Dativ, Bindung und Diathese 9783110347739, 9783110347609, 9783110578898

In its versatilility the German dative is a poorly understood area of grammatical research. This study develops the firs

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German Pages 370 Year 2014

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Table of contents :
Teil I: Einleitung
1 Untersuchungsgegenstand: Die freie Dativdiathese des Deutschen
1.1 Traditionelle Konzepte und traditionelle Terminologie
1.2 Das Kriterium für freie Dative
1.3 Der theoretische Vorrang freier Dative
1.4 Heuristische Dativtypen – die „Testbatterie“
2 Theoretischer Rahmen
2.1 Syntaktische Grundlagen
2.2 Semantische Grundlagen
2.3 Lambda-Kalkül
2.4 Typen von Funktionen und Ontologie
2.5 Ereignissemantik (Sachverhaltssemantik)
2.5.1 Ereignisse (Sachverhalte), Situationen und mögliche Welten
2.5.2 Thematische Relationen und Ereignissemantik
2.5.3 Annahmen zum Verhältnis von Kasus und thematischen Relationen
3 Aufbau und Gebrauch der Studie
3.1 Aufbau der Studie
3.2 Gebrauch der Studie je nach Erkenntnisinteresse
Teil II: Freie Dative und Bindung
4 Bindung
4.1 Einleitung
4.2 Deskriptive Generalisierungen zur Bindung
4.2.1 Strict identity vs. sloppy identity
4.2.2 Bindungsgeneralisierungen aus der Perspektive des gebundenen Ausdrucks
4.2.3 Bindungsprinzipien A, B und C: Das Bindungsverhalten von sich selbst, sein/ihr, schwed. sin, er/sie/es und definiten DPs
4.2.4 Bindungsgeneralisierungen aus der Perspektive des Prädikats
4.2.5 Semantische Reflexivierung und neodavidsonische Agensabtrennung
4.3 Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese
4.3.1 Einleitendes zum Forschungskontext
4.3.2 Agensabtrennung und Reflexivität
4.3.3 AGENS-Valenz im Verb vs. AGENS-Valenz im Diathesemorphem
4.3.4 Modellierung I: Das Reflexivum als Reflexivierungs- Prädikat
4.3.5 Modellierung II: Reflexivität als Quantorenanhebung mit Prädikatsabstraktion und Bindungsprinzip A (Heim & Kratzer 1998)
4.3.6 Modellierung III: Reflexivität ohne Quantorenanhebung, mit Binderregel und mit einer Variante der Prädikatsabstraktion (Büring 2005a,b)
4.3.7 Modellierung IV: Diathetische AGENS-orientierte Reflexivität mit reflexiver Binderregel und Prädikatsabstraktion unter den Bedingungen der AGENS-Abtrennung
4.3.8 Die Reflexivitätsmodellierungen im Vergleich
4.3.9 „Binde lokal!“
4.3.10 Indizierung in der Syntax nur für Pronomina
4.3.11 Das allgemeine Format der diathetischen Binderregel (BR-X)
4.3.12 Passiv, Medium etc
4.3.13 Zusammenfassung der Bindungstheorie
5 Freie Dative müssen binden
5.1 Dativbindung intuitiv
5.2 Dative müssen binden
5.2.1 Test A: strict identity vs. sloppy identity
5.2.2 Test B: Akkommodationszwang durch Dativbindung
5.3 Modellierung der Dativbindung – Dativ-Diathesemorpheme und Bindung
5.3.1 Dativ-Diathesemorpheme und die Binderregel für die Dativdiathese
5.3.2 AFFIZIERTEN-Dative
5.3.3 P-EXPERIENCER-Dative
5.3.4 LANDMARKEN-Dative
5.3.5 Zu-steil/süß-Dative
5.3.6 Zusammenfassung der Bindungsmodellierung für die freie Dativdiathese
6 Dative müssen lokal binden
6.1 Lokale Dativbindung intuitiv
6.2 Lokale Dativbindung – die deskriptiven Generalisierungen
6.2.1 Es gibt Lokalitätseffekte bei Dativbindung
6.2.2 Tempusdomänen begrenzen lokale Dativbindung
6.2.3 Lokalität der Dativbindung und bridging
6.3 Die Modellierung der Lokalität von Dativbindung
6.3.1 Lokalität der Dativbindung
6.3.2 Nicht-lokale Bindung durch freie Dative
6.3.3 Zusammenfassung der Lokalitätsmodellierung
7 Rösslsprungbindung: Die Randbindungsbedingung
7.1 Die Randbindungsbedingung intuitiv
7.2 Die Randbindungsbedingung – die deskriptiven Generalisierungen
7.2.1 Evidenz für die Randbindungsbedingung I – lokal gebundene Possessor- und Nutznießervariablen vs. andere gebundene Variablen in Koargumenten
7.2.2 Evidenz für die Randbindungsbedingung II – Ausweichlesarten bei kookkurrierender Wh-Bindung
7.3 Die Modellierung der Randbindungsbedingung
8 Syntax und Semantik von Possessum- und Zweckausdrücken als Bindungsziele der freien Dativ-Diathese
8.1 Einleitendes
8.2 Bindungsziele – die deskriptiven Generalisierungen
8.2.1 Deskriptive Generalisierungen zur Possessorbindung
8.2.2 Deskriptive Generalisierungen zur Nutznießerbindung I
8.2.3 Deskriptive Generalisierungen zur Nutznießerbindung bei zu-steil/süß-Dativen (dativus iudicantis)
8.3 Die Modellierung der Bindungsziele
8.3.1 Die Modellierung von Possessumausdrücken
8.3.2 Die Modellierung von Zweckphrasen I: verbale Prädikate
8.3.3 Die Modellierung von Zweckphrasen II: zu-steil/süß-Prädikate
9 Zusammenfassung von Teil II: Freie Dative als Exponenten einer lokalen Bindungsdiathese mit Rösslsprungsyntax
Teil III: Freie Dative und thematische Eigenschaften
10 Zwei unterschiedliche thematische Relationen für freie Dative – die P-EXPERIENCER-Relation
10.1 Die Intuition hinter den zwei unterschiedlichen thematischen Relationen für freie Dative
10.2 Zwei unterschiedliche thematische Relationen für freie Dative – die deskriptiven Generalisierungen
10.2.1 Es gibt einen kategoriellen Unterschied der thematischen Relationen für freie Dative
10.2.2 Arten der Wahrnehmungszuschreibung an Referenten allgemein
10.2.3 Präsupponierte Wahrnehmungsfähigkeit und implizierte Sachverhaltswahrnehmungsmöglichkeit bei P-EXPERIENCER-Dativen
10.3 Die Modellierung der p-experiencerschaft
11 Die LANDMARKEN-Relation von Dativen
11.1 LANDMARKEN-Dative intuitiv
11.2 LANDMARKEN-Dative – die deskriptiven Generalisierungen
11.2.1 Sprachlich kodierte Figur-Grund-Konfigurationen als situierte Zustände
11.2.2 LANDMARKEN-Dative und lokativische PPs: Ähnlichkeiten und Unterschiede
11.2.3 Abschluss nach oben: Dativreferenten sind „Ganze“
11.2.4 LANDMARKEN-Dative und das rekursive Format der mit ihnen einhergehenden Gestaltgliederung
11.2.5 Nicht-DP-wertige primäre Figuren und intermediäre Grundgeber
11.2.6 Zusammenfassung der deskriptiven Generalisierungen zu LANDMARKEN-Dativen
11.2.7 Exkurs: „Echte“ Malefaktivität vs. runterfallen
11.2.8 Exkurs: Gestaltpsychologische Kategorien, thematische Prädikate, Präsuppositionen und Informationsstruktur
11.3 Die Modellierung der LANDMARKENschaft
12 Kreuzklassifizierende Dimensionen: Sachverhaltsstruktur, thematische Beteiligung und Bindungsziele
12.1 Die kreuzklassifizierenden Dimensionen intuitiv
12.2 Empirische Generalisierungen zur Interaktion von Sachverhaltsstruktur, thematischer Beteiligung und Bindungszielen
12.2.1 Kreuzklassifizierende Dimensionen I: Sachverhaltsstruktur und P-EXPERIENCERschaft
12.2.2 Kreuzklassifizierende Dimensionen II: LANDMARKENschaft und davidsonische Argumenthaltigkeit
12.2.3 Klassifikation freier Dative nach thematischer Beteiligung und Bindungsziel
12.3 Die Modellierung der kreuzklassifizierenden Dimensionen
13 Zusammenfassung von Teil III: Syntax und Semantik von P-EXPERIENCER und LANDMARKE
Teil IV: Freie Dative des Deutschen im Kontext
14 Konkurrierende Forschungstraditionen
14.1 Freie Dative und „Possessoranhebung“
14.1.1 Das Ellipse-Argument
14.1.2 Das Informationsstatus-Argument
14.1.3 Das spellout-Argument
14.2 Freie Dative und Applikativtheorien
14.2.1 Applikative bzw. freie Dative als natürliche Klasse
14.2.2 Wahrheitsbedingungen
14.2.3 Thema-Abtrennung
14.3 Bindungsansätze
14.3.1 Bindungsansätze für nicht-deutsche Daten
14.3.2 Brandt (2003, 2006): Eine Bindungsanalyse für deutsche Dative
15 Übereinzelsprachliches und Historisches
15.1 Übereinzelsprachliches
15.2 Historisches
16 Ausblick
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Dativ, Bindung und Diathese
 9783110347739, 9783110347609, 9783110578898

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Inhalt Teil I: Einleitung 1 1.1 1.2 1.3 1.4 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3

3 3.1 3.2

Untersuchungsgegenstand: Die freie Dativdiathese des 3 Deutschen Traditionelle Konzepte und traditionelle Terminologie 11 Das Kriterium für freie Dative 14 Der theoretische Vorrang freier Dative 17 Heuristische Dativtypen – die „Testbatterie“

6

23 Theoretischer Rahmen 23 Syntaktische Grundlagen 25 Semantische Grundlagen 26 Lambda-Kalkül 29 Typen von Funktionen und Ontologie 32 Ereignissemantik (Sachverhaltssemantik) Ereignisse (Sachverhalte), Situationen und mögliche 32 Welten 39 Thematische Relationen und Ereignissemantik Annahmen zum Verhältnis von Kasus und thematischen 42 Relationen 45 Aufbau und Gebrauch der Studie 45 Aufbau der Studie Gebrauch der Studie je nach Erkenntnisinteresse

47

Teil II: Freie Dative und Bindung 4 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3

4.2.4

Bindung 51 51 Einleitung 51 Deskriptive Generalisierungen zur Bindung 51 Strict identity vs. sloppy identity Bindungsgeneralisierungen aus der Perspektive des 56 gebundenen Ausdrucks Bindungsprinzipien A, B und C: Das Bindungsverhalten von sich selbst, sein/ihr, schwed. sin, er/sie/es und 62 definiten DPs Bindungsgeneralisierungen aus der Perspektive des 71 Prädikats

VI  Inhalt 4.2.5 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5

4.3.6

4.3.7

4.3.8 4.3.9 4.3.10 4.3.11 4.3.12 4.3.13 5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5

Semantische Reflexivierung und neodavidsonische 73 Agensabtrennung 75 Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese 75 Einleitendes zum Forschungskontext 76 Agensabtrennung und Reflexivität AGENS-Valenz im Verb vs. AGENS-Valenz im 77 Diathesemorphem Modellierung I: Das Reflexivum als Reflexivierungs80 Prädikat Modellierung II: Reflexivität als Quantorenanhebung mit Prädikatsabstraktion und Bindungsprinzip A 82 (Heim & Kratzer 1998) Modellierung III: Reflexivität ohne Quantorenanhebung, mit Binderregel und mit einer Variante der 88 Prädikatsabstraktion (Büring 2005a,b) Modellierung IV: Diathetische AGENS-orientierte Reflexivität mit reflexiver Binderregel und Prädikatsabstraktion 91 unter den Bedingungen der AGENS-Abtrennung 95 Die Reflexivitätsmodellierungen im Vergleich 102 „Binde lokal!“ 105 Indizierung in der Syntax nur für Pronomina Das allgemeine Format der diathetischen Binderregel 107 (BR-X) 109 Passiv, Medium etc. 112 Zusammenfassung der Bindungstheorie Freie Dative müssen binden 116 116 Dativbindung intuitiv 118 Dative müssen binden 120 Test A: strict identity vs. sloppy identity 123 Test B: Akkommodationszwang durch Dativbindung Modellierung der Dativbindung – Dativ-Diathesemorpheme 128 und Bindung Dativ-Diathesemorpheme und die Binderregel für die 129 Dativdiathese AFFIZIERTEN-Dative 130 P-EXPERIENCER-Dative 134 LANDMARKEN-Dative 135 136 Zu-steil/süß-Dative

Inhalt

5.3.6

 VII

Zusammenfassung der Bindungsmodellierung für die freie 137 Dativdiathese

6 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3

139 Dative müssen lokal binden 139 Lokale Dativbindung intuitiv 139 Lokale Dativbindung – die deskriptiven Generalisierungen 140 Es gibt Lokalitätseffekte bei Dativbindung 142 Tempusdomänen begrenzen lokale Dativbindung 145 Lokalität der Dativbindung und bridging 148 Die Modellierung der Lokalität von Dativbindung 149 Lokalität der Dativbindung 151 Nicht-lokale Bindung durch freie Dative 153 Zusammenfassung der Lokalitätsmodellierung

7 7.1 7.2

155 Rösslsprungbindung: Die Randbindungsbedingung 155 Die Randbindungsbedingung intuitiv Die Randbindungsbedingung – die deskriptiven 155 Generalisierungen Evidenz für die Randbindungsbedingung I – lokal gebundene Possessor- und Nutznießervariablen vs. andere gebundene 156 Variablen in Koargumenten Evidenz für die Randbindungsbedingung II – Ausweichlesarten 159 bei kookkurrierender Wh-Bindung 160 Die Modellierung der Randbindungsbedingung

7.2.1

7.2.2 7.3 8 8.1 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3

Syntax und Semantik von Possessum- und Zweckausdrücken als 164 Bindungsziele der freien Dativ-Diathese 164 Einleitendes 164 Bindungsziele – die deskriptiven Generalisierungen 165 Deskriptive Generalisierungen zur Possessorbindung Deskriptive Generalisierungen zur 169 Nutznießerbindung I Deskriptive Generalisierungen zur Nutznießerbindung bei 172 zu-steil/süß-Dativen (dativus iudicantis) 176 Die Modellierung der Bindungsziele 176 Die Modellierung von Possessumausdrücken Die Modellierung von Zweckphrasen I: verbale 179 Prädikate Die Modellierung von Zweckphrasen II: 181 zu-steil/süß-Prädikate

VIII  Inhalt 9

Zusammenfassung von Teil II: Freie Dative als Exponenten einer 189 lokalen Bindungsdiathese mit Rösslsprungsyntax

Teil III: Freie Dative und thematische Eigenschaften Zwei unterschiedliche thematische Relationen für freie Dative – 195 die P-EXPERIENCER-Relation 10.1 Die Intuition hinter den zwei unterschiedlichen thematischen 195 Relationen für freie Dative 10.2 Zwei unterschiedliche thematische Relationen für freie Dative – die 196 deskriptiven Generalisierungen 10.2.1 Es gibt einen kategoriellen Unterschied der thematischen 196 Relationen für freie Dative 10.2.2 Arten der Wahrnehmungszuschreibung an Referenten 199 allgemein 10.2.3 Präsupponierte Wahrnehmungsfähigkeit und implizierte Sachverhaltswahrnehmungsmöglichkeit bei P-EXPERIENCER-Dativen 203 207 10.3 Die Modellierung der p-experiencerschaft 10

11 11.1 11.2 11.2.1

Die LANDMARKEN-Relation von Dativen 212 LANDMARKEN-Dative intuitiv 212 LANDMARKEN-Dative – die deskriptiven Generalisierungen 213 Sprachlich kodierte Figur-Grund-Konfigurationen als situierte 213 Zustände LANDMARKEN-Dative und lokativische PPs: Ähnlichkeiten und 11.2.2 218 Unterschiede 11.2.3 Abschluss nach oben: Dativreferenten sind „Ganze“ 227 LANDMARKEN-Dative und das rekursive Format der mit ihnen 11.2.4 231 einhergehenden Gestaltgliederung 11.2.5 Nicht-DP-wertige primäre Figuren und intermediäre 236 Grundgeber 11.2.6 Zusammenfassung der deskriptiven Generalisierungen zu LANDMARKEN-Dativen 242 243 11.2.7 Exkurs: „Echte“ Malefaktivität vs. runterfallen 11.2.8 Exkurs: Gestaltpsychologische Kategorien, thematische 245 Prädikate, Präsuppositionen und Informationsstruktur 249 11.3 Die Modellierung der LANDMARKENschaft

Inhalt

 IX

12

Kreuzklassifizierende Dimensionen: Sachverhaltsstruktur, thematische 256 Beteiligung und Bindungsziele 256 12.1 Die kreuzklassifizierenden Dimensionen intuitiv 12.2 Empirische Generalisierungen zur Interaktion von Sachverhalts257 struktur, thematischer Beteiligung und Bindungszielen 12.2.1 Kreuzklassifizierende Dimensionen I: Sachverhaltsstruktur und P-EXPERIENCERschaft 257 12.2.2 Kreuzklassifizierende Dimensionen II: LANDMARKENschaft und 265 davidsonische Argumenthaltigkeit 12.2.3 Klassifikation freier Dative nach thematischer Beteiligung und 268 Bindungsziel 273 12.3 Die Modellierung der kreuzklassifizierenden Dimensionen 13

Zusammenfassung von Teil III: Syntax und Semantik von P-EXPERIENCER und LANDMARKE 281

Teil IV: Freie Dative des Deutschen im Kontext 14 Konkurrierende Forschungstraditionen 287 287 14.1 Freie Dative und „Possessoranhebung“ 290 14.1.1 Das Ellipse-Argument 291 14.1.2 Das Informationsstatus-Argument 293 14.1.3 Das spellout-Argument 295 14.2 Freie Dative und Applikativtheorien 300 14.2.1 Applikative bzw. freie Dative als natürliche Klasse 301 14.2.2 Wahrheitsbedingungen 302 14.2.3 Thema-Abtrennung 303 14.3 Bindungsansätze 303 14.3.1 Bindungsansätze für nicht-deutsche Daten 14.3.2 Brandt (2003, 2006): Eine Bindungsanalyse für deutsche 306 Dative 15 15.1 15.2

Übereinzelsprachliches und Historisches 314 Übereinzelsprachliches 318 Historisches

16

Ausblick

323

314

X  Inhalt

Teil V: Apparat 17

Literaturverzeichnis

Register

353

331

Vorwort Die vorliegende Studie ist die überarbeitete Version meiner Habilitationsschrift aus dem Jahr 2008. Die von der Humboldt-Universität zu Berlin bestellten Gutachter Manfred Krifka, Ewald Lang und Daniel Büring haben mir für die Umarbeitung der Qualifikationsschrift in das vorliegende Buch sehr nützliche Hinweise gegeben. Dasselbe gilt für einen anonymen Gutachter, der für die Herausgeber der studia grammatica eine Version des Manuskripts kommentiert hat. Meine Beschäftigung mit dem freien Dativ dauert schon sehr lange an. Deswegen ist es unmöglich, mich einzeln bei all denen zu bedanken, die mich inspiriert haben oder die ihre Zeit, ihr Wissen und ihren Scharfsinn mit mir geteilt haben. Bei zwei Menschen möchte ich mich namentlich und ganz besonders herzlich bedanken. Ohne diese beiden hätte meine Dativ-Monographie nicht entstehen können. Manfred Krifka hat unter schwierigen Umständen die Leitung meines Habilitationsverfahrens übernommen und mir immer das Gefühl gegeben, dass das die selbstverständlichste Sache von der Welt war. Heide Wegener kennt wie niemand sonst die Datenlandschaft im Bereich des deutschen Dativs, und sie hat mich nach dem Abschluss des Habilitationsverfahrens Folgendes gefragt: „Und, kannste erklären, wieso man nicht sagen kann Sie sind ihm an den Stadtrand gezogen?“. Ich kann es nicht. Stuttgart, Februar 2014

Teil I: Einleitung

1 Untersuchungsgegenstand: Die freie Dativdiathese des Deutschen Die freien Dative des Deutschen sind Dativargumente, die – so können wir vorläufig sagen – nicht im Zusammenhang mit der Valenz eines Verbstamms oder Adjektivs stehen und sich trotzdem wie Ergänzungen bzw. Komplemente verhalten. Sie haben Sprachwissenschaftler immer wieder zu Arbeiten angeregt. Es stellt für die meisten linguistischen Theorien etwas Merkwürdiges oder Problematisches dar, dass der freie Dativ in ihm ein Schiffchen basteln sich in vielerlei Hinsicht so verhält wie ein „echtes“ valenzgefordertes Dativargument wie in ihm ein Buch geben. Obwohl bei ( jdm.) etwas basteln das Dativargument ohne jeden syntaktischen oder semantischen Rest weggelassen werden kann und damit der Dativ wie ein Adjunkt wirkt, deuten andere Eigenschaften eher auf den Status eines Arguments des Verbs bzw. auf eine Ergänzung hin. Am augenfälligsten ist sicher die schlichte Tatsache, dass nicht ein präpositional regierter Ausdruck vorliegt, sondern eine „nackt“ kasusmarkierte DP, also ein Markierungsmuster, das typischerweise mit echten Kernargumenten einer Prädikation bzw. mit Ergänzungen einhergeht; für Adjunkte würde man eher Präpositionalphrasen als Kodierungsmittel erwarten. Je nach theoretischer Ausrichtung und empirischem Zugriff sind ganz unterschiedliche Analysen entwickelt worden, um die ausdrucksseitige Einheitlichkeit von Dativ-DPs mit so unterschiedlich scheinenden grammatischen Relationen – Argument hier, Adjunktartige dort – in Einklang zu bringen. Zu diesem Forschungsthema kommt noch die wichtige Frage hinzu, wie man sich zur Auffächerung innerhalb der größeren Gruppe der freien Dative verhält – hier seien vorerst nur die Stichworte „benefaktiver/malefaktiver Dativ“ bzw. „Dativus (in)commodi“, „Dativus iudicantis“, „possessiver“ oder „Pertinenz-Dativ“ sowie „ethischer Dativ“ genannt. Können einzelne oder alle dieser Dativtypen letztlich doch zusammengefasst werden? Wenn ja, welche? Und sind all diese vorläufigen Dativtypen wirklich frei, oder gehören einzelne doch zu den valenzgebundenen, oder gar zu einem dritten Typ, der von den valenzgebundenen und den freien Dativen noch einmal zu unterscheiden wäre? Bis auf den ethischen Dativ wie mir in Mach mir ihm die Kinder nicht verrückt! werden wir alle soeben erwähnten Dativtypen zu den freien Dativen rechnen, die in den Bereich unserer Untersuchung fallen. Wir werden diese Untersuchung im Rahmen einer Theorie durchführen, die freie Dative immer an eine besondere Form von Diathese anbindet, also an einen Mechanismus, der, wie das Passiv, das Medium oder auch Reflexivität, die Zuordnung von Argumenten bzw. Ergänzungen zu Prädikaten syntaktisch und semantisch vermittelt. Deswe-

4  Untersuchungsgegenstand

gen werden wir häufig von der freien Dativdiathese sprechen (wobei ich zur Vermeidung des genaueren, aber unschönen Kompositums „Freier-Dativ-Diathese“ das Klammerparadox, das mit dem Begriff „freie Dativdiathese“ einhergeht, in Kauf nehme). Der unmittelbare Vorteil einer diathetischen Sicht auf freie Dative ist es, dass auf die Frage nach dem Argument- bzw. Adjunktstatus freier Dative eine völlig eindeutige Antwort möglich wird. Wenn die freie Dativdiathese vorliegt, sind Dativargumente obligatorisch. Wenn sie nicht vorliegt, sind (nicht-präpositional regierte) Dativargumente ungrammatisch, es sei denn, sie wären durch die Verbstammvalenz lexikalisch vorgesehen. Eine diathetisch angelegte Analyse des freien Dativs steht unter dem Druck, sich rechtfertigen zu müssen angesichts der Abwesenheit ausgesprochener Morpheme, die die freie Dativdiathese anzeigen würden. In den Passiva des Deutschen als anderen markierten Diathesen kommen die Auxiliare werden, sein und, je nach theoretischer Neigung, auch noch bekommen (neben Varianten) zur Anwendung, außerdem liegt das Vollverb als Partizip vor. Aber diese klare Markierung verschwimmt schon bei der Reflexivdiathese, die einerseits übereinzelsprachlich gut als solche etabliert werden kann, andererseits aber im Deutschen und vielen anderen Sprachen eher wie ein besonderer Fall von Objektvalenz-Sättigung aussieht. Ein anderer eindeutiger Teilbereich der Diathese weist ebenso wie die freie Dativdiathese keinerlei sichtbare Markierung auf: Das Verbpaar zerbrechen (intransitiv) – zerbrechen (transitiv) wie in Der Ast zerbrach vs. Paul zerbrach den Ast ist wie viele andere derartige Kausativ-Antikausativ-Paare ohne Ableitungsmorphologie in seinen unterschiedlichen Valenzeigenschaften eindeutig aufeinander bezogen. Sofern man sich im Bereich dieser Transitiv-Intransitiv-Paare nicht an der Abwesenheit ausgesprochener Morphologie stört und trotzdem den Diathesecharakter dieser Beziehung nicht negiert, kann man genauso gut akzeptieren, dass auch die freie Dativdiathese ohne ausgesprochene Markierung auskommt (sofern man nicht die Dativmarkierung als solche als Ausdruck der Diathese auffassen möchte). In der ein oder anderen Form finden sich alle bislang erwähnten Eigenschaften der freien Dativdiathese und die Vorschläge, um sie theoretisch zu fassen, bereits in der Literatur. In der vorliegenden Studie werden diese Dinge nur in einer neuen Weise miteinander kombiniert. Es kommt jedoch in meinem Vorschlag noch etwas hinzu, das in jeder Hinsicht neu ist. Es ist der Nachweis und die Modellierung des Faktums, dass die freie Dativdiathese eine Bindungsdiathese ist und ganz ähnliche Eigenschaften wie die Reflexivdiathese hat. In einem weiteren Schritt werden wir dann sogar so weit gehen zu behaupten, dass es ein allgemeines Merkmal markierter Diathesen des Deutschen ist, mit Bindung einherzugehen. Da der Bindungsbegriff theoretisch vo-

Untersuchungsgegenstand  5

raussetzungsreich ist, soll hier einleitend von der „Reflexiveigenschaft der freien Dativdiathese“ die Rede sein. Was damit gemeint ist, lässt sich gut an den sogenannten „possessiven“ oder „Pertinenz“-Dativen zeigen. Ich behaupte, dass das grammatisch-syntaktische Verhältnis zwischen der Dativ-DP Paula und dem (unausgesprochenen) Possessorinnenbezug von den Fuß in Paula auf den Fuß treten praktisch dasselbe ist wie das zwischen dem Subjekt und dem Reflexivum in einer reflexiven Konstruktion. D. h. den Fuß in Paula auf den Fuß treten referiert auf Paulas Fuß, und diese Lesart kommt ganz ähnlich zustande wie die Referenz von sich selbst auf Paula in Paula betrügt sich selbst. Sehr wichtig ist dabei, dass die Dativ-DP selbst in unserer Theorie – entgegen dem Großteil der Tradition – nicht den Possessor bezeichnet. Sie hat nur einen Referenten, der auch Possessor von etwas sein muss, damit der Satz nicht ungrammatisch wird. Als Dativ drückt die DP nicht das Possessionsverhältnis aus, sondern eine davon unabhängige Sachverhaltsbeteiligung (dazu mehr unten auf dieser Seite und in Teil III). Anders gesagt löst die Anwesenheit eines freien Dativs einen Reflexivierungszwang im Satz aus, nur ist in der freien Dativdiathese die Dativ-DP das Antezedens, und nicht die Nominativ-DP wie bei der Reflexivkonstruktion. Bei „benefaktiven“ Dativen besteht die Reflexivierungseigeschaft darin, dass neben der durch den Dativ angezeigten Sachverhaltsbeteiligung noch eine Nutznießer- bzw. Zwecksubjekt-Beteiligung des Dativreferenten vorliegen muss. Diese zwei Beispiele sollen genügen, um einleitend das Reflexivierungserfordernis der freien Dativdiathese zu illustrieren. Unsere Analyse verneint es, dass die Dativ-DPs der freien Dativdiathese selbst ein Possessionsverhältnis oder ein Nutznießerschaftsverhältnis anzeigen. Sie binden nur Possessoren oder Nutznießer, d. h. sie sind Antezedenten von Possessor- und Nutznießerbezügen. Was aber ist dann die Sachverhaltsbeteiligung der Dativreferenten? Ich werde dafür plädieren, dass es zwei verschiedene Sachverhaltsbeteiligungen für Dativreferenten gibt; einmal eine bestimmte abgeschwächte Form von Sachverhaltswahrnehmung, zum anderen eine Form lokaler Sachverhaltssituierung. Dativreferenten müssen – grob gesagt – die betreffenden Sachverhalte wahrnehmen können, oder sie müssen an einem Ort sein, über den der Geltungsbereich eines anderen Sachverhalts zugänglich wird, oder beides zugleich. Die Wahrnehmungseigenschaft werden wir als P-EXPERIENCERschaft bezeichnen und die Situierungseigenschaft als LANDMARKENschaft. Der typische Dativreferent der freien Dativdiathese, derjenige nämlich, der sowohl eine LANDMARKE als auch ein P-EXPERIENCER ist, vereinigt somit eine lokativische und eine kausal-affektive Sachverhaltsbeteiligung.

6  Untersuchungsgegenstand

1.1 Traditionelle Konzepte und traditionelle Terminologie Die Literatur zum deutschen Dativ und zu den freien Dativen des Deutschen ist außerordentlich reich. Es werden drei bis fünf Haupttypen mit unterschiedlichen Untertypen und leicht variierender Abgrenzung zu den stammvalenzgeforderten Dativen angesetzt. Fünf dieser Typen sind, durch je einige Beispiele illustriert, in (1.1) bis (1.5) aufgeführt. (Die relevanten Dativ-DPs sind recte gesetzt.) (1.1) „Pertinenz-Dativ“/„Possessiver Dativ“ a. Paul trat Paula auf den Fuß. b. Ihm hing das Hemd aus der Hose. c. Ihm rutschte das Hemd aus der Hose. (1.2) „Dativus commodi“/„Benefaktiver Dativ“ a. Paul bastelt Paula ein Schiffchen. b. Paul wischt Paula einen Stuhl sauber. (1.3) „Dativus incommodi“/„Malefaktiver Dativ“ a. Paul zertrat Paula ihr Schiffchen. b. Ihm zerbrach die Vase. (1.4) Dativus iudicantis/Dativ des Urteilenden („Judikanten-Dativ“) a. Paul war die Treppe zu steil (zum Hochsteigen). b. Paul fuhr Paula zu schnell. (1.5) Dativus ethicus/Ethischer Dativ a. Dass du mir ihm die Pferde nicht scheu machst! b. Man solle ihm die Meister nicht verachten, sang Hans Sachs (Wegener 1985: 50) c. Sein Sohn, das war ihm so ein Kerl! (Vgl. Wegener 1985: 50) In unserer Untersuchung wird der ethische Dativ wie in (1.5) keine weitere Rolle spielen. Es ist schon früh erkannt worden, dass der ethische Dativ unter den im weiteren Sinne freien Dativen besonders ist (Abraham 1971). Er geht mit spezifischen Illokutions-Restriktionen einher (Exklamativ, Imperativ), ist nicht satzakzent- oder vorfeldfähig (Abraham 1971: 123), ist leicht mit weiteren Dativen kombinierbar (vgl. (1.5a)) und ist fast ausschließlich auf die erste Person beschränkt (aber vgl. Wegener 1985: 50–53 und Beispiele mit indirekter und vielleicht auch erlebter Rede wie in (1.5b/c)); auf alle Fälle müssen logophorische Kontexte vorliegen, also solche, in denen der betreffende Satz einen Sprechakt wiedergibt, in dem der Dativ in der ersten (oder zweiten) Person steht). Wegener (1989) geht so weit, den ethischen Dativ als Modalpartikel zu klassifizieren. Das scheint angesichts des nach wie vor pronominalen Charakters mit entsprechender Flexionsteilhabe zwar übertrieben, bringt aber deutlich zum Ausdruck, dass

Traditionelle Konzepte und traditionelle Terminologie  7

der ethische Dativ, wie die Modal- oder Abtönungspartikeln, sehr weiten Skopus hat. Wenn der ethische Dativ mit den anderen freien Dativen doch unifiziert werden kann, dann nicht auf der Allgemeinheitsebene, die wir in unserer Studie anstreben. Im Ausblick in Kap. 16 werden für solch eine Unifizierung einige skizzenartige Gedanken entwickelt. Der „Dativus iudicantis“ wie in (1.4) geht immer mit einer Vergleichspartikel (meist zu oder genug, manchmal auch hinreichend, allzu oder Ähnliches) einher und bezeichnet den Referenten, der den Vergleich vornimmt oder der den Vergleichsmaßstab vorgibt. Er bezieht sich immer auf ein adjektivisches Prädikat, dieses Prädikat kann aber, wie in (1.4b), adverbial sein. Unserer Meinung nach ist der Vergleichsmaßstab beim Judikantendativ immer durch etwas vorgegeben, das gut für den Dativreferenten ist und von ihm auch als Zweck verfolgt wird, zumindest in der Sicht des Sprechers. Eisenberg (2004) stellt diesen Dativ zu den freien Dativen, da der iudicantis zwar dieselbe Position besetze wie die valenzgebundenen, aber doch „nicht im Stellenplan des Adjektivs oder Verbs verankert sei (Eisenberg 2004: 293). Andererseits sei er aber – entgegen Wegeners Ansicht (1985: 54–55) – auch kein modifizierendes Element, da „er eindeutig an die Kookkurrenz mit einem Satzglied gebunden ist“, nämlich an die Kookkurrenz mit dem Verb (Eisenberg 2004: 293). Für Eisenberg (2004: 297) sind aus unserer Zusammenstellung in (1.1) bis (1.5) nur der ethische Dativ und der „Judikantendativ“ keine Ergänzungen. Die „benefaktiven“ und „malefaktiven“ Dative wie in (1.2) und (1.3) werden oft als „Dativus (in)commodi“ zusammengefasst. Eisenberg (2004) zählt sie zu den Ergänzungen des Verbs. Gerade beim incommodi wird in der Literatur oft festgestellt, dass eine Abgrenzung vom „Pertinenz-Dativ“ dann schwierig ist, wenn der unmittelbar betroffene Referent ein Possessum des Dativreferenten ist (wie etwa in einem plausiblen Szenario für (1.3b)). Ähnlich findet sich immer wieder die Idee, dass die Benefaktivität des commodi etwas mit der häufig behaupteten intendierten Besitzrelation zu tun hat, die bei Verben des Erschaffens wie basteln in (1.2a) mit dem Gebrauch des Dativs einhergeht. Bei anderen Verben (wie in (1.2b)) fehlt die Possessionskomponente, es sei denn man legt einen erweiterten Possessionsbegriff zugrunde. Wir werden stattdessen von (beim (in)commodi verhinderter) Nutznießer- oder Zwecksubjektschaft sprechen und dieses Konzept vor allem syntaktisch mit Possession analogisieren. Dabei wird wichtig sein, dass Nutznießerschaft und Possession als wahrheitswertrelevante Bedeutungsbestandteile in der freien Dativdiathese einzeln, aber auch kombiniert auftreten können. Der „possessive“ oder „Pertinenz-Dativ“ wie in (1.1), hier wiederholt als (1.6), wird wohl am häufigsten mit zu den Ergänzungen des Verbs gezählt (so Eisenberg 2004: 298 etwa über von Polenz 1969, Heidolph et al. 1981: 333 oder

8  Untersuchungsgegenstand Wegener 1985: 120–122; anders Wegener 1983 mit dem „Pertinenz-Dativ“ als Sonderfall des „commodi“ im Zusammenhang von Körperteillexemen). (1.6) „Pertinenz-Dativ“/„Possessiver Dativ“ a. Paul trat Paula auf den Fuß. b. Ihm hing das Hemd aus der Hose. c. Ihm rutschte das Hemd aus der Hose. Dieser Subtyp hat in der Literatur sicher die meiste Aufmerksamkeit erhalten, und das über längere Zeit hinweg. Von Polenz (1969) kann schon mehr als ein Dutzend einschlägiger Arbeiten miteinander vergleichen. Auch wir werden uns ganz zentral mit Dativverwendungen dieses Typs befassen. Um die Breite der älteren Diskussion zu illustrieren, aber auch weil von Polenz’ Überblick in jeder Hinsicht so frisch ist, soll hier kurz seine Diskussion wiedergegeben werden.1 Von Polenz identifiziert sieben wichtige Merkmale der Konstruktionen mit „Pertinenzdativ“ im Deutschen. Sie sind in (1.7) aufgeführt und werden im Anschluss kurz erläutert (vgl. von Polenz 1969: 169–170). (1.7) I. II. III. IV. V. VI. VII.

Unabhängigkeit von der Verbvalenz, Zugehörigkeit zu anderem Nomen Transformationsbeziehung Beziehung zum adnominalen Dativ Existenz mehrerer Satzmuster Animatheit des Dativreferenten Pertinenzrelation Partizipation

Merkmal I bezieht sich darauf, dass es viele Verwendungen etwa von treten, hängen und rutschen wie in (1.6) gibt, in denen kein Dativ vom Verb abhängt und in dem auch keine durch Argumentauslassung erzeugten Sonder- oder Ellipselesarten (wie etwa in Er gibt gerne) zu verzeichnen sind. Außerdem fasst I noch die Eigenschaft unter sich, dass eine Zugehörigkeit zu einer weiteren DP (meist in einer PP) besteht (den Fuß und der Hose in (1.6)). Merkmal II hebt darauf ab, dass jeder Satz mit „Pertinenz-Dativ“ in einem transformationsgrammatischen Sinne umwandelbar sei in einen Satz, in dem der Dativ durch einen Possessivausdruck in der anderen DP ersetzt ist (also etwa Paul trat auf Paulas Fuß in (1.6)). Sofern man einmal von der zeitabhängigen  1 Diese Frische fehlt dem viel späteren Überblicksbeitrag von Helbig (1981).

Traditionelle Konzepte und traditionelle Terminologie  9

transformationsgrammatischen Formulierung absieht, ist das eine wichtige (und alte) Beobachtung. Allerdings stimmt es nicht, dass die so aufeinander bezogenen Sätze dieselbe Bedeutung hätten, auch wenn der verwendete Transformationsbegriff das nahelegt; vgl. zu diesem Punkt insbesondere 11.2.2. Mit III ist gemeint, dass die Konstruktionen in (1.6) zusammengehören mit dem substandardlichen DP-internen Possessionsausdruck wie in Dem Paul sein Auto ist kaputt. Aus praktischen Gründen (Umfang der Studie) lege ich hier keine Analyse für den DP-internen possessiven Dativ vor, obwohl ich mit von Polenz’ Sicht übereinstimme, dass er systematisch mit dem „Pertinenz-Dativ“ zusammengehört. Kurz erwähnt wird er noch einmal in 15.2 und Kap. 16. Eigenschaft IV stellt heraus, dass der „Pertinenz-Dativ“ keine alleinige Angelegenheit von agentiv-kausativischen Sätzen mit bestimmter Argumentstruktur ist, sondern in verschiedenen Satzmustern vorkommt (vgl. etwa (1.6b) mit nicht-dynamischer und (1.6c) mit nicht-agentiver Semantik). Diesem Faktum tragen wir die ganze Studie hindurch Rechnung, die systematische Analyse erfolgt in Kap. 12. Dass, wie unter V behauptet, die Referenten von „Pertinenz-Dativen“ immer belebt sein müssen, gilt für empirische Teilbereiche unseres Phänomenbereichs (etwa in {Paul/#den Pfannkuchen} eine Schokoladensauce kochen). Für eine bestimmte Sprechergruppe gilt die Beschränkung wahrscheinlich allgemein; Sätze, die von dieser Sprechergruppe abgelehnt werden, von anderen aber als grammatisch, wenn auch manchmal als ungewöhnlich, bewertet werden, sind in der vorliegenden Studie mit einem Prozentzeichen markiert (etwa % Dem Haus läuft Wasser in den Keller). Diese komplexe Eigenschaft wird in Kap. 10 behandelt. Die unter VI aufgeführte Pertinenzrelation bezeichnet – im Unterschied zu dem syntaktischen Verhältnis, das bei I im Vordergrund steht – das semantische Verhältnis, das zwischen dem Dativreferenten und dem Referenten einer weiteren DP der Konstruktion besteht (Ogawas 2003 „Relation“). Meist liegt eine Besitz- (wie in (1.6b/c)) oder eine Teil-Ganzes-Beziehung (wie in (1.6a)) vor, und so kann Pertinenz vorläufig mit Zugehörigkeit gleichgesetzt werden. Dieser Komplex ist u. a. Thema der Kapitel 5 bis 8. Mit dem Begriff „Partizipation“ in VII ist die wichtige Intuition benannt, dass ein Satz mit „possessivem“ oder „Pertinenz-Dativ“ den betreffenden Referenten nicht nur als einfachen Possessor, sondern „ausdrücklich als am Vorgang dieses Satzes t ei lha b e nd “ darstellt (von Polenz 1969: 165; Ogawas 2003 „Affiziertheit“ bezeichnet dasselbe). Sein Hemd hing aus der Hose ist eine Aussage über das Hemd und sein Aus-der-Hose-Hängen; Ihm hing das Hemd aus der Hose wie in (1.6b) dagegen ist eine über den Dativreferenten und das Verhältnis zwischen ihm und dem Zustand des Hemd-aus-der-Hose-Hängens. Bei

10  Untersuchungsgegenstand

dynamischen Sachverhalten wie in (1.6a/c) ist der entsprechende Eindruck mit entsprechender Sachverhaltsbeteiligung des Dativreferenten noch stärker. Tabelle 1.1 ist von von Polenz (1969: 170) übernommen und fasst zusammen, wie die Eigenschaften I-VII in der Literatur bis zur Entstehung seiner Arbeit berücksichtigt worden sind. Der Autor selbst hebt an dieser Stelle hervor, wie früh schon eine breite Abdeckung der einzelnen Punkte erreicht wurde. Tab. 1.1: Die Berücksichtigung verschiedener Merkmale der Konstruktionen mit „PertinenzDativen“ in der Literatur vor von Polenz (1969) I Havers (1911) Paul (1919) Behaghel (1921, 1923) Wunderlich & Reis (1925) Kieckers (1926) von Weiss (1952) Brinkmann (1962) Weisgerber (1962) Erben (1964, 1968) Dal (1966) Grebe (1966) Schmidt (1966) Isačenko (1966) Bierwisch (1966) Weier (1968)

(þ) (þ) (þ)

II

III

IV

V

VI

VII

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Zu diesen bereits reichen empirischen und auf die entsprechende Literatur bezogenen Beobachtungen kommen bei von Polenz (1969) noch die in (1.8) hinzu: (1.8) a. Der Ausdruck, in dem etwa die Possessum-DP vorkommt, auf welche der Dativ sich in besonderer Weise bezieht, ist meist eine PP (vgl. 11.2.2, 11.2.5 in der vorliegenden Studie). Diese PP gibt den „Raum“, „Betätigungsraum, „Schauplatz“ oder das „Ziel“ an (Grebe 1966, Weisgerber 1962). Von Polenz (1969) selbst spricht stärker partizipantenbezogen von Körperteilen, Kleidungsstücken und Handlungen. b. Kleidungsstück-Nomina werden als nicht per se, sondern als nur im Gebrauch relational beschrieben (vgl. 8.3.1). c. Das mögliche gemeinsame Auftreten von Possessivpronomen und „Pertinenz-Dativ“ wird beschrieben (ihm auf seinen Mantel treten, vgl. 8.2.1), und es wird betont, dass die ansatzweise komplementäre Verteilung beider historisch nicht sehr alt ist (vgl. 15.2).

Das Kriterium für freie Dative  11

Damit haben wir praktisch alle wichtigen Eigenschaften der „possessiven“ oder „Pertinenz“-Dative einleitend vorgestellt. Was in der neueren Diskussion an empirischen Eigenschaften noch hinzugekommen ist, ist schnell zusammengefasst: (i) Vor allem im Sprachvergleich stellt sich heraus, dass die „Pertinenz“-Relation des deutschen Dativs gar nicht an das Vorliegen eines Dativs oder indirekten Objekts geknüpft ist, sondern mit verschiedenen grammatischen Relationen einhergehen kann (vgl. die „Pertzinenzsubjekte“ des Englischen wie in The athlete tore a muscle ‘Der Athlet hat sich einen Muskel gezerrt’, The car burst a tire ‘Das Auto hat einen Platten’; Rohdenburg 1974, Hawkins 1986, Hole 2004b, 2006); (ii) das genaue semantisch-syntaktische Verhältnis zwischen Dativ-DP und Possessivpronomen (bzw. impliziten Gegenstücken) konnte zur Zeit von von Polenz’ Arbeit noch nicht als Bindungsverhältnis bestimmt werden, denn das theoretische Konzept war noch nicht entwickelt (Ross 1967, 1969 mit den grundlegenden deskriptiven Generalisierungen lag gerade erst vor und noch keinerlei syntaktische oder semantische Bindungstheorie wäre in der Lage gewesen, diese Phänomene einzufangen). Der erste ausgearbeitete Bindungsvorschlag wurde in diesem Bereich von Guéron (1985) für das Französische entworfen. Unsere Beschäftigung mit dem Zusammenhang zwischen freier Dativdiathese und Bindung findet sich in Teil II, die Auseinandersetzung mit anderen Bindungsansätzen in unserem Bereich in 14.3. Neben der Unterströmung der Bindungsanalysen für „possessive“ Dative seit Guéron (1985) herrschen in der generativen Grammatik seit Isačenko (1966) Transformations- bzw. Bewegungsanalysen vor: Es wird davon ausgegangen, dass die Dativ-DP primär in der Possessor-Position in die Struktur kommt und erst sekundär ihren Platz als zusätzliche eigene Argumentkonstituente erhält. Die kritische Auseinandersetzung mit dieser breiten Tradition, für das Deutsche zuletzt ausführlich von Lee-Schoenfeld (2005, 2006) vertreten, erfolgt in unserer Studie in 14.1.

1.2 Das Kriterium für freie Dative In diesem Abschnitt möchte ich dafür argumentieren, dass die einfache Weglassprobe als syntaktischer Test zur Abgrenzung freier Dative von echt verbstammvalenzbezogenen Dativen ungeeignet ist. Stattdessen schlage ich einen syntaktisch-semantischen Test vor, der die Weglassprobe mit einem semantischen Kriterium verknüpft und auf diese Weise verlässlichere Ergebnisse liefert. Der Weglassprobe wird m. E. ein Status eingeräumt, der ihr nicht zukommt (vgl. so auch Hocke 1987: 273–274 oder Jacobs 1994). Wir haben einleitend in diesem Kapitel bereits gesehen, dass unter einer bestimmten Sicht die Weglassbarkeit eines Dativs mit einem obligatorischen Argumenterfordernis kompatibel

12  Untersuchungsgegenstand

ist: Wenn die freie Dativdiathese vorliegt, ist der Dativ obligatorisch, wenn sie nicht vorliegt, ist er ungrammatisch (außer bei Verben wie geben oder zeigen, die per Lexikoneintrag ein Dativargument vorsehen). Da kein ausgesprochenes Diathesemorphem gebraucht wird, sieht das im Ergebnis so aus, als könne man frei zwischen dem Gebrauch und dem Nichtgebrauch eines Dativs wählen. Was wir dagegengesetzt haben, ist, dass unter gewissen zu spezifizierenden Bedingungen die freie Dativdiathese grammatisch ist, der Dativ in ihr aber in jedem Fall obligatorisch ist. Ein zweites Problem mit der Weglassprobe liegt in ihrem unklaren Verhältnis zur Semantik. In ihrer landläufig praktizierten Form – Bleibt ein Satz grammatisch, wenn man die Dativ-DP weglässt? – stellt sie nicht die Frage, ob sich die Bedeutung des Restsatzes ändert bzw. angepasst wird, wenn der Dativ weggelassen wird. So wird, wie in 1.1 bereits erwähnt, manchmal behauptet, die „possessiven“ oder „Pertinenz“-Dative wie in ihm auf den Mantel treten seien ergänzungsähnlicher als z. B. die „benefaktiven“ Dative des Typs ihm ein Schiffchen basteln. Als Grund bietet sich an, dass das Weglassen von „Pertinenz“-Dativen oft zu unidiomatischen oder unwahrscheinlichen Sätzen führt. Das Problem im Kontext eines rein syntaktisch verstandenen Tests ist es, dass die unidiomatischen Varianten immer syntaktisch wohlgeformt sind. Was wir der reinen Weglassprobe entgegensetzen, ist ein Test, der neben der Weglassbarkeit die Qualität des resultierenden Bedeutungsunterschieds überprüft.2 (1.9)

DIE IMPLIKATIVE WEGLASSPROBE FÜR FREIE DATIVE:

Ein Dativargument D, das nicht von einer Präposition regiert wird, ist frei in einem (Teil-)Satz S des Deutschen gdw. (i) S ohne D grammatisch ist; (ii) S ohne D nicht impliziert, dass es ein Individuum x gibt, für das gilt: (α) x ist beteiligt an dem Sachverhalt, der durch S beschrieben wird, und (β) x könnte als Dativargument in S ausgedrückt werden. Das weniger offensichtliche Kriterium (ii) wird in (1.10) und (1.11) an Beispielen zur Anwendung gebracht.

 2 In der Terminologie von Jacobs (1994) formuliert, überprüft die implikative Weglassprobe, ob die Konjunktion aus „Beteiligtheit“ und „Assoziiertheit“ (in einer bestimmten existenziellen Lesart) für Sätze mit Dativen gilt und ob die Konjunktion der Komplemente von „Beteiligtheit“ und „Assoziiertheit“ für die entsprechenden Sätze ohne Dativ gilt.

Das Kriterium für freie Dative  13

(1.10)

(1.9ii) a. Paula gibt einen Lolli. Implikation: ‘Es gibt ein x, dem ein Lolli gegeben wird.’ b. Paula zeigt die Stadt. Implikation: ‘Es gibt ein x, dem die Stadt gezeigt wird.’ (1.11) FREIE DATIVE UND KRITERIUM (1.9ii) a. Paul kocht eine Bouillon. keine Implikation: ‘Es gibt ein x, dem eine Bouillon gekocht wird.’ b. Paula tritt auf den/seinen Mantel. keine Implikation: ‘Es gibt ein x, dem auf den/seinen Mantel getreten wird.’ c. Die Treppe ist zu steil. keine Implikation: ‘Es gibt ein x, dem die Treppe zu steil ist.’ VALENZGEBUNDENE DATIVE UND KRITERIUM

Gemäß den in (1.10) angegebenen Implikations-Urteilen ist der Dativ bei geben und zeigen nicht frei, wohl aber der „benefaktive“ Dativ in (1.11a), der „possessive“ oder „Pertinenz-Dativ“ in (1.11b) und auch der „dativus iudicantis“ in (1.11c). Die Anwendung der implikativen Weglassprobe in (1.10) und (1.11a) ist wahrscheinlich unmittelbar einsichtig und daher auch nicht kontrovers. Die Fälle in (1.11b) und (1.11c) müssen dagegen diskutiert werden. Man mag sich im Fall von (1.11b) auf den Standpunkt stellen wollen, dass in den meisten Situationen, in denen dieser Satz wahr ist, auch ein Satz mit Dativ wie Paula tritt ihm auf den/seinen Mantel wahr ist. Entscheidend ist jedoch, dass es sich nur um eine hohe Wahrscheinlichkeit handelt, nicht aber um eine Implikations- bzw. entailment-Beziehung, also um eine, bei der in jeder Situation, in der (1.11b) wahr ist, auch gleichzeitig Paula trat jemandem auf den/ seinen Mantel gelten würde. So kann der Mantel etwa auf dem Boden liegen, der Besitzer des Mantels mag nicht anwesend sein und auch nie von dem Sachverhalt erfahren, und (1.11b) könnte verwendet werden, um einen Sachverhalt des Auf-diesen-Mantel-Tretens zu beschreiben. Gleichzeitig gilt in dieser Situation nicht, dass Paula jemandem auf den Mantel tritt. Wenn nicht Kleidungsstücke oder Possessa im weiteren Sinne betroffen sind, sondern Körperteile wie etwa in jdm. auf den/seinen Fuß treten, wird der Kontrast zwischen Gebrauch und Nichtgebrauch einer Dativ-DP dramatisiert: Paula tritt auf seinen Fuß legt entweder nahe, dass der Possessor des Fußes den Sachverhalt nicht wahrnimmt, und sich leicht ergebende Lesarten sind folglich die, dass der Possessor des Fußes bewusstlos ist oder der Fuß abgetrennt ist. Es gilt auch hier, dass Paula tritt auf den/seinen Fuß nicht impliziert, dass Paula jemandem auf den Fuß tritt. Die Tatsache, dass der Bedeutungskontrast tendenziell als dramatischer empfunden wird als bei dem Kleidungsstück-Beispiel,

14  Untersuchungsgegenstand

liegt an den Gegebenheiten der wirklichen Welt, aber nicht an denen der Sprache. Die genauere Untersuchung von Implikationen in diesem Bereich wird Gegenstand von 11.2.2 sein. Hier ist wichtig, dass Possessa-Betroffenheit im weitesten Sinne keine Dativ-Referenten-Beteiligung impliziert und demnach „possessive“ oder „Pertinenz“-Dative nach der implikativen Weglassprobe frei sind. Auch bei (1.11c) (Die Treppe ist zu steil) mag man zunächst der Meinung sein, dass vielleicht doch eine Implikation von Sätzen ohne „dativus iudicantis“ zu Sätzen mit diesen Dativen (Jemandem ist die Treppe zu steil) vorliegt. Es handelt sich aber auch hier um einen Scheineffekt. Er kommt in dem gegebenen Beispiel zustande, weil man ohne weiteren Kontext wahrscheinlich eine Situation akkommodiert, in der jemand die Treppe hoch- oder hinabsteigen will, aber merkt, dass sie zu steil ist. In diesem Kontext ist die Treppe tatsächlich jemandem zu steil. Wenn man jedoch stattdessen annimmt, dass Bauarbeiter eine Treppe eingebaut haben, die sich dann als steiler herausstellt als in den Plänen vorgesehen, kann einer der Bauarbeiter ohne Weiteres sagen: „Die Treppe ist zu steil“. Wenn er selbst keine Meinung zum Steilheitsgrad der Treppe hat und zu seiner Äußerung nur durch den Abgleich der Pläne mit der Wirklichkeit gekommen ist, kann er nicht geglückt und auch nicht wahrheitsgemäß sagen: „Mir ist die Treppe zu steil.“ In diesem Kontext gilt also nicht, dass Die Treppe ist zu steil implizieren würde: ‘Es gibt jemanden, dem die Treppe zu steil ist’. Damit ist gezeigt, dass auch der „Judikanten“-Dativ gemäß unserer Definition frei ist. Die implikative Weglassprobe ist das einzige Kriterium, mit dem wir die freie Dativdiathese von verbstammbezogener bzw. adjektivstammbezogener Dativvalenz abgrenzen.

