Der unruhige Planet: Der Mensch und die Naturgewalten 9783534747313

Dass wir auf einem unruhigen Planeten leben, ist uns mit dem Seebeben im Indischen Ozean vom Dezember 2004 erneut deutli

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Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
1. Naturkatastrophen – ein globales Problem
Der Tsunami im Indischen Ozean –neue Dimensionen von Naturkatastrophen
Wenn die Natur zuschlägt –Schadenentwicklung der letzten Jahrzehnte
Katastrophenvorsorge im 21. Jahrhundert –was steht an?
2. Naturkatastrophenmanagement –Sichtweisen und Konzepte
Vielschichtigkeit der Problematik –wenn Naturereignisse zu Naturkatastrophen werden
Naturwissenschaftliche Ansätze –die Natur als Auslöser und Leidtragende
Sozialwissenschaftliche Ansätze –der Mensch als Opfer und Täter
3. Die Natur in Bewegung –Naturgefahren und ihre Prozesse
Meteorologische Kräfte –Naturgefahren der Atmosphäre
Tropische Wirbelstürme –zerstörerische Wolkenwirbel
Winterstürme – kalte Starkwinde der mittleren Breiten
Hitzewellen – wenn Temperaturen steigen
Hydrologische Phänomene –Wassermangel und Wasserüberfluss
Dürren – wenn der Regen ausbleibt
Überschwemmungen –verheerende Wassermassen
Sturmfluten – wenn Küsten überschwemmt werden
Naturgefahren der festen Erde und ihrer Grenzfläche –wenn Kräfte zusammenwirken
Erdbeben – tektonische Kräfte
Vulkaneruptionen –Explosionen aus dem Erdinnern
Tsunamis – die großen Flutwellen
Massenbewegungen –wenn das Erdreich sich bewegt
4. Die Gesellschaft in Bewegung –Naturrisiken und ihre Prozesse
Historische Naturkatastrophen –Zeugnisse einstiger Schicksalsschläge
Die Verwundbarkeit – wie anfällig sind wir?
Die Risikowahrnehmung – warum wer was fürchtet
Bevölkerungsentwicklung und Verstädterung – wie wir leben
Armut und Hunger – die Triebfedern
Medien und Hilfsorganisationen –wenn Katastrophen gemacht werden
Wissen und Bildung – was können wir lernen?
5. Katastrophenmanagement –Vorsorge und Nachsorge
Katastrophenkreislauf und Risikokultur – Schäden reduzieren
Katastrophenvorsorge –wie kann man sich schützen?
Selbsthilfefähigkeit stärken – im Voraus planen
Vorbereitende Maßnahmen – im Voraus handeln
Katastrophenbewältigung – wie wird geholfen?
Rettungswesen und Humanitäre Hilfe –medizinischer und solidarischer Beistand
Wiederaufbau – Chancen zur Katastrophenvorsorge
Anpassungsstrategien und nachhaltige Entwicklung –adaptive Vorsorgemöglichkeiten
6. Fallbeispiele – regionale Schicksale
Entwicklungsländer – wenn die Ärmsten leiden
Überschwemmungen im Mekong-Delta –Segen und Fluch
Zyklone zwischen Ganges und Brahmaputra – Vorsorge in Indien und Bangladesch
Erdbeben in Indien – wenn Erdkrusten kollidieren
Industrieländer – wenn Schäden steigen
Hochwasser an Rhein und Elbe –Naturlandschaft versus Kulturlandschaft
Orkane über Europa – der Alptraum der Versicherungen
Erdbeben in Japan – vorhersehbar und doch unerwartet
7. Aussichten – was muss getan werden?
Globale Veränderungen und Naturkatastrophen – die Systeme Erde und Gesellschaft im Wandel
Katastrophenvorsorge und Risikokultur –gemeinsame Zukunftsaufgabe
Praktische Konsequenzen – quo vadimus?
Glossar
Literaturverzeichnis
Register
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Der unruhige Planet: Der Mensch und die Naturgewalten
 9783534747313

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Richard Dikau Juergen Weichselgartner

Der unruhige Planet Der Mensch und die Naturgewalten

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Richard Dikau Juergen Weichselgartner

Der unruhige Planet Der Mensch und die Naturgewalten

Wissenschaftliche Buchgesellschaft

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Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Büttelborn Foto: picture-alliance/dpa. Ausbruch des japanischen Vulkans Oyama am 10. 8. 2000

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2005 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Redaktion: Katharina Gerwens Fotos: Die Autoren, wenn nicht anders angegeben Layout und Prepress: schreiberVIS, Seeheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany www.wbg-darmstadt.de ISBN 978-3-534-74731-3 (E-Book-Ausgabe)

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Inhalt .........

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Sturmfluten – wenn Küsten überschwemmt werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dürren – wenn der Regen ausbleibt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.

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Naturkatastrophen – ein globales Problem . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Der Tsunami im Indischen Ozean – neue Dimensionen von Naturkatastrophen . .

11

Wenn die Natur zuschlägt – Schadenentwicklung der letzten Jahrzehnte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katastrophenvorsorge im 21. Jahrhundert – was steht an? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Überschwemmungen – verheerende Wassermassen

Naturgefahren der festen Erde und ihrer Grenzfläche – wenn Kräfte zusammenwirken

...............

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Erdbeben – tektonische Kräfte

...............

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15 Vulkaneruptionen – Explosionen aus dem Erdinnern

............. ...........

75

Massenbewegungen – wenn das Erdreich sich bewegt . . . . . . . . . . . . . . .

81

Tsunamis – die großen Flutwellen

2.

Naturkatastrophenmanagement – Sichtweisen und Konzepte

Vielschichtigkeit der Problematik – wenn Naturereignisse zu Naturkatastrophen werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . Naturwissenschaftliche Ansätze – die Natur als Auslöser und Leidtragende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4. 19

Die Gesellschaft in Bewegung – Naturrisiken und ihre Prozesse . . . . . .

Historische Naturkatastrophen – Zeugnisse einstiger Schicksalsschläge

........

3.

Die Natur in Bewegung – Naturgefahren und ihre Prozesse . . .

Meteorologische Kräfte – Naturgefahren der Atmosphäre Tropische Wirbelstürme – zerstörerische Wolkenwirbel

87 87

21 Die Verwundbarkeit – wie anfällig sind wir?

Sozialwissenschaftliche Ansätze – der Mensch als Opfer und Täter . . . . . . . . . . . . .

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31

.

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Die Risikowahrnehmung – warum wer was fürchtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

Bevölkerungsentwicklung und Verstädterung – wie wir leben . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Armut und Hunger – die Triebfedern . . . . . . . . 113

..............

31 Medien und Hilfsorganisationen – wenn Katastrophen gemacht werden . . . . . . . . . 119

.................

32 Wissen und Bildung – was können wir lernen?

Winterstürme – kalte Starkwinde der mittleren Breiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hitzewellen – wenn Temperaturen steigen

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5. .................

Hydrologische Phänomene – Wassermangel und Wasserüberfluss

.........

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Katastrophenmanagement – Vorsorge und Nachsorge . . . . . . . . . . . . . 127

Katastrophenkreislauf und Risikokultur – Schäden reduzieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

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Katastrophenvorsorge – wie kann man sich schützen? . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Selbsthilfefähigkeit stärken – im Voraus planen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Vorbereitende Maßnahmen – im Voraus handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Katastrophenbewältigung – wie wird geholfen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Rettungswesen und Humanitäre Hilfe – medizinischer und solidarischer Beistand

Anpassungsstrategien und nachhaltige Entwicklung – adaptive Vorsorgemöglichkeiten

6.

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Industrieländer – wenn Schäden steigen Hochwasser an Rhein und Elbe – Naturlandschaft versus Kulturlandschaft

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Fallbeispiele – regionale Schicksale

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Entwicklungsländer – wenn die Ärmsten leiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Überschwemmungen im Mekong-Delta – Segen und Fluch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Zyklone zwischen Ganges und Brahmaputra – Vorsorge in Indien und Bangladesch . . . . . . . . . 151

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Orkane über Europa – der Alptraum der Versicherungen . . . . . . . . . . . . 161 Erdbeben in Japan – vorhersehbar und doch unerwartet

....

Wiederaufbau – Chancen zur Katastrophenvorsorge

Erdbeben in Indien – wenn Erdkrusten kollidieren

7.

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Aussichten – was muss getan werden? . . . . . . . . . . . . 167

Globale Veränderungen und Naturkatastrophen – die Systeme Erde und Gesellschaft im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Katastrophenvorsorge und Risikokultur – gemeinsame Zukunftsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . 172 Praktische Konsequenzen – quo vadimus?

...

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Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

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Vorwort

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as Rettende kann nur wachsen und die Lebenden können nur geschützt werden, wenn wir die Risiken kennen und angemessene Vorsorge treffen. Dieses einfach formulierte, aber nur mit größter Anstrengung zu erreichende Ziel muss die Antwort auf gegenwärtige und zukünftige Naturprozesse sein. „Katastrophenvorsorge muss in den Wiederaufbau integriert werden.“ Diese grundlegende Lehre aus der Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean ist eine Aufgabe globalen Maßstabs. Sie muss gelöst werden, um die negative Entwicklung der letzten Jahrzehnte zu stoppen. Die Einführung zu diesem Buch über Naturkatastrophen wurde zwar unter dem Eindruck der Katastrophe in Südostasien geschrieben; dennoch sind Naturkatastrophen für den mit dem Problem Befassten tägliche Erkenntnis und Erfahrung. Wir plädieren für eine ganzheitliche Auseinandersetzung mit Naturkatastrophen, die keinen wissenschaftlichen und operativen Bereich ausschließt und die sich an den Vorsorge- und Bewältigungsmechanismen der Gesellschaft und ihrer Mitglieder orientiert. Dies ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer vorsorgenden Risikokultur. Während dieses Buch geschrieben wurde, erlangten zahlreiche große Naturkatastrophen internationale Aufmerksamkeit. Unermessliches Leid und Zerstörungen haben uns vor Augen geführt, dass der Mensch den natürlichen Prozessen des Systems Erde schutzlos ausgeliefert zu sein scheint. Ein Erdbeben im Iran zerstörte am 26. Dezember 2003 die Stadt Bam; rund 30 000 Menschen wurden unter den Trümmern schlecht konstruierter Wohnhäuser begraben. Im August und September 2004 fegten über die Karibik und den Südosten der USA mehrere tropische Wirbelstürme hinweg, die auf sehr unterschiedlich vorbereitete Bevölkerungsgruppen trafen. Auf Haiti starben mehrere Tausend Menschen durch Überschwemmungen, weil dort die den Abfluss hemmenden Wälder abgeholzt worden waren; in Florida mussten Millionen von Menschen evakuiert werden, da sich die Bevölkerung im attraktiven Bundesstaat seit 1950 versechsfacht hat. Als dieses Buch schon so gut wie abgeschlossen war, forderte die Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean über 220 000 Todesopfer – und dies in einer Region, die den Wissenschaftlern als seismisch aktiv bekannt ist und in der Tsunamis immer wieder aufgetreten sind. Kurz vor der Katastrophe hatten australische Wissenschaftler Tsuna-

mi-Simulationen für das Erdbeben von 1833 veröffentlicht, das nur einige Hundert Kilometer südlich des Erdbebens vom Dezember 2004 stattgefunden hatte. Das Lernen aus der Geschichte und die Erstellung langer Zeitreihen von Daten gefährlicher Prozesse sind unerlässliche Grundlagen der Vorsorge. Das Jahr 2004 zeigte auch andere beunruhigende Rekordmarken. Mit einer Schadensliste von mehr als 20 Milliarden Euro erreichte allein das dritte Quartal den zweiten Platz auf der Schadenliste der Rückversicherer – und zwar durch die vier verheerenden Hurrikane in der Karibik und im Südosten der USA. In Japan brach der Sommer mehrere Hitzerekorde. Kaum ließen die Temperaturen nach, verwüstete „Togake“, der 23. Taifun des Jahres, weite Teile der Hauptinsel Honshu. Eine derart hohe Zahl von Wirbelstürmen innerhalb eines Jahres wurde bislang noch nie registriert. Nur zwei Tage später bebte die Erde in Niigata mit einer Stärke von 6,8 auf der Richterskala. Die Philippinen wurden Anfang Dezember erst von einem tropischen Tief und danach vom Taifun „Nanmadol“ heimgesucht. Während die Bewohner des Inselstaates schwer getroffen wurden, kamen die Menschen in BadenWürttemberg mit dem Schrecken davon, als sie in der Nacht zum 5. Dezember von einem Beben der Stärke 5,4 aus dem Schlaf gerissen wurden. Auch die Medien widmeten sich im Jahr 2004 wieder intensiver dem Thema Klimawandel. Mitverantwortlich dafür sind allerdings nicht nur die realen Naturkatastrophen, sondern ein HollywoodBlockbuster des deutschen Regisseurs Roland Emmerich. Der Katastrophenfilm „The Day After Tomorrow“ stellt einen plötzlichen Klimaumschwung im Zeitraffer dar und sorgte damit auch außerhalb der Kinosäle für frostiges Klima. Die Dramatisierung der Folgen des Klimawandels ließ Forscher und Klimaexperten heftig über die Plausibilität der Filmerzählung und die Wahrscheinlichkeit von längerfristigen Katastrophenszenarien streiten. Auch wenn der Klimawandel, so wie im Film gezeigt, nicht ablaufen wird, rückte das Thema für eine gewisse Zeit wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Der Mensch ist indes nicht nur Opfer von natürlichen Prozessen, er greift auch immer öfters aktiv in die Kreisläufe unseres Planeten ein und stört damit die empfindlichen Wechselwirkungen im System Erde. Eine Erhöhung des Naturkatastrophenrisikos als Folge dieser Eingriffe ist wahrscheinlich und muss Bestandteil unserer Risiko-

„Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Friedrich Hölderlin

„Der beste Weg, die Toten zu ehren, ist, die Lebenden zu schützen.“ Jan Egeland, Generalsekretär des UN-Büros zur Koordination Humanitärer Hilfe

„Wir müssen von einer Kultur der Reaktion zu einer Kultur der Prävention gelangen.“ Kofi Annan, Generalsekretär der Vereinten Nationen

„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“ Aristoteles

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wahrnehmung werden. Sind wir diesen Naturereignissen wirklich schutzlos ausgeliefert oder existieren Prinzipien, Konzepte und Maßnahmen, diesen unbeeinflussbaren Naturprozessen zu widerstehen und ihre Folgen zu mildern? Sind die Gesellschaften in den gefährdeten Gebieten ausreichend auf derartige Naturereignisse vorbereitet? Ist ihre Widerstandsfähigkeit stark genug und bewirkt Armut eine verstärkte Anfälligkeit gegenüber gefährlichen Naturprozessen? Wird der Wiederaufbau Konsequenzen zeitigen und die Katastrophenvorsorge stärken? Tragen wir durch Umweltzerstörung und Beeinträchtigung der Ökosysteme vielleicht selber dazu bei, dass Naturkatastrophen in den letzten Jahrzehnten derart zugenommen haben? Werden die globalen Veränderungen von Natur und Gesellschaft der nächsten Jahrzehnte diesen Trend fördern oder stoppen? Diese Fragen machen deutlich, dass Naturkatastrophen weit über die Dimension der Natur und der natürlichen Prozesse hinausführen und die menschliche Gesellschaft und die Wahrnehmung ihrer Mitglieder in den Blickpunkt der Problemlösung rücken muss. Nur einige dieser Zusammenhänge und Probleme können im vorgelegten Buch behandelt werden. Es soll einem interessierten Leser ohne spezifische Vorkenntnisse einen Einblick und Einstieg in die Wechselwirkungen zwischen Naturgefahren, Katastrophenvorsorge und Risikomanagement vermitteln. Dabei kommen die Autoren nicht umhin, das eigene Fachgebiet zu verlassen und sich über Disziplingrenzen hinweg in zum Teil unbekanntes Terrain zu wagen. Die thematische Breite des Buches wurde bewusst gewählt. Der Leser kann sich jedoch über zahlreiche Literaturhinweise und Internetadressen der Einzelkapitel weitere Informationsquellen erschließen. Alle Beiträge bemühen sich um Alltagsnähe, Aktualität und vor allem Anwendungsbezug. In separaten Themenboxen werden bestimmte Sachverhalte genauer erläutert und ein praktischer Bezug zu spezifischen Themen hergestellt. Auch die regionalen Fallbeispiele tragen diesem Anspruch Rechnung. Zudem werden bestimmte Naturgefahrentypen in Entwicklungsund Industrieländern vergleichend behandelt. Dadurch sollen die kontextspezifischen Eigenarten der Phänomene hervorgehoben werden. Naturkatastrophen sind in gesellschaftliche Strukturen eingebettet, in denen natürliche Prozesse wirksam werden. Sie besitzen gleichermaßen natürliche und soziale Dimensionen. Im vorliegenden Band werden daher die vernetzten Zusammenhänge zwischen katastrophenauslösenden Naturgefahren und den katastrophenerzeugenden Sozialstrukturen aus zwei Blickwinkeln beschrieben. Zwar werden die Prozesse des Systems Erde und der Gesellschaft noch in separate Kapitel gefasst, es wird

aber versucht, die sonst üblichen rein natur- oder sozialwissenschaftlichen Sichtweisen sprachlich und inhaltlich so weit wie möglich aufzubrechen. Die Struktur des Buches berücksichtigt die Notwendigkeit, zwischen allgemeinen Prinzipien und Konzepten und bestimmten Fallstudien zu unterscheiden. Kapitel I greift zunächst die TsunamiKatastrophe im Indischen Ozean auf. Schon hier werden die unterschiedlichen Facetten der Thematik deutlich, die sich in der Schadensentwicklung der letzten Jahrzehnte und den anstehenden Problemen manifestieren. In Kapitel II werden die grundlegenden Positionen aus fachlicher Sicht dargelegt, die in Kapitel III und IV mit speziellen natur- und gesellschaftlichen Prozessen und Phänomenen vertieft werden. Eine Zusammenführung dieser disziplinären Einzelaspekte und -phänomene wird in Kapitel V versucht, in dem auch die Komponenten der Katastrophenvorsorge und -nachsorge sowie Fragen der Risikothematik behandelt werden. Die sechs Fallstudien in Kapitel VI sollen diesen konzeptionellen Rahmen in bestimmten Industrie- und Entwicklungsländern mit ihren spezifischen Problemstellungen erläutern und vertiefen. Die Perspektiven des Kapitels VII schließlich weisen auf die Mechanismen und Aktionspläne der Vereinten Nationen, die als Weltorganisation auf die politischen Entscheidungsprozesse der Staaten einwirken. Dort wird betont, dass vor allem die gesellschaftliche Ebene der lokalen Gemeinden der Ort ist, an dem ein angemessenes Katastrophenmanagement stattfinden muss, und dass die Eigeninitiative und Selbsthilfe der Bevölkerung ein entscheidender Faktor ist. Das Buch will Einsichten in einige der komplexen Zusammenhänge von Naturkatastrophen vermitteln. Es ist deshalb verständlich geschrieben, ohne jedoch auf die einschlägigen Fachbegriffe zu verzichten. Allerdings fehlen bis heute einheitliche Definitionen. Sowohl die internationalen als auch die nationalen Organisationen bemühen sich um Standardisierungen und Übersetzungen. Wir haben aus zahlreichen Definitionskatalogen deutscher Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, der Vereinten Nationen und anderer Agenturen ein Glossar erstellt und die englischen Übersetzungen der Begriffe hinzugefügt. Diese Zusammenstellung muss als Zwischenstand weitergehender Standards gesehen werden. Wir erhoffen uns hier Kritik und Anregung. In einem Schema des Katastrophenkreislaufes und der Risikobehandlung sollen die Begriffe in einen logischen Zusammenhang gestellt werden. Dem an der Thematik interessierten Studenten wird das Buch als Begleit- und Nachschlagewerk fundierte Informationen liefern, die er im Verlauf des Studiums benötigen wird.

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Die Verständlichkeit des Buches soll durch eine Vielzahl von Abbildungen und Fotographien unterstützt werden. Hier ist zahlreichen Kolleginnen und Kollegen zu danken, die freundlicherweise Bildmaterial bereitgestellt haben. Herr Storbeck, Frau Bräuer-Jux und Herr Kieslinger von der kartographischen Abteilung des Geographischen Instituts

der Universität Bonn haben aus den Entwürfen der Autoren verständliche und professionelle Abbildungen angefertigt, wofür wir uns herzlich bedanken. Herr Vogel und Herr Schwieder von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft haben das Projekt angeregt und als kompetente Ansprechpartner begleitet. Wir danken ihnen für das Vertrauen.

PS: Wenige Tage vor Drucklegung dieses Buches hat eine schwere Naturkatastrophe die Vereinigten Staaten von Amerika erschüttert. In aller Deutlichkeit und Schärfe zeigt sich bei dieser Katastrophe nicht nur ein tropischer Wirbelsturm mit Verwüstungen bisher nicht gekannter Größe, sondern es offenbaren sich auch die politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Dimensionen derartiger Naturgewalten. Einer vorbildlichen technischen Frühwarnung des National Hurricane Center in Florida folgte eine Katastrophenbewältigung, die der Weltöffentlichkeit unfassbare und bisher nicht gesehene Bilder lieferte. Hier traf ein extremes Naturereignis mit einer hochgradig verwundbaren Gesellschaft zusammen, die – trotz Warnungen von Seiten der Wissenschaft – in keiner Weise auf ein derartiges Ereignis vorbereitet war und deren Vorsorgemaßnahmen nicht ausreichten, um die Risiken in der Region zu vermindern. Die innenpolitischen und auch globalen Dimensionen dieser Katastrophe sind noch nicht abzusehen, jedoch kann in der amerikanischen Presse in diesen Tagen ein erbitterter Streit über die Kompetenzen und

Aufgaben der Federal Emergency Management Agency (FEMA) verfolgt werden, die auch in diesem Buch mehrfach genannt wird. Der amerikanische Historiker und Stadtforscher Mike Davis nennt in einem Interview der Süddeutschen Zeitung vom 5. September 2005 den Hurrikan Katrina die „am wenigsten natürliche Naturkatastrophe, die es je gab“. Die moralische und soziale Dimension zeige sich darin, so Mike Davis, dass die Armen angesichts von Naturkatastrophen völlig allein gelassen werden und dass Städte derart hochgradig verwundbar sind, dass sie sehr schnell zusammenbrechen können. Einige dieser Probleme werden in diesem Buch behandelt, wobei deutlich wird, dass Naturkatastrophen auf soziale Verhältnisse und Bedingungen treffen und dass eine Bewertung und Verminderung der Katastrophenrisiken ohne Kenntnisse der Vorsorge- und Bewältigungsmechanismen der Gesellschaft nicht gelingen kann. Nur eine ganzheitliche Auseinandersetzung mit Naturkatastrophen im Sinne einer vorsorgenden Risikokultur kann Lösungen für diese tiefgreifenden Probleme liefern.

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Naturkatastrophen – ein globales Problem Der Tsunami im Indischen Ozean – neue Dimensionen von Naturkatastrophen Naturkatastrophen kommen für die meisten Menschen unverhofft. So auch am 26. Dezember 2004, als ausgerechnet zu Weihnachten vor der Küste Sumatras die Erde mit der Stärke 9,0 auf der Richterskala für 200 Sekunden bebte. Durch die ruckartige Verdrängung von Wasser entstand ein Tsunami (japanisch für „große Hafenwelle“), der sich im gesamten Indischen Ozean ausbreitete. Über 300 000 Menschen starben, die in zwölf Ländern angerichteten Schäden werden von der Münchener Rückversicherung auf mindestens 7,7 Milliarden Euro geschätzt. Die Zerstörung von Häusern, Straßen und Brücken, der Wasser- und Stromversorgung sowie von Ernten, Bewässerungssystemen und dem Fischfang hat schwerwiegende Folgen für die Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten der in den betroffenen Gebieten lebenden Menschen. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO in Genf schätzt, dass durch den Tsunami in den Anrainerstaaten des Indischen Ozeans mindestens eine Million Menschen arbeitslos geworden sind. Damit zählt die Flutwelle mit zu den größten Naturkatastrophen der Neuzeit.

Aber nicht nur die schweren direkten Schäden durch die Naturgewalt bestürzen. Was sich nach statistischer Wahrscheinlichkeit eigentlich nur alle 700 Jahre ereignen sollte, wurde unerwartet grausame Realität. Dabei ist auch die Vorstellung erschütternd, dass der Richter-Skalenwert des Seebebens bereits im Internet zu finden war, als Anwohner und Touristen in Aceh, Phuket und anderen Urlaubsparadiesen noch sorglos ihren morgendlichen Tätigkeiten nachgingen. Nur wenige dieser späteren Opfer werden gewusst haben, dass bereits Ende 2003 die internationale Koordinierungsgruppe für das pazifische Tsunami-Meldesystem (ICG) auf Hawaii den Aufbau von Messstationen und Informationszentren für den Indischen Ozean empfohlen hatte. Leider waren erst nach der Flutwelle die Erkenntnis und Angst groß genug, um ein im Vergleich zu den Schäden kostengünstiges Frühwarnsystem einzurichten, wie es für den Pazifikraum schon lange vorliegt. Eine Tsunami-Warnung selbst kann jedoch nur eine der äußerst zahlreichen Maßnahmen und Komponenten eines integralen Risikomanagements für Tsunamis sein. Entscheidend ist, dass die Katastrophenvorsorge in den lokalen Gemeinden veran¯ 1.1: Paradies. Nein, absichtlich kein Bild von zerstörten Stränden. Aber die vermeintlichen Paradiese dieser Erde sind schon lange keine Idyllen mehr, sondern Märkte, von denen Millionen Menschen leben müssen. Ob in den wirbelsturmgefährdeten Sonnenparadiesen der fernen Karibik, Asiens und der USA oder in den lawinengefährdeten Skiarenen der nahen Alpen, eine immer weiter steigende Anzahl von Touristen hält sich zeitweise in Gefahrenzonen auf, mit deren Eigenarten sie nicht vertraut sind. Sie gehen Risiken ein, die ihnen nicht ausreichend bewusst sind. Daher ist die Forderung nach Gefahrenzonierungen und Risikobewertungen für Touristenregionen nicht absurd, aber in der Praxis nur schwer zu erreichen.

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kert ist und die Eigeninitiative und Selbsthilfekräfte ihrer Mitglieder gestärkt und entwickelt werden. Allein die technische Frühwarnung mit Messbojen und Satelliten wird dieses Problem nicht lösen. Entscheidend ist weiterhin, dass durch die Katastrophenvorsorge eine Ausweisung von Gefahrenzonen erfolgt sowie Risikoanalysen und -bewertungen entwickelt und administrativ durchgesetzt werden. Es muss gesichert sein, dass eine Warnung die Bevölkerung auch wirklich erreicht und dass die Menschen wissen, wie zu handeln ist. Die vorbereitenden Evakuierungsmaßnahmen müssen trainiert, Bewohner und Touristen müssen vorbeugend mit Informationen versorgt werden. Es muss also sehr genau überlegt werden, an welcher Stelle wieder aufgebaut werden soll. Dies gilt auch für die Touristenhotels an den Küsten. Vor allem dürfen Hotelanlagen nicht wieder direkt an die Strände gebaut werden. Sie sind weiter in das Landesinnere zu verlegen. Das Naturereignis brachte nicht nur Elend in die direkt betroffenen Länder, sondern auch in mehr als fünfzig Staaten, aus denen die Opfer kamen. Neu an der Tsunami-Katastrophe war, dass sie Menschen aus Industrieländern und der Dritten Welt gleichermaßen getroffen hat. Außergewöhnlich auch die weltweite Solidarität mit den Opfern. Über 4,6 Milliarden Euro hat die Staatengemeinschaft für die Unglücksregionen aufgebracht. In Deutschland, wo sich zehn Hilfsorganisationen in der „Aktion Deutschland hilft“ zusammengeschlossen haben, war die Spendenbereitschaft mit am größten. Die Bundesregierung hat 500 Millionen Euro zur Bewältigung der Flutfolgen zur Verfügung gestellt. Das Gleichgewicht der Welt scheint durch die Welle aus der Balance gekommen zu sein, und Hilfsbereitschaft und Spenden sind auch ein Versuch, es wiederherzustellen. So waren im schwer betroffenen indonesischen Aceh Hunderte von Hilfsorganisationen gleichzeitig im Einsatz. Das lag auch daran, dass nicht nur Einheimische, sondern auch viele ausländische Touristen ums Leben gekommen sind. Dadurch wurde das Ausmaß der Katastrophe auch in fernen Ländern direkt erfahren. Hinzu kam die schnelle und umfassende Information durch die Medien. Im Vergleich zu anderen Naturkatastrophen gibt es zu kaum einem anderen Ereignis derart viele Augenzeugen und Bilder. Und kaum je zuvor sind die moralischen Zweideutigkeiten während einer Naturkatastrophe so deutlich zutage getreten: Die sittlich richtige Entscheidung, aus Pietät die Katastrophenregion vorzeitig zu verlassen oder nicht anzureisen, erweist sich kurze Zeit später als fragwürdig, weil dadurch den schon schwer Getroffenen auch noch der letzte Rest an Existenzgrundlage entzogen werde. Ungewöhnlich auch, dass betroffene Länder finanzielle Geschenke von Geberstaaten zurückweisen. So

haben sich Thailand, Indien und Malaysia gegen einen Schuldenerlass ausgesprochen, da dieser ihre zukünftige Kreditwürdigkeit herabsetzen würde. Von den Touristenkameras verborgen fand ein großes Sterben auch unterhalb der Wasseroberfläche statt. Zahlreiche Korallenriffe um die Malediven, Sri Lanka, Indonesien und Thailand sind von der Flutwelle zertrümmert, durch aufgewirbelten Sand erstickt oder von angeschwemmtem Müll bedeckt worden. Zahlreiche Folgen sind überhaupt nicht sichtbar geworden. Modell-Rechnungen der NASA ergeben, dass die Erdgeschwindigkeit geringfügig ins Wanken geraten ist. Nach vorläufigen Berechnungen des Geologischen Dienstes der USA hat es die Nikobaren um 20 m nach Westen versetzt und 15 der 572 Inseln des Archipels sind verschwunden. Die Folgen der Tsunami-Katastrophe waren auch deshalb so extrem, weil in den Küstenregionen des Indischen Ozeans keine Vorsorge gegen gefährliche Flutwellen getroffen worden war. Bei ausreichender Aufklärung hätte sichergestellt werden können, dass auch Touristen das Zurückweichen des Meeres richtig gedeutet und höheres Gelände aufgesucht hätten. Allerdings sollten die Europäer bedenken, dass auch im Mittelmeer, an dessen Küsten sich jährlich 30 Millionen Touristen tummeln, eine angemessene Tsunami-Vorsorge nicht existiert. Auch hier gibt es kein Frühwarnsystem als Komponente eines etablierten Risikomanagements, obgleich auch im Mittelmeer in der Vergangenheit tödliche Tsunamis aufgetreten sind. Zudem ist durch die Küstenbesiedelung das Schadenspotenzial größer und Vorwarnzeiten sind kürzer, da ein Tsunami für die rund 1000 Kilometer von Ufer zu Ufer nur etwa eine Stunde braucht. Besonders gefährdet sind die griechischen und süditalienischen Küsten. Ein Frühwarnsystem für das Mittelmeer wird inzwischen von zahlreichen Wissenschaftlern gefordert. Ein Beispiel eines nationalen Programms der Katastrophenvorsorge für Tsunami-Gefahren ist das Nationale Tsunami-Katastrophenvorsorge-Programm („National Tsunami Hazard Mitigation Program“) der USA. Im Rahmen des Programms werden seit mehreren Jahren Maßnahmen für die fünf gefährdeten Bundesstaaten am Pazifik entwickelt. Hier leben 900 000 Menschen in fast 500 Gemeinden. Die Gefahrenbewertung beruht auf einer angenommenen Wellenhöhe von 17 Metern. Die Katastrophenvorsorge basiert auf sieben Grundsätzen, die eine Kenntnis der Tsunami-Risiken, die Vermeidung neuer Bebauungen in den Gefahrenzonen, Schutzbauten, den Bau Tsunami-resistenter Nutzgebäude, den Schutz existierender Bebauungen, den Schutz der öffentlichen Gebäude sowie die Entwicklung von Evakuierungsplänen für jede Gemeinde einschließen. Sicherlich ist ein technischer Verbau in den Gemeinden der ärmeren Länder des

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Indischen Ozeans undenkbar. Jedoch kann ein integratives Katastrophenmanagement an die lokale, soziale und ökonomische Situation der Gemeinde angepasste Strategien und Maßnahmen entwickeln, die die Folgen zukünftiger Tsunami-Ereignisse abmildern oder verhindern. Die zunehmende Umweltzerstörung erhöht in vielen Ländern der Erde die Risiken, von Flutwellen Eine „normale“ Katastrophe – das Beispiel Sudan Die Gewährleistung von Schutz und Sicherheit für die Bevölkerung gehört zu den wichtigsten Aufgaben einer Regierung. Im flächenmäßig größten Staat des afrikanischen Kontinents tut das Regime dies nur unzureichend. Auch die Unabhängigkeit 1956 hat nichts daran geändert, dass Konflikte gewaltsam ausgetragen werden.Im Süden herrscht seit über 20 Jahren Krieg, im Westen eskalieren seit Februar 2003 die Spannungen zwischen der schwarzafrikanischen Landbevölkerung und arabischstämmigen Reitermilizen – den Dschandschawid. Nach Angaben der Vereinten Nationen starben hier bis Juli 2004 mindestens 50 000 Menschen durch die Kämpfe, rund 1,5 Millionen Menschen sind in die Flucht getrieben worden. Eine Triebfeder der Kämpfe im Osten des Sudans ist die Kontrolle über wichtige Naturressourcen. Die intensivsten Kämpfe finden um die Erdölvorkommen in der Provinz Western Upper Nile statt. Sie sind die größte Deviseneinnahmequelle des Sudans. Zur systematischen Entvölkerung der Erdölgebiete werden Antipersonen-Minen eingesetzt. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 1 Million Landminen im Land verlegt wurden und bislang rund 700 000 Opfer auf das Konto der illegalen Kampfmittel gehen. Auch Vergewaltigung und Missbrauch werden gezielt als Kriegswaffen eingesetzt. Hinzu kommt ein weiterer ungelöster Problemkomplex: die Bodennutzungsrechte und die Nahrungsmittelversorgung. Dort wo, wie in Darfur und Bahr-el-Ghazal, die Wüsten auf fruchtbares Land treffen, wird die Landnutzung zur Ursache von Gewalt und Elend. Der Kampf um Weideland wird zusätzlich durch die Versteppung verstärkt. Vor allem

des Meeres getroffen zu werden. Nach Angaben der World Conservation Union IUCN und der Umweltorganisation Greenpeace gab es Anfang der 1970er Jahre weltweit noch 160 000 Quadratkilometer Mangrovenwälder, von denen aber inzwischen rund die Hälfte zerstört worden sind. Auch viele der jetzt betroffenen Küsten wurden einst von den im Salzwasser überlebenden Bäumen geschützt. Um die in den Provinzen entlang des fruchtbaren Nils hat die mechanisierte Landwirtschaft die arabischen Nomaden vertrieben. Das Regime rekrutiert aus den ehemaligen Wanderhirten die Reitermilizen und bietet ihnen das Land südsudanesischer Bauern an, die Sudanesische Volksbefreiungsarmee wiederum bewaffnet die Bauern. Eine weitere wichtige Ressource ist das Wasser. Von den rund 32 Millionen Einwohnern des Sudans sind knapp über zwei Drittel in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Zugang zu Wasser ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil der Existenzsicherung. Denn in Zeiten knapper Niederschläge wird aus einer Dürreperiode schnell eine Hungerkatastrophe. Dass sich die Bevölkerung in 50 Jahren nahezu verfünffacht hat, verschärft den Kampf um knapper werdende Ressourcen zusätzlich. Als Folge der Konflikte sind seit 1983 schätzungsweise zwei Millionen Menschen gestorben. Weitere vier Millionen Sudanesen sind in die Nachbarstaaten geflohen oder vertrieben und entführt worden. Die Migrationen und Bevölkerungsballungen bringen zusätzliche Probleme mit sich. Die qualifizierten Kräfte, die das Land verlassen haben, stehen der heimischen Wirtschaft nicht mehr zur Verfügung (Brain Drain). Über eine Million sind es seit Ausbruch der jüngsten Kämpfe. Ziel und Zukunft sind meist ungewiss. In der Kleinstadt Zalingei lebten ursprünglich rund 25 000 Menschen. Bis Mai 2004 kamen etwa 31 000 Vertriebene hinzu. In die Stadt El Fashir sind etwa 20 000 Flüchtlinge gekommen, vor der Stadt warten noch einmal etwa 45 000 Menschen. Im Flüchtlingslager um das 4000 Einwohner zählende Dorf Mornai haben sich sogar 80 000 Vertriebene angesammelt. Das Holz, das Kinder und ältere Frauen zum Kochen sammeln, ”

˚ 1.2: Lesezeichen des Internationalen TsunamiInformationszentrums in Honolulu auf Hawai. Der Text lautet: „Nach einem Erdbeben kann ein Tsunami folgen. Begeben Sie sich schnell auf höheres Gelände.“

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14 Naturkatastrophen – ein globales Problem

degradiert die Landschaft zusätzlich. Die natürliche Tragfähigkeit der dortigen Flächen stößt an ihre Grenzen. Die Menschen müssen sich mit einer Mahlzeit am Tag begnügen. Die Bilder der elenden Wohnstätten, in denen fünf bis acht Familienmitglieder auf etwa vier bis sechs Quadratmeter eingepfercht sind, erregen Anteilnahme in der Weltöffentlichkeit. Den Medien folgt die Kritik von Seiten der internationalen Weltgemeinschaft und der Hilfsorganisationen. Doch die Regierung in Khartum, die den nomadisierenden Dschandschawid mehr als nur ein paar Waffen und grünes Licht gegeben hat, setzt auf Hinhaltetaktik und blockiert die internationale Hilfe. Man spricht von der weltweit verheerendsten Katastrophe. Ende Juli 2004 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat eine lang diskutierte Resolution. Darin wird die Regierung in Khartum aufgefordert, innerhalb 30 Tagen gegen die Kämpfe in der Westregion einzuschreiten. Sanktionen sieht die Resolution bei Missachtung keine vor. Laut Zeugenaussagen waren die Regierungstruppen oftmals aktiv an der Zerstörung von Dörfern und der Vertreibung ihrer Bewohner beteiligt, viele Dschandschawid tragen Uniformen und sind in den sudanesischen Truppen aufgegangen. Von solchen „Sicherheitskräften“ Schutz für eine von Mord und Gewalt traumatisierte Bevölkerung zu verlangen ist mehr als zynisch. Es verweist auf mangelnde Kenntnisse der örtlichen Sachlage und ihre vielschichtigen Ursachen. Die sudanesische Regierung wies die Resolution ihrerseits als fehlgeleitet zurück. Der Sicherheitsrat habe mit Absicht die Versuche des Sudans, der Afrikanischen Union und der Arabischen Liga ignoriert, die Krise zu bewältigen.

Der Tsunami …

Bardet, Synolakis et al. (2003) Der Tsunami …

Glossary of Tsunami and Seismic-Related Terminology www.csc.noaa.gov/products/ tsunamis International Coordination Group for the Tsunami Warning System in the Pacific http://ioc.unesco.org/itsu NOAA National Weather Service http://weather.gov Pacific Tsunami Warning Center (PTWC) www.prh.noaa.gov/pr/ptwc USGS Coastal and Marine Geology Program http://marine.usgs.gov

steigende Nachfrage nach Sandstränden, Siedlungsraum und Garnelen zu stillen, sind die natürlichen Schutzwälle geopfert worden und damit wurde der Weg frei gemacht für Flutwellen, die nun ungebremst auf die Küsten treffen können. Für die allgemeine Besiedlung der Küsten, die massive Ausdehnung der Mega-Städte und den Bau von Touristenzentren an den Küsten Südostasiens und insbesondere Thailands sind die gewaltigen Mangrovenwälder abgeholzt worden. Auch über diese Zusammenhänge zwischen dem Schutz vor Flutwellen, der Nachfrage und dem Verzehr von Garnelen in Europa und paradiesisch erscheinenden Stränden muss Klarheit herrschen, wenn über zukünftige Strategien der Katastrophenvorsorge nachgedacht wird. Der biologische Küstenschutz durch Korallenriffe und Mangrovenwälder ist eine wichtige Option eines angemessenen Risikomanagements. Andererseits ist der Garnelenfang in Südostasien für Millionen von Menschen die einzige Ein-

In einem offiziellen Statement drückt man tiefe Sorge darüber aus, dass die Darfur-Frage losgelöst von ihrem lokalen Kontext betrachtet werde. Mitte September 2004 kommt eine neue Resolution, in der die Staatengemeinschaft ultimativ mit Öl-Sanktionen droht. Aber Angst vor Einschränkungen hat die sudanesische Regierung nicht. Es geht um die eigenen Naturressourcen, die wichtiger sind als kurzfristige Katastrophenhilfen und Zwangsmaßnahmen. Deshalb warnt man seinerseits, die eigenen „Sicherheitskräfte“ aus der Region auch wieder abzuziehen. Dann müsse die internationale Gemeinschaft selbst Truppen schicken. Bereits Wochen zuvor hat Präsident Omar Beschirr die Aufhebung der Verwaltungs- und Zollregeln für Hilfslieferungen ankündigt:„Damit wir aus der Krise herauskommen.“ Die Krise ist aber längst eine „normale“ Katastrophe. Hier vermischen sich religiös motivierte Gründe, entwicklungspolitische Fehler, strukturelle Hindernisse und demographische Entwicklungen mit Kämpfen um Naturressourcen und Macht. Sie ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels, in dem soziale und natürliche Faktoren extrem vernetzt sind, und Resultat nachhaltiger Veränderungen von natur- und sozialräumlichen Verhältnissen. Um die tiefgründigen Ursachen zu beseitigen, braucht es mehr als Armenspeisung und organisierte Flüchtlingslager. Dies erfordert kohärente Ansätze und umfassende Strukturmaßnahmen, die an die lokalen Verhältnisse angepasst sind. Nur so kann verhindert werden, dass „Schwelbrände“ wie im Sudan auf andere Staaten übergreifen. Konfliktpotenziale und verantwortungslose Regierungen gibt es genug.

kommensquelle. Die Fischereiwirtschaft ist ein wichtiger Beitrag zu ihrer Ernährung. Durch den Tsunami haben viele von ihnen ihre Boote und damit ihre Produktionsmittel verloren, weshalb die Welternährungsorganisation FAO Mittel für die Wiederbeschaffung bereitstellen will. Eine nachhaltige Entwicklung und Katastrophenvorsorge könnte nun darin bestehen, dass der Zerstörung der Mangrovenwälder durch den Aufbau von Aquakulturen begegnet wird, was in Malaysia bereits durchgeführt wird. Dieser Aufbau konnte jedoch in den jetzt vom Tsunami betroffenen Ländern noch nicht durchgesetzt werden. Hilfsorganisationen verfolgen mit Sorge ein Verwischen der Grenzen zwischen militärischen und humanitären Akteuren in Krisen- und Konfliktregionen. Oftmals sind für die Zivilbevölkerung neutrale Helfer und Militär kaum mehr voneinander zu unterscheiden – wie etwa in der im Norden Sumatras gelegenen Krisenprovinz Aceh,

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Schadenentwicklung der letzten Jahrzehnte 15

in der die Armee nach der Flutwelle eine Doppelrolle als Helfer und Kriegspartei einnahm. Die Flutwelle im Indischen Ozean ist eine doppelte Katastrophe, weil sie nicht nur Millionen Menschen in tiefe Not gestürzt, sondern auch die Situation in anderen Krisengebieten verschärft hat. So kann die Fluthilfe zu gefährlichen Engpässen in der humanitären Hilfe, besonders in schwarzafrikanischen Ländern, führen. Viel Geld und vor allem Experten sind auf mehrere Jahre hinaus gebunden und fehlen andernorts, wie etwa im Sudan. Hier müsste die Staatengemeinschaft dringend Mittel bereitstellen, um Milizenkämpfer zu entwaffnen und Krankheiten und Hunger zu bekämpfen. Indes wächst die Not mit jedem Monat, ohne dass die Welt die Kraft und das Geld aufbringt, das schleichende und unspektakuläre Elend zu beenden. Noch folgt man dem Motto „Global denken – lokal handeln“ nur kurzzeitig und nach außergewöhnlichen Ereignissen.

Wenn die Natur zuschlägt – Schadenentwicklung der letzten Jahrzehnte Das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurde von den Vereinten Nationen zur „Internationalen Dekade zur Reduzierung von Naturkatastrophen“ (IDNDR) erklärt. Damit hat die internationale Staatengemeinschaft auf eines der wichtigsten globalen Probleme reagiert: der Zunahme von Naturkatastrophen und der durch sie verursachten Schäden. Ziel solcher Dekaden ist es, eine bestimmte Thematik ins Zentrum des öffentlichen Interesses zu rücken. Zwischen 1990 und 1999 konnten durch zahlreiche Aktivitäten und Kampagnen wichtige politische, wissenschaftliche und anwendungsbezogene Impulse zur Katastrophenvorsorge gegeben werden. Studien wurden erstellt, Strategien und Aktionspläne entworfen und vorhandenes Wissen wurde gebündelt. Misst man den Erfolg der UN-Dekade an der Häufigkeit von Naturkatastrophen, fällt das Ergebnis eher verhalten aus. Allein zwischen 1991 – 2000 wurden nach Angaben der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRC) 665 598 Menschen durch Naturkatastrophen getötet. Davon starben 83 Prozent in Asien. Das Risiko, durch eine Naturkatastrophe ums Leben zu kommen, ist dort am höchsten, gefolgt von Afrika. Natürliche Faktoren wie das Klima, das Relief und die Vegetation sind mit dafür verantwortlich, dass Naturkatastrophen nicht gleichmäßig über die Erde verteilt sind. Deutschland zählt hier eher zu den begünstigten Regionen. Statistisch betrachtet sterben in den am wenigsten entwickelten Ländern umgerechnet 1052 Menschen pro Katastrophe, in den durchschnittlich entwickelten Ländern 145 Menschen und in den

hoch entwickelten Ländern „nur“ noch 22,5 Menschen. Neben den Naturfaktoren bestimmen gesellschaftliche Einflussgrößen wie die Wirtschaftskraft, die soziale Ressourcenausstattung, vorhandene Katastrophenschutzstrukturen und Vorsorgemaßnahmen das Ausmaß einer Katastrophe. Die Katastrophenanfälligkeit und das Potenzial, die negativen Auswirkungen von Naturkatastrophen zu mildern, sind von Land zu Land verschieden. Während in den Entwicklungsländern die meisten Opfer zu verzeichnen sind, haben die westlichen Industrienationen die höchsten volkswirtschaftlichen Schäden. Allerdings sind die Industrieländer aufgrund ihres ökonomischen Leistungsvermögens viel eher in der Lage, auch höhere Verluste finanziell zu kompensieren. Für viele Schwellenländer stellen bereits niedrige Schadensummen Verluste dar, die sie ohne fremde Hilfe nicht ausgleichen können. Meistens sind die wirklichen Schäden höher als angegeben, weil Naturkatastrophen nur unzureichend versichert sind. Betrachtet man die Schadensummen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der betroffenen Region, dann wird deutlich, warum Naturkatastrophen diese Länder in ihrer Entwicklung um Jahre oder Jahrzehnte zurückwerfen. Oftmals bleiben sie in einem Teufelskreis gefangen: Ohne nachhaltige Entwicklung steigt die Wahrscheinlichkeit von Naturkatastrophen, Naturkatastrophen wiederum hemmen eine nachhaltige Entwicklung aufgrund der negativen Auswirkungen auf Ökologie, Ökonomie und Lebensqualität. Die Folgen einer Naturkatastrophe hängen von den gesellschaftlichen Bedingungen und der Intensität der natürlichen Prozesse ab. Ob die Erde am Montagmorgen zur Hauptverkehrszeit oder am Sonntag während der Nachtruhe bebt, wirkt sich genauso auf die Verluste aus wie Vorwarnzeiten und technisches „Know-how“. Auch der Typ der Katastrophe spielt eine Rolle. Erdbeben gehören zu den kostenträchtigsten Naturereignissen. Mit einem

„Es ist tragische Ironie, dass 1998 – das vorletzte Jahr der UN-Dekade zur Reduzierung von Naturkatastrophen – wieder ein Jahr war, in welchem die Naturkatastrophen dramatisch zugenommen haben [...]. Es wird immer deutlicher, dass der Begriff ‚Naturkatastrophe‘ für solche Ereignisse eine Fehlbezeichnung ist.“ UN-Generalsekretär Kofi Annan 1999 bei der IDNDRAbschlusszeremonie

˙ 1.3: Die absolute Zahl großer Naturkatastrophen und die ökonomischen Schäden haben beständig zugenommen. Zwangsläufig steigen dadurch die versicherten Schäden. 20

Anzahl großer Naturkatastrophen Versicherte Schäden*

Volkswirtschaftliche Schäden* ( * in Milliarden Euro gemessen an 2000)

Anzahl großer Naturkatastrophen 100

Schäden in Milliarden Euro 500 89

80

400

63

60

517,3

300

47

40

200 27

20

100

20

167,9 108,1

0

60,1

k. A. 33,5

5,8

1950 - 59

1960 - 69

9,9

97,7 21,0

0 1970 - 79

1980 - 89

1990 - 99

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16 Naturkatastrophen – ein globales Problem ˘ 1.4 : Die Zahl der Naturkatastrophen variiert länderspezifisch. Geophysische Faktoren und vor allem Schutzstrukturen und Vorsorgemaßnahmen bestimmen über die Katastrophenanfälligkeit der einzelnen Länder. Infolgedessen gibt es erhebliche geographische Unterschiede hinsichtlich der Opfer und Betroffenen.

Anzahl der Katastrophen 1974 - 2003

0 - 30

31 - 120

Tote und Verletzte je 100 000 Einwohner 0 - 1000

˘ 1.5: Vor allem Frühwarnsystemen und Katastrophenschutzmaßnahmen ist es zu verdanken, dass gegenwärtige Katastrophenereignisse immer seltener ihren Eingang in die Liste der schwersten Naturkatastrophen finden (Zahl der Todesopfer in der dritten Spalte).

Epidemie Hungersnot Hangrutschung

121 - 506

1001 - 5000

> 5000

1917 2 500 000 Sowjetunion 1932 5 000 000 1949 12 000

Hitzewelle 1. Aug 2003 14 947 Waldbrand 15. Okt 1918 1000 USA

Frankreich

Vulkanausbruch 8. Mai 1902 30 000

Martinique

China Dürre 1928 3 000 000 Überschwemmung Jul 1931 3 700 000 Erdbeben 27. Jul 1976 242 000 Wirbelsturm 12. Nov 1970

Indischer Ozean Tsunami 26. Dez 2004

280 000

300 000

Bangladesch

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Schadenentwicklung der letzten Jahrzehnte 17 Frankreich, UK u.a.

Versicherter Schaden in Milliarden Euro gemessen an 2003

25. 01. 1990

West- und Zentraleuropa

USA USA 17. 01. 1994

Frankreich, UK u.a. 15. 10. 1987

20 15 10 5

Japan

25. 02. 1990

11. 09. 2001

27. 09. 1991 22. 09. 1999

Frankreich, Schweiz u.a.

1

¯ 1.6: Für die Versicherungswirtschaft werden Naturkatastrophen immer kostspieliger. Unter den zehn teuersten Katastrophen – allesamt jüngere Ereignisse – finden sich neun Naturkatastrophen.

25. 12. 1999

USA, Puerto Rico

USA, Bahamas

15. 09. 1989

23. 08. 1992

Terroristenanschlag Überschwemmung Erdbeben Wirbelsturm

Gesamtschaden von rund 81 Milliarden Euro führt das Erdbeben von 1995 in Kobe (Japan) die Rangliste der teuersten Naturkatastrophen an. Während Überschwemmungen die meisten Menschen unmittelbar in Mitleidenschaft ziehen, gehören Dürren zu den langfristig folgenschwersten Naturkatastrophen. Am Ende der UN-Dekade im Jahr 2000 waren rund 211 Millionen Menschen von Naturkatastrophen betroffen, davon über zwei Drittel von Überschwemmungen und ein Fünftel von Hun˙ 1.7: Die absolute Höhe der durch Naturkatastrophen verursachten Schäden ist nicht immer das entscheidende Kriterium. Ein differenzierteres Bild über das Ausmaß einer Katastrophe ergibt sich, 100 wenn man die Schäden am Bruttoinlandsprodukt des Landes misst. 90

gersnot. Allerdings waren Überschwemmungen „nur“ für 15 Prozent der Todesopfer verantwortlich, der Mangel an Nahrung jedoch für 42 Prozent. Aufgrund ihrer schweren zeitlichen Eingrenzbarkeit und der teilweise geringen wirtschaftlichen Schäden tauchen Dürren oftmals in den Katastrophenstatistiken überhaupt nicht auf. Das Zentrum für Katastrophenforschung der Université Catholique de Louvain (CRED) in Brüssel hat mit Hilfe der umfassenden EM-DAT-Datenbank die Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte ausgewertet. Danach wurden im Zeit591,5 raum der Jahre 1974 bis 2003 zusammen 6367 Naturkatastrophen registriert, bei denen insge100 samt über zwei Millionen Menschen umkamen. Die Anzahl der Betroffenen wird mit 5,1 Milli90

Schäden in Milliarden Euro 81,7 80

Schäden in % des BIP (gemessen an 2002) 80

Milliarden Euro

% BIP 70

70

60

60 54,8 50

50

40

40

Schadenentwicklung …

EM-DAT (2004) Guha-Sapir, Hargitt & Hoyois (2004) IFRC (2003) Münchener Rück (2004) Schadenentwicklung …

30

30 24,5

24,5 22,5 20

20 15,9 14,0 12,3 9,4 10

11,4 9,1

8,2 9,2

10

7,4 4,9

2,5

3,4 3,1 2,9

2,4 0,3

0,6

0,8

0,06

0,7

Ha

ns

hi n Ja -Erd pa b n eb Hu 19 en rr 9 ik an 5 Üb US An er A dr sc hw 199 ew 2 e Ch mm in un a g 19 en 98 Üb Tü Erd rk b er ei eb sc 19 en Ve hw 9 ne em 9 zu m el un a g 19 en 9 Ar m E 9 en rd ie be De Elb n 1 be ut e-H 988 n sc o hl ch Üb an w er d ass sc 20 e hw 0 r em 2 Üb m Ira u er n ng sc hw 19 en em 93 Ita m lie u n ng 19 en 98 St ur m US A A llis Gr 20 on ie 0 ch en E 1 la rdb nd e 19 ben H 99 Ho ur r nd ika ur n as M 19 itch H 98 N ur ica ri ra kan gu M a it 19 ch 98

0

0

Center for Research on the Epidemiology of Disasters (CRED) www.cred.be CRED International Disaster Database (EM-DAT) www.em-dat.net GRID Geo Data Portal http://gridca.grid.unep.ch/geoportal Münchener Rückversicherung www.munichre.com/ Natural Hazard Information and Mapping Tool (CatNet) der Schweizer Rück www.swissre.com Naturkatastrophen und Länderprofile von UNDP http://gridca.grid.unep.ch/undp

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18 Naturkatastrophen – ein globales Problem ˘ 1.8: Bei großen Naturkatastrophen ist die Selbsthilfefähigkeit der betroffenen Region deutlich überschritten: Internationale Hilfe ist erforderlich, Tausende Todesopfer und Hunderttausende Obdachlose sind zu beklagen, substanzielle volkswirtschaftliche und erhebliche versicherte Schäden treten auf.

Anzahl Schadensereignisse: 259

Anzahl Tote: 1,5 Mio.

8%

7%

8%

16 % 8% 29% 34%

25 % 49 %

29 %

42% 69 %

40 %

29%

Sturm

Überschwemmung

arden Menschen angegeben. Der Gesamtschaden beläuft sich auf etwa 1 Billion Euro.

Katastrophenvorsorge …

Versicherte Schäden: 158 Mrd. Euro

1%

6%

Erdbeben

ISDR (2004) Linneweber (2001) UNDP (2004) UNEP (2002) WBGU (1999)

Wirtschaftliche Schäden: 998,2 Mrd. Euro

Katastrophenvorsorge im 21. Jahrhundert – was steht an? Angesichts der hohen Anzahl von Opfern und Schäden haben die Vereinten Nationen und einige nationale Komitees ihre Aktivitäten als Internationale Strategie für Katastrophenvorsorge („International Strategy for Disaster Reduction“, ISDR) über das Ende der Dekade hinaus fortgesetzt, da eine schnelle Trendwende nicht in Sicht ist. Das Bevölkerungswachstum und der damit verbundene Zuwachs materieller Werte, besonders in von Naturgefahren bedrohten Gebieten, gehören nach wie vor zu den primären Katastrophenursachen. Die Migration in die Küstenzonen und das Wachstum der Küstenmetropolen der Erde ist ungebrochen. Ein weiterer Motor sind in vielen Fällen die nicht an die natürlichen Bedingungen angepasste Landnutzung und die Wertekonzentration in gefährdeten Gebieten, wie den Flussauen. Die Folgen dieser Fehlentwicklungen sind längst nicht mehr lokal begrenzt, sondern werden aufgrund der internationalen Verflechtungen über Ländergrenzen hinwegtransportiert. Naturkatastrophen vernichten enorme soziale und finanzielle Ressourcen. Da externe Hilfe häufig an den objektiven Bedürfnissen der Betroffenen vorbeigeht, weil sie zu stark den internen Logiken der Geberländer folgt, ist man darum bemüht, die Katastrophenanfälligkeit bereits im Vorfeld zu reduzieren und die eigenen Handlungspotenziale vorsorgend zu stärken. Außerdem werden Katastrophenhilfseinsätze immer teurer. Mit Kosten von über 84 Millionen Euro war Hurrikan „George“ für die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFCR) die bislang teuerste Naturkatastrophe. Nur für die Hilfsleistungen nach dem 11. September ist mehr Geld ausgegeben worden. Für die Folgen der Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean rechnet das IFCR mit einem Hilfsbudget von 500 Millionen Euro für den Zeitraum von fünf Jahren.

Sonstige

Nachhaltige Strategien zur Katastrophenvorsorge verlagern deshalb ihren Schwerpunkt von einer „Kultur der Reaktion“ zu einer „Kultur der Prävention“, also zu einer Kultur der Katastrophenvorsorge. Diese Veränderung ist dringend erforderlich. Der Verlust der Artenvielfalt, die abnehmende Verfügbarkeit von Frischwasser und die globale Klimaerwärmung werden die natürlichen Bedingungen weiter nachhaltig verändern. Eine fortlaufende Umweltzerstörung wird nachfolgenden Generationen irreparable Schäden hinterlassen. Die Weltbevölkerung wird bis zum Jahr 2070 möglicherweise auf neun Milliarden Menschen anwachsen. Zwei Drittel davon werden in Städten leben, die meisten in Megastädten mit über 15 Millionen Einwohnern. Einige dieser Metropolen sind hochgradig erdbebengefährdet. Die Folgen der sich wandelnden gesellschaftlichen Altersstruktur und der zunehmenden Migrationen sind schon heute spürbar. Damit verbunden sind Veränderungen der sozioökonomischen Strukturen unserer Gesellschaft. Nicht-staatliche Organisationen, Privatisierung und Deregulierung werden den zentralstaatlichen Handlungsspielraum weiter einschränken. Die Globalisierung wird das Ausmaß ökonomischer Konzentration zunehmend steigern. Neue Technologien werden tradierte Informations-, Kommunikations- und Transportwege modifizieren und damit auf die Verhaltens- und Lebensweisen der Menschen Einfluss nehmen. All diese Entwicklungen – meist unter dem Schlagwort „Globaler Wandel“ zusammengefasst – beeinflussen vorhandene Katastrophenanfälligkeiten und lassen neue, ungewohnte Risiken entstehen. Kontexte werden sich verändern, Konzentrationen sich verstärken und Verantwortlichkeiten wechseln. Dies hat Konsequenzen für das Risikomanagement von Naturkatastrophen. Man wird sich auf erhöhte Mobilität, zunehmende Komplexität und wachsende Unsicherheiten einstellen müssen. Eine Reduzierung der Naturkatastrophen im 21. Jahrhundert wird deshalb ohne nachhaltige Entwicklung nicht erreicht werden können.

Quelle: Müncherner Rück

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Naturkatastrophenmanagement – Sichtweisen und Konzepte Vielschichtigkeit der Problematik – wenn Naturereignisse zu Naturkatastrophen werden Naturgefahren sind, formal betrachtet, ein Zusammenspiel zwischen der natürlichen Umwelt mit ihren Erscheinungsformen und der Gesellschaft mit ihren Belangen. Dabei unterscheidet man zwischen Naturereignissen, die den Menschen nicht notwendigerweise schädigen, und Naturgefahren („natural hazards“). Überschwemmungen, Erdbeben oder Vulkanausbrüche werden erst dann zur bedrohlichen Gefahr, wenn sie auf unvorhergesehene Weise auf Individuen, Gruppen oder Gesellschaften einwirken, Lebensbezüge stören oder unterbrechen und Schäden an Leib und Eigentum hervorrufen. Sie zwingen den Menschen, sich durch kurzfristige Wahrnehmungs- und Bewertungsvorgänge („adjustments“) oder durch langfristige, sich meist über Generationen bildende Anpassungsreaktionen („adaptations“) mit ihnen auseinander zu setzen. Um eine angemessene Katastrophenvorsorge betreiben zu können, müssen verschiedene Problemlagen und Fragen beleuchtet werden: ” Wo treten welche Naturgefahren auf und in welcher Weise werden diese Gebiete vom Menschen genutzt? ” Wie schätzen die Betroffenen die Naturgefahr ein, welche potenziellen Risiken sind vorhanden und welche Optionen zu ihrer Verminderung bestehen? ” Wie lässt sich hinsichtlich der zu erwartenden Konsequenzen ein Paket von Gegenmaßnahmen ermitteln und wie wirken diese auf die natürliche Umwelt und die Gesellschaft zurück? Naturkatastrophen sind in gesellschaftliche Strukturen eingebettet, in denen natürliche Prozesse wirksam werden. Aufgrund des komplexen Zusammenspiels zahlreicher natürlicher und sozialer Faktoren ist keine wissenschaftliche Disziplin allein imstande, die Problemfelder angemessen zu bearbeiten, kein gesellschaftlicher Akteur allein ist in der Lage, adäquate Lösungen zu entwickeln. Die Konzeption wirksamer und an physische und kulturelle Gegebenheiten angepasste Katastrophenvorsorgestrategien bedarf einer engen Zusammenarbeit zwischen natur- und sozialwissenschaftlicher Prozessforschung und planerisch-operativem Risikomanagement. Prinzipiell hat der Mensch zwei Möglichkeiten, die negativen Auswirkungen von Naturkatastro-

phen zu reduzieren: Er kann die natürliche Umwelt oder sein eigenes Verhalten beeinflussen. Im Gegensatz zu früher ist die heutige Gesellschaft allerdings immer weniger dazu bereit, Naturgefahren zu akzeptieren und ihre Landnutzung und ihr Verhalten den natürlichen Bedingungen anzupassen. Der Bevölkerungsdruck und die Nutzung natürlicher Ressourcen lassen den Menschen in von Naturgefahren bedrohte Gebiete vordringen. Durch strategische Vorkehrungen kann er potenziellen Verlusten vorbeugen. Die Spannbreite reicht von Maßnahmen, die das Schadenereignis durch direkt auf den Naturprozess gerichtete Eingriffe verhindern sollen, bis hin zu Schaden reduzierenden Aktivitäten der vorsorgenden Planung. Zu den häufigsten Maßnahmen gehören strukturelle (baulich-technische) Schritte wie Hochwasserdeiche ¯ 2.1: Schön wär’s, wenn alle Wege zum Ziel führten: Vielschichtige Arbeitsgebiete und unterschiedliche Zuständigkeiten einschließlich Unvollständigkeiten spiegeln die Komplexität von Naturrisiken wider.

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20 Naturkatastrophenmanagement

Schadenhöhe

ohne Prävention mit Prävention ohne Intervention

mit Intervention

mit Bewältigung

Naturkatastrophe Zeit

˚ 2.2: Sofern sie optimal aufeinander abgestimmt sind, können präventive, interventive und postventive Maßnahmen das Ausmaß von Naturkatastrophen erheblich reduzieren.

und erdbebensichere Baukonstruktionen. In letzter Zeit gewinnen auch nicht-strukturelle (normativimmaterielle) Maßnahmen, wie die Ausweisung von Gefahrenzonen und Landnutzungsbeschränkungen an Bedeutung. Darüber hinaus spielen die Verbesserung der Vorbereitung und der Bereitschaft wichtige Rollen. Dies kann durch einen operativen Katastrophenschutz und Warnungen erreicht werden. Auch die Erstellung von Evakuierungsplänen sowie auf das Risikobewusstsein wirkende Ausbildungs- und Schulungsaktivitäten tragen dazu bei, dass schnell und effektiv, aber auch nachhaltig auf eintretende Gefahrensituationen reagiert werden kann. Wenn Naturereignisse …

Organe, Programme und Fonds der Vereinten Nationen mit Bezug zur Naturkatastrophenthematik Abteilung für nachhaltige Entwicklung www.un.org/esa/sustdev Amt des Hohen Flüchtlingskommissars (UNHCR) www.unhcr.ch Büros für die Koordination humanitärer Angelegenheiten (OCHA) http://ochaonline.un.org Entwicklungsprogramm (UNDP) www.undp.org Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) www.fao.org Informationsservice www.unis.unvienna.org Institut für Umwelt und Menschliche Sicherheit (UNU-EHS) www.ehs.unu.edu Internationale Strategie für Katastrophenvorsorge (ISDR) www.unisdr.org Internationaler Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) www.ifad.org Internationaler Währungsfonds (IMF) www.imf.org

Kinderhilfswerk (UNICEF) www.unicef.org Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) www.unesco.org Programm für menschliche Siedlungen (UN-HABITAT) www.unhabitat.org Regionale Informationszentren (RUNIC) www.runiceurope.org Sekretariat der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) http://unfccc.int Sekretariat der Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD) www.unccd.int Umweltprogramm (UNEP) www.unep.org Weltbankgruppe www.worldbank.org Welternährungsprogramm (WFP) www.wfp.org Weltgesundheitsorganisation (WHO) www.who.int Weltorganisation für Meteorologie WMO) www.wmo.ch

Katastrophenvorsorge wird heute auf nationaler Ebene und in internationalen Kooperationsprogrammen durchgeführt. Mit der Zunahme von Naturkatastrophen und den immer größer werdenden volkswirtschaftlichen Verlusten – und nicht zuletzt dank der UN-Dekade – ist die gesellschaftliche Behandlung der Problematik stärker ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt. Zahlreiche Organisationen und Institutionen setzen sich heute in unterschiedlichen Bereichen für die Reduzierung von Todesopfern und Schäden ein. Ein internationaler Risikoausgleich durch die „Versicherer der Versicherungen“, die Rückversicherungen, sorgt durch einen globalen Risikotransfer dafür, dass Naturkatastrophen versicherbar bleiben. Da Naturkatastrophen unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche betreffen, sind auch die Maßnahmen und Zuständigkeiten für die Vorsorge, die Bewältigung und den Wiederaufbau vielschichtig. In Deutschland steht das Deutsche Komitee Katastrophenvorsorge (DKKV) der Bundesregierung und anderen staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen als beratendes Gremium für Maßnahmen der Katastrophenvorsorge zur Verfügung. Das Komitee, dem ein wissenschaftlicher und operativer Beirat mit Experten aus verschiedenen Bereichen beigeordnet ist, widmet seine Aktivitäten der integrierten Katastrophenvorsorge. Dazu zählen der gesellschaftliche Dialog und die Sensibilisierung der Öffentlichkeit wie auch die Stärkung lokaler Katastrophenschutzstrukturen und der Selbsthilfefähigkeit der Bürger. Seit Mai 2004 nimmt auch das neue Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) im Rahmen der „Neuen Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland“ verschiedene Aufgaben des Zivilschutzes wahr. Die Gefahrenabwehr im Frieden und die Beseitigung von Schäden im Katastrophenfall dagegen sind im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland Aufgaben der einzelnen Bundesländer, die dafür unter anderem den Katastrophenschutz vorhalten. Auswirkungen von Naturgefahren treffen die Kommunen am härtesten. Sie sind deshalb für den Katastrophenschutz sehr wichtig. Auf der untersten Ebene stützen sich Bund und Länder auf freiwillige Helferinnen und Helfer, die in Katastrophenschutzorganisationen mitwirken. Über Landnutzungsbeschränkungen – indem beispielsweise überschwemmungsgefährdete Flächen der Naherholung oder der Viehwirtschaft vorbehalten bleiben – können Städte und Gemeinden zur Katastrophenvorsorge beitragen. Aber auch jeder Einzelne kann durch persönliche Vorsorgemaßnahmen helfen, die Auswirkungen eines möglichen Schadens zu reduzieren. Möglichkeiten bestehen hier vor allem im Gebäudeschutz. Im besten Fall werden Gebäude

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schon während der Planung so konzipiert, dass sie potenziellen Extremereignissen in hohem Maße widerstehen können. Durch „adaptives Bauen“ kann bei Hochwassergefährdung durch die Höherlegung von Gebäuden und von gefährdeten Einrichtungen im Gebäude oder der Verwendung spezieller Materialien und Baustoffe eine erhebliche Schadenreduzierung erreicht werden. Auch die Versicherungen nehmen über die Ausgestaltung der Versicherungspolicen (Prämiengestaltung oder Selbstbehalt) auf die individuelle Vorsorgeleistung Einfluss. Die den Naturkatastrophen zugrunde liegenden Strukturen, ihre ablaufenden Mechanismen und treibenden Kräfte sind weltweit miteinander verbunden. Risiken durch Naturkatastrophen sind ubiquitär und universal. Durch eine „Egalisierung der Gefährdungslagen“ gibt es letzten Endes nur noch Betroffene, wenn auch unterteilt nach verschiedenen Härtegraden. Im Zuge sich verändernder gesellschaftlicher und natürlicher Bedingungen sind Wissenschaft, Politik und operative Praxis gefordert, adäquate Anpassungsmechanismen und wirksame Vorsorgestrategien auszuarbeiten und einzuleiten. Schließlich soll betont werden, dass die auch in diesem Buch noch an zahlreichen Stellen vorgenommene Trennung zwischen natur- und sozialwissenschaftlichen Forschungsansätzen und -ergebnissen noch nicht den Anforderungen einer integrativen Naturrisikoforschung entspricht. Zu selten diskutieren die Experten verschiedener Disziplinen miteinander, zu selten werden die Ergebnisse anderer Disziplinen wahrgenommen und diskutiert. Der Wissenschaftler muss sich schon ein ganzes Stück auf die jeweils andere Disziplin einlassen, um zu verstehen, „was dort drüben passiert“. Dies erfordert Zeit und enorme Mühe, da Wissenschaftler hochspezialisiert sind und sich auf dem Wissenschaftsmarkt in der eigenen Disziplin konkurrenzfähig behaupten müssen. Dessen ungeachtet verlangt eine angemessene Bearbeitung der Naturkatastrophenthematik eine fachübergreifende Sichtweise. Dieser Einsicht folgend haben sich die Autoren über Disziplingrenzen gewagt und einen ersten Versuch unternommen. Wenn Naturereignisse …

Burby (1998) DKKV (2002) Eastlake, Russell & Sharpe (2001) ISDR (2004a) Mileti (1999) Quarantelli (1998) Ranft & Selzer (2004) Schneid & Collins (2001)

Wenn Naturereignisse …

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) www.zivilschutz-online.de Deutsches Komitee Katastrophenvorsorge (DKKV) www.dkkv.org Links zur Naturkatastrophenthematik www.naturkatastrophen.info National Hazards Center, University of Colorado www.colorado.edu/hazards

Naturwissenschaftliche Ansätze – die Natur als Auslöser und Leidtragende Die natürlichen Prozesse, die zu einer Naturgefahr werden können, weisen eine äußerst große Spannbreite auf. Sie umfassen nahezu sämtliche Vorgänge, die wir auf der Erde kennen. Das lediglich wenige Sekunden dauernde Ereignis eines Erdbebens ist ebenso dazu zu rechnen wie die sich über Monate aufbauende Dürre eines Trockengebietes. Die Ursachen dieser Prozesse liegen in den komplizierten Vorgängen des Systems Erde. Langsame Bewegungen der kontinentalen Platten, die im Laufe von Jahrmillionen das tektonische Muster der Erdkruste gebildet haben, sind ebenso Bestandteil dieses Systems wie Prozesse, deren Entwicklung nur wenige Minuten in Anspruch nimmt, wie etwa die Bildung eines Tornados oder der Abgang eines Bergsturzes. Auch die räumliche Ausdehnung, in der diese Prozesse auftreten, umfasst eine äußerst große Spannbreite. Während die direkten Auswirkungen eines Vulkanausbruches oder einer Hangrutschung sich in lokalen Skalen von Kilometern abspielen, können Winterstürme oder Überschwemmungen in Regionen wirken, die ganze Teile von Kontinenten umfassen. Aufgrund dieser hohen Variabilität gestaltet sich eine Klassifikation von Naturgefahren, die aus diesen Prozessen entstehen können, als schwierig. Die traditionelle naturwissenschaftliche Sicht auf das Naturgefahrenphänomen beinhaltet, dass dem natürlichen Ereignis oder Prozess die Verantwortung für die aufgetretenen Todesopfer und Sachschäden gegeben werden. Unter diesen Gesichtspunkten lassen sich Naturereignisse nach unterschiedlichen Kriterien gliedern. In zahlreichen naturwissenschaftlichen Darstellungen von Naturgefahren und den ihnen zugrunde liegenden Prozessen wird eine Gruppierung auf Basis unterschiedlicher natürlicher Prozesstypen vorgenommen. Der Naturwissenschaftler begründet diese Einteilung aufgrund der physikalischen Vorgänge und Gesetzmäßigkeiten, mit denen sie erklärt werden. Es soll betont werden, dass keiner dieser Prozesse per se eine Naturgefahr darstellt. Zur Naturgefahr werden diese Prozesse erst dann, wenn dadurch der Mensch beeinträchtigt wird. Die Internationale Strategie für Katastrophenvorsorge („International Strategy for Disaster Reduction, ISDR“) der Vereinten Nationen hat eine Klassifikation vorgeschlagen, nach der Naturgefahren in Kategorien der meteorologischen, hydrologisch-glaziologischen, geologisch-geomorphologischen, biologischen und extraterrestrischen Typen unterteilt werden. Von Naturgefahren sind technologische Gefahren zu unterscheiden, die in Verbindung mit technologischen Entwicklungen und Unfällen stehen. Wenn der Mensch als Verursacher die

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22 Naturkatastrophenmanagement ˘ 2.3: Einteilung der Phänomene Gefahr, Naturgefahr, technologische Gefahr und Umweltzerstörung nach einem Vorschlag der Internationalen Strategie für Katastrophenvorsorge der Vereinten Nationen.

Gefahr Ein potenziell Schaden verursachendes physikalisches Ereignis bzw. Phänomen oder eine menschliche Aktivität, die bewirken können: Todesopfer oder Verletzungen, Sachverluste, soziale und ökonomische Störungen oder Umweltschäden

Naturgefahren Natürliche Prozesse oder Phänomene, die ein Schaden bringendes Ereignis darstellen können. Naturgefahren können auf Basis ihrer Ursache klassifiziert werden Ursache

Phänomen/Beispiel

Meteorologische Naturgefahren Natürliche Prozesse oder Phänomene der Atmosphäre, d. h. der überwiegend gasförmigen Hülle der Erde

– Tropische Wirbelstürme (Hurrikan, tropischer Zyklon, Taifun), Tornado, Wintersturm – Hagelsturm, Eissturm, Eisregen, Schneesturm, Sandsturm – Extremniederschlag – Blitzschlag, Hitzewelle, Kältewelle – Nebel

Hydrologisch-glaziologische Naturgefahren

– – – – – – – – –

Überschwemmung Sturmfluten Sturzfluten Dürre Schneelawine Gletscherabbrüche Ausbruch von Gletschern Permafrostschmelze Frosthub

– – – – – – – –

Erdbeben Vulkaneruption Tsunami Gravitative Massenbewegung Bergsenkung Bodenerosion Küstenerosion Flusserosion

Natürliche Prozesse oder Phänomene der Hydrosphäre und Kryosphäre

Geologisch-geomorphologische Naturgefahren Natürliche Prozesse oder Phänomene der Erdkruste (Lithospäre) und der Erdoberfläche (Reliefsphäre). Unterschieden werden endogene Ursachen (z.B. Tektonik, Magmatismus) und exogene Ursachen (Hangrutschung oder Bodenerosion durch Niederschlag)

Biologische Naturgefahren Prozesse der Biosphäre im weitesten Sinne mit organischer Ursache sowie jener Vorgänge, die durch biologische Pfade übertragen werden, einschließlich pathogener Mikroorganismen, Gifte und bioaktiver Substanzen. Weiterhin Prozesse der Interaktion biologischer Systeme einschließlich des Menschen mit der Natur

– – – – – –

Epidemien Tier- und Pflanzenkrankheiten Seuchen Waldbrände Heuschreckenschwärme Insektenplage

Extraterrestrische Naturgefahren Prozesse der Meteoritenbewegung im Weltall

– Meteoriteneinschlag

Technologische Gefahren Gefahren in Verbindung mit technologischen oder industriellen Unfällen, Zusammenbruch der Infrastruktur. Bestimmte menschliche Aktivitäten mit Todesopfern oder Verletzungen, Sachschäden, soziale und ökonomische Störungen, Umweltzerstörungen werden manchmal als anthropogene Gefahren bezeichnet. Beispiele: Verschmutzung durch Industrieanlagen, radioaktive Verseuchung, Giftabfälle, Dammbruch, Industrieunfälle, Flugzeugabsturz, Pipelinebruch, Explosionen, Feuer, Ölverschmutzung, Sabotage, chemische Angriffe, terroristische Angriffe

Umweltzerstörung Durch menschliches Verhalten oder Aktivitäten verursachte Phänomene, die natürliche Ressourcen zerstören oder natürliche Prozesse oder Ökosysteme negativ verändern. Potentielle Auswirkungen sind unterschiedlich und können zu einer Zunahme der Verwundbarkeit, Frequenz und Intensität von Naturgefahren beitragen. Beispiele: Bodenerosion durch Wasser und Wind, Bodendegradation, Entwaldung, Waldbrand, Verlust von Biodiversität, Boden-, Wasser- und Luftverschmutzung, Klimaveränderung, Meeresspiegelanstieg und Abbau der Ozonschicht

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Naturwissenschaftliche Ansätze 23 Physikalischer Vorgang Ereignisstärke (Magnitude), Ereignisdauer, räumliche Ausdehnung des Ereignisses Zeitliche Verteilung

Anzahl der Ereignisse pro Zeiteinheit (Frequenz), jahreszeitliches Auftreten (Saisonalität), tageszeitliches Auftreten

Räumliche Verteilung

Anzahl der Ereignisse pro Raumeinheit (Dichte), Raummuster

Ereignisbeginn

Plötzlichkeit, Geschwindigkeit des Ereignisbeginns, Frühwarnzeit (Vorhersage-, Warnungs- und Reaktionszeit)

˚ 2.4: Grundlegende prozessbeschreibende Faktoren für die Bewertung von Naturgefahren. Von hoher Bedeutung ist das raum-zeitliche Verteilungsmuster der gefährlichen Prozesse, da Planungsmaßnahmen wesentlich auf Bewertungen des Raumes und seiner Nutzung basieren müssen.

natürlichen Ressourcen schädigt oder zerstört sowie negative Veränderungen von Ökosystemen bewirkt, verwendet der ISDR-Ansatz die Kategorie der Umweltzerstörung („environmental degradation“). Dazu zählen zahlreiche langsam wirkende Vorgänge wie Bodenerosion, globale Klimaveränderung oder der Meeresspiegelanstieg. Traditionell werden die Vielzahl dieser Naturgefahren und die ihnen zugrunde liegenden Prozesse durch naturwissenschaftliche Einzeldisziplinen, wie beispielsweise die Geologie, Geomorphologie, Klimatologie, Meteorologie, Hydrologie, Vulkanologie oder Meeresforschung untersucht. So beschäftigt sich beispielsweise die Meteorologie mit der Erforschung der Entwicklung von Hurrikanen oder der Wettervorhersage, die Geologie mit der Erdbebenentstehung, die Hydrologie mit der Hochwasservorhersage, die Geomorphologie mit Prozessen der Hangrutschung oder der Bodenerosion und die Meeresforschung mit der Ausbreitung von Tsunamis. Diese disziplinäre Forschung ist notwendig, um ein besseres Verständnis der Prozesse und der Prozessfolgen zu erhalten. Nur dadurch kann die Entwicklung von naturwissenschaftlich fundierten Naturgefahrenmodellen oder die Entwicklung und der Einsatz von technischen Frühwarnsystemen vorangetrieben werden. Aus Sicht des Risikomanagements müssen jedoch noch weitere Kriterien der gefährlichen Prozesse bekannt sein, die nicht ihre Unterschiede, sondern eher ihre Gemeinsamkeiten betreffen. So beruhen Tornados, Erdbeben und Schneelawinen auf unterschiedlichen physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Ihre Ähnlichkeit besteht dagegen in einer äußerst kurzen Ereignisdauer und Vorwarnzeit. Andererseits sind nach heutigem Wissensstand ˘ 2.5: Klassifikation von Naturgefahrentypen auf Basis von Prozessdauer und Vorwarnzeit.

GK = f (M, F, G, D, zA, rA, V) mit: GK = Naturgefahrenklasse M = Magnitude (Massen- und/oder Energieumsatz, klein – groß) F = Frequenz (zeitliche Häufigkeit, gering – hoch) G = Geschwindigkeit (langsam – schnell) D = Dauer (kurz – lang) zA = zeitliches Auftreten (regelmäßig – zufällig) rA = räumliche Ausdehnung (klein – weit verbreitet) V = räumliche Verteilung (Verbreitungsmuster, konzentriert – diffus)

Frühwarnzeiten von Wochen oder Monaten für Dürren oder Vulkanausbrüche möglich. Ein Ansatz, der sich an ähnlichen oder gemeinsamen Prozesseigenschaften oder -folgen orientiert, bietet somit Vorteile für ein effektives Risikomanagement einschließlich der Entwicklung und Nutzung von Frühwarnsystemen. Hier ist beispielsweise von Interesse, wie Evakuierungspläne für die Bevölkerung aufgebaut sein müssen, die kurzen Vorwarnzeiten von wenigen Stunden ausgesetzt sind im Vergleich zu Maßnahmen der Nahrungsmittelbevorratung im Falle der Frühwarnung vor Dürren in den Trockengebieten der Erde. Zahlreiche Naturgefahrenforscher greifen in ihren Arbeiten zur Entwicklung von Gefahrenbewertungsmodellen auf einen älteren Ansatz amerikanischer Geographen zurück, der grundlegende prozessbeschreibende Faktoren benennt. Jeder dieGefahrentyp

Prozessdauer

Vorwarnzeit

Blitzschlag

Zehntelsekunde

Sekunden – Stunden

Schnee- und Schuttlawine

Sekunden – Minuten

Sekunden – Stunden

Erdbeben

Sekunden – Minuten

Sekunden

Tornado

Sekunden – Stunden

Minuten

Gravitative Massenbewegungen

Sekunden – Dekaden

Sekunden – Jahre

Hagel

Minuten

Minuten – Stunden

Tsunami

Minuten – Stunden

Minuten – Stunden

Überschwemmungen

Minuten – Tage

Minuten – Tage

Erdfall

Minuten – Dekaden

Sekunden – Jahre

Winterstürme

Stunden – Tage

Stunden – Tage

Hurrikan

Stunden – Tage

Stunden – Tage

Vulkaneruption

Stunden – Jahre

Minuten – Wochen

Bodenerosion

Stunden – Jahrtausende

Jahre

Dürren

Tage – Jahre

Tage – Monate

Desertifikation

Jahre – Dekaden

Monate – Jahre

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24 Naturkatastrophenmanagement ˘ 2.6: Weltweite Anzahl von Todesopfern zwischen 1973 und 2002 differenziert nach Naturgefahrentyp und Einkommensgruppe (nach ISDR 2004a).

Todesopfer Epidemien

1 600 000

Stürme gravitative Massenbewegungen Sturmfluten Überschwemmungen

1 400 000

Vulkaneruptionen Erdbeben Waldbrände 1 200 000

Hitzewellen Dürre

1 000 000

800 000

600 000

400 000

eine wichtige Rolle, sondern auch die entscheidende Zeitspanne zwischen der Warnung vor dem Ereignis und seinem Eintreten. Eine grundlegende Unterscheidung besteht zwischen den Ereignissen mit kurzen Ereignis- und damit Wirkungszeiten („sudden impact“) und sehr langen Ereignis- und Wirkungszeiten („slow onset, creeping“). Während Erdbeben, Hangrutschungen und Tornados lediglich in Zeitspannen von Sekunden oder Minuten auftreten, sind für Überschwemmungen Zeitspannen von Tagen, für die Desertifikation Dekaden und für die Bodenerosion Jahrtausende zu veranschlagen. Betrachtet man die unterschiedlichen Naturgefahrentypen hinsichtlich der Verluste, so ergibt sich ein differenziertes Bild. Dürren, Erdbeben, Stürme und Überschwemmungen zählen zu den Naturgefahren mit den meisten Todesopfern. Wenn die Zahl der Opfer durch diese Prozesse nach Einkommensklassen gegliedert wird, offenbart sich die gewaltige sozioökonomische Dimension von Naturkatastrophen. Die weitaus meisten Todesopfer sind in den Bevölkerungsschichten mit niedrigem Einkommen zu beklagen. Dürren, Stürme und Erdbeben bilden hier die häufigste Todesursache. In den Bevölkerungsgruppen mit höherem und hohem Einkommen ist die Gesamtzahl der Todesopfer insgesamt weitaus geringer. Hier zählen Überschwemmungen, Stürme und Erdbeben zu den häufigsten Naturgefahren. Die naturwissenschaftliche Erforschung von gefährlichen Prozessen des Systems Erde ist eine unerlässliche Komponente des Katastrophenma-

Naturwissenschaftliche Ansätze

200 000

0 geringes

geringes – mittleres

mittleres – hohes

hohes Einkommen

ser Faktoren ist für die Bewertung von Naturgefahren und ihren spezifischen Prozessfolgen von Bedeutung. Sie können über ein qualitatives Bewertungsschema klassifiziert und als Grundlage für die Naturgefahrenmodellierung genutzt werden. Auf diese einfache Funktionsgleichung baut seinerseits ein Klassifikationssystem für Naturgefahren auf, das die Kriterien des physikalischen Vorganges, die zeitliche und räumliche Prozessverteilung und den Ereignisbeginn verwendet. Stehen Kriterien des Risikomanagements im Vordergrund der zu lösenden Aufgabe, spielt nicht nur die Dauer des Prozesses

Alexander (1993) Bell (2003) Bryant (1991) Dikau (2004) Egli (2003) Gares, Sherman & Nordstrom (1994) Hewitt (1997) ISDR (2004a) McCall, Laming & Scott (1992) Mileti (1999) Pfister (2002) Plate & Merz (2001) Smith (2004) Tobin & Montz (1997) UNDRO (1991) White (1974)

Naturwissenschaftliche Ansätze

Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) www.bgr.de Disaster Prevention Research Institute, Kyoto University (DPRI) www.dpri.kyoto-u.ac.jp Earthquake Hazard Centre, University of Wellington www.ehc.arch.vuw.ac.nz Emergency Disasters Data Base (EM-DAT) www.em-dat.net Firewise www.firewise.org GeoForschungsZentrum Potsdam www.gfz-potsdam.de Global Fire Monitoring Center, Universität Freiburg (GFMC) www.fire.uni-freiburg.de Global Seismic Hazard Assessment Program (GSHAP) www.seismo.ethz.ch/GSHAP National Hazards Center, University of Colorado www.colorado.edu/hazards Pacific Tsunami Warning Center (PTWC) www.prh.noaa.gov/pr/ptwc US Geological Survey www.usgs.gov

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¯ 2.7: Die naturwissenschaftliche Erforschung von gefährlichen Prozessen der Erde ist wichtig, um eine angemessene Bewertung, Schutzmaßnahmenkonzeption und Vorhersage durchführen zu können.

nagements. Eine der Grundlagen der Risikoanalyse besteht darin, den Prozess besser zu verstehen, um die Risikobewertung verlässlicher zu machen. Weiterhin nimmt die Vorhersage von Prozessen im Rahmen einer umfassenden und integrativen Frühwarnkonzeption eine wichtige Rolle ein.

