich kodifizierte Teilhaberecht wird massiv verletzt. Es liegen demnach kognitive Modelle eines reduzierten Verständnisses komplex mehrdimensionaler Lebensqualitätsmodelle vor, denen auch die Reduktion der Pflege als soziale Interaktionsarbeit auf den Körper als Fokus des »satt-sauber-sicher«Dispositivs unserer sog. »Altenpolitik« entspricht. Die mitunter im Kult des Heroischen inszenierte Für-Sorge in Bezug auf den vulnerablen alten Menschen, geradezu zynisch anmutend angesichts der sonstigen chronisch fehlenden Wertschätzung der Professionen im Kontext des Fachkräftemangels, wird dergestalt teuer »erkauft« mit Praktiken des sozialen Todes des ausgegrenzten homo patiens. Was sind hierbei die abgründigen Hintergründe? Was treibt diese Verfehlung der Normalität im Heimleben an? Auf die psychodynamische Dimension der kulturellen Grammatik der Fürsorge ist hiermit

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und im Teil B sodann ausführlicher zurückzukommen. Ist es eine von den Affektordnungen der Angst und des Ekels geprägte Kultur des Umgangs mit dem hohen Alter? Wird das hohe Alter wahrgenommen als dem Tod geweihter Verfall von Geist und Körper? Geht es um Andersheit und Fremdheit? Um das Monströse? Geht es um Geruch? Um Hässlichkeit? Befremdet uns die an die übliche Sprache gebundene »Unverstehbarkeit« des Menschen mit Alzheimer-Demenz? Wird der alte Mensch vielleicht selbst als gefährlicher Keimträger stigmatisiert? Ich meine, dass diese Fragen unbedingt gestellt werden müssen. Und man wird sie zu beantworten versuchen müssen. In unserer Zivilisationsstufe hat sich auch schon längst und unabhängig von Corona im Umgang mit dem alten Menschen ein Muster sozialer Ausgrenzung herausgebildet, das, um an Michel Foucault (Foucault, 2005; 2015) anzuknüpfen, Altenheime an einem panoptischen Quarantänemodell orientiert. Nun generiert Corona eine neue Stufe dieser alten Herausforderung als Entwicklungsgabe der Träger und ihren Institutionen sowie ihren Professionen ins Spiel. Natürlich hängt es vom Krisenregulationsregime von Bund und Länder ab, welchen Spielraum des Verhaltens den Einrichtungen und ihren Trägern gewährt werden. Und dergestalt kommt es nunmehr in diesem Rahmen phänomenologisch zu einem Überdeckungs-Effekt als Metamorphose der Angstkonstellation: Im Spiegel der netzwerkartigen sozialen Verkettungen in der Diffusion der Ansteckungen wird im Namen der Sicherheit als Sicherung der Unversehrtheit des nackten Lebens des alten Menschen eine Kasernierung vorgenommen. Das ist die tiefenpsychologische Dimension der Hypothese, die habitushermeneutisch erschlossen werden muss. Die Anordnung einer flächendeckenden, vollständigen und ohne Spielraum verpflichtenden Kontaktsperre seitens des Gesetzgebers lässt der sozialen Phantasie der Einrichtungsleitungen keinerlei Spielraum, individualisiert zugeschnittene Arrangements im Rahmen eines kohärenten und effektiven Hygienekonzepts zu verwirklichen. Mit der regulativen Lockerung kam jedoch der Test: Wer nutzt wie die Spielräume? Und hier zeigt sich die Varianz der Tugenden: Die Einrichtungen waren von den Musen unterschiedlich geküsst worden, was Phantasie und Mut, Wille

A. Eine integrierte Zusammenhangsanalyse

zur Wahrheit und Gerechtigkeit sowie Neigung zum Nomos angeht. Welches Menschenbild, welches Care-Verständnis, welchen Rechtsverständnis, welche Wohnorganisationskultur treibt die Leitungen der Einrichtungen an? Aber auch die staatlichen Regimeakteure müssen befragt werden: Welche Bilder vom Menschen und seiner Lebensqualität treibt die Bundesregierung und die Länder des demokratischen und sozialen Bundessstaates gemäß Art. 20 GG an? Welche Macht in Verbindung mit welchem Rollenverständnis kommt dem Weltbild der Gesundheitsämter im Rahmen der Gesetze zur öffentlichen Gesundheit zu? Die Rolle des RKI (Quaas & Quaas, 2020) wird die Wissenschaft sicherlich noch beschäftigen, wenn es zu rekonstruktiven Forschungen im Rückblick auf die Corona-Krise kommen wird. Dabei steht, so meine Auffassung, auf einer abstrakten Ebene das durchaus gerechtfertigte Muster des Krisenmanagements rechtsphilosophisch nicht zur Debatte: Temporäre Einschränkungen des Grundrechts auf Freiheit im Art. 2 GG (und auch der Grundfreiheiten der Unionsbürgerschaft in der Europäischen Union) angesichts von notstandsartigen Gefährdungen Dritter im Sinne des Gemeinwohls durch inter-personelle negative Externalitäten (als Verletzungen des »Sittengesetzes«) einer Pandemie sind legitim, bedürfen aber mit Blick auf Art. 2 i. V. m. Art. 1 GG der verfassungskonformen Gesetzgebung, womit Recht, Ethik und Wohlfahrtsökonomie zur Übereinstimmung kommen: Art. 2 GG (Freiheit und Rücksichtnahme) = Sittengesetz von Kant (Universalismus der Goldenen Regel) = Pareto-Kriterium: Verbot von negativer Externalität: ∂Well-BeingEgo > 0 → (Kausalität) → ∂ Well-BeingAlter Ego < 0.

Dabei dürfte der Erwerb der Empathiekompetenz eine notwendige Voraussetzung der Rücksichtnahme in 1) sein, während die hinreichende Bedingung für 3) die Erziehung zur Nutzung der Empathie das Erlernen der Goldenen Regel in 2) ist:

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Mitfühlen → Mitleiden → prosoziales Mit-Sein in der mitmenschlichen Reziprozität.

Die konkrete Umsetzung des gerechtfertigten Musters lässt jedoch Spielräume zu, die somit auch das ebenso verfassungsrechtlich bedeutsame Kriterium der Verhältnismäßigkeit des konkreten Musters berücksichtigt. Eine Politik der Lebensqualität in Corona-Zeiten würde bedeuten: Sicherung des Optimums an Normalität unter Achtung der Würde der Person unter Einbezug von Hygienekonzepte zur Vermeidung fahrlässiger Risikogenerierungen, was nicht nur den Extremfall der pathologischen Wahrnehmungsweisen und hysterische Wahneinstellungen im Sinne der Corona-Leugnung ausschließt, sondern auch fahrlässige Unterkomplexität der Hygieneregelungskonzepte und ihre Umsetzung. Um aber auf den Kern dieser sozialen Optimierungsaufgabe im Rahmen von Rechtsgüterabwägungen zu kommen: Nicht das Sicherheitsdispositiv darf im Rahmen des Krisenregimes (KR) die Situation zwanghaft dominieren, sondern die organisationskulturelle Selbstbindung auf den orientierenden Fluchtpunkt der auf Freiheit (F) angelegten Würde der Person (WdP). Dabei ist der personalistische Standpunkt einzubauen, wonach die Person der Knotenpunkt seiner sozialen Beziehungen (KsB) ist. Anthropologisch wird man erkennen müssen, dass Risiken die Kehrseite der Freiheit der Daseinsführung im Leben als Wagnis ist. Das hat nichts mit Unverantwortlichkeit zu tun. Die öffentlich relevante Sicherheit (S) sowie die individuelle Unversehrtheit der Person (UdP) sind Nebenzielbedingungen (N) der Optimierungen, um Normalität des Wohnens (NdW) als Funktion zu gewährleisten (gF), was mehr ist als das Weltbild der Gewährleistung des »nackten Lebens« (nL) des homo sacer. KR i. V. m. N (S; UdP) → gF → F (WdP/KsB) > nL.

A. Eine integrierte Zusammenhangsanalyse

Das nL ist der unterste Minimalwert einer Politik der Daseinsvorsorge, aber dieser Minimalwert sichert nicht die Verhinderung von Demütigung als respektlose Verletzung der personalen Würde. Es gilt: Der Mindesstandard nach Margalit (2012) als Vermeidung demütigender Respektlosigkeit (VdR) ist größer als der Standard der Sicherung des nackten Lebens bei Giorgio Agamben: VdR > nL. Denken wir die möglichen Alternativen im Spiegel der angesprochenen Dringlichkeit der nachholenden Differenzierung quartiersbezogener Wohnformen im Alter im Sinne des Normalitätsparadigmas: Das Risikomanagement von Corona läuft nicht wie im Fall des normalen Alltags der informell (familial, nachbarschaftlich, bürgerschaftlich) und formell/professionell (infrastrukturell) vernetzten privaten Häuslichkeiten und gemeinschaftlichen Formen privaten Wohnens ab. Hierbei wird von mir nicht naiv unterstellt, die Gewährleistung nachhaltiger Vernetzungen in der Lebenswelt des Quartiers als Sozialraum der Kommune (ganz im Sinne des im SGB V eingeflossenen PrävG, das die Kommune als Lebenswelt höherer Ebene versteht) sei trivial und ohne Fragilitätsrisiken. Keineswegs, im Gegenteil. Hier bedarf es nicht nur eines transzendentalen Vertrauensvorschusses, sondern sodann auch der Bildung einer Issue-Netzwerk-Qualität kollektiv geteilter Visionen, Ideen und Ziele, ferner der Stabilität der Ressource der Engagementmotivation der Akteure als Investition in die Akkumulation von Sozialkapital. Denn das Sozialkapital ist der Ertrag der Netzwerkbildung durch Investition des Engagements als Ressource mit hohen Opportunitätskosten. Aber dass das ontologisch wahre Leben, in dem der Mensch in seiner Gestalt-Werdung die Form der Personalität erreicht, eine komplizierte Aufgabe ist und scheitern kann, das ist kein Argument, auf diese Chance des guten Lebens zu verzichten und uneigentliche, also entfremdete Formen zu wählen, die es leichter haben, zur sozialen Wirklichkeit zu werden: Sicherheitsdenken ist leichter als Freiheitsstreben.

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Entfremdung (E) ist die Differenz (D) zwischen sozialer Wirklichkeit (sW) und dem Wesen des Menschen (WdM): E = D (WdM ≠ sW).

An dieser Differenz erweist sich der Mensch als homo patiens. Er leidet an der Kluft {WdM ≠ sW} im Sinne einer blockierten Gestaltwerdung: Das Leiden kann die Form der Verzweiflung annehmen, wenn sich die existenzielle Angst vor dem Scheitern am Dasein einstellt, die Existenz als sinnlos erscheint und der Mensch sich in der abgründigen Einsamkeit der sinnlosen Seinsverlassenheit erfährt. Es ist der Mangel als Liebe, die er verspürt, ist er doch seinem Wesen nach nichts weiter als der Knotenpunkt gelingender sozialer Beziehungen. Als Folge eines solchen szenischen Blicks einer Imagination einer Sozialraumorientierung rückt daher eine Frage in das Zentrum der kritischen Diagnostik des Heimlebens: In welcher Lebensqualität würden die Menschen das Corona-Virus bewältigen oder eventuell auch am Virus sterben, wenn dies in lokalen Caring Communities statt in der Dichte des Heimlebens geschehen würde? Und: Hat die Gesellschaft den expliziten oder mutmaßlichen Willen der Bewohnerinnen und Bewohner der stationären Einrichtungen überhaupt befragt? Doch zeigt das Kasernierungsregime des Sicherheits-Dispositivs, dass es dort nicht um das Selbstbestimmungsrecht des Subjekts des freien oder mutmaßlich freien Willens geht, sondern um eine Ordnung der Sicherheit, die nicht mehr den Mut zur (bei tiefster Selbstbesinnung wohlbedachten) Einwilligung in das Risiko als Kehrseite der menschlichen Freiheit denkt. Es geht nur noch um das Überleben in der Fokussierung auf den Körper. Ein Leben in Würde setzt aber das Selbst-Sein der Person in der Form der Teilhabe am Gemeinwesen voraus, somit ein Wohlbefinden im Lichte von Geist und im Spiegel der Seele. Die innere Architektur in der Strukturschichtung der menschlichen Person ist zu beachten: Der Geist (als Person-Ideal) führt »lichtend« das Leben des Körpers, das nicht als seelische Qual, sondern als seelische Freude erfahren werden soll.

A. Eine integrierte Zusammenhangsanalyse

Gesellschaftspolitisch zu konstatieren sind: Versäumnisse, Schuld und Verantwortungsaufgaben. Die »Schuld« der Gesellschaftspolitik – und damit aller Bürgerinnen und Bürger, nicht nur, wenngleich deutlich auch »der« Politik und »der« Einrichtungsunternehmen und ihrer Träger – liegt in der über lange Zeit nicht gekonnten, wohl auch nicht wirklich gewollten Transformation der Wohnformen im Alter als Normalisierung der Form des sozialen Daseins. Das ist die Schuld des Versäumnisses. Man sollte zugeben: Die Heime sind die Lösung für die Hochaltrigkeit aus ökonomischen Gründen der Betriebsgrößenvorteile solcher krankenhausförmigen Anstaltsarchitekturen. Bei fehlender Sozialraumöffnung und defizitärer interne Kultur der Aktualgenese mutieren diese Quasi-Krankenhäuser zu Wohngefängnissen. Corona hat die Dichteform der Kasernierung nur noch auf die Spitze getrieben und uns damit einen Spiegel vorgehalten. Denn die Gesellschaft ist in Bezug auf die Würde des älteren und alten Menschen nicht wirklich gut aufgestellt. In leichter und zumutbarer Form wird in Risikogebieten das Hygieneregime des Pflegeheims nunmehr in der ganzen Gesellschaft abgebildet: Die Menschen ziehen sich für Wochen in ihre private Häuslichkeit zurück. Homeoffice prägt die Arbeitswelt. Mancher mag dies als Entschleunigung fühlen, da tägliches Pendeln und häufige Dienstreisen entfallen, anderswo wächst in der Enge des häuslichen Zusammenlebens die Gewalt. Die Digitalisierung wird zur Prothetik der Lebensführung. Das Pflegeheim wird zum krassen Vorbild, die Gesellschaft zum blassen Abbild. Doch im Vergleich zum Heimleben handelt es sich nur in Spezialfällen bei der Mehrheitsbevölkerung in der Corona-Krise um eine totale Quarantäne. Spazierengehen, Joggen, Einkaufen, in Grenzen auch Berufstätigkeit sind möglich. Digitale Räume sind – anders als im Durchschnitt in Heimen – nutzbar. Im Fall von Corona fühlt sich die gesellschaftliche Mehrheit (die oppositionellen oder ignoranten Minderheiten sind erklärungsbedürftig) selbst gesundheitlich, ökonomisch (Iskan, 2020) mag dies anders liegen, nicht gravierend bedroht. Die Grundrechtseinschränkungen (Scheibe, 2020; Kersten & Rixen, 2020; Gephart, 2020) werden mehrheitlich bislang weitgehend akzeptiert. Die Angst vor den Keimträgern hält sich bei der Mehrheit

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der Bürger*innen anscheinend in Grenzen. Vor diesem Hintergrund fällt der politisch (zum Zusammenspiel – Lindemann [2020] spricht von der »Ordnung der Berührung« – von Staat bzw. Politik, Wissenschaft und Medien kritisch: Schrappe u.a., 2020) abgeforderte solidarische Altruismus, die Risikogruppen zu schützen, relativ – beobachtet man die einerseits hedonistischen, andererseits verschwörungstheoretischen (Butter, 2018; Stumpf & Römer, 2020; Alt & Schiffer, 2018) oppositionellen Subgruppen in der Bevölkerung – einfach. Offensichtlich funktioniert (vgl. auch Brand, Follmer & Unzicker, 2020) das auf Empathie basierende Sittengesetz von Kant recht gut. Dies würde jedoch sicherlich ganz anders aussehen, wenn es sich um Ebola oder um die Pest handeln würde. Die moralökonomischen Potenziale der Solidarität sind auch in unserer sog. modernen – also post-traditionellen – Gesellschaft ausgeprägt. Dazu liegt eine Fülle von soziologischen Befunden vor mit Blick auf Umverteilungsakzeptanz in Risikogemeinschaften, Geben und Nehmen, Spenden, freiwilliges soziales Engagement, in Generationenbeziehungen etc. vor. Dennoch vermischt sich diese Gabe-Bereitschaft in bestimmten Handlungsfeldern dennoch mitunter mit Begegnungs- und Berührungs-Ängsten, hierbei die affektuellen Ordnungen von Ekel und Angst zum Ausdruck bringend, insbesondere mit Blick auf Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Demenz und Menschen im Übergangsbereich zum Tod: Begegnungsbereiche, die wohl als das »Ganz Anderes als ein Fremdes« codiert werden. Breit in den modernen Kulturwissenschaften diskutiert, wird diese psychodynamische Dimension des sozialen Dramas des Alltags in der üblichen Sozialkunde des Sozialstaatsgeschehens ausgeblendet. Der dargestellte fundamentale Zielkonflikt ist also kein tragisches Dilemma, in der es keinen Ausweg ohne massive Schuld gibt. Die durchaus vermeidbare oder zumindest reduzierbare Schuld liegt vielmehr in dem angesprochenen »Versäumnis« mit Blick auf die über lange Zeit nicht wirklich gewollte Transformation der Wohnformen im Alter als Normalisierung der Form des sozialen Daseins. Das Heimleben wird als Grundsicherung der Ökonomik der Sorge für die letzten Lebensjahre organisiert. Es ist eine Ökonomik der dichten Räume als Wohnstrukturen der kostenminimierenden Anstaltsversorgung.

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Corona hat die Dichteform der Kasernierung der »Alten« eskalierend nur noch in gesteigerter Form auf die Spitze getrieben. Auf die Zukunft gerichtet kristallisiert sich eine »Verantwortung« heraus: Das Versäumte muss nachgeholt werden. Der sozialen Wirklichkeit der Pflegelandschaft im Alter ist ein anderer Geist einzuhauchen, damit ihre kranke Seele gesundet.

Rückbau der Sozialraumöffnung Es geht aber – wie gesagt: jenseits von Corona-Zeiten – thematisch auch noch um mehr Dimensionen einer komplexen gesellschafskritischen Problemanzeige. Dazu gehört in Verbindung mit der Kommunalisierung der Steuerung des Feldes die teilhabegrundrechtlich zwingende Idee der Sozialraumöffnung stationärer Settings. Daher sei hier exemplarisch auf das GALINDA-Projekt in Rheinland-Pfalz (Brandenburg u.a., 2020a; Brandenburg u.a., 2020b) verwiesen. Angemerkt sei am Rande nur: Diese Reformperspektive betrifft auch die Notwendigkeit einer Sozialraumorientierung der medizinischen Primärversorgung. Auch im SGB V-Raum ist das Problem vor dem Hintergrund der Pflicht zur Sozialraumöffnung zu sehen. Die Sozialraumöffnung der Heime als Wohn-Settings stationärer Langzeitpflege gehört zu den zentralen Entwicklungsaufgaben des Sektors, wenn man mit Blick auf die Innovationsbedürftigkeit der Versorgungslandschaft die normativ-rechtlichen Vorgaben unserer Kultur beachtet. Diese finden sich, wie oben schon angeführt, im durchaus kohärent verschachtelten Mehr-Ebenen-System, vom Völkerrecht (UNGrundrechtskonventionen) ausgehend, über das Grundrechtsdenken des Europarechts (verankert in EUV/AEUV), über die bundesdeutschen Verfassungsvorgaben des GG (insbesondere Art. 1 und 2 GG), über die Vorgaben im System der Sozialgesetzbücher (vgl. § 1 SGB I) bis runter zu den Landesgesetzgebungen und dem entsprechenden Landesverordnungswesen (vgl. die WTG), die bedeutsam sind, um ein Referenzsystem einer Skalierung der Normalisierung des Wohnens im

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Alter heranzuziehen. Ein Moratorium mit Bezug auf den Neubau von Heimkapazitäten wäre vor diesem Hintergrund durchaus angezeigt. Maßstab jeder evaluativen Skalierung der Innovativität des Wandels des Sektors ist das Menschenbild des sozialen Rechtsstaates auf der personalistischen Grundlage der in der Natur des Menschen eingeschriebenen Würde (Art. 1 GG) in der Daseinsführung des Menschen, die sich in ihrer Semantik konkretisiert als Axiom der teilhabenden Selbstbestimmung (Art. 2) im möglichst selbständigen Modus ihrer Praxis im Alltag der Daseinsführung des Menschen. Einige anthropologische Überlegungen müssen dazu differenzierend eingebracht werden. Es versteht sich, dass dieses moderne Naturrecht der unantastbaren Würde als »heilige Ordnung des säkularen Rechtsstaates« (Möbius, 2020) angesichts der conditio humana immer bedingte Autonomie meint, da die menschliche Existenz nicht von absoluter Freiheit geprägt ist, sondern von relativer, also von einer in soziale Relationen eingelassenen Freiheit im Modus des gelingenden sozialen Miteinanders. Die Grenze der individuellen Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung ist eben das Grundrecht auf genau diese Freiheit des Mitmenschen, so dass sich an diese Freiheit a priori die Rücksichtnahme knüpft (Sittengesetz im Art. 2 GG). Der Mensch in seiner Selbst-Konzeption ist immer nur als der Knotenpunkt seiner sozialen Beziehungen zu denken. Nur in diesem Knotenpunkt kommt der personale Mensch zur Gestaltwahrheit. Deshalb knüpft sich die Selbstbestimmung an die Teilhabe im Miteinander als »Miteinanderverantwortung«. Dies ist die Differenz zwischen der Ideologie des atomistischen Individualismus einerseits und andererseits der ontologisch fassbaren Gestaltwahrheit der Personalität, die, um in der physikalischen Metaphorik zu bleiben, nicht atomistischer, sondern molekularer Art ist: Der Mensch entfaltet sein Wesen immer nur als Netzwerkwesen in der Wechselwirkung bzw. Gegenseitigkeit der Rolle des Miteinandermenschen: in sozialen Verkettungen, lebensgeschichtlichen Verstrickungen, kulturellen Einbettungen, geschichtlichen Bindungen, räumlichen Möglichkeiten, aber eben auch, in diesbezüglichen Überstiegen, Grenzüberschreitungen, individu-

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eller Plastizität (Selbsttranszendenz) und kollektiven Lernprozessen kreativer Überwindung von Pfadabhängigkeiten. Die Differenzierungen mit Blick auf die Grenzen der Autonomie sind aber nicht zu missbrauchen im Sinne einer schulterzuckenden sozialen Ignoranz des Zynismus, wonach es soziales Elend ja schon immer gegeben habe und auch immer geben wird: So sei der Mensch, so ist die Welt. Und die Alternative zu diesem sog. Realismus sei eine reine, letztendlich sogar gefährliche Utopie, sinnloser Moralismus. Diese Differenzierungen von Freiheit und Machbarkeit spielen unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit der rechtsstaatlichen Interventionen gestaltender Gesellschaftspolitik als Güterabwägung eine Rolle. Dies spielt gerade auch mit Blick auf fiskalische Machbarkeit vor allem volkswirtschaftlich schwächerer Gesellschaften eine Rolle. Gerade in diesem Fall des globalen Wohlstandsgefälles ist dann aber ebenso kein Achselzucken und Weg-Schauen die Antwort, sondern transnationale Solidarität. Die Alternative ist erneut ein ignoranter Zynismus »repressiver Toleranz«: »Andere Länder, andere Sitten«. Dabei ist in aller Achtsamkeit durchaus zu konstatieren: Sozialraumöffnung ist ohnehin keine triviale Aufgabe. Der empirische Befund zum status quo der Versorgungslandschaft, der leitenden Wertewelt und Organisationskultur seiner Einrichtungen und Dienste sowie der Haltungskultur der Professionen ist daran zu messen (SchulzNieswandt, 2018d), wie groß das Delta, die Kluft, zwischen Ist und Soll (was hier gar nicht so technisch gemeint ist, wie es klingen mag) ausfällt (Schulz-Nieswandt, 2020h). Leitend ist hier der Blick einer Kritischen Theorie: Wie kann das Wesen des Menschen Wirklichkeit werden, also Gestaltwahrheit annehmen, in einer unwahren (weil von Entfremdung geprägten) Welt? Sozialraumöffnung ist ein Strukturelement im Wachstum unserer Kultur des Miteinanders in den sozialen Praktiken des Umgangs mit dem höheren und hohen Alter. Es knüpft sich am Quartierskonzept der Care-Landschaften und beruht auf der Differenzierung der Wohnformen im Alter jenseits des binären Codes der morphologischen

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Dichotomie von Privathaushalt und Heim. Ein Sozialraum ist die von sozialer Vernetzung und Einbettung geprägte Lebenswelt im Alltag des Daseins. Die dringend anstehende große, gesellschaftspolitisch gedachte SGB XI-Reform ist wohnmorphologisch geprägt von der Idee der Normalisierung des Wohnens des Alters in differenzierten Formen, wobei der nach wie vor unter De-Institutionalisierungsdruck und Ent-Hospitalisierung (jetzt mit Blick auf die Form der Kasernierung unter Corona-Bedingungen) stehende Heimsektor sich einerseits nach Innen hin normalisieren muss, andererseits nach Außen hin sich öffnen muss, um nicht nur (im Sinne der Aktualgenese) im Binnenraum der Einrichtung ein Wachstum der Person durch aktivierende Teilhabechancen zu fördern, sondern auch im sozialen Austausch im Quartier die Partizipation im Quartier als Normalisierung des Wohnens zu ermöglichen. Die Sozialraumöffnung der Heime setzt, das ist tautologisch, die Heimstruktur voraus. Zum Sozialraum hin geöffnete Heime sind eine Modernisierung der Heime, aber dennoch pfadabhängige Veränderungen. Das in Formen differenzierte Wohnen im Alter im Quartier ist die wirkliche Alternative zum modernisierten Heim. Hieran knüpft sich die Idee der kommunalen Steuerung solcher Sozialraumbildungen bis hin zur Idee lokaler Caring Communities in transsektoral integrierten Infrastrukturen der Daseinsvorsorge (Schulz-Nieswandt, 2019c), immer um die Ankerfunktion des Wohnens zentriert und das Daseinsthema der Mobilität mit Blick auf die Teilhabe am Gemeinwesen einbeziehend. Um diese Öffnung von Innen nach Außen, um das Da-Draußen in das Innen zu holen, dreht sich die realexperimentelle Feldstudie GALINDA als Beobachtung, Evaluation und Begleitung kollektiven Lernens als kulturelles Change Management von Einrichtungen, die den Willen zur Selbstveränderung aufbringen, aber auch sich zur Fähigkeit der transgressiven Selbsttranszendenz lernend entwickeln müssen. GALINDA ist ein Veränderungsprozess auf der institutionellen Meso-Ebene von Einrichtungen, die als solche das Setting von Care-Prozessen, in die die Mikro-Ebene der Professionen (mit ihren Habitusformen), in komplexen Interaktionsordnungen mit den

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Bewohner*innen, Angehörigen, bürgerschaftlich Engagierten, Betreuer*innen und externen Regulationsakteuren der Sozialversicherungen und des Landes figurativ eingelassen, eingebunden ist. Von den Faktoren des Gelingens bzw. Scheiterns, von den Entwicklungspotenzialen und den Blockaden, den Pfadabhängigkeiten, von Unsicherheiten und Ängsten, von Offenheiten und Verschlossenheiten, von Mut, Phantasie, aber auch ökonomischen Interessen, Machtspielen, Blickverengungen etc. handelt sodann die Analyse und Interpretation der Befunde.

Im »Spinnennetz des Kapitalismus« Erforderlich scheint als struktureller Hintergrund die Explanation einer kurzen dichten Erzählung des großen Trends (Schulz-Nieswandt, 2020c): Care unter der hegemonialen Macht der Magie des kapitalistischen Geistes. Der zentrale Aspekt dieser Betrachtung ist: So, wie der Kapitalismus seine Ästhetik der Warenproduktion hervorgebracht hat, hat auch die Gemeinwirtschaft (Schulz-Nieswandt, 2020o) als Sorgeökonomik ihre eigene Poetik, jetzt aber als Narration des »guten Lebens«. Die Marktöffnung und Wettbewerbsorientierung als ordnungspolitische Philosophie der SGB XI-Einführung war der Kardinalfehler. Diese konstitutive Ursünde treibt die freien Träger in der Konkurrenz mit den privaten Leistungsträgern in das »Spinnennetz des Kapitalismus«, das nun zunehmend in der Logik der unternehmerischen Formalzielorientierung von transnationalen Kapital-Anleger-Modellen kolonialisiert wird, die Bedarfsdeckungswirtschaft zum Nebenziel erklärt und das Rendite-Dispositiv als Logik des Wirtschaftens dominieren lässt. Die Sachzieldominanz freigemeinnützigen Denkens (öffentliches Wirtschaften ist in diesem Sektor nach der rechtshermeneutisch vorherrschenden, engen Auslegung der vertikalen Subsidiarität des europäisierten Marktwettbewerbsdenkens: »privat vor öffentlich« i. V. m. dem funktionellen Unternehmensbegriff marginalisiert: Schulz-Nieswandt & Greiling, 2019) wird in der Blickverengung der horizontalen Subsidiaritätsauslegung (anti-diskriminatorische

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Gleichbehandlung gemeinwirtschaftlicher und privatwirtschaftlicher Unternehmen) zurückgedrängt. Und der Wettbewerbsdruck sowie die marktlogische akkulturative Sozialisation der freien Wohlfahrtspflege hat diese selbst in den Sog der unternehmensphilosophischen und unternehmenskulturellen Inskription des Geistes des mentalen, kognitiven, ästhetischen Kapitalismus getrieben. In neueren Debatten zur Gemeinwohlökonomie (Schulz-Nieswandt, 2020o) in verschiedenen Variationen wird die pathogene Fehlentwicklung hin zum malignen System der Renditeökonomik zunehmend erkannt. Der Gewährleistungsstaat des sozialen Rechtsstaates (Art. 20 GG) und die kommunalen Daseinsvorsorge (gemäß Art. 28) (hierbei nicht unbedingt trägerschaftlich, aber funktional gestärkt durch die europarechtliche Entwicklung im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem, d.h. öffentlichem Interesse) im Rahmen der eigengesetzlichen Ermächtigungskompetenz der Länder im bundesdeutschen föderalen Rechtsstaat (Art. 20 GG) sind kastriert worden. Und sie haben sich an dieser Kastration beteiligt durch endogene Praktiken des Vorantreibens der formalen Privatisierung im Modus gemischtwirtschaftlicher Modelle (Public Private Partnership) und der Politik »neuer Steuerung« (im Geiste von New Public Management). Damit wurde der Gewährleistungsstaat in der Schismogenese von Gewährleistung und Sicherstellung zum wohlfahrtsstaatlichen Kontraktmanager, der nun durch das europäische Wettbewerbsrecht des Gemeinsamen Binnenmarktes (obligatorischer Ausschreibungswettbewerb, limitierte Möglichkeiten des Betrauungsaktes und der Marktorientierten Direktvergabe sowie das vom EuGH eng definierte Inhouse-Prinzip, Vergaberecht, Beilhilferegulierung und Dienstleistungskonzessionsrecht) reguliert wird. Einige Kritikpunkte sind selektiert anzuführen. a) Der Kontraktmanager-Staat nutzt noch nicht einmal die Spielräume der Auslegung vergabefremder Kriterien aus. Damit verkümmert die Idee einer souveränen Regierolle eines integrierten PreisQualitätswettbewerbs regulierter Quasi-Märkte zum formalen Privatisierungsagenten im Modus des Billigkeitswettbewerbs mit Qualitätsdumpingeffekten.

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b) Mehr noch: Selbst die Differenz zwischen produktionstechnischer Effizienz (Minimax-Optimierung von Input zu Output) und Kosten-Effektivität (Outcome-Optimierung) wird hier nicht angemessen verstanden und sodann kreativ genutzt. c) Ferner: Wohlfahrtstheoretisch gesehen gehen in die Maximierung sozialer Wohlfahrt verkürzt nur die individuell-privaten Präferenzen (»preferences about private issues«) ein, aber nicht die individuell-öffentlichen Präferenzen (»preferences about social issues«), nicht die gesellschaftsgestaltungspolitischen MetaPräferenzen, keine meritorischen Erwägungen. Die agonale Polis der »struggle about ideas«-Praxis des Politischen wird hier wohlfahrtspolitisch nicht vollumfänglich abgebildet. Politik als Ideenpolitik verkommt zur Interessenspolitik im Neo-Korporatismus und Neo-Pluralismus. d) Die Vision einer dualen Wirtschaft (Gemeinwirtschaft versus Privatwirtschaft), die ganze Sektoren im Lichte des öffentlichen Interesses zum Ausnahmebereich (also Formen eines öffentlichen Gesundheitswesens oder eines ausschließlich freigemeinnützigen Pflegesektors) erklären, ist aus dem Diskurs ausgeschlossen worden.

Eine alternative Vision Was ist die Vision, die als konkrete Utopie, heute schon ansatzweise in der sozialen Wirklichkeit verankert, aber deutlich noch geprägt von den Konturen des Noch-Nicht, anzustreben sein sollte? Bausteine der Vision: Die anzustrebende Vision ist eine nachhaltige, bedarfsgerechte Versorgungslandschaft, transsektoral (Cure und Care umfassend) integriert, multiprofessionell funktionierend, vom Hilfe-Mix formeller und informeller Ressourcen geprägt, wohnort- und netzwerkbezogen, abgestuft um eine differenzierte Wohnlandschaft jenseits des binären Codes privater Häuslichkeit und Heim herum organisiert, auf die hybriden (stambulanten) Formen heterotoper Art (Foucault, 2013) zen-

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triert, lokale sorgende Gemeinschaften nachhaltig entwickelnd, eingebettet in eine Infrastrukturlandschaft, die den Kriterien der Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Erreichbarkeit und Akzeptanz entspricht.