1.3 Der theoretische Vorrang freier Dative In diesem Abschnitt möchte ich begründen, wieso eine Untersuchung freier Dative theoretisch interessanter und ergebnisträchtiger ist als die Beschäftigung mit valenzgebundenen (vgl. Hole 2005b: 214–215). Diese Ansicht mag zunächst überraschen, weil die Arbeiten, die eine Systematisierung (verbstamm- oder adjektivstammbezogener) valenzgebundener Dative anstreben, so zahlreich sind und dieser Bereich immer wieder das Interesse theoretischer Linguisten geweckt hat.3  3 Vgl. unter vielen Anagnostopoulou (2003), Blume (2000), Bosse (2011), Czepluch (1988, 1996), Ekberg (2012), Haider (1985, 2000), Johansen (1988), McFadden (2004, 2006), Meinunger (1995, 2006), Molnárfi (1998), Müller (1993, 1999), Sabel (2001, 2002), Vogel & Steinbach (1995, 1998), Wegener (1985, 1991, 2001, 2004), Willems & van Pottelberge (1998). Die neuere genera-

Der theoretische Vorrang freier Dative  15

Das Argument für den theoretischen Vorrang freier Dative nimmt den Begriff des wiederkehrenden und produktiven Kontrasts zum Ausgangspunkt.4 Wir benutzen in dieser Studie z. B. die Konzepte „benefaktiver“ und „possessiver“ Dativ nur rein deskriptiv und, weil sie letztlich inadäquat sind, auch nur mit typographischem Vorbehalt, aber sie fangen doch ein systematisches Faktum ein: Viele Sätze, denen ein Dativ hinzugefügt wird, machen eine Aussage über eine Nutzen-Nutznießer--Beziehung bzw. über ein Possessionsverhältnis, das ohne Dativ unangezeigt bleiben kann. Es existieren klare Kontraste für Satzpaare mit und ohne Dativ-DP. Das ist, wie am Beispiel der implikativen Weglassprobe in 1.2 bereits gezeigt, anders bei den verb- und adjektivstammvalenzgebundenen Dativen: Das Verhältnis des denkbaren Dativreferenten zum Sachverhalt bleibt auch unter Auslassung der Dativ-DP angezeigt. Auch durch Er zeigt die Stadt wird impliziert, dass es jemanden gibt, dem die Stadt gezeigt wird. Es bleibt nur offen, wem die Stadt gezeigt wird. Zu diesem Unterschied kommt noch etwas anderes hinzu. Es hat sich als extrem schwierig erwiesen, semantisch über die thematische (d. h. Sachverhalts-)Beteiligung von valenzgeforderten Objektreferenten zu generalisieren (vgl. unter vielen Dowty 1986, Marantz 1993, Kratzer 1996, Blume 2000 oder Maling 2001), und zwar unabhängig davon, ob es sich um Dativ- oder AkkusativDPs handelt. So ist nicht leicht beschreibbar, was die Dativ-Referenten in Sachverhalten des Gratulierens, des Helfens, des Applaudierens oder des Zuwinkens gemeinsam haben. Es ist nicht einmal klar, ob man für Teilklassen zufriedenstellende Generalisierungen über Sachverhaltsbeteiligungen machen kann, die klassenbildend im Sinne einer grammatisch relevanten Subklassifizierung sind. Kratzer (1996, in Vorb.) geht so weit, Klassenbildung über Sachverhaltsbeteiligungen bei Objektreferenten zwar als Möglichkeit zuzulassen, sie aber nicht grundsätzlich zu postulieren. Wenn ein Argument vom lexikalischen Stamm va tive Literatur zu lexikalisch ditransitiven Konstruktionen des Englischen folgt einer Traditionslinie entlang den Schriften von Barrs & Lasnik (1986), Larson (1988, 1990), Jackendoff (1990b) und Hale & Keyser (1993). Jüngere – und oftmals auf genaueren semantischen Generalisierungen aufbauende – Arbeiten in dieser Tradition sind etwa Krifka (1999b), Beck & Johnson (2004) oder McFadden (2004, 2006). 4 Wegener (2001, 2004) untersucht, welche Konstruktionstypen mit Dativen im Deutschen noch produktiv sind in dem Sinne, dass neu ins Deutsche kommende Verben (wie etwa simsen ‘per Handy eine kurze Textnachricht schicken’) sich dem betreffenden Konstruktionstyp noch eingliedern. Sie stellt dabei fest, dass nur zwei Muster in diesem Sinne produktiv sind, das des Typs jdm. etwas klauen und das des Typs Jdm. stinkt etwas. Dieser Typ Produktivität ist nicht zu verwechseln mit dem hier relevanten Konzept des wiederkehrenden Kontrasts. Die Lexikalisierungsmuster, die bei Wegener (2001, 2004) diskutiert werden, gehen nicht mit freien Dativen im Sinne der implikativen Weglassprobe (1.9) einher.

16  Untersuchungsgegenstand lenzgefordert ist, ist es unter dieser Prämisse thematisch von der „Pflicht zur Klassenbildung“ befreit: Prinzipiell kann jedes Akkusativ- oder Dativargument, sofern es in der Stammvalenz vorgesehen ist, idiosynkratische verbspezifische Sachverhaltsbeteiligungen haben, die sich nur über Wahrscheinlichkeiten mit bestimmten Ausdrucksmustern (Kasusmustern) assoziieren lassen.5 Anders im Bereich der freien Dativdiathese. Da die freie Dativdiathese ein produktives grammatisches Muster ist (so wohl auch Jacobs 1994: 70), gelten hier strikte Bedingungen für die Assoziierung von freien Dativreferenten mit Sachverhalten, und die Sachverhaltsbeteiligung darf nicht für jedes Verb unterschiedlich sein. Stattdessen ist nur eine kleine Anzahl an Subtypen zu erwarten (wir werden zwei Grundtypen eruieren können – P-EXPERIENCER und LANDMARKE –, welche auch kombiniert auftreten können und drei Typen ergeben; vgl. Teil III). Wenn diese Überlegungen zur Erwartbarkeit von Regularitäten bei Argumentklassen richtig sind (und davon gehe ich fest aus), sind freie Dative in jedem Fall ergiebigere Untersuchungsobjekte als stammvalenzgebundene Dative, wenn man etwas über die Funktion produktiv gebildeter Dativstrukturen im Deutschen herausfinden möchte. Diese Perspektive lässt sich noch schärfen, wenn man sich die diathetische Sicht auf freie Dative zueigen macht. Wir gehen davon aus, dass freie Dative das Vorliegen einer produktiv gebildeten Diathese des Deutschen anzeigen. Stammvalenzgeforderte Dative hingegen sind einzelstammbezogene Argumente und somit potenziell idiosynkratisch. Anders gesagt bilden stammvalenzgebundene Dative mit ihren Verben zusammen „Dativ-Diathese-tantum“-Strukturen (lat. tantum ‘nur’). Genau wie bestimmte Verben nur im Passiv, also in einer markierten Diathese, gebraucht werden (passiva tantum, etwa be born ‘geboren werden’ im Englischen, die Deponentien des Lateinischen oder die media tantum im Altgriechischen), so sehen bestimmte Verben immer den Gebrauch von Dativen vor; daher der Begriff „Dativ-Diathese-tantum“. Andere Strukturen lassen den regelmäßigen Kontrast mit und ohne Dativ zu; das entspricht den Aktiv-Passiv--Paaren beim Vergleich produktiv gebildeter Passiva mit Aktiva. Unter dieser Sicht ist eine Untersuchung stammgebundener Dativvalenz zum Herausarbeiten der Funktion des Dativs genauso sinnvoll bzw. sinnlos wie das Studium von passiva tantum, um die Funktion des Passivs zu beschreiben. Genau  5 Der Sprachvergleich erweist zudem, dass prototypisch ditransitive Verben – vielleicht entgegen landläufiger Erwartung (vgl. etwa Goldberg 1995) – gerade keine Kristallisationskerne für die Verallgemeinerung der mit ihnen einhergehenden syntaktischen und semantischen Strukturen sind. So zeigt Kittilä (2006), dass das Geben-Konzept im jeweiligen einzelsprachlichen Systemkontext als besonders atypisches ditransitives Verb gelten muss (ähnlich Borg & Comrie 1984: 116–123 über maltesisch ta ‘geben’ und wera ‘zeigen’).

Heuristische Dativtypen – die „Testbatterie“  17

wie man bei passiva tantum davon ausgehen muss, dass das Fehlen des systematischen Kontrasts mit der Aktivform Lexikalisierungen und idiosynkratische Entwicklungen befördert, genauso ist zu erwarten, dass feste Verb-Dativ-Fügungen sich lexikalisch verselbstständigen. Wenn also das Erkenntnisinteresse der systematischen Erhellung von Distribution und Funktion des Dativs allgemein gilt, ergibt sich – vorsichtig formuliert – ein starker heuristischer Vorzug für das Studium der freien Dativdiathese gegenüber der Untersuchung stammvalenzgebundener Dative.

1.4 Heuristische Dativtypen – die „Testbatterie“ Wir haben oben schon vielfach Bezug genommen auf Konzepte wie „benefaktiver“ Dativ, „dativus commodi“, „Pertinenz“-Dativ und Ähnliches. Diese Begriffe fangen jeweils wichtige Intuitionen zur Bedeutung dativhaltiger Strukturen ein. Andererseits ist es ein Hauptanliegen dieser Studie herauszuarbeiten, dass der Ort, an dem das Benefaktive und die Pertinenz in der Struktur ihren Platz haben, gar nicht die Dativposition ist und dass sich die Semantik der freien Dative auf P-EXERIENCER- und LANDMARKENschaft plus Bindung reduzieren lässt. Deswegen werden wir in den allermeisten Fällen deskriptive Terme für Dativklassen verwenden, die nicht durch eine lange Gebrauchstradition mit Konnotationen und Verweisen auf Forschungskontexte und bestimmte Analysen aufgeladen sind. Wir werden im Folgenden immer wieder Behauptungen über freie Dative und Teilklassen freier Dative anhand einer Reihe von exemplarischen Vertretern überprüfen (manchmal etwas frei als „Testbatterie“ bezeichnet). Die Benennung der Teilklassen erfolgt immer über Verben oder Adjektive, die, wenn man Sätze mit ihnen bildet, mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Dativ in der relevanten Lesart aufweisen (etwa „stricken/sauberwischen-Dativ“ für das, was sonst oft „benefaktiver Dativ“ oder „dativus commodi“ genannt wird). Um von vornherein die Gefahr zu vermeiden, die Satzmuster mit agentivem Subjekt für die Analyse überzugewichten (vgl. (1.7 IV) und das entsprechende von-Polenz’sche Monitum), sind unsere zur Hypothesenüberprüfung herangezogenen Dativtypen das Ergebnis einer Kreuzklassifikation aus (i) unterschiedlichen semantischen Typen wie Pertinenz und/oder Bene-/Malefaktivität (bzw. aus unterschiedlichen Bindungszielen, aus denen sich Pertinenz- und Benefaktivitätslesarten ergeben) und (ii) aus Sachverhalts- oder Aspektstruktur im Sinne der durch Vendler (1957 [1967]) begründeten Tradition (vgl. unter vielen Dowty 1979, Bach 1986). Wir unterscheiden Zustände, Zustandsverursachungen und agentive Zustandsverursachungen. Die Diskussion und Modellierung von Aspektklassen und Sach-

18  Untersuchungsgegenstand

verhaltsstruktur erfolgt in Kap. 12. Außerhalb dieser Kreuzklassifikation stehen die zu-steil/süß-Dative, also die Dative mit „Judikanten“-Lesart (vgl. vor allem 12.2.3). Unsere „Testbatterie“ enthält die in Tabelle 1.2 aufgelisteten typischen Verwendungsklassen. Leser, die an diesem Punkt in übersichtlicher Darstellung nachvollziehen möchten, welche Klassifizierungsentscheidungen unserem Spektrum an Verwendungsweisen zugrundeliegen, seien auf Tabelle 12.5 und Tabelle 12.6 (S. 268 f.) verwiesen. Im Folgenden diskutiere ich wichtige Einzelheiten von Tabelle 1.2. Lesartenmischungen: Für alle Klassen gilt, dass die namengebenden Verben zwar oft mit den relevanten Dativverwendungen wie in den angeführten Beispielen einhergehen, aber manchmal auch andere Dativlesarten zulassen. So mischt sich in ihm den Mund abwischen die Possessionskomponente oft mit einer benefaktiven Komponente (es erfüllt wahrscheinlich einen Zweck des Dativreferenten, dass ihm der Mund abgewischt wird). Unser heuristisches Konzept des treten-Dativs soll nur die Possessionskomponente abdecken, und das des stricken/sauberwischen-Dativs nur die benefaktive. Die Tatsache der häufigen Mischung von possessiver und benefaktiver Semantik kann in unserem Modell aber sehr leicht eingefangen werden und wird in 12.2.3 systematisch behandelt. Lesartenübertritte: Neben Lesartenmischungen treten – je nach Kontext – auch Fälle auf, in denen ein Verb, das eigentlich für einen Lesartentyp charakteristisch ist, auch einmal eindeutig und ausschließlich mit einer anderen Dativdiathesenlesart einhergeht. So ist zwar absägen namengebend für possessorbezogene absägen/einbauen-Dative wie in dem Amputationspatienten den Knochen in der Mitte absägen, kommt aber auch in Kontexten von stricken/sauberwischen-Dativen mit Zweckbezug vor: dem Kind ein Stück von der gefrorenen Torte absägen.6 Stellenwert der Bezeichnungen: Die soeben erwähnten Phänomene kann man so interpretieren (und wir interpretieren sie so), dass Dative nicht mit Verben in Konstruktion stehen und auch die freie Dativdiathese nicht verbstammbezogen ist, sondern vielmehr VP- oder prädikatbezogen zur Anwendung kommt (vgl. auch die weitverbreitete Redeweise von Dativen als VP-Argumenten (im Gegensatz zu V-Argumenten)). Demzufolge sind unsere heuristischen Dativtypen nur aus mnemotechnischen Gründen objektsprachlich benannt; die Charakteristika der gemeinten und als systematisch relevant verstandenen Verwendungsklassen sind in der Merkmalsspalte von Tabelle 1.2 aufgeführt.  6 Johansen (1988) nimmt derartige Fakten zum Anlass, die systematisch sprachstrukturbezogene Natur des Dativgebrauchs im Deutschen in Frage zu stellen. Diese Schlussfolgerung ist meiner Ansicht nach unnötig radikal.

Heuristische Dativtypen – die „Testbatterie“  19 Tab. 1.2: Subtypen freier Dative

Possessumsbezug7

7

NAME

MERKMALE

BEISPIELE

treten-Dative

• agentivisches Prädikat mit direktem Objekt und/oder PP-Komplement • Wahrnehmung des relevanten Sachverhalts durch den Dativreferenten möglich

ihm auf den Mantel treten ihm den Kopf streicheln

absägen/einbauenDative

• agentivisches Prädikat mit direktem Objekt und/oder PP • % keine Aussage über Sachverhaltswahrnehmungsfähigkeit des Dativreferenten8

%

auf-den-Fuß-fallenDative

• unakkusatives Verb • Wahrnehmung des relevanten Sachverhalts durch den Dativreferenten möglich

Ihm ist etwas auf den Fuß gefallen. Ihm ist eine Vase vom Bord gefallen.

wachsen/bröckelnDative

• unakkusatives Verb • % keine Aussage über Sachverhaltswahrnehmungsfähigkeit des Dativreferenten

%

einengen/sitzenDative

• Positionsverb, (statives) Kontaktverb oder sekundär stativiertes Verb • Wahrnehmung des relevanten Sachverhalts durch den Dativreferenten möglich

Die Hose engte ihm alles ein. Ihm saß ein Affe auf der Schulter. Die Büsche gliedern ihm die Rasenfläche.

am-Fuß-klebenDative

% Der Kiste quoll Füllmate• sekundär stativiertes Verb, Positionsverb oder (statives) Kon- rial aus den Ritzen. % Dem Haus prangte ein taktverb • % keine Aussage über Sachverhalts- Stern am Giebel. wahrnehmungsfähigkeit des Dativ- % Dem Tisch klebte ein Preisschild am Fuß. referenten Paul quoll der Speck aus der Hose.

dem Baum Äste vom Stamm absägen dem Patienten einen Herzschrittmacher unter die Haut implantieren

Dem Baum bröckelt die Borke vom Stamm. % Dem Haus läuft Wasser in den Keller. Paul fielen Schuppen aus den Haaren.

 7 Vgl. 5.3, insbesondere (5.13). Dort wird der Possessionsbegriff expliziert. 8 Vgl. Kap. 10 und die Tabellenanmerkungen unten für die Akzeptabilitätsunterschiede bei verschiedenen Sprechergruppen.

20  Untersuchungsgegenstand

Zweckbezug9

9

stricken-/ sauberwischenDative

• agentivisches Prädikat mit direktem Objekt und/oder PP-Komplement • Wahrnehmung des relevanten Sachverhalts durch den Dativreferenten möglich

ihr Handschuhe stricken ihr ein Bullauge sauberwischen

sich-öffnen-Dative

• unakkusatives Verb • Wahrnehmung des relevanten Sachverhalts durch den Dativreferenten möglich

Ihm öffnete sich die Tür. Ihm klärte sich der Sachverhalt.

offenstehen-Dative

• Positionsverb, (statives) Kontaktverb oder sekundär stativiertes Verb • Wahrnehmung des relevanten Sachverhalts durch den Dativreferenten möglich

Ihr stand die Tür offen. Der Artist kniete dem Partner oft nicht in der richtigen Position.

zu-steil/süß-Dative

• Adjektiv mit Schwellenwertbezugspartikel • Festlegung des relevanten Schwellenwerts im Hinblick auf den Dativreferenten

Die Treppe ist ihr zu steil. Die Hose ist ihm zu eng. Der Jogurt ist uns allzu süß. Die Arbeit lief ihr zu glatt. Er aß ihr schnell genug.

%

-Markierungen/Sprechergruppen: Das hochgestellte Prozentzeichen markiert Daten, die regelmäßig mit sprechergruppenabhängigen Bewertungskontrasten einhergehen. In Teil III werden wir diese Uneinheitlichkeit in der Bewertung darauf zurückführen, dass die freie Dativdiathese im Deutschen für die restriktivere Sprechergruppe nie mit reiner LANDMARKENschaft, sondern immer auch mit P-EXPERIENCERschaft des Dativreferenten einhergeht. Das heißt, dass Sachverhaltswahrnehmungsfähigkeit im Sinne der Generalisierungen in Kap. 10 für die restriktive Sprechergruppe eine notwendige Bedingung für den Gebrauch der freien Dativdiathese ist (so Olsen 1997 mit einer Ungrammatikalitätsbewertung für % Der Regen tropft dem Baum auf die Blätter, Neumann 1996 oder, weniger eindeutig, Abraham 1971: 34, 37, 39, 44 oder Wegener 1985: 290). In diesem Bereich bleibt ein Rest an Unsicherheit, der weiterer Forschung bedarf. Erstens berichten auch Sprecher, die prozentzeichenmarkierte Sätze zulassen, von Markiertheitsintuitionen bei diesen Sätzen. Zweitens scheint es einen Akzeptabilitätsgradienten zu geben, der Sätze mit inanimaten Dativen dann besser werden lässt, wenn der Dynamizitäts- und Intentionalitätsgrad des Gesamtsachverhalts zunimmt. So sind mehr Sprecher bereit, % dem Baum Äste vom Stamm absägen  9 Vgl. 8.2.2 und 8.2.3 für die Explizierung der relevanten Zweck-Nutznießer--Beziehungen.

Heuristische Dativtypen – die „Testbatterie“  21

zu akzeptieren als % Dem Haus prangt ein Stern am Giebel (vgl. zu parallelen Effekten beim Haben-Konfigurativ wie in % Die Kamera hat die Linse zugeklebt Hole 2002c: 181). Interaktion von Dativen, Partikelverben und PPs: In der Phrase % dem Baum Äste vom Stamm absägen ist der Dativ gemäß der implikativen Weglassprobe (1.9) frei, denn Äste vom Stamm absägen impliziert nicht, dass es etwas gibt, dem Äste vom Stamm abgesägt werden. So braucht der Stamm mit seinen Ästen ja nicht mehr als Baum irgendwo zu stehen, sondern man kann auch Äste von einem Stamm absägen, der nur noch als Stamm, aber nicht mehr als Baum vorliegt. Anders ist es ohne PP-Komplement bei % dem Baum Äste absägen; denn Äste absägen impliziert ohne PP und mit seinem Partikelverb, dass es etwas gibt, dem Äste abgesägt werden.10 Das heißt, dass Dative in Sätzen mit abtrennbaren Partikeln nur dann gemäß unserer Definition frei sind, wenn gleichzeitig ein PP-Komplement vorkommt, welches den Ort benennt, in Bezug auf den die Verbpartikel ein räumliches Verhältnis anzeigt. Wenn hingegen die Partikel in Abwesenheit einer PP (oder eines PP-wertigen Wortes) nur in Bezug auf den Dativreferenten ein räumliches Verhältnis anzeigt wie in dem Baum Äste absägen, liegt kein freier Dativ vor. Der Status des Verhältnisses zwischen Verbpartikel und freien Dativen in solchen Fällen ist umstritten. Es gibt Autoren, die für die Verbpartikel mit freiem Dativ ein zugrundeliegendes Verhältns wie zwischen einer Präposition und ihrer Ergänzung bzw. ihrem Komplement annehmen. Das liegt vor allem in den Fällen nahe, in denen es Präpositionen gibt, die mit Verbpartikeln identisch sind (also etwa bei auf-, über- oder vor-). Andere Autoren gehen nicht von einer so engen Beziehung aus.11 Die implikative Weglassprobe mag in diesem Bereich etwas zu selektiv sein, da nicht ohne Weiteres und über die implikative Weglassprobe hinaus klar ist, ob der Dativ in dem Baum Äste vom Stamm absägen wirklich einen anderen Status hat als in dem Baum Äste  10 Damit ist nicht gesagt, dass der betreffende Referent auch diskursgegeben oder identifizierbar ist. Existenzielle Quantifikation impliziert nicht die Referenz auf ein Individuum. Vgl. auch S. 238, Fn. 24. 11 Wenn man (i) (aus Olsen 1997: 325) betrachtet, scheint es ganz in unserem Sinne naheliegend zu sein, dass in der Variante ohne PP die abtrennbare Partikel genauso wenig als Präposition, und zwar für eine nicht ausgesprochene PP, fungiert wie in der Variante mit PP.

(i) Sie legt eine Folie (auf den Projektor) auf. Die charakteristische „Verdoppelung“ von Präposition und Partikel in solchen Fällen kann als Hinweis darauf genommen werden, dass die Partikel allein nie die Fähigkeit hat, eine (phonetisch leere) PP zu projizieren (wohl gegen Saltveit 1973: 176). Man kann jedoch auch andere Schlussfolgerungen aus derartigen Daten ziehen, insbesondere theoretisch fundiert neuerdings dann, wenn man die Theorie der distribuierten Morphologie (Halle & Marantz 1993) zugrundelegt. Ich gehe hier auf diese Möglichkeiten nicht ein.

22  Untersuchungsgegenstand

absägen. In Abwesenheit eines anderen ähnlich trennscharfen Kriteriums, wie die implikative Weglassprobe es ist, nehme ich diese mögliche Überselektivität in Kauf. Unakkusativität: Der Begriff „unakkusatives Verb“ umfasst nicht nur lexikalisch unakkusative Verben – also Verben wie hinfallen oder abbröckeln, die qua Lexikoneintrag ein Subjektargument haben, das sich in semantischer und vielerlei anderer Hinsicht wie ein typisches internes Argument oder Objekt verhält (vgl. Perlmutter 1978, Levin & Rappaport Hovav 1995, Abraham 2004); er fasst auch abgeleitet unakkusative Prädikate unter sich, also etwa Zustandspassiva wie gekämmt sein oder verbogen sein (vgl. Kratzer 2000 zum Zustandspassiv) oder mit sich abgeleitete Anti- oder Dekausativa wie sich öffnen oder sich drehen. Kommunikationsverben: Kommunikationsverben werden in der vorliegenden Studie nicht gesondert behandelt. Ich gehe davon aus, dass typische Kommunikationsverben wie erzählen und sagen Beispiele für Dativdiathese-tantum-Verben sind (vgl. 1.3); diese Kategorisierung wird auch durch Selbstgesprächkontexte nicht invalidiert, denn man kann argumentieren, dass der Sprecher selbst oder ein vielleicht krankhafterweise angenommener Gesprächspartner als (impliziter) Dativreferent angenommen werden muss. Bei metaphorisch als Kommunikationsverben verwendeten Verben wie zusammenfügen, die nicht als zur Dativdiathese tantum zugehörig klassifiziert werden sollten, nehme ich eine Eingruppierung unter die stricken/sauberwischen-Klasse aus Tabelle 1.2 vor.

2 Theoretischer Rahmen 2.1 Syntaktische Grundlagen Das syntaktische Modell, das in dieser Studie zugrundegelegt wird, ist eine Konstituentenstruktursyntax des generativen und genauer des minimalistischen Typs (vgl. die Tradition, die mit Chomsky 1993, 1995 beginnt). Wichtige Eigenschaften der meisten Ausprägungen einer solchen Syntax werden im Folgenden kurz angesprochen, sofern sie für die modellierenden Teile unserer Untersuchungen relevant sind. Diese Anmerkungen haben den Charakter einer Kontextualisierung für Leser mit einigem Vorwissen in generativer Syntax. Für systematische Gesamtdarstellungen und genauere Informationen wird auf die Literatur verwiesen (etwa Adger 2003, Radford 2004, Hornstein et al. 2005, Bošković & Lasnik (Hrsg.) 2007). Im Unterschied zu Vorläufervarianten der generativen Syntax (etwa der Rektions- und Bindungs- oder Prinzipien-und-Parameter-Theorie der achtziger und frühen neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts) operiert der Minimalismus mit weniger Repräsentationsebenen und einem minimierten Bestand an syntaktischen Prozessen und Prinzipien. So ist die S-Struktur der Rektions- und Bindungstheorie (Chomsky 1981) in den meisten minimalistischen Ausprägungen keine Repräsentationsebene mehr, auf der die Grammatik Eigenschaften einer Struktur überprüfen würde (etwa das Einhalten von Bindungsprinzipien oder das Ablesen von Skopusverhältnissen je nach Sprache und Konstruktion). Außerdem sind im Idealfall eigentlich keine syntaktischen Prozesse als solche erfordert oder beschränkt. Vielmehr sind die einzigen Punkte, an denen Repräsentationen auf das Vorliegen bestimmter Eigenschaften hin überprüft werden, die Schnittstellen der Syntax mit (i) dem Lexikon, (ii) dem artikulatorisch-perzeptorischen System und (iii) dem konzeptuell-intentionalen System. An diesen Schnittstellen werden diejenigen Repräsentationen herausgefiltert bzw. nicht an das sich anschließende System vermittelt, die bestimmte Strukturbedingungen nicht erfüllen. Durch welche syntaktischen Prozesse die Strukturen entstanden sind, ist in solch einer Theorie viel weniger wichtig als in Vorläufertheorien des Minimalismus. Der Punkt, an dem sich die syntaktische Ableitung (aus der Perspektive vom Lexikon und der zugehörigen Schnittstelle her gesehen) verzweigt, heißt spell-out. Über die Verzweigungseigenschaft hinaus hat spell-out im Unterschied zu seinem theoretischen Vorläufer S-Struktur keine theoretische Bedeutung im Minimalismus. Der eine Derivationsteilast führt zur Schnittstelle mit dem artikulatorisch-perzeptuellen System. Dieser Teil der Syntax wird meist PF („phonologische Form“) genannt. Der andere Derivationsteilast führt zur Schnittstelle mit dem konzeptuell-intentionalen System. Dieser Teil der Syntax

24  Theoretischer Rahmen

wird meist LF („logische Form“ seit May 1977) genannt. (Wegen der dreistrahligen Struktur der syntaktischen Derivation mit spell-out als Verzweigungspunkt wird das Syntaxmodell – wie Vorläufervarianten seit der Erweiterten Standardtheorie auch – oft „Y-“ oder „T-Modell“ genannt.) Oft findet sich ein Sprachgebrauch, in dem „PF“ und „LF“ nicht die Derivation zwischen spell-out und den zwei soeben genannten Schnittstellen bezeichnen, sondern die jeweilige syntaktische Repräsentation an genau diesen Schnittstellen. So sprechen auch wir im Weiteren davon, dass „eine LF interpretiert wird“ oder dass eine Bedingung „auf LF gelten muss“ oder „überprüft wird“ und meinen mit „LF“ in diesen Fällen die syntaktische Struktur an der Schnittstelle zum konzeptuell-intentionalen System, welche zuletzt den LF-Teil der syntaktischen Derivation durchlaufen hat. Das eigentliche Movens syntaktischen Strukturaufbaus (merge ‘Verkettung’) und syntaktischer Strukturveränderung (move, also Bewegung; mittlerweile oft als „internal merge“ oder „remerge“ kategorisiert und damit auf erneute Verkettung eines zuvor schon einmal verketteten Elements reduziert; vgl. Chomsky 2001, 2005, Zhang 2004) sind syntaktische Merkmale und Schnittstellenbedingungen, die nur die Anwesenheit bestimmter Merkmale oder von Merkmalen in bestimmten Konfigurationen erlauben. In diesem Bereich sind in den vergangenen zehn bis 15 Jahren verschiedene Mechanismen postuliert worden. Allen ist gemeinsam, dass die Anwesenheit eines syntaktischen Merkmals in einer syntaktischen Ableitung immer dann zu fehlender Wohlgeformtheit des syntaktischen Ausdrucks an der Schnittstelle führt, wenn nicht etwas anderes in der syntaktischen Umgebung, meist ein zweites Vorkommen desselben Merkmals, das Vorkommen des an der Schnittstelle uninterpretierbaren Merkmals „unschädlich“ gemacht hat. Bewegung oder der weitere Strukturaufbau mit einem lexikalischen Element sind zwei Möglichkeiten, um ein benötigtes Merkmals-Gegenstück in die syntaktische Umgebung eines lexikalischen Elements zu bringen. In Teil III machen wir uns eine andere Art zunutze, ein syntaktisches Merkmal [þb] Schnittstellen-unschädlich zu machen. Wir stellen eine Regel auf, die bei Anwesenheit des betreffenden Merkmals eine Strukturveränderung eines besonderen Typs erzwingt und in der Folge das Merkmal tilgt (vgl. insbesondere 4.3.6, 4.3.7 und 4.3.11). D. h. „[þb]“ ist Teil der Strukturbedingung für die Regeleingabe, kommt aber in der Regelausgabe nicht mehr vor. Syntaktikern, die derartige Strukturveränderungsregeln aus theoretischen Gründen vielleicht ungern annehmen, wird an den entsprechenden Stellen eine Alternative vorgestellt, die besser in das minimalistische Bild von merge und move passt. Da das Movens syntaktischer Strukturbildung im Minimalismus Merkmale und ihre Überprüfung bzw. Tilgung sind und da diese Merkmale grundsätzlich

Semantische Grundlagen  25

als lexikalische Merkmale in einem weiteren Sinne modelliert sind, fällt im Minimalismus die Notwendigkeit und auch Sinnhaftigeit von phrasalen Kategorientypen wie VP, DP, Spec,C usw. fort. Varianten der generativen Syntax, in denen Phrasenbezeichnungen dieses Typs keinen theoretischen Stellenwert mehr haben, operieren mit sog. nackten Phrasenstrukturen (bare phrase structure; Chomsky 1995). Auch unsere syntaktischen Strukturen verstehen sich als in diesem Sinne nackt, selbst wenn wir, wie in der Literatur üblich, zur „Orientierung“ oft phrasale Kategorien notieren und auch oft mit den theoretisch sinnentleerten und nunmehr rein deskriptiven Begriffen auf Knoten referieren. Von unserem semantischen Standpunkt aus ist eine nackte Phrasenstruktur hoch willkommen. In einer typengetriebenen Semantik wie bei Heim & Kratzer (1998) in der Tradition von Klein & Sag (1985) sind Knotenbezeichnungen sowieso prinzipiell irrelevant. Soweit unser aufrisshafter Überblick über syntaktische Grundannahmen. Die folgenden Abschnitte sind den semantischen Annahmen gewidmet, welche unserer Studie zugrundeliegen.

2.2 Semantische Grundlagen In unserer Untersuchung werden sprachliche Ausdrücke (im Sinne von Signifikanten) so mit Bedeutungen und Wahrheitsbedingungen assoziiert, wie das in der formalen Semantik und insbesondere in der Ausprägung nach Heim & Kratzer (1998) üblich ist. Für unsere Darstellung semantischer Grundannahmen gilt wie für diejenige syntaktischer in 2.1, dass wir an dieser Stelle keine umfassende Einführung oder gar Axiomatisierung liefern. Stattdessen nutzt diese Studie, manchmal unter Verwendung von etwas mehr formallogischer Notation als bei Heim & Kratzer (1998), genau den von diesen Autorinnen zusammengestellten Apparat. Die Lambda-Notation – der Kern der Funktion-Argument-Modellierung – wird in 2.3 eingeführt. 2.4 macht den Leser mit der Paar-Notation für Typen von Funktionen vertraut. Wo immer wir in der vorliegenden Studie über den Apparat von Heim & Kratzer (1998) hinausgehen, werden die benötigten Ergänzungen separat eingeführt. Bindung ist einerseits ein grundlegendes formalsemantisches und formalsyntaktisches Phänomen, und deswegen könnte es an dieser Stelle eingeführt werden. Andererseits ist es von zentraler Bedeutung für das Verständnis unseres Vorschlags zu den referenziellen Abhängigkeitsbeziehungen, die mit der freien Dativdiathese einhergehen und die in Teil II dieser Studie behandelt werden. Deswegen wird auf die separate einleitende Darstellung von Bindung großen Wert gelegt, und Teil II beginnt mit einem sehr grundsätzlichen Bindungskapi-

26  Theoretischer Rahmen

tel, das es sich zur Aufgabe macht, den Bindungsbegriff empirisch und deskriptiv so aufzubereiten, dass auch Leser, die mit diesem Konzept bislang nicht gut vertraut waren, alle Einzelheiten in verschiedenen Explizierungsgraden nachvollziehen können. Dafür wird in dieser Einleitung der Bindungsbegriff nicht näher beleuchtet. Die Ontologie, die wir zugrundelegen, geht über das bei Heim & Kratzer (1998) verwendete Inventar an basalen semantischen Typen hinaus. Zum einen arbeiten wir anders als Heim & Kratzer (1998) in den Modellierungen mit einer Ereignissemantik in der durch Davidson (1967) philosophisch begründeten Tradition, und schon deswegen muss unser Inventar semantischer Typen reichhaltiger sein. Die Erweiterungen, die wir in diesem Bereich vornehmen, gleichen denen bei Kratzer (1996, 2005a, b, 2006, in Vorb.). Über die ereignissemantisch begründeten Erweiterungen hinaus legen wir weitere Typen zugrunde, die nur deswegen über Heim & Kratzer (1998) hinausgehen, weil die entsprechenden sprachlichen Phänomene in Heims & Kratzers Buch nicht behandelt werden; das betrifft insbesondere gradsemantische Phänomene. Die Ereignis- oder Sachverhaltsemantik und die relevanten ontologischen Typen erfordern eine grundlegende einleitende Diskussion, da für diesen Bereich Modellierungsstandards erst im Entstehen sind. Deswegen beschäftigt sich 2.4 mit dieser Materie.

2.3 Lambda-Kalkül Wir geben, der allgemeinen Praxis folgend, Bedeutungen von Prädikaten und Argumenten im Format des so genannten „Lambda-Kalküls“ an (Church 1936). Wie bereits erwähnt, folge ich insbesondere der bei Heim & Kratzer (1998) zugrundegelegten Variante der Lambda-Notation. Im Folgenden werden die Grundlagen des Kalküls kurz erläutert. (2.1) stellt als einleitendes mathematisches Beispiel die Quadratwurzelfunktion als Lambda-Term in zwei Varianten dar. pffiffiffi (2.1) a. λx : x 2 yRþ . x pffiffiffi b. λxyRþ . x c. natürlichsprachliche Paraphrase des Lambda-Terms: ‘diejenige (kleinste) Funktion, die jedes x, sofern x eine positive reelle Zahl ist, auf die Quadratwurzel von x abbildet’ Jeder Lambda-Term (λ-Term) beginnt mit einem λ, gefolgt von einer Variablen. Was der λ-Operator leistet, wird nach der Besprechung der anderen Termteile

Lambda-Kalkül  27

erläutert. Zwischen dem Doppelpunkt und dem Punkt in (2.1a) ist die Definitionsmengenbeschränkung der Funktion angegeben: Nur positive reelle Zahlen können Argumente der Funktion sein (aus negativen Zahlen kann man keine Wurzel ziehen).12 Dieser Teil eines λ-Terms zwischen Doppelpunkt und Punkt kann entfallen, wenn die Definitionsmengenbeschränkung evident ist oder auf andere Weise angezeigt wird, so wie das in (2.1b) der Fall ist. Rechts vom Punkt ist angegeben, welche Operation von den Elementen der Definitionsmenge zu den Elementen der Bildmenge führt. Der λ-Operator leistet nun das Folgende: Er abstrahiert ein Prädikat über pffiffiffi der Funktionsbeschreibung, d. h. er macht aus dem Ausdruck „ x“ einen Ausdruck, der auf die Quadratwurzelfunktion über ihren gesamten Verlauf referiert. Anders gesagt, stellt der λ-Operator sicher, dass das „x“ in der Funktionsbeschreibung als Variable verstanden wird, und nicht als Konstante. Eine natürlichsprachliche Paraphrase des λ-Terms ist in (2.1c) angegeben. Durch Funktionsanwendung kann nun der Funktionswert für einen beliebigen x-Wert, der Element des Definitionsbereichs ist, ermittelt werden. Das wird für das Argument 25 in (2.2) durchgeführt. pffiffiffiffiffi pffiffiffi (2.2) λx : x 2 yRþ : x ð25Þ ¼ 25 ¼ 5 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} j Argument Funktion In der Tradition von Frege ([1892] 1986) nehmen wir als Äußerungsbedeutungen für assertive Sprechakte Wahrheitswerte an. Ein Verb wie schläft, verstanden als Funktion, liefert den Wahrheitswert 1 (wahr), wenn ein Subjektsreferent, der schläft, als Argument das ungesättigte schlafen-Prädikat komplettiert. Schläft denotiert also eine Funktion, welche alle Individuen, die schlafen, auf 1 (wahr) abbildet, und alle Individuen, die nicht schlafen, auf 0 (falsch). (2.3) notiert hierfür wiederum verschiedene λ-Term-Varianten (De bzw. das e-Subskript legt den Definitionsbereich der Funktion auf Individuen fest (vgl. Tabelle 2.1 auf S. 32)). (2.3)

schläft (vorläufig) λx : x 2 De . 1 gdw. x schläft, 0 sonst λxe . 1 gdw. x schläft, 0 sonst λxe . x schläft ‘diejenige Funktion, die jedes x, sofern x ein Individuum ist, auf 1 (wahr) abbildet, wenn x schläft, und auf 0 (falsch) sonst’

DIE BEDEUTUNG VON

a. b. c. d.

 12 Diese Notation der Definitionsmengenbeschränkung geht auf Heim & Kratzer (1998) zurück und ist nicht allgemein üblich.

28  Theoretischer Rahmen

Alle drei Varianten in (2.3) sind äquivalent. (2.3a) weist die lange Schreibweise für die Definitionsmengenbeschränkung auf und expliziert die Bindung der Wahrheitswertzuordnung an die Wahrheitsbedingung des Schlafens. (2.3b) notiert die Definitionsmengenbeschränkung verkürzt. (2.3c) schließlich notiert auch das Verhältnis von Wahrheitswert und Wahrheitsbedingung in reduzierter Form. Wichtig ist jedoch, dass (2.3c) genau dasselbe besagen soll wie (2.3a/b). Insbesondere notiert (2.3c) keine Funktion, die Individuen auf x schläft abbilden würde. Der Begriff „Individuum“ bezeichnet in der formalen Semantik zumeist alle zählbaren Entitäten und ist nicht auf Menschen festgelegt, wie das der alltagssprachliche Gebrauch des Wortes nahelegen könnte. Bei Zugrundelegung dieses erweiterten Individuenbegriffs wird nun noch eine Einengung des Definitionsbereichs von schläft notwendig. Das wird durch die folgende Erwägung deutlich. Ein Stein ist ein Individuum im Sinne der formalen Semantik. Ist der Satz Der Stein schläft wahr oder falsch? Mit Frege ([1892] 1986), Strawson (1950) und Heim & Kratzer (1998) geben wir die Antwort, dass der Satz weder wahr noch falsch ist, sondern keinen Wahrheitswert hat. Die Präsupposition, dass der Subjektreferent von schläft zumindest schlafen können müsste, um einen sinnvollen wahren oder falschen Satz zu ergeben, ist nicht erfüllt. Wenn man davon ausgeht, dass näherungsweise Animatheit diejenige Eigenschaft ist, die alle und nur die potentiell schlafenden Individuen ausgliedert, können wir Animatheit als zusätzliche Definitionsmengenbeschränkung wie in (2.4) notieren. Wieder sind alternative Notationen angegeben, die als äquivalent zu verstehen sind. (2.4)

schläft (endgültige Version ohne Ereignis- und Weltargument) a. λx : x 2 De & x ist animat . 1 gdw. x schläft, 0 sonst b. λxe : x ist animat . 1 gdw. x schläft, 0 sonst c. λxe : x ist animat . x schläft d. ‘diejenige Funktion, die jedes x, sofern x ein animates Individuum ist, auf 1 (wahr) abbildet, wenn x schläft, und auf 0 (falsch) sonst’

DIE BEDEUTUNG VON

Die Modellierung von lexikalischen Präsuppositionen als Definitionsmengenbeschränkungen wie die in (2.4) für Animatheit kommt in der formalen Semantik ganz allgemein zur Anwendung. (2.5) führt die Notation ein, bei der diejenige Funktion, welche von sprachlichen Ausdrücken zu deren Denotationen oder Bedeutungen führt, in Form von doppelten eckigen Klammern um den sprachlichen Ausdruck repräsentiert ist. (2.5) OschläftP ¼ λxe : x ist animat. x schläft

Typen von Funktionen und Ontologie  29

Die Anwendung der schläft-Funktion auf einen Subjektreferenten ist in (2.6) dargestellt. (2.6) OschläftP(OPaulP) ¼ λxe : x ist animat. x schläft(Paul) ¼ 1 gdw. Paul schläft Vor der Anwendung der Funktion auf Paul in (2.6) wird überprüft, ob Paul animat ist. Wenn das der Fall ist, ist die Anwendung der Funktion auf Paul definiert. Dann kann die Wahrheitsbedingung – ob Paul schläft – überprüft werden. Es ist zu beachten, dass mehrwortige sprachliche Ausdrücke immer, wie in (2.7a) angedeutet, mit ihrer syntaktischen Struktur zusammen die Eingabe für die Interpretationsfunktion bilden, auch wenn wir die syntaktische Struktur oft, wie in (2.7b), nicht notieren. (2.7) a. O [ Paul [ schläft tief ] ] P ¼ 1 gdw. Paul tief schläft b. OPaul schläft tief P ¼ 1 gdw. Paul tief schläft Die Funktion, welche durch schläft bezeichnet wird, liefert als Funktionswert einen Wahrheitswert. Andere wichtige Typen von Funktion liefern als Funktionswerte Individuen oder wiederum Funktionen. Wir werden einen solchen Funktionstyp in 2.4 einführen. (2.8) gibt abschließend das allgemeine Format von λ-Termen an, wie wir sie im Folgenden verwenden werden. Das Format deckt nur solche Funktionen ab, die Wahrheitswerte als Funktionswerte haben. (2.8) a. λ : . b. ‘diejenige Funktion, die jede , sofern erfüllt, auf 1 (wahr) abbildet, wenn die erfüllt, und auf 0 (falsch) sonst’

2.4 Typen von Funktionen und Ontologie Im vorangegangenen Abschnitt haben wir Funktionen von (der Definitionsmenge der) Individuen in (die Bildmenge der) Wahrheitswerte eingeführt. Dieser Typ Funktion entspricht in vielen semantisch-syntaktischen Systemen dem intransitiven Verb oder der VP. Ein agentiv-transitives Verb dagegen hat z. B. nach Heim & Kratzer (1998) einen komplexeren Typ (wir werden ab Kap. 4.3 mit

30  Theoretischer Rahmen

Kratzer 1996 eine verfeinerte Analyse für agentiv-transitive Verben zugrundelegen). In der Syntax bildet das transitive Verb in einer binär verzweigenden Konstituentenstruktur mit dem direkten Objekt die VP-Konstituente. Deren Schwester ist das agentive Subjekt. In unserer kompositionalen Semantik wird angestrebt, Bedeutungen für alle Konstituenten eines Satzes anzugeben. Demnach muss das transitive Verb eine Funktion denotieren, die die Denotation des direkten Objekts als Argument nimmt und als Funktionswert wiederum eine Funktion ergibt: eine VP-Funktion des uns bereits bekannten Typs. Solch eine Verb-Funktion ist in (2.9) angegegeben. (2.9) OzwicktP ¼ λxe . λye . y zwickt x ‘diejenige (kleinste) Funktion, die jedes x, sofern x ein Individuum ist, abbildet auf diejenige (kleinste) Funktion, die jedes y, sofern y ein Individuum ist, abbildet auf 1 gdw. y x zwickt, und auf 0 sonst’ In (2.10) wird diese „geschachtelte“ Funktion zunächst auf die Denotation von Paul angewendet. Dadurch erhält man die VP-Denotation. Im nächsten Schritt wird dann die Denotation der VP auf diejenige von Maria angewendet. Das wird in (2.10) auf zwei äquivalente Arten dargestellt. Die Baum-Darstellung ist übersichtlicher; die andere ist platzsparender. (2.10) a. (…dass) Maria Paul zwickt. b. ʻ1 gdw. Maria Paul zwicktʼ

ʻMariaʼ Maria

ʻλye . y zwickt Paulʼ ʻPaulʼ Paul

ʻλxe . λye . y zwickt xʼ zwickt

c. OzwicktP (OPaulP) (OMariaP) ¼ λxe . λye . y zwickt x (Paul) (Maria) ¼ λye . y zwickt Paul (Maria) ¼ 1 gdw. Maria Paul zwickt Neben den zwei Typen von Funktionen, die wir bislang kennengelernt haben, gibt es noch viele weitere Typen. In unserem Ansatz haben jedoch alle Funktionen gemeinsam, dass Sie nie mehr als ein Argument gleichzeitig zu sich nehmen; damit wird der Binarität der von uns angenommenen Konstituentenstrukturen Rechnung getragen. Oft ist es sinnvoll, vom genauen Gehalt einer Funktion zu abstrahieren und separat zu notieren, was für ontologische Ein- und Ausgabebeschränkungen für

Typen von Funktionen und Ontologie  31

die betreffende Funktion gelten. Für solche Angaben wird die 2-Tupel- oder Paar-Schreibweise angewedet: Das linke Element des Tupels in spitzen Klammern gibt den ontologischen Typ der Eingabe an, das rechte Element denjenigen der Ausgabe. Das wird für schläft in (2.11) gezeigt. (2.11) Der semantische Typ von OschläftP ¼ λxe . x schläft ist #e,t$: ʻeine Funktion von (der Definitionsmenge der) Individuen in (die Bildmenge der) Wahrheitswerteʼ. Der Typ von zwickt enthält, seiner Rekursivität entsprechend, als zweites Element des Paars ein Funktionstupel; vgl. (2.12). (2.12) Der semantische Typ von OzwicktP ¼ λxe . λye . y zwickt x ist #e,#e,t$$: ʻeine Funktion von Individuen in eine Funktion von Individuen in Wahrheitswerteʼ. Der semantische Typ einer Funktion kann sowohl in der Eingabe als auch in der Ausgabe prinzipiell unbegrenzt komplex sein. Je nach formalsemantischer Schule werden jedoch allzu komplexe semantische Typen eher vermieden. Neben den standardmäßig verwendeten semantischen Typen für Individuen und Wahrheitswerte kommen in dieser Studie noch weitere ontologische Basistypen zur Anwendung: Situationen für ereignissemantische und mögliche-Welten-semantische Implementierungen sowie Zeiten und Grade. Tabelle 2.1 stellt all dies zusammen. Zeiten werden im Folgenden als Intervalle aufgefasst. Die Annahme von Zeitintervallen anstelle von Zeitpunkten als grundlegender ontologischer Typ ist rein praktisch bedingt. Wir werden vereinzelt temporalsemantische Erwägungen anstellen, und für diese sind Intervalle relevant, Zeitpunkte dagegen nicht. Ähnlich wie im Fall der Zeitintervalle ist auch der Gebrauch eines eigenen semantischen Typs für Grade gradierbarer Eigenschaften durch keine philosophisch-ontologischen Erwägungen begründet, sondern allein dadurch, dass wir in 8.3.3 Grade zur Analyse der zu-steil/süß-Dative („Judikantendative“) verwenden. Davon unabhängig kann es sein, dass Grade sinnvoll als Funktionen anderer ontologischer Typen abgeleitet werden können. Ebenso lassen wir hier die Möglichkeit ungenutzt, die temporale Dimension ereignissemantisch zu reduzieren (Landman 1992).13  13 In den in spitze Klammern eingeschlossenen Bezeichnungen für semantische Typen hat das Sigma („σ“) wie das Tau („τ“) den Stellenwert einer Variable über beliebige einfache und komplexe semantische Typen. Der semantische Typ einer Funktion ist definiert durch den Defini-

32  Theoretischer Rahmen Tab. 2.1: Ontologie und Konventionen für Variablen SEMANTISCHER TYP

NAME

VARIABLEN

e t [kommt nicht vor] d

Individuum Wahrheitswert Zeit Grad einer gradierbaren Eigenschaft Situation (im weiteren Sinn) mögliche Welt Situation (im engeren Sinn) Ereignis (im engeren Sinn) Zustand Funktion

x, y, z, r [kommt nicht vor] t, ts , te , tREF ,… d

s

#σ, τ$13

e, e′, e′′, …, s, s′, s′′, …, w, w′, w′′, …, σ w, w′, w′′, … σ (kommt nicht vor) e, e′, e′′, … s, s′, s′′, … f, g, h, … (immer mit Typenindex, z. B. f#e,#s,t$$)

2.5 Ereignissemantik (Sachverhaltssemantik) 2.5.1 Ereignisse (Sachverhalte), Situationen und mögliche Welten Die Ontologie und linguistische Nutzung der Konzepte „Sachverhalt“, „Ereignis“, „Situation“ und „mögliche Welt“ ist uneinheitlich und umstritten. Zudem liegen bislang wenige Versuche vor, Rechenschaft darüber abzulegen, ob und in welcher Weise verschiedene und als konkurrierende Analysen ersonnene Konzepte miteinander kombiniert werden sollten, um ein adäquateres Gesamtbild zu liefern (aber vgl. die Zusammenstellung bei Kratzer 2007: § 9). Ich werde im Folgenden die Festlegungen für diesen Bereich entwickeln, die uns in der vorliegenden Studie leiten sollen. Es handelt sich bei diesen Festlegungen nicht um das Ergebnis eines eingehenden Vergleichs etwa der Forschungstraditionen von Ereignissemantik, Situationssemantik und Mögliche-Welten-Semantik. Vielmehr stelle ich ein Ergebnis meiner Bemühungen vor, ausgehend von der großen Praktikabilität einer Ereignissemantik in der durch Davidson (1967) begründeten Tradition durch Kombination mit anderen Ansätzen zu einem Gesamtbild zu gelangen, das zunächst einmal unserem Phänomenbereich, der freien Dativdiathese, besonders gut Rechnung tragen kann. Ob die zugrundegelegte Architektur sich auch in anderen Bereichen bewährt, ist eine linguistisch-empirische und (sprach-)philosophische Frage, der wir im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur aufrisshaft weiter nachgehen. Bei der Konzeptionierung der Architektur die tionsbereichstyp σ und den Wertebereichstyp τ. Das Sigma als Variable über semantische Typen darf nicht verwechselt werden mit dem Sigma als Variable über Situationen.

Ereignissemantik (Sachverhaltssemantik)  33

ses Bereichs habe ich wichtige Anregungen aus den folgenden Arbeiten gezogen: Beck & von Stechow (2006), Büring (2004), Eckardt (1998), Engelberg (2000), Kratzer (1989, 2005a,b, 2006, 2007), Landman (2000) und Maienborn (2001, 2003).14 Die Ontologie von Situationstypen: Ich gehe davon aus, dass mögliche Welten, Situationen und Ereignisse alle zum selben grundlegenden ontologischen Typ gehören, nämlich s; vgl. Tabelle 2.1. Von diesen drei Konzepten ist „Situation“ das allgemeinste. Mögliche Welten und Ereignisse sind demnach Situationen besonderer Art. Eine mögliche Welt ist eine Situation, die nicht Teil einer anderen Situation ist (Kratzer 1989).15 (D. h. ich verwende den Begriff „mögliche Welt“ nicht als gleichbedeutend mit „Situation“ in dem Sinne, dass jede Situation eine (vielleicht sehr kleine) mögliche Welt wäre; vgl. Barwise 1991.) Ein Ereignis ist demgegenüber eine minimale als Ganzheit aufgefasste Situation, die einen Situationstyp exemplifiziert oder instanziiert (Kratzer 2007). Ein Verb, verstanden als ein Prädikat, das (u. a.) ein Ereignisargument nimmt, definiert also einen lexikalisch definierten Situationstyp, der nur dann nach erfolgter Komposition einen wahren Satz ergibt, wenn die beschriebene Situation von dem Typ ist, den das Verb vorgibt. Ich behandele im Folgenden zunächst Ereignisse genauer, bevor ich auf das Verhältnis zwischen Ereignissen und Situationen eingehe. Ereignisse(/Sachverhalte): Unsere Erläuterung des Ereignisbegriffs beginnt mit einer terminologischen Präzisierung. Ich bevorzuge den Begriff „Sachver 14 Außerdem verdanke ich Diskussionen mit Claudia Maienborn, Stefan Engelberg und Daniel Büring Einiges. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob meine Sicht der Dinge von einer der genannten Personen geteilt würde. 15 Wir kommen für Sachverhalte mit einer Standardkonzeption von Teil-Ganzes-Strukturen aus, also mit einer wie in (i) (vgl. Krifka 1998). (Der τ-Index- bezeichnet in (i) Relationen, die für die ontologischen Typen aus Tabelle 2.1 parametrisiert sind.)

(i) Pτ ¼ #Dτ , 5τ , aτ , `τ , 7τ $ ist eine Teil-Ganzes-Struktur gdw. gilt: a. Dτ ist eine Menge von Entitäten; b. 5τ , die Summenbildung, ist eine Funktion aus Dτ Dτ nach Dτ , die idempotent, kommutativ und assoziativ ist, d. h. es gilt: 8x 2 Dτ 8y 2 Dτ 8z 2 Dτ [ x 5τ x ¼ x & x 5τ y ¼ y 5τ x & x 5τ (y 5τ z) ¼ (x 5τ y) ] c. aτ , die Teilrelation, ist definiert als: 8x 2 Dτ 8y 2 Dτ [ x aτ y ) x 5τ y ¼ y ] d. `τ , die echte Teilrelation, ist definiert als: 8x 2 Dτ 8y 2 Dτ [ x `τ y ) x aτ y & x 6¼ y ] e. 7τ , die Überlappungsrelation, ist definiert als: 8x 2 Dτ 8y 2 Dτ [ x 7τ y ) 9z 2 Dτ [ z aτ x & z aτ y ] ] f. das Restprinzip: 8x 2 Dτ 8y 2 Dτ [ x `τ y ! 9!z [ J[z 7τ x] & x 5τ z ¼ y ] ] .