Sozialwissenschaftliche Ansätze – der Mensch als Opfer und Täter Seit der Mensch die Erde besiedelt, muss er sich mit den Gefahren der Natur auseinander setzen. Aufzeichnungen, Überlieferungen und Legenden über Naturgewalten und deren katastrophale Folgen gibt es in allen Kulturen. Einer der ältesten Katastrophenberichte ist die Bibel mit ihren vier Kapiteln über die Sintflut. Über lange Zeit waren für den Menschen übernatürliche Kräfte für die Naturgewalten verantwortlich. Bis ins 18. Jahrhundert unterlag die Ursachenforschung und Deutung von Naturereignissen den geistlichen Gelehrten. Mit der Verbreitung der Aufklärung vollzog sich ein Wechsel und mit zunehmenden technischen Errungenschaften wurde die Erklärung der Naturphänomene Aufgabe der Wissenschaft. Die Naturwissenschaften, deren Hauptaugenmerk auf den Prozessen der natürlichen Umwelt liegt, haben im Verlauf der letzten Jahrhunderte das Wissen über Naturgefahren beträchtlich erweitert.

Auch die Sozialwissenschaften, die den Menschen und seine Interaktionen in den Mittelpunkt stellen, setzen sich verstärkt mit der Naturkatastrophenproblematik auseinander, da natürliche Prozesse zunehmend Gebiete betreffen, in denen Menschen siedeln. Diese Räume sind bestimmten sozialen, wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und historischen Gegebenheiten unterworfen. Insofern stellt sich ein extremes Naturereignis für den Sozialwissenschaftler nicht als Katastrophe der Natur dar, sondern als ein kulturelles und soziales, als ein organisatorisches, technisches, kommunikatives oder wirtschaftliches Ereignis, für das die Natur lediglich der Auslöser ist. Naturgefahren sind nicht nur messtechnische Probleme oder schadenverursachende Prozesse, sondern auch mit sozialen Parametern wie dem Risikobewusstsein, dem Schadenspotenzial und Schutzmaßnahmen gekoppelt, die das Ausmaß der Folgen beeinflussen. Zur ganzheitlichen Erfassung der Zusammenhänge zwischen katastrophenauslösender Naturgefahr und katastrophenverursachenden Sozialstrukturen sind naturwissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Ansätze zu berücksichtigen. Allerdings setzt jede Fachdisziplin unterschiedliche Schwerpunkte und verwendet verschiedene Theorien und Begriffe. Eine einheitliche Naturgefahrentheorie und eine allgemein-

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˚ 2.8: Sozialwissenschaftliche Aspekte haben in der Naturgefahrenforschung an Bedeutung gewonnen, nicht zuletzt weil der Mensch immer stärker in die natürlichen Kreisläufe einwirkt und immer häufiger von Naturgefahren betroffen ist.

verbindliche Begriffsdefinition gibt es bis heute noch nicht. Ein Kernbegriff der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Naturkatastrophen ist der des Risikos. Je nachdem, ob man es als physisches Kriterium oder als soziales Gebilde betrachtet, kann man so verschiedene Dinge wie natürliche Prozesse (Erdbeben), Produktionsverfahren (Kernkraft), Produkte (Medikamente), Gewohnheiten (Rauchen), Verhaltensweisen (Autofahren) und Handlungen (Bergsteigen) sowie die daraus resultierenden Konsequenzen als Risiko wahrnehmen und ausweisen. Der wissenschaftlichen Mehrdeutigkeit steht eine Vielzahl von Bedeutungen im Alltagsgebrauch gegenüber. Für Naturgefahrenforscher setzt sich das Katastrophenrisiko aus der natürlichen Bedrohung, der Anfälligkeit und der Bewältigungskapazität zusammen. Generell bezeichnen sie damit die Wahrscheinlichkeit negativer Auswirkungen oder möglicher Verluste, die durch die Wechselbeziehungen zwischen Naturgefahr und der Verwundbarkeit der Gesellschaft verursacht werden. Grundsätzlich lassen sich ingenieur-technische, wahrnehmungs-kognitive, kulturell-soziologische und geographisch-naturräumliche Risikoansätze unterscheiden. Die ingenieur-technische Risikoperspektive fokussiert vor allem den Grad der Wahrscheinlichkeit und die potenziellen Folgen. Mit Hilfe der aus der Versicherungswirtschaft stammenden Risikoformel werden Schaden- und Nutzenaspekte verschiedener Risiken skaliert. Hier-

Der 11. September 2001 – der Tag, der die Welt veränderte Mit 9/11 bezeichnet man den Tag, an dem Terroristen zwei Passagiermaschinen in das New Yorker World Trade Center steuerten. In den zusammenstürzenden Türmen fanden etwa 2800 Menschen den Tod, weitere starben im Pentagon sowie in einem vierten Flugzeug, das von Passagieren zum Absturz gebracht wurde. Erst zukünftige Generationen werden beurteilen können, ob der 11. September 2001 tatsächlich das war, was seinerzeit propagiert wurde: „Der Tag, der die Welt veränderte“. In jedem Fall ist es ein historisches Datum, das die Vielschichtigkeit und Komplexität der Katastrophenthematik offenbart. Einzelne Bereiche des Katastrophenmanagements, die normalerweise so nicht wahrgenommen werden, standen blitzartig im Zentrum des öffentlichen Interesses: die Ursachenforschung und die Risikoanalyse, der Ereignisablauf und die direkten Auswirkungen, das Leid der Betroffenen und die hohe Belastung der Katastrophenhelfer, die Reaktion und Solidarität Nicht-Betroffener, das breite Spektrum von Soforthilfemaßnahmen sowie die Diskussion des Wiederaufbaus. Es wäre zu kurz gegriffen, die Ereignisse lediglich als den durch Terroristen verursachten Einsturz zweier Wolkenkratzer abzutun, der mittels besserer Statik oder verschärfter Einreisekontrollen zukünftig zu verhindern wäre. Allein im August 2001 haben rund 50 Millionen Menschen die Vereinigten Staaten besucht. Mit mehr als 9600 km Landesgrenze, rund 15 300 km Meeresküste und 429 Flughäfen stößt die vollständige Absicherung der USStaatsgrenzen auch unter Einsatz modernster Technik genauso an ihre Machbarkeitsgrenze wie die statischen Berechnungen zur Vorsorge aller potenziellen Einsturzursachen. Im Übrigen sind alle 19 Flugzeugentführer legal in die USA eingereist. Katastrophen betreffen geographische Räume, in denen Menschen leben, die ganz bestimmten sozialen, wirtschaftlichen, politischen, legislativen, kulturellen und historischen Gegebenheiten unterworfen sind. Schon kurz nach den Anschlägen konnte man mitverfolgen, wie die Auswirkungen in unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche hineintransportiert wurden und welche Effekte sie dort erzeugten: Zum ersten Mal in der Geschichte der USA wurde der gesamte Flugverkehr auf allen Flughäfen eingestellt, was zu erheblichen Beeinträchtigungen führte. Während die Wartezeiten auf den Flughäfen aufgrund eingeführter Sicherheitsvorkehrungen in die Höhe schnellten, meldeten die Fluggesellschaften und die Tourismusindustrie einen signifikanten Rückgang ihrer Umsätze. Für die Versicherungswirtschaft wurde 9/11 zum größten Einzelschadensereignis. Bereits im Oktober 2001

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wurde das „U.S. Department of Homeland Security“ zum Schutz vor Terrorismus ins Leben gerufen, die internationale Staatengemeinschaft reagierte mit der Verabschiedung einer Resolution und der Bildung einer speziellen Interpol Task Force. In der Folgezeit waren kopftuch- und turbantragende Menschen verstärkt unliebsamen Blicken ihrer Mitbürger ausgesetzt. Die Terroranschläge wirkten bis in alltägliche Lebensbereiche hinein. Als Folge verabschiedete die US-Regierung den „Uniformed Services Employment and Reemployment Rights Act“ und gewährleistete damit die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern, die einen aktiven Dienst in Katastrophenschutzorganisationen leisten. Gegenüber ihren nicht-aktiven Kollegen müssen sie nun keine Benachteiligung hinsichtlich der beruflichen Aufgaben, Stellung und Bezahlung mehr befürchten. Andererseits sind die Chancen für Arbeitssuchende aus dem Mittleren Osten seit September 2001 erheblich gesunken. Arbeitgeber schenken dem Anwerbungs- und Anstellungsprozess mehr Beachtung und nützen die rechtlichen Freiheiten aus, um potenzielle Kandidaten genauestens auszuleuchten. Zu den Spätfolgen zählen auch die Diskussion um die Anerkennung und Entschädigung von Arbeitnehmern, die seit den Ereignissen aufgrund psychischer Leiden in ihrer Arbeitsleistung eingeschränkt sind. Manhattan verlor über eine Million Quadratmeter Bürofläche und viele Firmen ihre Betriebszentrale. Auch Jahre nach 9/11 spielen die Terroranschläge im politischen Alltag der USA eine herausragende Rolle. 9/11 zeigte auch, dass Katastrophen längst nicht mehr als regionale Ereignisse gelten, da ihre Auswirkungen grenzüberschreitend sind. Schon nach kurzer Zeit reagierten die internationalen Börsenmärkte auf die Geschehnisse und auch im „alten Europa“ merkte man an den steigenden Preisen für Öl und Flugreisen recht schnell, wie die Effekte einen globalen Charakter annahmen. Ausländische Touristen wurden in Diskotheken und Restaurants auf Bali und den Philippinen getötet, ein französischer Öltanker explodierte im Jemen, in Madrid (3/11) bezahlten fast 200 Berufspendler für die Irakpolitik ihrer Regierung mit dem Leben. Und auch die „Gegenmaßnahmen“ der „Anti-TerrorAllianz“ sind global spürbar: In vielen Ländern kam es verstärkt zu Razzien, in New York durfte man Hochhäuser nur noch mit einem speziellen Ausweis betreten, in Tokio wurden mit der Entsendung japanischer Truppen in den Irak alle öffentlichen Mülleimer abmontiert und die Bevölkerung permanent aufgefordert, verdächtige Objekte sofort den Sicherheitsbehörden zu melden. In Afghanistan und im Irak erfahren sowohl die dort lebenden Menschen als auch die „Anti-Terror-Truppen“ leid-

˚ 2.9: Die Folgen des 11. Septembers 2001 werden über Landesgrenzen transportiert: Warnschilder in der Tokyo Metro im Mai 2004.

voll, was es heißt, vom „Krieg gegen den Terrorismus“ direkt betroffen zu sein. Am 30. Mai 2002 endete offiziell die Wiederaufbauphase von 9/11, am Nationalfeiertag 2004 setzte man den Grundstein für den neuen „Freedom Tower“, am 22. Juli 2004 legte die Untersuchungskommission ihren fast 600 Seiten starken Abschlussbericht vor. Vieles spricht schon heute dafür, dass sich seit dem 11. September 2001 zwar einiges geändert, aber nicht verändert hat. Nach dem Sturz des Saddam-Regimes hat die Anti-Terror-Allianz dessen Folterkammern übernommen – und auch manche seiner Methoden. Beim Wiederaufbau im Irak herrscht Vettern- statt der versprochenen Marktwirtschaft. Freiheitliche Grundsätze wollte man verankern, doch den „kapitalistischen Traum“ verwirklichen ausländische Unternehmen. Zuletzt musste selbst Stararchitekt Libeskind feststellen, dass seine einstigen Pläne zum neuen Freiheitsturm recht schnell von der kommerziellen Realität eingeholt wurden. Im Laufe der Zeit haben finanzielle Kriterien die einstigen idealistischen Vorstellungen verdrängt und damit müssen die für Andacht und Mahnung vorgesehenen Freiräume, die dem Konzept im Planungswettbewerb noch zum Triumph verhalfen, vermietbaren Büroflächen weichen. Eine neue Epoche der Weltpolitik hat am 11. September 2001 nicht begonnen. Sicherlich, der Schock, der sich durch die telegene Endlosschleife der einstürzenden Zwillingstürme in das Gedächtnis der Weltöffentlichkeit eingebrannt hat, saß tief. Die sichtbar gewordenen Asymmetrien haben ”

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28 Naturkatastrophenmanagement

˚ 2.10: Ground Zero – eine Lücke nicht nur für Manhattan. Fast 3000 Menschen verloren ihr Leben, über eine Million Quadratmeter Büroflächen verschwanden.

Der 11. September 2001 …

Naudet & Naudet (2002) Scholl-Latour, Roy et al. (2003) Walther (2003)

Der 11. September 2001 …

Digitales Archiv http://911digitalarchive.org Kommission für terroristische Angriffe auf die Vereinigten Staaten www.9-11commission.gov

zutiefst befremdet: die Verwundbarkeit der globalen Führungsmacht auf dem Höhepunkt ihres militärischen Einflusses und die Stärke des globalen Terrorismus, der im Kampf gegen die Globalisierung längst die dadurch entstehenden Vorteile und Mittel glänzend zu nutzen weiß. Sie haben den Unterscheidungsgrenzen zwischen äußerer und innerer Sicherheit ihre Bedeutung genommen und sind zum strukturbestimmenden Faktor der internationalen Beziehungen geworden. Deshalb ist 9/11 mehr als ein Terroranschlag. Aber man sollte nicht so geschichtsvergessen sein zu glauben, dass an jenem Septembertag der „history changing moment“ war. In der Bilderflut des einstürzenden Welthandelszentrums verschwanden die anderen, im Anschlagspaket der Terroristen vorgesehenen Ziele allzu leicht. Vorangegangene Attacken auf an-

dere Einrichtungen – inklusive des „soft target“ WTC am 26. Februar 1993 – sind kaum Bestandteil des „kollektiven Erinnerns“. Man sollte sie genauso wenig vergessen wie die Urteile des amerikanischen Verfassungsgerichts, die der präsidialen Macht und dem „War on Terror“ klare Grenzen gesetzt haben. Gerade wir Europäer sollten es besser wissen: 9/11 hat den Terrorismus genauso wenig in die Alte Welt gebracht wie 3/11. Was man dem „neuen“ internationalen Terrorismus – Produkt und Feind der Globalisierung gleichermaßen – andichtet, haben die international operierenden Netzwerke von RAF, IRA und ETA schon vorher praktiziert. Als am 15. Juni 1904 der Schaufelrad-Dampfer „General Slocum“ in der Flussenge „Hell’s Gate“ abbrannte und 1021 Mitreisende den Tod fanden, war das die größte Katastrophe in der Geschichte New Yorks. Wie zu erwarten geriet die Tragödie vor dem Ufer der Bronx irgendwann in Vergessenheit. Erst nach den Terroranschlägen auf das WTC erinnerten die New Yorker Medien kurz an das Schiffsunglück – als die nun „zweitgrößte Katastrophe“. Dabei hätte der Tag die Welt zumindest ein wenig verändern können, hätte man nach dem Schock der Verwundung außenpolitische Strategien grundlegend überdacht und mit der Beseitigung tiefer liegender Ursachen begonnen. So steht eine weitere Katastrophe wahrscheinlich erst noch bevor: die zwischen Morgen- und Abendland immer größer werdende Bildungslücke. Denn die arabischen Staaten investieren durchschnittlich nur 0,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in Bildung und Forschung. OECD-Länder wenden im Durchschnitt 5,6 Prozent für Bildungsausgaben auf. Gemessen an Patenten, Forschungsarbeiten, Innovationen und Entwicklungen gibt es eine riesige Kluft zwischen den arabischen und den entwickelten Ländern in Amerika, Europa und Asien. Hingegen geben die arabischen Länder rund 6 Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für Rüstung und Waffen aus. In den meisten westlichen Staaten liegt der Rüstungs- und Verteidigungsetat unter 2 Prozent, in den USA bei knapp 4,5 Prozent. Auch diese Tatsachen sind ursächlich für den „Tag, der die Welt veränderte“.

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Sozialwissenschaftliche Ansätze 29

naturwissenschaftlich

sozialwissenschaftlich

geographisch-naturräumlich

Ansatz ingenieur-technisch

Sichtweise

toxikologischepidemiologisch

Methodik

Experiment, Messung, Gutachten

statistischprobabilistisch

wahrnehmungs-kognitiv

versicherungsmathematisch

geowissenschaftlich

Extrapolation, Statistik, Modellierung

Anwendung

Gesundheit, Umweltschutz

GIS

FehlerbaumAnalyse

verhaltenspsychologisch

historischzeitlich

Sicherheitstechnologie

Psychometrik, Experiment

Quellen- und Datenrecherche

kulturtheoretisch

Gruppen- u. Netzwerk-Analysen

Versicherung

Raum- und Regionalplanung

Willensbildung, Risikokommunikation, Konfliktlösung

ökonomischfinanzpolitisch

KostenNutzenAnalyse

Festlegung von Standards

Gleichheit Vorhersage

Systemverbesserung

nach ist das Risiko ein Produkt aus der Eintrittswahrscheinlichkeit und der Schadenserwartung. Durch Statistiken und das Hochrechnen von Einzel- auf Gesamtwahrscheinlichkeiten gelangt man zu Einschätzungen, die uns häufig im Alltag begegnen: Aus der Zahl der Unfälle eines bestimmten PKW-Typs berechnet man die Unfallwahrscheinlichkeit für dieses Modell pro Jahr. Aus der Häufigkeit von tödlichen Badeunfällen leitet man deren Eintrittswahrscheinlichkeit ab. Der wahrnehmungs-kognitive Risikoansatz setzt bei der Tatsache an, dass sich die Ergebnisse der Risikoabschätzungen von „Experten“ oftmals stark von den intuitiven Bewertungen der Bevölkerung unterscheiden. Ausgerichtet an der Vorstellung eines abwägenden Individuums, das Vor- und Nachteile einer Risikoquelle subjektiv gewichtet und nach einer individuellen Präferenzordnung zu einem Gesamturteil verknüpft, ermittelt der Forscher die Wahrnehmung und Akzeptanz bestimmter Risiken durch direkte Befragung. Untersuchungen zu Faktoren, die auf die Entscheidungsfindung

Fairness Risikoanalyse

Entscheidungsfindung

Kulturelle Identität

Risikoreduktion Risikoausgleich

Risikobewertung

sozialtheoretisch

Befragungen, Interviews

Frühwarnung Funktion

sozial-kulturell

Politische Akzeptanz

einwirken, geben Aufschluss über die subjektive Komponente der Risikowahrnehmung und -bewertung. Risiko ist auch ein soziales Konstrukt, das in Relation zum gesellschaftlichen Kontext der wahrnehmenden Person gesetzt werden muss. Aufgrund welcher Faktoren werden bestimmte Meinungen zu Risiken innerhalb bestimmter sozialer Einheiten dominant und wodurch entstehen hier Polarisierungen und Kontroversen? Hier setzt das heterogene Feld kulturell-soziologischer Risikoansätze an, die je nach Ausrichtung ihren Schwerpunkt auf die Diskussion, Zumutbarkeit und Akzeptanz von Risiken legen. Unter dem Etikett „Risikokommunikation“ beschäftigen sich Wissenschaftler mit den gesellschaftlichen Akteuren und Arenen des Risikodialogs. Dabei untersuchen sie beispielsweise die Medienberichterstattung und die Verständlichkeit wissenschaftlicher Risikoaussagen und entwickeln Richtlinien und Informationsmaterial. Da Expertenwissen nicht immer per se als höherwertig ein-

Resourcenverteilung Risikolegitimation

˚ 2.11: Wissenschaftliche Risikoperspektiven. Zahlreiche Disziplinen beschäftigen sich mit Risiken. Ihre Begriffsdefinitionen, Methoden und Konzepte unterscheiden sich oft erheblich.

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30 Naturkatastrophenmanagement

Nachhaltige Entwicklung

Naturkatastrophenmanagement Vorsorge Natur

Naturgefahr

Naturprozess

Bewältigung

Vorbeugung

Exponiertheit

Baulichtechnische Maßnahmen

Normativimmaterielle Maßnahmen

Bereitschaft

Perzeptionsu. Informationsstrukturen

Frühwarnung und Evakuierung

Intervention

KataBergungsHumanitäre strophen- u. Rettungs- Hilfe schutz maßnahmen

˚ 2.12: Ein Naturkatastrophenmanagement besteht aus unterschiedlichen Bausteinen. Entsprechend vielfältig sind auch die wissenschaftlichen Disziplinen, die daran beteiligt sind.

Sozialwissenschaftliche Ansätze

Alexander (2000) Banse & Bechmann (1998) Bernstein (2004) Burton, Kates & White (1993) Clausen, Geenen & Macamo (2003) Krimsky & Golding (1992) Krohn & Krücken (1993) Oliver-Smith & Hoffman (1999) Stallings (2002) Weichselgartner (2000, 2002) Sozialwissenschaftliche Ansätze

Disaster Diplomacy www.disasterdiplomacy.org Disaster Research Center, University of Delaware (DRC) www.udel.edu/DRC Emergency Management Australia (EMA) www.ema.gov.au Radical Interpretations of Disaster (RADIX) http://online.northumbria.ac.uk/ geography_research/radix

Postvention

zustufen ist, analysieren die Forscher auch soziale Verständigungsprozesse, um Risikointeressenkonflikte zu lösen. Indem Risikokontroversen nicht mehr nur als Wissensdefizit, sondern auch als Ausdruck eines Vertrauensverlustes in Entscheidungsträger angesehen werden, entwickeln die Wissenschaftler Partizipationsmodelle, die Betroffene in Lern- und Entscheidungsprozesse miteinbeziehen. Kulturanthropologische Ansätze basieren auf dem Grundgedanken, dass alle Risikowahrnehmungen sozial gefiltert und in verschiedene kulturelle Prägungen eingebettet sind. Ländervergleichende Studien zeigen, dass etwa die Einstellung zu Großtechniken kulturspezifisch variiert. Auch innerhalb einer Gesellschaft existieren verschiedene Kulturtypen, die unterschiedliche Wahrnehmungsund Bewältigungsmuster im Umgang mit Risiken zeigen. Katastrophensoziologische Ansätze wiederum stellen das Katastrophenereignis als besondere Form des sozialen Wandels in den Forschungsmittelpunkt. Kernthemen sind pragmatisch-operationale Bereiche sowie die überörtliche soziale Auswirkung lokaler Schadensereignisse. Geographisch-naturräumliche Risikobetrachtungen integrieren Standpunkte und Methoden verschiedener Ansätze und wenden sie auf die

Gesellschaft

Wiederaufbaumaßnahmen

Wechselwirkungen zwischen natürlicher Umwelt und Gesellschaft an. Während in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Schwerpunkte auf den Naturprozessen und Naturkatastrophen lagen, reichen die Untersuchungen heute von der Grundlagen- und Prozessforschung über Regionalstudien bis hin zu weltweiten Vergleichsanalysen von Risikoverteilungen und Katastrophenhäufigkeiten. Die historische Naturgefahrenforschung, die sich mit vergangenen Katastrophen beschäftigt, leistet einen wertvollen Beitrag in Bezug auf Abwehrmechanismen und Vorsorgepraktiken. Entsprechendes gilt für makroökonomische Ansätze der Wirtschaftswissenschaften, die Kapitalströme und Finanzierungsmöglichkeiten untersuchen. Trotz der wissenschaftlichen Vielfalt gibt es noch viel Unbekanntes. Beispielsweise wurden die Konsequenzen von Naturkatastrophen für indigene Gruppen und deren Reaktionen bislang nur wenig untersucht. Auch hinsichtlich lokaler Strategien zur Krisenbewältigung und zur Erschließung neuer Adaptionsmöglichkeiten gibt es erhebliche Wissensdefizite. Daran schließen Fragen der Marginalisierung, des Sozialverhaltens im Zusammenleben der Katastrophenopfer untereinander und mit Nichtbetroffenen, der Kommunikationsprobleme zwischen Betroffenen und Helfern sowie der kognitiven Katastrophenbewältigung an. Auch deren Beantwortung bedarf der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Disziplinen.

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Die Natur in Bewegung – Naturgefahren und ihre Prozesse Aus der in Kapitel II dargestellten Unterteilung von Naturgefahr, technologischer Gefahr und Umweltzerstörung kann in diesem Abschnitt nur eine Auswahl von Naturgefahren näher betrachtet werden. Diese Auswahl soll exemplarischen Charakter haben, wobei bestimmte Elemente der Katastrophenvorsorge besonders gewichtet werden. Weitere Kriterien für die Auswahl liegen in ihrer globalen Bedeutung und in ihrer regionalen Gewichtung für Deutschland. Insofern ist auf eine ausführliche Beschreibung zahlreicher Typen von Naturgefahren wie Tornados, Waldbrände, Schneelawinen oder Permafrostschmelze, aber auch auf die Darstellung schleichender Prozesse wie die Bodenerosion und -degradation verzichtet worden.

Meteorologische Kräfte – Naturgefahren der Atmosphäre Atmosphärische Prozesse sind weltweit die häufigsten Auslöser von Naturgefahren. Im Unterschied zum lokalen oder begrenzt regionalen Auftreten von Prozessen der Lithosphäre (etwa Erdbeben) oder oberflächennaher Prozesse (etwa Bergsturz) ist die Weltbevölkerung weitflächig von unterschiedlichen atmosphärischen Phänomenen betroffen. Hier sind in erster Linie die extremen Ausprägungen dieser Prozesse für das Auftreten von Naturgefahren verantwortlich, wie hohe Windgeschwindigkeiten, ungewöhnlich hohe und niedrige Niederschlagsmengen oder hohe Lufttemperaturen. Besonders große Gefahren entstehen, wenn diese Wetterelemente kombiniert auftreten, wie bei tropischen Wirbelstürmen. Sturmprozesse gehören zu den atmosphärischen Phänomenen mit den stärksten Schadenspotenzialen. Bei sommerlichen tropischen Wirbelstürmen treten die gefährlichen Prozesse kombiniert in Form der Küstenflutwelle, der hohen Windgeschwindigkeit und der extremen Niederschlagsmenge auf. Sie sind vor allem in den tropischen Küstenzonen Mittel- und Nordamerikas und Asiens zu verzeichnen. Anders als bei den tropischen Wirbelstürmen bilden sich schadenverursachende Stürme in den mittleren Breiten vorwiegend in den Herbst- und Wintermonaten. Sie werden auch als trockene Stürme bezeichnet, die in Form der winterlichen Zyklonen in Mitteleuropa ohne Niederschlagsbeteiligung auftreten können. Als Hagelsturm wird ein Prozess bezeichnet, bei dem der Niederschlag in Form von festen Hagel-

körnern fällt. Diese Körner entstehen, wenn Graupel durch längere Verweilzeiten in einer Gewitterzelle auf Zentimetergröße anwächst. Es wurden schon Durchmesser von über zehn Zentimeter beobachtet. Bei Hagelstürmen fallen die Hagelkörner in eng begrenzten Gebieten von etwa ein bis zwei Kilometer Breite. Der Hagelniederschlag zieht mit dem Gewitter mit. Hagelkörner weisen eine hohe Fallgeschwindigkeit auf, die zu beträchtlichen Schäden an Fahr- und Flugzeugen führen können. Besonders gefährdet sind Glasdächer, Baumlaub, Getreideernten, aber auch der Wein- und Obstanbau. Bei einem Schneesturm treten Schneeniederschläge und hohe Windgeschwindigkeiten kombiniert auf. In Nordamerika werden die Schneestürme, die durch arktische Kaltlufteinbrüche im Winter hervorgerufen werden, Blizzards genannt. Sie beeinträchtigen/bedrohen allein in den urbanen Regionen der Vereinigten Staaten über 60 Millionen Menschen, rein statistisch zehn Mal pro Jahr. Eisstürme sind in Nordamerika häufig. Sie treten bei tiefen Lufttemperaturen auf, wenn der Niederschlag als Regen oder Schneeregen fällt und an Oberflächen zu Eis gefriert. Kanada war im Jahre 1998 von einem extremen Eissturm betroffen.

˙ 3.1: Übersicht meteorologischer Naturgefahren

Primärer Gefahrentyp

Ursache /Charakteristika

Tropische Wirbelstürme (Hurrikan, tropischer Zyklon, Taifun)

Wolkenwirbel, die sich bei Wassertemperaturen über 27° C zwischen 8 – 30° nördlicher und südlicher Breite bilden, hohe Windgeschwindigkeit, Regen, Küstenüberflutung, Küstenerosion, Hochwasser im Landesinneren, Hangrutschungen

Tornado

Horizontal rotierende aufwärts gerichtete Luftströmungen (Wasser- oder Windhosen) mit begrenztem Durchmesser von 100 – 300 Meter, massiver Luftdruckabfall

Wintersturm

Trockene Herbst- und Winterstürme der mittleren Breiten durch Zyklonen in Mitteleuropa ohne Niederschlagsbeteiligung

Hagelsturm

Prozess, bei dem der Niederschlag in Form von festen Hagelkörnern fällt, hohe Windgeschwindigkeit, Gewitter

Eissturm, Eisregen

In Nordamerika häufig. Sie treten bei tiefen Lufttemperaturen auf, wenn der Niederschlag als Regen oder Schneeregen fällt und an Oberflächen zu Eis gefriert

Schneesturm

Kombiniertes Auftreten von Schneeniederschlägen und hohen Windgeschwindigkeiten, Glätte, hohe Windgeschwindigkeit

Sandsturm

Starker Wind mit hohen Bestandteilen an Sand

Extremniederschlag

Überdurchschnittliche, den Boden erreichende Regenmenge

Blitzschlag

Elektrische Entladung zwischen Wolke und Erdoberfläche

Hitzewelle, Kältewelle

Extreme positive oder negative Lufttemperaturen, die mehrere Tage oder Wochen anhalten können

Nebel

Sehr kleine Wassertröpfchen oder Eiskristalle, die in Luft schweben

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32 Naturgefahren und ihre Prozesse

Die durch atmosphärische Phänomene hervorgerufenen Schäden können direkte Folge des Prozesses sein, wie etwa die mechanische Zerstörung eines Gebäudes durch den Winddruck. Oftmals sind sie für hydrologische oder biologische Folgeprozesse verantwortlich. Fast alle Hangrutschungen, Überschwemmungen oder Waldbrände sind durch Wetterphänomene verursacht. In den folgenden Kapiteln wird eine Auswahl von meteorologischen Gefahrentypen detaillierter behandelt. Dabei werden neben den meteorologischen Phänomenen auch Aspekte der Naturgefahrenbewertung und des Risikomanagements diskutiert. Die Verknüpfung von Gefahrenklassen atmosphärischer Sturmprozesse mit ihren Auswirkungen auf bestimmte Risikoelemente und den daraus abzuleitenden Maßnahmen der Katastrophenvorsorge erfolgt heute in Ansätzen des Integralen Risikomanagements.

˙ 3.2: Tropische Wirbelstürme des 20. Jahrhunderts mit den höchsten Zahlen an Todesopfern. Jahr

Land/Region

1970

Bangladesch

1991

Bangladesch

1922

China

1935

Indien

1998

Mittelamerika

1937

Hongkong

1965

Pakistan

1999

Indien

1900

Vereinigte Staaten

1964

Vietnam

1991

Philippinen

Tropische Wirbelstürme – zerstörerische Wolkenwirbel Tropische Wirbelstürme gehören zu den schadenträchtigsten Stürmen. Sie entstehen über den Ozeanen und erzeugen besonders in Küstenregionen beträchtliche Schäden. Tropische Wirbelstürme kombinieren mehrere gefährliche Teilprozesse: Küstenüberflutung, hohe Windgeschwindigkeiten und Überschwemmungen im Hinterland. Ein tropischer Wirbelsturm wird in verschiedenen Teilen der Erde mit unterschiedlichen Namen bezeichnet. Im Nordatlantik, der Karibik und im Golf von Mexiko wird er Hurrikan genannt, im nördlichen Indischen Ozean, Australien, Neuseeland und im Golf von Bengalen wird der Begriff „tropischer Zyklon“ verwendet. In Japan, Taiwan und den Philippinen heißt er Taifun. Eine der schwersten Hurrikankatastrophen in Mittelamerika war Hurrikan „Mitch“, dem 1998 in Honduras und Nicaragua über 9000 Menschen zum Opfer fielen. Im August und September 2004 zogen die tropischen Wirbelstürme „Charley“, „Francis“, „Ivan“ und „Jeanne“ über die Karibik und die südöstlichen amerikanischen Todesopfer Bundesstaaten. Allein in Florida sind 300 000 Schäden von 6 – 9 Milliarden Euro 140 000 aufgetreten. Bei „Francis“ mussten in 100 000 Florida fast drei Millionen Menschen 60 000 evakuiert werden, was die bis dahin 14 600 größte Evakuierungsaktion des US11 000 Bundesstaates darstellte. Nach Abzug der Hurrikane „Charley“ und „Fran10 000 cis“ entwickelte sich Anfang Septem10 000 ber im Atlantik mit „Ivan“ ein neuer 8000 tropischer Wirbelsturm, der auf dem 7000 amerikanischen Festland im Bundes6000 staat Alabama zu schweren Über-

schwemmungen führte. Die Aufforderung zur Evakuierung erging an zwei Millionen Menschen in den Bundesstaaten Florida, Mississippi, Alabama und Louisiana. Es bestand die Gefahr, dass „Ivan“ Kuba und die Mississippi-Metropole New Orleans treffen würde. Letztlich zog der Wirbelsturm westlich an Kuba vorbei und traf das Festland von Alabama. Hurrikan „Jeanne“ bildete sich am 13. September südöstlich von Puerto Rico und richtete im Nordwesten von Haiti schwere Schäden an, wobei über 3000 Menschen starben und mehr als 200 000 obdachlos wurden. Er traf am 26. September Florida und am 27. September Georgia. Hier starben insgesamt drei Menschen, die Gesamtschäden wurden in den USA auf über fünf Milliarden Euro geschätzt. Tropische Wirbelstürme treten dort auf, wo die Wassertemperaturen großer Ozeanflächen über 27 Grad Celsius liegen und damit eine starke Anreicherung der Luft mit Feuchtigkeit möglich wird. Ihr Auftreten konzentriert sich auf 8 – 30 Grad nördlicher und südlicher Breite, also auf die Karibik, den Nordatlantik und den Golf von Mexiko, den Nordost-, West- und Südwestpazifik, den Indischen Ozean und den Golf von Bengalen. Tropische Wirbelstürme bilden Wolkenwirbel, die Durchmesser von mehren Hundert Kilometern erreichen können. Sie treten saisonal auf und häufen sich in den Sommermonaten mit einem Frequenzmaximum zum Sommerende. Einem europäischen Spätsommerurlauber in Florida oder in der Karibik sollten diese Tatsachen durchaus bekannt sein. Im Nordatlantik und der Karibik ziehen Hurrikane in Richtung West und Nordwest mit einem Umlenken nach Nord und Nordwest. Wenn ein Hurrikan auf Land trifft, muss mit extrem hohen Windgeschwindigkeiten, außergewöhnlichen Niederschlägen und Überschwemmungen gerechnet werden. Im Herbst 2004 bewegte sich Hurrikan „Charley“ mit bis zu 240 km/h über die Westküste Floridas. Die Spur der Verwüstung hatte eine Breite von mehr als 20 km. Ein tropischer Wirbelsturm ist somit ein außerordentlich stabiles System, das sich zwar mit bis zu 50 km/h vergleichsweise langsam fortbewegt, aber in dem extrem hohe Windgeschwindigkeiten auftreten können (bis zu 360 km/h). Dagegen ist es im 20 – 50 km breiten Zentrum (dem „Auge“) praktisch windstill und der Luftdruck ist äußerst niedrig. Mit Erreichen des Festlands verringert der Wirbelsturm aufgrund der Bodenreibung seine Geschwindigkeit und es geht ihm der Antrieb aus. Die aufgestauten Wolkenmassen regnen sich ab und kühlen dabei die Landoberfläche, womit auch keine Warmluft mehr nachfließen kann. Der Wirbelsturm löst sich auf und entwickelt sich zu einem Sturm. Es gibt weltweit drei Regionen mit sehr hohen Bevölkerungsdichten, in denen tropische Wirbel-

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Naturgefahren der Atmosphäre 33 South Carolina Mississippi Alabama

Hurrikan Ivan am 7. September 5 Uhr Ortszeit Nationales Hurrikanzentrum

Georgia

Hurrikanzentrum bei 11,4° N und 58,5° W Maximale Windgeschwindigkeit 110 mph Geschwindigkeit des Zentrums 18 mph

Lousiana 30° Florida

New Orleans

Aktuelle Position des Hurrikanzentrums Vorhergesagte Pos. des Hurrikanzentrums

H

Potenzielles Hurrikanzuggebiet der nächsten 1 – 3 Tage Potenzielles Hurrikanzuggebiet der nächsten 4 – 5 Tage

Miami 25° Habana

12. Sept. 2 Uhr H

Regionen mit Hurrikanwarnung

Bahamas

¯ 3.3: Warnung vor Hurrikan „Ivan“ vom 7. September 2004 durch den Nationalen Wetterdienst der USA. Auch das potenzielle Zuggebiet des Wirbelsturms ist für die nächsten 1 – 3 und 4 – 5 Tage angegeben. Der tatsächliche Verlauf von „Ivan“ erfolgte weiter westlich, so dass Kuba nicht vom Hurrikan getroffen wurde.

Regionen mit tropischer Sturmwarnung

Kuba

0

250

500

750 km

H

20°

Dominik. Rep.

Haiti 11. Sept. 2 Uhr

Mexiko

Jamaica

Brit.Honduras 15° Guatemala

Puerto Rico

H

10. Sept. 2 Uhr

H

Honduras

El Salvador

H 9. Sept. 2 Uhr

H

Nicaragua

H 8. Sept. 2 Uhr Costa Rica

10°

7. Sept. 2 Uhr

Panama Venezuela

90°

85°

80°

Kolumbien 75°

stürme erhebliche Schäden anrichten können. Es sind dies: ” die stark urbanisierten Ost- und Südküstenregionen der Vereinigten Staaten und die Westund Ostküste Indiens. Das höchste Schadenspotenzial weltweit besteht an den Küstenregionen des Golfes von Mexiko und an der Atlantikküste der USA; ” isolierte Inselgruppen wie die Karibischen Inseln,

70°

65°

Guyana 60°

Surinam 55°

Japan, Taiwan und die Philippinen. Im Herbst 2004 war in der Karibik besonders die Insel Haiti betroffen; ” dicht bevölkerte Flussdeltas mit geringen Erhebungen über dem Meer, wie der Golf von Bengalen, besonders Bangladesch und Nordostindien. Die Klassifikation der Stärke von Hurrikanen erfolgt in den USA durch die vom amerikanischen Wetterdienst entwickelten Saffir-Simpson-Hurri-

Fotos: US Geological Survey

¯ 3.4: Der Preis für die Strandlage ist hoch. Schäden an der Orange-Küste im US-Bundesstaat Alabama nach dem Hurrikan „Ivan“ am 17. September 2004 im Vergleich zum 17. Juli 2001, aufgenommen durch den Geologischen Dienst der USA.

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34 Naturgefahren und ihre Prozesse Hurrikankategorie

Windgeschwindigkeit (Einminutenmittelwert) (km/ h)

Höhe der Flutwelle (Meter)

Potenzielle Schäden Evakuierungsmaßnahmen

Beispiele

Tropischer Sturm

63 – 118

1

119 – 153

1,2 – 1,6

Schwach Schäden an nicht befestigten mobilen Häusern (Wohnwagen), Bäumen, Sträuchern und instabilenHafenanlagen, keine ernsthaften Schäden an festen Gebäuden

Danny 1997 Irene 1999

2

154 – 177

1,7 – 2,5

mäßig Beträchtliche Schäden an mobilen Häusern (Wohnwägen), Sträuchern und Bäumen, Schäden an festen Gebäuden (Dach, Türen, Fenster),Überflutung von Küstenstraßen und niedrig gelegenen Fluchtwegen bereits 2 – 4 Stunden vor Eintreffen des Hurrikanzentrums, kleinere Schiffe lösen sich von den Ankerplätzen

Gloria 1985 Bonnie 1998 George 1998

3

178 – 209

2,6 – 3,8

schwer Beträchtliche Schäden an mobilen Häusern (Wohnwägen), Schäden an Tragwerken von kleinen Wohnhäusern, Umstürzen großer Bäume, niedrig gelegene Fluchtwege werden bereits 3 – 4 Stunden vor Eintreffen des Hurrikanzentrums überflutet, niedrig liegende Wohnhäuser müssen evakuiert werden.

Betsy 1965 Alicia 1983 Opal 1995

Roxanne 1995 Fran 1996 Keith 2000

4

210 – 249

3,9 – 5,5

extrem Völlige Zerstörung mobiler Häuser, Zerstörung von Dächern kleiner Wohnhäuser und Bäumen, beträchtliche Schäden an Tragwerken von Häusern, Wohngebiete bis 6 Kilometer landeinwärts müssen evakuiert werden.

Donna 1960 Hugo 1989 Luis 1995 Floyd 1999

Keith 2000 Iris 2001 Isabelle 2003 Charley 2004

5

> 249

katastrophal Völlige Zerstörung der Hausdächer, teilweise vollständige Zerstörung von Gebäuden, völlige Zerstörung von mobilen Häusern und Bäumen, Wohngebiete von 8 – 16 Kilometer landeinwärts müssen evakuiert werden.

Labor Day 1935 Andrew 1992 Camille 1969 Mitch 1998 Gilbert 1988

˚ 3.5: Saffir-SimpsonHurrikanskala tropischer Wirbelstürme auf Basis der Windgeschwindigkeit und der Höhe der Küstenflutwelle. Mit angegeben sind Schätzungen der Sachschäden und Evakuierungsmaßnahmen.

Alberto 1994 Allison 2001

> 5,5

kankategorien unter Verwendung der Windgeschwindigkeit und der Höhe der in Küstengebieten auftretenden Sturmflut. Die Klassifikation enthält zudem Informationen über potenzielle Schäden sowie die Notwendigkeit von Evakuierungsmaßnahmen. Bei tropischen Wirbelstürmen muss grundsätzlich mit den drei Phänomenen hohe Windgeschwindigkeit, Überflutung des Küstensaumes und Überschwemmung im Inland gerechnet werden. Entsprechend vielfältig sind die Schadentypen. Durch die massive Bevölkerungsmigration in die Küstenzonen der Erde ist die sozioökonomische Verwundbarkeit in diesen Gebieten in den letzten Jahrzehnten dramatisch angestiegen. Es wird geschätzt, dass 1994 etwa 37 Prozent der Weltbevölkerung in einem Küstenstreifen von 60 km Breite gelebt haben. Dieser Anteil ist seitdem kontinuierlich auf knapp 50 Prozent angestiegen. Allein im USBundesstaat Florida hat von 1900 bis in die 1990er Jahre eine Bevölkerungszunahme von 500 000 auf über neun Millionen Bewohner stattgefunden. Ein wichtiges Mittel der Katastrophenvorsorge bei tropischen Wirbelstürmen sind Naturgefahrenkarten für die Küstenzone. In Abbildung 3.6 wird für einen Ausschnitt der Ostküste Floridas eine vom Geologischen Dienst der USA erstellte Gefahrenkarte für drei Saffir-Simpson- Kategorien vorgestellt. Für sechs Überflutungshöhen werden zwei Gefahrenklassen (rot und grün) ausgewiesen, die eine höhere und geringere Wahrscheinlichkeit der

Überflutung der Küstenzone bezeichnen. Da die mögliche Überflutungshöhe eine wichtige Informationskomponente der Frühwarnung ist, können mit diesen Karten die vorbereitenden Maßnahmen unterstützt werden. Die Bedeutung der Reduzierung der Verwundbarkeit als Element der Katastrophenvorsorge ist in der Karibik im September 2004 während des Hurrikans „Jeanne“ deutlich geworden. Die massive Entwaldung und schnelle Urbanisierung von Haiti führten zur Degradation der natürlichen Ressourcen. Die Folgen sind Erhöhung der Abflüsse von den Hängen und damit einhergehende stärkere Hochwasser und zunehmende Hanginstabilitäten und Rutschungen. Diese Umweltzerstörung ist also eng mit der Erhöhung der Naturgefahr verbunden. Erst eine Umkehr dieser Prozesse wird zur Verminderung der Risiken in diesem Land führen. Die Frühwarnung bei tropischen Wirbelstürmen ist international und national weit entwickelt. Die Weltorganisation für Meteorologie („World Meteorological Organisation“, WMO) bietet im Internet einen Dienst an, der Wetterbeobachtungen, Wettervorhersagen und klimatologische Informationen für unterschiedliche Regionen und Städte bereitstellt. Die Daten werden durch die nationalen meteorologischen Dienste gesammelt, die sich im Netzwerk der „National Meteorological Services“ (NMS) zusammengeschlossen haben. Für den 11. Januar 2005 etwa hielt der Service Wettervorhersagen und klimatologische Daten für 1066 Städte

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Naturgefahren der Atmosphäre 35 Saffir-SimpsonKategorie 2

Saffir-SimpsonKategorie 3

Port Canaveral Inlet

Melbourne Fluthöhe 1,8 m 2,4 m

Saffir-SimpsonKategorie 4

Port Canaveral Inlet

Port Canaveral Inlet

Melbourne

Melbourne

Fluthöhe 4,0 m 5,5 m

Fluthöhe 2,7 m 3,7 m

Fort Pierce

Fort Pierce

Fort Pierce

Port St.Lucie

Port St.Lucie

bereit. Das Informationszentrum für extreme Witterung („Severe Weather Information Centre“) der WMO liefert weltweite Wetterberichte für tropische Wirbelstürme, Starkniederschläge und extreme Schneefälle. Der Nationale Wetterdienst der USA liefert große Datenmengen in Form von Vorhersagekarten und schriftlichen Warnungen. Weiterhin werden über die Internetseite des Nationalen Hurrikanzentrums („National Hurricane Center“) lokale Informationen, die bis auf die Straßenebene aufgelöst sind und beispielsweise Lokalitäten von Schutzräumen und Evakuierungspläne umfassen, zur Verfügung gestellt. Für Hurrikan „Ivan“ veröffentlichte das Nationale Hurrikanzentrum der USA über das Internet eine Karte, auf der die Position des Hurrikans am 7. September 2004 wie auch die Regionen, für die bereits eine Hurrikanfrühwarnung erfolgte, abgebildet waren. Überdies wurde eine Frühwarnung für 1 – 3 und 4 – 5 Tage bezüglich des weiteren Wegs des Hurrikans ausgegeben. Auch über die Windgeschwindigkeit wurde Auskunft erteilt. Mit diesen Daten war „Ivan“ an diesem Tag ein Hurrikan der SaffirSimpson-Kategorie 2. Zyklonenschutzbauten sind ein zentrales Element der Vorsorgemaßnahmen hinsichtlich tropischer Wirbelstürme. Die Schutzbauten in Indien und Bangladesch können im Fall eines Wirbelsturmes bis zu 1500 Menschen aufnehmen und vor der Flutwelle schützen. Die Betonkonstruktionen ruhen auf Pfeilern, die die Stabilität des Gebäudes

Port St. Lucie

garantieren, wenn die Flutwelle unter dem Gebäude durchströmt. Die Gebäude können als Klassenzimmer oder für andere Veranstaltungen der Gemeinde genutzt werden. Sie werden in Ostindien und Bangladesch bevorzugt in Küstennähe, auf ungeschützten Inseln sowie in abgelegenen Gebieten errichtet. Bei voller Funktionstüchtigkeit sind die Gebäude mit technischem Gerät für den Katastrophenfall ausgerüstet. Vorsorge- und Schutzmaßnahmen an Wohngebäuden, die bei Neubebauung und beim Wiederaufbau nach Wirbelsturmkatastrophen eingesetzt werden sollten, umfassen die (1) Räumliche Naturgefahrenbewertung: Möglichst keine Bebauung auf freien, exponierten Flächen ohne windbremsende Objekte (schützende Vegetation und andere Bebauung); möglichst keine Bebauung in Überflutungsflächen, da tropische Wirbelstürme mit hohen Niederschlagsmengen verbunden sind. (2) Vorsorge am Gebäude: Feste Verbindung des Daches mit den tragenden Hausteilen. Regelmäßige Wartung dieser Teile; geringe Überstände des Daches und möglichst keine Vorsprünge; starke Wand- und Dachkonstruktionen. Eine äußerst wichtige Komponente der Katastrophenvorbereitung ist die Ausbildung und Schulung. In einer Ausbildungsreihe des Nationalen Hurrikanzentrums der USA, der so genannten „Woche der Hurrikanvorbereitung“ („Hurricane

¯ 3.6: Gefahrenkarte des Geologischen Dienstes der USA für Küstenüberflutungen eines Abschnittes der Ostküste Floridas. Dargestellt sind für drei SaffirSimpson-Kategorien sechs Überflutungshöhen und zwei Gefahrenklassen (rot und grün), die eine höhere und geringere Wahrscheinlichkeit der Überflutung der Küstenzone bezeichnen.

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36 Naturgefahren und ihre Prozesse Naturgefahren der Atmosphäre

Alexander (1993) EM-DAT (2004) GTZ (2003) Smith (2004) Telford, Arnold & Harth (2004) UNEP (2002) USGS (2004a) Naturgefahren der Atmosphäre

Foto: FEMA

Caribbean Disaster Emergency Response Agency www.cdera.org Deutscher Wetterdienst (DWD) www.dwd.de National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA), National Weather Service (NWS) www.nws.noaa.gov NOAA, National Hurricane Center www.nhc.noaa.gov Severe Weather Information Centre http://severe.worldweather.org US Geological Survey (USGS), Coastal & Marine Geology Program http://coastal.er.usgs.gov/hurricanes World Meteorological Organisation (WMO) www.wmo.int World Weather Information Service www.worldweather.org

˚ 3.7: Mitarbeiter der nationalen Katastrophenhilfsorganisation der USA (FEMA) beraten in Orlando, Florida, Bewohner in Fragen der baulichen Katastrophenvorbereitung von Wohnhäusern.

Preparedness Week“), werden Materialien für die Vorbeugung und Vorbereitung auf das Ereignis zur Verfügung gestellt. Praktische Vorschläge für die Bewohner, die Wohngebäude sowie für das Verhalten im Evakuierungsfall werden gegeben. Das vorbildliche Informationsmaterial folgt dem Grundsatz, dass Vorbereitung weniger kostet als die Schadensbehebung nach Eintritt der Katastrophe. Winterstürme – kalte Starkwinde der mittleren Breiten In den mittleren Breiten sind es die Stürme in den Herbst- und Wintermonaten, die oftmals verheerende Schäden anrichten. Mitteleuropa wurde zuletzt im Dezember 1999 von Sturm „Lothar“ getroffen, der mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 180 km/h in Frankreich, der Schweiz und Deutschland Schäden von über zehn Milliarden Euro verursacht hat. Insgesamt waren die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts durch etliche starke Winterstürme in Europa gekennzeichnet. Während des Sturmes „Lothar“ waren aufgrund von Schäden an Stromleitungen nach Angaben des Energieversorgers Energie Baden-Württemberg 540 000 Kunden ohne Strom. Für 95 Prozent dieser betroffenen Kunden konnte innerhalb von 24 Stun-

den die Stromversorgung wieder hergestellt werden. Im Januar 2005 richtete ein schwerer Wintersturm über Nordeuropa hohe Schäden in England und Dänemark an. Die Herbst- und Winterstürme der mittleren Breiten werden von ausgeprägten Kaltlufttransporten aus den Polargebieten in die gemäßigten Breiten verursacht. Gerade in dieser Jahreszeit sind die Gegensätze zwischen den Wassertemperaturen der Subtropen und den kalten polaren Luftmassen besonders groß. Dieser Temperaturgradient erreicht zwischen 50 – 60 Grad geographischer Breite maximale Werte. An dieser Luftmassengrenze entstehen Tiefdruckgebiete, die sich zu extrem starken Sturmtiefs entwickeln können. Diese Tiefdruckgebiete erreichen Durchmesser von 2000 – 3000 km. Sie beziehen ihre Energie vor allem aus dem Temperaturgegensatz der sich vermischenden polaren Kaltluft und der subtropischen Warmluft. Wie bei den Hurrikanen der Tropen bilden Tiefdrucksysteme linksdrehende Wirbel, die sehr hohe Zuggeschwindigkeiten von über 1000 km pro Tag erreichen können. Sie ziehen also weitaus schneller als tropische Wirbelstürme, erreichen jedoch selten über 200 km/h und damit nicht die extremen Windgeschwindigkeiten der Hurrikane. Ein besonderes Charakteristikum des Windes ist seine Böigkeit. Damit ist die zeitliche Variabilität der Windgeschwindigkeit im Sekundenbereich gemeint. Unter Spitzenböen werden Maximalgeschwindigkeiten verstanden, die ein MehrfaKonsequenzen des Sturmes „Lothar“ – die „lessons learned“-Aussagen des Deutschen Komitees Katastrophenvorsorge (DKKV) ” Der Warndienst ist die zentrale Kernaufgabe des Deutschen Wetterdienstes und hat absolute Priorität vor allen anderen Aufgaben. ” Hochentwickelte Wettervorhersagemodelle können versagen. Der Mensch (Meteorologe und Wetterberater) ist deshalb entscheidend für die kontinuierliche Wetter- und Modellüberwachung. Dies gilt insbesondere für den Warnfall. ” Blinder Modellgläubigkeit muss entgegengewirkt werden. ” Die Zusammenarbeit mit den für die Krisenbewältigung zuständigen Behörden muss intensiviert werden durch (1) Nutzung des Frühwarnsystems und Informationen, die mögliche Folgen des Sturmes und nicht nur meteorologische Daten beinhalten, (2) Verbesserung der Frühwarnkette, etwa durch Weitergabe der Warnungen in den Verkehrswarndienst, und (3) Bereitstellung der Sturmwarnungen im Internet. ” Verbesserte allgemeine Aufklärung der Bevölkerung über Unwettergefahren und -risiken.

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Naturgefahren der Atmosphäre 37 ˘ 3.8:Winterstürme über Mitteleuropa, Todesopfer und volkswirtschaftliche Schäden seit 1990.

ches der Durchschnittsgeschwindigkeiten des Windes betragen und die für Windschäden im besonderen Maße verantwortlich sind. Die Stärke von Stürmen wird nach der Beaufort-Skala bestimmt, die 1806 durch den englischen Admiral Sir Francis Beaufort aufgestellt wurde. Mit dieser Skala kann die Windstärke durch die Auswirkungen des Windes zwischen der Stärke Null (Windstille) und Zwölf (Orkan) geschätzt werden. Als Orkan wird eine Windstärke mit mehr als 118 km/h bezeichnet. Bereits seit vielen Jahrzehnten haben verschiedene Verfahren der Windgeschwindigkeitsmessung die Schätzung nach Beaufort ersetzt. Neben der Angabe der Bezeichnung der Windstärke und ihrer mittleren Geschwindigkeit enthält die Skala auch Beispiele für Auswirkungen des Windes im Binnenland. Diese Information ist unter dem Gesichtspunkt der Vorsorge und der Vorbeugung von hoher Bedeutung. Eine wichtige Frage des Risikomanagements von Stürmen ist die zeitliche Entwicklung der Sturmstärke. Im Unterschied zu Überschwemmungen oder Hitzewellen, deren Ausmaß relativ einfach in Form der Wasserhöhe oder der Lufttemperatur bestimmbar ist, ist die Quantifizierung der Windstärke weitaus schwieriger und in den letzten Jahrzehnten nicht einheitlich gehandhabt worden. Die Angabe von Zeitreihen der Windstärken der letzten Jahrzehnte scheint daher mit Unsicherheiten behaftet zu sein. Diese Probleme betreffen sowohl die Windmessung am Boden und in der Höhe als auch die Bestimmung weiterer Parameter der Windstärke. Der Deutsche Wetterdienst hat in einer Analyse der Zeitreihen der Jahre 1969 bis 1999 in Nürnberg und Düsseldorf eine deutliche Zunahme der Anzahl von Tagen mit Windgeschwindigkeiten über Beaufort acht festgestellt. Dieser Trend ist bei den mittleren Windgeschwindigkeiten nicht festzustellen. Es scheint also gerade bei den hohen und schadensreichen Windgeschwindigkeiten Veränderungen der klimatischen Verhältnisse zu geben. Als Risikoelemente bezeichnen wir die potenziell betroffene Bevölkerung, Gebäude, Bauwerke, ökonomische Aktivitäten, öffentliche Dienstleistungen und Infrastrukturen im durch die Naturgefahr beeinflussten Gebiet. Ob diese Gefahr zu Schäden führt, hängt von den Maßnahmen der Katastrophenvorsorge ab. Ein wichtiges Kriterium der Maßnahmenplanung besteht in der Bestimmung der Verletzbarkeit der Risikoelemente in Bezug auf ˘ 3.9 : Windstärken-Skala nach Beaufort mit Auswirkungen des Windes im Binnenland.

Name / Ausdehnung

Datum

Beschreibung

Daria Gesamtdeutschland, besonders Norddeutschland, Nordwesteuropa

25. – 26. Januar 1990

Böen bis 180 km/h

8

1 Mrd. Euro

Herta Süd- und Südwestdeutschland, Nordwesteuropa

3. – 4. Februar 1990

Böen bis 150 km/h

7

0,5 Mrd. Euro

Vivian Gesamtdeutschland, besonders Norddeutschland, Westeuropa

25. – 27. Februar 1990

Böen bis 180 km/h

15

1 Mrd. Euro

Wiebke West- und Süddeutschland, weite Teile Europas

28. Februar – 1. März 1990

Böen bis 150 km/h

24

1 Mrd. Euro

Anatol Nord- und Nordosteuropa

3. – 4. Dezember 1999

Böen bis 185 km/h

20

2,3 Mrd. Euro

Lothar West- und Osteuropa

26. Dezember 1999

schadenreichster Sturm in Frankreich Böen bis 173 km/h

110

9,2 Mrd. Euro Schweiz: 1,9 Mrd. SFR

Martin Frankreich, Schweiz, Norditalien

27. – 28. Dezember 1999

Böen bis 173 km/h

30

3,2 Mrd. Euro

Beaufortgrad

Bezeichnung

Mittlere Windgeschwindigkeit in 10 m Höhe über freiem Gelände km/h

0

Windstille

1

Todesopfer

Volkswirtschaftliche Schäden

Beispiele für die Auswirkungen des Windes im Binnenland

m/s

1000

Auslösung eines Tsunamis mit max. 7 m Wellenhöhe

Izmet, Türkei

7,4

> 17 000

44 000

12 Mrd. US-$, 50 000 Gebäude zerstört

1999

Chi-Chi, Taiwan

7,7

2474

11 000

14 Mrd US–$

2001

Gujarat, Indien

7,7

14 000

200 000

4,5 Mrd. US-$, 400 000 Häuser zerstört

2003

Zemmouri, Algerien

6,8

2278

2003

Bam, Iran

6,6

> 40 000

2004

Sumatra (Seebeben vor der Nordwestküste)

9,0

> 220 000

24 000

Auslösung eines Tsunamis, der Mallorca und die Nachbarinseln mit einer 2-m-Welle traf

mehrere Tausend

30 000

70% der Stadt Bam werden verwüstet

ca. 2 Millionen

Auslösung eines Tsunamis, dessen Wirkung bis nach Ostafrika reichte, 2 Mill. Menschen durch Tsunami betroffen

¯ 3.38: Auswahl von Erdbeben des 20. Jahrhunderts seit 1906.

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66 Naturgefahren und ihre Prozesse 50°

0

0,2

0,4

0,6

0,8

1,3

2,0

4,0

6,0 m/s2

AT LA NT ISC HER OZ EA N

z e s w a r S c h r M e e 40°

M i t t e l l ä

n

d

i

s

c

h

e

s

M e e r

30°

0 Kartographie: G. Bräuer-Jux, 2004

˚ 3.39: Seismische Gefahrenkarte für Europa (Bodenbeschleunigung in m/s2) des Global Seismic Hazard Assessment Program (GSHAP).

˘ 3.41: Wohnhaus in Bam, Iran, in Adobe-Bauweise. Das aus getrockneten Lehmziegeln konstruierte Haus ist typisch für die holzarmen Regionen des mediterran-transasiatischen Erdbebengürtels und hochgradig anfällig gegen seismische Erschütterungen. Ein grundlegendes Problem ist, dass die Wände nicht mit dem Dach verbunden sind. In derartigen Häusern starben die meisten Opfer während des Bebens in Bam.



500 km 10°

20°

nerhalb der Kontinente (Nordamerika oder Südwestdeutschland). Die europäische Gefahrenkarte wurde als Teil der globalen Karte entwickelt. Sie vereinigt Ergebnisse von 16 unabhängigen regionalen und nationalen Projekten. In Europa konzentrieren sich die seismisch aktivsten Zonen in den südlichen und südöstlichen Ländern. Besonders hohe Gefahrenklassen mit ausgedehnten Flächenanteilen sind in der Türkei entlang der großen tektonischen Störungslinien vorhanden. Auf der Europakarte sind auch die Regionen mit erhöhter Seismizität in Nordwest- und Südwestdeutschland ausgewiesen. Gefährdungsexposition und Verwundbarkeit der Risikoelemente sind bei Erdbebenprozessen in erster Linie auf die Substanz von Bauwerken bezo-

Foto: Earthquake Engineering Research Institute

10°

30°

gen. Die Erdbeben von Kobe (Japan, 1995), Izmet (Türkei, 1999), Athen (Griechenland, 1999) und Chi-Chi (Taiwan, 1999) haben die besondere Verwundbarkeit von Großstädten deutlich werden lassen. Durch das gewaltige Schadenspotenzial in den urbanen Agglomerationsräumen der Erde führen selbst weniger starke Beben zu massiven Verlusten. Besonders deutlich wurden diese Probleme beim Izmet-Beben in der Türkei. Die Stadt ist Teil eines 100 km langen Siedlungsbandes an der Marmaraküste, das zur Siedlungsfläche der Agglomeration von Groß-Istanbul gehört. Seit 1990 ist sie um drei Millionen Einwohner gewachsen. Diese rasante Entwicklung in extrem kurzer Zeit war mit Einbußen bei der Bauqualität verbunden. Weiterhin führte verantwortungslose Profitgier einiger Bauunternehmer zur Missachtung selbst einfachster baulicher Standards, so dass teilweise ältere Wohngebäude ärmerer Bevölkerungsteile das Beben besser überstanden als die neu hochgezogenen Apartmenthäuser der Mittelschicht. Bei Erdbeben kann die sozioökonomische Verwundbarkeit der Bevölkerung ihren unmittelbaren Ausdruck in den Schäden nach dem Ereignis finden. Bei der Erdbebenkatastrophe im Februar 1978 in Guatemala verloren fast 1,2 Millionen Menschen ihre Wohngebäude. In Guatemala City stürzten 59 000 Wohnhäuser ein, die ausschließlich in den städtischen Slumsiedlungen lagen, die in den hochgefährdeten Gebieten der Stadt angesiedelt waren. Diese sind durch Steilhänge, instabile Kliffs, enge

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Naturgefahren der festen Erde 67

SEEBA – die Erdbebenspezialisten des Technischen Hilfswerks (THW) Nach der Erdbebenkatastrophe in Mexiko 1985 rief das THW die Schnelleinsatzeinheit für Bergungseinsätze im Ausland (SEEBA) ins Leben. Die Hauptaufgaben der 70 ehrenamtlichen Spezialisten umfassen die Ortung und Rettung von verschütteten Personen, die Bergung von Toten und Sachwerten, die Leistung technischer Hilfe, aber auch die fachkundige Beratung örtlicher Behörden und die Erkundung nachsorgender Hilfemöglichkeiten. Da sich nach 72 Stunden die Aussichten, Überlebende zu finden, rapide verschlechtern, ist die technische Ausstattung – ständig lufttransporttauglich in Leichtmetallkisten verpackt – an den drei Standorten Bocholt, Darmstadt und dem saarländischen Freisen-Nohfelden aufbewahrt. Innerhalb von sechs Stunden nach der Alarmierung über das Bundesministerium des Innern oder das Auswärtige Amt steht die Einheit abflugbereit auf dem Flughafen Frankfurt/Main oder Köln/Bonn. Die vollständige Ausrüstung wiegt 26 Tonnen bei einem Volumen von 100 m3 und beinhaltet die notwendige Rettungsausstattung, Ortungsgeräte, Campaus-

stattung, eine Feldküche und Verpflegung. Neun Rettungshunde ergänzen die technische Ausstattung. Damit ist die Truppe technisch und personell so ausgerüstet, dass sie bis zu zehn Tage lang ohne Unterstützung und Versorgung von außen operieren kann. Da Schadensereignisse räumlich oder sachlich begrenzt sind, erfordern sie oftmals nur einen Teil des gesamten Leistungsspektrums der SEEBA. Deshalb wurde das einstige Konzept der Fachgruppe auf ein Baukastensystem mit verschiedenen Grundmodulen umgestellt, um damit die Einsatzwahrscheinlichkeit durch eine „marktgerechte“ personelle und materielle Ausstattung zu erhöhen. Erfolgreiche Auslandseinsätze nach den schweren Erdbeben in Armenien, der Türkei und in Algerien belegen die Fähigkeiten der SEEBA. Auch in Deutschland hat die Truppe bei Rettungs- und Bergungsarbeiten – wie 1998 nach dem schweren ICE-Zugunglück in EscheSEEBA … de – ihr Können unter Be- SEEBA www.thw.de/thw-ausland/ weis gestellt. seeba/index

Jahr

Region

Charakteristik und Lehren

1995

Kobe, Japan

Globale Auswirkungen auf internationale Verflechtungen von Wirtschaft und Handel besonders im Bereich der Hochtechnologie, Beeinträchtigung von Transportwegen und Infrastruktur führte zu Produktionsausfall und Zulieferungsproblemen

1999

Izmet, Türkei

Tausende von Todesopfern durch Missachtung der Bauvorschriften, effizientere Überwachung der Einhaltung der Bauvorschriften nötig, Notwendigkeit langfristiger Planung

1999

Chi-Chi, Taiwan

Ausfall der Energie- und Wassernetzwerke sowie von großen Teilen der Halbleiterindustrie. An Gefahrenzonen orientierte Standortwahl und globale Produktionsvernetzung, Notwendigkeit langfristiger Planungen

2001

Gujarat, Indien

Bausubstanz in ländlichen Gebieten (Lehmziegel) und städtischen Räumen (Stahlbeton-Rahmenkonstruktion) sehr schadenanfällig, Mexico-City-Effekt, Notwendigkeit langfristiger Planung

2003

Bam, Iran

Vorwiegend schlechte Qualität der Bauwerke (traditionelle Lehmziegelhäuser mit schweren Dächern) und niedriger Entwicklungsstand der Bevölkerung, Notwendigkeit langfristiger Planungen

2004

Sumatra, Indonesien (Seebeben)

Kein Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean, in zahlreichen Anrainerstaaten keine oder unzureichende Katastrophenvorsorge für Tsunami-Ereignisse, Notwendigkeit langfristiger Strategien des Risikomanagements der Küstenregion, Aufklärung der Touristen über Naturgefahren in den Zielgebieten, keine Hotels in Strandnähe

Schluchten und wenig konsolidiertes junges Vulkansediment gekennzeichnet. Die Verluste in anderen Stadtteilen mit ökonomisch besser gestellten Bevölkerungsschichten hielten sich dagegen in Grenzen. Die Auswertung der Charakteristika von Erdbebenfolgen liefern wichtige Erkenntnisse für die Entwicklung von Strategien der Katastrophenvorsorge, die in nationale Programme des Risikomanagements umgesetzt werden oder umgesetzt werden könnten. Zahlreiche Organisationen und Unternehmen der Versicherungswirtschaft widmen sich diesen Fragen. Eine wichtige Einsicht nach

˚ 3.40 Logo SEEBA

dem Kobe-Erdbeben betrifft die hohe Vulnerabilität der Metropolen wie Tokio, Osaka, Los Angeles oder das Silicon Valley südlich von San Francisco. Obwohl Kobe nicht zu den großen Metropolen der Erde zählt, kam es bereits hier zu globalen Auswirkungen. Die Münchener Rückversicherung veröffentlichte neuere Berechnungen für ein großes Erdbeben in Tokio, für das ein potenzieller volkswirtschaftlicher Schaden von über 1,1 Billionen Euro genannt wird. Vermutlich würde es hier zu Verlagerungen des Produktionsgefüges und weitreichenden Folgen für die internationalen Finanzmärkte kommen.

¯ 3.42: Charakteristika und Lehren der großen Erdbeben seit dem Kobe-Erdbeben von 1995 (nach Angaben der Münchener Rückversicherung.

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Naturgefahren der festen Erde

Amerikanisches Rotes Kreuz (2004b) EERI (1996, 2003, 2004) Geipel (1992) Grünthal, Bosse et al. (2004) GSHAP (2004) GTZ (2003) Jain, Lettis et al. (2002) Münchener Rück (2000, 2002) Schneider (2004) Schweizer Rück (1995) USGS (2004c) Zschau, Domres et al. (2001) Zschau, Merz et al. (2001)

Naturgefahren der festen Erde

Advanced National Seismic System (ANSS) www.anss.org American Red Cross www.redcross.org Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) www.bgr.de Earthquake Engineering Research Institute (EERI) www.eeri.org Earthquake Information Network (EQNET) www.eqnet.org Electronic Encyclopedia of Earthquakes www.scec.org/e3 GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ) www.gfz-potsdam.de Global Seismic Hazard Assessment Program (GSHAP) www.seismo.ethz.ch/GSHAP International Federation of Consulting Engineers (FIDIC) www.fidic.org NOAA, National Geophysical Data Center (NGDC) www.ngdc.noaa.gov US National Earthquake Hazards Reduction Program (NEHRP) www.wsspc.org/links/nehrp.html USGS Earthquake Hazards Program http://earthquakes.usgs.gov

˚ 3.43: Das Zentrum von Tokio. Diese Stadt gilt als äußerst erdbebengefährdet. Es wird geschätzt, dass bei einem starken Erdbeben direkt unter der Stadt die volkswirtschaftlichen Schäden 1,1 Billionen Euro erreichen können und mehrere Hunderttausend Todesopfer zu beklagen wären.

Das Institut für die ingenieurwissenschaftliche Erforschung von Erdbeben („Earthquake Engineering Research Institute“, EERI) widmet sich unter anderem in einem Lernprogramm „Aus Erdbeben lernen“ der Zusammenstellung von Erfahrungen für die Weiterentwicklung der Katastrophenvorsorge, die Nutzern über das Internet frei zur Verfügung steht. Die zentralen Informationen betreffen eine globale Enzyklopädie mit den wichtigsten Hauskonstruktionen und ihrer Bewertung in allen seismisch aktiven Zonen der Erde („World Housing Encyclopedia“). Damit wird ein weltweiter Beitrag für das Risikomanagement von Erdbeben geleistet. Das Risikomanagement von Erdbeben besteht aus mehreren Komponenten, die in einer integrierten Strategie der Katastrophenvorsorge zusammengeführt werden:

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(1) Effiziente Überwachung der Einhaltung der Bauvorschriften. ” Tausende von Todesfällen und Schäden in Höhe von einigen Milliarden Dollar hätten sich beim Izmet-Beben in der Türkei vermeiden lassen, wenn die Bauvorschriften beachtet worden wären. In der Türkei wird in Zukunft ein versicherungstechnischer Mechanismus zur Bauüberwachung eingerichtet. (2) Verbesserung der Infrastruktur. ” Beim Chi-Chi-Erdbeben auf Taiwan führte das Versagen der Versorgungsleitungen zu Milliardenschäden. Der Ausfall der Energie- und Wassernetzwerke störte wochenlang die Produktion der Halbleiterindustrie mit globalen Folgen.

(1) Planung: Die seismische Gefahrenzonierung (Seismizität, Intensität, Bodenbeschleunigung) und die kartographische Darstellung der potenziellen Schäden bei bestimmten Erdbebenmagnituden sollten Grundlage der Planung werden. Weiterhin sollten die potenziell betroffenen Risikoelemente in Bezug auf ihre Entfernung zu seismisch aktiven Zonen und zu Sekundärerscheinungen bewertet werden, wie die Entfernung zu instabilen Hängen und Hangrutschungsgebieten oder prekären Untergrundeigenschaften. (2) Bautechnische Konstruktionen: Anwendung der Grundprinzipien erdbebensicheren Bauens in Gefahrenzonen. Ertüchtigung einfacher Wohnhäuser in Entwicklungsländern (Lehm-, Ziegel- und Steinhäuser) durch kostengünstige bautechnische Maßnahmen. (3) Bauvorschriften: Anwendung und Kontrolle von Bauvorschriften für erdbebensicheres Bauen sowie nachträgliche Bauwerksertüchtigung. Zahlreiche Organisationen widmen sich der Verbreitung von Verhaltensregeln vor, bei und nach Erdbeben. Das Amerikanische Rote Kreuz beispielsweise nennt in einem Merkblatt zahlreiche Vorschriften, die nachfolgend in Auswahl aufgeführt werden: Vorbereitende Maßnahmen: ” Vorsorge im eigenen Haus: Festlegung eines möglichst sicheren Platzes in jedem Zimmer des Hauses. Übung zum Aufsuchen dieses Platzes unter Türrahmen, Tischen oder an freien Innenwänden. Sicherung von Möbeln gegen das Umfallen und von Gegenständen gegen das Herabfallen. Sinnvolle Platzierung des Schlafplatzes. Bereithalten von Informationen zu den technischen Ein-

(3) Sinnvolle Standortwahl und globale Produktionsvernetzung. ” Es ist zu fragen, wie sinnvoll es ist, globale und nationale Schlüsselindustrien in hoch gefährdeten Gebieten anzusiedeln, wie dies beim ChiChi-Erdbeben auf Taiwan deutlich wurde. Weiter befindet sich die türkische Raffinerie Tupras in geringer Entfernung von der hochaktiven Nordanatolischen Verwerfungslinie. (4) Wissenschaftliche Forschung. ” Die Verbesserung des seismologischen Wissens in den Erdbebengefahrengebieten und die Umsetzung in den urbanen Agglomerationsräumen der Erde sind dringend geboten. (5) Umsetzung. ” Die Umsetzung dieser Empfehlungen in Maßnahmen der Katastrophenvorsorge ist weltweit noch nicht ausreichend.

Foto: Earthquake Engineering Research Institute

Lehren aus dem Erdbebenjahr 1999 der Münchener Rückversicherung:

˚ 3.44: Traditionelles ländliches Bhonga-Wohnhaus im Erdbebengebiet Gujarat in Indien. Die Konstruktion besteht aus einem einzigen zylindrischen Wohnraum und hat sich während des Erdbebens selbst im Epizentrum als äußerst robust und stabil erwiesen.

richtungen des Hauses wie Gas, Elektrizität, Wasser und Telefon. Sicherung von gasbetriebenen Geräten gegen Umkippen. Bereithalten wichtiger Telefonnummern der Rettungsdienste. ” Vorbereitung einer Notfallversorgungsbox: Nahrungsmitteldosen, Batterien, Radioempfänger, warme Kleidung, Trinkwasser und anderes. Verhalten während des Erdbebens: ” Aufsuchen der möglichst sicheren Plätze im Haus. Verbleiben im Haus, bis die Erschütterungen vorüber sind. Fernbleiben von Fenstern. ” Im Freien: Aufsuchen eines Platzes entfernt von Gebäuden. Hinlegen. ” Im Fahrzeug bleiben, abbremsen und möglichst einen von Gebäuden freien Platz anfahren. Verhalten nach dem Erdbeben: ” Prüfen der möglichen Verletzungen auch bei anderen. Erste Hilfe. Prüfen des Zustandes des Bau-

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70 Naturgefahren und ihre Prozesse

werkes. Wenn möglich Abstellen der Gas- und Wasserzufuhr. Erwartung von Nachbeben. Prüfen, ob bei Nachbeben weitere unbefestigte Gegenstände herabstürzen können. ” Benutzung des Telefons nur, um lebensbedrohliche Verletzungen und Notfälle zu melden. Bezug von Informationen aus dem Radio.

˙ 3.45: Profil durch einen Vulkan mit den wichtigsten Auswurfprodukten, die während der Eruption freigesetzt werden und unterschiedliche Typen von Naturgefahren darstellen.

Die Frühwarnung bei Erdbeben umfasst mehrere Komponenten der Katastrophenvorsorge. Die Erdbebengefährdung beschreibt die Wahrscheinlichkeit, mit der sich ein Erdbeben einer bestimmten Magnitude oder Intensität in einer bestimmten Region innerhalb einer bestimmten Zeitspanne wiederholt (probabilistische Erdbebenvorhersage). Die Gefährdungskarte von Europa gehört zu diesem Typ. Mit diesen Bewertungen kann der Zeitpunkt eines Erdbebens nicht angegeben werden. Die Vorhersage des Ortes, Zeitpunktes und der Magnitude eines bestimmten Erdbebens wird deterministische Erdbebenvorhersage genannt. Sie ist eine wissenschaftlich umstrittene Methode und von höchster Komplexität. Den Spezialisten stellt sich heute die Frage, ob Erdbeben möglicherweise prinzipiell unvorhersagbar sind. Die kurzfristige Vorhersage für Windrichtung

Eruptionswolke Gas Pyroklasten

Eruptionssäule

Saurer Regen LavaPyroklastischer dom Strom

Lavastrom

Lahar

Pyroklastischer Strom u. Surge

Hangrutschung

Magmakammer

Zeichnung: G. Bräuer-Jux

spezielle Regionen im Zeitbereich von Sekunden ist heute möglich, wenn das seismisch aktive Gebiet in ausreichender Entfernung (20 – 40 km) von der gefährdeten Region liegt. Voraussetzung ist ein Netz von seismischen Messgeräten. Trotz dieser kurzen Warnzeit kann die Zeitspanne genutzt werden, um gefährdete Anlagen wie Kernkraftwerke oder Züge abzuschalten. Beispiele für derartige Systeme sind in Mexiko City, Taipei, Istanbul, Kalifornien und Japan installiert. Vulkaneruptionen – Explosionen aus dem Erdinnern Weltweit sind heute über 500 aktive Vulkane bekannt, von denen pro Jahr etwa 50 ausbrechen. Die Verteilung von Vulkanen auf der Erde zeigt ein bestimmtes Muster, das an den tektonisch vorgegebenen Plattengrenzen der Lithosphäre orientiert ist. 80 Prozent aller Vulkane der Erde sind an konvergierende und 15 Prozent an divergierende Plattengrenzen gebunden. In diesen Zonen dringt Magma durch die lithosphärische Kruste auf und fließt als Lava aus, die an der Erdoberfläche erstarrt. Das Magma besteht aus einer Mischung von Gesteinsschmelze und Gasen. Die Magnitude oder Explosivität einer Eruption wird von den chemischen Eigenschaften dieser Mischung und ihrer Zähigkeit (Viskosität) bestimmt. Je mehr Siliziumdioxid (SiO2) die Schmelze enthält, desto explosiver ist die vulkanische Eruption. Durch ihren hohen SiO2Gehalt gehören die Vulkane in den Subduktionszonen zu den explosivsten der Erde. Vulkane sind natürliche Erscheinungsformen der tektonischen Entwicklung der Erdkruste. Vulkaneruptionen wird es – ebenso wie Erdbeben – immer geben. Die Naturgefahren, die von Vulkanausbrüchen ausgehen, werden durch unterschiedliche Auswurfprodukte des Vulkans bestimmt, die während der Eruption freigesetzt werden. Dazu sind im Einzelnen zu rechnen: ” Vulkanische Gase sind vom Magma und der Lava mitgeführte flüchtige gelöste Bestandteile (Wasserdampf, CO2, H2, CO, SO2, H2S), die während der Eruption austreten. ” Lava ist das an der Erdoberfläche ausströmende Magma. Als Lava wird die Gesteinsschmelze wie auch das erstarrte Gestein bezeichnet. ” Pyroklastischer Strom ist eine heiße Glutlawine, aus der siedende Glutwolken aufsteigen, die aus einer Mischung von Bims und Asche oder sehr feinen Lavablöcken bestehen. Diese Lawinen bewegen sich mit hoher Geschwindigkeit die Vulkanflanken hinab. Eine Unterteilung erfolgt in Ignimbrit, Glutlawinen, Glutwolken, Aschenstrom und Bodenwolke („base surge“). ” Pyroklastischer Fall besteht aus vulkanischem Lockermaterial (Pyroklasten), das bei Eruptio-

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120°

140°

160°

180°

160°

140°

120°

100°

80°

60°

40°

Ring des Feuers

60°

Aleutengraben Kurilengraben Japangraben

30°

Philippinengraben

Marianengraben

Äquator

Mittelamerikanischer Graben

Javagraben Tongagraben

Atacamagraben

30°

60°

Kartographie: G. Bräuer-Jux, 2004

nen durch die Luft fliegt und abgelagert wird. Pyroklasten bestehen aus Bims, Gesteinsbruchstücken und Schlacken unterschiedlicher Korngrößen. Entsprechend der Korngrößen ergeben sich folgende Bezeichnungen: Asche (< 2 mm), Lapilli (2 – 64 mm), Bomben (> 64 mm). Unter Lahars werden vulkanische Schlamm- und Schuttströme verstanden, die aus Wasser und vulkanischem Lockermaterial bestehen. Sie entstehen direkt während der Vulkaneruption, wenn vulkanische Aschen mittels großer Wassermengen (Gletscher- und Schneeschmelze, Ausbruch eines Kratersees) bewegt werden. Ihre Entwicklung kann auch nach Eruptionen erfolgen, wenn ältere Aschenablagerungen durch Starkniederschläge mobilisiert werden. Die Destabilisierung der Vulkanflanken kann zu Hangrutschungen führen, die als Rotationsrutschung beginnen und als Schuttlawine zu großen Materialtransporten führen können. Mit diesen Teilprozessen einer vulkanischen Eruption sind unterschiedliche Naturgefahrentypen verbunden, wobei Reichweite, Geschwindigkeit und Magnitude von entscheidender Bedeutung sind. Es existiert heute kein anerkannter internationaler Index für die Bestimmung der Magnitude von vulkanischen Eruptionen. Ein auf qualitativen und quantitativen Kriterien beruhender Vulkanischer Explosionsindex (VEI), der das gesamte Eruptionsvolumen mit anderen Parametern wie der Höhe der Eruptionssäule kombiniert, wurde

bereits Anfang der achtziger Jahre vorgeschlagen. Die Indexwerte VEI 0 bis VEI 6 wurden mit geschätzten Todesraten in Verbindung gebracht, wobei davon ausgegangen wird, dass die starken und sehr stark explosiven Ereignisse (VEI 4 – VEI 6) Todesopferzahlen von über 20 Prozent der gesamten Bevölkerung im Umkreis des Vulkans nach sich ziehen. Der Index wird auch verwendet, um gewisse Wahrscheinlichkeiten für die Wiederkehr von Vulkaneruptionen anzugeben. Im Mittel wird danach eine Eruption mit VEI = 5 alle zehn Jahre auftreten, mit einem VEI = 7 dagegen nur alle 100 Jahre. Die räumliche Verbreitung von Vulkanen folgt den tektonischen Großstrukturen der Erde. Die bedeutendsten Vulkangebiete umfassen die den Pazifischen Ozean umgebenden vulkanischen Inselbögen und ozeanischen Gräben. Das Gebiet wird als Ring des Feuers („ring of fire“) bezeichnet. In diesem Ring liegen etwa 65 Prozent aller in den letzten 10 000 Jahren aktiven Vulkane der Erde. Dazu sind zu rechnen die Vulkanketten der südamerikanischen Anden, der Westküste der USA und Kanadas sowie der Inselbogen der Aleuten, die Kurilen, Japan, die Philippinen und die südostasiatischen Inselbögen sowie die südwestpazifischen Inselgruppen. Hier liegen mit dem Krakatau (Indonesien, 1883), dem Mount St. Helens (Westküste der USA, 1980) und dem Pinatubo (Philippinen, 1991) die explosivsten Vulkane der letzten Jahrhunderte.

¯ 3.46: Ring des Feuers um den Pazifischen Ozean.

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Foto: US Geological Survey

¯ 3.47: Gefährlicher pyroklastischer Strom am Mount St. Helens im August 1980, drei Monate nach der Haupteruption. Typische Geschwindigkeiten derartiger Ströme sind über 100 Stundenkilometer, die Temperatur kann 400 Grad Celsius erreichen.