Diese Vision (Dörner, 2012; 2014; Klie, 2019) knüpft sich einerseits an die verfassungsrechtlich mögliche, ja, eigentliche zwingend erforderliche Ermächtigung kommunaler Daseinsvorsorge (Art. 28 GG) in Kooperation mit den Sozialversicherungen als parafiskalische Organisationen des staatsmittelbaren Sektors der Selbstverwaltung, um die Choreographie dieser Sozialraumbildung als öffentliche Aufgabe (Schulz-Nieswandt & Greiling, 2019) gewährleistungsstaatslogisch aufzugreifen und effektiv sicherzustellen. Etwas mehr »Munizipalsozialismus« ist demnach in diesem Sinne dringlich nötig. Andererseits benötigen wir im Rahmen dieser kommunalen Daseinsvorsorge lokale/regionale generative Agenturen (SchulzNieswandt, 2018d; 2019f; 2020k; 2018c; 2020q), die die Sozialraumbildung der Caring Communities im Sinne der »Hilfe zur Selbsthilfe« als Philosophie genossenschaftsartiger »Miteinanderverantwortung« vorantreiben, quasi als Inkubatoren der Sozialraumbildung wirksam werden. Auf diese Sozialraumbildung sollte sich auch das Aufgabenprofil der Beratungs- und Prüfbehörden der Länder, worauf noch zurückzukommen sein wird, im Sinne des dialogischen Verfahrens weiterentwickeln, ohne zugleich ihre notwendige Wächterfunktion aufzugeben. Diese Vision wird in der aktuellen Pflegereformdiskussion vom KDA deutlich als radikale Vision einer Pflegereform als Teil der Gesellschaftsgestaltungspolitik mit Bezug auf interdependente Teilgebiete der Sozialpolitik angesichts der Interdependenz von Raumordnungspolitik, Verkehrspolitik, Arbeitsmarkt und Berufsbildungspolitik, Familien- und Genderpolitik, Bildungspolitik, Einkommens- und Vermögenspolitik positioniert. Doch der SGB V-Bereich darf nicht ausgespart, sondern muss in die Betrachtungen einbezogen werden. Im SGB V-Bereich benötigen wir für quartierbezogene Sozialraumorientierungen in der Pflege auch eine radikal andere, innovative

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Stärkung der ebenso »stambulanten«, also hybriden Primärversorgung durch integrierte, multiprofessionelle Cure- und Care-Zentren, jenseits der berufsständischen Logik der niedergelassenen Ärzte als anachronistische Betriebsform einerseits und andererseits jenseits der singulären Krankenhäuser, die ohnehin in Konzentrationsprozessen infolge der Spezialisierung und der Optimierung der Betriebsgrößen eingebunden sind und Anpassungen in der auf der Theorie der zentralen Orte aufbauenden räumlichen Standortverteilung ausgesetzt sind. Hier wird ein erkennbar alternatives System der Primärversorgung erforderlich sein. Moderne Gebilde von multi-disziplinären Versorgungszentren sind anzudenken. Gemeint sind Gebilde, die Cure und Care mischen, soziale, pflegerische und medizinische Kompetenzen im Quartier wohnformenzentriert und netzwerkbezogen anbieten, verfügbar, erreichbar, zugänglich eine hohe soziale Akzeptanz generieren. Es wird nicht hinreichend sein, im Lichte des Nexus der Megatrends des demographischen Wandels und der epidemiologischen Transition, angesichts des Sozialstrukturwandels, der, wie es auch der Fall ist in der räumlichen Nutzungsstruktur, Zentrum-Peripherie-Muster der sozialen Ungleichheit und der sozialen Ausgrenzung ausbildet, einfach nur mehr Geld in das System zu pumpen (also das Leistungsrecht zu verbessern und mehr ökonomische Belohnungsansätze als angewandte Verhaltensökonomik zu implementieren), das regulative Ordnungsrecht (verpackt als Verbraucherschutzpolitik angesichts des epistemischen Dispositivs der pauschalen und generalisierten Vulnerabilität des Alters jenseits der Befunde differenzieller Gerontologie) weiter zu »kafkaistischen« Irrungen und Wirrungen zu treiben, aber das Vertragsrecht – letztendlich die Steuerung – dem Ordo-liberalen Dispositiv der Marktkonformität (vgl. auch in Schulz-Nieswandt, 2020p) zu überlassen. Zumal die Steuerung zu weit entfernt ist von einer Optimierung der Prozessqualität, um sich final auf die Ergebnisqualität (letztendlich auf die Lebensqualität) auszurichten. Etwas mehr »politics against markets« ist demnach also dringlich.

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Ordnungspolitische Voraussetzung ist ein Moratorium des stationären Sektors, d.h.: Keine neuen Investitionen sollen mehr in traditionelle Heimformen vorgenommen werden. Das setzt aber eine Reform des Vertragswesens voraus. Die Einführung eines obligatorischen Kontrahierungszwanges war eine fatale Fehlentscheidung. Im Rahmen kommunaler Pflegestrukturplanung sollte nur unter Vertrag genommen werden, was bedarfsgerecht in die erwünschte Pflegestrukturplanung passt und benötigt wird. Dazu gehört die Öffnung der Heime als Ziel im Rahmen einer Sozialraumbildung. Einrichtungen müssen sich sodann einbinden lassen in die transsektorale Choreographie kommunaler Pflegestrukturplanungen. Dazu benötigen wir effektive konzertierende Konferenzstrukturen. Selbstreflexiv muss diese Position beachten: Die Substitutionselastizität zwischen vernetzter privater Häuslichkeit und Heimlösung ist komplizierter als es sich ein quasi hydraulisches Denken von idealistischen Sozialreformingenieuren gesinnungsethisch vorstellen mag. Der Heimsektor wird man daher nicht einfach abschaffen können. Erforderlich ist die Modernisierung bestehender Einrichtungen, orientiert an Lebensqualitätsmodellen, die die Normalität des Wohnens (Heime sind keine Orte zur Hospitalisierung und akutklinischen Medikalisierung) unter dem Aspekt der Aktualgenese skalieren. Es geht also auch um eine Kulturtransformation des Innenraums. Auch diese Modernisierung der Innenkultur im Spiegel der validierten Lebensqualitätsforschung ist folglich von herausragender, ja zentraler Bedeutung. Die Modernisierung der Innenraumkultur von Einrichtungen ist eben zu verstehen als die korrelative Rückseite der nach Außen drängenden Sozialraumöffnung der Einrichtungen. Wir benötigen hier weniger Qualitätsmanagement mit Fokus auf die Strukturqualität, sondern eine Kultur sozialer Lernprozesse von Einrichtungen, die das Wohnen in stationären Settings der Langzeitpflege endlich normalisieren (KDA, 2019; 2020). Es geht daher mehr um das Prozessgeschehen als um die Inputseite des Effizienzund Effektivitätsdenkens. Ohne Input geht es nicht. Sorge ist keine »free lunch«-Veranstaltung im Nirwana. Aber der Input notwendiger Ressourcen und die sich daraus ergebenen Strukturen sind nur eine

A. Eine integrierte Zusammenhangsanalyse

notwendige Voraussetzung, keine hinreichende Bedingung, um Lebensqualität in personaler Würde zu gewährleisten. Das bedarf – dazu nochmals weiter unten – auch einer anderen Logik und Politik der Qualitätskontrolle seitens des Staates als »Wächter« (Schulz-Nieswandt, 2020i). Ferner ist notwendig eine Fokussierung auf neue hybride Formen, der Formel »weder ambulant noch stationär« folgend. Zweckdienlich dazu wäre eine radikal innovative Fortführung (andockend an die sich herausbildende KDA-Idee »Wohnen 6.0«) der Vergabe von lokalen/regionalen Gesamtversorgungsverträgen in der verantwortlichen Trägerschaft der genossenschaftlich organisierten individuellen wie institutionellen Bürgerschaft des Quartiers, also nicht monopolisiert in der Hand eines im lokalen oder regionalen Raum dominierenden Marktanbieters von Einrichtungen. Dies wären nur Mitglieder in der Quartiersgenossenschaft. In dieser Idee verknüpft sich die Sozialraumöffnung von Einrichtungen an eine bürgerschaftliche Demokratisierung der Steuerung. Das erinnert gewollt an die antike Idee der Polis. Zwischenfazit zur großen Erzählung: Sozialraumbildung ist ein sehr voraussetzungsvoller sozialer Lernprozess. Die Öffnung der Heime zum Sozialraum ebenso. Sozialraumbildung ist hierbei aber nur ein Strukturelement einer großen Erzählung eines neuen Drehbuches kommunaler Pflegepolitik als Teil einer Gesellschaftspolitik der »Miteinanderverantwortung« im Generationengefüge, das jede Gesellschaft, morphologisch komplex verschachtelt mit anderen Ungleichheitsmechanismen und Differenzierungsdimensionen, darstellt. In dieser größeren Erzählung einer Vision kommunaler Pflegepolitik wird auch darüber fabuliert, wie eine neue gesellschaftliche Steuerung aussehen muss. Die MesoEbene der Einrichtungen ist ja in diesen Makro-Kontext eingebettet. Die Care-Landschaften müssen vom Geist einer Gemeinwohlökonomik (Schulz-Nieswandt, 2020o) geleitet werden. Das Feld ist nicht geeignet für eine Dominanz privatwirtschaftlicher Kalküle, die die öffentliche Aufgabe, die sich hier unserer Kultur der Miteinanderverantwortung stellt, nicht bewältigen kann. Der herrschende ökonomische Diskurs

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bahnt jedoch andere Pfade in eine problematische Perspektive, die ich als »Spinnennetz des kapitalistischen Geistes« bezeichnet habe. Es geht auch in der Gemeinwirtschaftlichkeit nicht um Gewinnverzicht, sondern a) um gute Arbeitsbedingungen der Erwirtschaftung von Gewinnen und b) um die gemeinwirtschaftliche Gewinnverwendung, also um die bedarfsgerechte Reinvestition. Die Logik des Managerkapitalismus: Wenn es um die Ausschüttung der Dividenden geht, ist bereits das Spiel verloren: Dann dominiert im Managerkapitalismus die Gewinnmaximierung, nicht die auf die Lebensqualität der Bewohner*innen abstellende Bedarfsdeckungswirtschaft. Indikator für diesen malignen Geist der Gewinnmaximierung als Selbstzweck ist die soziale Phantasielosigkeit der Objektinvestitionen: Pflegeepidemiologisch wird ein steigender Bedarf berechnet, dem sodann ein entsprechend steigender Bedarf an Heimplätzen als Antwort korreliert wird. Der darum wiederum notwendige Kapitalbedarf für die Investitionen soll in tiefer Dankbarkeit oder gar Fetisch-artiger Huldigung durch die Kapitalakquise der Kapital-Anleger-Modelle gedeckt werden. Die GegenGabe zu dieser Liebes-Gabe ist das Renditeversprechen. Aus diesen sozialen Mechanismen mag die ökonomische Theorie mathematische Modelle basteln; sie bleibt im Kern primitiv: Ein faustischer Pakt mit dem Teufel, denn die Seele der eigentlichen Sorgeökonomik wird verkauft. Des Pudels Kern ist zu erkennen.

Das Problem hat dabei viele Gesichter. Wir brauchen keinen Bettenkapazitätsboom sozial exkludierender Heimstrukturen. Das Kapital muss investiv in die Vision einer kommunal gesteuerten inklusiven Gemeindeordnung genossenschaftsartiger Sorgelandschaften fließen. Daher müssen wir andere Lösungen suchen und finden. Nochmals als conclusio: Die Logik der Gemeinwirtschaft wird hier den Sektor frei halten müssen vom faustischen Geist des Kapitalismus, der sein Spinnennetz ausbreitet, in dem dann, wie einst durch das Singen der Sirenen in der Odyssee, die Menschen eingefangen und ins Unglück gestürzt werden.

A. Eine integrierte Zusammenhangsanalyse

Modernisierung des Wächterstaates Die Kritik der Märkte – vor allem dann, wenn sie »maligne« Charaktereigenschaften des kapitalistischen Geistes annehmen – ist die eine Seite der Problematik. Aber alle Dinge haben zwei Seiten: Der Gewährleistungsstaat selbst ist in seinen sozialen Praktiken zu modernisieren. Die Kritik des Marktversagens ist schwierig zu kommunizieren, wenn auch Formen des Staatsversagens in den Diskurs eingebacht werden. Dann steht man im Sinne eines »comparative institutional approach« vor der Vergleichsfrage: Welches Seite versagt schlimmer? Diese auf innovatives Lernen abstellende Perspektive betrifft auch die Frage der Beratungs- und Prüfbehörden, wie sie z.B. im Land Rheinland-Pfalz im Rahmen der WTG-Implementation im Wandel befindlich sind. Hier ist auf den diesbezüglichen Evaluationsbericht der Universität zu Köln (Schulz-Nieswandt, Köstler & Mann, 2019; 2019ff.; Schulz-Nieswandt, 2020i) zu verweisen. Dabei geht es einerseits um die Wächterfunktion (diese Figur ist durchaus argumentierbar in Wahlverwandtschaft zum SGB VIII), andererseits um das sog. dialogische Verfahren, wodurch dergestalt die Einrichtungen zu innovativen Problemlösungen (z.B. in der Situation des Fachkräftemangels) anzuregen oder gar im Rahmen einer evaluativen Begleitung zu befähigen sind. Die Behörden sollen also eine Art von Inkubatorrolle für soziale Innovationen spielen. Dabei werden diese sozialen Innovationen in ihrer Entwicklung und Entfaltung jedoch als kultureller Wandel im Modus sozialen Lernens begriffen. Denkmodelle müssen sich ändern, Wahrnehmungsweisen müssen ersetzt werden, Interpretationen des Erwünschten neu geformt werden, die Ausgangslage kritisch eingeschätzt und die Zielfunktion des Wandels neu gebildet werden. Die Primary Nursing-Innovationen sind ja nur ein Anlass. Die im Lichte des Fachkräftemangels angesprochene Frage nach »Primary Nursing«Alternativen, die auf individualisierte Bedarfsdiagnostiken aufbauen und sodann passungsoptimal ein Personalqualifikationsmix vorhalten, ist ja nur ein, wenngleich aktuell breit und tief diskutiertes Thema, das in diesem Innovationskontext aufgegriffen wird (Schulz-Nieswandt, Köstler & Mann, 2019ff.).

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Die hier vertretende Meinung, es gäbe ausgeprägte Formen von Markt- und Unternehmensversagen – auch Professionenversagen auf der Mikroebene der sozialen Interaktionen (Pflege ist ja soziale Interaktionsarbeit) –, erfordern auch mit Blick auf einen notwendigen Erwachsenenschutz die Missbrauchsaufsicht der staatlichen Behörden. Dieses Versagen ist einerseits dem Wettbewerbsdruck der Märkte geschuldet, die dazu drängen, die Sachziele (Moralökonomik der Bedarfsdeckung und Qualität) zugunsten der Formalziele (Kosten und Gewinne) zurückstellen, andererseits verweisen diese Versagensprobleme auf Defizite in der achtsamen Haltungspflege von Einrichtungen im Sinne ihrer Unternehmenskultur. In der angeführten Evaluation zu dem Wandel des Arbeitsprofils der Behörden in Rheinland-Pfalz validiert sich ein Ampel-System in der Landschaft der Einrichtungen. Die Unternehmen sind sehr unterschiedlich aufgestellt a) in ihrer Resilienz, den Wettbewerbsdruck ohne Opportunismus zu bewältigen, b) in ihrer inneren Innovationsbereitschaft und c) ihrer Werte-orientierten Achtsamkeitskultur in Passung zu den normativ-rechtlichen Vorgaben grund- und sekundärrechtlicher Art. Einerseits. Andererseits gilt: Auch staatliche Behördenkulturen der Leistungsund Ordnungsverwaltung müssen sich als lernende Organisationen erweisen. Auch das ist schwierig, aber nicht unmöglich. Das Land Rheinland-Pfalz geht mit dem notwendigen Selbstwertgefühl willentlich diesen Weg. Eine »free lunch«-Veranstaltung ist dies allerdings nicht. So zeigen die Erfahrungen in Rheinland-Pfalz, dass die Behörden sich selbst weiterentwickeln müssen und sich befähigen bzw. im Rahmen der Landespolitik – so, wie es die bundesdeutsche Verfassung vorsieht – befähigt werden müssen, in dialogische Beziehungen, souverän, aber mit Respekt und Offenheit für entwicklungswillige und – fähige Einrichtungen und Träger, zu den Einrichtungen und ihren Trägern zu treten, um soziale Innovationen voranzutreiben. Von Interesse ist, dass, auch dies wird in der Gesetzgebung reflektiert, eine solche Verwaltungspolitik der dialogischen Kultur explizit philosophisch fundiert wird, hier im Rekurs auf Theorien der gegenseitigen Anerkennung und des Respekts.

A. Eine integrierte Zusammenhangsanalyse

Der Staat als Wächter im Feld der Sorgearbeit muss eine aktivierende Rolle mit Blick auf die innovative Organisationskulturentwicklung der Sorgeeinrichtungen spielen.

Fazit Der A-Normalitäts-Diskurs ist in der Kulturwissenschaft und in der epistemologisch kritischen Psychiatrieforschung mit soziolinguistischem Blick auf die binäre Codierung und mit Blick auf die Auswirkung stigmatisierender Ausgrenzung breit geführt worden. Noch immer werden Heime sprachstrategisch als »Sonderwohnformen« behandelt und oftmals gar nicht als Orte des Wohnens, sondern als Pflegeeinrichtungen bezeichnet. Hier ist eine strukturelle Fehlwahrnehmung verankert. Diese codiert die Bewohner*innenschaft zur Quasi-Patient*innenschaft, das Heim zum Quasi-Krankenhaus: {Bewohner*innen → Patient*innen} → {Heim → Krankenhaus} → Entprivatisierung des Wohnens → Hygienestandards öffentlicher Anstalten → Überverrechtlichung, Überregulierung, Überbürokratisierung, hydraulische Regime des Qualitätsmanagements, Dokumentationsfetischismus.

Der »Quasi«-Krankenhaus-Status verweist darauf, dass der Programmcode der Akutmedizin (Kampf mit dem Tod oder Maschinenbau-Arbeit im OP) hier nicht zutrifft, wenngleich die Notfallversorgungsfrequenz hoch sein mag. Hinzu kommt, dass sich die Wohndauer durch den Anstieg des Alters bei der Heimübersiedlung reduziert hat, wodurch das Heim als Geschehensort dieser letzten Grenzsituation im Lebenszyklus erlebt wird. Unter den Bedingungen von Corona hat die Problematik paternalistischer Fürsorge-Denkens im Verbund mit einem SicherheitsDispositiv des kulturellen Selbstverständnisses stationärer Settings

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mit der Abschirmung der Bewohner*innenschaft als präventive Quarantänestrategie eine weitere Eskalationsstufe angenommen: Die gut gemeinte Fürsorge für den alten Menschen steigert sich zur pauschalen Kollektivkasernierung. Die entscheidenden Fragen wurden hierbei – wirklich nur aus Zeitmangel in der Krise? – nicht gestellt: 1) Wie steht es um das Grundrecht des älteren und alten Menschen auf Selbstgefährdung als Ausdruck der Selbstbestimmung? 2) Welche individualisierten Lösungen im Kontext der figurativen Ketten von Selbst- und Fremdgefährdungen – eine Risiko-generierende Interdependenz, die sehr ernsthaft einzukalkulieren ist – hätte man suchen müssen? Beispiele guter Praxis gab und gibt es ja durchaus. 3) Wie steht es um seine grundrechtlich verstehbare Teilhabepräferenz und um die Bedürftigkeit sozialraumorientierter Kontakte? Ist nach dem (mutmaßlichen) Willen der älteren und alten Menschen gefragt worden? Wohl eine rhetorische Frage. Hier wünschte ich, meine kritische Hypothese würde – entgegen, psychologisch gesehen, der üblichen Neigung in der Forschung, aufgestellte Hypothesen verifiziert zu bekommen – falsifiziert. Ich fordere zur Ehrlichkeit (in Bezug auf Fakten) und zur Achtsamkeit (in Bezug auf Risiken im Sinne eines Potenzials) auf: Im Durchschnitt, im Trend oder wie immer man die Offenheit für gewisse Differenzierungen in der Landschaft sprachlich (wenn auch mathematisch nicht exakt) zum Ausdruck bringen will: Wir reduzieren die Menschenwürde im Alter oftmals auf den sozialen Code »satt, sauber, sicher«. Wir benötigen daher einen radikalen Diskurs der Kritik des Denkens und der Verhältnisse, also in Bezug auf Überbau und Basis, Ideen und Interessen, Geist und Begierde. Mit Blick auf die problematisierungsbedürftige Praxis muss er geführt werden mit der ministeriellen Politik, mit den Trägern der Einrichtungen, mit den Professionen in diesem Feld, mit der Bürger*innenschaft der Quartiere. In der Wissenschaft müssen die Disziplinen der Sozialpolitikforschung ihren Blick ebenso radikal neu ausrichtend öffnen. Denn auch die einzelnen Disziplinen können an bornierten Engführungen ihrer Blickweise erkrankt sein und leiden. Die Soziologie z.B., wenn sie der Meinung ist, sich auf die Generierung empirischer Befunde ausruhen zu dürfen. Wissens-

A. Eine integrierte Zusammenhangsanalyse

soziologisch ist aber die Frage zu stellen. Was sagen uns die Befunde? Was bedeuten sie für uns? Die Bedeutung bedarf dann aber normativer Bezugspunkte. Diese können wir aus der Grundrechtelandschaft im rechtlichen Mehr-Ebenen-System ziehen. Aber dabei geht es um die Explikation der impliziten ontologischen, anthropologischen und sodann rechtsphilosophischen Substanzen des modernen demokratischen Naturrechts der Person: »dignity is inherent«. Wenn in einem breiteren, sogar auf den Wandel der Form der Globalisierung abstellenden gesellschaftlichen Sinne (Becker, 2020; Di Cesare, 2020; Brink u.a., 2020; Kleve u.a., 2020; Badiou, 2020; Kortmann & Schulze, 2020; Welfens, 2020; Heidingsfelder, 2020, Fratzscher, 2020) darüber reflektiert wird, wie das Corona-Erlebnisgeschehen das soziale Leben sogar u.a. im Sinne von Entschleunigung und mit Blick auf ein neues, immer schon angedachtes soziales Wachstum des Wohlstands positiv anregen könnte, fragt es sich, wo die analoge Diskussion der stationären Langzeitpflege bleibt. Wo? Geht es nur um das Grundrecht auf die Party-Feier? Geht es um die (die Sozialmilieus) erlernte(r) Unfähigkeit temporären Verzichts? Um die Fähigkeit zum Triebaufschub? Einerseits geht es wohl um die Verwandtschaftshorden, die ihre Feier nicht verschieben können. Andererseits geht es um die (auch intellektuelle) Jugend, die in der urbanen Dichte ihre hormongesteuerte Szene-Kneipen-Performativität wohl nicht im Selbstmanagement bewältigt bekommen. Ethische (Mierzwa, 2020s; 2020b, Gärtner, 2020; Kröll u.a., 2020) und sozialpolitische Debatten (Scherr, 2020; Behring & Eichenberg, 2020) zur themenpolitischen Ausgrenzung es Heimsektors werden ja im Ansatz geführt. Das Deutsche Zentrum für Altersfragen und die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (Stellungnahme vom 24. April 2020) haben sich fachpolitisch früh kritisch geäußert. Aber das blieb m.E. dennoch relativ verhalten. Der Beirat der LandesSeniorenVertretung Bayern e.V. forderte in einer Pressemitteilung vom 29. September 2020 »Besuchs- und Hygieneregelungen für Heime, die den Bewohnern ein grundgesetzkonformes selbstbestimmtes Leben und Sterben ermöglichen.« Das Kuratorium Deutsche Altershilfe nahm deutlicher Stellung.

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B. Eine vertiefende psychodynamische Kulturanalyse

Der nun beginnende Teil B entfaltet Hypothesen zur Erklärung der Kasernierungsdynamiken strukturalistisch als kulturelle Grammatik des sozialen Geschehens aus der Perspektive psychologischer Tiefenanalysen. Die Psychoanalyse erweist sich hierbei als Hermeneutik der sozialen Praktiken und ihren institutionellen Ordnungen. Die strukturale Analyse ist geprägt von der analytischen Nutzung binärer Codes. Dazu gehört der Rahmencode Da-Draußen : Innenraum, wobei der Innenraum wiederum als panoptischer Schutzraum für Schutzbefohlene, deren Erlebnisraum als andersartig und daher fremd verstanden wird, dergestalt codiert wird, dass es im Innenraum zu einer Grammatik der fürsorglichen Ab- und Ausgrenzung kommt: Heim als fürsorglicher Innenraum → Ausgrenzungen als Innenräume als ein Draußen innerhalb des fürsorglichen Innenraums. Die Dämonisierung des fremden Andersartigen wird zum Anlass für Haltungen und Praktiken einer Dämonenabwehrzauberei. Fürsorge knüpft sich demnach an Macht über das, was nicht verstanden wird und somit Angst macht. Eine inklusive Welt des um das Wohnen kreisende Alltagsleben im Alter muss anders aussehen: Eingebettet in die Fundamentalnormen des Mehr-Ebenen-Systems des Rechts (der Grundrechtskonventionen

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des Völkerrecht, des unionsbürgerschaftlichen Grundrechtsdenken im Europarecht, des Verfassungsordnung des GG, der Sozialgesetzbücher und der eigengesetzlichen Strukturen der Länder) geht es um eine Vision einer kommunalen Pflegepolitik, die quartiersbezogen radikal sozialraumorientiert ist und auf einer bedürfnisgerechten Differenzierung der Wohnformenlandschaft im Alter beruht. Um diese Wohnformen herum wird als Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge eine Lebenswelt der Caring Communitys im Kontext professioneller sozialer Infrastrukturen entwickelt. Im Rahmen der verfassungsrechtlich vorgegebenen föderalen Struktur muss eine Kooperationskultur der Kommunen und der Sozialversicherungen generiert werden, die die Marktentwicklungen steuernd einbindet und das Feld trans-sektoral stärker gemeinwohlwirtschaftlich ausgestaltet. Die sozialkapitaltheoretisch fassbaren lokalen Sozialräume in der kommunalen Lebenswelt sollen sich als eine genossenschaftsartige Form der inkludierenden Gegenseitigkeitshilfe als »Miteinanderfreiheit« und »Miteinanderverantwortung« entfalten. Damit würde der Heimsektor als Sonderwelten stationärer Pflege residualisiert. Die verbleibenden Heimstrukturen müssen aber in ihrem Innenraum ebenfalls mit dem Fluchtpunkt der Normalisierung kulturell transformiert werden.

I. Der alte Mensch als »Figuration des eingeschlossenen Ausgeschlossenen« Corona als Kontext hyperbolischer Ausgrenzung

In dem vorliegenden, sehr komplexen Text setze ich mich, mich in den Grundzügen in Teil A dargelegt worden ist, in einer kritischen Analyse mit der Situation in Einrichtungen der Pflege in Corona-Zeiten auseinander. Ich wiederhole meine Sicht auf das Geschehen: Meine Kritik bezieht sich darauf, dass die Pflegeheime Orte des alltäglichen Lebens und normalen Wohnens sein sollten, de facto aber die an sich ja auch wichtigen Themen von Schutz und von Sicherheit stattdessen die Gewährleistung sozialer Kontakte die Wirklichkeit mehr denn je dominierend bestimmen. Aus meiner Sicht hat Corona die Dichteform der Isolierung in gesteigerter Form auf die Spitze getrieben. In diesem Sinne sprach ich von einer Eskalation. Ich zeige in meinem Text auf, dass die aktuelle Krise uns als Gesellschaft den Spiegel der Beschämung und der Unterlassungsschuld vorhält, und dies, weil die Transformation der Wohnformen im Alter als Normalisierung der Form des sozialen Daseins mit den Dimensionen von Selbstbestimmung, Selbständigkeit und Teilhabe nicht gelungen ist. Worum geht es? Was ist der daseinsthematische Fluchtpunkt meiner Positionierung? Meine Abhandlung über den (alten) Menschen als Keimträger im Pflegeheim (Schulz-Nieswandt, 2020d) hatte ich abge-

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schlossen und war in den Satz gegangen, bevor die Corona-Krise so richtig Konturen annahm. Diese erst kürzlich im November 2020 vorausgegangene Abhandlung ist durch die vorliegende Studie nicht überflüssig geworden. Deshalb habe ich sie in ihrem Produktionsprozess nicht gestoppt. Eher gilt das Umgekehrte: Die vorliegende Studie diskutiert die Eskalation der Geschehensprozesse, die in der KeimträgerStudie (Schulz-Nieswandt, 2020d) problematisiert worden sind. Studie »Der Mensch als Keimträger« → Normalsituation im Sektor stationärer Langeizeitpflege   Studie »Der alte Mensch als Verschlusssache« → »Hyperbolisierung« unter pandemischen Bedingungen Das besagt auch der Titel dieses Abschnittes I, der in einer früheren Textwachstumsphase des vorliegenden Buches einmal angedacht war: Die Figuration des »eingeschlossenen Ausgeschlossenen« (Emmrich, 2020) als hyperbolische Bewegung. Diese Sicht ist sodann also nur in den Titel dieses Kapitals eingegangen. Das bedeutet: Die aktuellen Probleme der grundrechtlich verbürgten Lebensqualität des älteren und alten Menschen im stationären Setting sind keine Sondersituation unter Corona-Bedingungen: Sie gehören zur Regelversorgungswelt einer Wohlfahrtskultur eines Sozialstaates, der offensichtlich »Sicher-SattSauber-Trocken« (SSST-Modell) als ausreichender Mindeststandard oder gar als semantisch hinreichende Substitution von Würde im sozialrechtlichen SeSeTe-Modell (Selbstbestimmung, Selbständigkeit, Teilhabe) versteht. Wohlfahrttheoretisch ist das SSST-Modell aber dem SeSeTe-Modell unterlegen. SSST-Bedingungen sind eine Voraussetzung, aber keine hinreichende Bedingung für die Würde des SeSeTe-Modells. Man muss sogar bedenken, dass ein S noch dazukommen kann: »still« sein (Kreimer & Meier, 2012). Dann hätten wir ein SSSST-Modell, dass schon kein Mindeststandard mehr ist, weil es im Inneren widerspruchsvoll (↔S↔) eine Dimension struktureller Gewalt enthält: Die Diskriminierung des älteren und alten Menschen als nervig, auffällig, störend:

I. Der alte Mensch als »Figuration des eingeschlossenen Ausgeschlossenen«

SSS↔S↔T. Es geht als um Grundrechtsverletzungen. Das ist angemessen zu verstehen: Wir reden über Menschenrechtsverletzungen in der Bundesrepublik Deutschland. In Bezug auf Corona geht es mit mir gar nicht um die Einschränkungen der Mehrheit der Bevölkerung. Diese sind ärgerlich. Und einigen Bevölkerungskreisen als Arbeitnehmer*innen oder Unternehmen geht es an die wirtschaftliche Existenz. Jetzt, im Dezember 2020, den Text korrigierend, wird die Erwartung der InsolvenzWelle diskutiert. Das jedoch ist eine Aufgabe der (europäisch koordinierten) Wirtschaftspolitik und ihren sozialen Aspekten als Teil der Gesellschaftspolitik. Allein dies ist ein Problem, wie nicht nur oftmals der Kompetenzstreit zwischen EuGH und BVerfG allgemein zeigt. Die Grundrechtseinschränkungen im normalen Alltag der Bevölkerung sind m.E. ethisch angemessen und dürften verfassungsrechtlich unter der Bezugnahme auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zur Akzeptanz führen. Dass diese Einschränkungspraktiken sogleich wieder den rechtsradikalen Sumpf zum Blubbern bringen und Möglichkeiten generiert, gegen den Rechtsstaat zu geifern, ist seit der Dynamik der AfD und vergleichbaren Entwicklungen in anderen Demokratien nicht mehr überraschend. Dabei kann man doch sein Bier auch zu Hause trinken. Aber dann fehlt ja auch noch der Fußball im Stadion. Die Grundrechtsverletzungen sind im Sektor der stationären Langzeitpflege dagegen tatsächlich ein Problem. Die Entwicklungen im ambulanten Sektor klammern wir hier aus. Auch hier eskalieren nun die länger schon (also Corona-unabhängigen) Überlastprobleme und Strukturverwerfungen gesellschaftspolitisch unhaltbarer Risikoprivatisierungspolitiken. Dieses Problem habe ich in einem anderen KDA-Positionspapier diskutiert (Schulz-Nieswandt, 2020b): Der Gründungsmythos des SGB XI erzählte davon, dass die Pflegelasten von der Sozialversicherung übernommen und Pfade aus der Armut und Sozialhilfeabhängigkeit ermöglichst werden. Die Dynamik der Eigenanteile zeigt, dass sich die soziale Wirklichkeit von dem Mythos entfernt hat. Doch der Mythos hatte das existenzielle Daseinsproblem ohnehin insgesamt verkürzt erzählt: Warum gilt: Risikovergesellschaftungs-

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grad im bedarfsdeckungswirtschaftlichen SGB V versus plafondierte Grundsicherung im SGB XI, also:

SGB V: Bedarfsdeckungswirtschaft ↔ SGB XI: gedeckelte Grundsicherung Solidaritätsgrad SGB V Solidartitätsgrad SGB XI Risokoprivatisierung SGB V Risikoprivatisierung SGB XI?

Warum werden der implizite archaische Biologismus (die Sorgelast der Familie und Frauen) ebenso wie die Wohnformen- und Versorgungslandschaft nicht hinreichend radikal und kritisch problematisiert? Doch diese unheile, oftmals unschöne Lebenswelt der privaten Häuslichkeit ist in der vorliegenden Studie zukunftsorientiert indirekt bzw. implizit mitverhandelt: Dann nämlich, wenn die Studie dafür plädiert, die überflüssige Strukturen der institutionalisierten Pflege in stationären Settings aufzulösen und zu überführen in Caring Communities in den Quartieren. Diese Perspektive kann hier im Status des nur skizzierten Blickes verbleiben, geht es vorliegend mehr um die kritische Analyse, nicht um situative Lösungsempfehlungen. Diese zukunftsorientierte Perspektive als Vision einer Neuordnung des Feldes wird in einer umfassenden Monographie entfaltet (Schulz-Nieswandt, Köstler & Mann, 2021). An der jetzigen Versorgungsstruktur in Corona-Zeiten ist in grundsätzlicher Hinsicht nicht viel zu verändern. Die im April/Mai 2020 angelaufene Öffnungsperspektive ist eine situative Politik im Lichte der Verantwortungsethik. Sie benötigt mehr Flexibilitätsphantasien. Dahinter verbergen sich auch Güterabwägungen zwischen verschiedenen Grundrechten (Unversehrtheit versus Selbstgefährdung, Schutzbedürftigkeit versus Teilhabechancen). Diese Positionierung von mir ist nicht unseriös, wenngleich unbequem. Man schaue z.B. in das gemeinsame Statement der Sektionen für Geriatrische Medizin (II), Sozial- und Verhaltenswissenschaftliche Gerontologie (III), Soziale Gerontologie und Altenhilfe (IV) der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geria-

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trie (DGGG e.V.) »Partizipation und soziale Teilhabe älterer Menschen trotz Corona-Pandemie ermöglichen« vom 24. April 2020. Die These – quasi wie ein Zwischenfazit einbauend – lautet daher, mich wiederholend: Diese pauschale Stigmatisierung der Schutzbedürftigkeit der vulnerablen Gruppe der »Alten« kappt die gerade erst im langsamen und widerspruchsvollen Wachstum befindliche Sozialraumöffnung der Heime. Das Motto dieser Fehlentwicklung lautet: Schutz und Sicherheit statt soziale Kontakte: Das Grundrecht des kalendarisch alten Menschen auf Selbstgefährdung als Ausdruck der Selbstbestimmung mit Blick auf das ebenso grundrechtlich kodifizierte Teilhaberecht wird massiv verletzt.

Welches Spiel wird hier auf der inszenierten Bühne der Gesellschaft gespielt? Welcher Film läuft nach welchem Drehbuch vor unseren Augen ab? Wie sehen, aber verstehen wir auch Sinn und Unsinn? Wird der Vorhang, der immer noch einen nur verschleierten (Endres, 2014) Blick auf die Leinwand ermöglicht, zerrissen? Lassen wir uns vom symbolischen Sozialmarketing, wonach der Mensch natürlich im Mittelpunkt des Geschehens stünde, blenden? Ist der Verblendungsverdacht arrogant? Verblendung ist ein durchgängiges Thema in der europäischen Philosophiegeschichte. Allerdings ist dies in vielen Variationen der Fall: Wahrnehmungsverirrungen, Wahn, Realitätsverweigerung, auch Gottlosigkeit usw. Bei Homer haben die Götter Blindheit bewirkt, in der Bibel liegt Sündhaftigkeit vor, die bestraft werden muss; heute ist Verblendung eine zentrale diagnostische Kategorie kritischer Theorie geworden. Wir müssen mit Blick auf die symbolischen Praktiken der Institutionen unter der Oberfläche ihrer gleichsam in Bezug auf die Menschen freundliche Tätigkeit schauen. Auf dem Jahrmarkt der Interessen wird sogar noch die größte Lüge als Wahrheit verkauft Die Gesellschaft belügt sich selbst, wenn sie sich für toll hält. Außer, man versteht das Wort »toll« wieder in seiner etymologischen Ursprünglichkeit. Dann sind wir dem Wahnsinn auf der Spur.