34  Theoretischer Rahmen halt“ gegenüber dem Begriff „Ereignis“, da Ereignis auf Dynamizität und vielleicht sogar Zustandsveränderung festgelegt ist (Lombard 1986; vgl. die Diskussion bei Engelberg 2000: 259-263). Der Ereignisbegriff in von Donald Davidson inspirierten Semantiken soll jedoch, zumindest seitdem man auch für viele zustandsbeschreibende Prädikate Sachverhaltsargumente ansetzt, auch stative Sachverhalte unter sich fassen (vgl. unter vielen Kratzer 1995, Maienborn 2003 oder Mittwoch 2005). Um der paradoxal wirkenden Verbindung statives Ereignis auszuweichen, reserviere ich im folgenden den Ereignisbegriff für dynamische Sachverhalte und bezeichne das, was sonst im allgemeineren Sinne als „Ereignis“ bezeichnet wird, als „Sachverhalt“. (Ein analoges Unbehagen führt in der englischsprachigen Literatur dazu, dass oft von „eventualities“ anstatt von „events“ gesprochen wird, wenn Sachverhalte gemeint sind.) Nur im Terminus „Ereignissemantik“ weiche ich der besseren Wiedererkennbarkeit halber von dieser Konvention ab, indem ich in diesem Kompositum Ereignis- nicht durch Sachverhalts- ersetze. Sachverhalte haben den Status von Referenten. Dennoch gilt, dass, genau wie auf Individuenreferenten durch definite Kennzeichnungen in einem gegebenen Kontext eindeutig referiert werden kann (und nicht nur durch Namen), auch Sachverhaltsreferenten durch ein „Koordinaten“-Tupel eindeutig bestimmbar sind. Ich nehme an, dass die relevanten Dimensionen vollständig durch Quadrupel aus Welten, Zeiten/Intervallen, sachverhaltsbeteiligten Referenten und einer die Wahrheitsbedingungen des relevanten prädikativen Lexems angebenden Sachverhaltsbeschreibung in geeignetem Format besteht. Das wird in (2.13) noch einmal aufgeführt.16 (2.13) Ein Sachverhalt ist eineindeutig bestimmt durch a. einen Weltbezug, b. einen Zeitbezug, c. den Bezug auf die sachverhaltsbeteiligten Referenten und d. die Wahrheitsbedingungen des betreffenden Lexems. Demzufolge ist etwa ein Sachverhalt, der ein Zerbrechen der Vase ist, genau dann eindeutig bestimmt, wenn man weiß, (i) in welcher möglichen Welt der Sachverhalt gilt, (ii) für welches Zeitintervall der Sachverhalt gilt, (iii) was der  16 Insofern ist ein im Sinne von (2.13) vollständig ausspezifizierter Sachverhalt als Iota-Term (wie eine definite Kennzeichnung eines Individuenreferenten) darstellbar. In natürlicher Sprache liegt jedoch typischerweise Existenz- oder Allquantifikation über das Sachverhaltsargument vor, sofern man nicht davon ausgeht, dass kontextualisierte Sätze Sachverhalte (statt Wahrheitswerte) denotieren; vgl. auch Landman (2000: 12).

Ereignissemantik (Sachverhaltssemantik)  35

Referent der Vase ist und (iv) was für Sachverhalte als ein Zerbrechen von etwas gelten. Wir werden oft ohne Welt- und Zeitbezug und mit entsprechend vereinfachten Verbdenotationen arbeiten, aber bei der Modellierung der P-EXPERIENCERschaft und des Zweckbezugs („Benefaktivität“) ist der Rekurs auf Zeiten und Welten unabdingbar. Wir notieren (mit Beck & von Stechow 2006) die Verankerung eines Referenten in einer Welt als Teil-von-Beziehung „`s “, also etwa als „e `s w“, wenn e in w verankert ist. Das s-Subskript markiert die Teil-Ganzes-Beziehung als zwischen Entitäten vom Typ s bestehend. Wenn wir den Weltenbezug schon in den Verbstamm hineinschreiben, wird auch unser Referentenbezug schon im Verbstamm weltenabhängig. Meist arbeiten wir mit Modellen, in denen über das Weltargument allquantifiziert wird, d. h. unser Mögliche-Welten-Bezug bleibt extensional. Nur vereinzelt werden wir über dem Weltargument ein Prädikat abstrahieren. Demzufolge bleibt der Bezug auf Intensionen die Ausnahme. In 8.3.2 lässt er sich jedoch nicht vermeiden. Den Zeitbezug von Verbstämmen repräsentiere ich im Folgenden meistens nicht. Damit ergeben sich Lexikoneinträge für Verbstämme wie in (2.14). (2.14a) ist ein natürlichsprachlich gehaltener Eintrag; (2.14b) wendet mehr symbolische Notation an.17 (2.14) EREIGNISSEMANTISCHE DENOTATE VON VERBSTÄMMEN MIT WELTBEZUG Für beliebige Welten w gilt: a. Otrink-Pw ¼ λx . λe . e ist ein Trinken von x & e ist Teil von w b. Otrink-Pw ¼ λx . λe . Trinken(x)(e)(w) Im Gegensatz zu anderen Autoren gehe ich nicht davon aus, dass Sachverhalte grundsätzlich lokalisiert sein müssen (so auch Wunderlich & Herweg 1991 und, zumindest tendenziell, Engelberg 2000; anders etwa Maienborn 1996: 44). Auf diese Weise wird der Schwierigkeit Rechnung getragen, künstliche Ortsangaben  17 Anmerkung 1: Die Wahrheitsbedingungen sind in (2.14) als Konjunktion aufgelöst statt etwa wie folgt zu lauten: „e ist ein Trinken von x in w“. Die Wahl des Repräsentationsformats in (2.14) soll anzeigen, dass die Denotation des hier angenommenen Verbstamms dekompositionell noch nicht das letzte Wort sein muss und dass unterhalb der hier mit dem Verbstamm assoziierten Ebene noch weitere kompositional interpretierbare Struktur vorliegen kann. Anmerkung 2: Der Lexikoneintrag modelliert die AGENS-Valenz gemäß Kratzer (1996) nicht mit; d. h. x steht für den Referenten, der getrunken wird, nicht für den Trinkenden. Im folgenden Abschnitt 2.5.2 gehen wir genauer auf die AGENS-Abtrennung ein. Anmerkung 3: Ausdrücke wie „Trinken(x)(e)(w)“ werden in der vorliegenden Studie so verstanden wie „Trinken(x)(e)(w)¼1“.

36  Theoretischer Rahmen

für viele intuitiv nicht gut lokalisierte Sachverhalte ersinnen zu müssen (etwa für Telefongespräche, andere Arten der Distanzkommunikation und alle Sachverhalte, die über größere Distanzen hinweg bestehen; vgl. auch Engelberg 2000: 255–256). Wir stellen uns also auf den Standpunkt, dass die Frage, ob ein Telefongespräch als Sachverhalt die Leitung oder den Weg, entlang dem sich die relevanten elektromagnetischen Wellen fortpflanzen, mit enthält, sinnlos ist, weil Sachverhalte gar nicht notwendig durch die Orte, an denen sie gelten, mitkonstituiert werden.18 Ein sehr klares empirisches Datum, das die generelle zeitliche, aber nicht die lokale Verortung von Sachverhalten unterstützt, ist, dass es Tempus als grammatische Kategorie gibt, nicht aber „Lokus“. Sachverhalte müssen nicht lokalisiert sein, sie können es aber sein. Es gibt viele Lexeme, die ein räumliches Verhältnis implizieren, und für diese ist das räumliche Verhältnis zwischen mindestens zwei Referenten konstitutiv für den Sachverhaltstyp. In Teil III (insbesondere in Kap. 11) werden wir für eine Teilklasse freier Dative (für LANDMARKEN nämlich) ein Prädikat mit notwendigem Raumbezug formulieren. Neben Inhaltswörtern können also auch funktionale Elemente (wie unser LANDMARKEN-Diathesemorphem-) raumsemantische Implikate haben. Es bleibt aber festzuhalten, dass der Ortsbezug, wenn er denn konstitutiv für ein lexikalisches Element ist, eben weil nicht alle sachverhaltsbeschreibenden Prädikate ihn aufweisen, nicht im Sinne von (2.13) konstitutiv für Sachverhalte an sich ist. Stattdessen handelt es sich bei Prädikaten mit Ortsbezug um ein Phänomen, das für Punkt (2.13d) eine Subklassifikation in Prädikate mit und ohne Ortsbezug einführt. Damit sind die Ortsvariablen, die möglicherweise in lexikalischen Prädikaten vorkommen, dann aber Variablen wie die üblichen Individuenvariablen in lexikalischen Prädikaten sonst auch. (Unabhängig davon kann es sein, dass es nötig ist, für Orte einen anderen ontologischen Typ zugrundezulegen als für Individuen, wie das etwa Kracht 2002 tut. Diese Frage bleibt in der vorliegenden Studie offen. Wo wir Ortsvariablen brauchen, verwenden wir Individuenvariablen; vgl. Kap. 11.) Sachverhalte als Referenten sind das Ergebnis einer starken Abstraktion, u. a. weil sie als Teile nur diejenigen Referenten enthalten, für die in der (lexikalisch determinierten) Sachverhaltsbeschreibung Variablen vorkommen.19 Wenn  18 Damit erfüllen unsere Sachverhalte eher Maienborns (2003) Bedingungen für K(im’sche)-Zustände, allerdings ohne die Festlegung auf statische Sachverhalte. 19 Wir bräuchten für die Modellierung der Teil-Ganzes-Beziehung zwischen Sachverhaltsbeteiligten und Sachverhalten eigentlich einen Mereologie-Begriff, der über das in (i), Fn. 15, Angenommene hinausgeht. So ist die Teilhabe an Sachverhalten z. B. nicht immer transitiv (und Transitivität folgt aus (ia) in Fn. 15: Wenn Paul sich daran erinnert, dass Maria gestern zu Besuch war, dann ist Maria zwar Teil des (erinnerten) Besuchsereignisses, aber nicht Teil des Sich-Erinnern-Ereignisses. Wir werden diesen Abschluss nach oben für Sachverhalte nicht ex-

Ereignissemantik (Sachverhaltssemantik)  37

also Paul zwischen Maria und Nico sitzt, ist der komplexe Sachverhalt des Zwischen-jemand-Sitzens im Hinblick auf die einrahmenden Referenten in diesem Fall vollständig durch Maria und Nico bestimmt. Das ist in einem Szenario nicht weiter verwunderlich, in dem die drei Personen gemeinsam und ohne weitere Anwesende auf einer Bank sitzen. Wenn aber Paul, Maria und Nico im Theater sind und zwar Karten in derselben Reihe bekommen haben, aber jeweils mehrere andere Theaterbesucher zwischen sich sitzen haben, kann es auch wahr sein, dass Paul zwischen Maria und Nico sitzt. Für den Sachverhalt des Zwischen-jemand-Sitzens und in unserem Theaterszenario zählt es einfach nicht, ob noch andere Personen oder Gegenstände zugegen sind. Ganz analog verhält es sich mit Zeitdauerangaben (Kratzer 2007): Wenn Paul zehn Stunden lang gearbeitet hat, dann impliziert das, dass zehn Stunden lang ein Arbeiten-Sachverhalt vorgelegen hat, dessen AGENS Paul war. Dabei ist es durchaus möglich, dass Paul zwischendurch einmal oder mehrmals eine Pause gemacht hat. Es muss nur die Bedingung erfüllt sein, dass eine Situation vorgelegen hat, die insgesamt den Sachverhaltstyp des Arbeitens noch exemplifizieren oder instanziieren kann (und z. B. nicht schon eindeutig ein Beispiel für einen Sachverhalt des Alternierend-arbeiten-und-Ruhens ist). Ein Sachverhalt kann Teilsachverhalte haben oder selbst ein Teilsachverhalt sein; aber ein Sachverhalt findet, egal ob er Teilsachverhalte hat oder nicht und ob er selbst ein Teilsachverhalt ist oder nicht, per definitionem in genau einem Zeitintervall statt, er enthält nur die Referenten, die durch Variablenpositionen im Sachverhaltsbeschreibungsprädikat vorgesehen sind, und er ist Teil genau einer möglichen Welt. Mit der zusätzlichen Annahme, dass zwei Sachverhalte genau dann nicht identisch sind, wenn sie sich in mindestens einem der vier Parameter in (2.13) voneinander unterscheiden, ist an einem Sachverhalt alles „definit“. Das soll Folgendes heißen. Wenn beliebige drei der vier Parameter in (2.13) feststehen und zusätzlich das Sachverhaltsargument feststeht, ist auch der vierte Parameter bestimmt.20 (Natürlich ist darüber hinaus auch dann der Sachverhalt vollständig bestimmt, wenn alle vier Parameter feststehen; das hatten wir oben bereits gesagt.) Sofern es also z. B. stimmt, dass am 20. Mai 2014 um 15.34 Uhr im Drogeriemarkt in Berlin-Baumschulenweg etwas gestohlen worden ist, kann man über de n AGENS dieses Sachverhalts sprechen; und das, obwohl in der Passivkonstruktion als solcher (gestohlen worden ist) die AGENS plizieren (wohl aber für Individuen; vgl. Kap. 11). Vgl. Moltmann (1997, 2005) für eine ausgebaute mereologische Theorie, die für ((R-)integrierte) Ganze die Transitivitätseigenschaft nicht vorsieht. 20 Damit ist (wie bei Eckardt 1998) z. B. ein Verkaufen-Ereignis niemals identisch mit einem Kaufen-Ereignis.

38  Theoretischer Rahmen

Variable nur existenziell gebunden vorliegt. Auch wenn der Diebstahl durch zwei Kinder gemeinsam ausgeführt worden ist, kann man über di e AGENS-Referenten des Sachverhalts sprechen; d. h. es gibt einen pluralischen AGENS. Andererseits kann man in unserem Sinne und in unserem Szenario z. B. nicht korrekterweise sagen, dass ein AGENS des Stehlen-Ereignis als AGENS dieses Ereignisses die Verkäuferin abgelenkt hat, während der andere AGENS des Stehlen-Ereignisses als AGENS dieses Ereignisses die Schokoriegel eingesteckt hat. Die Kinder als AGENS des Stehlen-Ereignisses sind im Hinblick auf das Stehlen-Ereignis nicht dividierbar oder unterscheidbar, selbst wenn die Situation genauso war, wie soeben beschrieben. (Was man dagegen sagen kann, ist, dass die komplexe Stehlensituation Teilereignisse enthielt, und der Handelnde des einen Teilereignisses war das Kind, das die Verkäuferin abgelenkt hat, und der Handelnde des anderen Teilereignisses war das Kind, das die Schokoriegel eingesteckt hat; vgl. den Abschnitt zu Situationen unten.) Genau das ist damit gemeint, dass Sachverhalte minimal sind. So, wie wir sagen, dass ein Referent z. B. de r AGENS eines Sachverhalts ist, sagen wir auch, dass ein Sachverhalt (genau) einen AGENS h a t . Wir sagen dagegen (mit Kratzer 2007) niemals, dass ein Referent AGENS i n einem Sachverhalt ist, denn das würde es offenlassen, ob nicht noch weitere Referenten mit derselben Sachverhaltsbeteiligung Teile des Sachverhalts sind. Situationen: Ganz anders als bei Sachverhalten liegen die Dinge bei solchen Situationen, die keine Sachverhalte in unserem Sinne sind, die also weder davidsonische Ereignisse noch davidsonische Zustände sind und damit auch keine durch lexikalische Prädikate definierten Situationstypen exemplifizieren. Die Kinder unseres Drogeriemarkt-Szenarios sind Handelnde in der Situation, in der am 20. Mai 2014 um 15.34 Uhr zwei Schokoriegel gestohlen worden sind. Aber es gibt noch sehr viele weitere Referenten, die in dieser Situation zugegen waren, unter anderem alle Waren, die gesamte Einrichtung, die Verkäuferinnen und überhaupt alle Gegenstände und Lebewesen in dem Drogeriemarkt (und alle Sachverhalte, die es dort gibt!). Die Kinder sind Handelnde und indirekt auch AGENS-Referenten in diesem Szenario, aber sie sind nicht d er ( pluralische) AGENS der Situation. Das liegt daran, dass die Situation ja z. B. auch die Verkäuferinnen enthält, und eine der Verkäuferinnen hat vielleicht gerade ein Regal aufgefüllt. Auch sie handelt also in der Situation, und sie ist AGENS des Auffüllen-Ereignisses. In der Gesamtsituation gibt es also AGENS-Referenten ganz unterschiedlicher Sachverhalte, die nicht Teile voneinander sind. Das kann es für einen Sachverhalt nicht geben.21 Situationen, welche nicht zugleich auch Sachverhalte sind, spielen im Weiteren keine Rolle mehr.  21 Damit handelt es sich bei der Teil-Ganzes-Struktur eines Sachverhalts, wie schon in Fn. 19 erläutert, nicht um eine kanonische (extensionale) Mereologie.

Ereignissemantik (Sachverhaltssemantik)  39

2.5.2 Thematische Relationen und Ereignissemantik Bislang haben wir keine genauen Angaben darüber gemacht, wie wir thematische Relationen behandeln, wie also die Argumente, die sachverhaltsbeteiligten Referenten entsprechen, auf einen bestimmten Typ Sachverhaltsbeteiligung festgelegt werden. Ich nehme mit Kratzer (1996, in Vorb.) an, dass es unter den Sachverhaltsbeteiligungen einen wichtigen Unterschied gibt je nachdem, ob das betreffende Argument ein internes Argument ist oder nicht. Einerseits gibt es Klassen von Argumenten, über die gut semantisch generalisiert werden kann, d. h. die gut auf einen Typ oder wenige Typen der Sachverhaltsbeteiligung zurückgeführt werden können. Zu solchen Argumenten gehören z. B. AGENS-Argumente, aber auch meist adverbial konstruierte Beziehungen wie INSTRUMENTE. Außerdem zählen auch die Argumente der freien Dativdiathese zu den Argumenten mit gut verallgemeinerbarer Sachverhaltsbeteiligung. Andererseits gibt es Argumente, über die semantische Generalisierungen schwer oder gar nicht aufzustellen sind. So ist es – auch hier folge ich Kratzer (1996, in Vorb.) und damit Dowty (1986, 1991) – bislang nicht gelungen, eine PATIENSoder THEMA-Relation für VP-interne Argumente allgemein zu definieren (vgl. auch 1.3). Man hat also bislang keine semantische Generalisierung gefunden, die etwa alle direkten Objekte einer Sprache zusammenfassen würde. Schlimmer noch, ein Universale, das für thematische Relationen vorgeschlagen worden ist, gilt für viele direkte Objekte nicht: Die Sachverhaltsbeteiligung für Referenten direkter Objekte braucht nicht additiv zu sein, obwohl thematische Relationen sonst mit Additivität(¼Kumulativität) einhergehen (vgl. Krifka 1992a, 1998 zum Kumulativitätsbegriff). Additivität ist eine Eigenschaft, die, auf thematische Prädikate angewendet, Folgendes besagt: Wenn zwei Referenten x und y in einer additiven thematischen Relation R zu zwei Sachverhalten e und e′ stehen, dann steht auch die Summe der Referenten x5e y in der Relation R zur Summe der Sachverhalte e5s e′.22 Wenn also Paul AGENS eines Essenereignisses ist und Nico AGENS eines anderen Essenereignisses ist, dann sind Paul und Nico als aufaddierter Referent auch  22 Kratzer (in Vorb.: Kap. 3) definiert die „Natürlichkeit“ thematischer Relation demzufolge über die Eigenschaft der Additivität wie in (i), allerdings hier nur als Eigenschaft mit Ereignisprädikaten (vgl. auch Krifka 1998: 219). Für Zustände gilt dasselbe.

(i) 8e8e′8x8y8R#e,#s,t$$ [natürlich##e,#s,t$$,t$(R) & R(x)(e) & R(y)(e′)] ! R(x5e y)(e5s e′)] ‘Wenn ein Individuum in einer natürlichen (thematischen) Relation zu einem Ereignis steht und ein anderes Individuum in derselben Relation zu einem zweiten Ereignis steht, dann steht die Summe der beiden Individuen auch in dieser Relation zur Summe der beiden Ereignisse.’

40  Theoretischer Rahmen

AGENS des Essenereignisses, das aus der Aufaddierung der beiden einzelnen Essenereignisse besteht. Kratzers (in Vorb.) Beispiel, um zu zeigen, dass die Referenten interner Argumente bzw. von direkten Objekten nicht additiv zu sein brauchen, hat ein Rosenstrauch-pflanzen-Ereignis als Gegenstand. Ein komplexer Sachverhalt, der das Pflanzen eines Rosenstrauchs ist, besteht aus Teilsachverhalten wie dem Graben eines Lochs, dem Vorbereiten der Erde, dem Einsetzen des Rosenstrauchs, dem Auffüllen mit verschiedenen Dingen wie Mulch oder besonderer Erde und schließlich dem Festtreten und Angießen. Wenn verschiedene Referenten AGENS-Beteiligte einzelner dieser Ereignisse waren, kann man über die Menge dieser Referenten insgesamt sagen, dass sie den Rosenstrauch gepflanzt haben; die AGENS-Referenten der Teilsachverhalte addieren sich zum (pluralischen) AGENS-Referenten des Gesamtsachverhalts auf. Das gilt auch dann, wenn einzelne dieser Referenten den Rosenstrauch nicht angefasst und vielleicht nicht einmal gesehen haben. Anders ist es mit den „THEMA“- oder „PATIENS“-Beteiligten wie dem Loch, dem Aushub, dem Mulch, dem Dünger oder dem Rosenstrauch: Das Aufaddieren dieser Dinge ergibt nicht den Rosenstrauch, also den Internen-Argument-Referenten des Verbs pflanzen. Wir haben also zum einen den Befund, dass sich wahrscheinlich keine gemeinsame thematische Eigenschaft für direkte Objekte (und andere VP-interne Argumente) feststellen lässt. Andererseits gilt eine Eigenschaft, die sonst eine verlässliche Komponente thematischer Relationen ist, nämlich Additivität, für die VP-internen Argumenttypen nicht. Eine, wie mir scheint, sehr sinnvolle Weise, mit diesem Befund umzugehen, ist es, das semantisch idiosynkratische Verhalten interner Argumente mit lexikalischen Idiosynkrasien zu erklären: VP-interne Argumente sind direkt in der lexikalischen Valenz von Verbstämmen vorgesehen und stellen somit lexikalisierte Strukturen dar − das entspricht Davidsons (1967) ursprünglicher Annahme für alle Argumente eines Satzes. Als solche können sie Muster bilden, müssen es aber nicht (vgl. auch 1.3); zumindest nicht, solange die noch vollständig zu eruierenden Beschränkungen über mögliche Verben beachtet werden (vgl. Kaufmann 1995a,b). Neo-davidsonisch – so bezeichnet man Ereignissemantiken mit in den Wahrheitsbedingungen konjungierten thematischen Relationen – lässt sich der Unterschied zwischen (potenziell unregelmäßigen) internen Argumenten und (semantisch regelmäßigen) anderen Argumenten so darstellen, dass nur interne Argumente (und das Sachverhaltsargument) in der Verbstammvalenz repräsentiert sind. Die Komposition einer VP-Denotation aus einem Verb und einem direkten Objekt erfolgt dann wie in (2.15). (Vgl. 2.3/2.4 für die Erläuterung des Kompositionsschrittes.)

Ereignissemantik (Sachverhaltssemantik)  41

(2.15)

ʻλe . e ist ein Kaufen des Ballsʼ [Funktionsanwendung] ʻder Ballʼ den Ball

ʻλx . λe . e ist ein Kaufen von xʼ kaufen

Die anderen, semantisch regelmäßigen, Argumente können hingegen durch einen syntaktisch modellierten Mechanismus eingeführt werden, durch Diathesemorpheme nämlich. Das Diathesemorphem enthält einerseits die thematische Information für das betreffende Individuenargument, und durch das Diathesemorphem wird andererseits das Erfordernis in die Struktur gebracht, bei nächster Gelegenheit ein Argument des passenden Typs zu verketten (merge). Dadurch wird Parsons (1990) Idee ausgearbeitet, thematische Information durch Konjunktion zur Sachverhaltsbeschreibung hinzuzufügen. In (2.16) wird der ethische Dativ auf diese Weise bis zur Ebene unterhalb des Komplementierers modelliert. Der allgemeinen Sicht folgend, gehe ich davon aus, dass der ethische Dativ hohen propositionalen Skopus nimmt (vgl. 1.1) und erstmals oberhalb des Agens-Arguments von (2.16) verkettet wird.23 (2.16) a. Dass [mir die Kinder gesunde Sachen essen]! ‘λe . e ist ein Gesunde-Sachen-Essen b. & die Kinder sind Agens von e & e ist wichtig für den Sprecher’ [Funktionsanwendung] ‘λx . λe . e ist ein Gesunde-Sachen-Essen & die Kinder sind Agens von e & e ist wichtig für x’ [Sachverhaltsidentifizierung] ‘λx . λe . e ist wichtig für x’ ‘λe . e ist ein Gesunde-Sachen-Essen θETHICUS & die Kinder sind Agens von e’ die Kinder gesunde Sachen essen ‘der Sprecher’ mir

Der mit θethicus bezeichnete Kopf führt als Diathesemorphem die thematische Relation des ethischen Dativarguments ein. Der Kompositionsschritt, in dem seine Bedeutung mit derjenigen seiner Schwester verbunden wird, ist Kratzers (1996: 122) Ereignisidentifizierung. Definiert wird sie in Abschnitt 4.3.3. Ihr Effekt ist die Konjunktion von Wahrheitsbedingungen ereignissemantischer λ-Ter 23 Ich erinnere daran, dass der ethische Dativ nicht in den empirischen Bereich unserer Untersuchung fällt. (2.16) soll nur für einen relativ klaren Fall illustrieren, wie Diathesemorpheme Partizipanten in einen Sachverhalt sekundär einführen können. Der Vorschlag in (2.16) beansprucht nicht, eine tiefergehende Analyse der Semantik des ethischen Dativs zu sein. Struktur, die zwischen dem Agens-Argument und dem ethischen Dativ-Kopf vorhanden sein mag, ist in (2.16) nicht repräsentiert.

42  Theoretischer Rahmen me eigentlich inkompatibler Typen (#e,#s,t$$ und #s,t$). Für uns wird bei der freien Dativdiathese die Anwendung dieser ad hoc wirkenden Regel nicht nötig sein. Stattdessen werden wir in 4.3.7 auf die ereignissemantische Variante der Prädikatsmodifikation zurückgreifen können, um unsere freien Dativ-Diathesemorphem-e kompositional mit ihren Schwesterdenotaten zu verbinden. Tabelle 2.2 fasst diese Erwägungen zur Modellierung von internen und nicht-internen Argumenten vorläufig und prätheoretisch zusammen. Für die genauere Diskussion wird auf 4.3 und 12.3 verwiesen, insbesondere aber auf Abschnitt 4.3.11. Tab. 2.2: Semantische und kompositionale Eigenschaften von internen und nicht-internen Argumenten INTERNES

ARGUMENT

NICHT-INTERNES

ARGUMENT

Additivität

nicht notwendig additive Relation zwischen Individuum und Sachverhalt

additive Relation zwischen Individuum und Sachverhalt

semantische Klassenbildung

möglich

notwendig

Komposition

Sättigung einer Argumentstelle des lexikalischen Prädikats

Sättigung einer Argumentstelle eines Diathesemorphems, dessen Wahrheitsbedingungen mit den Wahrheitsbedingungen des VP-Prädikats konjungiert werden

2.5.3 Annahmen zum Verhältnis von Kasus und thematischen Relationen Im vorangehenden Abschnitt haben wir eine Dichotomie zwischen internen und nicht-internen Argumenten etabliert. Ein internes Argument sättigt eine Verb(stamm)valenz. Ein nicht-internes Argument sättigt die Individuenvalenz eines Diathesemorphems, also eines Morphems, das oberhalb der VP thematische Implikationen denotiert. Diathesemorpheme gehören zu einer geschlossenen Klasse; Verbstämme und Verben sind eine mehr oder weniger offene Klasse. Dazu passt, dass entsprechend unseren vorangegangenen Erwägungen in 2.5.2 und 1.3 verbstammgeforderte Argumente semantisch unregelmäßig sein können: Ihre Sachverhaltsbeteiligung kann prinzipiell von Verb zu Verb variieren und ist von der Pflicht zur Klassenbildung befreit. (Dieses Faktum ist kompatibel damit, dass sich doch (tendenziell) Klassen feststellen lassen, aber es gibt wohl kein semantisches Korrelat des Internen-Argument-Status.) Demgegenüber stehen

Ereignissemantik (Sachverhaltssemantik)  43

die an wenigen Fingern abzählbaren thematischen Prädikate, die durch Diathesemorpheme impliziert werden. Von diesen gibt es höchstens so viele, wie es Diathesemorpheme gibt. Ich werde hier keine Mutmaßungen über das genaue Inventar der Diathesemorpheme anstellen. (Einige Beispiele für relevante Diathesemorpheme über LANDMARKE und P-EXERIENCER hinaus werden in 4.3 diskutiert. Auf alle Fälle zählt Kratzers Morphem für die AGENS-Beteiligung dazu (Kratzer 1996 und – an eine stärkere Dekomposition angepasst – 2005a,b). Stattdessen möchte ich herausstellen, dass durch das Trennen von internen und nicht-internen Argumenten eine Isomorphie (oder zumindest Homomorphie) in der Zuordnung von morphologischen Kasus zu thematischen Relationen wieder in greifbare Nähe rückt.24 Wenn man alle akkusativ-, dativ- und genitivmarkierten DPs, deren Kasus durch den Internen-Argument-Status von Argumenten bestimmt ist, aus der Klasse entfernt, über die es thematisch zu generalisieren gilt, erhält man sehr viel kleinere und semantisch homogenere Klassen. Zumindest für den Bereich der freien Dative wird das in der vorliegenden Studie gezeigt. Man mag einwenden, dass das eine uninteressante Antwort auf die Frage nach der Regelmäßigkeit der Zuordnung von morphologischem Kasus zu thematischen Relationen ist; schließlich wird ein Großteil des Problems wegdefiniert. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass es die m. E. einzige Sicht auf die Dinge ist, die das Verhältnis von Kontrast und erwartbarer Regelmäßigkeit vom Kopf auf die Beine stellt (vgl. 1.3): Dort, wo die regelmäßigen Kontraste nachweisbar sind, soll man nach Generalisierungen suchen, und nicht dort, wo keine regelmäßigen Kontraste nachweisbar sind. Ein weiterer Einwand, den man anbringen könnte, besteht darin, dass unsere Sicht auf die Dinge zunächst keine Aussagen darüber zuzulassen scheint, wieso z. B. freie P-EXPERIENCER-Dative typischerweise mit demselben Kasus markiert sind wie Dativ-Argumente von ‘zeigen’-Verben. Auf diesen Einwand habe ich keine gute Antwort. Allerdings würde es sich auch hier anbieten, geläufige Argumentationen umzudrehen. Anstatt zu sagen, dass freie Dative in irgendeiner Weise aus der VP bzw. aus der Verbstammvalenz „emanzipierte“ Argumente sind, könnte man genauso gut sagen, dass Dative als in der Verbvalenz vorgesehene Argumente sekundär sind im Sinne von lexikalisch-syntaktisch verfestigten Beziehungen, die, sobald sie verfestigt und lexikalisiert sind, idio 24 Trotz ernüchternder Ergebnisse etwa bei Jackendoff (1990a: 268) oder Maling (2001) ist das Suchen nach einfachen morphologisch-semantischen Zuordnungen immer wieder ein Movens der semantisch orientierten Kasusforschung. Im Bereich der synchronen Sprachwissenschaft setzt es spätestens mit Jakobsons (1936) Aufsatz ein und geht im letzten Jahrzehnt etwa bei Butt & King (2003, 2005) und Butt (2006: 146-149) wieder ganz selbstverständlich von einem engen Zusammenhang zwischen morphologischem Kasus und thematischer Relation aus.

44  Theoretischer Rahmen

synkratische Veränderungen durchlaufen können. Dieser Argumentation folgend kann man auf der Basis der thematischen Beteiligungen freier Argumente dann doch Voraussagen über Wahrscheinlichkeiten machen, mit denen VP-interne Kasus bestimmte idiosynkratischere Sachverhaltsbeteiligungen anzeigen. Aus dieser Perspektive betrachtet erstaunt es nicht, dass wir als reguläre Bedeutung des freien Dativs EXPERIENCERschaft und eine LOKATIV-Relation (LANDMARKE) eruieren werden – beides Relationen, die, gemischt mit idiosynkratischeren Sachverhaltsbeteiligungen, auch thematische Implikate von verbvalenzgeforderten Dativargumenten sind. Im Feld der verschiedenen Theorien über thematische Prädikate bezieht diese Studie eine Position, die ähnlich wie z. B. bei Dowty (1991), Reinhart (2002) oder Primus (2004) von einem Mischsystem ausgeht, welches im Zentrum des Systems sowohl wahrnehmungsbezogene Prädikate als auch kausalitätsbezogene Prädikate annimmt. Diese werden durch Prädikate für lokale Relationen ergänzt. Damit vertrete ich keine primär lokalistische Theorie thematischer Relationen wie in der durch Anderson (1977) begründeten Tradition. Für die LANDMARKEN-Relation ist die Annahme eines lokalsemantischen Kerns der Sachverhaltsbeteiligung allerdings konstitutiv.

3 Aufbau und Gebrauch der Studie 3.1 Aufbau der Studie Die Studie ist nach zwei großen Gliederungsprinzipien aufgebaut. Das eine Prinzip gruppiert um die Hauptteile II und III die einleitenden und abschließenden Teile I und IV. Dem anderen Prinzip folgend weisen die Teile II und III innerhalb jedes Kapitels einen vom Anfang zum Ende wachsenden Theoriebezug auf. Teil II der Studie diskutiert das Phänomen der Bindung und seine Relevanz für die freie Dativdiathese. Einerseits halte ich das systematische Aufdecken von Bindungsbeziehungen in unserem empirischen Bereich für eine der entscheidenden Neuerungen, die diese Studie in die Diskussion einführt. Andererseits hat der Bindungsbegriff in vielen linguistischen Schulen nicht dieselbe semantische und syntaktische Zentralität wie in dem hier zugrundegelegten Grammatikmodell. Wegen dieser Divergenz von empirischer Wichtigkeit für unseren Bereich auf der einen Seite und nicht voraussetzbarer Vertrautheit mit zentralen Konzepten der Bindungstheorie auf der anderen Seite enthält Teil II mit Kap. 4 eine sehr allgemeine und nicht speziell auf die freie Dativdiathese bezogene Einführung in die Bindungstheorie. Leser, die mit dem (semantischen) Bindungsbegriff vertraut sind, werden in Kap. 4 vielleicht nur 4.3.11 und 4.3.13 zur Kenntnis nehmen wollen, denn dort werden alle Festlegungen zusammengestellt, die wir für unsere Variante der Bindungstheorie benötigen. Bei grundsätzlicher Vertrautheit mit dem Bindungskonzept, aber fehlendem Detailwissen über die zeitgenössische Modellierungsdiskussion empfiehlt sich die Lektüre von 4.3. Die Kapitel 5 bis 8 diskutieren die verschiedenen Aspekte des Bindungsverhältnisses zwischen Dativargument und gebundenem Element bei den verschiedenen Subtypen der freien Dativdiathese. Kap. 5 arbeitet zunächst heraus, dass die freie Dativdiathese überhaupt regelmäßig mit Bindung einhergeht. In Kap. 6 wird die Lokalität der Dativbindung bestimmt: Freie Dative binden innerhalb der lokalen Tempusdomäne. Kap. 7 hat das Phänomen zum Gegenstand, dass obligatorische Dativbindung immer nur in den linken Rand tiefer eingebetteter DPs erfolgt. Diese Art notwendig „quer verschobener“ Bindung werden wir als „Rösslsprungbindung“ bezeichnen. Kap. 8 analysiert den parallelen Aufbau der Possessum- und Zweckphrasen, deren Possessoren- bzw. Nutznießervariablen von den freien Dativen gebunden werden. Kap. 9 fasst den empirischen und theoretischen Ertrag von Teil II zusammen. Teil III ist der Diskussion und Analyse der Sachverhaltsbeteiligungen oder der thematischen Relationen von freien Dativreferenten gewidmet. In Kap. 10 wird eine grundlegende Unterscheidung zweier verschiedener Sachverhaltsbeteiligungen eingeführt, die sich für freie Dativreferenten nachweisen lässt: P-EXPERI-

46  Aufbau und Gebrauch der Studie

ENCERschaft

und LANDMARKENschaft. Außerdem wird ein Vorschlag zur Analyse der P-EXPERIENCERschaft entwickelt. Die detaillierte Behandlung der LANDMARKENBeteiligung freier Dativreferenten ist Kap. 11 vorbehalten. Das klare Bild von LANDMARKEN-Beteiligung einerseits und von P-EXPERIENCER-Beteiligung andererseits wird durch Faktoren gestört, die Gegenstand von Kap. 12 sind. Zum einen liefern verschiedene Sachverhaltstypen als orthogonal klassifizierende Dimensionen eine Kreuzklassifikation zu derjenigen in P-EXPERIENCER- vs. LANDMARKEN-Dative. Außerdem ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass P-EXPERIENCER- und LANDMARKENschaft auf einen Dativreferenten zugleich zutreffen können – was empirisch sehr häufig der Fall ist. Den Zusammenfall beider thematischer Beteiligungen werden wir als AFFIZIERTENschaft bezeichnen. Kap. 13 fasst Teil III zusammen. Teil IV versammelt die gebündelte Diskussion konkurrierender neuerer Ansätze, den Ausblick auf Übereinzelsprachliches und Historisches sowie eine Auflistung offener Fragen. Kap. 14 beschäftigt sich mit dem Vergleich der hier entwickelten Theorie der freien Dativdiathese mit Possessoranhebungstheorien, Applikativtheorien in der Tradition von Pylkkänen (2002) und anderen Bindungsansätzen für Teilbereiche des relevanten empirischen Bereichs. Kap. 15 mit seinem übereinzelsprachlichen und seinem historischen Teil ist als Zusammenstellung von Anknüpfungspunkten für weiterführende sprachvergleichende und sprachgeschichtliche Studien konzipiert. Ein Kapitel zu offenen Fragen beschließt die Studie. Zu Beginn dieses Abschnitts war von zwei Gliederungsprinzipien der Studie die Rede. Das erste Gliederungsprinzip teilt, wie erläutert, den Hauptteil der Studie in den bindungstheoretischen Teil II und den rollensemantischen Teil III und umgibt beides mit kontextualisierender Diskussion. Das zweite Gliederungsprinzip macht die Hauptteile II und III, so hoffe ich, für verschiedene Lesergruppen benutzbar. Jedes der Kapitel 4 bis 8 und 10 bis 12 ist nach demselben Schema aufgebaut. So werden im ersten Teilabschnitt jedes dieser Kapitel das empirische Problem und die Modellierungsabsicht prätheoretisch eingeführt. Diese Abschnitte zielen auf das intuitive Verstehen ab. Der zweite Teilabschnitt entwickelt und versammelt die Daten und deskriptiven Generalisierungen, die für das jeweilige Problem einschlägig sind. Der dritte Teilabschnitt schließlich entwickelt die theoretische Analyse. Auf diese Weise ergibt sich für die genannten Kapitel ein Dreischritt wie in Tabelle 3.1 zusammengefasst. Tab. 3.1: Aufbau der Kernkapitel ABSCHNITT

INHALT

x.1 x.2 x.3

prätheoretische Einführung deskriptive Generalisierungen theoretische Implementierung

Gebrauch der Studie je nach Erkenntnisinteresse  47

3.2 Gebrauch der Studie je nach Erkenntnisinteresse Das zum Ende des vorangehenden Abschnitts erläuterte Gliederungsprinzip der Kernkapitel erleichtert, so hoffe ich, Lesern mit ganz unterschiedlichem Erkenntnisinteresse das schnelle Auffinden gesuchter Information. Obwohl die Studie als Monographie und zusammenhängender Text konzipiert ist, soll ihre Gliederung auch zu punktuellem und parallelem Lesen einzelner Teile einladen. Insbesondere die Trennung der Darstellung deskriptiver Generalisierungen von ihrer theoretischen Herleitung soll Lesern mit anderen theoretischen Schwerpunkten das auswählende Lesen ermöglichen. Andererseits gewinnen Leser mit theoretischem Interesse im Bereich der wahrheitswertfunktionalen Semantik, so ist zu hoffen, durch die gedrängt dargestellte theoretische Implementierung im letzten Teil der Kernkapitel einen raschen Überblick über die Architektur der vorgeschlagenen Analysen. Es versteht sich von selbst, dass die vollständige Trennung von Beschreibung und Modellierung unmöglich ist, da jede Klassifizierung von Daten schon eine Theorie voraussetzt. Dennoch ist es so, dass die deskriptiven Generalisierungen, die wir aufstellen, sinnvoll von der vorgeschlagenen Modellierung abgrenzbar sind; denn die vorgenommenen theoretischen Modellierungen sind einseitiger und damit wahrscheinlich kontroverser – und auch komplexer – als die deskriptiven Generalisierungen. Das liegt daran, dass die vorgeschlagenen Implementierungen weit über das in den Daten Angelegte hinausgehen; sie inkorporieren weit mehr Annahmen über Sprache, als das in den deskriptiven Teilen der Fall ist. Anders gesagt: Die deskriptiven Generalisierungen, die wir aufstellen werden, wären je nach unterschiedlicher linguistischer Schule und theoretischem Geschmack auch ganz anders theoretisch ableitbar als auf die modelltheoretisch-wahrheitswert-funktionale und schnittstellenbezogene Art, die wir in den Modellierungsteilen zugrundelegen.

Teil II: Freie Dative und Bindung

I’ve played all my cards/ And that’s what you’ve done too. ABBA, The Winner Takes It All

4 Bindung 4.1 Einleitung Das vorliegende Kapitel liefert einen sehr grundsätzlichen Überblick über syntaktische und semantische Bindungstheorien. Bindung ist diejenige Distanzabhängigkeit, die wir zur Modellierung der freien Dativdiathese heranziehen werden. Deswegen ist ein Überblick über Bindungsphänomene und -theorien geboten, zumal die nötigen Anpassungen bestehender Theorien an ereignissemantische (2.5) und insbesondere neodavidsonische (2.5.2) Erfordernisse nicht auf der Hand liegen. Ein weiterer Grund, wieso eine ausführliche Ausgestaltung des Kapitels angeraten schien, ist die Tatsache, dass meines Wissens kein Überblick über wichtige zeitgenössische Bindungstheorien vorliegt. Insofern schließt dieses Kapitel im besten Fall auch unabhängig von der Analyse der freien Dativdiathese eine Lücke. Nicht alle Leser werden von allen Teilen des Kapitels gleichermaßen profitieren. Um einen Überblick über die grundsätzlichen Phänomene und Fragestellungen zu gewinnen, reicht die Lektüre von 4.2.1 bis 4.2.3. Leser mit Vorbildung im Bereich syntaktischer Reflexivität können von 4.2.1 direkt zu 4.2.4 oder 4.2.5 springen. Formalsemantisch interessierte Leser, die nur die hier angenommene semantische Bindungstheorie ohne kontextualisierende Diskussion zur Kenntnis nehmen wollen, werden sich auf 4.3.7 und 4.3.9 bis 4.3.11 konzentrieren. Das Kapitel als ganzes führt zunächst die zentralen Begriffe strict identity und sloppy identity ein (4.2.1) und spannt sodann mit Büring (2005) den maximalen Pronominalraum auf, der durch (Anti-)Bindungsphänomene definiert wird (4.2.2/4.2.3). Die übrigen Teile von 4.2 bereiten den Formalisierungsteil 4.3 empirisch vor und kontextualisieren das Vorhaben im Kontext des Neodavidsonismus.

4.2 Deskriptive Generalisierungen zur Bindung 4.2.1 Strict identity vs. sloppy identity Es ist vielleicht ein guter Einstieg in die deskriptiven Generalisierungen zur Bindung, wenn man mit der Diskussion eines Missverständnisses beginnt. Zumin-

52  Bindung dest wäre der Autor dieser Studie froh gewesen, wenn ihm schon beim ersten Kontakt mit der Bindungsliteratur der im Folgenden dargelegte Zusammenhang präsent gewesen wäre. Speziell geht es um das Verständnis von Bindungsphänomenen bei Possessivpronomina – und diese Pronomina werden uns im Bereich der Dativbindung hauptsächlich interessieren. Die naheliegende Lesart von (4.1) ist die, in der Paula Paulas Hund herbeipfiff. (4.1) Paula pfiff ihren Hund herbei. Aufgrund seiner morphosyntaktischen Merkmale ist ihren darauf festgelegt, sich auf einen Referenten zu beziehen, der mit einem femininen Nominal bezeichnet werden kann oder der weiblichen Geschlechts ist (wenn man die pluralische Lesart von ihren einmal außer Acht lässt). Man könnte nun so argumentieren wollen – und genau dieses Argument fasst das oben erwähnte Missverständnis zusammen – dass das schon fast alles ist, was über die Interpretation von ihren und von anderen Formen des Possessivpronomens zu sagen ist. Was genau in einem spezifischen Kontext gilt, kann dem Kontext überlassen werden. Von seiner lexikalischen Bedeutung her gesehen wäre ihren dann vage in Bezug auf die Frage, ob sein Antezedens im selben Satz steht oder im weiteren linguistischen oder außerlinguistischen Kontext vorkommt. Dass dieser Schluss voreilig wäre, wird die Diskussion von (4.2) erweisen. (4.2) Paula pfiff ihren Hund herbei, und Clara auch. Die naheliegende Lesart von (4.2) ist wieder diejenige, in der Paula nach Paulas Hund pfiff, und Clara pfiff nach Claras Hund. Der Satz ist auch dann wahr, wenn Paula Paulas Hund herbeipfiff und Clara auch Paulas Hund herbeipfiff. Es gibt noch eine dritte Lesart von (4.2). Wenn außer Paula und Clara noch Sarah mit im Park war, und der Hund gehört Sarah, dann hat (4.2) eine Lesart, in der ihren sich auf die relevante dritte Person bezieht: Sowohl Paula als auch Clara pfiffen Sarahs Hund herbei. (4.2′) führt Namen für die verschiedenen Lesarten ein. (4.2′) Paula pfiff ihren Hund herbei, und Clara auch. a. Bindungslesart/sloppy identity ‘Paula pfiff Paulas Hund herbei, und Clara pfiff Claras Hund herbei.’ b. Koreferenzlesart/strict identity ‘Paula pfiff Paulas Hund herbei, und Clara pfiff Paulas Hund herbei.’ c. „Dritte Lesart“ ‘Paula pfiff Sarahs Hund herbei, und Clara pfiff Sarahs Hund herbei.’

Deskriptive Generalisierungen zur Bindung  53

Die Bindungslesart wie in (4.2′a) wird auch sloppy-identity-Lesart genannt, da ein zu ergänzendes Possessivpronomen, in diesem Fall in der Ellipse nach auch, einem anderen Referenten zugeordnet wird als ihren. Der Bezug des ausgesprochenen und des elidierten Pronomens ist „nicht durchgehalten“, das elidierte Pronomen bezieht sich „nachlässig“ auf etwas, daher sloppy (identity).1 Koreferenzlesarten von Pronomina wie in (4.2′b) sind in der Ellipse auf denselben Bezug festgelegt wie in dem ausgesprochenen Vorkommen – es liegt „strikte Identität“/strict identity vor. Die „dritte Lesart“ ist eigentlich der allgemeine Fall der strict-identity- oder Koreferenzlesart, denn auch hier ist der Bezug des ausgesprochenen Pronomens gleich dem des elidierten; nur hat keines der Pronomen ein Antezedens im selben Satz. Die allgemeineren deskriptiven Generalisierungen, die hinter diesen drei Lesarten stehen und deren Ableitung einen Großteil der semantischen Bindungsliteratur ausmacht (vgl. die Referenzen in 4.3.1), sind in (4.3) zusammengefasst. (4.3) Generalisierungen über die Interpretation von elidierten und nicht-elidierten Pronomina unter VP-Ellipse-: Die Interpretationen des elidierten und des nicht-elidierten Possessivpronomens in strict-vs.-sloppy-identity-Kontexten sind teilweise abhängig voneinander. (i) PARALLELITÄT UNGEBUNDENER LESARTEN Eine nicht gebundene, also dritte oder koreferente Lesart des elidierten Pronomens erzwingt eine Lesart mit demselben Bezug beim nichtelidierten Pronomen. (ii) PARALLELITÄT GEBUNDENER LESARTEN Wenn das nicht-elidierte und das elidierte Pronomen nicht auf denselben Referenten abgebildet werden, müssen sie auf den jeweils lokalen Antezedens-Referenten abgebildet werden. (4.2′′) stellt die gemäß (4.3) ausgeschlossenen Lesarten von (4.2) zusammen. (4.2′′) Paula pfiff ihren Hund herbei, und Clara auch. a. PARALLELITÄT UNGEBUNDENER LESARTEN ) ‘Paula pfiff Sarahs Hund herbei, und Clara pfiff Claras Hund herbei.’ ) ‘Paula pfiff Paulas Hund herbei, und Clara pfiff Sarahs Hund herbei.’ ) ‘Paula pfiff Sarahs Hund herbei, und Clara pfiff Paulas Hund herbei.’  1 Die Begriffe „strict identity“ und „sloppy identity“ gehen – was mittlerweile nur noch selten erwähnt wird – auf Ross (1967, 1969) zurück (aber vgl z. B. Keenan 1971, Dahl 1973). Entgegen dem ersten Eindruck, den diese zum Standard gewordene Terminologie erwecken mag, ist damit nicht gemeint, dass sloppy-identity-Lesarten substandardhaft oder nicht regelhaft wären.

54  Bindung

b.

PARALLELITÄT GEBUNDENER LESARTEN )

) )

‘Paula pfiff Sarahs Hund herbei, und Clara pfiff Monicas Hund herbei.’ ‘Paula pfiff Claras Hund herbei, und Clara pfiff Paulas Hund herbei.’ ‘Paula pfiff Monicas Hund herbei, und Clara pfiff Sarahs Hund herbei.’ …

Für jemanden, der die satzgrammatische Irrelevanz der dargelegten LesartenBeschränkungen verteidigen will, sind das Fakten, die der eigentlich sparsamen Annahme satzgrammatisch unbeeinflusster Pronominalreferenz große Hindernisse in den Weg legen. Sie aus dem Weg zu räumen, wäre wahrscheinlich sehr viel aufwändiger, als eine Ambiguität in der Interpretation vieler Sätrze mit Pronomina anzunehmen.2 Die Annahme einer solchen Ambiguität wird weiter gestützt dadurch, dass die Bindbarkeit oft ein Bedeutungsbestandteil ist, der im Lexikoneintrag von Pronomina konventionalisiert ist. So muss sich selbst gebunden sein (vgl. Fn. 10 für Erläuterungen zu der Frage, worin sich selbst sich womöglich von sich unterscheidet). Dasselbe gilt für das subjektgebundene Possessivpronomen der nordgermanischen Sprachen (vgl. die Diskussion von schwed. sin in 4.2.3). Das Pronomen ó des Yoruba wiederum kann in Komplementsätzen nicht vom Teilsatzsubjekt gebunden werden (Dalrymple 1993, Büring 2005a: 59). Auch das Possessivpronomen hans des Schwedischen (ebenso wie seine Entsprechungen in anderen nordgermanischen Sprachen) hat Anti-Subjektbindungs-Eigenschaften. Der Wert der Generalisierungen zur VP-Ellipse- in (4.3) ist für uns erstens, dass wir mit ihnen Konstruktionen erkennen können, in denen Pronomina auf Bindungsinterpretationen festgelegt sind. (4.4) Paul hat damals sich selbst gewählt, und Clara auch. Sich selbst in (4.4) ist auf die Bindungslesart festgelegt, denn der Satz hat keine Interpretation, in der Clara Paul gewählt hat. D. h. sich selbst muss, weil es auch in der elidierten Kopie gebunden ist, im ersten Teilsatz gebunden sein und kann nicht nur zufällig mit dem Subjektsreferenten im ersten Konjunkt koreferieren.

 2 Wohlgemerkt, das Pronomen selbst muss nicht als ambig modelliert werden, nur die Interpretationen der Sätze, in denen sie vorkommen. Die Explizierung dieser Art Ambiguität bei lokal konstanter Pronominalbedeutung macht den Kern des im Folgenden referierten Programms aus, Bindung anaphorischer Ausdrücke zu modellieren.

Deskriptive Generalisierungen zur Bindung  55

Genau diesen Effekt, dass nämlich bestimmte Konstruktionen nur Bindungslesarten zulassen, werden wir uns im Bereich der obligatorischen Dativbindung immer wieder zunutze machen: Da wir unter VP-Ellipse- nur Bindungslesarten erhalten und der Dativ immer der Binder ist, werden wir schlussfolgern, dass Dative binden müssen. Andernfalls würde man die Möglichkeit von Koreferenzlesarten oder „Dritten Lesarten“ erwarten. Neben der VP-Ellipse- gibt es noch eine andere wichtige Konfiguration, in der analoge Interpretationsmöglichkeiten auftreten und die in der Literatur klassischerweise zum Bindungsnachweis herangezogen wird. Dabei geht es um Fokuskonstruktionen mit ‘nur’-Wörtern (Ross 1967, Büring 2005a: 104–113). Wir werden diesen Test nur an einer Stellen verwenden, um Bindung nachzuweisen (in 4.2.3), deswegen wird er hier nur kurz vorgestellt. In Sätzen mit nur wird implizit Bezug genommen auf andere Sachverhalte, die nicht gelten. Wenn man sagt Nur Paul ist gekommen, wird ausgeschlossen, dass außer Paul andere kontextuell relevante Referenten gekommen sind.3 Der Effekt des Ausschlusses von Alternativen lässt sich elegant für den Bindungsnachweis nutzen. Das zeigt der Kontrast der Lesarten von (4.5) und (4.6) (Kapitälchen zeigen Silben unter Fokusakzent an). (4.5) Nico hat nur gesagt, dass PAUL damals sich selbst gewählt hat. (4.6) Nico hat nur gesagt, dass PAUL damals seine Frau gewählt hat. In (4.5) macht Nico keine Aussage über das Sich-selbst-Wählen der anderen außer Paul. Das muss so sein, denn sich selbst legt die Interpretation der impliziten Alternativen auf Bindungslesarten fest. In (4.6) liegt wieder das ganze Interpretationsspektrum vor, das wir analog für (4.2) nachgewiesen hatten: (i) Nico hat gesagt, dass Paul Pauls Ehefrau gewählt hat, und Nico hat keine Behauptung darüber gemacht, ob sonst jemand seine je eigene Ehefrau gewählt hat (Bindung); (ii) Nico hat gesagt, dass Paul Pauls Ehefrau gewählt hat, und Nico hat keine Behauptung darüber gemacht, ob sonst noch jemand Pauls Ehefrau gewählt hat (Koreferenz); (iii) Nico hat gesagt, dass Paul die Ehefrau von jemand anderem gewählt, und Nico hat keine Behauptung darüber gemacht, ob sonst jemand diese Frau gewählt hat („Dritte Lesart“). Auch in nur-Sätzen können wir demnach wie in (4.6) Bindungslesarten von Nicht-Bindungslesart-en unterscheiden, und vor allem können wir wie in (4.5) Konstruktionen erkennen, in denen Bindung obligatorisch ist (nämlich in (4.5) mit sich selbst, nicht aber in (4.6) mit seine).  3 Die Literatur zu ‘nur’-Wörtern ist umfangreich; vgl. unter vielen Horn (1969, 1996), Jacobs (1983), König (1991), von Fintel (1994), Büring & Hartmann (2001), Hole (2004a).

56  Bindung Es soll noch kurz gezeigt weden, dass die Bindungslesart auch bei Quantorenbindern mit der „Dritten Lesart“ konkurrieren kann. (4.7) versammelt zwei relevante Beispiele. (4.7) a. Kein gutes Staatsoberhaupt wünscht seinem Land Schlechtes. b. Jedes korrupte Staatsoberhaupt will das Beste für sich selbst, und jeder korrupte Manager auch. In (4.7a) mit dem Quantorsubjekt kein gutes Staatsoberhaupt kann seinem gebunden sein, aber es kann nicht koreferieren. Das ist so, weil kein gutes Staatsoberhaupt gar nicht referiert; stattdessen wird, um die Wahrheitsbedingungen des Satzes mit der Bindungslesart zu überprüfen, für jedes einzelne gute Staatsoberhaupt überprüft, ob es seinem je eigenen Land Schlechtes wünscht. Wenn das in keinem Fall zutrifft, ist der Satz wahr. Anders gesagt: Was auch immer die genaue Bedeutung von kein gutes Staatsoberhaupt ist (Barwise & Cooper 1981; Heim & Kratzer 1996: 140-147), es kann sich nicht um das referierende Antezedens von seinem handeln. Stattdessen drückt der Satz eine Wenndann-Beziehung aus. Die „dritte Lesart“ ist jedoch verfügbar, wenn die Referenz von seinem auf ein bestimmtes Diskurs-Antezeden-s- festgelegt ist. Für (4.7b) ist wegen des Reflexivums in Objektposition nur die Bindungslesart im zweiten Konjunkt verfügbar, wobei wiederum eine Wenn-dann-Beziehung ausgedrückt wird: Wenn jemand ein korrupter Manager ist, will er das Beste für sich selbst. In den folgenden Abschnitten 4.2.2 bis 4.2.4 werden wir die deskriptiven Generalisierungen, die für Bindungsphänomene im Allgemeinen relevant sind, aus zwei verschiedenen Perspektiven diskutieren, einmal aus der Perspektive des gebundenen Ausdrucks (Abschnitte 4.2.2 und 4.2.3), und einmal aus der Perspektive des Prädikats (Abschnitt 4.2.4). Beide Perspektiven werden für die Dativbindung relevant sein.