Nach Angaben des Geologischen Dienstes der USA sind seit dem 16. Jahrhundert über 300 000 Menschen Opfer von Vulkanausbrüchen geworden. In früheren Jahrhunderten starben die meisten der Opfer von Vulkaneruptionen an indirekten Folgen, wie beispielsweise Nahrungsmittelkrisen nach der Zerstörung der Ernte durch vulkanische Aschen. Der Ausbruch des Tambora-Vulkans in In-

donesien im Jahre 1815 führte wegen der zerstörten Ernte und einer Hungersnot zu mehr als 90 000 Todesopfern. Im 20. Jahrhundert starben die meisten Menschen an den unmittelbaren Folgen der Vulkaneruption. Die verlustreichsten Ausbrüche sind die des Mont Pelée (1902) und des Nevado del Ruíz (1985). Im Mittel sind im 20. Jahrhundert pro Jahr 1000 Menschen von Vulkaneruptionen getötet worden. Im Vergleich zu Erdbeben, Überschwemmungen oder Dürren sind mit Vulkaneruptionen damit vergleichsweise geringere Naturgefahren und Risiken verbunden, da sie eher lokal wirkende Phänomene darstellen. Allerdings ist die starke Zunahme der Todesopfer im 20. Jahrhundert nicht auf eine Zunahme der Frequenz oder Stärke von Vulkaneruptionen zurückzuführen. Es ist zu beobachten, dass immer mehr Menschen in gefährlichen vulkanischen Regionen siedeln und die Gebiete in unmittelbarer Nähe zum Vulkan für die landwirtschaftliche Produktion nutzen. Dieser Trend scheint zuzunehmen. Es wird vermutet, dass heute bereits zehn Prozent der Weltbevölkerung in einer Entfernung bis zu 100 km von Vulkanen leben, die in historischer Zeit aktiv gewesen sind. Bei dieser globalen Entwicklung setzen sich vor allem die wachsenden Städte den Vulkangefahren aus. Mit einer Bevölkerung von über 150 Millionen Menschen bestehen heute für Indonesien weltweit die höchsten Risiken von schadenbringenden Vulkanausbrüchen. In diesem Land sind in der Vergangenheit zwei Drittel aller Todesopfer zu beklagen gewesen. Es wird geschätzt, dass heute weltweit mindestens 500 Millionen Menschen in vulkanischen Gefahrengebieten leben. Hier ist die Ausweisung von Gefahrengebieten eine erste Maßnahme der Katastrophenvorsorge im Rahmen des Risikomanagements. Dazu müssen die direkten und indirekten Gefahrencharakteristika und die Schadentypen der Einzelprozesse der Vulkaneruption berücksichtigt werden. Gefährliche Langzeitwirkungen gehen von Lahars aus, die als Wasser-Sediment-Gemisch nach Niederschlägen noch jahrelang an den Flanken des Vulkans mobilisierbar sind. Die Naturgefahrenkarte für Vulkaneruptionen weist die Gebiete aus, die in Zukunft von einem der genannten Teilprozesse oder -phänomene getroffen werden können. Grundlage dieser Karten bilden das vulkanologische Wissen und die Kenntnisse über die Ausbrüche der Vergangenheit. Die Eigenschaften der vulkanischen Ablagerungen, ihre Reichweiten und Sedimentmächtigkeiten spielen dabei eine wichti-

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Foto: US Geological Survey

Naturgefahren der festen Erde 73

ge Rolle. Die Reichweiten der meisten gefährlichen Einzelprozesse sind bei Vulkaneruptionen auf einen relativ engen Radius von bis zu 200 km beschränkt. Allerdings sind auch ausgeprägte Fernwirkungen vorhanden. Die feinmaterialreichen vulkanischen Aschen können weltweit in die Atmosphäre verteilt werden mit Folgen für das Klima und den Luftverkehr. Auch durch Vulkaneruptionen ausgelöste Tsunamis können ihre Wirkung in beträchtlicher Entfernung entfalten. Gefahrenkarten stehen heute für viele Vulkane in den bevölkerungsreichen Regionen der Erde zur Verfügung. Beispielsweise wurde eine solche Karte einen Monat vor Ausbruch des Vulkans Nevado del Ruíz in Kolumbien im Jahre 1985 fertig gestellt. Sie zeigt hohe und mittlere Gefahrenklassen für Lavaströme, pyroklastische Ströme und pyroklastischen Fall sowie eine hohe Gefahrenklasse für Lahars. Leider hat die Verfügbarkeit der Karte nicht zu einer ausreichenden Vorbereitung auf die Katastrophe geführt. Dem Lahar, der nach dem Ausbruch am 13. November 1985 entstand, fielen über 23 000 Menschen in der Stadt Armero zum Opfer. Gefahrenzonierungen können Planungsbehörden als Grundlage für die Landnutzung und die

Entwicklung der Region dienen. Natürlich müssen diese Maßnahmen finanzierbar sein und von der lokalen Bevölkerung akzeptiert werden. In Abhängigkeit von dem zu erwartenden Eruptionsverhalten des Vulkans können die Gefahrenklassen von gänzlich gesperrten Bezirken bis hin zu Gebieten mit Bebauungsmöglichkeiten mit entsprechendem Schutzverbau reichen. Ein Beispiel für eine derartige Gefahrenzonierung ist der Vulkan Merapi in Indonesien, für den bereits seit den sechziger Jahren entsprechende Gefahrenkarten zur Verfügung stehen. Die Frühwarnung vor Vulkaneruptionen ist eines der wichtigsten Ziele der vulkanologischen Forschung. Eine Komponente ist die Rekonstruktion der Häufigkeit bisher aufgetretener Eruptionen, was allerdings zu ungenau ist, um Vorhersagen im Zeitraum von Wochen oder Tagen abgeben zu können. Die heute wichtigste Komponente der Frühwarnung besteht in der Vulkanüberwachung. Sie wird vor und während eines Ausbruchs vorgenommen und basiert auf mehreren Komponenten. Das Überwachungsverfahren konzentriert sich auf vier Phänomene, die den Ausbruch eines Vulkans ankündigen:

˚ 3.48: Sedimentrückhaltedamm am North-ForkToutle-Fluss, der die bei der Eruption des Mount St. Helens mobilisierten und die in den Fluss gelangten vulkanischen Sedimente zurückhalten soll. Die Auffüllung des Flusstales betrug streckenweise über 100 Meter.

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74 Naturgefahren und ihre Prozesse Karibik

300 km

ive Gualti R

r

0

PANAMA

Manizales

Herveo

Mendez Villa Hermosa Az up en

BRA SILIE

PERU

El Libano Languntilas River

Nevado del Ruiz

Mäßige Gefahr von pyroklastischem Fall

Armero

do R iver

Hohe Gefahr von pyroklastischem Fall

Lerida

Aktuelle Ausdehnung von pyroklastischem Fall

La Sierra Rec io

Hohe Gefahr von Lavaströmen

Hohe Gefahr von pyroklastischen Strömen Mäßige Gefahr von pyroklastischen Strömen Hohe Gefahr von Lahars Laharausdehnung nach der Eruption im November 1985

Ambalema

Rive

r

0

15 km

Venadillo

˚ 3.49: Gefahrenkarte Nevado del Ruíz, die einen Monat vor Ausbruch des Vulkans in Kolumbien im Jahre 1985 fertig gestellt wurde. Bei dem Ausbruch starben in der Stadt Armero 23 000 Menschen durch einen Lahar (Geologischer Dienst der USA). ˘ 3.50: Der durch die Eruption des Nevado del Ruíz erzeugte Lahar vom 13. November 1985 zerstörte die Stadt Armero.

” Erhöhung der lokalen seismischen Aktivität durch vulkanische Erdbeben (Seismometer), hörbare Anzeichen. ” Deformationen der Erdkruste, Erhöhung des Vulkankörpers (geodätische Vermessung, Satellitenfernerkundung). ” Hydrothermale Phänomene durch Erhöhung der Gesteinstemperatur durch aufdringendes Magma (dadurch Gletscher- und Schneeschmelze, Erhöhung der Temperatur von Bächen, Quellen und Kraterseen), Vegetationsbrände an den Vulkanflanken (chemische Analyse). Naturgefahren der festen Erde

Chester, Degg et al. (2001) Hidajat (2002) Hill, Dzurisin et al. (2002) Miller (1989) Münchener Rück (1983) Pelling (2003) Schmincke (2000) Simkin & Siebert (1994) Small & Naumann (2001) USGS (2004d) Winchester (2003) Zschau, Westerhaus & Lühr (2000)

Naturgefahren der festen Erde

Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) www.bgr.de Directorate of Volcanology and Geological Hazard Mitigation Indonesia www.vsi.esdm.go.id GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ) www.gfz-potsdam.de International Association of Volcanology and Chemistry of the Earth’s Interior (IAVCEI) www.iavcei.org Ministry of Civil Defence New Zealand www.mcdem.govt.nz USGS Cascades Volcano Observatory (CVO) http://vulcan.wr.usgs.gov

Foto: US Geological Survey

Mäßige Gefahr von Lavaströmen

ieno

ECUADOR

ja River ndi bu o S

Ma gdo

Vilamaría

River

Guayabal

Bogotá KOLUMBIEN N

Pazifischer Ozean

VENEZUELA

Nevado del Ruiz Armero

” Veränderung der chemischen Zusammensetzung der austretenden Gase (Zunahme der SO2- oder H2S-Konzentrationen) (direkte Messung und Satellitenfernerkundung). Diese Überwachungsverfahren werden heute regelmäßig an einzelnen Vulkanen der Erde eingesetzt. Die seismische Überwachung erfolgt weltweit an etwa 200 Vulkanen. Obwohl die Vorhersagen für den Ausbruch noch unsicher sind, konnten in bestimmten Fällen gute Erfolge erzielt werden. Vor dem Ausbruch des Pinatubo im Jahre 1991 befanden sich über eine Million Menschen innerhalb einer 50 km breiten Gefahrenzone um den Vulkan. Nach intensiven Überwachungsmessungen wurde eine Warnung ausgesprochen, die zur Evakuierung der Bevölkerung in einem Gebietsradius von 40 km führte. Es wird geschätzt, dass diese Maßnahme 5000 bis 20 000 Menschenleben gerettet und die Schäden an Sachwerten um bis zu 190 Millionen Euro reduziert hat. Eine weitere erfolgreiche Frühwarnung rettete im Jahre 1996/97 auf der Karibikinsel Montserrat mehreren Tausend Menschen das Leben.

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Naturgefahren der festen Erde 75 ˘ 3.51: Ausgewählte Tsunamis im Pazifischen Ozean seit 1896. Die Flutwelle in der Sunda-Straße zwischen Sumatra und Java wurde durch den Ausbruch des Vulkans Krakatau im Jahre 1883 verursacht.

Ein großes Problem des Risikomanagements an Vulkanen besteht in der Frühwarnung von Folgeerscheinungen in Form von Lahars. Sie gefährden noch lange nach dem Ausbruch vor allem die Flussläufe und die angrenzenden Gebiete. Schutzmaßnahmen sind hier Baumaßnahmen im Gerinne (nach dem japanischen Ingenieur Sabo so genannte Sabo-Dämme), die die Lahare im Einzugsgebiet zurückhalten sollen. An den Vulkanflanken des Merapi und Pinatubo, aber auch in Japan und anderen Regionen werden heute derartige Schutzbauten in großer Anzahl errichtet. Im Rahmen der Internationalen Dekade für Katastrophenvorsorge der Vereinten Nationen (IDNDR) werden seit den neunziger Jahren an ausgewählten Hochrisikovulkanen der Erde (Dekadenvulkane) Vorhersagesysteme für Vulkaneruptionen entwickelt. Sie beruhen auf umfangreichen Messeinrichtungen, deren Daten zentral gesammelt und ausgewertet werden. Von deutscher Seite werden durch das GeoForschungsZentrum Potsdam und die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe derartige Vorhersagesysteme entwickelt und eingesetzt. Die Systeme an den Vulkanen Merapi in Indonesien und Galeras in Kolumbien sind Beispiele für diese Entwicklungen. Tsunamis – die großen Flutwellen Das katastrophale Tsunami-Ereignis am 26. Dezember 2004 im Indischen Ozean hat die hohe Verwundbarkeit bestimmter Küstenzonen der Erde dokumentiert. Der Tsunami wurde durch ein Seebeben der Magnitude 9,0 vor der Nordwestküste Sumatras ausgelöst. In dieser zum Sundagraben gehörenden Region taucht die Indisch-Australische Platte unter die Eurasische Platte. Dieses Gebiet gehört zu den bedeutendsten Entstehungsgebieten von Tsunamis, die dort keine Seltenheit sind. Im Jahre 1992 wurde durch ein Erdbeben vor der südöstlich gelegenen Insel Flores ein Tsunami auslöst, der mit einer Wellenhöhe von 26 m über 1000 Menschen tötete. Auf Java und Mondoro forderte eine Flutwelle im Jahr 1994 zahlreiche Todesopfer, auf Papua-Neuguinea starben 1998 bei einer 10-MeterWelle 3000 Menschen. Im Unterschied zu den Tsunami-Katastrophen der letzten 120 Jahre hat die Katastrophe im Dezember 2004 ein bisher nicht gekanntes Ausmaß. Die Küsten von sieben Ländern waren betroffen. Tsunamis sind ozeanische Wellen, die durch Senkung und Hebung des Meeresbodens bei Erdbeben, Vulkaneruptionen, Abbrüchen von Vulkan-

Todesopfer

Kommmentare

> 15

36 000

Tsunami durch Vulkanausbruch, Einfahren pyroklastischer Ströme in die Sunda-Straße zwischen Sumatra und Java

8,5

38

27 000

Kolumbien, Ecuador

8,7

5

1000

1933

Sanriku, Japan

8,4

29

3065

1946

Aleuten, USA

7,8

35

165

1952

KamtschatkaHalbinsel, Russland

8,2

15

1960

Chile

9,5

20

2300

1964

Alaska

9,2

1992

Nicaragua

7,2

10

170

1992

Flores, Indonesien

7,5

26

1000

1993

Hokkaido

7,6

30

230

1994

Java, Indonesien

7,2

14

222

1994

Mindoro, Philippinen

7,1

7

74

1998

PapuaNeuguinea

7,1

10

3000

2001

Peru

8,3

5

50

26.12.2004

Sumatra, Indonesien

9,0

15

Datum

Region

1883

Krakatau, Indonesien

1896

Sanriku, Japan

1906

Erdbebenmagnitude

Maximale Wellenhöhe (m)

Zerstörung eines 30 m über dem Meeresspiegel gelegenen Gebäudes Im gesamten Pazifik messbar, Wellenhöhe auf Hawaii 6 m Bis zur Katastrophe im Indischen Ozean das stärkste Ereignis der letzte Jahrzehnte, Fernwirkung bis Hawaii, Japan

119

> 220 000

flanken oder untermeerischen Rutschungen verursacht werden. In der Presse wurde diese Naturgefahr mit Bezug auf die Vulkane auf den Kanarischen Inseln in letzter Zeit mehrfach beschrieben. Die Inselgruppe war in der geologischen Vergangenheit durch den Kollaps von Vulkanflanken der Auslöser von Tsunamis des Atlantischen Ozeans. Dies geschah vor 160 000 bis fast eine Million Jahren. Wissenschaftler entwickeln inzwischen Szenarien für die Inseln El Hierro und La Palma, die zu einem verbesserten Verständnis derartiger Ereignisse mit sehr großen Magnituden führen sollen. Ereignet sich ein Erdbeben am Meeresboden, kann dadurch ein Tsunami ausgelöst werden. Die

Im gesamten Pazifik messbar

Im gesamten Pazifik messbar Opfer- und schadenreichster der bisher bekannten Tsunamis, im gesamten Indischen Ozean messbar, Fernwirkung bis Ostafrika

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76 Naturgefahren und ihre Prozesse ˘ 3.52: Schematische Darstellung der Entwicklung eines Tsunami mit abnehmender Entfernung zur Küste.

10,6 km

213 km

23 km 10 m 50 m

4000 m

Wassertiefe (m)

7000 4000 2000 200 50 10

Aufwärts- und Abwärtsbewegung des Meeresbodens führen zu einer radialen Energiefortpflanzung in Form langperiodischer Wellen. Draußen im freien Ozean kann der Tsunami Geschwindigkeiten von 500 –1000 km/h erreichen. In Küstennähe verlangsamt sich die Geschwindigkeit auf wenige zehn Stundenkilometer. Bevor die Welle die Küste trifft, zieht sich das Meer durch eine deutlich beobachtbare Absenkung des Wasserspiegels zurück. Die Wellenhöhe, mit der ein Tsunami die Küste trifft, ist von zahlreichen Faktoren abhängig. Zu den wichtigsten gehören die Wassertiefe, die Amplitude und Periode der Welle sowie die Form der Küstenlinie. Im Unterschied zu den von der Windwirkung erzeugten Oberflächenwellen der Ozeane erstreckt sich die Wellenenergie eines Tsunami bis an den Meeresboden. In Küstennähe konzentriert sich daher die Wellenenergie in vertikaler Richtung. Verursacht wird dies durch die Verringerung der Wassertiefe, durch eine Verkürzung der Wellenlänge und durch eine Abnahme der Wellengeschwindigkeit. So kann sich eine nur ein Meter hohe Tsunami-Welle in der Ozeanmitte zu einer mehrere zehn Meter hohen und äußerst verheerenden Küstenwelle entwickeln. Einer der schadenträchtigsten Tsunamis der letzten 50 Jahre ereignete sich am 22. Mai 1960 in Chile. Bei diesem Ereignis wurden sämtliche chilenischen Küstenstädte zwischen dem 36. und 44. Breitengrad durch die Flutwelle und das Erdbeben selbst völlig oder teilweise zerstört. Über zwei Millionen Menschen wurden obdachlos. Die maximale Wellenhöhe an der Küste lag bei 20 m. Weitere Schäden erstreckten sich auf fast alle Küsten des pazifischen Rings des Feuers. Noch auf Hawaii waren eine Wellenhöhe von elf Metern sowie Schäden von rund 20 Millionen Euro zu verzeichnen; in Japan starben mehr als 100 Menschen. Die Fernwirkung der Tsunamis ist eine Besonderheit dieses Naturgefahrentyps. Im gesamten Pazifik gab es in den letzten 200 Jahren mindestens 18 dieser destrukti-

Wellengeschwindigkeit (km/h)

Wellenlänge (km)

943 713 504 159 79 36

282 213 151 48 23 11

ven Tsunami-Ereignisse. Die starken Flutwellen im Pazifischen Ozean seit 1990 wurden durch Erdbebenmagnituden größer als 7,0 ausgelöst. In Japan führten Tsunamis im 19. und 20. Jahrhundert zur Zerstörung ganzer Küstenregionen. Auch an den Küsten Europas treten Tsunamis auf. Die aktivste Region ist das Mittelmeer, durch das die Grenze der Eurasischen und der Afrikanischen Platte verläuft. Auswertungen historischer Archive und zahlreicher Geländebefunde an den Küstensedimenten weisen für die letzten 2000 Jahre mindestens 20 starke Tsunami-Ereignisse im Mittelmeer nach. Es soll betont werden, dass diese Auswahl lediglich die stärkeren Ereignisse betrifft. Wissenschaftler gehen zurzeit mehreren Hundert Hinweisen von früheren Tsunamis im Mittelmeer nach. Die meisten von ihnen sind auf die Wirkung von Erdbeben zurückzuführen. Allerdings sind auch untermeerische Rutschungen bekannt, die zu örtlich begrenzten Flutwellen geführt haben. Die Forschungen zur Rekonstruktion dieser Prozesse sind bei weitem noch nicht abgeschlossen. Ein Frühwarnsystem für Tsunamis existiert im Mittelmeer nicht. Auch andere Komponenten des Risikomanagements, wie erzieherische Maßnahmen, Evakuierungspläne und Soforthilfeplanungen sind nicht oder in nicht ausreichendem Maße vorhanden. Verschärfend kommt im Mittelmeer hinzu, dass wegen der geringen Meeresausdehnung mit Vorwarnzeiten von nicht mehr als einer Stunde zu rechnen ist. Die durch das Erdbeben in Algerien (Magnitude 6,8) ausgelöste zwei Meter hohe Flutwelle vom 21. Mai 2003 erreichte die Insel Mallorca in weniger als 30 Minuten und verursachte hohe Sachschäden. Nach der Flutwelle im Indischen Ozean wurde häufig die Frage nach den Tsunami-Gefahren im Atlantik und speziell in der Nordsee gestellt. Im Unterschied zum Pazifik und den aktiven Kontinentalrändern der Erde gilt der Atlantik durch ein Auseinanderdriften der ozeanischen Platten und

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der passiven Kontinentalränder Amerikas, Europas und Afrikas als wenig gefährdet. Allerdings zeigen Untersuchungen der letzten Jahre, dass das Kollabieren von Vulkanflanken (Kanarische Inseln, Azoren) und untermeerische Rutschungen am Kontinentalabhang (ostamerikanische Küste, Neufundland, norwegische Küste) in der Vergangenheit auch im Atlantik zu Tsunamis geführt haben. Das Alter derartiger Ereignisse wird mit bis zu 840 000 Jahren (Teneriffa) angegeben. Es sind nach den bisherigen Erkenntnissen weitaus seltenere Ereignisse als an den aktiven Kontinentalrändern des pazifischen Raumes. Eine Berücksichtigung der Häufigkeit derartiger Ereignisse im Risikomanagement und eine darüber hinausgehende Kosten-Nutzen-Bewertung der Schutzziele in Bezug auf diese Häufigkeit sind äußerst schwierig. Es betrifft die Katastrophenvorsorge für sehr seltene, aber äußerst folgenreiche Prozesse. Hier stellt sich die Frage, wie ein operatives Risikomanagement für ein Tsunami-Ereignis aufgebaut sein sollte, das nach dem Kollaps einer Vulkanflanke der Kanarischen Inseln eine Welle von 100 m Höhe erzeugt, das aber vielleicht statistisch nur einmal in 125 000 Jahren auftritt. Um größere wissenschaftliche Sicherheit über derartige Phänomene zu erhalten, sind mehrere Forschungsprojekte mit der Erkundung dieser wichtigen Frage beschäftigt. Grundsätzlich wird der Bedeutung derartiger großskaliger Naturprozesse in Zukunft größere Aufmerksamkeit geschenkt.

Ein Tsunami kann die Küste in unterschiedlicher Art und Weise treffen. In bestimmten Fällen ist lediglich die Überflutung niedrig gelegener Küstenbereiche zu beobachten, in anderen Fällen kann eine vertikale Wasserwand mit extrem hoher Energie auf die Küste treffen. Die dadurch verursachten Schäden können drei Klassen zugeordnet werden: ” Küstenüberflutung, ” mechanische Wellenwirkung auf Bauwerke, ” Küstenerosion. Starke Tsunami-Wellen sind in der Lage, die Fundamente großer Bauwerke wie Brücken oder Schutzwälle zu erodieren und zu zerstören. In Häfen können Schiffe, Kaianlagen und die Infrastruktur beschädigt oder zerstört werden. Häfen sind selbst bei kleinen Tsunami-Wellen ebenso verletzbar wie Ölraffinerien und andere industrielle Anlagen. Oft entstehen Sekundärfolgen wie chemische Wasserverschmutzungen. Das Risikomanagement von Tsunamis umfasst mehrere Elemente der Katastrophenvorsorge. Eine Gefahrenkarte für Tsunamis gibt an, wo eine potenziell schadenverursachende Welle einer bestimmten Größe einen bestimmten Küstenausschnitt treffen wird. Die Entwicklung derartiger Gefahrenkarten erfordert zahlreiche Informationen: ” mögliche Tsunami-Quellen (Erdbeben, Vulkaneruptionen, Hangrutschungen, Kollaps von Vulkanflanken);

Datum

Region

Ursache

Maximale Wellenhöhe (m)

Todesopfer

1755

Lissabon

Erdbeben mit Magnitude 8,5

15 (im Tejo-Trichter), 10 – 30 (an der Atlantikküste)

Durch das Erdbeben 60 000 – 100 000, durch Tsunami über 900

1755

Cádiz, Spanien

Lissabon-Erdbeben

15

50

1783

Kalabrien

Erdbeben mit Magnitude > 7

9

Durch das Erdbeben 60 000 – 80 000, durch Tsunami mehrere Tausend

Auch das Kalabrien-Erdbeben von 1693 führte zu zahlreichen Tsunami-Opfern

1908

Messina, Italien

Erdbeben mit Magnitude 7,5

11

Durch das Erdbeben 75 000 – 100 000, durch Tsunami mehrere Hundert oder Tausend

Tsunami in der Straße von Messina

1956

Amorgos, Griechenland

durch Erdbeben verursachte untermeerische Rutschung

Zahlreiche Todesopfer

Sehr eng begrenztes Gebiet

1979

Nizza, Frankreich

untermeerische Rutschung

4

11

Sehr eng begrenztes Gebiet

2003

Mallorca und Nachbarinseln, Spanien

Erdbeben in Algerien vom 21. Mai 2003, Magnitude 6,8

2



Tsunami-Geschwindigkeit ca. 700 km/h, hoher Sachschaden auf Mallorca

30

Kommentare

Tsunami erreichte Lissabon 20 Minuten nach dem Erdbeben, das 250 – 300 km vor der Küste auftrat

¯ 3.53: Auswahl von Tsunami-Ereignissen im Mittelmeer seit 1755.

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78 Naturgefahren und ihre Prozesse

Kanada

Seattle Seattle Washington (USA)

Seattle

Überflutungshöhe

Elliott Bay

0 – 0,5 m 0,5 – 2,0 m 2,0 – 5,0 m

0

2 km

stitutionen und Zentren aufgebaut worden. Durch die Frühwarnung können bereits Stunden vor dem Eintreffen der Welle angemessene Evakuierungsmaßnahmen eingeleitet werden. Die Internationale Koordinationsgruppe für Tsunami-Warnsysteme im Pazifik („International Coordination Group for the Tsunami Warning System in the Pacific“, ICG/ITSU) koordiniert und steuert die Aktivitäten. Die ICG/ITSU veröffentlichte mehrere Generalpläne zur Katastrophenvorsorge, die in allen Küstenländern des pazifischen Raumes in den nationalen Katastrophenvorsorgeplänen verwendet werden. Das Tsunami-Frühwarnzentrum für den Pazifik („Pacific Tsunami Warning Center“, PTWC) ist die Leitstelle für das operative Tsunami-Warnsystem („Tsunami Warning System“, TWS). Das PTWC wird durch den Nationalen Wetterdienst der USA betrieben. Das 1968 gegründete Internationale Tsunami- Informationszentrum („International Tsunami Information Center“, ITIC) in Honolulu auf Hawaii ist für die Aufzeichnung und Sammlung von Informationen im Rahmen der internationalen Warnaktivitäten im Pazifik verantwortlich. Es berät alle pazifischen Staaten in Fragen der Frühwarnung vor Tsunamis und anderer Belange der Katastrophenvorsorge. Die Tsunami-Vorwarnung beruht auf einer Vielzahl von Messverfahren und Messgeräten, die land-, see- und weltraumgestützt arbeiten. Zum Einsatz kommen seismische Messungen der Erdbebenaktivität und -lokalität, Messungen der Meeresspiegelhöhe und der vulkanischen Ereignisse sowie Messungen der Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle. Von entscheidender Bedeutung für die Vorhersage ist das Verständnis des Verhaltens der Welle. Nur dadurch kann eine erhöhte Genauigkeit erreicht werden. Vor allem in den USA, Japan und Russland werden dazu seit Jahrzehnten intensive Forschungen betrieben. Die Warnung wird über verschiedene Informationsnetze an die regionalen und lokalen Dienste weitergegeben. Das Tsunami-Warnbulletin gibt Warnungen für betroffene Staaten heraus, die den Zeitpunkt des Eintreffens, die mögliche Wellenhöhe und andere für die Vorbereitung auf den Kata-

Kartographie: G. Bräuer-Jux, 2004

” Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens; ” Eigenschaften der davon ausgehenden Tsunamis; ” historische Quellen und Zeugnisse der TsunamiEntstehung (Flankenabbrüche an den Kanarischen Inseln, untermeerische Rutschungen an Vulkanflanken oder Kontinentalabhängen); ” historische Quellen und Zeugnisse der TsunamiFolgen wie Todesopfer und Sachschäden an den Küsten, aber auch über durch die Wellen bewegte Sedimente (Tsunami-Rekonstruktion). Weitere Methoden der Gefahrenbewertung bestehen in der numerischen Modellierung der Tsunami-Wellen und der Ausweisung von Überflutungsflächen. Ein Beispiel einer Tsunami-Gefahrenkarte ist die modellierte Überflutungskarte für die Stadt Seattle im US-Bundesstaat Washington. Das Modell simuliert ein Erdbeben an der Seattleverwerfung und die mögliche Konsequenz in Form von drei Überflutungsklassen bis maximal fünf Meter. Die Tsunami-Frühwarnung ist ein entscheidendes Element der direkten Vorbereitung auf den Katastrophenfall. Dazu sind im Pazifik mehrere In-

¯ 3.54: Tsunami-Gefahrenkarte für Seattle im US-Bundesstaat Washington. Dargestellt sind drei Überflutungsklassen bis maximal fünf Meter Wellenhöhe (Stadtverwaltung Seattle).

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Naturgefahren der festen Erde 79

23 Stunden 22 21

Pacific Tsunami Warning Center (PTWC)

20 19 18 17

16

Pazifischer

15 14 13 12

Äquator

11 10 Epizentrum des Seebebens vom 26.12.2004

9 8 7 6 5 4

Indischer Ozean

3 2 1 Ozean

Wasserstandsmesser Erdbeben-Messstation Tektonisch aktive Zone

Tsunami auslösendes Seebeben von 1960

Tsunami-Warnbojen Ring des Feuers

strophenfall wichtige Informationen enthalten. Wenn das Erdbeben allerdings in unmittelbarer Küstennähe auftritt, ist eine Frühwarnung möglicherweise nur noch innerhalb weniger Minuten oder überhaupt nicht mehr möglich. Damit wird die Evakuierung extrem erschwert oder unmöglich. Die Tsunami-Warnung selbst kann nur eine der Komponenten eines integralen Risikomanagements für Tsunamis sein. Entscheidend ist nicht nur, dass und wie die Warnung die potenziell betroffenen Bevölkerungsgruppen erreicht, sondern dass vorbereitende Evakuierungsmaßnahmen auch trainiert wurden und ausreichend an die lokalen Situationen angepasstes Informationsmaterial verbreitet wurde. Als Beispiel eines nationalen Programms der Katastrophenvorsorge für Tsunami-Gefahren, das einen derart integralen Ansatz verfolgt, soll das Nationale Tsunami-Katastrophenvorsorge-Programm („National Tsunami Hazard Mitigation Program“) der USA genannt werden, das von mehreren wissenschaftlichen und operativen Organisationen und Bundesstaaten getragen

Kartographie: G. Bräuer-Jux, 2004

˚ 3.55: Tsunami-Laufzeiten im Pazifik nach dem schweren Erdbeben in Chile im Jahre 1960. Auswahl von Messstationen des Pazifischen Tsunami-Frühwarnsystems, das die Leitstelle für das operative Tsunami-Warnsystem im Pazifischen Ozean darstellt (Pacific Tsunami Warning Center).

wird. Im Rahmen des Programms werden seit mehreren Jahren Richtlinien und Maßnahmenvorschläge der Katastrophenvorsorge für die fünf gefährdeten Bundesstaaten Alaska, Washington, Oregon, Kalifornien und Hawaii entwickelt. In diesen Staaten sind fast 900 000 Menschen in insgesamt 489 Gemeinden durch potenzielle Tsunamis gefährdet. Die Gefahrenbewertung beruht auf einer angenommenen Wellenhöhe von 17 m. Grundlage der Maßnahmenplanung vor Ort bildet ein Katalog mit sieben Grundsätzen der Katastrophenvorbeugung und -vorbereitung: ” Kenntnis der Tsunami-Risiken der Gemeinde: Naturgefahr durch den Tsunami, Gefahrenzonenpläne, Verletzbarkeit der Risikoelemente und Exponiertheit gegenüber dem Prozess.

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80 Naturgefahren und ihre Prozesse

˚3.56 + 3.57: Küstenschutz an der japanischen Küste 50 km südlich von Yokohama. Vor der zehn Meter hohen Schutzmauer, auf der der Fotograf steht, befindet sich die Vorzone des Strandes, die mit Zehntausenden Tetrapoden als Wellenbrecher geschützt wird. Der Preis für eine aus hochwertigem Beton gegossene Tetrapode liegt bei über 7500 Euro. Das Wohngebiet beginnt direkt hinter der Schutzmauer.

” Vermeidung neuer Bebauungsplanungen in Tsunami-Gefahrenzonen, um zukünftige Schäden zu verringern. ” Schutzbauten, wenn sich Bebauungen in Tsunami-Gefahrenzonen nicht vermeiden lassen. ” Entwicklung und Bau neuer Tsunami-resistenter

Gebäude, um Todesopfer und Sachschäden zu vermeiden. ” Der Schutz existierender Bebauungen und Nutzungen vor Tsunamis stellt eine äußerst schwierige Herausforderung dar. Für viele finanzkräftige Küstengemeinden sind Schutzbauwerke die einzig real existierende Option der Risikoverminderung. ” Die Infrastruktur und die öffentlichen Gebäude und Einrichtungen der Gemeinden wie das Straßen- und Schienennetz, Kommunikationsnetze, Wasser-, Gas- und Elektrizitätseinrichtungen sind besonders schutzbedürftig. Sie müssen fortlaufend gefahrenbezogen gewartet werden.

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Naturgefahren der festen Erde 81 ¯ 3.58: Mangrovenwälder stellen einen biologischen Schutz gegen hohe Wellen des Meeres dar. Weltweit sind heute die Hälfte aller Flächen durch den Bau von Städten, Siedlungen, Fischzucht und Touristenhotels verschwunden.

” Entwicklung von Evakuierungsplänen für jede Gemeinde, die nach einer Tsunami-Warnung in Kraft treten müssen. „Horizontale“ Evakuierung meint den Transport der Bevölkerung in sichere Zonen des Hinterlandes, die „vertikale“ Evakuierung erfolgt in die höher gelegenen Bereiche der Gebäude. Küstenschutzmaßnamen gegen Tsunamis in Form von Schutzmauern kommen heute in Japan an zahlreichen Küstenabschnitten zur Anwendung. Sie sind jedoch, ähnlich wie Flussdeiche, nicht unumstritten, da sie eine vermeintliche Sicherheit vorNaturgefahren der festen Erde

ITIC (2004) Kelletat & Scheffers (2004) National Tsunami Hazard Mitigation Program (2001) NOAA (2004b) Scheffers (2002) Schweizer Rück (1991a, 1991b) Simkin & Fiske (1983) Soloviev, Solovieva et al. (2000) TWSP (2004) USGS (2004e) Walsh, Titov et al. (2003)

Naturgefahren der festen Erde

International Tsunami Information Center (ITIC) www.prh.noaa.gov/pr/itic National Tsunami Hazard Mitigation Program USA www.pmel.noaa.gov/ tsunami-hazard Pacific Disaster Center www.pdc.org Pacific Tsunami Museum www.tsunami.org Tsunami Engineering Laboratory, Tohoku University www.tsunami.civil.tohoku.ac.jp Tsunami Research Center, University of Southern California http://cwis.usc.edu/dept/tsunamis

spiegeln. Hohe Wellen können selbst mehr als zehn Meter hohe Mauern überwinden. Eine wichtige Maßnahme des Küstenschutzes wird im Erhalt und in der Neuanpflanzung von biologischen Schutzschilden („bioshields“) und im Erhalt und Schutz der Korallenriffe gesehen. Die Rekultivierung der Mangrovenwälder in Südostasien gehört somit zu den wichtigsten Arbeiten der Katastrophenvorsorge der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Hier wird die direkte Verbindung zwischen Umweltzerstörung und zunehmender Katastrophenanfälligkeit überaus deutlich. Klaus Töpfer, der Leiter des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, stellt dazu fest, dass wir eine robuste Natur brauchen, die natürlichen und für den Menschen gefährlichen Prozessen standhalten kann. Dazu müssen Wälder, Mangroven und Korallenriffe erhalten und geschützt werden. Massenbewegungen – wenn das Erdreich sich bewegt Massenbewegungen umfassen eine äußerst breite Gruppe von Prozessen an der Erdoberfläche selbst und in der oberflächennahen Lithosphäre. Diese Prozessgruppe wird häufig als Hangrutschungen bezeichnet. Rutschungsprozesse stellen allerdings nur ein Phänomen dieser Gruppe dar. Massenbe-

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wegungen treten weltweit als Einzelphänomene oder in Kombination mit Vulkanausbrüchen oder Erdbeben auf. Es sind in der Regel lokale Phänomene mit hohem Schadenspotenzial, die ihre Wirkung allerdings auch über mehrere Kilometer verbreiten können. Einige der am häufigsten genannten Einzelereignisse sind ” die Vaiont-Felsgleitung (1963) in den italienischen Alpen, bei der 250 Millionen m3 Festgestein mit hoher Geschwindigkeit in den Vaiontstausee abglitten. Die Flutwelle überspülte den Staudamm, zerstörte mehrere Ortschaften und forderte fast 2000 Todesopfer, ” der durch eine Vulkaneruption und eine schmelzende Eiskappe ausgelöste Lahar des Nevado del Ruíz in Kolumbien, der im Jahre 1985 über 20 000 Todesopfer zur Folge hatte, und ” die Murenabgänge im Dezember 1999 an der Nordküste Venezuelas mit über 30 000 Toten. Es gibt weltweit nur sehr wenige Regionen, in denen diese Prozessgruppe nicht auftritt. Seit Mitte der siebziger Jahre ist global ein zunehmender Trend vor allem für die Zahl der Ereignisse erkennbar. Diese Zunahme ist in erster Linie auf die massive Aus-

˚ 3.59: Die größte Küsten-Hangrutschung Englands (Folkestone Warren) an der Südküste in Kent. Die sich seit Jahrtausenden bewegende Masse wurde durch den Hafenbau am Hangfuß im 19. Jahrhundert destabilisiert und beschleunigt und zerstörte 1915 die Eisenbahnlinie und den Zug, der 50 m transportiert wurde. Die abgerutschte Masse ist drei Kilometer lang und 150 m mächtig. Die heutige Eisenbahnlinie verläuft auf der Oberfläche des Rutschungskörpers, der durch massiven Verbau des Hangfußes am Strand stabilisiert werden soll.

dehnung menschlicher Siedlungen in instabile Hangregionen und in die Ablagerungsgebiete von Hangrutschlagen zurückzuführen – und dies vor allem in weniger entwickelten Ländern. Trotz eindeutiger Indizien und Nachweise in Form von abgelagerten Sedimenten werden heute vielerorts selbst in Gefahrenzonen von Murgängen oder Felslawinen massive Siedlungsvorhaben durchgezogen. Faktoren, die die destabilisierenden Kräfte am Hang erhöhen, können durch natürliche Prozesse, aber auch durch menschliche Eingriffe in das System hervorgerufen werden. Dazu gehören: ” Zunahme der Hangneigung durch natürliche Hangunterschneidung (Flusserosion) und durch

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künstliche Eingriffe in den Hang oder Hangfuß (Straßenbau, Bauen am Hang). ” Zunahme der Auflast eines Hanges durch natürlichen Felssturz und durch Gebäudebau, Bau von Infrastruktur und Verkehrswegen, Abfalldeponierung, Bewässerung, Schwimmbadbau. ” Entfernung der Hangvegetation durch natürlichen Waldbrand und Rodung durch den Menschen. ” Erschütterungen durch natürliche seismische Aktivität (Erdbeben, Vulkaneruption) und durch vibrierende Maschinen (Fahrzeuge, Baumaßnahmen). Die Aufzählung zeigt, dass Hänge äußerst sensitive Systeme sind, deren Stabilität durch zahlreiche natürliche Faktoren, aber auch durch menschliche Eingriffe derart reduziert wird, dass sie kollabieren können. Unter gravitativen Massenbewegungen versteht man bruchlose und bruchhafte hangabwärts gerichtete Verlagerungen von Fels- und/oder Lockergesteinen aufgrund der Schwerkraft. Massenbewegungen können als sehr schnell (Bergsturz, Murgang, Steinschlag) oder als langsam ablaufende Prozesse (Rutschung, Bergzerreißung) auftreten. Es gibt die fünf unterschiedlichen Typen des Fallens, Kippens, Gleitens (Rutschens), Driftens und Fließens. Die Mechanismen gravitativer Massenbewegungen beruhen grundsätzlich auf dem Kräfteund Spannungssystem am Hang. Den stabilisierenden Kräften des Hangmaterials (boden- und felsmechanische Eigenschaften) stehen die destabilisierenden Kräfte (Hanghöhe und -neigung, Poren-

wasserdruck) gegenüber. Bei Störung des Hanggleichgewichts, etwa durch Niederschläge oder durch ein Erdbeben, wird der Prozess ausgelöst. Wichtig ist, dass sich die destabilisierenden Kräfte am Hang durch Verwitterung oder allmähliche Entlastung des Gesteins (beispielsweise nach dem Rückgang des Eises am Ende der letzten Eiszeit vor 11 000 Jahren) auch langsam aufbauen können. Aus diesen Gründen ist es nicht einfach, ältere Prozesse mit den heutigen Ereignissen zu vergleichen. Die große Spannbreite dieser Prozessgruppe und der damit einhergehenden Vorgänge hat entscheidende Bedeutung für das Risikomanagement. Darüber hinaus sind die durch Massenbewegungen hervorgerufenen Naturgefahren nicht nur eine Folge von Ereignissen hoher Magnitude, sie werden entscheidend durch Hangbewegungen verursacht, die mit geringerer Magnitude, jedoch höherer Frequenz auftreten oder die einen kontinuierlichen Bewegungscharakter aufweisen. Es muss heute davon ausgegangen werden, dass Massenbewegungen weltweit großräumig verteilt sind, in starkem Maße durch menschliche Aktivitäten verursacht werden und hohe und zunehmende Gesamtverluste verursachen. Durch die unvollständige Inventarisierung dieser Schäden und dadurch, dass sie selten in die Schadenstatistiken Eingang finden und anderen Prozessen zugeordnet werden (Erdbeben, Hochwasser oder Vulkanausbrüche), wird ihre weltweite Bedeutung deutlich unterschätzt. Die Diversität der Prozesstypen erfordert eine differenzierte Konzeption der Risikobewertung

Prozesstyp

Definition

Beispiel

Fallen

Fels- oder Lockergestein stürzt frei fallend, springend oder rollend ab

Felssturz, Steinschlag

Kippen

Vorwärtsrotation von Fest- oder Lockergestein eines Hanges um eine Achse unterhalb ihres Schwerpunktes

Felskippung, Kippung im Lockersubstrat

Gleiten a) rotationsförmig b) translationsförmig

Gleiten: hangabwärts gerichtete Bewegung von Festoder Lockergestein auf Gleitflächen

a) Rotationsrutschung b) Translationsrutschung, Blockgleitung, Blattanbruch, Schollenrutschung, Felsgleitung, Schuttrutschung, Schuttstrom

Driften

Laterale Bewegung von Fest- oder Lockergesteinen mit einem Einsinken in die liegenden Schichten ohne intensive Scherung

Bergzerreißung, Felsdriften, Bodendriften

Fließen

Kontinuierliche, irreversible Deformation von Fest- oder Lockergesteinen, bei der die Geschwindigkeitsverteilung der bewegten Masse der einer viskosen Flüssigkeit gleicht

Murgang, Sackung (Felsfließen), Talzuschub

Komplex

Kombination der genannten Prozesse, wobei sich der anfängliche Prozesstyp während der Hangabwärtsbewegung verändert

Sturzstrom, Bergsturz

¯ 3.60: Klassifikation und Beispiele von gravitativen Massenbewegungen.

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84 Naturgefahren und ihre Prozesse ¯ 3.61: Die Hangrutschung La Conchita in der Küstenregion von Südkalifornien. Der Prozess ereignete sich im Frühjahr 1995 und wurde im Januar 2005 nach extremen Niederschlägen reaktiviert. Die Einwohner mussten evakuiert werden. Im Jahr 2005 starben Bewohner der Siedlung, zahlreiche Häuser wurden vollständig zerstört.

Foto: US Geological Survey

Wirbelstürmen oder konvektiven Starkniederschlägen, ausgelöst werden und lokal zu katastrophalen Schäden führen. Für die USA werden jährlich Schäden von rund 1,5 Milliarden Euro und 20 – 50 Todesopfer genannt. Die Entwicklung von Naturgefahrenkarten und die in Planungsverfahren einsetzbare Gefahrenzonierung bilden eine der Grundlagen des Risikomanagements. Sie basiert auf Daten aus der Rekonstruktion historischer Ereignisse („die Vergangenheit ist der Schlüssel für die Zukunft“), der räumlichen Auswirkung dieser Ereignisse, ihrer Darstellung in Karten sowie anderen Methoden und Modellen, wie der Simulation des Prozesses und seiner Folgen. Das Ergebnis ist eine auf das Gebiet bezogene Aussage zur Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen Ereignisses in einer bestimmten Zone. Im Vergleich zu anderen Naturgefahrentypen hat sich die räumliche Gefahrenzonierung von gravitativen Massenbewegungen weltweit noch nicht durchgesetzt. Es liegen nur wenige Einzelbeispiele vor. Eine neue Methode der Frühwarnung durch Kombination von Gefahrenhinweiskarten („landslide susceptibility maps“) mit Vorhersagen der räumlichen Niederschlagsverteilung wurde während der Extremniederschlagsperiode Anfang Januar 2005 in Südkalifornien durch den Geologischen Dienst der USA im Internet zur Verfügung gestellt. Die Warnung mit Hinweisen auf die möglichen Prozesstypen (Rutschungen und Murenabgänge) wurde über Presseerklärungen an verschiedene Medien ausgegeben, die für die Verbreitung sorgten. Die Verletzbarkeit von Risikoelementen muss bei den gravitativen Massenbewegungen ebenfalls prozessspezifisch differenziert werden. Die direkte Gefahr für Menschen ist bei Felsstürzen, Kippungen, schnellen Hangrutschungen und Murgängen vorhanden. Murgänge sind in gebirgigen Regionen äußerst gefährliche Prozesse, da sie sich mit Geschwindigkeiten von bis 20 Metern pro Sekunde

und des Risikomanagements. Voraussetzung der Naturgefahrenanalyse und ihrer kartographischen Darstellung ist die Erkennung des Phänomens im Gelände. Dies ist nicht immer einfach, da die Ausprägungen im Gelände durch andere Prozesse überformt werden können. Standardisierungen zur Klassifikation, der äußeren Erscheinung, der geotechnischen Eigenschaften, des Aktivitätszustandes oder des Alters sind daher im Rahmen der Entwicklung geeigneter Vorsorgemaßnahmen unerlässlich und heute auch verfügbar. Anzustreben ist indes die Publikation geeigneter Handbücher, die auch dem Nicht-Experten Unterstützung bieten. Gravitative Massenbewegungen können zu hohen Sachschäden und zu vielen Todesopfern führen. Die großen Schadensereignisse in China und Tadschikistan wurden durch Erdbeben ausgelöst, andere Ereignisse sind als Folge von Vulkaneruptionen aufgetreten. Allerdings geben diese Zahlen nicht die Häufigkeit von Ereignissen wider, die durch starke Niederschläge, etwa bei tropischen

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keine Gefahrenhinweise Santa Barbara Ventura Oxnard Ontario

P a

San Bernardino

Santa Monica

z i f i s c

Corona Los Angeles

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Irvine

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O

bewegen können, so dass Fluchtmöglichkeiten oftmals eingeschränkt sind. Das Risikomanagement sah aufgrund dieser Verschiedenartigkeit der Prozessgruppe spezielle Aktivitäten und Maßnahmen vor. Die Auswahl und der Aufbau geeigneter Maßnahmen hängen von der Häufigkeit und der Intensität des natürlichen Ereignisses, den zu erwartenden ökonomischen Schäden und Todesopfern, der Realisierbarkeit des Vorhabens (unter den gegebenen ökonomischen, politischen und sozialen Bedingungen) sowie den Zielvorgaben in Bezug auf die zu verhindernden Schäden und Todesopfer ab. Man unterscheidet dabei zwischen strukturellen und nicht-strukturellen Vorsorgemaßnahmen sowie indirekten und direkten Wirkungen. Auch die Instrumente der Raumplanung sind von entscheidender Bedeutung, wenn über die zukünftige Bebauung in Gefahrenzonen entschieden werden soll.

z

Long Beach

e

a

n Laguna Beach

Niederschlagsvorhersage vom 10. 01. 2005 (10 Uhr) bis 11. 01. 2005 (16 Uhr) 31 mm 102 mm 152 mm 203 mm 254 mm 305 mm 356 mm

Gefahrenhinweis für Rutschungen und Murgänge

0

50 km

˚ 3.62: Am 10. Januar 2005 durch den Geologischen Dienst der USA im Internet publizierte Karte der für die nächsten zwei Tage vorhergesagten Niederschläge für Südkalifornien nördlich und südlich von Los Angeles. Die Karte enthält ferner gebietsbezogene Gefahrenhinweise für Rutschungen und Murgänge.

Massenbewegungstyp

Risikoelemente und Verwundbarkeit

Felssturz, Steinschlag

Gefahr für Menschen, Zerstörung von Gebäuden, Leitungen, Verkehrswegen und Vegetation, Blockierung von Verkehrswegen, Flutwelle in künstlichen und natürlichen Seen durch einstürzende Massen, dadurch Gefahr für Menschen, Murenabgangbildung, „glacier lake outburst flood” (GLOF), Straßen- und Tunnelzerstörung, Dammbruch durch Flutwelle

Kippung

Gefahr für Menschen, Zerstörung von Gebäuden, Leitungen, Verkehrswegen und Vegetation, Blockierung von Verkehrswegen

Hangrutschung (langsam)

Beschädigung linearer Leitungssysteme, Schiefstellen von Infrastruktureinrichtungen, Überlandleitungen, Verkehrswege, Liftmasten, Gebäude

Hangrutschung (plötzlich und schnell)

Gefahr für Menschen, Flutwelle in künstlichen und natürlichen Seen durch Einfahren der Massen, Zerstörung von Gebäuden, Leitungen, Verkehrswegen und Vegetation, Blockierung von Verkehrswegen

Schuttstrom

Zerstörung von Gebäuden, Leitungen, Verkehrswegen und Vegetation

Murgang

Gefahr für Menschen, Zerstörung von Gebäuden, Leitungen, Verkehrswegen und Brücken, Flußabdämmung, plötzliche Geschiebefracht für Vorfluter, Vermurung landwirtschaftlicher Nutz- und Siedlungsflächen

Talzuschub

Flutwelle in künstlichen und natürlichen Seen durch Einfahren der Massen, dadurch Gefahr für Menschen, Murenabgangbildung, nach Starkniederschlägen Straßen- und Tunnelzerstörung, Gebäudeschädigung und -zerstörung, Nutzungsbeschränkung durch Ablösung von Teilschollen

San Diego

¯ 3.63: Auswahl von Risikoelementen und ihre Vulnerabilität für unterschiedliche Typen von Massenbewegungen.

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Dikau, Brunsden et al. (1996) Dikau, Stötter et al. (2001) Morton, Alvarez & Campbell (2003) Moser (1997) Münchener Rück (1998) Partnerships for Reducing Landslide Risk (2004) Schuster & Highland (2001) Turner & Schuster (1996) UN (1996) UNDP (2004) USGS (2001, 2005) WP/WLI (1993) Naturgefahren der festen Erde

Anaheim Landslide Homepage http://anaheim-landslide.com Canadian Geotechnical Society (CGS) www.cgs.ca Deutsche Gesellschaft für Geotechnik (DGGT) www.dggt.de USGS National Landslide Information Center http://landslides.usgs.gov World Bank Hazard Management Unit www.worldbank.org/hazards

In zahlreichen großen Städten der weniger entwickelten Länder kommt das Problem hinzu, dass Wohnraum in nicht zur Bebauung ausgewiesenen Gebieten errichtet wird. Heute leben Millionen Menschen vor allem der ärmeren Bevölkerungsschichten in ungenehmigten Siedlungen, die in vielen Fällen in den gefährdeten und aus diesem Grund ungenutzten Zonen einer Stadt entstehen. Hier kann versucht werden, mit Auflagen in Bezug auf oberflächenverändernde Aktivitäten (Hangunterschneidung, Hangbelastung) Gefahrenerhöhungen zu vermeiden. Wenn gefährliche Regionen bereits besiedelt sind, müssen direkte Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Dazu zählen der geotechnische Verbau (Schutzdämme, Stützmauern,

Felsverankerungen, Drainage und Entwässerung der Hänge und Rutschmassen) sowie vernünftige Warnhinweise an gefährlichen Stellen. Konflikte aufgrund von Nutzungsbedürfnissen in solchen Zonen durch den Tourismus können weltweit beobachtet werden. Die Implementierung von Frühwarnsystemen im weitesten Sinne umfasst sowohl die Gefahrenzonierung als auch die Vorhersage bestimmter Wetterereignisse, die als Auslöser der Prozesse wirken. Die technischen Verfahren sind heute sehr weit entwickelt – allerdings auch teuer, wie die Echtzeit-Überwachung einzelner Rutschungskörper mit Bewegungsmessern oder mit Satellitenfernerkundung, so dass sie bisher nur in den reichen Ländern der Erde zum Einsatz kommen.

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Die Gesellschaft in Bewegung – Naturrisiken und ihre Prozesse Historische Naturkatastrophen – Zeugnisse einstiger Schicksalsschläge Seit jeher mussten die Erdbewohner leidvoll erfahren, dass „Mutter Natur“ in Bewegung ist. Lange bevor der Mensch den Blauen Planeten besiedelte, bekamen die Tiere die zerstörerischen Kräfte der Geosphäre zu spüren. Die bis heute größten Lebewesen unseres Planeten, die Dinosaurier, gab es schon vor etwa 230 Millionen Jahren. Von der Trias bis zum Ende der Kreidezeit – also etwa 170 Millionen Jahre lang – beherrschten sie die Erde. Warum sie vor 65 Millionen Jahren urplötzlich verschwanden, ist eines der ersten und bis heute ungelösten Rätsel der Evolutionsgeschichte. Für das Aussterben der Dinosaurier gibt es verschiedene Erklärungen. Einige Wissenschaftler glauben, dass sie allmählich durch die Säugetiere verdrängt wurden. Andere sehen die Hauptursache in heftigen Vulkanausbrüchen, die am Ende der Kreidezeit die Erde erschütterten. Gewaltige Eruptionen hätten die Sonne über Jahre verdunkelt, wodurch die Vegetation massiv reduziert wurde. Dadurch seien zuerst die Pflanzenfresser und schließlich die großen Fleischfresser verhungert. Erneuten Auftrieb erhielt die populärste These mit der Entdeckung des 180 km breiten Chicxulub-Kraters auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán im Jahr 1990. Demzufolge hat ein zehn Kilometer großer Meteorit die obersten zehn Kilometer der Erdkruste an besagter Stelle weggeschleudert und die Erdkruste um weitere zwanzig Kilometer nach unten gedrückt. Die Wucht des Aufpralls setzte riesige Mengen an Staub und Gas frei, worauf sich die Atmosphäre verdunkelte und die Temperaturen auf der Erde drastisch fielen. Das Massenartensterben erfolgte quasi durch einen Mix aus weltweiten Bränden, Flutwellen, schwefelsaurem Regen und Klimaschwankungen. Möglich ist aber auch, dass die größte „Naturkatastrophe“ gar keines Meteoriteneinschlags bedurfte, sondern durch einen selbstorganisierten kritischen Prozess ausgelöst wurde. Aus der Physik weiß man, dass die Evolution im Stande ist, ein interaktives dynamisches System von sich heraus in einen kritischen Zustand zu überführen. Schon ein winziges Ereignis könnte eine Kettenreaktion in Gang gesetzt haben, die letztlich im Verschwinden dieser Tierpopulation mündete. Eindeutig nachgewiesen ist indes, dass Vogelgruppen wie Reiher und Möwen bereits in der Kreidezeit existierten und Zeitgenossen der Dinosaurier wa-

ren. Die Reptilien sind gar nicht ausgestorben, so wird vermutet, sondern haben sich nur zu Straußen, Pinguinen, Papageien und Spatzen weiterentwickelt. Genauso umstritten ist die so genannte „NoahFlut-Hypothese“, nach der das Mittelmeer vor etwa 7500 Jahren am Bosporus durchbrach, das dahinter liegende Land überflutete und so das heutige Schwarze Meer geschaffen hat. Die US-Forscher Walter Pitman und William Ryan wollen durch die Entdeckung von alten Süßwassermuscheln auf dem Grund des Schwarzen Meeres den Beweis für den geschichtlich wahren Kern hinter der biblischen Sintflut erbracht haben. Ihrer Ansicht nach stieg der Meeresspiegel durch die Temperaturerhöhung nach der letzten Eiszeit um 120 m und überflutete schließlich den dünnen Landstreifen. Mit bis zu 100 km/h sollen damals täglich rund 40 km3 Wasser durch den Bosporus geschossen sein und den Süßwassersee mitsamt der vom Menschen geschaffenen Kulturlandschaft begraben haben. Berichte von einer gewaltigen Flut sind allen Völkern der Erde gemeinsam. Hinweise finden sich in den Felsenzeichnungen der australischen Aborigines ebenso wie im Alten Testament, bei den Sumerern oder in der germanischen Ursage „Edda“. Ob mit der Erklärung der beiden Amerikaner „ein Rätsel entschlüsselt wird“ – so der Untertitel ihres Buches –, bleibt vorerst noch ungeklärt. Denn Beobachtungen anderer Forscher lassen darauf schließen, dass es schon sehr viel früher Salzwasser im Landesinneren gegeben hat. Demnach sei der Wasserspiegel des Schwarzen Meeres zwar angestiegen, bis zum Erreichen des heutigen Niveaus seien aber 8000 Jahre vergangen. Von einer plötzlichen Flutkatastrophe kann deshalb keine Rede sein. Die zerstörerische Kraft des Wassers hat im Verlauf der Geschichte unseres Planeten unzählige Menschenleben gefordert. Als eine der schwersten Überschwemmungen gilt die des Gelben Flusses im Jahr 1332. In China führte sie zu Missernten und Hungersnöten und gipfelte schließlich in der Ausbreitung der Pest. Den von Kaiser Schun Ti erlassenen Befehlen zur Regulierung des Hoangho und die damit einhergehende Erhöhung der Abgaben sorgten im Jahr 1348 für erste Unruhen. 1351 kam es im Guanghe-Gebiet zum Aufstand der „Roten Kopftücher“ aufgrund missglückter Flussregulierungen. Die schweren Überschwemmungen rissen rund sieben Millionen Menschen in den Tod und

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88 Die Gesellschaft in Bewegung ˘ 4.1: Die Aufgabe menschlicher Niederlassungen ist oftmals mit Naturkatastrophen verbunden. Bei Akrotiri, dem bedeutendsten Handelszentrum der Minoer, sind sich die Historiker sicher. Ob die mexikanische Teotihuacán-Kultur einem Feuer zum Opfer gefallen ist, wird momentan erforscht. Die Entschlüsselung des Rätsels von Atlantis steht noch aus.

Naturkatastrophe? Teotihuacán war im 3. Jahrhundert n. Chr. das Zentrum der ersten indianischen Hochkultur und die größte Stadt des amerikanischen Kontinents. Während ihrer Blütezeit wohnten dort mehr als 85 000 Menschen und mit über 20 km2 Fläche war es größer als Rom. Warum die Metropole in Zentralmexiko verlassen wurde, ist nicht geklärt. Bei Ausgrabungen entdeckte Brandspuren deuten auf eine Feuersbrunst als mögliche Ursache hin. Vielleicht gelingt es den Archäologen mit ihren Ausgrabungen, dieses Rätsel zu lösen.

eine erfolglose Hochwasserpolitik leitete das Ende des letzten Herrschers der mongolischen Jüan-Dynastie ein. Als in nur sechs Tagen die Hälfte der jährlichen Niederschlagsmenge fiel, kam es im Juli 1342 in ganz Mitteleuropa zu den vermutlich schlimmsten Überschwemmungen des Jahrtausends. Die Chroniken von Regensburg, Passau und Wien beschreiben das „Magdalenenhochwasser“ als katastrophal. In Würzburg stand das Wasser des Mains bis kurz vor dem Dom, in Mainz so hoch, dass es „im Dome einem Manne bis an den Gürtel ging“. Frankfurt war fast ganz überflutet und in Köln war der Rhein so angestiegen, dass man in Nachen über die Stadtmauer fuhr. Verheerende Schäden verursachten auch Mosel, Moldau, Elbe, Werra, Unstrut und Weser. Selbst in Kärnten und der Lombardei kam es zu Überschwemmungen. Ähnlich katastrophal dürften auch die Folgen der Eisflut vom 28. Februar 1374 gewesen sein. Sie zählt mit Pegelständen über 14 Meter zu den schwersten Hochwasserereignissen am Rhein.

Sturmfluten begleiten die Geschichte der Küstenländer. Am 17. Februar 1164 leitete die so genannte „Julianenflut“ die Entstehung des Jadebusens ein und richtete bis ins heutige Niedersachen enorme Schäden an. Die „Marcellusflut“ am 16. Januar 1219 betraf vor allem Westfriesland, doch auch an der Westküste Schleswig-Holsteins ertranken rund 10 000 Menschen. Der „Luciaflut“ vom 14. Dezember 1287 sollen 50 000 Küstenbewohner zum Opfer gefallen sein, doch es war die zweite „Marcellusflut“ am 16. Januar 1362, die als „Große Mandränke“ in die Chroniken einging. Im niederländischen Dort versanken 1421 trotz bereits vorhandener Deichsysteme zwanzig Dörfer und 100 000 Menschen kamen in einer Sturmflut ums Leben. Als Jahrhundertsturmflut kann die „Burchardiflut“ („Zweite Große Mandränke“) vom 11. Oktober 1634 bezeichnet werden, die allein in Nordfriesland 9000 Menschenleben forderte. Die Insel „Strand“ wurde in Nordstrand und Pellworm zerrissen, die Halligen „Nieland“ und „Nübbel“ mit 1300 Häusern, 28 Windmühlen und 50 000 Stück Vieh verschwanden im

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Historische Zeugnisse – das Eishochwasser 1784 in Köln „Vom 23. April bis 27. Juli hatte es im Rheingau nicht geregnet, denn die einzigen Regenstöber, die man hatte, waren so fein wie Nebel und benetzten kaum die Oberfläche des Staubes, so daß man in einer Viertelstunde nichts mehr davon sah, und konnten nicht für Regen gelten. Der Rhein war deshalb bis an das Ende des Jahres so klein, daß ein Mann fast hätte durchgehen können.“ „In den äussersten Gränzen der Stadt, zur Feldseite nämlich, machte man schon Anstalten um alle Geräthschaften und Waaren aus den Kellern und dem Unterhause in Sicherheit zu bringen; denn man sah mit schaudervollen Blicken einer allgemeinen Ueberschwemmung der ganzen Stadt entgegen, zumal das Wasser nicht nur Rheinwärts, sondern auch von der Feldseite zu den Stadthoren hineindrang.“ „Ich begreife nicht wie es kommt, daß der Strom nicht eben leicht hier, als an anderen Oertern zufriere: die Erfahrung lehrt indessen, daß es auch bey der bittersten Kälte nicht geschehe; es sey denn das Eis habe sich vorab bey Köln gesetzt: so, daß das von oben herab kommende den Weg gesperret finde. Auf diese Art kam es auch diesmal: von Köln bis, wer weiß wie weit, in Holland stand der Strom. Nun brach in diesem Jahre zum dritten Male das Moseleis. Dieses bringt allemal viel Wasser mit, welches, wenn der Rhein untenher nicht ausserordentlich fest stehet, das Eis hebt, vor sich fort treibt, und so dem nachfolgenden Luft und Raum machet. Diesmal war das Eis bey Köln zu dick und fest, als das es sich hätte heben oder forttreiben lassen; es war mithin eine notwendige Folge, daß der Rhein oberhalb sehr hoch ward, und das Moseleis denselben allmählig, bis Bonn zu, wölbete. Er stand daselbst am 26. Jänner schon, und weil wieder herbe Kälte einfiel, so setzete er sich immer fester und höher bis fast nach Andernach. Die Mosel war inzwischen von neuem zugefroren. In den Bergen lag ein gräulicher Schnee; und nun kam in der Nacht vom 21. auf den 22ten Hornung Thauwetter mit Regen: von allen Seiten hörte man von Ueberschwemmungen, die auch durch kleine Bäche rund umher angestellet wurden. Den 25. brach die Mosel zum viertenmale. Das Eis derselben fließ mit großer Gewalt auf den Rand des Rheineises. Von oben her bis Bonn war das letztere nicht ausserordentlich dick: aber hier hatte es schon längst die schweresten Frachtwagen getragen. Etwas unter Bonn bey Rheindorf war die Eisdecke gleich einem Felsen hart und dick; das Eis wich also nach dem Stoße nicht weiter als bis Rheindorf; und da es hier starken Widerstand fand, wurde es mit der größten Gewalt unter und über sich getrieben, woher denn ein Damm entstand, der dem häufig zufließenden Wasser den Durchgang verschloß.“

„Durch die itzt gemeldte Ueberschwemmung geschrecket, ließ man aus Vorsicht, um noch größern Uebeln vorzubeugen, ein paar Dämme aufwerfen, die ungefähr 7 Fuß höher waren, als das Wasser am 17. gestanden hatte, und nun lebte man der gesicherten Hofnung, daß man wenigstens von dieser Seite ausser Gefahr seyn würde.“ „Der Rhein stand ohnerachtet des mit Regen abwechselnden Sonnenscheines noch etliche Tage. Endlich den 27. Hornung (ein Tag, dessen Andenken auch der spätesten Nachwelt zum Schrecken seyn wird) folgte der Aufbruch, und verhängte über die Häupter der Kölner und ihrer armen Nachbarn das grausame Schicksal.“ „Itzt geschahen neue Nothschüss; das Wasser fing an so hoch zu steigen, daß nach einigen Stunden die kleine Batterie, worauf die Kanon stand, und wovon bereits oben gemeldet worden, schon ganz überschwemmet war.“ „Noch hatte der Strom unterhalb Bonn bey Rheindorf keine Luft; das Eis gieng mithin sehr langsam, und verursachte durch sein Ausdringen zur Seite, und durch den Widerstand, den jede Scholle bey derjenigen fand gegen welche sie anstieß, ein entsetzliches Krachen und Rauschen, grade so: als wenn der heftigste Sturmwind von dem entsetzlichsten Donner und Hagel begleitet unsere Ohren betäubet hätte. Bey dieser Verfassung schwoll das Wasser immer höher: eine halbe Stunde darnach stand das Eis wieder mauerfest. Feyerliche Stille herrschete itzt in der ganzen Gegend, die aber halb durch das Herüberschallen der Sturmglocke, und durch das entsetzliche Hilfgeschrey aus dem jenseitigen Dorfe Beuel unterbrochen ward.“ „… eine öffentliche Procession angestellt, um mit vereinigtem Gebethe Errettung von dem Allmächtigen zu begehren; mit dem hochwürdigen Gute wurde der Segen über den tobenden Strom gegeben, damit im Namen dessen, dem Wind und Meer gehorsamen, sich die Fluthe legen möchte. Aber nein; die Stunde war da, daß sich der Allmächtige der betrangten Einwohner erbarmte; er sah die Bußthränen seines Volkes, er hörte das kindliche Flehen seiner Söhne, und sein Vaterherz konnte nicht unbeweglich bleiben; er zog sein gezücktes Schwert zurück, und gab Gnade. O welchen Dank sind wir ihm nicht schuldig, daß er zur gerechtesten Abstrafung unserer Sünden uns Güter nahm, die doch noch durch ausserordentlichen Fleiß wieder können erhalten werden, um uns jenen kostbaresten Schatz das süße Leben zu lassen, dessen Verlust immer unersetzlich bleibt.“„Man versprach denjenigen ausserordentliche Belohnungen, die die Gefahrleidenden retten würden. Ich kenne Schifleute, die den ganzen Tag hindurch nur beschäftiget waren jene, die sich in der Noth befanden, in ”

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Sicherheit zu bringen; man wollte diese wackern Leute belohnen, allein sie wollten kein Geld; die Liebe des Nächsten, sagten sie, verpflichtet uns unsern Brüdern beyzuspringen.“ „Die Viehzucht, die die meisten unserer Einwohner ernähret, ist ganz zu Grunde gerichtet. 500 Stück Hornvieh, 400 Schaafe, 250 Schweine, 40 Pferde, und all unser Federvieh ist in dem Eismeere zu Grunde gegangen; […] der Flecken, der sonst nebst schönen Häusern die angenehmsten Lustgärten, und reizende Spaziergänge hatte, sieht beynahe einem zerstöreten Jerusalem gleich. Schier alle Häuser sind beschädiget, zwanzig sind eingestürzet, und man besorget den Umfall noch mehrerer. Die schönsten Weingärten sind verdorben; ansehnliche Obst- und Gewürzgärten, fruchtbare Aecker, alles, alles ist verwüstet. Die Weinzäpfer, die wegen den angelegten Lustgärten täglich den häufigsten Zulauf aus Köln hatten, werden wegen Zernichtung ihrer Gärten noch eine lange Zeit aller Nahrung beraubet bleiben. Ueberhaupt wird in Zukunft in unserm ganzen Flecken Kummer, Noth und Armuth herrschen.“ „Zugleich bestellten Ihre Kurfürstl. Gnaden Kommissarien, die über den wahren Zustand der Unglücklichen zuverläßigen Bericht einziehen, und einem jeden alle mögliche Hilfe schaffen sollten. Zu dem Ende wurde eine öffentliche Kollecte angestellet, und eine allgemeine Kasse eröfnet, wo jeder christlich gesinnte Unterthan die seinem Mitbürger bestimmte Beysteuer gegen Quittung hintragen könnte. Seine Kurfürstl. Gnaden legten zuerst (doch mit Vorbehalt, daß sie den Armen auf noch andere Weise beyspringen würden) einsweilen dreyhundert Karolins hinein; diesem herrlichen Beyspiele ist bisher der Hof, die Stadt, ja das ganze Land mit vielem Eifer nachgefolget. Unter andern haben sich hier vorzüglich ausgezeichnet: das hochwürdige Domkapitel zu Köln, die gesamte Geistlichkeit, verschiedene einzelne Abteyen und Klöster.“

„Die preiswürdigste Regierung zu Düsseldorf unterläßt auch nicht den gedruckten, so viel möglich, unter die Armen zu greifen. Aus den kurfürstlichen Magazinen ist eine beträchtliche menge Getraid ausgeliefert worden; die nächst gelegenen Aemter müssen täglich Spann- und Schaufeldienste leisten; auch ist den benachbarten Oertern aufgegeben worden eine dem Raume ihres Ortes angemessene Anzahl dachloser Mülheimer in ihre Häuser aufzunehmen.“ „Durch die weisesten Anordnungen des löblichen Magistrats, durch die mitleidige Hilfe der Geistlichen, und unzähliger Patrioten, und vornämlich durch die väterliche Sorge der Seelsorger wurde es dahin gebracht, daß kein einziger von den Nothleidenden trostlos blieb; allen wurde Dach und Nahrung besorget.“ „Itzt sah man wieder die traurigsten Wanderschaften: wiederum räumten sehr viele Familien, die in ihre verlassenen Wohnungen noch kurz vorher im Triumphe zuruckgekehret waren, dieselben itzt zum zweytenmale, da hingegen andere, ein wenig zu unerschrocken, sich zu bleiben entschlossen. Unter den Flüchtlingen fanden sich viele Fremde, und unter diesen recht liederliche Leute; die so unmenschlich waren den Unglücklichen das Wenige fortzureissen, was ihnen bey der Ueberschwemmung noch übrig geblieben war. Diese Raubsucht ward so stark, daß schier nirgend mehr Sicherheit war. Mittelerweile wurden von dasigem Herrn Vogte verschiedene Anstalten getroffen diese Diebereyen zu hemmen; man bot die Nachbarn zur Wache auf; allein diese waren nicht bestand dem Unheile vorzukommen, bis endlich der Herr Hauptmann Zunelmaglio mit einem Theile seines Jägerkorps herbey ruckte, und der Raubsucht auf einmal ein Ende machte.“

Historische Zeugnisse …

N. N. (1784)

Wasser. Schwere Schäden verursachte auch die „Halligflut“ in der Nacht zum 4. Februar 1825. Neueren Datums, aber nicht weniger erwähnenswert, ist die „Hollandsturmflut“ vom 1. Februar 1953, welche die niederländischen Deiche an 67 Stellen durchbrach und 2000 Menschen tötete. An der deutschen Küste bekamen die Deichsysteme ihre letzten Bewährungsproben während der „Hamburg-Sturmflut“ im Februar 1962, der „Jahrhundertflut“ am 3. Januar 1976, der „Nordfrieslandflut“ am 24. November 1981 und zuletzt während der Sturmfluten vom 26. bis 28. Februar 1990. Eine besonders schwere Zerstörungskraft entwickelt Wasser in Form der Tsunamis. Die in der

Regel durch Vulkanausbrüche, Erdbeben und Erdrutschungen ausgelösten Wellen mit extrem großer Länge brachten vor allem den pazifischen Küstenbewohnern enorme Verluste. Der Ausbruch des indonesischen Vulkans Krakatau am 27. August 1883 hatte bis zu 40 m hohe und 600 Tonnen schwere Flutwellen zur Folge, die auf den benachbarten Inseln Java und Sumatra rund 36 000 Menschen töteten und enorme Schäden anrichteten. Im japanischen Honshu forderte der 30 m hohe Tsunami „Meiji Sanriku“ am 15. Juni 1896 fast 22 000 Opfer. Am 3. März 1933 tötete „Showa Sanriku“ an gleicher Stelle 3068 Menschen. Aber nicht nur im Pazifik, sondern auch in Lissabon (1755) und in Hilo

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auf Hawaii (1946) verursachten durch Erbeben ausgelöste Wellen riesige Schäden. In Alexandria sollen bei einer Flutwelle am 21. Juli 365 v. Chr. über 50 000 Menschen umgekommen sein. Katastrophal sind aber nicht nur die Kräfte des Wassers, sondern auch der Mangel der kostbaren Flüssigkeit. Bereits Tacitus schrieb, dass im Jahr 70 n. Chr. der Rhein durch „eine in jenem Himmelsstriche unbekannte Trockenheit kaum zur Schifffahrt tauglich war, daher kärgliche Zufuhr; Wachtposten wurden längs des ganzen Ufers aufgestellt, um die Germanen am Durchwaten zu verhindern, und aus eben dieser Ursache gab es weniger Feldfrüchte und mehr Verzehrer“. Die genaue Erfassung der Menschenverluste ist bei Dürren aufgrund der schwierigen örtlichen und zeitlichen Eingrenzung des Ereignisses nicht immer einfach. Oft fehlt es an genauen Daten und auch für die Versicherungen, die im Allgemeinen über ausgezeichnete Katastrophendaten verfügen, spielt die nur geringe ökonomische Schäden verursachende Naturgefahr eine untergeordnete Rolle. Zudem ist der Übergang von auslösender Trockenheit (Dürre) und verursachenden Sozialstrukturen (Hungerkatastrophe) oft nicht erkennbar. Nimmt man die Anzahl der verlorenen Menschenleben als Bezugsgröße, so muss sie auch heute noch als schadenträchtigste Naturgefahr eingestuft werden. Allein in Indien kamen im letzten Jahrhundert (1900, 1942 und 1965 – 1967) über vier Millionen Menschen durch Dürren ums Leben. 1921 fielen in der Sowjetunion 1,2 Millionen, 1928 in China drei Millionen und 1972 – 1975 im Sahel 250 000 Menschen der Trockenheit zum Opfer. Dass die natürlichen Niederschlagsschwankungen oftmals nur indirekt für die katastrophalen Menschenverluste verantwortlich sind, zeigt eine weitere Hungerkatastrophe in China. Bis Ende der fünfziger Jahre hat das Land noch Getreide exportiert, zwischen 1959 und 1961 starben rund 40 Millionen Menschen an den Folgen von Unterernährung. Stürme verursachen mit die höchsten Schäden. Allerdings kommen heute aufgrund von Schutzbauten und Vorhersagesystemen weniger Menschen als früher ums Leben. Vor allem die in Asien auftretenden Taifune und Zyklone haben im Verlauf der Geschichte viele Menschenleben gefordert. Die schwersten Wirbelstürme töteten am 27. Juli 1922 in China 100 000 und am 12. November 1970 in Bangladesch 300 000 Menschen. Vor allem Letzteres hatte 1942 (61 000), 1965 (36 000), 1988 (5708) und 1991 (138 866) die zerstörerische Kraft des Windes schon mehrmals zu spüren bekommen. Im benachbarten Indien verursachten Wirbelstürme in den Jahren 1935 (60 000), 1942 (40 000), 1998 (10 000) und 1999 (15 000) schwere menschliche Verluste. 1906 starben in Hongkong

˘ 4.2: Mit der Natur in Einklang und in Gefahrensituationen zusammenhalten. Im Farbholzschnitt „Die große Woge“ des japanischen Künstlers Katsushika Hokusai (1760 – 1849) bilden Himmel und Woge das Ying-Yang-Symbol, die zerstörerische Kraft des Wassers (Ying) gleichen die gelassenen Fischer (Yang) aus. Die Farbgleichheit von Vulkan und Woge verweist auf die enge Verbundenheit zwischen Berg (Körper) und Wasser (Seele).

10 000 Menschen durch einen Taifun. Heute würde ein solcher Taifun bei unzureichender Vorwarnung in einer der am dichtesten besiedelten Regionen der Erde vermutlich weitaus mehr Opfer fordern. Auch die atlantischen Pendants, die Hurrikane, haben ihre zerstörerische Kraft schon mehrfach unter Beweis gestellt. Im Jahr 1998 rissen gleich zwei Wirbelstürme – „George“ und „Mitch“ – rund 14 600 Menschen in Zentralamerika und der Karibik in den Tod. Im Jahr 1900 starben 6000 Menschen im amerikanischen Galveston durch einen Hurrikan, am 3. Oktober 1949 wurden Yucatán, Honduras und Guatemala schwer verwüstet. 1963 kommen auf Haiti über 5000 Menschen und 1974 auf Honduras rund 8000 Menschen durch tropische Wirbelstürme ums Leben. Auch den endogenen und exogenen Kräften unseres Erdfestkörpers sind unzählige Menschen zum Opfer gefallen. Einer der größten Vulkanausbrüche der Menschheitsgeschichte hat vor etwa dreieinhalbtausend Jahren die griechische Insel Santorin (griechisch Santorini, auch Thera genannt) förmlich weggesprengt. Erstarrte Lavamassen, herumliegende Bimssteinkugeln und die friedlich vor sich hin sprudelnden heißen Quellen deuten heute kaum noch darauf hin, dass das Inseldorf Akrotiri einst das bedeutendste Handelszentrum der Minoer war. Beim Vulkanausbruch um etwa 1645 v. Chr. sollen rund 30 km3 Magma in riesigen Aschewolken und pyroklastischen Strömen ausgestoßen worden sein. Die hoch gelegene Mitte der Insel stürzte ein und versank 300 m tief im Meer. Damit verschwand auch die minoische Kultur in der Bedeutungslosigkeit – und es kam die Geburtsstunde des Mythos von Atlantis. Da kaum Reste menschlicher Körper gefunden wurden, geht man davon aus, dass große Teile der Bevölkerung aufgrund vorausgegangener Erdbeben schon vor dem Ausbruch die Insel verlassen haben. Offensichtlich hatten die Inselbewohner die Vorzeichen erkannt und vorsorgend gehandelt. Dagegen kam die Eruption des Vesuvs am 24. August 79 n. Chr. für die Einwohner von Pompeji und Herculaneum überraschend. Der Bericht von Plinius dem Jüngeren dokumentiert ausführlich die

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˘ 4.3: Ein eingestürztes Gebäude in Tokio nach dem großen Erdbeben von 1923. Die meisten Opfer forderten allerdings die an mehreren Stellen gleichzeitig ausbrechenden Feuerstürme.

vulkanische Katastrophe, die beide Städte unter meterhohen Schichten aus Asche und Bimsstein begrub. Durch den Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im Jahr 1815 starben unmittelbar 10 000 – 12 000 Menschen, weitere 50 000 – 80 000 sollen durch die nachfolgenden Erdbeben und Flutwellen ums Leben gekommen sein. Die bis in 1600 km Entfernung zu hörende Explosion reduzierte den Vulkankrater um 1300 Höhenmeter auf 2821 m und wirbelte Staub bis in 70 km Höhe auf. Das Eruptionsmaterial – die Schätzungen gehen von 90 – 150 km3 aus – bedeckte eine halbe Million Quadratkilometer, was in etwa der Fläche Frankreichs entspricht. Auf der 500 km entfernten Insel Java herrschte bereits am Mittag fast vollständige Dunkelheit und innerhalb eines Jahres gingen die Temperaturen aufgrund des geringeren Sonnenlichts weltweit um fünf bis zehn Grad zurück. Manche Historiker machen den Ausbruch auch für die Choleraepidemie verantwortlich. Infolge von geringen Niederschlägen und Missernten kam es in den Folgejahren zu starken Wanderungsbewegungen, die den Krankheitserreger durch britische Kolonialtruppen von Indien aus über Mittelasien nach Russland, Europa, Arabien und schließlich in die Neue Welt verschleppt haben sollen. Auf Martinique starben am 8. Mai 1902 angeblich 30 000 Menschen durch einen Ausbruch; im Inselstaat Indonesien – mit rund 130 aktiven Vulkanen eines der vulkanisch und seismisch aktivsten

Gebiete der Erde – sind es in den Jahren 1909 und 1919 zusammen über 10 000. Zu den schwersten Eruptionen des 20. Jahrhunderts zählt der Ausbruch des Mount St. Helens im US-Bundesstaat Washington am Morgen des 18. Mai 1980. Der Druck aus dem Erdinneren riss innerhalb weniger Minuten die gesamte Nordflanke des Vulkans ab und ließ 400 Meter hohes Erdmaterial abstürzen. Die Asche- und Gesteinsmassen füllten ein Tal von 62 km2 und innerhalb von Sekunden verglühten Tiere und Pflanzen im 700 Grad Celsius heißen Lavastrom oder erstickten in den Gasen. Eine riesige Staubwolke stieg in weniger als 15 Minuten 24 km in die Höhe, verwandelte die umliegenden Wälder in eine aschgraue Wüste und verdunkelte den gesamten Osten des Bundesstaates. Dass bei dem Vulkanausbruch und den dadurch ausgelösten Erdbeben und Hangrutschungen „nur“ 57 Menschen zu Tode kamen, ist den vorausgegangenen intensiven Beobachtungen zu verdanken. Ohne Vorwarnungen forderte am 13. November 1985 der deutlich schwächere Ausbruch des Nevado del Ruíz in Kolumbien 21 800 Opfer, bei einer der schwersten Hangrutschungen kamen 1949 in der Sowjetunion 12 000 Menschen ums Leben. Die meisten Menschen, die 1556 in der chinesischen Provinz Shansi leben, haben ihre Wohnungen in die Hänge der gut zu bearbeitenden Lössschichten gehauen. Doch diese praktische Art des Wohnungsbaus wird ihnen am Morgen des 23. Januar zum Verhängnis. Erdbebenstöße der Stärke

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Historische Naturkatstrophen 93 ¯ 4.4: Während des großen Kanto-Bebens 1923 starben rund 145 000 Menschen und viele Gebäude in der Nähe des Hypozentrums wurden völlig zerstört. Auffallend ist die hohe Anzahl von Opfern in der Kernstadt Tokio, die zwar außerhalb des Hypozentrums in der Bucht liegt, in der aber viele Menschen durch Brände in den Holzhäuservierteln ums Leben kamen.

Anzahl der Toten und Vermissten

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10 000

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Quelle: nach Kajima Institute Publishing

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Glaser (2001) Groh, Kempe & Mauelshagen (2003) Jakubowski-Tiessen (1992) Jakubowski-Tiessen & Lehmann (2003) Pfister, Brázdil & Glaser (1999) Sonnabend (1999)

acht lassen die Höhlenwohnungen zusammenstürzen. Riesige Geröllmassen begraben, den kaiserlichen Aufzeichnungen zu Folge, 830 000 Menschen unter sich. Rund 400 Jahre später fordert in der gleichen Region ein Erdbeben der Stärke 8,5 über 200 000 Menschenleben. Sie hatten, wie ihre Vorfahren, ihre Wohnungen in den weichen Lössablagerungen. In Kalkutta kamen im Juli 1737 rund 300 000 Menschen ums Leben. Falls die Ursache, wie manche behaupten, kein Erdbeben, sondern ein Taifun war, so wäre dies eine der größten atmosphärischen Katastrophen gewesen. 1756 schrieb Immanuel Kant in einem Essay, dass selbst die fürchterlichsten Werkzeuge der Heimsuchung des menschlichen Geschlechts, die Erschütterungen der Länder, die Wut des bis zu seinem Grunde bewegten Meeres, die Feuer speienden Berge, den Menschen zur Betrachtung aufforderten, und „sie nicht weniger von Gott als eine richtige Folge aus beständigen Gesetzen in die Natur gepflanzt sind“. Er meint damit das Erdbeben, das am 1. November 1755 um 9 : 30 Uhr mit einer Stärke von 8,7 auf der Richter-Skala Lissabon erschüttert. Das an der geologischen Struktur der Azorenschwelle gelegene Epizentrum löste zudem eine zehn bis zwölf Meter hohe Flutwelle aus, die an der portugiesischen Küste auflief. Die Zahl der Opfer wird auf über 60 000 Menschen geschätzt. Im 20. Jahrhundert musste vor allem die Volksrepublik China unter den Folgen von Erdbeben leiden. In den Beben vom 16. Dezember 1920 (180 000), 22. Mai 1927 (200 000) und 27. Juli 1976 (242 000) kommen über 620 000 Menschen um. In Japan sind es am 1. September 1923 während des großen Kanto-Bebens in Tokio 145 000 und in der Sowjetunion am 5. Oktober 1948 rund 110 000 Opfer. Die Kräfte der Erde formten seit jeher unseren Planeten und seine Bewohner – und das werden sie auch weiterhin tun. Historische Quellen, die über vergangene Ereignisse Auskunft geben, sind wichtige Hilfsmittel, um einen zeitlichen Aufriss über Frequenz und Ereignisstärken von Naturgefahren zu erhalten. Naturkatastrophen ereignen sich nicht in einem sozial-historischen Vakuum. Geophysikalische Prozesse erlangen in Abhängigkeit vom gesellschaftlichen Wissensstand unterschiedliche Identitäten. Sie sind ein Akt der Natur, die Strafe Gottes, der Wille Allahs – oder eine Folge des unverantwortlichen Handelns des Menschen. Die historische Naturgefahrenforschung, die den Menschen als Teil der Umwelt in ihre Betrachtungen mit aufnimmt, stellt nicht nur einen Schritt zum weiteren Verständnis unserer Umwelt dar. Sie kann auch hinsichtlich Abwehrmechanismen und Vorsorgepraktiken für heutige Probleme wie den Klimawandel wertvolle Beiträge leisten.