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Man suche nun einmal im Internet mit den verknüpften Suchwörtern {Corona – Pest – Camus}. Mit Blick auf die von Camus existenzial eingeforderte Liebe und Solidarität (Sändig, 2004), nun in der Zeit der Corona-Krise, wird im Internet auf sein Werk »Die Pest« (1947) verweisen, ein Verweis, den auch Hermann Brandenburg von der PTHV als eine problematische Analogie einschätzt. Einerseits wird der bundesdeutsche Diskurs analog geführt: Sich mit den Hochrisikogruppen solidarisch zeigen, wo wir nunmehr eine nationale Schicksalsgemeinschaft (Bundeskanzlerin Merkel sprach im Oktober 2020 angesichts der sog. zweiten Welle vom »Unheil«) sind und dem bis zur Erschöpfung kämpfende Personal im Gesundheits- und Pflegewesen ein Heroenkult (Oberle & Pulina, 2020) gewidmet wird, mag die Analogie plausibel machen. Die Pest war aber bei Camus eben auch allegorischer Natur und verweist im Lichte der Aufforderung zur widerspenstigen Revolte gegen das externe Schicksal unter der Bedingung der eingeschlossenen Lagersituation im Kontext der gewaltsamen Besetzung im Krieg (SchönherrMann, 2015). Betont man diesen Kontext und nicht in abstrakter Allgemeinheit die Sorge (das Helfen: Gaul, 2010), die Liebe und die Solidarität, so wird mit Blick auf die angeordnete Soziale Distanz der Mehrheitsbevölkerung auf schwache Formen des Ausnahmezustandes (alltägliche Einschränkungen und polizeiliche Kontrolle) verwiesen. Radikaler ist die Analogie zu den Pflegeheimbewohner*innen, die als Hochrisikogruppen in Hochrisikoinstitutionen kaserniert und abgeschlossen werden vom Sozialraum. Die Mehrheitsbevölkerung erlebt noch einen öffentlichen Außenraum ihres privat-häuslichen Innenraums; die Lebenswelt der Pflegeheime ist eine hyperbolische Form der Ausgrenzung. Soweit zur vertieften Hypothesen-Erläuterung: Die Grundrechtseinschränkungen der Bevölkerung nehmen im Heimsektor die eskalierend gesteigerte Form der panoptischen Lager-Bildung an.

II. Diskursanalysen

Anfang Mai 2020 gingen einige Bundesländer dazu über, die sog. Besuchsverbote in Pflegeheimen lockern. Folgende Pressemitteilung vom AGVP wurde medial breit gestreut: »Besuchsregelungen in Altenpflegeheimen dürfen nicht zum Spiel auf Leben und Tod werden. Mit Sorge betrachtet der Arbeitgeberverband Pflege die vielfältigen Lockerungsübungen von Ländern und Behörden, die strengen Besuchsregelungen infolge des Corona-Virus in den stationären Altenpflegeheimen wieder zu lockern. Nachdrücklich warnt der AGVP: Altenpflegeheime dürfen nicht zum Spiel auf Leben und Tod werden. Aus guten Gründen gibt es heute in stationären Einrichtungen der Altenpflege strenge Besuchsregelungen. Die alten, ja meist hochbetagten Bewohner sind oft multimorbid erkrankt, sehr viele sind dement und können ohne die Hilfe des Personals in den Heimen ihr Leben nicht mehr steuern. Sie gehören folglich zur Hochrisikogruppe mit Blick auf Ansteckungen und Erkrankungen mit dem oft tödlich verlaufenden Corona-Virus. Dazu Friedhelm Fiedler, Vizepräsident des Arbeitgeberverbandes Pflege: ›Natürlich können auch wir nur zu gut verstehen, wenn die alten Menschen in den Pflegeeinrichtungen ihre Tochter, ihren Sohn, die Enkel sehen wollen oder die Angehörigen ihre pflegebedürftigen Eltern. Aber noch ist der Verlauf der Pandemie nicht so positiv, dass Schutz und Sicherheit einfach gelockert oder beiseite geschoben werden dürfen. Wer sich im Alter, vor allem dann, wenn etliche Vorerkrankungen vorliegen, ansteckt, spielt mit dem

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Leben. Da sind sich alle Mediziner und Virologen einig. Und wer sich ansteckt, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch das gesamte Personal in einem Heim, das sich unendlich müht, unversehrt durch diese schwere Zeit zu kommen.‹ Für den Arbeitgeberverband Pflege sind die wenig durchdachten Lockerungsübungen bei den Besuchsverboten oder Verboten von Ausgangsbeschränkungen, wie sie jetzt auf breiter Front, etwa in Bayern, Hessen, Baden-Württemberg, Niedersachsen oder SchleswigHolstein angekündigt wurden, verantwortungslos. Fiedler: ›Viele Heime tun viel, dass die Kommunikation ihrer Bewohner weiter funktioniert und kaufen Tablets. Pflegeheime sind für alte und mehrfach erkrankte Menschen sehr sichere Orte. Das muss so bleiben. Unsere Verantwortung ist es, alle Menschen im Heim, Pflegebedürftige und das gesamte Personal, weiter bestmöglich zu pflegen und zu schützen. Notfalls auch vor sich selbst. Alle Beschäftigten wie auch alle Bewohner haben das Recht auf persönliche Unversehrtheit. Und die Frage bleibt: Wer trägt im Ernstfall die Verantwortung, wenn etwas passiert? Noch liegt auch dem Arbeitgeberverband Pflege kein überzeugendes einheitliches Sicherheits- und Hygienekonzept vor, das überhastete Lockerungsübungen im Einzelfall risikolos erscheinen lässt. Die Heime tragen im Zweifelsfall die volle Verantwortung‹.«1 Wir beginnen mit einer an der Sequenzanalyse (Erhard & Sammet, 2018) der qualitativen Sozialforschung (Schulz-Nieswandt, 2020m) orientierten Interpretation der obigen Pressemitteilung, dabei auf einige entscheidende Passageneingehend. Der Text beginnt mit einem dramatischen Angriff: Man spiele mit dem Leben, wobei der mehrfach genutzte Spielbegriff angesichts seiner Vielfalt normativer Konnotationen hier Verantwortungslosigkeit andeutet. Dieser Vorwurf der Verantwortungslosigkeit des Spielens ist ein roter Faden des Textes. Thema ist die Öffnung des strengen Regimes der Abschottung der Bewohner*innen in den Altenpflegeheimen. Der Angriff wird somit sofort aufgegriffen, denn: Es gäbe gute Gründe dafür. Diese werden dar-

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[email protected]: Pressmitteilung vom 1. Mai 2019.

II. Diskursanalysen

gelegt einerseits durch die Zugehörigkeit älterer und alter Menschen zu den Hochrisikogruppen, andererseits mit Verweise auf die Einigkeit »aller Mediziner und Virologen«. Zwischen diesen beiden Verweisen wird Verständnis für die, so implizit argumentierend, schlecht begründeten Bedürfnissen der Angehörigen angedeutet. Der Bezug zur Hochrisikogruppe, die hier passend zur Imagination des Hochsicherheitstrakts formuliert ist, orientierte sich an wissenschaftlich überholte Altersbilder und spottet der differenziellen Gerontologie (Hank u.a., 2019). Aber diese gehören ja auch nicht zum wissenschaftlichen Referenzsystem, denn diesbezüglich werden nur Mediziner und Virologen gezählt (Briese, 2003). Schon Gender-sensibler Sprache hält die Stellungnahme ohnehin nichts. Diese Ignoranz gegenüber der Evidenz differentieller Gerontologie und ihrer Ethik ist auch die durchgängige Signatur des Artikels »In der Altersfalle« von Heinrich Wefing in »Die Zeit« Nr. 17 vom 16. April 2020, ein Artikel, der schlicht schlecht recherchiert und fachwissenschaftlich völlig verengt ist. Diese Blickverengung (Lacan sprach von »Skotomisierung«) ist fatal, weil aus dem verstiegenen Wahrnehmungsmodell falsche Schlussfolgerungen gezogen werden. Sodann wird die Stakeholder-Orientierung noch verändert: Bedroht seien schließlich auch das Personal, das, weil »unendlich bemüht«, eine hier mathematisch unsinnig Aussage (außer, man meint, die soziale Wirklichkeit im Lichte der Quantenphysik und der Relativitätstheorie zu vermessen), zur Klasse der Held*innen erkoren wird. Die »wenig durchdachten Lockerungsübungen« kokettieren mit dem Begriff der Übung auf dem Kasernengelände, denn sie werden als erste Schritte einer breiten »Front« der verantwortungslosen Politikakteure definiert. Und jetzt kommt der Hammer (wobei in der Philosophiegeschichte unter »mit dem Hammer philosophieren« etwas Anspruchsvolleres gemeint war): Das ganze Personal, aber eben auch die Bewohner*innen müssten, geschätzt werden, denn sie haben ein Recht auf Unversehrtheit. Dieser Schutz wird in der Lebenswelt der Heime als Orte der Sicherheit als absolute Präferenz definiert: Die Bewohner*innen sind zu schützen: »Notfalls auch vor sich selbst.«

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Dieser Text dokumentiert die Verweigerung differenzierten Denkens und ist Ausdruck fehlender ethischer Kompetenz in komplexen Situationen. Die Bewohner*innen sind infolge ihrer personalen Würde auch definiert über ein Grundrecht auf Selbstgefährdung. Diese Praxis stationärer Anstalten ist offenbar weit entfernt davon, jemals etwas gehört bzw. verstanden zu haben vom Völkerrecht der Achtsamkeit in der Hermeneutik der freien Willens oder des mutmaßlichen Willens. Kein Wort mehr von Selbstbestimmung und Teilhabe: So ist es wohl im Kontext der Ausnahmenotstandsregime (Agamben, 2004; Lemke, 2012). Beleidigt und gekränkt wird wiederum das Lied vom heroischen Verhalten vieler Heime gesungen: Man mache viel: Tablets werden gekauft. Hier fügt sich ein Brief ein, den ich als Autor des KDA-Positionspapieres erhalten habe. Meine »sehr gelehrigen Aussagen« – ist Gelehrtheit gemeint (dann hat der Kritiker Recht) oder ist ein Habitus gemeint, ich würde den Mitmenschen belehren, dann schwingt ein Paternalismusvorwurf mit – werden mit Bezug auf Werke von Ivan Illich als »Entmündigung durch Expertenherrschaft« eingestuft. Meine Ausführungen, die in grundlegenden Zügen »nicht sonderlich originell« seien, weil die Debatte um Würde und Grundrechte ja allzu bekannt seien, seien »professoralbelesen formuliert«. Und seit »Goffmann« (im Text und im Literaturanhang falsch geschrieben) wissen wir das ja alles. Wie ist dies nun zu verstehen: Hat meine Kritik also doch Recht? Dieser sich durchgängig zeigende Kritikpunkt scheint mitunter ein Hauptproblem des Kritikers zu sein. »Hat der Autor« (ich bin gemeint) »gelegentlich Kontakt zu Pflegenden?« Die gekränkte Praxis meldet sich zu Wort gegenüber dem viel zitierten Elfenbeinturm der Wissenschaft. »Ein Blick auf« die Ebene der »Praktiker_innen vor Ort« sei hilfreich, so der Kritiker. Kurz: Ich hätte keine Ahnung vom Feld. Stattdessen zitiere ich »große Geister« »wie Foucault, Bloch oder Freud«. Ansonsten gebe ich nur die üblichen »grundrechtsund völkerrechtlichen Blasen« von mir und argumentiere mit den »üblichen Verweisen auf die Sozialgesetzbücher«. Soweit also die Einschätzung meiner »›intellektuellen Blase‹ der rhetorischen Kritik am System«.

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»Aber intellektuelle, brillante Essays lassen die wichtige Pointe meistens weg: was tun?« Der Brief ist Ausdruck der gekränkten Seele des Pflegepersonals, das von mir scheinbar nicht hinreichend im Wert geschätzt wird. Dieser Habitus ist verbreitet. In der Tat habe ich relativ wenig über das Personal gehandelt. Es ging mir ja um die Makro-Ebene der Politik und um die Meso-Ebene der Träger und Einrichtungsleitungen. Ich spüre die anti-akademische Haltung der akademisierten Pflegeprofessionen: Nach dem Motto, ich hätte keine Ahnung von der Pflegepraxis werden mir »metaphysische Blasen« aus dem Elfenbeinturm der zitierten Köpfe der vPhilosophie vorgeworfen. Das ist eine Variante der verbreiteten Ideologie, etwas könne ja in der Theorie stimmen, aber in der Praxis sei alles anders. Nur ist meine Theorie ja kein Modellplatonismus mathematischer Gleichgewichtsbeweise, die unabhängig von der sozialen Wirklichkeit stimmen können (wahr sind), sondern empirisch belastbar: Wenn also die Theorie stimme, dann, weil sie die soziale Wirklichkeit gut rekonstruiert. Der Vorwurf der »metaphysischen Blasen« ist ferner deshalb so fatal, weil damit das Grundrechtsdenken des Völkerrechts sowie der europäischen und bundesdeutschen Verfassungen massiv abgewertet wird. Fraglich, ob überhaupt im ontologischen Sinne von Metaphysik hier die Rede ist, weil man sich dazu auskennen muss, oder ob nicht vielmehr der Begriff der Metaphysik im Sinne üblicher alltagspraktischer Abwertung von spekulativem Unsinn gemeint ist. Einer wissenschaftlichen Analyse, die deutlich theoriegestützt ist, wird antiintellektualistisch Arroganz vorgeworfen. Dass die Politik die Heime (/und somit vor allem das Personal, das er verteidigt) in Stich lässt (so der Kritiker), mag als halbe Wahrheit bedeutsam sein; aber die andere Hälfte besteht in der Beobachtung der Tradition der Heime in Unabhängigkeit von Pandemien: Dass sie nämlich eben nicht Orte des normalen Wohnens selbstbestimmter Menschen mit dem Grundrecht auf Teilhabe sind. Der Brief wäre daher ein gutes Material für eine Sequenzanalyse, von der der Kritiker meine, ich beherrsche diese nicht angemessen. Man kann die argumentative Inszenierung des Rezeptionsmusters meines Positionspapieres in aller Deutlichkeit rekonstruieren. Aber die dichte Einschätzung soll hier genügen.

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Eine zweite e-mail eines anderen Autors erreichte mich Ende Oktober 2020 aus der Schweiz. Ebenso wie der erste Praktiker eine Person mit Berufserfahrung in den Institutionen und mit einem Fachhochschulabschluss. Das gleiche Muster ist zu erkennen: Er sei der Ansicht, die Situation in den Heimen sei »nicht so dramatisch«: »Allerdings war ich in der Administration/Verwaltung beschäftigt.« Versteckt wird argumentiert, ich hätte ein falsches Bild von der wirklichen Wirklichkeit. Stattdessen sei ich »sehr wissenschaftlich«. Und dann biete ich sogar 6 1/2 Seiten Quellenangaben (was für meine Verhältnisse, auch auf die Länge des Textes bezogen, eigentlich eher knapp ist). Auch hier kommt die Frage am Ende auf: »Was schlagen Sie denn konkret für Maßnahmen vor?« »Und was Corona betrifft; es müssen alle ihre ›Opfer‹ erbringen.« Ein kryptischer Satz: Das Opfer der Heimbewohner'*innen ist also der undifferenzierte Verzicht auf Grundrechte? Ein Tag später kam ohne Anrede nochmals eine kurze e-mail: »Manchmal frage ich mich, wozu all die Tausende oder Millionen von geistigen Ergüssen in Studien dienen sollen.«

Und am Ende, um auf die sozialen Praktiken in der hier diskutierten Situation im Spiegel des analysierten Textes des Arbeitgeberverbandes zurückzukommen, wird das dominante Motiv in seiner Wirkung erkennbar: Angst: Wer trägt die Verantwortung für Risiken? Das Heim. Das Heim trägt bereits die Verantwortung für die Grundrechtsverletzungen durch die pauschale Kasernierung der Zielgruppe. Offensichtlich haben die Bewohner*innen ihre Souveränität am Tag des Einzuges (Zielke, 2020) abgegeben. Sie sind jetzt manifeste oder latente Patient*innen im klinischen Setting. Das nennt man Hospitalisierung. Wenn das alles ein Ressourcenproblem ist, dann soll das auch in den Mittelpunkt gerückt werden. Allerdings sollte sodann klargestellt werden, dass die Unterinvestitionen, die sich nunmehr in Zeiten von Corona eskalierend bemerkbar machen, bereits ihre lange Vorgeschichte haben, ebenso wie der Personalmangel. Aber es geht ja nicht nur um eine Unterinvestition im Sinne einer definierten Menge an Geld (als Kapital), sondern um die Strukturen, die durch die Investitionen generiert und perpetuiert werden. Es sind »Strukturen struktureller Ge-

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walt«, weil die Menschen im Alter ein Recht haben, andere Formen des Wohnens gewährleistet zu bekommen als die Einbahnstraße vom Privathaushalt über das Akutkrankenhaus in das Heim. Mag ja sein, dass manche Menschen das Heim als ihren Ersatz angesichts netzwerklosen vulnerablen Wohnens im Privathaushalt artikulieren: Aber es fehlt dennoch an Wahlfreiheiten: Überraschend angesichts der Ideologie liberaler Gesellschaften, oder? Und: Wenn private Haushalte Orte des Wohnens netzwerkloser Menschen sind: Warum arbeitet eine alternative Politik nicht kompensatorisch und somit in Bezug auf den Sog-Effekt der Heime an der Sozialkapitalbildung des Quartiers als Sozialraum? Die schlecht fundierte moralische Kritik des Textes des Arbeitsgeberverbandes versäumt es, einzugestehen, was ebenso eine lange Vorgeschichte hat, dass es ein Strukturfehler war, die Antwort auf den demographischen Wandel im Bau von Bettenkapazitäten von Pflegefokussierten Ersatz-Krankenhäusern zu sehen. Und dieses Problem ist kein (oder zumindest kein primäres) Ressourcenproblem: Es ist eine Frage der Haltung, der Philosophie der Gesellschaftspolitik. Mehr Phantasie muss an die Macht. Ist der Wolfsbegegnungsraum die Herausforderung, so kann es nicht die Lösung sein, dass der wohlmeinende Hirte seine Herde aus dem Licht des offenen Raumes aussperrt und in geschlossene (Wahl, 2016) Schutzräume hinter hohen Mauern (Marshall, 2018; Tobias, 2018; Brown, 2018) – im Gefängnis werden den Mauern noch Stacheldraht aufgesetzt (Razac, 2003) – einsperrt. Wie der Mensch mit den Wölfen leben lernen muss, so muss die Gesellschaft mit »den Alten« (und »den Dementen« und »den Behinderten«) in der Normalität der Quartiere des Sozialraums leben lernen. Und die zu kritisierende Strategie im Namen von Schutz und Sicherheit wird auch noch dramatisch inszeniert auf der Grundlage unterkomplexer Auslegung der normativ-rechtlichen Rechtsregime. Das ist nicht das Menschenbild unserer Verfassung, auch nicht des europäischen Grundrechts der Unionsbürgerschaft, auch nicht des Völkerrechts. Das sind Praktiken des »sich zu Recht Legens« eines Wirtschaftssektors, der sich selbst als Heldentum feiert und ansonsten in Ruhe gelassen sein will von den angeblichen Utopien der Menschenwürde.

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In diesem zugespitzten, den Diskurs in einem doch noch unterbelichteten oder auch falsch belichteten Teil der Corona-Krise provokativ anstoßenden Beitrag (als »Rammbock« [Kühn, 1974] ist der Text wohl zu abstrakt im Duktus), geht es um das Problematisieren des Wegschließens der älteren und kalendarisch alten Menschen im Heim: Wohl wissend, dass es durchaus im Flickenteppich Deutschlands differenzierte Praktiken gibt2 , bleibt doch der Eindruck der Kollektivkasernierung. Das wird zu kritisieren sein. Diese Kritik ist keine Negation der Schutzbedürftigkeit des älteren und kalendarisch alten Menschen. Es ist eine Kritik der Reduktion des älteren und kalendarisch alten Menschen auf diese Eigenschaft der Schutzbedürftigkeit. Und es ist eine Kritik der falschen Wege, diese Schutzbedürftigkeit in Bahnen zu lenken und in Formen sozialer Praktiken zu gestalten, die grundrechtskompatibel sind. Es ist keine Kritik der Empathie und des Altruismus, sondern eine Kritik an der Kultur der Art und Weise, wie dieses Gefüge von Fundamentalelementen der conditio humana gelebt werden. Der Direktor des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA), Clemens Tesch-Römer, hat ein Interview zur Einschätzung der Situation älterer und kalendarisch alter Menschen unter den Corona-Bedingungen gegeben3 . Er zeichnet sehr differenziert die Situation und warnt vor der handlungsleitenden stereotypischen pauschalen Einschätzung des Alters in der Tradition der Defizitideologie. Einige empirisch fundierte Vertiefungen haben aktuelle Analysen des DZA zugleich »nachgeliefert«. Die Analysethemen sind bezeichnend und völlig zu Recht auf den Punkt gebracht: •

»Alte Menschen sind unterschiedlich, auch in der Corona-Krise« (Tesch-Römer u.a., 2020);

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Vgl. etwa https://www.biva.de/corona-virus-auswirkungen-auf-pflegeheime/; Tag des Zugriffs: 24. April 2020. https://www.dza.de/index.html; Tag des Zugriffs: 27. April 2020.

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• • •



»Altersdiskriminierung und Altersbilder in der Corona-Krise« (Spuling, Wettstein & Tesch-Römer, 2020); »Körperliche Aktivität älterer Menschen in der Corona-Krise« (Wettstein u.a., 2020); »Risiken der Kontaktsperre für soziale Kontakte, soziale Unterstützung und ehrenamtliches Engagement von und für ältere Menschen« (Huxhold, Engstler & Klaus, 2020); »Ältere Menschen und ihre Nutzung des Internets. Folgerungen für die Corona-Krise« (Endter, Hagen & Berner, 2020).

Das geht m.E. in die richtige Richtung. Dennoch fehlt es mir an der radikalen Tiefe in der Analytik der Macht der Verhältnisse. Es wird auch nicht reichen, z.B. im Lichte der bereits validierten Wissensbestände (zur Legende: Bauer, Bittlungmayer & Richter, 2008; Siegrist & Marmot, 2008; Richter & Hurrelmann, 2009; Mielck, 2005) erneut die soziale Ungleichheit der Versorgung und der Mortalitätsrisiken am Beispiel von Corona empirisch zu untermauern. Reiner Empirismus trägt Eulen nach Athen. Gefragt werden muss: Was bedeuten solche Befunde? Welche Schlussfolgerungen sind im Lichte normativ-rechtlicher Vorgaben und des implizierten Menschenbildes zu ziehen? Ich bin der Meinung, zur Professionalität (Sander, 2014) gehört die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in grundsätzlicher Weise hinterfragen zu lassen: Wer bin ich? Wo stehe ich? Was mache ich eigentlich? Wo will ich hin? Stehe ich am Rand des Abgrunds des Lebens oder befinde ich mich im Sinne der Richtung auf einem guten Weg, selbst, wenn das Ziel als konkrete Utopie noch weit entfernt sein mag? Zu einer solchen Rezeptionshaltung ist der Mensch an sich (also seinem Wesen nach) fähig (Fischer, 2016). Er kann die Augen schließen und über sich selbst im Verhältnis zur Welt meditieren, also Haltungsfragen zum Thema machen. Menschen müssen nicht unbedingt die externe Kritik Dritter abwarten. Man kann sich auch den Spiegel selbst vorhalten. Haltung wird in der Soziologie als Habitus bezeichnet. Die altgriechische Sprachwurzel ist hexis: Und damit sind wir am Kern des Problems angelangt: Gemeint ist der Charakter. Aber wer der Wahrheit auf der Spur sein will, muss bereit sein, selbst bösartigen Formen der Kritik der Kritik aus-

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gesetzt zu werden. Wir werden sehen. Die vorliegende Analyse ist im Kern geprägt von einem KDA-Papier, weil es (allein) von mir als dem damaligen Vorsitzenden des KDA verfasst und somit zu verantworten ist. Es ist kein KDA-Papier, das mit der bunten Landschaft den Kurator*innen konzertiert, also insgesamt abgestimmt werden konnte und sollte. Auch innerhalb des KDA im Sinne der Mitgliederschaft soll es zu Kontroversen anregen. Ein Exkurs über die affirmative Logik in der Mitte der Argumentation: Radikales Denken (Baudrillard, 2013) pocht darauf, dass sie der etablierten sozialen Wirklichkeit vorausläuft, nicht in ihr verloren geht, also Distanz zur Realität als Faktizität bewahrt, um sie zu transformieren. Das radikale – schöpferische – Denken muss, trotz und entgegen der wissenssoziologisch gesicherten (Schulz-Nieswandt, 2020m) Standortgebundenheit jeglichen Denkens, außergewöhnlich sein, muss antizipierend sein, muss außerhalb der Gefangenschaft des Gegebenen sein, aus dem Schatten ihrer Einbindung in die soziale Wirklichkeit heraustreten und zukünftige Entwicklungen entwerfen. Dieser Anforderungskatalog radikalen Denkens ist für die formale Logik ein Problem. Für dialektisches Denken, das das Noch-Nicht mit Goethe (als Entfaltung der Möglichkeiten, die verborgen angelegt sind) als eine Metamorphose als Entelechie (Hilgers, 2002; Breitbach, 2006) versteht, ist dieses radikale Denken kein Problem. Radikales Denken möchte, dass der Garten – Metapher für das menschliche Dasein zwischen Kultur und Natur, Zivilisation und Wildnis – und mit ihm die Rosen (über die keiner so gehandelt hat, wie es Rilke tat) zum Blühen gebracht werden. Gesellschaftspolitik ist Gartenarbeit. Gesellschaftspolitik hat in ihrer Poesie ihre eigene Poetik zu reflektieren. Welches Menschenbild leitet uns? Welche Idee sozialer Gerechtigkeit? Was ist unser Traum, den wir nicht vergessen dürfen, sondern auf den wir in Erinnerungsarbeit mit Blick auf Grenzüberschreitungen des gesellschaftlichen status quo pochen müssen? Mit Blick auf das moderne Naturrecht der Grundrechte des Menschen der Heiligen Ordnung der personalen Würde (in der Sprache von Ernst Bloch [1983] gesprochen) ist zu konstatieren: Der Mensch ist, muss aber erst noch werden, was er ist (Bloch,

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1985: 13: »Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum müssen wir erst werden.«). Es gibt also immer zwei Formen von Affirmation. An beiden kann sich der Mensch schuldig machen. Einerseits kann er unkritisch den status quo bejahen und macht sich dergestalt schuldig an der Akzeptanz des Unrechts, das die soziale Wirklichkeit dem Menschen antut; anderseits kann er das innere Entwicklungspotenzial des Menschen affirmativ betonen und auf dessen Werden und Wachsen pochen. Tut er es in mutloser und resignativer Grundgestimmtheit nicht, verfällt er der Unterlassungsschuld. Das Problem der Wohnformen als Anker der Daseinsführung (Hahn, 1994: 304ff.) im Alter ist ein echtes philosophisches Problem. Philosophische Fragen sind dann echt, wie Landgrebe es formulierte, wenn sie sich aus dem Dasein des Menschen in seiner geschichtlichen Not und Bedrängnis heraus entwickeln, als fragende Philosophie antretend, das »fragwürdig Gewordene« zum Gegenstand des Nachdenkens zu machen (Landgrebe, 1957). Die Kritik der unkritischen Affirmation bedeutet nicht, dass die Kritik zu sich selbst unkritisch sein soll (Hillesheim, 2019). Kritik muss fähig sein, die Alternativen aufzuzeigen und für den Weg dahin Verantwortung zu übernehmen, d.h. auch, die Alternativen und ihre Zugangspfade achtsam (Conradi & Vosman, 2016) kritisch zu durchdenken (Sasse, 2020). Übt man sich – mit Marx und Freud, auf die ich noch verweisen werde und mit Nietzsche (Heit & Thorgeirsdottir, 2016) – im Verdacht gegenüber den herrschenden sozialen Verhältnissen, so muss man sich immer zugleich auch selbst verdächtigen. Dieser Selbstverdacht richtet sich an Tugendfragen des Charakters: Wo stehe ich zwischen Arroganz, Zynismus, Resignation und Phantasie, Weltoffenheit, Selbsttranszendenzfähigkeit sowie Empathie, Gelassenheit, Humor und Analytik, Wissen, Gründlichkeit? Wer sich ethnographisch (Albers, 2018; Birkhan, 2012) mit dem Geschehen der Welt, hier mit der sog. »Altenpflege« beschäftigt, kann sehr unterschiedliche Geschichten erzählen (Schulz-Nieswandt, 2020m). So sind auch Chancen zum Wachstum des Menschlichen im Zwischen-

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menschlichen zu beobachten (Messer, 2014). Die nachfolgende Landschaftsskizze beansprucht nicht, das Ganze abzubilden. Sie behautet nicht, den einzigen richtigen Schlüssel zu haben, um den Zugang zu diesem sozialen Raum zu besitzen. So wie hinter Durchschnittswerten der statistischen Analyse verborgene Heterogenität stecken kann, so gehe auch ich davon aus, dass es eine gewisse Varianz (Vielfalt) in der Kultur des Umgangs mit dem Alter (Schulz-Nieswandt, Köstler & Mann, 2019; dazu die Meta-Reflexion von Schulz-Nieswandt, 2020i) gibt. Echtes Querdenken – auch laterales Denken genannt – ist kein lineares Denken, wo der Weg ohne Schlingen einfach geradeaus geht und das Ziel auf dem kürzesten Weg zu erreichen ist. Wie das Leben als soziales Drama selbst, über das ja auch die Wissenschaft Geschichten erzählt, so ist der Weg dieser wissenschaftlichen Erzählung ein nichtlineares Denken. Wahres Querdenken bedeutet, um die Ecken herum denken zu müssen. Für den technisch denkenden homo faber (Lämmli, 1968; Müller, 2010) der Ingenieursmentalität (Etzemüller, 2015) ist dies nicht wertzuschätzen, eher ein Ausdruck, der negativ zu konnotieren ist, weil es an der Perfektionalität fehlt. Umwege machen: welche Ineffizienz! Aber es ist der Komplexität und den vielen Ambivalenzen der sozialen Wirklichkeit, um die es geht, geschuldet, dass der naheliegende Weg nicht eingeschlagen werden kann. Um zum Ergebnis zu kommen, wird man »um die Ecke denken« müssen. Gerade dann, wenn es um die großen Fragen der Zeit geht, muss Wissenschaft, selbst dann, wenn sie Zahlen liefert, narrativ verfahren und Analysen zur weiteren Orientierung bieten. Wo wollen wir hin? Dazu bedarf es aber einer analytischen Diagnostik: Wo stehen wir? Wo steht in der Geschichte der Zivilisation der Mensch der Moderne, die in ihren Spiegel (Wilde, 2009) schauen sollte? Er – als zivilisierter Affe, über den Erich Kästner so humorvoll spotten konnte – kann erschreckend archaisch sein. Das wird auch in den nachfolgenden Ausführungen unser Thema sein: Gemeint sind seine Affekthaltungen im Umgang mit dem kalendarisch alten Menschen. Und das ist die weichenstellende Kulturfrage, die uns beschäftigen sollte. Welche Geschichte ist denn hier wissenschaftlich (Pisiotis, 2012) zu erzählen? Im KDA war im April ein Brief einer Bürgerin eingegangen,

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die an die NRW-Landesregierung gerichtet ist und verzweifelt fragt, warum sie ihre alte Mutter nicht mehr besuchen kann. Darum geht es. Vor allem dann, wenn die Erlebnisperspektive der Mutter dazu spiegelbildlich ist und konvergiert. Reicht hier der Spruch, es seien eben Ausnahmezeiten, Notstand, synthetisierend: Zeiten des »Ausnahmenotzustandes«? Ich teile nicht die Praktik von sog. Radikalen (oder auch Esoterikern), die die Situation instrumentalisierend nutzen, um wieder einmal gegen den bürgerlichen Rechtsstaat auf der Straße Krawall zu machen. Ich bin erschrocken über die alkoholisierten Unpolitischen, die in ihrer Maskenverweigerung das Verkehrspersonal verprügeln. Doch die Mehrheit bekommt die Grundrechtseinschränkungen relativ gut bewältigt. Jedoch spürt man den berechtigten Einwand, diese Einschränkungen seien keine Regel, sondern krisenbedingte Sondersituationen. Über die Altenheimsituationen diskutieren aber – jenseits der allgemeinen Diskurses – nur fachpolitische Insider oder Menschen in dramatischer privater Betroffenheit. Und sie bleiben auch im Privaten, überschreiten nicht Agenda-bildend die Grenze in die politische Arena öffentlicher Aufmerksamkeit. Nochmals zum eben erwähnten Brief der Bürgerin in NRW. Es war nicht der einzige Brief. War der erste, recht lange Brief geschrieben aus der privaten Perspektive der Verzweiflung, so hatte ein zweiter Brief, der das KDA Ende Mai erreichte, durchaus auch eine explizite politische Dimension aufzuweisen. Waren Jahrzehnte der Empowerment-Idee umsonst, wirkungslos, nun verpufft? Ein älterer Mensch, der bei den Grauen Panthern aktiv war, wird nun weggeschlossen, kaserniert. Die älteren Menschen hätten keine Lobby. Sie sind ohne Chance, gehört zu werden. Sie werden ignoriert und dergestalt diskriminiert, denn Ausgrenzung ist Diskriminierung. Solche Briefe konkreter Einzelfallbetroffenheit heben das Thema auf eine politische Ebene, die sozialtheoriefähig ist. Ältere Leute hätten keine Lobby. Ironisch erwidert: weit gefehlt. Viele haben ein Interesse an dem alten Menschen, sofern es darum geht, an ihnen Geld zu verdienen. Und diese Lobbyisten sind zahlreich im medizinisch-technischen Komplex und im verlängerten Arm der organisierten Nächstenliebe der Pflege. Aber erwünscht ist das passive Subjekt der Akzeptanz dieser ökonomischen

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Begierde. Komplizierte, kritische Alte sind unerwünscht. Das ist aus der Patient*innnenforschung im Kontext ambulanter und stationärer Medizin ebenso bekannt wie in der Langzeitpflege. Dort kommen die nervenden Verhaltensauffälligkeiten kognitiv stark beeinträchtigter Menschen oder der gerontopsychiatrischen »Fälle« – die bekannten störenden Ko-Morbiditäten im Akutkrankenhaus – hinzu. Auch als Wähler*innen ist das Alter von Interesse. Das Medianalter steigt ja und diese Masse, ob nun homogen als gerontokratische Klasse oder heterogen als differenzielles Alter, will abgeholt sein in der Konkurrenz der politischen Eliten und ihrer Herrschaft auf Zeit und mit Blick auf Wiederholung der Legislaturperioden. Lobbyisten gibt es also viele. Aber es geht dort ja nicht um Authentizität, den älteren und alten Menschen Gehör zu verschaffen. Es geht eher (wie in der Debatte um die Seniorenwirtschaft) um das graue Silber der Dukateneselei und um politisches Stimmvieh im Sinne der ökonomischen Theorie der Demokratie. Wie steht es also um die »Seniorendemokratei« (Richter, 2020)? Die schon ältere Theorie des Neo-Pluralismus und Neo-Korporatismus, auch in der kritischen Variante der klassischen Studien von Claus Offe zur sozialen Ungleichheit der Artikulations-, Organisationsund Konfliktfähigkeit der Menschen, mitunter in affirmativen oder kritischen Rezeptionen der Theorie kollektiven Handelns, Revisionen der Theorien der Parteiendemokratien, postdemokratische Variationen usw.: Das Problem ist ja nicht neu, eher ein Strukturproblem unserer liberalen Demokratie. Die außerparlamentarische Kraft der Zivilgesellschaft als politischer Teil des gemeinnützigen und insofern freien Dritten Sektors zwischen Staat, Markt und Familie hat nunmehr sogar einen rechten Flügel bekommen. Das kennen wir ja aus der Angelologie (Dürr, 2009). Der prometheische Lichtbringer Luzifer fällt also vom Himmel und wird zum Satan (Flasch, 2016; Rees, 2017), die Differenz von Gut und Böse (Pieper, 2019) in ihrem inneren Abhängigkeitsverhältnis zum Thema machend.