4.2.2 Bindungsgeneralisierungen aus der Perspektive des gebundenen Ausdrucks Wir haben mittlerweile mehrfach Bezug genommen auf die unterschiedlichen Bindungserfordernisse, die z. B. das Possessivpronomen sein/ihr in seinen verschiedenen Lesarten oder das Reflexivpronomen sich (selbst) an seinen Kontext stellt. Diese bislang kursorische Bezugnahme soll im vorliegenden Unterabschnitt systematisiert werden. Für Leser mit entsprechendem Vorwissen zu übereinzelsprachlichen Bindungsgeneralisierungen bietet es sich an, diesen

Deskriptive Generalisierungen zur Bindung  57

und den folgenden Abschnitt 4.2.3 zu überspringen, denn es wird fast ausschließlich Büring (2005a) und andere Standardliteratur zum Thema referiert. Wir werden zunächst das maximal aufgespannte System an Möglichkeiten des Gebundenseins von DP-wertigen Ausdrücken kennenlernen, wie sprachvergleichende Forschung es ans Licht gebracht hat. Zu diesem Zweck werde ich ein von Büring (2005a: 79) erstelltes und leicht angepasstes Maximalschema verwenden.4; 5 Es ist in (4.8) angeführt. Erst nach der Diskussion dieses Schemas werden in Abschnitt 4.2.3 einzelne DP-Klassen diskutiert, die für uns im Folgenden besonders relevant sind.   MUSS (4.8) Eine DP aus KLASSE gebunden sein von einer/m KOMMANDARF ðNICHTÞ 9 8 Koargument- > > > >   = < DP SubjektDIERENDEN DOMÄNE. in ihrer/seiner SUBJEKT Tempus> > > > ; : Matrix-

 4 Bürings Version lautet wie in (i).

8 < NP

9 =

within its (i) An NP of class must (not) be coindexed with a commanding 8 9 ; : subject > coargument > > > < = subject domain. tense > > > > : ; root Die Unterschiede zwischen Bürings Original und der hier verwendeten Version ergeben sich wie folgt (wenn man von den Unterschieden, die durch die Übersetzung bedingt sind, absieht): DP – NP: Büring nimmt (in Büring 2005a) grundsätzlich keine DPs an; must (not) – muss vs. darf (nicht): Die zusätzliche Einführung der Bindungs-Möglichkeit (darf) erleichtert uns die Feststellung des nicht-lokalen Bindungsverhaltens von sein/ihr (vgl. 4.2.3). gebunden – coindexed: Büring führt den Unterschied zwischen (syntaktischer) Koindizierung und (semantischer) Bindung sowie seinen (ersten) Vorschlag zur Modellierung von semantischer Bindung erst später ein (Büring 2005a: 83–86). Mit dem Wissen um den später ausgebreiteten Modellierungsstand kann man sagen, dass eindeutig (semantische) Bindung gemeint ist. 5 Vgl. auch Everaert (2003) und Zifonun (2003) für ähnliche multifaktorielle Aufteilungen des Phänomenbereichs. In Everaerts Überblick wird der Diskurs als die höchste Bindungsdomäne angegeben. Die Vertretbarkeit dieser Annahme hängt stark vom zugrundegelegten Grammatikmodell ab, und es ist nicht ganz klar, wie eine genaue Implementierung dieser Bindungsdomäne bei Everaert aussehen würde. Everaerts Arbeiten sind dem Chomsky-Paradigma zuzurechnen, und in diesem Rahmen sind keine für die Grammatik bzw. Morphosyntax relevanten strukturellen Domänen oberhalb der Satzebene formulierbar. Andererseits können mithilfe von Kontextpronomina mit hoher Position im Satz in der Tradition von von Fintel (1994) Diskursantezedenten satzgrammatisch syntaktisiert werden. Eine solche Analyse erlaubt die Bezugnahme auf Diskursinformation.

58  Bindung

Es gibt in diesem Schema fünf Dimensionen der Variation. Sie sind in (4.9) ausbuchstabiert und werden gleich im Anschluss diskutiert. (4.9) i.

DP-KLASSE

Pronomen Possessivpronomen1 Possessivpronomen2 … Pronomen1 … sich sich (selbst) er, sie, es … lexikalische DP definite Kennzeichnung … Eigenname ii.

OBLIGATORITÄT DER BINDUNG

Bindung obligatorisch Bindung ausgeschlossen Bindung möglich iii.

KOMMANDO

Das Antezedens c-kommandiert die fragliche DP. Das Antezedens o-kommandiert die fragliche DP. Das Antezedens θ-kommandiert die fragliche DP. iv. ORIENTIERUNG/Grammatische Relation des Binders Subjekt … … eines Teilsatzes … einer DP irrelevant v. LOKALITÄTSDOMÄNE definiert durch … … Koargumentalität … Subjekthaltigkeit … Tempusmarkierung … (Matrix-)Satz Das Schema in (4.8), hier wiederholt als (4.10), gibt also an, für welche Parameter der (nicht) zu bindende Ausdruck variieren kann. Das heißt, dass das Definiendum durch KLASSE repräsentiert ist.

Deskriptive Generalisierungen zur Bindung  59



MUSS



gebunden sein von einer/m KOMMAN9 8 Koargument- > > > >   = < DP SubjektDIERENDEN DOMÄNE. in ihrer/seiner SUBJEKT Tempus> > > > ; : Matrix-

(4.10) Eine DP aus KLASSE

DARF ðNICHTÞ

OBLIGATORITÄT DER BINDUNG:

Ein Reflexivpronomen muss gebunden sein, ein Possessivpronomen im Deutschen kann gebunden sein, und eine lexikalische DP darf nicht gebunden sein (vgl. auch die Zusammenstellung der Chomsky’schen Bindungsprinzipien in (4.29)).

KOMMANDO:

Der Parameter des KOMMANDOS fächert sich in unterschiedliche syntaktische und semantische Hierarchierelationen auf. Je nach theoretischer Ausrichtung oder dem untersuchten Phänomen wird man C-Kommando, O-Kommando oder θ-Kommando (oder eine Variante dieser drei) als diejenige Konfiguration identifizieren, die dem hierarchischen Verhältnis zwischen Antezedens und nominalem Ausdruck zugrundeliegen muss oder (nicht) darf. θ-Kommando ist eine Hierarchierelation, die sich aus einer als universell postulierten Hierarchie thematischer Rollen ergibt.6 Es handelt sich also um eine Hierarchierelation, die auf semantische Komponenten Bezug nimmt. Wir werden thematische Rollen in Teil III dieser Arbeit diskutieren. O-Kommando (o(bliqueness)-command) ist ein in der Head Driven Phrase Structure Grammar (HPSG; Pollard & Sag 1994, Sag & Wasow 1999) verwendetes Konzept gradierter syntaktischer Prominenz von Argumenten. Es ist über syntaktische Funktionen definiert, ohne allerdings einheitliche Abbildungen von OKommando-Beziehungen auf baumgeometrische Strukturen vorzunehmen, und sieht im Einzelfall oft so aus wie Keenans & Comries (1977, 1979) NP Accessibility Hierarchy.7 O-Kommando-Beziehungen sind immer für die Argumentlisten in-

 6 Vgl. Jackendoff (1990a: 261, 268), der die θ-Hierarchie in (i) annimmt, oder Bresnan (2001: 307) mit der für Lexical Functional Grammar angesetzten Hierarchie in (ii) (vgl. für einen einflussreichen Vorläufervorschlag auch Bresnan & Kanerva 1989: 23).

(i) Actor > Patient/Beneficiary > Theme > Source/Goal/Reference Object > Identificational Goal/Reference Object (ii) agent > beneficiary > experiencer/goal/recipient > instrument > patient/theme > location 7 Eine häufige Hierarchisierung grammatischer Relationen im Hinblick auf Oblikheit ist die in (i). (i) Subjekt > Direktes Objekt > Indirektes Objekt > Obliqua > …

60  Bindung dividueller Lexikoneinträge definiert, so dass man nicht sagen kann, dass z. B. ein direktes Objekt ein indirektes Objekt immer o-kommandiert (vgl. Pollard & Sag 1994, Sag & Wasow 1999). C-Kommando (c(onstituent)-command) wird von vielen generativen Autoren als die einzige grammatisch relevante Hierarchierelation angenommen. Eine Definition des C-Kommandos (nach Büring 2005a: 8; C-Kommando wurde erstmals von Reinhart 1976 definiert) ist in (4.11) angegeben. (4.11) Knoten A c-kommandiert Knoten B in einer Konstituentenstruktur gdw. a. keiner der beiden Knoten den anderen dominiert und b. jeder (verzweigende) Knoten, der A dominiert, auch B dominiert. Die Disjunktion zwischen „DP“ und „Subjekt“ in (4.8)/(4.10) bezieht sich auf das empirische Faktum, dass einige gebundene Ausdrücke darauf festgelegt sind, ihr Antezedens in einem Subjekt zu finden (etwa die typischen Reflexivpronomina europäischer Sprachen; aber vgl. 4.3.7 für eine stärker agentivitätsorientierte Sicht), wohingegen in anderen Fällen (etwa bei sein/ihr; vgl. 4.2.3) jede (c-)kommandierende DP als Binder in Frage kommt.

ORIENTIERUNG:

LOKALITÄT: Der letzte Parameter in (4.8)/(4.10) schließlich spezifiziert die Lokalität der Bindungsdomäne. So ist z. B. sein/ihr in seiner gebundenen Variante nicht darauf festgelegt, in seinem Teilsatz gebunden zu sein, sich selbst aber schon. Wir diskutieren die Domänen in der Reihenfolge von den umfassenderen zu den lokaleren. Die Matrixdomäne ist die größte satzgrammatisch definierbare Domäne. Sie umfasst den ganzen Satz, unabhängig davon, was alles in ihn eingebettet ist. Wie soeben schon erwähnt, gebundenes sein/ihr muss seinen Binder innerhalb der Matrixdomäne finden. In Abschnitt 4.2.3 werden wir das Bindungsverhalten von sein/ihr eingehender besprechen. Die Tempusdomäne eines (un)gebundenen Ausdrucks umfasst alles, was zu dem finiten Teilsatz gehört, von dem der (un)gebundene Ausdruck ein Teil ist. Dabei reicht reduzierte Finitheit wie in Infinitivsätzen oder Partizipialkonstruktionen aus, damit ein Teilsatz als vollgültige Tempusdomäne zählen kann. Dt. sich selbst ist, wie wir in Abschnitt 4.2.3 sehen werden, angewiesen auf einen Binder in seiner Tempusdomäne. Die Definition und Abgrenzung von Subjekt- und Koargumentdomäne ist etwas heikel, denn hier mischt sich eine komplizierte, im Deutschen und Englischen unterschiedliche Datenlage mit einigen theorieabhängigen Schwierigkeiten. Wir wollen den Unterschied zwischen beiden Domänen anhand der Beispiele in (4.12) und (4.13) herausarbeiten.

Deskriptive Generalisierungen zur Bindung  61

(4.12)

ENGLISCH

a. Hei looked around himi /himselfi . ‘Er sah um sich.’ b. Hei was looking for himselfi /)himi . ‘Er suchte sich selbst.’ (4.13)

DEUTSCH

a. Eri sah um sichi /)ihni . b. Eri suchte nach sichi /)ihmi . In (4.12a) kann man around him als PP-Ergänzung von look analysieren. Das Komplement der Präposition ist wiederum him. Demnach sind he und him nicht Argumente desselben Prädikats, denn him ist Argument der Präposition, und he ist Argument von looked. Ein Reflexivpronomen ist nicht erforderlich (allerdings möglich). Obwohl in (4.12b) auch eine Sequenz aus Verb, Präposition und mit dem Subjekt koindiziertem Pronomen vorliegt, sind die Grammatikalitätsfakten anders als in (4.12a). In (4.12b) muss bei intendierter Koindizierung das Reflexivpronomen stehen. Die etablierte Analyse für diesen Fall ist, dass bei Verben wie look for ‘suchen nach’, consist of ‘bestehen aus’, abide by ‘gehorchen, folgen’, bei denen keine Wahlmöglichkeit für die zu gebrauchende Präposition besteht, die Präposition Teil des Verblexems ist. Das Objekt in (4.12b) ist dann das Objekt der komplexen Verbform was looking for. Demnach sind he und himself in (4.12b) Argumente ein und derselben Prädikation, sie sind Koargumente. In (4.12a) ist him hingegen nicht Koargument von he. Die Daten in (4.13) zeigen im Gegensatz dazu, dass es für die Reflexivierung im Deutschen unerheblich ist, ob dem Verb eine paradigmatische Präposition wie in (4.13a) oder eine feste Präposition wie in (4.13b) folgt. Aus diesen Fakten kann man schließen, dass im Englischen die Koargumentdomäne für Reflexivierung einschlägig ist, im Deutschen aber eine etwas weitere Domäne. Diese weitere Domäne ist die Subjektdomäne. Sie umfasst nicht nur alle Koargumente eines Arguments, sondern alle Argumente, die innerhalb einer Konstituente mit Subjekt vorkommen, auch wenn es Argumente von weiteren Ausdrücken wie Präpositionen sind (für diese Generalisierung muss man allerdings die generelle Subjekthaltigkeit von PPs – pace Stowell 1981 – negieren). Tabelle 4.1 stellt die verschiedenen Domänen zusammen. (4.14) illustriert anhand eines (so im Deutschen nicht möglichen) Beispiels ihre Inklusivität (beides nach Büring 2005a: 66). In Sätzen ohne Teilsatzeinbettung oder komplexe DPs fallen alle in Tabelle 4.1 unterschiedenen Domänen zusammen. Der Sprachvergleich und die Verhältnisse in komplexen Sätzen zwingen aber wohl mindestens zu einer Auffächerung wie in Tabelle 4.1.

62  Bindung Tab. 4.1: Übereinzelsprachlich feststellbare Bindungsdomänen8 DOMÄNE

DEFINITION

Die … für A ist

die kleinste Konstituente, die A, As Kasuszuweiser K und … enthält.

Koargument-Domäne, KD alle Argumente von K Subjekt-Domäne, SD9

ein Subjekt (von DP oder S)

Tempus-Domäne, TD

einen finiten (Teil-)Satz

Matrix-Domäne, MD

den ganzen (komplexen) Satz

(4.14) It was reported that they left upon Joe’s telling jokes about Kim.

KD SD TD MD

‘Es wurde berichtet, dass sie aufbrachen, als Joe anfing, Witze über Kim zu erzählen.’

4.2.3 Bindungsprinzipien A, B und C: Das Bindungsverhalten von sich selbst, sein/ihr, schwed. sin, er/sie/es und definiten DPs Nach dem allgemeinen Überblick über die Dimensionen der Variation von Bindung in 4.2.2 wollen wir nun die Einzelfälle sich selbst, sein/ihr, schwedisch sin, er/sie/es sowie definite DPs diskutieren. Die Auswahl speziell dieser Formen erfolgt im Hinblick auf zwei Ziele. Einerseits bereitet die Besprechung dieser (Pro-) Nominale empirisch den Boden für die Behandlung der Pronomina und lexikalischen DPs, die für die Dativbindung wichtig sind. Andererseits können wir anhand dieser (Pro-)Nominale die in der Literatur allgegenwärtigen Bindungsprinzipien in der Tradition von Chomsky (1981) einführen, d. h. eine bestimmte disziplinengeschichtlich sehr bedeutende Teilklassifizierung von DPs im Sinne von (4.8)/ (4.10), die allerdings nicht die Feinkörnigkeit von Bürings Klassifizierung erreicht.  8 Einige der von Büring in Tabelle 4.1 verwendeten Termini sind theoretisch aufgeladen und für sich ohne die folgende Diskussion nicht selbsterklärend. Zudem ist die Terminologie und auch die Sichtweise, die hinter der Terminologie steht, nicht minimalistisch im Sinne von Chomsky (1995) und der darauf aufbauenden Tradition. So würde das Konzept der Kasuszuweisung mittlerweile von vielen in das Konzept der Kasus-Überprüfung (checking) oder des Agreement überführt. Trotzdem glaube ich, dass Tabelle 4.1, so wie sie ist, einen sinnvollen Mittelweg wischen Theoriebezug und modellübergreifender Zugänglichkeit darstellt, und deswegen wurde sie, bis auf die Übertragung ins Deutsche, unverändert übernommen. 9 Vgl. 4.3.7 für eine stärker agentivitätsorientierte Sicht.

Deskriptive Generalisierungen zur Bindung  63

Das Bindungsverhalten von sich selbst: Sich selbst, das komplexe Reflexivpronomen des Deutschen, muss (i) innerhalb seiner Tempusdomäne von einem c-kommandierenden Antezedens, meistens einem Subjekt, gebunden werden oder (ii) vom possessiven Argument seiner DP.10 (4.15) und (4.16) illustrieren die beiden Fälle. (4.15) a. b. c. d. e. (4.16) a. b.

Clarai hat gehört, dass Paulj [sich selbst]*i=j angezeigt hat. Clarai versprach Paulj , erst [sich selbst]i=*j in Sicherheit zu bringen. Clarai wies Paulj an, erst [sich selbst]*i=j in Sicherheit zu bringen. Sich selbst hat Paul angezeigt. Ich zeigte ihmi [sich selbst]i im Spiegel. Clarai bezweifelte Paulsj Vorstellungen über [sich selbst]*i=j . Clarai bezweifelte die Vorstellungen über [sich selbst]i .

(4.15a) zeigt, dass sich selbst sich auf das (lokale) Antezedens Paul beziehen muss, Clara ist kein mögliches Antezedens. Das liegt daran, dass sich selbst als Argument einer Verbform sein Antezedens in seiner Subjektdomäne finden muss, d. h. innerhalb seines Teilsatzes oder innerhalb einer DP mit einem Subjekt. Implizite Subjekte von Infinitivsätzen zählen auch als Subjekte, wie in (4.15b) und (4.15c) gezeigt wird: Der Binder von sich selbst muss das lokale implizite Subjekt sein, und das variiert je nachdem, ob ein Subjektkontrollverb wie versprechen oder ein Objektkontrollverb wie anweisen im einbettenden Satz vorkommt. (4.15d) verdeutlicht, dass das Verhältnis zwischen Binder und sich selbst nicht durch Bestimmung der linearen Abfolge geklärt werden kann, zumindest dann nicht, wenn man nicht zwischen grundlegenderen und abgeleite 10 Der Grund, wieso hier die Bindungseigenschaften von sich selbst und nicht die von sich diskutiert werden, ist, dass sich m. E. marginal ungebundene Lesarten zulässt, und das ist ein Faktum, das den klaren Bindungsbefund, den wir im Folgenden illustrieren wollen, unklar werden lässt. Entgegen den (auch kontrovers diskutierten) Generalisierungen für z. B. das englische Reflexivum hat (ia) wohl eine Lesart, in der niemand außer Paul auch Paul gewählt hat. D. h. sich kann in (i) eine strict-identity-Lesart haben, die nicht vorausgesagt wird, wenn sich obligatorisch gebunden sein muss.

(i) a. Nur PAUL hat sich gewählt. (Koreferenzlesart bei deakzentuiertem sich marginal möglich) b. Nur PAUL hat [sich selbst] gewählt. (Bindungslesart obligatorisch) Diese Fakten werden in Hole (2005a) meines Wissens erstmals in den Kontext einer Theorie über die lexikalische Spezifizierung deutscher Pronomina gestellt, die für das gesamte mich/ dich/sich-Paradigma keine Festlegung auf Bindungslesarten annimmt und stattdessen nur für ihn/sie/es ein Ungebundenheitserfordernis formuliert (Hole 1999, Gast & Hole 2003). Auch wenn sich die an (ia) geknüpfte Generalisierung als nicht belastbar herausstellen würde, wäre davon das Argument für sich selbst im Haupttext nicht betroffen.

64  Bindung ten Linearisierungen (wie in (4.15d)) unterscheidet. (4.15e) schließlich illustriert den recht seltenen und kontrovers diskutierten Fall eines Nicht-Subjekt-Binders für sich selbst (Featherstone & Sternefeld 2003, Grewendorf 1985, 2003, Müller 2003). Hier ist ein Beispiel eines Typs gewählt worden, der bei Featherston & Sternefeld (2003) sehr hohe Grammatikalitätsbewertungen erzielt hat. (Es ist spätestens seit Faltz (1985[1977]) und Pica (1985) bekannt, dass Reflexivpronomen, die durch emphatische Partikeln wie selbst augmentiert sind, andere – meist lokalere – Bindungseigenschaften haben als nicht augmentierte.) Die Beispiele in (4.16) exemplifizieren die andere potenzielle Bindungsdomäne von sich selbst neben der Tempusdomäne, nämlich die DP-Domäne. Die Generalisierung in diesem Bereich ist, dass, wenn eine DP eine Argumentstruktur mit einem (possessivischen oder genitivischen) höheren Argument (oder Subjekt) aufweist, sich selbst von diesem Argument gebunden sein muss; ansonsten ist es frei für die Bindung durch das Subjekt des entsprechenden Teilsatzes (Pollard & Sag 1992, Reinhart & Reuland 1993, Büring 2005a: 50, 234). Der Binder von sich selbst ist demnach immer eine lokal c-kommandierende DP, meistens ein Subjekt, und zwar entweder das Subjekt der lokalen Tempusdomäne oder das Subjekt der lokalen DP-Domäne. Das Bindungsverhalten von sein/ihr: Sein/ihr ist, wie wir aus Abschnitt 4.2.1 wissen, ein Pronomen, das gebunden sein ka nn . Über die ungebundene Lesart ist in einem satzgrammatischen Rahmen nicht viel zu sagen (aber vgl. Fn. 2). Für die gebundene Lesart des Possessivpronomens sein/ihr gilt, dass es durch ein c-kommandierendes Antezedens innerhalb der Matrixsatzdomäne gebunden sein muss. (4.17) und (4.18) illustrieren einige Bindungsmöglichkeiten der gebundenen Variante des Possessivpronomens. (4.17) Nicolas hat Tobias [gesagt, dass [[sein Vater] [[seine Mutter] gesehen] hat]]. (4.18) Mögliche Binder von seine in seine Mutter a. Nicolas b. Tobias c. sein Vater mögliche Binder von sein in sein Vater α. Nicolas β. Tobias Wie diese Bindungsmöglichkeiten zeigen, muss das Antezedens von sein/ihr nicht in der minimalen Tempus- oder Subjektdomäne sein (weder Nicolas noch Tobias sind Konstituenten des dass-Satzes), und es muss sich auch nicht um ein Subjekt handeln (Tobias ist ein Dativ-Argument). Das einzige, was zählt, damit

Deskriptive Generalisierungen zur Bindung  65

die Possessivpronomina in (4.17) jeweils gebunden werden können, ist, dass sie von ihrem Binder c-kommandiert werden. Zu den Bindungslesarten kommen natürlich noch die Möglichkeiten hinzu, die sich ergeben, wenn man „Dritte Lesarten“ berücksichtigt. (Vgl. 4.3.9 für die Argumentation, dass bei gleichen Wahrheitsbedingungen von Bindungs- und Koreferenzlesart grundsätzlich die Bindungskonstruktion vorliegt.) Die unmögliche Lesart von (4.19) zeigt, wie ein negatives Bindungsargument für sein/ihr, das sich auf den C-Kommandobegriff stützt, aussieht (vgl. die Diskussion von (4.5) in 4.2.1 zur Funktionsweise des nur-Tests zum Bindungsnachweis bzw. -ausschluss). (4.19) Ich habe nur gesagt, dass [der [Hund [von [PAULS Nachbar]]]] seine Kinder verschreckt. Eine naheliegende Lesart von (4.19) impliziert, dass der Hund von Pauls Nachbar Pauls Kinder verschreckt. Trotzdem bindet Pauls den Ausdruck seine nicht, denn wir erhalten nur eine Koreferenzlesart: Die Kinder, die nicht durch Hunde anderer Halter verängstigt werden (die Implikation des Gebrauchs von nur), müssen nämlich auch Pauls Kinder sein, und können nicht die Kinder von anderen Vätern sein, die auch Hundehalter als Nachbarn haben. Auch wenn wir die angegebene Konstituenz von der Hund von Pauls Nachbar in (4.19) hier nicht rechtfertigen, dürfte klar sein, dass Pauls recht tief in die Konstituente eingebettet ist und demzufolge seine auch nicht c-kommandiert. Damit haben wir eine Erklärung für die Abwesenheit der Bindungslesart in (4.19). Für weitergehende Diskussion der C-Kommandobedingung für die Bindung von Possessivpronomina wie sein/ihr und für die Behandlung von Problemfällen verweise ich auf Büring (2005a: 13–15, 174–187) und die dort zitierte Literatur. Um abschließend auf (4.17) zurückzukommen, ist festzuhalten, dass die Bindungsoptionen aus (4.18) genau dem Vorliegen von C-Kommandoverhältnissen zwischen potenziellen Antezedenten und Possessivpronomina in (4.17) entsprechen. Das Bindungsverhalten von schwed. sin: Das schwedische Possessivpronomen sin ist insofern ein falscher Freund von dt. sein, als es (bis auf wenige Sonderfälle; vgl. Kiparsky 2002 und zum Dänischen Herslund 1986: 135-136) auf ein Subjektantezedens angewiesen ist, d. h. es ist immer gebunden und subjektorientiert. Dt. sein hat zwar eine gebundene Variante, aber der Binder muss kein Subjekt sein. Mit anderen nordgermanischen Sprachen hat das Schwedische eine Possessivform geneuert, die als ungebundenes Possessivpronomen wie dt. sein/ihr gebraucht werden kann. Die Daten in (4.20) (aus Kiparsky 2002: 189; kIndex- ergänzt) illustrieren den Gebrauch von sin im Kontrast zu hans, hennes ‘sein, ihr’.

66  Bindung

(4.20)

SCHWEDISCH

Hani hjälpte [sini=*k dam]j att få eld SIN Dame zu bekommen Feuer er half på sini=j /hansi=*j /hennes*i=j cigarrett. SIN/HANS/HENNES Zigarette auf ‘Er half seiner Dame, seine/ihre Zigarette anzuzünden.’ Die ungrammatische Lesart von sin im Matrixsatz zeigt, dass sin im Satz gebunden sein muss. Dass sin im Infinitivsatz sich sowohl auf den Subjektsreferenten des Matrixsatzes als auch auf die Dame beziehen kann, bedeutet nicht, dass sin nicht subjektorientiert wäre. Vielmehr kann sich sin nur deshalb auf die Dame beziehen, weil das zu ergänzende Subjekt des Infinitivsatzes die Dame als Referenten hat. Was die Lesarten von sin im eingebetteten Satz vielmehr zeigen, ist, dass die maximale Bindungsdomäne für sin die Matrixdomäne ist; jedes Subjekt in ihr ist ein möglicher Binder von sin. Aufgrund seiner Sexusmarkierung sind hans (mask.) und hennes (fem.) auf je eine Lesart festgelegt, und die Entfernung oder syntaktische Funktion des Antezedens ist hier irrelevant. Das Bindungsverhalten von er/sie/es: Das genusmarkierte Pronomen er/sie/ es darf innerhalb seiner Subjektdomäne nicht gebunden sein.11 Ein Antezedens darf innerhalb der Koargumentdomäne dann koreferieren, wenn er/sie/es nicht vom Antezedens c-kommandiert wird. Es ist unerheblich, welche grammatische Funktion das Antezedens hat. Beispiele, die dieses Bindungsverhalten demonstrieren, sind in (4.21)–(4.23) angeführt. (4.21) a. b. c. d. (4.22) a. b. (4.23) a. b.

Paulai sah sichi /sie*i im Spiegel. [Der [Vater [von [Paulai ]]]] sah siei im Spiegel. Paulai sah, dass siei in diesem Licht blass aussah. Paula stellte Hansi ihm*i /ihn*i /sich selbsti vor. Paulai hatte [seinj [Bild von ihri ]] im Wohnzimmer stehen sehen. Paulai hatte ein Bild von sichi /ihr*?i im Wohnzimmer stehen. Pauli versprach ihmj , ihm*i=j die Haare schneiden zu lassen. Der Obersti befahl [dem Rekruten]j , ihmi=*j die Haare zu schneiden.

 11 Eigentlich ist eine differenziertere Generalisierung nötig. Diese Generalisierung müsste dem Kontrast zwischen (i) und (ii) gerecht werden, bei dem die Wahrnehmung des Subjektsreferenten bzw. Logophorizität/Perspektive entscheidend ist (vgl. Kuno 1987, Sells 1987, Stirling 1993, Hole 2002b).

(i) Wird [der Einbrecher]i im Dunkeln gegen die Kiste vor ihmi / ??? sichi stoßen? (ii) [Er überlegte:] Sollte eri den Spiegel vor *? ihmi /sichi von der Wand nehmen?

Deskriptive Generalisierungen zur Bindung  67

(4.21a) illustriert, dass Bindung des genusspezifischen Pronomens innerhalb der Koargumentdomäne, hier des Teilsatzes, ausgeschlossen ist. Durch (4.21b) wird gezeigt, dass es nicht die Koreferenz in einem Teilsatz als solche ist, die den Gebrauch von er/sie/es ungrammatisch macht, sondern Koreferenz unter C-Kommando mit dem Antezedens (was meistens semantischer Bindung entspricht; vgl. 4.3.9). In (4.21b) ist Paula in die Subjekt-DP eingebettet, und deswegen kann als Objektpronomen koreferentes sie verwendet werden. (4.21c) demonstriert, dass Koreferenz und Bindung unter C-Kommando über die Subjektdomäne hinweg unproblematisch ist. (4.21d) ohne Reflexivpronomen hat keine Lesart, die sich als ‘Paula stellte Hans sich selbst vor’ paraphrasieren ließe. Das gilt unabhängig davon, ob Hans in (4.21d) als Dativ oder als Akkusativ verstanden wird. Es ist also unerheblich für den Bindungsausschluss, ob das Antezedens innerhalb der Subjektdomäne von er/sie/es selbst ein Subjekt ist. In (4.22a) findet sich ein Beispiel für den klaren Fall, dass ihr als Argument einer Bild-DP problemlos mit teilsatzinternem Antezedens möglich ist, wenn die lokale DP einen expliziten referenzverschiedenen Possessor hat. In (4.22b) ist der Gebrauch von ihr deutlich schlechter, wenn nicht gar ungrammatisch, und der Grund ist offenbar, dass die Bild-DP keinen (overten) Possessor hat (vgl. die Diskussion von (4.16) oben mit den entsprechenden Verhältnissen bei sich selbst, und wegen der möglichen Relevanz von Perspektivierung auch Fn. 11). In (4.23) wird auf besonders klare Weise nachgewiesen, dass nur die lokale, aber unausgedrückte Antezedens-DP das Objekt des Infinitivsatzes binden darf. In (4.23a) mit dem Subjektkontrollverb versprechen muss Paul der Subjektsreferent des eingebetteten Satzes sein, und deswegen kann ihm sich nicht auf ihn beziehen. In (4.23b) ist aufgrund des Objektkontrollverbs befehlen der Rekrut der Subjektsreferent des eingebetteten Satzes, und deswegen ist hier die Bindung von ihm durch das implizite Subjekt (mit Referenz auf den Rekruten) ausgeschlossen. (Dass das implizite Antezedens in den Infinitiven speziell ein Subjekt ist, ist für den Ausschluss der Bindungsbeziehungen in (4.23a) und (4.23b) unerheblich.) Das Bindungsverhalten von Eigennamen und definiten Kennzeichnungen: Die letzte DP-Klasse, die wir bezüglich ihrer Bindungseigenschaften diskutieren wollen, ist die Klasse der Eigennamen und der definiten Kennzeichnungen, also der definiten DPs mit lexikalischem Nomen. Namen und lexikalische DPs dürfen im gesamten Satz nicht gebunden sein. Klare Fälle für den Ausschluss von Bindungsbeziehungen finden sich in (4.24) ((4.24) und (4.25) teilweise nach Büring 2005a: 7).12  12 Die Daten werden offenbar weniger einheitlich bewertet, wenn das Antezedens kein Pronomen, sondern z. B. ein Eigenname ist. Ich kenne keine Theorie, die diesen Kontrast erklären könnte (aber vgl. Featherston & Sternefeld 2003 für Befunde, die in dieselbe Richtung weisen).

68  Bindung

(4.24) a. Siei denkt, dass ich [das Mädchen]*i /Paula*i nicht mag. b. Eri sieht [den Jungen]*i /Paul*i im Spiegel. (4.24a) illustriert den Bindungsausschluss über die Teilsatzgrenze, (4.24b) innerhalb des Teilsatzes. Der Effekt bleibt bei fehlendem C-Kommando aus. Das zeigt (4.25). (4.25) [Ihri Hund] begleitet Paulai in den Kindergarten. Weil Sätze wie in (4.26) möglich sind, sind Zweifel am grammatischen Status des Bindungsausschlusses von lexikalischen DPs formuliert worden (Evans 1980). (Einfache Kapitälchen markieren wie zuvor Fokusintonation, Schrägstriche vor Kapitälchen kontrastive Topik-Intonation; vgl. zum kontrastiven Topikbegriff bzw. zur I-Topikalisierung Büring 1997, 2003, Jacobs 1997.) (4.26) a. Ich habe nur gesagt, dass PAULi gegen Pauli gestimmt hat. b. /PAUlai weiß nicht, dass ich PAUlai nicht leiden kann, und /CARlai weiß nicht, dass ich CARlai nicht leiden kann. Für die Akzeptabilität dieser Sätze ist jedoch die angegebene Intonations- und damit zusammenhängende Informationsstruktur entscheidend. Vgl. für die weiterführende Diskussion solcher Fälle Büring (2005a: 126–127). Epitheta: Es gibt zwei Subklassen lexikalischer DPs, die auf je eigene Weise anaphorisch gebraucht werden: Epitheta und bridging-DPs. Bei Epitheta handelt es sich um anaphorisch verwendete definite DPs, wie sie z. B. in Sportberichten und allgemein in der Nachrichtensprache oft benutzt werden. Das Beispiel in (4.27) macht sofort klar, was gemeint ist. (4.27) Schweinsteigeri spielt auf Özilj . Derj gibt zurück an [den Bayern]i . Hier wird den Bayern anaphorisch für Schweinsteiger verwendet, um die zweite Verwendung des Namens zu vermeiden, und wohl auch, um den Text mit der Erwähnung von Hintergrundinformation inhaltlich zu verdichten. Innerhalb einer Subjektdomäne können Epitheta unter C-Kommando jedoch nicht koreferieren (vgl. (4.28)). Damit ähnelt ihre Distribution stark derjenigen von Pronomina wie er/sie/es. (4.28) Schweinsteigeri hat für [den Bayern]*i gute Konditionen ausgehandelt. Für die Diskussion von bridging-Definita verweise ich auf 6.2.3.und 8.3.1.

Deskriptive Generalisierungen zur Bindung  69

Tabelle 4.2 stellt die Bindungseigenschaften der behandelten Ausdrücke tabellarisch zusammen. Da wir hier C-Kommando als einzige relevante Hierarchiebeziehung annehmen, ist die KOMMANDO-Dimension (vgl. (4.8)/(4.10)) in Tabelle 4.2 nicht berücksichtigt. Tab. 4.2: Das Bindungsverhalten ausgewählter nominaler und pronominaler Kategorien Für DP-KLASSE …

ist innerhalb der … DOMÄNE

bei …

sich selbst

Subjekt-

irrelevanter13

notwendig

sein/ihr

Matrix-

irrelevanter

möglich

ORIENTIERUNG

BINDUNG

….

sin (schwed.)

Matrix-

Subjekt-

notwendig

er/sie/es…

Subjekt-

n.a.

unmöglich

Matrix-

irrelevanter

möglich

Eigenname/ lexikalische DP

Matrix-

n.a.

unmöglich

Pronominalklassen und Chomskys (1981) Bindungsprinzipien: Feinkörnige Generalisierungen zu einzelnen Pronominalklassen wie die in Tabelle 4.2 zusammengefassten liegen für verschiedene Pronomina aus einer Vielzahl von Sprachen vor, aber die Datensichtung und -systematisierung in diesem Bereich dauert noch an. Inspiriert wurde ein Großteil dieser Forschungen durch Chomskys (1981) Klassifizierung in (4.29).14 (4.29) a. Eine Anapher muss in ihrer Rektionsdomäne gebunden sein. b. Ein Pronominal muss in seiner Rektionsdomäne frei sein. c. Ein R-Ausdruck muss überall frei sein. Generalisierung (4.29a) ist als Bindungsprinzip oder -bedingung A bekannt, und die beiden anderen als Bindungsprinzip oder -bedingung B bzw. C. Anapher  13 Die Frage, ob die Orientierung von sich selbst irrelevant ist oder ob sich selbst nicht doch nur Subjekte als Antezedenzien nehmen kann, hängt u. a. davon ab, wie man sich zu Beispielen wie in (4.15e) stellt und ob man in diesem speziellen Fall annimmt, dass das Dativargument eine Art (lokales vP-)Subjekt ist. Ich gehe hier von einem recht konservativen Subjektbegriff aus, der neben nominativischen und kontrollierten Teilsatzsubjekten als dritte Variante nur DP-interne Subjekte subsumiert. 14 Im Original (Chomsky 1981: 188): a. An anaphor is bound in its governing category. b. A pronominal is free in its governing category. c. An R-expression is free.

70  Bindung

(anaphor) steht in (4.29a) für Reflexivpronomen bzw. für referenziell abhängiges Pronomen. Pronominal bezeichnet Pronomina wie er/sie/es. R-Ausdruck fasst Eigennamen und definite lexikalische DPs zusammen. (4.29a) zielt auf dieselben Fakten ab wie die sich-selbst-Zeile in Tabelle 4.2. Das Prinzip (4.29b) entspricht der zweitletzten Zeile in Tabelle 4.2, und (4.29c) lässt sich zur letzten Zeile stellen. Allerdings war es Chomskys ursprüngliche Intention, die Distribution von Reflexivpronomina und ungebundenen Pronomina als streng komplementär zu definieren. (Im Gegensatz dazu lassen unsere zuvor erläuterten Bindungsdomänen es wegen ihrer Inklusivität oder Überschneidung prinzipiell zu, dass es Überlappungen der Distribution etwa von engl. xself oder him/her/it geben kann, wie sie ja auch bezeugt sind; vgl. Pauli saw a snake near him(self)i .) Dementsprechend war der Begriff der Rektionsdomäne in (4.29) für die achtziger und frühen neunziger Jahre entscheidend für die Bindungsforschung innerhalb der generativen Tradition (vgl. den Namen des Kernbausteins dieser Theoriephase, nämlich „Rektions- und Bindungstheorie“), denn es galt festzustellen, ob der Begriff der Rektionsdomäne nicht vielleicht doch so definiert werden kann, dass man mit einer einzigen Domäne auskommt, oder aber ob es je nach zu bindendem Audruck/Reflexivpronomen/ Personalpronomen verschiedene Rektionsdomänen geben kann.15 Dass es für verschiedene Sprachen und verschiedene referenziell abhängige Ausdrücke unterschiedliche Domänen gibt, in denen sie gebunden sein müssen oder nicht gebunden sein dürfen, ist heute nicht mehr umstritten. Mit dem Aufkommen des Minimalismus gegen Mitte der 90er Jahre (Chomsky 1993, 1995) wurde allerdings der Begriff der Rektionsdomäne selbst problematisch, denn man ist seitdem bemüht, derart konstruktionsspezifische Konzepte wie Rektion aus der Theorie zu entfernen. Wir werden die für unseren  15 Chomsky (1986) unternimmt z. B. den Versuch, die Rektionsdomäne von engl. x-self so zu definieren, dass DP-interne und Verbergänzungs-Vorkommen gleichermaßen abgedeckt sind. (i) γ ist die Rektionsdomäne für DP gdw. γ die kleinste Domäne ist, die ein Subjekt hat und die a. DP b. DPs Kasuszuweiser c. eine DP′, die DP c-kommandiert, wenn DP gebunden sein muss, dominiert. (Im Original bei Chomsky 1986: 171–172: „γ is the governing category for NP iff γ is the smallest category that has a subject and dominates a. NP b. NP’s case assigner c. an NP′ c-commanding NP if NP needs to be bound“.) Vgl. Büring (2005a: 50–58) für Erläuterungen zu dieser sperrigen Formulierung.

Deskriptive Generalisierungen zur Bindung  71

empirischen Ausschnitt relevanten Erwägungen zur „Mimikry“ einer Rektionsdomäne in 6.3 vorstellen.

4.2.4 Bindungsgeneralisierungen aus der Perspektive des Prädikats Es gibt eine wichtige Tradition der Reflexivitätsforschung, die nicht primär um die Distribution von Pronominalklassen kreist; stattdessen setzt sie bei dem Begriff des reflexiven Prädikats an. Keenan (1988) sowie Reinhart & Reuland (1993) haben dieser Strömung innerhalb der Generativistik zu einiger Verbreitung verholfen. In der formalen Semantik ist außerdem Jacobson (1999) eine einflussreiche Proponentin dieser Richtung. In der Typologie hat schon früh Faltz (1985[1977]) eine stärker prädikatsbezogene Sicht auf Reflexivität etabliert. Reflexive Prädikate sind solche Prädikate, die zwei semantische Argumente mit identischen Referenten haben. Ein solches Prädikat ist in (4.30a) angeführt. (4.30b) ist sein nicht-reflexives Gegenstück (vgl. 2.3 für eine kurze Einführung in den Lambda-Kalkül). (4.30) a. reflexives zwicken λx . x zwickt x b. nicht-reflexives zwicken λx . λy . y zwickt x Nicht-reflexives zwicken in (4.30b) entspricht einem syntaktisch zweistelligen Verb. Reflexives zwicken in (4.30a) entspricht dagegen einem syntaktisch einstelligen Verb, da beide θ-Positionen des Verbs mit Vorkommen derselben Variable besetzt sind. Die Tradition der Reflexivitätsforschung, welche sich um den reflexiven Prädikatsbegriff herum aufbaut, untersucht als Kernfrage, welche produktiven Mechanismen natürliche Sprachen anwenden, um von nicht-reflexiven Verbbedeutungen wie in (4.30b) zu reflexiven Verbbedeutungen wie in (4.30a) zu gelangen. Die Vorhersage der Distribution bestimmter Pronominalklassen in der Objektposition ist nur eine Teilaufgabe dieser Forschungstradition. Den Grund dafür machen die Beispiele in (4.31) deutlich (alle Daten aus Gast et al. 2003, Glossen von mir übersetzt; D. H.). (4.31) a.

(Niger-Kongo; Volta-Kongo) á-ká-zvi-rwádzísá NOMINALKLASSE1.3SG-VERGANGENHEIT-REFLEXIV-leid.KAUSATIV ‘Er hat sich verletzt.’ SHONA

72  Bindung

b.

ABCHASISCH (Nord(west)kaukasisch; Abchasisch-Abasinisch) sarà s-ʈʂə-s-š-we-yt’ ich POSS.1.SG-REFLEXIV-1.SG-töt-DYNAMISCH-FINIT ‘Ich bringe mich um.’ c. KLASSISCHES NAHUATL (Uto-Aztekisch; Aztekisch) mo-tlaʔsoʔtla REFLEXIV.3-lieb ‘Er/Sie liebt sich.’/‘Sie lieben sich.’

In vielen Sprachen sind reflexive Prädikate intransitiv, und Reflexivität wird markiert durch ein Affix am Verbstamm. Noch stärker ist diese Tendenz für Reziprokmarkierungen ausgeprägt (Mchombo 1993: 198–202). Innerhalb der Generativistik haben Reinhart & Reuland (1993) die einflussreichste prädikatsbezogene Tradition der Reflexivitätsforschung begründet (vgl. auch Reinhart & Siloni 2005). Es werden in dieser Tradition drei Hauptarten unterschieden, reflexive Prädikate abzuleiten und syntaktische Wohlgeformtheit von Sätzen mit reflexiven Prädikaten zu gewährleisten: (i) durch rein lexikalische Ableitung, (ii) durch eine Kombination aus lexikalischer Ableitung und syntaktischer Argumentsättigung; (iii) durch rein syntaktisch vermittelte Reflexivierung und Argumentsättigung. (4.32) gibt je ein Beispiel. (Niger-Kongo; Volta-Kongo) (¼(4.31a)) lexikalische Reflexivierung; syntaktisch intransitives Prädikat á-ká-zvi-rwádzísá NOMINALKLASSE1.3SG-VERGANGENHEIT-REFLEXIV-leid.KAUSATIV ‘Er hat sich verletzt.’ b. NIEDERLÄNDISCH (Indoeuropäisch; Westgermanisch) lexikalische Reflexivierung; syntaktisch transitives Prädikat Jan waste zich. ‘Jan wusch sich.’ c. ENGLISCH (Indoeuropäisch; Westgermanisch) syntaktische Reflexivierung; syntaktisch transitives Prädikat John contradicted himself. ‘Jan widersprach sich.’

(4.32) a.

SHONA

Für Sprachen wie das Shona mit verbaler Reflexivierungsmorphologie in (4.32a) ist die Annahme natürlich, dass das zvi-Affix- im Lexikon (oder in der Syntax unterhalb der phonologischen Wortebene) den Ableitungsschritt vom transitiven nicht-reflexiven Verbstamm zum syntaktisch intransitiven reflexiven leistet. Die Modellierung solch eines lexikalischen Reflexivierers wird in 4.3.4 erläutert.

Deskriptive Generalisierungen zur Bindung  73

Als nächstes soll der englische Fall in (4.32c) diskutiert werden. Reinhart & Reuland (1993) nehmen an, dass hier das morphologisch komplexe Reflexivpronomen sowohl die Objekt-Argumentstelle des syntaktisch transitiven Prädikats sättigt als auch das semantische Prädikat reflexiviert. Solche morphologisch komplexen Reflexivpronomen nennen Reinhart & Reuland (1993) SELFReflexiva, und diese Terminologie hat sich in der Generativistik weithin durchgesetzt. Der dritte Fall, illustriert durch das Niederländische zich in (4.32b), liegt zwischen den beiden anderen. Hier nehmen Reinhart & Reuland (1993) an, dass das Verb schon lexikalisch semantisch reflexiviert vorliegt (per produktivem, aber nicht affixal markiertem Prozess) und zich nur die noch erhaltene syntaktische Objektvalenz des Verbstamms sättigt. Tabelle 4.3 stellt diese drei Arten der Reflexivierung mit ihren Haupteigenschaften noch einmal im Überblick dar. Tab. 4.3: Arten der Reflexivierung

verbale Reflexivierung

Reflexivierung…

Reflexiviertes Prädikat ist …

… des Verbstamms im Lexikon

… syntaktisch intransitiv … syntaktisch transitiv

SE-Reflexiv SELF-Reflexiv

… der VP in der Syntax

Wir werden im Folgenden SE-Reflexiva nicht weiter diskutieren. Im Modellierungsteil des vorliegenden Kapitels (4.3) werden wir jedoch ausführlich den Kontrast zwischen lexikalisch vermittelter und syntaktisch vermittelter Reflexivierung beleuchten.

4.2.5 Semantische Reflexivierung und neodavidsonische Agensabtrennung Ein allgemeiner Grund dafür, wieso wir uns Reinharts & Reulands (1993) Reflexivitätstheorie etwas genauer vergegenwärtigt haben, liegt darin, dass dieser theoretische Zugriff, nicht aber der rein syntaktische wie bei Chomsky (1981), auf eine bestimmte Art unmittelbar nahelegt, wie man sich den Zusammenhang zwischen Reflexivität und Diathese vorstellen kann. Nach Reinharts & Reulands Theorie ist Reflexivität kein Phänomen, das (letztlich maßgeblich) über eine pronominale Subklasse (nämlich die Reflexivpronomina) definiert wird, sondern ein Phänomen, das die Argumentstruktur einer Prädikation betrifft. Die

74  Bindung

Identität zweier Argumente eines prädikativen Ausdrucks wird modelliert, und das geht nicht ohne Bezugnahme auf den prädikativen Ausdruck selbst. Damit sind wir im Bereich einer verbalen Kategorie, und zwar genauer im Bereich der Diathese oder des genus verbi, also dort, wo die basalen oder abgeleiteten Komplementierungseigenschaften von Prädikaten festgelegt werden. Nur eine solche diathetische Sicht der Reflexivierung erlaubt es überhaupt, in natürlicher Weise die eindeutig verbalen Reflexivierungskonstruktionen etwa des Shona, mit denen die Diskussion in diesem Abschnitt eingesetzt hat, zu analogisieren mit den pronomen-prominenten Reflexivierungsverfahren etwa des Englischen und des – wegen der häufigen Klitisierung des Reflexivpronmens eine Zwischenstellung einnehmenden – Deutschen oder der meisten anderen kontinentaleuropäischen Sprachen. Der speziellere Grund für die Vorstellung der diathetischen Sicht auf Reflexivierung berührt den Kern der vorliegenden Untersuchung. In 2.5.2 haben wir mit Kratzer (1996, in Vorb.) eine Festlegung vorgenommen, die die Lizensierung aller nicht-internen Argumene betrifft. Sie werden dort lizensiert und mit ihren thematischen Eigenschaften in die syntaktische Struktur eingeführt, wo auch die entsprechenden Argumente selbst in die Konstituentenstruktur eingeführt werden. Es handelt sich bei den nicht-internen Argumenten nicht um Argumente der Verbwurzel. Ein semantisches Prädikat mit doppeltem Bezug auf einen Referenten – ein reflexives Prädikat – ist aber überhaupt nur dann formulierbar, wenn ein semantisches Prädikat zwei Argumente hat. Das AGENSDiathesemorphem, das die AGENS-Valenz beisteuert, wird in unserem Formalismus, Kratzer (1996) folgend, erst oberhalb der VP und unmittelbar unterhalb des AGENS-Argumentes selbst in die Konstituenz eingeführt. Demnach kann auch erst ab dieser Ebene eine reflexives Prädikat erzeugt werden. Wir werden das in 4.3.7 mithilfe eines speziellen reflexiven thematischen AGENS-Morphems modellieren, welches das Einführen der Reflexivitätsbedingung für das semantische Prädikat gleichzeitig mit der Einführung der AGENS-Beteiligung leistet. Hier liegt nun die direkte Parallele zur später zu leistenden Modellierung der Dativbindung vor. Wie wir sehen werden, setzen auch freie Dative grundsätzlich voraus, dass der Referent des Dativargumentes noch ein zweites Mal in den Wahrheitsbedingungen des jeweiligen Sachverhalts vorkommt – es liegt ein Typ Reflexivität mit dem Dativargument als Antezedens vor. Und genauso wie kanonische subjektorientierte Reflexivität in unserem System notwendig als ein Diathesephänomen zu behandeln ist, wird auch Dativbindung als Diathesephänomen zu modellieren sein.

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  75

4.3 Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese 4.3.1 Einleitendes zum Forschungskontext In diesem Abschnitt werden wir uns mit der formalen Implementierung von Bindung beschäftigen. Ich werde meinen eigenen Vorschlag stark an Büring (2005a,b) und Heim & Kratzer (1998) anlehnen, und es handelt sich bei dem Vorschlag um eine Explizierung von Hole (2005b: 240) im Geiste von Kratzer (1996, 2009).16 Der Hauptunterschied zu Bürings und Heims & Kratzers Implementierungen ist, dass ich jede Form von Reflexivierung als Diathesephänomen behandele und nur als Ergebnis einer Einkapselung in entsprechende funktionale Morpheme – nämlich einen generalisierten Typ von Diathesemorphem nach dem Vorbild des agentiven Diathesemorphems bei Kratzer (1996) – in die Struktur integriere. Im Gegensatz dazu sind Bürings und Heims & Kratzers Bindungsmechanismen möglichst unrestringiert. Bürings und Heims & Kratzers Theorien stehen in der formal-semantischen Tradition der Beschäftigung mit Reflexivität und der Bedeutung pronominaler Ausdrücke (vgl. unter vielen Reinhart 1976, 1983, Reinhart & Reuland 1992, Heim 1998[1993], Fox 2000). Büring (2005a, b) lehnt sich in der Formulierung seiner Grundannahmen und im Aufbau des Formalismus mit wenigen, aber wichtigen Abweichungen an Heim & Kratzer (1998) an. Konkret ist sein Vorschlag eine ausgebaute Variante eines bei Heim & Kratzer (1998: 203) nicht weiter verfolgten Alternativvorschlags. Beide Theorien sind primär semantisch ausgerichtet, aber im Rahmen des generativen Paradigmas formuliert, und demzufolge sind sie zugleich Theorien der Semantik und der Syntax von Bindung. Es handelt sich also um Semantiken, die syntaktische Strukturen eindeutig mit Denotationen assoziieren. Allerdings sind Bürings und Heims & Kratzers Theorien so allgemein formuliert, dass sie auch mit Syntaxmodellen etwas anderer Provenienz kompatibel gemacht werden können. So entwickelt Büring (2005a: 39–40, 102–103), um die Reichweite seines Ansatzes zu erweitern, eigens eine Bindungsimplementierung für flach verzweigende syntaktische Strukturen, genauer für VPs, die nicht binär verzweigen, sondern das Verb und alle Argumente unter einem einzigen unmittelbar dominierenden Knoten versammeln. Auf diese Weise wird es nicht nur möglich, Sprachen mit möglicherweise weniger stark konfigurationeller Syntax abzudecken; der von Büring vorgeschlagene Bindungsformalismus wird so auch nutzbar für Grammatikmodelle, die  16 Vorschläge, Bindung variablenfrei zu modellieren (z. B. Jacobson 1999, Fedorova & Yanovich 2006), werden außer in einer Variante in 4.3.4 nicht berücksichtigt. Damit soll nicht signalisiert werden, dass variablenfreie Bindungstheorien nicht empirisch erfolgreich sein könnten.

76  Bindung

grundsätzlich weniger oder keine Generalisierungen durch baumgeometrische Dominanzstrukturen ausdrücken, wie das etwa in HPSG (Head Driven Phrase Structure Grammar; Pollard & Sag 1994, Sag & Wasow 1999) der Fall ist (vgl. die Diskussion des O-Kommando-Begriffs in 4.2.2). Das Wesen reflexiver Bindung besteht darin, über eine syntaktische Distanz hinweg Referenzidentität des sloppy-identity-Typs für zwei semantische Argumente grammatisch zu erzwingen. Alle hier eingehender diskutierten Implementierungen dieses Erfordernisses haben etwas irreduzibel Nicht-Lokales und nur mühsam Kompositionales, und man kann die meisten Vorschläge in der formalsemantischen und generativen Literatur zur Implementierung von Reflexivbindung lesen als Versuche, das Konstruktionshafte an ihr so weit wie möglich einzugrenzen oder einzukapseln und auf einen nicht weiter reduzierbaren Kern an Nicht-Kompositionalität oder Synkategorematizität zu begrenzen. Im Rahmen eines universalistisch verstandenen Forschungsprojekts über mögliche natürliche Sprachen halte ich das für eine sinnvolle Strategie, denn es erlaubt den Vergleich sehr unterschiedlicher einzelsprachlicher Systeme, die, konstruktionsgrammatisch beschrieben, viel eher inkommensurabel erscheinen dürften.

4.3.2 Agensabtrennung und Reflexivität Wie gesagt, wir werden die hier zugrundegelegte Bindungs- bzw. Reflexivierungstheorie als Abwandlung von Büring (2005a, b) und Heim & Kratzer (1998) entwickeln, und die Notwendigkeit für die Abwandlung erhellt aus einem einfachen und schon mehrfach angesprochenen Grund. Büring (2005a: 85, 130) und Heim & Kratzer (1998: 185–186) formulieren jeweils an zentraler Stelle der Theorie ein Zusammenspiel von Regeln, die bewirken, dass zwei Argumente desselben mehrstelligen semantischen Prädikats denselben Referenten haben müssen. Wenn man allerdings mit Kratzer (1996) und als Teil der Durchführung eines neo-davidsonischen Programms zur Argumentrealisierung annimmt, dass agentive Subjektargumente niemals Teil der Valenz von Verbwurzeln sind, ist die Formulierung einer derartigen Regel für Reflexivkonstruktionen mit AGENSSubjekten als Bindern erschwert; ein „transitiver“ Verbstamm wie kauf- hat ja in solch einem Formalismus außer der Objekt- und der Ereignisvalenz gar keine weitere Valenz. Also kann man durch Manipulierung der Verbwurzeldenotation das Objekt- und das Subjekt-Argument auch nicht auf identische Referenz festlegen. Stattdessen muss zunächst die Agensvalenz mit der VP-Denotation kombiniert werden. Dann muss im resultierenden Prädikat die noch ungesättigte AGENS-Valenz mit der (innerhalb der VP bereits gesättigten) Objektvalenz identifiziert werden.