Die Verwundbarkeit – wie anfällig sind wir? Wozu die langsam voranschreitenden Prozesse des Klimawandels oder der Wüstenausbreitung wahrscheinlich noch Jahre gebraucht hätten, haben die Attacken auf das World Trade Center unvermittelt aufgezeigt: die schnelle und differenzierte Entwicklung der Abhängigkeit von lebenswichtigen Bereichen („kritische Infrastruktur“). Mit einem Schlag wurde deutlich, dass das gesellschaftspolitische Bewusstsein und Handeln mit den damit herangewachsenen Risiken nicht Schritt gehalten haben. Auch in den zivilisatorischen Fortschrittsinseln, weitab von lebensbedrohlichen Naturgefahren oder Existenzsicherungskämpfen, stellte man sich zunehmend die Frage: Wie verwundbar sind wir? An den sich anschließenden Sicherheitsmaßnahmen wurde das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit am eigenen Leib spürbar. Wenn das eine Fundament unserer Gesellschaft allzu sehr gestärkt wird, sorgen höchst sensible Wechselbeziehungen unweigerlich dafür, dass auch das andere beeinträchtigt wird. Entsprechendes gilt auch für Umweltereignisse, deren Auswirkungen immer seltener lokal begrenzt sind, sondern sich durch die enge Vernetzung von natürlichen und sozialen Prozessen zu einer globalen Bedrohung entwickeln. Die menschliche Gesellschaft wie auch die natürliche Umwelt sind hochgradig komplexe Systeme, die auf vielfältige Art und Weise miteinander in Verbindung stehen. Dies erschwert die Analyse ökologischer, sozioökonomischer und kultureller Brennpunkte. Und hochbrisante Konfliktpotenziale gibt es zahlreiche. Das Bevölkerungswachstum und die damit verbundene Beanspruchung der Natur und ihrer Ressourcen führen zu Versorgungsund Entsorgungsschwierigkeiten. Niedrige Geburtenraten bringen in einigen Ländern die Sozialsysteme in Bedrängnis. In vielen Regionen der Erde bereitet die Bereitstellung von sauberem Wasser und Energie ernst zu nehmende Probleme. Die Belastung der Atmosphäre mit Treibhausgasen und ozonabbauenden Substanzen zerstört die natürliche Schutzschicht unseres Planeten. Ohne die die UV-Strahlen absorbierende Ozonschicht ist kein Leben auf der Erde möglich. Viele Entwicklungsländer sind mit einer folgenschweren Ressourcenzerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen Boden, Wasser und Vegetation konfrontiert. Zahlreiche Ökosysteme sind bedroht oder schon irreversibel verloren. Der Raubbau an der Natur und ungelenkte Siedlungstätigkeiten haben die Anfälligkeit bestimmter Regionen gegenüber Naturkatastrophen weiter ansteigen lassen. Der Klimawandel kann die Situation weiter verschärfen und tradierte Risikolagen verändern. Westliche Industriegesellschaften hängen hochgradig von Informationstechnologien ab. Abhängigkeitsschätzungen gehen

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Die Verwundbarkeit 95 ¯ 4.5: Die Verwundbarkeit gegenüber Naturgefahren ist ein variables Produkt aus naturräumlichen Größen und sozialen Bewältigungscharakteristiken.

Natur

Gefährdung

Fotos: R. Hidajat, J. Weichselgartner

Naturrisiken entstehen, wenn die Natur den Menschen und seine Infrastruktur bedroht. Neben naturräumlichen Faktoren bestimmen vor allem die Intensität und Wahrscheinlichkeit über den Grad der Gefährdung. Auch die Exponiertheit und das Schadenspotenzial nehmen Einfluss auf das Ausmaß der Naturkatastrophe.

Risiko

Verwundbarkeit

Gesellschaft

Länder und Menschen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Anfälligkeit gegenüber Naturgefahren. Die Ausstattung mit Ressourcen wie Wissen und Kapital beeinflusst die Katastrophenanfälligkeit. Durch Vorsorgemaßnahmen kann die Verwundbarkeit reduziert werden.

dort für wichtige Bereiche von Werten über 90 Prozent aus. In Anbetracht der an Dynamik und Komplexität zunehmenden natürlichen und sozialen Prozesse wird die Katastrophenanfälligkeit zum wichtigen Kriterium der Existenzsicherung. Die Denkzyklen zur Analyse neuartiger Bedrohungspotenziale und zur Einleitung von Schutz- und Gegenmaßnahmen, die sich bisher in Zeiträumen von Jahren bewegten, beginnen sich massiv zu verkürzen. Immer mehr Wissenschaftler beschäftigen sich mit der Verwundbarkeit („vulnerability“) der Gesellschaft, von Infrastruktur oder bestimmten geographischen Regionen. Das ist keine einfache Aufgabe für die Forscher, denn die Vulnerabilität als Anfälligkeit gegenüber bestimmten Ereignisstärken ergibt sich aus Vorgängen, die auf unterschiedlichen Ebenen und Skalen ablaufen. Es gilt, zwei Seiten zu betrachten: eine externe, welche die Risiken und Stressfaktoren kennzeichnet, denen Systeme ausgesetzt sind, und eine interne, welche die Möglichkeiten des Systems umschreibt, diese Bedrohungen möglichst unbeschadet zu überstehen. Die Verwundbarkeit wie auch die Kapazität, mit bestimmten Störungsereignissen fertig zu werden, entwickeln sich in teilweise sehr lang andauernden und komplexen Prozessen. In erster Linie entscheidet die Ereignisstärke der Naturgefahr über das Ausmaß der Folgen. Daneben gibt es zahlreiche weitere Faktoren, die darüber bestimmen, ob beispielsweise ein Hochwasser

in Stadt A mehr Schäden verursacht als in Stadt B. Die Exponiertheit, das heißt die räumliche Nähe zur Naturgefahr beeinflusst die Anfälligkeit entscheidend mit. Darüber hinaus ist die gesellschaftliche Gesamtkonstellation wichtig. Sie ist durch Faktoren wie Vermögen, Geschlecht, Alter, Gesundheitszustand und soziale Stellung – um nur einige zu nennen – in äußerst komplexer Weise angeordnet und verändert sich ständig. Auch Schutzmaßnahmen wirken auf den Grad der Verwundbarkeit ein. Gesellschaften unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Fähigkeit, schadenreduzierende Vorsorgemaßnahmen bereitzustellen. Der Zugang zu Hilfsmitteln und relevanter Information sowie die Verfügbarkeit von technischem Wissen, Kapital- und Humanressourcen können in den Städten A und B völlig unterschiedlich sein. Je niedriger die Verwundbarkeit einer Stadt oder einer potenziell betroffenen Bevölkerung ist, desto höher ist für gewöhnlich ihre Widerstandsfähigkeit („resilience“). Damit bezeichnen die Katastrophenforscher die Gesamtheit von Ressourcen und Bewältigungskompetenzen, die benötigt werden, um negative Einwirkungen möglichst unbeschadet zu überstehen. Auch hierfür werden nicht nur ökonomische, sondern auch naturräumliche und sozial-kulturelle Aspekte zur Bestimmung herangezogen. Verwundbarkeit ist aber nicht mit Armut gleichzusetzen. Zwar sind es oftmals die Ärmsten, die am schwersten unter einer Katastrophe leiden, aber auch innerhalb einer Einkommensgruppe

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˚ 4.6: Oft kann mit relativ einfachen Maßnahmen die Verwundbarkeit gegenüber Naturgefahren reduziert werden. In vielen asiatischen Ländern nutzt man den Bambus, um daraus natürliche Schutzwände gegen Hochwasser zu errichten. ˙ 4.7: In vielen Regionen sind natürliche und menschliche Systeme räumlich so dicht beieinander, dass bereits kleine Einflüsse fatale Folgen haben können.

gibt es Unterschiede hinsichtlich der Exponiertheit gegenüber einer bestimmten Naturgefahr, den verfügbaren Bewältigungsstrategien und des vorhandenen Regenerationspotenzials. Bislang herrscht in der Wissenschaft wenig Übereinstimmung darüber, was Vulnerabilität genau ist und welche Faktoren sie bestimmen. Entsprechend verschieden sind auch die Gefahren, auf die man die Verwundbarkeit bezieht. Je nachdem, ob man natürliche, chemische, technologische, biologische oder instrumentelle Risiken betrachtet, fällt auch die Anfälligkeit unterschiedlich aus. Vulnerabilitätsuntersuchungen divergieren auch hinsichtlich des Betrachtungsmaßstabs und Untersuchungsgebiets. Die Spannbreiten reichen hier von lokal bis global sowie von am wenigsten entwickelten Regionen bis hin zu den entwickelten Ländern. Demzufolge gibt es auch eine Vielzahl von Bewertungsmethoden und Messtechniken. In Bezug auf Naturkatastrophen kann die Verwundbarkeit allgemein als ein Resultat aus naturräumlichen Faktoren und sozialen Bewältigungscharakteristiken interpretiert werden. In der Praxis werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Einige Ansätze interpretieren die Vulnerabilität als Exponiertheit gegenüber einer Gefahrenquelle. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Ansammlung von gefahrbringenden Bedingungen, dem menschlichen Besiedlungsgrad in gefährdeten Bereichen

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Foto: A. Toko

¯ 4.8: Bestimmte Bevölkerungsgruppen und Lokalitäten sind besonders anfällig für Naturkatastrophen. Dazu zählen Kinder und ältere Menschen sowie Hanglagen und Auengebiete.

(etwa Überschwemmungsgebiete oder erdbebengefährdete Zonen) sowie dem darin befindlichen Schadenspotenzial. Viele Institutionen, Unternehmen und Gemeinden erstellen mittlerweile ortsbezogene Vulnerabilitätskarten, die Auskunft über den Wirkungsgrad einer bestimmten Naturgefahr oder einer technischen Anlage geben. Hierfür wird zunächst eine Naturgefahrenkarte angefertigt, aus der sich die Ereignishäufigkeit, Ereignisstärke, Wahrscheinlichkeit, Dauer und die räumliche Auswirkung ablesen lassen. Dann wird je nach Zielsetzung die Gefährdung für kritische und lebensnotwendige Versorgungseinrichtungen oder für bestimmte Bevölkerungsgruppen kartographisch mit aufgenommen. Entsprechendes wird für Gefahren gemacht, die beispielsweise von technischen Produktionsanlagen ausgehen. Ein weiterer Ansatz sieht die Verwundbarkeit mehr als soziales Charakteristikum an und fasst sie als disponible Bewältigungskapazität auf. Im Vordergrund stehen die gesellschaftliche Anfälligkeit und Widerstandsfähigkeit gegenüber Naturgefahren sowie vorhandene Bewältigungskonzepte. Eigenschaften und Zustand der Gefahrenquellen werden dabei für gewöhnlich als gegeben, mitunter auch als sozial konstruiert betrachtet. Die Verwundbarkeit wird als Zustand durch historische, kulturelle, soziale und ökonomische Prozesse gesellschaftlich zusammengebaut. Eine dritte, immer stärker werdende Richtung kombiniert Elemente aus den beiden Ansätzen und interpretiert die Vul-

nerabilität sowohl als naturräumlichen Risikofaktor als auch soziale Bewältigungsfunktion. Die Verwundbarkeit als Eigenschaft eines bestimmten örtlichen Bereiches wird im Hinblick auf geographische (wo sind anfällige Menschen und Gebiete?) und soziale (wer ist anfällig in einem bestimmten Gebiet?) Fragestellungen untersucht. Ein Problem bei der Erfassung der Verwundbarkeit ist die Skalenebene. Die Einflüsse und zugrunde liegenden Antriebskräfte, die ein Ansteigen oder Sinken der Anfälligkeit bewirken, variieren je nach Maßstab und können unterschiedliche Folgen haben. Die Katastrophenverwundbarkeit einer Gemeinde oder eines Haushalts wird durch das Zusammenwirken anderer Faktoren determiniert wie die eines Landes oder einer bestimmten Bevölkerungsschicht. Der Zugang zu politischen und ökonomischen Ressourcen sind entscheidende Größen für die Anfälligkeit eines Individuums oder eines Haushalts. Viele Determinanten können jedoch auf großen Maßstabsebenen nur ungenau erfasst werden. Andererseits dürfen die auf der Mikroebene gemachten Ergebnisse nicht ohne weiteres auf andere Maßstabsebenen übertragen werden („up/ down-scaling“). Entsprechendes gilt für Faktoren, die auf Länderebene eine Aussagekraft haben, sich bei kleinräumigen Betrachtungen aber kaum operativ umsetzen lassen. Oftmals stehen Daten für einen bestimmten Maßstab überhaupt nicht zur Verfügung und man muss auf so genannte Proxydaten ausweichen, die nur indirekt Aufschluss geben.

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Die Bewertung von Verwundbarkeit – die Beispiele SOPAC und UNDP-GRID Unter der Leitung der Südpazifischen Kommission für Angewandte Geowissenschaft (SOPAC) arbeitet ein Team seit einigen Jahren an einem operationsfähigen Index zur Messung der Verwundbarkeit der Umwelt. Dabei konzentriert man sich auf drei zentrale Aspekte von Verwundbarkeit, die in Subindizes zusammengefasst werden: die Risiken von Seiten der Natur und des Menschen („Risk Exposure sub-Index“, REI), die Fähigkeit, mit diesen Risiken umzugehen („Intrinsic Resilience sub-Index“, IRI), und spezifische Ökosystemeigenschaften („Environmental Degradation sub-Index“, EDI). 32 Staaten und mehrere Organisationen sind an der Informationsbeschaffung und Datenlieferung beteiligt, aus der der Umweltverwundbarkeitsindex für insgesamt 235 Länder berechnet wird. Aus fünf Kategorien fließen insgesamt 54 meteorologische, geologische, biologische, anthropogene und länderspezifische Indikatoren in die Bewertung mit ein. An einer Skala von eins (niedrig) bis sieben (hoch) kann dann die Umweltverwundbarkeit eines Landes abgelesen werden. Der „Environmental Vulnerability Index“ (EVI) soll es ermöglichen, die Verwundbarkeit von natürlichen Systemen schnell und kostengünstig zu messen. Darüber hinaus versprechen sich die Projektpartner eine bessere Anpassung der nationalen Entwicklungsplanung an die natürliche Umwelt sowie eine höhere Sensibilität für eine nachhaltige Entwicklung. Das Projekt, das auch von der Europäischen Union gefördert wird, sollte bis Jahresende 2004 abgeschlossen sein. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), das zusammen mit seinem in Genf sitzenden Daten- und Informationszentrum (GRID) einen „Disaster Risk Index“ (DRI) entwickelt hat. Allerdings stand nicht die Verwundbarkeit der natürlichen

Umwelt im Zentrum des Interesses, sondern die gesellschaftliche Anfälligkeit gegenüber Naturkatastrophen. Zwei Schlüsselvariablen galt dabei besondere Aufmerksamkeit: der Verstädterung und den ländlichen Lebensverhältnissen. Als Vorbild und Datenlieferant diente der Index der menschlichen Entwicklung (HDI). Dessen Spannbreite ist indes – bedingt auch durch die Verfügbarkeit von Daten – wesentlich größer. Die Katastrophenanfälligkeit wurde auf Länderebene ermittelt; untersucht wurden vier Naturgefahrentypen: Erdbeben, tropische Wirbelstürme, Überschwemmungen und Dürren. Sie sind zusammen für 94 Prozent der Opfer verantwortlich. In die Berechnung flossen Daten aus den Jahren 1980 bis 2000 ein, die der EM-DAT-Datenpool des Forschungszentrums für Katastrophenepidemiologie (CRED) der Universität Louvain in Belgien geliefert hat. Methodisch hat man die Anzahl der durch die jeweiligen Naturgefahren verursachten Opfer in Relation zur Bevölkerung gesetzt. Mit dem für Nichtexperten nicht sofort zugänglichen Berechnungsverfahren wurde so die relative Katastrophenverwundbarkeit für insgesamt 210 Länder ermittelt. Der Katastrophenrisikoindex ist auch Die Bewertung von … als „Disaster Risk AnalyEnvironmental Vulnerability Insis Tool“ im Internet. Ein dex Project http://cobalt.sopac.org.fj/Projects/ Besuch ist für all diejeniEvi/Index.htm gen interessant, die sich South Pacific Applied Geoscischnell einen allgemeience Commission (SOPAC) www.sopac.org nen Überblick über die UNDP Bureau for Crisis PreKatastrophenanfälligkeit vention and Recovery (BCPR) www.undp.org/bcpr/index.htm einzelner Länder verUNDP Global Resource Inforschaffen wollen.

Speziell die Betrachtung der Verwundbarkeit auf kleineren Maßstabsebenen hat gezeigt, wie vielschichtig die Beziehungen zwischen den Prozessen sind, die über den Grad der Krisenanfälligkeit entscheiden. Vor allem die wirtschaftliche Fähigkeit, der sozial-politische Einfluss und die Form sozialer Reproduktion prägen die Vulnerabilität eines Haushalts. Dabei spielen so genannte Verfügungsrechte („entitlements“) eine Rolle, die zumeist monetärer Art sind. Der Mensch tauscht seine Arbeitskraft gegen Geld ein, mit dem er wiederum Waren und Dienstleistungen kaufen kann. Darüber hinaus gibt es erweiterte Verfügungsrechte („extended entitlements“). Darunter versteht man informelle Privilegien, die bestimmte Personen aufgrund von Normen oder Sitten besitzen. Untersuchungen zu

Hungerkrisen haben gezeigt, dass trotz genügend vorhandener Lebensmittel weite Teile der Bevölkerung hungerten, weil sie zu wenig Verfügungsrechte besaßen, um Nahrung erwerben zu können. Am verwundbarsten waren die Menschen, denen Preisschwankungen zusetzten und die nicht in soziale Sicherungsnetze eingebunden waren. Deshalb tragen preis- und lohnstabilisierende Maßnahmen, die auf die dauerhafte Sicherung von Verfügungsrechten abzielen, indirekt zur Katastrophenvorsorge bei. Eine wesentliche Ursache für die Verwundbarkeit gegenüber Krisen liegt in den gesellschaftspolitischen Machtstrukturen. Menschen, die kaum legitime Rechte und soziale Macht besitzen, sind besonders anfällig. Auch auf regionaler, nationaler

Die Bewertung von …

Kaly, Briguglio et al. (1999) Pratt, Kaly et al. (2002) UNDP (2001) UNDP (2004)

mation Database (GRID-Geneva) www.grid.unep.ch UNDP Reducing Disaster Risk Report www.undp.org/bcpr/disred/rdr.htm UNDP-GRID Disaster Risk Analysis Tool http://gridca.grid.unep.ch/undp

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und internationaler Ebene wirkt sich das Fehlen sozial-politischer Einflussnahme nachteilig auf die Vulnerabilität aus. So genannte „EmpowermentAnsätze“ haben mit ihren Untersuchungen gezeigt, wie soziale Macht, das heißt der Zugang zu Information, Wissen und Fertigkeiten sowie die Integration in soziale Netze die Anfälligkeit von Individuen und Gemeinschaften beeinflussen. Je besser der Zugang zu solchen Produktivfaktoren, desto mehr Möglichkeiten stehen zur Krisenbekämpfung zur Verfügung. „Empowerment“ beinhaltet auch die Stärkung politischer Macht. Besonders in Bezug auf Risiken ist es entscheidend, inwiefern Menschen die Möglichkeit haben, über die Mitwirkung in Interessensverbänden, Gewerkschaften und politischen Parteien Einfluss auf Entscheidungsprozesse auszuüben. Unterprivilegierte Menschen können über die Teilhabe an Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen ihre Verwundbarkeit senken, da sie dadurch befähigt sind, in Krisenzeiten Ansprüche geltend zu machen. Die Verbesserung von Machtstrukturen, Informationsbeschränkungen und Demokratisierungsprozessen wirkt sich positiv auf die Katastrophenanfälligkeit aus. Auch demographische und ökologische Faktoren und vor allem ihr Verhältnis zueinander beeinflussen die Verwundbarkeit. Bereits 1798 hat der britische Nationalökonom Robert Malthus erste Überlegungen hierzu veröffentlicht. Davon ausgehend, dass das Bevölkerungswachstum exponentiell steigt, die Nahrungsmittelproduktion in derselben Zeit aber nur linear, hat er als Erster die Tragfähigkeit der Erde thematisiert. Darunter versteht man das Verhältnis zwischen der Bevölkerung eines Gebietes und den Ressourcen, die dieses Gebiet der Population zum Leben bietet. Die grundlegende Frage „Wie viele Menschen kann die Erde ernähren?“ wird seither immer wieder aufgegriffen. Prominentes Beispiel ist der Club of Rome mit seinen Überlegungen zu den Grenzen des globalen Wachstums. Vergleicht man die globale Produktionsmenge mit dem Nahrungsbedarf, so reichen die landwirtschaftlichen Ressourcen aus, um alle Menschen zu versorgen. In der Praxis gibt es jedoch erhebliche Verteilungsprobleme. Während einige Regionen mehr Nahrungsmittel produzieren als sie brauchen, kommt es in anderen Gebieten zur Übernutzung der vorhandenen Ressourcen. In Folge des hohen Bevölkerungsdrucks werden landwirtschaftliche Produktionsflächen und Trinkwassergewinnung ausgeweitet. In vielen Entwicklungsländern wird mehr Brennholz verbraucht, als nachwachsen kann. Desertifikation, Artenverlust und die Degradation der natürlichen Umwelt sind oftmals die Folge. Regionen, in denen der Bedarf an Rohstoffen die Menge übersteigt, die nachhaltig erwirt-

schaftet werden kann, sind gegenüber Krisen in besonderem Maße anfällig. Tritt die Krise ein, hemmt sie wiederum eine nachhaltige Entwicklung, wodurch sich die Verwundbarkeit gegenüber neuen Störungen weiter erhöht. Viele Länder können ohne fremde Hilfe nicht aus diesem Teufelskreis ausbrechen. Nicht nur der Mensch ist verwundbar, auch die Natur ist gegenüber den Einflüssen des Menschen anfällig. Viele Ökosysteme sind schon heute schwer geschädigt, weil der Mensch mit lebenswichtigen Ressourcen wie Wasser und Energierohstoffen nicht nachhaltig wirtschaftet. Zunehmend wird der Menschheit bewusst, dass eine nicht intakte Umwelt auch sie extrem verwundbar macht. In dicht besiedelten, armen oder durch Umweltdegradation schon stark belasteten Ländern haben häufig bereits geringe Einwirkungen fatale Folgen. Der globale Wandel bringt neue, zusätzliche Bedrohungen und verändert die Verwundbarkeit gegenüber Naturkatastrophen. In vielen Regionen wird die Verschiebung von Klimazonen infolge der sich abzeichnenden Temperaturänderungen die Gefährdungslage verstärken. Die spezifischen Zusammenhänge, welche die Krisenanfälligkeit einer Region oder einer Gesellschaft bestimmen, sind erst ansatzweise bekannt. Sicher ist: Selten zuvor waren die Folgen menschlichen Handelns so weitreichend wie heute. Um im Zeitalter des globalen Wandels verantwortbare Entscheidungen treffen zu können, brauchen wir mehr denn je Informationen über die Konsequenzen unseres Handelns.

Die Risikowahrnehmung – warum wer was fürchtet Im engeren, biologischen Sinn ist Wahrnehmung eine Funktion, die einem Organismus mit Hilfe seiner Sinnesorgane ermöglicht, Informationen in Form von Reizen aufzunehmen und zu verarbeiten. Je nachdem, ob es sich um optische, chemische, mechanische oder akustische Reize handelt, spricht man von visueller, olfaktorischer, haptischer und auditiver Wahrnehmung. Die kognitive Psychologie und die Naturrisikoforschung fassen den Begriff etwas weiter. Neben der Aufnahme schließt die Wahrnehmung auch die Interpretation, Auswahl und Organisation von sensorischen Informationen ein. Demzufolge sind nicht alle Sinnesreize auch Wahrnehmungen, sondern nur die, die geistig verarbeitet werden. Da der Wahrnehmungsprozess von Mensch zu Mensch variiert, ist es schwierig, ihn allgemein gültig zu beschreiben. Aus individuellen Gedächtnisinhalten, Erfahrungen, Stimmungen und Denkprozessen baut der Wahrnehmende ein mentales Modell auf. Dieses bestimmt darüber, welche Informationen neu aufgenommen werden sollen und

Die Verwundbarkeit

Bankoff, Frerks & Hilhorst (2004) Blaikie, Cannon et al. (2003) Kasperson & Kasperson (2001) OECD (2004a) Weichselgartner & Deutsch (2002)

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˚ 4.9: Objekte werden immer im Kontext mit ihrer Umgebung wahrgenommen. Trotz identischer Größe erscheinen der blaue Ball, die Gerade und der Mann auf der rechten Seite größer als das Gegenstück auf der linken. ˙ 4.10: Bei der Erstellung unseres mentalen Risikomodells spielen neben den Eigenschaften der Risikoquelle auch individuelle und sozial-kulturelle Faktoren eine Rolle. Risikoquelle

Risikomerkmale wie Bekanntheit, Wahrscheinlichkeit, Einflussmöglichkeiten, Häufigkeiten und andere mehr beeinflussen unsere Wahrnehmung und Einschätzung von Risiken.

u ng ehm hrn rtung a ow we sik -be Ri nd u

Individuelle Eigenschaften wie Alter, Geschlecht, Bildung, Erfahrungen, Risikobereitschaft und andere mehr bestimmen darüber, welche und wie wir Risiken wahrnehmen und bewerten.

Kulturelle Faktoren wie Wertorientierungen und Normen wirken auf unsere Risikowahrnehmung wie Filter.

wie diese in einen Kontext einzuordnen, zu verstehen und zu bewerten sind. Aber nicht nur die einzelnen Komponenten des mentalen Modells sind bei jedem Menschen unterschiedlich, sondern auch ihre Gewichtung zueinander. Während manche Personen bildhaft denken, orientieren sich andere an Sinneseindrücken wie Glück oder Leid. Durch die ständige Neuaufnahme von Informationen und Eindrücken wird das mentale Modell konstant erweitert. Man lernt dazu. Objekte werden immer im Kontext mit ihrer Umgebung wahrgenommen. Dieser als „Kontextabhängigkeit“ bezeichnete Umstand ist auch in Bezug auf Naturrisiken von Bedeutung. Da der Kontext nicht nur die optische Wahrnehmung beeinflusst, sondern auch die Bedeutung und Funktion des Wahrgenommenen verändern kann, ist es wichtig, in die Untersuchung von Naturkatastrophen auch die sie beeinflussenden Rahmenbedingungen einzubeziehen. Wie wirkungsvoll es ist, wenn ein Objekt aus seiner gewohnten Umgebung herausgelöst und in einen atypischen Kontext gesetzt wird, weiß auch die Werbung. Eine auf einer Alm weidende Kuh ist etwas Alltägliches, ist sie hingegen lila, zieht dies sofort unsere Aufmerksamkeit auf sich. Die prägende Wirkung der Wahrnehmung wurde 1995 auf einem Malwettbewerb in Bayern deutlich. Von den 40000 Kindern, die eine Kuh auszumalen hatten, entschied sich jedes dritte Kind für die Farbe Lila. Wissenschaftliche Studien haben ferner gezeigt, dass die Kontextabhängigkeit nicht nur für die optische Wahrnehmung gilt, sondern auch bei der Wahrnehmung von Musik eine Abhängigkeit zum Musikstück, dem Ort oder dem Interpreten besteht. Resümiert man die Untersuchungen zur Risikowahrnehmung, so scheinen drei Faktoren für die Beurteilung eines Risikos besonders wichtig zu sein: Schrecklichkeit, Bekanntheit und Ausgesetztheit. Ersterer umfasst Aspekte wie die Freiwilligkeit, Reduzierbarkeit und Beherrschbarkeit des Risikos. Als besonders schrecklich werden diesbezüglich atomare Waffen und die Kernenergie eingestuft. Der zweite Faktor umschreibt den Umstand, dass ein Risiko desto gefährlicher beurteilt wird, je weniger es bekannt oder wahrnehmbar ist. Einen besonders hohen Wert erreichen hier vor allem chemische Technologien. Der dritte Faktor repräsentiert die Anzahl von Menschen, die den Folgen des Risikos ausgesetzt sind. Der Wirkungsradius kann hier vom einzelnen Akteur (Fallschirmspringen) bis zur ganzen Menschheit (Treibhauseffekt) reichen. Wissen, Erfahrung und Werthaltung bezüglich eines Risikos spielen bei der individuellen Beurteilung eine besondere Rolle. Risiken, zu denen man Schadensfälle erinnert, werden als größeres Risiko

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wahrgenommen als Risikoquellen, zu denen keine Vorfälle bekannt sind. Allein die Diskussion über bestimmte Gefahren kann die wahrgenommene Wahrscheinlichkeit erhöhen – ganz unabhängig von der tatsächlichen Wahrscheinlichkeit. Auch individuelle Eigenschaften wie Alter, Geschlecht und Bildung beeinflussen die Risikowahrnehmung. Entsprechendes gilt für soziale Identitäten und Organisationsformen, also den gesellschaftlichen Rahmen, in dem sich der Einzelne bewegt. Daher existieren innerhalb einer Gesellschaft zahlreiche „Risikotypen“, die jeweils unterschiedliche Wahrnehmungsmuster aufweisen. Bei der individuellen Risikoeinschätzung ist die Risikoquelle nur eine Teilkomponente. Wie ein potenzielles Hochwasser oder Erdbeben wahrgenommen wird, beruht nicht nur auf Faktoren wie Eintrittshäufigkeit und Schadenswahrscheinlichkeit. Ob man sich der Naturgefahr freiwillig aussetzt, die persönliche Erfahrung, die man mit ihr hat, und die Assoziation, die man mit ihr verbindet, spielen bei der persönlichen Bewertung gleichfalls eine Rolle. Direkt am Fluss lebende Bürger haben oftmals eine andere Hochwasserwahrnehmung als die verantwortlichen Entscheidungsträger in der Stadtverwaltung. In Untersuchungen wurde auch festgestellt, dass die unmittelbar unter einem

˚ 4.11: Die Erde ist in Bewegung: Die Bergstraße mag manchem Risikolaien gefährlicher erscheinen als dem Straßenplaner. Der Naturgefahrenkundige erkennt an dem an einigen Stellen neu aufgetragenen Straßenbelag, dass am Hang abgehende Schuttströme durchaus keine Seltenheit sind.

Damm lebenden Anwohner dessen Bruchgefahr wesentlich geringer einschätzen und sich weniger Sorgen machen als Bewohner, die weiter entfernt, aber immer noch im Gefahrenbereich wohnen. Beide Gruppen wären im Fall eines Dammbruchs indes gleich betroffen. Eine zentrale Erkenntnis der Risikowahrnehmungsforschung ist, dass die Risiken, die Menschen ängstigen und entrüsten, häufig nicht die Risiken sind, die statistisch betrachtet auch am gefährlichsten sind. Die divergierenden Risikobeurteilungen von „Laien“ und „Experten“ resultieren teilweise aus unterschiedlichen Auswahlkriterien und Quellen, die sie zur Informationsgewinnung verwenden. Lange Zeit wurden die Risikoeinschätzungen der betroffenen Bürger von der Wissenschaft als Risikoirrationalität und Unkenntnis gewertet, wofür man mitunter die Medien verantwortlich gemacht hat. Zunehmend werden Risikobeschreibungen von Experten und Laien als gleichwertig betrachtet und die betroffenen Bürger in

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den Planungsprozess von Risikoentscheidungen integriert. Genauso wenig, wie sich die wissenschaftliche Risikoeinschätzung mit der Risikowahrnehmung der Massenmedien oder der Öffentlichkeit deckt, nimmt auch jeder Einzelne Risiken unterschiedlich wahr. Jeder Mensch bewertet sie anders und setzt verschiedene Akzeptanzschwellen. Folglich gibt es auch innerhalb der einzelnen gesellschaftlichen Bereiche unterschiedliche Risikostandpunkte. Anteil der Nennungen

Häufigkeiten je Rang = 100 %

70 %

60 %

3. Rang 2. Rang

11%

1. Rang

50 % 11% 40 % 13% 30 %

15% 12% 44% 10%

11%

16%

9%

20 % 9%

13% 16%

16% 13%

10 %

17% 10%

9%

Aids

Erdbeben

5%

5%

Hautkrebs

Chemieunfall

0% Atomunfall

Verkehrsunfall

4% 5% 3%

7% 2% 3%

4% 5% 2% Brand Vulkan- Überkeine des ausschwem- AnHauses bruch mung gaben

˚ 4.12: Laut einer Bevölkerungsbefragung fürchtet man sich im Mittelrheinischen Becken vor einer atomaren Reaktorkatastrophe und Verkehrsunfällen am meisten. Anteil der Nennungen

Häufigkeiten je Rang = 100 %

90%

3. Rang 2. Rang

80% 6%

1. Rang

70% 14% 60%

50% 25% 40% 61%

20%

30% 11% 24%

20%

10% 9% 10%

9%

7%

6%

9%

7%

6%

18% 11%

7%

7%

0% Verkehrsunfall

Brand Erddes beben Hauses

Atomunfall

3% ÜberHautschwem- krebs mung

4% 3% 3% 3% Chemie- Aids unfall

5% 3% 2% Vulkan- keine ausAnbruch gaben 2%

˚ 4.13: Die Wahrscheinlichkeit eines Verkehrsunfalls, eines Hausbrands oder an Hautkrebs zu erkranken halten die Befragten für wesentlich höher als durch Naturgefahren geschädigt zu werden.

Selbst Expertenmeinungen sind mitunter so kontrovers, dass es häufig keine einheitliche wissenschaftliche Bewertung für ein Risiko mehr gibt. Dies hat Auswirkungen auf das professionelle Risikomanagement und beeinflusst auch die öffentliche Risikowahrnehmung. Prominentes Beispiel hierfür ist die Debatte der Experten über die genauen Gradangaben der globalen Erwärmung. Die Diskussion, so werden Stimmen laut, sei kontraproduktiv und führe letztlich dazu, dass die ÖffentDie Wahrnehmung natürlicher und technologischer Risiken – Untersuchungen im Mittelrheinischen Becken Das Mittelrheinische Becken umfasst die zwischen Rhein und Mosel liegenden Gebiete des Neuwieder Beckens, des Laacher Vulkanberglands, der Pellenz sowie das Maifeld mit den Städten Koblenz, Neuwied, Andernach und Mayen. Dort haben Geographen der Universität Koblenz und der Technischen Universität München Mitte der neunziger Jahre eine der ersten umfassenderen Studien zur Wahrnehmung von Naturrisiken in Deutschland durchgeführt. Ein zwanzig bis vierzig Kilometer breiter Gebietsstreifen um den Laacher See mit dem Rhein als Achse und der Westerwald-Autobahn als Grenze schien als besonders geeignet. In diesem „Multirisikogebiet“ ballen sich mit dem Rhein, dem Vulkan „Maria Laach“ sowie dem (mittlerweile stillgelegten) Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich sowohl natürliche als auch technologische Gefahren. Dass in der tektonisch bedingten Senke jederzeit mit Erdbeben zu rechnen ist, haben die Erdstöße, die am 22. Mai 2004 um 7.19 Uhr mit der Stärke 3,8 die Erde entlang dem Rhein zwischen Koblenz und Bonn zittern ließen, eindrucksvoll bestätigt. Ideale Voraussetzungen also, um die Wahrnehmung und Bewertung verschiedener Gefahren durch die Bevölkerung an Hand von Telefonbefragungen und mündlichen Interviews zu ermitteln. Bei der Frage nach dem Risiko, vor dem sich die Befragten am meisten fürchten, stand ein möglicher Kernkraftunfall an erster Stelle. Dies deckt sich mit anderen Untersuchungen zur „Schrecklichkeit“ von Risiken, bei denen atomare Waffen und Kernenergie ebenfalls die höchsten Werte erreicht haben. An zweiter Stelle rangierte für die Befragten ein Verkehrsunfall, gefolgt vom Erdbebenrisiko. Die Naturgefahren des Rheins und des Maria Laachs fürchtete man weit weniger – und dies unabhängig davon, ob man schon persönliche Erfahrungen mit vergangenen Katastrophen hatte oder nicht. In Bezug auf die Wahrscheinlichkeit der unterschiedlichen Risiken hielten alle Befragten einen Verkehrsunfall für am wahrscheinlichsten. An zweiter Stelle folgte für die erdbebenerfahrenen Befragten das

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lichkeit das eigentliche Problem, nämlich die Erwärmung unseres Planeten, gar nicht mehr wahrnehme. Dadurch würde der Einzelne auch eigene emissionsreduzierende Maßnahmen unterlassen. Wie unterschiedlich ein Risiko durchaus wahrgenommen werden kann und wie dies zu verschiedenartigen, teils kontroversen Einschätzungen und Maßnahmen führt, wird besonders am Beispiel von Aids deutlich. Im Jahr 2003 sind drei Millionen Menschen an der Immunschwäche gestorben und Erdbeben und für die hochwassergeprüften Bewohner das Rheinhochwasser. Dies lässt den Schluss zu, dass bei den Befragten, die persönliche Erfahrungen mit den Gefahren haben, eine höhere Sensibilisierung hinsichtlich dieser Gefahren vorhanden ist. Interessanterweise fürchteten fast alle Hochwassererfahrenen und 86 Prozent der übrigen Befragten erneute Überschwemmungen. Allerdings gingen die Meinungen über mögliche Schutzmaßnahmen auseinander. Etwa 40 Prozent der Hochwassergeprüften, aber nur 22 Prozent der anderen Befragten glaubten an eine wirksame Abhilfe durch die Schaffung von Retentionsräumen. Dagegen waren nur rund ein Zehntel der hochwassererfahrenen Bewohner, jedoch 16 Prozent der unerfahrenen der Ansicht, dass gegen zukünftige Hochwasserereignisse keinerlei Schutz wirksam sei. Die persönlichen Erfahrungen mit der Naturgefahr haben bei den Betroffenen dazu geführt, dass sie stärker auf aktive Gegenmaßnahmen als Schutzstrategie für künftige Hochwasserereignisse setzen – im Gegensatz zu denen, die noch nie von Überschwemmungen betroffen waren. Die in der Studie gewonnenen Erkenntnisse zeigten außerdem, dass die allgegenwärtige Hochwassergefahr sehr stark mit anthropogenen Einflüssen in Verbindung gebracht wird. Aus der einstigen Naturgefahr wurde ein durch den Menschen verschärftes Naturrisiko. Allerdings stellt dieses für die Anwohner keine sonderliche Bedrohung dar. Man hat offensichtlich gelernt, mit ihm zu leben. Neben der Risikowahrnehmung der einheimischen Bevölkerung wurde auch die Einschätzung von „Experten“ erhoben. Dazu wurden Vertreter unterschiedlicher Institutionen, Organisationen und Verbände, die sich im weitesten Sinn mit Fragen des Katastrophenschutzes befassen, zum einen selbst zu den verschiedenen Risiken befragt und zum anderen mit den Ergebnissen der mündlichen Bevölkerungsbefragung konfrontiert. Dabei entsprachen sich die Gefahrenrangfolgen von „Experten“ und „Laien“ nur teilweise. Bei beiden Gruppen rangiert das atomare Risiko an erster Stelle und ein erneutes Ausbrechen des Laacher-See-Vulkans weit hinten. Differenzen zeigten sich vor allem bei der

weitere fünf Millionen haben sich angesteckt. Die höchsten Zahlen seit Entdeckung des HI-Virus 1981 sind eigentlich Grund genug, so könnte man annehmen, um eine mehr oder wenige homogene Risikoeinschätzung zu bilden. Wie komplex und divers die Bewertungen in Wirklichkeit sind, wurde auf der größten Aids-Konferenz im Juli 2004 in Bangkok sichtbar. Ausgehend von unterschiedlichen Risikowahrnehmungen stritt man sich über die Wahl der geeigneten Maßnahmen. Enthaltung

Risiko

Mündliche Bevölkerungsbefragung Bedrohlichkeit Wahrscheinlichkeit Rang Rang

Expertenbefragung Bedrohlichkeit Wahrscheinlichkeit Rang Rang

Atomunfall

1

6

1

8

Verkehrsunfall

2

1

3

1

Erdbeben

3

4

5

7

Chemieunfall

4

5

2

4

Brandgefahren

5

2

4

3

Hautkrebs

6

3

6

5

Aids

7

8

8

6

Vulkanausbruch

8

9

9

9

Überschwemmungen

9

7

6

2

˚ 4.14: Bei der Einschätzung der Bedrohlichkeit von unterschiedlichen Risiken gibt es häufig Differenzen zwischen „Experten“ und „Normalbürgern“.

Einschätzung von potenziellen Chemieunfällen und Erdbeben. Während die Entscheidungsträger die chemischen Gefahren sowie ein Hochwasserereignis als bedrohlich einordneten, stufte die Bevölkerung ein Erdbebenereignis als höher ein. Darüber hinaus monierten die Experten die hohe Anzahl an Katastropheninstitutionen und Verantwortlichkeiten. Ihrer Ansicht nach führt dieser strukturelle Hemmschuh zu langwierigen Entscheidungsabläufen und zu einer geringen Akzeptanz von Ergebnissen bei betroffenen Bürgern und Unternehmen. Überdies können vorhandene rechtliche Normen aufgrund von Zielkonflikten mit anderen politischen Belangen sowie mangelnder politischer Durchsetzungsfähigkeit von Entscheidungsträgern für die Katastrophenprävention nicht konsequent und effizient umgesetzt werden. Befragungen wie die im Mittelrheinischen Becken sind hilfreich, da sie wertvolle Informationen über unterschiedliche Teilaspekte und Problemlagen der Risikovorsorge liefern und damit auf mögliche Lösungsansätze verweisen. Sie sind deshalb wichtiger Bestandteil einer „Integrierten Daseinsvorsorge“. Die Wahrnehmung …

Geipel, Härta & Pohl (1997)

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˘ 4.15: Ohne Strom und Zugang zum Straßennetz zwischen Fels und Wasser – eine Lebenssituation, die nicht jeder Mensch bereit ist einzugehen.

und Treue seien der einzige Weg, einer HIV-Ansteckung vorzubeugen, meinten die einen. „Enthaltsam-bis-zur-Ehe-Programme“ seien unverantwortlich, so andere, da sie den Informationszugang über Schutzmöglichkeiten verhindern und die realen Verhältnisse verkennen, in denen Frauen in vielen Ländern der Welt leben müssen. Häufig hätten Mädchen und Frauen noch immer nicht die Wahl zu widerstehen, weshalb solche Risikoschutzempfehlungen schlicht unmenschlich seien. Andere Kritiker wiederum sahen primär im verstärkten Patentschutz der westlichen Pharma-Lobby eine tödliche Politik zum Schaden von Millionen Kranken, denen bezahlbare Hilfe vorenthalten werde. Während sich das HIV schneller verändert als die Forscher nachkommen, führen manche Risikowahrnehmungen zu festen Positionen und Feindbildern. So hat die islamische Regierung des nordnigerianischen Staates Kano elf Monate lang PolioImpfungen mit der Begründung boykottiert, der in den USA hergestellte Impfstoff sei mit AntiFruchtbarkeitsmitteln, HI- und krebsauslösenden Viren versetzt. Erst als die Krankheit auch in zehn weiteren afrikanischen Staaten ausbrach, in denen sie bereits als ausgerottet galt und man für 80 Prozent der weltweit gemeldeten Polio-Infektionen verantwortlich war, hat man sich zur Wiederaufnahme der Impfungen bereit erklärt. Die verstärkten Hinweise von Experten, dass die Eindämmung von HIV vor allem dann enorme Probleme berei-

tet, wenn das Virus mit anderen Krankheitserregern zusammentrifft, waren für die Risikobewertung der Entscheidungsträger in Nigeria offensichtlich unerheblich. Tuberkulose ist die häufigste Todesursache unter Aids-Kranken und in Afrika südlich der Sahara sind bereits über 70 Prozent der HIV-Infizierten auch mit Tbc infiziert. Oftmals sehen sich Betroffene nicht als potenzielle Opfer eines Risikos, beachten eine drohende Gefahr nicht oder verleugnen sie gar. Dieses häufig zu beobachtende Phänomen nennen die Psychologen „kognitive Dissonanz“. Sie basiert auf der Annahme, dass Menschen dazu neigen, einmal getroffene Entscheidungen zunächst beizubehalten. Der Widerspruch von Entscheidung und Wahrnehmung bleibt temporär bestehen, weil jede neue Information, die zu der getroffenen Entscheidung in Widerspruch steht, tendenziell abgewertet und jede konsonante Information tendenziell überschätzt wird. Auch die Regierung in Kano hat Informationen, die zur Erhöhung ihrer Dissonanz beigetragen haben, zunächst ausgeblendet und ignoriert. Erst als die erzeugte Spannung zu groß und die Toleranzschwelle überschritten wurde, änderte sie die getroffene Entscheidung. In ähnlicher Weise nehmen auch Individuen zur Rechtfertigung ihrer Entscheidungen Informationen selektiv wahr. Allerdings kann die Wahrnehmung durch gezielte Informationen beeinflusst und damit positiv auf Attitüden und Verhaltens-

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Todesopfer 1 000 000

Naturkatastrophen 100 000

10 000 Man-Made-Katastrophen

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˚ 4.16: Während Naturkatastrophen aufgrund ihres zeitlich unregelmäßigen Auftretens meist nur kurzfristig wahrgenommen werden, trägt die Regelmäßigkeit der vom Menschen induzierten Katastrophen dazu bei, dass technologische Gefahren häufig unter- oder überbewertet werden.

ternet-Foren, in denen Mitte der neunziger Jahre der erste Netzmissbrauch mit Massen-E-Mails auftrat. Heute verursacht das Zumüllen von elektronischen Briefkästen mit unbestellten, unerwünschten E-Mails („unsolicited bulk e-mail“, UBE) und Werbebotschaften („unsolicited commercial e-mail“, UCE) einen jährlichen Schaden von über 20 Milliarden Euro. Nach Schätzungen der Internationalen Fernmeldeunion der Vereinigten Nationen sind zwischen 75 und 85 Prozent des gesamten E-MailVerkehrs mittlerweile Spam. Was beim „normalen“ Internetbenutzer bislang nur Ärger hervorruft, wird von Experten längst als bedrohliches Risiko wahrgenommen. Sie gehen davon aus, dass die Informationstechnik sowohl als Ziel wie auch als Waffe zukünftig an Bedeutung gewinnt. Die intuitive, subjektive Wahrnehmung und Einschätzung von Risiken – egal ob natürlicher oder technologischer Herkunft – bestimmt das Verhalten gegenüber potenziellen Gefahren. Hinsichtlich der Entscheidung, ob vorsorgend Schutzmaßnahmen ergriffen werden oder nicht, stellt die Risikowahrnehmung eine gewichtige Einflussgröße dar. Untersuchungen zur Wahrnehmung von Naturrisiken und der auf sie wirkenden Einflüsse können zur EntRisikowahrnehmung wicklung von besseren Bayerische Rückversicherung kommunikationspoliti- (1993) schen Strategien und Beckmann (1984) effektiven risikoredu- Renn & Rohrmann (2000) Steuer (1979) zierenden Maßnahmen Zwick & Renn (2002) beitragen.

94

98

2002

Quelle: Swiss Re

weisen eingewirkt werden. So haben die Aidsaufklärungskampagnen in Deutschland mit dazu beigetragen, dass sich die Beurteilung der Krankheit von Seiten der Öffentlichkeit gewandelt hat. Dabei wurde auch deutlich, wie variabel die Wahrnehmung von Risiken ist und wie sie sich im Laufe der Zeit ändert. Zuerst wurde Aids als Minderheitenkrankheit kaum wahrgenommen, dann folgten Panikmache und Kampagnen. Heute sind wieder andere Risikothemen relevant. Während zur Zeit des Kalten Krieges für die Vorgängergeneration die ABC-Risiken noch dominant waren, fürchtet man sich gegenwärtig vorm Klimawandel, der Gentechnologie und dem internationalen Terrorismus. Die Wahrnehmung oder auch Nichtwahrnehmung von Risiken ist nicht nur zeitlich variabel, sondern auch lokal unterschiedlich. Mit dem Näherrücken der Jahrtausendwende wurde die Umstellung der Computer und Rechenanlagen auf die neue Zeitrechnung („Y2K-Problem“) als enormes Sicherheitsrisiko eingeschätzt. Die teilweise verbreiteten Horrorszenarien traten nicht ein, vielmehr wurde deutlich, dass Maßnahmen zur Reduzierung von Risiken selbst riskant sind. Nach Ausbleiben des Schadens mussten die in die Billionen Euros gehenden Ausgaben gerechtfertigt werden. Als das Y2K-Problem auf dem Müllplatz der Geschichte landete, sprachen Kritiker von der größten Geldverschwendung aller Zeiten. Da kam „P2K“, das „Post-2000-Problem“, und zeigte, dass sich das Unterlassen von Prävention als Verpassen einer Chance erweisen kann. In den USA wurden 225 Milliarden Euro für Risikoprävention ausgegeben, die laut Analysten mit 1,5 Prozent zum amerikanischen Wirtschaftswachstum beigetragen haben. Die „risikofreudigeren“ Deutschen haben „nur“ 3,2 Milliarden Euro für den Austausch ihrer Rechneranlagen aufgewendet – und offensichtlich eine Chance verpasst, denn die Umstellung hat sich als lohnende Investition erwiesen, die Marktvorteile geschaffen hat. Niemand wird je beweisen können, ob Y2K aufgrund von Präventionsmaßnahmen nicht eingetreten ist. Wie man vor allem an Versicherungen sehen kann, muss man aber selbst über eine gewisse Risikofreudigkeit verfügen, will man im Geschäft mit den Risiken erfolgreich sein. Während in vielen Entwicklungsländern der HI-Virus als einer der wichtigsten Risikofaktoren eingeschätzt wird, nimmt man in modernen Dienstleistungsgesellschaften verstärkt „Spam“ als das größte Seuchenproblem wahr. Der Gebrauch des Begriffs – abgekürzt für „spiced ham“ – geht auf die englische Komödienserie „Monty Python’s Flying Circus“ zurück. In einem der Sketche wird in einem Restaurant die Konversation durch das ständige Wiederholen des Wortes „Spam“ erstickt. Weniger zu lachen hatten die Geschädigten der In-

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Bevölkerungsentwicklung und Verstädterung – wie wir leben Naturkatastrophen erlangen erst Bedeutung, wenn sie Menschen und deren Infrastruktur betreffen. Durch das Wachstum der Bevölkerung kommt es zwangsläufig zu einem verstärkten Aufeinandertreffen von gefährlichen Naturprozessen und menschlichen Siedlungsräumen. Der nach dem Zweiten Weltkrieg geprägte Begriff „Bevölkerungsexplosion“ bezeichnet treffend den rasanten Anstieg der Weltbevölkerung, die sich mit Zuwachsraten von bis zu 2,4 Prozent jährlich im 20.Jahrhundert vervierfacht hat. Zu Beginn unserer Zeitrechnung brauchte die Menschheit noch 1500 Jahre, um sich zu verdoppeln, heute geschieht das innerhalb von 35 Jahren. Zwar hat sich das Bevölkerungswachstum inzwischen mit einer Wachstumsrate von 1,18 Prozent verlangsamt, doch mit durchschnittlich 2,36 neuen Erdbewohnern pro Sekunde wächst die Bevölkerung rasant weiter. Dabei findet Mio. Einwohner 1750

Jahr 2050 Jahr 2003

1628 1500

1394

1250

1289

1069 1000

750

500 422 349 316

307

292 250 255 221 176

220

128 149

146 119

147

153 105

134 101

133 82

83 68

181

173

57

71

127 72

117 81

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˘ 4.17: In den beiden bevölkerungsreichsten Ländern lebt rund ein Drittel der gesamten Weltbevölkerung. Während die Bevölkerungszahl vieler Industrienationen zurückgeht, wird sie in den Entwicklungsländern in den nächsten Jahrzehnten noch steigen.

fast der ganze Zuwachs in den Entwicklungsländern statt. Während eine Frau im Weltdurchschnitt 2,6 Kinder bekommt, sind es in den ärmsten Ländern etwa fünf Kinder. Im Jahr 2013, so schätzen die Vereinten Nationen, wird die Erdbevölkerung die Sieben-Milliarden-Marke erreicht haben. Den Höhepunkt veranschlagen die Demographen für das Jahr 2070 mit rund neun Milliarden Menschen. Während in vielen Entwicklungsländern die Bevölkerungszunahme ein Problem darstellt, bereiten den meisten Industrienationen die sinkenden Fertilitätsraten erhebliche Sorgen. Ihre Einwohnerzahlen schrumpfen, da sie unter dem für die langfristige Aufrechterhaltung der Bevölkerung notwendigen Wert von 2,1 Kindern pro Frau bleiben, dem so genannten Reproduktionsniveau. Kommt heute jeder siebte Mensch aus Europa, Japan und Australien, wird es im Jahr 2100 nur noch jeder elfte sein – und dies trotz einer miteingerechneten europäischen Zuwanderung von 500 000 Menschen pro Jahr. Weil in diesen Ländern die Kinderzahlen sinken und gleichzeitig die Erhöhung der Lebenserwartung nachlässt, wird deren globale Bedeutung – gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil – zukünftig abnehmen. Dem bevölkerungsreichsten Land China wird es langfristig ähnlich ergehen. Derzeit stellt es noch rund ein Fünftel der Weltbevölkerung, zu Ende des Jahrhunderts wird es noch ein Siebtel sein. Das eigentliche Problem vieler „entwickelter“ Länder ist die künftige Altersstruktur. Bei einer voraussichtlichen Lebenserwartung von 100 Jahren bei Frauen und 94 Jahren bei Männern, so rechnen die Bevölkerungsexperten, wird in Westeuropa am Ende des Jahrhunderts jeder Fünfte über 80 Jahre alt sein. Der durch steigende Lebenserwartung und sinkende Geburtenhäufigkeit gekennzeichnete Transformationsprozess ist schon jetzt voll im Gange. Eine der vielschichtigen Ursachen ist der Wandel der gesellschaftlichen Rolle der Frau. Viele Frauen ziehen eine persönliche berufliche Entwicklung der Kindererziehung vor. Darüber hinaus kosten Kinder Geld und Zeit. Beides wollen immer mehr junge Menschen aufgrund gestiegener individueller Lebensansprüche für sich verwenden.

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Jahr

10,0

2015

Moskau

11,1

Peking Istanbul

11,4

Osaka-Kobe

12,4

Rio de Janeiro

12,6

Manila

12,7

Shanghai

12,9

Los Angeles

13,1

Kairo Buenos Aires

14,6

Karachi

16,2 16,8

Kalkutta

17,0

Lagos Jakarta

17,5

Dhaka

17,9 19,7

New York

20,0

São Paulo

20,6

Mexiko City

20,9

Delhi Bombay

22,6

36,2

Paris

10,9

11,3

Tokio 10,1

2003

Manila

10,5

Moskau

10,8

Kairo

10,8

Peking

11,1

Karachi

11,2

Rio de Janeiro

11,2

Osaka-Kobe Dhaka Los Angeles

12,0

Jakarta

12,3

Schanghai

12,8

Buenos Aires

13,0

Kalkutta

13,8

Delhi

14,1

Bombay

17,4

São Paulo

17,9

New York

18,3

Mexiko City

18,7

35,0

Lagos

10,4

11,6

Tokio 10,3

1975

10,7 11,4

1950 30 Mio.

25 Mio.

20 Mio.

Mexiko City Schanghai Tokio

19,8

35 Mio.

São Paulo

New York

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12,3

Parallel dazu ist im vergangenen Jahrhundert die Lebenserwartung durch Verbesserungen in Medizin, Hygiene und Gesundheitsvorsorge stetig gestiegen. In Deutschland hat sich innerhalb eines einzigen Jahrhunderts ein dramatischer demographischer Wandel vollzogen. Nach dem Babyboom der Nachkriegsjahre halbierte der so genannte „Pillenknick“ die Geburtenrate im Zeitraum von 1964 bis 1978. Mit dem Fall der Mauer fiel sie noch einmal: von 1,6 auf 0,77 – den bis dato niedrigsten je gemessenen Wert weltweit. Gleichzeitig ist die Lebenserwartung um mehr als 30 Jahre gestiegen. Ein neugeborener Junge hat heute eine durchschnittliche Lebenserwartung von rund 75,4 Jahren, ein Mädchen sogar von 81,2 Jahren. Aus einem ehemals wachsenden, jungen Deutschland ist in kürzester Zeit ein schrumpfendes, alterndes Land geworden. Die demographischen Veränderungen stellen die moderne Gesellschaft vor große Probleme. Abnehmende Bevölkerung und mehr ältere Menschen bedeuteten geringere Steuereinnahmen. Der Ausbau der Infrastruktur für die Bedürfnisse einer alternden Gesellschaft kostet Geld. Wo Kinder fehlen, wird auch die soziale Funktion der Familie schwächer und der Staat muss als Pfleger einspringen. Die „Überalterung der Gesellschaft“ wird die Zukunft der Sozialsysteme bestimmen und auch das Katastrophenmanagement nachhaltig verändern. Denn einerseits braucht der Katastrophenschutz junge Menschen und andererseits benötigen besonders ältere Menschen verstärkt Hilfe, die auch auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sein muss. Neben der Anzahl von Menschen auf unserem Planeten bereitet auch deren geographische Verteilung zunehmend Probleme. In vielen ländlichen Regionen und den alpinen Höhenzonen sind die Bevölkerungszahlen stark rückläufig. Besonders junge Menschen verlassen die infrastrukturell schlechter ausgestatteten Randgebiete und ziehen in die urbanen Zentren, die ihnen bessere Arbeitsund Lebensbedingungen bieten. Die Konzentration von Menschen in den Städten ist vor allem für die öffentliche Verwaltung eine enorme Belastung. Die Geschwindigkeit, mit der die Urbanisierung voranschreitet, überlastet oftmals die infrastrukturellen und sozialen Versorgungskapazitäten der Städte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt eine Stadt als riesig, wenn sie mehr als eine Million Einwohner hatte. Kaum verwunderlich, denn nur 16 Städte konnten eine solche Einwohnerzahl vorweisen. Die englische Hauptstadt London war mit rund sieben Millionen Einwohnern die größte urbane Agglomeration, und auch die Mehrzahl der anderen Millionenstädte befand sich in den industrialisierten Ländern. Noch 1950 hatte New York als einzige Stadt die Zehn-Millionen-Marke durchbro-

15 Mio.

˚ 4.18: 1950 hatte nur New York mehr als zehn Millionen Einwohner, 1975 waren es schon fünf Megastädte. Bis 2015 werden 22 Städte diese Einwohnerzahl erreicht haben, die meisten davon werden in den südlichen Entwicklungsländern liegen.

New York 10 Mio. Einw.

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chen, 1975 gab es schon fünf „Megastädte“ und weitere 195 Millionenstädte. Um dem Städtewachstum begrifflich nachzukommen, haben die Vereinten Nationen für Städte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern den Begriff „Megacities“ eingeführt. Im Jahr 2003 gab es weltweit 21 solcher Megastädte. Mit dem Begriff „Megapolisierung“ bezeichnen Stadtforscher das Wachstum der Megacities. Die Weltbevölkerung konzentriert sich also zunehmend in großen Städten. Heute lebt schon Die Megastadt als Lebensraum und Überlebensraum – das Beispiel Lagos, Nigeria Foto: UNDP

˘ 4.19: Ein Slum im nigerianischen Lagos. So oder in ähnlichen Verhältnissen haben im Jahr 2001 weltweit 924 Millionen Menschen gelebt.

Lagos, die dampfende Wirtschaftsmetropole von Nigeria, Afrikas bevölkerungsreichstem Staat, ist für manche das „Venedig Afrikas“ und für andere schlicht der „Vorhof zur Hölle“. Sicher ist: Wie keine andere Stadt auf dem Kontinent zeigt sie die Probleme urbaner Agglomerationsräume auf und verweist auf die Schwierigkeiten, vor denen die städtischen Verwaltungsbehörden stehen. 1960 hatte die Stadt eine Million Einwohner, 40 Jahre später sind es über zehn Millionen, bis 2015 werden weitere sieben Millionen dazukommen. Schon heute bereiten Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Armut, Kriminalität, Umweltverschmutzung, Energieversorgung und Müllentsorgung sowie die Explosion des informellen Sektors enorme Probleme. Damit stellt sich nicht nur die Frage nach der ordnungspolitischen Beherrschbarkeit von Megastädten, sondern auch nach den Gründen für die unwiderstehliche Sogwirkung dieser Zentren. Lagos verdankt seine Struktur und Entwicklung nur zu einem geringen Teil stadtplanerischem Schaffen. Seit jeher bestimmen national und global wirkende Kräfte die Geschwindigkeit und Form der Stadtentwicklung mit. Das von den Awori im Benin-Delta gegründete Dorf „Eko“ wird 1650 von den Portugiesen in Anlehnung an eine Stadt in ihrer Heimat umbenannt. Fortan heißt ihre Handelsniederlassung Lagos. 1861 landen die Briten vor der Lagune und machen aus der Hafenstadt die Hauptstadt ihrer Kolonie Nigeria. Bereits zu dieser Zeit zieht es befreite Sklaven, Arbeitsimmigranten und Bürgerkriegsflüchtlinge verstärkt in die Stadt. Mit der Besatzungszeit erfährt die Stadtstruktur erneut tiefgreifende Veränderungen, die von Funktionalität und Segregation geprägt sind. Ein europäischer Stadtkern mit modernen Verwaltungs- und Bürogebäuden gehört seitdem ebenso zur Metropole wie die ihn umgebenden ungeplanten Siedlungen.

rund die Hälfte in städtischen Zentren, im Jahre 2030 werden es fast zwei Drittel sein. Damit verändert sich die Bevölkerungsverteilung zwischen dem ländlichen und dem urbanen Raum nachhaltig. Und dies vor allem in Entwicklungsländern. Die Stadtbevölkerung wächst hier immer noch überproportional stark und wird 2030 einen Anteil von 57 Prozent an der Gesamtbevölkerung erreichen. Bessere Arbeitsmöglichkeiten und soziale Dienstleistungen lassen vor allem junge Menschen in städtische Gebiete abwandern. Landflucht nennen Am 10. Oktober 1960 feiert Nigeria seine Unabhängigkeit, der kurz darauf einsetzende Ölboom führt zu einer rasanten Expansion der Stadt. Die Erdölexporteinnahmen ermöglichen riesige Infrastrukturprojekte. Im Größenwahn einer westlichen „Entwicklungsparadigmen“ folgenden Städteplanung wird die Stadt mit Beton überzogen – und auseinander gerissen. Die Dynamik der Urbanisierungsprozesse geht aus der unglaublichen Geschwindigkeit hervor, mit der die Einwohnerzahl von nicht einmal zwei Millionen im Jahr 1975 auf über zehn Millionen im Jahr 2003 anwächst. Für ähnliche Steigerungsraten haben westliche Metropolen über 100 Jahre gebraucht. Täglich, so schätzt man, kommen mehr als 1000 Menschen in der Hoffnung auf Arbeit nach Lagos. Die Stadt zeichnet wie ein Seismograph das politische Klima in Westafrika auf. An der Ankunft von Flüchtlingen kann man ablesen, wo gerade Unruhen in Nachbarregionen sind. In Lagos treffen die Arbeitsimmigranten und Auswanderer auf fast alle der 400 in Nigeria vertretenen Volksgruppen.Im „melting pot“ schwillt die Schattenwirtschaft weiter an, mehr als zwei Drittel der arbeitenden Bevölkerung sind bereits im informellen Sektor beschäftigt. Die Stadt wird zum ethnischen Armenhaus Nigerias. Mitte der 80er Jahre beginnt der wirtschaftliche Motor unter der Bevölkerungslast zu erlahmen. Die Privatisierung staatlicher Dienstleistungen und die Reduzierung des öffentlichen Verwaltungsapparats lassen die Arbeitslosigkeit ansteigen. Infrastrukturelle Vorhaben und die Errichtung eines Gesundheits- und Rentensystems scheitern aufgrund der leeren Staatskasse. Die immer noch anwachsende Bevölkerung, sinkende Einkommen und steigende Lebenshaltungskosten verdoppeln die Zahl der in Armut lebenden Menschen innerhalb weniger Jahre. Die öffentliche Verwaltung zählt zu den korruptesten der Welt. Am 12. Dezember 1991 verlegt die Regierung ihren Sitz ins rund 480 km nördlich gelegene Abuja, wo man in einem 500000-Einwohner-Städtchen auf 8034 km2 Fläche künstlich ein „Federal Capital Territory“ geschaffen hat. Lagos, das immer noch den Großteil des nationalen Brut-

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das die Demographen. Sie zählt neben der jungen Altersstruktur zu den wichtigen Ursachen des Wachstums der städtischen Bevölkerung in den Entwicklungsländern. 90 Prozent des weltweiten Bevölkerungswachstums der nächsten Jahrzehnte wird in Städten der weniger entwickelten Länder stattfinden. Im Jahr 2001 hatten weltweit 40 Städte mehr als fünf Millionen Einwohner, wovon neun in Industrieländern lagen. 2015 sollen es 58 sein, nur zehn davon werden die modernen Industrienationen beheimaten. toinlandsprodukts erwirtschaftet, stirbt den politischen Tod. Dass die Zeiten vorbei sind, in denen die Stadt – wie auf den Nummernschildern der Autos zu lesen – das „Center of Excellence“ ist, machen die Machthaber aus dem Norden deutlich, indem sie die in Lagos ansässige Börse („Nigerian Stock Exchange“) per Dekret dazu zwingen, sich in „Lagos Stock Exchange“ umzubenennen, und die Errichtung einer „Abuja Stock Exchange“ anordnen. Die Bedeutung von Lagos als Wirtschaftsmetropole Nigerias ist dennoch ungebrochen – genauso wie die Probleme, auf denen man die Großstadt und ihre Menschen hat sitzen lassen. Die Folgekosten der massiven Entwicklung, wie Umweltbelastung, Armut und Kriminalität, machen das Leben in dieser Stadt zum Alptraum. Eine inadäquate Verkehrsinfrastruktur lässt diejenigen, die Arbeit haben, auf sechsspurigen Autobahnen stundenlang im Stau stehen. Im „go-slow“ streiten sich „area boys“ (Slum-Kinder) mit Stadtstreichern und Kleinkriminellen um die Kundschaft. Im Niemandsland unter den „fly overs“, den Kleeblättern der Stadtautobahnschleifen, drohen die dort lebenden Informellen in Müll und Auspuffgasen zu ersticken. Von drei millionenteuren Müllverbrennungsanlagen ist nicht eine einzige in Betrieb. Eine gehörige Portion „survival spirit“ braucht man für die täglichen Stromausfälle und die Fahrt mit einem der überfüllten Busse oder den „Okadas“ (Motorrad-Taxis). Der „Überlebensalptraum“, dem Durchschnitteuropäer nur aus Science-Fiction-Filmen bekannt, wird beim Einsatz der mobilen Polizeieinheit zur Wirklichkeit. Sie sind legislative und exekutive Gewalt in einer Person. Die Menschen nennen sie „kill and go“, da sie bereits bei leichtester Provokation zur Waffe greift und anschließend unbekümmert den Tatort verlässt. Der Ruf der Lokalpolizisten ist kaum besser. Sie stocken ihr geringes Gehalt auf, indem sie abends ihre Dienstwaffen an Kriminelle vermieten oder durch Straßenkontrollen Autofahrer so lange aufhalten, bis diese ein paar Naira Schmiergeld zahlen. Lagos bietet all das, was man mit Großstädten in Entwicklungsländern assoziiert und meist nur

Während die einstigen Metropolen wie New York, London und Paris auf der Nordhalbkugel lagen, werden die größten Megastädte dieses Jahrhunderts in der südlichen Hemisphäre liegen. Städte wie Delhi, Mexiko City oder Bombay durchlaufen dabei in zwei Jahrzehnten einen Urbanisierungsprozess, der in London mehr als zwei Jahrhunderte gedauert hat. Innerhalb weniger Dekaden steigern sie ihre Einwohnerzahl um mehrere Millionen Menschen. New York hat in seinen expansiven Zeiten dafür etwa 150 Jahre benötigt. In wenigen Jahrzehnten diffus erahnt. Überlebensraum für Arme und Lebensraum für Reiche, funktional und wohntechnisch durch Wasser und Stacheldraht getrennt. Der Einkommensunterschied zwischen den Bevölkerungsschichten wird beim Gang über die Brücke zu den vom Festland getrennten Laguneninseln sichtbar. In den Nobelvierteln auf „Victoria Island“ und „Ikoyi“ ist Lagos grün und sauber. Unzählige Galerien zeigen, was in den bildenden Künsten gerade zeitgemäß ist, vornehme Clubs laden mit neuester Musik zur Entspannung ein. Hier streitet man sich mit Dakar um den Titel „Kulturhauptstadt Afrikas“, gegenüber in Ajegunle und anderen Vierteln ringt man mit Johannesburg um den Titel der „gefährlichsten Stadt Afrikas“. Die Metropole ist ein umkämpfter Raum voller Gegensätze und Konflikte, Abbild eines Landes, das mit zu den größten Ölexporteuren und trotzdem zu den ärmsten Ländern der Welt gehört. Das „schwarze Gold“ bringt über 95 Prozent der Exporterlöse und zwei Drittel der gesamten Staatseinkünfte ein. Dennoch müssen die Nigerianer für Benzin oft tagelang anstehen. Ungeachtet der massiven Probleme, die sich in den urbanen Ballungszentren ergeben, ziehen diese die Menschen wie Magnete an. Auch Lagos bietet eine hervorragende Plattform für Handel und Finanzgeschäfte. Speziell internationale Firmen profitieren vom Arbeitskräfteangebot, das in den ländlichen Regionen in dieser Qualität nicht vorzufinden ist. Dies wirkt sich positiv auf die Kaufkraft und das Konsumniveau aus. Sie sind der Motor für eine rapide urbane Entwicklung, der soziale Errungenschaften nicht in gleichem Maße folgen können. Der Urbanisierungsprozess wird vorerst weitergehen. Denn letztlich bietet die Stadt für die Menschen große Entwicklungschancen. So schlecht der Zugang zu Nahrung, Bildung, elektrischer und Die Megastadt … ärztlicher Versorgung im Achebe (2002) „Moloch von Afrika“ Peil (1997) auch ist, er ist meist bes- Rakodi (1997) ser als auf dem Land. Zeese (2001)

Die Megastadt …

Informationen über Nigeria http://nigeriaworld.com Ministerium für Infrastrukturentwicklung Lagos www.lagosstate.gov.ng/ministry/ Office_of_ Infrastructure/infra.htm Webseite des Staates Lagos www.lasgworks.com

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˚ 4.20: Bevölkerungszunahme und Urbanisierung verursachen massive Probleme für die städtischen Behörden und die natürliche Umwelt.

wird die Stadtpopulation auf dem asiatischen und afrikanischen Kontinent größer sein als in jeder anderen Region der Welt. In China wird sie von derzeit rund 35 Prozent der Gesamtbevölkerung auf etwa 50 bis 60 Prozent im Jahr 2015 anwachsen. Schon heute leben in der größten Stadt der Welt, in Tokio, rund 35 Millionen Menschen. In Bombay, Delhi, Mexiko City und São Paulo werden es in Kürze über 20 Millionen sein. Damit rückt die Größendimension der urbanen Agglomerationen in die demographische Nähe vieler Nationen. Die zunehmende Verstädterung birgt für die Bevölkerung Chancen und Risiken gleichermaßen. Im Süden sind in den urbanen Räumen die Arbeitsmöglichkeiten meist besser, der Zugang zu Gesundheitsdiensten und Bildungseinrichtungen leichter und die sozialen Freiheiten häufig größer als auf dem Land. Die Städte profitieren zumeist auch mehr von staatlichen Zuwendungen und Investitionen als die ländlichen Gebiete. Infolgedessen wächst ihre Bevölkerung um 2,5 Prozent pro Jahr, in den ärmsten Ländern sogar teilweise um 4,5 Prozent. Das schnelle, zumeist unkontrollierte Anwachsen der Metropolen schafft Probleme für die Stadtverwaltungen, die natürliche Umwelt und nicht zuletzt für den in der Stadt lebenden Menschen selbst. Oftmals fehlt es an notwendiger Infrastruktur, die Luft- und Umweltbedingungen sind schlecht, die Lebenshaltungskosten sehr viel höher als auf dem Land. Im Durchschnitt verbraucht ein städtischer Haushalt mehr als dreimal so viel Energie wie ein ländlicher. Beim Verbrauch von Erdöl und Erdgas beträgt das Verhältnis zwischen Stadt und Land sogar 24,5 zu eins. Diese Energie muss

Die Megastadt als Klimafaktor – das Beispiel Tokio, Japan In der größten Stadt der Welt werden die Sommer immer heißer. In den letzten Jahrzehnten ist die Durchschnittstemperatur in der japanischen Metropole um drei Grad Celsius angestiegen. Die Zahl der über 25 Grad heißen Nächte hat sich in den letzten 70 Jahren vervierfacht. Der Sommer 2004 hat zwei neue Hitzerekorde aufgestellt: die höchste Tagestemperatur mit 39,5 Grad und 37 Tage hintereinander über 30 Grad (65 insgesamt). Dass die Temperaturen um einige Grad höher als im Umland sind – die Klimaforscher bezeichnen dies als „Hitze-Insel-Phänomen“ –, liegt an der Versiegelung der Landschaft. Dichte Bebauung, Hochhäuser und Stadtautobahnen bieten der Sonne riesige Oberflächen, die diese tagsüber aufheizt. Durch den kontinuierlichen Wärmeausstoß von Millionen von Autos und Klimaanlagen wird die Stadt zum Hitzespeicher. Das lokale Klima beeinflusst die natürliche Umwelt. Die Kirschblütenzeit kommt immer früher, oft blüht Tokio vor den wärmeren Präfekturen im Süden. Pflanzenarten, denen es früher zu kalt war, machen sich in den Stadtgärten breit. Das aufgeheizte Wasser der Tokiobucht verschiebt die Planktonzusammensetzung, neue Algen- und Krabbenarten drängen in das Becken. Die Fischer stöhnen, weil das Fleisch der für gewöhnlich in wärmeren Gewässern zu findenden Schalentiere nicht viel Geld einbringt. Die Folgen für das Meer sind schwer abzuschätzen. Das Mikroklima ist auch für die häufiger auftretenden heftigen Sommergewitter verantwortlich. Die nach oben steigende heiße Stadtluft erzeugt künstlich ein lokales Tiefdruckgebiet. Bei ungünstiger Wetterlage ziehen die feuchten Luftmassen vom Meer in die Stadt und werden durch die dortige Heißluft in die Höhe getrieben. Damit bilden sich gigantische Unwetterwolken, die sich über der Metropole entladen. Die Parkanlagen, die eigentlich als Erholungsund Evakuierungsflächen angelegt wurden, erhalten nun auch klimatische Bedeutung. Denn in den Vegetationsinseln kann sich kältere Luft sammeln. Stadtplaner denken auch darüber nach, die Hochhäuser mit einer reflektierenden Farbe zu streichen und Straßenzüge unterirdisch mit Wasser zu kühlen. Solche Überlegungen sind dringend notwendig, denn Forscher haben berechnet, dass aufgrund der globalen Erwärmung die Durchschnittstemperatur der japanischen Sommermonate von 22 Grad Celsius erst auf 25 Grad im Jahr 2050 und dann auf 27 Grad im Jahr 2100 ansteigen wird. Schon in wenigen Jahrzehnten wird es in Tokio an mehr als 100 Tagen im Jahr über 30 Grad warm sein.

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Bevölkerungsentwicklung und Verstädterung 111 ˘ 4.21: Auch die urbanen Zentren der entwickelten Länder sind mit Problemen von Armut und Umweltverschmutzung konfrontiert.

bereitgestellt und die Abfallprodukte der geballten Zivilisation müssen weggeschafft werden. Nicht selten werden dabei die natürlichen Ressourcen übernutzt und irreparable Umweltschäden verursacht. Die drohende Unregierbarkeit gigantischer urbaner Strukturen dringt vor allem dann ins Bewusstsein, wenn man sieht, wie Menschen in Städten unter menschenunwürdigen Lebensbedingungen hausen. Nach den jüngsten Berechnungen der Vereinten Nationen lebt weltweit bereits jeder dritte Stadtbewohner in Elendsquartieren, den so genannten Slums. Falls die momentane Entwicklung ungebremst weiterläuft, so warnen Bevölkerungsexperten, wird in wenigen Jahrzehnten ein Drittel der gesamten Menschheit in Slums wohnen. In den am wenigsten entwickelten Ländern sind schon heute rund 78 Prozent der gesamten Stadtbevölkerung Slumbewohner. Da 95 Prozent des Bevölkerungszuwachses zwischen 2000 und 2030 in den urbanen Zentren der Entwicklungsländer stattfindet, wird bereits 2007 die Hälfte der Erdbevölkerung in Städten leben. Die Zahlen deuten an, welcher soziale Sprengsatz hier ruht. Experten haben sich auf einem Treffen in Nairobi 2002 auf fünf Merkmale geeinigt, mit deren Hilfe die Erfassung von Slums operationalisiert werden soll. Demzufolge gilt ein Wohngebiet als Slum, wenn wenigstens eines der folgenden Attribute zutrifft: kein Zugang zu sauberem Wasser, kein Zugang zu sanitären Einrichtungen, unzureichende Wohnraumfläche, schlechte Qualität und Lebensdauer der Wohnunterkünfte, unsicherer Einwohnerstatus. In vielen Metropolen haben die Menschen überhaupt kein Dach über dem Kopf

und sind von mehreren dieser Missstände gleichzeitig betroffen. In Afrika liegt der Anteil der Slumbewohner, gemessen an der städtischen Gesamtbevölkerung, bei fast zwei Drittel, in Lateinamerika und der Karibik bei etwa einem Drittel. Absolut betrachtet beherbergen die Slums in Asien – allen voran China und Indien – die meisten Menschen. In Bombay und Delhi wohnt schon jetzt mehr als die Hälfte der Einwohner in Elendsquartieren. In Lagos und Nairobi haben über als 60 Prozent der Haushalte keinen Zugang zur öffentlichen Wasserversorgung. Auch in Europa leben etwa 33 Millio˙ 4.22: Rund ein Drittel der globalen Stadtbevölkerung lebt in Elendsquartieren, die zu über 90 Prozent in Entwicklungsländern liegen.

Menschen in Slums 2001

Region

Stadtbevölkerung (in Millionen)

Anteil Stadtbevölkerung an Gesamtbevölkerung (in %)

Anteil Slumbevölkerung an Stadtbevölkerung (in %)

Städtische Slumbevölkerung (in Millionen)

1990

2001

1990

2001

1990

2001

2001

2001

5255

6134

2286

2923

43,5

47,7

31,6

924

515

685

107

179

20,8

26,2

78,2

140

Entwicklungsländer

4106 4940

1439

2022

35,0

40,9

43,0

870

Entwickelte Länder

1148

1194

846

902

73,7

75,5

6,0

54

Afrika

619

683

198

307

31,9

44,9

60,9

187

Welt Am wenigsten entwickelte Länder

Lateinamerika & Karibik Quelle: UN-Habitat

Gesamtbevölkerung (in Millionen)

Asien (ohne China) Ozeanien

440

527

313

399

71,7

75,8

31,9

128

3040

3593

928

1313

30,5

36,5

42,1

554

6

8

1

2

23,5

26,7

24,1

0,5

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112 Die Gesellschaft in Bewegung

Europa 4 268 000 Nordamerika 962 000

Quelle: UNHCR

Lateinamerika und Karibik 1 316 400

Afrika 4 285 100

Asien 6 187 800

74 100

Menschen auf der Flucht 2004 Geschätzte Zahl Asylsuchender, Flüchtlinge und anderer, die unter den Schutz von UNHCR gestellt wurden (Stand: 1. Januar 2004)

˚ 4.23: Naturkatastrophen, Bürgerkriege und schlechte Lebensbedingungen zwingen immer mehr Menschen dazu, ihre angestammte Heimat zu verlassen.

Ozeanien

Gesamt 17 093 400

nen Menschen in slumähnlichen Verhältnissen. Angesichts dieser prekären Situation haben sich die Vereinten Nationen zum Ziel gesetzt, die Lebensverhältnisse von mindestens 100 Millionen Slumbewohnern bis zum Jahr 2020 zu verbessern („Target 11“). Noch in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts ist man davon ausgegangen, dass der verbreitete Einsatz von Kommunikationstechnologien und Telematik den Untergang der Stadt als Marktplatz für Informationen und Güter bedeutet. Entgegen dieser Vermutungen sind viele Städte zu Schaltzentralen des Weltmarkts aufgestiegen. Diese so genannten „global cities“ haben als räumliche Knotenpunkte in dem weltweit vernetzten Raum der Ströme eine übergeordnete Bedeutung. Davon sind die meisten südlichen Megastädte des 21. Jahrhunderts trotz ihrer hohen Einwohnerzahlen noch weit entfernt. Sie werden vorläufig nur innerArmut und Hunger …

Bronger (2004) Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (2003) Lutz, Sanderson & Scherbov (2004) Mitchell (1999) Pelling (2003) UN-HABITAT (2003a, 2003b) UNHCR (2004)

Armut und Hunger …

Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) www.bbr.bund.de Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) www.weltbevoelkerung.de Earthquakes and Megacities Initiative (EMI) www-megacities.physik. uni-karlsruhe.de Mega-Cities Projekt des Trinity College Hartford www.megacitiesproject.org UN High Commissioner for Refugees (UNHCR) www.unhcr.ch UN Human Settlements Programme (HABITAT) www.unhabitat.org UN Population Division www.un.org/popin/wdtrends.htm World Association of the Major Metropolises www.metropolis.org

halb ihrer staatspolitischen Ländergrenzen eine Rolle spielen. Urbanisierung bedeutet nicht automatisch Wohlstandssteigerung. Die Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Megacities erfordert eine angemessene Armuts-, Umwelt- und Flächenpolitik, die aufeinander abgestimmt sein muss. Vor allem der Raum- und Regionalplanung kommt hier große Bedeutung und Verantwortung zu. Auch hinsichtlich Naturkatastrophen, denn die Megastädte sind aufgrund ihrer komplexen Struktur anfällig für Störungen. Viele dieser Agglomerationen wie etwa Los Angeles, Tokio, Istanbul und Mexiko City befinden sich sogar in unmittelbarer Nähe zu Naturgefahren. Ein potenzielles Erdbeben in diesen Ballungszentren kann verheerende Folgen für die Bevölkerung haben, falls Katastrophenvorsorgemaßnahmen nicht ausreichend durchgeführt werden. Andererseits sind die Städte in vielerlei Hinsicht resistenter als die ländlichen Räume. Zumeist verfügen sie über erhebliches Know-how und eine bessere Ausstattung an Kapital- und Humanressourcen. Kapazitäten können gegebenenfalls schnell gebündelt werden. Damit sind sie in der Lage, externe Schocks abzufedern und sich von negativen Auswirkungen in relativ kurzer Zeit zu erholen. Neben den „Pull-Faktoren“, die Menschen wie Magnete in die Städte ziehen, gibt es zahlreiche „Push-Faktoren“, welche die Bevölkerung aus den ländlichen Gebieten in urbane Zentren treiben. Schlechte Lebensbedingungen, Naturkatastrophen und Bürgerkriege sind die häufigsten Gründe, warum Menschen ihre angestammte Heimat verlassen. Über 17 Millionen Menschen befinden sich momentan weltweit auf der Flucht. Und sie flüchten zumeist in die Städte der Aufnahmeländer, die ihrerseits auf den Zustrom reagieren – z.B. mit einem unter Strom gesetzten, teilweise verminten Stacheldrahtzaun, mitten durch Kaschmir. Er soll Eindringlinge abschrecken, erschwert aber vor allem den Landwirten den Weg auf ihre Felder. In Israel soll ein Sperrwall zum Westjordanland seine Bürger vor Terroranschlägen aus den Palästinensergebieten schützen. Die Staatsgrenze zwischen den USA und Mexiko gleicht in vielen Abschnitten einer Festung. Neuestes technisches Gerät macht einen unbemerkten Grenzübertritt nahezu unmöglich. In Deutschland wird über außereuropäische Flüchtlingslager in Nordafrika nachgedacht. Allerdings bestehen berechtige Zweifel hinsichtlich der Zweckdienlichkeit solcher künstlicher Grenzen. Wer ums Überleben kämpft und bereit ist zu sterben, wird sich von einem zwei Meter hohen Zaun kaum aufhalten lassen. Nur die Verbesserung der Lebensbedingungen wird letzten Endes die Menschen davon abhalten, ihre Heimat zu verlassen.