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Die entscheidende Schlussfolgerung meiner Hypothese der Verschlusssache kann nochmals wie als Zwischenfazit etwas anders formuliert werden: Es geht um die Differenzierung der Wohnformen im Lichte des normativen Leitgedankens der Normalisierung. Von hier her ist die Strukturkritik des ganzen Sektors, auch die Überlappungszonen zum SGB V und zu Teilen des SGB IX und XII einbeziehend, zu verstehen. Das Wohnen im Privathaushalt wird im Art. 13 GG quasi zur heiligen Schutzstätte vor dem potentiell übergriffigen Staat erklärt. Das Kindeswohl des SGB VIII kann zu Interventionen des Wächterstaates gehen. Der Grund liegt in der Vulnerabilität von Kindern. Die Vulnerabilität des Alters wird analog symmetrisch gesehen, was sich im regulativen Regime des Qualitätsmanagements im Lichte des nackten Lebens abbildet. Aber alte Menschen sind keine Kinder. Dennoch wird das Alter quasi infantilisiert. Sozialen Praktiken (wie »Baby-Talk«) sind ja nur ein soziolinguistisch diskutiertes Beispiel. Die Heiligsprechung der privathäuslichen Familie als Keimzelle der staatlich verfassten Gesellschaft wird geschützt und gefördert. Im Alter wird auch von der Präferenz des privat-häuslichen Wohnens gesprochen. Das Heim sei die nachrangige Alternative. Aber im Alter muss die Lebenswelt der privaten Häuslichkeit durch die Sorgegemeinschaft im Zuge der Sozialraumbildung nachhaltig abgesichert werden. Und genau dies wird weitgehend vernachlässigt oder gar unterlassen. Auch im SGB VIII geht es um vernetzte Hilfen. Mit Blick auf das Aufwachsen der Kinder wird das Vereinbarkeitsproblem von Beruf und Familie, verspätet, aber dennoch zunehmend zu einem Thema. Auch das Thema von Beruf und Pflegearbeit in der Familie ist zum Thema geworden, auch dies nur in schleppender Weise. Reale Strukturen wachsen in diesen Themenfeldern nur zaghaft, eher kümmerlich. Das Problem ist nicht so zu sehen, dass die bundesdeutsche Gesellschaft eine gute Kinderpolitik und eine entsprechende Bildungspolitik betreibt. Auch hier dominieren strukturelle Löcher in der Versorgungslandschaft und in der Gesellschaftsgestaltungspolitik. Aber die strukturell falsch angelegte »Altenpolitik« verletzt die Würde alt gewordener Erwachsener. Kindheit wie Alter werden vernachlässigt: Vernachlässigung ist eine Form struktureller Gewalt. In der Kindheit gibt es

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die Würdediskussion im Term des Kindeswohls. Im Alter ist die analoge Diskurslücke offensichtlich. Das Wohnen im Heim wird zum öffentlichrechtlichen Objekt von bürokratischen Regulierungen auf der Ebene von Mindeststandards (SSS[S]T-Modell), die nur formale Voraussetzungen der Würde-Gewährleistung (SeSeTe-Modell) bezeichnen. Es geht ja um Haltungsfragen, die wohl für den Sektor eben nicht bequem sind. Ich fordere zur narzisstischen Selbstkränkung auf. Wir machen grundsätzliche Struktur-bezogene Fehler im Management der Corona-Krise, die aber ihre strukturellen Wurzeln in den Normalzeiten der »Altenpflege« haben. Damit meine ich das Versorgungssystem, das nicht in erster Linie als Frage der Wohnformenlandschaft verstanden wird, sondern das Wohnen am definierten Care-Bedarf anpasst. Im Gesundheitswesen folgen die Menschen in der Rolle als Patient*innen den Geldströmen, die der Refinanzierung etablierter Kapazitäten dienen. Im Pflegesektor ist es homolog: Es gibt Strukturen der Versorgung und die Menschen haben ihr Wohnen, ihren Wohnort, ihre Art und Weise daran anzupassen. Es sind nicht die Strukturen für den Menschen da; der Mensch ist für die Strukturen da. Es ist kein Zufall, dass seit Jahren immer wieder gelehrte Publikationen zur Situation und vor allem zu den Alter(n)sbildern in der griechischen Antike (Gutsfeld & Schnitz, 2009; Brandt, 2002) vorgelegt werden (Kressirer, 2016). Obwohl mit Blick auf das Werden der christlichen Kultur (Le Goff, 1994) in Europa eben auch der vorderasiatische Kulturraum und somit u.a. das Alte Testament (Scharbert, 1979) als wichtige Quelle der Identitätsbildung Europas gelten muss, ist infolge des nachhaltigen Weiterwirkens des neueren Humanismus das alte Griechenland sowie sein Beitrag zur Entstehung der Philosophie, eine dominante Quelle aktueller Identitätsvergewisserung. Wenn dies eine der Ursprungsquellen unserer europäischen Zivilisation sein soll, so fragt es sich, wie es dort um die für uns heute wichtige Frage (Buchwitz & Blume-Jung, 2016) steht, welche Position das Alter im Generationsgefüge der Gesellschaft einnahm. Die Fragen siedeln sich dort/damals wie hier/heute in einem Spannungsfeld zwischen Wertschätzung einerseits und demütigender sozialer Ausgrenzung andererseits an. Der gerontologische

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Diskurs dreht sich analog dazu nunmehr seit geraumer Zeit um die Bedürftigkeit differenzierter Alter(n)sbilder. Und Diskurs meint hier nicht Ideengeschichte (Krüger, 2016). Diskurse sind Teil sozialer Machtverhältnisse und der Wahrheitsspiele (Foucault, 2008; Nigro, 2015; Kirsch, 2020; Gelhard & Gehring, 2012). Die Corona-Krise, die sich um die Pandemie von Covid-19 (Virus SARS-CoV-2) dreht (Schreyer, 2020), hält uns nochmals einen Spiegel vor, der verdeutlicht, dass wir mehrheitlich einer bestimmten Gestalt von moralischer Haltung folgen. Wir sind voller Empathie fürsorglich und definieren das Alter als Zielgruppe der Schutzbedürftigkeit. Das ist doch eine positive Ausdrucksform unserer Kultur des Miteinanders, oder? Doch genau dieser Fokus auf die Hilfe für alt gewordene Menschen transportiert mehr oder weniger verdeckt ein Diskriminierungspotenzial mit. Die Schutzbedürftigkeitszuschreibung in seiner einseitigen Verstiegenheit der Wahrnehmung, Klassifikation bzw. Codierung (Giesen, 1991) und als Fundierung von Mustern sozialer Interaktion in den Versorgungs- und Hilfesystemen diagnostiziert im Modus einer Pathologisierung den stilisierten Verfallsprozess des Alters und konstruiert so das Objekt der Begierde von Empathie und Hilfe. Nicht, dass das Frailty-Syndrom (Rahman, 2020) nicht eine Herausforderung des Alters ist. Aber es ist nur ein Gesicht, das das Alter annimmt. Verstiegenheit (Binswanger, 2010) ist das entscheidende Wort in der kritischen Diagnostik der Kultur. Es drückt aus, dass wir im wohlwollenden Umgang mit dem Alter zu Gefangenen einer Wahrnehmungsordnung werden: Nicht der Mensch hat Wahrnehmung, die Wahrnehmung hat den Menschen (Wiesing, 2015). Und diese Einschreibung der Gesellschaft als Komplex normativer Erwartungen (Eribon, 2017) von Wahrnehmungsordnungen der seelischen Dispositionen im Umgang mit den kalendarisch alten Menschen lässt nach dem Geist fragen, der uns treibt in eben diesem Umgang. Kultur meint hier die von Bildern des Alter(n)s geprägten Ordnungen der sozialen Praktiken. Worum es dem Essay jetzt also vertiefend geht? Corona zeigt nun deutlich, wie es um den Geist und die Seele unserer Kultur des Sozialen im Um-

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gang mit dem Alter im Generationengefüge steht. Und diese Problematisierung kann von einer Soziologie nur angemessen vorangetrieben werden, wenn sie sich verbindet mit einer psychoanalytischen Betrachtung. Ein solcher Blick soll nun weiter entfaltet werden. Sozialpolitik für das Alter muss, nehmen wir die Perspektive des Erfahrungserlebens der menschlichen Person ein, eine Politik der Sorge nicht nur am, sondern mit und durch den älteren und kalendarisch alten Menschen sein. Die Perspektive des Systems und seiner (Träger der) Anbieter der Leistungserstellung am Menschen, die moralisch deklariert wird als organisierte Sorgearbeit für den Menschen, ist also ganz anders. Der Betrieb muss laufen, das System muss funktionieren. Es ist eine Haltungsfrage und eine Frage des mentalen Modells. Ihr Rechnungswesen und ihr Controlling, das darauf aufsetzt, haben sich vom achtsamen Nachdenken über Ziele und Zwecke, auf die hin die Allokation der Ressourcen optimiert werden soll, entfremdet. Es ist die Haltung des Strukturkonservatismus, der nur noch eine sinnentleerte symbolische Sprache der moralischen Zielgruppenbindung zelebriert: Kommen Sie zu uns, bei uns sind Sie Mensch! Der Wertekonservatismus ist reduziert worden auf einige Phrasen der christlichen Soziallehre, die auch die nicht-konfessionellen Träger paraphrasieren. Über die Unmöglichkeit, das Alter als isolierte Altersklasse zu verstehen: Wenn man den sozialen Status des Alters verstehen will, muss man seine Verortung im gesamtgesellschaftlichen Ordnungsgefüge verstehen (Mauss, 2013). Unter dem »Sozialen« verstehe ich, in einer älteren Tradition der Soziologie (Behrendt, 1963) stehend, die Formen (Wiese, 1964; Löwith, 2016) des sozialen Miteinanders. Kultur bezieht sich auf ihre Aufgabe der Vergesellschaftung der Individuen, die Daseinskompetenz zu erwerben, diese Formen zu leben. In die Vergesellschaftung gehen Normen und Werte, Recht und Religion sowie andere Wissensbestände als substantielle Inhalte ein, also insgesamt die Regeln der Funktionsweise der Formen des Miteinanders, daher auch Kulte und Rituale und andere Formen des Brauchtums, die Geometrie der politischen Ordnun-

II. Diskursanalysen

gen und der hierzu konstitutiven vertikalen und horizontalen Vektoren der Sozialstruktur, auch Codierungen der interpretativen Wahrnehmung des Systems der Sinne, und, für uns nun wichtig, binäre Konstruktionen von Normalität und Anormalität (Devereux, 1974; Canguilhem, 1974), von Identität und Alterität, des Eigenen und des Fremden, der Insider und der Outsider, der Grenzen, des Binnenraums als Topographie des sozialen Miteinanders (Hasenfratz, 2002: 43ff.) u.v.a.m. Dazu gehören auch die Geschlechterordnungen und Generationenordnungen sowie die Formen des Wohnens im Kontext der Siedlungsformen (vgl. in Schulz-Nieswandt, 2020d; dazu auch in Schulz-Nieswandt, Köstler & Mann, 2021).

Gehen wir davon aus, dass im soziologischen Sinne einer staatsbürgerlichen oder privatbürgerschaftlichen Kohortenbeziehung die gesellschaftliche Hilfe gewährt wird, also die Grenzen des internen Gruppenethos des parochialen Altruismus von Familie und Verwandtschaft zugunsten Dritter überschritten werden. Dann rückt die Frage der Mentalität der Hilfe in den Brennpunkt. Wenn Hilfe zur »Altenhilfe« wird, wenn Hilfe aus Mitleid (Werner, 2018; Holl, 2017) sich koppelt an die Reinfantilisierung des Alters, wenn die Sorgearbeit zur Mütterlichkeit der erwachsenen Kinder zu den alt gewordenen Eltern als erneute Kinder wird, dann wird die Situation höchst ambivalent. So koppelt sich gut gemeinte Hilfe an Machtverhältnisse der Ausgrenzung, Ab- und Entwertung, an Formen der Würdeverletzung. Sie ersetzt Souveränität im Alter durch Sicherheit und Sauberkeit (Urbild der Reinheit durch Wasser: Heitmüller, 1911: 31 ff; umfassender: Reitzenstein, 1967), koppelt soziale Geborgenheit an institutionelle Abgeschlossenheit und substituiert die Gewährleistung anregender, aktivierender Umwelten im Sinne der Psychologie der Aktualgenese (Kruse, 2017) des weiteren Wachsens und Werdens des kalendarisch alten Menschen mit Ver-Sorgung und Für-Sorge und rollt das uralte archetypische Muster von Hirt und Herde (Hunziger-Rodewald, 2001) aus. Kann die Ab- und Entwertung des Alters umkippen in Ausgrenzungen, die, psychoanalytisch betrachtet (vgl. auch Anhang II), von den Affekten von Angst und Ekel vor der Imagination des Verfalls als Gesicht

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des Alter(n)s getrieben sind, so kann die unbewusste Schuldgefühlsdynamik zu eben diesem Habitus des »grausamen Mitleids« (Szasz, 1997) umkippen. Sozialpolitik für die Schutzbefohlenen: In der kollektiven Ausnahmesituation von Corona ist genau dieser Umkipp-Effekt zu beobachten: Das Personal wird zu aufopfernden Held*innen der Hilfebereitschaft, die Einrichtungen zu Schutzwelten – zu Asylen der Schutzbefohlenen. Kulturgeschichtlich erinnert diese Ordnung (die Herr- und Knecht-Dialektik entpersonalisierend als System symbolisierend) am klassischen Lehnsfeudalismus. Die Schutzbefohlenen haben die Ordnung zu akzeptieren und müssen dankbar sein für den Schutz, unter dem sie gestellt werden. Wird oftmals die Welt der Hilfearrangements der Kinder- und Jugendhilfe des SGB VIII in Analogie oder gar in Homologie zur Welt der Hilfearrangements des SGB XI gesehen, so regressiert hier eine Auslegung des Erwachsenenschutzes im Alter auf die Schutzbedürftigkeit von nicht erwachsenen Personen, die in ihrem Wohl grundrechtlich definiert werden. Die Würde als heilige Ordnung der Personalität des Menschen gilt eben für den gesamten – für die frühen bis späten Phasen des – Lebenszyklus. Aber deshalb sind die Menschen verschiedener Altersklassen nicht in jeder Hinsicht identisch zu verstehen. Alte Menschen sind eben keine erneuten Kinder. Die Bedeutung der advokatorischen Ethik kann hier – im Vergleich von Kindheit und Alter – nicht identischer Natur sein. Wie bereits Kinder durch falsch verstandene Geborgenheitsliebe zur »erlernten Hilflosigkeit« geführt werden können, so kann der alte Mensch zur »erlernten Abhängigkeit« getrieben werden. Zwar geht es nicht um einen abstrakten souveränen Absolutismus der Autonomie: Dies ist, davon war schon die Rede, anthropologisch und ontologisch eine ideologische Chimäre, denn die conditio humana definiert sich über die Bedingtheit des menschlichen Daseins. Die soeben angeführte Parallele zur Situation zu den Schutzbefohlenen im klassischen feudalen Lehnswesen mag mehr als nur provokativ sein, ist aber nicht ganz so abwegig, wenn man an die philosophische Debatte um die

II. Diskursanalysen

dialektische Verstrickung von Herr und Knecht (bei Hegel, Kojéve, Bloch) erinnert (Descombes, 1987): Der Herr ist in seinem Status als Herr funktionslogisch und damit dem Wesen nach an der Existenz der Knechtschaft gebunden, wie umgekehrt von Knechtschaft nur gesprochen werden kann, wenn es Herrschaft gibt. Vielleicht sollten wir die Paternalismus-Debatte in der »Altenpflege« durchaus einmal in dieser Terminologie Kritischer Theorie diskutieren, wenn die Grundrechts-, also Menschenrechtsverletzungen in den »Altenhilfe« im Mantel von Gnade (Hardt, 2005) und Barmherzigkeit, Mitleid und Fürsorge verpackt werden. Diese provokante Sicht ist ja nicht ganz so unüblich: In der Debatte um die sog. Philosophie der Anerkennung hat der Komplex von Würde, Anerkennung und Respekt in einer außerordentlichen breiten Literaturlandschaft längst Wurzeln geschlagen (vgl. in Schulz-Nieswandt, Köstler & Mann, 2021). So haben Teilströmungen der Ethikdebatte der Pflegewissenschaft einige Aspekte der Kritischen Theorie aufgenommen, um diese vom Status konzeptioneller Handwerkslehre auf Augenhöhe mit anderen universitären Disziplinen zu bringen. Aber man merkt dem pflegewissenschaftlichen, zumindest dem pflegefachpolitischen Diskurs an, dass er der Fokussierung auf die Schutzbedürftigkeit verpflichtet ist. Diese moralische Ausrichtung steht aber in Gefahr, strukturkonservativ zu sein, weil die Wertelandschaft (Eppler, 2015) verkürzt ist: Wo bleibt das Grundrecht auf Teilhabe und Willensautonomie, auch wenn diese sicherlich immer nur relativ, kontextuell und relational ist, also nicht absolut sein kann, weil dieses Prädikat in der conditio humana keinen Platz hat. Das Absolute ist ein Prädikat der Theologie der Unbedingtheit Gottes. Hier geht es um den konkreten Menschen im sozialen Drama seines Daseins im Lebenszyklus. Aber innerhalb dieser Existenz kommt ihm Würde zu und innerhalb der Geschichte Selbstbestimmung und Verantwortung, Selbständigkeit und Schicksal, Möglichkeiten und Grenzen. Innerhalb dieser Existenz geht es um die Freiheit, die geordnet werden muss, soll sie ermöglichst werden. Ordnung steht in einem transzendentalen Verhältnis zur Freiheit der menschlichen Person. Nicht das »Ob« der Ordnungsbedürftigkeit menschlicher Frage ist das Thema, sondern das »Wie« und somit die konkrete Beschaffenheit des Ordnens, also die Art

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und Weise. Und die vorherrschende Ordnung der Kulturpraktien im Umgang mit dem Alter wird hier kritisiert. Gewährt das System der »Altenpflege« in diesem Sinne (Räume der) Freiheit? Ja, soll es geben. Vielerlei Wahlfreiheiten im Formenspektrum des Wohnens gewährt unsere Gesellschaft nicht. Die Maskerade (Kruse, 2014) der Herrschaft sozialer Machtverhältnisse (Moore, 1968), dessen Spiel im »altenpflegerischen« Leistungsgeschehen mitgespielt wird, mag unbewusst bleiben. Der Markt der Möglichkeiten hat eine relativ primitive Wohnformenlandschaft im Angebot. Daran knüpfen sich dann Konzepte von Care. Hier können das Spiel der Märkte die Investoren mitspielen und bieten den Fachberufen verschiedener Qualifikationsstufen und -profile Beschäftigungschancen. Die Maske (Bedorf, 2009; Brauneck, 2020; Negele, 2020) ermöglicht Rollenidentität, weil der Mensch so die Chance bekommt, als homo ludens (Huizinga, 2014) am Spiel des Lebens teilzunehmen. Es geht neben dem Role-making vorgängig schon um das Role-taking. Welche Rolle will ich spielen? In welchem Film nach welchem Drehbuch soll ich mitspielen und daher Verantwortung für Was übernehmen? Gutes Spiel, falsches Spiel, böses Spiel? Soll die herrschende Ordnung demaskiert werden, so geht es nicht um die Abschaffung der Maskenspiele im grundsätzlichen Sinne. Das Leben ist Theater. Das Leben spielt sich auf den vielen Bühnen ab. Das Leben wird in Geschichten erzählt. Will man den theatralischen Charakter des Lebens als Maskeraden abschaffen, schafft man das Leben schlechthin ab, weil die Praxis der Masken zur conditio humana gehört. Aber die konkrete Art und Weise der Maskenspiele sind das Thema der Problematisierung. Nicht das Leben als Film wird abgeschafft, sondern es wird das konkrete Drehbuch auszuwechseln – besser: umzuschreiben – sein. Es wird mit dieser Kultur der organisierten Nächstenliebe im Markt eben schlicht Geld, auf beiden Seiten des Arbeitsmarktes, verdient. Es kommen also Interessen (Besitz und Haben als Modi der Macht zur Sicherung von Selbstbildern) ins Spiel. In diesem Sinne nimmt der bekannte soziologische Spruch »Wir alle spielen Theater« eine bestimmte Form an: Das Spiel, das gespielt wird, ist das des homo oeconomicus, in dem nicht das gemeinwirtschaftliche Sachziel (»der Mensch im Mittel-

II. Diskursanalysen

punkt«) dominiert, sondern zum Nebenziel degradiert wird. Die Charaktermasken, die nicht nur bei Karl Marx, sondern auch bei Johann Wolfgang von Goethe, Jean Paul und Robert Musil (bei dem die Psychologie zur Kulturdiagnose wird: Neymeyr, 2005; ferner Jappe, 2011; Nübel & Wolf, 2016) in der kritischen Zivilisationsdiagnostik ein Thema sind, definieren sich als Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse und sind, rollensoziologisch gesehen, fest verankert. Und das macht das Problem nochmals komplizierter. Denn die Transformation der Weltbilder auf der Grundlage einer selbstkritischen Vergewisserung des Menschenbildes, das die Institutionen und sozialen Praktiken antreibt, ist gekoppelt an der Reflexion der ökonomischen Maschinerie. Damit liegen Blockaden der Selbstveränderung des Sektors vor. Also nun zur Eskalation der Heimkultur unter Corona-Bedingungen. Fast alle Aspekte, die ich aufgreife, finden sich u.a. in den Beiträgen in Reuschenbach (Reuschenbach, 2020). Aber ich gehe in mancher Hinsicht andere und tiefergreifendere Um-Wege4 mit Blick auf die kulturtheoretische und psychoanalytische Perspektive (vgl. auch Cremerius, 1981). Das erkennt man an der genutzten Literatur. Angesichts meiner diesbezüglich nicht vorhandenen Ausbildung und Qualifizierung geht es mir auch nicht um die Psychoanalyse als Therapiepraxis (Cremerius, 1995), sondern um ihre kulturtheoretische Bedeutung der Diagnostik. Es geht ohne Zweifel um das Alltägliche des sozialen Dramas, aber eben dieser Alltag (Bourdieu, 2002) hat seine Tiefe (Hoß, 2004), die es zu ergründen gilt. »Pflegenotstand« hat eben nicht nur mit Zeitmangel, Personalbedarf, Weiterqualifikation und mit Refinanzierungsfragen sowie Qualitätsmanagement u.v.a.m. zu tun. Das sind Phänomene der Oberfläche, damit durchaus Elemente einer großen Strukturfrage, die aber als Kulturfrage zu rekonstruieren ist. Und dieser Kulturwandel betrifft das Weltbild eines Systems der verschachtelten Ebenen der Akteure, der Institutionen und des Landschaftsgefüges. Kritische Theorie ist immer schon über die Kritik der Politischen Ökonomie hinausgegangen und hat den Verdacht von Freud zum Ausgangspunkt der 4

Im Vergleich auch zu https://story.uni-koeln.de/corona-krise-im-fokus/; Tag des Zugriffs: 23. April 2020.

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Beobachtung sozialer Wirklichkeit gemacht. Ich wiederhole mich nun bewusst, weil es um diese poetologischen Fragen einer soziologischen Poetik des menschlichen Alltagsdramas (Schulz-Nieswandt, Köstler & Mann, 2021) geht: Welches Spiel wird hier auf der inszenierten Bühne der Gesellschaft gespielt? Welcher Film läuft nach welchem Drehbuch vor unseren Augen ab? Wie sehen, aber verstehen wir auch Sinn und Unsinn der sozialen Inszenierungen? Wird der Vorhang im Kino, der immer noch einen nur verschleierten Blick auf die Leinwand ermöglicht, von Kritischer Theorie zerrissen? Lassen wir uns vom symbolischen Sozialmarketing, wonach der Mensch in den Einrichtungen natürlich – wie immer und überall – im Mittelpunkt des Geschehens stünde, framen? Zwar sei er dort nicht König*in, sondern der Bettler wird zum Mittelpunkt emphatischer Hilfe aus Barmherzigkeit heraus. Wir müssen mit Blick auf die symbolischen Praktiken der Institutionen unter der Oberfläche ihrer gleichsam in Bezug auf die Menschen freundliche Tätigkeit schauen. Auf dem Jahrmarkt der Interessen wird sogar noch die größte Lüge als Wahrheit verkauft (Hettlage, 2003). Die Gesellschaft belügt sich selbst, wenn sie sich für toll hält. Außer, man versteht das Wort »toll« wieder in seiner etymologischen Ursprünglichkeit. Dann sind wir dem Wahnsinn auf der Spur. Die Narren: Die Begrifflichkeit des Narren ist vielfältig und ambivalent, eben auch einem Nutzungswandel unterworfen. Als Narr oder als Tor (als törichter Mensch definiert) wurde in der Vormoderne Personen bezeichnet, die als Spaßmacher für Unterhaltung und Belustigung sorgten und hierzu in der Regel passend auffällig gekleidet waren. Als Tor oder Narr werden aber auch Personen bezeichnet, die sich der Lächerlichkeit preisgeben, weil sie sich auf Basis ihrer Unwissenheit als wissende Gelehrte aufplustern, ohne ihre Blamage zu erkennen. Er fasziniert, ist aber auch Subjekt von Fehlverhalten. Die allgemeine Bedeutung eines »Narren«, der sich in eben »in närrischer Weise nahe am Wahn bewegte, wurde negativ, ab- und ausgrenzend benutzt. Auffälligkeiten kennzeichnen ihn. Schnell kann er zur Gruppe der Außenseiter gehören. Die soziale Tatsache, dass jeder Mensch zum Narren werden kann, macht den Narren

II. Diskursanalysen

als Figur im interessanten Sinne anziehend, aber zugleich zu einem Symbol der menschlichen Ängste des triebhaften Fehlverhaltens. Er kann Lachen, aber auch Ängste auslösen. So wird der Narr einerseits mit gewisser Distanz, andererseits mit einem gewissen Interesse betrachtet. Aktuell ist auch noch die Formulierung, vernarrt zu sein (z.B. »heftig verliebt zu sein«), eine rosafarbige Brille aufzuhaben und sich somit schnell zum Narren im Lichte Dritter zu machen. Aber hier ist nicht der Wahn des Narren gemeint, der das Spiel der Ordnung nicht mitspielt und dem Wahn der Ordnung den Spiegel der Ironie, der Persiflage, des komödiantischen Spektakels (Stark, 2004; Haldemann & Kunsthaus Zug, 2018; Bachtin, 1995) vorhält. So unterzog das attische Satyrspiel (Brommer, 1944) auch die Tragödie einer komische Reflexion (Lämmle, 2013). Es geht um das, was die Schizoanalyse den Anti-Ödipus (Deleuze & Guattari, 1977) nannte. Die homo faber-Ideologie der Pflegepolitik folgt einer QuasiHydraulik: Geld X Maschinerie = Output. Politik pumpt Geld in die Maschinerie, die dadurch angetrieben wird, den erwünschten Output zu generieren. Alle drei Größen der Gleichung sind kritisch zu hinterfragen. Ist Geld die wichtigste energetische Kraftquelle? Wie schrecklich ist die Maschine? Über welchen Output reden wir eigentlich? Die bekannte Größe der Kosten-Effektivität verweist auf eine andere Logik. Die Relation von Inputkosten und Output (Produkt) wird bezogen auf die eigentlich erwünschten Outcomes der Produktionsfunktion. Ein SSST-Modell (Sicher, Satt, Sauber, Trocken) ist auf einer Output-Ebene des Körpererlebens (K) angesiedelt. SSST ist eine Körper-zentrierte Voraussetzung von Lebensqualität (LQ) als Ausdruck verwirklichter Würde. Diese hängt aber auch von der Aktivierung von Geist (G) und Seele (Psyche P) des Menschen ab. Erst dann ist die Dynamik personaler Weitung und Öffnung, also des weiteren Werdens der Person möglich:

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LQ = LQ (G, P, K).

G, P und K haben nun immer eine Welt- wie eine Selbst-Bezogenheit, sind einerseits auf die innere Erfahrungswelt als Selbst-Sein, andererseits auf die Partizipation an der Umwelt als Mit-Sein bezogen. Die Partizipation kann aber auf die Mobilität im geschlossenen Innenraum der Einrichtung (dann wäre sie eine Anstalt [aus dem Schülerinternat (Kalthoff, 1997; Johann, 2003) wird das Alteninternat) nicht reduziert sein, sie muss Sozialraum-orientiert im Da-Draußen verstanden werden. Die Idee der Kosten-Effektivität verweist uns auf eine Form der Ökonomisierung des Denkens, die den politischen Charakter der Unternehmensstrategie erkennbar werden lässt: Auf welche Ziele ist die Einrichtung ausgerichtet? Sachzieldominanz bei gemeinwirtschaftlichen Unternehmen kann nur lauten: Maximiere unter der Bedingung der Kosten-Effizienz die Effektivität im Sinne der Ziele (Bedarfe der Zielgruppen). Es geht also um das »gute Leben«. Das Gute ist dann das Wahre, wenn es der Personalisierung des Menschen (Selbst-Sein im gelingenden sozialen Mit-Sein dient: »Als Mitsein«, so Heidegger [2001: 123] »ïst“ daher das Dasein wesenhaft umwillen Anderer. Das muß als existenziale Wesensaussage verstanden werden.«). Das ist das Dasein auch als das Schöne: Form als Gestaltbildung. Das ist die Poetik des Wohnens im Alter. Damit wird die Ökonomik zu einer Disziplin, die offensichtlich politische Theorie ist: Denn die Effizienz der Mittel und Wege in Bezug auf gegebene oder alternative Ziele, die das zentrale Thema der Ökonomik ist (Napoleoni, 1972: 26ff.), ist gerade deshalb nicht wertfrei, weil sie entweder auf die gegebenen Ziele hin sich affirmativ verhält oder aber andere Ziele setzt und insofern normativ begründungsbedürftig ist. Und wie problemlos ist eigentlich die Maschinerie selbst? Produziert sie LQ? Das Wahre (W), Schöne (S), Gute (G) können als zum Outcome (Ω) einer Ökonomik kosten-effektiver Investitionen (keI) werden:

{W, S, G} = f (Ω [keI]).

II. Diskursanalysen

Das ist kein triviales Modell. Aber in das Modell einer trivialen Maschine der SSST-Kultur wirkt nun ein neuer Impaktfaktor ein: Corona. Und die Maschinerie absorbiert diesen Impuls gemäß ihrer fixierten Logik. Sie hinterfragt ihre Logik – ihre Arbeitskultur – nicht. Wie steht es also um die Poetik des Wohnens im Alter in Zeiten von Corona? Reden wir über die stationären Settings, so bedeutet dies: Der Innenraum wird zusätzlich verriegelt. Die zarten Pflänzchen der Sozialraumorientierung werden gekappt. Der alte Mensch im Heim wird in der Corona-Zeit zur Verschlusssache. Da ich auch noch kurz auf die Digitalisierung eingehen werde, sei jetzt schon gesagt: Hier liegt eine partielle Hilfeperspektive vor. Aber das Übel ist tiefer verwurzelt in der Logik der Maschinerie. Diese arbeitet nach einem falschen Menschenbild bzw. – als soziale Tatsache der Zielverfehlung – vorbei an dem behaupteten anthropologischen Referenzsystem. An dem Ziel – die Würde der Person als Fluchtpunkt einer Ethik der Achtsamkeit und ihre Willensrechtsphilosophie der unmittelbaren oder advokatorisch mittelbaren mutmaßlichen partizipativen Selbstbestimmung – wird im Namen der Sorge vorbei gearbeitet. Darüber muss man sich – als Meta-Sorge über die Sorgearbeit – sorgen. Ich will eine weitere radikale Zuspitzung bestimmter Sichtweisen vornehmen. Dazu muss ich auf einige theoretische Erwägungen aus meiner Studie zu den Heimbewohner*innen als »Keimträger« (SchulzNieswandt, 2020d) zurückgreifen. Doch stellen die nachfolgenden Ausführungen keine Zusammenfassung der Studie dar. Corona erfordert eine Anpassung der dortigen Argumentation über einige Ecken herum. Die radikale Schlussfolgerung, endlich zuzugestehen, dass wir die Wohnlandschaften im Alter und daher auch die Versorgungslandschaften umbauen müssen, wie sie in meinem KDA-Papier kürzlich (SchulzNieswandt, 2020b) angedeutet wurde, wird nochmals breiter entfaltet (Schulz-Nieswandt, Köstler & Mann, 2021).

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Corona5 wird Spuren – eine Signatur (Scharfe, 2011) – in der Sozialpolitik des Alterns hinterlassen. Es wird ein Thema der NeuVermessung (Sabrow & Weiss, 2017) des begonnenen 21. Jahrhunderts sein. Das Thema erfordert eine kultursemiotische Hermeneutik (Schulz-Niewandt, 2020m), also das Verstehen der Logik der Denkweisen, der Deutungsmuster sozialer Wirklichkeit und die Grammatik der sozialen Praktiken aus den Kontexten der kulturellen Einbettung und Einschreibungen betreffend. Gesellschaft und Individuen sind ja nur begriffliche Abstraktionen. In Wirklichkeit gibt es nur eine In-Einander-Faltung beider Kategorien. Die Analyse kommt daher, wie auch in anderen Themenfeldern (dazu auch z.B. Schulz-Nieswandt, 2020a), ohne psychodynamische Diagnostik nicht aus. Corona hat sich und wird sich noch verstärkt in die interpretative Wahrnehmung unserer Gegenwart mit Blick auf die zukunftsbezogene Erwartungsbildung einschreiben. Indem das Miteinander in ihren Formen verändert wird, verändert sich auch die innere Erlebniswelt des Menschen, seine Aufstellung in der sozialen Mitwelt, seine Disponierung, seine Reaktionsstile und Verhaltensmuster. Corona wird, die Berechtigung dazu ist unzweifelhaft der Virologie und Epidemiologie gegeben, von einem virologischen Diskurs dominiert. Die darauf basierenden Bewältigungsmechanismen sind entsprechend medizinisch geprägt: Intensivmedizin, Quarantäne, Impfstoffforschung. Über das (zivilisatorische: Senghaas, 1995: 17ff.) Elend in der Dritten und Vierten Welt (Groß, 2020) wollen wir hier erst gar nicht zu reden, ebenso wenig über das Elend hinter den manipulierten offiziellen Statistiken der autoritären Staaten Asiens oder von Russland, der Türkei (Babacan, 2020) bzw. über die Politik der psychopathischen USamerikanischen Führung). Aber schon die utilitaristische Praxis (der Maximierung der Wohlfahrt als Maximierung des Glücks der größten Zahl der Bewohner*innen, hier der Maximierung der kollektiven Zahl der zu erwartenden zusätzlichen Lebensjahre: vgl. Anhang I) in Italien, unter der Nebenbedingung von Versorgungskapazitätsengpässen, wirft

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https://de.wikipedia.org/wiki/SARS-CoV-2; Tag des Zugriffs: 18. April 2020.