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  77

All dies werden wir nun an Beispielen explizieren. Wir werden stufenweise und mehrgleisig argumentieren. Zweistufig ist unser Vorgehen deswegen, weil auf die Diskussion einer Struktur ohne Reflexivität erst in einem zweiten Schritt die Vorstellung des reflexiven Falls folgt. Mehrgleisigkeit kommt zustande, weil wir parallel mit einer traditionellen Implementierung transitiver agentiver Verben (wie in Heim & Kratzer 1998, aber angereichert um die Ereignisvariable) und in ständigem Abgleich mit Bürings (2005a,b) Vorschlag eine Implementierung mit Kratzers (1996) agentivem Diathesemorphem entwickeln.

4.3.3

AGENS-Valenz

im Verb vs.

AGENS-Valenz

im Diathesemorphem

Die nicht-reflexive transitive Struktur, deren Bedeutung wir zunächst ableiten möchten, ist in (4.33) angeführt. Von Tempus und Modus wird abstrahiert. (4.33) Paul zwickt Nico. (4.34) gibt zwei verschiedene Typen von Lexikoneinträgen für die Verbwurzel zwick- an. In den Varianten in (4.34a) ist die AGENS-Valenz in der Wurzel mitmodelliert, in (4.34b) ist das nicht der Fall. (4.34) a. Varianten von Lexikoneinträgen für zwick- mit Ereignisargument; Agensvalenz in der Argumentstruktur der Verbwurzel modelliert: (i) Ozwick1 -P ¼ λx . λy . λe . e ist ein Sachverhalt des Typs, dass y x zwickt (ii) Ozwick2 -P ¼ λx . λy . λe . Zwicken(e) & Patiens(x)(e) & Agens(y)(e) (iii) Ozwick3 -P ¼ λx . λy . λe . Zwicken(x)(e) & Agens(y)(e) b. Varianten von Lexikoneinträgen für zwick- mit Ereignisargument; Agensvalenz in der Argumentstruktur der Verbwurzel nicht modelliert: (i) Ozwick4 -P ¼ λx . λe . e ist ein Sachverhalt des x-zwicken-Typs (ii) Ozwick5 -P ¼ λx . λe . Zwicken(e) & Patiens(x)(e) (iii) Ozwick6 -P ¼ λx . λe . Zwicken(x)(e) Außer durch die Mitmodellierung der AGENS-Valenz in (4.34a) im Unterschied zu (4.34b) unterscheiden sich die Lexikoneinträge noch im Hinblick auf einen anderen Gesichtspunkt. In den (i)-Versionen sind die Wahrheitsbedingungen relativ natürlichsprachlich expliziert. In den Versionen von Typ (ii) und (iii) liegen zwei verschiedene Varianten vor, die etwas sprachferner sind. Die Versionen des Typs (ii) haben ein separates Patiens-Konjunkt, das in (iii) jeweils fehlt.

78  Bindung

Demzufolge muss die weitere Explizierung der Wahrheitsbedingungen des metasprachlichen „zwick“-Prädikats bei zwick3 - und zwick6 - jeweils die Sachverhaltsbeteiligungsinformation für das interne Argument bereits enthalten; deswegen nehmen diese Prädikate neben dem Ereignisargument auch ein Individuenargument. Im Gegensatz dazu ist die PATIENS-Sachverhaltsbeteiligung in den Varianten des Typs (ii) ausgelagert in ein separates thematisches Prädikat. In Kratzers (1996, in Vorb.) Theorie über Argumentstruktur ist die Sachverhaltsbeteiligungs-Information über interne Argumente grundsätzlich Teil des Verbs; vgl. das Argument über die nicht durchgängige Kumulativität von internen Argumentreferenten in Kratzer (in Vorb.), das wir in 2.5.2 referiert haben. Anders gesagt: die thematische Sachverhaltsbeteiligungs-Information über interne Argumentreferenten wird nicht als sekundär konjungiert modelliert, sondern als dem Verb inhärent. Das spiegeln unsere Lexikoneinträge des Typs (iii) direkt wider. Bei den leichter lesbaren Einträgen von Typ (i) bleibt die entsprechende Entscheidung offen. Wenn wir im Folgenden Wahrheitsbedingungen in einer Form angeben, die nah an der natürlichen Sprache sind, wie das bei Typ (i) der Fall ist, ist das immer im Sinne von Explizierungstyp (iii) gemeint. Unsere beiden Lexikoneintragskandidaten, die wir nun der weiteren Komposition zuführen wollen, sind in (4.34′) noch einmal aufgeführt. (4.34′) a. Agensvalenz in der Argumentstruktur der Verbwurzel modelliert: Ozwick3 -P ¼ λx . λy . λe . Zwicken(x)(e) & Agens(y)(e) b. Agensvalenz in der Argumentstruktur der Verbwurzel nicht modelliert: Ozwick6 -P ¼ λx . λe . Zwicken(x)(e) Wenn wir nun die Denotation der Verben auf das direkte Objekt anwenden, erhalten wir die Denotationen in (4.35). (4.35) a. Ozwick3 -P(ONicoP) ¼ [λx . λy . λe . Zwicken(x)(e) & Agens(y)(e)](Nico) ¼ λy . λe . Zwicken(Nico)(e) & Agens(y)(e) [FA] 6 [FA] b. Ozwick -P(ONicoP) ¼ λe . Zwicken(Nico)(e) Im nächsten Schritt geht nun für die a-Variante auch mit dem AGENS-Argument alles ohne weitere Annahmen weiter, aber die b-Variante ist nicht vom richtigen Typ #e,#s,t$$ für ein weiteres Individuenargument. Stattdessen ist die b-Variante vom Typ #s,t$. (4.36) a. ONico zwick3 -P(OPaulP) ¼ λe . Zwicken(Nico)(e) & Agens(Paul)(e) [FA] [keine Argumentstelle für b. ONico zwick6 -P ¼ λe . Zwicken(Nico)(e) Paul vorhanden]

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  79

(4.37a) ergibt sich nach existenzieller Bindung der Ereignisvariable von (4.36a), und (4.37b) ist die entsprechende Paraphrase der Wahrheitsbedingungen. (4.37) a. 9e [Zwicken(Nico)(e) & Agens(Paul)(e)] b. ‘Es gibt ein Ereignis des Nico-zwicken-Typs, und Paul ist Agens dieses Ereignisses.’17 Wie wird nun die Komposition der AGENS-valenzlosen Variante in (4.36a), hier wiederholt als (4.38), fortgeführt? (4.38) ONico zwick6 -P ¼ λe . Zwicken(Nico)(e)

[Typ #s,t$]

Die Bereitstellung eines thematischen Rollenkopfs mit Standardzuschnitt als Funktion von Individuen in eine Funktion von Sachverhalten in Wahrheitswerte (Typ #e,#s,t$$) wie in (4.39) löst erst eine Hälfte des Problems. (4.39) OAGENSP ¼ λx . λe . Agens(x)(e) Die weiterbestehende Hälfte des Problems ist, dass weder Nico zwick- mit seiner Denotation des Typs #s,t$ als Argument AGENS mit Typ #e,#s,t$$ nehmen kann, noch AGENS als Argument Nico zwick- nehmen kann. Die beiden Typen passen einfach nicht zueinander. Aus diesem Grund stipuliert Kratzer (1996: 122) eine neue Kompositionsregel, Sachverhalts- oder Ereignisidentifizierung (event identification), die die Komposition genau dieser zwei semantischen Typen regelt. AGENS-Valenzen sind ein wichtiges und wohl universelles Argumentstrukturbzw. Diathesephänomen, und aus diesem Grund mag die Annahme einer weiteren Kompositionsregel neben Funktionsanwendung und Prädikatsmodifikation gerechtfertigt sein. Kratzer selbst rechtfertigt die kostspielige Annahme einer neuen Kompositionsregel jedenfalls nicht gesondert, und ich übernehme die Regel. Wir werden im weiteren Verlauf jedoch sehen, dass für unsere Reflexivdiathesen Sachverhaltsidentifizierung keine Rolle spielt, so dass eine Abwägung ihrer Existenzberechtigung hier unterbleiben kann. Sachverhaltsidentifizierung ist in (4.40a) definiert, und ihre Anwendung auf unseren Fall erfolgt in (4.40b).

 17 Im Rahmen dieser Arbeit steht die Explizierung der thematischen AGENS-Relation (oder der Varianten der AGENS-Relation bzw. der Teilprädikate, die AGENS-Referenten zukommen) nicht im Zentrum des Interesses. Für die Explizierung einzelner typisch agentivischer Teilprädikate vgl. Dowty (1979, 1991), Schlesinger (1992), Primus (2004), Eckardt (1998), Kratzer (2005b) und die Diskussion zur Sachverhaltswahrnehmungsfähigkeit in Kap. 10.

80  Bindung

(4.40) a. Sachverhaltsidentifizierung (SI) (Kratzer 1996: 122) f g ) h #e,#s,t$$ #s,t$ #e,#s,t$$ b. λx . λe . Agens(x)(e) λe . Zwicken(Nico)(e) ) λx . λe . Zwicken(Nico)(e) & Agens(x)(e) Mit der Ausgabe der Anwendung der Sachverhaltsidentifizierungsregel in (4.40b) haben wir nun eine Denotation für den Knoten, der das agentive Diathesemorphem und die VP dominiert. Diese Denotation hat den benötigten Typ, um die Denotation des Schwesterknotens, nämlich Paul, mit ihr zu kombinieren. Das zeigt (4.41). (4.42) führt die existenzielle Bindung der Ereignisvariable ein und gibt eine Paraphrase an. (4.41) [λx . λe . Zwicken(Nico)(e) & Agens(x)(e)] (OPaulP) ¼ λe . Zwicken(Nico)(e) & Agens(Paul)(e) [FA] (4.42) a. 9e [Zwicken(Nico)(e) & Agens(Paul)(e)] b. ‘Es gibt ein Ereignis des Nico-zwicken-Typs, und Paul ist Agens dieses Ereignisses.’ Der Baum in (4.43) fasst die Ableitung noch einmal zusammen. (Wie in 2.1 erläutert, dient die Verwendung von X′-syntaktischen Knotenbeschriftungen nur der Orientierung; theoretisch haben die Begriffe in unserer typengetriebenen Semantik und in unserer minimalistischen Syntax keinen Stellenwert.) (4.43)

VoiceP ‘ λe . Zwicken(Nico)(e) & Agens(Paul)(e)’ [FA] SpecVoiceP ‘Paul’

Voice′ ‘ λx . λe . Zwicken(Nico)(e) & Agens(x)(e)’

[SI]

Paul

Voice0 ‘ λx . λe . Agens(x)(e)’

VP ‘ λe . Zwicken(Nico)(e)’

[FA]

AGENS

‘Nico’ Nico

‘ λx . λe . Zwicken(x)(e)’ zwick 6 -

4.3.4 Modellierung I: Das Reflexivum als Reflexivierungs-Prädikat Wir haben nun eine Beispielableitung der Denotation eines transitiven Satzes mit AGENS-Subjekt gesehen, bei der die AGENS-Valenz in der Verbwurzel vorgesehen war, und eine Variante, in der die AGENS-Valenz sekundär durch ein Diathe-

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  81

semorphem in die Struktur hineinkam. Jetzt wollen wir dieselben zwei grundsätzlichen Möglichkeiten für reflexive Strukturen durchspielen. Der Satz, dessen Denotation wir ableiten wollen, ist in (4.44) angegeben. (4.44) Nico zwickt sich. Die erste Variante der Ableitung analysiert sich in (4.44a) nicht als pronominales Element, sondern als ein quasi-derivationelles Morphem, das aus einem syntaktisch und semantisch zweiwertigen Prädikat ein syntaktisch einwertiges Prädikat ableitet, dessen zwei semantische Argumente identische Referenten haben müssen. Solch eine Ableitung in der Tradition einer Reflexivierungsfunktion à la Keenan (1988) (vgl. 4.2.4) ist in (4.45) angeführt (vgl. auch Jacobson 1999, Reinhart & Siloni 2005). (4.45) a. Ozwick3 -P ¼ λx . λy . λe . Zwicken(x)(e) & Agens(y)(e) b. OsichP ¼ λf#e,#e,#s,t$$ . λx . λe . f(x)(x)(e) c. OsichP(Ozwick3 -P) ¼ λf#e,#e,#s,t$$ . λx . f(x)(x)(e)[λx . λy . λe . Zwicken(x)(e) & Agens(y)(e)] ¼ λx . λe . Zwicken(x)(e) & Agens(x)(e) [FA] d. Osich zwick3 -P(ONicoP) ¼ λe . Zwicken(Nico)(e) & Agens(Nico)(e) [FA] e. 9e [Zwicken(Nico)(e) & Agens(Nico)(e)] [existenzielle Bindung der Ereignisvariable] f. ‘Es gibt ein Ereignis des Nico-zwicken-Typs, und Nico ist Agens dieses Ereignisses.’ Der entscheidende Punkt dieser Ableitung ist, dass nicht zwick3 - als der Funktor interpretiert wird und sich nicht als sein Argument; stattdessen denotiert sich in (4.45b) eine Funktion, die eine Funktion des Typs des zwick3 -Denotats wie in (4.45a) als Argument nimmt und als Funktionswert in (4.45c) eine Funktion ausgibt, die wie das Denotat ihres Arguments ist (also hier wie das Denotat von zwick3 -), nur dass beide Argumente durch dieselbe λ-gebundene Variable ersetzt sind. So einfach eine derartige Ableitung sein mag, sie steht uns nicht zur Verfügung, wenn wir AGENS-abgetrennte Lexikoneinträge für Verbwurzeln annehmen. Wenn ein AGENS-abgetrennter Lexikoneintrag für zwick6 - wie ʻλx . λe . Zwicken(x)(e)ʼ mit dem Denotat von sich verbunden wird, sind gar keine zwei Individuenvariablen vorhanden, die miteinander identifiziert werden könnten. Später, wenn die AGENS-Valenz dann mitrepräsentiert ist, ist wiederum die Objektvalenz schon gesättigt.

82  Bindung 4.3.5 Modellierung II: Reflexivität als Quantorenanhebung mit Prädikatsabstraktion und Bindungsprinzip A (Heim & Kratzer 1998) Heims & Kratzers (1998) Implementierung der Reflexivbindung interpretiert sich oder sich selbst nicht als ein diathetisches Ableitungsmorphem, sondern wirklich als Pronomen mit Index, d. h. sich oder sich selbst hat eine im jeweiligen Modell festgelegte Referenz.18 Nur durch die Anwendung der Prädikatsabstraktion ist das Pronomen sekundär wieder geeignet, auf gleiche Referenz mit dem Subjektargument festgelegt zu werden. Das geschieht im Detail wie folgt. Pronomina werden üblicherweise so analysiert, dass Ihnen auf LF Indizes entsprechen, d. h. Zahlen. Eine für das jeweilige Modell definierte Belegungsfunktion a bildet Indexzahlen auf Referenten ab. Die Definition für Belegungsfunktionen (oder auch „Belegungen“) ist in (4.46) angegeben (Heim & Kratzer 1998: 111), und (4.47) führt zwei Beispiele an. (4.46) Eine (Variablen-)Belegung ist eine Funktion aus yN (der Menge der natürlichen Zahlen) in D.19 (4.47) a. Belegungsfunktion a: 1 2 3 4 5 6 7 … . . . . . . . Paula Nico Anna Emma Lars Kevin Paul b. Belegungsfunktion a′: 1 2 3 4 5 6 7 … . . . . . . . Anna Nico Lars Laura Emma Paula Steffi Die Spuren-und-Pronominaregel in (4.48) leistet die Interpretation von indizierten Pronomina durch Belegungsfunktionen. (4.49) ist ein Beispiel, das auf Belegungsfunktion a in (4.47a) basiert. (4.48) Spuren-und-Pronomina-Regel (SPR) (Heim & Kratzer 1998: 111) Wenn α ein Pronomen oder eine Spur ist, a eine Variablenbelegung und i 2 Definitionsbereich(a), dann ist Oαi Pa ¼ a(i).  18 Wir diskutieren die Begrenzung der Verwendung von Indizes als syntaktisch repräsentierte Einheiten auf das unerlässliche Maß erst in 4.3.10. 19 Im Original (H&K 1998: 111): „A (variable) assignment is a partial function from yN (the set of natural numbers) into D.“ Terminologisch drückt das aus (statt von) in unserer Übersetzung dasselbe aus wie partial im Original (d. h. nicht für jede natürliche Zahl muss es einen Referenten geben, auf den sie abgebildet werden kann).

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  83

(4.49) Osich5 Pa ¼ a(5) ¼ Lars

[SPR]

Belegungsfunktionen „verwalten“ die Information darüber, welcher Indexzahl welcher Referent entspricht. Sie sind das formalsemantische Korrelat des Auseinanderhaltens und richtigen Zuordnens von anaphorischen Ausdrücken zu Referenten der wirklichen Welt. An dieser Stelle ist etwas zur Kenntnis zu nehmen, das zunächst erstaunt: (4.49) ist eine gute Denotation für unser Beispiel Nico zwickt sich selbst aus (4.44), obwohl die Referenz des Pronomens durch die Belegungsfunktion auf Lars, und nicht auf Nico, festgelegt ist. Im Folgenden werden wir diesen paradoxal erscheinenden Umstand auflösen. Mit Belegung a ergeben sich VP-Denotationen wie in (4.50a) oder (4.50b) je nachdem, ob wir AGENS-abgetrennte Verbeinträge annehmen oder nicht. (4.50) a. In der Verbwurzel modellierte AGENS-Valenz: O[sich selbst]5 zwick3 -Pa ¼ [λx . λy . λe . Zwicken(x)(e) & Agens(y)(e)](a(5)) ¼ λy . λe . Zwicken(a(5))(e) & Agens(y)(e)] [SPR, FA] b. AGENS-abgetrennte Verbwurzel-Valenz O[sich selbst]5 zwick6 -Pa ¼ [λx . λe . Zwicken(x)(e)](a(5)) ¼ λe . Zwicken(a(5))(e) [SPR, FA] (4.50a) liefert uns eine Denotation mit AGENS-Valenz, aber wenn wir jetzt diese Valenz mit Nico sättigen, ist nicht viel gewonnen, denn unser Satz wird dann ‘Nico zwickt Lars’ bedeuten statt ‘Nico zwickt sich selbst’. Das Problem würde nicht verschwinden, wenn wir uns bei der Sättigung der Objektvalenz auf den Index 2 festgelegt hätten, so dass a(2)¼Nico ist. Wir hätten dann zwar nach Sättigung der AGENS-Valenz und existenzieller Bindung einen Satz, der ‘Nico zwickt Nico’ bedeutet; das wäre aber ein Satz mit „zufälliger“ Koreferenz zwischen Subjekt- und Objektreferent. Unter VP-Ellipse- mit auch würden wir demzufolge für Nico zwickt sich selbst, und Paul auch die Koreferenz-Lesart erhalten: ‘Nico zwickt Nico, und Paul zwickt Nico’ (vgl. 4.2.1). Stattdessen wollen wir aber die Bindungslesart ableiten: ‘Nico zwickt Nico, und Paul zwickt Paul’. Mithilfe der Interpretationsregel der Prädikatsabstraktion wie in (4.51) können wir sicherstellen, im weiteren Verlauf die richtige Lesart zu erhalten. (4.51a) ist Heims & Kratzers (1998: 186) Regel mit leicht an Bürings (2005a,b) Gebrauch angepasster Schreibweise der Belegungsmodifizierung. (4.51b) ist eine stärker diagrammatische Version der Regel, welche wir im Folgenden wegen ihrer größeren Anschaulichkeit an verschiedenen Stellen wiederholen werden.20  20 Die sprachliche Definition in (4.51a) und die diagrammatische Version in (4.51b) sind nicht ganz äquivalent. (4.51a) abstrahiert von der Linearisierung, während (4.51b) das nicht tut. Ich

84  Bindung

(4.51) Prädikatsabstraktion (PA) a. Sei α ein verzweigender Knoten mit den Töchtern β und γ, in dem β nur den numerischen Index i dominiert. Dann gilt für beliebige Variablenbelegungen a, dass OαPa ¼ λx 2 D . OγPa½i ! x . b. Für beliebige Variablenbelegungen a gilt:

⎡⎡ ⎢⎢ β ⎢⎢ ⎢⎢ ⎢⎣⎢⎣ i

α

⎤⎤ ⎥⎥ γ ⎥⎥ ⎥⎥ ⎥⎦⎥⎦

a

= λx∈D . =γ>a[i→ x]

Im Moment haben wir noch keinen Baum, auf den die Strukturbeschreibung von PA passt. Aber nach Sättigung der AGENS-Valenz und Quantorenanhebung können wir solch einen Baum erhalten. Das geht wie folgt. Quantorenanhebung ist in Ansätzen, die Quantoren nicht in situ interpretieren, das allgemeine Mittel, um Quantoren ihrem Skopus auch syntaktisch gegenüberzustellen und Skopusambiguitäten aufzulösen. Die Regel ist von May (1977) eingeführt worden, aber wir arbeiten hier wieder mit der konkreten syntaktisch-semantischen Implementierung nach Heim & Kratzer (1998: 211, 213), die in der lokalen Version in (4.52) angepasst ist an unsere Ereignissemantik und den passenden Typenkontext. (4.52) Lokale Quantorenanhebung für Argumente in einer Ereignissemantik (QA) Sei α eine Konstituente von Typ e oder ##e,#s,t$$,#s,t$$, und sei β eine Konstituente von Typ #e,#s,t$$, und sei i2 yN; dann ergibt sich durch Quantorenanhebung (ii) aus (i). (i) (ii)

α

β

α i ti

β

Was (4.52) im Verbund mit der Interpretationsanweisung für Spuren und Pronomina in (4.48) leistet, ist für unser Beispiel das Folgende. Angenommen wir wenden Quantorenanhebung wie in (4.52) auf das AGENS-Argument Nico an, des-

 werde diesen Unterschied im Folgenden ignorieren und beide Formulierungen als äquivalent behandeln.

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  85

sen Einführung wir oben im Text unter (4.50) für (4.50a) schon erwogen hatten.21 Das ergibt (4.53). (4.53)

Nico [sich selbst] 5 zwick 3-

⇒ QA

Nico 5 t5 [sich selbst]5 zwick 3-

Wichtig ist, dass nicht nur die Bewegungsspur dieselbe Indexzahl hat wie die ckommandierende Zahl, die durch die Quantorenanhebung eingeführt worden ist (das ist Teil der Definition von Quantorenanhebung wie in (4.53) angewendet); auch sich selbst trägt denselben Index. Das ist in gewisser Weise Zufall, denn nichts in der Quantorenanhebungsregel verlangt das Vorkommen desjenigen Index, der durch die Quantorenanhebung ins Spiel kommt und der die Spur bindet, im C-Kommandobereich der Spur (das Verbot leerer Quantifikation wie etwa bei Kratzer 1995 formuliert ist schon durch das Binden der Spur respektiert). Aber wenn der Index, wie in unserem Beispiel, noch einmal vorkommt, ergibt sich nun bei Anwendung von Prädikatsabstraktion etwas Wichtiges: Subjekt- und Objektreferenz fallen in eins. (4.54) gibt die Ableitung der Denotation des Resultats der Quantorenanhebung in (4.53) an, wobei (4.54a) gekürzt (4.50a) entspricht. (4.54) Für beliebige Belegungen a gilt: a. O[sich selbst]5 zwick3 -Pa ¼ λy . λe . Zwicken(a(5))(e) & Agens(y)(e)] [SPR] b. Ot5 Pa ¼ a(5) 3 a a c. O[sich selbst]5 zwick -P (Ot5 P ) ¼ [λy . λe . Zwicken(a(5))(e) & Agens(y)(e)](a(5)) [SPR] ¼ λe . Zwicken(a(5))(e) & Agens(a(5))(e) [FA] [PA] d. O5 t5 [sich selbst]5 zwick3 -Pa ¼ λx . Ot5 [sich selbst]5 zwick3 -Pa½5 ! x ¼ λx . λe . Zwicken(a[5 ! x](5))(e) & Agens(a[5 ! x](5))(e) ¼ λx . λe . Zwicken(x)(e) & Agens(x)(e) [FA]  21 So, wie (4.52) formuliert ist, kann QA auf alle Argumente angewendet werden und nicht nur auf externe AGENS-Argumente. Das macht nichts, denn durch seine Anwendung verändert sich die Denotation für referenzielle Argumente nicht, und für Quantoren nehmen Heim & Kratzer (1998) ohnehin generell QA an. Dennoch ist (4.52) nicht allgemein genug, um alle Fälle von QA abzudecken, da diese Regel eine Konstituente niemals über eine größere Entfernung hin bewegt, wie das für QA nötig ist. Da QA später in dieser Allgemeinheit keine Rolle mehr spielen wird, lasse ich Regel (4.52) wegen ihrer größeren Konkretheit so speziell, wie sie ist.

86  Bindung e. O5 t5 [sich selbst]5 zwick3 -Pa (ONicoPa ) ¼ [λx . λe . Zwicken(x)(e) & Agens(x)(e)](Nico) ¼ λe . Zwicken(Nico)(e) & Agens(Nico)(e) [FA] f. 9e [Zwicken(Nico)(e) & Agens(Nico)(e)] [existenzielle Bindung] g. ‘Es gibt einen Sachverhalt des Nico-zwicken-Typs, und Nico ist Agens dieses Sachverhalts.’ (4.54a) ist die VP-Denotation. (4.54c) gibt die Denotation der VP mit der durch Quantorenanhebung des AGENS-Arguments entstandenen Spur als Schwester an (die Quantorenanhebung ist gemäß Regel (4.53) erfolgt, und die Interpretation der Spur allein in (4.54b) erfolgt gemäß SPR in (4.48)). (4.54d) liefert die durch Prädikatsabstraktion wie in (4.51a), hier wiederholt als (4.55), interpretierte Struktur. (4.54e) führt per Funktionsanwendung das AGENS-Argument ein, (4.54f) stellt die Denotation mit existenziell gebundener Ereignisvariable dar, und (4.54g) ist eine Paraphrase von (4.54f). (4.55) Prädikatsabstraktion (PA) Für beliebige Variablenbelegungen a gilt:

⎡⎡ ⎢⎢ β ⎢⎢ ⎢⎢ ⎢⎣⎢⎣ i

α

⎤⎤ ⎥⎥ γ ⎥⎥ ⎥⎥ ⎥⎦⎥⎦

a

= λx∈D . =γ>a[i→ x]

Diese Art Derivation liefert uns tatsächlich Bindungslesarten, und nicht Koreferenzlesarten. Wenn wir also einen Satz wie in (4.56) interpretieren, können wir durch sie die gewünschte Interpretation in (4.57a) erhalten. (4.56) Nico zwickt sich selbst, und Paul auch. (4.57) a. ‘Nico zwickt Nico, und Paul zwickt Paul.’ b. *‘Nico zwickt Nico, und Paul zwickt Nico.’ Die gewünschte Interpretation kommt dadurch zustande, dass die Ellipse im zweiten Teilsatz die gesamte α-Konstituente der Prädikatsabstraktionsregel als Kopie enthält; wenn dann der AGENS Paul in die Derivation eingeführt wird, wird auch die Variable in Objektposition als Paul interpretiert. Wenn hingegen die VP-Ellipse- nur den γ-Knoten als Kopie enthält und der Index für beide Teilsätze gleich ist, können wir die Koreferenz-Lesart ableiten. Die zweite Ableitung wird allerdings an der Schnittstelle durch Bindungsprinzip A aussortiert, da in dieser

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  87

Koreferenz-Variante das Reflexivpronomen im elidierten Konjunkt nicht in seiner lokalen Tempusdomäne gebunden ist.22 Bindungsprinzip A ist in seiner allgemeinen Form in (4.58) angeführt; vgl. für die Diskussion der spezifischen Fakten von dt. sich selbst 4.2.3. (4.58) Bindungsprinzip A Ein Reflexivpronomen muss in seiner Domäne gebunden sein. Damit haben wir anhand eines Beispiels expliziert, wie Reflexivbindung bei Heim & Kratzer (1998) implementiert wird. Auf den ersten Blick wirkt das Verfahren verschlungen und umständlich, vor allem wenn man es mit der einfachen Variante des Prädikatsreflexivierers in (4.45b) oben vergleicht: (i) die Objektvalenz wird durch ein Pronomen mit Index gesättigt, dessen Belegung später überhaupt nichts mehr zur Sache tut (in unserem Fall i ¼ 5; a(5) ¼ Lars, obwohl für die Interpretation der gesamten Struktur Nico als Gezwickter assertiert wird); (ii) Reflexivsubjekte müssen immer quantorenangehoben werden (auch wenn es sich um definite DPs handelt), wodurch eine Struktur mit einer Spur und einem zusätzlichen Index direkt unterhalb des bewegten Elements entsteht; (iii) für die Interpretation des zusätzlich eingeführten Knotens mit dem Indexknoten und seiner Schwester als Töchtern wird eine spezielle Interpretationsregel benötigt, nämlich Prädikatsabstraktion; (iv) Prädikatsabstraktion modifiziert die Belegungsfunktion, also etwas, das für Sätze ohne Bindung konstant gehalten wird. Bei zugestandener Komplexität muss man sich jedoch zwei Dinge in Erinnerung rufen. Zum einen hatten wir oben gesagt, dass jede Implementierung von Bindung etwas Stipulatives oder Synkategorematisches hat und dass es darum geht, bei einer Modellierung dies Stipulative möglichst einzukapseln, damit es den kompositionalen Aufbau des Rests der Satzbedeutung möglichst wenig beeinflusst. Diese Einkapselung erfolgt in Heims & Kratzers Vorschlag in erster Linie durch die Prädikatsabstraktionsregel, aber auch durch die Einführung des Index unterhalb des bewegten Elements in der Quantorenanhebung; denn dieser Index bindet die Spur und, bei reflexiven Strukturen oder gebundenen Possessivpronomina, noch das rückverweisend interpretierte pronominale Element. Zum anderen sind die Regeln, die bei Heim & Kratzer zum Einsatz kommen, alles solche Regeln, die an vielen anderen Stellen auch benötigt werden. So basiert etwa die Analyse von Relativsätzen und Skopusambiguitäten auf der Prädikatsabstraktion als Herzstück, und Quantorenanhebung kommt mindestens bei  22 Büring (2005a) leitet die verschiedenen Lesarten anders ab; vgl. sein 6.5.1.

88  Bindung

der Interpretation von Quantoren in Nicht-Subjekt-Position zur Anwendung und bei Heim & Kratzer (1998) sogar für alle Quantoren unabhängig von ihrer syntaktischen Funktion. Bindungsprinzip A schließlich mag einzelsprachlich und für verschiedene Reflexivpronomina innerhalb einer Sprache etwas unterschiedliche Ausprägungen haben, aber der übereinzelsprachliche Wert der Annahme eines solchen Prinzips steht außer Frage.23 Demzufolge sind die Regeln und lexikalischen Merkmale, die das Grundsystem der Interpretation aus Interpretationsfunktion, Funktionsanwendung und Prädikatsmodifikation hier ergänzen, alle auch an anderen Stellen einsetzbar. Dadurch sind sie nicht ad hoc.

4.3.6 Modellierung III: Reflexivität ohne Quantorenanhebung, mit Binderregel und mit einer Variante der Prädikatsabstraktion (Büring 2005a,b) Bürings (2005a,b) Bindungsimplementierung unterscheidet sich vor allem dadurch von Heims & Kratzers, dass er einen Teil des Effekts der Quantorenanhebung (nämlich die Indexeinführung) mit einer anderen Regel, seiner Binderregel, modelliert, ohne dass eine Spur entstehen würde. Dadurch muss Bürings Gegenstück zur Prädikatsabstraktion, seine Binder-Index--Evaluierungsregel (BIER), auch etwas anders formuliert werden. Dieser Formulierung entspricht Heims & Kratzers (1998: 203) nicht weiter verfolgter Alternativvorschlag zur Prädikatsabstraktion.24 Binder-Regel und Binder-Index--Evaluierungsregel sind in (4.59) und (4.60) angeführt. (4.61) ist Heims & Kratzers (1998: 203) gerade erwähnter Alternativvorschlag für die Reflexivbindungsimplementierung mit Hilfe

 23 Vgl. Levinson 1991, Gast & Hole (2002) sowie Hole (2005a) für weiterführende Diskussion der unterschiedlichen Wirksamkeit von Bindungsprinzip A und B in verschiedenen Sprachen. 24 Bürings (2005a) Terminologie bzw. Notation unterscheidet sich in drei Punkten unabhängig von den Unterschieden in der Bindungsimplementierung von Heims & Kratzers (1998) und auch dem hier befolgten Wortgebrauch: (i) Büring nimmt keine DPs an, sondern verwendet die Kategorienbezeichnung „NP“ auch für vollständige Argumente von Typ e (oder für Quantoren). Ich bezeichne nominale Argumente grundsätzlich als DPs. Dieser Unterschied ist substanzlos, denn eine typengesteuerte Semantik wie die hier verwendete „sieht“ die Kategorienbezeichnungen syntaktischer Knoten nicht. (ii) Die Belegungsfunktion wird einer weit verbreiteten Konvention folgend bei Büring mit g bezeichnet. Ich verwende dem Gebrauch bei Heim & Kratzer (1998) folgend a (für assignment ‘Belegung’), verwende ansonsten aber Bürings intuitiv einfachere Pfeil-Notation der Modifikation von Belegungsfunktionen. (iii) Die Variablen über Indizes sind nicht i, j, …, wie bei Heim & Kratzer (1998) und hier, sondern, wie für natürliche Zahlen sonst meist, n, m, ….

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  89

einer modifizierten Prädikatsabstraktionsregel, angepasst an eine Ereignissemantik und unsere Notationskonvention für modifizierte Belegungen.25 Er entspricht ziemlich genau Bürings BIER. Letztlich liegt der Grund für den Unterschied zwischen Bürings und Heims & Kratzers endgültiger Implementierung darin, dass Heim & Kratzer grundsätzlich für Interpretationen von Strukturen mit semantischer Bindung die vorherige Anwendung der Quantorenanhebungsregel annehmen, wohingegen Bürings Formalismus für Reflexivität ohne Quantorenanhebung auskommt. (4.59) Binderregel (BR)

DP (n)

X

⇒ LF

DP (n)

X βm

(4.60) Binder-Index--Evaluierungsregel

X (BIER)26

Für beliebige natürliche Zahlen n,

βn

Y

= λx . [=Y >a[n→ x](x)]

(4.61) Wenn ein Knoten α die Töchter βi und γ hat, wobei für alle a Oβi Pa 2 D##e,t$,t$, dann gilt für beliebige Belegungen a: OαPa ¼ OβPa (λx . [OγPa½i ! x (x)]) Wir wollen das Funktionieren dieser Regeln wiederum an unserem Beispiel durchspielen. Das erfolgt in (4.63) für unseren Satz in (4.62). (4.62) Nico zwickt [sich selbst]5 . (4.63) Für beliebige Belegungen a gilt: a. O[sich selbst]5 Pa ¼ a(5) b. O[sich selbst]5 zwick3 -Pa ¼ Ozwick3 -Pa (O[sich selbst]5 Pa ) ¼ [λy . λz . λe . Zwicken(y)(e) & Agens(z)(e)](a(5)) ¼ λz . λe . Zwicken(a(5))(e) & Agens(z)(e) c. Oβ5 [sich selbst]5 zwick3 -Pa ¼ λx . [[λz . λe . Zwicken(a(5))(e) & Agens(z)(e)]a½5 ! x (x)]

[SPR]

[FA] [BR] [BIER]

 25 Im Original (Heim & Kratzer 1998: 203): „If α has the daughters βi und γ, with Oβi Pa 2D##e,t$,t$ x=i for all a, then, for any assignment a: OαPa ¼ OβPa (λx . ½½γa (x))“. 26 Im Original (Büring 2005a: 130):

For any natural number n,

βn

Y

= λx . =Y >a[n→ x](x)

90  Bindung ¼ λx . [[λz . λe . Zwicken(a[5 ! x](5))(e) & Agens(z)(e)](x)] ¼ λx . [[λz . λe . Zwicken(x)(e) & Agens(z)(e)](x)] ¼ λx . λe . Zwicken(x)(e) & Agens(x)(e) [FA] d. ONico β5 [sich selbst]5 zwick3 -P ¼ [λx . λe . Zwicken(x)(e) & Agens(x)(e)](ONicoP) ¼ λe . Zwicken(Nico)(e) & Agens(Nico)(e) [FA] e. 9e [Zwicken(Nico)(e) & Agens(Nico)(e)] [existenzielle Bindung] f. ‘Es gibt einen Sachverhalt des Nico-zwicken-Typs, und Nico ist Agens dieses Sachverhalts.’ Der „Trick“ oder die „Konspiration“ innerhalb des Mechanismus ist komplex. Erst kommt das Pronomen mit dem Index, hier 5, per Funktionsanwendung als Argument ins Spiel. Das Binderpräfix β, das durch die Binderregel in (4.63c) in die Struktur kommt, muss sodann denselben Index 5 haben. Dann nämlich kann die Belegungsfunktion derart geändert werden, dass der Index 5 z. B. nicht mehr auf Lars, sondern auf das Individuum x abgebildet wird (x ist an dieser Stelle lokal keine gebundene Variable!) ((4.63c), 3. Zeile). Damit ist die Objektvalenz sekundär durch x gesättigt. Nun besetzt per Funktionsanwendung das Argument x, das durch BIER mit in die Interpretation gekommen ist, auch die letzte verbleibende Valenz, nämlich die AGENS-Valenz ((4.63c), 4. Zeile). In der nächsten Schale der λ-Abstraktion steht, auch als Folge von BIER, schon der passende Argumentstellenbinder für die zwei x, die auf je eigene Art in den Term gekommen sind. Das Resultat ist ein Term, der ein Argument nimmt und für beide Vorkommen von x in den Wahrheitsbedingungen einsetzt. Das ergibt nach existenzieller Bindung wie in (4.63e) gezeigt einen Ausdruck mit den paraphrasierten Wahrheitsbedingungen in (4.63f). Damit die Bindung des Reflexivums innerhalb der lokalen Domäne gewährleistet ist, muss auch Büring Bindungsprinzip A (wie in (4.58) ausbuchstabiert) annehmen. Auch Bürings Bindungsimplementierung ist also nicht frei von barocken Schnörkeln, welche aber allesamt notwendig sind, um die Reflexivinterpretation abzuleiten. Wir haben es schon gesagt, der Hauptunterschied zu Heim & Kratzer besteht darin, dass auf Quantorenanhebung mit Generierung einer entsprechenden Struktur mit Spur verzichtet wird. Dadurch können aber auch nicht in einem Schritt und mithilfe desselben Prozesses der AGENS- und der Objekt-Referent wieder auf x abgebildet werden, um dann durch den λ-Operator gebunden zu werden, wie das in (4.54d) möglich war. Stattdessen muss das AGENS-x unabhängig vom Objekt-x eingeführt werden; das Objekt-x durch die Modifikation der Belegung ((4.63c), 3./4.Zeile), und das AGENS-x durch Funktionsanwendung ((4.63c), 5. Zeile)), nachdem es durch Anwendung von BIER „bereitgestellt“ worden ist.

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  91

4.3.7 Modellierung IV: Diathetische AGENS-orientierte Reflexivität mit reflexiver Binderregel und Prädikatsabstraktion unter den Bedingungen der AGENS-Abtrennung Wir haben jetzt drei verschiedene Vorschläge zur Reflexivbindung kennengelernt; aber keiner der drei ist ohne Modifikationen für uns geeignet. Uns wird es darum gehen, Reflexivbindung an Diathesemorpheme wie AGENS oder die für die freie Dativdiathese relevanten Morpheme (P-EXPERIENCER und LANDMARKE; vgl. Kap. 10/11) zu knüpfen. Das wird sich nicht nur für die freie Dativdiathese als empirisch sinnvoll herausstellen. Schon für Reflexivität, wie wir sie hier modellieren, gilt nämlich eine empirische Anbindung an Agentivität und demzufolge an den AGENS-Kopf. Dieses Faktum wird in der generativen Literatur meines Wissens nicht diskutiert, aber in der typologischen Forschung ist gut bekannt, dass das Antezedens von Reflexivkonstruktionen eher über thematische Rollen als über die Subjekteigenschaft beschrieben werden kann und dass demzufolge die „Subjektorientierung“ vieler reflexiver Pronomina wie in 4.2.2 diskutiert wahrscheinlich epiphänomenal ist (Butt & King 2003). Wir hatten in 4.3.3 oben bereits die Denotation von (4.64) unter den Bedingungen der AGENS-Abtrennung abgeleitet. In (4.65) wird diese Ableitung rekapituliert. (4.64) Paul zwickt Nico. (4.65) a. 9e [Zwicken(Nico)(e) & Agens(Paul)(e)] ‘Es gibt ein Ereignis des Nico-zwicken-Typs, und Paul ist Agens dieses Ereignisses.’ (Denotation nach existenzieller Bindung der Ereignisvariable) b. VoiceP ‘ λe . Zwicken(Nico)(e) & Agens(Paul)(e)’ [FA] SpecVoiceP Voice′ ‘ Paul’ ‘ λx . λe . Zwicken(Nico)(e) & Agens(x)(e)’ Paul [SI] VP Voice0 ‘ λx . λe . Agens(x)(e)’ ‘ λe . Zwicken(Nico)(e)’ AGENS [FA] ‘ Nico’ ‘ λx . λe . Zwicken(x)(e)’ Nico

zwick6-

Um Reflexivbindung in diesem generellen Rahmen für einen Satz wie Nico zwickt [sich (selbst)] zu implementieren, müssen wir oberhalb der VP-Denotation ansetzen. Wir identifizieren Agens- und Objekt-Argument im Rahmen der Einführung des thematischen AGENS-Kopfes: Wir definieren einen besonderen reflexiven

92  Bindung

AGENS-Kopf, der all die Information enthält, die der AGENS-Kopf in (4.65b) auch hat, nur muss nach der Verkettung mit seinem Schwesterknoten in der Position des Objektarguments die Variable stehen, die auch dem Agens-Argument zugeordnet ist. Diese Zielsetzung können wir mithilfe der Regeln in (4.66)–(4.68) erreichen.27

(4.66) Binderregel für die AGENS-orientierte Reflexivdiathese (BR-R)

XP

AGENS+b

XP

AGENS

⇒ LF β

XP

i (4.67) Prädikatsabstraktion (PA) [¼(4.55)] Für beliebige Variablenbelegungen a gilt: a

α β

γ

= λx∈D . =γ>a[i→x]

i (4.68) Davidsonische Prädikatsmodifikation (DPM) a. Wenn α ein verzweigender Knoten mit den Tochterknoten β und γ ist, und OβP und OγP sind beide in D#e,#s,t$$, dann gilt: OαP ¼ λx 2 De . λe 2 Ds . OβP(x)(e) & OγP(x)(e) b. ‘Wenn α ein verzweigender Knoten mit den Tochterknoten β und γ ist und beide Tochterknoten Funktionen von Individuen in Funktionen von Sachverhalten in Wahrheitswerte denotieren, dann gilt für das Denotat von α Typengleichheit mit β und γ sowie die Konjunktion der Wahrheitsbedingungen des Denotats von β und γ.’ α c. λx . λe . =β>(x)(e) & =γ>(x)(e) e,s,t

β e,s,t

γ e,s,t

 27 Ich danke Rajesh Bhatt dafür, mir am Beispiel eines älteren Vorschlags zur Modellierung des AFFIZIERTEN-Morphems (Hole 2005a,b) vorgeschlagen zu haben, dass ich die Auslösung der Binderregel unabhängig von der eigentlichen thematischen Rolle modellieren kann.

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  93

Die Binderregel BR-R in (4.66) ist ähnlich wie Bürings Binderregel in (4.59), indem sie (ohne Quantorenanhebung) einen Index in eine Struktur einfügt und das Merkmal [þb] tilgt.28 Im Unterschied zu Bürings Regel ist in BR-R der linke Knoten der Eingabe keine DP, sondern ein AGENS-Diathesemorphem- mit Bindungsspezifizierung [þb]. Die Formulierung der Prädikatsabstraktion in (4.67) ist die uns bereits vertraute von Heim & Kratzer (1998) übernommene Version. Die Davidsonische Prädikatsmodifikation (DPM) in (4.68) ist Heims & Kratzers (1998: 65) Formulierung der Kompositionsregel der Prädikatsmodifikation, hier aber angepasst an eine Ereignissemantik, in der ein Prädikat mit einer Valenz für ein Individuenprädikat immer auch mit einer sekundären Valenz für ein Ereignisargument einhergeht.29 DPM bewirkt die Konjunktion zweier Prädikate zu einem einzigen Prädikat, das die Wahrheitsbedingungen beider Prädikate miteinander verbindet. Sofern man Modifikation nicht grundsätzlich auch als Funktionsanwendung modelliert (vgl. etwa den Vorschlag bei Heim & Kratzer 1998: 66–68), sind Prädikatsmodifikationsregeln für die unterschiedlichsten semantischen Typen sowieso immer schon Bestandteil der Menge an Interpretationsregeln. Insofern führt ihre Anwendung in unserem Kontext zu keinerlei Theoriekosten. Auch für die hier vorgeschlagene Modellierung ist wieder die Annahme von Bindungsprinzip A (vgl. (4.58)) notwendig; anderenfalls müsste es möglich sein, sich selbst von außerhalb seiner Tempusdomäne zu binden. Das ist unmöglich (vgl. 4.2.3). Prädikatsabstraktion schließlich ist – bei aller Konstruktionsartigkeit – ebenso unabhängig gerechtfertigt (vgl. die Diskussion auf S. 87). Nur die Binderregel BR-R ist neu und nicht ganz kostenfrei. Wir werden unten auf die tatsächliche Kostspieligkeit dieser Regel zurückkommen.

 28 Unter der Maßgabe einer Syntax, die eigentlich nur external merge und internal merge als strukturbildende Prozesse zulässt (vgl. 2.1), ist BR-R kostspielig. Diese Kostspieligkeit wird zwar gemildert dadurch, dass wir BR-R später verallgemeinern können zu einer in vielen Kontexten zur Anwendung kommenden Regel BR-X (vgl. 4.3.11); trotzdem handelt es sich um keinen kanonischen Prozess minimalistischen Strukturaufbaus. Es steht uns jedoch frei, BR-R (und später BR-X) zu reformulieren als eine Abfolge von (i) einer Instanz von merge, bei der der nackte Index mit seiner Schwester kombiniert wird; und (ii) einer merkmalsgetriebenen Instanz von internal merge, bei der der AGENS-Kopf mit Reflexivmerkmal unter Tilgung seines Reflexivitätsmerkmals um den Index herumbewegt wird. Es sei hinzugefügt, dass Bürings (2005a, b) Binderregel genau dasselbe Problem aufwirft. 29 Bei Heim & Kratzer (1998) würde die Wahrheitsbedingung des resultierenden Denotats wie folgt aussehen: „OβP(x)(e) ¼ OγP(x)(e) ¼ 1“. In Fn. 17, Anm. 3 in Teil I haben wir festgelegt, dass z. B. „OβP(x)(e)“ zu lesen ist als „OβP(x)(e) ¼ 1“. Damit können wir die etwas durchsichtigere Konjunktionsnotation verwenden.

94  Bindung

Die Ableitung unseres Satzes, hier wiederholt als (4.69), kann nun wie in (4.70) erfolgen. (4.69) Nico zwickt [sich selbst]5 . (4.70) Für beliebige Belegungen a gilt: [SPR, FA] a. O[sich selbst]5 zwick6 -Pa ¼ λe . Zwicken(a(5))(e) b. O5 [sich selbst]5 zwick6 -Pa ¼ λx . O[sich selbst]5 zwick6 -Pa½5 ! x ¼ λx . λe . Zwicken(x)(e) [PA] 6 a½5 ! x c. OAGENS 5 [sich selbst]5 zwick -P ¼ OAGENSP ʘ O5 [sich selbst]5 zwick6 -Pa½5 ! x ¼ [λy . λe . Agens(y)(e)] ʘ [λx . λe . Zwicken(x)(e)] ¼ λx . λe . Zwicken(x)(e) & Agens(x)(e) [DPM]30 6 a½5 ! x e. ONico AGENS 5 [sich selbst]5 zwick -P ¼ OAGENS 5 [sich selbst]5 zwick6 -Pa½5 ! x (ONicoP) ¼ [λx . λe . Zwicken(x)(e) & Agens(x)(e)](Nico) ¼ λe . Zwicken(Nico)(e) & Agens(Nico)(e) [FA] f. 9e [Zwicken(Nico)(e) & Agens(Nico)(e)] [existenzielle Bindung] g. ‘Es gibt einen Sachverhalt des Nico-zwicken-Typs, und Nico ist Agens dieses Sachverhalts.’ Der Baum in (4.71) stellt dieselbe Ableitung noch einmal graphisch bis einschließlich (4.70e) dar. (4.71)

VoiceP λe . Zwicken(Nico)(e) & Agens(Nico)(e)

SpecVoiceP Nico

Voice′ λx . λe . Zwicken(x)(e) & Agens(x)(e)

Voice0 λx . λe . Agens(x)(e) AGENS

VP λx . λe . Zwicken(x)(e)

5

VP λe . Zwicken(a(5))(e)

[sich selbst]5 zwick 6-

 30 Ich benutze das IPA-Zeichen für den bilabialen Schnalzlaut „ʘ“, um die Davidsonische Prädikatsmodifikation DPM zu notieren.

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  95

Damit haben wir einen allgemeinen Mechanismus expliziert, um Reflexivbindung zu modellieren, der unter den Bedingungen der AGENS-Abtrennung anwendbar ist.31 Da die Materie und die wichtigen Unterschiede der verschiedenen Reflexivitätsmodellierungen der Abschnitte 4.3.4 bis 4.3.7 nicht ganz einfach zu überblicken sind, ist der folgende Abschnitt der Zusammenschau der unterschiedlichen Modellierungen gewidmet. Bei dieser Gelegenheit werden wir die theoretischen und empirischen Gründe sammeln, die in unserem Kontext für die letzte Variante sprechen.

4.3.8 Die Reflexivitätsmodellierungen im Vergleich Tabelle 4.4 stellt die Implementierungen aus den Abschnitten 4.3.4 bis 4.3.7 in der Zusammenschau dar. Die Darstellungsweise zielt darauf ab, wiederkehrende Modellierungsbausteine als solche zu identifizieren, damit man Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Vorschläge leichter erkennen kann. (4.72–4.78) stellt die unterschiedlichen Regeln, die in den unterschiedlichen Modellierungen angewendet werden, noch einmal zusammen. (4.72) Bindungsprinzip A Ein Reflexivpronomen muss in seiner Domäne gebunden sein. (4.73) Lokale Quantorenanhebung für Argumente in einer Ereignissemantik (QA) [¼(4.52)] Sei α eine Konstituente von Typ e oder ##e,#s,t$$,#s,t$$, und sei β eine Konstituente von Typ #e,#s,t$$, und sei i2 yN; dann ergibt sich durch Quantorenanhebung (ii) aus (i).  31 Kratzer (2009: 194) modelliert Reflexivbindung im Großen und Ganzen genauso. Reflexivbindung geht in diesem Ansatz, genau wie hier vorgeschlagen, immer von Diatheseköpfen oberhalb von VP (oder von C-Köpfen) aus. Allerdings nimmt Kratzer (2009: 200) an, dass nur v/Voice diese Eigenschaft hat. Ich gehe davon aus, dass alle Diathesemorpheme diese Eigenschaft haben können, und die freie Dativdiathese unterstützt, wie wir sehen werden, diese Annahme. Bei Kratzer (2009: 195–197) wird die Lokalität von Reflexivbindung elegant als phasenbezogen abgeleitet: Die Merkmalsunifikation zwischen v-Kopf und gebundenem Pronomen kann nur innerhalb des „offenen Fensters“ der v-Phase-n-Derivation erfolgen. Uns steht es offen, auch bei Annahme von verallgemeinerter Diathesemorphembindung dieselbe Lokalitätserklärung zu geben, wenn gewährleistet ist, dass alle Diathesemorpheme in vP in die Struktur kommen. Letztere Annahme ist plausibel. Es sei kurz angemerkt, dass Kratzers Bindungsimplementierung durch ihren Phasenbezug Bindungsbedingung A überflüssig macht (und B und C wahrscheinlich auch). Wir werden in 6.3 auf Kratzers phasenbezogene Bindungsmodellierung zurückkommen.

96  Bindung

(i)

(ii)

α

α

β

i β

ti

(4.74) Prädikatsabstraktion (PA) [¼(4.51)] Für beliebige Variablenbelegungen a gilt: a

α β

γ

= λx∈D . =γ>a[i →x]

i (4.75) Binderregel (BR) [¼ (4.59)]

DP (n)

X

⇒ LF

DP (n)

X βm

X

(4.76) Binder-Index--Evaluierungsregel (BIER) [¼ (4.60)] Für beliebige natürliche Zahlen n,

βn

Y

= λx . (=Y >a[n→x](x))

(4.77) Binderregel für die AGENS-orientierte Reflexivdiathese (BR-R) [¼ (4.66)]

AGENS +b

XP

XP

AGENS

⇒LF β

XP

i (4.78) Davidsonische Prädikatsmodifikation (DPM) [vgl. (4.68)] a. Wenn α ein verzweigender Knoten mit den Tochterknoten β und γ ist, und OβP und OγP sind beide in D#e,#s,t$$, dann gilt: OαP ¼ λx 2 De . λe 2 Ds . OβP(x)(e) & OγP(x)(e)

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  97

b.

α λx . λe . =β>(x)(e) & =γ>(x)(e) e, s,t

β

γ

e, s,t

e, s,t

Wenn man die unterschiedlichen Modellierungen der Reflexivbindung in Tabelle 4.4 vergleicht, fragt man sich unmittelbar, wozu man komplizierte Vorschläge wie in den rechten drei Spalten braucht, wenn ein extrem einfacher Vorschlag wie Heims & Kratzers „Alternativvorschlag“ vorliegt. Darauf können hier vor allem zwei Antworten gegeben werden. Die eine ist, dass nicht klar ist, wie der „Alternativvorschlag“ unter den Bedingungen der AGENS-Abtrennung aussehen müsste. Wenn das Reflexivierungsprädikat erst oberhalb des AGENS-Kopfes applizieren könnte, wie das unter AGENS-Abtrennung ja der Fall ist, wäre es schwierig, das resultierende Prädikat noch zu reflexivieren, denn zu diesem Zeitpunkt ist die Objektvalenz ja bereits gesättigt. Ein weiterer Einwand ergibt sich aus den Folgen des Reflexivierungsprädikatsvorschlags bei tiefer eingebetteten reflexiv interpretierten Formen. Für die Interpretation eines Satzes wie [dass Rihanna [ein [Buch [über [die [Reise [zu [sich selbst]]]]]]] schreibt] müsste etwa ein sehr komplexes Reflexivierungsprädikat angenommen werden, das als Argumente erst etwas vom Typ der Präposition zu nimmt, dann vom Typ von Reise, von die, von über, von Buch, von ein und schließlich von schreibt (vgl. Heim & Kratzer 1998: 204). D. h. dass der „Alternativvorschlag“ nur für interne Argumente einfach und elegant ist; um aber die Vielfalt tiefer eingebetteter reflexiv interpretierter Argumente einzufangen, müssen je eigene und sehr unnatürlich anmutende Reflexivierungsprädikate ad hoc angenommen werden. Noch virulenter wird dieses Problem, wenn man nicht nur Reflexivbindung modellieren will, sondern semantische Bindung überhaupt, welche dann auch über Teilsatzgrenzen hinaus erfolgen kann und neben Pronomina in Argumentposition auch Possessor-Argumente betreffen kann (vgl. die Allgemeinheit, in der die Bindungsdimensionen in 4.2.2 und 4.2.3 aufgespannt worden sind). Heims & Kratzers „offizieller Vorschlag“ ist, wie oben bereits angemerkt, nur scheinbar sehr komplex. Alle verwendeten Mechanismen kommen auch in anderen Bereichen der Grammatik zur Anwendung, und zudem deckt der Vorschlag nicht nur Reflexivbindung mit eindeutig als solchen markierten Reflexivpronomina ab, sondern jede Form semantischer Bindung. Der Hauptunterschied zwischen Heims & Kratzers „offiziellem Vorschlag“ und Bürings „Binderregel und BIER“ besteht darin, dass bei Büring Reflexivbindung und viele andere Typen von semantischer Bindung (aber nicht jede andere

AGENS-Variable

HEIM & KRATZER (1998): „OFFIZIELLER VORSCHLAG“ (vgl. 4.3.5)

(vgl. auch 4.2.4)

(iii) Per PA wird die Struktur aus c-kommandierendem Index und c-kommandierter Spur sowie im Rahmen von BP-A c-kommandiertem Reflexivpronomen zu einem Prädikat mit identifizierter Variable in AGENS- und Objektposition.