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Armut und Hunger 113

Menschen in Armut 2000 Region

Menschen, die mit weniger als 1 US-$ pro Tag leben

Menschen, die an Unterernährung leiden (1998 – 2000)

Kinder, die keine Grundschule besuchen

Mädchen, die keine Grundschule besuchen

Unter 5-Jährige, die pro Jahr sterben

Menschen, ohne Zugang zu sauberem Wasser

Menschen, ohne Zugang zu Gesundheitseinrichtungen

323

185

44

23

5

273

299

Arabische Staaten

8

34

7

4

1

42

51

Ostasien u. Pazifik

261

212

14

7

1

453

1004

Südasien

432

312

32

21

4

225

944

Lateinamerika und Karibik

56

53

2

1

0

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Zentral-, Osteuropaund GUS

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Quelle: UNDP

Afrika südlich der Sahara

Welt alle Angaben in Millionen

Armut und Hunger – die Triebfedern In den Industrieländern ist in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der Wohlstand um rund das Siebenfache gestiegen. 2004 ist die Weltwirtschaft trotz des hohen Ölpreises so stark gewachsen wie seit 25 Jahren nicht mehr. Der Internationale Währungsfonds registrierte ein Plus von 4,9 Prozent. Dafür verantwortlich sind nur wenige Länder, allen voran die USA, China, Japan und die Eurozone. In den Entwicklungsländern sterben jährlich etwa zehn Millionen Menschen an den Folgen von Hunger, durchschnittlich alle fünf Sekunden ein Menschenleben. Weltweit leben etwa 1,2 Milliarden Menschen in extremer Armut und mehr als 840 Millionen leiden an Unterernährung. Jeder Dritte davon ist in Afrika südlich der Sahara zu Hause. Meist sind mehrere Gründe für Armut und Hunger verantwortlich, die auf komplexe Weise miteinander verwoben sind: Naturkatastrophen, Landnutzungspraktiken, Kriege, ungerechte Machtstrukturen, Korruption und Diskriminierung, um nur einige zu nennen. Aber was sind Armut und Hunger genau und wie lassen sie sich messen? Armut kann unterschiedlich definiert und, je nachdem ob man das Einkommen oder soziale Indikatoren zu Grunde legt, auf verschiedene Art gemessen werden. Im Allgemeinen unterscheidet man zwischen einer „absoluten“ und einer „relativen“ Armut. Als absolut oder extrem arm bezeichnet man Menschen, die nicht über die Ressourcen verfügen, um elementare Grundbedürfnisse zu befriedigen und ein menschenwürdiges Leben zu führen. Da Hunger, Krankheit und der permanente Überlebenskampf eines absolut Armen nicht oder nur schwer messbar sind, hat die Weltbank die Ein-Dollar-Marke eingeführt. Als absolut arm gilt, wer weniger als einen US-Dollar in lokaler Kaufkraft pro Tag zur Verfügung hat. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist das jeder fünfte Mensch

˚ 4.24: Auch mit Beginn des neuen Jahrtausends gibt es noch viel zu tun, damit die Kluft zwischen reichen und armen Ländern nicht noch größer wird. Vor allem in Schwarzafrika und Südasien ist die Armutssituation der Menschen mehr als kritisch.

auf der Erde. Die meisten davon leben in Asien. In Afrika ist der Anteil der Armen an der Gesamtbevölkerung am höchsten. Beim so genannten „Millenniumsgipfel“ hat sich die Staatengemeinschaft das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2015 die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen zu halbieren. Dies ist durchaus realisierbar, wohl aber nicht in allen Ländern. Begünstigt durch den wirtschaftlichen Aufschwung in Teilen Asiens hat sich der Anteil der absolut Armen in Ostasien von 58 auf 16 Prozent verringert. Dagegen hat sich ihre Zahl in Schwarzafrika in der Zeit von 1981 bis 2001 fast verdoppelt. Auch in Osteuropa und Zentralasien sind rund sechs Prozent der Bevölkerung von extremer Armut betroffen. Bei einer Anhebung des Armutsindikators auf zwei USDollar pro Kopf und Tag würden weltweit sogar 2,8 Milliarden Menschen in Armut leben. Damit ist fast jeder zweite Mensch auf unserem Planeten nicht in der Lage, seine elementaren Grundbedürfnisse zu befriedigen. Er muss ums tägliche Überleben kämpfen. Der so genannte „Ressourcenansatz“, der Armut über das Einkommen und Vermögen definiert, hat den Vorteil, dass er leicht mess- und vergleichbar ist. Allerdings kann in zwei Ländern trotz identisch hoher Anzahl armer Menschen die Situation der Armen unterschiedlich sein. In der Europäischen Union wird beispielsweise derjenige als absolut arm bezeichnet, der weniger als 40 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung hat. Wer die Hälfte oder weniger besitzt, gilt als arm, bei 60 Prozent wird man als einkommensschwach bezeichnet. Man spricht von

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Der Milleniumsgipfel

Der Millenniumsgipfel 2000 www.un.org/millennium/ summit.htm Die acht Millenniumsentwicklungsziele www.un.org/millenniumgoals Das Millenniumsprojekt www.unmillenniumproject.org Das Aktionsprogramm 2015 www.aktionsprogramm2015.de Der Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen www.2015.venro.org Das World Economic Forum www.weforum.org

Der Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen – Halbierung von Armut und Hunger bis 2015 Im September 2000 fand in New York das bislang größte Treffen von Staatsoberhäuptern und Regierungschefs statt: der Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen. In ihrem Abschlussdokument, der Millenniumserklärung, legten 189 Mitgliedsstaaten die Agenda für das 21. Jahrhundert fest und verständigten sich auf einen internationalen Handlungsrahmen für Entwicklung. Damit verpflichteten sie sich, den Anteil extrem armer und hungernder Menschen weltweit bis zum Jahr 2015 zu halbieren und die soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu fördern. Zusammen mit anderen internationalen Organisationen formulierten die Vertreter der Weltgemeinschaft acht Entwicklungsziele („Millennium Development Goals“, MDG): ” Beseitigung von extremer Armut und Hunger; ” Sicherstellung der Grundschulbildung für alle Kinder; ” Gleichstellung der Geschlechter und größerer Einfluss von Frauen; ” Senkung der Kindersterblichkeit; ” Verbesserung der Gesundheit von Müttern; ” Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und anderen Krankheiten; ” Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit; ” Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft. Neben den Hauptzielen wurden 48 Indikatoren festgelegt, mit Hilfe deren die Umsetzung der einzelnen Millenniumsziele gemessen wird. Sie reichen von der „Sterberate durch Malaria“ bis hin zur „Analphabetisierungsrate der 15 – 24-Jährigen“. Zur Erreichung der Ziele werden verschiedene Instrumente eingesetzt. Ein unabhängiges „Millenniumsprojekt“ hilft speziell Entwicklungsländern bei der Verfolgung bestmöglicher Strategien. Dabei analysiert eine Expertengruppe verschiedene Politik- und Finanzierungsoptionen, ein Implementierungsplan unterstützt die Umsetzung. Eine „Millenniumskampagne“ soll die Länder des Nordens und Südens gleichermaßen mobilisieren und sie in ihren Anstrengungen vernetzen. Darüber hinaus werden globale, nationale und regionale „MDG-Reports“ publiziert, in denen die Fortschritte festgehalten sind. Diverse Aktivitäten auf Länderebene, welche die Mitgliedsstaaten bei der Durchführung von Programmen zur Erreichung der Ziele unterstützen sollen, vervollständigen das Millenniumspaket. Als nationalen Beitrag zur Erreichung der Entwicklungsziele verabschiedete das Bundeskabinett im April 2001 das Aktionsprogramm 2015, das den erweiterten Armutsbegriff zu Grunde legt und primär strukturpolitische Maßnahmen verfolgt. Zentrale Aspekte sind die Verbesserung der wirtschaftlichen Möglichkeiten für die Armen und die

Stärkung ihrer politischen Teilhabe. Auch die Wasser- und Energieversorgung sowie die Schaffung von fairen Handelschancen und sozialer Sicherheit sollen unterstützt werden. Begleitet wird das Aktionsprogramm von einem „Dialogforum 2015“, dem Persönlichkeiten aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen angehören. Ein jährliches Mitgliedertreffen soll die unterschiedlichen Kräfte der Allianzpartner bündeln, neue Ideen hervorbringen und Aktionen anstoßen. Im Juni 2002 hat die Bundesregierung einen ersten Zwischenbericht über den Stand der Umsetzung des Aktionsprogramms vorgelegt, ein zweiter folgte im März 2004. Auch andere Länder und internationale Organisationen wie Weltbank und Internationaler Währungsfond unterstützen mit unterschiedlichen Aktivitäten die Vorgaben des Millenniumsgipfels. Die Europäische Union treibt den Abbau von Agrarsubventionen und Handelshemmnissen für Entwicklungsländer voran. Im Mai 2001 legte der Entwicklungsausschuss der OECD ausführliche Leitlinien zur Armutsbekämpfung vor, um damit die Umsetzung der Ziele zu fördern. Unterstützung kommt auch von den Nichtregierungsorganisationen. Stellvertretend sei das Projekt „Perspektive 2015: Armutsbekämpfung braucht Beteiligung“ genannt, das im Oktober 2001 vom Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen gestartet wurde und voraussichtlich bis Jahresende 2006 läuft. Das Vorhaben des aus rund 100 Nichtregierungsorganisationen bestehenden Verbandes wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert. Am 20. April 2004 veröffentlichte das Welt-Ökonomie-Forum einen Bericht zum aktuellen Stand der acht Entwicklungsziele. Darin kommt ein aus über 40 internationalen Experten bestehendes Team zu dem ernüchternden Ergebnis, dass sich die internationale Gemeinschaft dreimal stärker als bislang engagieren muss, um die Ziele bis 2015 zu realisieren. Damit die Zielvorgaben erreicht werden können, so die Experten, seien eine bessere Vernetzung der Zielbereiche untereinander und ein stärkeres Engagement von Seiten der privaten Wirtschaft und der Öffentlichkeit erforderlich.

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Armut und Hunger 115 ˘ 4.25: Jeder fünfte Mensch auf der Erde lebt in extremer Armut und mehr als 840 Millionen hungern. Nicht jeder Bedürftige hat das Glück wie dieser, der sich über zwei Sandwichs freuen darf, die Mitmenschen neben sein Hab und Gut gelegt haben.

„Einkommensarmut“. In Deutschland betrug im Jahr 2004 der Anteil derjenigen, die mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze auskommen mussten, 13,5 Prozent. Die relative Armut drückt in erster Linie soziale Ungleichheiten innerhalb einer Gesellschaft aus. Menschen gelten dann als arm, wenn sie über so geringe materielle, kulturelle und soziale Mittel verfügen, dass sie von der üblichen Lebensweise in dem jeweiligen Land ausgeschlossen sind. Der Vergleich des Lebensstandards unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen innerhalb eines Landes ist erheblich schwieriger. Man benötigt zahlreiche Indikatoren, um zu messen, ob etwa alle Menschen den gleichen Zugang zu Arbeit, Bildung und Information haben, ob sie in der Lage sind, soziale Beziehungen aufzubauen oder unter den gleichen Bedingungen ihre Freizeit gestalten können. Der so genannte „Lebenslagenansatz“ fasst den Armutsbegriff wesentlich weiter und schließt auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die politische Teilhabe und die soziale Sicherheit mit ein. Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass auch Bildungschancen, gesellschaftliche Teilhabe an Entscheidungen, Lebensstandard, Selbstbestimmung oder Rechtssicherheit mit darüber entscheiden, ob die verfügbaren Ressourcen ausreichen,

um das Leben individuell und menschenwürdig zu gestalten. Auf Grundlage der Basisfaktoren „Lebenserwartung“, „Bildungsniveau“ und „Lebensstandard“ errechnet das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen seit den neunziger Jahren jährlich einen „Index der menschlichen Entwicklung“ („Human Development Index“, HDI). Mittlerweile wird mit Hilfe von fast 200 Indikatoren für 175 Länder ein HDI erstellt. Der auf einer Skala zwischen null und eins angegebene Wert beschreibt den Entwicklungsstand eines Landes umfassender als die rein ökonomischen Indikatoren Bruttosozial- oder Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Der Armutsbegriff, der in der entwicklungspolitischen Debatte lange Zeit über das Einkommen oder das Wirtschaftswachstum definiert wurde, hat durch den ˙ 4.26: Armut hat viele Gesichter. „Lumpen“ nennen die Einwohner Tokios ihre mittellosen Mitbewohner, die sich aus Abfällen der Zivilisation in den öffentlichen Parks ein eigenes Zuhause geschaffen haben.

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Index eine Differenzierung erfahren. Ökonomisches Wachstum ist nicht gleichzusetzen mit gesellschaftlicher Entwicklung, und nicht alle Menschen einer Einkommensstufe leiden gleichermaßen unter negativen Einwirkungen. Die Anfälligkeit für und die Regeneration nach einer Krise wird auch durch soziale Charakteristika wie Klasse, Geschlecht, Rasse, Alter und Behinderung mitbestimmt. Die Mehrdimensionalität von Armut und wie Mittellose selbst ihre Situation einschätzen dokumentiert eine dreibändige Weltbank-Studie („Stimmen der Armen“). Die Befragung von insgesamt 60 000 Armen aus 60 Ländern zeichnet ein differenziertes Bild von dem, was sich für diese Menschen täglich hinter dem Begriff „Armut“ verbirgt: das Fehlen von Sicherheiten, Mitbestimmung und Perspektiven. Die in Armut lebenden Menschen besitzen keinen Zugang zu Produktivressourcen und dieses Defizit erhöht ihre Verwundbarkeit gegen wirtschaftliche Krisen, Strukturveränderungen oder Naturgefahren. Sie können keine finanziellen und materiellen Rücklagen bilden, die ihnen ermöglichen würden, eintretende Krisen entsprechend abzupuffern. Ihre Situation zwingt sie dazu, die wenigen Landressourcen zu übernutzen. Die Folgen wie Bodendegradation und Bewuchsvernichtung erhöhen die Anfälligkeit zusätzlich. Viele Menschen treibt die Armut in die großen Städte. Dort erwarten sie einfache Behausungen, die oftmals in potenziellen Naturgefahrengebieten liegen. Nicht zuletzt deshalb ist bei Naturkatastrophen die Zahl der Opfer unter den Ärmsten am höchsten. Ein zentraler Aspekt zur Überwindung der Armut ist die Ernährungssicherung. Auch hier müssen mehrere Faktoren betrachtet werden. Produktion, Vorratshaltung und Handel bestimmen über die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln. Entscheidend ist auch, ob Menschen Zugang zu den verfügbaren Nahrungsmittelressourcen in ausreichender Qualität und Quantität gewährt wird. Die adäquate Verwendung und Verwertung der Nahrungsmittel spielen eine ebenso wichtige Rolle wie der Gesundheitszustand, das Ernährungswissen und Ernährungsverhalten der Menschen. Seit die einstige Selbstversorgungswirtschaft von einem weltumspannenden Ernährungssystem abgelöst wurde, reicht es nicht mehr aus, den Fokus allein auf die Nahrungsmittelproduktion zu richten. Eine langfristige und effiziente Ernährungssicherung ist nur gewährleistet, wenn alle Faktoren berücksichtigt werden. Die heutigen Nahrungssysteme sind komplex und ihre Wechselwirkungen erschweren die Bekämpfung des Hungers. Zunächst müssen Nahrungsmittel produziert werden. Hier beeinflussen neben natürlichen Faktoren wie Boden und Klima

auch sozioökonomische und gesellschaftspolitische Aspekte die Produktionsprozesse. Ein Nahrungssystem beinhaltet ferner die Überführung der Nahrungsmittel vom Produzenten zum Konsumenten. Fand dieser Prozess früher meist auf regionalen Märkten statt, so sorgt heute ein internationales Handelssystem für den Nahrungsaustausch zwischen Erzeuger und Verbraucher. Zum Nahrungssystem zählen auch der Verbrauch und die Reproduktion von Nahrungsmitteln. Viele Nahrungssysteme sind nicht nachhaltig, da die Verbrauchsrate höher ist als die Regenerationsfähigkeit. Auf jeder dieser Stufen kann es zu Krisen kommen. Naturkatastrophen können die Rohstoffherstellung und die Weiterverarbeitungsabläufe stören und damit die Nahrungsmittelproduktion unter das Nachfrageniveau drücken. Hunger wäre die Folge einer Produktionskrise. Demgegenüber entstehen Verteilungskrisen im Handelssystem. In vielen Regionen sind die Ursachen von Hunger auf erhöhte Transportkosten, Kriege, Boykotte, Schutzzölle und Streiks zurückzuführen. Krisen können durch eine Finanzschwäche auf Seiten der Nachfrager oder durch die Übernutzung der natürlichen Ressourcen ausgelöst werden. Oftmals reduzieren Naturkatastrophen die Nahrungsmittelbestände und verursachen Reproduktionskrisen. Meist bewirken mehrere Ursachen gleichzeitig eine Nahrungsmittelknappheit, was die schnelle Bekämpfung von Hungerkrisen erschwert. Die kritische Welternährungslage hat verschiedene Institutionen zum Handeln veranlasst. Neben den Vereinten Nationen und staatlichen Organisationen übernehmen vor allem Nichtregierungsorganisationen Aufgaben der Hungerbekämpfung. Dabei beschränken sie sich nicht nur auf die Organisation und Verteilung von Nahrungsmittellieferungen, sondern engagieren sich auch in der Forschung, Beratung, Strategieentwicklung und Maßnahmenbewertung. Aufgrund ihrer Flexibilität können sie schnell reagieren und die bedürftigen Gruppen direkt erreichen. Allerdings sind ihre Eigenmittel beschränkt, weshalb sie häufig auf staatliche Finanzmittel und Spenden zur Unterstützung ihrer Arbeit angewiesen sind. Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Hungers sind recht unterschiedlich. Bei akuten Hungersnöten kommt hauptsächlich die Katastrophenhilfe in Form von Nahrungsmittellieferungen zum Einsatz. Diese kann direkt zwischen zwei Ländern (bilaterale Hilfe) oder durch Lieferungen von internationalen Organisationen (multilaterale Hilfe) erfolgen. Zur Bekämpfung des chronischen Hungers werden im Allgemeinen Programm- und Projekthilfen eingesetzt. Im Rahmen der Programmhilfe werden die Hilfslieferungen üblicherweise an Vermarktungsorganisationen im Empfängerland über-

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Bodendegradation, Desertifikation

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Wachstum und Bildung

Foto: A. Toko

geben, die den Verkauf organisieren. Aus den Einnahmen werden dann vereinbarte Entwicklungsmaßnahmen finanziert. Die Projekthilfe unterstützt bestimmte Bevölkerungsgruppen oder Entwicklungsziele. Verbreitet sind beispielsweise „Food for Work“-Projekte, in denen die Arbeiter direkt mit Nahrungsmitteln entlohnt werden. Eines der wichtigsten Instrumente zur Bekämpfung des Hungers, das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen, konzentriert mittlerweile etwa 80 Prozent seiner Mittel auf die Katastrophenhilfe. Im Jahr 2003 hat es rund 104 Millionen Menschen mit Nahrungsmitteln versorgt: 61 Millionen wurden im Rahmen der Katastrophenhilfe unterstützt, 27 Millionen mittels Rehabilitierungsmaßnahmen nach Krisen und 16 Millionen durch längerfristigere Entwicklungsprogramme. Von den rund 25 000 Menschen, die täglich an den Folgen von Hunger sterben, gehen nur etwa ein Zehntel auf das Konto von Hungersnöten. Der Großteil stirbt aufgrund chronischer Unter- und Mangelernährung. Deshalb wird das Instrument der Nahrungsmittelhilfe, welche die Situation der betroffenen Menschen nur kurzzeitig verbessert, kontrovers diskutiert. Auch politische Strategien, die allein auf die Erhöhung der Nahrungsmittel- ˚ 4.27: In Afrika leiden rund 185 Millionen Menschen an produktion ausgerichtet sind, treffen selten die ei- Unterernährung, jährlich sterben fünf Millionen Kinder, gentlichen Ursachen von Hunger. Er entsteht auch, bevor sie fünf Jahre alt sind. Aus Hunger lutscht dieses tansanische Mädchen an einem Stück Plastik. wenn Menschen keine Möglichkeit haben, Nahrungsmittel zu produzieren oder vorhandene Nah- die Verteilung der Nahrungsmittel zuständig sind, rungsmittel zu erwerben. Häufig verschärfen Le- können sie die Nahrungsmittelvergabe an eigenen bensmittelimporte oder eine subventionierte Nah- Interessen ausrichten. rungsmittelherstellung die Hungerkrise, da die Zur erfolgreichen Bekämpfung von Armut künstlich geschaffene Erhöhung des Nahrungsan- und Mangelernährung müssen auch die politischgebots Preissenkungen nach sich zieht und damit wirtschaftlichen und sozial-kulturellen Rechte, die Anreize zur Nahrungsmittelproduktion vernichtet. Menschen besitzen, ins Auge gefasst werden. HunAuch Programmhilfen können negative Produkti- ger betrifft nie alle gesellschaftlichen Gruppen gleionsanreize und Abhängigkeiten bei der einheimi- chermaßen. Wenn etwa der Preis für Reis steigt, schen Regierung und den Landwirten erzeugen. profitieren Landwirte und Händler von Getreide. Außerdem ist nie sichergestellt, Handwerker und Fischer hingegen dass gerade die Nahrung bekomkönnen die Erhöhung der ReisNachhaltigkeit men, die sie am meisten brauchen. preise schwerer kompensieren. InDa die Empfängerländer selbst für sofern sind die politischen und ¯ 4.28: Armutsbekämpfung und Entwicklungsförderung im Sinne der Nachhaltigkeit sind nicht einfach, da die Antriebskräfte für Armut und Entwicklung überaus vielschichtig sind und sich zumeist gegenseitig beeinflussen. Vor allem die Natur wird durch die unverhältnismäßige Nutzung von Ressourcen geschädigt, kann ihrerseits aber auch Armut fördern und Entwicklung bremsen.

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Narayan & Petesch (2000) Narayan, Chambers et al. (2000) Narayan, Pater et al. (2000) Armut und Hunger

Armutsbekämpfung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen www.undp.org/poverty Deutsche Welthungerhilfe www.dwhh.de Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) www.fao.org European Network on Debt and Development (Eurodad) www.eurodad.org International Food Policy Research Institute (IFPRI) www.ifpri.org Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) www.oecd.org Social Watch www.socialwatch.org Weltentwicklungsberichte des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen http://hdr.undp.org Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) www.wfp.org Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung (weed) www.weed-online.org

ökonomischen Kräfteverhältnisse in und zwischen gesellschaftlichen Gruppen für die Verbesserung der Nahrungsmittelsituation von Bedeutung. Die Anfälligkeit gegenüber Hungerkrisen wird auch durch Langzeitfaktoren wie Umweltzerstörungen und politische Strukturwechsel beeinflusst. Sie können die sensiblen Austauschbeziehungen verändern und bestimmte Menschen an der Produktion oder am Erwerb von Nahrungsmitteln hindern. Nomaden beispielsweise haben sich den klimatischen und hydrologischen Bedingungen in den Ist Hunger die Folge unzureichender Nahrungsproduktion? – das Beispiel Andhra Pradesh, Indien Der indische Bundesstaat Andhra Pradesh, in dem über 76 Millionen Einwohner auf einer Fläche von 276 754 km2 leben, muss 2003 das vierte Jahr Trockenheit in Folge ertragen. Hilfsorganisationen melden, dass von 1126 Mandals (Landkreise) rund 1000 von extremer Dürre betroffen sind. Eigentlich nichts Ungewöhnliches in einem Land, in dem Hungersnöte seit Jahrhunderten zur Realität gehören. Zuletzt erreichten im Herbst 1991 Meldungen über Hungertote in Andhra Pradesh die Weltöffentlichkeit. Umso erstaunlicher sind die Pressemitteilungen internationaler Agrarunternehmen im Januar 2003. Demnach haben die indischen Landwirte durch gentechnisch veränderte Bt-Baumwolle, die mit genetischem Schädlingsschutz gegen den Baumwollkapselbohrer ausgestattet wurde, Zusatzgewinne von 346 Euro pro Hektar erwirtschaftet. Auch 1991, kurz nach der Hungerkatastrophe in Andhra Pradesh, berichtete die Presse von Indiens dritter Rekordernte hintereinander. Damals hungerten die Menschen im fruchtbaren und landwirtschaftlich hoch entwickelten Delta des Godavariund Krishna-Flusses. Wie passen Hungertote und Rekordernten zusammen? Die Tatsache, dass die Opfer der Hungerkatastrophe ausschließlich der Berufsgruppe der WeberKaste angehörten, liefert erste Hinweise. Seit die mächtige Spinnerei-Lobby bei der indischen Regierung die Abschaffung von Ausfuhrbeschränkungen für Baumwollgarn durchgesetzt hatte, exportierten die Hersteller verstärkt den für diese Berufsgruppe so wichtigen Rohstoff. Allein zwischen 1987 und 1990 verdreifachte sich der Garnexport und infolgedessen verteuerte sich der Rohstoff für die heimischen Weber drastisch. So stieg der Preis für einfaches Baumwollgarn zwischen 1985 und 1991 um mehr als 260 Prozent. Damit konnten die Weber nicht mehr gewinnbringend wirtschaften. Anstelle des sonst rund 600 Rupien (nicht einmal 11 Euro) hohen Monatseinkommens floss nur noch etwa die Hälfte in die Haushaltskasse – zu wenig, um sich und die Familie zu ernähren. Seitdem ist es in

Trockengebieten adäquat angepasst, indem sie immer dorthin ziehen, wo gerade genügend Wasser und Vegetation vorhanden sind. Falls ihnen dieser Anpassungsmechanismus infolge politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Veränderungen – etwa durch Ziehung von Staatsgrenzen – verwehrt wird, kann ihre Bewältigungsstrategie nicht mehr greifen und es droht der Hunger. Strukturelle Gewalt und Marginalisierung sind weitere wichtige Faktoren. Oftmals sind Individuen oder gesellschaftliche Gruppen verwundbar, weil sie von den Ressourcen Andhra Pradesh keine Seltenheit, dass Weber und Baumwollpflücker Selbstmord begehen, weil sie ihre aufgelaufenen Schulden und Zinsen nicht zurückzahlen können. Zu den Folgen der „Nahrungsproduktionskrise“ zählt auch, dass Frauen ihren Körper und Eltern ihre Kinder verkaufen, um damit ihre Existenz zu retten. Im April 2001 deckte die Polizei einen großen Baby-Handelsring auf und klagte die Nichtregierungsorganisationen „Action for Social Development“ und „John Abraham Bethany Memorial Home“ an, die Notsituation verarmter Familien ausgenutzt zu haben. Neugeborene Kinder wurden angeblich für 15 bis 50 Euro angekauft und dann zum hundertfachen Preis an adoptionswillige Paare weiterverkauft. Besonders Mädchen waren von dem Babyhandel betroffen, da ihr Verkauf die verarmten Eltern von der Zahlung einer späteren Heiratsmitgift befreite. Die Hungerkatastrophen der letzten Jahrzehnte waren weniger die Folge extremer Trockenheit, sondern hatten ihren Ursprung in den sozialwirtschaftlichen Strukturen des Landes. Wie komplex die Ursachen teilweise in der Gesellschaft verlaufen, belegt das Beispiel Andhra Pradesh eindrucksvoll. Laut Statistiken kommt jede vierte IT-Fachkraft im amerikanischen Silicon Valley aus dem indischen Bundesstaat – aus einem Land, in dem rund drei Viertel der Männer und knapp über die Hälfte der Frauen lesen und schreiben können. Die Region selbst zählt mit ihren Technologiemetropolen Hyderabad und Bangalore zu den wichtigsten IT-Standorten nicht nur Indiens, sondern weltweit. Das Informationstechnologiezentrum Hyderabad, auch „Cyberabad“ genannt, „verfügt über eine Weltklasse-Infrastruktur mit modernsten Schnellstraßen und Gebäudekomplexen“, so Generalstaatssekretär Satyanarayana vom Amt für Informationstechnologie auf der Computermesse CEBIT 2002. In Andhra Pradesh tüfteln die Computerspezialisten an ihrer Vision von „e-governance“ (http://www.ap-it.com), während die Weber verzweifelt nach Strategien zur Existenzsicherung suchen. Ist Hunger … Stang (2002)

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und Leistungen, die eine Gesellschaft bietet, teilweise oder sogar ganz ausgeschlossen sind. Armut und Hunger sind multidimensionale Phänomene, die auf vielfältige Weise mit Naturkatastrophen verbunden sind. Armuts- und Hungerbekämpfung verlangen deshalb einen kohärenten Politikansatz, der auch Maßnahmen der Handelsund Umweltpolitik sowie der Katastrophenvorsorge einschließt. An diesem breiten gesellschaftlichen Prozess sollten die betroffenen Menschen selbst beteiligt werden. Der letzte Entwicklungsbericht der Vereinten Nationen zeigt, dass in der Armutsbekämpfung nur die Staaten erfolgreich waren, die Wachstum mit Investitionen ins Bildungs- und Gesundheitswesen verbunden haben. Isolierte Instrumente wie die Nahrungsmittelhilfe sollten zur Schließung einer temporären Nahrungsmittellücke nur eine Ergänzungsfunktion in der Ernährungssicherungspolitik übernehmen. Um mögliche Nahrungsengpässe schon im Vorfeld zu erkennen, müssen in den betroffenen Ländern selbst Frühwarnsysteme und strategische Reserven aufgebaut werden. In den ärmsten Ländern arbeiten rund 70 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft und der gleiche Prozentanteil der unterernährten Bevölkerung lebt in ländlichen Gebieten. Langfristige Strategien zur Überwindung von Armut und Hunger müssen deshalb die Wertschöpfung aus der Landwirtschaft und die ländliche Entwicklung berücksichtigen. Neue Anti-Hunger-Programme wie das der FAO tragen dem Rechnung, indem sie vorwiegend auf Wachstum, das den Armen dient („pro-poor growth“), und die Entwicklung ländlicher Gebiete ausgerichtet sind. Um die Exportchancen für Agrarprodukte aus Entwicklungsländern zu verbessern, bedarf es aber auch struktureller Veränderungen in den Industrienationen. Sie müssten ihre Importbeschränkungen lockern und darauf verzichten, hoch subventionierte Agrarprodukte zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt zu werfen.

Medien und Hilfsorganisationen – wenn Katastrophen gemacht werden Die Welterfahrung des modernen Menschen besteht heute zu über 90 Prozent aus publiziertem Papier, Bild und Ton. Viele der gegenwärtigen Risiken können gar nicht unmittelbar wahrgenommen werden, sondern werden erst durch Wissenschaft, Politik und Medien vermittelt („Sekundärerfahrung“). Auch in Bezug auf Naturgefahren fehlt den meisten Menschen eine direkte sinnliche Erfahrung, weshalb sie ihre Bewertungen aus ihnen zugänglichen Informationen ableiten. Ein Großteil dieser Information wird von den Massenmedien aufbereitet und zur Verfügung gestellt. Die Frage,

inwieweit die Medien die Risikowahrnehmung beeinflussen und für sich verändernde Werthaltungen verantwortlich sind oder ob sie lediglich ihrerseits auf populäre Trends antworten, stellt eine klassische „Henne-Ei-Frage“ dar, zu der auch Experten keine übereinstimmende Meinung haben. Unbestritten ist, dass die Massenmedien eine übergeordnete Rolle bei der Informationsvermittlung über Art, Umfang und Wichtigkeit der Risikothemen spielen. Auch in der Krisenkommunikation kommt den Journalisten eine besondere Bedeutung hinsichtlich Auswahl und Aufbereitung des Stoffes zu („Gatekeeping“). Der 11. September 2001, aber auch die Hochwasserereignisse 1997 an der Oder und 2002 an der Elbe haben eindrucksvoll die Macht der Bilder vor Augen geführt. Schwitzende Katastrophenhelfer, weinende Opfer, dröhnende Hubschrauber und abenteuerliche Rettungsaktionen zogen die Zuschauer in den Bann. Wenn die Medien imposante Katastrophenbilder in alle Welt verbreiten, ist das für gewöhnlich der Startschuss für den Wettlauf der internationalen Hilfe. Denn: Ohne Medienpräsenz keine Spendengelder. Als Folge der Bilder kommen Hilfsorganisationen in die Katastrophenregion. Dabei sind die spektakulären Katastrophen nicht immer auch die schlimmsten. Im März 2000 konnte die ganze Weltöffentlichkeit sehen, wie Mosambik in den Fluten versank. Aufgrund fehlender Medienpräsenz nahm kaum jemand Notiz davon, wie ein halbes Jahr zuvor in Indien durch starken Monsunregen fast dreitausend Menschen starben und 2,7 Millionen obdachlos wurden. Als erste „Katastrophe“ in den neuen Bundesländern kam auch das Oderhochwasser im ereignisarmen Sommerloch 1997 für die Medien wie gerufen. Im Gegensatz zu den Bewohnern des Oderbruchs können die Mosambikaner von so viel Hilfsbereitschaft heute nur träumen. Durch eine seit zwei Jahren andauernde Dürre sind vier Jahre nach den Überschwemmungen wesentlich mehr Menschen vom Tod bedroht. Doch diesmal werden keine Bilder um den Globus transportiert. Der britische Fernsehsender BBC gehört zu den Meinungsführern in Sachen Katastrophenberichterstattung. Seine Journalisten sind wie „Bewegungsmelder“, die ein – mitunter sich erst anbahnendes – Desaster sofort beschreiben. Oftmals legen die Reporter den Schwerpunkt ihrer Bilder und Geschichten zu sehr auf das Spektakuläre. Um in der heutigen Bilderflut überhaupt noch die Aufmerksamkeit der Leute zu gewinnen, werden immer dramatischere Bilder benützt. Und das ist verhängnisvoll, weil viele Katastrophenursachen sich nicht als einfaches Bild präsentieren lassen und deshalb in der Berichterstattung gar nicht auftau-

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˚ 4.29: Die Filmindustrie greift die virulenten Ängste der Menschen auf und verarbeitet sie nach ihren Kriterien, die meist nicht den wissenschaftlichen Ansprüchen entsprechen.

chen. Während die Katastrophen selbst mit unzähligen Bildern medial transportiert wird, ist die Visualisierung der Katastrophenvorsorge bedeutend schwieriger. Mit zeitlichem Abstand zum Ereignis sinken die Berichterstattung und damit die öffentliche Anteilnahme. Damit finden der Wiederaufbau und die so wichtige Katastrophenvorsorge weit weniger Beachtung, obgleich hier die Grundlagen zur Verminderung von zukünftigen Katastrophenfolgen geschaffen werden. Neben der Informationsvermittlung gehört auch die Unterhaltung zu den Funktionen von Presse, Hörfunk und Fernsehen. Naturgefahren tauchen nur vereinzelt in den Programmbereichen „Werbung“ und „Unterhaltung“ auf. Bisweilen werden Naturschauspiele als dekorativer Hintergrund für Werbezwecke eingesetzt, selten sind gut gemachte Dokumentationen über die verschiedenen Naturgewalten. Sie stellen eine Möglichkeit dar, das komplexe Wirkungsgefüge von Naturkatastrophen und die daran beteiligten Prozesse eingehender zu veranschaulichen. Sensibler ist hier die Filmindustrie in Hollywood, die auf vorherrschende gesellschaftliche Ängste sofort reagiert und diese in kürzester Zeit kinematographisch verarbeitet. Die virulenten Besorgnisthemen spiegeln sich in den Filmklassikern der jeweiligen Epoche wider: Naturkatastrophen, atomarer Gau, extraterrestrische Bedrohungen, staatliche Überwachung, Verstädterung und Desintegration, Viren und Seuchen oder, wie jüngst, Terroranschläge und Klimakatastrophe. Allerdings geht es den Machern der Spielfilme weniger um die Erklärung von Ursachen oder Wirkungszusammenhängen. Zu den primären Funktionen der Medien zählen Information, Unterhaltung, Kommentierung und Hilfe bei der Meinungsbildung. Die mediale Berichterstattung über die Naturgefahrenproblematik ist zweifellos selektiv, was zu einer verzerrten Darstellung wichtiger Faktoren führen kann. Die Wirkung der Selektion ist jedoch

ungewiss. Nach dem Elbehochwasser wurde darüber spekuliert, inwieweit die Medienberichterstattung den Ausgang der kurz darauf stattfindenden Bundestagswahlen mitbeeinflusst hat. Klar ist, dass Journalismus „die Realität“ nach eigenen Auswahlkriterien beobachtet und bewertet. Die staatliche Risiko- und Krisenkommunikation muss akzeptieren, dass Journalisten ihre Informationsauswahl nach anderen Kriterien treffen. Diese Inkompatibilität limitiert den Gebrauch und Einsatz massenmedialer Formen zur Verbesserung des Katastrophenmanagements, der gelegentlich von verschiedener Seite eingefordert wird. Bei der Darstellung von Risiken und Katastrophen gehört die wissenschaftliche Genauigkeit nicht zu den zentralen Qualitätsrichtlinien des Journalismus. Auch Hilfsorganisationen richten ihre Katastrophenarbeit nach eigenen Kriterien aus. Diese reicht vom Selbstschutz während der Katastrophe über den Einsatz von Helfern vor Ort bis hin zur humanitären Hilfe und Wiederaufbauleistungen. Unzählige staatliche, private und Nichtregierungsorganisationen sind heute weltweit im Einsatz, um in Not geratenen Menschen zu helfen. Dabei betreiben sie ihr Management längst professionell. Modernste Technik und spezielle Gerätschaften bestimmen die heutige Katastrophenhilfe genauso wie ausgefeilte Organisationsstrukturen und zeitgemäße Unternehmensführung. Die einstige, auf Nächstenliebe basierende karitative Nothilfe wird heute durch Fachverbände, Programme, Statuten und eigene Einrichtungen gezielt betrieben. Die Caritasverbände etwa gehören mit fast 500 000 hauptamtlichen Mitarbeitern in vielen Regionen Deutschlands zu den größten Arbeitgebern. Da die Katastrophenhilfe auch eine kommerzielle Angelegenheit ist, sind Katastrophen ein Marketing-Ereignis für die Hilfsorganisationen. Auf der in Genf stattfindenden Handelsmesse „Aid & Trade“ werden die klassischen Utensilien der humanitären Hilfe genauso angeboten wie ge-

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Helfer und Störenfriede – das Oderhochwasser 1997 Im Jahr 1997 standen für die Medien im Oderbruch zwei Jubiläen zur Berichterstattung an: 250 Jahre Trockenlegung des Oderbruchs und der fünfzigste Gedenktag der Hochwasserkatastrophe von 1947. Wahrscheinlich hätten ortsansässige Redakteure die Jahrestage für ein regionales Publikum aufbereitet und mit wenigen Zeilen im Lokalteil untergebracht. Doch es kam ganz anders. Das Eintreffen der Oderflut hat die „Sende- und Spendemaschinerie“ der Medien und Hilfsorganisationen in Gang geworfen. Beide brauchten Bilder. Und die kamen mit dem Eintreffen der Flutwelle an der deutschen Grenze. Während die ersten warnenden Redakteure, die über die Ereignisse in Tschechien und Polen berichteten, noch als „Panikmacher“ beschimpft wurden, lösten die Hochwasserbilder einen für deutsche Verhältnisse ungewöhnlichen Ansturm der Presseagenturen und Hilfsorganisationen aus. Mit der Oderflut kam die Medien- und Spendenflut. Mitte Juli hieß die Schlagzeile noch „Die Deiche gehören zu den besten Europas“, einen Monat später sind an den Oder-Deichen fast neun Millionen Sandsäcke gefüllt und verbaut worden. 1400 Lastwagen und 61 Hubschrauber wurden zur Sicherung der Deiche eingesetzt, 5000 laufende Meter Folie an deren Wasserseite verlegt. Während des gesamten Zeitraums waren rund 50 000 Helfer im Einsatz. Allein die Bundeswehr stellte 30 000 Hilfskräfte bereit. Damit hatte die Katastrophenbewältigung den Rahmen der sonst üblichen Nachbarschaftshilfe bei weitem überschritten. Auch die Pressepräsenz erreichte neue Dimensionen und mit ihr der Bedarf an entsprechender Logistik. Während des Hochwassers beantworteten allein im Zentralen Krisenstab in Potsdam die Mitarbeiter der Sonderpressestelle des Innenministeriums über 300 Anfragen in- und ausländischer Journalisten. Das Presseinformationszentrum der Bundeswehr betreute über 500 Journalisten, darunter 80 aus dem Ausland. Täglich wurden fast 300 Presseanfragen beantwortet und neun Presse-Begleit-Offiziere kümmerten sich um 267 Presseteams. Darin nicht eingeschlossen sind die unzähligen Presseaktivitäten der betroffenen Landkreise. Wie professionell die Hilfsorganisationen ihr Krisenmanagement betreiben, hat das Deutsche Rote Kreuz (DRK) demonstriert. Mit dem Eintreffen der Oderflut wurden innerhalb kürzester Zeit alle vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen auf die Hochwasserhilfe gebündelt. Ein Katastrophenstab organisierte und koordinierte alle Hilfsmaßnahmen und ein tägliches Bulletin gab genaueste Auskünfte über Notstandlagen und Hilfsaktionen. Der Bereich „Kommunikation und Marketing“

wurde personell direkt in den Katastrophenstab eingegliedert, damit jede Aktion sofort intern und extern weitergegeben werden konnte. Die vorgegebenen Kommunikationsziele: eine breite Berichterstattung über die Hilfsmaßnahmen, Vermittlung eines positiven Images als professionelle, schnelle und unbürokratische Hilfsorganisation, und nicht zuletzt die optimale Platzierung von Spendenaufforderungen. Schließlich galt es, möglichst hohe finanzielle Erträge zu erzielen. Hierzu wurde mit den beiden großen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine Kooperation eingegangen – nicht die Fernsehsender selbst riefen zu Spenden auf, man tat dies als Gemeinschaftsaktion. Ähnliche Übereinkünfte erzielte man mit der Bild-Zeitung, der Illustrierten „Bunte“ und einigen großen überregionalen Tageszeitungen. Die solidarische Botschaft „Das Wasser macht an den Grenzen nicht Halt, deshalb darf auch unsere Hilfe an den Grenzen nicht Halt machen“ verfehlte ihre Wirkung nicht. Die enge Zusammenarbeit mit den Medien zahlte sich aus. Zwischen dem 14. Juli und 31. August wurde 234 Mal über die Aktivitäten des DRK im Fernsehen berichtet. Krönender Höhepunkt war eine gemeinschaftliche Sondersendung im Ersten Deutschen Fernsehen, die mit Hilfe einer Produktionsfirma innerhalb von vier Tagen aus dem Boden gestampft wurde und am 3. August 1997 zur „Primetime“ um 20.15 Uhr live aus den Katastrophengebieten berichtete. Call-Center und Bankkonten waren eingerichtet und so wurde im Wechsel über die Hilfe des DRK berichtet und zu Spenden aufgerufen. Die 120 Minuten lange Sendung erreichte mehr als 8,5 Millionen Zuschauer und erwirtschaftete einen Gesamtspendenerlös von über 4,6 Millionen Euro. Und die Medienkooperation machte sich noch einmal bezahlt. Mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen, der Wochenzeitung „Die Zeit“ und der Zeitschrift „Bunte“ wurde die Aktion „Deutschland hilft“ gestartet, die am 31. August in der für Helfer und Spender konzipierten „Dankeschön-Sendung“ vor 4,55 Millionen Fernsehzuschauern ihren telegenen Abschluss fand. Nicht weniger professionell war das parallele Direkt-Mailing an 300 000 DRK-Spender. Für die unmittelbare Kundenkommunikation, in der brieflich um Unterstützung gebeten wurde, bedankte sich die Klientel mit einem Spendenbetrag von rund 2,8 Millionen Euro. Insgesamt wurden dem DRK 147,1 Millionen Euro von über 1,3 Millionen Einzelspendern zur Verfügung gestellt. Nicht immer wurde die enge Zusammenarbeit von journalistischen und karitativen Institutionen von der Öffentlichkeit honoriert. Als DLRG-Boote Kamerateams an die Deiche fuhren, gab es Rüge, weil die dadurch ausgelösten Wellenschläge die ohnehin schon schwer unter Druck stehenden ”

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Deiche zusätzlich gefährdeten. Auch den Akteuren merkte man den Stress zunehmend an und es schlichen sich handwerkliche Fehler ein. Die Bilder hinter dem Nachrichtensprecher („cut-outs“) zeigten Deichbrüche aus der Ziltendorfer Niederung, der Reporter selbst sprach über Frankfurt/Oder, wo die Bedrohungslage gänzlich anders war. Ein Berichterstatter beschrieb die Lage als „chaotisch“, im Hintergrund sah man geordnetes Sandsack-Reichen von Bundeswehreinheiten und freiwilligen Helfern. Die Text-Bild-Scheren liefen auseinander und vermischten sich mit Unwahrheiten. Reporter berichteten, bis zu den Hüften im Wasser stehend, live aus der Krisenregion – in Wirklichkeit standen sie in der natürlichen Überschwemmungsaue der Oder. Es wurde von überfluteten Stadtteilen berichtet, aber Karten mit genaueren Informationen wurden nicht gezeigt. Aber nicht nur für die Medien gab es Schelte. Als die Presse kritisch darüber berichtete, dass das Spektrum an angebotenen Hilfeleistungen die wirklichen Erfordernisse vor Ort überstieg, bekamen auch die Katastrophenhelfer die unterschiedliche Zielsetzung des „Partners“ zu spüren. Man wollte ja nur Beistand leisten und so schickte jeder Kreisverband Personenzüge mitsamt Kochgeschirr und Gulaschkanone an die Oder. War die Schicht zu Ende, wurde die ganze Ausrüstung wieder verladen und der nächste Ortsverband durfte ran. Die Eutiner Johanniter unterstützten die Brandenburger Johanniter, die wiederum hauptsächlich in der Versorgung der THW-Helfer eingesetzt waren. „Reibungsverluste“ nannte man das. Abends in der Kneipe wurden die Interessenskon-

flikte noch deutlicher. Während die Helfer hofften, durch ihre Arbeit die Deiche gesichert zu haben, wünschten sich die Journalisten den Bruch genau zur besten Sendezeit. Hält der Deich, erwarten den Mitkämpfer Lob und Ehre. Bricht der Deich, kann der Reporter die Sensation hautnah erleben, die Reportage seines Lebens liefern. Als dann der Bundeskanzler zur Hochwasserlagebesichtigung nach Altreetz kam, traten die kontroversen Aufgaben der beiden gesellschaftlichen Akteure offen zu Tage. Die Einen schufteten beim Sandsackfüllen in der Sonnenglut, die Anderen schubsten auf der Hatz nach einem guten Bild oder einem Exklusivinterview Helfer zur Seite, rannten die sorgsam aufgeschichteten Sandsäcke um. Die Nerven lagen blank, Kameragläser klirrten. Die Lage entspannte sich, als der kleiner werdende Tross aus Journalisten und Helfern dem Hochwasserscheitel folgend nordwärts zog. Die Zusammenarbeit an der Oder war beendet. Leider. Denn Qualität in Pressearbeit und Katastropheneinsatz erfordert Zeit – und genau die ist dem Journalisten wie auch dem Katastrophenhelfer systemimmanent nicht gegeben. Quote ohne Qualitätskontrolle – Hilfe, die Helfer kommen. Das ist die Folge, wenn sich der Austausch des jeweils eigenen Rollenverständnisses und die Erwartung gegenüber dem anderen nur auf die Zeit während der Katastrophe beschränkten. Damit aus willkommenen Helfern keine ungeliebten Störenfriede werden, gilt es, die Kooperation auf die Zeiten Helfer und Störenfriede zwischen den Krisen DRK (2004) auszudehnen. Peters & Reiff (2000)

panzerte Fahrzeuge. Privatfirmen, die mit Geldspenden die Katastrophenhilfe des Amerikanischen Roten Kreuzes unterstützen, können ihre Markennamen als Premium- (mehr als 1 Million US-Dollar), Gold- (500 000 – 1 Million US-Dollar) oder Silber-Mitglied (200 000 – 499 999 US-Dollar) im „Annual Disaster Giving Program“ veredeln lassen. Die Betroffenen vor Ort, um die es letztlich geht, sind allerdings nicht immer diejenigen, die von solchen Hilfsaktivitäten profitieren. Professionelle Führung und professionelles Marketing gewährleisten noch nicht, dass Hilfsmaßnahmen optimal ausgerichtet sind und schnell und wirksam greifen. In vielen Regionen blockieren Regierungen aus innenpolitischen Gründen gezielt die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen. In der Bundesrepublik Deutschland wirken zahlreiche Organisationen im Katastrophenschutz mit. Die staatliche Aufgabe der Daseinsvorsorge wird von bundesstaatlichen Einrichtungen wie der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) oder den Feuerwehren der Städte und Gemeinden

wahrgenommen. Der überwiegende Teil wird jedoch an öffentliche und private Organisationen übertragen, die sich ihrerseits weitgehend auf freiwillige Helfer stützen. Dazu zählen beispielsweise Arbeiter-Samariter-Bund, Deutsches Rotes Kreuz, Johanniter-Unfall-Hilfe und der Malteser Hilfsdienst. Um auch eine einheitliche Ausbildung der Bevölkerung in erster Hilfe zu gewährleisten, haben sich die vier Institutionen 1988 in der „Bundesarbeitsgemeinschaft Erste Hilfe“ zusammengeschlossen. 1994 kam die Deutsche Lebens-RettungsGesellschaft mit dazu. Eine wichtige Aufgabe der Hilfsorganisationen ist die gezielte „Erste Hilfe“, weshalb einige Organisationen spezielle Aufgabengebiete wie die Bergwacht und Wasserrettung übernommen haben. Im weiteren Sinne gehören auch private oder kirchliche Einrichtungen, wie etwa Caritas, Diakonie, Weißer Ring, Ärzte ohne Grenzen oder die Welthungerhilfe zu den Hilfsorganisationen. So wichtig die unmittelbare Katastrophenhilfe auch ist, so kann sie doch eine gezielte Präventions-

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politik nicht ersetzen. Aber auch Katastrophenschutz kostet Geld. Die Erträge der Vorsorge sind indes schwer messbar und stellen sich oftmals erst in ferner Zukunft ein. Im günstigsten Fall kommt es erst gar nicht zur Katastrophe, was die Quantifizierung von Vorsorgemaßnahmen gleichfalls erschwert. Infolgedessen erhalten andere Entwicklungsprojekte oft den Vorzug. Spendenorientierte Hilfsorganisationen brauchen schnelle Erfolge, weshalb sie ihre Arbeit immer mehr auf die kurzfristige Nothilfe verlagern. Diese Tendenz ist fatal, denn so können viele der Katastrophenursachen nicht behoben werden. Eine nachhaltige Entwicklung und die Überwindung von Armut, die beide die Anfälligkeit gegenüber Naturkatastrophen reduzieren können, werden in sechs Monaten oder einem Jahr nicht erreicht. Um diese Probleme anzugehen, braucht man langfristige Programme. Organisationen der Entwicklungshilfe können lokal an der Katastrophenvorsorge mitwirken. Allerdings liegt der Schwerpunkt auch bei ihnen nach wie vor auf „Hilfe“. Weder die kurzfristige Nothilfe noch die längerfristigen Entwicklungsstrategien haben die Reduzierung von Naturkatastrophen als integralen Bestandteil in ihre Programme eingebaut. Dieses Manko hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung dazu veranlasst, die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) mit der Wenn Katastrophen …

Knaup (1997) Peters & Glass (2002)

Wenn Katastrophen …

Allgemeiner Rettungsverband (ARV) www.arv-deutschland.de Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) www.asb-online.de Bundesarbeitsgemeinschaft Erste Hilfe (BAGEH) www.bageh.org CARE Deutschland www.care.de Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) www.gtz.de Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) www.deginvest.de Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) www.dlrg.de Deutscher Entwicklungsdienst (DED) www.ded.de Deutscher Feuerwehrverband (DFV) www.dfv.org Deutsches Rotes Kreuz (DRK) www.drk.de

International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies (IFRC) www.ifrc.org Internationale Weiterbildung und Entwicklung (InWEnt) www.inwent.org Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) www.johanniter.de Komitee Cap Anamur/Deutsche Notärzte www.cap-anamur.de Malteser Hilfsdienst (MHD) www.malteser.de Mercy Ships Deutschland www.mercyships.de Technisches Hilfswerk (THW) www.thw.de Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO) www.venro.org

Durchführung eines Beratungsvorhabens „Katastrophenvorsorge in der Entwicklungszusammenarbeit“ zu beauftragen. Seit 1997 führt die GTZ Projekte zur Katastrophenvorsorge schwerpunktmäßig in ländlichen Regionen durch. Unter der Bezeichnung „Entwicklungsorientierte Nothilfe“ integriert das gemeinnützige Bundesunternehmen katastrophenreduzierende Maßnahmen verstärkt in seine Entwicklungsprogramme und Hilfsprojekte. Durch die Zusammenführung von Entwicklungsstrategien und Katastrophenvorbeugung können Hilfsorganisationen einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung der Katastrophenanfälligkeit der Menschen leisten.

Wissen und Bildung – was können wir lernen? Das Zeitalter der Industriegesellschaft geht dem Ende entgegen und es zeichnet sich eine neue Gesellschaftsordnung ab, die auf Wissen basiert. Damit verlieren traditionelle Fähigkeiten und Fertigkeiten an Bedeutung, andere, wie Wissen und Bildung, werden einflussreicher. Sie gehören in den einstigen Industrieländern schon heute zu den wichtigsten Produktionsfaktoren und gelten als Schlüssel zu Konkurrenzstärke und wirtschaftlicher Leistung. Wissen ist die Primärindustrie, die der Wirtschaft die essentiellen Produktionsquellen liefert. Darüber hinaus öffnet der Wissensschlüssel die Türen zu einer besseren Existenz, zu Entwicklung, ökologischer Partizipation und Demokratisierung. In den sich entwickelnden Ländern zwingen gesellschaftliche Transformations- und Strukturanpassungsprozesse die Menschen ebenfalls dazu, neue Formen des Zusammenlebens zu entwerfen und tradierte Erfahrungen und Methoden, die sich mittlerweile als inadäquat erweisen, aufzugeben. Mit „Wissen ist Macht“ kommentiert der Volksmund meist den Umstand, dass auch im Alltagsleben Wissen immer mehr zum Machtmittel über Menschen wird. Dies ist zwar nicht ganz richtig wiedergegeben, aber aktueller denn je. Denn Francis Bacons „scientia est potentia“ bezieht sich auf das Handlungsvermögen, also die Fähigkeit, durch Wissen etwas bewegen zu können. „Bei Unkenntnis der Ursache bleibt einem die Wirkung verborgen.“ In Bezug auf die Naturkatastrophenthematik ist nicht immer ersichtlich, was Ursache und was Wirkung ist. Oftmals sind Wirkungszusammenhänge komplex und unbekannt. Darüber hinaus wächst mit dem Wissen die Unsicherheit. Alles Wissen und alles Vermehren unseres Wissens endet nicht mit einem Schlusspunkt, sondern mit einem Fragezeichen. Viele Forscher sind sogar der Ansicht, dass die Wissenschaften mittlerweile mehr Probleme schaffen und Fragen aufwerfen, als dass sie Lösungen bereitstellen und Antworten liefern.

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124 Die Gesellschaft in Bewegung ¯ 4.30: Regierungen, Behörden, Versicherungen und Hilfsorganisationen stellen Informationsmaterial zur Verfügung, das über Naturkatastrophen und Schutzmöglichkeiten aufklärt.

Unbestritten ist, dass die Produktion von Wissen und der damit verbundene Zuwachs an Handlungsmöglichkeiten nicht nur Ungewissheiten reduziert, sondern neue Unbestimmtheiten und soziale Unsicherheiten produziert. Die rapide ansteigenden Reproduktions- und Distributionsraten von Wissen machen die Steuerung und Vorhersage gesellschaftlicher Entwicklung ungleich schwieriger und die Gesellschaft krisenanfälliger. Verantwortlich dafür sind nicht allein die Globalisierung oder Ökonomisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern ein Herrschaftsverlust durch Wissen. Katastrophen sind deshalb auch ein Signal „unspezifizierten Nichtwissens“. Wissen wird zum konstitutiven Merkmal der Verwundbarkeit moderner Gesellschaften. Damit kommt dem Wissensmanagement eine eminente Bedeutung für die Reduzierung der Katastrophenanfälligkeit zu. Informations- und Datenmonopole können zu einer verzerrten Wahrnehmung von Naturgefahren führen und Wissens- und Machtmonopole den raumzeitlichen Verlauf von Krisen beeinflussen. Während in Florida die Bevölkerung schon

Tage vorher vor einem Hurrikan gewarnt wird, fehlen im Mekong-Delta Frühwarnsysteme und die Taifune fordern regelmäßig Opfer unter den Fischern, die in Unkenntnis der drohenden Gefahr in See stechen. Auch innerhalb einer Gesellschaft sind die „Unwissenden“ anfälliger gegenüber Naturgefahren. Oftmals gibt es einen Bestand an Informationen und Wissen über Naturgefahren und Schutzmöglichkeiten, aber Sprachprobleme, beschränkter Zugang zu Einrichtungen der Informations- und Kommunikationstechnik sowie begrenzte Finanzen limitieren die Verbreitung von relevanten Informationen. Ein Großteil des katastrophenrelevanten Wissens bezieht sich auf die Situation und die Probleme in entwickelten Ländern. Dort erarbeitete Lösungen können aber nicht ohne weiteres auf Entwicklungsländer übertragen werden. Vielfach herrscht ein eklatanter Mangel an indigenem Wissen und Know-how mit Bezug auf örtliche Probleme, wodurch die lokale Anwendung von Lösungen erschwert wird. Wissenschaftler aus Entwicklungsländern haben ungleich schwereren Zugang zu Literatur und Konferenzteilnahmen als ihre Kollegen in den entwickelten Staaten. In vielen Niedriglohnländern steckt der Grundschulunterricht in einer ernsthaften Krise. Vor allem Mädchen haben überdurchschnittlich häufig keinen Schulabschluss. Aber auch in den OECD-Ländern findet ein rasanter, dynamischer Aus- und Umbau der Bildungssysteme statt. Die Wissensstrukturen passen sich an die gesellschaftlichen Veränderungen an. Auf die zunehmend komplexer werdende Verzahnung von Problemursachen und Konfliktlagen reagieren die wissenschaftlichen Disziplinen mit einer fachübergreifenden Verzahnung ihrer Wissensmodelle. Wissenskompetenzen mit maximaler Al-

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terungsresistenz gewinnen an Bedeutung, da die Gültigkeitsdauer von Wissen rapide abnimmt. Die Ausbildungszentren fordern deshalb neben dem unverzichtbaren „Verfügungswissen“ verstärkt „Orientierungswissen“ ein. Die Umstrukturierungen im Bildungssektor verbreiten soziale Unsicherheit: Wird Wissen ein öffentliches, frei zugängliches Gut bleiben? Oder werden auf dem technologiegeleiteten Weg in die Wissensgesellschaft einige auf der Strecke bleiben? Und wenn ja, wer wird das sein? Momentan öffnet sich die Wissenschaft der Öffentlichkeit. Wissenschaft soll aufregend sein und muss auch den „Laien“ begeistern, meinen einige. Diese Meinung wird nicht von allen Forschern geteilt. Jemand, der häufig in den Medien auftaucht, kann kein guter Wissenschaftler sein, so lautet ein landläufiges Vorurteil. Skepsis besteht ferner hinsichtlich der zunehmenden Finanzierung der Forschung durch private Unternehmen. Die Forschung stellt sich immer mehr auf die Bedürfnisse der Industrie ein, was zu Lasten der ganzheitlichen Grundlagenforschung geht. Veränderungen sind auch in Bezug auf den Zugang und die Verteilung von Wissen zu beobachten. Im Jahr 2003 gab es weltweit über 600 Millionen Internetnutzer, davon rund zwei Drittel in den Industrieländern. Dort kamen auf tausend Einwohner rund 340 Internetanschlüsse, in den Entwicklungsländern waren es gerade 40. Noch größer ist der Abstand bei den so genannten Hosts,

Afrika 1% Ozeanien 2% Lateinamerika 6%

Internetnutzer weltweit

¯ 4.31: Lernen vor Ort: Der gesellschaftliche Wandel bringt auch neue Formen der Wissensvermittlung mit sich.

den Rechnern, die Daten oder Dienstleistungen im Internet bereitstellen. Laut Statistik gab es in den entwickelten Ländern etwa 140 000 solcher Hosts, drei Viertel davon in Nordamerika. In den Entwicklungsländern waren es nur rund 8000. Allerdings sind die Zuwachsraten bei der Internetnutzung in den ärmeren Ländern deutlich höher als in den Industrienationen. Die Entwicklungsländer holen auf. Noch 1998 kamen 90 Prozent aller Internetnutzer aus Nordamerika und Westeuropa. Heute befindet sich bereits jeder dritte Internetanschluss auf der südlichen Halbkugel. Die Erziehung und Bildung im Bereich Naturkatastrophen kann sich als ein strategischer Ein˙ 4.32: Wenn die Zuwachsraten so anhalten, werden 2007 über eine Milliarde Menschen das Internet nutzen. Die Hälfte der Nutzer wird dann aus Entwicklungsländern kommen, eventuell erstmals mehr Frauen als Männer.

Internetnutzer pro 1000 Einwohner Nordamerika 500

400

Europa 28 %

Asien 34 %

Europäische Union

300

200 Nordamerika 29 %

weltweit Lateinamerika Asien

100

Afrika 0 2000

2001

2002 Jahr

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stiegspunkt zur Entwicklung einer neuen Umweltethik erweisen. Die Herausforderungen umfassen unter anderem die Ausweitung der Kapazitäten in Entwicklungsländern zur Bildung eigener Fachleute, eine Verbesserung des Informations- und Erfahrungsaustauschs sowie den Zugang zum globalen Wissensbestand in Bezug auf Naturkatastrophen. Da der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien bei der Wissensvermittlung (E-Learning, electronic learning – elektronisch unterstütztes Lernen) weiter zunehmen wird, gilt es, die Effektivität und Flexibilität von elektronischen Lernformen mit den sozialen Aspekten des gemeinsamen Lernens (B-Learning, blended learning – Lehrmethode, bei der die Vorteile von Präsenzveranstaltungen und E-Learning eingesetzt werden) zu einem tragfähigen Gesamtkonzept zu verbinden.

Was können wir lernen?

Was können wir lernen?

Hawking (2001) Humboldt (1997) Surowiecki (2004) Weichselgartner & Obersteiner (2002) Wyssusek (2004)

Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) www.bpb.de Deutscher Bildungsserver www.bildungsserver.de Emergency Management Australia (EMA) www.ema.gov.au Extension Disaster Education Network (EDEN) www.agctr.lsu.edu/eden Geoscience online www.g-o.de International Council for Science (ICSU) www.icsu.org ISDR World Disaster Reduction Campaign www.unisdr.org National Disaster Education Coalition (NDEC) www.disastereducation.org Pacific Disaster Center (PDC) www.pdc.org Planet Wissen www.planet-wissen.de UN News Centre www.un.org/news

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Katastrophenmanagement – Vorsorge und Nachsorge

(1) Katastrophenvorsorge: ” Katastrophenvorbeugung: Landnutzungsplanung und Raumordnung, Stärkung der existierenden Vorsorgestrukturen, Fortbildung der mit der Katastrophenvorsorge befassten Personen und Institutionen, langfristiger Aufbau von Kommunikationsstrukturen auf administrativer und privater Ebene, langfristiger Aufbau und Erprobung von Frühwarnsystemen. ” Katastrophenvorbereitung: Partizipative Erstellung von Notfallplänen, Bereitstellung von Notunterkünften, Üben von Katastrophensituationen und Evakuierungsmaßnahmen, Bereitstellung der medizinischen Versorgung, Einsatz des Warnsystems unmittelbar vor dem Ereignis. In Deutschland wird für diese Phase der Begriff „Katastrophenschutz“ verwendet.

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Katastrophenvorbeugung

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¯ 5.1: Katastrophenkreislauf mit den Elementen der Katastrophenvorsorge und der Katastrophennachsorge.

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Katastrophenkreislauf und Risikokultur – Schäden reduzieren Das Katastrophenmanagement schließt alle Aktivitäten der Vor- und Nachsorge einer stattgefundenen oder potenziellen Naturkatastrophe ein. Die Katastrophenvorsorge umfasst den gesamten systematischen und konzeptionellen Rahmen von Maßnahmen, die miteinander in enger Vernetzung stehen und vor Eintritt einer Naturkatastrophe mit dem Ziel ergriffen werden, negative Auswirkungen eines Naturereignisses auf die Gesellschaft zu begrenzen oder auszuschalten. Die Katastrophenvorsorge kann in die beiden Bereiche der Vorbeugung und der Vorberei-

tung auf den Katastrophenfall unterteilt werden. Die Katastrophennachsorge umfasst die direkte Nothilfe und Rettungsmaßnahmen für die Bewältigung der Katastrophe sowie den Wiederaufbau. Vor- und Nachsorge sind Bestandteile des Katastrophenkreislaufes, der in idealisierter Form den zeitlichen Ablauf der Aktivitäten vor und nach einem Katastrophenereignis beschreibt. Er hat folgende Komponenten:

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Das Katastrophenmanagement beschreibt den gesamten systematischen Prozess der Katastrophenvorsorge und -nachsorge, der zur Vermeidung einer zukünftigen und der Bewältigung einer stattgefundenen Katastrophe führt. Er umfasst den gesamten Umfang der Problematik einschließlich der wissenschaftlichen Analyse und der operativen Maßnahmen. Das Gebiet des Katastrophenmanagements muss unter Gesichtspunkten der Transparenz, des Verständnisses des zeitlichen Ablaufes von Katastrophen und der Analyse in weitere Sachverhalte und Begriffe unterteilt werden, was im Folgenden versucht wird. Unter Gesichtspunkten der schwierigen Terminologie und Systematik des Themas haben die Autoren in diesem Buch bewusst eine Trennung zwischen den Sachverhalten und Begriffen des Katastrophenphänomens (etwa Katastrophenkreislauf, Katastrophenvorsorge, Katastrophenbewältigung), den Begriffen der Analysen und Methoden (etwa Risikoanalyse, Risikobewertung) und den Begriffen der Schutzzielformulierung (etwa Risikoverminderung, Risikovermeidung) vorgenommen. Bei verschiedenen Akteuren des Katastrophenmanagements existieren auch Mischformen dieser Ebenen, wie etwa der von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) verwendete Begriff „Katastrophenrisikomanagement“ („disaster risk management“). Er wird von der GTZ synonym mit dem Begriff Katastrophenvorsorge verwendet, da die vorbeugende und vorbereitende Eigeninitiative der betroffenen Bevölkerungsgruppe in Kombination mit der Risikoanalyse und -bewertung erfolgen kann. Ausführliche Erläuterungen der Begriffe finden sich im Register am Ende des Buches.

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128 Katastrophenmanagement

Entwicklung einer Risikokultur

Risikoanalyse • natürlicher Prozess • Naturgefahr • Naturgefahrenzonierung

• Verwundbarkeit • Exposition • Widerstandsfähigkeit • nachhaltiger Lebensunterhalt

Risikobewertung • Schutzdefizite • Schutzziele • Kontext der Situation und der Akteure • Risikobewusstsein und -wahrnehmung

Maßnahmenplanung • technische, organisatorische und raumplanerische Schutzmaßnahmen • Risikobeeinflussung (Vermeidung, Verminderung)

(2) Katastrophennachsorge: ” Katastrophenbewältigung: Bergungs- und Rettungsmaßnahmen, medizinische Soforthilfe, begleitende Humanitäre Hilfe für die Notversorgung der betroffenen Bevölkerung, Evakuierungen aus zerstörten Gebieten, Schaffung von Notunterkünften. ” Wiederaufbaumaßnahmen: Implementierung einer umfassenden Katastrophenvorsorge in die Wiederaufbauphase, Analyse der Situation vor der Katastrophe mit Methoden der Risikoanalyse und -bewertung, Versorgung mit temporärem und Aufbau von permanentem Wohnraum, Aufbau der Infrastruktur und der allgemeinen Versorgungseinrichtungen, erdbebensicheres Bauen. Die systematische und operative Umsetzung der Aktivitäten des Katastrophenkreislaufes kann in integrierenden Strategien und Maßnahmen des Risikomanagements erfolgen. Das Ziel ist die Reduzierung von potenziellen Schäden an Mensch und Eigentum. Risikomanagement basiert auf wissenschaftlichen und operativen Erkenntnissen, Methoden und Maßnahmen und wird durch administrative Organisationen und deren Entscheidungen durchgesetzt. Dieser Prozess wird durch politische Strategien auf nationaler und internationaler Ebene begleitet oder ermöglicht. Risikomanagement besteht aus mehreren Komponenten. In der Risikoanalyse wird die Naturgefahr mit der Verwundbarkeit der Risikoelemente verknüpft. In der Naturgefahrenanalyse werden Naturgefahren nach transparenten und möglichst normierten Verfahren modelliert, bewertet und dargestellt. Die Darstellung kann in Form räumlicher (Naturgefahrenkarten) und/oder zeitlicher Naturgefahrenwahrscheinlichkeiten (Zeitreihen) erfolgen. Die Grundlage bilden Erscheinungs-

¯ 5.2: Wissenschaftliche und operative Komponenten des Risikomanagements im Rahmen der Entwicklung einer gesamtgesellschaftlichen Risikokultur.

formen der gefährlichen Prozesse, von denen die Plötzlichkeit des Ereignisbeginns, die Häufigkeit, die Stärke und die räumliche Verteilung primäre Bedeutung haben (Erdbebenmagnitude, Überflutungshöhe, Ablagerungsgebiet von Sediment, Prozessdauer, Vorwarnzeit). Eine weitere Bewertung der Naturgefahr kann durch die Wirkung oder Intensität des Prozesses auf die Risikoelemente (Menschen, Gebäude, Infrastruktur, Nahrungsmittel) erfolgen. Die Saffir-Simpson-Hurrikanskala beinhaltet beispielsweise potenzielle Schäden sowie bestimmte Evakuierungsmaßnahmen im Katastrophenfall. Das Ergebnis der Naturgefahrenanalyse sind Gefährdungsstufen, die als eine der Grundlagen des Risikomanagements, etwa in der Raumplanung, genutzt werden. Die Naturgefahr wird in unterschiedliche Gefahrenklassen gruppiert und kann in Gefahrenkarten dargestellt werden. Mit Verwundbarkeit wird die Anfälligkeit einer Person, einer Gesellschaft oder allgemein eines Systems gegenüber einer spezifischen Naturgefahr mit einer bestimmten Ereignisstärke ausgedrückt. Soziale, ökonomische, technische oder natürliche Faktoren bestimmen über den Grad der Verwundbarkeit, der durch entsprechende Maßnahmen reduziert werden kann. Obwohl der Begriff in der Verwundbarkeitsforschung ursprünglich nur für gesellschaftliche und kulturelle Phänomene genutzt wurde, wird er heute allgemein für alle durch Naturgefahren bedrohte Risikoelemente verwendet. Wird die Verwundbarkeit in Form eines potenziellen ökonomischen Schadens ausgedrückt (Schadensfunktion des Risikoelementes), entstehen durch die räumliche Verschneidung Risikokarten, die das ökonomische Sachrisiko oder das Todesfallrisiko darstellen. Eine der Bedingungen der Verwundbarkeit wird durch die Exposition (auch Exponiertheit, Ausgesetztsein) bestimmt. Sie bedeutet, dass bestimmte Eigenschaften, wie die menschliche Gesundheit, ein Wohngebäude oder eine Nutzpflanze erst unter bestimmten gefährlichen Bedingungen zu Risikoelementen werden. Die Exposition kann mit der Lokalität des sozialen und materiellen Lebens und dem Kontext des menschlichen Lebensraumes beschrieben werden. Darüber hinaus beschreibt die Exposition soziale Werte und Verantwortlichkeiten. So sind Frauen in bestimmten ländlichen Gesellschaften gegenüber Überschwemmungen exponierter, da sie einen großen Teil des Tages an den Haushalt gebunden sind und die Verantwortung für die Kinder und die älteren Familienmitglieder haben. In zahlreichen Ländern der

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Katastrophenkreislauf und Risikokultur 129

Erde bildet die Armut der Menschen den wichtigsten Faktor der Verwundbarkeit. Durch die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRC) wird im Weltkatastrophenbericht 2004 die Widerstandsfähigkeit als zentrale Eigenschaft einer sozialen Gemeinschaft hervorgehoben und als weiterführendes Konzept der Katastrophenvorsorge bezeichnet. Die Widerstandsfähigkeit beschreibt die Kapazität und Selbsthilfefähigkeit eines Systems, einer Person, Gemeinde oder Gesellschaft, die einer Naturgefahr ausgesetzt ist, einer drohenden Katastrophe zu widerstehen. Die Widerstandsfähigkeit wird durch verschiedene Aktivitäten der Anpassung an die Naturgefahr und weiterer Veränderungen der Strategien und Maßnahmen der Katastrophenvorsorge erreicht. Das Ziel liegt in der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Systems. Der Erfolg der Erhöhnung der Widerstandsfähigkeit wird dadurch bestimmt, ob sich das soziale System selbst organisieren kann, um aus früheren Katastrophen Lehren zu ziehen und damit zukünftigen Naturereignissen verbessert begegnen zu können. Die Widerstandsfähigkeit beschreibt und misst daher die Aktiva der Person oder Gesellschaft. Dieser Ansatz wird als Weiterentwicklung der bisherigen Konzepte der Verwundbarkeit angesehen, die eher die Schwächen des Systems in den Vordergrund stellen. Mit dem Ansatz der Widerstandsfähigkeit werden dagegen die partizipativen Selbsthilfefähigkeiten und ihre Stärkung in den Mittelpunkt des Risikomanagements gestellt. Der Weltkatastrophenbericht 2004 beleuchtet den traditionellen Aufbau des Risikomanagements recht kritisch, speziell bei den plötzlich eintretenden Prozessen wie Erdbeben, Stürmen und Überschwemmungen. Dieser Aufbau und die verfolgte Praxis der Risikoverminderung vernachlässige die Analyse der Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen, die in einer Gemeinde verfügbar seien und die die Grundlage der Widerstandsfähigkeit im Angesicht einer Naturgefahr bilden. Diese Eigenschaften einer sozialen Gruppe werden zu oft von den externen Hilfsorganisationen und Agenturen übersehen, die im Katastrophenfall externe Soforthilfe leisten. Die Widerstandsfähigkeit kann durch Kriterien des „nachhaltigen Lebensunterhaltes“ erläutert werden. Das Konzept des nachhaltigen Lebensunterhaltes beschreibt das Potenzial, die Kompetenz, die Kapazität und die Stärke einer Gesellschaft, Person oder allgemein eines Systems. Es werden damit eher die Aktivposten oder Aktiva als die Schwächen und Bedürfnisse der Gemeinschaft betont und hervorgehoben. Der Ansatz basiert auf unterschiedlichen Aktivposten („assets“) und Stärken, die für den Bestand des Lebensunterhaltes ausschlaggebend sind:

Stärken des Naturraumes (Wasser, Böden, Flüsse, Wälder, Rohstoffe), finanzielle Stärken (Sparguthaben, Einkommen, Pensionen, Kredite), Stärken der Ausbildung und der menschlichen Gesundheit (Wissen, Fertigkeiten, Gesundheit, physische Konstitution), Stärken der sozialen Gemeinschaft (Netzwerke, Beziehungen, Zugehörigkeit, Vertrauen) und Stärken von Infrastruktur und Versorgung (Verkehrsinfrastruktur, Transportmittel, Schutzeinrichtungen, Wasserversorgung, Gesundheitswesen). In der Risikobewertung werden die Schutzdefizite der Risikoelemente in Bezug auf gefährliche Prozesse an den geplanten Schutzzielen gemessen. Die Risikobewertung muss im konkreten Kontext einer Gefahrensituation gesehen werden, wobei gesellschaftliche, politische, kulturelle und ökonomische Kriterien integriert werden müssen. Die Schutzmaßnahmen umfassen technische, organisatorische und raumplanerische Aktivitäten. Die ökonomisch orientierte Risikobewertung verknüpft Schadenshäufigkeit und Schadensausmaß, um etwa die jährliche Schadenserwartung zu ermitteln, die bei der Entwicklung von Maßnahmenplanungen Verwendung findet. Die Risikobewertung erfolgt jedoch bei den Akteuren des Risikomanagements auf Basis sehr unterschiedlicher Kriterien. So bewertet der Landwirt in einer als hoch gefährlich ausgewiesenen vulkanischen Gefahrenzone aufgrund der Fruchtbarkeit der Böden und der Eigentumsrechte das Risiko individuell völlig anders als der Risikomanager, der Evakuierungspläne für das Gebiet entwickeln und anwenden muss. Die Risikobewertung ist damit nur schwer objektivierbar und vom sozialen oder funktionalen Kontext der Akteure abhängig, die äußerst unterschiedliche Sichten auf die Naturgefahr und die verfolgten Schutzziele haben können. Diese akteursabhängigen Kontexte werden durch die Phänomene des Risikobewusstseins und der Risikowahrnehmung ausgedrückt. In der Naturrisikoforschung bezeichnet der Begriff des Risikobewusstseins die Aufnahme von risikorelevanten Informationen sowie deren Wahrnehmung, Interpretation, Auswahl und Organisation. Unter Risikowahrnehmung wird das Erkennen und Empfinden von risikorelevanten Informationen und Situationen verstanden. Nicht alle Sinnesreize sind Wahrnehmungen, sondern nur die, die geistig verarbeitet werden. Da der Wahrnehmungsprozess von Mensch zu Mensch variiert, werden auch Naturrisiken unterschiedlich wahrgenommen. Der Risikobewertung folgt die Maßnahmenplanung, die aus strukturellen und nicht-strukturellen Komponenten besteht. Darunter werden zum einen strukturelle Aktivitäten des technischen Schutzbaus verstanden, die die Konstruktion gefahrenresistenter Gebäude und Infrastrukturen,

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Die nationale Plattform – Deutsches Komitee Katastrophenvorsorge (DKKV) Das Deutsche Komitee Katastrophenvorsorge ist die nationale Plattform für die Katastrophenvorsorge in Deutschland. Es hat eine wichtige Rolle als Kommunikationsnetz und Mittler zwischen den nationalen und internationalen Organisationen der Katastrophenvorsorge und wirkt als Kompetenzzentrum für alle wissenschaftlichen und operativen Fragen. Das Komitee führt die bisherigen nationalen Aktivitäten der abgeschlossenen Internationalen Dekade zur Reduzierung von Naturkatastrophen (IDNDR) der Vereinten Nationen weiter. Die Themenstellungen umfassen die ” integrierenden und transdisziplinären Themen der Katastrophenvorsorge, ” die Innovationsförderung und den Wissenstransfer, ” den gesellschaftlichen Dialog, ” die Sensibilisierung der Öffentlichkeit,

den Schutzdeichbau und andere technische Schutzeinrichtungen umfassen. Nicht-strukturelle Maßnahmenplanungen beziehen sich auf die Bewusstseinsbildung, Ausbildung, politische Aktivitäten, Verpflichtungen der Öffentlichkeit und operative Maßnahmen einschließlich der Mechanismen der Selbsthilfe und der Bereitstellung von Informationen, die insgesamt zu einer Risikoverminderung oder -vermeidung führen. Eine grundsätzliche Risikovermeidung lässt sich nur dadurch erreichen, dass bestimmte gefährdete Regionen gänzlich der Nutzung entzogen werden, so dass nach Maßgabe der Risikobewertung Nutzungsbestimmungen angebracht sind. Die Raumplanung strebt dabei an, die Gefahrenzonen von den genutzten Zonen zu trennen. Wo dies durch die aktuelle Situation im gefährdeten Raum nicht mehr möglich ist, kann nur eine Risikoverminderung erreicht werden. Sie basiert auf den genannten technisch-baulichen Maßnahmen wie dem Deich- und Dammbau, dem gefahrenresistenten Gebäudebau und anderen technischen Maßnahmen. Zur Risikoverminderung werden auch die bereitschaftserhöhenden Maßnahmen der Katastrophenvorbereitung gerechnet, die es erlauben, schnell und effektiv auf eine drohende Katastrophe zu reagieren. Ein wichtiger Bestandteil der Bereitschaft sind die partizipative Erstellung von Notfallplänen, die Bereitstellung von Notunterkünften, das Üben von Katastrophensituationen und Evakuierungsmaßnahmen, die Bereitstellung der medizinischen Versorgung und der Einsatz des Warnsystems unmittelbar vor dem Ereignis. Dieses systematische Konzept ist der Kern einer Risikokultur, die die gesamte Gesellschaft be-

” die Stärkung lokaler Katastrophenschutzstrukturen und

” die Förderung der Selbsthilfefähigkeit der Bürger.

Das Komitee steht der Bundesregierung und anderen staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen für Maßnahmen der Katastrophenvorsorge als beratendes Gremium zur Verfügung. Mit dieser Aufgabenstellung erfüllt das Komitee nicht nur nationale Verantwortlichkeiten der Entwicklung einer Risikokultur durch Katastrophenvorsorge, sondern auch internationale Verpflichtungen im Rahmen der Europäischen Union und der Vereinten Nationen.

Die nationale Plattform

DKKV (2003c, 2004a, 2004b)

Die nationale Plattform

Deutsches Komitee Katastrophenvorsorge (DKKV) www.dkkv.org

trifft. Damit ist der Umgang einer Gesellschaft mit den in unterschiedlichsten Bereichen auftretenden Risiken gemeint. Im Zentrum stehen an verschiedenen Schutzzielen orientierte Fragen der Sicherheit der Gesellschaft und ihrer Mitglieder sowie der verfügbaren oder zukünftigen Sachwerte. Dabei steht die Erkenntnis im Vordergrund, dass absolute Sicherheit nicht erreicht werden kann. Risiken sind daher eine unvermeidbare Begleiterscheinung des menschlichen Lebens. Eine angemessene Risikokultur erlaubt es, Risiken transparent zu machen, sie darzustellen und zu kommunizieren, so dass vorsorgende Aktivitäten und Maßnahmen ergriffen werden können.

Katastrophenkreislauf und …

Ammann (2001, 2003) Auswärtiges Amt (2004) BGR/GTZ (2004) BUWAL (1999) Chambers & Conway (1992) Geier (2003) Geipel (1992) GTZ (2001, 2004b) Hollenstein (1997) IFRC (2004) ISDR (2004a) Karl & Pohl (2003) Mileti (1999) PLANAT (2002) Plate & Merz (2001) ProVention Consortium (2004) SKK (2003) UNDP (1997, 2004) WBGU (1999, 2004) Weltbank (2001)

Katastrophenkreislauf und …

Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) www.gtz.de International Federation of Red Cross and Crescent Societies (IFRC) www.ifrc.org Livelihoods Connect www.livelihoods.org Nationale Plattform Naturgefahren (PLANAT) www.planat.ch ProVention Consortium www.proventionconsortium.org Resilience Alliance www.resalliance.org Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und Katastrophenschutz (SKK) www.katastrophenvorsorge.de Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) www.wbgu.de

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Die Entwicklung und Verwirklichung einer gesellschaftlichen Risikokultur bedeutet demnach, dass der Katastrophenkreislauf verändert wird. Um zukünftige Risiken in den Gefahrenzonen zu vermeiden oder zu vermindern, muss das strategische Ziel verfolgt werden, die Katastrophenvorsorge in den Wiederaufbauprozess zu integrieren. Damit kann von einer Kultur der Nachsorge zu einer Kultur der Vorsorge übergegangen werden. Diese gewaltige Aufgabe hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, durch die Aufforderung ausgedrückt, dass wir von einer „culture of reaction“ zu einer „culture of prevention“ gelangen müssen.

Katastrophenvorsorge – wie kann man sich schützen? Selbsthilfefähigkeit stärken – im Voraus planen Die Katastrophenvorbeugung ist ein entscheidender Schlüssel für die Verminderung und Vermeidung von Risiken. Mit Maßnahmen der Landnutzungsplanung und Raumordnung, der Stärkung existierender Vorsorgestrukturen, der Fortbildung der Akteure des Katastrophenkreislaufes, durch den langfristigen Aufbau von Kommunikationsstrukturen und Frühwarnsystemen sind einige der wichtigen Komponenten beschrieben. Ferner sind in diesem Buch zahlreiche Beispiele vorbeugender Maßnahmen aus verschiedenen Teilen der Erde zusammengetragen. Auf zwei dieser Bereiche soll hier näher eingegangen werden. Die Aufgabe der Raumplanung ist es, räumliche Entwicklungsprozesse auf unterschiedlichen Ebenen (Stadtteil, Stadt, Region, Land, Staat, Kontinent) und in Bezug auf unterschiedliche Phänomene (Verkehr, Umwelt, Bevölkerung) zu untersuchen. Ihr Ziel ist, Konflikte bei der Nutzung des Raumes zu vermeiden und Lösungsstrategien bei der Erschließung des Raumes zu finden. Die Bezeichnung „Raumplanung“ ist nicht verbindlich definiert, sondern stellt einen Oberbegriff dar, der alle planerischen Maßnahmen mit räumlichen Auswirkungen – von der Quartiersplanung über die Stadt- und Regionalplanung bis hin zur Landesplanung und Raumordnung – umfasst. Dabei schließt die Raumplanung sowohl formelle, in Gesetzen geregelte Planungsverfahren (etwa die Bauleitplanung nach dem Baugesetzbuch oder die Regional- und Landesplanung nach den Landesplanungsgesetzen) als auch informelle Planungsprozesse (zum Beispiel Rahmenplanungen) ein. Die sozialen Beziehungen von Einzelpersonen, die zwischenmenschliche Interaktion, die individuelle Raumwahrnehmung und -bewertung wie auch die entsprechenden Verhaltensmuster einer großen Bevölkerungsgruppe weisen vielfältige Beziehungen zum Raum auf. Raum im geographischen Sinne

Öffentlichkeit mobilisieren – der Sasakawa-Preis für Katastrophenvorsorge der Vereinten Nationen Die Verleihung eines Preises ist eine Möglichkeit, eine breite Öffentlichkeit für ein bestimmtes Thema zu mobilisieren. Der Sasakawa-Preis, benannt nach dem Vorsitzenden der Nippon Stiftung Ryoichi Sasakawa, würdigt besondere Beiträge zur Katastrophenvorsorge von internationaler oder regionaler Bedeutung. Der mit Trophäe und Urkunde verbundene Preis ist mit rund 50 000 US-Dollar dotiert und wird seit 1987 jährlich am Tag zur Reduzierung von Naturkatastrophen (zweiter Mittwoch im Oktober) durch das Komitee der UN-Strategie ISDR vergeben. Eine Fachjury mit Vertretern aus fünf Kontinenten zeichnet neben dem oder den Hauptpreisträgern auch andere Vorsorgeaktivitäten aus, die zur Nachahmung anregen sollen. Für den Preis können Einzelpersonen und Institutionen nominiert werden. 2001 erhielt das Global Fire Monitoring Center in Freiburg die begehrte Auszeichnung. Das Zentrum, eine Einrichtung des Max-Planck-Instituts für Chemie, arbeitet im Bereich der weltweiten Frühwarnung und der Überwachung von Waldbränden. Dabei berät und unterstützt es vor allem Entwicklungsländer bei Fragen des Feuermanagements und der Vorsorge. Die bisherigen Preisträger: 2004 Omar Dario Cardona, Kolumbien 2003 Tadzong, née Esther Anwi Mofor, Kamerun 2002 Sergueï Balassanian, Armenian Association of Seismology and Physics of the Earth’s Interior (AASPEI), Armenien 2001 Global Fire Monitoring Center (GFMC), Deutschland 2000 Fondo para la Reconstrucción y el Desarrollo Social del Eje Cafetero (FOREC), Kolumbien 1999 Mustafa Erdik, Türkei 1998 Ji Cai Rang und Wang Ang-Sheng, China 1997 Observatorio Sismológico del SurOccidente (OSSO), Kolumbien, und A. S. Arya, Indien 1996 Ian Davis, Großbritannien 1995 kein Preisträger 1994 National Emergency Commission, Costa Rica 1993 Vit Karnik, Tschechien 1992 Geophysical Institute of the National Polytechnic School, Ecuador 1991 Franco Barberi, Italien 1990 Julio Kuroiwa, Peru 1989 Relief and Rehabilitation Commission, Äthiopien 1988 ESCAP/Typhoon Committee, Öffentlichkeit mobilisieren … Philippinen Internationale Strategie für Katastrophenvorsorge der Verein1987 Ratu Kamisese ten Nationen (ISDR) Mara, Fiji www.unisdr.org

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˙ 5.3: Gebt den Flüssen den Raum, den sie brauchen. Diese Einsicht setzt sich zunehmend durch, obgleich die praktische Umsetzung, insbesondere in dicht besiedelten Flussauen, nicht immer einfach ist.

kann dazu beitragen, bestimmte menschliche Verhaltensweisen zu erklären (beispielsweise Mobilität), wird gleichzeitig aber auch selbst durch menschliches Verhalten verändert (Nutzung, Bebauung) oder verzerrt (Massenverkehr). Die wichtige Rolle der Raumplanung für die Katastrophenvorsorge ist durch eine Konferenz der Akademie für Raumforschung und Landesplanung im Jahre 2003 hervorgehoben worden. Auf Grundlage des Problems der unzureichenden Wahrnehmung der räumlichen Dimension von regionalen Umwelt- und Technikrisiken wird in den Schlussfolgerungen erläutert, dass Risiken von individuellen und gesellschaftlichen Entscheidungen abhängig sind. Um Regionen gegenüber Risiken in Umwelt und Technik resistent zu machen, sei ein räumlich differenziertes System der Verantwortung notwendig, das sicherstellt, dass die Risiken den Chancen folgen. Die Schwerpunktaufgaben der Raumordnung und Raumplanung bei der Katastrophenvorsorge betreffen vier Ebenen der räumlichen Planung und umfassen folgende Bereiche: ” Bundesebene: Verankerung im Raumordnungsgesetz, abgestimmtes Vorgehen der Länder, Erarbeitung eines fortzuschreibenden Gefährdungskatasters; ” Länderebene: Ergänzungen der Grundsätze der Raumordnung, kartographische Darstellung von Gefährdungszonen und ihre raumordnerische Entwicklung; ” Ebene der Regionen und Bezirke: Darstellung von Gefährdungsbereichen in den regionalen Raumordungsplänen, Berücksichtigung von Gefährdungszonen bei der Planung von Wohngebieten, Industrieanlagen und anderen Funktionsbereichen sowie bei den Verfahren der Umwelt- und Raumverträglichkeit;

” Kommunale Ebene: Kennzeichnung von Gefährdungszonen in den Bauleitplänen und ihre Berücksichtigung bei der Ausweisung von Standorten und Flächennutzungen, Zusammenarbeit von Akteuren der Katastrophenvorsorge und -nachsorge mit den kommunalen Behörden. Die Eintrittswahrscheinlichkeit schadenbringender Ereignisse muss in einer „Risikovorsorge durch Raumordnung“ verringert werden, indem ” die Nutzungsräume (Siedlungen, Infrastruktur, Industrie) von den Gefahrenzonen getrennt werden, ” die räumliche Konzentration risikoreicher Aktivitäten vermieden wird und ” im Falle großtechnischer Anlagen die Eignungsräume für Großanlagen mit Risikopotenzialen festgelegt werden. Eine weitere zentrale Komponente der vorbereitenden Maßnahmen der Katastrophenvorsorge besteht in der Entwicklung von Frühwarnsystemen („early warning systems“). Der Begriff „Frühwarnung“ wird durch die Internationale Strategie für Katastrophenvorsorge der Vereinten Nationen (ISDR) in einer sehr umfassend angelegten Definition bestimmt. Frühwarnung wird hier als die Erstellung und effektive Nutzung von Informationen vor einem gefährlichen Ereignis mit dem Ziel der Risikoverminderung verstanden. Sie stellt demnach ein Schlüsselelement des allgemeinen Risikomanagements dar. Damit sind alle Bereiche gemeint, die sowohl die vorbeugenden Komponenten der Katastrophenvorsorge, wie etwa die Naturgefahrenzonierung, als auch vorbereitende Aktivitäten im Katastrophenfall, beispielsweise die Vorbereitung der Evakuierung, betreffen. Grundsätzlich wird unter Frühwarnung die rechtzeitige Warnung vor einem drohenden Natur-

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Katastrophenvorsorge 133 ˘ 5.4: Im Internet angebotene Warnsituation des Deutschen Wetterdienstes am 31. 01. 2005, 11.39 Uhr.