II. Diskursanalysen

fundamentale ethische Probleme auf. Die Zahl der Lebensjahre der Bevölkerung zu maximieren, also eher ältere Menschen (durch Rationierung der Nutzungszugangschancen: Duttge & Zimmermann-Ackling, 2013) als jüngere Menschen sterben zu lassen, verweist uns auf ethische Fragen hoch problematischer Politiken. Denn der Kant’sche kategorische Imperativ des Art. 1 GG erklärt den Mensch in seiner Würde im Sinne einer modernen Naturrechtsidee als reinen Selbstzweck, der nicht instrumentalisiert (verwertet: Nadai u.a., 2019; Koch, 2016) werden darf. Dies gilt, wenn die Analyse zentriert wird um die Heilige Ordnung der Würde (Möbius, 2020; Schulz-Nieswandt, 2017a) und der daraus resultierenden sozialen Gerechtigkeit des sozialen Rechtsstaates im Lichte der Grundrechte der menschlichen Person. Die Würde ist also als Thema tabu. Der Mensch ist daher auch nicht zugunsten ökonomischer Ziele aufzurechnen. Darauf ist gleich nochmals kurz zurückzukommen. Am nachfolgenden Schaubild (1) lässt sich die gesamte Problematik der Daseinsverfehlung (Entfremdung) als Differenz ontologischer Wahrheit (Wahr-Werden der Personalität als Gestaltqualität des Daseins) einerseits und ontischer Wahrheit (objektive Befunde der Erfahrung der sozialen Wirklichkeit) andererseits auf personalistischer Grundlage erläutern. Im Sinne von Martin Heidegger: Das Sein des Seienden ist nicht selbst ein Seiendes. Eine Suche nach dem Sein, das selbst nicht unmittelbar erfahrbar ist, generiert somit immer nur Seiendes als Erfahrbarkeit. Allerdings bleibt das Sein als Hintergrund die Voraussetzung dafür, dass Seiendes gegeben ist. Damit bleiben trotz ihrer Differenz das Sein und das Seiende immer als Relation aufeinander bezogen. Ihr Verhältnis besteht in der Identität in der Differenz. Hier wird im Lichte Kritischer Theorie die besagte Relation skalierend thematisiert: als Vermessung der Entfernung der wirklichen Lebens sozialer Wirklichkeit von der Norm des »guten Lebens« in Liebe und Gerechtigkeit demokratischer Polis. Ich unterscheide die Realitäten, die der Sozialstruktur der globalen Raumentwicklung entsprechen: Es gibt Wohlstandszentren (R

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I), Semi-Peripherien (R I-II) und Peripherien (sog. 3. und 4. Welt). Alle weisen ihre jeweiligen internen Zentrum-Peripherie-Muster der Insider-Outsider-Mechanismen mit dynamischen Übergangsräumen auf (interne Varianz). Das (relative bis absolute) Elend ist nun vor dem Hintergrund der Wertewelt der Sattelzeit von 1789 skalierbar als Differenz (D) der Ontik (soziale Wirklichkeit als ein Seiendes) zu der Norm der ontologisch fassbaren Gestaltwahrheit des menschlichen Daseins. Personalität sei erfasst als im Völkerrecht naturrechtlich definierte Würde des Person-Seins im genossenschaftsartigen (mutualen) Modus (Schulz-Nieswandt, 2018a: 2019d; 2020n) eines gelingenden sozialen Miteinanders aus der Kraftquelle der Liebe im Lichte der sozialen Gerechtigkeit, verbürgt durch die Demokratie des sozialen Rechtstaates. Die Differenz (D) ist die Differenz zwischen der Norm (oN) und a) der Realität I, b) der Differenz zu R I-II, c) der Differenz zu R II: D = D(oN – R).

Schaubild 1: Die ontologisch-empirische Differenz verstehen

II. Diskursanalysen

Corona löst eine Resonanzdynamik mit vielen semantischen Dimensionen und Aspekten aus, die erst mittelfristig besser zu überblicken sein wird. Die Auswirkungen auf die ökonomische Praxis in ihrer hoch komplexen funktionalen und räumlichen Verflechtung und den daraus resultierenden Kettenreaktionen sind noch nicht abzusehen6 , vor allem, weil die Menschen nun erahnen können, was auf uns zukommt, wenn derartige Pandemien (Hacker, 2020) häufiger global auftreten werden. Und wenn imaginiert wird, dass Corona ja noch ein relativ harmloses Virus ist, wenn die soziale Selektivität der Risikogruppenverteilung (vor dem Hintergrund der Nebenbedingung der sozialstaatlichen Gewährleistung der Infrastruktur hoch entwickelter medizinischer Behandlungskapazitäten) beachtet wird. Die pathogene Schnittstelle Mensch/Natur ist kulturgeschichtlich bekannt (Scott, 2019). Mit dem Verdacht auf die Rolle der Virenforschung ist eben verschwörungstheoretisch (Butter, 2018) schwer umzugehen. Wenn wir neben der Schnittstelle Mensch/Tier (Wolfe, 2020; Quammen, 2020) die Spekulationen über die Unsicherheit über die Hermetik militärischer oder industrieller Forschung zur Seite schieben, muss gefragt werden: Welches Spektrum und welche mutativen Derivate wird uns die Natur (in Interaktion mit der Kultur: Seemann, 2020) noch bescheren? Corona hat auch versteckte sozio-ökonomische Prekaritäten in hoch entwickelten Wohlfahrtsstaaten zur Oberfläche gebracht. Die Schwächen wirtschaftlicher Resilienz kleiner Betriebe bestimmter Branchen und die ökonomische Vulnerabilität breiter Beschäftigungssegmente sind sichtbar geworden. Die Volatilität der internationalen Finanzmärkte stellen dann die verdichtete Krönung des Krisengeschehens dar. Zwischenfazit: Eine Flut an Literatur zu Corona wird über uns kommen. Die ersten Beiträge (Reuschenbach, 2020; Volkmer & Werner, 2020) sind

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In der Fachzeitschrift »Wirtschaftsdienst« ist breit darüber analysiert und diskutiert worden. Vgl. https://www.wirtschaftsdienst.eu/corona-update.html.

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schon auf dem Markt. Die nachfolgenden Überlegungen gesellen sich dazu, weil ich der Meinung bin, die kulturellen Auswirkungen auf die Logik des sozialen Miteinanders bedürfen der psychodynamischen Sichtung. Denn gerade in solchen existenzialen Krisen wird deutlich, wie archaisch auch der neuzeitliche Mensch der Moderne strukturiert ist. Der homo abyssus ist tief eingraviert in seine Meme und Gene, die Zivilisationseischale (ein Kartenhaus: Girodano, 2020) ist dünn und leicht zu zerbrechen. Aber sein Potenzial als homo donans ist ebenso tief verankert in der Natur des Menschen, die sich ebenso wie seine Abgründigkeit in seiner Kulturgeschichte zum Ausdruck gebracht hat.

Viele soziale Probleme (Schulz-Nieswandt, 2020j), die Themen in der Sozialpolitik sind, lassen sich nicht einer Lösung oder zumindest einer Problemminderung zuführen, wenn nicht angemessen verstanden wird, wie die involvierten Menschen »ticken«. Wie ist deren Strickmuster zu verstehen? Was sind die Entwicklungsblockaden? Welche Ängste verbinden sich mit dem sozialen Wandel? Mit welchen Verhaltensmustern gehen z.B. die Professionen auf die vulnerablen Menschen der sozialpolitischen Institutionen und Praktiken zu? Das sind Nachfragen, die sozusagen die »Angebotsseite« der Güter und Dienstleistungen der praktischen Sozialpolitik betreffen. Aber auch, auf der »Nachfrageseite« des Interaktionsgeschehens, die sog. Zielgruppen der Sorgeregime der Sozialpolitik, gerade mit Blick auf die Gruppe des höheren und hohen Alters, sind aus ihrer sozial überformten und von Zeitgeschichte und sozialer Herkunft geprägten Biographie und aus ihren entsprechend gewordenen Lebenslagen heraus zu verstehen. Wie steht es um die innere Welt dieser Menschen? Wie erleben sie ihre Problemlage und die Care-Regime der Professionen in den institutionellen Settings? Sind sie und wenn, in welcher Weise, als Objekte der institutionellen und professionellen Begierde ausgesetzt? Bringt man beide Seiten des sozialen Austausches als Geschehen in Wechselwirkung, so wird deutlich, was von Interesse ist: Wie ist die Kultur der Institutionen der Versorgung und der sozialen Praktiken

II. Diskursanalysen

der Für-Sorge beschaffen? Was ist die Logik (Denk- und Handlungsprogramm) der Institutionen und deren Professionen, nach der die Hilfe geschieht? Wissen die »Anbieter« immer, was sie wie und warum tun? Was sind die Bedeutungen der Erfahrung eines solchen Geschehens aus der perspektivischen Seite des leidenden Menschen in seiner Grundgestimmtheit? Die Schuld, die man gegenüber den vorgängigen Gaben der vorausgegangenen Generation als Gegen-Gabe erbringen sollte, ist als Generationenvertrag geradezu archetypisch und findet sich im Dekalog (Köckert, 2007; Otto, 2006) als Gründungsmythos unserer Kultur. Diese Schuldkultur gehört zu unseren Zivilisationsschätzen des kollektiven Gedächtnisses, dem wir eine Erinnerungskultur widmen sollten. Vor allem die Ansprachen der Kanzlerin in der Corona-Krise beschwören diesen Mythos. Zum Nachvollzug der Dramaturgie der Rede der Kanzler vom 19. März 20207 - spätere Reden bzw. Ansprachen validieren diese Sichtweisen - seinen einige Passagen zusammengefügt und sodann interpretiert. Auszüge: »Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst. Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.« »und so Zeit zu gewinnen. Zeit, damit die Forschung ein Medikament und einen Impfstoff entwickeln kann. Aber vor allem auch Zeit, damit diejenigen, die erkranken, bestmöglich versorgt werden können. Deutschland hat ein exzellentes Gesundheitssystem, vielleicht eines der besten der Welt. Das kann uns Zuversicht geben.« »Und wir sind eine Gemeinschaft, in der jedes Leben und jeder Mensch zählt.« »Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit zu aller erst an alle wenden, die als Ärzte oder Ärztinnen, im Pflegedienst oder in einer sonstigen Funktion

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https://de.wikipedia.org/wiki/Fernsehansprache_von_Angela_Merkel_anlässlic h_der_COVID-19-Pandemie; Zugriff am 6. Mai 2020.

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in unseren Krankenhäusern und überhaupt im Gesundheitswesen arbeiten. Sie stehen für uns in diesem Kampf in der vordersten Linie.« »Und jeden Tag gehen Sie aufs Neue an Ihre Arbeit und sind für die Menschen da. Was Sie leisten, ist gewaltig, und ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür.« »Und die nächsten Wochen werden noch schwerer.« »Und lassen Sie mich auch hier Dank aussprechen an Menschen, denen zu selten gedankt wird. Wer in diesen Tagen an einer Supermarktkasse sitzt oder Regale befüllt, der macht einen der schwersten Jobs, die es zurzeit gibt. Danke, dass Sie da sind für ihre Mitbürger und buchstäblich den Laden am Laufen halten.« »Alle zählen, es braucht unser aller Anstrengung. Das ist, was eine Epidemie uns zeigt: wie verwundbar wir alle sind«. »Es kommt auf jeden an.« »Dass wir diese Krise überwinden werden, dessen bin ich vollkommen sicher.« »Wir können jetzt, entschlossen, alle miteinander reagieren. Wir können die aktuellen Einschränkungen annehmen und einander beistehen. Diese Situation ist ernst und sie ist offen.« »Wir müssen, auch wenn wir so etwas noch nie erlebt haben, zeigen, dass wir herzlich und vernünftig handeln und so Leben retten. Es kommt ohne Ausnahme auf jeden Einzelnen und damit auf uns alle an.«

Zur Interpretation kann ein bemerkenswerter Artikel des Freiburger Soziologen Albert Scherr (2020) dienen. In dem Text der Bundeskanzlerin wird die nationale Solidargesellschaft als Schicksalsgemeinschaft angesprochen. Hier findet, so Scherr, eine Rahmung der Wahrnehmung statt, die er in Anlehnung an Pogge (2011: 155ff.) als nationenzentrierte Auffassung der Welt bezeichnet: Empathie, Solidarität und Hilfe werden wie in einem Kriegszustand angesichts der exogenen feinde beschworen. Heldentum wird angedeutet. Diese Sprache repliziert sich in den Texten der Kanzlerin im Oktober/November und so dann in Auftritten im Dezember 2020. Die Bundeskanzlerin rückt die Grenze der Belastbarkeit des Gesundheitswesens angesichts drohender unregulierter Infektionsdynamiken an. Da die Exzellenz des Gesundheitswesens in Deutschland – darüber kann man geteilter Meinung sein, weil, wie üblich, offensichtlich hohe Ausgaben und quantitative Strukturen als Indikator für Qua-

II. Diskursanalysen

lität missverstanden werden – im Text angesprochen wird, hat Scherr mit seinem Verdacht wohl einen Volltreffer gelandet, wenn er politische Angst vor Reputationsverlust des Sozialstaates vermutet. Scherr analysiert sodann diese Angst als Problem der modernen Gesellschaft jedoch auch tiefgreifender. Die Angst entwickle sich angesichts des kollektiv geteilten Phantasmas, dem kollektiven Mythos von der staatlichen Regulierbarkeit aller Risiken (Luhmann, 2003), die die Menschheit bislang begleitet haben, wozu eben auch die großen Seuchen gehören. Er rekurriert hier auch auf De Swaan (1993), den ich in der vorliegenden Studie u.a. in Verbindung mit Ewald (1993) anführe. Wehe, das sozialstaatliche Gesundheitssystem würde zusammenbrechen: Das würde »dystopische Fantasien«, so Scherr, auslösen. Das »Versprechen der Moderne« sei es, die gesellschaftlichen Lebensverhältnisse staatlich mit Blick auf Ordnung und Sicherheit zu regulieren. Es ist, und das deutet sich auch in der Rede der Bundeskanzlerin an, der tiefe moderne Glaube an die Wissenschaft, an das Risikomanagement im Sinne kontrollierbarer Wahrscheinlichkeiten von Risiken, der hier mythisiert wird. Dieser Mythos basiert, so Scherr, auf dem, was Max Weber als »Entzauberung der Welt« bezeichnet hat, um sodann aber (als »Dialektik der Aufklärung«) umso heftiger nunmehr als »Gehäuse der Hörigkeit«, wie ich nun an Max Weber anknüpfen würde, wiederkehrt. Scherr verweist auf die historischen Studien von McNeill (1976), der (übereinstimmend mit den Studien, die ich in meiner Arbeit zum Menschen als »Keimträger« angeführt habe) plausibel macht, dass die Weltgeschichte eine Koevolution des Menschen und der sonstigen Natur ist, zu der eben auch die Verwundbarkeit der Menschheit durch Epidemien zählt. Corona versetzt die (westliche) Welt wieder in einen vormodernen Naturzustand zurück, in die Normalität, in einen Zustand, der aus westlicher Sicht bislang mit schulterzuckender Selbstverständlichkeit weitgehend unhinterfragt dem (Ebola-Problem im) subsaharischen Afrika (Gerlinger, 2027; Fink & Gronemeyer, 2014) zugeschrieben worden ist. Was Scherr mit Rekurs auf Ausführungen von Max Weber aus dessen berühmten Essay über »Wissenschaft als Beruf« (auch Zygmunt Baumann [1992] anführend) ausführt, wird von mir in kollektiver Perspektiver psychoanalytisch nochmals tiefer und etwas anders hinterfragt: War die Mo-

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derne überhaupt jemals modern? Hat sie wirklich alle Angst vor geheimen Mächten und an den entsprechenden Dämonenabwehrzauber eliminiert? Die Ersatzreligion ist die Wissenschaftsgläubigkeit sowie die daraus resultierende Praxis der Berechenbarkeit der Steuerung der Verhältnisse. Das prägt auch die Hoffnung, die eschatologisch in der Rede der Kanzlerin zum Ausdruck kommt. Zur Dramaturgie der Rede vom 4. April 20208 seinen ebenso einige Passagen zusammengestellt: »Wir alle werden ein ganz anderes Osterfest erleben als je zuvor.« »Es wird ein Danach geben. Oder, um zum Gedanken an Ostern zurückzukommen: Es wird auch wieder Osterfeste geben, an denen wir uns uneingeschränkt Frohe Ostern wünschen werden. Wann dieses Danach kommt und wie gut das Leben wieder sein wird, das haben wir jetzt alle mit in der Hand. Wir alle zusammen können unserem Land helfen, den Weg aus dieser Krise zu finden. Und dieses Wir, das zählt jetzt.« Die bisherige Sicht validiert sich auch hier. Legen wir jedoch nochmals radikaler die Passagen beider Reden der Bundeskanzlerin im Lichte eines öffentlichen Kommentars von Giorgio Agamben zur Corona-Krise aus. Der Text von Agamben (Neue Zürcher Zeitung vom 7. April 2020) kann hier nicht vollständig wieder gegeben, sondern nur interpretiert werden. Agamben konstatiert die kollektive Bereitschaft, die »normalen Lebensbedingungen zu suspendieren«. Und diese Offenheit wird zu problematisieren sein, wenngleich auch gilt: »Und dies ist in gewisser Weise das einzig Positive, das sich aus der gegenwärtigen Situation ziehen lässt: Es ist möglich, dass die Menschen sich später zu fragen beginnen, ob ihre Lebensweise die richtige war.« Zu problematisieren sei z. B. »eine dem eschatologischen Vokabular entlehnte Sprache, die im hämmernden Diskurs der Medien in geradezu obsessiver Art und Weise wiederkehrt und das Ende der Welt heraufbeschwört.« Und zu bedenken bleibt, »dass die Menschen an nichts 8

https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/rede-von-bundeska nzlerin-dr-angela-merkel-1739802; Tag des Zugriffs: 6. Mai 2020.

II. Diskursanalysen

mehr glauben – ausser an das nackte biologische Leben, das es um jeden Preis zu retten gilt. Aber auf der Angst, das Leben zu verlieren, lässt sich allein eine Tyrannei errichten, nur der monströse Leviathan mit seinem gezückten Schwert.« Und so »muss man sich fragen, worin eine politische Ordnung bestehen könnte, die sich darauf gründet.« »Elias Canetti definiert in seinem Meisterwerk ›Masse und Macht‹ die Masse, auf der sich die Macht gründet, durch die Ausserkraftsetzung der Furcht davor, berührt« (Fluhrer & Waszynski, 2020) zu werden.9 Agambens Hinweis auf die eschatologische Struktur der Sprache und auf die Betonung der Heilkraft der Wissenschaft steht in hermeneutischer Übereinstimmung mit der Analyse von Scherr. Wie bei Scherr geht es auch bei Agamben um ein Staunen über die Selbstverständlichkeit der Annahme des Ausnahmezustandes in der liberalen Demokratie. Es geht offensichtlich um Aberglauben und Angst, die kognitiv disponierend und pragmatisch handlungsleitend wirksam sind. Es geht um »das nackte biologische Leben, das es um jeden Preis zu retten gilt. Aber auf der Angst, das Leben zu verlieren, lässt sich allein eine Tyrannei errichten, nur der monströse Leviathan mit seinem gezückten Schwert.« (zur Figur des Leviathan: Manow, 2018; Manow, Rüb & Simon, 2012: Bredekamp, 2020; 2016). Erst wird die Schicksalsgemeinschaft beschworen, sodann die Hoffnung auf die Erlösung (von der Seuche). Auf dieses Heilsversprechen der Effizienz des hygienischen Intensivmedizin-, Impf- und Quarantäneregimes (das grausame Wort der Ausgrenzung vermeidend, wie Agamben es formuliert) gründet der Glaube an der Legitimität der politischen Ordnung des Ausnahmezustandes. Der Rekurs auf Canetti ist mir überaus plausibel, habe ich selbst doch in meiner Rezeption der Mechanismen der apotropäischen Hygieneangst auf Überlegungen von Canetti in »Masse und Macht« aufgebaut. Die entscheidende Kategorie zitiert auch Agamben: »Berührungsfurcht«. Und so wird die Gesellschaft als »Labor« akzeptiert. Stellen 9

https://www.nzz.ch/feuilleton/giorgio-agamben-zur-coronakrise-wir-sollten-un s-weniger-sorgen-und-mehr-nachdenken-ld.1550672.; Tag des Zugriffs: 10. Mai 2020.

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wir die demokratietheoretische Nachfragen (bei Scherr wie bei Agamben), ob die Ausnahmezustände in Zukunft auch Ausnahmen bleiben und nicht sooft ausnahmsweise auftreten, dass sie zur Regel werden, zur Seite, so geht es mit hier um die Frage des Umgangs mit Risiken, den Ängsten und eben den Ausgrenzungspraktiken. Der Mensch fürchtet, was er nicht kennt: Nicht nur die für solidarische Sozialpolitik transzendental bedeutsame pro-soziale Empathie kennzeichnet das Wesenspotenzial den Menschen, sondern auch die Furcht (Bähr, 2013) vor der Berührung von anderen bzw. durch andere Menschen. Zufällige Berührungen mit anderen Menschen führen zu einer Entschuldigung. Das Einschließen in die Häuser ist als Versuch des Menschen zu verstehen, sich dem bedrohlichen Fremden in der Welt als ein Da-draußen zu entziehen. Nach dem Verlassen der Höhle von Platon baut sich der Mensch sofort seine Verteidigungsanlagen. Sein Heim ist bekanntlich eine Burg. Es ist eine als hermeneutische Spur wichtige Signatur, dass Canetti von Franz Kafka (und dessen traumatisierender Welt) wie besessen war (Canetti, 2019). Soziologisch entsteht die bi-polare Konfrontation, so – hier relevant – zwischen Jungen und Alten, ferner: Es kristallisiert sich als Bipolarität heraus: die Lebenden gegenüber den Toten: Den Toten will der Mensch nicht angehören. Canetti (Hanuschek, 2015) wollte nie den Tod akzeptieren (Canetti, 2015). Das Verhältnis ist daher voller Ambivalenzen numinoser Art (Schüz, 2016): Der Mensch ehrt und besänftigt sie, ruft sie um Hilfe an, fürchtet (wie im Fall der Erinnyen: Zerhoch, 2015) ihre Rache oder dominiert mit jedem neuen Lebenstag über den Tod. Das Geheimnis liegt in der eigentümlichen Dialektik von Ohnmacht und Macht. Für Canetti ist Macht eine Chiffre für Gewalt. Archaisch (Angelova, 2005) offenbart sich diese gewaltbereite Macht im »Augenblick des Überlebens« dann, wenn ein Lebender siegreich über einem Toten steht. Wie ist das zu interpretieren, wenn immunisierte oder geimpfte Bürger*innen demnächst ein Kennzeichen tragen: Sind wir in der Welt der Stofftiere von Steiff, in der Welt der Brandmerkmalen der Eigentumsrechtsregimen der Weidewirtschaft als Thema von US-Western oder im antisemitischen Assoziationsraum eingetroffen?

II. Diskursanalysen

In den Texten über den Mythos der nationalen Schicksalsgemeinschaft wird die Solidarhaltung korreliert mit einem Generationenvertrag der Jungen und der Alten. Angesichts des impliziten Diskriminierungsgehaltes dieser anti-differenziellen Defizittheorie des Alter(n)s schlägt die Für-Sorge als Verstiegenheitsmodus der Sorge um in Ausgrenzung der Schutzbedürftigen in Reservaten. Unhistorisch darf man den Generationenvertrag jedoch nicht auslegen. Das Thema ist voller Ambivalenzen. Wir müssen nicht jedem Fehlverhalten und allen uns hinterlassenen Ruinen (Schnapp & Wittenburg, 2014) vorgängiger Epochen huldigen. Und wir müssen sogar Vergangenheiten begraben (ohne sie vollends zu vergessen, sonst könnten sie auch wiederkehren), wenn sie sich kulturgeschichtlich als überholte Stufen der Zivilisierung erweisen. Dazu zählt der Patriarchalismus und die Maskulinitätsdominanz, die Sklaverei und andere Formen vermeidbarer Klassenherrschaft, Fremdenfeindlichkeit und Kriegshuldigung u.a.m. Doch das ist die sinnmaterielle Dimension der Problematik. Formal (ontologisch) ist richtig: Wir schulden den vorgängigen Generationen Dank. Und trotzdem gilt es hier, Skepsis einzubringen, wenn aus der Schuld ein Muster neurotischer Schuldenbewältigung resultiert, die den kalendarisch alten Menschen im Modus des baby-talk zum Objekt verstiegener Überversorgung (over-protection) macht. Ein (unbewusst) auf Abhängigkeit zielendes Drehbuch (dependency-support-script) wird zum Problem.

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III. Von der Analyse zur Positionierung

Die vorliegende Abhandlung ist knapp und dicht, kann dabei auf einige meiner vorgängigen Publikationen aufbauen (mittelbar oder, wie im Fall von Schulz-Nieswandt [2020d], unmittelbar) und werden in noch an-, also ausstehenden Publikationen breiter vertieft bzw. zu vertiefen sein. Ich nehme hier, textwachstumsgeschichtlich gesehen, in diesem Abschnitt III eine Position ein auch aus der Rolle des (bis zum Herbst 2020) amtierenden Vorsitzenden des Kuratorium Deutsche Altershilfe. Es ist Satzungszweck des KDA, aus seinem von Marktinteressen unabhängigen Status kritischer Beobachtung und Begleitung der Alter(n)spolitik als Teil der Sozialpolitik als Teil der Gesellschaftspolitik Stellung zu nehmen zum Zeitgeschehen, Impulse für neue Pfade des gelingenden sozialen Miteinander zu geben und soziale Innovationen, die diesen Namen im Lichte der Gestaltwerdung der Personalität der menschlichen Person im Kontext sozialer Gerechtigkeit auf der Grundlage des Naturrechts der Würde verdienen, voranzutreiben. Einige aktuelle Gedankenanregungen von Hermann Brandenburg (PTHV) wirken in dem vorliegenden Text des Abschnittes III mit, ebenso die kontinuierliche Betonung von Ingeborg Germann, die KDAPosition fokussiere nicht nur auf das defizitäre Alter. Das teile ich als (nunmehr im Dezember 2020: ehemaliger) Vorsitzender des KDA: Wir dürfen uns nicht blind fixieren auf die kreatürliche Hilfedürftigkeit des schwächelnden Alters. Das steigert sich sonst zur neurotischen Verstiegenheit eines wahnhaften Mitleids aus Angst vor der Schuldigkeit, die dem Alter als Generation, der wir unser Aufwachsen und weiteres Werden verdanken, entgegengebracht werden soll.

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Der alte Mensch als Verschlusssache

Aber gerade das aktuelle Geschehen der Signierungskraft von Corona, ihre Einschreibung in die auf die ältere Bevölkerung bezogene Politik macht deutlich, wie schwer es das KDA mit seiner eigenen Namensgebung hat: »Altershilfe«. Manchmal gibt es auch Freud’sche Versprecher (Fehlleistungen), wenn schlicht von »Altenhilfe« die Rede ist. Für die »Alten« gibt es eben auch keinen Gebrauchtwarenmarkt mehr. Der Begriff der Ware (Kommodifizierung des Menschen) passt auch mit Blick auf die verborgene Politische Ökonomie: Die jüngeren und älteren Erwachsenen zählen als Humankapital im System der ewigen Spirale der Kapitalakkumulation. Es sind verborgene Schuldgefühle, wenn humanistische Gerontologie die Weisheit des Alters und die Wissensarchive als Generativitätspotenzial in die Wahrheitsspiele einbringen. Und schon wird sogar diese zaghafte Rolleneröffnung mitunter als Angst vor drohender Gerontokratie wahnhaft verkehrt und mit einem »Krieg der Generationen« gedroht. »Altenhilfe«: Ein verstaubter, fachpolitisch überholter, die Zeichen der Zeit nicht abholender Begriff, der die kalendarisch älteren Menschen zum Objekt der Begierde fürsorgender Regulierung (Baumgartl, 1997) macht. Nichts ist gegen das Motiv der Sorge einzuwenden. Wie denn auch? Sorge ist ein ontologisch fassbares Existenzial des Menschen und daher schwerlich wegzudenken: Es gehört zur conditio humana. Doch das ist Ontologie (Urbich & Zimmer, 2020), nach der Struktur des Seins als solches fragend. Wie steht es um das Seiende?1 Aber

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Das Thema wurde weiter oben bereits angesprochen. Wegen der zentralen Bedeutung sei das Kernproblem nochmals erläutert, wobei die Sprache von Heidegger ihre Fremdartigkeit nutzt, um eben sein ganz neues Denken zum Ausdruck bringen zu können. Sein und Seiendes sind zu unterscheiden und dennoch aufeinander zu beziehen: Das Sein des Seienden ist nicht – so die Unterscheidung – selbst ein Seiendes. Eine Suche nach dem Sein, das selbst nicht unmittelbar erfahrbar ist, generiert somit immer nur Seiendes als Erfahrbarkeit. Allerdings bleibt – so das in Beziehung setzen – das Sein als Hintergrund die Voraussetzung dafür, dass Seiendes gegeben ist. Damit bleiben trotz ihrer Differenz das Sein und das Seiende immer als Relation aufeinander bezogen. Ihr Verhältnis besteht in der Identität in der Differenz. Vgl. Heidegger, 2001.

III. Von der Analyse zur Positionierung

welche Form (Gestaltqualität) sozialer Praktiken nimmt das anthropologisch fundierte Motiv an? Es sind zumindest die Ambivalenzen zu verstehen. Ernst Bloch schrieb einst: Nur der Dumme wisse nicht, dass alle Dinge zwei Seiten haben. Die Kehrseite der helfenden Hinwendung kann schnell die Form der normierenden Entmündigung der Bevormundung, der regulativen Kontrolle und Disziplinierung, der sozialkonstruktiven Pathologisierung, Medikalisierung, Hospitalisierung, der sozialräumlichen Ausgrenzung und De-Normalisierung und Anomaliebildung annehmen. Das KDA muss m.E. die radikale Position kritischer Beobachtung und Beurteilung annehmen, will es nicht überflüssig sein, denn die übliche Reproduktionsarbeit an den bestehenden sozialen und diskursiven Verhältnissen machen schon die Anderen. Der vorliegende Beitrag wählt entgegen üblichen Solidaritätsbekundungen einen Zugangsweg und das nicht, weil hier eine Nische gesucht und definiert wird, in der das KDA ein Alleinerstellungsmerkmal hat und somit nur Marketing (branding policy) betreiben möchte, um im Feld wahrgenommen zu werden, sondern weil diese Perspektive »in der Sache« wichtig ist. Diese Zugangsweise mag mitunter befremdlich wirken. Der Zugang ist kein typisch fachpolitischer Beitrag der »Altenhilfe-Diskussion«. Gerade hier liegt ja m.E. das Problem, wie zu zeigen sein wird. Der wissenschaftliche Zugang mag auch verärgern, vor allem auch die Zuspitzung in der ganzen analytischen Argumentation. So werden die Politik (und die Gesetzgebung als ordnende und somit soziale Wirklichkeit schaffende Herrschaftstechnik: Tassi, 2011) und die Formenlandschaft des Wohnens und der Hilfe als weitgehend anachronistisch eingestuft und unter den Verdacht gestellt, sich nicht radikal genug verändern zu wollen. Es ist dem KDA wichtig, dass das KDA bewusst von einer Öffentlichkeitsarbeit zur Corona-Krise auf Grundlage von Allgemeinplätzen und Blasen – die schon zahlreich abgegeben wurden – Abstand nimmt. Erste wichtige Stellungnahmen waren bereits im Frühjahr 2020 zur Kennt-

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nis zu nehmen2 . Als »Schlüsselfrage« werden angeführt: »Wie lässt sich soziale Teilhabe und Lebensqualität von Bewohner*innen bei bestmöglichem Infektionsschutz für Bewohner*innen, Angehörige und Mitarbeiter*innen sichern? Wie lässt sich soziale Teilhabe und Lebensqualität beim Verdacht einer Infektion sichern? Wie lässt sich soziale Teilhabe und Lebensqualität bei einer bestätigten Infektion sichern? Wie sollte Kommunikation innerhalb einer Einrichtung, nach außen oder von extern in eine Einrichtung gestaltet sein, um soziale Teilhabe und Lebensqualität zu sichern? Wie können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darin unterstützt werden, die empfohlenen Maßnahmen zur Förderung der sozialen Teilnahme und Lebensqualität im Umgang mit Pandemiemaßnahmen umzusetzen?«3

1.

Warum »Altenpolitik« in Anführungsstrichen?

Der Begriff der »Alten« wird breit genutzt (Germann, 2007; Göckenjan, 2000; Wahl, 2017). Auch in der Corona-Krise wird die besondere Vulnerabilität der hochaltrigen Menschen betont. Das ist auch nicht falsch, aber dennoch zu einseitig. Und das hohe Alter wird bis zur Entmündigung als Schutz- und deshalb Isolierungs-bedürftig erklärt. Befragt werden diese Menschen selbst nicht. Wo bleibt hier die auf Teilhabe abstellende Selbstbestimmung (als Wesenskern der personalen Würde) bzw. die Frage nach dem mutmaßlichen Willen? Angehörige verlagern, sofern es gelingt, denn Rechtsansprüche auf diese Übersiedlung bestehen nicht, Ihre Heimbewohner*innen in die Palliativeinrichtungen, um dort noch die zwischenmenschlichen Kontakte verwirklichen 2

3

https://www.dggg-online.de/fileadmin/aktuelles/covid-19/20200424_DGGG_St atement_Sektionen_II_III_IV_Soziale_Teilhabe_und_Partizipation.pdf;Tag des Zugriffs: 24. April 2020. Pressemitteilung der PTHV: S1-Leitlinie »Soziale Teilhabe und Lebensqualität in der stationären Altenhilfe unter den Bedingungen der Covid-19 Pandemie« vom 24. April 2020. Vgl. ferner https://portal.uni-koeln.de/universitaet/aktuell/ presseinformationen/detail/pflege-in-zeiten-von-corona-koelner-institut-fuerpflegewissenschaften-entwickelt-leitlinie? Tag des Zugriffs: 12. Mai 2020.