Arguments ein. (ii) Derselbe Index taucht nicht nur an der durch QA zurückgelassenen Spur auf, sondern auch am Reflexivpronomen (BP-A).

(i) QA führt einen Index unterhalb des AGENS-

Konspiration von Bindungsprinzip A (BP-A), Quantorenanhebung (QA), Indizierung des Reflexivpronomens und Prädikatsabstraktion (PA)

im Denotat des Verbstamms modelliert

Identifizierung der Modellierung der Identimit fizierung im „Reflexivder Objektvariable pronomen“ als reflexivierendes Prädikat

Valenz

AGENS-

(1988)

HEIM & KRATZER (1998: 203): „ALTERNATIVVORSCHLAG“ (vgl. 4.3.4) bzw. KEENAN

Tab. 4.4: Modellierungen der Reflexivbindung im Vergleich

Operator, der durch BIER eingeführt wird.

durch x gesättigt. Über diese beiden Vorkommen von x abstrahiert der λ-

AGENS-Valenz

(iv) BIER selbst modelliert wiederum eine Konspiration: einerseits wird das Objekt per modifizierter Belegung auf das Individuum x abgebildet, und „unabhängig“ davon wird die

AGENS- und Objektposition.

(iii) Per BIER (¼Variante von PA) wird die Struktur aus c-kommandierendem Index und im Rahmen von BP-A c-kommandiertem Reflexivpronomen zu einem Prädikat mit identifizierter Variable in

(i) BR führt einen Index unterhalb des AGENSArguments ein. (ii) Derselbe Index taucht auch am Reflexivpronomen auf (vgl. das Verbot leerer Quantifikation).

Konspiration von Bindungsprinzip A (BP-A), Binderregel (BR), Indizierung des Reflexivpronomens und BIER (¼Variante von PA)

BÜRING (2005a, b): „BINDERREGEL UND BIER“ (vgl. 4.3.6) DER

AGENS-DIATHESE“

(iv) Per DPM wird das durch PA entstandene Prädikat mit dem AGENS-Diathesemorphem kombiniert, wodurch AGENS- und Objekt-Variable miteinander identifiziert werden.

(iii) Per PA wird die Struktur aus c-kommandierendem Index und c-kommandiertem Reflexivpronomen zu einem Prädikat mit ungesättigter Objektvalenz.

(i) BR-R führt einen Index unterhalb des AGENSDiathesemorphems ein. (ii) Derselbe Index taucht auch am Reflexivpronomen auf (vgl. das Verbot leerer Quantifikation).

Konspiration von Bindungsprinzip A (BP-A), reflexiver Binderregel (BR-R), Indizierung des Reflexivpronomens, PA und Davidsonischer Prädikatsmodifikation (DPM)

im Diathesemorphem AGENSþb modelliert

UNSER VORSCHLAG: „REFLEXIVBINDUNG ALS FORM (vgl. 4.3.7)

98  Bindung

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  99

Form von Bindung; vgl. Büring 2005a: 164, 169) ohne Rekurs auf Quantorenanhebung mit Spurenbildung modelliert werden. Quantorenanhebung hinterlässt bei Heim & Kratzer immer eine Spur vom Individuentyp e (ist also als Bewegungstransformation modelliert). Bürings Binderregel hingegen ist eine Strukturexpansionsregel, die nicht das Antezedens „um den neu geschaffenen Index herumbewegt“ wie unter Quantorenanhebung, sondern den Index einfach zwischen Antezedens und Schwester einfügt. Genau dieser Unterschied erzwingt die abgewandelte Prädikatsabstraktionsregel BIER bei Büring. Weil die Schwester des Indexʼ bzw. des Binderpräfixes nach der Anwendung der Binderregel keine Spur enthält und demnach die spätere Antezedensvalenz noch ungesättigt ist, demzufolge also der neu eingeführte Index nur mit dem VP-internen Argument-Index- zusammenfallen kann, muss BIER das zusätzliche x-Argument „auf Vorrat enthalten“ (vgl. das noch unangewendete x-Argument ganz rechts in der BIER-Definition (4.60)/(4.76), das bei PA fehlt). Dadurch ist Bürings BIER etwas konspirativer als Heims & Kratzers Prädikatsabstraktion. Andererseits könnte Bürings Bindungsimplementierung in anderer Hinsicht etwas natürlicher ausgebaut werden als Heims & Kratzers „offizieller Vorschlag“; denn dass der Index am Objektargument und am Binderpräfix identisch sind, wird bei Büring systematisch erzwungen. Wenn BIER ohne diese Identität applizieren würde, könnte der durch BIER eingeführte λ-Operator theoretisch über einen Skopus ohne ein x-Vorkommen quantifizieren, und das ist durch das Verbot leerer Quantifikation in natürlicher Sprache ausgeschlossen (Kratzer 1995: 131). Bei Heims & Kratzers „offiziellem Vorschlag“ kann es nie zu leerer Quantifikation kommen, da durch die Definition der Quantorenanhebung der Index grundsätzlich schon einmal im Skopus des λ-Operators, nämlich an der Spur, vorkommt. Demzufolge wird das reflexiv zu interpretierende Argument durch die Konspiration aus Quantorenanhebung, Prädikatsabstraktion und genereller Indizierung von Pronomina nur zufällig mitgebunden, und nur deswegen, weil es zufällig den Index hat, der durch Quantorenanhebung auch in die Struktur kommt. Demzufolge müssen Heim & Kratzer (1998: 262) es als lexikalische Eigenschaft von Reflexivpronomina ausdrücken, dass sie in ihrer jeweiligen Domäne gebunden sein müssen (dem entspricht Bindungsbedingung A). Wenn ich den Mechanismus von Bürings Vorschlag richtig verstehe, ließe sich die lokale Bindung von Reflexivpronomina dadurch gewährleisten, dass die Binderregel oberhalb des Reflexivums und innerhalb der relevanten Domäne angewendet werden muss. Dadurch würde sich die lexikalische Stipulierung des Bindungserfordernisses (statt des Erfordernisses der Anwendung von BR) für Reflexivpronomina bei Annahme von Binderregel und BIER eigentlich erübrigen, da ja der Ausschluss der leeren Quantifikation einen passenden Index im Skopus des λ-Operators wie oben erläutert indirekt erzwingt. Allerdings nimmt Büring (2005a:

100  Bindung

129) dennoch neben einem Bindungsprinzip B für semantisch ungebundene Pronomina (welches man bei meinem Verständnis des Mechanismus unbedingt braucht) auch ein Bindungsprinzip A an.32 Wie dem auch sei, Heims & Kratzers „offizieller Vorschlag“ sowie Bürings „Binderregel und BIER“ mögen kompliziert sein, sie haben aber auch beide eine beeindruckende empirische Reichweite. Immerhin beanspruchen beide für sich, semantische Bindung insgesamt, und nicht nur Reflexivbindung innerhalb eines Teilsatzes abzudecken. Außerdem lösen beide den Anspruch ein, keine für das Einzelphänomen maßgeschneiderten hoch spezifischen Ad-hoc-Mechanismen anzuwenden, sondern im Gegenteil sehr allgemeine Regeln, die immer dann applizieren können, wenn der hierarchische oder der Typenkontext es zulassen. Die Beschränkung auf die Fälle, in denen die Regeln empirisch wirklich gebraucht werden, ergibt sich so in beiden Ansätzen indirekt und von selbst durch das Zusammenspiel der Regelformulierung und der lexikalischen Spezifizierung der zu bindenden Ausdrücke. Genau in dieser Allgemeinheit liegt der Unterschied zu dem eigentlich nur minimal verschiedenen Vorschlag der „Reflexivbindung als Form der AGENS-Diathese“, den ich in 4.3.7 gemacht und in der rechten Spalte von Tabelle 4.4 zusammengefasst habe. Zunächst einmal ist nämlich das empirische Anwendungspotenziel des hier gemachten Vorschlags sehr viel geringer als Bürings und Heims & Kratzers. Schließlich ist die Anwendung der Binderregel BR-R an das Vorkommen eines bestimmten lexikalischen Merkmals im thematischen AGENS-Diathese-Kopf gebunden; nur wenn dieses Reflexiv-Merkmal [þb] vorliegt, wird der Index in die Struktur als Schwester des Komplements von AGENS eingefügt. BR-R ist also, das verdeutlicht auch ihr Name, in gewisser Weise ein Spezialfall von Bürings Binderregel BR. Die Abstraktionsregel, die ich annehme, ist nun aber Heims & Kratzers PA, und nicht Bürings BIER. Das ist darin begründet, dass in meinem Vorschlag die AGENS-Valenz nicht in der Verbvalenz mitmodelliert ist, also unterhalb des AGENS-Kopfes auch noch nicht durch das zusätzlich in BIER angenommene x-Argument gesättigt werden kann. Aus der Kombination von BR-R und PA ergibt sich nun womöglich schon ein kleiner Vorteil sowohl gegenüber Heims & Kratzers „offiziellem Vorschlag“ als auch gegenüber Bürings „Binderregel und BIER“. Sofern man nämlich den Verzicht auf Quantorenanhebung als ableitungstechnisch sparsam einstuft, ist die hier vorgestellte „Reflexivbindung als Form der AGENS-Diathese“ ökonomischer als Heims & Kratzers „offizieller Vorschlag“. Andererseits vermeidet sie die konspi 32 Vgl. wiederum Hole (1999) und Gast & Hole (2002), die auch, zumindest für das Kontinentaleuropäische, eine Reduktion der Bindungsprinzipien auf Prinzip B hin vornehmen und sichPronominalisierung in der dritten Person als den unmarkierten Fall identifizieren.

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  101

rativ und gezwungen wirkende separate Einführung des zusätzlichen x-Arguments rechts in Bürings BIER. Dennoch teilt sie sich mit Bürings „Binderregelund-BIER“-Vorschlag den Vorteil, nicht-konspirativ im Hinblick auf die Identität des Indexes, der durch BR-R eingeführt wird, mit dem Index im C-Kommandobereich zu sein. Das liegt daran, dass das abstraktionsbetroffene Denotat von PA in meinem Vorschlag sowie das abstraktionsbetroffene Denotat von BIER bei Büring aus je eigenem Grund keine Antezedensargumentstelle haben, die auf gleiche Referenz wie das Objekt festgelegt sein müssen: Bei Büring ist das Antezedensargument λ-gebunden, wenn die Belegung modifiziert wird, und kann demnach nicht von der Modifizierung betroffen werden (vgl. etwa λx . …x… in (4.63c)); bei Annahme von „Reflexivbindung als Form der AGENS-Diathese“ ist die Antezedensvalenz überhaupt nicht vorhanden in dem Term, der von der Belegungsmodifikation betroffen ist. Der entscheidende Vorzug des hier gemachten Modellierungsvorschlags liegt nun aber womöglich in der Tatsache, dass die Identifizierung von AGENSund Objekt-Referenz ganz einfach per Prädikatsmodifikation DPM erfolgt. Die Kompositionsregel, die die Kombination typengleicher Prädikate regelt, leistet in unserem Kontext ganz nebenbei die Identifizierung der beiden Variablen.33 Das Diathesemorphem AGENS ist vom Typ #e,#s,t$$, und seine Schwester ist nach Anwendung von BR-R und PA auch vom Typ #e,#s,t$$. Zur Implementierung von Kratzers (1996) AGENS-Abtrennung war in nicht-reflexiven Prädikationen an dieser Stelle der Ableitung die besondere Kompositionsregel der Sachverhaltsidentifizierung SI (4.40) nötig, weil die Schwester von AGENS den Typ #s,t$ hatte. Unter den Bedingungen der Reflexivbindung hat die Schwester von AGENS jedoch die zusätzliche Argumentstelle für ein Individuum, und Zusatzannahmen sind unnötig. So weit die hauptsächlich theorieinterne Abwägung von Vor- und Nachteilen der verschiedenen Modellierungen. Rein empirisch betrachtet, haben Heims & Kratzers „offizieller Vorschlag“ und Bürings „Binderregel und BIER“ die größte Reichweite, denn sie decken jede Form semantischer Bindung ab (im Fall von Büring 2005a,b jedoch nicht wh-Bewegung-). Heims & Kratzers „Alternativvorschlag“ hat zwar theoretisch das Potenzial, zumindest jede Form von Reflexiv-Bindung auszudrücken, aber das oben eingeführte Argument der tiefer eingebetteten Reflexivpronomina oder der über Teilsatzgrenzen gebundenen Pronomina, die je eigene Reflexivierungs 33 Bei Hole (2005b: 222) ist die notwendige Kompositionsregel – dort im Kontext der Dativdiathese – noch nicht als die ohnehin anzunehmende Variante der Prädikatsmodifikation erkannt und wird unnötigerweise gesondert und redundant modelliert. Ich danke Angelika Kratzer (persönliche Mitteilung) dafür, mich darauf aufmerksam gemacht zu haben.

102  Bindung

prädikate von teilweise extrem komplexen Typen erfordern, lässt die allgemeine Anwendung nicht wünschenswert erscheinen. Außerdem ist der „Alternativvorschlag“ nicht allgemein genug, um auch für Bindung durch Quantoren-DPs und Wh-Bindung zum Einsatz zu kommen. Wir sollten jedoch in Erinnerung behalten, dass der „Alternativvorschlag“ für Reflexivbindung innerhalb eines Teilsatzes, und insbesondere für die Bindung interner Argumente durch Subjekte, sehr attraktiv bleibt, auch wenn ihm Allgemeinheit fehlt. Es kommt hinzu, dass in Sprachen, die eine morphologische Reflexivdiathese haben wie die in 4.2.4 angeführten (oder auch das Hebräische), der Reflexivierungsmarker nicht als pronominal empfunden wird. Das legt eine Analyse als Ableitungsfunktion, und nicht als gebundenes Pronomen, für den Reflexivdiathesemarker nahe.

4.3.9 „Binde lokal!“ Unter Anpassung von Bürings (2005a) Vorschlag auf unsere Gegebenheiten der AGENS-Abtrennung werden wir in diesem und den folgenden Abschnitten den oben entwickelten Reflexivbindungs-Mechanismus im Verein mit den Bindungsprinzipien unter Annahme weniger zusätzlicher Prinzipien zu einer kompletten Bindungstheorie vervollständigen. Wir haben oben ja nur im Detail gezeigt, wie Reflexivbindung modelliert wird. Was wir z. B. noch nicht illustriert haben, ist, wie ein VP-Ellipse--Satz mit Possessivpronomen wie in (4.79) abgedeckt wird und was die Theorie über Sätze wie in (4.80) sagt. (4.79) Paul streichelt seinen Hund, und Nico auch. a. Bindungslesart: ‘Paul streichelt Pauls Hund, und Nico streichelt Nicos Hund.’ b. Koreferenzlesart: ‘Paul streichelt Pauls Hund, und Nico streichelt Pauls Hund.’ c. „Dritte Lesart“: ‘Paul streichelt Michaels Hund, und Nico streichelt Michaels Hund.’ (4.80) Pauli streichelt seineni Hund. Beginnen wir mit Satz (4.80). Dieser Satz enthält keine VP-Ellipse-, und deswegen scheint es zunächst einmal unerheblich zu sein, ob wir den gleichen Bezug von Subjekt und Possessivpronomen als Ergebnis von Koreferenz oder Bindung ableiten. Die Wahrheitsbedingungen sind in beiden Fällen gleich, unabhängig davon, ob Paul den Ausdruck seinen bindet (ob also unter den Vorzeichen unseres Vorschlags Paul AGENS-Argument des Diathesemorphems AGENSþ b ist) oder ob

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  103

Paul mit seinen nur „zufällig“ koreferiert (in diesem Fall käme der normale AGENS-Diathese-Kopf zur Anwendung). An dieser Stelle greift nun eine Regel, die in solchen Fällen obligatorisch in Richtung auf Bindung generalisiert und Koreferenz ausschließt. Bei Büring (2005a: 119) lautet diese Regel in der Tradition von Reinhart (1983: Kap. 7), Grodzinsky & Reinhart (1993: 79) und Heim (1993: 209) wie in (4.81).34 (4.81) Koreferenzregel (KR) α kann mit β nicht koreferieren, wenn eine ununterscheidbare Interpretation erzeugt werden kann, indem α durch eine Variable ersetzt wird, die durch β gebunden ist. Dass die Forschung überhaupt in Richtung einer Option generalisiert, ist ohne Weiteres methodisch einsichtig. Täte sie es nicht, würden für unzählige Sätze (nämlich für Sätze des Typs (4.80)) Ambiguitäten vorausgesagt, die aber empirisch völlig folgenlos blieben. Man könnte nun prinzipiell auch in die andere Richtung generalisieren, also derart, dass mögliche Koreferenz Bindung ausschließt. In der Literatur wird dieser Weg nie beschritten, und ein gutes empirisches Argument für diese Entscheidung scheint mir aus der Beobachtung über mögliche Pronominalklassen in (4.82) zu gewinnen zu sein. (4.82) Generalisierungen über mögliche Pronominalklassen (i) Es gibt viele Pronomina, die lexikalisch auf Bindungslesarten festgelegt sind. (ii) Es gibt kein Pronomen, das lexikalisch auf Koreferenzlesarten festgelegt ist. Mit anderen Worten, Pronominalsysteme konventionalisieren nie Koreferenzsemantik, aber häufig Gebundensein. Wenn die Generalisierungen in (4.82) stimmen (und das scheint mir unzweifelhaft), dann ergibt sich die Generalisierung in Richtung auf Bindung unter Anwendung von Ockhams Rasiermesser zwingend. Ohne weitere Annahmen bleibt die Formulierung der Koreferenzregel aber ein Pyrrhus-Sieg, denn jetzt scheint es plötzlich unmöglich zu sein, Lesart (4.79b) noch zuzulassen. Wenn wir jetzt nämlich für die Interpretation des Possessivpronomens im ersten Konjunkt gemäß KR Bindung annehmen, sollten wir

 34 Im Original (2005a: 119): „Coreference rule (CR): α cannot corefer with β if an indistinguishable interpretation can be generated by replacing α with a variable bound by β.“

104  Bindung

es auch im zweiten Konjunkt tun, so dass wir eigentlich unter diesen Vorgaben nur Lesart (4.79a) ableiten können (und, unter ganz anderen Umständen, Lesart (4.79c)). Im zweiten Konjunkt brauchen wir aber eine referenzielle Interpretation des elidierten Pronomens. Es sieht so aus, als hätten wir das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. An dieser Stelle ist nun eine weitere Ergänzung des Regelwerks vorgeschlagen worden, die die Komplexität des Formalismus zwar einerseits erhöht, sich aber andererseits auch erstaunlich natürlich und geradezu funktionalistisch ausnimmt. Büring (2005a: 121, 129) formuliert diese Aufaddierung von KR und zusätzlicher Regel H (welche auf Fox 2000: Kap. 4 zurückgeht) wie in (4.83).35 (4.83) Binde lokal! Für beliebige zwei DPs α und β gilt: Wenn α β binden könnte (d. h. wenn α β c-kommandiert und β nicht schon in α’s C-Kommando-Bereich gebunden ist), muss α β binden, außer wenn dadurch die Interpretation verändert wird. „Binde lokal!“ besagt einerseits, dass immer dann, wenn Koreferenz und Bindung dieselbe Lesart ergeben würden, Bindung gewählt werden muss. Das ist der Teil der Regel, der KR in (4.81) oben entspricht. Wenn aber durch Koreferenz eine Lesart ableitbar wird, die Wahrheitsbedingungen hat, welche sich von der Bindungsvariante unterscheiden, ist die Koreferenzvariante eine Option. Genau das ist beim Kontrast von Bindungslesart (sloppy identity) und Koreferenzlesart (strict identity) unter VP-Ellipse- wie in (4.79) oder in Fokuskonstruktionen etwa mit nur der Fall, und dann steht der außer-wenn-Teil der Regel bereit.36 Eine weitere Konsequenz von „Binde lokal!“ besteht darin, „transitive“ Bindung zum Nachteil „multipler“ Bindung durch einen Binder zu erzwingen. D. h. (4.83) lässt für (4.84) mit der angegebenen Indizierung nur die LF in (4.84a) zu, nicht aber die in (4.84b). (4.84) Pauli weiß, dass eri seineni Vater gesehen hat. a. Paul 6 weiß, dass er6 4 seinen4 Vater gesehen hat. b.* Paul 6 weiß, dass er6 seinen6 Vater gesehen hat.  35 Im Original (Büring 2005a: 121, 129; vgl. auch Fn. 4): „Have Local Binding! For any two NPs α and β, if α could bind β (i. e. if it c-commands β and β is not bound in α’s c-command domain already), α must bind β, unless that changes the interpretation.“ 36 „Binde lokal!“ ist eine sehr mächtige Beschränkung, denn sie vergleicht konkurrierende Formen miteinander (sie ist transderivationell), und sie vergleicht die Formen im Hinblick auf ihre Interpretationen miteinander.

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  105

In LF (4.84a) bindet Paul er, und er bindet seinen. In LF (4.84b) bindet Paul er und seinen. Die Unzulässigkeit von (4.84b) im Hinblick auf „Binde lokal!“ liegt daran, dass, bei gleichen Wahrheitsbedingungen im Vergleich mit (4.84b), die Bindung von seinen mit der LF in (4.84a) über kürzere Distanz als in der anderen Variante erfolgt. Diese Folge von „Binde lokal!“ ist für uns nur am Rande interessant (allerdings ist sie für die Gesamtarchitektur von Bürings Vorschlag sehr wichtig; man vergleiche Büring 2005a: 119–122, 2005b).

4.3.10 Indizierung in der Syntax nur für Pronomina Referenzielle Indizes, wie sie oft in der Linguistik prätheoretisch zum Festlegen eines Satzes auf eine bestimmte Lesart verwendet werden, sind theoretisch einigermaßen kostspielig. Sicherlich ist irgendeine Form von DiskursreferentenBuchführung – in der Typologie oft reference tracking genannt, bei Heim (1983) mit der Metapher der Akten- oder Buchführungs-Änderung (file-change) belegt – für die kontextualisierte Interpretation von Sätzen und Äußerungsabsichten unerlässlich. Aber davon völlig unabhängig ist die Frage, welcher Teil dieser Information auch in der Syntax bzw. der engeren Grammatik repräsentiert sein muss. Unter den Vorzeichen eines Theoriedesigns, in dem in der Syntax mit wenig Kontextbezug auskommende Regeln „automatisch“ applizieren, muss es das Ziel sein, die Buchführung über Diskursreferenten auf das absolut unerlässliche Maß zu reduzieren, sofern diese Buchführung nicht gänzlich in die syntaxexternen und der bewussten Manipulation zugänglichen Teile der Kognition ausgelagert werden kann. Bürings (2005a) Vorschlag zur Bindungstheorie sieht für lexikalische DPs überhaupt keine Indizes vor, und nur pronominale Ausdrücke sind indiziert. D. h. dass die Referentenbuchführung etwa beim Bezug mit definiten Kennzeichnungen vollständig außerhalb der Syntax erfolgt, wohingegen die Referentenverwaltung für Pronomina (wohl mit Ausnahme der deiktisch verwendeten Pronomina, die eine Mischlösung erfordern) vollständig grammatikalisiert ist und damit in der Syntax repräsentiert wird. Diese unterschiedliche Behandlung ist vor aller weiteren Empirie attraktiv, denn dem Kontrast zwischen Pronominalisierung und Nicht-Pronominalisierung entspricht unter dieser Annahme ein eindeutiges Korrelat in der kategoriellen Spezifikation der betreffenden Ausdrücke, nämlich der Unterschied zwischen referenzieller Indizierung und Indexlosigkeit. Wenn soeben referiert wurde, dass Büring (2005a) Indizierung nur für pronominale Ausdrücken annimmt, dann mag sofort die Frage aufkommen, ob das denn kompatibel ist mit der Logik des übrigen Vorschlags, den er vertritt. Immerhin haben wir in 4.3.6 bei der Diskussion von Reflexivbindung unter den

106  Bindung Vorzeichen von Bürings Theorie gesehen, dass LF-Repräsentationen wie in (4.85) angenommen werden. (4.85) Nico/Der Junge β5 zwickt [sich selbst]5 . Muss man denn nicht sagen, dass die Abfolge von Nico bzw. Der Junge und Binderpräfix β5 nur eine notationelle Variante einer Indizierung des Namens Nico ist? Dieser Schluss wäre aber eindeutig übereilt. Der springende Punkt ist, dass das Binderpräfix mit dem Index, der zum Index am gebundenen Pronomen passt, nicht qua vorgesehener Indizierung des Eigennamens oder der definiten DP in die Repräsentation gekommen ist, sondern vielmehr durch Anwendung der Binderregel (hier noch einmal als (4.86) angeführt). (4.86) Binderregel (BR)

DP (n)

X

⇒ LF

DP (n)

X βm

X

Die DP in (4.86) kann durch ein Pronomen realisiert sein, und in diesem Fall hat sie einen Index. Wenn sie lexikalisch oder ein Eigenname ist, trägt sie keinen Index. Für die Interpretation innerhalb des Bindungsmechanismus ist dieser Index aber sowieso völlig irrelevant, denn Bindungsbeziehungen werden grundsätzlich nicht durch den eingeklammerten, also für die Regel optionalen, Index beeinflusst, sondern immer nur durch den Index an β, der durch die Binderregel erzeugt wird. Die Interpretation der so erzeugten Struktur erfolgt ja per BIER unter der Maßgabe, ein Prädikat an der Stelle zu abstrahieren, wo der Index m ein zweites Mal vorkommt, wohingegen der Index n überhaupt keine Rolle spielt (bzw. höchstens im Kontext weiterer Bindungsbeziehungen „nach oben“ relevant werden kann wie etwa bei er in (4.84)). Kurzum, bindungsrelevante Indizes kommen bei Büring (2005) immer nur durch Pronomina oder durch Anwendung der Binderregel in die Repräsentation. Damit sind sie eindeutig und ausschließlich Teil der Grammatik, und ihre Verwendung ist auf ein wahrscheinlich unverzichtbares Maß reduziert. In meinem Vorschlag zur Implementierung von Reflexivbindung aus 4.3.7 kommt nun Bürings Binderregel gar nicht zur Anwendung, sondern eine Variante davon, nämlich BR-R wie in (4.87) (¼(4.66)).

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  107

(4.87) Binderregel für die AGENS-orientierte Reflexivdiathese (BR-R) AGENS+b

XP

XP

AGENS

⇒ LF β

XP

i Um empirisch für unseren Vorschlag dieselbe Reichweite wie für Bürings Theorie zu erhalten bei gleichzeitiger sparsamster Annahme von Indizierungen, müssen wir uns um ein generalisiertes Format für unsere reflexive Variante der Binderregel (BR-R) bemühen. Würden wir das nicht tun, wären die einzigen möglichen semantischen Bindungsbeziehungen zwischen Argumenten mit unterschiedlichen thematischen Rollen diejenigen, die für Reflexivbindung mit AGENS-Subjekt gelten. Schließlich ist die Eingabe von BR-R auf AGENSþb als linke Schwester festgelegt, und wir haben bislang keine andere Regel aufgestellt, die in diesem Bereich einen Index (dem entspricht bei Büring das indizierte Binderpräfix β) einführen würde. Das ist Gegenstand des folgenden Abschnitts, bevor wir in 4.3.13 schließlich unsere Variante der Bindungstheorie zusammenfassen können. (4.88) stellt unsere Annahmen zur Indizierung zusammen (vgl. Büring 2005a: 129). (4.88) Annahmen über Indizes a. Alle Pronomina tragen Indizes. b. Nur Pronomina tragen Indizes. c. Nackte Indizes als unmittelbare Tochterknoten von Konstituenten, auf die Prädikatsabstraktion angewendet wird, kommen im Bereich der Bindung zwischen Argumenten mit unterschiedlichen thematischen Rollen nur durch Regeln wie BR-R in eine Struktur.

4.3.11 Das allgemeine Format der diathetischen Binderregel (BR-X) In diesem Abschnitt wollen wir uns Gedanken über das allgemeine Format unserer diathetischen Binderregel machen. Im Idealfall soll es alle Fälle diathetischer Bindung abdecken, wobei diathetische Bindung alle Fälle von Bindung subsumiert, bei der Bindung nicht das Ergebnis von alleiniger Quantorenanhebung oder Wh-Bewegung- ist, sondern mit Aussagen über Referenzidentität (oder auch -verschiedenheit; vgl. (4.92)) von Argumenten mit unterschiedlichen thematischen Eigenschaftem einhergeht. Es soll aber nicht nur alle Fälle dieser

108  Bindung

Bindung unter sich fassen, sondern auch nur die möglichen Fälle, so dass nicht übergeneriert wird. Das allgemeinste denkbare Regelformat, welches BR-R noch subsumiert, wäre so etwas wie in (4.89).37 (4.89) Allgemeines Format der diathetischen Binderregel (BR-X) (Vorschlag 1)

α 3 β+b γ e,τ τ

α

e,τ

⇒LF

3 β e,τ 3 e,τ i γ

τ

In (4.89) ist der logische Typ der Funktionswerte, der bei BR-R jeweils #s,t$ war, durch eine Variable über mögliche logische Typen ersetzt, und es ist nur gefordert, dass dieser Funktionswert für α, β und βþb gleich ist sowie dem Typ von γ entspricht. βþb bezeichnet die Bindungs-Variante eines funktionalen Morphems, die bei Vorliegen eines passenden Schwesterknotens BR-X auslöst und im Regeloutput als Basisvariante β vorkommt. In unserem konkreten Fall war das bisher immer das reflexive AGENS-Diathesemorphem- AGENSþb . Wahrscheinlich ist BR-X in der allgemeinen Form von (4.89) zu weit gefasst. Wenn es nämlich empirisch zutreffend ist, dass die Anwendung von Regeln des Typs BR-X immer die spezielle Variante eines thematischen Rollen- oder Diathesemorphems und nicht nur irgendeines funktionalen Morphems voraussetzt, dann können wir über die möglichen logischen Typen von τ eine restriktivere Aussage machen. Wenn nämlich der Regeloutput für β grundsätzlich eine Funktion von Typ #e,τ$ liefert, wir aber gleichzeitig fordern, dass β immer ein thematisches Rollenmorphem ist, dann muss der Typ von β immer #e,#s,t$$ sein, sofern das der allgemeine Typ von Diathesemorphemen ist bzw. von Morphemen, über die zusätzliche thematische Sachverhaltsbeteiligten-Information in die Derivation kommt. Demnach kann unsere Hypothese über BR-X so restriktiv ausfallen wie in (4.90) (vgl. auch Fn. 31; Kratzer 2009: 193: „[S]emantische Binder (λ-Operatoren, die als Binder-Indizes repräsentiert sind) werden durch verbale funktionale Köpfe eingeführt und nicht durch ‚Antezedens‘-DPs, wie z. B. Heim & Kratzer 1998 annehmen. Statt DPs sind also verbale funktionale Köpfe die wahren syntaktischen Antezedenten für gebundene Pronomina.“38).  37 Vgl. Fn. 28. 38 Im Original: „[S]emantic binders (λ-operators represented as binder indices) are introduced by verbal functional heads, rather than by ‘‘antecedent’’ DPs, as assumed in Heim and Kratzer

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  109

(4.90) Allgemeines Format der diathetischen Binderregel (BR-X) (Vorschlag 2)

α

α e,s,t

β +b e,s,t

γ s,t

⇒LF

e,s,t

β e,s,t

i

γ s,t

Eine abschließende Festlegung auf den restriktiveren Vorschlag 2 in (4.90) erfolgt hier jedoch nicht, da wir zunächst empirisch überprüfen sollten, ob tatsächlich alle denkbaren γ-Knoten vom Typ #s,t$ sind. Schon jetzt können wir aber einen Eindruck davon geben, was eine generalisierte diathetische Binderregel alles abdecken kann, wenn Sie hinreichend genau formuliert ist. Dem ist der folgende Abschnitt gewidmet. Auf einige Details von Kratzers (2009) Vorschlag zur Bindungsimplementierung und Weiterungen daraus, wie sie sich für unser konkretes Bindungsproblem bei der freien Dativdiathese ergeben, werde ich erst in den Modellierungsteilen der Kapitel 6 und 7 eingehen.

4.3.12 Passiv, Medium etc. Ein Anwendungsbereich für unsere Binderregel ist die markierte Diathese schlechthin, das Passiv. Ich möchte kurz illustrieren, wie BR-X in der Modellierung des Passivs zum Einsatz kommen kann. Wenn wir annehmen, dass die allgemeinsten Aussagen, die man über Subjektsreferenten von Passivsätzen machen kann, in (4.91) zusammengefasst sind, dann ergibt sich die funktionale Rollenverteilung für unseren Bindungs-Mechanismus in (4.92). (4.91) Generalisierungen über den Subjektsreferenten eines werden-passivischen Satzes a. Der Subjektsreferent ist nicht AGENS des denotierten Sachverhalts. b. Die thematische Sachverhaltsbeteiligung des Subjektreferenten ist gleich der thematischen Sachverhaltsbeteiligung des Objektreferenten des entsprechenden aktivischen Satzes. (4.92) a. Das Nicht-Agens-sein des Subjektsreferenten im Passiv ist die thematische Information des passivischen Diathesemorphems: OwerdAGS P ¼ λx . λe . x ist nicht Agens von e  1998, for example. Verbal functional heads, rather than DPs, are then the true syntactic antecedents for bound pronouns.“

110  Bindung

Der Lexikoneintrag von werd- trägt das Merkmal [þb], das BR-X auslöst, bevor werdAGS interpretiert werden kann. b. Die Gleichheit der Sachverhaltsbeteiligung von aktivischem Objektreferent und passivischem Subjektsreferent wird über Anwendung von BR-X, PA und DPM gemäß unserem Formalismus erreicht. Demzufolge sähe die Ableitung eines Satzes wie in (4.93a) mit der explizierten Vor-LF-Struktur wie in (4.93b) in ihren Grundzügen aus wie in (4.94). (4.93) a. Paul wird verraten. b. Paul wirdAGS =þb AGENSEXS Q5 verraten. (4.94) Für beliebige Belegungen a gilt: a. Denotation der VP mit Partizip II und leerem Objektpronomen:39 OQ5 verratenPa ¼ λe . verraten(a(5))(e) [SPR] b. Einführung einer existenziell gebundenen Agensbeteiligung: OAGENSEXS Q5 verratenPa ¼ λe . 9y[verraten(a(5))(e) & Agens(y)(e)] c. O5 AGENSEXS Q5 verratenPa ¼ λx . OAGENSEXS Q5 verratenPa½5 ! x ¼ λx . λe . 9y[verraten(x)(e) & Agens(y)(e)] [BR-X, PA] d. OwerdAGS 5 AGENSEXS Q5 verratenPa½5 ! x ¼ OwerdAGS P ʘ O5 AGENSmrmEXS Q5 verratenPa½5 ! x ¼ [λz . λe . z ist nicht Agens von e] ʘ [λx . λe . 9y[verraten(x)(e) & Agens(y)(e)]] ¼ λx . λe . 9y[verraten(x)(e) & Agens(y)(e) & x ist nicht Agens von e] [DPM] e. OPaul werdAGS 5 AGENSEXS Q5 verratenPa½5 ! x ¼ [λx . λe . 9y[verraten(x)(e) & Agens(y)(e) & x ist nicht Agens von e]] (OPaulP) ¼ λe . 9y[verraten(Paul)(e) & Agens(y)(e) & Paul ist nicht Agens von e] [FA] f. Paraphrase nach existenzieller Bindung der Ereignisvariablen: ‘Es gibt ein Paul-Verraten-Ereignis mit einem Agens, und Paul ist nicht Agens dieses Sachverhalts.’ Der Clou an dieser Implementierung des Passivs ist, dass seine diathetische Funktion, die hier an das Auxiliar gebunden ist, auf das Feststellen von NichtIdentität (zwischen Subjekt- und AGENS-Referent) reduziert wird und der Rest anderswo verhandelt wird. Zum Feststellen der Nicht-Identität (als dem Komple 39 Vgl. Bürings (2005a: 246) Alternativvorschlag für A-Bewegung-, der auch leere Pronomina statt Spuren in der tieferen Argumentposition annimmt.

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  111

ment von Identität wie bei der Reflexivbindung) wird diathetische Bindung benötigt, die durch die Binderregel BR-X gewährleistet wird. Ausgelöst wird BR-X durch das [þb]-Merkmal von werdAGS =þb (vgl. (4.93b)). Ich kann an dieser Stelle keine voll ausgebaute Diathesetheorie vorstellen. Es wird jedoch hoffentlich erkennbar, dass es vielversprechend ist, Diathese grundsätzlich mit der Anwendung einer Binderregel in Verbindung zu bringen. Diese Regel führt immer zu einer Aussage über die Identität zweier unterschiedlich θ-markierter Argumentreferenten. Im Fall der Reflexivbindung wird durch den reflexiven AGENS-Kopf denotiert, dass der Subjektsreferent AGENS-involviert ist, wohingegen durch das passivische Diathesemorphem denotiert wird, dass der Subjektsreferent gerade nicht AGENS-involviert ist. Die referenzielle Identifizierung mit dem Referenten des internen Arguments ist in beiden Fällen gleich. Die große Attraktivität eines derartigen Diathesekonzepts, das letztlich immer mit den zwei Komponenten Bindung/Identitätsaussage und thematischer Aussage über ein Nicht-Objekt-Argument auskommt, wird weiterhin unterstrichen, wenn wir einen kursorischen Ausblick auf Reziprozität und das Medium klassischer Sprachen wagen. Was auch immer Reziprozität im Kern sein mag (vgl. Heim et al. 1991, Dalrymple et al. 1998, König & Kokutani 2006, aber auch Farmer 1987), folgende Generalisierung ist sicherlich Teil dieses Kerns der Reziprozitätssemantik: Es gibt zumindest partielle Identität des Subjekt-Referenten eines Teilsachverhalts mit dem Nicht-Subjekt-Referenten eines anderen Teilsachverhalts. D. h. auch hier sind Identitätsaussagen des relevanten Typs konstitutiv. Die Besonderheit des Mediums etwa des Altgriechischen scheint es zu sein, Referenzidentität für den Subjektsreferenten nicht unbedingt mit dem Referenten einer syntaktisch im Aktiv intern realisierten Objektrelation zu fordern, sondern mit einer ganzen Reihe syntaktischer Relationen zuzulassen (vgl. Barber 1975, Georgiev 1985, Neu 1985, Klaiman 1991, Kemmer 1994 oder Kaufmann 2005 unter vielen anderen zum Medium), sofern sie nur syntaktisch unter das mediale Diathesemorphem eingebettet sind. So ließe sich m. E. wahrscheinlich elegant das viel beschriebene Schwanken der Mediumsbedeutung u. a. zwischen „reflexiven“ und „reflexiv-benefaktiv-en“ Lesarten abdecken. Ohne dass sie eine Formalisierung angestrebt hätte, formuliert schon Barber (1975: 17) genau diesen Grundgedanken zur Funktion markierter Diathesen: „Das Medium scheint im Grunde eine Strategie zu sein, um Identitäten zwischen dem Oberflächensubjekt und anderen NPs in der Satzproposition zu markieren“ (meine Übersetzung; D. H.).40 Georgiev (1985) geht – innerhalb der indogermanistischen Literatur allerdings isoliert41 – so weit, für die Singularendungen des in 40 „The middle voice … seems to function fundamentally as a strategy for marking identities between the surface subject and other NP’s in the sentence proposition“.

112  Bindung

dogermanischen Mediums eine Herkunft aus Pronomina mit reflexivem Bezug zu rekonstruieren. Wir brechen unseren sprachvergleichenden Ausblick zur Reflexivitätsmodellierung für Diathesen hier ab, um nicht unser Ziel aus den Augen zu verlieren: die Analyse und Modellierung der freien Dativdiathese.42

4.3.13 Zusammenfassung der Bindungstheorie Wir sind jetzt an dem Punkt angelangt, an dem wir unsere Version der Bindungstheorie zusammenfassen können. Wie gezeigt, nutzt diese Version die Erkenntnisse und die generelle Systematisierung und Modellierung von Heim & Kratzer (1998) sowie von Büring (2005a, b). Der Unterschied zu diesen Ansätzen ist es, dass das Vorliegen von Bindung grundsätzlich im Zusammenhang mit einem Diathesemorphem gesehen wird. Ich habe außerdem vorgeschlagen, dass jede markierte Diathesekategorie ein funktionales Morphem mit dem Merkmal [þb] enthält, das die Anwendung der Binderregel auslöst und damit zu einer Identitätsimplikation führt. Allein die Änderungen, die nötig werden, wenn man die Identitätsaussage über ein Diathesemorphem einführen will bzw. herbeiführen lassen will, bedingen die Abweichungen von Heims & Kratzers Vorschlag einerseits und von Bürings Vorschlag andererseits. Ich denke, dass dieser Vorschlag eine Möglichkeit darstellt, die Implikationen von Kratzers (1996, 2005b, 2009, in Vorb.) Ansatz weiter auszubuchstabieren. Die Komponenten der Bindungstheorie sind in (4.95) bis (4.102) zusammengestellt. (4.95) bis (4.96) sind Definitionen von Begriffen, die auch außerhalb der Bindungstheorie Anwendung finden. (4.96′) führt eine Sprachregelung ein, die es uns erlaubt, unter Annahme eines Bindungsmechanismus, wie er hier entwickelt wurde, weiterhin davon zu reden, dass eine DP eine andere bindet, obwohl eigentlich semantisch der Index unterhalb der höheren DP der Binder ist. Diese Sprachregelung findet ihr Analogon bei Heim & Kratzer (1998: 263, (4)). (4.102) haben wir nicht gesondert diskutiert; PACO verhindert, dass unterschiedliche Indizes unter ein und derselben Belegung auf denselben Referenten abgebildet werden; m. a.W., PACO macht die Belegungsfunktion zu einer eineindeutigen Relation. Gäbe es PACO nicht, wäre es z. B. in allen Kontexten prin 41 Ich danke Eugen Hill (persönliche Mitteilung) dafür, mich über die weniger weitgehende indogermanistische communis opinio in diesem Bereich informiert zu haben. 42 Es wäre sicher wünschenswert, etwa auch die Lokativinversion der Bantusprachen in demselben Rahmen zu behandeln (vgl. Bresnan & Kanerva 1989 zum Chicheŵa, Salzmann 2004 oder Buell 2003, 2004 zum Zulu). Diese Ausweitung können wir hier nicht vornehmen; aber vgl. 15.1.

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  113

zipiell möglich, für einen Satz wie Paul sieht ihn eine reflexive Lesart abzuleiten, dann nämlich, wenn der Binderindex und der Index am Pronomen bei numerischer Verschiedenheit zufällig per Belegungsfunktion auf denselben Referenten abgebildet würden. Eine andere Art, sich die Wirkung von PACO zu veranschaulichen, ist über Arten des Gegebenseins im Sinne von Frege (1892[1986]). Während Referenten, die über indexlose DPs identifiziert werden, in einem Diskurs auf unterschiedliche Art gegeben sein können (Der Morgenstern ist der Abendstern), können pronominal repräsentierte Referenten nicht auf unterschiedliche Weise gegeben sein. Der notwendig eindeutigen Art des Gegebenseins entspricht die eindeutige Indizierung. Eine Konsequenz unserer Version der Bindungstheorie, die wir bislang nicht ausbuchstabiert haben, ist es, dass interne Argumente in situ, also in VP, keine Binder sein können, zumindest nicht für diathetische Bindung (im Kontrast zu Bindung, wie sie auch über Teilsatzgrenzen hinweg erfolgen kann; vgl. 6.3.2 und Kratzer 2009). Wenn Binder-Indizes nur über Diathesemorpheme oder über Quantorenanhebung in die Struktur kommen, können unter internen Argumenten keine zugehörigen Binderindizes in der Struktur vorkommen. Das liegt daran, dass interne Argumente gemäß der neo-davidsonischen Modellierung bei Kratzer (1996, in Vorb.) nicht über Diathesemorpheme eingeführt werden, sondern über die Valenz des Verbs. Damit können VP-interne in-situ-Argumente keine Binder sein. (4.95) Bindungsbedingungen (vgl. Büring 2005a: 129) A. Ein Reflexivpronomen muss in seiner Domäne semantisch gebunden sein. B. Ein nicht-reflexives Pronomen muss in seiner Domäne semantisch frei sein. (4.96) Semantische Bindung (Bindung einer Variablen durch einen Index) (Variante I und Variante II sind äquivalent.) a. Variante I (angepasst aus Heim & Kratzer 1998: 262) Sei αw ein Variablen-Vorkommen in einem Baum γ, das in γ semantisch gebunden ist, und sei βn ein Index-Vorkommen in γ; dann bindet βn αw semantisch gdw. die Schwester von βn der größte Teilbaum von γ ist, in dem αw semantisch frei ist. b. Variante II (angepasst aus Büring 2005a: 130) Semantische Bindung einer DP durch einen Index i liegt vor gdw. (i) i gleich dem Index an der DP ist, (ii) i die DP c-kommandiert, (iii) es keinen Index j gibt, der von i c-kommandiert wird und (i) und (ii) erfüllt.

114  Bindung

Wenn eine DP in einem Baum B nicht durch einen Index i gebunden ist, ist diese DP in B semantisch frei. (4.96′) Sprachregelung für „DPs als Binder“ Wir sagen, dass eine DP α eine DP β bindet, wenn β semantisch gebunden ist und α die nächsthöhere DP über dem Index i ist, der β semantisch bindet. (4.97) Allgemeines Format der diathetischen Binderregel (BR-X)

α

α

e,t

β +b

γ

e,s,t

s,t

⇒ LF

e,s,t

β

e,s,t i

γ

s,t (4.98) Binde lokal! Für beliebigen zwei DPs α und β gilt: Wenn α β binden könnte (d. h. wenn α β c-kommandiert und β nicht schon in α’s C-Kommando-Domäne gebunden ist), muss α β binden, außer wenn dadurch die Interpretation verändert wird. (4.99) Indizes a. Alle Pronomina tragen referenzielle Indizes. b. Nur Pronomina tragen referenzielle Indizes. c. Nackte Indizes als unmittelbare Tochterknoten von Konstituenten, auf die Prädikatsabstraktion angewendet wird, kommen im Bereich der Bindung zwischen Argumenten mit unterschiedlichen thematischen Rollen nur durch Regeln des Typs BR-X in eine Struktur. (4.100) Prädikatsabstraktion (PA) [vgl. (4.51)/(4.55)] Für beliebige Variablenbelegungen a gilt: a

α β

γ

= λx∈D . =γ>a[i →x]

i (4.101) Knoten α c-kommandiert Knoten β in einer Konstituentenstruktur gdw. a. keiner der beiden Knoten den anderen dominiert und b. jeder (verzweigende) Knoten, der α dominiert, auch β dominiert.

Modellierung der Bindung und der Reflexivdiathese  115

(4.102) Verbot zufälliger Koreferenz (Prohibition Against Accidental Coreference (PACO); angepasst nach Büring 2005a: 130)) OSPa ist nur dann eine mögliche Interpretation von Satz S, wenn für beliebige natürliche Zahlen i, j gilt, dass, falls i ! j, auch a(i) ! a(j).

5 Freie Dative müssen binden 5.1 Dativbindung intuitiv Die Behauptungen über freie Dative, die hier intuitiv vertreten werden sollen, lassen sich wie in (5.1) zusammenfassen. (5.1) Bindungs-Behauptungen über freie Dativargumente (i) Auf den Referenten eines freien Dativarguments wird in der linguistisch relevanten Sachverhaltsbeschreibung eines Satzes mindestens zwei Mal Bezug genommen. (ii) Die syntaktische Position des Dativarguments ist hierarchisch höher als die syntaktische Position des Ausdrucks, in dem ein weiteres Mal auf den Dativreferenten Bezug genommen wird. (iii) Die Kombination von (i) und (ii) führt zu einer großen grammatischen Ähnlichkeit zwischen Sätzen mit freien Dativen und Sätzen mit Reflexivkonstruktionen. Ein guter Ausgangspunkt für die Erläuterung der Bindungsbehauptungen in (5.1) sind Sätze wie Paul trat Ede auf den Fuß. Wenn (5.1i) zutreffen soll, muss auf Ede in der Beschreibung des Sachverhalts mindestens zwei Mal Bezug genommen werden. Für die folgende Paraphrase gilt das: ‘Ede war davon betroffen, dass Paul auf Edes Fuß trat’. Vielleicht möchte man an dieser Stelle einwenden, dass Füße nun einmal zu Menschen gehören und dass man den Satz einfach so versteht, dass der Fuß zu dem nächstliegenden Referenten gehört – in diesem Fall Ede. Dass tatsächlich ein systematisches Faktum vorliegt, kann man besser sehen, wenn man statt den Fuß ein anderes Präpositionalobjekt einsetzt, das in Isolation keine Zugehörigkeit zu irgendwem nahelegt. Ein solches Argument wäre etwa die Mauer (bei entsprechender Änderung der Präposition): Paul trat Ede gegen die Mauer. Jetzt sehen wir ganz klar, dass uns die Struktur dieses Satzes zwingt, eine Beziehung zwischen Ede und der Mauer herzustellen, obwohl Mauern typischerweise nicht auf einen Menschen bezogen werden. Es mag sein, dass Ede die Mauer besitzt oder gebaut hat oder dass Ede dafür verantwortlich ist, die Mauer zu bewachen. Intuitiv ist es so, dass das Dativargument in solchen Sätzen die Betroffenheit des Dativreferenten zum Ausdruck bringt. Das Besitz-, Teil-Ganzes- oder Zuständigkeits-Verhältnis ist nicht segmental ausgedrückt. Allerdings ist es möglich, das Zugehörigkeitsverhältnis auch explizit auszudrücken; vgl. Paul trat Ede auf seinen Fuß oder Paul trat Ede gegen seine Mauer. Zugegeben, das Possessivpronomen in diesen Sätzen wird bevorzugt weggelassen, aber sein Gebrauch ist nie abweichend (vgl. auch 15.2 zur historischen Entwicklung dieser Tendenz).

Dativbindung intuitiv  117

In der typischen Situation, die ein Satz mit „benefaktivem“ Dativ wie Paul wischt Ede ein Bullauge sauber beschreibt, besitzt der Dativreferent, also Ede, das Bullauge nicht. Demgemäß ist die Ersetzung von ein Bullauge durch sein Bullauge oder ein Bullage von ihm auch nicht ohne Bedeutungsveränderung möglich. Wo ist also die zweite Beteiligung von Ede an dem Sachverhalt, die in (5.1i) behauptet wird? Die Intuition in diesem Fall kann man so ausbuchstabieren, dass der Zweck des Hindurchsehens, den wir für das Bullauge gedanklich hinzufügen, der Zweck Edes sein muss. Das Sauberwischen geschieht mit dem Ziel, dass für Ede etwas Gutes passiert, dass nämlich Ede durch das Bullauge sehen kann, so die naheliegende Lesart. Wir könnten also grob paraphrasieren: ‘Ede ist betroffen davon, dass von Paul ein Bullauge saubergewischt wird, damit Edes Zweck des Hindurchsehens erfüllt werden kann’. Wieder könnte man einwenden, dass diese Zweck-Beziehung allein durch unser Weltwissen gestiftet wird und nichts mit der Grammatik zu tun hat, und wieder wäre das voreilig. Wenn man nämlich ein Dativargument mit einem Zweck zusammen nennt, den unser Weltwissen als Zweck des Dativreferenten ausschließt, erhalten wir trotzdem eine bevorzugte Lesart, in der der Zweck dem Dativreferenten zugeordnet wird. Das veranschaulicht der folgende Satz: Paul briet seinem Neugeborenen ein dickes Steak. Obwohl es nicht unserem Weltwissen entspricht, verstehen wir den Satz ganz leicht so, dass Paul offenbar vorhatte, dem Säugling Fleisch zu essen zu geben und dass Paul offenbar auch glaubte, damit dem Säugling etwas Gutes zu tun. Ein dritter und letzter Typ Dativargument, für den die Doppelungsintuition (5.1i) veranschaulicht werden soll, bezeichnet immer einen Referenten, der das angemessene Vorhandensein einer Eigenschaft einschätzen kann. Der traditionelle Name für solche Dativargumente ist „dativus iudicantis“, also „Dativ des Urteilenden“ (vgl. 1.1). Ein Beispielsatz ist Paula ist der Stoff bestimmt nicht gut genug. Paula ist diejenige, die laut dem Sprecher die Güte des Stoffes beurteilt, und für die Festlegung des Maßstabs, ob der Stoff gut genug ist oder nicht, ist der Zweck entscheidend, den der Stoff für Paula erfüllen soll. Klarer kommt die Bezugnahme auf den Dativreferenten für die Festlegung des Maßstabs wieder zum Ausdruck, wenn man Referenten in einer Situation versammelt, die normalerweise nicht gemeinsam vorkommen. Wenn ich sage, dass meiner Großmutter die Treppe des Mondmoduls zu steil war, dann muss es um die Bewertung der Steilheit der Treppe im Hinblick auf meine Großmutter gehen, und nicht im Hinblick auf Armstrong oder Aldrin. Vielleicht stellt man sich eine Situation vor, in der meine Großmutter in einem Raumfahrtmuseum vor einer begehbaren Raumkapsel steht und es ablehnt, in sie hinein- und aus ihr herauszuklettern. Für die Beschreibung dieser Situation ist der Satz Meiner Großmutter ist die Treppe des Mondmoduls zu steil gut vorstellbar. Der hohe Steilheitsgrad der Treppe wird in

118  Freie Dative müssen binden

Beziehung gesetzt zu dem Steilheitsgrad, der meiner Großmutter das Hineinklettern gerade noch ermöglichen würde. Neben dem Beurteilen durch den Dativreferenten kommt in „dativus-iudicantis“-Sätzen also immer noch ein Bezug auf den Dativreferenten dadurch in den Satz, dass der Maßstab im Hinblick auf einen Zweck des Dativreferenten definiert ist. In Sätzen, in denen „Judikanten“Dative mit psychischen Prädikaten kombiniert sind (etwa in Paula war der Joghurt zu süß) ist nicht unmittelbar einsichtig, worin der Zweck der Wahrnehmung der Süße für Paula liegen soll. Wir werden jedoch in 8.2.3 so argumentieren, dass auch in solchen Fällen immer implizit ein Zweck mit thematisiert wird. Bei nur psychisch validierbaren Prädikaten wie süß sein ist dieser Zweck generell als psychisch-physisches Wohlbefinden beschreibbar. In all den Beispielen, die wir zur Illustrierung der Bindungsbehauptung (5.1i) herangezogen haben, steht das Dativargument (normalerweise) vor der Stelle der zweiten (impliziten) Bezugnahme auf den Dativreferenten: jdm. auf den/seinen Fuß treten, jdm. ein Bullauge zum Durchsehen/zu seinem Zweck des Durchsehens sauberwischen, jdm. ist etwas zu steil im Vergleich mit einem Vergleichswert, der im Hinblick auf einen bestimmten Zweck von ihm festgelegt ist. Diese lineare Abfolge übersetzt sich in der Konstituentenstruktur in das hierarchische Verhältnis des C-Kommandos, das in 2.1.1 bereits erwähnt wurde und Gegenstand von (5.1ii) ist. Die Verwandtschaft der behaupteten Dativbindung mit Reflexivkonstruktionen wie in (5.1iii) erwähnt ist evident. Genau wie Sätze mit Dativen setzt jeder Satz mit einem (betonbaren) Reflexivpronomen den zweimaligen Bezug auf den entsprechenden Referenten in der Sachverhaltsbeschreibung voraus. Paul klagte damals sich selbst an bedeutet, dass Paul damals jemanden anklagte, und derjenige, der angeklagt wurde, war auch Paul. Und auch hier ist ein Argument, das Subjektargument, immer syntaktisch prominenter bzw. konstituentenstrukturell höher als das andere, nämlich als das Reflexivpronomen.