Stand 31. 01. 2005 um 11.39 Uhr Ostsee

ereignis verstanden. Im Kern werden die drei aufeinander folgenden Phasen der Vorhersage, der Warnung und der Reaktion auf die Warnung unterschieden: ” Vorhersage: naturwissenschaftlich-technische Vorhersage eines potenziell Schaden bringenden Ereignisses nach Größe, Lage und zeitlichem Verlauf, Information der Bevölkerung; ” Warnung: Umsetzung der Vorhersage in Warnungen und Handlungsempfehlungen, Entscheidungsprozesse im politischen und institutionellen Rahmen; ” Reaktion: Entscheidung über und Umsetzung von Schutzmaßnahmen im organisatorischen und administrativen Rahmen, Risikowahrnehmung bei der Entscheidungsfindung. Wettervorhersagen werden von vielen nationalen Wetterdiensten und von internationalen Organisationen, wie der World Meteorological Organisation (WMO) oder von Institutionen der Vereinten Nationen durchgeführt. Als Beispiel einer solchen Vorhersage wird die im Internet angebotene Warnsituation des Deutschen Wetterdienstes gezeigt. Die Warnlage wird regelmäßig aktualisiert und schließt eine Seewetterwarnung ein. Weitere Angebote umfassen nach Naturgefahren getrennte Warnungen, den Warnlagebericht und die Wochenvorhersage. Für gewöhnlich besteht ein Frühwarnsystem aus: ” einem Überwachungssystem, das die naturwissenschaftlichen Daten für die Frühwarnung liefert, ” einer Vorhersage, die den möglichen Ablauf des Ereignisses beschreibt, ” einer Leitzentrale, die alle Informationen sammelt und bewertet,

Nordsee Kiel

Schwerin Bremen

Hamburg

Berlin

Hannover

Magdeburg

Düsseldorf

Dresden

Erfurt

Warnung vor extremem Unwetter Unwetterwarnung Vorwarnung zur Unwetterwarnung Warnung vor markantem Wetter Wetterwarnung Seewetterwarnung keine Warnung

Wiesbaden Mainz

Saarbrücken Stuttgart München Stadtgebiet Bundesland Kreis

0

” einem Einsatzplan, der etwa den Ablauf einer Evakuierung regelt, und ” Personen, die für die Warnung der Bevölkerung verantwortlich sind. Damit ein Katastrophenfrühwarnsystem gut funktioniert, reicht es nicht aus, die einzelnen Komponenten nur aneinander zu reihen. Sie müssen zusammenspielen. Auch hochwertige Vorhersagesysteme nützen nichts, wenn anschließend die Formulierung der Vorhersagen oder die Verbreitung der Warnungen inadäquat sind und nicht verstanden werden. Der Erfolg einer Frühwarnung ist von sehr vielen Faktoren abhängig. Der größte Erfolg konnte bisher bei Hochwasserereignissen und bei tropischen Wirbelstürmen verzeichnet werden. Ein Frühwarnprozess besteht aus unterschiedlichen Stufen. Die Grundlage bildet die Erkennung der Bedro-

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Erkennung der Bedrohung Entwurf des Frühwarnsystems

Nachträgliche Bewertung

Rückkopplung Realisierung Test Ausbildung der Nutzergruppen

Auftreten der Naturgefahr Gefahrenbewertung

Rückkopplung

Messung Interpretation Vorsorge Warnungsentscheidung

˚ 5.5: Konzeption eines gut entwickelten Frühwarnsystems für Naturgefahren. Die zentralen Komponenten umfassen die Erkennung der Bedrohung, die Gefahrenbewertung, die Weitergabe und Kommunikation der Warnung sowie die öffentliche Reaktion auf die Warnung. Es ist zu erkennen, dass der gesamte Frühwarnprozess weitere Bereiche der Katastrophenvorbeugung und vorbereitung enthält (nach Smith 2004).

Weitergabe der Warnung

Öffentliche Reaktion

Warnungsinhalt Geltungsbereich der Warnung Übermittlungsverfahren

Faktoren Aktivitäten • Alter • Vorbereitende • Geschlecht Maßnahmen • Erfahrung • ethnische Gruppe

hung etwa in Form eines natürlichen Prozesses. Auf dieser Basis wird ein diesem Prozess angepasstes Frühwarnsystem entworfen und geplant. Die Entwicklung und der Test des Frühwarnsystems muss die Ausbildung der Nutzergruppe einschließen, damit Möglichkeiten bestehen, den Entwurf und die Realisierung zu optimieren. Die Kenntnis der Naturgefahr einer bestimmten Region führt in weiteren Schritten zur Naturgefahrenbewertung und ihrer Vorhersage. Diese Komponente ist im Wesentlichen naturwissenschaftlich-technischer Art. Dazu gehören Naturgefahrenzonierungen, Messung des aktuell stattfindenden Ereignisses (Magnitude, Frequenz, Reichweite, Andauer), seine Interpretation und schließlich die eigentliche Vorhersage des gefährlichen Ereignisses. Nach der Vorhersage muss eine Entscheidung für eine Warnung getroffen werden. Die Weitergabe der Warnung an die Betroffenen im Gefahrengebiet erfolgt über die bei der Entwicklung des Frühwarnsystems festgelegten Übermittlungsverfahren, -institutionen und -personen (Radio, Fernsehen, Polizei, Bürgermeister, Nachbarn). Wichtig ist die Angabe des Geltungsbereiches der Warnung. Die öffentliche Reaktion ist der zentrale Teil der Frühwarnkette. Sie ist von verschiedenen Faktoren abhängig, die bei der Entwicklung des Frühwarnsystems bekannt sein müssen. So sind die Kenntnis der Betroffenen und ihre Erfahrung mit der Naturgefahr und früheren Warnsituationen, das Alter, Geschlecht und die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe von hoher Bedeutung für die Konzeption und den Erfolg des Frühwarnprozesses.

Der letzte Schritt besteht im Aufgreifen vorbereitender Maßnahmen (Evakuierung, Aufsuchen von Schutzbauten), die der Verminderung von Verlusten durch das Ereignis dienen. Die nachträgliche Auswertung des gesamten Frühwarnvorganges durch die Betroffenen und die wissenschaftlichen und operativen Akteure der Katastrophenvorsorge dient schließlich der Verbesserung des Systems. Die Effektivität eines Frühwarnsystems hängt in hohem Maße von der Transformation der Vorhersage in die Warnungsmitteilung ab, wobei eine Warnungsentscheidung die kritische Stelle der Frühwarnkette ist. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Vorhersage und in die Vorhersageorganisation kann erheblich erschüttert werden, wenn falsch, zu spät oder überhaupt nicht vorgewarnt wird. In kritischen Situationen muss jedoch der Warndienst in mitunter sehr kurzer Zeit eine Warnungsentscheidung treffen, auch wenn die Unsicherheit der Vorhersage noch relativ hoch ist, andererseits aber noch genügend Zeit bleibt, um vorbereitende Maßnahmen zu treffen. Weiterhin kann eine Warnungsentscheidung nicht nur von den naturwissenschaftlich-technischen Informationen der Gefahrenbewertung abhängen, sondern muss die sozioökonomische Situation der gewarnten Bevölkerungsgruppe berücksichtigen. Das betrifft auch den Text der Warnung, das Medium der Übermittlung und den äußeren Rahmen der Meldung. Die effektivste Wirkung der Warnung wird dann eintreten, wenn die angesprochene Bevölkerungsgruppe einen persönlichen Bezug zum Geschehen herstellen kann. So könnte eine Warnung vor einer Hitzewelle speziell an ältere und verletzbarere Menschen in Großstädten gerichtet sein. In diesem Zusammenhang spielt die Erfahrung der gewarnten Gruppe mit bisherigen Gefahrensituationen eine wichtige Rolle. Frühere Erfahrungen mit der Gefahr erhöhen die Glaubwürdigkeit der Warnmeldung. Es ist bekannt, dass Frauen Warnmeldungen eher Glauben schenken als Männer und dass ältere Menschen weniger vorbereitende Maßnahmen ergreifen und auf Evakuierungen weniger flexibel reagieren als jüngere. Der Frühwarnprozess enthält also Komponenten, die weit in die persönliche Sphäre der Menschen hineinreichen. Eine der großen internationalen und nationalen Aufgaben der nächsten Jahre besteht im Aufbau und in der Weiterentwicklung von nationalen und globalen Frühwarnsystemen. Diesem Ziel diente die Zweite Internationale Konferenz zur Frühwarnung vor Naturkatastrophen der Internationalen Strategie für Katastrophenvorsorge (ISDR) im Jahre 2003 in Bonn (EWC II). Der Titel der Konferenz lautete „Frühwarnung vor Naturkatastrophen in die Politik integrieren“ und formuliert damit ein weiteres Ziel dieses Prozesses der Vereinten Natio-

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nen. Es soll der Dialog mit dieser entscheidenden Komponente der Katastrophenvorsorge auf globaler, regionaler, nationaler und lokaler Ebene gestärkt und die Kooperation zwischen den Interessengruppen erhöht werden. Die zentrale Herausforderung besteht heute in der Umsetzung der von der internationalen Gemeinschaft akzeptierten Prinzipien in konkretes und aktionsorientiertes Handeln. Es wurde betont, dass Frühwarnung nicht nur aus technischen Komponenten besteht, sondern dass sie die sozialen, ökonomischen, kulturellen und organisatorischen Bereiche der menschlichen Gesellschaft einbeziehen muss. Dazu muss durch die Interessengruppen politische Verantwortung übernommen werden, um den gesamten Frühwarnprozess zu fördern, das öffentliche Bewusstsein zu stärken und die Bereitschaft zum Handeln zu wecken. Besonders die politische Verantwortung ist in diesem Bereich zu konzentrieren. Ein weiteres Element der Katastrophenvorbeugung sind Kommunikationsnetzwerke auf jeder

Presse-Erklärung des Deutschen Komitees Katastrophenvorsorge zum Abschluss der Zweiten Internationalen Konferenz zur Frühwarnung (EWC-II) Frühwarnung kann Leben retten! Konferenz zur Frühwarnung führt zu konkreten Zusagen von Entscheidungsträgern, Frühwarnung in Katastrophenvorsorgestrategien und -politik zu integrieren Bonn, 18. Oktober 2003 In einer Erklärung, die heute zum Abschluss der Zweiten Internationalen Konferenz zur Frühwarnung (EWC-II) in Bonn vorgelegt wurde, haben die Teilnehmer der Konferenz klare Ziele definiert und Verantwortung übernommen, um die negativen Auswirkungen von Gefährdungen zu reduzieren. Die Konferenz ist ein Meilenstein auf dem Wege zur Entwicklung eines bisher fehlenden internationalen Frühwarnprogramms, das der Fortführung des Frühwarndialogs und dem weiteren Aufbau von Kapazitäten auf allen Ebenen dient. „Angesichts der immer größeren durch Katastrophen verursachten humanitären und wirtschaftlichen Verluste ist es von entscheidender Bedeutung, dass die politischen Führer dieser Welt handeln, um die Bevölkerung besser auf drohende Gefahren vorzubereiten und sie vor ihnen zu schützen“, sagte Sálvano Briceño, der Leiter des Sekretariates der Internationalen Strategie zur Katastrophenvorsorge. „Dies bedeutet, durch aktives Handeln Risiken zu minimieren, um Katastrophen zu mildern und, wo immer möglich, deren Auftreten zu verhüten.“ Frühwarnung ist eine wichtige und praktische Maßnahme, die eingesetzt werden kann, um Risi-

Ebene der Gesellschaft. In Deutschland ist dazu auf Bundesebene im Jahre 1997 die Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und Katastrophenschutz (SKK) gegründet worden. Die SKK versteht sich als von den Hilfsorganisationen gegründetes integratives Gremium der interdisziplinären Zusammenarbeit aller am Katastrophen- und Zivilschutz Beteiligten. Die SKK bildet ein freiwilliges Forum zum politisch-fachlichen Meinungs- und Erfahrungsaustausch. Zu den Mitgliedern gehören Behörden, Organisationen und wissenschaftliche Institutionen, die Aufgaben im Zivil- und Katastrophenschutz wahrnehmen. Damit sollen allgemeingültige und möglichst bundesweite Empfehlungen entwickelt und zur Verfügung gestellt werden. Die SKK hat ein Wörterbuch des Zivil- und Katastrophenschutzes entwickelt, das über das Internet abgerufen werden kann. Eine weitere wichtige Aufgabe besteht in der Bewertung und Auswertung aufgetretener Katastrophen. So ergab die Beurteilung des Elbehochwassers des Jahres 2002, dass Defizite

ken zu mindern. Es hat sich gezeigt, dass Frühwarnsysteme die negativen Auswirkungen von Katastrophen erheblich reduzieren können, wenn sie sich auf die zahlreichen Akteure, die die Frühwarnkette bilden, stützen können, insbesondere die örtlichen und nationalen Behörden sowie auf die Mitwirkung der Bevölkerung selbst. Hans-Joachim Daerr vom Auswärtigen Amt unterstrich die Bedeutung der Veranstaltung als Treffen von Wissenschaftlern, Praktikern der Katastrophenvorsorge und Politikern, die aus der Erfahrung des jeweils anderen lernen wollen. „In den letzten drei Tagen haben Entscheidungsträger klar gemacht, dass sie bereit sind, die Verpflichtung zu akzeptieren, alles zu tun, um Menschen rechtzeitig und auf verständliche Weise zu warnen. Jetzt ist es an der Zeit, diesen Worten Taten folgen zu lassen.“ „Die deutsche Regierung verpflichtet sich, das vorgeschlagene Frühwarnprogramm unter der Ägide der Internationalen Strategie für Katastrophenvorsorge zu unterstützen und wir begrüßen die Unterstützung anderer Regierungen bei der Erreichung dieses Ziels“, sagte Hans-Joachim Daerr. Leitlinien für Entscheidungsträger zur Integration von Frühwarnung vor Naturgefahren und -risiken in die entsprechenden Politikfelder wurden von acht Ministern und Bürgermeistern aus allen Teilen der Welt, die an der Konferenz teilnahmen, erörtert und überarbeitet. Das Dokument enthält, aufbauend auf Beispielen aus der Praxis und bewährten Praktiken, eine Reihe von Elementen, die zu beachten sind, um ein effektives Frühwarnsystem zu entwickeln. Diese sollen weltweit an kommunale wie nationale Entscheidungsträger verbreitet werden.

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˚ 5.6: Die Feuerwehr – wie hier in Ho-Chi-MinhStadt – nimmt wichtige Aufgaben der Katastrophenvorsorge wahr. Bezüglich Ressourcenausstattung und Know-how gibt es international beträchtliche Qualitätsunterschiede.

Im Voraus planen

DKKV (2003b) Fisher (1996) Glass (2004) GTZ (2001, 2004b) ISDR (2004b) Lüder (2002) Merz & Apel (2004) OECD (2004b, 2004c) PPEW (2004) Schmitz & Karl (2003) Schutzkommission (2001) SKK (1997) World Bank (2000) Zschau & Küppers (2003)

beispielsweise im Bereich der Führung und Einsatzleitung, der Koordination der Bundesländer, der Datenverfügbarkeit und bei der Schutzausrüstung der Helfer bestanden. Die Schutzkommission ist ebenfalls auf der deutschen Bundesebene angesiedelt. Sie ist eine zum Schutz der Zivilbevölkerung eingesetzte Kommission beim Bundesminister des Innern. Sie berät die Bundesregierung in wissenschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Fragen des Schutzes der Zivilbevölkerung. Die Schutzkommission liefert fachliche Beiträge zum Bevölkerungsschutz und trägt zum Forschungsmanagement bei. Weiterhin berät sie die Politik mit Risikoanalysen, Handlungsempfehlungen zum Bevölkerungsschutz und bei der Forschungsplanung. Sie gibt den Gefahrenbericht heraus (Bericht über mögliche Gefahren für die Bevölkerung bei Großkatastrophen und im Verteidigungsfall). Im Voraus planen

Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) www.arl-net.de Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit www.gtz.de International Federation of Red Cross and Crescent Societies (IFRC) www.ifrc.org Livelihoods Connect www.livelihoods.org Nationale Plattform Naturgefahren (PLANAT) www.planat.ch ProVention Consortium www.proventionconsortium.org

Resilience Alliance www.resalliance.org Schutzkommission beim Bundesminister des Innern www.bva.bund.de/zivilschutz Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und Katastrophenschutz (SKK) www.katastrophenvorsorge.de UN Platform for the Promotion of Early Warning www.unisdr.org/ppew Weltbankgruppe www.worldbank.org

Vorbereitende Maßnahmen – im Voraus handeln Katastrophenvorbereitung umfasst alle vorbereitenden bzw. bereitschaftserhöhenden Maßnahmen, die es erlauben, schnell und effektiv auf eine drohende Katastrophe zu reagieren. Ein wichtiger Bestandteil der Bereitschaft sind Notfallpläne, die Verfügbarkeit von Rettungs- und Notfalldiensten, die medizinische Notfallversorgung, die Bereitstellung von Notunterkünften, die Verbreitung von Informationen durch Warnungen und die Verfügbarkeit von Mitteln der Krisenkommunikation, das Trainieren von Katastrophensituationen und Evakuierungsmaßnahmen und der Einsatz des Warnsystems unmittelbar vor dem Ereignis. Ein wichtiger Bestandteil der Vorbereitung sind die Verfügbarkeit und die Verteilung von Informationsmaterial, in dem konkrete Hinweise zum vorbereitenden Verhalten und zum Verhalten im Falle einer Katastrophe gegeben werden. Die Katastrophenvorbereitung wird in Deutschland im Rahmen der gesetzlichen Grundlagen und der speziellen Zuständigkeiten und Aufgabentrennungen von Bund und Ländern durchgeführt. Ein Kernelement bildet der Zivilschutz. Im internationalen Sprachgebrauch werden unter Zivilschutz sämtliche Maßnahmen des Staates verstanden, die die Bevölkerung vorbereitend vor Gefahren schützen und eine eingetretene Krise bewältigen. In Deutschland wird der Begriff „Zivilschutz“ im Rahmen der zivilen Verteidigung verwendet und basiert auf Artikel 73.1 des Grundgesetzes, wonach der Bund die Gesetzgebung über die Verteidigung sowie über den Schutz der Zivilbevölkerung innehat. Im Kriegsfall wird der Einsatz der operativen Hilfsdienste erforderlich, wie z. B. das Technische Hilfswerk, die Hilfsorganisationen (ASB, DLRG, DRK, JUH, MHD) und der Brandschutz der Feuerwehren. Der Zivilschutz in Deutschland ist damit eine Sammelbezeichnung für öffentliche und private Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung in einem Verteidigungsfall. Der Gesetzesvollzug erfolgt überwiegend durch die Bundesländer. Die Aufgaben des Bundes werden vom Bundesministerium des Innern (BMI), von anderen Ministerien im Rahmen ihrer Zuständigkeiten, vom Bundesverwaltungsamt und vom Technischen Hilfswerk wahrgenommen. Die Gefahrenabwehr im Frieden und die Beseitigung von Schäden im Katastrophenfall oder in ähnlichen Notlagen sind die Aufgaben der Länder, die hierfür den Katastrophenschutz zur Verfügung stellen. Der Katastrophenschutz bezeichnet in Deutschland die unmittelbare Vorbereitung auf den Katastrophenfall und die Abwehr der eingetretenen Katastrophe. Es sind Maßnahmen der Länder zur Verhinderung, Abwehr und Beseitigung von Kata-

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strophen oder deren Folgen. Der Bund ergänzt die Ausstattung des Katastrophenschutzes der Länder mit Einsatzfahrzeugen und einer Ausbildung für die besonderen Gefahren, die im Verteidigungsfall drohen. Im Sinne der in diesem Buch verwendeten Systematik werden durch den Begriff die beiden Komponenten der Katastrophenvorbereitung und der Katastrophenbewältigung zusammengefasst. In Deutschland bündelt das am 1. Mai 2004 im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern gegründete Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) unterschiedliche Aktivitäten zum Schutz der Bevölkerung. Mit dem Bundesamt besitzt Deutschland eine zentrale, für die zivile Sicherheit zuständige Institution, die Aufgaben koordiniert und Informationen vorhält. Heuschreckenplage in Afrika – die verhinderbare Katastrophe Erwähnt wird die afrikanische Wüstenheuschrecke („Schistocerca gregaria“) als eine der sieben Plagen bereits in der Bibel. Damals haben die gefräßigen Tiere Ägyptens Ernte vernichtet und damit eine Hungersnot ausgelöst. Über zwei Jahrtausende später dachte man, die Plage nach der Heuschreckenkatastrophe Ende der achtziger Jahre nun in den Griff bekommen zu haben. Mehr als 230 Millionen Euro wurden für die Schädlingsbekämpfung aufgewendet. Allein im Sudan sind 20 Tonnen Insektizide pro Tag versprüht worden. Aber im Sommer 2004 kamen die Heuschrecken zurück und unzählige Schwärme suchten weite Teile des afrikanischen Kontinents heim. Ein einzelner Schwarm allein weist bis zu 80 Millionen Tiere pro Quadratkilometer auf und frisst täglich so viel wie 2500 Menschen verzehren können. Zurück blieben – wie im antiken Ägypten – vernichtete Ernten. In Ländern, in denen Nahrung ohnehin knapp ist, eine Naturkatastrophe – aber eine, die heute durchaus zu verhindern wäre. Die Brutgebiete – Länder wie Sudan, Somalia, Eritrea und Mauretanien – sind seit langem bekannt. Die Heuschrecken paaren sich dort zu Beginn der Regenzeit und anschließend legt das Weibchen bis zu 150 Eier ab. Die Bodenfeuchtigkeit entscheidet darüber, wann die Larven schlüpfen. Die flügellosen Jungtiere bilden zunächst Grashüpferhorden, die maximal einen Kilometer pro Tag zurücklegen und deshalb einsatzmitteleffizient und kostengünstig bekämpft werden können. Während dieses Stadiums reicht es meist aus, einen Vegetationsstreifen quer zur Wanderrichtung mit Insektiziden zu besprühen. Legt man im Abstand von einigen Hundert Metern solche chemischen Barrieren, dann kann die Katastrophe noch in der Entstehungsphase verhindert werden. Die gleiche Wir-

Dazu gehören: ” Erfüllung der Aufgaben des Bundes im Bevölkerungsschutz (ehemals Zivilschutz), insbesondere der ergänzende Katastrophenschutz (Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit, der Schutz von Kulturgut und die Trinkwassernotversorgung); ” Planung und Vorbereitung von Maßnahmen der Notfallvorsorge und Notfallplanung; ” Planung und Vorbereitung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei besonderen Gefahrenlagen (Koordination des Krisenmanagements); ” planerische und konzeptionelle Vorsorge zum Schutz kritischer Infrastrukturen; ” Ausbildung, Fortbildung und Übung im Bereich des Bevölkerungsschutzes und der Katastrophenhilfe; kung hat der Einsatz von Wachstumsregulatoren. Sie unterdrücken die Häutung und verhindern dadurch die Flügel- und die Schwarmbildung. Denn erst nach der fünften Häutung wachsen den Hüpfern Flügel und dann formieren sie sich zu den erntevernichtenden Riesenschwärmen, die zum Teil mehr als 100 km pro Tag zurücklegen. Der Einsatz von Frühwarnsystemen ist vor dem Ausschwärmen der Heuschrecken eine lohnenswerte Vorsorgestrategie. Während man einst die Nomaden befragt und für ihre Auskünfte bezahlt hat, kann man heute mittels Satellitentechnik eine sich anbahnende Bedrohung frühzeitig erkennen. Verpasst man diesen Zeitpunkt, ist es wesentlich schwieriger und aufwendiger, die Tiere zu bekämpfen. Bereits im Oktober 2003 hat die Ernährungsund Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) vor der drohenden Gefahr gewarnt. Hätte man noch im Februar 2004 Maßnahmen eingeleitet, so rechnet die FAO, hätte man mit knapp sieben Millionen Euro die Heuschrecken vernichten können. Ein halbes Jahr später hätte man schon 80 Millionen benötigt. Da durch Geberländer nur rund 16 Millionen Euro in der Verteidigungskasse waren, musste man den Schwärmen folgen und sie während der Rast bekämpfen. Ein schwieriges Unterfangen, arbeitsmittelintensiv und kostspielig: Fahrund Flugzeuge, Benzin, Sprühgeräte, Ausrüstung und Verpflegung für die Einsatzteams. Sinnvoll wäre es, diese finanziellen Aufwendungen vorher den Ländern mit Brutgebieten für eine rechtzeitige Bekämpfung zukommen zu lassen. Nach der Schwarmbildung ist das Netz von Verteidigungsmaßnahmen zu großHeuschrecken … maschig und die Heu- Gesellschaft der Heuschreckenschrecken können nur kundler www.orthoptera.org Informations- und allzu leicht hindurch- Globales Frühwarnsystem für Nahrung und Landwirtschaft (GIEWS) dringen. www.fao.org/giews

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” Katastrophenmedizin; ” Warnung und Information der Bevölkerung; ” Ausbau der Katastrophenschutzforschung, insbesondere im ABC-Bereich; ” Stärkung der bürgerschaftlichen Selbsthilfe; ” konzeptionelle und planerische Aufgaben im Bereich der internationalen Zusammenarbeit unter Beteiligung aller nationalen Stellen des Zivilschutzes. Mit insgesamt acht Zentren versteht sich das neue Amt als Dienstleistungszentrum des Bundes für die Behörden aller Verwaltungsebenen sowie die im Bevölkerungsschutz mitwirkenden Organisationen und Institutionen. Es berücksichtigt fachübergreifend alle Bereiche der zivilen Sicherheitsvorsorge ¯ 5.7: Leitstelle des gemeinsamen Melde- und Lagezentrums von Bund und Ländern in Deutschland (GMLZ). Das GMLZ ist dem Zentrum für Krisenmanagement des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zugeordnet.

Im Voraus handeln

Benson & Twigg (2004) DKKV (2003b) Dombrowksy, Horenczuk & Streitz (2003) Fisher (1996) Geier (2001, 2002) Glass (2000, 2002, 2005) GTZ (2001, 2004b) ISDR & DKKV (2004) Lüder (2002) OECD (2004b, 2004c) Im Voraus handeln

Asiatisches Katastrophenbereitschaftszentrum (ADPC) www.adpc.net Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) www.zivilschutz-online.de Deichverteidigung des THW www.thw-deich.de Deutsches Komitee Katastrophenvorsorge (DKKV) www.dkkv.org Deutsches NotfallvorsorgeInformationssystem (deNIS) www.denis.bund.de Internationale Strategie für Katastrophenvorsorge (ISDR) www.unisdr.org Selbsthilfetipps des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe www.zivilschutz-online.de

Gemeindeorientierte Katastrophenvorsorge in Mittelamerika – das Projekt FEMID Die Stärkung der lokalen Strukturen im Rahmen des Risikomanagements in Mittelamerika war das vorgegebene Ziel des von 1997 bis 2002 laufenden Projekts FEMID (Fortalecimiento de estructuras locales para la mitigación de desastres). Das anspruchsvolle Vorhaben wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), dem Auswärtigen Amt (AA) und dem European Community Humanitarian Office (ECHO) finanziert und von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) durchgeführt. Träger von FEMID war das zentralamerikanische Koordinationszentrum für die Reduzierung von Naturkatastrophen CEPREDENAC. Während seiner Laufzeit griff das Projekt ” unterschiedliche Naturgefahren (Vulkaneruptionen, Überschwemmungen, Hangrutschungen, Waldbrände) ” und die hohe Verwundbarkeit (hohe Siedlungsdichte, unkontrollierte Landnutzung, unangepasste Bauweise, unvorbereitete und arme Bevölkerung, mangelhaft ausgerüstete operative Organisationen des Risikomanagements) in verschiedenen mittelamerikanischen Staaten auf (Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Panama). In ausgewählten Testregionen sollten gezielt Strukturen und Maßnahmen des Risikomanagements implementiert werden. Im Vordergrund standen dabei vorbeugende und vorbereitende Maßnahmen auf der Gemeindeebene, in die vorwiegend örtliche Gemeindeverwaltungen und Freiwillige eingebunden wurden. Konkrete Maßnahmen betrafen die Aus- und Fortbildung

von lokalen Akteuren, die gemeinsame Entwicklung von Naturgefahrenkarten und Evakuierungsplänen, die Durchführung von Maßnahmen direkt vor und während einer Naturkatastrophe (Frühwarnung, Evakuierung, Soforthilfe, Personenschutz) sowie die Verbesserung der Kommunikation und Koordination zwischen lokalen, regionalen und nationalen Akteuren des Risikomanagements. Das FEMID-Projekt konnte erfolgreich die gesetzten Ziele erreichen und die Vorteile der Stärkung der lokalen Strukturen für ein effizientes Risikomanagement demonstrieren. Als wichtige Ergebnisse können festgehalten werden: ” Die Gründung von lokalen Gruppen mit partizipativen Aufgaben fördert ein breites Bewusstsein für die existierenden Gefahren und die vorliegenden Risiken. ” Die lokal entwickelten Aktions- und Maßnahmenpläne führen zu deutlichen Verminderungen der Verwundbarkeit und der Risiken in den Gemeinden. ” Auf die Gemeinden abgestimmte Frühwarnsysteme sind ein adäquates Mittel für die Kommunikation mit besonders gefährdeten Gruppen und von besonderen Bedrohungslagen, um Evakuierungen einzuleiten. ” Die Betreuung der Projekte durch die nationalen Behörden stärkt das gegenseitige Vertrauen der Akteure. Die weiteren Auswertungen der Projekterfahrungen ergaben, dass der Selbsthilfeansatz generell übertragbar ist und grundsätzlich für jeden Typ von Naturgefahren verwendet werden kann. Gemeindeorientierte … GTZ (2001, 2004a)

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und verknüpft sie zu einem wirksamen Schutzsystem für die Bevölkerung und deren Lebensgrundlagen. Das Zentrum für Krisenmanagement des BBK betreibt seit dem 1. Oktober 2002 ein gemeinsames Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern (GMLZ). Das Zentrum dient dem Informations- und Ressourcenmanagement und ist als Service- und Dienstleistungseinrichtung konzipiert worden. Darüber hinaus fördert es eine verstärkte Zusammenarbeit bei Katastrophenschutzeinsätzen in der Europäischen Union. Auf der Internetseite „Zivilschutz-Online“ stellt das BBK Informationen zur Verfügung. Das deutsche Notfallvorsorge-Informationssystem (deNIS) informiert über Gefahrenarten, Möglichkeiten der Gefahrenabwehr sowie über personelle und materielle Hilfeleistungspotenziale. Die zentrale Stelle zur Koordinierung von Nachbetreuungsmaßnahmen (NOAH) hilft den Opfern und Angehörigen von schweren Unglücksfällen. Die Fachinformationsstelle Zivil- und Katastrophenschutz (FIS) ist das bundesweit umfangreichste Informationszentrum für die Themen Bevölkerungsschutz, Katastrophenhilfe und Notfallvorsorge.

Katastrophenbewältigung – wie wird geholfen? Rettungswesen und Humanitäre Hilfe – medizinischer und solidarischer Beistand Aktivitäten und Maßnahmen, die während und nach Eintritt einer Naturkatastrophe mit dem Ziel ergriffen werden, negative Auswirkungen zu begrenzen und den betroffenen Raum wiederherzustellen und aufzubauen, lassen sich unter dem Begriff „Katastrophenbewältigung“ zusammenfassen. Im Gegensatz zu präventiven Maßnahmen, die im Zeitraum vor dem Ereignis liegen, setzt sich die Bewältigung aus interventionistischen und postventiven Maßnahmen zusammen. Die Maßnahmen nach Eintritt einer Katastrophe unterteilt man für gewöhnlich in Katastrophenhilfe (Bergungs- und Rettungsmaßnahmen, Humanitäre Hilfe) und Wiederaufbauphase („reconstruction and recovery“). Im Idealfall sind diese Maßnahmen aufeinander abgestimmt. Damit wird der Verlauf des Schadenprozesses bestmöglich beeinflusst und die Katastrophenhilfe geht fließend in die Wiederaufbauphase über. Wesentliche Komponenten der Bewältigung sind Bergungs- und Rettungsmaßnahmen, das Notfallmanagement und begleitende Humanitäre-Hilfe-Leistungen. Eine äußerst wichtige Aufgabe ist die medizinische Notfallversorgung der Verletzten und die Vermeidung von Seuchen durch Trinkwasserkontaminationen. Bei einem Katastrophenfall entsteht ein zusätzlicher Bedarf an Ressourcen zur Bewältigung der

Krise. Es muss schnell gehandelt und vorhandene Kapazitäten müssen effizient eingesetzt werden. Dabei entstehen komplexe Informationsflüsse durch die Einbeziehung und Koordination vielfältiger nationaler und internationaler Akteursgruppen. Die Krisenkommunikation und das Handeln der Behörden sind für die physische und mentale Bewältigung einer Naturkatastrophe äußerst bedeutsam. Durch die Mobilisierung und den gezielten Einsatz von Ressourcen können die Katastrophenhelfer den Betroffenen schnelle Hilfe zukommen lassen. Die Bereitstellung von Hilfsmaßnahmen seitens der politisch Verantwortlichen stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl. Allerdings müssen die bei der Notfallbewältigung auftretenden analytischen, organisatorischen und kommunikativen Kompetenzen trainiert werden, um effektives Handeln zu ermöglichen und Reibungsverluste gering zu halten. Die Qualität der Katastrophenbewältigung hängt in entscheidendem Maße von den Organisationsstrukturen und der Logistik der Einsatzkräfte ab. Je besser dieses Potenzial ist, desto effizienter können die betroffenen Gebiete mit adäquaten Hilfskräften, passender Ausrüstung und erforderlichen Hilfsgütern in kürzester Zeit versorgt werden. Dies hat entscheidenden Einfluss auf das Schadensausmaß und die Katastrophenbewältigung. Darüber hinaus sind Naturkatastrophen mit Kosten verbunden, die meist erst nach Beenden der Bewältigungsphase genau ermittelt werden können. Im Idealfall kann auf ein prophylaktisch angelegtes Budget und auf im Voraus konzipierte Problemlösungsmöglichkeiten zurückgegriffen werden. In der Praxis ist oft weder das eine noch das andere möglich. Ein grundlegender Bestandteil der Katastrophenbewältigung ist der Rettungsdienst. Mit diesem Begriff wird in Deutschland sowohl die Einrichtung als auch die Aufgabe bezeichnet. Die präklinische Notfallversorgung ist eine der wichtigsten Aufgaben der Rettungsdienste. Sie kann durch den bodengebundenen Rettungsdienst, die Luftrettung sowie durch die Berg- oder die Wasserrettung erbracht werden. Der Einrichtung Rettungsdienst können im Rahmen einer Katastrophe folgende Aufgaben übertragen werden: ” präklinische Notfallversorgung einschließlich notärztlicher Versorgung, ” Beförderung von betreuungsbedürftigen Patienten, ” Transport von Arzneimitteln, Blutkonserven, Organen und ähnlichen Gütern sowie von Spezialisten, soweit diese zur Versorgung lebensbedrohlich Verletzter oder Erkrankter gebraucht werden, ” Verlegung von Notfallpatienten. Gemessen an internationalen Standards ist das Notfallmanagement in Deutschland gut auf Scha-

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˚ 5.8: Während in den entwickelten Ländern zahlreiche Instrumente zur Katastrophenbewältigung bereitstehen, ist die Selbsthilfekapazität in den meisten Entwicklungsländern begrenzt. Damit humanitäre Hilfsleistungen in ihrer Wirkung effektiv sein können, müssen sie an die lokalen Gegebenheiten und Strukturen angepasst sein.

densereignisse vorbereitet. Experten sehen indes Defizite in der Rettung und Erstversorgung sowie der klinischen Weiterversorgung bei Großschadensereignissen mit mehr als 1000 Verletzten. So seien Notfallpläne und interne Katastrophenschutzpläne nicht in allen Krankenhäusern vorhanden. Ein Großteil der existierenden Pläne wurde in der Vergangenheit weder fortgeschrieben noch den aktuellen Gegebenheiten angepasst. Durch die Neuordnung der Krankenhausfinanzierung und die Einführung so genannter „Diagnostic Related Groups“ sind auch die Kliniken dazu angehalten, die gesetzliche Krankenversicherung zu entlasten und gewinnorientiert hauszuhalten. Dies geht zu Lasten der katastrophenmedizinischen Versorgung der Bevölkerung, da die Vorhaltung von Bettenkapazitäten oder Impfstoffen und Medikamenten sehr kostspielig ist. Den Katastrophenmedizinern zufolge würde es besonders bei Großschadensereignissen in Ballungsräumen zu gravierenden Versorgungsproblemen kommen. Weiterhin ist es von hoher Bedeutung, dass katastrophenmedizinische Inhalte in die Aus- und Weiterbildung der Ärzte aufgenommen werden. Aufgaben des Notfallmanagements werden in Deutschland durch ein gemeinsames Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern im bereits genannten Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BKK) übernommen. In einem „Zentrum Krisenmanagement/Katastrophenhilfe“ der Behörde werden fünf zentrale Aufgabenbereiche wahrgenommen: ” Sicherstellung eines effizienten und koordinierten Krisenmanagements des Bundes und der Länder für großflächige Gefahrenlagen oder Ereignisse von nationaler Bedeutung,

” Unterstützung der Zusammenarbeit bei Katastrophenschutzeinsätzen im Rahmen der EU, der NATO und der Vereinten Nationen, ” Mitwirkung bei der Warnung der Bevölkerung, ” Aufbau und Betrieb eines Notfallvorsorge-Informationssystems zur Unterrichtung der Bevölkerung und zur Unterstützung der Entscheidungsträger des Bundes und der Länder, ” Koordination der psychosozialen Nachbetreuung für im Ausland betroffene Deutsche. Diese Aufgaben werden in unterschiedlichen Fachbereichen bearbeitet. Es bestehen ein Gemeinsames Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern (GMLZ), die Warnzentrale, das deutsche Notfallvorsorge-Informationssystem (deNIS) und die Koordinierungsstelle für Opfer- und Angehörigenhilfe nach schweren Unglücksfällen und Terroranschlägen im Ausland. Weiterhin untersteht dem BBK im Zentrum Zivilschutzausbildung die Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ), die ein umfangreiches Kursangebot bereitstellt (Sicherheitspolitik, Koordination, Führen und Leiten im Katastrophenschutz, Notfallvorsorge und -planung). Die AKNZ hat mit jährlich 9000 Seminarteilnehmern eine zentrale Stellung im Bereich der Aus- und Fortbildung auf Bundesebene. Ein wesentliches Ziel der zukünftigen Aufgabenbereiche der AKNZ wird in der Entwicklung eines Technische Hilfe – die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) Das dem Bundesministerium des Innern unterstellte Technische Hilfswerk wurde 1950 als Zivilund Katastrophenschutzorganisation des Bundes gegründet. Derzeit engagieren sich rund 76 000 Menschen ehrenamtlich oder als Wehrersatzdienstleistende in den THW-Ortsvereinen. Die Organisation mit Sitz in Bonn nimmt an Katastropheneinsätzen im Inland – etwa bei Bränden, Unwettern oder Überschwemmungen – teil. Dabei hat sie folgende Aufgaben: ” technische Hilfe im Zivilschutz, ” technische Hilfe im Auftrag der Bundesregierung außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes, ” technische Hilfe bei der Bekämpfung von Katastrophen, öffentlichen Notständen und Unglücksfällen größeren Ausmaßes auf Anforderung der für die Gefahrenabwehr zuständigen Stellen. Daneben ist das THW auch weltweit aktiv. So beteiligen sich Mitarbeiter an Auslandeinsätzen, wie etwa den Friedensmissionen in Bosnien-Herzegowina und Sierra Leone oder den Aufräumarbeiten nach der Tsunami-KaTechnische Hilfe … tastrophe in Südasien. THW www.thw.de

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Kompetenzzentrums für das Katastrophenmanagement sowie eines Forums des wissenschaftlichen und internationalen Austausches gesehen. In Deutschland wird die Katastrophenbewältigung durch öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Hilfsorganisationen geleistet, die sich zur Mitwirkung im Zivil- und Katastrophenschutz verpflichtet haben. Öffentliche Katastrophenschutzorganisationen sind etwa die Feuerwehren und die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk. Zu den privaten Organisationen zählen der Arbeiter-Samariter-Bund, die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft, das Deutsche Rote Kreuz, die JohanniterUnfall-Hilfe und der Malteser Hilfsdienst. Auch Organisationen und Behörden wie der Deutsche Wetterdienst, die Polizei, die Deutsche Gesellschaft für Katastrophenmedizin sowie verschiedene Bundesministerien sind aktiv. In der Vielfalt der deutschen Hilfeleistungsorganisationen steckt ein enormes kreatives Potenzial. Andererseits erwachsen aus dieser Fülle auch Kommunikations- und Koordinationsprobleme zwischen den Beteiligten. Am Beispiel des Elbehochwassers 2002 hat das Deutsche Komitee zur Katastrophenvorsorge die Sichtweisen der verschiedenen Akteure sowie die Struktur der Gefahrenabwehr genauer analysiert. Der Studie zufolge waren vier strukturelle Defizite evident: ” mangelnde Verbundenheit von kooperativen Katastrophenabwehrakteuren, ” Selbstbezogenheit und mangelnde Orientierung am Ganzen, ” Schwäche der wertsetzenden Instanzen der Katastrophenabwehr und Hilfe koordinieren – das UN-Büro zur Koordination humanitärer Hilfe (OCHA) Eine der wichtigsten Aufgaben des United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) ist es, Informationen zu sammeln, aufzubereiten und an andere UN-Organisationen sowie beteiligte Länder und Akteure weiterzureichen. Damit die Informationen verlässlich und glaubwürdig sind, schickt die OCHA Teams in die Katastrophenländer, so genannte „UN Desaster Assessment und Coordination Teams“, die möglichst rasch mit dem UN-System vor Ort und den lokalen Behörden Verbindung aufnehmen. Die gesammelten Informationen werden dann konsolidiert und weitergeleitet. Meist sind die Bewertungsteams aus Experten mehrerer Hilfsorganisationen zusammengestellt, um die Lage im Katastrophengebiet adäquat beurteilen zu können. Informationen sind die Basis der Hilfskoordination. Sie werden benötigt, um zu entscheiden, wel-

” strukturelle Zentralität des operativ-taktischen Subsystems. Trotz dieser Mängel konnte das extreme Hochwasserereignis an der deutschen Elbe bewältigt werden. Nicht alle Länder sind hierzu in der Lage. Besonders ärmere Nationen können sich oftmals nicht aus eigenen Kräften helfen und sind auf externe Hilfe angewiesen. Die Humanitäre Hilfe („humanitarian affairs, humanitarian assistance“) beschreibt die direkte und spontane Nothilfe für Menschen, deren Überleben durch Kriege, Konflikte und Naturkatastrophen bedroht ist. Weltweit sind über 50 Millionen Menschen auf Humanitäre Hilfe angewiesen. Humanitäre Hilfsmaßnahmen und Katastrophenvorsorge stehen in enger Verbindung. Eine durch ein adäquates Risikomanagement gut entwickelte Katastrophenvorsorge erhöht die Widerstandsfähigkeit der Menschen gegenüber gefährlichen Prozessen. Sie sind dadurch langfristig weniger stark auf Humanitäre Hilfe angewiesen. Deshalb müssen in betroffenen Gebieten bereits in der Wiederaufbauphase Grundsätze und Maßnahmen der Katastrophenvorsorge berücksichtigt und integriert werden. In Deutschland wird Humanitäre Hilfe durch Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen geleistet, deren Aufgabe es ist, menschliches Leben zu retten und zu erhalten und die Versorgung der Menschen zu sichern. Eine der größten privaten Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit und der Humanitären Hilfe ist die Deutsche Welthungerhilfe. Sie ist gemeinnützig und arbeitet politisch und konfessionell unabhängig. Auch Minische Hilfe wann, wo und in welcher Form benötigt wird. Auch um potenzielle Geberländer gezielt um finanzielle Mittel zu bitten, muss die UNO genau beurteilen können, welche Gelder wo gebraucht werden. Damit die Koordination reibungslos verläuft, ist die OCHA auf allen Ebenen verankert – von der internationalen UNO in New York, wo auch OCHA-Chef Jan Egeland seinen Hauptsitz hat, bis hinunter zur betroffenen Gemeinde, in der das „Onside-Operations-Coordination-Center“ sitzt. Da die Katastrophenexperten vor Ort arbeiten und sehr schnell mit den lokalen Behörden Verbindung aufnehmen, findet die erste Koordination von Hilfe bereits hier statt. Direkt im betroffenen Gebiet kann am besten beurteilt werden, was noch und was nicht mehr gebraucht wird. Der genaue Bedarf an Hilfslieferungen wird dann nach New York und an die europäische Hilfe koordinieren … Zentrale nach Genf über- Büro für die Koordination mittelt. humanitärer Angelegenheiten (OCHA) http://ochaonline.un.org

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Rettungswesen …

Auswärtiges Amt (2004) Becker, Hündorf et al. (2005) Daschner (2003) Davis & Lambert (2002) Domres, Enke et al. (2000) Glass (2000) GTZ (2001, 2003) Hoffmann (2001) IFRC (2002) Platte (2001) Ranft & Selzer (2004) UNDRO (1982) USAID (1998) Wittling (2001) Rettungswesen …

Arbeitskreis Notfallmedizin und Rettungswesen (ANR) www.anr.de Deutsche Gesellschaft für Katastrophenmedizin (DGKM) www.dgkm.org Deutsche Welthungerhilfe www.deutsche-welthungerhilfe.de Deutscher Feuerwehrverband (DFV) www.dfv.org Deutsches Rotes Kreuz (DRK) www.drk.de Informationen zum Rettungswesen www.rettungswesen.de Internetportal Rettungsdienst www.rettungsdienst.net Internetportal Sanitätsdienst www.sanitaeter.net Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) www.johanniter.de Malteser Hilfsdienst (MHD) www.malteser.de Notfall-Mailingliste www.notfall.de OCHA ReliefWeb www.reliefweb.int

terien wie das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit helfen mit unterschiedlichen Aktivitäten. Das Innenministerium unterhält mit der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und dem Technischen Hilfswerk (THW) zwei wichtige und international renommierte Institutionen der Humanitären Hilfe. Aber auch private Organisationen wie etwa das Deutsche Rote Kreuz (DRK) beteiligen sich mit „Emergency Response Units“ (ERU) direkt an der Katastrophenhilfe. Die Durchführung humanitärer Maßnahmen wird oftmals dadurch erschwert, dass gezielt Angriffe auf die Zivilbevölkerung und Mitarbeiter der Hilfsorganisationen verübt werden oder der Zugang für Humanitäre Hilfe verweigert wird. In vielen Ländern ist und bleibt die Regelung von Entschädigungsansprüchen nach einer Naturkatastrophe ein umstrittenes Problem der Katastrophenbewältigung. Nicht immer kann ein für alle Betroffene zufrieden stellendes Gleichgewicht zwischen staatlicher und privat getragener Verantwortung für die Folgen von Katastrophen erreicht werden. Zum Teil beträchtliche Unterschiede ergeben sich hier zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern. Während zur Katastrophenbewältigung in den entwickelten Ländern auf Leistungen des Staates oder der privaten Versicherungswirtschaft zurückgegriffen werden kann, stehen in den meisten Entwicklungsländern diese Mechanismen zur Kompensation einer Krise nicht zur Verfügung. Eine Vorsorge durch einen Versicherungsschutz können sich viele nicht leisten und die eigenen Selbsthilfekapazitäten sind beschränkt. Jede Katastrophenhilfe ist auch selektiv. Dabei spielen politische, geostrategische und historische Aspekte oftmals eine größere Rolle als rein moralische. Im Jahr 2000 beispielsweise erhielt der nördliche Kaukasus 89 Prozent der von der Region angeforderten Hilfsleistungen von Seiten der Vereinten Nationen. Dem afrikanischen Somalia hingegen wurden nur 22 Prozent bewilligt. Berechnet man die zugeteilte Hilfe pro betroffene Person, so lassen sich Schwankungen zwischen 7,5 Euro für Uganda und fast 140 Euro für das südöstliche Europa erkennen. Der Katastrophenbericht 2000 des IFRC weist darauf hin, dass die internationale Humanitäre Hilfe nicht nur zum Aufbau von lokalen Kapazitäten beiträgt, sondern sie teilweise auch untergräbt. Als ein Beispiel wird Afghanistan genannt. Seit dem Sturz des Taliban-Regimes hat die Ankunft von über 350 internationalen Hilfsorganisationen zum Ansteigen der lokalen Mietpreise, zur Inflation des ortsüblichen Gehaltsniveaus und zum Abzug vieler qualifizierter Fachkräfte aus der öffentlichen Verwaltung geführt. Während ein Fahrer der US-Botschaft in Kabul rund 350 Euro monat-

lich verdient, erhält ein Arzt im staatlichen Krankenhaus nicht einmal 30 Euro monatlich. Wiederaufbau – Chancen zur Katastrophenvorsorge Im Rahmen der Katastrophenbewältigung umfasst der Wiederaufbau Maßnahmen, die den von einer Naturkatastrophe betroffenen Raum wiederherstellen und aufbauen. Hierbei ist es wichtig, dass die Akteure des Risikomanagements angemessene Lehren aus der Naturkatastrophe ziehen und Kriterien und Maßnahmen der Katastrophenvorsorge in den Wiederaufbauprozess integrieren. Leider ist dies häufig nicht der Fall, obwohl der Eintritt einer Naturkatastrophe Erkenntnisse hervorbringt, mit denen zukünftige Maßnahmen zur Risikovermeidung und -verminderung weitaus gesicherter geplant und aufgebaut werden könnten. Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) ist intensiv an Wiederaufbauaktivitäten nach Naturkatastrophen beteiligt. Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und des Auswärtigen Amtes (AA) führt die GTZ zahlreiche Maßnahmen zur Versorgung mit temporärem Wohnraum beim Aufbau von permanentem Wohnraum nach Krisen und Naturkatastrophen durch. Diese Aktivitäten basieren auf dem Ansatz der Entwicklungsorientierten Nothilfe (EON), der folgende Ziele hat: ” Reduzierung der Anfälligkeit der Menschen, ” Linderung der durch Katastrophen und Krisen hervorgerufenen Not, ” Vorsorge und Bewältigung von Notsituation auf Ebene von Haushalt, Region und Nation, ” Sicherung des lückenlosen Übergangs von der direkten Not- und Überlebenshilfe zum Wiederaufbau. ” Die Schaffung von Wohnraum als eines der wichtigsten Elemente des Wiederaufbaus. Der zurückgewonnene Lebensraum ist eine entscheidende Voraussetzung für die Wiederaufnahme des produktiven Alltags. Die Baumaßnahmen in der Phase des Wiederaufbaus nach Naturkatastrophen finden in überwiegendem Maße im Rahmen von Flüchtlings- und Wiederaufbauprogrammen statt. Von entscheidender Bedeutung ist, dass der Wiederaufbau im Rahmen der Grundsätze, Kriterien und Maßnahmen der Katastrophenvorsorge stattfindet. In jedem Fall muss durch die Gebäudekonstruktion eine Risikoverminderung und -vermeidung erreicht werden. Dies betrifft in starkem Maße das erdbebensichere Bauen, aber auch den generellen Wiederaufbau der Häuser und Infrastrukturen in Zonen mit hohem Gefährdungsgrad. Weitere Elemente betreffen die entwicklungspoliti-

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schen Kriterien zur Durchführung der Wiederaufbaumaßnahmen. Wichtige Punkte sind die Beteiligung der direkt und indirekt betroffenen Menschen, die Armutsverminderung, die Angepasstheit der Maßnahme an die sozioökonomische Situation der Gemeinschaft, die Reduzierung der Verwundbarkeit der Bevölkerung sowie die Nachhaltigkeit. Bislang existiert keine UN-Organisation, die sich speziell der Wiederaufbauphase widmet. Ein weltweites Projekt des Wiederaufbaus von Wohngebäuden nach Erdbeben ist die aus dem Internet abrufbare „World Housing Encyclopedia“, in der unterschiedliche Typen von Wohnhauskonstruktionen in erdbebengefährdeten Regionen der Welt katalogisiert sind. Das Ziel der Enzyklopädie besteht in einer globalen Klassifikation charakteristischer Hauskonstruktionen. Darüber hinaus bietet sie Informationen über erdbebensicheres Bauen und die dabei anzuwendenden Konstruktionstechnologien. Auf einer Weltkarte können bestimmte Regionen ausgewählt werden, für die entsprechende Hausbauinformationen zur Verfügung stehen. Die Katastrophe ist eine radikale Form sozialen Wandels. Sie ist ein Zeitfenster für Veränderungen und bietet insofern auch eine günstige Gele-

Wiederaufbau …

GTZ (2003)

Fotos: G. Weichselgartner, J. Weichselgartner

Wiederaufbau nach dem Erdbeben 1999 in Kolumbien – Wohnraum für die Ärmsten Das Erdbeben vom 25. Januar 1999 hatte die Stärke sechs auf der Richterskala und betraf die Kaffeeregion Kolumbiens. In der Stadt Armenia wurden über 200 000 Menschen obdachlos. Noch während der Phase der Soforthilfe bei der Katastrophenbewältigung wurden im Rahmen eines Wiederaufbauprogramms Wohnhäuser für die Bevölkerungsgruppe der armen, landlosen Kaffeepflücker errichtet. Die Konzeption der Bauhäuser erfolgte in Kooperation mit der Landesuniversität Pereira. Es entstand ein neues Hausmodell, das aus lokal wachsendem Bambusmaterial hergestellt wurde. Dieses Material bietet durch eine spezielle Rahmenkonstruktion eine erhöhte Sicherheit gegenüber Erdbeben. Die Zielgruppe wurde in der Bautechnik geschult, die Gemeinde stellte Materiallager, Maschinen und die Fundamente zur Verfügung. Der hohe Selbsthilfebeitrag und die Aussicht, durch die Fertigkeit eine zukünftige Einkommensquelle zu erwerben, führten zu einer hohen Akzeptanz des Projektes. Aufgrund der geringen Baukosten und der an die kulturellen Gegebenheiten angepassten Bauweise folgten auch andere Hilfsorganisationen dem Modell. Insgesamt wurden 278 Häuser für 1540 Erdbebenopfer errichtet.

¯ 5.9: Oft sind es die unter Verwendung lokaler Materialien erstellten und an traditionelle Bautechniken ausgerichteten Gebäude, die optimal an die vorherrschenden Umweltverhältnisse angepasst sind und den Naturgefahren trotzen.

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Wiederaufbau …

Davis & Lambert (2002) Geipel (1992) GTZ (2001, 2003) Hölter, Cremer & Spieker (2001) IFRC (2002) Knaup (1997) Platte (2001) Pusch (2004) Ranft & Selzer (2004) Telford, Arnold & Harth (2004) UNDRO (1982) USAID (1998) Wiederaufbau …

Auswärtiges Amt (AA) www.auswaertiges-amt.de Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) www.bmz.de European Community Humanitarian Office (ECHO) http://europa.eu.int/comm/echo Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) www.gtz.de Koordinationszentrum zur Naturkatastrophenvorsorge in Zentralamerika (CEPREDENAC) www.cepredenac.org Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Entwicklungsbank www.kfw-entwicklungsbank.de US Agency for International Development (USAID) www.usaid.gov World Bank Hazard Management Unit www.worldbank.org/hazards World Housing Encyclopedia www.world-housing.net

genheit für Neuerungen. In vielen Fällen werden beim Wiederaufbau allerdings Bedingungen hergestellt, die der Situation vor der Katastrophe gleichen. Indem man ein ähnliches Schadenspotenzial wieder entstehen lässt, wird die Chance vergeben, durch vorsorgende und risikomindernde Maßnahmen auf ein zukünftiges Ereignis besser vorbereitet zu sein. Die einzelnen Faktoren, welche die Ziele und Wiederaufbaustrategien nach einer Naturkatastrophe beeinflussen, sind wissenschaftlich kaum erforscht. Wenig weiß man auch darüber, ob und wie bei der baulichen Neugestaltung eines zerstörten Gebietes an Traditionen angeknüpft und in welcher Form die Erinnerung an die Naturkatastrophe im öffentlichen Gedächtnis bewahrt wird. Dies gilt besonders für den Lebensraum der Stadt und die Katastrophenbewältigung nach ihrer Zerstörung. Die wirtschaftlichen, psychosozialen und politischen Zusammenhänge zwischen der Zerstörung selbst, dem Wiederaufbau sowie den Maßnahmen der Katastrophenvorsorge sind bis heute historisch kaum untersucht worden. Die Bewältigung von Naturkatastrophen ist durch Spannungen zwischen persönlicher und staatlicher Verantwortlichkeit gekennzeichnet. Wenn technologische oder ökologische Unglücksfälle von Menschen ausgehen, dann hat man in der Regel einen berechtigten Anspruch auf Entschädigung. Bei erwiesener Schuld entstehen Forderungen an eine Person, ein Unternehmen oder gar Regierungsstellen für deren Handlungen oder Unterlassungen. Finanzielle Wiedergutmachung und Lastenausgleich sind häufige Entschädigungsinstrumente für den Fall, dass der Staat eine Mitschuld trägt oder die Verantwortung übernimmt. Was aber, wenn die Schäden von der natürlichen Umwelt verursacht werden und kein direkt Verantwortlicher mehr ausgemacht werden kann? Die Diskussionen nach einer Naturkatastrophe deuten auf die Spannungslinien: Versicherung versus Entschädigung und Individuum versus Staat. Ein häufig zu beobachtendes Beispiel ist etwa die Forderung nach einer Pflichtversicherung, die fast nach jedem Hochwasserereignis erneut angekurbelt wird, zumeist mit zeitlichem Abstand aber wieder an Unterstützung verliert. Die Bewältigungskapazitäten einer Region oder eines Landes beeinflussen die Verwundbarkeit gegenüber Naturgefahren. Im Idealfall sind Katastrophenhilfe und Wiederaufbauphase so konzipiert, das sie zukünftigen Ereignissen Rechnung tragen. Durch ein „Integriertes Katastrophenmanagement“ soll die Katastrophenbewältigung mit der Katastrophenvorsorge enger miteinander verbunden werden. Erfahrungswerte und historische Daten bezüglich der Bewältigung vergangener Katastrophen können hier wichtige Informationen liefern, um

notwendige Maßnahmen besser an die lokalen Gegebenheiten anzupassen. Eine gesellschaftlich gewachsene Risikokultur und die spezifische Ausund Fortbildung sind hierfür grundlegende Voraussetzungen.

Anpassungsstrategien und nachhaltige Entwicklung – adaptive Vorsorgemöglichkeiten Die Anpassung bzw. das Adaptionspotenzial („adaptive capacity“) einer Gesellschaft oder Person bezeichnet die Veränderung des menschlichen Verhaltens gegenüber einer Naturgefahr. Sie wird durch ihre technologischen Fähigkeiten, die Menge und Verteilung ökonomischer Ressourcen sowie durch das Human- und Sozialkapital bestimmt. Die Risikowahrnehmung und das kollektive historische Katastrophengedächtnis beeinflussen die Anpassungsfähigkeit. Dabei unterscheidet man zwischen kurzfristigen Wahrnehmungs- und Bewertungsvorgängen und langfristigen, nicht geplanten Anpassungsreaktionen. Allerdings nimmt der Erfahrungsschatz einer Gesellschaft nicht konstant zu. Veränderungen in der Umwelt und die Mobilität der Menschen sorgen dafür, dass Wissen unbrauchbar wird oder verloren geht, so dass die Anpassungsfähigkeit vermindert oder zerstört werden kann und die Verwundbarkeit steigt. Bei der gesellschaftlichen Diskussion um Zusammenhänge zwischen Naturkatastrophen, dem globalen Wandel und der Anpassung der menschlichen Gesellschaft an diese Veränderungen nimmt die Klimaänderung der nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte eine zentrale Stellung ein. Die globalen Temperaturen zeigen seit vielen Jahrzehnten einen Erwärmungstrend. Dass dieser Trend mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Treibhausgase verursacht wird, ist heute wissenschaftlich akzeptiert. Wie stark sich dieser Verlauf im 21. Jahrhundert entwickelt, wird in den Klimaszenarien der Forschungsinstitute dargelegt. Der Mensch hat seine Lebensweise den Umweltbedingungen angepasst. Seine landwirtschaftlichen Praktiken, Lebensgewohnheiten sowie Form und Material seiner Unterkünfte sind traditionell optimal auf die lokalen geoklimatischen Bedingungen eingestellt. Durch seine hohe Anpassungsfähigkeit war es ihm möglich, in ungünstige Siedlungsräume vorzudringen. Beispiele für diese hohe Anpassungsfähigkeit bilden Nomaden wie die Beduinen oder die Tuareg in Nordafrika. Die wandernden Völker, die von Viehzucht oder – wie die Seenomaden Südostasiens – vom Fischfang leben, gleichen saisonale Mängel an Futter und Trinkwasser durch Verlegung ihrer Viehherden aus. Ihr landwirtschaftliches Betriebssystem der Weide- und Viehwirtschaft ist optimal an die Lebensverhältnis-

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se in Trockengebieten angepasst. Allerdings geht der Anteil der nomadischen Lebensweise weltweit stark zurück. Viele Nomadenvölker sind in ihrer Lebensweise, oftmals sogar in ihrer Existenz, bedroht, da sie ihre Landnutzungsrechte kaum gegen ihre sesshaften Nachbarn durchsetzen können. Ihre traditionelle Adaptionsstrategie erweist sich angesichts der sich verändernden Umweltbedingungen als Nachteil. In Bezug auf Naturkatastrophen wird das Adaptionspotenzial einer Gesellschaft durch ihre technologischen Fähigkeiten, die Menge und Verteilung ökonomischer Ressourcen sowie durch das Human- und Sozialkapital bestimmt. Die Risikowahrnehmung und das kollektive Katastrophengedächtnis beeinflussen die Adaptionsfähigkeit. Dabei unterscheidet man zwischen kurzfristigen Wahrnehmungs- und Bewertungsvorgängen („adjustments“) und langfristigen, nicht geplanten Anpassungsreaktionen („adaptations“). Allerdings nimmt der Erfahrungsschatz einer Gesellschaft nicht konstant zu. Veränderungen in der Umwelt und die Mobilität der Menschen sorgen dafür, dass Wissen unbrauchbar wird oder verloren geht. Die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts brachte zahlreiche Umwälzungen mit sich, die sich auch auf das Verhalten gegenüber Risiken von Naturkatastrophen ausgewirkt haben. Durch den steigenden Bedarf an Arbeitskräften und der Elektrizitätsgewinnung aus Wasserkraft wurden die Flächen in der Nähe von Gewässern in Nutzung genommen, die frühere Generationen aufgrund ihrer Erfahrung mit der Hochwassergefährdung wohlwissend frei gelassen hatten. Im Alpenraum entstanden Touristensiedlungen oftmals auf den hangrutschungs- und lawinengefährdeten Freiflächen, die genau aus diesen Gründen unbebaut waren. Auch auf individueller Ebene gingen Schutzstrategien und die Risikowahrnehmung mit der Zeit verloren. So hatten die in den überschwemmungsgefährdeten Gebieten an der Oder lebenden Menschen bis ins letzte Jahrhundert ein Boot unter dem Dach, um bei Hochwasser unbeschadet fliehen zu können. In mediterranen Ländern wurden die Haustüren mit Scharnieren versehen, in die bei Bedarf Metall- oder Holzplatten eingeschoben wurden, die das Wasser am Eindringen in den Wohnbereich hinderten. Solche individuellen Anpassungsmechanismen wurden häufig aufgegeben, als der Staat verstärkt die Verantwortung für den Katastrophenschutz übernommen hat. Lange Zeit galten Naturkatastrophen als Schicksalsschläge, denen man hilflos ausgeliefert war. Die Anpassung der Lebensweise an die natürliche Umwelt und ihrer Extremereignisse war insofern der gängigste Schutzmechanismus. Heute besitzt der Mensch zahlreiche Möglichkeiten, um die negati-

ven Auswirkungen von Naturkatastrophen zu reduzieren. Mit zunehmender Technikentwicklung und dem Wissen über die natürlichen Prozesse hat der Mensch seine Strategie geändert. Anstatt sich anzupassen, hat er verstärkt Einfluss auf die Umwelt genommen und versucht, diese an seiner Lebensweise auszurichten. Die Einsicht, dass die Eingriffe letztlich auf ihn zurückwirken, hat in den letzten Jahren zu einem Umdenken geführt. Vor allem der Begriff der Nachhaltigkeit hat die Bedeutung der Zusammenhänge zwischen Entwicklung und Katastrophen erkennen lassen. Naturkatastrophen sind schwere Rückschläge für die sozioökonomische und ökologische Entwicklung einer Kommune oder eines Landes. Andererseits können langfristige positive Wirkungen von Entwicklungsaktivitäten nur dann zum Tragen kommen, wenn die Katastrophenanfälligkeit durch entsprechende Maßnahmen reduziert wird. Unter Nachhaltigkeit wurde ursprünglich ein betriebswirtschaftliches Konzept der Forstwirtschaft verstanden. Mit dem Bericht „Unsere gemeinsame Zukunft“ der Brundtland-Kommission im Jahre 1987 wurde der Begriff weltweit verbreitet. Seither gibt es in der gesellschaftlichen Diskussion kaum noch Nischen, wo nicht von nachhaltiger Entwicklung gesprochen wird. Internationale und nationale Politikstrategien in den Bereichen Energie, Umwelt, Klima, Landwirtschaft und Verkehr kommen ohne den Begriff nicht mehr aus. Die Verbreitung und der Erfolg der Nachhaltigkeitsvorstellung sind letztlich auch auf die im Bericht formulierte Definition zurückzuführen. Demnach ist nachhaltige Entwicklung („sustainable development“) jene Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu

˚ 5.10: Ärmlich, aber äußerst effektiv hat der Bewohner seine Unterkunft an die Verhältnisse im Mekong-Delta angepasst: Ein Dach schützt vor Sonne und Regen, eine Folie gegen Feuchtigkeit, und in die Scharniere am Eingang kann bei Hochwasser ein Holzbrett eingeschoben werden.

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Erdbebensichere Schulen 2004

Frankreich Geschätzte Nachrüstungskosten (in Mio. Euro) Bildungsausgaben (in Mio. Euro)

Quelle: OECD

Nachrüstungskosten in % der Bildungsausgaben als jährliche Kosten im Rahmen eines 20-Jahres-Programms

Griechenland

Italien

Österreich

Portugal

Spanien

250

350

1670

84

80

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6297

751

3513

614

376

3725

4%

47 %

48 %

14 %

21 %

4%

0,2 %

2,3 %

2,4 %

0,7 %

1,1 %

0,2 %

gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Dieses allgemeine Verständnis ist jedoch nicht ohne Ambivalenz. Obgleich das Nachhaltigkeitsprinzip mittlerweile zur anerkannten Zielvorstellung der Politik wurde, ist die Bedeutung des Nachhaltigkeitsbegriffs noch immer recht unklar. Er wird zwar gesellschaftlich und politisch akzeptiert und verwendet, aber in der Praxis noch selten umgesetzt. Deshalb wird zunehmend Kritik laut, das Erfolgsgeheimnis des Begriffs sei nicht seine Wirksamkeit oder sein ethischer Gehalt, sondern schlicht seine Inhaltslosigkeit und sein Interpretationsspielraum. Ähnlich wie die Begriffe „Liebe“, Hoffnung“ und „Freiheit“ bleibt auch das Konzept der Nachhaltigkeit recht unscharf und erlangt erst bei praktischer Anwendung in einem spezifischen Kontext Bedeutung. In der Praxis stützt man sich häufig auf das ˙ 5.12: Drei-Säulen-Modell: Nachhaltigkeit soll „Drei-Säulen-Modell“, das Nachhaltigkeit durch durch das gleichzeitige das gleichzeitige und gleichberechtigte Umsetzen und gleichberechtigte Umvon umweltbezogenen, wirtschaftlichen und soziasetzen von umweltbezogelen Zielen zu erreichen versucht. Jedoch ist es nicht nen, sozialen und wirteinfach, bei der Formulierung eines Zieles neben schaftlichen Zielen erreicht werden. allgemeinen Umweltaspekten und der ökonomischen Machbarkeit auch zahlreiche soziale Dimensionen zu berücksichtigen. Soziale Oftmals sind Aspekte wie die IntegraGerechtigkeit tion (Anerkennung kultureller Unterschiede), Dauerhaftigkeit (Sicherung des sozialen Friedens) und Partizipation (Mitsprache Konsistenzan Entscheidungen) nur strategie schwer mit anderen KomSchließung von Stoffkreisläufen ponenten zu vereinbaren. Effizienzstrategie Auch die VerteilungsgeErhöhung der rechtigkeit – etwa die Ressourcenproduktivität Altersversorgung, Suffizienzstrategie Reduzierung des Einsatzes Bildung und Faminatürlicher Ressourcen lienunterstützung ˚ 5.11: Adaptives Bauen: Erdbebensichere Konstruktionen und die Verwendung spezieller Materialien können während eines Bebens die Flucht der in den Gebäuden lebenden und arbeitenden Menschen gewährleisten.

Ökologische Verträglichkeit

Wirtschaftliche Effizienz

betreffend – kann innerhalb und zwischen Generationen oder national (zwischen Arm und Reich) und international (zwischen Industrie- und Entwicklungsländern) zu Zielkonflikten führen. Insofern favorisieren Kritiker, welche die Gleichrangigkeit der drei Säulen bestreiten, das „Leitplankenmodell“. Hier bilden die ökologischen Parameter, die langfristig stabile Lebensbedingungen auf der Welt sichern, einen Entwicklungskorridor, der strengstens einzuhalten ist. Nur innerhalb dieser Grenzen können wirtschaftliche und soziale Ziele umgesetzt werden. Durch die Verdichtung von Menschen-, Ressourcen-, Waren- und Kapitalströmen kommt es vor allem in den Megastädten der Erde zu Nachhaltigkeitsproblemen. Die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung, wie etwa die Beseitigung von Armut, die Veränderung nicht nachhaltiger Konsumgewohnheiten und Produktionsweisen sowie der Erhalt der natürlichen Ressourcen, betreffen die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit gleichermaßen. Sie stellen die Planer deshalb vor erhebliche Schwierigkeiten. Gleichzeitig ergeben sich durch diese Konzentration auch Chancen für Innovationsstrategien zur Förderung nachhaltiger Lebensstile. Die Millionenstädte des Südens sind die zukünftigen Entscheidungsarenen der globalen nachhaltigen Entwicklung. Entscheidend wird sein, ob sich die Einsicht durchsetzt, dass die Katastrophenvorsorge eine kosteneffiziente Maßnahme zur Sicherung der Nachhaltigkeit darstellt. Vor allem die Raum- und Städteplaner haben ihr Potenzial noch nicht ausgeschöpft, adaptive Katastrophenschutzmaßnahmen als Teilkomponenten in die städtischen Entwicklungsprogramme der Wirtschaftsförderung oder im Infrastrukturbereich mit einzubauen.

Adaptive Vorsorgemöglichkeiten

Anderson & Woodrow (1998) Houghton (2004) IPCC (2001) Knaus & Renn (2003) McCarthy, Canziani et al. (2001) Munasinghe & Clark (2001) Schellnhuber & Wenzel (1998) Smith, Klein & Huq (2003) WBGU (1999)

Adaptive Vorsorgemöglichkeiten

Intergovernmental Panel on Climate Change www.ipcc.ch Internationales Institut für nachhaltige Entwicklung (IISD) www.iisd.org OECD Zentrum für Entwicklung www.oecd.org ProVention Consortium www.proventionconsortium.org Rat für nachhaltige Entwicklung (RNE) www.nachhaltigkeitsrat.de UN Abteilung für nachhaltige Entwicklung www.un.org/esa/sustdev Weltgipfel 2002 www.earthsummit2002.org

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Fallbeispiele – regionale Schicksale Entwicklungsländer – wenn die Ärmsten leiden Überschwemmungen im Mekong-Delta – Segen und Fluch Der Mekong – in Tibet „Dza-chu“, in China „Lancang Jiang“ (turbulenter Fluss), in Thailand und Laos „Mae Nam Khong“ (Mutter der Gewässer) und in Vietnam „Cuu Long“ (Fluss der neun Drachen) genannt – ist mit rund 4800 km der zehntlängste Fluss der Erde. Von seiner Quelle in der chinesischen Provinz Qinghai durchfließt er auf seinem langen Weg die Länder Myanmar (Burma), Thailand, Kambodscha, Laos und Vietnam, wo er schließlich in das Südchinesische Meer mündet. In seinem Einzugsgebiet betreiben über 60 Millionen Menschen an den unzähligen größeren und kleineren Nebenflüssen ihre Landwirtschaft. Zusammen mit dem Amazonasgebiet beheimatet es die produktivste Inlandfischerei der Welt und das südliche Delta zählt zu den größten Lieferanten von Reis und Robusta-Kaffee. So vielfältig wie die Fauna und Flora entlang des Flusses, so mannigfaltig sind auch die Menschen und ihre Lebensweisen. Hinsichtlich Entwicklungsstand und Einwohnerzahl gibt es beträchtliche Unterschiede zwischen den Anrainerstaaten. Das Bruttoinlandsprodukt beispielsweise variiert zwischen 98,2 Millionen Euro in Thailand, 27,1 Millionen in Vietnam und 1,2 Millionen in Laos (Stand 2002). Am Oberlauf des Mekong gibt es kaum industrielle Fischerei, im südlichen Delta unterstützt die vietnamesische Regierung finanziell die Zuwanderung von Menschen aus dem Norden. Dadurch konnte die Reisproduktion so weit gesteigert werden, dass aus dem ehemaligen Reisimportland der zweitgrößte Exporteur wurde. Das finanzschwache Laos hofft, dass es mit Unterstützung von internationalen Kreditinstitutionen zahlreiche Projekte zur Wassernutzung und Energiegewinnung umsetzen und damit zu den anderen Nationen aufschließen kann. Die Chinesen möchten die Wasserstraße zu einer „Warenautobahn“ ausbauen, und im „Goldenen Dreieck“, dem Grenzgebiet zwischen Laos, Thailand und Myanmar, ist das wichtigste Handelsprodukt das Heroin. Drei Viertel der gesamten Weltmarktproduktion stammen aus dieser Region. Kambodscha kämpft noch immer mit den Folgen des Krieges, und auch in Vietnam ist man überwiegend mit strukturellen Problemen beschäf-

tigt, die im Niedergang des kommunistischen Staatenblocks wurzeln. Neben den Verschiedenheiten zwischen den Anrainern sorgt die Vielfalt an ethnischen Gruppen auch innerhalb der einzelnen Länder für eine Heterogenität an Sprachen und Sitten. Der Mekong ist das Band, das sie alle zusammenhält. Um die unterschiedlichen Interessen der Wassernutzung aufeinander abzustimmen, hat sich 1957 die Mekong-Kommission etabliert. Mit der Unterzeichnung eines Abkommens über eine Zusammenarbeit zur nachhaltigen Entwicklung des Mekong-Einzugsgebiets entstand daraus 1995 die Mekong River Commission (MRC). Ihr gehören die Staaten Thailand, Laos, Kambodscha und Vietnam an, die zusammen eine Reihe unterschiedlicher Programme für die Entwicklung des unteren Flusseinzugsgebiets aufgelegt haben. Dabei kooperieren die Länder nicht nur hinsichtlich der Gewässernutzung, sondern koordinieren auch Aktivitäten in den Bereichen Hochwassermanagement, Landwirtschaft, Fischerei und Tourismus über nationale Subkomitees. Allerdings ist China der zwischenstaatlichen Organisation bislang nicht beigetreten, was sich auch hinsichtlich der Verfügbarkeit von Daten negativ bemerkbar macht. Etwa 85 Prozent der Bewohner im Einzugsgebiet des Mekong leben von Fischerei, Land- und Forstwirtschaft. Deshalb werden vor allem Infrastrukturprojekte zur Wassernutzung vorangetrieben. Viele der Meerwassersperranlagen im Süden, die das Salzwasser vor dem Eindringen in das Flussdelta abhalten, wurden mit amerikanischer Unterstützung gebaut und sind über 30 Jahre alt. In den letzten Dekaden haben die Anrainerstaaten über 100 Staudämme konzipiert, von denen mehrere bereits umgesetzt wurden. Solche drastischen Eingriffe in den Naturhaushalt, deren genaue Auswirkungen meist nur grob abgeschätzt werden können, bedrohen zahlreiche Ökosysteme. Allein China will acht große Dammprojekte im oberen Einzugsgebiet verwirklichen. Zwei davon sind bereits realisiert und in Xiaowan wurde im Januar 2002 mit dem Bau begonnen. Veränderungen im Gewässer- und Naturhaushalt sind zwangsläufig die Folge. Und diese bekommen alle Anlieger im multinationalen Einzugsgebiet zu spüren. So ist beispielsweise bekannt, dass auch Gemeinden in Kambodscha von den Auswirkungen des Yali-FallsStaudamms in Vietnam betroffen sind.

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148 Fallbeispiele – regionale Schicksale ˘ 6.1: Zahlreiche Programme sollen die Lebens- und Umweltqualität entlang der wichtigsten Lebensader der Region verbessern.

Kernprogramme – Entwicklung – Wassernutzung – Umwelt – Hochwassermanagement

Sektorprogramme – Fischwirtschaft – Land- u. Forstwirtschaft, Bewässerung – Wasserressourcen – Schifffahrt – Tourismus Unterstützungsprogramm – Bildung von Kapazitäten Entwicklung Regionale Entwicklungspläne sollen eine nachhaltige Ressourcennutzung gewährleisten. Unter Einbeziehung der Öffentlichkeit werden Schwerpunkte – etwa die Bildung von Humankapital, Infrastrukturverbesserung, Meerwassersperranlagen und Armutsbekämpfung festgelegt und Projekte grenzüberschreitend konzipiert.

Umwelt Angesichts der Bevölkerungszunahme wirdUmweltschutz immer wichtiger. Die Ausweisung von Naturschutzgebieten, Systeme zur Überwachung der Umweltqualität und die Erhöhungdes Umweltbewusstseins sollen ihn fördern.

Wassernutzung Im Rahmen der ökologischen Nachhaltigkeit müssen Interessen der Privathaushalte, der Landwirtschaft und der Schifffahrt in Einklang gebracht werden. Zur Verbesserung des Wassermanagements werden Datenbanken aufgebaut und hydrologische Modelle.

Hochwassermanagement Technologietransfer, Frühwarnsysteme und regionale Hochwasserzentren bilden die Schwerpunkte des Hochwasserschutzprogramms. Auch strukturelle Maßnahmen wie der Bau von höherliegenden Evakuierungsflächen, Deichen und Uferbefestigungen werden umgesetzt.

Aber nicht nur die Umwelt, auch die Anwohner selbst werden durch die Großprojekte in Mitleidenschaft gezogen. Für die Staudämme im laotischen Houay Ho und Xe Pian Xe Namnoy wurden über 2000 Menschen – vor allem ethnische Minderheiten – zwangsweise umgesiedelt. Für den Nam-Theun-2-Damm sollen es über 6000 sein. Besonders dieses Bauvorhaben stößt mittlerweile auf heftige Kritik von Seiten vieler Umweltorganisationen. Sie werfen Kreditinstitutionen wie der Asiatischen und Europäischen Entwicklungsbank, die zahlreiche Wasserkraftprojekte im Einzugsgebiet finanzieren, verantwortungsloses Handeln vor. Bei den Geldgebern stehen ihrer Ansicht nach nur finanzielle Interessen im Vordergrund und die negativen Auswirkungen des Projektes würden nicht hinreichend geprüft werden. Zuletzt haben 16 Nichtregierungsorganisationen ihre Bedenken hinsichtlich der ökonomischen, sozialen und umweltschädlichen Auswirkungen des laotischen Damms in einem offenen Brief an die Weltbank geäußert. Neben der Nutzung der Wasserkraft ist auch die Eindämmung der zerstörerischen Kräfte des Mekong ein zentraler Punkt der Entwicklungsförderung. Zwischen 1500 und 2000 mm Niederschlag im Jahr sorgen überwiegend während der regenreichen Monsunmonate von Mai bis Oktober für großflächige Überschwemmungen, die hinsichtlich des Zeitraums und der Höhe regional unterschiedlich ausfallen. Die höchsten Wasserstände werden am Oberlauf im Juli, flussabwärts einige Monate später erreicht. In der Regel steigt das Wasser langsam zwischen 20 und 120 cm an und hält sich etwa zwei Monate auf diesem Niveau. Ein wichtiger Regulator ist der kambodschanische Tonle-Sap-See, der mit dem Mekong über einen 100 km langen Kanal (Tonle-Sap-Fluss) verbunden ist und die aus dem Norden kommenden Wassermassen abpuf-

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fert. In den Sommermonaten schwillt die Fläche des Sees von rund 3000 auf über 10000 km2 an. Mit Beginn der Trockenzeit ändert der Kanal seine Fließrichtung und leitet das Wasser des Sees in den Mekong zurück. Diese ungewöhnliche hydrologische Eigenart regelt nicht nur die Überschwemmungen, sondern ist auch Lebensressource für die dort lebenden Fischnomaden. Die Bewohner folgen dem sich zurückziehenden und kommenden Wasser – ihrer wichtigsten Nahrungsquelle, die rund 60 Prozent des Fischverbrauchs des Landes deckt. Auch für die südlichen Deltabewohner sind Überschwemmungen nichts Ungewöhnliches und der jährliche Wechsel zwischen Trocken- und Regenzeiten strukturiert den Jahresablauf. Während der regenarmen Zeit sind die Bauern überwiegend damit beschäftigt, den fruchtbaren Schlamm einzusammeln, um damit ihre Felder zu düngen. Der Mekong im vietnamesischen Delta: Das sind im eigentlichen seine zwei Hauptarme Tien und Hau sowie unzählige Nebenflüsse und Kanäle. Das mit Wasseradern durchzogene Tiefland und die damit verbundenen Überschwemmungen prägen die Landschaft und das Leben der dort beheimateten Menschen. Die meisten Anwohner besitzen kleine Boote, mit denen der Alltag während der oftmals mehrere Monate anhaltenden Flutphase bewältigt wird. Die Kommunen erstellen einen genauen Ernteplan und die Regierung sorgt nach Überschwemmungsschäden für günstige Kredite. Mittlerweile unterstützen auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen je nach Ausrichtung unterschiedliche Vorsorgeaktivitäten. Problematisch wird es, wenn die Überschwemmungen zu früh kommen und die jungen Reispflanzen überfluten. Auch eine zu lange Flutdauer stört den landwirtschaftlichen Zyklus und vernichtet die lebenswichtige Reisernte; wie zuletzt im Jahr

2000. Einen Monat früher als erwartet trafen die Überschwemmungen ein und überfluteten das Delta von Juli bis November. Der vietnamesischen Presse zufolge brachten die schwersten Überschwemmungen seit sieben Jahrzehnten 453 Menschen den Tod und setzten 800 000 Haushalte unter Wasser, teilweise über sechs Monate lang. Die Lebenssituation von rund zehn Millionen Menschen war nachhaltig gestört: 12 600 ha Aquakultur und 150 000 ha Reisflächen wurden beschädigt, davon 56 000 ha komplett zerstört. Der Ammoniakgehalt im Wasser stieg auf das Doppelte, der von Kolibakterien sogar um das Achtfache an. Nach Abzug der Flut sind 13 000 km Straßen und 4000 Brücken, die Lebenslinien im Mekong-Delta, von schweren Schäden gekennzeichnet. Die Überschwemmungen des Jahres 2000 haben den Hochwasserschutz weiter vorangetrieben. Verstärkt wurden hydrologische Daten gesammelt, Untersuchungen durchgeführt und Hochwasserschutzpläne und Gefahrenkarten angefertigt. Obgleich die Zentralregierung noch immer die primäre Entscheidungsinstanz in Sachen Katastrophenmanagement ist, verfolgt man zunehmend auch lokal ausgerichtete Ansätze, um die Gemeinden in die Planung mit einzubeziehen. So hat beispielsweise die Provinz Dong Thap, in der seit 1926 rund 25 Mal die 4,5-Meter-Marke überschritten wurde, zusammen mit der Zentralregierung ein Maßnahmenbündel erarbeitet. Neben Eindeichungen, insbesondere der Obstplantagen, wurden vermehrt Kinderhorte eingerichtet, in denen die Sprösslinge während der Abwesenheit der Eltern beaufsichtigt werden. Da bis zu einem Drittel der Flutopfer Kinder waren, bietet man Schwimmkurse an, um die Anfälligkeit dieser Gruppe zu senken. Der Mekong ist die Lebensader einer ganzen Region. Anders als etwa im dicht besiedelten ¯ 6.2: Der Mekong – hier in An Giang – ist die Lebensader für Menschen, Tiere und Pflanzen. In seinem Einzugsgebiet sind zahlreiche Ökosysteme durch drastische Eingriffe in den Naturhaushalt bedroht.