III. Von der Analyse zur Positionierung

zu können. Corona wird wohl Spuren in den Patient*innenverfügungen hinterlassen. Wir werden sehen. Ein tödliches Mitleid verbreitet sich weitgehend unreflektiert. Der Schutz vor dem biologischen Tod führt zu einem erdrückenden Fürsorge-Dispositiv, das von den fatalen Settings, in denen nun die »Alten« kaserniert werden, abstrahiert – auch, um die überkommenden Strukturen der Einrichtungen im etablierten Markt zu verteidigen. Die »Alten« werden nicht adjektivisch genutzt, also als ein Merkmal im Kontext einer Komplexität der Personalität des älteren Menschen, sondern als ein Stigma. Es gibt keine Kranken, Behinderte; es gibt nur kranke und behinderte Menschen als Menschen u.a. mit Krankheit und u .a. mit Behinderungen. Alt, verbraucht, hinfällig, nahe am Tod. Die Analogie kennen wir aus der »Behindertenhilfe«: Der Mensch mit Behinderungen wird zum »Behinderten« (Egen, 2020). Die Analogie ist eigentlich eine Homologie. Denn die Begriffe des »Alten« und des »Behinderten« (des »Bekloppten« etc.) verweisen auf eine gemeinsame Abstammungsidee: Aus der Codierung des Mitmenschen als das Monströse (Geisenhanslüke, Mein & Overthun, 2009), als das Ganz Andere als abnormal/andersartig (Moldzio, 2020) (eben nicht mehr souverän wie die produktive schöne Jugend), fremdartig (eben nicht mehr rational verstehbar angesichts der Demenz) usw. Wie verwickelt die Dinge sind, wird deutlich, wenn man der – oberflächlich gesehen doch gut gemeinten – Bewunderung der Leistungsfähigkeit der Menschen mit Behinderungen begeistert kommentiert (Köpcke, 2019).

2.

Reformbedarf im SGB XI und SGB V und nun die Corona-Krise

Das KDA (Schulz-Nieswandt, 2020f) hat sich mit einem Positionspapier (Schulz-Nieswandt, 2020b; vgl. auch zum Hintergrund Schulz-Nieswandt, 2020c), das öffentlich vorgestellt wurde, an der Pflegereformdebatte beteiligt. Der Tenor war: radikal denken; keine Finanzierungsreform ohne Strukturreform. Gemeint sind veränderte Versorgungslandschaften durch mehr kommunale Steuerung in Bezug

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auf notwendige Differenzierungen der Wohnformen im Alter. Das System braucht keine Reform kleiner Bausteine, sondern eine Mutation ihres Strickmusters. Ein anderer Film muss in der Versorgung ablaufen im Rahmen von lokalen sorgenden Gemeinschaften in einer regionalen sozialen Infrastruktur. Das KDA muss nun die Debatte erweitern. Zunächst: Die SGB XIDiskussion muss um Strukturfragen des SGB V erweitert werden. Gemeint ist der Umbau des Krankenhaussektors und der auf neue, innovative Versorgungsformen abstellende Aus- und Umbau der Primärversorgung. Für den weiteren Bettenabbau für die alltägliche akutmedizinische Versorgung gibt es gute Gründe. Aber nur dann, wenn die sozialraumorientierte Versorgung gesichert ist. Dazu müssen wir hier einen radikal anderen Weg einschlagen: Mehr Primärversorgung durch multiprofessionelle Versorgungszentren in den Quartieren. Dann verändern sich infolge von allokationsoptimierender Triage auch die Fallzahldynamiken im Krankenhaussektor. Die Menschen werden lebensweltnäher versorgt, anders, besser versorgt. Das wäre dann auch eine andere Kultur der Medizin. Die ist diagnostisch lebenslagenorientiert und hat die ganze Strukturschichtung des Menschen in Geist, Seele und Körper im Blick. Wer dies als romantische Esoterik von NovalisFans (zu Novalis: Uerlings, 1991) hält, hat keine signifikante Ahnung von Medizin- und Pflegeanthropologie und dem fehlt die achtsame Kenntnis der personalen Ethik, die, grundrechtstheoretisch auszulegen, unserer Sozialpolitik ihre normative Berechtigung und ihr ein passendes Gesicht (Gestalt) gibt. Auf die Frage von Christian von Ferber (Ferber, 1971), ob wir eine Gesundheitspolitik hätten, antwortete er: Nein, wir haben eine Krankenversorgungsindustrie. Im Lichte der zunehmenden neoliberalen Ökonomisierung (es gibt auch gemeinwirtschaftliche Formen angemessener Ökonomisierung) sollte wieder kritisch von einem medizinisch-technischen Komplex gesprochen werden. Und die alten Bücher von Paul Lüth (Lüth, 1971) sollten wieder gelesen werden. Neue Medizinkultur meint sodann auch: Neue Betriebsformen sind aber nur die Form (die Hülle), in der als Substanz ein neuer Geist der Medizin zum lebendigen Ausdruck kommen muss. Dieser neue Geist

III. Von der Analyse zur Positionierung

wird mit berufsständischen Hierarchien und GeschlechterordnungsIdeologien der pflegerischen Mütterlichkeitsrollen brechen müssen. Und der kritische Blick des KDA muss noch einen weiteren Schritt gehen: Denn »Corona« wirft ein neues Thema auf. Alle wissen nun, dass Globalisierung meint: Die Erde ist ein Dorf. So wird Globalität auch in den Massenmedien visualisiert als räumliches Mapping des Denkens im Modus beschleunigter Zeit. Wir werden uns mit Versorgungsstrukturen auch auf die Zukunft globaler Pandemien neu aufstellen müssen. Allerdings sicherlich nicht in der vorgehaltenen Regelversorgung. Spezialkapazitäten werden aufzubauen und vorzuhalten sein. Die nächsten Pandemien seien eine Frage der Zeit (Spektrum der Wissenschaft, 2020). Mitunter wird spektakulär vom »Zeitalter der Killerviren-Pandemien« gesprochen (Knobloch, 2020). Und noch darüber hinaus muss einiges mehr und dieses »Mehr« anders gesagt werden zur »Altenpflege« im Lichte von Corona. Die Philosophie des KDA, Wohnformen im Alter endlich signifikant (breit erfahrbar) zu differenzieren und Care und Cure entsprechend im Quartier als Strukturelemente von Caring Communities zu entwickeln, macht deutlich, dass die Zukunft nicht in akutklinischen Kollektivquarantäneheimen (Schulz-Nieswandt, 2020d) liegen kann. Aber diese gesellschaftspolitischen Folgen werden mit Blick auf die sozialen Lernprozesse, die uns abgefordert werden, sicherlich noch kontrovers zu diskutieren sein.

3.

Zugangspfade zur Problemsichtung

Ich muss nun einige Umwege gehen, bevor ich wieder erneut zum Thema der Pflege älterer Menschen in Corona-Zeiten zu sprechen komme. Verschiedene Entwicklungen und Strömungen in relevanten Disziplinen bieten Zugänge zur Frage und Antwortfindung in Bezug auf die Relevanz tiefenpsychologischer Dimensionen in der Sozialpolitikforschung, die ja originär interdisziplinär sein sollte. Die Sozialpolitikforschung handelt von sozialen Problemen und ihrer gesellschaftlichen Bewältigung im Lichte der personalen Würde

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und der Werte der Selbstbestimmung, Selbständigkeit und Teilhabe (Schulz-Nieswandt, 2018b; 2020e). Doch weder die Probleme selbst noch die Wege zu ihrer Bewältigung können ohne ein tiefenpsychologisches Verstehen des Individuums im Kontext der Kultur des sozialen Zusammenlebens angemessen begriffen werden. Auf der Grundlage der Verbindung sozialwissenschaftlichen und psychoanalytischen Denkens können verschiedene Beispiele im Rekurs auf Affektmechanismen (u.a. der apotropäischen Hygieneangst) angesprochen werden. Affekte der Angst und des Ekels als Strukturelemente des Habitus sind hierbei wirksam. Sie generieren animistisch inspirierte Praktiken sozialer Ausschließung. Das betrifft vor dem Hintergrund der Kritik der Pflegeheime als Wohnform im Alter z.B. soziale Innovationen wie auch die Idee der Sozialraumbildung inklusiver lokaler sorgender Gemeinschaften in der Kommune im Fall von Menschen mit Demenz oder Behinderung oder auch die Probleme hospitalisierender klinischer Hygieneregulationen normalen Wohnens in Pflegeheimen. Bevor wir psychodynamische Prozesse in der Corona-Krise zu verstehen versuchen, muss bedacht werden, dass die Pfadabhängigkeit und Veränderungsresistenz der stationären Versorgungsweltbilder und der im Hintergrund transportierten de-personalisierenden Menschenbilder überhaupt erst die Situation geschaffen haben, die Corona so wirken lässt, dass die Heime zu panoptischen Hospitalstrukturen regressieren. Und diese Weltbilder der Heimphilosophie sind so betoniert verankert in den investitionslenkenden Denkweisen, dass die Idee der radikalen Sozialraumbildung nur langsam und widerspruchsvoll zur Entfaltung kommt. Die Pfadabhängigkeit von Menschen ist erschreckend, hat doch der Mensch das Potenzial zur Selbsttranszendenz und zur Öffnung hin zu neuen Wegen – die Wegmetaphorik des Lebens (ich erinnere an die Odyssee: Marneros, 2017) ist uralt (Zehnder, 2011) – aus der Haltung kreativer Phantasie heraus. Die philosophische Anthropologie (Fischer, 2020; Illis, 2006) bescheinigt dem Menschen doch diese Plastizität und Weltoffenheit. Hier nun geht es um einen Schlingerkurs dieser Haltung der Ausgrenzung des Alters (und anderer anormaler Sozialfiguren wie die Bekloppten etc.) in Sonderwohnwelten. Es wird verstehbar werden müs-

III. Von der Analyse zur Positionierung

sen, dass Ausgrenzungsverhalten aus Gründen des fehlenden Gleichgewichts in der Psychodynamik, wenn sie nicht entweder in Modi des passiven Fluchtverhaltens oder des aktiven Aggressionsverhalten transformiert wird, sublimiert werden kann in Formen der Hilfe aus Dominanz heraus, also als Ausdruck der paradoxen neurotischen Syndrombildung von Macht und Dominanz, von Distanz und Ausgrenzung, von Angst und Ekel sowie von Fürsorge und Hilfe. Liebe koppelt sich dann an Macht, Hilfe an Dominanzverhalten, Angst und Ekel koppeln sich an Disziplinierung und Kontrolle. Corona trifft die stationär in enger Dichte wohnenden älteren Menschen hart. Schritt 1: Erst wird der alte Mensch zu dieser Daseinsführung in dieser Sonderwohnformwelt räumlich verdichtet. Ökonomik der Bettenhausdichte: Wenn ich mit Blick auf das Heim als Bettenhaus denke, so argumentiere ich mit einem Bewohner*innenDichte-Phänomen. Hier liegt eine Variante von economics of density vor. Betriebswirtschaftlich bzw. mikroökonomisch gesehen muss man sehen, dass eine solche Sicht verknüpft wird mit anderen Effekten. Es geht um die Realisierung der optimalen Betriebsgröße als economics of scale: Bei gegebener Produktionsfunktion können bei wachsender Betriebsgröße die durchschnittlichen totalen Kosten minimiert werden. Und der Wandel des Geschäftsmodells der Angebotspalette kann auch Verbundvorteile (economics of scope) realisieren. Schritt 2: Und nun muss man diesen Raum nochmals in gesteigerter Art und Weise abschließen. Die sonderwohnformspezifische Ausgrenzung von der Normalität des Wohnens steigert sich zur pauschalen Kollektivschutzkasernisierung, weil die Angst vor der Mitschuld an der für diese Risikogruppe gefährlichen Infektion den primären Dämonenabwehrzauber gegenüber der Andersartigkeit des kranken, behinderten, gebrechlichen, hässlichen, riechenden, bekloppten, verhaltensauffälligen »Alten« überwindet und gegen einen sekundären Dämonenabwehrzauber austauscht. Nicht dominant ist die Angst, der alte Mensch als Phantasma (Janßen, 2013) von Hässlichkeit, Gebrechlichkeit, Endlichkeit bedrohe das

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Personal. Das auch, aber nun gilt: Das Personal muss den kalendarisch alten Menschen vor dem exogenen Feind der Pandemie schützen. Der moralische Druck des gesellschaftlichen Über-Ichs, die vulnerable Gruppe gegen den Corona-Feind zu verteidigen, steigert sich zum heroischen Kampf (Emmrich, 2020), dabei vergessend, dass es sich bei den Schutzbefohlenen um souveräne Subjekte handelt, deren Erlebniserfahrungsraum – gemeint ist, was so Alles an Ihnen geschieht – hermeneutisch aber gar nicht mehr zum Thema wird. Es fehlt habituell an Achtsamkeit (Conradi & Vosman, 2016) in der Fremdsorge und als Selbstsorge angesichts der eigenen asymmetrischen Machtposition. Ein psychoanalytischer Blick (Jensen, 2019) in der Kulturdiagnostik ist nicht unbedingt geläufig. Deshalb sollen noch einige kleine Umwege gegangen werden, bevor die Analyse zurückkehrt zu Corona. Diese Umwege müssen gegangen werden, damit auch verstanden wird, dass Corona den kalendarisch alten Menschen als Bewohner stationärer Settings so hart trifft, weil die Gesellschaftspolitik bereits zuvor über Jahrzehnte hinweg versäumt hat, gangbare humangerechte Alternativen zur Verheimung des Alters zu imaginieren und sodann mit Mut, Phantasie und Engagement zu wagen (Dörner, 2012; 2014; Klie, 2019). Waren diese stationären Settings immer schon gefährdet durch Infektionsdynamiken, die dazu geführt haben, dass akutklinische Hygieneregime Einzug hielten (Schulz-Nieswandt, 2020d), ist jetzt das Setting und seiner Bewohnerschaft einem exogenen Feind ausgesetzt, der pandemisch im globalisierten Schicksalszusammenhang wie ein böser Daimon (Lurker, 2014) über die Dächer schwebt, an den Mauern kratzt und durch die Ritzen von Türen und Fenstern einzudringen versucht. Die von Ausgrenzung als Innenraum (als Welt in der Welt) geformte Sonderwohnform wird nun zur Festung, moralisch aufgeladen, dabei vergessend, dass bereits die Bildung dieses von der Normalität abgesonderten Innenraums ein gesellschaftspolitischer Sündenfall (Flasch, 2017) war. Wir müssen zunächst verstehen, wie diese Welt der Sonderwohnformenbildung auch ohne Corona als kulturelles Geschehen »tickt«, welcher Film hier abläuft, wie das Drehbuch aussieht, um zu verstehen, was in ihr passiert im Lichte von Corona.

III. Von der Analyse zur Positionierung

3.1

Sozialwissenschaftliche Zeitdiagnosen und ihre Bedürftigkeit tiefenpsychologischer Ergänzungen

In der Tradition Kritischer Theorie der sog. Frankfurter Schule war es etabliert, dass Gesellschaftstheorie und Gesellschaftskritik der »uneigentlichen«, entfremdeten sozialen Wirklichkeit, in der der Mensch sein Wesen als freies, selbstbestimmtes und zugleich solidarisches Subjekt nicht zur Gestaltwahrheit bringen kann und insofern im Sinne einer Wandlung (Metamorphose als Entelechie) erst noch zu einer Form werden soll, was es an sich seinem Wesen nach bereits ist, nicht ohne Psychoanalyse auskommen kann (Schulz-Nieswandt, 2019a). Will die Wissenschaft verstehen, wie Gesellschaft funktioniert, muss sie den kulturellen Mechanismen auf der Spur sein, die erklären helfen, wie soziale Wirklichkeit generiert wird und sich im sozialen Wandel des geschichtlichen Zeitstroms reproduziert. Wenn die Sozialforschung (Schulz-Nieswandt, 2020m) soziale Wirklichkeit in ihrer Kultur des sozialen Zusammenlebens verstehen will, dann geht dies nicht ohne Theorie der Funktionsweise des Subjekts, das in die jeweilige Kultur der Subjektivierung als Formung des Menschen eingebettet ist.

3.2

Von Freud zu Lacan

Sigmund Freud selbst entfaltete (vor allem in »Totem und Tabu«: Freud, 1991) ja aus seiner Psychoanalyse heraus einen Beitrag zur Theorie der Logik der Kultur von Tat, Schuld und Opfer des Menschen. Seine psychoanalytische Theorie des Menschen als unspaltbares Kultur- und Naturwesen lokalisierte den Kampf der gesellschaftlichen Konflikte im Innenraum des psychischen Arbeitsapparates. In diesem inneren Mikrokosmos spielt sich die Psychodynamik des Menschen ab. Im Sinne der sprachtheoretischen Fassung der strukturalen Psychoanalyse von Jacques Lacan (Roudinesco, 1996; Derrida, 1998) hat sich die Gesellschaft tief eingeschrieben in das Subjekt. Dies entspricht dem Theorem der Verinnerlichung der Gesellschaft als Über-Ich in der soziologischen Sozialisationstheorie.

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Der alte Mensch als Verschlusssache

Ein fehlendes Gleichgewicht in der inneren Psychodynamik des intra-individuellen Arbeitsapparates führt uns nun zur Neurosenlehre der verschiedenen psychoanalytischen Theorieströmungen.

3.3

Existenzphilosophie und daseinsanthropologischphänomenologische Psychiatrie

Das fundamentalontologische Denken der Existenzphilosophie von Martin Heidegger ist von Teilen der Psychiatriegeschichte tiefgreifend rezipiert worden (Waldenfels, 2019; Heinz, 2018). So möchte ich vor allem auf die für die Charakterneurosenlehre (Adler, 1973) der »Verstiegenheiten« bedeutsame Schule des sog. Wengener Kreises (Ludwig Binswanger, Erwin Strauss, Eugéne Minkowski, Viktor Emil von Gebsattel) verweisen. Später dann erwiesen sich auch die Studien von Hubertus Tellenbach, Jürg Zutt, Wolfgang Blankenburg u.a. von Bedeutung. Das Endon: Es ist die Lehre von der Grundgestimmtheit, die eine Phänomenologie der Stimmungen als Formen der Weltverhältnisöffnung der menschlichen Person ermöglichte. Die Frage ist also: Wie trete ich haltungsmäßig im Verhältnis zur Welt auf: offen oder verschlossen, angstbesetzt oder mit Vertrauen, großherzig oder geizig, liebend oder gehässig, empathisch und am Mitmenschen interessiert oder egozentriert, verstiegen distanziert oder ausgewogen in Fragen von Nähe und Distanz usw. Beispielsweise ist für das Verständnis der Zeitpathologie des depressiven Menschen im Umkreis der Melancholieforschung diese daseinsanthropologisch fundierte Psychiatrie und Psychotherapie bedeutsam geworden. Als Endon wurde die innere Grundgestimmtheit bezeichnet, aus der heraus eine welteröffnende Haltung resultiert.

III. Von der Analyse zur Positionierung

4.

Anwendungen auf sozialpolitische Themen mit Fokus auf die Alter(n)sproblematik

Habitus ist übersetzbar als Haltung, als Charakteraufstellung, aus der heraus sich die symbolischen Formen (Kreis, 2009) der Lebensführung als soziale Praxen in verschiedenen sozialen Feldern generieren.

4.1

Habitushermeneutik in der qualitativen Sozialforschung

Viele qualitative, insbesondere ethnographische Sozialforschungen (vgl. dazu Schulz-Nieswandt, 2020m) zu sozialpolitischen Themen (über den ganzen Lebenszyklus hinweg von den frühen Hilfen in der Kinder- und Jugendhilfe bis hin zur gerontologischen Palliative Care) sind heute Habitus-hermeneutisch geprägt. »Wir alle spielen Theater«, schrieb der Mikrosoziologe Erving Goffman (Goffman, 2003), der bahnbrechende Zugänge zum Verstehen der sozialen Interaktionsordnungen, der Rituale, Kulte und sozialen Inszenierungen in Anstalten des Typs sog. »totaler Institutionen« eröffnet hat. Das gilt vor allem in der Professionenforschung, wo es um die Logik der Skripte (Drehbücher der Rollen) geht, wenn die sozialen Interaktionen in stationären, teilstationären oder ambulanten Settings in den Teilfeldern des Gesundheits-, Pflege- und Sozialwesens verstanden werden sollen. Auch gerade dann, wenn gefragt wird, wie sozialer Wandel als transformativer Kulturwandel überholter sozialpolitischer Praktiken möglich werden kann, bedarf es der Analyse der Haltungen der Akteure und des Programmcodes der Institutionen. Menschen mit Demenz als Störfaktor im Akutkrankenhaus: Warum sind demenzkranke Patient*innen im Akutkrankenhaus unerwünschte Störfaktoren? Weil der in den maskulinen Metaphern (Fischer, 2015) des Drachentöters und des Maschinenbauers fassbare Programmcode der Akutmedizin das Problem der Demenz als heillos ausgrenzt und in die Kranken- und »Altenpflege« hinein der »verlängerten Mütterlichkeit« als Beruf überantwortet wird. Manifester und latenter Sinn der »Chef-Visite«: Was ist der Sinn einer Chef-Visite? Sie ist auch ein Ritual und eine Zeremonie sozial in-

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Der alte Mensch als Verschlusssache

szenierter Reproduktion von hierarchischen Machtverhältnissen zwischen den verschiedenen Berufsgruppen und zwischen den Experten (Professionen) und den Laien (Patient*innen) im Krankenhaus. Schlussfolgerungen aus diesen Blickweisen und dergestalt generierten Befunden sind zu ziehen. Ökonomische Anreizstrukturen und rechtliche Möglichkeitsräume sind zwar notwendige Voraussetzungen der Überwindung von Pfadabhängigkeiten als Selbstblockaden der Akteure, der Institutionen, der Sektoren. Hinreichende Bedingung ist jedoch die kreative Arbeit am eigenen Habitus. Es geht also um soziale Phantasie und Kreativität, um Empathie und Pro-Sozialität, um psychodynamische definierbare Gleichgewichte von Offenheit und Verschlossenheit, Geben und Nehmen, Nähe und Distanz, Angst und Vertrauen. Deshalb sind entwicklungspsychologische Studien, gerade auch die Resultate der Bindungsforschung sowie daseinsthematische Forschungen zu den »personalen Erlebniserfahrungsgeschehensordnungen« so bedeutsam für die lebensweltanalytischen Zugänge zu den sozialpolitischen Problematiken. Die Bedeutung der Aktualgenese: Es geht nun um weitere ausgewählte Beispiele für eine daseinsthematisch orientierte Sozialpolitikforschung. Das transaktionale – also Person und Umwelt in Wechselwirkung stehend verstehende – Denken hat die ökogerontologische Forschung fundiert. Diese ist für die Lebensqualität in Altenpflegeheimen sehr bedeutsam. Die aus der Gestaltpsychologie und aus Strömungen der Humanistischen Psychologie stammende Idee der Aktualgenese verweist uns auf die außerordentliche Bedeutsamkeit der anregenden (aktivierenden) Umwelten des Wohnens und der dort jeweils anknüpfenden Sorgestrukturen für das weitere Wachsen und Werden des kalendarisch alten Menschen. Einerseits. Andererseits gilt: Dieser alte Mensch wiederum muss sich allerdings auch öffnen für diese, seine Entwicklung aktualierenden Angebotsstrukturen seiner sozialen Mitwelt und technisch-dinglichen Umwelt. Die Bedeutung der Generativität: Breit diskutiert wird die Generativität als tief verankerte Bedürftigkeit auch der Menschen in der Hochaltrigkeit. Gemeint ist das Bedürfnis, bedeutsam zu sein, gefragt zu

III. Von der Analyse zur Positionierung

sein und eine Rolle zu spielen. Sinnstiftende Rollenangebote sind dergestalt als soziale Infrastruktur zu verstehen, die helfen sollen, den sozialen Tod als Folge des gesellschaftlich erzwungenen Disengagements zu vermeiden. Andere Themen lassen sich anschließen: Probleme sozialer Einsamkeit, Suizidalität im Alter, Bewältigung »kritischer Lebensereignisse«, narzisstische Kränkungen bzw. Kastrationsängste des Selbst in Verlusterfahrungssituationen u.v.a.m. In der Bewältigung von Pflegebedürftigkeitsaufgaben durch Angehörige spielen neurotisch verstiegene Schuldgefühle oder auch neurotisch verstiegene Kontrollkompetenzbedürfnisse im Generationengefüge eine Rolle mit Blick auf eine achtsame Selbstregulierung. Für Fragen der Qualität der lebensweltlichen Sorgekulturen und der Stabilisierung der Lebensqualität ist es wichtig, die psychodynamischen Mechanismen zu verstehen, die in den Kontexten sozialer Beziehungen zur Wirkung kommen.

4.2

Dämonenängste in der Sozialraumbildung

Probleme in der Umsetzung der Idee der Sozialraumbildung als Bildung von sorgenden Gemeinschaften (als Caring Communities) im Rahmen der Daseinsvorsorge der Gewährleistung und Sicherstellung sozialen Infrastrukturen als kommunale Daseinsvorsorge (SchulzNieswandt, 2017b) erfordern ebenso eine psychodynamische Sicht der involvierten Akteure, an die die Entwicklungsaufgaben adressiert werden. Gerade mit Blick auf die Idee der Inklusion stellte sich das Problem heraus, dass gravierende kulturelle Blockaden zu überwinden sind auf dem Weg zu einer genossenschaftlich gedachten Kommune als solidarische Gegenseitigkeitshilfe, um Outsider zu Insidern zu machen (Schulz-Nieswandt, 2018a; 2019d; 2020n). Demenzfreundliche Kommune? Die Idee einer für den homo patiens offenen Gemeindeordnung – so z.B. die Idee der demenzfreundlichen Kommune (Schulz-Nieswandt, 2013a) oder auch die Normalisierung des Wohnens von Menschen mit Behinderung im Quartier (SchulzNieswandt, 2010) – erwies sich bislang als schwierig angesichts von

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Affekten wie Angst und feindlichem Ekel. Es kristallisierte sich das Problem der apotropäischen Hygieneangst heraus (Schulz-Nieswandt, 2012a). Kulturwissenschaftlich betrachtet, und hierbei auf die Thematik von Identität versus Alterität bezogen, dreht sich die psychoanalytische Sicht um das Problem des Fremden als das numinose Ganz Andere (Caillois, 1988) als Übertragungsleistung der eigenen Abgründigkeit auf den Anderen als Abwehrzauber des Dämonischen.

Das Fremde in mir, das Archaisch-Archetypische im modernen Menschen: Wenn Albrecht Dihle (1994: 29) zu den abenteuerlichen Reisen im Epos des griechischen Altertums (das ist ja nicht nur die Odyssee, auch [Meuli, 1921] die Argonautica) schreibt: »Es ist die mythische Vorstufe einer wissenschaftlichen Geographie und Ethnographie: Die fremden Völker legen sich gleichsam in Ringen um die bekannte Welt. Je weiter sie entfernt wohnen, desto wunderlicher werden sie in Wesen und Aussehen.«, so wird an dieser richtigen Lesart erweiternd (oder auch tiefer greifend) einen psychoanalytischen Spiegel vorhalten müssen: Es ist die im Mythos verarbeitete Bewältigung der Frage, was der Mensch sei, gerade angesichts des Anderartigen, das wohl auch im Inneren des Fragenden existiert. Das Monströse im andersartigen Da-Draußen ist die Rückübertragung der Übertragung auf das Ganz Andere als (Ausdruck der) Angst vor dem Monströsen im eigenen Innenraum in der Tiefe des Subjekts.

Apotropäische Haltungen sind in der Religionswissenschaft breit erforscht und verweisen uns auf die Dämonenangst und auf entsprechende animistisch anmutende soziale Praktiken des magischen Dämonenabwehrzaubers. Diese Mechanismen erlauben es, die kulturellen Programme der sozialen Ausgrenzung, der Isolierung und der hospitalisierenden bzw. medikalisierenden Institutionalisierung (SchulzNieswandt, 2020a) in Sonderwohnformen jenseits einer Normalisierung eben auch tiefenpsychologisch zu verstehen.

III. Von der Analyse zur Positionierung

4.3

Apotropäische Hygieneangst in Altenpflegeheimen

Blicken wir in ethnologischer Distanz in die »fremde« Lebenswelt der Altenpflegeheime. Das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) hatte kürzlich einen Diskurs aufgegriffen, dem es problematisierend um die hospitalisierenden Hygieneregime geht, die eine akutklinische Atmosphäre in die Altenpflegeheimen einschreiben und die Normalisierung des Lebens im Heim als Wohnort unterlaufen. Apotropäische Haltungen sind in der Religionswissenschaft breit erforscht und verweisen auf die Dämonenangst und auf entsprechende animistisch anmutende soziale Praktiken des magischen Dämonenabwehrzaubers. Das gilt auch heute noch: »Die Magie hängt stets von einem System zur Erklärung des Universums ab, und ihre Merkmale sind immer aufs engste mit diesem Apparat verbunden, dessen Rhythmus und Wirkungsrichtung sie über bestimmte Verrichtungen steuert.« (Lerou-Gourhan, 1981: 162) Wahrscheinlich steht am Ende immer eine echte Metaphysik des Todes (ebenda: 167) als ein symbolisches Dispositiv (ebenda, 168) in Verbindung mit einem mythographischen Apparates dahinter. Der alte Mensch als »Keimträger«: Dieses Phänomen (SchulzNieswandt, 2020a) ist exemplarisch für die Bedeutung von apotropäischen Haltungen und Praktiken, die mit Blick auf ihre neurotischen Verstiegenheiten affektpsychologisch als Hygieneangst verstanden werden kann, woraus magische Mechanismen als Dämonenabwehrzauber klinischer Art resultieren und die Bewohnerschaft als feindliche Andere konstituieren. Da es sich um Anstalten der Fürsorge handelt und ein aus der Verhaltensforschung bekanntes Fluchtverhalten der Professionen für eben diese Professionen nicht in Frage kommt, werden die latenten präventiven Tötungstriebe, die aufkommen könnten, zivilisiert zu manifesten sozialen Ausgrenzungen in Form des Quarantäne-Paradigmas in Krisen und transformiert zur persistenten Berührungsangst, zur paternalistischen Dominanzattitüde, zum »dependency-support-script« und zum »overprotection« in den Zwischenzeiten.

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Der alte Mensch als Verschlusssache

Da das hohe Alter die eigene Endlichkeit verkörpert, mag, im animistischen Sinne einer antizipierend imaginierten Übertragung des ansteckenden Todes, die von der Angst getriebene Gegenübertragung genau dieser Abwehrzauber sein, der magischer Natur ist.

IV. Die Einschreibung von Corona in die vorgängige Logik der Versorgungslandschaft

Versteht man die Situation sozialer Ausgrenzung in der Corona-Krise als Eskalationsgeschehen, so muss der Ausgangsbasiswert angegeben werden: Von wo aus steigert sich was wohin? Die Antwort muss lauten: Es ist die Steigerung der Ent-Normalisierung ohnehin eingeschränkter Normalität des wohnenden Lebens.

1.

Das Pflegeheim in Zeiten von Corona: Mechanismen der Übertragung und Gegenübertragung

Welche Hypothese (Schulz-Nieswandt, 2020g) leitet die nachfolgenden Gedanken? Angemerkt sei gleich zu Beginn: Hypothesen sind immer so zu formulieren, dass sie an der Erfahrung scheitern können. Oder eben zu differenzieren sind. Die Hypothese muss sorgsam hergeleitet werden, um nachvollziehbar zu sein. Worauf insistiert die Sicht? Ich fokussiere auf die Situation hochaltriger Menschen im Pflegeheim als ein Ort des Wohnens. Das Pflegeheim ist kein Krankenhaus, sondern ein Heim. Die alte Konnotation von Heim und Anstalt darf eigentlich nicht mitschwingen. Heim meint ein Zuhause. Aber es wird im Sozialrecht wie im Alltag der Menschen als Einrichtung, als eine Unterbringungseinrichtung, bezeichnet. Es ist nicht normales Wohnen. Es ist ein »Untergebracht-sein« in einer Sonderwelt.

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Der alte Mensch als Verschlusssache

Die Corona-Pandemie verweist uns auf soziale Praktiken zwischen Solidarität und Ausgrenzung. Die Sorge der Politik, die rechtlich als Schutz der Gesellschaft der Bürger*innen verordnet wird, gilt dem Schutz vor dem Tod vulnerabler Gruppen und hierbei insbesondere dem hohen Alter. Einerseits. Andererseits wird damit das hohe Alter in den Pflegeheimen zugleich verstärkt einem sozialen Tod infolge von sozialen Ausgrenzungen ausgesetzt. Das ist die Ambivalenz. Mag auch sein, dass es um eine Tragödie geht, in der der Mensch »schuldlos schuldig« wird, weil er eine Entscheidung treffen muss, die mit Risiken verbunden ist und, egal wie sie ausfällt, nicht ohne unerwünschte Folgen ist. Diese Tragik ist nochmals anders als im Fall von Ödipus (Flaig, 1998), weil Ödipus ohne Wissen (Kenntnis von den sozialen Fakten) seine Fehler begangen hat (Schadewaldt, 1992: 31). Nochmals: Eigentlich sollen Heime Orte des normalen Wohnens sein. Normalität meint hier ein Verständnis von Wohnen als Ort des alltäglichen Lebens, dass die moderne Gesellschaft in einem normativen Sinne für sich reklamiert. Diese Normalitätsvorstellung ist geprägt von der Haltung, die Merkmale dieses Lebens seien uns heilig: Gemeint ist die Würde der Person, definiert über die Dimensionen von Selbstbestimmung, Selbständigkeit und Teilhabe. Hans Joas (2011) sprach in diesem Sinne von der »Sakralität der Person« (Kühnlein & Wils, 2019; Große Kracht, 2014; Laux, 2013; Schlette u.a., 2020). Diese Auffassung ist grundrechtstheoretisch fundiert und mehrschichtig verankert im Völkerrecht, Europarecht, Verfassungsrecht, in den Sozialgesetzbüchern und den Bundeslandesgesetzgebungen (Schulz-Nieswandt, 2016a). Die soziale Wirklichkeit, trotz der heute zu konstatierenden Differenzierung und Vielfalt der Lebenswelten »Heim«, sieht oftmals anders aus, worauf sich die lange Geschichte des Rückbaus »totaler Institutionen« im Sinne der Soziologie von Erving Goffman (Goffman, 1973) in kritischer Reflexion der Institutionalisierung und Hospitalisierung bis heute bezieht. Gehen wir mit ethnographischer Betrachtung an dieses Lebensweltsetting heran, als sei ein Heim für uns eine fremde Welt: Was für ein Film läuft hier ab? Was ist das Drehbuch, der Programmcode, die Logik der Einrichtung und der Habitus der Professionen? Auch ohne Co-

IV. Die Einschreibung von Corona in die Logik der Versorgungslandschaft

rona ist die Atmosphäre von Heimen an dem Vorbild von klinischen Hygieneordnungen von Akutkrankenhäusern orientiert. Folglich fragt es sich, wie es um die besagte Normalität des Wohnens unter CoronaBedingungen steht. Was treibt diese Verfehlung der Normalität im Heimleben an? Ist es eine von den Affektordnungen der Angst und des Ekels geprägte Kultur des Umgangs mit dem hohen Alter? Wird das hohe Alter wahrgenommen als dem Tod geweihter Verfall von Geist und Körper? Geht es um Andersheit und Fremdheit? Geht es um Geruch? Um Hässlichkeit? Befremdet uns die Unverstehbarkeit der Demenz? In der Religionswissenschaft nennt man, wie soeben weiter oben schon hergeleitet worden ist, eine solche Haltung eine apotropäische Hygieneangst, aus der heraus ein Dämonenabwehrzauber resultiert. Gehen wir einen – im vorliegenden thematischen Kontext entscheidenden – Schritt weiter: Käme nun noch das Stigma des kalendarisch alten Menschen als gefährlicher »Keimträger« hinzu, so kommt die Frage auf, wie wir uns auf unserer Zivilisationsstufe dazu verhalten. These: Flucht als passiver Reaktionsstil: Möglich ist einerseits die Flucht vor dem greisen Menschen als passiver Reaktionsstil. Das ist tabu, denn diese Form wäre »strukturelle Gewalt« (Galtung, 1994, Hildebrandt & Lück-Hildebrandt, 2019) in Form der Vernachlässigung. Die Aufforderung zum Disengagement ist eine bekannte Variationsform dieser Ausgrenzung, die deshalb so schmerzhaft ist, weil der ältere Mensch gefragt sein will und eine entsprechende Bedürftigkeit nach Generativität zum Ausdruck bringt, also sinnvolle Aufgaben übernehmen möchte. Antithese: Tötung als aktiver Reaktionsstil: Andererseits ist natürlich nach herrschender Moral und Rechtskultur die Tötung (Pousset, 2018) als aktiver Reaktionsstil tabu. So bildet sich alternativ ein Muster sozialer Ausgrenzung heraus, das sich, um an Michel Foucault (Foucault, 1977) anzuknüpfen, zuspitzen kann zum panoptischen Quarantänemodell. Synthese: Ausgrenzung und sozialer Tod Wenn der Mitmensch zum gefährlichen Keimträger wird, so gesellt sich zum Ekel die Angst vor der Be-

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Der alte Mensch als Verschlusssache

drohung. Es kommt zu einem Umkippeffekt: Die Vermeidung des biologischen Todes, an dem sich der Mensch sonst schuldig machen würde, kippt um in klinische Hygieneregime, die die Normalität des Wohnens unterlaufen und innerhalb der Einrichtungen zu isolierender Ausgrenzung führen. Für-Sorge für den vulnerablen kalendarisch alten Menschen wird dergestalt »erkauft« mit Praktiken des sozialen Todes des ausgegrenzten homo patiens. Symbolisch repräsentiert wird dieses Geschehen im Modus einer ganz anderen mythischen Erzählung: In der panoptischen AntiCorona-Festungsburg der gegenüber dem Sozialraum geschlossenen Innenwelt der Sonderwohnform Heim wird die endogene Ausgrenzung im Innenraum sublimiert im heroischen Kampf gegen die exogene Pandemie im Da-Draußen.