5.2 Dative müssen binden In diesem Abschnitt soll der Nachweis geführt werden, dass alle freien Dative etwas binden müssen. Wir werden zu diesem Zweck in 5.2.1 und 5.2.2 zwei Diagnostika für Bindung, die sich aus der Diskussion in 2.1.2 ableiten, auf unsere Dativkonstruktionen anwenden. Beide Diagnostika werden für jeden derjenigen Dativ-Subtypen getestet, die wir in Tabelle 1.2 in 1.4 in unserer Testbatterie identifiziert hatten. Tabelle 5.1 stellt diese Subtypen freier Dative noch einmal zusammen.

Dative müssen binden  119 Tab. 5.1: Subtypen freier Dative NAME

MERKMALE

BEISPIELE

treten-Dative

• agentivisches Prädikat mit direktem Objekt und/oder PP-Komplement • Wahrnehmung des relevanten Sachverhalts

ihm auf den Mantel treten ihm den Kopf streicheln

durch den Dativreferenten möglich %

absägen/einbauenDative

• agentivisches Prädikat mit direktem Objekt und/oder PP • % keine Aussage über Sachverhaltswahrneh-

auf-den-Fuß-fallenDative

• unakkusatives Verb • Wahrnehmung des relevanten Sachverhalts durch den Dativreferenten mög-

wachsen/bröckelnDative

• unakkusatives Verb • % keine Aussage über Sachverhaltswahrnehmungsfähigkeit des Dativreferenten

%

einengen/sitzenDative

• Positionsverb, (statives) Kontaktverb oder sekundär

Die Hose engte ihm alles ein. Ihm saß ein Affe auf der Schulter.

mungsfähigkeit des Dativreferenten

dem Baum Äste vom Stamm absägen dem Patienten einen Herzschrittmacher unter die Haut implantieren

Ihm ist etwas auf den Fuß gefallen. Ihm ist eine Vase vom Bord gefallen.

Possessumsbezug

lich

am-Fuß-klebenDative

Dem Baum bröckelt die Borke vom Stamm. % Dem Haus läuft Wasser in den Keller. Paul fielen Schuppen aus den Haaren.

Die Büsche gliedern ihm die Rasenstativiertes Verb fläche. • Wahrnehmung des relevanten Sachverhalts durch den Dativreferenten möglich % • sekundär stativiertes Verb, Der Kiste quoll Füllmaterial aus Positionsverb oder (statives) Kontaktverb den Ritzen. % • % keine Aussage über SachverhaltswahrnehDem Haus prangte ein Stern am mungsfähigkeit des Dativreferenten

Giebel. Dem Tisch klebte ein Preisschild am Fuß. Paul quoll der Speck aus der Hose.

%

stricken-/ sauberwischenDative

• agentivisches Prädikat mit direktem Objekt und/oder PP-Komplement • Wahrnehmung des relevanten

ihr Handschuhe stricken ihr ein Bullauge sauberwischen

Zweckbezug

Sachverhalts durch den Dativreferenten möglich sich-öffnen-Dative

Ihm öffnete sich die Tür. • unakkusatives Verb Ihm klärte sich der Sachverhalt. • Wahrnehmung des relevanten Sachverhalts durch den Dativreferenten möglich

offenstehen-Dative

• Positionsverb, (statives) Kontaktverb oder sekundär stativiertes Verb • Wahrnehmung des relevanten Sachverhalts durch den Dativreferenten möglich

Ihr stand die Tür offen. Der Artist kniete dem Partner oft nicht in der richtigen Position.

zu-steil/süß-Dative

• Adjektiv mit Schwellenwertbezugspartikel

Die Treppe ist ihr zu steil.

• Festlegung des relevanten Schwellenwerts im Hinblick auf den Dativreferenten

Die Hose ist ihm zu eng. Der Jogurt ist uns allzu süß. Die Arbeit lief ihr zu glatt. Er aß ihr schnell genug.

120  Freie Dative müssen binden 5.2.1 Test A: strict identity vs. sloppy identity Wenn Dative binden müssen, ist zu erwarten, dass in entsprechenden Konfigurationen nur sloppy-identity-Lesarten verfügbar sind (vgl. 4.2.1). In (5.2) finden sich für jeden der Dativtypen aus Tabelle 5.1 Beispiele, die eine sloppy-identityLesart haben, aber keine strict-identity-Lesart. Demnach stützt dieser Test unsere Behauptung. Das Beispiel in (5.2a) lässt keine Lesart zu, in der der Mantel des zweiten Konjunkts in dem relevanten (Besitz- oder Trage-)Verhältnis zum Dativreferenten des ersten Konjunkts steht. Den Mantel im ersten Konjunkt besitzt oder trägt Klara, und den Mantel im zweiten Konjunkt besitzt oder trägt Hannes. Die Possessor-Interpretation variiert also unter Bindung mit dem Dativ-Antezeden-sund lässt keine Koreferenz-Lesart mit dem ersten Dativ zu. Für (5.2b–f) gilt Analoges: Immer wird die Referenz des Possessors in der Ellipse durch das lokale Antezedens bestimmt. In (5.2g–j) binden die Dative Nutznießervariablen, und wieder gibt es unter Ellipse nur sloppy-identity-Lesarten. So variiert z. B. die Personenbezogenheit des genannten Zwecks zur Entspannung in (5.2g) unter Bindung mit dem Dativ-Antezeden-s- und kann im Ellipse-Konjunkt nicht wieder per Koreferenz auf Sue-Ellen gerichtet sein kann. Um gleich einem Missverständnis vorzubeugen: Wahrscheinlich haben alle Sätze in (5.2) noch weitere Lesarten, aber diese Lesarten sind hier irrelevant. So kann etwa (5.2g) auch bedeuten, dass J.R. sich durch das Zubereiten der Drinks selbst entspannen will, während Sue-Ellen und J.R.s Mutter vielleicht durch das Mixen der Getränke gestört werden. In diesem Fall muss ein von J.R. unterstellter Zweck des Drinks für Sue-Ellen akkommodiert werden. Die Lesarten, um die es hier geht, sind diejenigen, bei denen im ersten Konjunkt die Referenz eines Ausdrucks rechts vom Dativ durch die Wahl des Dativreferenten festgelegt wird. Wenn das festgelegt ist, so lautet die Frage, was für Interpretationsmöglichkeiten gibt es dann noch für die Interpretation der Ellipse? Die Antwort auf diese Frage ist ohne Ausnahme: Die Interpretation der Ellipse richtet sich nach dem direkt vorausgehenden Dativ, und nicht nach der Interpretation der vorausgegangenen ausgesprochenen Konstituente mit gleichem Aufbau. Das ist das klassische Bindungsargument, das aus sloppy-identity-Fakten zu gewinnen ist und Gegenstand von 4.2.1 war. (5.2) a. treten-Dative Paul trat Klara auf den Mantel, und dem Hannes auch. P ‘Paul trat Klara auf Klaras Mantel, und Paul trat Hannes auf Hannes Mantel.’

Dative müssen binden  121

b.

c.

d.

e.

f.

* ‘Paul trat Klara auf Klaras Mantel, und Paul trat Hannes auf Klaras Mantel.’ absägen/einbauen-Dative % Der Orthopädietechniker passte dem Amputierten die Prothese an den Stumpf an, und später [dessen Frau]DAT auch. P ‘Der Orthopädietechniker passte die eine Prothese an den Stumpf des Amputierten an, und später passte der Orthopädietechniker die andere Prothese an den Stumpf der Frau des Amputierten an.’ * ‘Der Orthopädietechniker passte die Prothese an den Stumpf des Amputierten an, und später half der Orthopädietechniker auch der Frau des Amputierten, die Prothese an den Stumpf ihres Mannes anzupassen. auf-den-Fuß-fallen‑Dative Dem Umzugshelfer fiel eine Kiste auf den Fuß, und dem Hausherrn auch. P ‘Es passierte dem Umzugshelfer, dass eine Kiste auf den Fuß des Umzugshelfers fiel, und es passierte dem Hausherrn, dass eine Kiste auf den Fuß des Hausherrn fiel.’ * ‘Es passierte dem Umzugshelfer, dass eine Kiste auf den Fuß des Umzugshelfers fiel, und es passierte dem Hausherrn, dass eine Kiste auf den Fuß des Umzugshelfers fiel.’ wachsen/bröckeln-Dative Der Mumie platzte ein Stück Bandage vom Arm ab, und dem Archäologen auch. P ‘Ein Stück Bandage am Arm der Mumie platzte ab, und ein Stück Bandage am Arm des Archäologen platzte ab.’ * ‘Ein Stück Bandage am Arm der Mumie platzte ab, und es passierte dem Archäologen, dass ein weiteres Stück Bandage am Arm der Mumie zusätzlich abplatzte.’ einengen/sitzen-Dative Dem Schauspieler engt das Kostüm die Gestik zu sehr ein, und der Regisseurin auch. P ‘Der Schauspieler findet, dass sein Kostüm seine Gestik zu sehr einengt, und die Regisseurin findet, dass ihr Kostüm ihre Gestik zu sehr einengt.’ * ‘Der Schauspieler findet, dass sein Kostüm seine Gestik zu sehr einengt, und die Regisseurin findet, dass das Kostüm des Schauspielers die Gestik des Schauspielers zu sehr einengt.’ am-Fuß-kleben-Dative Paula türmen sich die Ordner auf dem Schreibtisch, und Nico auch.

122  Freie Dative müssen binden

g.

h.

i.

j.

P ‘Die Ordner, die Paula zugeordnet sind, türmen sich auf Paulas Schreibtisch, und die Ordner, die Nico zugeordnet sind, türmen sich auf Nicos Schreibtisch.’ * ‘Die Ordner, die Paula zugeordnet sind, türmen sich auf Paulas Schreibtisch, und die Ordner, die Nico zugeordnet sind, türmen sich auch auf Paulas Schreibtisch.’ stricken/sauberwischen-Dative J.R. mixt Sue-Ellen einen Drink zur Entspannung, und seiner Mutter auch. P ‘J.R. mixt Sue-Ellen einen Drink, damit Sue-Ellen sich entspannt, und J.R. mixt seiner Mutter einen Drink, damit seine Mutter sich entspannt.’ * ‘J.R. mixt Sue-Ellen einen Drink, damit Sue-Ellen sich entspannt, und er mixt seiner Mutter einen Drink, damit Sue-Ellen sich entspannt.’ sich-öffnen-Dative Paul öffnete sich ein Durchlass zum Eintreten, und seinem Freund auch. P ‘Vor Paul öffnete sich ein Durchlass, so dass Paul eintreten konnte, und vor seinem Freund öffnete sich ein Durchlass, so dass sein Freund eintreten konnte.’ * ‘Vor Paul öffnete sich ein Durchlass, so dass Paul eintreten konnte, und vor seinem Freund öffnete sich ein Durchlass, so dass Paul eintreten konnte.’ offenstehen-Dative Als Asylbewerber war Paul der Job zum Durchbringen der Familie verschlossen, und seinem Freund Nico auch. P ‘Paul konnte den Job nicht bekommen, mit dem er den Zweck hätte erfüllen können, seine Familie durchzubringen, und sein Freund Nico konnte den Job nicht bekommen, mit dem er seinen eigenen Zweck hätte erfüllen können, nämlich seine eigene Familie durchzubringen.’ * ‘Paul konnte den Job nicht bekommen, mit dem er den Zweck hätte erfüllen können, seine Familie durchzubringen, und sein Freund Nico konnte den Job nicht bekommen, mit dem er Pauls Zweck hätte erfüllen können, nämlich Pauls Familie durchzubringen.’ zu-steil/süß-Dative Die Aufgabe war der Achtjährigen zu schwierig zum Lösen, und ihrer Mutter auch. P ‘Die Achtjährige fand, dass die Aufgabe für sie (die Achtjährige) zu schwierig zum Lösen war, und ihre Mutter fand, dass die Aufgabe für sie (die Mutter) auch zu schwierig zum Lösen war.’

Dative müssen binden  123

) ‘Die

Achtjährige fand, dass die Aufgabe für sie (die Achtjährige) zu schwierig zum Lösen war, und ihre Mutter fand auch, dass die Aufgabe für ihre Tochter zu schwierig zum Lösen war.’

Die Sätze in (5.2) sind so konstruiert, dass im ersten Konjunkt immer ein Ausdruck vorkommt, dessen Bedeutung eine bindbare Variable enthält oder zumindest enthalten kann. Diese Ausdrücke sind a) den Mantel ‘x’s Mantel’, b) den Stumpf ‘den Stumpf von x’, c) den Fuß ‘den/einen Fuß von x’, d) vom Arm ‘von x’s Arm’, e) die Gestik ‘die Gestik von x’, f) auf dem Schreibtisch ‘auf x’s Schreibtisch’, g) zur Entspannung ‘zu x’s Zweck der Entspannung’, h) zum Eintreten ‘zu xʼs Zweck des Eintretensʼ, i) zum Durchbringen der Familie ‘zu xʼs Zweck des Durchbringens der Familie’, und j) zum Lösen ‘zu x’s Zweck des Lösens’ (vgl. 6.2.3 und 8.3.1 für Erläuterungen zum bridging-Gebrauch des definiten Artikels). Wir haben demnach bislang nur gezeigt, dass Dative grundsätzlich binden müssen, wenn das im Satz vorkommende Material entsprechend gewählt ist. Das ist noch nicht die starke Hypothese, auf die wir abzielen, nämlich dass freie Dative grundsätzlich binden müssen unabhängig davon, ob entsprechende Bindungsziele im Satz overt repräsentiert sind. Anhand von (5.2g′) lässt sich gut illustrieren, was unsere weitergehende Aufgabe ist. (5.2g′) J.R. mixt Sue-Ellen einen Drink. In (5.2g′) fehlt die Zweck-Angabe, und sofort ist es nicht mehr klar, was der Dativ binden soll. Die Behauptung, die ich mithilfe des folgenden Tests zu belegen versuchen werde, ist, dass auch unter solchen konstruktionellen Gegebenheiten immer Bindung vorliegt.

5.2.2 Test B: Akkommodationszwang durch Dativbindung Wenn Dative grundsätzlich binden müssen und es sich bei diesem Bedeutungsbestandteil um ein grammatisch verankertes Phänomen und nicht um einen pragmatischen Effekt handelt, ist zu erwarten, dass Sätze, in denen kein bindbarer Ausdruck vorzukommen scheint, gute Testkonfigurationen abgeben müssten. Entweder sollten solche Sätze ungrammatisch sein, oder es sollten Lesarten – bei erschwerter Kontextualisierung – erzwungen werden, für die bestimmte für die Bindung benötigte Information akkommodiert wird. Das ist durchgängig der Fall, wie die Beispiele in (5.3) zeigen. In jedem Fall wird – oft gegen das Weltwissen – eine Lesart erzwungen, in der eine gebundene Variable nachgewiesen werden kann.

124  Freie Dative müssen binden

(5.3) a. treten-Dative Sie trat ihm gegen einen Stein. In (5.3a) tritt der Effekt auf, den wir schon in 5.1 mit Bezug auf eine Mauer kennengelernt haben. Obwohl Steine typischerweise nicht relational im Sinne von ‘Stein von x’ aufgefasst werden, erzwingt die Dativkonstruktion dieses Satzes eine solche Lesart.43 Ein passender Kontext könnte einer sein, in dem der Besitzer des Steins viel Geld für seine Steine – vielleicht ein Kunstwerk – bezahlt hat, es sich aber um sehr brüchiges Gestein handelt. Daher besteht die Gefahr, dass die Steine beschädigt werden, wenn man gegen sie tritt. In diesem Kontext wird einen Stein in (5.3a) so interpretiert wie einen von seinen Steinen, und die Referenz von seinen ist auf den Dativreferenten festgelegt. In Beispiel (5.3b) begegnen wir einem anderen Effekt. (5.3) b. absägen/einbauen-Dative % Der Bastler montierte der Anlage einen Bausatz. Dieser Effekt ist gut zu erkennen, wenn wir uns zunächst veranschaulichen, was für eine Lesart (5.3b) ohne den Dativ hat. Der Bastler montierte einen Bausatz wird so verstanden, dass der Bastler die Teile, die in dem Bausatz waren, zusammenbaute. Montieren heißt hier also soviel wie zusammenbauen. (5.3b) mit dem Dativ der Anlage heißt nun aber – wenn man von einer den Bausatz personifizierenden Lesart absieht – nicht ‘Der Bastler baute den Bausatz zusammen, und die Anlage war in irgendeiner Weise an diesem Sachverhalt beteiligt’. Stattdessen wird montieren bevorzugt so verstanden, dass es dasselbe wie anmontieren heißt, und der Dativ bezeichnet den Referenten, an dem der Bausatz befestigt wird. Der Bausatz selbst kann jedoch unzusammengebaut bleiben. Das ist zwar merkwürdig, wenn wir unser Weltwissen berücksichtigen, aber das Erzwingen besonderer Lesarten durch die Anwesenheit von Dativen in einer Konstruktion macht ja gerade den Typ des hier genutzten Arguments aus. Wir können, was die Bedeutung von (5.3b) angeht, noch etwas genauer werden. (5.3b) impliziert nämlich Der Bastler baute der Anlage einen Bausatz irgendwo an der Außenseite der Anlage an oder in die Anlage ein. In den Wahrheitsbedingungen dieser Paraphrase kommt die Anlage mehrfach vor, nämlich einmal als Referent oder Ort, dem etwas hinzugefügt wird, und einmal als Referenzpunkt, im Hinblick auf den ein Teil des Referenten (seine Außenseite oder  43 Wir berücksichtigen eventuell mögliche ethicus-Lesarten gemäß der Festlegung in 1.1 nicht.

Dative müssen binden  125

sein Innenraum) identifiziert wird. Ich behaupte, dass es die Notwendigkeit solch einer doppelten Bezugnahme auf die Anlage ist, die die Uminterpretation des Verbs montieren als ‘anmontieren’ bei Anwesenheit eines Dativs im Satz erzwingt (vgl. 11.2.5). Das Beispiel für auf-den-Fuß-fallen-Dative – das inchoative oder unakkusative Gegenstück zu treten-Dativen – in (5.3c) basiert auf demselben Effekt wie (5.3a). (5.3) c. auf-den-Fuß-fallen‑Dative Ihm ist etwas auf einen Stein gefallen. Entweder gehört der Stein zum (kostbaren) Besitz des Dativreferenten, oder dasjenige, was hinuntergefallen ist, gehört zum Besitz des Dativreferenten. In beiden Fällen nehmen die Wahrheitsbedingungen des Satzes ein zweites Mal Bezug auf den Dativreferenten. Satz (5.3d) erfordert Akkommodationsaufwand, damit plausibel wird, wieso offenbar Schuppen am Körper des Jungen sind. (5.3) d. wachsen/bröckeln-Dative Dem Jungen fallen Schuppen ab. Wenn der Junge z. B. als Fisch verkleidet ist, können ihm gut von seiner Verkleidung Schuppen abfallen. Man kann mit doppeltem Bezug auf den Jungen paraphrasieren: Dem Jungen fallen Schuppen von seiner Verkleidung ab. Für dieses Argument ist es wichtig, sich zu veranschaulichen, dass Von dem Jungen fallen Schuppen ab keine ganz exakte Paraphrase von (5.3d) wäre. Wenn dieser Satz eine völlig äquivalente Paraphrase wäre, würde man behaupten wollen, dass der Dativ dem Jungen in (5.3d) einfach ein disloziertes Präpositionalobjekt einer durch ab vermittelten Resultativprädikation wäre. Dieser Weg, auch wenn er in der Literatur oft eingeschlagen wird (so jüngst bei Brandt 2003, 2006: 110), scheint mir jedoch nicht gangbar zu sein. Die Argumentation, die uns zur Zurückweisung dieses Vorschlags berechtigt, findet sich in 11.2.2. Ich nehme stattdessen an, dass dem Jungen in (5.3d) in die Resultativprädikation, die durch ab teilweise ausgedrückt wird, hineinbindet, und zwar so, dass gemäß der Paraphrase Dem Jungen fallen Schuppen von seiner Verkleidung ab der Junge als Possessor ein zweites Mal in der Sachverhaltsbeschreibung des Satzes vorkommt. Ein unmittelbar klarer Fall von Possessor-Akkommodation- liegt in (5.3e) vor. (5.3) e. einengen/sitzen-Dative Die Jacke schnürte Paul den Charlie ein.

126  Freie Dative müssen binden Eine mögliche Lesart des Satzes würde den Charlie als ‘Pauls Bauch’ interpretieren, denn vielleicht nennt Paul seinen Bauch Charlie. Wie auch immer wir (5.3e) interpretieren, den Charlie muss eine relationale Lesart (‘der Charlie von x’) erhalten, obwohl Eigennamen eigentlich keine prädikative oder relationale Lesart nahelegen. Wenn kein Dativ gebraucht wird, tritt dieser Effekt nicht auf: Die Jacke schnürte den Charlie ein. Es muss also die Anwesenheit des Dativs (bzw. die konkomitante Konstruktion) sein, die die relationale Lesart erzwingt. Für die Akkommodation des letzten Beispiels mit Possessor-Bezug (5.3f) ist eine komplexe Teil-Ganzes- bzw. Possessions-Beziehung relevant. (5.3) f. am-Fuß-kleben-Dative Paula klebt ein Aufkleber an einem Henkel. Der relevante Henkel (oder der Aufkleber) in (5.3f) muss einer sein, der auf irgendeine Weise zu Paula gehört; das wird gemäß unserer Behauptung über obligatorische Dativbindung vorausgesagt, und das stimmt gut mit unseren Intuitionen überein. Allerdings haben Menschen keine Henkel (oder Aufkleber) als Körperteile, d. h. es muss ein Kontext akkommodiert werden, in dem Paula etwas mit Henkeln bei sich führt, etwa eine oder mehrere Taschen, oder ein Kontext, in dem Paula mit einem oder mehreren Aufklebern hantiert. (5.3g) ist das erste Beispiel mit einem zu akkommodierenden Zweckbezug. (5.3) g. stricken/sauberwischen-Dative Popeye wischte Olive Oyl einen Stein sauber. Es könnte sich bei dem Stein z. B. um einen Sitzstein handeln oder um einen besonderen Stein, der gut in Olive Oyls Steinsammlung passt. (5.3b) wird demnach so interpretiert, als käme in ihm ein Ausdruck vor, der einen Olive Oyl zugeordneten Zweck nennt, so wie das in (5.3b′) der Fall ist. (5.3) g′. Popeye wischte Olive Oyl einen Stein [zum …]‘OliveOylsZweck’ sauber. Sich-öffnen-Dative sind die inchoativen oder unakkusativen Gegenstücke zu stricken/sauberwischen-Dativen. Etwas geschieht ohne erkennbare agentive Einwirkung, aber bei Anwesenheit eines Dativs wird ein Bezug zu den Zwecken des Dativreferenten hergestellt. (5.3) h. sich-öffnen-Dative Der Kommissarin entwirrte sich der Sachverhalt.

Dative müssen binden  127

Für (5.3h) ist eine Lesart naheliegend, bei der das spontane Entwirren des aufzuklärenden Sachverhalts in der mentalen Repräsentation der Kommissarin den Zweck des Verstehens erfüllt. Wir können diese Kontextualisierung von (5.3h) explizieren als [Der Kommissarin]i entwirrte sich zu ihremi Zweck des Verstehens der Sachverhalt. Auch für (5.3i) ist die Akkommodation eines Zwecks nötig. (5.3) i. offenstehen-Dative Den Eingesperrten hing Kolbász von der Decke. Wenn man weiß, dass Kolbász eine Art ungarische Wurst ist, ist klar, dass die Würste für die Eingesperrten offenbar als Nahrung dienen sollten. Wenn man das nicht weiß, muss man irgendeinen Zweck akkommodieren, den die Kolbász oder ihr Herabhängen für die Eingesperrten haben kann. (5.3j) ist eines der Beispiele, die uns schon aus 5.1 bekannt sind. (5.3) j. zu-steil/süß-Dative Die Treppe des Mondmoduls war meiner Großmutter zu steil. Obwohl es unwahrscheinlich ist, dass die Großmutter des Sprechers je zum Mond gefahren ist, ist die nächstliegende Lesart von (5.3i) diejenige, dass die Großmutter nicht in das Mondmodul ein- oder aus ihr heraussteigen möchte, weil ihr die Treppe zu steil ist, wahrscheinlich im Hinblick auf den Zweck des Einsteigens. Plausibel akkommodiert wird diese Lesart, wenn das Mondmodul in einem Raumfahrtmuseum ausgestellt ist und die Großmutter des Sprechers die Ausstellung dort besucht und es eigentlich interessant für die Großmutter wäre, das Mondmodul von Innen zu besichtigen, die Steilheit der Treppe das aber nicht zulässt. Eine weniger naheliegende Lesart des Satzes bindet das ZuSteil-Finden nicht an den Gesundheitszustand oder die Fitness der Dativreferentin, sondern an ihre ästhetischen Maßstäbe: Sie fände die Treppe schöner, wenn sie nicht so steil wäre, und dann wäre die Großmutter des Sprechers zufriedener. In dieser Lesart kann große räumliche Distanz zwischen der Großmutter und der Treppe liegen, sofern die Großmutter – etwa durch das Fernsehen – einen Eindruck vom Aussehen der Treppe hat. Diese unterschiedlichen Bedingungen ergeben sich aus dem unterschiedlichen Bezugssystem, das durch die zwei Einschätzungsbezüge „Aus-/Einsteigen im Hinblick auf den Besichtigungszweck“ und „Beurteilen im Hinblick auf das Potential zur Erzeugung ästhetischen Wohlgefallens“ gegeben ist. Die ästhetische Bewertung kann über Distanz erfolgen, sofern nur ein Bild vorhanden ist, aber in einem Bild von einer Treppe kann man als Betrachter nicht hochsteigen. Für unsere Testkonfiguration ist

128  Freie Dative müssen binden

wichtig, dass ein Kontext akkommodiert werden muss, in dem die Treppe in der Erfüllung eines Zwecks der Dativreferentin vorkommt. Die Diskussion der Beispiele (5.3a–j) hat uns ein starkes Argument für die Hypothese geliefert, dass freie Dative grundsätzlich binden müssen. Ohne Ausnahme haben wir im Akkommodat unserer Beispiele einen weiteren Bezug auf den jeweiligen Dativreferenten ausfindig machen können. Das Argument, das wir aus dem Akkommodationstest ziehen konnten, ist deshalb so stark, weil es ein Argument des Typs ist, das aus dem ernsthaften Versuch gewonnen wird, eine Hypothese zu entkräften (vgl. Popper 1971). Erstens waren alle Beispiele so konstruiert, dass der zweite Bezug auf den Dativreferenten nicht in phonetisch realisiertem Material vorkam, und doch war dieser zweite Bezug ohne Ausnahme in den Sachverhaltsbeschreibungen der Sätze enthalten. Zweitens haben wir in jedem Fall das Weltwissen gegen die Hypothese antreten lassen. Wir haben Nomina verwendet, die keine relationalen Lesarten oder Zweckanbindungen erwarten lassen bzw. sie geradewegs unplausibel erscheinen lassen, und wir haben Referenten in einer Situation versammelt, die plausiblerweise nicht zusammen vorkommen. Wenn es sich bei unserem Phänomen um eine Erscheinung handeln würde, die etwas mit Präferenzen, aber nichts mit Grammatik zu tun hat, hätte es möglich sein müssen, dass sich das nächstliegende Weltwissen durchsetzt. Das war nie der Fall, sondern es hat sich im Gegenteil ausnahmslos das Bindungserfordernis gegen das Weltwissen durchgesetzt. Deswegen gehe ich davon aus, dass Test A und Test B zusammengenommen uns sehr starke Evidenz für die Bindungsbehauptung über freie Dative geliefert haben.

5.3 Modellierung der Dativbindung – Dativ-Diathesemorpheme und Bindung Unsere Aufgabe in diesem Abschnitt ist es, die allgemeine Modellierung für Dativbindung zu leisten. Dabei werden wir uns auf das reine Faktum der DativBinderschaft konzentrieren und noch nicht auf die thematische Beteiligung des Dativreferenten eingehen. Die hier angenommenen thematischen Relationen LANDMARKE, P-EXPERIENCER und – als Kombination aus beidem – AFFIZIERTER werden erst in Teil III der Studie genauer untersucht. Auch die kompositionale Analyse der DPs, die die gebundene Variable enthalten, fehlt in diesem Kapitel noch. Sie wird in Kap. 8 entwickelt. Im vorliegenden Abschnitt wird lediglich das Dativdiathese-Morphem bestimmt und in unseren Bindungsmechanismus eingepasst (5.3.1).

Modellierung der Dativbindung  129

5.3.1 Dativ-Diathesemorphem-e und die Binderregel für die Dativdiathese In 4.3 hatten wir unseren allgemeinen Vorschlag zur diathetischen Bindung entwickelt. Dieser Vorschlag enthielt neben Regeln und Prinzipien, die von Büring (2005a, b) und Heim & Kratzer (1998) übernommen worden sind, auch ein allgemeines diathetisches Binderregelformat, das in der vorliegenden Arbeit neu vorgeschlagen worden ist. Es expliziert den durch Kratzer (2009) gesetzten Trend, Bindung an die Anwesenheit funktionaler verbaler Kategorien zu knüpfen. Die allgemeine diathetische Binderregel (4.90) wird in (5.4) wiederholt. (5.4) Allgemeines Format der diathetischen Binderregel (BR-X) (Vorschlag 2)

α 3 β+b γ e,s,t s,t

α

e,s,t

3 β e,s,t e,s,t 3 i γ

⇒LF

s,t

In (5.4) wird auf LF unterhalb des Diathesemorphems ein Index eingeführt, der, um nicht leer zu binden, an der Stelle im Denotat seines Schwesterknotens, wo derselbe Index vorkommt, ein Prädikat abstrahieren muss. Genau dieses allgemeine Binderregelformat BR-X können wir jetzt durch eine spezifische Instanziierung für die Dativbindung (BR-D) nutzbar machen. Mein Vorschlag für die Formulierung von BR-D findet sich in (5.5) ((5.5) ist in einer weniger expliziten Vorversion erstmals in Hole 2005b: 222 aufgestellt worden, dort allerdings noch nicht explizit als Instanziierung einer allgemeinen Binderregel).44 (5.5) Binderregel für die Dativdiathese (BR-D)

3 P-EXPERIENCER +b/ LANDMARKE +b/ AFFIZIERTER +b

3 VP ⇒LF

P-EXPERIENCER / LANDMARKE / AFFIZIERTER

VP 3 β VP ! i

BR-D bewirkt grundsätzlich dasselbe wie die reflexive Variante des AGENS-Diathesemorphem-s AGENSþb in 4.3.7. Der Schwesterknoten des Diathesemorphems,  44 Vgl. Fn. 28.

130  Freie Dative müssen binden

der vor Anwendung der Regel nur eine Sachverhaltsvalenz hat, wird um einen Ast mit dem Index i erweitert; das löst Prädikatsabstraktion aus und es entsteht ein Prädikat mit zusätzlicher Individuenvalenz. Der Mutterknoten von Index und unterer VP ist dann eine Funktion des Typs #e,#s,t$$, also eine Funktion von Individuen in eine Funktion von Sachverhalten in Wahrheitswerte. Dieser Knoten kann per DPM mit dem Diathesemorphem desselben Typs kombiniert werden. Im nächsten Schritt kann dann das Dativargument per FA berücksichtigt werden. Ausgelöst wird BR-D durch das Vorliegen des passenden Diathesemorphems P-EXPERIENCERþb oder LANDMARKEþb (oder durch die Kombination aus beidem, hier als AFFIZIERTERþb bezeichnet) in der Struktur, die durch den Regel-Input vorgegeben ist. Was genau semantisch bzw. thematisch hinter den Bezeichnungen P-EXPERIENCER und LANDMARKE steht, werden wir en détail in den Kapiteln 10 und 11 diskutieren. Hier sei vorausgeschickt, dass LANDMARKE ein lokativisches Konzept darstellt und P-EXPERIENCER eine modalisierte und genauer spezifizierte Variante des allgemein gebräuchlichen Experiencer-Konzepts darstellt. Wir wollen das Funktionieren dieses Mechanismus in den folgenden Abschnitten für die vier Dativtypen in (5.6) bis (5.9) durchspielen. (5.6) treten-Dative … dass Paul Nico auf den Mantel tritt. (5.7) stricken/sauberwischen-Dative … dass Popeye Olive Oyl einen Stein (zum Draufsetzen) sauberwischt. (5.8) am-Fuß-kleben-Dative % … dass der Kiste Füllmaterial aus den Ritzen quillt. (5.9) zu-steil/süß-Dative … dass Paula die Treppe zum Hochsteigen zu steil ist. Die Beispiele sind so gewählt, dass jeweils ein reiner P-EXPERIENCER-Dativ (stricken/sauberwischen-Dativ), ein reiner LANDMARKEN-Dativ (am-Fuß-kleben) und ein AFFIZIERTEN-Dativ (treten-Dativ) vorkommt und zwei verschiedene aspektuelle Klassen vertreten sind. Der zu-steil/süß-Dativ ist ein weiterer reiner P-EXPERIENCER-Dativ. Zur weiteren Erhellung der Klassifikationsdimensionen in diesem Bereich verweise ich auf Kap. 12.

5.3.2

AFFIZIERTEN-Dative

(5.10) führt eine denkbare Denotation von auf den Mantel tritt aus (5.6) an. Wir werden diese Denotation jedoch sogleich noch einmal abändern.

Modellierung der Dativbindung  131

(5.10) Oauf den Mantel trittP ¼ λe. e ist ein Auf-den-Mantel-Treten Wenn wir nun das AFFIZIERTENþb -Diathesemorphem- (¼LANDMARKEþP-EXPERIwie in (5.11) mit der VP auf den Mantel tritt unter Anwendung von BR-D zu kombinieren versuchen, erhalten wir für die VP-Denotation nach Anwendung von BR-D einen Term, der gegen das Verbot leerer Quantifikation verstößt.

ENCERþb )

(5.11) Für beliebige Belegungen a gilt: OAFFIZIERTER 4 auf den Mantel trittPa½4 ! x ¼ OAFFIZIERTERPa ʘ O4 auf den Mantel trittPa½4 ! x ¼ OAFFIZIERTERPa ʘ [λx . Oauf den Mantel trittPa½4 ! x ] ¼ OAFFIZIERTERPa ʘ [λx . λe . e ist ein Auf-den-Mantel-Treten]

[PA]

Das Problem in (5.11) ist, dass die Anwendung von PA zu einer Funktion mit einer Argumentstelle für ein Individuenargument führt, dass aber in den Wahrheitsbedingungen der VP gar keine Individuenvariable vorkommt. D. h. wenn wir das Denotat von 4 auf den Mantel tritt in (5.11) auf ein Argument anwenden würden, wäre zwar danach die Argumentstelle gesättigt, aber das würde sich überhaupt nicht in den Wahrheitsbedingungen widerspiegeln. Die Anwendung wäre völlig „ins Leere gelaufen“. Solche Strukturen sind zwar formal betrachtet wohlgeformt, aber in natürlicher Sprache mit hoher Wahrscheinlich grundsätzlich nicht zugelassen (Kratzer 1995). Intuitiv ist klar, was wir brauchen, um an dieser Stelle nicht stecken zu bleiben: Der Mantel ist natürlich Nicos Mantel, oder der Mantel, den Nico gerade trägt oder hält, oder der Mantel, zu dem Nico in irgendeiner anderen kontextuell gegebenen Beziehung steht, die durch seinen Mantel explizierbar wäre. D. h. wir brauchen im Denotat von auf den Mantel tritt die Repräsentation einer Possessionsrelation zwischen Nico und dem Mantel. (5.12) als Präsupposition von (5.6) buchstabiert das aus, wobei R allgemein mindestens durch die Relationstypen in (5.13) instanziiert sein kann (5.12) ‘Nico steht in der Relation R zu dem Mantel.’ (5.13) Arten von Relationen, die zwischen dem Dativreferenten und dem Referenten eines tiefer eingebetteten Arguments bestehen können a. Possession („Pertinenz“; RPOSS ) α. Besitz, Possessorkontrolle über das Possessum β. Teil-Ganzes-Beziehung γ. Verwandtschaft/Bekanntschaft/soziale Rollenbeziehung b. Nutznießerschaft/Zwecksubjektschaft („Benefaktivität“; RZWECK )

132  Freie Dative müssen binden

R in unserem momentan diskutierten Beispiel dass Paul Nico auf den Mantel tritt ist die Possessionsrelation, wobei der Begriff so weit zu fassen ist, dass er auch temporäre Verantwortungsverhältnisse unter sich fasst (so könnte etwa zuvor Sophie zu Nico gesagt haben: „Pass bitte kurz auf meinen Mantel auf!“, und wenn in der Zeit von Sophies Abwesenheit Paul auf den Mantel tritt, ist Satz (5.6) trotzdem wahr). Wir wollen, und die Gründe dafür sind in 14.1 zusammengestellt, nicht das Dativargument selbst als Argument dieser Relation annehmen. Eines der wichtigsten semantischen Argumente in diesem Bereich ist, dass die Relationen, um die es in (5.12) und (5.13) geht, in unseren Dativ-Sätzen immer präsupponiert sind, dass aber die Sachverhaltsbeteiligung des Dativreferenten insgesamt assertiert wird. Wollte man dem Dativreferenten allein die präsupponierte Beziehung zu einem anderen sachverhaltsbeteiligten Partizipanten aus (5.13) als Semantik zuschreiben, würde man behaupten müssen, dass davidsonische Ereigniskomposition im Fall freier Dative Präsuppositionen beisteuert. Das ist von keiner anderen thematischen Relation bekannt (vgl. auch die Diskussion in 14.1.2).45 Stattdessen greifen wir auf eine Bindungsmodellierung zurück, die nun, da wir ein Vorkommen des entsprechenden Referenten in der Präsupposition des Denotats der VP ausgemacht haben, für unseren Satz (5.6) kein Problem mehr darstellt. Das ist der Kern unserer Bindungsimplementierung. Das Dativ-Diathesemorphem- führt einen (noch zu restringierenden) Bindungszwang in die Struktur ein, und der Possessorbezug der tiefer eingebetteten PossessumDP stellt die bindbare Variable bereit. (5.14) nimmt unsere liegen gebliebene Ableitung aus (5.10) wieder auf und führt sie mit den uns vertrauten Mitteln der Bindungsmodellierung zu Ende. Die Präsuppositionen, die durch R in die Bedeutungsexplizierungen kommen, sind hier und im Folgenden immer präsuppositional ausgedrückt, nämlich als DPPossessoren. Ich notiere Kratzers (1996) Sachverhaltsidentifizierung in (5.14e) als fetten Punkt (vgl. (4.40)). (5.14) … dass Paul Nico auf den Mantel tritt Für beliebige Belegungen a gilt: a. Oauf [den Mantel]…4… trittPa ¼ λe . e ist ein Ereignis des Auf-den-Mantel-von-a(4)-treten-Typs b. O4 auf [den Mantel]…4… trittPa ¼ λx . Oauf [den Mantel]…4… trittPa½4 ! x  45 Ich mache mir Bosses (2011) Sicht auf die Daten nicht zueigen. Sie argumentiert, dass einige Subtypen freier Dative in erster Linie not-at-issue-Information (also präsupponierte oder konventionell implikierte Bedeutungsbestandteile) beitragen.

Modellierung der Dativbindung  133

¼ λx . λe . e ist ein Ereignis des Auf-den-Mantel-von-x-treten-Typs [PA] c. OAFFIZIERTER 4 auf [den Mantel]…4… trittPa ¼ [λy . λe . y ist Affizierter von e] ʘ [λx . λe . e ist ein Ereignis des Auf-den-Mantel-von-x-treten-Typs] ¼ λx . λe . x ist Affizierter von e & e ist ein Ereignis des Auf-den-Mantel-von-x-treten-Typs [DPM] d. ONico AFFIZIERTER 4 auf [den Mantel]…4… trittPa ¼ [λx . λe . x ist Affizierter von e & e ist ein Ereignis des Auf-denMantel-von-a(4)-treten-Typs](ONicoP) ¼ λe. e ist ein Ereignis des Auf-den-Mantel-von-Nico-treten-Typs & Nico ist Affizierter von e [FA] e. OAGENS Nico AFFIZIERTER 4 auf [den Mantel]…4… trittPa ¼ [λy . λe . y ist Affizierter von e] • [λe . e ist ein Ereignis des Aufden-Mantel-von-Nico-treten-Typs & Nico ist Affizierter von e] ¼ λx . λe . e ist ein Ereignis des Auf-den-Mantel-von-Nico-treten-Typs & Nico ist Affizierter von e & x ist Agens von e [SI] a f. OPaul AGENS Nico AFFIZIERTER 4 auf [den Mantel]…4… trittP ¼ [λx . λe . e ist ein Ereignis des Auf-den-Mantel-von-Nico-treten-Typs & Nico ist Affizierter von e & x ist Agens von e](OPaulP) ¼ λe . e ist ein Ereignis des Auf-den-Mantel-von-Nico-treten-Typs & Nico ist Affizierter von e & Paul ist Agens von e [FA] (5.14a) gibt eine Denotation für die VP an. Die DP-Indizierung- durch …4… soll hier und analog im Folgenden vorläufig anzeigen, dass der Index 4 Teil der LF der entsprechend indizierten Konstituente ist. (5.14b) liefert mithilfe von PA die Denotation der Schwester des Diathesemorphems, nachdem BR-D, ausgelöst durch das [þb]-Merkmal am Diathesemorphem, angewendet worden ist. In (5.14c) wird das AFFIZIERTEN-Morphem selbst mittels DPM eingeführt (vgl. Teil III für die Ausbuchstabierung der thematischen Prädikate). In (5.14d) erfolgt die Funktionsanwendung, durch die Nico die AFFIZIERTEN-Rolle zugeschrieben wird und er gleichzeitig als Possessor des Mantels in die Präsupposition Eingang findet. (5.14e–f) schließlich leistet die Anbindung der AGENS-Rolle per SI und des AGENS-Arguments per FA. Die genauere Explizierung der Possessionsbeziehung werden wir zusammen mit der Diskussion der damit zusammenhängenden bridging-Definitheit des Mantels in 6.2 und 6.3 nachliefern.

134  Freie Dative müssen binden 5.3.3 P-EXPERIENCER-Dative (5.7) mit seinem stricken/sauberwischen-Dativ ist als (5.15) hier wiederholt. (5.15) … dass Popeye Olive Oyl einen Stein (zum Draufsetzen) sauberwischt. In (5.15) liegt ein Beispiel für einen P-EXPERIENCER-Dativ vor, der eine Nutznießeroder Zwecksubjektvariable bindet (vgl. 5.2). Mit derselben Allgemeinheit (also VP-internen Inexplizitheit), mit der wir das AFFIZIERTEN-Beispiel mit Possessorbindung in (5.6) oben mit einer Ableitung versehen haben, wollen wir nun auch (5.15) behandeln. In 8.3.2 wird die Zweckphrase genauer analysiert. (5.16) … dass Popeye Olive Oyl einen Stein zum Draufsitzen sauberwischt. Für beliebige Belegungen a gilt: a. Oeinen Stein [zum Draufsetzen]…6… sauber wischtPa ¼ λe . e ist ein Ereignis des Einen-Stein-sauberwischen-Typs & e ist zur Erfüllung von Zweck ZDraufsetzen von a(6) geeignet b. O6 einen Stein [zum Draufsetzen]…6… sauberwischtPa λx . Oeinen Stein [zum Draufsetzen]…6… sauberwischtPa½6 ! x ¼ λx . λe . e ist ein Ereignis des Einen-Stein-sauberwischen-Typs & e [PA] ist zur Erfüllung von Zweck ZDraufsetzen von x geeignet c. OP-EXPERIENCER 6 einen Stein [zum Draufsetzen]…6… sauberwischtPa ¼ [λy . λe . x ist P-Experiencer von e] ʘ [λx . λe . e ist ein Ereignis des Einen-Stein-sauberwischen-Typs & e ist zur Erfüllung von Zweck ZDraufsetzen von x geeignet] ¼ λx . λe . e ist ein Ereignis des Einen-Stein-sauberwischen-Typs & x ist P-Experiencer von e & e ist zur Erfüllung von Zweck ZDraufsetzen von x geeignet [DPM] d. OOlive Oyl P-EXPERIENCER 6 einen Stein [zum Draufsetzen]…6… sauberwischtPa ¼ [λx . λe . e ist ein Ereignis des Einen-Stein-sauberwischen-Typs & x ist P-Experiencer von e & e ist zur Erfüllung von Zweck ZDraufsetzen von x geeignet](OOlive OylP) ¼ λe . e ist ein Ereignis des Einen-Stein-sauberwischen-Typs & Olive Oyl ist P-Experiencer von e & e ist zur Erfüllung von Zweck ZDraufsetzen von Olive Oyl geeignet [FA] e. OAGENS Olive Oyl P-EXPERIENCER 6 einen Stein [zum Draufsetzen]…6… sauberwischtPa

Modellierung der Dativbindung  135

¼ OAGENSP • [λe . e ist ein Ereignis des Einen-Stein-sauberwischenTyps & Olive Oyl ist P-Experiencer von e & e ist zur Erfüllung von Zweck ZDraufsetzen von Olive Oyl geeignet] ¼ [λy . λe . y ist Agens von e] • [λe . e ist ein Ereignis des Einen-Steinsauber-wischen-Typs & Olive Oyl ist P-Experiencer von e & e ist zur Erfüllung von Zweck ZDraufsetzen von Olive Oyl geeignet] ¼ [λy . λe . e ist ein Ereignis des Einen-Stein-sauberwischen-Typs & Olive Oyl ist P-Experiencer von e & y ist Agens von e & e ist zur Erfül[SI] lung von Zweck ZDraufsetzen von Olive Oyl geeignet] f. OAGENS Olive Oyl P-EXPERIENCER 6 einen Stein [zum Draufsetzen]…6… sauberwischtPa (OPopeyeP) ¼ λe . e ist ein Ereignis des Einen-Stein-sauberwischen-Typs & Olive Oyl ist P-Experiencer von e & Popeye ist Agens von e & e ist zur Erfül[FA] lung von Zweck ZDraufsetzen von Olive Oyl geeignet

5.3.4

LANDMARKEN-Dative

(5.18) liefert die entscheidenden Teile der Ableitung bis zur Einführung des LANDMARKEN-Arguments für (5.17)(¼(5.8)). Die einschlägige Relation in (5.17) ist das mereologische oder Teil-Ganzes-Verhältnis zwischen der Kiste und den Ritzen, die sie aufweist. Die LANDMARKEN-Sachverhaltsbeteiligung von der Kiste hat eine den VP-Sachverhalt situierende oder lokalisierende Funktion.46 So wird der Zustand des (stativen) Herausquellens des Füllmaterials lokalisiert. Im Unterschied zu den Beispielen, die wir zuvor analysiert haben, beschreibt (5.17) (zumindest in einer Lesart) einen stativen Sachverhalt, d. h. einen Zustand. Die Sachverhaltsvariable für Zustände ist in unserem Formalismus s und nicht, wie bei den dynamischen Sachverhalten, die zuvor analysiert wurden, e, wobei e und s vom semantischen Typ s sind. Hinzuweisen ist außerdem noch darauf, dass ich für (5.17) annehme, dass die vorliegende Abfolge von Dativ vor Nominativ bei Unakkusativa unmarkiert ist und auch das hierarchische Verhältnis der Argumente an der Interpretationsschnittstelle widerspiegelt (vgl. hierzu auch Hole 2006b: 395–398).  46 In der Literatur zu engl. have findet sich wiederholt der Bezug auf das, was McIntyre (2006: 190) „Verbindungserfordernis“ (link requirement) nennt (Belvin & den Dikken 1997, Déchaine et al. 1994, Harley 1997, Ritter & Rosen 1997): Wenn have eine lokalisierende Lesart hat wie in The wall has mud *(on it), muss das Subjekt ein nicht-koargumentelles Pronomen binden. McIntyre (2006) weist das Verbindungserfordernis auch für den deutschen (freien) Dativ nach. Es liegt also genau unsere Bindungskonfiguration vor.

136  Freie Dative müssen binden (5.17) % … dass der Kiste Füllmaterial aus den Ritzen quillt. (5.18) Für beliebige Belegungen a gilt: a. OFüllmaterial aus [den Ritzen]…3… quilltPa ¼ λs . s ist ein Zustand des Füllmaterial-aus-den-Ritzen-von-a(3)-Quellens c. O3 Füllmaterial aus [den Ritzen]…3… quilltPa λx . OFüllmaterial aus [den Ritzen]…3… quilltPa½3 ! x ¼ λx . λs . s ist ein Zustand des Füllmaterial-aus-den-Ritzen-von-xQuellens [PA] a d. OLANDMARKE 3 Füllmaterial aus [den Ritzen]…3… quilltP ¼ [λy . λs . y ist Landmarke von s] ʘ [λx . λs. s ist ein Zustand des Füllmaterial-aus-den-Ritzen-von-x-Quellens ¼ λx . λs . s ist ein Zustand des Füllmaterial-aus-den-Ritzen-von-xQuellens & x ist Landmarke von s [DPM] e. Oder Kiste LANDMARKE 3 Füllmaterial aus [den Ritzen]…3… quilltPa ¼ [λx . λs . s ist ein Zustand des Füllmaterial-aus-den-Ritzen-von-xQuellens & x ist Landmarke von s](Oder KisteP) ¼ λs . s ist ein Zustand des Füllmaterial-aus-den-Ritzen-der-KisteQuellens & die Kiste ist Landmarke von s [FA]

5.3.5 Zu-steil/süß-Dative (5.19) wiederholt Beispiel (5.9), und (5.20) gibt die relevanten Teile der Komposition an, um zu zeigen, wie der Bindungsmechanismus im Fall eines zusteil/süß-Dativs funktioniert. Wie in den voraufgegangenen Fällen lassen wir die Komposition des Denotats von die Treppe zu steil zum Hochsteigen ist hier noch im Dunklen und konzentrieren uns auf die bloße Bindungsmodellierung. Wie in (5.14) und (5.16) kommt ein P-EXPERIENCER-Diathesemorphemzur Anwendung, da der Dativreferent bei steil-Prädikationen die P-EXPERIENCER-typischen Sachverhaltswahrnehmungseigenschaften aufweist (vgl. Kap. 10). Im Unterschied zu den voraufgegangenen Beispielen liegt jedoch wahrscheinlich kein (dynamisches) Wahrnehmungs-Ereignis vor, sondern ein stativer Bewusstseinszustand. Deswegen ist der P-EXPERIENCER-Kopf entsprechend indiziert, und das Denotat sieht ein Zustands-Argument vor, und kein Ereignisargument. (5.19) … dass Paula die Treppe zu steil zum Hochsteigen ist. (5.20) Für beliebige Belegungen a gilt: a. Odie Treppe [zu steil zum Hochsteigen]…8… istPa

Modellierung der Dativbindung  137

¼ λs . s ist ein Zustand des Typs, dass die Treppe zu steil ist zur Erfüllung des Zwecks ZHochsteigen von a(8) c. O8 die Treppe [zu steil zum Hochsteigen]…8… istPa ¼ λx . Odie Treppe [zu steil zum Hochsteigen]…8… istPa½8 ! x ¼ λx . λs . s ist ein Zustand des Typs, dass die Treppe zu steil ist zur [PA] Erfüllung des Zwecks ZHochsteigen von x d. OP-EXPERIENCER 8 die Treppe [zu steil zum Hochsteigen]…8… istPa ¼ [λy . λs . y ist P-Experiencer von s] ʘ [λx . λs . s ist ein Zustand des Typs, dass die Treppe zu steil ist zur Erfüllung des Zwecks ZHochsteigen von x] ¼ λx . λs . s ist ein Zustand des Typs, dass die Treppe zu steil ist zur Erfüllung des Zwecks ZHochsteigen von x & x ist P-Experiencer von s [DPM] e. OPaula P-EXPERIENCER 8 die Treppe [zu steil zum Hochsteigen]…8… istPa ¼ [λx . λs . s ist ein Zustand des Typs, dass die Treppe zu steil ist zur Erfüllung des Zwecks ZHochsteigen von x & x ist P-Experiencer von s] (OPaulaP) ¼ λs . s ist ein Zustand des Typs, dass die Treppe zu steil ist zur Erfüllung des Zwecks ZHochsteigen von Paula & Paula ist P-Experiencer von s [FA]

5.3.6 Zusammenfassung der Bindungsmodellierung für die freie Dativdiathese Bislang leistet unsere Implementierung das Folgende. (i) Wir haben für die Dativreferenten zwei noch unexplizierte Sachverhaltbeteiligungsrollen bzw. θ-Rollen eingeführt: P-EXPERIENCER und LANDMARKE. Diese θ-Rollen kommen durch Diathesemorpheme in die Struktur. Diese Köpfe denotieren Funktionen von Individuen in Funktionen von Sachverhalten in Wahrheitswerte (Typ #e,#s,t$$), wobei die P-EXPERIENCER-Rolle mit bestimmten Sachverhaltswahrnehmungseigenschaften einhergeht und ein dynamisches oder statives Sachverhaltsargument nehmen kann. Die LANDMARKEN-Rolle sieht stative Sachverhaltsargumente vor. (ii) Die besonders indizierten Varianten der Diathesemorpheme P-EXPERIENCERþb und LANDMARKEþb lösen in der passenden Struktur die Anwendung der dativischen Binderregel BR-D aus, wodurch infolge von PA in der Schwester des Diathesemorphems ein Prädikat abstrahiert wird. Die Argumentstelle wird immer – das haben wir bislang nur beschrieben, aber nicht modelliert – für ein Argument in einem präsupponierten Bedeutungsbestandteil eröffnet (für die möglichen Relationstypen vgl. (5.13)). Die abstrahierte Argumentposition wird sodann per DPM mit dem Individuenargument des Diathesemorphems identifi-

138  Freie Dative müssen binden

ziert, was nach FA des Dativarguments zur Besetzung zweier Argumentstellen durch den Dativreferenten führt. Die eine Argumentstelle ist Teil des thematischen Entailments (dem entsprechen die noch unexplizierten Eigenschaften von P-EXPERIENCERN und LANDMARKEN) und die andere betrifft das Präsuppositionsprädikat. In Kapitel 8 wird der innere Aufbau der beteiligten Possessums- und Zweckausdrücke aufgeschlüsselt. (5.21) wiederholt die zu Beginn dieses Kapitels aufgestellten Behauptungen über Sätze mit freien Dativen und fasst zusammen, wie die einzelnen Punkte aus der Modellierung folgen. (5.21) Bindungs-Behauptungen über freie Dativargumente (i) Auf den Referenten eines freien Dativarguments wird in der linguistisch relevanten Sachverhaltsbeschreibung eines Satzes mindestens zwei Mal Bezug genommen. Die Dativ-Binderregel- führt sowohl zu Prädikatsabstraktion als auch zur Einführung einer Individuenvalenz durch das Diathesemorphem. Beide Argumentstellen werden in einem Zug durch die Dativ-DP gesättigt. (ii) Die syntaktische Position des Dativarguments ist hierarchisch höher als die syntaktische Position des Ausdrucks, in dem ein weiteres Mal auf den Dativreferenten Bezug genommen wird. Die syntaktischen Verhältnisse ergeben sich daraus, dass Binder ihre gebundenen Variablen immer c-kommandieren. (iii) Die Kombination von (i) und (ii) führt zu einer großen grammatischen Ähnlichkeit zwischen Sätzen mit Dativen und Sätzen mit Reflexivkonstruktionen. Sowohl die Binderregel für die Dativdiathese als auch die Binderregel für die AGENS-orientierte Reflexivdiathese (vgl. 4.3.7) sind Spezialfälle der Allgemeinen diathetischen Binderregel (vgl. 4.3.11). Damit kann das Bindungserfordernis der freien Dativdiathese als modelliert gelten.