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Rheintal brauchen die Menschen die fruchtbaren Überschwemmungen für ihre Reis- und Obstfelder. Nicht die Fluten an sich gilt es zu verhindern, sondern die Schäden, die bei zu hohen Wasserständen entstehen. Ohne Überschwemmungen würde die wichtigste Nahrungsquelle versiegen. Sie bringen neue Fische vom Oberlauf und frischen die Bestände auf. Rattennester und Insekten, die Reisernten gefährden, werden vernichtet und die stehenden Gewässer gereinigt. Der mitgelieferte Sand dient dem Haus- und Straßenbau. Radikale Eingriffe in den Gewässerhaushalt gefährden die Vielfalt des Ökosystems und die Lebensabläufe der Bewohner im Mekong-Delta. Letztlich kommt es darauf an, inwieweit der Mensch in der Lage ist, Maßnahmen zu konzipieren, die eine Koexistenz mit den Überschwemmungen fördern. Eine erfolgreiche Adaptionsstrategie ist das Vorziehen der Sommerernte. In der Provinz Dong Thap hat man durch diese Verschiebung von Au˙ 6.3: Überschwemmungen: ja, Hochwasserschäden: nein. Keine leichte Aufgabe in den südlichen Provinzen des Mekong-Deltas. Nicht nur der Wasserstand, sondern auch der Zeitpunkt und die Dauer der Überschwemmungen entscheiden – wie im Jahr 2000 – über das Ausmaß der Schäden.

gust auf Juli die Schäden erheblich senken können. In vielen Regionen ist man mit Hilfe von Eindeichungen von bisher zwei Ernten auf drei pro Jahr übergegangen. Die Provinz An Giang errichtet zwei Deichverteidigungslinien. Eine schützt vor den großen Fluten von drei bis fünf Metern Höhe, ein drei Meter hohes Deichsystem lässt das wichtige Augusthochwasser passieren. Dadurch ist gewährleistet, dass die fruchtbaren Schlämme ihren Weg auf die Reisfelder finden. Ferner legt man höher gelegene Evakuierungsflächen an. Bis 2006 soll eine Fläche von rund 200 000 ha hochwassergeschützt sein und 36 000 Menschen Zuflucht bieten. In Dong Thap sind 205 solcher zwei bis fünf Hektar großen Flächen für 45 000 Familien geplant. In der südlichen Provinz Soc Trang bestehen mittlerweile 500 Deichkilometer, wovon 72 km das salzige Meerwasser vor dem Eindringen in das Delta abhalten. Das Ausmaß der Überschwemmungen wird hier, wie in anderen Küstenprovinzen, primär durch das Meer bestimmt, da der Tidenstand am Golf von Thailand und dem Südchinesischen Meer das Abfließen des Mekongwassers verzögert. Im Jahr 1992 sorgte dieser Umstand für den höchsten Wasserstand von 2,06 Metern. Insofern hat ein Ansteigen des Meeresspiegels, der seit 1994 in kleinen

Staatsgrenze Provinzgrenze Überschwemmungsgebiet Pegelstation

K A M B O D S C H A

I: 3,0 m II: 3,6 m III: 4,2 m 2000: 5,06 m

Alarmstufen I – III: Pegelstand Wasserstand Flut 2000 Flutdauer: > 6 Monate

Tan Chau

Flutdauer: 3 – 6 Monate Chau Doc

Eindringen von Salzwasser

Ha Tien

Provinz An Giang

o Mot hS

Provinz Dong Thap

Cho Moi

Kinh Dong Tien

Cao Lanh

2000: 3,58 m

Long Xuyen

Kien Luong

Provinz Long An

Provinz Tien Giang

n Tie ng So

Mekong-Delta

2000: 2,63 m

S

on

Provinz Kien Giang

Vinh Long

gH

au

Girrbach, Lambert et al. (1995) Heyder (1999) Scholl-Latour (1990)

I: 3,0 m II: 3,5 m III: 4,0 m 2000: 4,90 m

20 km

Kin

0

VIETNAM

Mekong-Delta

nh

Th

ot

No

t

Provinz Vinh Long Can Tho

O Mon

Ki

Rach Gia Golf von Thailand

Ki nh

Deutsch-Vietnamesische Gesellschaft (DVG) www.vietnam-dvg.de Disaster Management Unit UNDP Vietnam www.undp.org.vn/dmu Mekong-Information www.mekonginfo.org Mekong-Programm des International Rivers Network (IRN) www.irn.org/programs/mekong Mekong River Commission (MRC) www.mrcmekong.org

N

Provinz Can Tho

Provinz Soc Trang

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Schritten beobachtet wird, besonders weit reichende Konsequenzen. Die Entwicklung von hydrologischen Modellen und Frühwarnsystemen spielt in den Küstengebieten eine wichtige Rolle. Dadurch sollen die ankommenden Wassermengen besser abgeschätzt und die Menschen rechtzeitig gewarnt werden. Ein vorhandenes Frühwarnsystem hätte im November des Jahres 1997 Menschenleben retten können. Aufgrund dieses Mangels forderte Taifun „Linda“ in Südvietnam über 450 Opfer, darunter viele Fischer, die sich während des Sturmes nichtsahnend auf See befanden. Aufgrund der ökologischen und sozialen Vielfalt im Mekong-Delta kann ein Hochwassermanagement nur funktionieren, wenn es in andere Bereiche integriert und sektorübergreifend unterstützt wird. So ist seit 1943 die Waldfläche in Vietnam von 14,3 Millionen ha (43 Prozent der Landesfläche) bis Mitte der neunziger Jahre auf 9 Millionen ha (27 Prozent) zurückgegangen. Derzeit, so wird geschätzt, verliert das Land rund 200 000 ha Wald pro Jahr, davon 50 000 an die Landwirtschaft und weitere 20 000 bis 50 000 aufgrund von Waldbränden. Und nicht nur Hochwasser, auch Dürren vernichten regelmäßig die Ernten der Deltabewohner. Ein anderes, oft verdrängtes Problem ist die Detonation von Explosivstoffen. Seit Ende des Krieges sind in Vietnam etwa 40 000 Menschen dadurch getötet worden, sechs weitere kommen im Durchschnitt täglich dazu. Rund 3,5 Millionen Minen und 300 000 Tonnen Sprengstoffe sind noch immer nicht entschärft und stellen eine permanente Bedrohung für die Bevölkerung dar. Bis zu 30 Monaten dauert es, bis man einen Quadratkilometer von den explosiven Gefahren befreit hat. Zyklone zwischen Ganges und Brahmaputra – Vorsorge in Indien und Bangladesch Der Golf von Bengalen ist bekannt für das häufige Auftreten von tropischen Wirbelstürmen, die hier Zyklone genannt werden. In Bangladesch und Nordostindien haben diese Zyklone im 20. Jahrhundert zu Katastrophen geführt, der Hunderttausende von Menschen zum Opfer gefallen sind. Wie eine an die lokalen Situationen angepasste Katastrophenvorsorge zu einer nachhaltigen Verminderung der Risiken bei tropischen Wirbelstürmen führen kann, wurde durch Entwicklungsprojekte des Deutschen Roten Kreuzes eindrücklich nachgewiesen. Ein Katastrophenvorsorgeprojekt gibt es im nordostindischen Bundesstaat Orissa, der mit 36 Millionen Einwohnern zu einem der ärmsten und am wenigsten entwickelten Bundesstaaten des Landes zählt. Das Projekt ist eine Kooperation der Republik Indien und der Bundesrepublik Deutsch-

land, vertreten durch das Indische und Deutsche Rote Kreuz sowie der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Die Region ist durch tief liegende Küstenebenen gekennzeichnet, die in den Monaten Mai/Juni und Oktober/November von tropischen Wirbelstürmen mit extremen Niederschlagsmengen heimgesucht werden. Das Ziel des Projektes besteht darin, die lokale Bevölkerung in den gefährdeten Küstengebieten Orissas durch Maßnahmen der Katastrophenvorsorge zu schützen. Von besonderer Wichtigkeit war dabei, die geringe Akzeptanz der Bevölkerung für die bereits vor Projektbeginn vorhandenen Zyklonschutzbauten zu verändern. Der entscheidende Schlüssel zur Lösung des Problems bestand in der Verankerung der Katastrophenvorsorgemaßnahmen in der kommunalen zivilgesellschaftlichen Struktur der Gemeinden. Diese Strukturen wurden durch den Aufbau von in der Gemeinde verankerten Gruppen erreicht, die bestimmte Verantwortlichkeiten übertragen bekamen und den Prozess der Katastrophenvorsorge zielgerichtet tragen und steuern. Jeder Schutzbau wird von drei dieser Gruppen betreut. Komitee für die Katastrophenvorbereitung („Disaster Preparedness Committee“) Das Komitee besteht aus zwölf Mitgliedern von Vertretern der sozialen und administrativen Gruppen der Gemeinden (benachteiligte Gruppen der Frauen, Jugend und der niederen Kasten, Dorfweisen, Dorf- und Distriktbehörden, Projektpartner). Das Komitee ist für das allgemeine Management der Schutzbauten zuständig. Es ist die zentrale Kommunikationsstelle zwischen der Bevölkerung, dem Indischen Roten Kreuz und dem Distrikt. Einsatzgruppe für jeden Schutzbau Jeder Schutzbau hat eine Einsatzgruppe, die die Bedienung der Warngeräte, die technische Abwicklung und die Hilfe beim Aufsuchen der Schutzbauten übernimmt. Sie soll aus 25 kräftigen Männern und Frauen bestehen. Die Gruppe soll die Bevölkerung zum Aufsuchen der Schutzbauten ermuntern, den besonders verletzbaren Gemeindemitgliedern (Kranke, Alte, Witwen, Schwangere) helfen, Rettungsmaßnahmen während des Sturmes unternehmen und erste Hilfe leisten. Frauengruppen Es wurden insgesamt 56 Frauengruppen gebildet, die als Selbsthilfegruppen an den Standorten der Schutzbauten arbeiten, die die Verbindung des Komitees und der Einsatzgruppen mit den einzelnen Haushalten der Gemeinde herstellen. Die Frauengruppen sollen sämtliche sozioökonomischen und kulturellen Gruppen der Gemeinde abbilden. Sie bestehen aus Mitgliedern der verschiedenen Bevöl-

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˘ 6.4: Treffen einer Frauengruppe in Orissa, Indien. Gemeinsam wird überlegt, wie Leben und Besitztümer im Fall eines Zyklons gerettet werden können.

kerungsgruppen und Kasten und diskutieren vorbereitende Maßnahmen, die in den Haushalten getroffen werden können. Von hoher Wichtigkeit für den Erfolg einer derartigen Struktur ist die Verstetigung der Aktivitäten. Dazu beraten sich die Gruppen und Komitees in monatlichen Treffen. In Schulungskursen wird das Verhalten nach einer Zyklonwarnung und während eines Zyklons geübt. Darüber hinaus werden Schulungen zur ersten Hilfe und zu Such- und Rettungsmaßnahmen angeboten. Mit diesen Maßnahmen, die einen weiten organisatorischen und sozialpolitischen Bereich der Gemeinde und ihrer Mitglieder betreffen, werden Kernelemente der lokalen Selbsthilfe geschaffen: ” Sicherstellen der Einsatzbereitschaft der Schutzbauten: Pflege und Ausrüstung mit Nahrungsmitteln, Wasser und Material der medizinischen Versorgung. ” Warnung mit einfachen Mitteln: Nach der Zyklonwarnung wird die Warnung in den Gemeinden mit einfachen Mitteln durchgeführt. Dazu zählen Megaphone und die Alarmierung von Haus zu Haus. ” Evakuierung: Die Evakuierung ist der entscheidende und kritische Bereich der entwickelten Maßnahmen. Es muss sichergestellt sein, dass die besonders verletzbaren Gruppen der Gemeinde eine besondere Evakuierungshilfe erhalten.

” Katastrophenbewältigung: Zu den Aufgaben der Katastrophenbewältigung zählen Maßnahmen der ersten Hilfe und die Suche nach und Rettung von Vermissten. Von hoher Bedeutung ist die Versorgung der Bevölkerung in den Schutzbauten mit von außen gelieferten Hilfsgütern, die mitunter mehrere Tage oder gar Wochen aufrechterhalten werden muss. Das geschilderte Projekt ist sehr erfolgreich. Die bis 1999 fertig gestellten Schutzbauten haben Tausenden von Menschen das Leben gerettet. Durch diesen Erfolg wurde das Projekt überregional bekannt und durch die Regierung von Orissa zum verbindlichen Modell für Zyklonenschutzbauten erhoben. Die Lehren und Schlussfolgerungen, die aus diesem Projektansatz gezogen werden können, lauten, dass die Einbeziehung lokaler Strukturen in alle Projektphasen der entscheidende Schlüssel dafür ist, zu einer langfristigen und ganzheitlichen Katastrophenvorsorge und Bewusstseinsbildung zu gelangen. Diese als „Software“ bezeichneten Maßnahmen bedeuten, dass sich die lokale Bevölkerung der Gemeinden in einer Gefahrenzone als aktiver Teil der gesamten Katastrophenvorsorge empfindet und dadurch die Akzeptanz des Konzeptes entscheidend erhöht wird. Nicht die auf kurzfristige Baumaßnahmen und Katastrophenbewältigung fixierten Maßnahmen, die als „Hardware“ bezeichnet werden, sind demnach für eine erfolgreiche Kata-

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schürte den Eifer nationalistischer Bewegungen und führte letztlich zur Gründung eines eigenständigen Staates. Bangladesch ist ein Opfer der klimatisch-hydrologischen Verhältnisse. Während der Monsunregenzeit sind große Gebiete des Landes regelmäßig überschwemmt. Allerdings haben Zeitraum und Umfang der Niederschläge zentrale Bedeutung für die Landwirtschaft, die hochgradig von den fruchtbaren Schlammablagerungen der Flüsse abhängig ist. Zu viel Niederschlag führt zu unkontrollierbaren und lang andauernden Überschwemmungen, zu wenig Regen zu Dürreperioden wie im Jahr 1770, als rund ein Drittel der Bevölkerung (etwa zehn Millionen Menschen) durch eine große Hungersnot starb. Und auch Wirbelstürme stellen für die Bewohner eine ständige Bedrohung dar.

Foto: Deutsches Rotes Kreuz, GS

89°

˙ 6.6: Gebiete mit Hochwassergefahren in Bangladesch. Das Land ist in hohem Maße von Überschwemmungen betroffen.

91°

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Indien

Rangpur

˚ 6.5: Zyklonenschutzbau in Orissa, Indien. Die Dorfbevölkerung packt an, um den Schutzbau instand zu halten.

Sylhet Jamuna

Rajshalti

Bangladesch durch Zyklon 1991 stark betroffene Region

24°

Gan

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Dhaka

Indien Chandpur Me

23°

n gh

Khulna

a

strophenvorsorge entscheidend, sondern die soziale Mobilisierung der Bevölkerung und der partizipative Aufbau des Risikomanagements auf bestehende Erfahrungen und Fähigkeiten. Projekte dieser Dimension können nur unter langfristigen Gesichtspunkten realisiert werden. Die Realisierung des Orissa-Projekts nahm insgesamt zwölf Jahre in Anspruch (1992 – 2003). Die Instandhaltung der Schutzbauten ist eine langfristige Aufgabe der Katastrophenvorsorge der Gemeinde, die über Fonds und andere Finanzierungsmodelle nachhaltig realisiert werden muss. Eine weitere Region am Golf von Bengalen mit extremen und häufigen Naturkatastrophen ist Bangladesch, das mit einem Pro-Kopf-Einkommen von rund 310 Euro im Jahr zu den ärmsten Ländern der Welt zählt. Über die Hälfte der Menschen lebt unter der Armutsschwelle (2002: 53 Prozent). Selbst die Entstehung des Staates Bangladesch hängt mit einer Naturkatastrophe zusammen. Am 12. November 1970, als das heutige Pakistan und Bangladesch noch vereint waren, wurde die Küste von Bengalen schwer von einem Wirbelsturm getroffen. Über 200 000 Menschen starben und Millionen verloren ihre Lebensgrundlagen. Die unzureichende Katastrophenreaktion der Behörden

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Kaptai-See

Chittagong

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Golf von Sturmflut

Bengalen

Myanmar

Flussüberschwemmung mit unterschiedlicher Überflutungshöhe 0

Sturzflut

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100 km Kartographie: G. Bräuer-Jux, 2005

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¯ 6.7: Die Lebensmittelvorräte werden in eingegrabenen Behältern gelagert, die auch eine Sturmflut überstehen. Cox’s Bazar in Bangladesch.

Indien und Bangladesch

Brammer (2000) DRK (1999) Indien und Bangladesch

Asian Disaster Preparedness Center (ADPC) www.adpc.net Deutsches Rotes Kreuz www.drk.de India Development & Relief Fund (IDRF) www.idrf.org National Centre for Disaster Management India www.ncdm-india.org National Disaster Management Division India http://ndmindia.nic.in Orissa State Disaster Management Authority (OSDMA) www.osdma.org

Rund 80 Prozent der Einwohner von Bangladesch sind durch Fluss- und Küstenüberschwemmungen gefährdet. Das sind heute über 110 Millionen Menschen. Ein großer Teil der Bevölkerung des Landes lebt in weitgehend ungeschützten Gebieten des Deltas der Flüsse Ganges, Brahmaputra und Meghna, die zusammen ein Einzugsgebiet von 1,75 Millionen km2 entwässern. Fast 30 Prozent der für die Nahrungsmittelproduktion des Landes genutzten Fläche werden jedes Jahr durch die Flüsse überschwemmt. Sie sind dadurch äußerst produktiv, so dass bis zu drei Ernten pro Jahr möglich sind. Allerdings sind die Menschen in diesenGebieten auch äußerst verletzbar, wenn das Hochwasser bestimmte Überflutungshöhen übersteigt. In Bangladesch wurden bis heute 1300 Zyklonenschutz-

bauten errichtet, in denen die Bewohner der Küstenregion Schutz finden. Im südöstlichsten Teil des Landes leben südlich von Chittagong auf einem schmalen Küstenstreifen über 1,5 Millionen Menschen. Diese Region ist in den letzten Jahren bekannt geworden, weil finanzkräftige Bangladeschi an der Küste Garnelenfarmen einrichteten, die für den Export produzieren. Der Aufbau der Farmen ging mit der massiven Abholzung der Mangrovenwälder einher, die in den Tropen und Subtropen einen äußerst wichtigen, natürlichen Küstenschutz darstellen. Diese Folgen der Abholzung erhöhten die Verletzbarkeit des Küstenstreifens gegenüber Wind und Sturmfluten. In dieser Situation wurde durch ein Projekt des Deutschen Roten Kreuzes und dem Projektträger des Roten Halbmondes von Bangladesch ein Konzept der Katastrophenvorsorge für die Region Cox’s Bazar entwickelt, deren Bevölkerung muslimischen Glaubens ist. Es ist ähnlich wie in Orissa auf den Aufbau von Zyklonenschutzbauten konzentriert. Neben der Errichtung von 57 Schutzbauten, die 45 000 Menschen Schutz vor tropischen Wirbelstürmen bieten, ist auch in diesem Projekt die Stärkung der Selbsthilfekräfte der Bevölkerung die entscheidende Komponente einer erfolgreichen Katastrophenvorsorgestrategie. Auch hier sind Schulungskurse in den Schutzbauten ein Instrument, um die Betroffenen in die Planungen zu integrieren. Da ein Großteil der männlichen Bevölkerung als Fischer mehrere Tage auf See verbringt, sind Frauen und Kinder besonders verletzbar. Dies drückt sich darin aus, dass bei bisherigen Zyklonkatastrophen bis zu 90 Prozent der Todesopfer Frauen und Kinder gewesen sind. Die Frauen müssen darüber hinaus die Evakuierung des Haushaltes durchführen und Maßnahmen der Katastrophenbewältigung ergreifen. Nach intensiver und langwieriger Überzeugungsarbeit ist es den Projektmitarbeitern gelungen, über die Schlüsselpersonen der Dörfer (religiöse Führer, Lehrer, Geschäftsleute) die Zustimmung der Männer der Gemeinde zu erreichen, so dass die Frauen an den Schulungskursen und Evakuierungsübungen teilnehmen konnten. Die Entwicklung einer erfolgreichen Konzeption der Katastrophenvorsorge erfordert also nicht nur die Bereitstellung finanzieller Mittel für den technischen Schutzbau, sondern vor allem die nachhaltige Beteiligung der Betroffenen. Dies kann nur gelingen, wenn die kulturelle Tradition und das soziale Gefüge der direkt betroffenen Bevölkerung als Grundlage der Selbsthilfe angesehen werden.

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Erdbeben in Indien – wenn Erdkrusten kollidieren Am 26. Januar 2001 ereignete sich in Bhuj im indischen Bundesstaat Gujarat ein Erdbeben der Stärke 7,7 auf der Richterskala. Dieses Ereignis stellt eines der größten Erdbeben Indiens seit Aufzeichnung der Daten dar, bei dem mindestens 20 000 Todesopfer zu beklagen waren und 200 000 Menschen verletzt wurden. 400 000 Wohngebäude wurden zerstört und 780 000 beschädigt. Es wird vermutet, dass das Beben von Bhuj das stärkste seit dem 9. nachchristlichen Jahrhundert gewesen ist. Die indische Regierung geht davon aus, dass über 40 Prozent des 41 Millionen Menschen zählenden Bundesstaates Gujarat direkt oder indirekt betroffen waren, was die hohe Bedeutung dieser Katastrophe für die Region und den Staat Indien veranschaulicht. Schadenbringende Erdbeben sind in diesem Gebiet in den letzten 200 Jahren häufig aufgetreten, so in den Jahren 1819, 1845, 1846, 1856, 1857, 1869 und 1956. Das Beben von 2001 ereignete sich in unmittelbarer Nähe des Bebens von 1819, bei dem weniger als 2000 Menschen getötet wurden, was mit der vor 200 Jahren weit geringeren Bevölkerungsdichte in dieser Region erklärt werden kann. So ist der Prozentuale Anteil der Bebenopfer in der Stadt Kachchh im Jahre 2001 ähnlich hoch wie im Jahre 1819, obwohl in den letzten Jahrzehnten Vorschriften für erdbebensicheres Bauen entwickelt worden sind. Das Erdbeben von Bhuj löste zahlreiche sekundäre Wirkungen in Form von Bodenverflüssigungen aus. Bei diesen Prozessen wird durch den Durchgang der seismischen Welle in feinsandigen Sedimenten im Bereich des Grundwassers durch einen massiven Anstieg des Porenwasserdruckes ein Verlust der Schwerfestigkeit des Untergrundes erzeugt. Die Folgen dieser bodenmechanischen Prozesse sind Entmischungsvorgänge der festen und flüssigen Bestandteile der Sedimente, die wiederum zur Bewegung von Bauwerksfundamenten und zur Schiefstellung der Bauwerke führen. Eine weitere Folge liegt in der Beschädigung von unterirdisch verlegten Versorgungsleitungen, die im Falle von Gaszuleitungen zu Bränden führen können. Das sprichwörtliche „Bauen auf Sand“ kann im Falle eines Erdbebens somit weitreichende Folgen für die Bebauung und die Schadensumme haben. Die Schäden des Erdbebens von Bhuj können zwei Kategorien zugeordnet werden. In den ländlichen Gebieten und in den informellen Siedlungen der großen Städte bestehen die Wohnhäuser aus Lehmziegeln, die mit Mörtel geringer Qualität verbunden werden. Oftmals wird aus ökonomischen Gründen überhaupt kein Bindematerial verwendet. Derartige Gebäude sind gegenüber seismischen Wellen äußerst verletzbar und kollabieren häufig

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˚ 6.8: Tausende städtischer Wohnhäuser in Stahlbetonbauweise und mit gemauerten Wänden wurden während des Erdbebens von Gujarat zerstört oder beschädigt. Im rechten Wohnhaus stürzten die beiden unteren Stockwerke ein. Die Konstruktion verstößt gegen die indischen Vorschriften für erdbebensicheres Bauen.

vollständig. Auch die Konstruktion städtischer Bauwerke erwies sich als nicht ausreichend erdbebensicher. Die zwei- bis vierstöckigen Wohn- und Geschäftshäuser bestehen vielfach aus Stahlbetonrahmen, die keine ausreichende Stabilität aufweisen. Die tektonisch-lithologische Situation der Region führt dazu, dass die seismischen Wellen eine sehr große Reichweite haben. In der über 200 km entfernten Millionenstadt Ahmedabad, der größten im Bundesstaat Gujarat, kam es zu Gebäudeeinstürzen und Gebäudeschäden. Selbst dort waren Folgen der Bodenverflüssigung zu beobachten. Kurz nach dem Erdbeben rollten die ersten Hilfsgüter an, die sich im Luftraum über Gujarat sowie auf den Hauptverbindungsstraßen von Bombay und Delhi stauten. Die täglichen Starts und Landungen auf dem regionalen Flughafen von Ahmedabad und dem Militärflugplatz von Bhuj schwollen auf das Vielfache der sonst verzeichneten Aktivitäten an. Aus aller Herren Länder kamen Rettungsteams, Katastrophenspezialisten und Ärzte und brachten ihre technische Ausrüstung mit. An den Verkehrsknotenpunkten stapelten sich nach kurzer Zeit bergeweise Säcke und Kisten mit Nahrungs- und Arzneimitteln. Die Region konnte einen solchen Ansturm logistisch nicht mehr verarbeiten und auch die Kommunikationsnetze erreichten ihre Grenzen. Jede der großen Hilfsorganisationen hatte sich bereits kurze Zeit nach der Katastrophe ihr eigenes Büro eingerichtet. Unzählige nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen (NGO), in- und ausländische Hilfstruppen, private Unternehmen und Vereine sowie staatliche Regierungsbehörden verteilten ihre Hilfe in Abhängigkeit ihrer Klientel und adoptierten bisweilen ein Waisenkind, eine Familie oder gleich ein ganzes Dorf. Die

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Solidarität war, wie auch nach Katastrophen in anderen Ländern, enorm. Glaubt man der „Times of India“, so haben sich die von religiösen Gruppen, sozialen Einrichtungen und NGOs entsandten Hilfsfahrzeuge ein regelrechtes Wettrennen mit den Räumfahrzeugen geliefert. Und nicht nur Hilfsorganisationen versuchten in die Region zu kommen, sondern auch Politiker. Sie blockierten im Namen der Solidarität wichtige Zufahrtsstraßen. Zudem wurden dringend benötigte Hilfskräfte abgestellt, um die Sicherheit der Minister zu gewährleisten. Die Tageszeitung „Indian Express“ ging angesichts dieser grotesken Situation sogar so weit, dass sie in ihrem Leitartikel am 1. Februar ein Besuchsverbot für Politiker forderte. Im ganzen Land wurden Spenden gesammelt und auch die im Ausland lebenden Inder zeigten ihre Solidarität und schickten Geldbeträge in die alte Heimat. Internationale Institutionen wie die Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank sagten ihre Hilfe genauso zu wie die Zentralregierung in Delhi. Zusammen mit den versprochenen zinsgünstigen Krediten und der in Aussicht gestellten Steuerbefreiung dürfte Gujarat mehr Finanzen erhalten haben als es wirtschaftlich verloren hatte. Geld war also da, was fehlte, waren sinnvolle Konzepte. Die mangelnde Koordination zwischen den verschiedenen Hilfsaktivitäten und Einrichtungen führte letztlich dazu, dass sich Katastrophenmanagement und Wiederaufbauprogramme laufend in die Quere kamen. Da es kein Konzept gab, mit dem die längerfristigen Bedürfnisse der Betroffenen hätten ermittelt werden können, orientierte sich die Hilfe nur am unmittelbaren Bedarf. Man war dabei, alte Fehler wie z. B. 1993 in Lathur im indischen Bundesstaat Maharashtra zu wiederholen. Dort haben NGOs und andere Experten nach dem Erdbeben am 30. September (rund 8000 Todesopfer) in unzähligen Dörfern über 27 000 neue Behausungen errichtet – die sich als Kunstsiedlungen entpuppten. Laut einer einige Monate später durchgeführten Untersuchung übernachteten die meisten Bewohner lieber draußen in Strohhütten und nutzten die neuen Gebäude lediglich als Unterstellräume. Wiederaufbaumaßnahmen sind nur erfolgreich und nachhaltig, wenn die betroffene Bevölkerung in Entscheidungsprozesse miteinbezogen wird. Von „außen“ – ohne Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten – diktierte Lösungen scheitern, da Menschen letztlich nur das akzeptieren, was zu ihrem Lebensstil passt. Ohne politisches Konzept verpufft die gut gemeinte Humanitäre Hilfe im oftmals undurchsichtigen Geflecht von Politik, Wirtschaft und traditionellem Kastensystem. So hat man beispielsweise am Ortsrand der zerstörten Kleinstadt Adhoi eine

riesige Zeltstadt geschaffen. Da diese auf dem Grund von Patels – der zweithöchsten Kaste mit traditionell großem Grundbesitz – errichtet wurde, stand sie aber leer. Denn die Patels verweigerten Angehörigen niedrigerer Kasten den Zutritt. Ähnliches widerfuhr auch Dörfern mit zumeist muslimischer Bevölkerung. Als im Dorf Chitrod eine Ladung Bambus ankam, wurden die Anstehenden von Kastenoberen mit der Begründung verscheucht, die Lieferung sei nur für Patels bestimmt. Die Internationale Föderation der Rotkreuzund Rothalbmondgesellschaften (IFRC) kritisierte die so schlecht an die Katastrophensituation angepasste internationale Hilfe: Die Entsendung von Wissenschaftlern, Ärzten, Logistikern und Kommunikationsexperten sei unnötig gewesen, da Indien selbst weltbekannte Experten in diesen Fachgebieten aufzuweisen habe. Ein Problem Indiens besteht in der Notwendigkeit des Aufbaus eines starken und zentralisierten Koordinationssystems, das in Katastrophenfällen effektiv die Katastrophenhilfe steuert und zu den tatsächlich Bedürftigen leitet. Das IFRC betonte, dass die indische Armee hier in Zukunft eine prominentere Rolle spielen sollte und dass darüber hinaus eine langfristige Strategie der Katastrophenvorsorge mit klaren Kompetenzzuweisungen und Verantwortlichkeiten aufzubauen sei. Die größte Gefahr während des Erdbebens ging von schlecht konstruierten Gebäuden aus. So hatte das nur 20 km vom Epizentrum gelegene Dorf Dhrang keine Todesopfer zu beklagen, hingegen starben im rund 400 km entfernten Ahmedabad über 1000 Menschen. Das lag zum Teil daran, dass Immobilienunternehmen die indischen Großstädte mit dem Bau von mehrstöckigen Büro- und Wohnblocks geradezu überschwemmten. So waren die meisten der in Ahmedabad eingestürzten Gebäude innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem Erdbeben errichtet worden. Zudem besaßen von den rund tausend Wohntürmen nur zehn die Genehmigung, dass darin auch gewohnt werden durfte. Wie in anderen Ländern gab es in Gujarat Bebauungspläne, Flächennutzungsverordnungen und Kontrollvorschriften. Doch auch hier sind viele Bauunternehmer in einem Gewerbe tätig, in dem Korruption nicht selten ist und die Verflechtungen zur Politik erst nach der Katastrophe sichtbar werden. So waren viele Minister gleichzeitig an Immobiliengeschäften beteiligt oder saßen in Lenkungsausschüssen und Stadtplanungsbehörden, die wiederum für die Prüfung der Statik im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens zuständig waren. Ein großer Teil der für den Wiederaufbau bestimmten Hilfsgelder kam letztlich wieder jenen Bauunternehmen zu Gute, die für den Einsturz vieler Häuser verantwortlich waren.

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Industrieländer – wenn Schäden steigen 157 ˘ 6.9: Erhöhung der Stabilität von Gebäuden gegenüber seismischen Erschütterungen durch Verstärkung tragender Säulen aus Stahlbeton mit Metallleisten nach dem Gujarat-Erdbeben.

Insofern verwundert es nicht, dass das Nachrichtenmagazin „India Today“ in Anspielung auf die vorangegangenen Dürreperioden und Überschwemmungen zwei Wochen nach dem Erdbeben von Gujarat 2001 schrieb: „Alles schon da gewesen.“ Erdebeben in Indien

EERI (2003, 2004) IFRC (2001) ISDR (2004a) Jain, Lettis et al. (2002) Münchener Rück (2001a) National Disaster Management Division India (2004) Schneider (2004)

Foto: EERI 2004

Zusammenfassend ist die ungenügende Katastrophenvorsorge im Bereich des erdbebensicheren Bauens, vor allem der Wohngebäude, aber auch der Infrastruktur der Hauptgrund für die hohen Todesopferzahlen des Erdbebens von Bhuj/Gujarat. In den Städten werden vorhandene Bauvorschriften nicht eingehalten. Das erdbebensichere Bauen in den ärmeren ländlichen Regionen ist oftmals durch fehlende Finanzierungsmöglichkeiten behindert. In einer Region, in der das durchschnittliche Jahreseinkommen bei rund 180 Euro liegt, ist allerdings die Durchsetzung von erdbebensicheren Bauvorschriften nur im Rahmen der Entwicklung der Region realistisch. Nach der verheerenden Zyklon- und Erdbebenkatastrophe von 1999 (Orissa) und 2001 (Bhuj/Gujarat) sind intensive Aktivitäten von Seiten der indischen Regierung initiiert worden, die nationale Katastrophenvorsorge zu reformieren. Im Jahre 2002 wurden sämtliche, zum Teil fast 50 Jahre alte Gesetze und Vorschriften ersetzt. Als Folge des Erdbebens bildete sich auch die aus unterschiedlichen Vertretern zusammengesetzte „Gujarat State Disaster Management Authority“. Damit wurde der Forderung nach integrativen Kooperationen zwischen privaten und öffentlichen Institutionen Rechnung getragen. Das Komitee bündelt die nationalen Aktivitäten der wissenschaftlichen, operativen und politischen Ebenen und Institutionen. Von hoher Bedeutung ist hier der Aufbau von organisatorischen Strukturen und institutionellen Mechanismen, um von einer „Kultur der Reaktion“ zu einer „Kultur der Katastrophenvorsorge“ zu gelangen. Ein Elf-Punkte-Plan soll helfen, eine nationale Strategie der langfristigen Katastrophenvorsorge zu entwickeln. Sie umfasst ein breites Spektrum von Maßnahmen, das von der Verankerung der Katastrophenvorsorge in die Staatsverfassung bis zur Entwicklung von nationalen und regionalen Gefahren- und Risikozonenkarten reicht. Die Integration aller politischen Parteien in diesen Prozess wird in den Dokumenten des Komitees mehrfach betont. Diese positive Entwicklung wurde im Jahr 2003 belohnt. Die Partnerschaft wurde für ihre Arbeit im Bereich der Katastrophenvorsorge mit dem Sasakawa-Preis der Vereinten Nationen ausgezeichnet. Der neueste Statusbericht der indischen Regierung vom August 2004 führt aus, dass der wichtigste Schlüssel zu nationaler Katastrophenvorsorge in der Reduktion der Verletzbarkeit der Bevölkerung gegenüber allen natürlichen und technologischen Gefahrentypen liegt. Die Größe der Aufgabe, sichtbare Erfolge bis zum Jahre 2020 zu erreichen, wird deutlich, wenn man bedenkt, mit welcher Vielzahl von Gefahren das in wenigen Jahrzehnten bevölkerungsreichste Land der Erde konfrontiert ist.

Erdebeben in Indien

Disaster Mitigation and Vulnerability Atlas of India www.bmtpc.org/disaster.htm Disaster Mitigation Institute Gujarat www.southasiadisasters.net Earthquake Engineering Research Institute (EERI) www.eeri.org Gujarat State Disaster Management Authority (GSDMA) www.gsdma.org

Industrieländer – wenn Schäden steigen Hochwasser an Rhein und Elbe – Naturlandschaft versus Kulturlandschaft Überschwemmungen sind natürliche Ereignisse, die aufgrund extremer meteorologischer und hydrologischer Bedingungen im Gewässereinzugsgebiet zustande kommen. Als Bestandteil des zeitlich und räumlich außerordentlich variablen hydrologischen Kreislaufs erfüllen sie wichtige ökologische Funktionen für die gewässernahe Flora und Fauna. Durch die Zufuhr fruchtbarer Schwebstoffe bieten sie auch dem Menschen hervorragende landwirtschaftliche Bedingungen. Nicht umsonst gehören die Auengebiete entlang zahlreicher Fließgewässer zu den ältesten Kulturlandschaften der Erde, deren Hochkulturen – wie an Euphrat, Tigris, Jangtse und Nil – die Entwicklung der Menschheit entscheidend geprägt haben. Dazu zählen in Mitteleuropa der Rhein und die Elbe, an denen seit jeher Fischer, Schiffer, Bleicher, Wäscher, Müller und Schmiede aus der Ressource „Wasser“ ihren Lebensunterhalt bezogen. Jahrhundertelang ist der Großteil der natürlichen

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Überschwemmungsflächen landwirtschaftlich genutzt worden, weshalb eine zeitweise Überflutung dieser Areale erwünscht war. Ohne Hochwasserversicherung, ohne staatliche Hilfen und ohne kostspielige Schutzbauten war das Schadenspotenzial entsprechend gering. Hochwasserereignisse werden erst problematisch, wenn sie sich aufgrund der physischen Merkmale (Abfluss, Wasserstand, Überflutungsfläche und -dauer) dermaßen im Raum konzentrieren, dass sie den Menschen und seine Infrastruktur gefährden. Und dies geschieht immer öfter, da sich einerseits die Bevölkerungsdichte und das Schadenspotenzial in den Überschwemmungsgebieten sukzessiv erhöht haben und zum anderen ein folgenreicher Nutzungswandel dieser Flächen stattfand. Vor allem die Industrialisierung und der damit verbundene Bedarf an Arbeits- und Wasserkraft war eine der Antriebsfedern für die Bebauung der zumeist nahe an den alten Siedlungskernen und somit verkehrsgünstig gelegenen Flächen. Dabei wurden auch die einstigen Räume an den Gewässern in Nutzung genommen, welche die Vorgängergenerationen aufgrund der Hochwassergefährdung offen gelassen hatten. Seit der Mensch an Rhein und Elbe siedelt, beeinflusst er die Wege des Wassers in entscheidendem Maße. Durch Entwaldungen, Drainagen, Kanäle und Mäanderdurchstiche wirkte er schon frühzeitig auf das Abflusssystem der Gewässer ein. Der Hochwasserschutz, die Gewinnung von Landund Siedlungsflächen, die Verbesserung der Schifffahrt sowie die Bekämpfung der Seuchengefahr waren die vorrangigen Ziele der zahlreichen Gewässerausbauten. Vor allem großflächige Eingriffe – wie die 1684 im Auftrag von Kurfürst Friedrich Wilhelm I. veranlasste Elbbegradigung, die zwischen 1743 – 1745 geschaffene Verbindung von Elbe und Havel (Plauer Kanal), die nach Johann Gottfried Tulla zwischen 1817 und 1880 durchgeführte Rheinkorrektion oder die Einleitung der Aare in den Bieler See (I. Juragewässerkorrektion 1868 – 1891) – führten zu Wasserhaushaltsveränderungen wie der Erhöhung der Fließgeschwindigkeit, verstärkter Sohlenerosion oder Fluss- und Grundwasserspiegelsenkungen. Durch den Bau von Rückhaltebecken, Hochspeichern, Retentionswehren, Staustufen sowie durch Flächenversiegelungen und erosionsstabilisierende Maßnahmen (Einbringung von Kies) verändert der Mensch auch gegenwärtig den Zustand der Gewässersysteme nachhaltig. Am Rhein sind mittlerweile über achtzig Prozent der ehemaligen Auengebiete durch Deiche abgetrennt und neuen Nutzungen zugeführt worden. An der Elbe sind von den einstigen 6172 km2 Retentionsflächen noch 838 km2 (13,6 Prozent) verfügbar. Der Mensch hat den Flüssen ihren natürlichen Überschwemmungsraum weitgehend genommen.

Fast genauso alt wie die Nutzung der Gewässer sind auch die Maßnahmen, die der Mensch einsetzt, um sich gegen die periodisch wiederkehrenden Hochwässer zu schützen. Bautechnische Eingriffe wie die Eindeichung tiefer gelegener Siedlungen, Uferfestlegungen und Flussbegradigungen sind schon für das frühe Mittelalter punktuell nachweisbar. An der Elbe wurden bereits im 11. Jahrhundert Hochwasserdeiche gebaut und vor allem Friedrich II. von Preußen hat im 18. Jahrhundert die Hochwasserschutzmaßnahmen bis Lauenburg vorangetrieben. Im Jahr 1250 wurde in Amsterdam der erste Pegel im Rheingebiet gesetzt, die ersten regelmäßigen Wasserstandsbeobachtungen gehen auf die Mitte des 18. Jahrhunderts zurück. Seinerzeit entwickelte man auch die ersten Hochwasserfrühwarnsysteme. An beiden Flüssen haben Wachboten die Lage flussaufwärts erkundet und mittels akustischer Signale wie Sturmglocken und Kanonen sind die stromabwärts liegenden Gemeinden gewarnt worden. Heute versucht man durch die Verbesserung des natürlichen Wasserrückhalts, durch technischen Hochwasserschutz und Vorsorgemaßnahmen den Hochwasserverlauf positiv zu beeinflussen. Schutzmaßnahmen sind aber in ihrer Wirkung immer begrenzt und allein aus finanziellen und technischen Gründen ist ein absoluter Schutz vor Hochwasser nicht möglich. Große Hochwasserkatastrophen hat es an Rhein und Elbe immer gegeben. 1342, 1432, 1497 und 1784 wurden die Rheinanlieger, in den Jahren 1784, 1799, 1845 und 1890 die Bewohner an der Elbe schwer getroffen. Allein im letzten Jahrhundert hat der Rhein in Köln einundzwanzig Mal die Neun-Meter-Marke überschritten, in den letzten zwanzig Jahren sogar sieben Mal 9,35 m. Zu den letzten Extremereignissen zählen die Rheinhochwasser 1993 und 1995 sowie die Elbeflut 2002. Intensive Niederschläge mit großer flächenmäßiger Ausdehnung reduzieren die Wasseraufnahmekapazität der Böden beträchtlich. Im Rheineinzugsgebiet bringen vor allem die so genannten „zyklonalen Westlagen“ höhere Temperaturen und starke Niederschläge mit sich. An der Elbe können feuchtwarme Luftmassen aus dem Mittelmeerraum, die nördlich der Alpen auf kühlere, aus Westen kommende Luftmassen treffen („Vb-Wetterlage“), sintflutartige Regenmengen produzieren. Wenn, wie im August 2002, innerhalb von 24 Stunden auf rund 1500 km2 zwischen 180 und 240 mm Niederschlag fallen, führen die daraus entstehenden Extremabflüsse zwangsläufig zu Schäden. In Zinnwald-Georgenfeld im Erzgebirge wurde am 12. August eine Tagesniederschlagshöhe von 312 mm registriert, der höchste Tageswert seit Beginn der routinemäßigen Messungen in Deutschland.

834 864 869 886 Jan 1129 Feb 1143 Nov 1175

1100

Feb 1035 Mrz 1060 Jan 1086

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...... 904 ...... 942 ...... 968 Mrz 987

800 n. Chr. 900

...... ...... Feb Jun

1200 1300

Dez 1207 Jan 1246 Mrz 1260

Feb 1306 Dez 1322 Jul 1342 Mrz 1367 Feb 1374 Feb 1396

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Feb 1618 Jan 1624 Jan 1633 Jan 1651 Feb 1658 Feb 1665 Jan 1682 Apr 1698

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Jan 1524 Jan 1546 Jan 1552 ...... 1553 ...... 1564 Feb 1565 Feb 1571 Jan 1573 Dez 1590 Mrz 1595

1500

Feb 1408 Feb 1409 Dez 1422 Feb 1432 Feb 1458 Feb 1465 Jul 1480 Feb 1491 Feb 1496 Mai 1496 Jan 1497

1700

1800

Jan 1729 Jan 1739 Mrz 1740 Dez 1741 Mrz 1751 ...... 1776 ...... 1778 Feb 1784 Feb 1795

Angabe des Wasserstandes 1350 – 1450 cm

Dez 1819 Jan 1820 Nov 1824 Dez 1833 Feb 1844 Mrz 1845 Jan 1846 Feb 1850

1850

Feb 1862 Feb 1867 Feb 1876 Mrz 1876 Jan 1880 Nov 1882 Jan 1883 Nov 1883

1900

Jan 1920 Dez 1920 Nov 1925 Jan 1926 Jan 1948 Dez 1948

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1960

Jan 1955 Dez 1965 Jan 1966 Dez 1966 Jan 1968 Feb 1970 Mai 1970

Extreme Rheinwasserstände in Köln 834 – 2003

1970

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Feb 1980 Jan 1982 Feb 1982 Dez 1982 Apr 1983 Mai 1983 Feb 1984 Jan 1987 Mrz 1987 Apr 1988

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Feb 1990 Dez 1993 Jan 1994 Dez 1994 Jan 1995 Feb 1997 Nov 1998 Mrz 2001 Feb 2002 Jan 2003

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Eishochwasser

gemessene Wasserstände

Wasserstände nicht bekannt

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900

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¯ 6.10: Wie das Beispiel Köln zeigt, sind extreme Wasserstände am Niederrhein häufiger aufgetreten. Bei Pegelstand 7,50 m werden in der Domstadt die ersten mobilen Schutzwände aufgestellt, bei 10 m wird die Altstadt überflutet und bei 10,70 m Katastrophenalarm ausgelöst.

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160 Fallbeispiele – regionale Schicksale Einzugsgebiet Größe Topographie Gewässernetz Boden Vegetation Oberfläche Speicherung Infiltration

Gewässersystem Querschnitte Gefälle Wasseraustausch (oberirdisch-unterirdisch) Speicherung Stauregelung Abflussvermögen

Niederschlag Größe des Niederschlagsfeldes räumliche Verteilung zeitliche Verteilung Verdunstung Intensität

Risiken Havarien durch Transport Wassergüte durch Landwirtschaft und Industrie Wassertemperatur durch Kraftwerke Wassermangel durch Trinkwasserversorgung Hochwasser

Hochwasserschutz Dämme, Deiche Frühwarnsysteme Nutzungsbeschränkungen Operativer Hochwasserschutz Vorhersage, Meldedienste Versicherungen

˚ 6.11: Hochwasserflächenmanagement statt Hochwassermanagement: Nur eine ganzheitliche Betrachtung inklusive der Naturgefahr kann die Interessens- und Zielkonflikte in den Stromtälern vermindern.

Rhein und Elbe

BfG (1994, 1996, 2002) DKKV (2003a) SMUL (2003) Weichselgartner (2003)

Nutzung der Flussaue Retention Besiedlung Landwirtschaft Tourismus Industrie

Niederschläge sind allerdings nur der Auslöser für Überschwemmungen. Sie werden zu Schadensereignissen, weil der Mensch Schadenspotenziale entlang der Flüsse schafft. Durch die intensive Nutzung der gewässernahen Lebensräume hat sich das Hochwasserrisiko im letzten Jahrhundert zunehmend vergrößert. Die menschlichen Eingriffe in den Einzugsgebieten und die Einflüsse auf die Gewässersysteme können die Hochwasserabflüsse verschärfen. Andererseits sind ÜberschwemmunRhein und Elbe gen unabänderliche BeArbeitsgemeinschaft für die standteile der Natur, deReinhaltung der Elbe nen sich der Mensch in www.arge-elbe.de Bundesanstalt für Gewässerkunden Tälern von Rhein de (BfG) www.bafg.de und Elbe schwer entzieBürgerinitiative Hochwasser hen kann. Ihm bleibt Köln-Rodenkirchen www.hochwasser.de nur die Reduktion des International Rivers Network Schadenspotenzials und www.irn.org der Schadensanfälligkeit. Internationale Kommission zum Schutz der Elbe (IKSE) In den dicht besiewww.ikse.de delten und oftmals enInternationale Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) gen Flussauen entstehen www.iksr.org recht schnell Nutzungs-

Politischer Rahmen EU-Richtlinien Grundgesetz Wasserhaushaltsgesetz Bundesnaturschutzgesetz Raumordnungsgesetz Baugesetzbuch Baunutzungsverordnung Katastrophenschutzgesetze Ordnungsbehördengesetze Zivilschutzgesetz

Nutzung des Fließgewässers Trinkwasser Abwasser Kühlwasser Naherholung Transport

Anthropogene Eingriffe Entwaldung Gewässerbegradigung Verringerung Retentionsflächen Flächenversiegelung Renaturierung Rückhaltebecken und Talsperren

konflikte. Der Hochwasserschutz steht in direkter Konkurrenz zu anderen gesellschaftlichen Anliegen wie dem Naturschutz, der Landwirtschaft, dem Wohnungsbau oder der wirtschaftlichen Gewässernutzung. Darüber hinaus bewegt er sich im Spannungsfeld zwischen den Möglichkeiten einer Beeinflussung des Hochwassergeschehens und den ausgeübten Nutzungen in den hochwassergefährdeten Gebieten. Deshalb geht man heute vom reinen Hochwassermanagement zu einem Hochwasserflächenmanagement über. Die Flächenvorsorge als Teil des vorsorgenden Hochwasserschutzes ist dabei in ein übergreifendes Gesamtkonzept eingebunden. Häufig muss sich der Hochwasserschutz aufgrund des nur sporadischen Auftretens der Naturgefahr anderen Interessen unterordnen. Auch die Stadt Dresden hat ein Hochwasserschutzkonzept mit dem Schwerpunkt der Flächenvorsorge. Aber in den wilden Aufbaujahren nach der Wiedervereinigung war die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes wichtiger und so sollte auch die kleinste Gemeinde ihre eigenen Bau- und Gewerbegebiete ausweisen – wider besseres Wissen und Warnen in den bekannten Überschwemmungsgebieten der Elbe. So genehmigte 1992 das Regierungspräsidium Dresden der Gemeinde Röderau bei Riesa den Bebauungsplan für ein Gewerbe- und Wohngebiet

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in Elbnähe. Mit Hilfe öffentlicher Fördermittel entstand ein Wohngebiet, dessen längste Straße die Planer wahrheitsgemäß „An der Elbaue“ nannten. Nicht unweit davon, in der Kirche von Alt-Röderau, künden Tafeln und Schriften von früheren Überschwemmungen. Wie beispielsweise der vom 24. August 1275, als zu Bartholomäus Dörfer weggespült wurden und Menschen und Vieh ertranken. Und fast zeitgleich holte sich die Elbe am 16. August 2002 ihre alte Aue zurück. Die späte Einsicht ist mit Zusatzkosten von rund 40 Millionen Euro verbunden: Röderau-Süd wird als erster Ort in Deutschland katastrophenvorsorgend umgesiedelt. In den Flusslandschaften von Rhein und Elbe kann eine Hochwasservorsorge nur dann erfolgreich sein, wenn sie mit anderen Interessen zusammenwirkt und verschiedene Akteure über Fachund Raumgrenzen hinweg miteinander verknüpft. Sie ist eine Querschnittsaufgabe und erfordert integrierte Schutzkonzepte und damit ein hohes Maß an Kommunikation und Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren und Verantwortlichkeiten. An beiden Flüssen existieren supranationale Zuständigkeiten und Programme. Bereits am 11. Juli 1950 fand in Basel die erste Sitzung der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) statt. Einst reine „Abwasserkommission“, ist sie heute integrale Schutzkommission für den Rhein, in der alle Rheinanlieger auch hinsichtlich einer effektiven internationalen Hochwasserpolitik zusammenarbeiten. Mit dem von der IKSR ausgearbeiteten „Aktionsplan Hochwasser“ sollen bis 2020 Hochwasserspitzen um bis zu 70 cm und Hochwasserschäden um 25 Prozent reduziert werden. Nach dem Vorbild der IKSR entstand am 8. Oktober 1990 auch das östliche Pendant, die Internationale Kommission zum Schutz der Elbe (IKSE). Wie wichtig nicht nur adäquate Organisationsstrukturen des Hochwasser- und Katastrophenmanagements, sondern auch Solidarstrukturen sind, zeigen die Hochwassernotgemeinschaften und Bürgerinitiativen am Rhein. Als Kristallisationskerne lokalen Hochwasserwissens tragen die nachbarschaftlich organisierten Hilfsgemeinschaften zu einem besseren Hochwasserbewusstsein, zum Erfahrungsaustausch und zur personellen Katastrophenhilfe bei. Und da Hochwasserbewusstsein und Hochwasseranfälligkeit eng zusammenliegen, macht sich die angemessene Förderung und Würdigung des ehrenamtlichen Engagements zur Hochwasservorsorge durchaus bezahlt. Wie effizient einfache lokale Gegenmaßnahmen sind, beweisen die Schadensummen der beiden Rheinhochwässer von 1993 und 1995. Dass beim zweiten Ereignis trotz nahezu gleicher Abflüsse und Pegelstände nur rund 40 Prozent der Schadensumme

von 1993 erreicht wurde, lag mit an einem besseren Hochwasserbewusstsein: Vorsorglich wurden Öltanks gesichert, elektrische Verteiler und Geräte höher gelegt, Wände mit einem Nässe abweisenden Anstrich oder mit Fliesen versehen, Vorhersagen und Warnungen wachsam verfolgt und entsprechend ernst genommen. Speziell die letzten Hochwasserereignisse in Deutschland gingen mit einer gewaltigen Welle der Solidarität einher, die in freiwilligen Hilfseinsätzen und Millionen von Spendengeldern ihren positiven Ausdruck fand. Überschwemmungen sind auch soziale Ereignisse, die aufgrund der engen Verzahnung verschiedenster gesellschaftlicher Teilbereiche nahezu alle menschlichen Lebensräume durchdringen. Und so unterschiedlich die Hochwasserereignisse an Rhein und Elbe bezüglich ihrer meteorologisch-hydrologischen Bedingungen sind, so haben sie doch eines klar werden lassen: Der Mensch muss sich als Teil der Auenlandschaft verstehen und den Flüssen den Raum geben, der ihnen von Seiten ihres variablen hydrologischen Kreislaufs auferlegt wird. Nur durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander lassen sich zukünftige Schäden an Natur- wie auch Kulturlandschaft erträglich gestalten. Orkane über Europa – der Alptraum der Versicherungen In Europa kommt es vor allem in den Wintermonaten zu Stürmen, den so genannten „Extra Tropical Cyclones“ (ETCs). Die über dem Nordatlantik entstehenden Sturmereignisse werden durch Instabilitäten entlang der Polarfront verursacht und sind durch mehrfache Hochdruckkeile und Tiefdruckrinnen gekennzeichnet. Bis zu zweihundert solcher ETCs können während eines Winters über dem Atlantik auftreten, wobei sich meist mehrere Frontsysteme aus kalter Polarluft und aus südlicheren Gebieten kommender Warmluft bilden. Die stärksten Winterstürme entstehen, wenn der Temperaturunterschied zwischen kalten und warmen Luftmassen am größten ist. Die Windgeschwindigkeit ist im Bereich der Troposphäre in 2 – 14 km Höhe am höchsten, liegt aber dennoch unter der von tropischen Wirbelstürmen. Bei besonders extremen Sturmereignissen sind Böen im Bereich von 44 – 48 m je Sekunde möglich. Im Gegensatz zu tropischen Wirbelstürmen treffen die ETCs eine größere Fläche und schwächen sich über Land auch generell nicht ab. Der Beginn und das Ende der 1990er Jahre war in Europa durch schwere Winterstürme gekennzeichnet. Im Januar und Februar 1990 brachten die Orkane „Daria“, „Herta“, „Vivian“ und „Wiebke“ Spitzenböen bis zu 180 km/h. 54 Menschen verloren bei diesen Stürmen ihr Leben. Noch schaden-

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reicher war die Sturmserie im Dezember 1999. Die drei Stürme „Anatol“, „Lothar“ und „Martin“ trafen weite Teile Europas unterschiedlich schwer. Besonders in Dänemark und Frankreich wurden bis dahin geltende Höchstmarken von Sturmschäden jeweils um das Vierfache übertroffen. Die für Winterstürme typischen Schäden an Dächern, Fassaden, Baugerüsten und Fahrzeugen sind bei allen Stürmen im Dezember 1999 aufgetreten. Auffallend war die hohe Verletzbarkeit von Versorgungsleitungen. In Dänemark blieben mehr als 150 000 Haushalte wegen beträchtlicher Schäden an den Elektrizitätsleitungen ohne Stromversorgung. In Frankreich waren durch diese Schäden beim Sturm „Lothar“ über vier Millionen Haushalte und bei „Martin“ noch über eine Million Haushalte für mehrere Wochen ohne Strom. Außerdem waren Kommunikationsnetze wie der Mobilfunk über mehrere Tage gestört. Durch den Sturm „Lothar“ wurden in Baden-Württemberg 540 000 Kunden von der Stromversorgung abgeschnitten, die allerdings innerhalb von 24 Stunden wieder hergestellt werden konnte. Hier zeigt sich einerseits die hohe Anfälligkeit von Infrastruktureinrichtungen und Versorgungswegen („lifelines“) gegenüber Naturkatastrophen, die andererseits im Katastrophenfall von entscheidender Bedeutung für eine erfolgreiche Organisation der Katastrophenbewältigung ist. Bei den drei Orkanen im Dezember 1999 sind zudem extrem hohe Waldschäden aufgetreten. Nach Schätzungen der Schweizer Institutionen belief sich die Schadholzmenge in Europa auf 197 Millionen m3; das lag weit über der bisherigen Höchstmarke von 115 Millionen m3 im Jahr 1990. Die Orkanfolgen haben in Europa eine heftige Debatte über Fragen eines ausreichenden und verbesserungsfähigen Risikomanagements hervorgerufen, die in mehreren Publikationen und Workshops zusammengefasst worden sind. Kernpunkte waren dabei die Vorhersage von Winterstürmen durch die nationalen Wetterdienste. In einem Arbeitstreffen „Stürme über Europa – ein länderübergreifender Ansatz der Katastrophenvorsorge“ des Deutschen Komitees Katastrophenvorsorge (DKKV) im Jahre 2003 wurden die Winterstürme der Jahre 1990 bis 2002 aufgearbeitet und Empfehlungen für zukünftige Vorsorgemaßnahmen gegeben. Die Ergebnisse sind in den folgenden Aussagen zusammengefasst worden: 1. Sturmwarnung: ” Verbesserung der Sturmvorhersage und effektivere Überführung in Sturmwarnungen. ” Das vierstufige Frühwarnsystem des französischen Wetterdienstes wird für ein europaweites System empfohlen. ” Die Warnung sollte Informationen zu den Unsi-







” ”





cherheiten sowie der Entwicklung des Sturmereignisses enthalten. Es sollten rechtzeitig, schnell und standardisiert Empfehlungen über die öffentliche Reaktion auf die Warnung verbreitet werden. Die Qualität des Frühwarnprozesses sollte durch regelmäßige Übung verbessert werden. Dazu müssen die Kommunikationsketten im Detail definiert und zuverlässig sein. Maßnahmen der Vorbereitung auf das Ereignis sollten der Öffentlichkeit in Broschüren und Flyern bekannt gegeben werden. Die Qualitätskontrolle des Frühwarnprozesses sollte routinemäßig erfolgen. Das „Sprechen mit einer Sprache“ sollte das Ziel zukünftiger Sturmwarnungen sein. Die existierenden legislativen und administrativen Hindernisse sollten geprüft werden. In Deutschland sollte das Management der Sturmwarnungen in den Händen des Deutschen Wetterdienstes liegen. Der Aufbau eines Europäischen Warnzentrums könnte eine der zukünftigen Aufgaben des Deutschen Wetterdienstes ein.

2. Sturmschäden an Gebäuden, Einrichtungen der Energieversorgung und Telekommunikation: ” Die Deutsche Elektrizitätsindustrie und Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post diskutieren Szenarien zukünftiger großflächiger Stromausfälle. ” Planungen für die Vorbereitung auf den Katastrophenfall sind erforderlich. ” Es existieren besonders in Deutschland bemerkenswerte Mängel bei der regionalen und sektorspezifischen Analyse von Verletzbarkeit und Risiko. ” Es wird die Notwendigkeit eines koordinierten und europaweiten Konzeptes für den Schutz kritischer Infrastrukturen betont sowie der Einbau der Katastrophenvorsorge in die räumliche Planung. ” Die Neuformulierung der bautechnischen Norm DIN 1055-4, die Sicherheitsanforderungen von Bauwerken gegenüber der Windlast regelt, sollte in hoher Priorität und mit Bezug auf die Katastrophenvorsorge erfolgen. Dies betrifft in erster Linie die Fassadenverkleidungen und die Dächer von Gebäuden. ” Es sollte eine Naturgefahrenkarte für Windzonen entwickelt werden. Weiterhin wurde festgestellt, dass im Bereich der gesamten Katastrophenvorsorge bei Sturmgefahren die technische Kommunikation zwischen den Akteuren verbessert werden muss. Die Selbsthilfekapazitäten der Bevölkerung müssen durch klare Anweisungsrichtlinien, die durch die Behörden zu

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20° FINN-

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500 km

0 60° 60°

Helsinki

30°

LAND Reval

NORWEGEN

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RUSSLAND

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4. 12. 1999 09.00 Uhr LETTLAND

Riga

¯ 6.12: Zugbahnen der Orkane „Anatol“, „Lothar“ und „Martin“ im Dezember 1999 (Münchener Rückversicherung [2001b]), s. auch Abb. 3.8.

LITAUEN 55°

55°

Königsberg

Kopenhagen

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GROSS-

2. 12. 1999 21.00 Uhr

Belfast Hamburg

Dublin

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IRLAND BRITANNIEN London

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POLEN

DEUTSCHLAND

Brüssel

BELGIEN

LUXEMB.

Frankfurt

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München

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SLOWAKEI Budapest

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RUMÄNIEN

Zagreb

KROATIEN Mailand

O ze a n

Wien

ÖSTERREICH

Laibach

SCHWEIZ

FRANKREICH

27. 12. 1999 12.00 Uhr

45°

Prag Preßburg

Paris

LOTHAR

UKRAINE

26.12. 1999 18.00 Uhr

Luxemb.

26. 12. 1999 00.00 Uhr

Warschau

Berlin

Amsterdam

50°

Minsk

Wilna

DÄNEMARK

ANATOL

28. 12. 1999 06.00 Uhr

BOSNIENHERZEGOWINA Sarajevo

Bordeaux

Belgrad

YUGOSLAWIEN Skopje

Marseille

MONACO

ANDORRA

MAZEDONIEN Tirana ALBANIEN

ITALIEN Rom

SPANIEN Barcelona

40°

PORTUGAL

GRIECHENLAND

Madrid

Lissabon

erstellen sind, gestärkt werden. Das Versicherungswesen ist im Bereich von Sturmschäden in Deutschland, Frankreich und der Schweiz sehr weit entwickelt. Die auf dem Arbeitstreffen genannten Verbesserungen betreffen in erster Linie die Aufforderung an die Versicherten, die Deckung der Policen in Bezug auf Sturmschäden sorgfältig zu prüfen, die vermehrt vorliegenden Informationen der Vorsorge zu verwenden und die genutzten Gebäude regelmäßigen Prüfungen zu unterziehen. Sturmereignisse sind extrem komplex und betreffen zumeist mehr als eine Region gleichzeitig. Das macht die Bewertung der Naturgefahr für die Versicherungen schwierig. Generell gibt es drei Kategorien von Sturmmodellen, mit denen die Versicherungen stochastische Ereignisse erzeugen: (1) Ereignis-Parametrisierung: Das Sturmereignis wird mathematisch durch eine Reihe von Parametern beschrieben, wobei historische Daten benutzt werden, um Verteilungsfunktionen für die einzelnen Parameter abzuleiten. Die stochastischen Ereignisse entsprechen dann bestimmten Kombinationen zufällig gezogener Parameter.

M i t t e l m e e r

Palermo

(2) Ereignis-Abwandlung: Anhand vorhandener Aufzeichnungen werden alle tatsächlich in einem bestimmten Zeitraum auftretenden Sturmereignisse so vollständig wie möglich reproduziert. Jedes Ereignis wird dann abgewandelt, etwa durch Veränderung der Intensität oder der geographischen Lage, um dadurch ein stochastisches Ereignisset zu erhalten. (3) Atmosphären-Simulation: Auf der Basis von numerischen Verfahren wird das Verhalten der Atmosphäre über dem Atlantik und Europa sowie der Lebenszyklus der Sturmereignisse simuliert. Die völlig unterschiedlichen Modellierungsansätze führen zu verschiedenen Ergebnissen hinsichtlich der geschätzten Höchstschäden und der zu erwartenden relativen Schadensanfälligkeit. Die Tatsache, dass unterschiedliche Methoden zum Einsatz kommen, liegt an abweichenden Auffassungen seitens der Versicherungen darüber, welche Ansätze praktisch umsetzbar, gleichzeitig aber auch wissenschaftlich zu rechtfertigen sind. Da die Modellentwicklung grundsätzlich Kompromisse fordert, haben alle Modelle ihre Berechtigung. Erst der

Orkane über Europa

Ammann (2001) Berz (2003) DKKV (2001, 2003d) DWD (2000) Münchener Rück (1993, 2001b, 2003b) Niemann (2004) WSL & BUWAL (2001) Orkane über Europa

Guy Carpenter www.guycarp.com/portal/extranet/ index.html) Münchener Rückversicherung www.munichre.com/ Swiss Re www.swissre.com

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Eintritt des Sturms zeigt, wie nahe die Modellergebnisse an der Wirklichkeit liegen. Aus diesem Grund erstellt beispielsweise das Rückversicherungsunternehmen Guy Carpenter jährlich eine Vergleichsstudie zur Sturm-Rückversicherung in Deutschland. Erdbeben in Japan – vorhersehbar und doch unerwartet Japan liegt in einer der seismisch aktivsten Zonen der Welt. Vor der Hauptinsel Honshu treffen mehrere Kontinentalplatten und Tiefseegräben aufeinander. Erdbeben, Vulkane, Tsunamis und Thermalquellen sind die Produkte der plattentektonischen Bewegungen. Rund 170 Vulkane gibt es und von den etwa 7500 Beben, die Seismographen jährlich registrieren, sind 1500 für den Menschen fühlbar. Die Umwelt hat aber auch andere Naturgefahren den Inselbewohnern nicht vorenthalten. Während der Regenzeit im Juni treten Überschwemmungen und Hangrutschungen besonders häufig auf, im September kommen die gefürchteten Taifune noch dazu. Dreiundzwanzig waren es 2004, so viele, wie nie zuvor. Da rund zwei Drittel der Fläche Japans gebirgig und bewaldet sind, drängen sich die Menschen in den drei großen Ebenen der Hauptinsel. Fast lückenlos dehnt sich das Häusermeer über ihre größte, die Kanto-Region aus. Rund 35 Millionen Menschen leben hier im Ballungsraum Tokio. Durch die Berufspendler verdoppelt sich die Tagesbevölkerung der Hauptstadt. Ähnliches gilt für die anderen Ebenen mit ihren Zentren Nagoya und Osaka. Obgleich die drei Regionen nur etwa ein Zehntel der gesamten Inselfläche ausmachen, lebt die Hälfte der Bevölkerung Japans in diesen Ebenen. Rund 2000 Menschen sind es pro Quadratkilometer – Metropolen auf Schleudersitzen. Das Wissen um die ständige Bedrohung hat die Japaner in ihrer kulturellen Entwicklung stets begleitet. Die Ahnen glaubten, dass die Insel auf dem Rücken eines Welses ruht und die Bewegungen des Fisches für das Schütteln verantwortlich sind. Seit jeher spazieren zwei Holzstöcke aufeinander schlagende „Nachtwächter“ durch die Holzhäuserviertel und erinnern die Anwohner daran, die offenen Feuer zu löschen (heute: ihre Gashähne zu schließen). Nicht ohne Grund: Bereits kurz nachdem Edo, das heutige Tokio, seinen Dienst als Verwaltungssitz angetreten hatte, vernichtete 1657 das Furisode-Feuer („langer Kimonoärmel“) rund drei Viertel der Stadt. Auch am 1. September 1923 starben die meisten der etwa 145 000 Menschen nicht durch das große Kanto-Beben (M = 7,9), sondern durch die dadurch ausgelösten Feuerstürme. Noch heute stellen der Holzwohnungsbau und das Kochen auf offener Flamme eine enorme

Sicherheitsherausforderung für die Stadtverwaltungen dar. Als Folge des Bebens 1964 in der Region Niigata (M = 7,4) wurde der Katastrophenschutz verstärkt in die japanische Städteplanung integriert. Charakteristisch für die sechziger und siebziger Jahre sind strukturelle Großprojekte der „Katastrophenschutz-Stadtplanung“ („bosai toshi keikaku“): ausgedehnte Evakuierungsstützpunkte und Freiflächen, Hochhäuser als Brandmauern, Fluchtbasen und Vorratsdepots mit Lebensmitteln, Medizin und Löschwasser. Die makroperspektivisch von Experten konzipierten Evakuierungszentren als Leitbild des Katastrophenschutzes verloren allerdings zunehmend an Bedeutung. In Zeiten knapper Haushaltskassen sind sie aufgrund der hohen Bauund Instandhaltungskosten kaum noch durchsetzbar und vor allem flächendeckend nicht finanzierbar. Darüber hinaus wird ihr standortstrategischer Wert in Frage gestellt, da ungewiss ist, ob der Großteil der Bevölkerung die Evakuierungsflächen aufgrund der langen Fluchtwege überhaupt erreichen kann. Mit Beginn der achtziger Jahre setzten die Verwaltungen auf das bürgernahe „Katastrophenschutz-Stadtmachen“ („bosai machizukuri“) mit dem Konzept der „katastrophengeschützten Lebenskreise“. Diese kostengünstigere Erdbebenvorsorge stellt lokale Maßnahmen in den Mittelpunkt, die den Menschen im Katastrophenfall das Verbleiben in ihrer vertrauten Lebensumgebung ermöglichen sollen. So werden beispielsweise Straßenecken abgeschnitten, Katastrophenschutzgassen begrünt und mit Pumpen ausgestattet sowie kleinere Fluchtpunkte und Parks angelegt, die mit Sprinkleranlagen versehen sind. Im Gegensatz zur aufwendigeren Flächensanierung werden ausgewählte Modellprojekt-Distrikte durch gezielte Schutzmaßnahmen schwerpunktmäßig erneuert. Die Katastrophenvorsorge hat indes einen entscheidenden Nachteil: Das Verfahren braucht enorm viel Zeit. Dies liegt unter anderem an den vielfältigen Besitzund Größenstrukturen der Bodenparzellen, dem höheren Kommunikationsaufwand sowie den langwierigen Planungsschritten. Angesichts der Dringlichkeit der Erdbebenprävention kann man nur hoffen, dass die Natur mit ihren Erschütterungen den Stadtplanern ausreichend Zeit lässt. Dass Japan in Bezug auf den Katastrophenschutz eine Spitzenposition in der Welt einnimmt, liegt vor allem am Einsatz modernster Technologien, der finanziellen Förderung der Naturkatastrophenforschung sowie den strengen Bauvorschriften. Im nationalen Forschungsinstitut für Katastrophenvorsorge stehen riesige Testanlagen für fast alle Naturgefahren. Moderne Hochbauten besitzen Computeranlagen, die bei einem Erdstoß in Se-

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kundenschnelle die Belastungen des Gebäudes berechnen und tonnenschwere Gewichte auf dem Dach in Bewegung setzen, welche die Schwingungen ausgleichen. Den gleichen Effekt haben Verbindungen zwischen Hochhäusern, die wie riesige Stoßdämpfer die Schwankungen der Gebäude gegenseitig abfedern. Die junge Technik der Schwingungsdämpfung muss allerdings ihre Feuertaufe in einem Starkbeben erst noch bestehen. Auch die Schnelligkeit der heutigen Kommunikationssysteme wird ausgenutzt. In die Erde eingebrachte Beschleunigungsmesser registrieren seismische Wellen, die sich mit einer Geschwindigkeit von rund 3,7 km pro Sekunde durch die Erdkruste ausbreiten. Ein Hochleistungsrechner leitet die Warnung über Funkwellen weiter. Da diese sich etwa 100 000 Mal schneller fortbewegen als die Erdschwingungen, entsteht ein Zeitvorsprung. Je nach Entfernung vom Epizentrum ergibt sich eine Vorwarnzeit von einigen zehn Sekunden. Sie reicht aus, um Hochgeschwindigkeitszüge zu stoppen, Gas- und Wasserleitungen zu sperren, Kraftwerke und Industrieanlagen abzuschalten und in Krankenhäusern die Notstromaggregate zu starten. Die gängigste Variante, um sich vor den Auswirkungen der gefährlichen Beben zu schützen, ist das „erdbebensichere Bauen“. Durch die Berücksichtigung der dynamischen Eigenschaften eines Gebäudes wird die Architektur so konzipiert, dass das Bauwerk bei einem Beben möglichst viele Leben der darin arbeitenden und wohnenden Menschen sichert. Entscheidende Faktoren sind die Baumaterialien, die Gebäudehöhe und der Untergrund. Im Allgemeinen gilt: Je härter der Boden, auf dem ein Bauwerk steht, desto erdbebenresistenter ist es. Folglich sind die auf Schwemmland errichteten Gebäude stärker einsturzgefährdet. Aber auch auf weichem Untergrund erreichen die japanischen Bauplaner eine überdurchschnittlich hohe Erdbebensicherheit, beispielsweise indem sie dem Bauwerk eine Platte unterlegen oder es im tieferen Grundgestein verankern. Die radikalste Variante, um die Schwingungen, die sich auf ein Gebäude übertragen können, zu reduzieren, besteht in der Abtrennung des ganzen Bauwerks vom Untergrund. Dazu setzen die Ingenieure die Häuser einfach auf stoßdämpfende Gummilager. In Japan spielt der Katastrophenschutz eine bedeutende Rolle im öffentlichen Leben. Das wird besonders an den zahlreichen bereitschaftserhöhenden Maßnahmen deutlich. Fast zu jeder Naturgefahr gibt es die entsprechenden Aufklärungsbroschüren und Verhaltensfibeln. Auf Plakaten wirbt die japanische Frauenfußballnationalmannschaft für die Katastrophenvorsorge. Die Feuerwehrmänner sieht man auch sonntags ihre Übun-

Naturkatastrophenvorsorge

Risikoanalyse Ganze Bauwerke werden in Kleinformat nachgebaut und ihre Statik anschließend in Testanlagen gegen Erdbeben geprüft. Ähnliche Vorrichtungen gibt es für andere Naturgefahren. Im Windkanal werden die Aerodynamik und Anfälligkeit gegenüber Taifunen getestet. In riesigen, beweglichen und mit Sprinkleranlagen versehenen Hallen werden Hangneigungsstabilität und Bodeneigenschaften durch Berieseln von Erdhügeln untersucht. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen den Schutzmaßnahmen für Hangrutschungen und Lawinen.

Prävention Bei 7500 Beben im Jahr ist erdbebensicheres Bauen eine Selbstverständlichkeit. Auch für Hochwasser und Hangrutschungen gibt es strukturelleSchutzmaßnahmen. Die Stromkabel verlaufen oberirdisch, damit bei Katastrophen Störungen schnell identifiziert und behoben werden können. Öffentliche Lautsprecher für Warnungen, Hydranten, Feuerlöscher und Verhaltenstafeln sind fast überall zu finden.

Bereitschaft Bereitschaftserhöhende Aktivitäten sind weit verbreitet. Evakuierungsflächen sind überall ausgewiesen und schon Kinder lernen, wie man sich in Gefahrensituationen zu verhalten hat. Personen des öffentlichen Lebens – wie die Frauenfußballnationalmannschaft – werben in Kampagnen für die Katastrophenvorsorge. In lokalen Katastrophenschutzzentren wird täglich für den Ernstfall trainiert und auch die Bevölkerung wird an speziellen Tagen mit einbezogen.

gen abhalten. Im eigenen Trainingsgelände wird an Häuserimitationen das Bergen von Verletzten und das Löschen der Brände minuziös trainiert und zur kritischen Analyse auf Video aufgezeichnet. Und auch die Schulkinder lernen frühzeitig das Verhalten im Katastrophenfall. Laut einer aktuellen Studie nehmen 70 bis 80 Prozent der japanischen Pennäler an der Katastrophenausbildung teil. Am Jahrestag des Kanto-Bebens, dem 1. September, wird der Tag des nationalen Katastrophenschutzes abgehalten. Ähnlich wie es in unseren Breiten die Kirche getan hat, wird dadurch das Katastrophengedächtnis unterstützt und dem kollektiven Vergessen vorgebeugt.

˚ 6.13: Aufgrund der ständigen Bedrohung durch Naturgefahren spielt in Japan die Katastrophenvorsorge im öffentlichen Leben eine bedeutende Rolle.

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166 Fallbeispiele – regionale Schicksale

˚ 6.14: Bereits einige Jahre nach dem Erdbeben war Kobe nahezu wiederaufgebaut. Vereinzelt finden sich noch einige Lücken, in denen noch temporäre Wohnunterkünfte stehen. Hier standen einst Holzhäuser, die im Gegensatz zu den Betonbauten den Flammen zum Opfer gefallen sind.

Erdbeben in Japan

Carroll & Palm (1997) Hane (2001) Hohn (2000) Mayer & Pohl (1995) Erdbeben in Japan

Asian Disaster Reduction Center (ADRC) www.adrc.or.jp Disaster Prevention Research Institute (DPRI) www.dpri.kyoto-u.ac.jp International Center for Urban Safety Engineering (ICUS) http://icus-incede.iis.u-tokyo.ac.jp National Research Institute for Earth Science and Disaster Prevention (NIED) www.bosai.go.jp

Die Japaner wissen, dass sie jederzeit mit Erdbeben rechnen müssen. Und doch kommen diese oft unerwartet. Wie etwa am 17. Januar 1995 um 5:46 Uhr morgens. Diesmal trifft ein Beben (M = 7,2) die Stadt Kobe – zum ersten Mal überhaupt. Die Folgen der gleichzeitig horizontal und vertikal verlaufenden Erdbewegungen sind beträchtlich: etwa 6400 Tote, rund 70 000 eingestürzte Häuser und über 22 0000 Menschen, die temporär in einer der 599 Notunterkünfte leben. Die als erdbebensicher geltenden Express-Stadtautobahnen 3 und 5 stürzten komplett auf die darunter liegende Straße. Und es brannte insgesamt 175 Mal in der Stadt. Die mit über 80 Milliarden Euro bislang teuerste Naturkatastrophe in einem Gebiet, das als kaum erdbebengefährdet eingestuft wurde, hat den Japanern einmal mehr vor Augen geführt, dass es keinen absoluten Schutz vor Naturgefahren gibt. Bereits drei Jahre nach dem Erdbeben war Kobe zu 80 Prozent wiederaufgebaut. Aber Seelen lassen sich nicht so einfach reparieren wie Brücken und Straßen. Wie so häufig waren besonders ältere Menschen von den Folgen des Erdbebens betroffen. Sie leiden noch heute am Verlust ihrer gewohnten Umgebung und der mangelhaften Unterstützung. Ansteigende Arbeitslosigkeit, Missgunst zwischen Bewohnern aus unterstützten und vernachlässigten Stadtteilen sowie der Vertrauensverlust in die staatliche Fürsorge wirken bis heute nach. Das lag mitunter daran, dass die von der Regierung geplanten Wiederaufbaumaßnahmen vielfach die lokal vorhandenen Subkulturen ignoriert haben. Insofern hat das Erdbeben nicht nur Spuren in der städtischen Infrastruktur hinterlassen, sondern auch in der Gesellschaft. Erwähnenswert ist der Anstieg von Aktivitäten auf freiwilliger Basis und von Nicht-Regierungsorganisationen. Ebenso kam es zu einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen lokalen Verantwortungsträgern und Anwohnergemeinschaften, die sich nach dem Beben gebildet haben. Sie haben bewirkt, dass erst ein „People’s Rehabilitation Plan“ und darauf aufbauend der „Kobe Action Plan“ aufgestellt wurde, um die noch fehlenden 20 Prozent Wiederaufbau zu erreichen. Eine Untersuchung im besonders stark be-

troffenen Stadtteil Nishi Suma hat gezeigt, dass 60 Prozent der Bewohner sich selbst evakuiert haben und 20 Prozent von Nachbarn gerettet wurden. Auch diese Zahlen unterstreichen eindrucksvoll die Wichtigkeit und Bedeutung der lokalen Ebene für den Katastrophenschutz. Am 23. Oktober 2004 ist es wieder die Präfektur Niigata, rund 200 km nördlich von Tokio. Das schwerste Erdbeben (M = 6,8) seit Kobe fordert 40 Menschenleben, mehr als 7000 Wohnungen werden beschädigt oder zerstört, rund 100 000 Menschen sitzen in Notunterkünften fest. In den Wochen danach wurden mehr als 800 Nachbeben registriert, eines erreichte sogar 6,1 auf der Richterskala. Noch Mitte Oktober hatte ein Fachgremium für die Region eine Wahrscheinlichkeit von nur zwei Prozent für ein starkes Erdbeben berechnet. Dies ist nicht das erste Mal, dass die Experten auf dem falschen Fuß erwischt wurden. Zwei der jüngsten Großbeben haben sich an unbekannten (Northridge, USA) und wenig aktiven (Kobe, Japan) Störungsgebieten ereignet. Der Umstand, dass gerade Länder betroffen waren, die für ihr fortschrittliches Erdbeben-Know-how bekannt sind, verdeutlicht, dass unser Wissen über das Zusammenspiel der geophysikalischen Prozesse nur bruchstückhaft ist. Bislang sind sich die Experten sogar dahingehend uneinig, wie Erdbeben überhaupt entstehen. Der gängigste Erklärungsversuch deutet die Beben als Resultate von Spannungsentladungen, die sich langfristig infolge der Bewegung der Kontinentalplatten aufbauen. Da sich die Vorgänge als mechanische Spannungsenergie in der Erdkruste sammeln, soll mit zunehmender Spannung und Zeit die Wahrscheinlichkeit und Stärke eines Erdbebens steigen. Demgegenüber behaupten Anhänger der Theorie der selbst organisierten Kritikalität, dass sich praktisch jede noch so kleine Spannungsentladung zu einem Großbeben entwickeln kann. Erdbeben wären demzufolge nie vorhersagbar. Einig sind sich die Experten jedoch in einem Punkt: „The Big One“ – das große Erdbeben, das Tokio treffen wird – kommt sicher. Wann es kommt, weiß allerdings niemand.

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Aussichten – was muss getan werden? Globale Veränderungen und Naturkatastrophen – die Systeme Erde und Gesellschaft im Wandel Die globalen Veränderungen der Gegenwart und Zukunft haben einen engen Bezug zu Naturgefahren, Verwundbarkeiten und Naturkatastrophen. Erhöhte Risiken entstehen sowohl durch eine Zunahme der Frequenz und Magnitude natürlicher gefährlicher Prozesse, der verstärkten Exposition des Menschen gegenüber diesen Prozessen und durch die Erhöhung ihrer sozioökonomischen Verwundbarkeit. Allerdings sind Aussagen über die zukünftigen Entwicklungen dieser Prozesse und Phänomene mit beträchtlichen Unsicherheiten behaftet. Mit Bezug auf die globale Klimaveränderung hat das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), ein von den Vereinten Nationen eingesetztes Expertengremium, davor gewarnt, dass sich das Klima der Erde in den nächsten Jahrzehnten aufgrund der Zunahme an Treibhausgasen weiter erwärmen wird. Die Folgen wären eine Erhöhung der Luft- und Ozeantemperaturen, die Erhöhung des Meeresspiegels und die Zunahme extremer Wetterund Klimaereignisse wie Dürren, Starkniederschläge und Hitzewellen. Ein verstärktes Auftreten natürlicher Prozesse kann die Anzahl von Naturkatastrophen beträchtlich erhöhen, falls Maßnahmen zur Verringerung der Verwundbarkeit und zur Erhöhung der Anpassungsfähigkeit der menschlichen Gesellschaften ausbleiben. Die Zunahme der Risiken von Naturkatastrophen ist somit eine wichtige Begründung für die Anstrengungen der Staatengemeinschaft, eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen in die Atmosphäre zu erreichen. Andererseits sind Fortschritte eines verbesserten und umfassenden Katastrophenmanagements wichtige Bestandteile zukünftiger Anpassungsstrategien an die veränderten klimatischen Verhältnisse. Globale Veränderungen und Risiken von Naturkatastrophen sind daher die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Diese Verbindung hat noch weitere Dimensionen. Während in früheren Jahrhunderten Veränderungen von Natur, Gesellschaft und Ökonomie auf lokaler und regionaler Ebene stattfanden, wird heute zunehmend wahrgenommen, dass sich Bedrohungen in globalen Dimensionen und Distanzen entwickeln. Die ökonomische Globalisierung und die technologischen Entwicklungen haben

heute einen weltumspannenden Charakter. Großen Naturkatastrophen wie dem Erdbeben von Kobe folgten globale ökonomische Erschütterungen. Ein ähnliches Starkbeben im Großraum Tokio oder Los Angeles, das letztlich nur eine Frage der Zeit ist, würde ein ökonomisches Ausmaß erreichen, das die Welt bislang noch nicht erlebt hat. Inzwischen begreift man, dass ein natürlicher Prozess wie das El-Niño-Phänomen Auswirkungen in Form von Dürren und Überschwemmungen nach sich zieht, die von Afrika über Mittelamerika bis Südostasien und Australien reichen. Die Umweltzerstörung durch Bodenerosion und Bodendegradierung hat schon jetzt globalen Charakter mit massiven Konsequenzen für die landwirtschaftliche Produktivität und Ressourcennutzung. Durch die hohe Mobilität der Erdbevölkerung können heute neue Krankheitserreger wie Grippeviren zu weltumspannenden Epidemien führen. Eine globale Erwärmung hätte durch die Veränderung zahlreicher natürlicher und gesellschaftlicher Prozesse weitreichende Folgen für zukünftige Naturgefahren und die davon betroffenen Menschen. Trotz der großen Unsicherheiten ” über das Ausmaß der Erwärmung, ” über die Schwierigkeit ihrer Prognose ” und ihrer Konsequenzen durch einzelne Wettererscheinungen wie Sturm, Starkniederschlag oder Hitzewelle sind die allgemeinen wissenschaftlichen Zusammenhänge grundsätzlich bekannt. Es gilt als wahrscheinlich, dass höhere Lufttemperaturen zu häufigeren Hitzewellen, höheren Niederschlagsmengen, höheren Ozeantemperaturen und einen Anstieg des Meeresspiegels durch die thermische Ausdehnung der Ozeane und die Gletscherschmelze führen. Seit Beginn des letzten Jahrhunderts hat die Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche um etwa 0,6 Grad Celsius zugenommen. Die Ursachen liegen in der erhöhten Konzentration der langlebigen Treibhausgase in der Atmosphäre. Gase wie Wasserdampf, Kohlendioxid (CO2) und Methan (CH4) schützen die Erde und verhindern, dass die Wärmestrahlung der Sonne wieder ungehindert ins Weltall reflektiert wird. Dieser „natürliche Treibhauseffekt“ ist die Grundlage irdischen Lebens. Ohne diese „Heizung“ wäre die Erde eine lebensfeindliche Eiswüste mit einer Durchschnittstemperatur von –18 Grad Celsius. Seit Beginn der

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168 Aussichten – was muss getan werden? Der Treibhauseffekt

A Sonne

t

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Kurzwellige Sonnenstrahlung

o

s

p

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ä

r

e

Ein Teil der Sonnenenergie wird von der Atmosphäre und der Erdoberfläche reflektiert

Ein Teil der langwelligen Wärmestrahlung durchdringt die Atmosphäre

H AUSGASE T R E IWassBerdam pf und Spurengase absorbieren Sonnenstrahlung und geben selbst Wärmestrahlung ab

Verbrennung von fossilen Stoffen: Kohle, Gas, Öl, Benzin aus Sprühdosen, Kühl-, Löse-u. Schäummitteln

CO2 O3 FCKW

CO2 Mülldeponie

Die reflektierte Wärmestrah lung erhitzt di e Erde

Durch die Absorption der Sonnenenergie erwärmt sich die Erde

Sümpfe

Die kurzwellige Strahlung

wird umge wandelt und als langwellige Wärmes trahlung re flektiert

CH4 N2O Reisanbau, Stickstoffdüngung

CH4 N2O

CH4

E

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d

o

b

˚ 7.1: Ohne Atmosphäre würde die langwellige Wärmestrahlung ungehindert zurück ins All reflektiert werden. Die globale Durchschnittstemperatur an der Erdoberfläche wäre dann nicht + 15 Grad Celsius, sondern würde bei – 18 Grad Celsius liegen. Zur lebenserhaltenden Erwärmung des „natürlichen Treibhauseffekts“ tragen Treibhausgase wie Wasserdampf, Kohlendioxid und Ozon bei. Durch den vermehrten Ausstoß von Kohlendioxid und durch neue Stoffe wie FCKW ändert der Mensch die Zusammensetzung der Schutzhülle. Mit zunehmender Menge an Treibhausgasen verlässt immer weniger Wärmestrahlung die Erde und infolge dieses „anthropogenen Treibhauseffekts“ erhöht sich die Temperatur der unteren Atmosphäre und der Erdoberfläche.