Exkurs: Der Beigeschmack der Held*innenkultes Corona habe endgültig gezeigt, was die Professionen – eben auch die Fachpflege, wobei man wiederum implizit das Problem der Geschlechterverhältnisse (Glawion, Haschemi Yekani & Husmann-Kastein, 2007) nicht vergessen sollte – leisten kann. Und Corona, mit Blick auf die unsichere Zukunft eines globalen Dorfes mit sozial wie räumlich entgrenzten Spill-over-Mechanismen (der inter-individuellen Externalitäten als Ausdruck der Interdependenz der Menschen in ihren Verkettungen) von Pandemien, verdeutlicht endgültig die Problematik des Fachpersonalmangels. Kommt nun die Wertschätzungswelle? Anfänge eines Heldenkultes (Nieser, 2020) – anknüpfend an Archetypen des Opferns (Baudet, 2013) – sind bereits zu beobachten. Es geht mir hier auch nicht um eine Minderschätzung. Auch nicht, da der Mensch nun einmal ein homo symbolicus (animal symbolicum) ist, um Rituale und Kulte, die Mythus-bildend sein können und somit Identität von Menschen und Gruppen stiften und fördern können (Boehringer, 2001). Das kulturanthropologische und -geschichtliche Material (Kerényi, 1997; Campbell, 2011; Rank, 2008), um die Bedeutung solcher Prozesse zu begründen, ist erdrückend. Kult, Ritual, Mythos sind funda-

IV. Die Einschreibung von Corona in die Logik der Versorgungslandschaft

mentale Elemente der conditio humana (Wulf, 2014). Aber die Frage muss gestellt werden, ob damit auch den Settings der Landschaften von Care und Cure gehuldigt werden soll. Man muss die Wertschätzung der Leistung der Menschen trennen von der Einschätzung der Wertigkeit der Strukturen, in denen die Leistungen generiert worden sind. Und genau das geht nur in Grenzen. Wenn die Philosophie und Kultur der Einrichtungen und ihre Verknüpfung zu einer infrastrukturellen Landschaft problematisch sind, dann huldigt die Gesellschaft in der Wertschätzung ihrer Held*innen implizit dem malignen Programmcode des Systems. Man erinnere sich an die Mytho-Logiken der DDR (Elit, 2017) oder an Betriebsidentifikationen von Industriearbeiter*innen mit ihren multinationalen kapitalistischen Unternehmen.1 Man kann den Huldigungskult (der auch der Salbung [Bloch, 1998] eigen ist: Kutsch, 2013) als Form nicht von der Substanz seiner Inhalte trennen. Die Form (Ausher, 2015; Pfütze, 1999) ist immer Form eines Inhalts, der in der Passivform der Form mittransportiert und zum in der Aktivform der Form zum Ausdruck gebracht wird. Es gibt schon genug »Lebenslügen im Kapitalismus« (Wieland, Bude & Ostermeier, 2014). In leichter Form wird das Hygieneregime des Pflegeheims nunmehr – als Prozess der Mimesis (Taussig, 2018) – in der Gesellschaft abgebildet: Die Menschen ziehen sich für Wochen in ihre private Häuslichkeit zurück. Das Pflegeheim wird zum krassen Vorbild, die Gesellschaft zum blassen Abbild, also, psychoanalytisch gedacht, zur Rückübertragung, hatte doch die Gesellschaft der Insider des normalen Lebens die Angst vor der eigenen Ausgrenzung als Autonomieverlust als Übertragungsleistung verlagert auf die Outsider der Heimbewohner*innen, die nicht völlig vernachlässigt oder gar getötet, aber ausgegrenzt werden. Ihnen bleibt, um mit Giorgio Agamben (Agamben, 2002), oder auch mit Roberto Esposito (2004:2010; 2018), zu reden, das »nackte Leben« des homo

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Oder auch – an die eigene Nase packend – meine eigene Identifikation mit einer Universität, deren kulturellen Entwicklungskurs im Sinne der impliziten wissenschaftspolitischen Bildungsphilosophie und unternehmerischen Organisationskultur ich zunehmend problematisch finde, den ich aber im 15. Jahr im Rahmen von Dekanatsrollen und fakultätsübergreifenden Rollen mittrage.

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sacer. Nun ist demnach also, als Sublimierung der Schuldgefühle (die Beichte reicht hier nicht hin: Scheule, 2002) angesichts des Erkennens der eigenen archaischen Affektmechanismen, schlicht nur das »nackte Leben« zu verteidigen gegen den fremden Feind. Die Schuld angesichts der Selbsterkenntnis, den kalendarisch alten Menschen aus Angst und Ekel ausgegrenzt zu haben, wird nun energetisch entladen, indem die Burg, dem Ideologem »Wir sitzen alle in einem Boot« (Peil, 1986) folgend, gegenüber einem äußeren Angreifer – als Analogie zu bösartigen Aliens – zu verteidigen ist. Social Distancing fehlt den Bürger*innen insgesamt im Durchschnitt nicht schwer. Denn nur in Spezialfällen handelt es sich bei der Mehrheitsbevölkerung in der Corona-Krise um eine totale Quarantäne. Spazierengehen, Joggen, Einkaufen, in Grenzen auch Berufstätigkeit sind möglich. Digitale Räume sind – anders als im Durchschnitt in Heimen – nutzbar. Im Fall von Corona fühlt sich (im Sinne subjektiver Konstruktion) die gesellschaftliche Mehrheit selbst gesundheitlich, ökonomisch mag dies anders liegen, nicht gravierend bedroht. Die Angst vor den Keimträgern hält sich in der Mehrheit der Bürger*innen in Grenzen. Vor diesem Hintergrund fällt der politisch abgeforderte solidarische Altruismus, die Risikogruppen zu schützen, relativ einfach. Offensichtlich funktioniert das auf Empathie basierende Sittengesetz von Kant – der Logik der uralten Goldenen Regel (Dihle, 1962) folgend: Tue nichts, was Du nicht möchtest, dass man es Dir antut – recht gut.

2.

Rechtsphilosophische Erwägungen zu den Grundrechtsdebatten der Corona-Krise

Nicht überraschend ist die aufkommende Debatte um die Grundrechtseinschränkungen der verordneten Distanzhaltung im Alltag und die relativ umfassende Beschränkung auf die Primärgruppe des privaten Haushaltes. Die Frage der Legitimität ist eine Auslegung der moralischen Interdependenz der Bürger*innen, denn die Infektion ist eine Form negativer Externalität, definiert als Interdependenz der Wohlfahrtssituation der Bewohne*innen einer durch Dichte definierten Flä-

IV. Die Einschreibung von Corona in die Logik der Versorgungslandschaft

chengemeinschaft rechtsstaatlich verfasster Gesellschaft. Nur ist diese Interdependenz – der Soziologie Norbert Elias (Elias, 1991) nannte es eine Figuration (Verkettung) – asymmetrisch. Die Mehrheit ist in der Regel nicht lebensgefährlich schwer betroffen, soll aber eine in der Bevölkerungsanteilsgröße relevante Minderheit schützen. Allerdings ist der Art. 2 GG, der das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit kodifiziert, eben im Lichte des Sittengesetzes von Kant auszulegen. Art. 2 GG lautet: »(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.« Das Sittengesetz von Kant als »Grundgesetz der praktischen Vernunft« in § 7 seiner Kritik der praktischen Vernunft von 1788 lautet: »Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.« Der Text nach dem Komma in Absatz 1 des Art. 2 GG ist entscheidend: Es geht um die gleichen Rechte der Anderen und um das Sittengesetz. Das Menschenbild unserer Verfassung ist also ein personales Bild des Miteinanders, das Freiheit von Ego an die Rücksichtnahme gegenüber Alter Ego – und vice versa, der Logik der Reziprozität folgend – knüpft. Das Menschenbild unserer Verfassung in Art. 2 GG im Lichte von Art. 1 GG drückt also kein individualistisches, sondern ein kooperatives Verständnis des do ut des-Prinzips aus. Hier wird angesichts der angedeuteten Betroffenheitsasymmetrie der erste Schritt einer einseitigen Gabe-Bereitschaft (Adloff, 2018) von der Mehrheit der Bürger*innen abgefordert. Aber das liegt in der Begründung reziproker Beziehungen logisch verankert, denn die Reziprozität von Geben und Nehmen setzt ja einen Anfang voraus. Weder das Nehmen kann unter a-historischen abstrakten Modellannahmen der logische Ausgangspunkt des ersten Schrittes sein, denn das Nehmen setzt etwas voraus, was vorhanden ist. Aber auch das Geben kann logisch nicht der Ausgangspunkt sein, denn die Gabe setzt bereits etwas voraus, was man als Aufruf zu Nehmen bereit ist, zu teilen bzw. zu schenken. Setzen wir nicht abstrakt, sondern unter konkre-

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Der alte Mensch als Verschlusssache

ten geschichtlichen Bedingungen mit den Überlegungen der Möglichkeit von reziproken Sozialbeziehungen an, dann steht in moralischer Hinsicht die freiwillige Gabe am Anfang der Generierung sozialer Beziehungen. Das Nehmen angesichts gegebener Ressourcen kann in der Regel nicht der Anfang sein, denn dann käme es dem Gewaltakt des Raubes gleich. Dieser Akt kann als Diebstahl aus Not (Hunger) heraus legitim (also gerechtfertigt) sein. Ansonsten muss es die transzendentale Gabe-Bereitschaft geben, um die Sozio-Genese sozialer Beziehungen im Sinne des Prinzips der Reziprozität – analog zum mythisierenden Narration von Mord, Schuld und Sühne bei Freud – zu verstehen. Erster Vergleichsfall: Rauchverbot als Schutz Dritter: Ziehen wir ein Vergleichsbeispiel heran. Die räumliche Privatisierung des Rauchens, also das Verbot des Rauchens im öffentlichen Raum, ist ja als Güterabwägung analog zu verstehen. Das Themenfeld des Rauchverbots ist heftig umstritten (Wiesel, 2014). Vom »Krieg gegen die Raucher« und dem Wahn der »Bedrohungsgesellschaft« ist die Rede. Das Recht auf Freiheit von Ego wird aufgrund des gleichen Rechts als Recht auf gesundheitliche Unversehrtheit von Alter Ego eingeschränkt. Dass dies für das »Mit-Rauchen« von Kindern im privaten Haushalten nicht gültig ist, hängt u.a. mit der Auslegung von Art. 13 GG (»[1] Die Wohnung ist unverletzlich.«) zusammen. Das nationalstaatlich und europarechtlich wirksame, grundrechtstheoretisch zu verstehende Kindeswohl des UN-Völkerrechts wird hier allerdings übergangen. Es geht weniger darum, dass Rauchen nicht kultiviert werden kann (Cabrera Infante, 1990) im Kontext besonderer Ritualsituationen (Pfaller, 2008; Aufenvenne, 2013); aber im Modus des geistlosen extensiven, ubiquitären Massenkonsums liegt der Fall wohl anders.

Kurz gesagt: Die Grundrechtseinschränkung in der Corona-Krise sind gut begründbar. Eine eilige Anfrage des Bundesverfassungsgerichts hätte aber im Sinne symbolischer Politik – trotz der Debatte um die politische Nutzungsentgrenzung des Verfassungsgerichts (Jestaedt u.a., 2011) im Lichte der Problematisierbarkeit der Über-Ich-Funktion des BVerfG (Maus, 2018) – geholfen.

IV. Die Einschreibung von Corona in die Logik der Versorgungslandschaft

Historisch (Briesen, 2010, Hirt u.a., 2017; Itzen, Metzger & Rasmussen, 2020) liegt der auf Risikomanagement (Swaan, 1993) orientierte Vorsorgestaat (Ewald, 1993) genau in dieser Logik begründet. Allerdings führt diese Anwendung des Grundrechts auf Schutz im Fall der kollektiven Regelung der sozial isolierenden Quarantäne zur Frage, ob das Grundrecht des schutzbedürftigen vulnerablen Menschen nicht verletzt wird, wenn hier keine Willenserkundung durchgeführt wird. Der Dämonenabwehrzauber unserer Zivilisation würde, das Argument hatte ich weiter oben schon eingebracht, jedoch sicherlich ein ganz anderes, hässliches Gesicht haben, wenn es sich um Ebola oder um die Pest handeln würde (Labisch & Fangereau, 2020). Dennoch wirken sich in der Corona-Krise die ohnehin schon etablierten klinischen Hygieneregime nunmehr in eskalierender Form der Kasernierung aus: Die erst als zarte Pflanzen wachsenden Formen der Öffnung der Heime zum Sozialraum des Quartiers hin werden stillgelegt. Das Risikomanagement von Corona läuft hier nicht wie im Fall des normalen Alltags der nachbarschaftlich und infrastrukturell vernetzten privaten Häuslichkeit und gemeinschaftlichen Formen privaten Wohnens ab. Was wäre wenn? Eine Nachfrage – kritizistisch in neukantianischer Tradition argumentativ stehend – unter der Bedingung höchster Wohlbedachtheit und tiefster Selbstbesinnung: Als Frage rückt somit in das Zentrum der kritischen Diagnostik des Heimlebens: In welcher Lebensqualität würden die Menschen das Corona-Virus bewältigen oder auch am Virus sterben, wenn dies in lokalen Caring Communities statt in der Dichte des Heimwohnens geschehen würde? Und: Hat die Gesellschaft den expliziten oder mutmaßlichen Willen (Kierig & Behlau, 2011) der Heimbewohner*innen befragt? Es liegt in der Logik rhetorischer Fragen, die Antwort gleich mit zu transportieren. Zweiter Vergleichsfall: Suizid: Die Menschen haben ein Grundrecht auf Freiheit zur Selbstschädigung, auch wenn die Grenzen strittig sind (Fischer, 1997). Ziehen wir auch hier ein Vergleichsthema heran. Auch der Suizid ist als freier Wille ein Grundrecht (Stiller, 2020). Ist der Suizid in der Kulturgeschichte (Schaffer-Wöhrer, 2010) negativ als Selbstmord

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Der alte Mensch als Verschlusssache

(Mord ist ja tabu) bezeichnet worden, weil er skandalös ist, da der Mensch sich der weiteren Teilnahme an der Ordnung der Gesellschaft als Autorität (als moralisch-religiöses, normativ-rechtliches, ökonomisch-funktionales) Über-Ich gegenüber dem Individuum verweigert (Ahrens, 2001)? Kompliziert wird der Freitod dann, wenn in bestimmter Weise Dritte beteiligt sind (Jeong, 2020; Günzel, 2000). Darauf beruhen ja die Unterscheidungen zwischen passiver, assistierter und aktiver Sterbehilfe. Wie steht es nun also um die Selbstbestimmung von Menschen im hohen Alter, die besonders gefährdet sind (Welsh u.a., 2016)?

Übertragen wir diese Überlegungen auf die Corona-Krise. Es geht nicht darum, dass ältere Menschen in der Pandemie nicht geschützt werden sollen. Ich vertrete keine sozialdarwinistische Position. Es geht darum, dass ältere Menschen nun die Gefangenen der vorher nie radikal hinterfragten Strukturen des stationären Wohnens sind. Sie sitzen im Käfig der fürsorglichen Sicherheit fest. Der Fixierungsbegriff des BGB macht sich an bestimmte Techniken und Verrichtungen fest. Hier ist es die Logik der Einrichtung als Sonderform, die selbst insgesamt zur Fixierung wird: eine Form struktureller Fixierung einer Lebenssituation. Heime seien Orte der Sicherheit und Geborgenheit. Jetzt sind sie verborgene Orte der Hochsicherheit in der Dichte des Zusammenwohnens, wo kein Dritter rein und keine Bewohner*innen mehr rauskommen. Und das über Monate. Möglichkeiten ergeben sich dort, wo digitale Strukturen und Nutzungskompetenzen etabliert sind. Was, wenn der alte Mensch die Risiken eingehen will und eine willentlich abgesicherte Präferenz für soziale Kontakte in Zeiten von Corona hat? Wie steht es mit der Gleichstellung mit älteren Menschen mit Pflegearrangements in privaten Haushalten? Es kristallisierte sich heraus das Problem der Ungerechtigkeit in der Ausgangsverteilung der Wohnsituationen. Wird die Gefahr nicht hinterfragter Verordnung von Schutzbedürftigkeit im Modus der panoptischen Quarantäne überhaupt erkannt und thematisiert? Wird in achtsamer Kenntnis der Grundfragen einer anthropologisch fundierten Ethik verstanden, dass es nicht unproblematisch ist, den Menschen

IV. Die Einschreibung von Corona in die Logik der Versorgungslandschaft

im höheren Alter dauerhaft von der Teilhabe an sozialen Beziehungen auszuschließen, weil das Risiko als Kehrseite der Freiheit ausgeschlossen wird. Die hohen Letalitätsrisiken sind kein hinreichendes Argument, überhaupt den Bedarf an Kommunikation über Bedürfnisse tiefster Selbstbesinnung und höchster Wohlbedachtheit nicht zu erkennen und ethisch anzuerkennen. Kommunikationslosigkeit, die es bekanntlich nicht gibt, weil nicht zu kommunizieren auch eine Kommunikation ist, meint hier die Verweigerung und Ausschaltung jeglicher hermeneutischer Achtsamkeit. Das dialogische Prinzip in der Pflege als soziale Interaktionsarbeit bleibt in der Sprachlosigkeit der geschlossenen Anstalten ungenutzt. Damit ist dieses Phänomen der Unmöglichkeit der Nicht-Kommunikation eine Frage der Ethik des Politischen. Wenn Martin W. Schnell (2020) Vulnerabilität als Leitfaden der Copula () zwischen Ethik (E) und Politik (P) nimmt, so ist dies gerade ein starkes Argument für eine achtsame (A) Umgangsweise mit der Vulnerabilität (V): V → E ∩ P ← A. Dieser Diskurs muss geführt werden. Die Angst, schuldig zu werden an der Ermöglichung des biologischen Todes durch das Corona-Virus, treibt das System der etablierten Fürsorgeanstalten zu Raumpraktiken extremer sozialer Exklusion. Altern in Corona-Zeiten in lokalen sorgenden Gemeinschaften weist auch andere Gesichter auf. Um richtig verstanden zu werden: Verantwortungs-, nicht Gesinnungsethik: Es geht nicht darum, in verantwortungsloser Art und Weise den kalendarisch alten Menschen der Pandemie auszusetzen. Die Ethik der Souveränität als Ausdruck der Würde der Personalität des kalendarisch alten Menschen darf sich wiederum nicht zur Gesinnungsethik (die im Moralismus als Reinheitskultur »mit den Kopf durch die Wand« geht, »koste es, was es wolle«) versteigen. Aber die kalendarisch alten Menschen kollektiv in Innenräumen von Sonderwelten der Ausschlussräume zu halten, macht deutlich, dass wir immer noch nicht verstanden haben, wie Teilhabe und Selbstbestim-

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Der alte Mensch als Verschlusssache

mung, Überwindung von exkludierenden Sonderwelten und Gestaltwerden von Würde zusammenhängen. Wie in Kriegszeiten versammelt sich die Bewohnerschaft in den Bunkern (Welzbauer, 2013; Marszolek & Buggeln, 2008). Auf den Punkt gebracht: Wie kann auch in Zeiten von Corona optimale Normalität gesichert werden, nicht nur bloßes Wohnen, sondern Leben: LEBEN (Graf Dürckheim, 2001), die Differenz zwischen dem Wesen als Potenzial des Menschen und seinem faktischen Leben als Differenz kritisch ermessend? Wer weiß, wie Menschen mit Ängsten (Bering & Eichenberg, 2020) die Pandemie erleben?

3.

Einordnung in ein vom Capability-Denken geprägtes Verständnis von innovativer Sozialpolitik

Nach Corona ist vor Corona. Die Gesellschaft wird sich verstärkter als bislang über die Differenzierung der Wohnformen im Alter im Generationengefüge in lokalen achtsamen und engagierten Nachbarschaften sowie professionellen Infrastrukturen Gedanken machen müssen. Die hinreichende Begründung lautet: Wir können ältere und alte Menschen nicht pauschal in akutklinischen Sonderwohnformen unter Schutz stellen. Die Fachkräfte werden als Held*innen gefeiert, verbunden mit der Hoffnung, in Zeiten ihres Mangels endlich deren Wertigkeit geschätzt und gewürdigt zu bekommen. Die Fachkräfte verantworten nicht die institutionellen Settings und die sozialen Praktiken der (Skurrilität [Welzbacher, 2011] der) panoptischen Sonderwohnwelten. Sie spielen aber das Spiel, dessen Regeln sie nicht ändern können, mit und das am Ende des Tages, weil sie ihr Leben am Arbeitsmarkt verdienen müssen. Oftmals reflektieren sie aber auch gar nicht die Grammatik des Spiels. Ihre Ethik ist die der Fürsorge schutzbefohlener Menschen. Eingeimpft wurde diesen Sozialprofessionen die dienende Opferbereitschaft, mit der sie sich schon im Nachdenken nur unter Schuldgefühlen beschäftigen können.

IV. Die Einschreibung von Corona in die Logik der Versorgungslandschaft

Die Kapital-Anleger-Modelle (Schulz-Nieswandt, 2020b; 2020c) werden nun umso mehr darlegen können, wie dankbar man ihnen sein muss, dass sie im Lichte der Heiligen (Laum, 2006) Ordnung des Zinses im Rentenkapitalismus (Hagemann, 2007) das Risikokapital bereitstellen wollen, um die Bettenkapazitäten für den Berg wachsender vergreister, gebrechlicher Pflegefälle vorzuhalten und sind empört über die sozialistischen Renditediskussionen. Die etablierte Sozialwirtschaft (Schulz-Nieswandt, 2018e) der freien Wohlfahrtpflege huldigt ebenso, wenn auch zu anderen Renditeerwartungen, dem Say‘schen Gesetz, das Bettenangebot wird sich schon die bedarfsdeckende Nachfrage schaffen. Sozialraumdenken, Quartierskonzepte und soziale Imaginationen »ganz anderer« (heterotoper [Schulz-Nieswandt, 2016b; Foucault, 2013], also fremdartiger) Wohnformen als teilhabende Daseinsarrangements werden durch Corona in ihrer Dringlichkeit deutlicher – vorausgesetzt, die Politik, die Einrichtungen und ihre Betreiber und die Bürger*innen öffnen sich diesem Diskurs. Modern das ältere Lebenslagenkonzept in der Sozialpolitikforschung fortführend, geht es in dem neueren Capability-Modell um die Befähigung des Menschen. Dabei soll die Sozialpolitik als Teil der gestaltenden Gesellschaftspolitik (Schulz-Nieswandt, 2020e) des sozialen Rechtsstaates einerseits in die Kompetenzen der Menschen investieren, anderseits in die Angebotslandschaft im Sinne sozialer Infrastruktur. Der Kompetenzbegriff meint mehr als das um die Employability-Idee kreisende Konzept des Humankapitals als arbeitsmarktbezogene Berufsqualifikation. Gemeint ist die Befähigung des Menschen zur Lebensführung und Daseinsbewältigung im Lichte seiner personalen Würde, seiner Selbstbestimmungs-, Selbständigkeitsund Teilhaberechte.

Heute merken wir: Wir haben mit den üblichen Heimstrukturen problematische Infrastrukturen aufgebaut. Und wir haben mit der schutzbedürftigkeitszentrierten Schuldneurose des Helfersyndroms die Kom-

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Der alte Mensch als Verschlusssache

petenzen der kalendarisch alten Menschen unterschätzt und vernachlässigt.

Corona hat uns wieder den Spiegel vorgehalten. Wir verfügen a) nicht über ein in Bezug auf das personale Menschenbild unserer Verfassung passungsfähiges, bedarfsgerechtes Regelsystem des Wohnens. Wir verfügen b) auch nicht über ein um das Wohnen herum organisiertes Careund Cure-Geschehens. Ferner sind c) das zwischen Gewährleistung und Sicherstellung eingespannte Denken der Professionen, die Logiken der Institutionen und die Weltbilder der Politik der Versorgungslandschaften von dem Geist des schöpferischen Willens zur Gestaltwerdung humangerechter Umbauten beseelt. Vielfach geht der Riss, die Spaltung zwischen Strukturkonservatismus einerseits und Grenzüberschreitungen sozialer Phantasie als Grundlage der Selbsttranszendenz der Kultur des Sozialen andererseits, quer durch den Sozialsektor und seinen Sozialkonzernen, quer durch die Politik, aber eben auch quer durch die Bevölkerung der Bürger*innen.

4.

Digitalisierung als Rettung?

Ich habe die Transformation (Formung im Sinne der Paideia) des Menschen zum homo digitalis im Lichte einer Kritischen Theorie des Kapitalismus 4.0 an anderer Stelle skizziert (Schulz-Nieswandt, 2019a). Natürlich muss man auch die Nutzenseite im gerontologischen und somit alterssozialpolitischen Zusammenhang erkennen (Schulz-Nieswandt, 2019b; 2020l). Entsprechend habe ich auch Stellung genommen (Schulz-Nieswandt, 2020h; 2020e) z.B. im thematischen Zusammenhang der Förderung digitaler Selbsthilfe im Sinne des § 20h SGB V (analog auch im Sinne des § 45d SGB XI). Vor diesem Hintergrund wird evident: In der Corona-Krise ist leicht erkennbar, welche Hilfe die Digitalisierung der Pflegeheime wäre, vorausgesetzt, die notwendigen Kompetenzen werden gefördert und die

IV. Die Einschreibung von Corona in die Logik der Versorgungslandschaft

technische Infrastruktur bereitgestellt. Aus der Forschung ist bekannt, dass die Fähigkeiten älterer Menschen in Fragen von digital literacy unterschätzt werden, wenn erste Hemmschwellen erst einmal überwunden sind. Natürlich ist das Alter, inter-individuell gesehen, von hoher Varianz geprägt. Aber die pauschale Unfähigkeitszuschreibung zählt zu den Beispielen stereotypischer Defizitbilder, die ohne Evidenz sind. Die digitale Vernetzung gehört zu den Unterstützungssystemen in familialen und nachbarschaftlichen Caring Community-Bildungen im Sinne der lokalen sorgenden Gemeinschaften des 7. Altenberichts. Sie gehören daher, analog dazu, auch zur Sozialraumöffnung der Heime. Gerade jetzt, wo die Isolationseskalation durch Corona eintritt, zeigen sich die technischen Modernisierungsdefizite der Heimwelten. Und dennoch: Dort, wo die geographische Nähe es ermöglichst, sollen digitale Räume die leibliche Erfahrung der Dialogizität der menschlichen Begegnung nicht ersetzen. In der Corona-Krise zeigt sich die doppelte Tragik: das Eine ist nicht entwickelt, das Andere wird unterbunden.

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V. Fazit

Welche Hypothese leitete die vorgelegten Gedanken? Angemerkt war ja gleich zu Beginn: Hypothesen sind immer so zu formulieren, dass sie an der Erfahrung scheitern können. Oder eben zu differenzieren sind. Die Hypothese muss sorgsam hergeleitet werden, um nachvollziehbar zu sein. Es handelt sich um mehrere zusammenhängende Hypothesen. Insofern ist die vorliegende Arbeit trotz aller erfahrungswissenschaftlichen Befunde im Kern die ausführliche Explanation einiger zusammenhängender Hypothesen, deren hinreichende Diskussion und Prüfung ein komplexes Forschungsprogramm wäre. Worauf insistierte die Sicht? 1) Ich fokussierte auf die Situation hochaltriger Menschen im Pflegeheim als ein Ort des Wohnens. Was passiert nun, was geschieht an und mit diesen Menschen im Lichte der CoronaKrise? Der Kontrast ist herausgearbeitet worden: Eigentlich sollen Heime Orte des normalen Wohnens sein. Normalität meint hier ein Verständnis von Wohnen als Ort des alltäglichen Lebens, dass die moderne Gesellschaft in einem normativen Sinne für sich reklamiert. Gilt hier: Was mir Recht ist, soll dem Anderen nicht vorgehalten sein? 2) Ich argumentierte in einem ersten Schritt: Diese Normalitätsvorstellung ist geprägt von der Haltung, die Merkmale dieses Lebens seien uns heilig: Gemeint ist die Würde der Person, definiert über die Dimensionen von Selbstbestimmung, Selbständigkeit und Teilhabe. Der zitierte Soziologe und Sozialphilosoph Hans Joas sprach in diesem Sinne von der »Sakralität der Person«. Diese Auffassung ist grundrechtstheoretisch fundiert und mit hohem Kohärenzgrad mehrschichtig ver-

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Der alte Mensch als Verschlusssache

ankert im Völkerrecht, im Europarecht, im bundesdeutschen Verfassungsrecht, sodann konkretisiert in dem bundesdeutschen System der Sozialgesetzbücher und nochmals weitergehend konkretisiert in den Bundeslandesgesetzgebungen. 3) Ich argumentierte in einem zweiten Schritt: Die CoronaPandemie verweist uns nun auf soziale Praktiken zwischen Solidarität und Ausgrenzung mit ausgeprägten Ambivalenzen. Die Sorge der Politik, die rechtlich der Gesellschaft der Bürger*innen verordnet wird, gilt explizit dem Schutz vor dem Tod vulnerabler Gruppen und hierbei insbesondere dem hohen Alter. Einerseits. Andererseits wird damit das hohe Alter in den Pflegeheimen zugleich verstärkt dem sozialen Tod infolge von sozialen Ausgrenzungen ausgesetzt. Das ist ein fundamentaler Zielkonflikt. Ist es ein tragisches Dilemma, also ausweglos? 4) Ich argumentierte in einem dritten Schritt: Die soziale Wirklichkeit, trotz der heute zu konstatierenden Differenzierung und Vielfalt der Lebenswelten »Heim«, sieht oftmals anders aus als unsere Rechtswelt es vorsieht. Zu insistieren ist auf die Heraushebung einer Differenz, auf die sich bereits die lange Geschichte des Rückbaus »totaler Institutionen« (im Sinne der Soziologie der Anstalten von Erving Goffman) in kritischer Reflexion der Institutionalisierung und Hospitalisierung bis heute bezieht. 5) Ich argumentierte in einem vierten Schritt: Gehen wir mit ethnographischer Betrachtung an dieses Lebensweltsetting heran, als sei ein Heim für uns eine fremde Welt: Was für ein Film läuft hier ab? Was ist das Drehbuch, der Programmcode, die Logik der Einrichtung und der Habitus der Professionen? Auch ohne Corona ist die Atmosphäre von Heimen an dem Vorbild von klinischen Hygieneordnungen von Akutkrankenhäusern orientiert. Folglich fragt es sich, wie es um die besagte Normalität des Wohnens steht. 6) Ich argumentierte mit einem fünften Schritt: Was treibt diese Verfehlung der Normalität im Heimleben an? Ist es eine von den Affektordnungen der Angst und des Ekels geprägte Kultur des Umgangs mit dem hohen Alter? Wird das hohe Alter wahrgenommen als dem Tod geweihter Verfall von Geist und Körper? Geht es um Andersheit

V. Fazit

und Fremdheit? Um das Monströse? Alles erinnert an die Abenteuer des Odysseus (vgl. ferner Bärtschi, 2019). Geht es um Geruch? Um Hässlichkeit? Befremdet uns die an die übliche Sprache gebundene Unverstehbarkeit des Menschen mit Alzheimer-Demenz? In der Religionswissenschaft nennt man eine solche ablehnende und auf Ausgrenzung hin angelegte Haltung eine apotropäische Hygieneangst, aus der ein Dämonenabwehrzauber resultiert. 7) Ich argumentierte: Gehen wir nun einen siebten Schritt weiter, um gleich noch den weiteren achten Schritt zu gehen, wie die Erfahrung von Corona ins Spiel kommt: Käme nun noch das Stigma des kalendarisch alten Menschen als gefährlicher »Keimträger« hinzu, so kommt die Frage auf, wie wir uns auf unserer Zivilisationsstufe dazu verhalten. Ich habe im Zuge des dialektischen Dreischritts eine Antwort gesucht: Möglich ist einerseits die Flucht vor dem greisen Menschen als passiver Reaktionsstil. Das ist tabu, denn diese Form wäre »strukturelle Gewalt« der Vernachlässigung. Die Aufforderung zum Disengagement ist eine bekannte Form dieser Ausgrenzung, die deshalb so schmerzhaft ist, weil der ältere Mensch gefragt sein will und eine Bedürftigkeit nach Generativität zum Ausdruck bringt, also sinnvolle Aufgaben (Rollen) übernehmen möchte. Andererseits ist natürlich die Tötung als aktiver Reaktionsstil tabu. So bildet sich alternativ ein Muster sozialer Ausgrenzung heraus, das sich, um an Michel Foucault anzuknüpfen, zuspitzen kann zum panoptischen Quarantänemodell. Nun kommt Corona als eine neue Stufe der alten Herausforderung ins Spiel. 8) Ich argumentierte in einem achten Schritt: Wenn der externe Mitmensch als Besucher aus dem Sozialraum (Familie, Partnerschaft, Freundschaft, Ehrenamt) zum gefährlichen Keimträger für die kalendarisch alten Menschen im Innenraum der Einrichtungen wird, so verändert sich die Haltung. Aus der apotropäischen Haltung (die nicht verschwindet, sondern die Form ändert) vor der einrichtungsinternen Erfahrung der Bedrohung durch das Unverstandene und Fremdartige des Alters erwächst nun der altruistische Paternalismus angesichts einer imaginierten Schutzbedürftigkeit von Schutzbefohlenen. Die These lautete daher: Diese pauschale Stigmatisierung der Schutzbedürftigkeit der vulnerablen Gruppe der »Alten« kappt die

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gerade erst im langsamen und widerspruchsvollen Wachstum befindliche Sozialraumöffnung der Heime. Schutz und Sicherheit statt soziale Kontakte: Das Grundrecht des kalendarisch alten Menschen auf Selbstgefährdung als Ausdruck der Selbstbestimmung mit Blick auf das ebenso grundrechtlich kodifizierte Teilhaberecht wird massiv verletzt. Einige Konkretisierungsschritte wurden sodann gegangen. Konkretisierungsschritt 1) Die Vermeidung des biologischen Todes, an dem sich der Mensch angesichts der moralischen Erwartungen der Gesellschaft, gefiltert durch negative, defizit-orientierte und daher stigmatisierende Altersbilder stereotypischer Art, sonst moralisch oder gar strafrechtlich schuldig machen würde, kippt als Formwandel des Apotropäischen um in die nochmals gesteigerte klinische Hygieneregime. Diese Hygieneregime unterlaufen die Normalität des Wohnens noch tiefer als es ohnehin schon der Fall ist und die innerhalb der Einrichtungen zu isolierender Ausgrenzung gegenüber den feindlichen Außenräumen führen. Die mitunter im Kult des Heroischen inszenierte Für-Sorge für den vulnerablen kalendarisch alten Menschen wird dergestalt teuer »erkauft« mit Praktiken des sozialen Todes des ausgegrenzten homo patiens. Konkretisierungsschritt 2) In leichter Form wird das Hygieneregime des Pflegeheims nunmehr in der Gesellschaft abgebildet (vgl. dazu Anhang II): Die Menschen ziehen sich für Wochen in ihre private Häuslichkeit zurück. Das Pflegeheim wird zum Vorbild, die Gesellschaft zum Abbild, also, psychoanalytisch gedacht, zur Rückübertragung, hatte doch die Gesellschaft der Insider des normalen Lebens die narzisstische Kastrationsangst als Imagination der eigenen Endlichkeit als jemeinige Verlust-Bedrohung der Autonomie in der Weise der Übertragungsleistung verlagert auf die Outsider der Heimbewohner*innen, die nicht völlig vernachlässigt oder gar getötet, aber ausgegrenzt werden. Ihnen bleibt, um mit Giorgio Agamben zu reden, das »nackte Leben«. Konkretisierungsschritt 3) Entgegen Agamben argumentieren wir jedoch, dass die Grundrechte im menschenrechtskonventionellen Sinne eben nicht überholt sind; wir folgen allerdings Agamben in der Frage (Agamben, 2001), wie eine zukünftige Polis aussehen kann, wenn – und das füge ich hier exemplarisch hinzu – das Wohnen im Alter nicht

V. Fazit

dem Paradigma des Lagers (Loick, 2011) folgen soll. Es reicht nicht, die Vergemeinschaftung der Gesellschaftsmitglieder über die Verteidigung gegen die externen Feinde zu gewährleisten und sodann anschließend die geschützten Insider dieser Ordnung zu domestizieren und damit vertieft zu inkorporieren. Eine dritte – widerspenstige und gegen die Ausgrenzungsordnungen immune – Ordnung (Lorey, 2011) muss sich konstituieren. Das »Haus der Alten«: Das Heim ist eine Wohnform der Homogenität mit interner Heterogenität, jüngere und ältere Menschen, von hoher inter-individuellen Varianz und Formenvielfalt mit Blick auf Kompetenzen und Hilfebedürftigkeit (Pflege, Krankheit, Behinderung) geprägt, umfassend. Zunehmend wird die Diversitätssensibilität diskutiert. Der Unterschied zu den »Männerhäusern« (Neumann, 2011), die die klassische Ethnologie in archaischen Gesellschaften patriarchalischen Typs diskutiert hat, ist das Heim als »Haus der Alten« eben nicht der soziale und kultische Mittelpunkt des Dorfes, sondern ein ausgegrenzter Außenraum im Innenraum des gesellschaftlichen Raumes. In Männerhäusern wurden zudem die Ahnen geehrt, Verbindungen der Lebenden und der Toten hergestellt. Das »Haus der Alten« ist eher der Ort, wo die Statuspassage der Alten zu den ewigen Jagdgründen konzentriert wird. Ahnenkult (Müller, 2016; Jensen, 1992: 365ff.; Bergounioux & Götz, 1960: 85ff.; Wernhart, 2004: 80ff.; Schoeps, 1981: 26ff.) ist aber nicht immer mit Wertschätzung verbunden. In anderen Kulturen erscheinen die Toten auch als böse Geister. Aus Furcht vor Ihnen werden diese unter Kontrolle gehalten (Wunn, 2005: 226ff.; Klotz, 1997: 23ff.). Ohne die (Berge der) Befunde der religionswissenschaftlichen Forschung über frühe Kulturen weiter auszubreiten, mag doch eine Hypothese plausibel zu sein: Das Alter wird geschätzt und zugleich furchtsam als Autorität erfahren. Diese Ambivalenz wird sodann im Totenkult der Ahnenverehrung fortgeführt. Die Toten werden im kulturellen Gedächtnis gewürdigt, aber eben auch – nun als Geister – gefürchtet. Der Totenkult als Ahnenkult mag daher eine ambivalente Struktur annehmen, geprägt von der Gleichzeitigkeit der Wertschätzung und der Kontrolle über

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Der alte Mensch als Verschlusssache

die Ahnen, die gesichert sein muss (vgl. auch anregend dazu Schlatter, 2018). Die Lebendigen und die Toten waren in frühen Kulturen also nicht so getrennt wie unsere Kultur es (auch in den Begräbnissitten topographisch zum Ausdruck kommend) kennt. Der moderne Mensch ist aber in der Statuspassage (klassisch: Gennep, 2005; Schröer u.a., 2013) zwischen Leben und Tod – in der palliativen Phase, vor allem in der Hochaltrigkeit – in diesem Schwellenraum (i. S. der Liminalität von Victor Turner: Hillermann, 2017) immer genau in dieser Situation: Noch lebt das hohe Alter und muss gewürdigt werden, doch bald ist das hohe Alter tot. Der alte Mensch wird in einem gewissen Sinne bereits eine numinose Mischgestalt (Merz, 2012; Griebel, 2020), wenn das Sterben eine Statuspassage darstellt. Und hier wurzelt noch die Furcht. Der Tod des Anderen symbolisiert die eigene Endlichkeit und ist daher durch und durch numinos. Sollte das Altenheim in einem Punkt – der Kontrolle der imaginierten zukünftigen Ahnen – dem Paradigma der Männerhäuser ähneln? Eine Ironie der Geschichte begleitet allerdings die Analyse der Männerhäuser in der Ethnologie der Altersklassen bei Schurtz (1902): Da bei Schurtz (vgl. auch bei Blazek, 2001: 24ff.), entgegen der dichotomen Geschlechterordnung in Bachofen’s »Mutterrecht« (Cesana, 1983) als Gegensatz von Mann und Familie (als geschlossener Ort der weiblichen Sorge) konstruiert wird, ist das Altenhaus heute infolge der Gender-Ordnungen auch in der Moderne ein Ort überwiegender weiblichen Sorge.

Konkretisierungsschritt 4) Doch im Vergleich zum Heimleben handelt es sich nur in Spezialfällen bei der Mehrheitsbevölkerung in der Corona-Krise um eine totale Quarantäne. Spazierengehen, Joggen, Einkaufen, in Grenzen auch Berufstätigkeit sind möglich. Digitale Räume sind – anders als im Durchschnitt in Heimen – nutzbar. Im Fall von Corona fühlt sich die gesellschaftliche Mehrheit selbst gesundheitlich, ökonomisch mag dies anders liegen, nicht gravierend bedroht. Die Angst vor den Keimträgern hält sich in der Mehrheit der Bürger*innen in Grenzen. Vor diesem Hintergrund fällt der politisch abgeforderte solidarische Altruismus, die Risikogruppen zu schützen,

V. Fazit

relativ einfach. Offensichtlich funktioniert das auf Empathie basierende Sittengesetz von Kant – als generöser Solidarpaternalismus – recht gut. Der Dämonenabwehrzauber unserer Zivilisation würde jedoch sicherlich ein ganz anderes, hässliches Gesicht haben, wenn es sich um Ebola oder um die Pest handeln würde. Es schlossen sich Nachfragen und Überlegungen in ethischer Hinsicht an. 1) Ich argumentierte: So wirken sich in der Corona-Krise die ohnehin schon etablierten klinischen Hygieneregime nunmehr in eskalierender Form der Kasernierung aus: Die erst als zarte Pflanzen wachsenden Formen der Öffnung der Heime zum Sozialraum des Quartiers hin werden stillgelegt. Das Risikomanagement von Corona läuft hier nicht wie im Fall des normalen Alltags der nachbarschaftlich und infrastrukturell vernetzten privaten Häuslichkeiten und gemeinschaftlichen Formen privaten Wohnens ab. Als Frage rückt somit in das Zentrum der kritischen Diagnostik des Heimlebens: In welcher Lebensqualität würden die Menschen das Corona-Virus bewältigen oder auch am Virus sterben, wenn dies in lokalen Caring Communities statt in der Dichte des Heimwohnens geschehen würde? Und: Hat die Gesellschaft den expliziten oder mutmaßlichen Willen der Heimbewohner*innen befragt? Es liegt in der Logik rhetorischer Fragen, die Antwort gleich mitzutransportieren. 2) Ich argumentierte weiter: Es handelt sich also nicht um eine tragische Dilemma-Situation, in der es keinen Ausweg ohne Schuld gibt. Die Schuld der Gesellschaftspolitik – und damit aller Bürger*innen – liegt in der über lange Zeit nicht wirklich gewollte Transformation der Wohnformen im Alter als Normalisierung der Form des sozialen Daseins. Corona hat die Dichteform der Kasernierung der »Alten« nur noch in gesteigerter Form auf die Spitze getrieben. Die Überlegungen sind nicht nur auf das Thema Corona fixiert. Corona ist trotz der kulturgeschichtlichen Bedeutung, die sie einmal rückblickend haben wird, nur exemplarisch für die Frage der Psychodynamik unserer Kultur des sozialen Miteinanders. 1) Ich argumentierte: Es geht um die Logik der Sozialpolitik in grundsätzlicher Sichtweise. Sozialpolitik dient durch Gewährleistung

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Der alte Mensch als Verschlusssache

von Ressourcen der Befähigung zur Bewältigung der Entwicklungsaufgaben im Lebenszyklus. Es wäre kaum zu verstehen, dies ohne eine tiefenpsychologische Hermeneutik des vergesellschaften Subjekts zu konzipieren. Ich argumentierte 1.1) auf der Mikro-Ebene im Meso-Kontext: Was sind relevante Anregungen für die Praxis der Professionen (Mikro-Ebene sozialer Interaktionen mit und am Menschen) in ihren Institutionen als Meso-Kontext? Professionen, aber auch die Führung der Institutionen, in denen die Professionen tätig sind, müssen Engagement und Distanz in Balance bringen und eine doppelte Ethik der Achtsamkeit (Conradi & Vosman, 2016) betreiben. Einerseits ist die klassische Kompetenz zur Hermeneutik des Anderen als ein der Hilfe bedürftiger Mitmensch angesprochen, andererseits die Achtsamkeit als Selbstsorge in der Hilfehaltung, in der Pflegebeziehung, in der medizinischen Beziehung zu Patient*innen, in (heil-)pädagogischen Beziehungen etc.: Wie Werte-orientiert umgehen mit der eigenen Macht in der Asymmetrie zum vulnerablen leidenden Menschen? Aber dieser habitushermeneutische Blick auf die Professionen und die Einrichtungen als Settings von Care und Cure ist nur Teil des anstehenden sozialen Lernprozesses. Alle Bürger*innen sind gefragt, ebenso wie die Politik. Ich argumentierte 1.2) auf der Makro-Ebene: Die aktuelle Situation sozialer Wirklichkeit wird seit einigen Jahren im Lichte der Theorie der Risikogesellschaft diskutiert (Contzen, Huff & Itzen, 2018). Auch Corona löst erneut einen Entwicklungsschub in den Risikodiskursen aus. Dabei geht es steuerungs- und regulationspolitisch (Thomas, 2005) um die Rolle staatlicher Institutionen, der Rolle der Rechtsregime, um die Rolle der Wissenschaft und insbesondere der Forschung und um die kulturelle Selbstvergewisserung unserer Identität und unserer weiteren Entwicklungspfade. Dabei ist es im Durchschnitt für die Bürger*innen gar nicht so trivial, die Mathematik der Risiken zu verstehen (Gigerenzer, 2015). Pandemien nur im Lichte eines unterstellten »Spiels mit der Angst« (Stummer, 2012) ist ebenso problematisch wie die neuere Populärliteratur und der Sensationsjournalismus apokalyptischer Visionen.

VI. Ausblick

Solche globalen Krisen erinnern an den Traum einer Weltgenossenschaft (Brunkhorst, 2002; Hüning & Klingner, 2018) der gegenseitigen Hilfe (Bourgeois, 2020). Eva Illouz: »Die Welt ist unwiderruflich voneinander abhängig, und nur eine ebensolche Reaktion kann uns dabei helfen, die nächste Krise zu bewältigen. Wir werden eine ganz neue Art von internationaler Koordination und Zusammenarbeit brauchen, um künftig zu verhindern, dass sich Infektionskrankheiten zwischen Tieren und Menschen übertragen, um Krankheiten zu erforschen und um Innovationen in den Bereichen medizinische Ausrüstung und Medizin zu schaffen. Vor allen Dingen wird es erforderlich sein, dass der unglaubliche Reichtum, den private Einrichtungen angehäuft haben, in öffentliche Güter reinvestiert wird. Ich denke, die CoronavirusGeneration – die jungen Leute, die hautnah mitansehen und erleben wie ein Zusammenbruch der Welt aussehen könnte – wird wissen, dass sie die Welt besser beobachten muss. Wenn sie das nicht tut, wird kein öffentliches oder privates Interesse mehr existieren, das es zu verteidigen gälte. Es wird hässlich und brutal werden, genau wie der englische Philosoph Thomas Hobbes es über den Naturzustand des Menschen sagte.«1 Vom Wirklichwerden dieser Utopie sind die Menschen weit entfernt. Selbst Europa (als EU) funktioniert nicht als Rechts- und Hilfegenossenschaft (Schulz-Nieswandt, 2012c) der Unionsbürger*innen. Der

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https://www.goethe.de/ins/ru/de/kul/sup/dan/21818888.html; Tag des Zugriffs: 12. Mai 2020.

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Der alte Mensch als Verschlusssache

Traum muss allerdings wach gehalten werden. Wir leben im Zeitalter des Noch-Nicht (Bloch, 2018). Insofern geht es um das Gelingen sozialer Lernprozesse unterhalb dieser Imaginationsebene. So zu denken, verweist aber nur erneut auf die Notwendigkeit psychodynamischer Hermeneutik der Kultur des Sozialen. Geist und Seele des status quo sind kritisch zu verstehen, um sie humangerechter werden zu lassen und Gestaltwahrheit zu geben. Der sozialen Wirklichkeit der Pflegelandschaft im Alter ist ein anderer Geist einzuhauchen, damit ihre kranke Seele gesundet und die Landschaft dann demnächst auch in Zeiten von Corona 2.0 vorbereitet ist. Eine solche Trinitätslehre von Care-Landschaft als kohärente Einheit von Geist, Seele und Landschaft, geprägt von der partizipativen Selbstkonzeption des älteren und kalendarisch alten Menschen als Kern der Idee der heiligen Würde der Person, ist das Wesen ihrer humangerechten Kultur. Es ist eine Lüge, die sich als Wahrheit ausgibt (wie Theodor W. Adorno es nannte), wenn so getan wird, als sei unsere Gesellschaft gut aufgestellt. Corona hat uns den Spiegel vorgehalten. Und unsere eigene gorgonische Medusa-Gestalt (Böhm, 2020; Winkler-Horacek, 2015) taucht aus der Tiefe auf. Welche Wahrheit sehe ich im Spiegel (Legrende, 2011)? Als moralisierter homo faber stecken wir mehr Geld (wie eine Ablass-Handlung) ins System; ansonsten sind wir konzeptkonservativ und somit Epigonen anachronistischer Strukturen. Die Paralyse der Gesellschaft bedarf einer Opposition (Bialluch u.a., 2019).

Anhang I: Glücksmaximierung der Mehrheit auf Kosten des Todes einer Minderheit?

Innerhalb des breiten Spektrums der Ethiken (Düwel, Hübenthal & Werner, 2011) hat wiederum der Utilitarismus viele Variationen (Höffe, 2013). Das Feld der Theorieströmungen hat sich im geschichtlichen Verlauf komplex verästelt. Im klassischen Zeitalter gab es aber eine Kernrichtung, um die es auch in der Corona-Krise geht, dann nämlich, wenn die Zahl der Toten verrechnet werden soll mit dem wirtschaftlichen Schaden und den weiteren Folgekosten der Einschränkungen der Mobilität und der etablierten Aktivitätsmustern im System. Dieses Verständnis basiert auf die Idee der Maximierung des Glücks der größten Zahl der Gesellschaftsmitglieder (i = 1 … n) und hat in der kollektiven Wohlfahrtsfunktion (SWF) eine additive bzw. summative Aggregationslogik zur Grundlage: SWF (Ui) = ∑ Ui für alle i = 1 bis n, also: U1 + U2 + U3 (…) Un-1 ; Un . Damit werden Individuen vom Winner-Typus (∂ U > 0) mit Loser-Typen (∂ U < 0) verrechnet. Diese kollektive Wohlfahrtsallokationsergebnisse, Gerechtigkeitsfragen (Goppel, Mieth & Neuhäuser, 2016) aufwerfend, in Bezug auf den W-Typus und dem L-Typus liegen außerhalb des legitimen Veränderungsraumes nach dem Pareto-Kriteriums oder der Rawls-Lösungen der Win-Win-Ergebnisse als Teilmenge aller ParetoLösungen. Wenn als Kausalität gilt: (∂ UW > 0) → (∂ UL < 0),

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so werden damit dann das Sittengesetz (Art. 2 GG) verletzt und letztendlich auch der kategorische Imperativ (Art. 1 GG), weil die biologischen Verlierer (L-Typus) aufgerechnet werden mit den ökonomischen Gewinner (W-Typus) verrechnet werden. Eine Ausnahme bestünde legitimer Weise in einer inter-temporalen Sicht, aber nur dann nämlich, wenn die Loser definiert werden als ökonomische Loser in t1 , die aber in t2 in den Sog der ökonomischen Winner von t1 kommen: (∂ UW > 0)t1 → (∂ UL < 0)t1 → (∂ UW > 0)t2 + (∂ UL > 0)t2 . Dieser Fall kann aber nicht für den biologischen Tod des L-Typus gelten. Ein zweites analog gravierendes Problem in dieser utilitaristischen Tradition besteht darin, wenn in der Situation hoher Intensivversorgungsfälle bei knappen Versorgungsbetten- und Fachkräftekapazitäten die gesunden jüngeren Menschen den alten Menschen gegenüber bevorzugt werden. Das Argument besteht im Abgleich der zu erwartenden weiteren gesunden Lebensjahren beider Gruppen. Dahinter steckt – mehr oder weniger verborgen – der erwartete Beitrag des Humankapitals zur Erwirtschaftung des Sozialprodukts als Quelle der Glicks aller (verbleibenden) Bewohner*innen einer Produktionsvolksgemeinschaft. Exakt ausgedrückt: Der verbrauchte Müll wird entsorgt. In die jüngeren Kapitalstocksegmente wird aus Nachhaltigkeitsgründen investiert. An diesem Punkt der Problemsichtung wird ferner deutlich, warum man mit üblichen Systematiken der Ethik erhebliche Probleme haben kann. Das Prinzip der Sittlichkeit als Moralität des Sittengesetzes von Kant ist eine Ethik der Regel, die durchaus an situative Kontexte angepasst werden muss und kann. Diskutiert man sie als Vermeidung negativer Externalitäten, so ist sie in einem gewissen Sinne konsequenzialistischer Art: Achte auf die Folgen deines Handelns! Als Moralität der sittlichen Rücksichtnahme ist dieses achtsame Bedenken der Konsequenzen eine Regel. Man wird gegenüber der Ethik des Welfarism also zwischen positiven Ego-Nutzen und soziale Kosten für Alter Ego als Gebot des generalisierten Dritten unterscheiden müssen. Solange das eigene Glück nicht auf Kosten Dritter maximiert wird, ist der Welfarism mit dem exernalitätstheoretischen Sittengesetz von Kant kom-

Anhang I

patibel. Aber eben nur soweit. Man achte auf den zweiten Halbsatz von Art. 2 GG, der in der »unbedingten« Würde eines jeden Menschen in Art. 1 GG verankert ist. Das Völkerrecht sieht genau diese Unabhängigkeit der Würde von Alter, Geschlecht, Rasse etc. vor. Und man bedenke, dass »Unbedingtheit« ein Gottesprädikat ist, hier im Modus der analogia entis-Idee verstanden. Konsequenzialismus und Sittengesetz sind also nicht ganz so einfach in analytischer Reinheit zu trennen. Einerseits ist das Sittengesetz ein Verbot negativer Diskriminierung und setzt den Ego-Welfarism Grenzen; andererseits ist der Welfarism bei Abwesenheit relevanter negativer Externalitäten mit dem Sittengesetz vereinbar. Auch ist zu sehen, dass der Welfarism mit Effekten positiver Diskriminnierung ja kompatibel ist. Man kommt also um die Beurteilung erwünschter bzw. unerwünschter Folgen nicht umhin. Das bedeutet jedoch mit Blick auf die Verantwortungsethik: Es kommt auf die Beurteilung der Substanz der Folgen an: Sind die Folgen sittenwidrig? Nicht jede Folge eines Ego-Handelns ist relevant. Und die Folgen können durchaus auch Formen positiver Diskriminierung sein, die als positive Externalitäten ja erwünscht sind. Und: Die negativen Folgen müssen nicht immer bei Dritten anfallen. Sie können auch im wohlverstandenen und wohlbedachten Eigeninteresse zum Thema werden, z.B. im Fall der Myopie, als pathologisch kurzer Zeithorizonte (Nutzen in t0 > Kosten in t0 ), so dass der Schaden später (Nutzen in t1 < Kosten in t1 ) hoch ist. Das ist als Problem der Zeitinkonsistenz und somit als eine Rationalitätsfalle einer Blickverengung zu verstehen. Die Kausalität ist zu beachten: Weil N > K und ∂UE > 0 in t1 , verhält sich Ego (E) so, dass dann in t1 N < K ist und dadurch in t1 ∂UE < 0 wird. Möglich wird, dass in t1 für Alger Ego (AR) auch ∂AE < 0 wird. Wann schlägt die Kausalität von weil/dann in Schuld um? Konnte E um die Zeitinkonsistenz wissen? Hat er trotz besseren Wissens zu gehandelt? Hat er in einer Casino-Mentalität sich und vor allem auch Dritte gefährdet? Selbst dann, wenn er für sich selber verantwortlich ist, werden – man denke an das Problem der privaten Überschuldung

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(Schulz-Nieswandt & Kurscheid, 2007) – Fragen der Nächstenliebe und der Gabe einer neuen Chance im Lebenszyklus aufgeworfen. Neoklassische Ökonomik argumentiert hier schnell mit dem rentenneurotischen »moral hazard«-Verdacht. Die selbstverschuldete Not kann aber eben auch tragisch sein: Fehlendes Wissen ließ die Folgen nicht absehen. Ego wird »schuldlos schuldig«, wie einst Ödipus im sozialen Schicksalszusammenhang der griechischen Antike. Soziologische Studien verweisen auf Sozialschichtgradienten zu hoher Zeitpräferenzraten. Und nun? Dummheit schützt vor Strafe nicht? Bildung ist eine zentrale Proxy im Sozialschichtzusammenhang. Man wird sich mit Blick auf den Nexus von Kausalität und Schuld nicht loslösen können von der entwicklungspsychologischen Kenntnis der Zusammenhänge der Stufen kognitiver und moralischer Kompetenz. Diese Blickverengung kann wiederum inter-personelle ininter-generationale Effekte negativer Externalitäten umschlagen lassen, wenn der Schaden in t1 auch Dritte betrifft, vor allem dann, wenn Nachhaltigkeitsgebote verletzt wurden. Anthropologisch zeig sich erneut, dass kein Mensch wirklich als Atom verstanden werden kann, dass er ist immer ein Molekül ist, also verstrickt ist in Geschichten und somit Knotenpunkt sozialer Beziehungen.

Anhang II: Übertragungs-GegenübertragungsMechanismen des Alltags

Übertragungen und Gegenübertragungen sind in der psychoanalytischen Theorie eine klassische Thematik. Sie ist angesiedelt im praktischen Therapiekontext. Doch solche Mechanismen sind insgesamt im Alltag der sozialen Wirklichkeit des transaktionalen Menschen wirksam. Menschen stehen in Wechselbeziehungen zu ihrer sozialen Mitwelt und zur technisch-dinglichen Umwelt. Und hier findet ein kommunikatives Geschehen statt, in das sich der Mensch mit seiner ganzen komplexen Tiefenstruktur einbringt. Denn dasUnbewusste ist nicht nur während des Schlafs (Devereux, G; Dällenbach, 2019; Näf, 2004; Freud, 1975, Vedfelt, 1999) aktiv und wird sodann in der analytischen Therapiesituation aktiviert, sondern die Übertragung und die Gegenübertragung stellen, anthropologisch gesehen, universelle Phänomene dar, die immer wirksam in sozialen Begegnungen auftreten können, wenn Menschen aufeinander treffen. Der marxistische Philosoph Louis Althusser fundierte z.B. seine Theorie der »Anrufung« (»Interpellation«) durch die »ideologischen Staatsapparate« in Lacans Konzeption des g roßenAnderen. Hier geht es nun im vorliegenden Themenfeld jedoch um die Begegnungssituationen des Menschen in sozialprofessionellen Kontexten institutioneller Art in Care und Cure. Aber die Theorie kann appliziert werden. Um das zu verstehen, kommen wir auf unser allgemeines Modell der Exklusion als Binnendifferenzierung des sozialen Systems zurück. Dort wurde (vgl. nachfolgendes Schaubild 2) dargelegt, dass im Innenraum (IN) der Normalen N (IR [N]) die Dynamik der sozialen Exklusion

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(sEx) zur Bildung eines Außenraums im Innenraum führt, der vom Innen des Außenraums (iAR) heraus als Innenraum der Anormalen (AN) erlebt wird, als iAR (AN), der zur Hospitalisierung (H) führt.

Schaubild 2: Innenräume und Außenräume im Innenraum

Hier liegt ein heterotopes Phänomen (Schulz-Nieswandt, 2016b; Foucault, 1973) vor, allerdings eine negative Heterotopie, da sie Geschehensort der Entfremdung ist. Positive Heterotopien sind Geschehensorte, in denen soziale Innovationssprünge in Richtung auf die Aneignung und Entfaltung der natürlichen Rechte des Menschen als Person stattfinden. Die beobachtbaren Bemühungen einer Modernisierung der Binnenstrukturen des Heimlebens sind für diese These keine Falsifikationen, sondern sie verifizieren geradezu diese Sicht, da Modernisierungen im limitierten Kontext einer Reparaturbedürftigkeit von renovierungsbedürftigen Sozialgebilden zu verstehend zu verorten sind. Die Öffnungen der Heimstrukturen zum Sozialraum gehen – an das GALINDA-Projekt ist nochmals zu erinnern – gegenüber Binnenmodernisierungen einen Schritt weiter, stellen aber dennoch nur hybride Übergangsräume dar, die allerdings an den Heimen als »Welten in der Welt« kratzen. Diese Öffnungsschritte sind in ihrem Radikalitätsgrad unterschiedlich zu skalieren. In diesen Geschehensordnungen im iAR (AN) finden interne Ausgrenzungen statt, die u.a. auf Übertragungs-GegenübertragungsMechanismen aufbauen. Dies wird im nachstehenden Schaubild (3) erläutert.

Anhang I

Schaubild 3: Mechanismen der ÜbertragungGegenübertragungs-Dynamik

Die Mechanismen der Übertragungen (Ü) und Gegenübertragungen (GÜ) finden zwischen N (die Normalen) und AN (den Anormalen) statt. Es handelt sich aber um imaginative Einbildungen der GÜ von AN an N, die aus der Ü von N an AN resultieren: Weil der Andere als Spiegel (Pagel, 2002: 23ff.) des eigenen Zukunft (Altern als Verfall) rezipiert wird, wird aus Angst heraus eine stigmatisierende Übertragungsleistung N → AN generiert. Ist diese Ü von A an AN real und somit nicht nur symbolisch in der Einbildung, sondern mündet in faktische Reaktionsmuster aus, die vom Ekel als Klassifikationsstrategie der Codierung des AN als das Andere gesteuert wird, so ist die GÜ von AN an N ein Phantasma (ein unbewusster Tagtraum) von N. Die Spiegelung (Schickel & Heinz, 2012) muss begriffen werden. Aus dem Geschehen des frühen Spiegelstadiums in der Entwicklung des Kindes (so Lacan in »Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint« von 1948; Widmer, 1997: 26ff.; vgl. auch in Hammermeister, 2008) wird ein zweischichtiges Spiegelbildgeschehen. Beim Kind ging es um die epistemische Erfahrung: Das bin ja ich. Jetzt steht N vor AN und sieht AN und dahinter – vielleicht leicht verschwommen, aber schon erkennbar – sich selbst: AN das bin ja ich.

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Die Angst, die aus dieser Spiegelung erwächst, die ja schon im Inneren von N war, nun aber an AN erkennbar wird, löst (als Wirkung der symbolischen Herrschaft der Kultur der Gesellschaft) ein Schuldgefühl aus, genährt vor dem Schrecken, entweder fliehen zu wollen oder zu töten, also den Spiegel zu erschlagen oder gar AN. Die dual organisierte Erfahrungssituation im Spiegelstadium als der Bereich desImaginären wird erst durch das Erreichen der symbolischen Ordnung überschritten, wenn das werdende Subjekt zu sprechen beginnt und dergestalt am großen Medium des symbolischen Anderen, der Gesellschaft der Sprache, partizipiert. Die Mutter verkörpert den »großen anderen Willen«, der spricht. So erlernt das Kind die Ordnung der Sprache und somit das dergestalt transportierte Soziale. Der Vater ist es, der die Rolle des Gesetzes einnimmt und das Kind aus dem primären (ödipalen) Begehren zur transfamiliären Welt der Kultur der Welt hin treibt. In der Gesellschaft gilt das an die Sprache gebundene Gesetz des Symbolischen der sozialenNormen und des ökonomischen Tauschs. Es geht hier um die Ordnung der Diskurse, der staatlichen Herrschaft und der Regeln der Ökonomie: Alles Transformationen des Urspruchs: »im Namen des Vaters«. Diese symbolische Herrschaftsordnung unterwirft strukturierend das Subjekt als sub-jectum (Unterworfenes). Daher ist auch dasUnbewusste der Struktur des Symbolischen unterworfen, denn es ist analog wie eine Sprache strukturiert. Wenn klar wird, dass AN, selbst wenn er getötet ist, nicht fort ist, sondern aus dem Reich der Manen (Otto, 1976), somit in der trans-generationellen historischen Tradition der Kultur des Sozialen stehend, immer präsent bleibt, so resultiert aus dem Schuldgefühl ein anderes Reaktionsmuster zur Bewältigung der Angst: N opfert sich in der Rolle der Hilfe. Das kann aus Distanz heraus geschehen, bewirkt aber eine Kontrolle von AN. Indem man AN pflegt, kontrolliert man die Gefahr. Schon bei Freud – und in vielen anderen Studien zum Verständnis des Opferkults – erwächst das Opfer aus der Bewältigung der Schuld aus der Tötung des angstmachenden Anderen, der bedroht. Eingezwängt zwischen den beiden Tabu-Ordnungen (Przyrembel, 2011; Schoeps, 1981: 24ff.) in Bezug auf Vernachlässigung der »Alten« und Tötung der »Alten«, bleibt nur die Selbst-Auf-Opferung, die noch

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den Aspekt hat, prädestiniert zu werden für die Huldigung des Heldentums. Dieser Aspekt des Opferrollenerlebens seitens der pflegerischen Professionen ist ein aus der Forschung bekanntes Phänomen. Es scheint nun unter den Bedingungen der Corona-Krise habituell besonders aktualisiert zu werden. Die Pflege fühlt sich von der Politik alleingelassen und von der Gesellschaft nicht angemessen im Wert geschätzt. Hier wird auch ein Grund im Rahmen einer komplexen Analyse des Fachkräftemangels erkannt. Die organisationskulturelle Rolle der Einrichtungsleitungen bzw. der unternehmensphilosophischen Ausrichtung der Träger wird im Kontext schlechter Arbeitsbedingungen zwar seitens der einschlägigen fachpolitischen Forschung, jedoch weniger von den betroffenen Professionen betont. Hier scheint, psychologisch betrachtet, die Pflege in einem Rollenkonflikt eingelassen zu sein, die mit der Bewältigung kognitiver Dissonanzen zu tun hat: Wie soll der Sektor der Arbeit kritisiert werden, dem man ja durch seine Wahl der Berufstätigkeit zugestimmt hat? Für Aussteiger fällt die Kritik leichter. Insider fühlen sich von der Kritik der sozialen Umwelt der Einrichtungen des Sektors offensichtlich persönlich angegriffen. So kommt es zu einer Verteidigungshaltung, zu der als strukturelles Moment die Einnahme einer Opferrolle gehört. Offensichtlich liegt dem ein Kränkungsempfinden zugrunde. Die Kränkung wird als ungerecht eingestuft. In der weitere Folge kommt es dazu, dass mit der Selbstverteidigung die Kritik an der Politik der Träger und ihrer Einrichtungen sowie, tiefer noch, an dem Programmcode der stationären Sonderwelten des quasi-klinischen Versorgungsarrangements einer Ordnung, die an Sauberkeit, Sicherheit und Stille ausgerichtet ist, verdrängt wird. Bildsprachlich ausgedrückt: Die Galeere wird verteidigt.

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Soziologie Michael Volkmer, Karin Werner (Hg.)

Die Corona-Gesellschaft Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft Juli 2020, 432 S., kart., 2 SW-Abbildungen 24,50 € (DE), 978-3-8376-5432-5 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5432-9 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5432-5

Naika Foroutan

Die postmigrantische Gesellschaft Ein Versprechen der pluralen Demokratie 2019, 280 S., kart., 18 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4263-6 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4263-0 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4263-6

Bernd Kortmann, Günther G. Schulze (Hg.)

Jenseits von Corona Unsere Welt nach der Pandemie – Perspektiven aus der Wissenschaft September 2020, 320 S., 1 SW-Abbildung 22,50 € (DE), 978-3-8376-5517-9 E-Book: PDF: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5517-3 EPUB: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5517-9

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Soziologie Detlef Pollack

Das unzufriedene Volk Protest und Ressentiment in Ostdeutschland von der friedlichen Revolution bis heute September 2020, 232 S., 6 SW-Abbildungen 20,00 € (DE), 978-3-8376-5238-3 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5238-7 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5238-3

Ingolfur Blühdorn, Felix Butzlaff, Michael Deflorian, Daniel Hausknost, Mirijam Mock

Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet Juni 2020, 350 S., kart. 20,00 € (DE), 978-3-8376-5442-4 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5442-8

Juliane Karakayali, Bernd Kasparek (Hg.)

movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Jg. 4, Heft 2/2018 2019, 246 S., kart. 24,99 € (DE), 978-3-8376-4474-6

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