Industrialisierung nimmt ihr Anteil aber beständig zu. So kletterte der Kohlendioxidgehalt seit 1900 von einst 280 ppm (Teile pro Million) auf mehr als 360 ppm. Der Anteil an Methan ist um 120 Prozent und der an Distickstoffoxid (N2O) um rund 10 Prozent gestiegen. Relativ geringe Mengen entscheiden über die schmale Bandbreite zwischen Normalität und Katastrophe. Die Zunahme an Treibhausgasen führt zu einer langfristigen Erwärmung der unteren Atmosphäre und der Erdoberfläche, da weniger Wärmestrahlung ins All abgegeben wird. Neben der Konzentrationsänderung spielt auch die Reaktion des Wasserkreislaufs eine bedeutende Rolle. Da viele seiner Komponenten wie Bewölkung, Wasserdampf, Nie-

e

r

f

CO2 N2O

Viehzucht

CH4

Gewinnung von Kohle, Erdöl, Erdgas

Ein Teil der wird von d Wärmestrahlun en g absorbiert Treibhausgase n und refle ktiert

l

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c

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Brandrodung

derschlag, Verdunstung, Schneebedeckung und Meereisausdehnung stark temperaturabhängig sind, kann er auf das lokale Mikroklima verstärkend oder dämpfend wirken. Eine genaue Bewertung der Temperaturänderung ist sehr schwierig, da auch die natürliche Erwärmung innerhalb eines Jahres sowie regional stark variiert. Ob die Konzentrationsänderung die Strahlungsbilanz stört, hängt von der Struktur der Atmosphäre, der Jahreszeit und vom Oberflächentyp ab. Zum heutigen Zeitpunkt können die detaillierten Folgen des anthropogenen Treibhauseffekts noch nicht vorhergesagt werden. Die bislang existierenden Klimamodelle beinhalten noch erhebliche Unsicherheiten. Wolken und Wälder beispielsweise sind Unsicherheitsfaktoren, die zwar einen entscheidenden Einfluss auf das Klima haben, sich jedoch bisher noch nicht befriedigend erfassen lassen. Sicher ist, dass sich mit der Zunahme von Treibhausgasen auch die Werte der Wasserkreislaufkomponenten, wie etwa Menge und Verteilung der Niederschläge, ändern werden. Ein Bericht des Europäischen Umweltamtes (EEA) hat die Auswirkungen und potenziellen Folgen des Klimawandels in Europa zusammengefasst. Demzufolge sind fast zwei Drittel der Naturkatastrophen seit 1980 auf atmosphärische Naturgefahren zurückzuführen. Die Experten rechnen damit,

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0° 30

W 0°

°E

3

°W

Neumayer ° 60 E

60

Kohnen

Dronning Maud Land 90° E

Südpol Dome Concordia

°W 120

Terra Nova Bay

120 °E

˘ 7.2: Die 2001 in Betrieb genommene KohnenStation in Dronning Maud Land hat Platz für bis zu 20 Forscher. Diese müssen auf 2892 m Höhe bei einer Jahresmitteltemperatur von 44,6 Grad Celsius unter Null mit nicht gerade lebensfreundlichen Umweltverhältnissen zurechtkommen. Die Concordia-Station auf 3233 m Höhe, einer durchschnittlichen Jahrestemperatur von – 54,5 Grad Celsius und Eisstärken von rund 3309 m bietet kaum andere Bedingungen. 90° W

Zeitreise ins antarktische Eis – das Klimaprojekt EPICA Für die Klimaforschung ist die Antarktis der „vereiste Schlüssel zur Erde“. Die im Eis eingeschlossenen atmosphärischen Teilchen dienen als Messinstrument für die globalen Umweltveränderungen. Wissenschaftler haben deshalb im Rahmen des Projekts EPICA („European Project for Ice Coring in Antarctica“) im Januar 1996 damit begonnen, in der Ostantarktis zwei bis zum Felsuntergrund reichende drei Kilometer lange Eiskerne zu bohren. Die Eiskerne – rund 10 cm dicke Eiszylinder die im Bohrvorgang stückweise in Längen von bis zu 3 m gefördert werden – sollen Aufschluss über das einstige Klima auf unserem Planeten geben. Unter dem Dach der Europäischen Forschungsgemeinschaft (ESF) arbeiten dreizehn Institutionen aus zehn europäischen Ländern an einem kompletten Abriss der klimatischen und atmosphärischen Veränderungen der letzten 500 000 Jahre. Aus der Analyse der chemischen Zusammensetzung und der physikalischen Eigenschaften des Eises und der darin eingeschlossenen Luft können die Wissenschaftler die Zusammenhänge zwischen atmosphärischen Prozessen und historischen Klimaveränderungen studieren. Ein Vergleich mit Bohrkernen aus dem Grönlandeis soll weitere Aufschlüsse über die klimatische Vergangenheit liefern. Die Forschungsergebnisse von EPICA werden bei der Überprüfung und Weiterentwicklung von Rechenmodellen eingesetzt, die zur Vorhersage künftiger Klimaentwicklungen verwendet werden. Finanziert werden die Bohrungen an der Concordia-Station (Dome C) und der Kohnen-Station (Dronning Maud Land) durch die beteiligten Länder und die Europäische Union, die im Januar 2001 das Projekt um weitere fünf Jahre verlängert haben. Mit Abschluss der Bohrung an der ConcordiaStation liegen erste Ergebnisse vor, die in der renommierten Wissenschaftszeitschrift „Nature“ publiziert wurden. Im Falle von Dome C reicht das eisige Klimaarchiv über 740 000 Jahre in die Vergangenheit. Damit stellt der Eiszylinder die längste kontinuierliche Klimaaufzeichnung dar, die je aus Eiskernen gewonnen wurde. Die Laboranalysen der Proben zeigen, wie sich in den vergangenen Jahrtausenden die Temperaturen geändert haben. Die Wissenschaftler sind der Ansicht, dass die Erde während der letzten 740 000 Jahre acht Eiszeiten erlebt hat. In den letzten 400 000 Jahren waren diese Perioden durch Temperaturen gekennzeichnet, die den heutigen Werten ähneln. In einem nächsten Schritt werden die Forscher die in winzigen Bläschen eingeschlossene historische Luft untersuchen, um Veränderungen der Zusammensetzung der Atmosphäre zu ermitteln. Vorläufige Analysen deuten darauf hin, dass der gegenwärtige Kohlen-

Dumont d´Urville 150

°E

°W

150 180°

dioxidgehalt in der Atmosphäre den höchsten Wert der letzten 500 000 Jahre erreicht hat. Das Verständnis der Prozesse, die in der Vergangenheit zu Klimaänderungen geführt haben, hilft den Wissenschaftlern ihre Prognosen für künftige Klimaänderungen zu verbessern. Der deutsche Partner im Projektverbund ist das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Die zum Großteil vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte Einrichtung stellt den Gesamtkoordinator von EPICA und trägt die direkte Verantwortung für die Bohrung in Dronning Maud Land. Das AWI koordiniert auch die Polarforschung in Deutschland und stellt ihren Forschungseisbrecher „Polarstern“ für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. EPICA ist eines der Kernprojekte im Rahmen des AWI-Forschungskonzeptes „Meeres-, Küsten und Polarsysteme“ (MARCOPOLI), das seinerseits im Forschungsbereich „Erde und Umwelt“ der Helmholtz-Gemeinschaft angesiedelt ist. In der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands vereinen sich 15 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren. Zu Beginn der 28. Internationalen Antarktiskonferenz im Juli 2004 kündigte Forschungsministerin Bulmahn an, dass der Bund den Bau der 26 Millionen Euro teuren neuen Polarstation Neumayer III in der Antarktis finanzieren wird. Deutschland will damit seine Spitzenstellung in der internationalen Polarforschung weiter ausbauen.

Zeitreise ins antarktische Eis …

Augustin, Barbante et al. (2004)

Zeitreise ins antarktische Eis …

Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) www.awi-bremerhaven.de EPICA-Projekt www.awi-bremerhaven.de/ GPH/EPICA/index.html European Science Foundation (ESF) www.esf.org

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˙ 7.3: Die Ärmsten in den Küsten- und Flussgebieten spüren die Folgen des Klimawandels als Erste und unmittelbar.

dass die Häufigkeit von Hochwasser, insbesondere von flutartigen Überschwemmungen weiter zunimmt. Die Zahl der Pflanzenpopulationen ist in den vergangenen 30 Jahren insbesondere in Bergregionen zurückgegangen. Einige Pflanzen werden wahrscheinlich aussterben, da durch die Zerstörung von Habitaten deren Anpassung an klimatische Veränderungen erschwert wird. In acht von neun Gletscherregionen ziehen sich die Gletscher stärker zurück als in den 5000 Jahren davor und der Meeresspiegel ist im letzten Jahrhundert um 0,8 – 3,0 mm pro Jahr angestiegen. Für dieses Jahrhundert wird mit einer zwei- bis viermal höheren Geschwindigkeit gerechnet. Die Klimaforscher prognostizieren für Europa ferner, dass die kalten Winter bis 2080 fast ganz verschwinden und heiße Sommer, Dürren und schwere Regenfälle an Häufigkeit zunehmen. Dem Bericht zufolge gibt es auch positive Auswirkungen der Klimaänderung. So hat sich die jährliche Vegetationsperiode von Pflanzen in der Zeitspanne 1962 bis 1995 um durchschnittlich zehn Tage verlängert. Dieser Zugewinn kommt den Nutzpflanzen und damit der Landwirtschaft zu Gute, insbesondere in den mittleren Breiten und in Nordeuropa. Da man davon ausgeht, dass die Vegetationsperiode noch weiter zunimmt, wird sich die bewirtschaftete Fläche wohl nach Norden hin ausdehnen. In Südeuropa hingegen muss sich die Landwirtschaft in einigen Gebieten auf Wasserknappheit einstellen. Auch Hitzewellen und Wetterextreme könnten die Anzahl von Missernten erhöhen. Andererseits haben sich die milderen Wintertemperaturen auf die Überlebensquote von in Europa überwinternden Vogelarten positiv ausgewirkt. Ihre Zahl dürfte weiter zunehmen. Global betrachtet sind nicht alle Regionen gleichermaßen von den Klimaänderungen betroffen. Besonders bedroht sind sensible Ökosysteme wie

Korallenriffe und Atolle, Mangrovenwälder, tropische Wälder, Feuchtgebiete sowie die Berg- und Polarregionen. Nach den Ergebnissen neuerer Studien hat das Eis im arktischen Ozean in den vergangenen 30 Jahren um rund 990 000 km2 abgenommen, was in etwa der Fläche von Frankreich und Spanien entspricht. Damit wäre die durch menschliche Einflüsse verursachte Erwärmung der Arktis weit schneller vorangeschritten als bislang vermutet. Ursache ist die Erhöhung der durchschnittlichen Jahrestemperatur in Alaska und Sibirien um zwei bis drei Grad Celsius in den vergangenen 50 Jahren. Während in der Arktis die Temperaturen besonders stark steigen, wird in anderen Regionen Wasser knapp werden. Vor allem in den tropischen und subtropischen Zonen werden die landwirtschaftlichen Erträge schrumpfen. Falls die Gletscher des Himalajas, die Ganges, Brahmaputra, Mekong und Jangtse speisen, verschwinden, wird die Reisproduktion entlang der großen Flüsse, die ein Drittel der Menschen mit Nahrung versorgt, innerhalb kürzester Zeit kritisch werden. Damit würde die globale Nahrungsproduktion ins Defizit abrutschen. Entlang der Küsten und in tiefer gelegenen Flussgebieten wird die Hochwassergefahr steigen. Neueste Schätzungen der Vereinten Nationen gehen davon aus, dass sich die derzeitige Zahl von einer Milliarde Menschen, die Überschwemmungen ausgesetzt sind, bis zum Jahr 2050 auf zwei Milliarden verdoppelt. Auch Krankheiten wie Malaria werden sich verstärkt ausbreiten. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass heute in zahlreichen Untersuchungen positive Trends von Wetter- und Klimaphänomenen festgestellt werden, die eine Vergrößerung der davon ausgehenden Naturgefahren nach sich ziehen können. Dazu zählen die Zunahme der globalen Niederschläge, die Zunahme der durch Dürren und/oder

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Auswirkungen von Klimaänderungen

Land- und Forstwirtschaft Tierhaltung, Pflanzenbau, Anbauflächen, Bewässerung

Naturkatastrophen Frequenz, Magnitude, Katastrophenschutz

sehr heiß

Fauna Verlust von Lebensräumen und Arten

heiß

Temperatur

warm kühl kalt

Meeresspiegelanstieg Niederschlag

Fotos: S. Alandete, A. Toko, J. Weichselgartner

Gesundheit Krankheiten, Sterblichkeit

Wasserressourcen Angebot, Qualität, Verteilung

Flora Artenvielfalt, Zusammensetzung

Küstengebiete Erosion, Überschwemmung

˚ 7.4: Veränderungen der Oberflächentemperatur, des Niederschlags und des Meeresspiegels wirken sich auf unterschiedliche Bereiche der natürlichen und sozialen Systeme aus. Die Folgen des globalen Klimawandels können bislang nur abgeschätzt werden.

extrem hohe Feuchtigkeit betroffenen Gebiete sowie die Zunahme der Winterstürme auf der Nordhalbkugel. Die Begründungen für diese positiven Trends werden wissenschaftlich intensiv diskutiert. Die grundlegende Frage ist, ob sie ein Ergebnis der natürlichen klimatischen Variabilität oder ein Indiz für die seit Beginn des 20. Jahrhunderts anhaltende Zunahme der globalen Lufttemperatur sind. Auch die Berücksichtigung der Zunahme der durch Wetter- und Klimaphänomene verursachten Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte kann nur

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mit äußerster Vorsicht als Argument für bereits sichtbare Folgen der globalen Erwärmung verwendet werden. Man weiß, dass in zahlreichen Regionen der Erde diese Zunahmen teils durch bessere Datenerfassung und teils durch eine massiv gestiegene Exponiertheit und Verwundbarkeit der Bevölkerung in Gefahrenzonen hervorgerufen wurden. Sie zeigen damit eher einen sozioökonomischen als einen klimatischen Wandel an. Auch die auftretenden Konflikte im Umfeld von Naturkatastrophen sind oftmals weniger als Anpassungsmechanismen an sich verändernde natürliche, sondern vielmehr an sich verändernde gesellschaftliche Bedingungen zu verstehen. Insofern beschreiben die Begriffe „Natur“gefahr oder „Natur“katastrophe diese durch gesellschaftliche Veränderungen hervorgerufene Zunahme nur unzureichend. Darüber hinaus sind durch menschliches Verhalten zahlreiche natürliche Ressourcen vernichtet und natürliche Prozesse oder Ökosysteme negativ verändert worden. Potenzielle Auswirkungen dieser Zerstörungen können damit ebenfalls zu einer Zunahme der Frequenz und Intensität von Naturkatastrophen beitragen, aber auch dazu, dass die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung abnimmt. Zu diesen Veränderungen gehören neben der Ausbreitung der atmosphärischen Treibhausgase vor allem die Bodenerosion durch Wasser und Wind, Bodendegradation, Entwaldung und Waldbrand, Verlust von Biodiversität auf dem Land und im Meer sowie Boden-, Wasser- und Luftverschmutzungen. Die Migration in die Küstenzonen Asiens und die Zerstörung der Mangrovenwälder, die Abholzung von Einzugsgebieten in Mittelamerika, die Besiedelung von natürlichen Überflutungsflächen der Flüsse und von instabilen Hängen oder die Überfischung der Küstenregionen der Weltmeere sind einige der in diesem Buch genannten Beispiele für die Zusammenhänge zwischen Veränderungen von Natur und Gesellschaft und ihren Verbindungen zu den Verlusten und Schäden durch „Natur“katastrophen. Erde und Gesellschaft im Wandel

Erde und Gesellschaft im Wandel

Comfort et al. (1999) DKKV (2002) European Environment Agency (2004) Fischer, Kumke et al. (2004) Fischer, Shah & Velthuizen (2002) Gethmann & Lingner (2003) Hauser (2003) Houghton (2004) IFRC (2001) IPCC (2001) KfW Entwicklungsbank (2004) McCarthy, Canziani et al. (2001) UNEP (2002)

European Environment Agency (EEA) www.eea.eu.int Global Change System for Analysis, Research and Training (START) www.start.org Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) www.ipcc.ch International GeosphereBiosphere Programme (IGBP) www.igbp.kva.se International Human Dimensions Programme on Global Environmental Change (IHDP) www.ihdp.uni-bonn.de

International Programme of Biodiversity Science DIVERSITAS www.diversitas-international.org Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) www.umweltrat.de Resources for the Future (RFF) www.rff.org Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) www.wbgu.de World Climate Research Programme (WCRP) www.wmo.ch/web/wcrp/ wcrp-home.html

Zumeist werden wir erst mit dem Eintreten einer Naturkatastrophe darauf aufmerksam gemacht, dass wir durch die Fixierung auf ihre Schäden deren zeitliche und soziale Komponenten ignoriert haben. Das liegt auch daran, dass sich die beteiligten Prozesse auf unterschiedlichen räumlichen, zeitlichen und sozialen Skalen bewegen. Diese Inkompatibilität bereitet bei der Erklärung und Analyse ausgesprochene Probleme. Naturgefahren können sich so langsam anbahnen, dass man sie kaum wahrnimmt (Bodendegradation, Dürre), oder so plötzlich auftreten (Erdbeben), dass keine Zeit für eine Reaktion bleibt. Die beteiligten physischen Prozesse können von kurzer Dauer sein (Hochwasser, Sturm) oder sich, wie die Bewegung der Platten der Erdkruste, über lange Zeiträume hinziehen, um dann ihre Wirkung in wenigen Minuten zu entfalten. Damit verbundene soziale Prozesse laufen ihrerseits auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen zeitlichen Frequenzen ab. Häufig widmen wir Naturkatastrophen kurzfristig hohe Aufmerksamkeit und vergessen sie dann doch recht schnell. Weiterhin müssen heute mit Informationen von gestern Entscheidungen für morgen getroffen werden, oftmals ohne dabei auf brauchbare Daten oder geeignete Modelle zurückgreifen zu können, da weder Zeit noch Geld ausreichend zur Verfügung stehen. Vorsorge bedeutet ja eine Investition in die Vermeidung von Schäden, die in Zukunft auftreten können. Es sind also Entscheidungen auf ungesicherter Basis zu treffen. Infolgedessen bleibt die Katastrophenbewältigung oftmals eine auf das Einzelereignis bezogene Reaktion und die Katastrophenvorsorge letztlich gesellschaftlich isoliert. Die Autoren plädieren für eine ganzheitliche Auseinandersetzung mit Naturkatastrophen, die ihre raum-zeitlichen Dimensionen mit einschließen muss. Dadurch bieten sich für Forschung und Praxis Ansatzpunkte, die sich sowohl an den auslösenden Faktoren als auch an den Vorsorge- und Bewältigungsmechanismen der Gesellschaft und ihrer Mitglieder orientieren. Dies wäre ein wichtiger Schritt in Richtung einer vorsorgenden Risikokultur.

Katastrophenvorsorge und Risikokultur – gemeinsame Zukunftsaufgabe Die Weltkonferenz der Katastrophenvorsorge („World Conference on Disaster Reduction“, WCDR), die vom 18. bis 22. Januar 2005 im japanischen Kobe stattfand, war international ein Meilenstein auf dem Weg der Katastrophenvorsorge und der Förderung der Integration der Risikoverminderung in die Entwicklungsplanung und -praxis. Mit dieser Bewertung charakterisierte das ProVention Consortium eine internationale Konferenz der Vereinten Nationen, die in einer Stadt stattfand, die

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zehn Jahre zuvor von einem verheerenden Erdbeben zerstört wurde. Mit dem Thema der Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegenüber Katastrophen auf nationaler und lokaler Ebene wurde ein globales Problem erörtert, das nicht erst seit der Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean zu den dringendsten der Weltgemeinschaft zählt. Im Kern beschreibt der so genannte HyogoRahmenaktionsplan 2005 – 2015 die Notwendigkeit, eine Risikokultur durch die Mechanismen und Aktivitäten der Katastrophenvorsorge zu etablieren. Nur dadurch kann Risikoverminderung in unserer Gesellschaft erreicht werden. Die ausdrückliche Nennung von Nation und Gemeinde („nations and communities“) soll bewusst machen, dass die Naturkatastrophenvorsorge eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, die auch die gesetzgebenden Instanzen mit einschließt. Andererseits muss Katastrophenvorsorge auf der unteren Gemeindeebene als operativ umsetzbares Prinzip erkannt und implementiert werden. Diese gesellschaftliche Spannbreite stellt ohne Zweifel eine gemeinsame Zukunftsaufgabe der Staatengemeinschaft dar. Ohne Einbindung in die lokalen Strukturen der Gemeinden als wichtigstem sozialem Netzwerk der Gesellschaft wird es in Zukunft zu keiner Verminderung der Anfälligkeit gegenüber Naturkatastrophen kommen. Die Kobe-Konferenz verfolgte drei strategische Ziele. Sie sind aus der Erwartung abgeleitet, dass in den nächsten zehn Jahren substanzielle Verminderungen der Verluste an Menschenleben und an sozialen, ökonomischen und die Umwelt betreffenden Gütern von Gemeinden und Ländern erreicht werden können. Die strategischen Ziele sind: ” Effektivere Integration der Katastrophenvorsorge in den Prozess der nachhaltigen Entwicklung und in die Planung und Programmgestaltung mit besonderer Wahrnehmung der Komponenten des Katastrophenkreislaufes. ” Stärkung der Leistungsfähigkeit der lokalen Gemeinden und ihrer Institutionen, so dass ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Katastrophen erhöht werden kann. ” Systematische Einbindung der Katastrophenvorsorge in die Katastrophenvorbereitung, die Katastrophenbewältigung und den Wiederaufbau in betroffenen Gemeinden. Der Rahmenaktionsplan umspannt ein weites Feld von Aufgaben und Maßnahmen für eine erfolgreiche Verminderung und Vermeidung von Katastrophenrisiken. In fünf Leitlinien fasst er die zentralen Schwerpunkte einer zukünftigen Strategie zusammen. Es sind dies: (1) Etablierung der Katastrophenvorsorge als nationale und lokale Priorität auf einer starken institutionellen Basis.

Integration der Katastrophenvorsorge in die nachhaltige Entwicklung

Stärkung der Widerstandsfähigkeit der lokalen Gemeinden

Katastrophenvorsorge und Risikokultur

Einbau der Katastrophenvorsorge in Katastrophenbewältigung und Wiederaufbau

(2)

(3)

(4)

(5)

Grundsatz: Länder, die Grundsätze sowie legislative und institutionelle Rahmenbedingungen für die Risikovermeidung und -verhinderung durch Katastrophen schaffen, haben auf allen Ebenen der Gesellschaft größere Leistungsfähigkeiten im Risikomanagement. Identifikation, Messung und Bewertung von Risiken und Weiterentwicklung der Frühwarnung. Grundsatz: Der Ausgangspunkt für die Verminderung von Katastrophenrisiken und zur Förderung einer Kultur der Widerstandsfähigkeit gegenüber Katastrophen liegt im Wissen über Naturgefahren und Verwundbarkeiten der Gesellschaften, die diesen Gefahren ausgesetzt sind, sowie in der Form, in der sich Gefahren und Verwundbarkeiten kurz- und langfristig verändern. Nutzung von Wissen, Innovationen und Erziehung zum Aufbau einer Kultur der Sicherheit und Widerstandsfähigkeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Grundsatz: Die Risiken durch Katastrophen können fundamental vermindert werden, wenn die Menschen gut informiert sind und die Motivation haben, eine Kultur der Katastrophenvorsorge und der Widerstandsfähigkeit aufzubauen. Dies erfordert die Aneignung und systematische Zusammenstellung von Wissen und die Verbreitung von Informationen über Gefahren, Verwundbarkeiten und gesellschaftliche Leistungsfähigkeiten. Verminderung der Risikofaktoren. Grundsatz: Risiken durch Katastrophen stehen in Beziehung zu sozialen, ökonomischen und die natürliche Umwelt betreffenden Bedingungen, die durch sozioökonomische Entwicklungsprogramme und gezielte Maßnahmen des Ressourcenmanagements verbessert werden können. Stärkung der Katastrophenvorbereitung für eine effektive Katastrophenbewältigung.

¯ 7.5: Die drei strategischen Ziele der UN-Weltkonferenz für Katastrophenvorsorge, die vom 18. bis 22. Januar 2005 in Kobe, Japan, stattfand.

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Grundsatz: Während einer Katastrophe kann der Schaden beträchtlich reduziert werden, wenn die Behörden, Gemeinden und Individuen in Gefahrengebieten ausreichend vorbereitet und gut ausgerüstet sind und über ein effektives Katastrophenmanagement verfügen. Die Prioritätenliste verdeutlicht in eindrucksvoller Weise, dass die Risikoverminderung und -vermeidung eine gewaltige gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt. In der Weiterentwicklung der naturund ingenieurwissenschaftlichen Erklärungsansätze von Naturkatastrophen der letzten Dekade stehen nun Problemfelder im Mittelpunkt, die die institutionelle Organisation der Gesellschaft, die gesellschaftlichen Bildungspotenziale, die Widerstandsfähigkeit ihrer Mitglieder und Gruppen, das Katastrophenvorsorge in Deutschland – das Strategiepapier 2004 – 2009 des Deutschen Komitees Katastrophenvorsorge (DKKV) „Einer der gravierendsten Schwachpunkte ist die unklare Zuständigkeit bei der Katastrophenvorsorge im politischen Raum.“ Mit diesem Zitat der Vorsitzenden des DKKV, Bundesministerin a. D. Dr. Irmgard Schwaetzer beim Gefahrentag am 13. Oktober 2004 in Mainz, ist eine der zentralen Aufgaben des Komitees umschrieben. Das Komitee wirkt als nationale Plattform der Katastrophenvorsorge in Deutschland und kann aufgrund seiner Struktur und Zusammensetzung die wichtigen Akteure schnell zusammenführen. Das ist in dieser Form nicht nur in Deutschland, sondern auch international einzigartig. So hat das DKKV bei der Vorbereitung des Weltgipfels für Nachhaltige Entwicklung (WSSD) in Johannesburg mitgewirkt und war an der Vorbereitung der zweiten Frühwarnkonferenz (EWC II) im Oktober 2003 in Bonn entscheidend beteiligt. Das Strategiepapier umfasst folgende Schwerpunkte: ” Politikberatung, ” Vernetzung, ” Verbesserung des Katastrophenmanagements, ” Wissensmanagement, ” Beratung der Wissenschaft aus der Praxis, ” internationales Programm zur Risiko- und Verwundbarkeitsbewertung. Zur Durchführung einKatastrophenvorsorge in … zelner AufgabenstelAuswärtiges Amt (2004) lungen in den Aktions- DKKV (2003c) feldern wird das DKKV ISDR (2004b) ein besonderes Leis- ISDR & DKKV (2004) tungsangebot entwi- Platte (2001) ckeln, für deren Umset- Schöttler (2000) zung Finanzierungen Katastrophenvorsorge in … und Zuwendungen Deutsches Komitee Katastroeingeworben werden. phenvorsorge (DKKV) www.dkkv.org

langfristige Management der Ressourcen und die sozioökonomischen Entwicklungspotenziale betreffen. Damit wird deutlich, dass die Katastrophenvorsorge in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext steht und auch in diesem Kontext wahrgenommen werden muss. In Entwicklungsländern, in denen heute über neunzig Prozent der Katastrophenopfer zu beklagen sind, ist daher die Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Gemeinden und lokalen Organisationen von zentraler Bedeutung. Um zu verstehen, warum Millionen Menschen nur geringe Widerstandsfähigkeiten gegenüber Naturkatastrophen besitzen und leicht verwundbar sind, müssen wir über das Naturereignis selbst hinausschauen und nach breiteren und vielfältigeren Einflüssen und Faktoren suchen. Diese Erkenntnis steht hinter den strategischen und aktionsbezogenen Aussagen und Maßnahmen vieler internationaler Organisationen. Ohne die Berücksichtigung der gesamten Spannweite der gesellschaftlichen Ursachen für Naturkatastrophen, das heißt der ökonomischen, sozialen, kulturellen, institutionellen, politischen und psychologischen Faktoren, die die Lebensumstände der Menschen bestimmen, werden Naturkatastrophenrisiken nicht ausreichend verstanden und vermindert werden können. Die Entwicklung einer Risikokultur, genauer gesagt der Umgang einer Gesellschaft mit den in unterschiedlichsten Bereichen auftretenden Risiken, ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Frage, ob natürliche Prozesse zur Katastrophe werden oder nicht. Dabei muss die Erkenntnis im Vordergrund stehen, dass für eine Gesellschaft eine absolute Sicherheit nicht erreicht werden kann. Eine angemessene Risikokultur erlaubt es jedoch, Risiken transparent zu machen, sie darzustellen und zu kommunizieren, so dass geeignete vorsorgende Aktivitäten und Maßnahmen für ihre Reduktion ergriffen werden können. Ein entscheidendes Element wird dabei die Zusammenführung von Katastrophenvorsorge und Entwicklung sein. Als Teil einer globalen Strukturund Friedenspolitik muss Entwicklungsarbeit zukünftig mehr denn je leisten: die Bekämpfung von Armut, Hunger und Aids, die Förderung der Menschenrechte und die Stärkung der Rechte von Frauen. Sie soll nachhaltiges Wachstum, Stabilität und demokratische Reformen fördern. Eine sinnvolle Entwicklungspolitik orientiert sich auch an Maßnahmen, die ein „gutes Regieren“ – im Fachjargon „good governance“ – unterstützen. Dazu muss auch die Katastrophenvorsorge zählen. In den letzten Jahren sind die Entwicklungshilfeetats der entwickelten Länder zwar wieder gestiegen, doch sie liegen immer noch unter dem UN-Richtwert von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens. Damit vertieft sich die Kluft zwi-

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˚ 7.6: Der Umgang mit Naturgefahren und Naturkatastrophen ist auch kulturell geprägt. Die Weitergabe von Erfahrung und Wissen an zukünftige Generationen ist ein wesentlicher Bestandteil für die Entwicklung einer auf Vorsorge basierenden Risikokultur.

schen Industrieländern und der so genannten Dritten Welt. Vor allem Entwicklungsländer sind die großen Verlierer im Globalisierungsprozess. Auf dem afrikanischen Kontinent werden 40 Prozent aller aktuellen Kriege der Erde geführt. Der Erdteil hat zudem die höchste Aidsrate. Von den 48 Staaten südlich der Sahara sind 32 sehr stark von externen Entwicklungshilfegeldern abhängig. Korruption und instabile Regierungen treiben diese Länder immer tiefer in den Ruin. Inwieweit die gesellschaftlichen Umorientierungen auch dort nicht Gemeinsame Zukunftsaufgabe

GTZ (2001, 2004b) IFRC (2004) ISDR (2004c) Middleton & O’Keefe (2003) OCHA (2004) OECD (2003) PLANAT (2004) ProVention Consortium (2004) UNDP (2004) Weltbank (2001)

Gemeinsame Zukunftsaufgabe

Büro für die Koordination Humanitärer Angelegenheiten (OCHA) http://ochaonline.un.org Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) www.undp.org Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit www.gtz.de Internationale Strategie für Katastrophenvorsorge (ISDR) www.unisdr.org ProVention Consortium www.proventionconsortium.org

nur Verlierer, sondern auch Gewinner hervorbringen werden, hängt entscheidend davon ab, wie die Menschen durch adäquate Anpassungsstrategien ihre Verwundbarkeit herabsetzen und ihre Lebenssituation verbessern können. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden es wohl diejenigen sein, die aufgrund ihrer besseren Kapital- und Wissensausstattung in der Lage sind, diese Ressourcen gezielt einzusetzen und auszunutzen.

Praktische Konsequenzen – quo vadimus? Das Seebeben im Indischen Ozean hat das fast schon vergessene Motto der Bürgerbewegungen „Global denken – lokal handeln“ eindrucksvoll untermauert. Die Flutwelle zerstörte Küsten Indonesiens, Sri Lankas, Thailands und Indiens, doch die Opfer kamen aus mehr als 50 Ländern. Eine grausame Einzigartigkeit der Tsunami-Katastrophe liegt darin, dass sie Menschen aus entwickelten und nicht entwickelten Staaten gleichermaßen ins Unglück gerissen hat. Auch deshalb war das Engagement der Staatengemeinschaft groß. Als Lehre aus dem Katastropheneinsatz in Südasien wollen die EU-Nationen ihre Nothilfe künftig enger miteinander abstimmen. Auch der Aufbau eines gemeinsamen zivilen „Krisen-Korps“ sowie eines TsunamiFrühwarnsystems für den Indischen Ozean und das Mittelmeer sind geplant.

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176 Aussichten – was muss getan werden? ˘ 7.7: Die fünf Prioritäten des Rahmenaktionsplans der Hyogo-Deklaration von Kobe.

1 Institutionelle Basis auf lokaler und nationaler Ebene

Risikobewertung und Frühwarnung

Katastrophenvorsorge und Risikokultur

5 Stärkung der Katastrophenvorbereitung

Die Verwundbarkeit …

Bankoff, Frerks & Hilhorst (2004) IFRC (2004) ISDR (2004a)

2

• Informationsaustausch • Ausbildung • Forschung

3

• Umwelt- u. Ressourcenmanagement • Entwicklung • Raumplanung 4

Die Verwundbarkeit der Lebensgrundlagen – das Beispiel Philippinen Die Verwundbarkeit zahlreicher Einwohner der Philippinen gegenüber Überschwemmungen und tropischen Wirbelstürmen wird durch drei wesentliche Gründe verursacht, wobei für viele Bewohner der unsichere Lebensunterhalt das zentrale Problem darstellt. 1. Verwundbarkeit des Lebensunterhaltes: ” Zunahme der Arbeitslosigkeit in einer schnell wachsenden Bevölkerung, ” Abhängigkeit des Handels und Geschäftsbereichs von Kunden, die in Armut leben, ” geringe Löhne, ” Abnahme der natürlichen Ressourcen (etwa Fischbestände), ” Abnahme des profitablen Reisanbaus, ” ungerechte Pachtverträge. In diesem Kontext bringt ein Hochwasser oder eine andere Naturgefahr die verdeckten Formen der Verwundbarkeit an die Oberfläche. 2. Veränderung der Nutzung der natürlichen Ressourcen: Die Entwicklungen der Städte und die Ausdehnung des kommerziellen Tagebaus und der Holzgewinnung führen zur Degradation der Umwelt. Als Konsequenz werden Hänge und Mangrovenküsten zunehmend zu risikoreicheren Regionen. 3. Verarmung und Marginalisierung der Menschen: Die armen und marginalisierten Teile der Bevölkerung haben nur begrenzten und schwierigen Zugang zu Ressourcen wie finanzielle Darlehen oder landwirtschaftliche Nutzflächen. Dies vermindert ihre Möglichkeiten zum Aufbau eines flexiblen und nachhaltigen Lebensunterhaltes. TenDie Verwundbarkeit … denziell werden ihre InPhilippine National Red Cross teressen in den politi(PNRC) www.redcross.org.ph schen Zirkeln unterreInternational Red Cross and präsentiert. Red Crescent Societies (IFRC) www.ifrc.org

Frühere Katastrophen haben auch gezeigt, dass den großherzigen Ankündigungen oftmals keine Taten folgen. So kamen nach dem Erdbeben in der iranischen Stadt Bam im Dezember 2003 von den zugesagten rund 850 Millionen Euro an Hilfe letztlich nur etwa 135 Millionen Euro an. Lange Zeit standen Millionen Euro im EU-Haushalt als Hilfe für das von Hurrikan „Mitch“ getroffene El Salvador – ohne einen Cent aus Brüssel wurde der Posten sechs Jahre später gestrichen. Momentan kann nur gehofft werden, dass sich aus der TsunamiKatastrophe und der enormen Solidarität auch eine neue Haltung gegenüber den Ärmsten der Welt ableitet. Die Selbstheilungskräfte in Asien sind weitaus größer als in Afrika. Südlich der Sahara in den Elendsquartieren des Schwarzen Kontinents wird sich der Kampf gegen Armut, Hunger, Aids und Naturkatastrophen in den nächsten Jahrzehnten entscheiden. Ausschlaggebend für das Ausmaß zukünftiger Naturkatastrophen wird sein, inwieweit die Staatengemeinschaft ihre Ankündigungen in die Praxis umsetzt. Von der konkreten Umsetzung der fünf Aktionsprioritäten des Hyogo-Rahmenaktionsplans 2005 – 2015 hängt das Schicksal vieler Menschen ab.

˚ 7.8: ISDR Logo

Wohin geht der Weg? – Ergebnisse der Weltkonferenz für Katastrophenvorsorge (WCDR) Rund elf Jahre nach der letzten großen UN-Konferenz zum Thema Katastrophenvorsorge in Yokohama sollte auf der WCDR in Kobe das bislang Erreichte auf den Prüfstand gestellt werden. Zudem sollten Themenschwerpunkte und Strategien für die nächste Dekade entwickelt werden. Dass sich trotz gleich bleibender Teilnehmerzahl die Qualität der Beiträge erhöht hat, lag einerseits daran, dass inzwischen mehr Verständnis für das Thema vorhanden war, und anderseits auch an der kurz zuvor stattgefundenen Tsunami-Katastrophe, die Verantwortlichen und Teilnehmern eindrucksvoll die Notwendigkeit zur Katastrophenvorsorge vor Augen geführt hat. Insofern war auch die Bereitschaft zur Mittelbereitstellung größer als in Yokohama. Insbesondere scheint die Einsicht vorhanden zu sein, dass die Verbindungen zwischen Katastrophenvor-

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Praktische Konsequenzen – quo vadimus? 177 ¯ 7.9: 10 Jahre nach dem schweren Erdbeben findet im japanischen Kobe die Weltkonferenz für Katastrophenvorsorge (WCDR) statt.

sorge und nachhaltiger Entwicklung sowie der Armutsbekämpfung von zentraler Bedeutung sind. Die Bundesrepublik war unter Federführung des DKKV mit zahlreichen Partnern aus Wissenschaft, Ministerien und Nichtregierungsorganisationen in Kobe stark vertreten und brachte in vier von fünf Prioritätsfeldern konkrete Beiträge ein. Darüber hinaus wurde das internationale Frühwarnprogramm von Bonn (EWC II) offiziell gestartet und das Angebot unterbreitet, eine UN-Frühwarnkonferenz in Deutschland auszurichten. Die zentralen Ergebnisse der WCDR sind in der so genannten Hyogo-Deklaration zusammengefasst, zu der auch der „Hyogo Framework for Action 2005– 2015“ zählt. Vor allem zahlreiche Vertreter der rund 120 anwesenden Nichtregierungsorganisationen kritisierten an ihr das Fehlen konkreter Verpflichtungen. Zwar wurde übereinstimmend der Aufbau eines Tsunami-Frühwarnsystems für den Indischen Ozean beschlossen, unklar blieb jedoch, ob diesbezüglich das im Pazifik vorhandene System ausgebaut wird, ein eigenes neues System aufgebaut oder sogar ein globales Frühwarnsystem geschaffen werden soll. Mehr als ein Appell an die Staatengemeinschaft, die Aktionsprioritäten des Rahmenaktionsplans umzusetzen, kann von nicht-bindenden Deklarationen nicht erwartet werden. Überdies weist der Rahmen-

aktionsplan darauf hin, dass die Nationalstaaten die primäre Verantwortung für den Schutz vor Naturkatastrophen haben. Ob dies letztlich zu einer besseren Katastrophenvorsorge auf lokaler Ebene führen wird, bleibt abzuwarten. Das gesetzte Ziel des Rahmenaktionsplans – die erhebliche Reduktion von Opfern und Schäden an sozialen, ökonomischen und natürlichen Werten durch Naturkatastrophen in den nächsten zehn Jahren – hat Jan Egeland, UN-Chefkoordinator für Humanitäre Hilfe, in seiner WCDR-Abschlussrede sogar noch spezifiziert: „Ich glaube, dass wir, wenn wir die Ziele der Hyogo-Deklaration umsetzen, die Anzahl der Opfer von Naturkatastrophen halbieren können.“

Wohin geht der Weg? …

ISDR (2004a) UNDP (2004) UNEP (2002)

Wohin geht der Weg? …

Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) www.undp.org Internationale Strategie für Katastrophenvorsorge (ISDR) www.unisdr.org Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) www.unep.org Plattform zur Förderung der Frühwarnung (UN-ISDR) www.unisdr.org/ppew

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Glossar Die nationale und internationale Verwendung der zentralen Begriffe der Thematik dieses Buches ist vielfältig. Diese Vielfalt entspringt aus unterschiedlichen Schwerpunkten und Sichtweisen der jeweiligen Akteure. Die Internationale Strategie für Katastrophenvorsorge der Vereinten Nationen (ISDR) hat einen terminologischen Katalog entwickelt, an dem sich das folgende Glossar orientiert.

A Akzeptiertes Risiko („acceptable risk“): Die Bereitschaft, das von einer Gesellschaft oder Gemeinde kollektiv oder persönlich subjektiv erkannte Risiko bewusst einzugehen und zu tolerieren. Das akzeptierte Risiko ist eng mit dem individuellen Nutzen des Risikos verknüpft. Ein Beispiel dazu ist die hohe Attraktivität von Wohnlokalitäten an den steilen Küstenkliffs im Süden San Franciscos trotz der hochgradigen Bedrohung durch Küstenerosion, Hangrutschungen und Erdbeben. Bei diesen individuellen Risikobewertungen ist der potenzielle Schaden dem persönlichen Nutzen (landschaftliche Attraktivität) untergeordnet. Anpassung („adaptation, adaptive capacity“): Die Anpassung bzw. das Adaptionspotenzial einer Gesellschaft oder Person bezeichnet die Veränderung des menschlichen Verhaltens gegenüber einer Naturgefahr. Sie wird durch technologische Fähigkeiten, die Menge und Verteilung ökonomischer Ressourcen sowie durch das Human- und Sozialkapital bestimmt. Die Risikowahrnehmung und das kollektive historische Katastrophengedächtnis beeinflussen die Anpassungsfähigkeit. Dabei unterscheidet man zwischen kurzfristigen Wahrnehmungs- und Bewertungsvorgängen („adjustments“) und langfristigen, nicht geplanten Anpassungsreaktionen („adaptations“). Allerdings nimmt der Erfahrungsschatz einer Gesellschaft nicht konstant zu. Veränderungen in der Umwelt und die Mobilität der Menschen sorgen dafür, dass Wissen unbrauchbar wird oder verloren geht, so dass die Anpassungsfähigkeit beeinträchtigt oder vermindert werden kann und die Verwundbarkeit steigt.

D Desertifikation („desertification“): Unter Desertifikation wird die nicht standortgerechte Landnutzung und die landwirtschaftliche Übernutzung in den Trocken-

E

und Halbtrockengebieten der Erde verstanden. Dies fördert die Ausbreitung wüstenhafter Verhältnisse und das Risiko, jegliche Nutzungsmöglichkeit in der Region zu verlieren.

E Entwicklungsländer („developing countries“): Als Entwicklungsländer werden Länder bezeichnet, die an den derzeitigen materiellen, sozialen und gesundheitlichen Maßstäben gemessen in ihrer Entwicklung zurückgeblieben sind. Die Vereinten Nationen unterscheiden zwischen gering, mittel und hoch entwickelten Ländern. Den Entwicklungsländern stehen die entwickelten Länder („developed countries“) gegenüber, die meist synonym als Industrieländer betitelt werden. Die Länder im Stadium zwischen Entwicklungsland und Industrieland werden als Schwellenländer, die mit den größten Rückständen als am wenigsten entwickelte Länder („least developed countries“) bezeichnet. An den Begriffen wird insofern Kritik geübt, als das Wort „Entwicklungsland“ suggeriert, dass sich das so bezeichnete Land zurzeit in Entwicklung befindet. Viele der Entwicklungsländer verzeichnen allerdings keinen Fortschritt, oftmals sogar einen Rückschritt. Die Katastrophenfolgen unterscheiden sich in Industrie- und Entwicklungsländern gewaltig. Während Industrieländer höhere ökonomische Verluste bei Naturkatastrophen erleiden und zahlreiche Maßnahmen und Systeme besitzen, um die Schäden zu vermindern (Versicherungen, operative Soforthilfe), werden Entwicklungsländer durch Naturkatastrophen um Jahre oder Jahrzehnte zurückgeworfen, erleiden extrem hohe Menschenverluste und müssen für die Entwicklung vorgesehene Finanzmittel in die Katastrophenbewältigung und den Wiederaufbau investieren. Exposition („exposure“): Unter Exposition (auch Exponiertheit, Ausgesetztsein, Gefährdungsexposition) wird eine Form und Bedingung der Verwundbarkeit verstanden. Sie bedeutet, dass bestimmte Objekte oder Eigenschaften, wie die menschliche Gesundheit, ein Wohngebäude oder eine Nutzpflanze erst unter bestimmten Bedingungen einer Naturgefahr zu Risikoelementen werden. Die Exposition kann mit der Lokalität des sozialen und materiellen Lebens und dem Kontext des menschlichen Lebensraumes beschrieben werden.

F

Darüber hinaus beschreibt die Exposition soziale Werte und Verantwortlichkeiten. So sind Frauen in bestimmten ländlich geprägten Gesellschaften gegenüber Überschwemmungsgefahren durch tropische Zyklone exponierter, da sie einen großen Teil des Tages an den Haushalt gebunden sind und die Verantwortung für die Betreuung der Kinder und der älteren Familienmitglieder haben.

F Frühwarnung („early warning“): Unter Frühwarnung wird in einer umfassenden Definition die Erstellung und effektive Nutzung von Informationen vor einem gefährlichen Ereignis mit dem Ziel der Risikoverminderung verstanden. Die Frühwarnung stellt eines der Schlüsselelemente des allgemeinen Risikomanagements dar. Damit sind Bereiche gemeint, die sowohl die Katastrophenvorbeugung und die Naturgefahrenzonierung, als auch vorbereitende Aktivitäten des Katastrophenfalles, wie die Vorhersage, die Verbreitung der Warnung und die Vorbereitung der Evakuierung betreffen. Ein gut entwickeltes Frühwarnsystem umfasst somit die zentralen Komponenten der Erkennung der Bedrohung, die Gefahrenbewertung, die Weitergabe und Kommunikation der Warnung und die öffentliche Reaktion auf die Warnung. Über Rückkopplungen werden Verbesserungen und Optimierungen der gesamten Kommunikationskette vorgenommen. Dieser komplexe Vorgang kann ohne eine Verankerung in den lokalen Gemeinden sowie ohne die Eigeninitiative und Selbsthilfe ihrer Mitglieder nicht erfolgreich sein.

G

G Gefahr („hazard“): Unter Gefahr wird allgemein eine potenziell schadenverursachende menschliche Aktivität oder ein physikalisches Ereignis bzw. Phänomen verstanden, dessen Folgen Todesopfer und Verletzungen, Sachverluste, soziale und ökonomische Störungen oder Umweltschäden und -zerstörungen sind.

H Humanitäre Hilfe („humanitarian affairs“): Die Humanitäre Hilfe beschreibt die direkte Nothilfe für Menschen, deren Überleben durch Kriege, Konflikte und Naturkatastrophen bedroht ist. Weltweit sind über 50 Millionen Menschen auf Humani-

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Glossar 179

täre Hilfe angewiesen. Humanitäre Hilfsmaßnahmen und Katastrophenvorsorge stehen in enger Verbindung. Eine durch ein angemessenes Risikomanagement gut entwickelte Katastrophenvorsorge erhöht die Widerstandsfähigkeit der Menschen gegenüber gefährlichen Prozessen. Sie sind dadurch langfristig weniger stark auf Humanitäre Hilfe angewiesen. Der Begriff der Humanitären Hilfe wird im Rahmen der in diesem Buch verwendeten Systematik für die Phase der Katastrophenbewältigung verwendet.

K Katastrophenbewältigung („response, intervention, emergency management“): Unter Katastrophenbewältigung (auch Krisenbewältigung) wird der Einsatz von Aktivitäten und Maßnahmen verstanden, die während und direkt nach Eintritt einer Naturkatastrophe ergriffen werden, um negative Auswirkungen zu begrenzen und direkte Notfallhilfe zu leisten. Wichtige Komponenten der Bewältigung sind Bergungsund Rettungsmaßnahmen („rescue and relief, response“) und begleitende Humanitäre Hilfe („humanitarian affairs“). Eine äußerst wichtige Aufgabe ist die medizinische Notfallversorgung der Verletzten und die Vermeidung von Seuchen durch Trinkwasserkontaminationen. Katastrophenhilfe („disaster relief“): Unter Katastrophenhilfe werden Maßnahmen verstanden, die die Katastrophenbewältigung betreffen, d. h. während einer Katastrophe oder direkt danach als Soforthilfe eingesetzt werden. Manchmal wird der Begriff zusätzlich auch für die sich anschließenden Wiederaufbaumaßnahmen verwendet. In Deutschland können nach Artikel 35 Grundgesetz bei besonders schweren Unglücksfällen oder Naturkatastrophen die Bundesländer die Polizei anderer Länder, die Bundespolizei oder die Streitkräfte anfordern. Katastrophenkreislauf („disaster cycle, disaster management cycle“): Der Katastrophenkreislauf bezeichnet den zeitlichen Ablauf der Aktivitäten vor und nach einem Katastrophenereignis. Er bezeichnet (1) vor dem Ereignis die Katastrophenvorsorge (Vorbeugung und Vorbereitung) und (2) nach dem Ereignis die Katastrophennachsorge (Katastrophenbewältigung, Bergungs- und Rettungsmaßnahmen, begleitende Humanitäre Hilfe und Wiederaufbau). Katastrophenmanagement („disaster management“): Unter Katastrophemanagement wird der systematische Prozess der Katastrophenvorsorge und -nachsorge verstanden, der zu einer Vermeidung und Bewälti-

gung einer Katastrophe führt. Es sind damit vorsorgende und nachsorgende Konzepte und Maßnahmen gemeint. Katastrophenrisikomanagement („disaster risk management“): Dieser Begriff wird von bestimmten Akteuren synonym mit dem Begriff „Katastrophenvorsorge“ gebraucht. Er wird deshalb verwendet, da im Rahmen des Katastrophenrisikomanagements die vorbeugende und vorbereitende Eigeninitiative der betroffenen Bevölkerungsgruppe in Kombination mit der Risikoanalyse und -bewertung erfolgen kann. Katastrophenschutz („disaster protection“): Katastrophenschutz bezeichnet die unmittelbare Vorbereitung auf den Katastrophenfall und die Minderung der Folgen einer eingetretenen Katastrophe. In Deutschland umfasst der Katastrophenschutz Maßnahmen der Länder zur Verhinderung, Abwehr und Beseitigung von Katastrophen oder ihren Folgen. Der Bund ergänzt die Ausstattung des Katastrophenschutzes der Länder mit Einsatzfahrzeugen und einer Ausbildung für die besonderen Gefahren, die im Verteidigungsfall drohen. Im Sinne der in diesem Buch gefolgten Systematik werden mit dem Begriff die beiden Komponenten der Katastrophenvorbereitung und der Katastrophenbewältigung zusammengefasst. Der Begriff des Katastrophenschutzes wird manchmal auch nur für die unmittelbare Vorbereitung auf den Katastrophenfall verwendet. Katastrophenvorbereitung („preparedness, preparation“): Unter vorbereitende bzw. bereitschaftserhöhende Maßnahmen fallen alle kurzfristigen Aktivitäten, die es erlauben, schnell und effektiv auf eine drohende Katastrophe zu reagieren. Ein wichtiger Bestandteil der Bereitschaft sind Notfallpläne, die Verfügbarkeit von Rettungsund Notfalldiensten, die medizinische Notfallversorgung, die Verbreitung von Informationen durch Warnungen und die Verfügbarkeit von Mitteln der Kommunikation. Katastrophenvorbeugung („prevention“): Die Katastrophenvorbeugung umfasst Aktivitäten und Maßnahmen mit dem langfristigen Ziel, einer Naturkatastrophe und ihren Folgen vorzubeugen und einen permanenten Schutz vor ihren Wirkungen bereitzustellen. Die Maßnahmen können baulich-technischer (Deiche) und normativ-immaterieller (Landnutzungsbeschränkungen) Natur sein. Ein wichtiges strategisches Ziel der Katastrophenvorbeugung dient dazu, künftige Risiken in den Gefahrenzonen zu vermeiden oder zu vermindern. Daher müssen nach Naturkatastrophen vorbeugende Maßnahmen in den Wiederaufbauprozess integriert werden.

Katastrophenvorsorge („disaster reduction, disaster risk reduction, disaster mitigation“): Systematischer und konzeptioneller Rahmen bzw. ein Paket von einander abhängigen Maßnahmen, die vor Eintritt einer Naturkatastrophe mit dem Ziel ergriffen werden, negative Auswirkungen auf die Gesellschaft oder die Umwelt zu begrenzen oder auszuschalten. Die Katastrophenvorsorge umfasst die Vorbeugung und die Vorbereitung auf den Katastrophenfall.

M Maßnahmenplanung: Unter Maßnahmenplanung werden strukturelle und nichtstrukturelle Aktivitäten der Katastrophenvorsorge verstanden. Strukturelle Maßnahmenplanung beinhaltet den technischen Schutzbau, der die Konstruktion gefahrenresistenter Gebäude und Infrastrukturen, den Schutzdeichbau und andere technische Schutzeinrichtungen umfasst. Nichtstrukturelle Maßnahmenplanungen beziehen sich auf die Bewusstseinsbildung, Ausbildung, politische Aktivitäten, Verpflichtungen der Öffentlichkeit und operative Maßnahmen einschließlich der Mechanismen der Selbsthilfe und der Bereitstellung von Informationen, die insgesamt zu einer Risikoverminderung oder -vermeidung führen und vorsorgend wirken.

N Nachhaltige Entwicklung („sustainable development“): Eine Entwicklung gilt dann als nachhaltig, wenn sie den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne dabei die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, deren eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Katastrophenvorsorge ist ein Bestandteil der weiterreichenden Strategie der Nachhaltigen Entwicklung. Die soziale, ökonomische und ökologische Entwicklung von Nationen und Gemeinden ist ein entscheidender Hebel für die Reduzierung der Risiken von Naturkatastrophen und damit ihrer nachhaltigen Entwicklung. Nachhaltiger Lebensunterhalt („sustainable livelihood“): Das Konzept des Nachhaltigen Lebensunterhaltes beschreibt das Potenzial, die Kompetenz, die Kapazität und die Stärke einer Gesellschaft, Person oder allgemein eines Systems. Es werden damit eher die Aktivposten oder Aktiva als die Schwächen und Bedürfnisse der Gemeinschaft oder Person betont und hervorgehoben. Der Ansatz basiert auf unterschiedlichen Aktivposten („assets“) und Stärken, die wesentlich für die Sicherung des Lebensunterhaltes sind: Stärken des Naturraumes (Wasser, Böden, Flüsse, Wälder,

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Rohstoffe), finanzielle Stärken (Sparguthaben, Einkommen, Pensionen, Kredite), Stärken in der Ausbildung und der menschlichen Gesundheit (Wissen, Fertigkeiten, Gesundheit, physische Konstitution), Stärken der sozialen Gemeinschaft (Netzwerke, Beziehungen, Zugehörigkeit, Vertrauen) und Stärken von Infrastruktur und Versorgung (Verkehrsinfrastruktur, Transportmittel, Schutzeinrichtungen, Wasserversorgung, Gesundheitswesen). Naturereignis („natural event“): Als Naturereignis bezeichnet man das Auftreten natürlicher Prozesse wie Überschwemmungen oder Vulkanausbrüche. Im engeren Sinne kann ein Naturereignis nur dann zur Naturkatastrophe werden, wenn es sich negativ auf den Menschen oder von ihm geschaffene Werte auswirkt. Erst bei Überschreitung eines bestimmten Schwellenwerts wird ein Naturereignis als Gefahr betrachtet. Dieser Schwellenwert ist bei Individuen bzw. Gesellschaften unterschiedlich ausgeprägt und kann sich im Laufe der Zeit ändern. Naturgefahr („natural hazard“): Naturgefahren sind Naturereignisse, die vom Menschen als potenzielle Bedrohung für Leben und Eigentum betrachtet werden, da Eintrittshäufigkeit oder Ausmaß eine bestimmte Toleranzgrenze überschreiten. Ein drohendes Naturereignis, wie etwa eine Überschwemmung auf Grönland oder ein Erdbeben in der Wüste, wird nicht als Naturgefahr bezeichnet, da weder Menschen noch Güter gefährdet sind. In einer enger gefassten Definition wird unter einer Naturgefahr die Wahrscheinlichkeit eines zukünftig auftretenden, schadenerzeugenden natürlichen Ereignisses in Raum und Zeit verstanden. Naturgefahrenanalyse („natural hazard analysis“): In der Naturgefahrenanalyse werden Naturgefahren nach transparenten und möglichst normierten Verfahren modelliert, bewertet und dargestellt. Die Darstellung kann in Form räumlicher (Naturgefahrenkarten) und/oder zeitlicher (Zeitreihen) Naturgefahrenwahrscheinlichkeiten erfolgen. Grundlagen bilden Erscheinungsformen der gefährlichen Prozesse, von denen die Plötzlichkeit des Ereignisbeginns, die Häufigkeit und Stärke und die räumliche Verteilung primäre Bedeutung haben (Erdbebenmagnitude, Überflutungshöhe, Ablagerungsgebiet von Sediment, Prozessdauer, Vorwarnzeit). Eine weitere Bewertung der Naturgefahr kann durch die Wirkung bzw. Intensität des Prozesses auf die Risikoelemente (Menschen, Gebäude, Infrastruktur, Nahrungsmittel) erfolgen. Die Saffir-Simpson-Hurrikanskala zeigt beispielsweise potenzielle Schäden sowie bestimmte Evakuie-

rungsmaßnahmen im Katastrophenfall an. Das Ergebnis der Naturgefahrenanalyse sind Gefährdungsstufen, die als eine der Grundlagen des Risikomanagements, etwa in der Raumplanung, genutzt werden. Naturkatastrophe („natural disaster“): Unter einer Naturkatastrophe wird eine schwere Störung und schwerwiegende Veränderung der Tätigkeiten, Aufgaben und Ziele einer Gemeinde oder Gesellschaft durch den tatsächlichen Eintritt eines extremen natürlichen Prozesses verstanden. Die Auswirkungen führen zu ausgedehnten materiellen, ökonomischen oder den Naturraum betreffenden Schäden, die massive soziale Folgen nach sich ziehen. Entscheidend ist, dass bei Naturkatastrophen die Fähigkeit der betroffenen Gemeinde oder Gesellschaft, die Krise mit eigenen Mitteln zu überwinden, nicht mehr möglich und Hilfe von außen erforderlich ist. Der Zeitraum, in dem Naturkatastrophen auftreten können, reicht von wenigen Sekunden (Erdbeben) bis zu Jahren (Dürre). Eine Naturkatastrophe bzw. das Ausmaß einer Naturkatastrophe ist Folge eines nicht ausreichenden Risikomanagements und eine Kombination der Naturgefahr mit der Verwundbarkeit der Menschen und Sachgüter. Oftmals sind die Fähigkeiten oder Maßnahmen ungenügend, die potenziellen negativen Konsequenzen eines vorliegenden Risikos zu reduzieren. In diesem Sinne kann eine Naturkatastrophe als gesellschaftlich mitverursacht verstanden werden. Naturrisiko („natural risk“, vgl. Risiko): Risiko, das durch natürliche Prozesse und Phänomene erzeugt wird. Im Gegensatz zum Begriff „Naturgefahr“ umfasst das Naturrisiko auch die anthropogenen Wechselwirkungen, die durch einen natürlichen Prozess wie Hochwasser ausgelöst bzw. begünstigt werden. Vor allem Sozialwissenschaftler unterscheiden zwischen externen Gefahren und Risiken, die an menschliche Entscheidungen gebunden sind. Notfallvorsorge: Der in Deutschland verwendete Begriff bezeichnet die nicht verteidigungsbedingten staatlichen und staatlich gelenkten Vorsorgemaßnahmen für einen Notfall. Nothilfe: Als Nothilfe werden in Deutschland alle Hilfsmaßnahmen bezeichnet, die von der Bundeswehr, der Bundespolizei und dem Technischen Hilfswerk aus dringendem Anlass ohne vorheriges Hilfeersuchen der zuständigen Katastrophenschutzbehörde durchgeführt werden.

P Partizipative Risikobewertung („participative risk analysis“): Die potenziell von Katastrophen betroffene Bevölkerung ist bei

den unterschiedlichen Schritten der Risikoanalyse und -bewertung in entscheidendem Maße beteiligt.

R Risiko („risk“): Unter Risiko versteht man allgemein die Wahrscheinlichkeit, dass sich durch unerwünschte Ereignisse Schäden für den Menschen, Sachgüter und die Natur ergeben. Es existiert eine große Spannbreite von Risiken, die sich in folgende Gruppen einteilen lassen: ” natürliche Risiken (Überschwemmung, Dürre, Tsunami), ” gesundheitliche Risiken (Verletzungen, Epidemien), ” gesellschaftliche Risiken (Krieg, Terrorismus, Kriminalität), ” wirtschaftliche Risiken (Arbeitslosigkeit, Wachstumseinbruch, technologische Katastrophe), ” politische Risiken (Staatsstreich, Versagen von Sozialprogrammen), ” ökologische Risiken (Umweltverschmutzung, Atomunfall), ” technologische Risiken (Chemieunfall, Freisetzung genmanipulierter Pflanzen). Bei der speziellen Thematik der Katastrophenvorsorge wird der klassische Risikobegriff aus der Verbindung von Naturgefahr und Verwundbarkeit in der Form „Risiko = Naturgefahr × Verwundbarkeit“ abgeleitet. Danach wird unter Risiko die Wahrscheinlichkeit verstanden, mit der Schäden für Mensch und Eigentum durch ein natürliches Ereignis entstehen können. Eine Erweiterung des Risikobegriffs kann durch die Kategorie der Exponiertheit, des Ausgesetztseins, erfolgen. Die aus der Versicherungswirtschaft stammende Risikoformel „R = W × S“ fokussiert den Grad der Wahrscheinlichkeit W und die Folgen S (Todesopfer, Verletzte, Sachschäden, ökonomische Verluste, Umweltschäden). Hiernach ist das Risiko ein Produkt aus der Eintrittswahrscheinlichkeit (einer Naturgefahr) und der Schadenserwartung. Dagegen werden Risiken in der sozialwissenschaftlichen Risikoforschung oder der Raumordnung einem Entscheider zugeordnet. Das bedeutet, dass der Entscheider Optionen besitzt, bestimmte Risiken einzugehen oder auch nicht. Risiken sind somit von individuellen und gesellschaftlichen Entscheidungen abhängig. Setzt sich der Betroffene einer Gefahr aus, ist das Risiko an das eigene Verhalten gekoppelt. So könnte beispielsweise ein Tourist, der ausreichende Kenntnisse über eine TsunamiGefahr und des lokalen Katastrophenmanagements einer Küste besitzt, die persönliche Entscheidung treffen, das Risiko eines Urlaubsaufenthaltes einzugehen, falls er

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nicht durch die lokale Aufsichtsbehörde daran gehindert würde. Allgemein bezeichnet der Begriff das selbstreferentielle Potenzial struktureller Unwahrscheinlichkeiten und Unsicherheiten für ein Individuum, eine Gesellschaft oder ein System. Um Regionen gegenüber Risiken resistent zu machen, ist ein räumlich differenziertes System der individuellen und gesellschaftlichen Verantwortung notwendig, das nur in einem Risikodiskurs erreicht werden kann. Risikoanalyse („risk analysis“): In der Risikoanalyse wird die bewertete Naturgefahr (in Raum und Zeit) mit der Verwundbarkeit der Risikoelemente verknüpft. Wird die Verwundbarkeit in Form eines potenziellen ökonomischen Schadens ausgedrückt (Schadensfunktion des Risikoelements), entstehen durch die räumliche Verschneidung Risikokarten, die das ökonomische Sachrisiko oder das Todesfallrisiko darstellen. Die Risikoanalyse versucht daher, numerische Risikowerte zu ermitteln. Der Begriff wird von einigen Akteuren auch mit der partizipativen Risikoanalyse und -bewertung gleichgesetzt. Risikobewertung („risk assessment“): In der Risikobewertung werden die Defizite des Schutzes der Risikoelemente vor den gefährlichen Prozessen und Phänomenen an den verfolgten Schutzzielen gemessen. Die Risikobewertung muss im konkreten Kontext einer Gefahrensituation gesehen werden, wobei gesellschaftliche, politische, kulturelle und ökonomische Kriterien integriert werden müssen. Die ökonomisch orientierte Risikobewertung verknüpft Schadenshäufigkeit und Schadensausmaß, um etwa die jährliche Schadenserwartung zu ermitteln, die bei der Entwicklung von Maßnahmenplanungen für die KostenNutzen-Analyse Verwendung findet. Die Risikobewertung erfolgt bei den Akteuren des Risikomanagements auf Basis sehr unterschiedlicher Kriterien, wie der sozioökonomischen Kosten-Nutzen-Beziehung, des akzeptierten Risikos oder der Priorität von Maßnahmen. So bewertet der Landwirt, der in einer vulkanischen Gefahrenzone aufgrund der Fruchtbarkeit der Böden seine Felder hat, das Risiko individuell anders als der Risikomanager, der Evakuierungspläne des Gebietes zu entwickeln und anzuwenden hat. Die Risikobewertung ist damit nur schwer objektivierbar und vom sozialen oder funktionalen Kontext der Akteure abhängig, die äußerst unterschiedliche Sichten auf die Naturgefahr und die verfolgten Schutzziele haben können. Risikobewusstsein („risk awareness“): In der Naturrisikoforschung bezeichnet der Begriff die Aufnahme von risikorelevanten

Informationen sowie deren Wahrnehmung, Interpretation, Auswahl und Organisation. Risikokarten („risk maps“): Räumliche Darstellung der durch die Risikoanalyse ermittelten Risikowerte eines Gebietes unterschiedlicher Ausdehnung (Stadtteil, Gemeinde, Bundesland, Staat). Risikokommunikation („risk communication“): Austausch von Informationen, Meinungen, Bewertungen und Wahrnehmungen über Risiken. Dieser Austausch erfolgt zwischen allen Akteuren des Risikomanagements, d. h. den potenziell Betroffenen, Behörden sowie wissenschaftlichen und operativen Experten. Eine funktionierende Risikokommunikation ist in allen Phasen des Katastrophenkreislaufes einer der entscheidenden Schlüssel für ein erfolgreiches Katastrophenmanagement. So wird ein Frühwarnsystem für Tsunamis nur dann Erfolg haben, wenn die Weitergabe der Warnung die potenziell Betroffenen schnell und in klarer Formulierung erreicht. Risikokultur („culture of risk“): Die Risikokultur ist der Umgang einer Gesellschaft mit den in unterschiedlichsten Bereichen auftretenden Risiken. Im Zentrum stehen an verschiedenen Schutzzielen orientierte Fragen der Sicherheit der Gesellschaft und ihrer Mitglieder sowie der verfügbaren oder zukünftigen Sachwerte. Dabei steht die Erkenntnis im Vordergrund, dass für eine Gesellschaft eine absolute Sicherheit nicht erreicht werden kann. Eine angemessene Risikokultur erlaubt es, Risiken transparent zu machen, sie darzustellen und zu kommunizieren, so dass geeignete vorsorgende Aktivitäten und Maßnahmen für ihre Verminderung und Vermeidung ergriffen werden können. Risikomanagement („risk management“): Das Risikomanagement bezeichnet die methodische und operative Umsetzung der Aktivitäten und Maßnahmen des Katastrophenkreislaufs mit dem Ziel der Reduzierung von potenziellen Schäden an Mensch und Eigentum. Dies erfolgt durch die Komponenten der Risikoanalyse, der Risikobewertung und der gezielten Maßnahmenplanung mit dem Ziel einer umfassenden Katastrophenvorsorge. Der systematische und integrale Prozess des Risikomanagements beruht auf administrativen Organisationen und ihren Entscheidungen sowie wissenschaftlichen und operativen Kenntnissen und Kapazitäten, um Bewältigungsstrategien und politische Strategien auf nationaler und internationaler Ebene einzurichten und durchzusetzen. Das übergeordnete Ziel des Risikomanagements ist die größtmögliche Effektivität und Transparenz im Umgang mit Risiken.

Risikowahrnehmung („risk perception“): Mit diesem Begriff bezeichnet man das Erkennen und Empfinden von risikorelevanten Informationen und Situationen. Nicht alle Sinnesreize sind Wahrnehmungen, sondern nur die, die geistig verarbeitet werden. Da der Wahrnehmungsprozess von Mensch zu Mensch variiert, werden auch Naturrisiken unterschiedlich wahrgenommen.

S Schutzkommission beim Bundesminister des Innern: Die Schutzkommission ist auf der deutschen Bundesebene angesiedelt. Sie ist eine zum Schutz der Zivilbevölkerung eingesetzte Kommission beim Bundesminister des Innern. Sie berät die Bundesregierung in wissenschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Fragen des Schutzes der Zivilbevölkerung. Die Schutzkommission liefert fachliche Beiträge zum Bevölkerungsschutz und trägt zum Forschungsmanagement bei. Weiterhin berät sie die Politik mit Risikoanalysen, Handlungsempfehlungen zum Bevölkerungsschutz und bei der Forschungsplanung. Sie gibt den Gefahrenbericht heraus (Bericht über mögliche Gefahren für die Bevölkerung bei Großkatastrophen und im Verteidigungsfall). Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und Katastrophenschutz (SKK): Die SKK versteht sich als ein in Deutschland von den Hilfsorganisationen gegründetes integratives Gremium der interdisziplinären Zusammenarbeit aller am Katastrophen- und Zivilschutz Beteiligten. Die SKK bildet ein freiwilliges Forum zum politisch-fachlichen Meinungs- und Erfahrungsaustausch. Zu den Mitgliedern gehören Behörden, Organisationen und wissenschaftliche Institutionen, die Aufgaben im Zivil- und Katastrophenschutz wahrnehmen. Damit sollen allgemeingültige und möglichst bundesweite Empfehlungen entwickelt und bereitgestellt werden.

T

T Technologische Gefahren („technological hazards“): Gefahren in Verbindung mit technologischen oder industriellen Unfällen, dem Zusammenbruch der Infrastruktur oder bestimmten menschlichen Aktivitäten mit Todesopfern oder Verletzungen, Sachschäden, sozialen und ökonomischen Störungen oder Umweltzerstörungen.

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U Umweltzerstörung („environmental degradation“): Durch menschliches Verhalten verursachte Phänomene, die natürliche Ressourcen zerstören oder natürliche Pro-

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zesse oder Ökosysteme negativ verändern. Beispiele sind die globale Erwärmung, Bodenerosion und -degradation sowie die Luft- und Gewässerverschmutzung. Durch Umweltzerstörung kann das Risiko einer Naturkatastrophe erhöht werden.

V Verwundbarkeit („vulnerability“): Mit Verwundbarkeit (auch Verletzbarkeit, Vulnerabilität) bezeichnet man die Anfälligkeit einer Person, Gesellschaft, Infrastruktur, eines Systems oder allgemein eines Raumes gegenüber einer spezifischen Naturgefahr mit einer bestimmten Ereignisstärke. Soziale, ökonomische, technische oder natürliche Faktoren bestimmen über den Grad der Verwundbarkeit, der durch entsprechende Maßnahmen reduziert werden kann. Man unterscheidet zwischen einer sozialen, ökonomischen, technischen und auf die natürliche Umwelt bezogenen Verwundbarkeit. Obwohl der Begriff in der Verwundbarkeitsforschung ursprünglich nur für gesellschaftliche und kulturelle Phänomene verwandt wurde, wird er heute allgemein für alle durch Naturgefahren bedrohte Risikoelemente verwendet.

W Widerstandsfähigkeit („resilience“): Die Widerstandsfähigkeit beschreibt die Kapazität und Selbsthilfefähigkeit eines Systems, einer Person, Gemeinde oder Gesellschaft,

die einer Naturgefahr ausgesetzt sind, einer drohenden Katastrophe zu widerstehen. Die Widerstandsfähigkeit wird durch verschiedene Aktivitäten der Anpassung an die Naturgefahr und durch Veränderungen der Strategien und Maßnahmen der Katastrophenvorsorge erreicht. Das Ziel liegt im Erhalt und in der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Systems. Der Erfolg der Erhöhung der Widerstandsfähigkeit wird daran gemessen, ob sich das soziale System selbst organisieren kann, um aus früheren Katastrophen Lehren zu ziehen und damit zukünftigen Naturereignissen verbessert begegnen zu können. Die Widerstandsfähigkeit beschreibt und misst daher die Aktiva einer Person oder Gesellschaft. Wiederaufbau („recovery, reconstruction“): Der Wiederaufbau folgt im Katastrophenkreislauf der Katastrophenbewältigung. Dabei wird der von der Naturkatastrophe betroffene Raum wiederhergestellt und aufgebaut. Die Akteure des Risikomanagements müssen angemessene Lehren aus der Naturkatastrophe ziehen und Kriterien und Maßnahmen der Katastrophenvorsorge in den Wiederaufbauprozess integrieren. Leider war und ist dies häufig nicht der Fall, obwohl durch den Eintritt einer Naturkatastrophe Wissen vorliegt, mit dem zukünftige Maßnahmen für die Risikovermeidung und -verminderung weit gesicherter geplant und verwirklicht werden können.

Z Zivilschutz („civil protection“): Im internationalen Sprachgebrauch werden unter Zivilschutz sämtliche Maßnahmen des Staates verstanden, die die Bevölkerung vorbereitend vor Gefahren schützen und eine eingetretene Krise bewältigen. In Deutschland wird der Begriff im Rahmen der zivilen Verteidigung verwendet und basiert auf Artikel 73.1 des Grundgesetzes, wonach der Bund für die Verteidigung sowie den Schutz der Zivilbevölkerung verantwortlich ist. Im Kriegsfall wird der Einsatz der operativen Hilfsdienste erforderlich (Technisches Hilfswerk, Hilfsorganisationen, Feuerwehren). Der Zivilschutz in Deutschland umfasst öffentliche und private Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung in einem Verteidigungsfall. Der Gesetzesvollzug erfolgt überwiegend durch die Bundesländer. Die Aufgaben des Bundes werden vom Bundesministerium des Innern, von anderen Ministerien im Rahmen ihrer Zuständigkeiten, vom Bundesverwaltungsamt und vom Technischen Hilfswerk wahrgenommen. Die Gefahrenabwehr im Frieden und die Beseitigung von Schäden im Katastrophenfall oder in ähnlichen Notlagen sind Aufgaben der Länder, die hierfür den Katastrophenschutz zur Verfügung stellen.

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Register A adaptive capacity (s. Anpassungsstrategien) adaptives Bauen 146 Afrika 47 – 50, 117, 137 Aids 103 Altersstruktur 106 Anpassungsstrategien 144 – 146, 178 Antarktis 169 Armut 113 – 116 – Ressourcenansatz 113 – Lebenslagenansatz 115

B Bangladesch 151 Beaufortskala 37 Bevölkerungsentwicklung 106 – 109 Bildung 123 – 126

D Demographie (s. Bevölkerungsentwicklung) Desertifikation 178 Deutschland 37, 133, 139 –142 Dinosaurier 87 DKKV (Deutsches Komitee Katastrophenvorsorge) 130, 174 Drei-Säulen-Modell 146 Dürren 43 – 50 – Frühwarnung Afrika 49 – Gefahrenkarte 46 – Gefahrenkarte Nahrungssicherheit 50 – historische 91 – Hungerkatastrophen 47 – hydrologische Dürre 46 – Index 46 – landwirtschaftliche Dürre 47 – meteorologische Dürre 45 – Nahrungssicherung 47 – Sahel 48 – Typen 45 DWD (Deutscher Wetterdienst) 39

E Elbe 53, 157 E-Learning (electronic learning) 126 England 82 Entwicklungshilfe 174–175 Entwicklungsländer 106, 147, 178 entwicklungsorientierte Nothilfe 142

Erdbeben 62 –70 – erdbebensicheres Bauen 69, 143, 146, 157 – Frühwarnung 70 – Gebäudeinstabilität 66, 156 – Gefährdung 64 – historische 92 – Indien 155 – Intensität 63 – Japan 93 – 94, 164 – Magnitude 62 – Mercalliskala 63 – Richterskala 63 – seismische Gefahrenkarte 66 Ernährungssicherung 116 Europa 36, 40, 66, 161– 163 Exposition 128, 178

F Florida 32 Flüchtlinge 112 Frühwarnung 132 – 135, 178 – integrative Konzeption 134 – Vorwarnzeiten 23 – Warnkette 134 Frühwarnkonferenz 2003 (EWC II) 135

G Gefahr 178 gemeindeorientierte Katastrophenvorsorge 138, 151 – 154 global cities 112 globale Veränderungen (globaler Wandel) 18, 167 –172 – globale Erwärmung 168 – Meeresspiegel 170 – Naturkatastrophen 167 – Treibhauseffekt 168 – Umweltzerstörung 172 geologisch-geomorphologische Naturgefahren 61 – 86 – Erdbeben 62 – Massenbewegungen 81 – Tsunamis 75 – Typen 62 – Vulkaneruptionen 70 Golf von Mexiko 33 Ground Zero (09/11) 26 – 28 GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) 142 – 143

H Hangrutschungen (s. Massenbewegungen) Häufigkeit von Naturkatastrophen 15 Heuschreckengefahren 137

Hilfsorganisationen 120 – 123 Hitzewellen 39 – Frühwarnung 41 – 42 – Index 41 – Todesopfer in Europa 40 – Vorsorge 41 – 20. Jahrhundert 40 Hochwasser (s. Überschwemmungen) Human Development Index (s. Index der menschlichen Entwicklung) humanitäre Hilfe 116 – 117, 139, 141 – 142, 178 Hunger 116 – 119 Hurrikane 32 hydrologische Naturgefahren 42 – Dürren 43 – glaziologisch-kryosphärische Gefahren 43 – Typen 43 – Überschwemmungen 43, 51

I IDNDR (Internationale Dekade zur Reduzierung von Naturkatastrophen) 15 Index der menschlichen Entwicklung 115 Indien 69, 118, 151, 155 Indischer Ozean 11 Internet 105, 125 ISDR (Internationale Strategie für Katastrophenvorsorge) 18, 132, 172, 176

J Japan 68, 80, 92 – 93, 110, 164

K Kalifornien 84 – 85 Katastrophenbewältigung 128, 139 –142, 179 Katastrophenhilfe 122 –123, 136, 139 – 140, 179 Katastrophenkreislauf 127, 179 Katastrophenmanagement 127, 179 Katastrophennachsorge 128 Katastrophenrisikomanagement 127, 179 Katastrophenschutz 127, 136 – 138, 141, 179 Katastrophenvorbereitung 127, 136, 179 Katastrophenvorbeugung 127, 131, 179

Katastrophenvorsorge 18, 127, 131 – 136, 179 – sozioökonomische Entwicklung 174 – UN-Rahmenaktionsplan 173 –174 Klimaänderung 167–172 kognitive Dissonanz 104 Kolumbien 143 Krisen und Konflikte 17 – Andhra Pradesh 118 – Ernährung 116 – Sahel 48 – Sudan 13 – 14 Küstenschutz 61, 80 – 81

M Massenbewegungen 81 – 86 – Gefahrenkarte 85 – Risikoelemente 85 – Typen 83 Maßnahmenplanung 127–130, 179 Medien 119 –120 Megapolisierung 108 Megastädte 14, 107 – 110 Mekong 147 –151 meteorologische Naturgefahren 31– 42 – Hitzewelle 39 – tropische Wirbelstürme 32 – Typen 31 – Winterstürme 36 Mexiko 88 Millenniumsgipfel 114 Mittelmeer 77 Mount St. Helens 72 – 73

N nachhaltige Entwicklung 144 –146, 179 nachhaltiger Lebensunterhalt 44 – 47, 179 Naturereignis 19, 21, 180 Naturgefahren 22, 31, 180 – Analyse 180 – Bewertungsfaktoren 23 – Prozessdauer 23 – Typen 22 – 23 Naturkatastrophe 127, 180 – historische 87 – 94 – Schadensentwicklung 15 – 17 – Todesopfer 24 Naturkatastrophenmanagement 19, 30 – naturwissenschaftliche Ansätze 21

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– sozialwissenschaftliche Ansätze 25 – transdisziplinäre Problematik 19 natürliche Prozesse 21 Naturrisiko 26, 29, 180 Nevado del Ruiz 74 Nigeria 108 – 109 Noah-Flut-Hypothese 87 Nordsee 58, 60 Notfallvorsorge 180 Nothilfe 128, 139 –142, 180

O Oder 121 – 122 Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) 141 Orkan (s. Winterstürme)

P Palmer-Dürre-Index 46 partizipative Risikobewertung 127, 144, 151, 180 Pazifik 71, 79

R Raumplanung 57, 130 – 132 resilience (s. Widerstandsfähigkeit) Rettungswesen 139 Rhein 55, 89, 157 Risiko 26, 180 – akzeptiertes 178 – Analyse 128, 181 – Ansätze 29 – 30 – Bewertung 128 – 131, 181 – Bewusstsein 101 – 101, 129, 181 – Karten 55, 181 Risikokommunikation 29, 181 Risikokultur 127, 172, 181 Risikomanagement 128 – 131, 181

Risikowahrnehmung 99 – 105, 129, 181 – Faktoren 100 – Forschung 29 – Mittelrheinisches Becken 102

S Saffir-Simpson-Hurrikanskala 34 Schadenentwicklung 15 – 17 Seattle 78 Selbsthilfe 131 Slums 111 sozialwissenschaftliche Risikoansätze 25 – 30 Sturmfluten 57 – 60 – Frühwarndienste 59 – Gefahrenkarte Nordsee 60 – Gefahrenstufen 59 – historische 88 – Küstenschutzmanagement Schleswig-Holstein 61 Sudan 13

T technologische Gefahren 22, 181 Teotihuacán 88 THW (Technisches Hilfswerk) 67, 140 Treibhauseffekt 168 tropische Wirbelstürme 32 – Bangladesch 153 – Frühwarnung 33 – Golf von Mexiko 32 – historische 91 – Hurrikan 32 – Hurrikangefahrenkarte 35 – Hurrikankategorie 34 – Indien 151 – Karibik 32 – Katastrophenvorbereitung 36 – Schadenspotenziale 33 – Taifun 32 – Zyklon 151 – Zyklonenschutzbau 35, 153

Tsunamis 11, 75 – 81 – Atlantik 77 – biologischer Küstenschutz 81 – Frühwarnung 78 – 81 – Gefahrenkarte 78 – historische 90 – Indischer Ozean 11 –12, 76 – 81 – Küstenschutz 80 – 81 – Mittelmeer 76 – 77 – Tourismus 12 – Wellengeschwindigkeit 76

U Überschwemmungen 51 – 57 – Elbe 56, 157 – Flussverbau 158 – Gefahrenkarte Bangladesch 153 – historische Überschwemmungen 52 – 53, 87– 88 – historische Überschwemmungen Elbe 52 – 53 – historische Überschwemmungen Rhein 89, 159 – Hochwasserflächenmanagement 160 – Mekong-Delta 147 – Oder 121–122 – Raumordnung 57 – Retentionsraum 128 – Rhein 157 – Schadenkarte 55 – Sturmfluten 57 Umweltzerstörung 22, 172, 182 United Nations (s. Vereinte Nationen) Urbanisierung (s. Verstädterung) USA 42, 46

V Vereinte Nationen 20, 114, 131, 141, 173 –174

Verstädterung 107– 112 Verwundbarkeit 94 – 99, 128, 176, 182 – Bewertung 98 – Einflussfaktoren 95 – Philippinen 176 Vulkaneruptionen 70 –75 – Explosionsindex 71 – Frühwarnung 74 – Gefahrenkarte 74 – Gefahrentypen 70 – historische 91 – pyroklastischer Strom 72 – Ring des Feuers 71 Vulnerabilität (s. Verwundbarkeit)

W Wahrnehmung (s. Risikowahrnehmung) WCDR (Weltkonferenz für Katastrophenvorsorge, Kobe-Konferenz) 172, 176 –177 Wetterwarnung 133 Widerstandsfähigkeit 95, 129, 182 Wiederaufbau 128, 142 – 144, 182 Winterstürme 36 – Europa 161 – Frühwarnung 162 – Risikoelemente 38 – Sturmkategorie 37 – Vorsorge 39 – Wettervorhersage 39 Wissen 123 –126

Z Zivilschutz 136, 182 Zyklon (s. tropische Wirbelstürme)