6 Dative müssen lokal binden 6.1 Lokale Dativbindung intuitiv Der Ort des zweiten Bezugs auf den Dativreferenten in Sätzen mit Dativen darf auf eine zu spezifizierende Weise nicht zu weit vom Dativargument entfernt sein. Diese Bedingung erinnert an Sätze mit Reflexivpronomina: Diese dürfen nicht zu weit von ihren Antezedenten entfernt stehen. (6.1) illustriert zunächst die Lokalitätsbedingung für das Reflexivpronomen (vgl. auch 4.2.2). (6.1) a. Paul sieht [sich selbst] im Spiegel. b. Paul sieht im Spiegel, dass Maria [sich selbst] wäscht. (6.1a) verstehen wir so, dass der Sehende und der Referent von sich selbst identisch sind. Nicht so in (6.1b). Sich selbst muss sich auf das lokale Subjekt des dass-Satzes, Maria, beziehen. (6.1b) kann nicht verstanden werden als ‘Paul sieht im Spiegel, dass Maria ihn(¼Paul) wäscht’. Einen verwandten Kontrast liefert das Satzpaar in (6.2) im Bereich der Dativbindung. (6.2) a. Paul tritt Paula auf die Schuhe. b. Paul tritt Paula auf einen Beutel, in den die Schuhe reinpassen. Die Lesart, dass es sich wie in (6.2a) notwendig um Paula zugeordnete Schuhe handelt, fehlt in (6.2b). Der Grund ist die mangelnde Lokalitätsbeziehung zwischen dem Dativargument Paula und dem Ausdruck die Schuhe in (6.2b). Offenbar blockiert die Relativsatzgrenze die Possessorbindung des impliziten Possessors von die Schuhe. Wir werden die Lokalität der obligatorischen Dativbindung rein syntaktisch modellieren, und nicht semantisch. Das heißt, dass wir keinen semantischen Grund angeben werden, wieso Dativbindung lokal erfolgen muss. Stattdessen werden wir sagen, dass Dativbindung innerhalb der lokalen Tempusdomäne (Finitheitheitsdomäne) erfolgen muss. Damit reiht sich die Domäne der Dativbindung in einen sehr häufigen Typ von Bindungsdomänenbegrenzung ein (vgl. 4.2.2).

6.2 Lokale Dativbindung – die deskriptiven Generalisierungen In diesem Abschnitt werden wir genauer untersuchen, welche Lokalitätsbedingungen im Bereich der obligatorischen Dativbindung des Deutschen gel-

140  Dative müssen lokal binden ten.47 Wir werden feststellen, dass der Bereich, innerhalb dessen ein Dativ binden muss, durch eingebettete temporal oder aspektuell markierte verbale Prädikate begrenzt wird. Die Feststellung dieses klaren Befunds wird erschwert durch einen interferierenden Faktor. Oft konkurrieren nämlich DPs, die gebundene Possessivpronomina enthalten, mit DPs, die bei gleicher Interpretation nur mit dem definiten, seltener mit dem indefiniten Artikel, determiniert werden. So bedeutet in den meisten Kontexten Er hob den Arm dasselbe wie Eri hob seineni Arm. Es liegt nahe, das Auftreten dieser Varianz an dieselben Bedingungen zu knüpfen wie die Dativbindung. Tatsächlich liefert dieses Phänomen für die Feststellung der maximalen möglichen (strukturellen) Entfernung von Dativ-Antezeden-sund gebundener Variable ein gutes Diagnostikum, aber innerhalb der lokalen Domäne ist es nicht immer verlässlich, um obligatorische lokale Dativbindung zu unterscheiden von Bindung, die von jeder beliebigen DP ausgehen kann, sofern C-Kommando vorliegt.

6.2.1 Es gibt Lokalitätseffekte bei Dativbindung Bevor wir die genauen Grenzen der Lokalität von Dativbindung bestimmen, muss zunächst einmal nachgewiesen werden, dass es überhaupt Lokalitätseffekte gibt bzw. dass Dative wirklich lokal binden müssen, wie auch immer „lokal“ definiert wird. (Dass Dative überhaupt binden müssen, ist in Kap. 5 nachgewiesen worden.) Die Argumentation geht von dem Satz in (6.3) aus. (6.3) Ich bin ihmi auf [ein Spielzeug] i , das bei ihmi rumlag, getreten. In Satz (6.3) kommt ihm zwei Mal vor, und wir können davon ausgehen, dass die Interpretation von ihm im Relativsatz bei Koindizierung im Einklang mit Reinhart (1983), Grodzinsky & Reinhart (1993), Heim (1993[1998]) und Bürings Binde lokal! (Büring 2005a: 121, 2005b: 270) durch Bindung bestimmt ist (vgl. 4.3.9).  47 Der meines Wissens erste Versuch, diese Grenzen für das Deutsche zu bestimmen, findet sich in Hole (2005b: 228-233); s. seitdem mit anderer Stoßrichtung und direkter Bezugnahme auf Hole (2005b) auch Lee-Schoenfeld (2005) im Rahmen einer Possessoranhebungsanalyse und zum Französischen und modernen Hebräisch bereits zuvor Guéron (1985) und – wiederum als Teil einer Anhebungsanalyse – Landau (1999). In Holes (2005b) Arbeit wird jedoch das oft mit dem Dativ zusammen mögliche bridging (vgl. 6.2.3) noch nicht konsequent von der lokalen Dativbindung an sich getrennt, eine fehlende Unterscheidung, die in der genannten Arbeit noch nicht die Formulierung der Generalisierungen zuließ, die unten in (6.14) zusammengefasst sind.

Lokale Dativbindung – die deskriptiven Generalisierungen  141

Unsere Frage ist nun, ob das zweite ihm das Dativbindungserfordernis abgilt oder ob auch lokal – also im C-Kommandobereich von ihm im einbettenden Teilsatz – eine gebundene Variable vorliegen muss. In (6.3) hat Spielzeug einen indefiniten Artikel, um zunächst einmal keine Lesart mit bridging, also mit durch Definitheit angezeigtem impliziten Possessionsbezug zwischen dem Dativreferenten und dem Spielzeug, zu unterstützen (vgl. die Diskussion von bridging in 6.2.3). Dennoch ist es in der sich stark in den Vordergrund drängenden Lesart von (6.3) so, dass das Spielzeug eines der Spielzeuge des Dativreferenten ist. Man kann sogar noch weiter gehen und sagen, dass alle Lesarten des Satzes eine wie auch immer ausgeprägte Zuordnung des Spielzeugs zum Dativreferenten präsupponieren – sei es (temporärer) Besitz oder Verantwortung. Diese Zuordnung kann immer expliziert werden als eines seiner Spielzeuge. Dieser Sachverhalt wird in (6.3) durch den Pfeil vor dem Index symbolisiert. Das entscheidende Argument für die Behauptung, dass obligatorische Dativbindung immer lokal sein muss, liefert die Variante von (6.3) in (6.4), ein Satz, in dem das gebundene Pronomen im Relativsatz durch ein anderes Pronomen ersetzt ist. (6.4) Ich bin ihmi auf [ein Spielzeug]

i

getreten, das bei ihr rumlag.

Es ist für das Verhältnis zwischen dem Dativreferenten und dem Spielzeug ganz unwichtig, ob der Dativ im Relativsatz etwas bindet oder nicht. Das Verhältnis, das wir für den Dativreferenten und das Spielzeug in (6.4) annehmen müssen, entstammt genau derselben Auswahl an Möglichkeiten, die wir in (6.3) hatten; es liegt eine Form von Besitz des Spielzeugs oder Verantwortung für das Spielzeug vor. Für unsere Bindungsmodellierung heißt das, dass (6.4) so interpretiert werden muss wie (6.4′). (6.4′) Ich bin ihmi auf ein Spielzeug von ihmi getreten, das bei ihr rumlag. Dieser Effekt ist ganz allgemein. Dative binden immer in den C-Kommandobereich ihres Teilsatzes. Der Effekt lässt sich unter bestimmten Bedingungen noch einmal schärfer herausarbeiten. Bei am-Fuß-kleben-Dativen kann es passieren, dass keine Akkommodation möglich ist, dann nämlich, wenn das Material des Restsatzes keine Bindung zulässt, da sonst eine widersinnige Interpretation das Ergebnis wäre. (6.5) mit dem eingeklammerten Material ist solch ein Fall. (6.5) Ihmi hängt ein Taschentuch aus einer Hose(, #die in seinemi Schaufenster ausgestellt ist).

142  Dative müssen lokal binden Selbst wenn wir einen Kontext für (6.5) mit dem eingeklammerten Material akkommodieren, in dem der Dativreferent Schaufensterdekorateur ist und man argumentieren könnte, dass jede Hose, die er dekoriert hat, auf eine gewisse Weise seine Hose ist, bleibt (6.5) mit dem Relativsatz abweichend. Das liegt an der thematischen Rolle des Dativs in (6.5), welche eine bestimmte räumliche Bezogenheit des Dativreferenten voraussetzt. Diese Bezogenheit werden wir erst in Kap. 11 diskutieren und als LANDMARKEN-Relation fassen. Dieser Faktor wirkt zusammen mit dem Gebrauch des (partitiv-)indefiniten Artikels bei Hose, denn man kann nicht gut mehrere Hosen gleichzeitig tragen. Tatsächlich ist es aber so, dass (6.5) ohne den Relativsatz eine gute Lesart hat, dann nämlich, wenn der Dativreferent mehrere Hosen auf dem Arm hat, und bei einer der Hosen hängt ein Taschentuch aus einer Hosentasche. In diesem Fall ist das räumliche Bezogenheitserfordernis der LANDMARKEN-Relation erfüllt, und einer Interpretation von aus einer Hose als ‘aus einer seiner Hosen’ oder ‘aus einer der Hosen über seinem Arm’ steht nichts im Wege. Diese Interpretationen enthalten dann jedoch den für Dativbindung nötigen zweiten Bezug auf den Dativreferenten. Was (6.5) also noch prägnanter als (6.3) und (6.4) gezeigt hat, ist, dass für Dativbindung eine lokale Bindungskonfiguration vorliegen muss. Die Prägnanz von (6.5) bestand darin, dass in der Variante mit Relativsatz zwar Bindung in den Relativsatz möglich war, dass aber gleichzeitig die Bedeutung des Relativsatzes eine Bindungskonfiguration für den Matrixsatz unmöglich gemacht hat: Eine dekorierte Hose in einem Schaufenster ist nicht auf den Körper des Dekorateurs bezogen, und diese Bezogenheit ist Bedingung für den Gebrauch eines Dativs mit LANDMARKEN-Implikation- in (6.5). Ohne den Relativsatz ist die Bedingung erfüllbar, denn ein Kontext mit Bezug auf den Körper des Dativreferenten ist akkommodierbar. Der folgende Abschnitt bestimmt die Lokalitätsbedingung für Dativbindung genauer.

6.2.2 Tempusdomänen begrenzen lokale Dativbindung Ausgerüstet mit den Generalisierungen aus dem vorausgehenden Abschnitt kann man die einfache Hypothese formulieren, dass obligatorische Dativbindung innerhalb desselben Teilsatzes erfolgen muss. Unterstützt wird diese vorläufige Generalisierung, wenn wir uns neben einem weiteren Beispiel für obligatorisch lokale Dativbindung bei Anwesenheit eines Relativsatzes (6.6a) andere Beispiele mit einem Komplementsatz (6.6b) oder einem Infinitivsatz (6.6c) ansehen.

Lokale Dativbindung – die deskriptiven Generalisierungen  143

(6.6)

OBLIGATORISCHE DATIVBINDUNG INNERHALB EINES TEILSATZES

a. Ihri klebte ein Herzchen, das ihrei Mutter dahin geklebt hatte, auf der (/ihreri /*seinerj ) Wange. b. Er hat [der Journalistin]i die Geschichte, dass die Firma ihreri Familie in dunkle Geschäfte verwickelt ist, (zur i journalistischen Auswertung) ausgegraben. c. Der Anwalt hat [dem Häftling]i eine Möglichkeit, seinei Entlassungschancen zu verbessern, (zur i Kenntnisnahme) aufgeschrieben. In allen drei Fällen muss über die Bindung in den abhängigen Satz hinein auch noch im Matrixsatz eine Variable durch den Dativ gebunden werden. Eingeklammert findet sich in (6.6b) und (6.6c) jeweils eine Konstituente, die eine plausible Bindungsmöglichkeit für die Dative explizit macht. Wenn das eingeklammerte Material weggelassen wird, so das Ergebnis von 6.2.1, muss stillschweigend etwas in der Art des eingeklammerten Materials ergänzt werden, denn die Bindung in die abhängigen Sätze hinein reicht nicht zur Abgeltung des lokalen Dativbindungserfordernisses. (In (6.6b) wird die Nutznießerin des Auswerten-Sachverhalts gebunden, in (6.6c) der Nutznießer der Kenntnisnahme). Dass die Teilsatzgeneralisierung, die wir aufgestellt haben – dass nämlich obligatorisch innerhalb desselben Teilsatzes dativgebunden werden muss – noch zu lax oder ungenau ist, zeigen die Sätze in (6.7). (6.7) a. Der Lehrer hat Paulai ein von ihri weggeworfenes Buch auf den Tisch gelegt. b. Der Bibliothekar hat [der Hilfskraft]i ein in ihreni Bereich fallendes Buch hingelegt. In (6.7a) bindet Paula ihr, und keine orthographisch durch ein Komma anzuzeigende Teilsatzgrenze liegt zwischen Binder und Gebundenem. Man könnte also meinen, das lokale Bindungserfordernis des Dativs sei abgegolten. Aber auf den Tisch in (6.7a) kann nur so verstanden werden, dass es sich um Paulas Tisch handelt oder um den Tisch, zu dem sie Zugang hat oder zu dem sie in einem anderen relevanten Verhältnis steht. Dieser notwendige Bezug ist allein an den Dativ gebunden, denn in Vergleichssatz (6.7′a) kann es sich um irgendeinen diskursgegebenen Tisch handeln. (6.7′) a. Der Lehrer hat ein von Paula weggeworfenes Buch auf den Tisch gelegt. b. Der Bibliothekar hat ein in den Bereich der Hilfskraft fallendes Buch hingelegt.

144  Dative müssen lokal binden

Das bedeutet, dass nicht ihr in (6.7a) das Bindungserfordernis des Dativs abgilt, sondern der implizite und linear weiter entfernte Bezug auf Paula in auf den Tisch ʻauf Paulas Tischʼ. Dasselbe gilt mutatis mutandis für (6.7b) und (6.7′b); in (6.7b) ist hin- notwendig mit Bezug auf die Hilfskraft zu interpretieren, während das in (6.7′b) geradezu ausgeschlossen ist. Was die Abgeltung des lokalen Dativbindungserfordernisses in jedem dieser Fälle für das overte Pronomen unmöglich macht, so dass Bindung in andere nicht overt pronominale Ausdrücke erzwungen wird, sind, so die Hypothese, die Partizipialkonstruktionen, zu denen ihr und ihren in (6.7) jeweils gehören. Der Finitheitsstatus von Partzipialkonstruktionen, seien es nun solche mit Partizip II oder Partizip I, ist reduziert im Vergleich mit den Prädikaten typischer Nebensätze (vgl. Siloni 1995 für das Hebräische und Französische); schließlich flektieren die Partizipialformen nicht für Person. Dennoch weisen sie den Ausdruck von anderen grammatischen Kategorien auf, die für verbale Prädikate kennzeichnend sind, nämlich Gleich- und Vorzeitigkeitsmarkierung sowie Diathese (der hustende/gehustet habende Patient, der sägende Arbeiter/ das gesägt werdende Holz/das gesägte Holz). Auch wenn die analytischen Formen stilistisch oft nicht bevorzugt sind (und auch nicht unbedingt umgangssprachlich), so sind doch alle Formen in ihrer jeweiligen Verbklasse produktiv bildbar. DPs mit nominalisierten Infinitiven stellen den interessanten Grenzfall dar. Auch in Kontexten, in denen sie (intern) diathese- oder vorzeitigkeitsmarkiert sind, bilden sie keine für Dativbindung opake Domäne. Das veranschaulicht (6.8). (6.8)

DPs MIT NOMINALISIERTEN INFINITIVEN SIND ERREICHBAR FÜR OBLIGATORISCHE DATIVBINDUNG

a. Paul öffnete Paulai die Tür zum i Rausgehen. b. Dass Paul draußen war, versüßte Paulai 9 98 8 = < das = < Rausgehen . Rausgegangensein ; ;: : Rausgeschicktwordensein ihri Im einfachen Fall (6.8a) muss als Nutznießerin der durch den nominalisierten Infinitiv bezeichneten Handlung Paula gemeint sein. Für die komplexeren Fällen in (6.8b) gilt die Generalisierung, dass Paula immer verstanden wird als Possessorin in der Infinitivkonstruktion bzw. als Subjekt des Rausgehens, des Rausgegangenseins und des Rausgeschicktwordenseins. Partizipialattribute sind also für obligatorische Dativbindung opak, nominalisierte Infinitive jedoch nicht.

Lokale Dativbindung – die deskriptiven Generalisierungen  145

Zusammenfassend kann man sagen, dass obligatorische Dativbindung in ein tiefer eingebettetes Argument desselben Teilsatzes erfolgen muss. Zwar kann die Dativ-DP in eingebettete finite und teilfinite Strukturen hineinbinden, aber diese Bindung gilt nie das strikt lokale Bindungserfordernis des freien Dativs ab.

6.2.3 Lokalität der Dativbindung und bridging Die Beschränkung, dass freie Dative nur im selben Teilsatz ihr Bindungserfordernis abgelten können, wird noch einmal deutlicher sichtbar, wenn wir, statt auch Possessivpronomina als Bindungsziele mitzuberücksichtigen, nur definite Kennzeichnungen ohne Possessivpronomina in unseren Beispielen verwenden. Wir untersuchen demnach jetzt nur Strukturen mit (potentiellen) bridging-Definita wie in (6.9). (6.9) Paul hat [seiner Tochter]i über die…i… Haare gestrichen. Die Interpretation von (6.9) ist ‘Paul hat [seiner Tochter]i über ihrei Haare gestrichen’.48 D. h. man kann annehmen, dass die definite Kennzeichnung in ihrer Bedeutung eine gebundene Possessorvariable enthält. Das wird durch den „…i…“-Index- am Artikel angedeutet. Das Phänomen, dass definite Kennzeichnungen in ihrer Bedeutung eine implizite Possessorvariable enthalten, deren Wert durch den jeweiligen Kontext bestimmt wird, bezeichnet man als bridging (Clark 1977). (6.10) versammelt einige einschlägige Beispiele ohne freie Dative als Antezedenten. (6.10) a. Eri hob den…i… /seineni Arm. b. Pauli setzte [die…i… /seinei Brille]j ab. Die…j… /Ihrej Gläser waren beschlagen. c. Sie machten in [dem kleinen Örtchen]i einen Zwischenstopp. Die…i… /Seinei Kirche war aber verschlossen. Andere Termini, die sich auf denselben Datentyp beziehen, sind „inferables“ (Prince 1979, 1981) oder „assoziative Anapher“ (Löbner 1998[2003], Kleiber  48 Eine marginal mögliche weitere Lesart wäre ‘Paul hat [seiner Tochter]i (zu ihremi Nutzen) über ihrej Haare gestrichen’. Wir vernachlässigen diese Lesart im Haupttext hier und im Folgenden. Unsere Generalisierung, dass der freie Dativ eine Variable bindet, bleibt auch in dieser Lesart gültig durch Bindung von ihrem.

146  Dative müssen lokal binden

1999); speziell zum Deutschen vergleiche man auch Neumann (1996) und zuletzt Schwarz (2009).49 Zwischen den bridging-Definita in (6.9) und (6.10) gibt es einen wichtigen Unterschied. Die per Indizierung angegebenen extrasententialen anaphorischen Bezüge in (6.10b/c) sind nur sehr wahrscheinlich. Dagegen ist z. B. die Lesart von die Haare in (6.9) als ʻihrei Haareʼ grammatisch erzwungen. Der mit dem definiten Artikel teilsynonyme Ausdruck besagter wie in besagter Mieter erlaubt die Konstruktion eines Tests, der verlässlich bridging-Definitheit ausschließt. Besagter ist ein Wort, das anstelle des definiten Artikels gebraucht werden kann, wenn auf den entsprechenden Referenten im voraufgegangenen Diskurs schon einmal explizit Bezug genommen wurde.50 Besagter kann nicht anstelle des definiten Artikels verwendet werden, um bridging-Definitheit anzuzeigen (vgl. Paul hob besagten Arm vs. Paul hob den Arm). Das ist unmittelbar einleuchtend, wenn man sich die Morphologie von besagter veranschaulicht; es wird explizit auf einen Sprechakt Bezug genommen, in dem der entsprechende Referent schon einmal erwähnt wurde. (6.11) fasst zusammen, was der Besagter-Test leistet. (6.11) Der Besagter-Test: Beim Ersetzen eines definiten Artikels durch besagter bleibt eine bridging-Lesart der definiten DP nicht erhalten. Die Lesart, die erhalten bleibt, knüpft die Definitheit der besagter-DP an ihre Vorerwähntheit. Beispiele wie in (6.12) hat Hole (2005b) als Evidenz dafür genommen, dass die Möglichkeit zum bridging von denselben Lokalitätsbedingungen abhängt wie  49 Von bridging-Definita sind possessive schwache Definita (possessive weak definites) zu unterscheiden (Barker 2004): In (i) ist das gesamte Präpositionalobjekt, obwohl nicht diskursgegeben, definit. Die Definitheit ist über die Teil-Ganzes-Struktur von Kreuzungen und deren Ecken gegeben. Um welche Kreuzung es auch im einzelnen gehen mag, die Ecken jeder einzelnen Kreuzung sind eineindeutig auf ihre jeweilige Kreuzung als Teile oder assoziierte Referenten bezogen.

(i) Das Café liegt an der Ecke einer belebten Kreuzung. Barker (2004) interpretiert diesen Typ Konstruktion so, dass in solchen Fällen als Ergebnis von Funktionsverknüpfung erst der Artikel und das unmittelbar folgende N komponiert werden, um dann mit dem Genitiv kombiniert zu werden wie bei nicht-restriktiver Attribution. Aus der bridging-Perspektive liegt ein Fall von „Possessor-Absenkung“ vor: Wenn Kreuzung kein inanimates Konzept bezeichnen würde, würde man einen am-Fuß-kleben-LANDMARKEN-Dativ konstruieren können: …einer belebten Kreuzung an der Ecke. 50 Schwarz (2009) verwendet statt besagter teilsynonymes selbiger. Hier wird besagter bevorzugt, weil es nicht so archaisch wie selbiger ist.

Lokale Dativbindung – die deskriptiven Generalisierungen  147

die obligatorische Dativbindung und dass sich deshalb die Möglichkeit zum bridging als Test für Dativbindung anbietet. (6.12) a. Paul hat Paula in den Eintopf gespuckt. erzwungene Lesart: ‘Paul hat Paulai in ihreni Eintopf gespuckt.’ b. Paul hat Paula in die Tasse, in die der Eintopf sollte, gespuckt. nicht naheliegende Lesart von der Eintopf als ‘Paulas Eintopf’ (6.12a) wird so verstanden, dass es sich um den Eintopf von oder bei Paula handelt. Statt den Eintopf könnte auch ihr Eintopf gebraucht werden. (6.12b) legt diese Lesart nicht nahe. Was die possessive Lesart von den Eintopf in (6.12b) – und damit bridging und Bindung des impliziten Possessors durch die Dativ-DP – unterbindet, ist offenbar die Relativsatzgrenze. Partizipialkonstruktionen liefern, wie wir aufgrund der Ergebnisse von 6.2.2 schon erwarten, dasselbe Ergebnis: Es tritt kein bridging auf. (6.13) Paul hat Paula in die den Eintopf enthaltende Schüssel gespuckt. nicht naheliegende Lesart von der Eintopf als ‘Paulas Eintopf’ Wenn wir den Besagter-Test auf (6.12) anwenden, stellen wir fest, dass die Possessums-Lesart von den Eintopf verlorengeht. D. h. die Bedeutung von (6.12′a) ist notwendig verschieden von der relevanten Lesart von (6.12a). Im Gegensatz dazu muss sich an der Interpretation von (6.12′b) im Vergleich zu (6.12b) nichts ändern. (6.12′) Besagter-Test für (6.12): a. Paul hat Paula in besagten Eintopf gespuckt. (gleiche Lesart wie die relevante Lesart von (6.12a) nicht möglich) b. Paul hat Paula in die Tasse, in die besagter Eintopf sollte, gespuckt. (gleiche Lesart wie die relevante Lesart von (6.12b) möglich) Angewendet auf (6.13) ergibt sich in (6.13′) das erwartete Ergebnis, dass die Lesart für die in die Partizipialkonstruktion eingebettete DP konstant bleiben kann: Dativbindung per bridging reicht nicht in diese (teil-)finite Konstruktion hinein. (6.13′) Besagter-Test für (6.13) Paul hat Paula in die besagten Eintopf enthaltende Tasse gespuckt. Der Besagter-Test liefert uns also in all denjenigen Fällen keine Lesartenveränderungen, in denen sich der ersetzte Artikel außerhalb der lokalen Tempusdomäne der obligatorischen Dativbindung befand.

148  Dative müssen lokal binden

Wir dürfen allerdings dieses Diagnostikum nicht überbewerten, denn es liefert uns im Bereich bis zur nächsten eingebetteten verbalen Argumentdomäne kein scharfes Kriterium für das Erkennen oder den Ausschluss lokal obligatorischer Dativbindung. Lokale obligatorische Dativbindung kann zwar immer mit bridging einhergehen, aber bridging ist nicht hinreichend für die Identifizierung derjenigen Konstituente, in die obligatorisch und lokal vom Dativ hineingebunden wird; denn bridging tritt lokal auch bei nicht obligatorisch dativgebundenen Elementen auf (etwa in ihr bei der Arbeit in den Rücken fallen; obligatorisch dativgebunden: Possessor von Rücken; zusätzlich (optional) dativgebunden: Possessor von Arbeit). Zum Ende dieser Abschnitte über die Lokalität der obligatorischen Dativbindung sei noch einmal daran erinnert, dass Dative durchaus über Teilsatzgrenzen hinweg binden können. In einem Satz wie Paul trat Paulai auf den Fuß, der ihri schon seit Tagen wehtat kann Paula das Pronomen ihr in genau derselben Art binden, wie auch andere DPs über Teilsatzgrenzen binden können, wenn nur die syntaktischen Bedingungen erfüllt sind (vgl. 4.2.3). Die Lokalität, die in diesem Abschnitt genauer beleuchtet wurde, betraf nur die o bl ig a t or is c he Dativbindung. Kurz zusammengefasst lautet das Ergebnis: Freie Dative können binden, was auch immer andere DPs in den entsprechenden syntaktischen Konfigurationen binden können, aber das an den Dativ geknüpfte Bindungs e r f or d er ni s kann nur lokal, nämlich bis zum Beginn eines tiefer eingebetteten tempus- bzw. aspektflektierten Prädikats, erfüllt werden. Außerdem kommt die nicht-obligatorische nicht-lokale Bindung durch Dativ-DPs nur mit Possessivpronomina zustande, nicht aber mit definiten DPs ohne Possessivpronomen, d. h. dativgebundene bridging-Effekte sind strikt lokal.

6.3 Die Modellierung der Lokalität von Dativbindung In diesem Abschnitt wollen wir unseren noch vorläufigen Dativ-Bindungsmechanismus aus 5.3 so weiter explizieren, dass er die Lokalitätsbedingungen, die in 6.2 eingeführt worden sind, korrekt modelliert. (6.14) stellt die zu modellierenden Fakten, wie wir sie in 6.2 identifiziert haben, zusammen. (6.14) a.

LOKALITÄT DER DATIVBINDUNG

Obligatorische Dativbindung erfolgt nicht in eine tiefer eingebettete tempusmarkierte Prädikation hinein. b. KEINE BRIDGING-LESARTEN DEFINITER DPs BEI MANGELNDER LOKALITÄT Definite DPs ohne overte Possessivmarkierung haben unter Distanz keine bridging-Lesarten mit Bindung, die von einer Dativ-DP aus der einbettenden Struktur ausgehen würde.

Die Modellierung der Lokalität von Dativbindung  149

c.

ALLGEMEINE BINDUNG AUCH BEI MANGELNDER LOKALITÄT MÖGLICH

Pronomina, die wegen mangelnder Lokalität für die Abgeltung obligatorischer Dativbindung nicht erreichbar sind, lassen den allgemeinen Typ Bindung zu (Er schnitt ihri die Haare ab, die siei störten). (6.14a) werden wir mit Kratzer (2009) phasensyntaktisch implementieren. (6.14b) kann durch eine Einengung der Bindungsdomäne impliziter Possessorbezüge im Vergleich mit expliziten Possessivpronomina abgeleitet werden. (6.14c) stellt sich, wie auch (6.14b), als ganz allgemeines Phänomen dar.

6.3.1 Lokalität der Dativbindung In 4.2.2 und 4.2.3 haben wir die Tempusdomäne als eine übereinzelsprachlich häufig belegte Bindungsdomäne kennengelernt. Die Tempusdomäne ist im Deutschen die relevante Bindungsdomäne für diejenigen Fälle von Reflexivbindung, in denen das Reflexivum von einer Verbform abhängt (und nicht Komplement eines Nomens ist). Insofern überrascht es nicht, dass dieselbe Domäne auch für die obligatorische Dativbindung gilt. Allerdings ist damit noch nicht erklärt, wieso Dativbindung (und Reflexivbindung) genau dieser Lokalitätsbedingung gehorcht. Es sind mindestens zwei grundsätzliche Ansätze zur Klärung dieser Frage denkbar. Der eine Ansatz würde es als nicht weiter reduzierbare syntaktische Eigenschaft bestimmter Ausdrücke, deren Denotat Variablen enthält, ansehen, lokal gebunden werden zu müssen. Die Lexikalisierungen der Variablen würden dann einfach Bindungsbedingung A unterliegen, wie auch immer sie genau formuliert wäre (vgl. 4.2.3). Im Minimalismus ist diese Lösung schon für Reflexivpronomina des gewöhnlichen Typs unschön, denn durch den Bezug auf die Rektionsdomäne (oder ein Äquivalent) in der Formulierung erhält Reflexivbindung etwas Konstruktionshaftes; das entspricht nicht dem Geist des minimalistischen Programms. Genau derselbe Einwand gilt auch für eine entsprechende Modellierung der Lokalität im Falle der Dativbindung. Es kommt in unserem Bereich noch ein weiterer Grund hinzu, die Lösung über Bindungsbedingung A nicht zu favorisieren. Dieser Grund liegt im Fehlen einer lexikalischen Klasse, die als Lexikalisierung der dativgebundenen Variablen in Frage käme, so wie im Bereich der Reflexivbindung die Reflexivpronomina ausgliederbar sind. Wir haben oben gesehen, dass Possessivpronomina sowie bridging-Artikel das Bindungsziel der Dativbindung bereitstellen können. Keine dieser beiden Formklassen ist jedoch auf eine Bindungslesart festgelegt, sondern jede kann ebenso gut anaphorisch verwendet werden. Es sieht vielmehr so aus, dass die grundsätzli-

150  Dative müssen lokal binden

che Möglichkeit, gebunden verwendet zu werden, dasjenige unabhängig vorhandene kreuzklassifizierende Merkmal ist, das Possessivpronomina und bridging-Artikel als natürliche Klasse für die Dativbindung erreichbar macht. D. h. dass die Lexikalisierungen der Bindungsziele von Dativbindung gerade nicht Bindungsbedingung A (oder einem Äquivalent) unterliegen dürften. Wollte man sie Bindungsbedingung A unterwerfen, müsste man sowohl für Possessivpronomina als auch für bridging-Artikel eine Polysemie-Lösung annehmen: je einer der beiden polysemen Ausdrücke der zwei Paare würde dann unter Bindungsbedingung A fallen, und der andere unter Bindungsbedingung B. Es liegt auf der Hand, dass das keine erstrebenswerte Analyse ist. (Eine weitere Bedingung, dass nämlich die Variable Teil des Denotats der Konstituente im linken Ast des betreffenden Arguments sein muss, wird Gegenstand von Kapitel 7 sein.) Stattdessen favorisiere ich eine Lösung, die sich eng an Kratzers (2009) Modellierung der Lokalität bei der Reflexivbindung anlehnt. Auf der Formseite gehe ich davon aus, dass sowohl das overte Possessivpronomen als auch das im bridging-Artikel eingekapselte pro-Element weder Bindungsbedingung A noch Bindungsbedingung B unterliegt. Kratzer (2009) verschränkt in diesem Zusammenhang eine diathetische Reflexivierungssicht so mit dem Phasenkonzept, dass die Lokalität des Tempusdomänentyps sich von selbst ergibt. Das geht im Einzelnen wie folgt. Unsere Binderregel für die freie Dativdiathese (wiederholt als (6.15)) verallgemeinert – ebenso wie unsere anderen Binderregelvarianten aus 4.3.7 und 4.3.11 – einen von Kratzer (2009: 193) formulierten Gedanken zum Zusammenhang von lokaler Variablenbindung und v-Köpfen: „[S]emantische Binder (λOperatoren, die als Binder-Indizes repräsentiert sind) werden durch verbale funktionale Köpfe eingeführt und nicht durch ‚Antezedens‘-DPs, wie z. B. Heim & Kratzer 1998 annehmen. Statt DPs sind also verbale funktionale Köpfe die wahren syntaktischen Antezedenten für gebundene Pronomina.“51 (6.15) Binderregel für die Dativdiathese (BR-D)

3 VP

P-EXPERIENCER +b/ LANDMARKE +b/ AFFIZIERTER +b

⇒LF

3 VP 3 β VP ! i

P-EXPERIENCER / LANDMARKE / AFFIZIERTER

 51 Im Original: „[S]emantic binders (λ-operators represented as binder indices) are introduced by verbal functional heads, rather than by ‘‘antecedent’’ DPs, as assumed in Heim and Kratzer 1998, for example. Verbal functional heads, rather than DPs, are then the true syntactic antecedents for bound pronouns.“

Die Modellierung der Lokalität von Dativbindung  151

An anderer Stelle wird allerdings für Applikativ- bzw. Diatheseköpfe (Pylkkänen 2002) die Position vertreten, dass sie wohl keine Indizes in die Struktur bringen und damit nicht zu Bindungskonfigurationen führen. Als Grund für diese Annahme führt Kratzer an, dass keine distinkten Pronominalparadigmen beschrieben seien, die immer von Antezedenten in Applikativ- bzw. Diathesekopf-Phrasen gebunden sind (Kratzer 2009: 200). Das mag empirisch so sein, aber mit der freien Dativdiathese liegt eben doch eine Kategorie vor, die sich so beschreiben lässt, dass ein Diathesekopf, der nicht v oder Voice ist, Bindung verursacht. Wir werden im Folgenden auch sehen, dass sich die Lokalität der Bindung für Diathesemorpheme allgemein genauso herleiten lässt wie für die Lokalität der Reflexivbindung. Insofern gehe ich davon aus, dass es dem Geist von Kratzers (2009) Vorschlag entspricht, wenn Bindung durch alle entsprechend [þb]-markierten Diatheseköpfe initiiert wird (vgl. wiederum 4.3.7 und 4.3.11), denn die Analyse gewinnt so an Allgemeinheit. Dieser Teil von Kratzers Theorie ist also mehr oder weniger deckungsgleich mit unserem Vorschlag, sofern man die Erweiterung auf Diatheseköpfe allgemein als Indexeinführer akzeptiert. Die Lokalität von Reflexiv- und Dativbindung kann nun, Kratzer (2009) folgend, an das Phasenkonzept angeschlossen werden (Chomsky 2001). Gebundene Pronomina haben in Kratzers System grundsätzlich keine eigenen φ-Merkmale, sondern erhalten sie, vermittelt über den lokalen v-Kopf, von ihrem Antezedens. vPs sind Phasen, und nach Kratzer (2009) kann nur, solange die Phase noch nicht abgeschlossen und ihre Kopf-KomplementKonstituente an die interpretierenden Schnittstellen weitergeleitet ist, die notwendige Merkmalsunifikation zwischen Antezedens-DP und v-Kopf sowie die Merkmalsübertragung zwischen v-Kopf und Reflexivpronomen erfolgen. Bis zu dieser Merkmalsübertragung sind die gebundenen Pronomina nur als nackte Indizes in der Syntax repräsentiert. (Für Bindung über Teilsatzgrenzen hinaus ist bei Kratzer ein weiterer, C-System-basierter, Bindungsmechanismus vorgesehen.) Dasselbe können wir nun für die Dativbindung annehmen: Nur solche Argument-Indizes können vom Binderindex gebunden werden, die (i) im C-Kommando-Bereich der Dativ-DP liegen und (ii) nicht unter einem tiefer eingebetteten C- oder v-Kopf das erste Mal verkettet worden sind. Die Lokalität der Dativbindung folgt dann genauso wie die Lokalität der Reflexivbindung mit einer Agens-DP als Antezedens.

6.3.2 Nicht-lokale Bindung durch freie Dative Nachdem wir im vorhergehenden Abschnitt (6.16a) (¼(6.14a)) in einen größeren theoretischen Kontext gebracht haben, sollen hier die Eigenschaften (6.16b/c) diskutiert werden.

152  Dative müssen lokal binden (6.16) a.

LOKALITÄT DER DATIVBINDUNG

Obligatorische Dativbindung erfolgt nicht in eine tiefer eingebettete tempusmarkierte Prädikation hinein. b. KEINE BRIDGING-LESARTEN DEFINITER DPs BEI MANGELNDER LOKALITÄT Definite DPs ohne overte Possessivmarkierung haben unter Distanz keine bridging-Lesarten mit Bindung, die von einer Dativ-DP aus der einbettenden Struktur ausgehen würde. c. ALLGEMEINE BINDUNG AUCH BEI MANGELNDER LOKALITÄT MÖGLICH Pronomina, die wegen mangelnder Lokalität für die Abgeltung obligatorischer Dativbindung nicht erreichbar sind, lassen den allgemeinen Typ Bindung zu (Er schnitt ihri die Haare ab, die siei störten). (6.17) und (6.18) illustrieren diese beiden Generalisierungen noch einmal. (6.17) a. Paul hat Paula in den Eintopf gespuckt. erzwungene Lesart: ‘Paul hat Paulai in ihreni Eintopf gespuckt.’ b. Paul hat Paula in die Tasse, in die der Eintopf sollte, gespuckt. keine gebundene bridging-Lesart von der Eintopf als ‘Paulas Eintopf’ möglich (6.18) Paul schnitt ihri die Haare ab, die siei störten. Diese beiden Generalisierungen sind nichts, was speziell im Rahmen einer Theorie über freie Dative abgeleitet werden müsste. Der Grund dafür ist, dass freie Dative als Antezedenten sich im Fall nicht-koargumenteller definiter DPs und nicht-koargumenteller bindbarer Personalpronomina genauso verhalten wie andere DPs auch: bridging-Definita können immer nur lokal gebundene Possessorvariablen haben wie in (6.19a), oder sie können Diskursantezedenten haben wie in (6.19b). Distanzbindung über Tempusdomänen hinweg kommt nie vor; vgl. (6.19c), ein Satz, in dem für der rechten Hand keine bridging-Lesart mit dem Subjekt das Matrixsatzes als Binder möglich ist. (6.19) a. Paul hob die Hand. b. Paul hob die rechte Hand. Der Zeigefinger war blau angelaufen. c. Paul hob den Zeigefinger, der an der rechten Hand war. Ebenso wenig einer gesonderten Erklärung bedarf die Bindbarkeit von sie in (6.18). Der freie Dativ kann das Pronomen binden, weil jede andere geeignete DP das auch könnte. Eine Frage ist jedoch noch offen, auch wenn diese Frage wieder allgemein ist und nicht nur die freie Dativdiathese betrifft: Woher rührt der Unterschied

Die Modellierung der Lokalität von Dativbindung  153

zwischen den (Possessiv-)Pronomina, die auch nicht-lokal gebunden werden können, und den bridging-Definita, deren Possessorvariable nur lokal gebunden werden kann? Wenn wir, wie oben favorisiert, nicht doch für die lokal gebundenen bridging-Definita eine Version von Bindungsbedingung A bemühen wollen, muss diese Lokalitätsbeschränkung anders hergeleitet werden. Eine Möglichkeit ist es, für den pro-Anteil des bridging-Artikels Huangs (1984) Generalisierte Kontrollregel, die für PRO und pro gleichermaßen gelten soll, zur Anwendung zu bringen (oder eine repräsentationell gefasste Variante davon). (6.20) Generalisierte Kontrollregel52 Koindiziere ein leeres pronominales Element mit dem nächsten nominalen Element. Bei entsprechender Fassung des Nähebegriffs kann die Generalisierte Kontrollregel die Distanzbindung der Possessorvariable des bridging-Definitums ausschließen. Die Möglichkeit der Diskursbindung wie in (6.19b) würde aber durch diese Lösung noch nicht vorhergesagt bzw. geradezu ausgeschlossen. Ich lasse die Frage, wie das Bindungsprofil des pro-Anteils des bridging-Artikels abgeleitet werden kann, hier offen. Da es sich dabei, wie wir bereits betont haben, um eine Frage handelt, die sich für bridging-Definita ganz allgemein stellt und nicht auf die freie Dativdiathese beschränkt ist, halte ich diese Offenheit der Analyse für vertretbar.

6.3.3 Zusammenfassung der Lokalitätsmodellierung Freie Dative binden Variablen in derselben lokalen Domäne, in der im Deutschen auch Agenssubjekte Reflexivpronomina binden, nämlich in der Tempusdomäne. Wir haben unsere Implementierung an Kratzers (2009) Analyse der Reflexivbindung angeschlossen. So wie das gebundene Reflexivpronomen innerhalb derselben v-Phase- vorkommen muss wie sein Antezedens, so muss auch die gebundene Possessor- oder Nutznießervariable innerhalb derselben vPhase- vorkommen wie ihr Dativ-Antezeden-s-. Nur innerhalb des offenen „Fensters“ der unabgeschlossenen v-Phase- kann der Merkmalsübertragungs 52 Im Original (Huang 1984: 552; ich danke Gereon Müller dafür, mich auf GCR hingewiesen zu haben):

(i) Generalized Control Rule (GCR) Coindex an empty pronominal with the closest nominal element.

154  Dative müssen lokal binden

und -unifizierungsmechanismus wirksam werden, der mit der Bindung der Variablen durch die Dativ-DP einhergeht. Im folgenden Kapitel werden wir der Frage nachgehen, wieso im Rahmen der freien Dativdiathese immer Possessor- oder Nutznießervariablen gebunden werden müssen und wieso nicht etwas Koargumentvariablen oder Komplementvariablen von Objekten das Bindungserfordernis der freien Dative erfüllen können.

7 Rösslsprungbindung: Die Randbindungsbedingung 7.1 Die Randbindungsbedingung intuitiv Bislang wissen wir, dass Dative binden müssen, dass sie lokal binden müssen und dass sie Possessor- oder Nutznießerargumente in relationalen Ausdrücken binden können. Demnach kann obligatorische Dativbindung auf den Bereich der lokal c-kommandierten Koargumente abzielen und einen der Possessoren oder Nutznießer dieser Argumente binden. Das Faktum, um das es jetzt geht, besteht darin, dass nur diese zwei Arten von Bindungsziele in Frage kommen (vgl. auch Landau 1999: 5, allerdings im Rahmen einer Anhebungsanalyse). Wir werden also zeigen, dass jeder freie Dativ den Rand eines lokalen Koarguments bindet und dass die Bindung eines ganzen Koarguments oder eines anderen Teils eines Koarguments, auch wenn sie vorkommt, das Dativbindungserfordernis nicht abgelten kann. Ich glaube, dass das Faktum, dass nur ein Teil eines Koarguments durch Dative gebunden werden muss, dazu geführt hat, dass die obligatorische Dativbindung als völlig regelmäßiges Phänomen bislang übersehen wurde. Man kann metaphorisch von „Rösslsprung“-Bindung sprechen. Ähnlich wie Pferdchen im Schachspiel nur zwei Felder nach vorn und dann eines zur Seite ziehen, kann Bindung bei der obligatorischen Dativbindung immer nur das externe oder Possessor-Argument eines c-kommandierten lokalen Koarguments betreffen. Dem „obliquen“, also schrägen, Pferdchensprung entspricht die „oblique“ Bindung eines Arguments am Rand eines anderen Arguments; es liegt Bindung mit „Wechsel der Zugrichtung“ vor.

7.2 Die Randbindungsbedingung – die deskriptiven Generalisierungen Wir werden in diesem Abschnitt Generalisierungen zusammentragen, die die Rösslsprung- oder Randbindungsbedingung stützen. Dabei definieren wir Rösslspungbindung wie in (7.1). (7.1) Rösslsprungbindung Bindungskonfiguration, in der die Binder-DP die Possessor-Variable einer c-kommandierten koargumentellen Possessums- oder Zweckphrase bindet Bevor diese Generalisierungen im Detail verteidigt werden, soll kurz auf zwei typologische Befunde verwiesen werden, die die Annahme von Bindung mit

156  Rösslsprungbindung

strukturell privilegierten Bindungszielen unseres Typs unterstützen. Die Daten betreffen die Grammatikalisierung von Reflexivpronomina. Es gibt zwei lexikalische Hauptquellen für Grammatikalisierung in diesem Bereich. Neben der Kombination von Personalpronomina mit emphatischen Partikeln sind Possessumphrasen des Typs „Possessivpronomen þ Körperteilnomen“ die häufigste Quelle für Reflexivpronomen, etwa ʻPOSS þ Kopfʼ im Georgischen (Faltz 1985, König and Siemund 2000, Schladt 2000, Gast et al. 2007). Was hingegen für keine Sprache zweifelsfrei nachgewiesen ist, ist die Grammatikalisierung des Reflexivpronomens aus einem Repräsentationsnomen oder einem propositionalen Nomen und einem Komplementpronomen mit der Bedeutung ʻAbbild von xʼ, ʻStatue von xʼ, ʻIdee von xʼ53. Demzufolge bevorzugen die Sprachen der Welt genau diejenige Rösslsprungbindungskonfiguration, die wir hier annehmen, nur dass in den Fällen der Grammatikalisierung von Reflexivpronomina das Agens-Subjekt das Antezedens der Bindungsdiathese ist, und nicht ein Dativ.

7.2.1 Evidenz für die Randbindungsbedingung I – lokal gebundene Possessorund Nutznießervariablen vs. andere gebundene Variablen in Koargumenten Wir wissen schon aus Kap. 5, dass Possessor- und Nutznießervariablen in Koargumenten des Dativs das Bindungserfordernis abgelten. Das gilt sowohl für explizite Possessorausdrücke als auch für implizite. Der zunächst vielleicht verblüffende Kontrast in (7.2) illustriert das noch einmal exemplarisch. (7.2)

UNTERSCHIEDLICHE DATIVLESARTEN BEI ÄHNLICHER KOMPLEMENTIERUNG

a. Sie zerstreuten ihmi [seineni Verdacht]. b. Sie zerstreuten ihmi [den Verdacht der Staatsanwaltschaft gegen ihni ].  53 Vgl. Hole (2012: 228–229); Schladt (2000: 105–7, 110–1) identifiziert ‘reflection of PRON on water’ als ein seltenes ( dSTANDmax definiert ist

Paul ist der Aufstieg zu steil.

Kennedy (1999; vgl. auch Bierwisch 1987, Meier 2003, Hacquard 2005) stellt sich in seiner Analyse der Adjektivsemantik und von Vergleichskonstruktionen in die Tradition von skalaren Ansätzen (vgl. unter vielen Seuren 1973, Cresswell 1976, von Stechow 1984a,b, Heim 1985, Bierwisch 1987, Moltmann 1992). Damit bezieht er Position gegen Vage-Prädikatanalysen wie bei McConnell-Ginet (1973), Kamp (1975) oder Klein (1980). Der Unterschied zwischen diesen beiden wichtigen Herangehensweisen zur Analyse von gradierbarer Adjektivsemantik und Vergleichskonstruktionen besteht darin, dass skalare Analysen immer Aus 66 Dieser minimalistisch wünschenswerte Befund ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Was ich nämlich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten kann, ist die Frage, wieso neben (Direktional-)Komplementen nur adjungierte Zweckphrasen als Bindungsziele in Frage kommen.

182  Syntax und Semantik von Possessum- und Zweckausdrücken sagen mit Gradwerten als Primitiven der Analyse sind (‘Referent a kommt Eigenschaft P im Grad d zu’); Analysen mit vagen Prädikaten nehmen demgegenüber in der Assertion keinen Bezug auf Skalenwerte oder Grade, sondern nehmen als Denotationen von gradierbaren Adjektiven Funktionen von Individuen in Wahrheitswerte an, deren Definitionsbereich (kontextuell) eingeschränkt ist auf Referenten, die überhaupt die betreffende Eigenschaft aufweisen können. Von diesen liefern dann einige den Funktionswert 1 (diejenigen, die die betreffende Eigenschaft haben), andere 0 (diejenigen, die die Eigenschaft nicht haben). Referenten, die die betreffende Eigenschaft nicht aufweisen können bzw. gar nicht in der Vergleichsklasse sind, sind nicht im Definitionsbereich und resultieren in Präsuppositionsverletzungen bzw. gar keinem Wahrheitswert, wenn man die Funktion auf sie anwendet. So kommen Assertionen ohne Skalenwertbezug zustande (‘Referent a hat Eigenschaft P’, ‘Referent b hat Eigenschaft P nicht’, ‘Referent c wird auf keinen Wahrheitswert abgebildet’). Skalenwerte fließen so, wenn überhaupt, nur in die Präsupposition ein. Wie gesagt, Kennedy schließt sich den skalaren Analysen an, unter anderem weil sich zeigen lässt, dass man in der (linguistischen) Ontologie wahrscheinlich ohnehin Bezug auf Grade und Skalen nehmen können muss (vgl. Kennedy 1999: 31–40). Allerdings führt er eine weitreichende Neuerung ein. Anstatt wie in anderen Ansätzen davon auszugehen, dass über Skalenwerte quantifiziert wird und demzufolge Quantifikationsstrukturen vorliegen, setzt der >-Operator bei Kennedy definite Kennzeichnungen von Graden zueinander in Beziehung. Einem Satz wie in (8.30) entspricht also in Kennedys Ansatz nicht die Paraphrase (8.30a), sondern (8.30b). (8.30) Neptun ist wärmer als Pluto. a. Paraphrase einer skalar-quantifikationellen Analyse: ‘Die Menge der Skalenpunkte, welche unterhalb des für Neptun zutreffenden Wärmegrad-Skalenpunkts liegen, enthält als Teilmenge die Menge der Skalenpunkte, welche unterhalb des für Pluto zutreffenden Wärmegrad-Skalenpunkts liegen.’ b. Paraphrase einer skalar-nicht-quantifikationellen Analyse: ‘Der numerische Wärmegrad-Skalenpunkt, der für Neptun zutrifft, ist größer als der numerische Wärmegrad-Skalenpunkt, der für Pluto zutrifft.’ Damit umgeht Kennedy zwei Probleme. Erstens erreicht er es, dass man mit seinen Annahmen für Vergleichskonstruktionen eine konservative Quantorensemantik annehmen kann (hinter diesem Ziel steht die Universalienvermutung, dass natürlichsprachliche Quantoren konservativ sind; Keenan & Sta-

Die Modellierung der Bindungsziele  183

vi 1986).67 Zweitens macht er die richtige Voraussage, dass der angebliche Quantor über Skalenwerte anderer Ansätze immer engsten Skopus nimmt (von Stechow 1984a). Bei Kennedy sind Skalenwerte nicht existenziell, universell oder anders skopusaktiv gebunden, sondern Kennedy geht von definiten, Iotaoperatorgebundenen Skalenwert-Variablen aus, die miteinander verglichen werden. Demzufolge nehmen die entsprechenden Ausdrücke überhaupt keinen Skopus, was aus der Perspektive quantifikationeller Ansätze nur so aussieht, als werde engster Skopus genommen (Krifka 1992b). Um einem Missverständnis vorzubeugen, sei hier gleich angemerkt, dass Kennedys Annahme der NichtQuantifiziertheit von dREF und dSTAND keineswegs bedeutet, dass Sprecher konkrete numerische Skalenwerte angeben können müssen, wenn sie eine Assertion wie Der Tisch ist niedriger als der Stuhl machen. So, wie wir Kennedys Vorschlag unten implementieren werden, muss der Skalenwert nur als eindeutig bestimmter vorliegen, egal in welcher „Art des Gegebenseins“. Anders gesagt, die Skalenwertangabe hat denselben referenziellen Stellenwert wie eine definite Kennzeichnung. Syntaktisch nimmt Kennedy für alle Konstruktionen mit gradierbaren Adjektiven in prädikativer Funktion Gradphrasen (degree phrases; DegP) im Prinzipien- und Parameter-Zuschnitt wie in (8.31) an (Kennedy 1999: 109).

 67 Die Definition für Konservativität ist in (i) angeführt. Demzufolge ist z. B. jeder, wie in (ii) gezeigt, konservativ, der Quantor der quantifikationell-skalaren Vergleichsanalse für weniger in (iii) jedoch nicht.

Ein Quantor ist konservativ gdw. gilt: Q(R)(S) ) Q(R)(R k S), wobei Q ein Quantor ist, R sein Restriktorargument und S sein Skopusargument (ii) Jedes Kind wünscht sich ein eigenes Zimmer ) Jedes Kind ist ein Kind, das sich ein eigenes Zimmer wünscht. (iii) a. Pluto ist weniger warm als Neptun. b. : [‘Die Menge der Skalenpunkte unterhalb des für Pluto zutreffenden Wärmegrad-Skalenpunkts ist als echte Teilmenge enthalten in der Menge der Skalenpunkte unterhalb des für Neptun zutreffenden Wärmegrad-Skalenpunkts.’ ) ‘Die Menge R der Skalenpunkte unterhalb des für Pluto zutreffenden Wärmegrad-Skalenpunkts ist als echte Teilmenge enthalten in der Schnittmenge der Menge R der Skalenpunkte unterhalb des für Pluto zuteffenden Wärmegrad-Skalenpunkts und der Menge S der Skalenpunkte unterhalb des für Neptun zutreffenden WärmegradSkalenpunkts.’] (Die Äquivalenz gilt nicht, weil die Mengen R und R k S die gleichen Elemente haben und somit keine echte Teilmengenbeziehung vorliegt.)

(i)

184  Syntax und Semantik von Possessum- und Zweckausdrücken

DegP

(8.31)

3 Spec

Deg′

3 Deg′

XP

3 Deg0

AP 3 Spec A′ 3 A Komplement

Anhand dreier Sätze mit DegPs wie in (8.32) können wir gut veranschaulichen, welchen syntaktischen Positionen in (8.33) welche Morpheme, Wörter oder Phrasen entsprechen. (8.32) a. Paul ist 1,82 m Q groß. b. Paul ist größer als Nico. c. Paul ist (um) 5 cm größer als Nico. DegP (8.33)

3

Spec a. 1,82 cm

Deg′

3

Deg′ XP 3 b. als Nico Deg0 AP c. als Nico 3 a. ∅ b. -er Spec A′ c. um 5 cm …-er 3 A Komplement a. groß b. größ c. größ Der Adjektivstamm groß/größ- steht unter A, die Vergleichswerte sind über die Konstituente in XP zugänglich, und in Deg0 befindet sich das Morphem, das dREF und dSTAND in Beziehung zueinander setzt. Im Fall von (8.32c) ist Deg0 wahrscheinlich per Kopfadjunktion um das Abweichungsmaß erweitert.68 Dem 68 Kennedy (1999) äußert sich zur syntaktischen Implementierung des Abweichungsmaßes, soweit ich das überblicke, nicht; Bierwisch (1987: 211) stellt heraus, dass das Abweichungsmaß

Die Modellierung der Bindungsziele  185

zufolge ergeben sich die Paraphrasen in (8.32′), aus denen in halb-kompositionaler Art ersichtlich ist, welchen syntaktischen Positionen welche semantischen Komponenten entsprechen. (8.32′)

Subjekt A Deg0 Messfunktion Relation zwischen mit dREF als dREF und dSTAND Funktionswert a. Paul ‘Paul b. Paul ‘Paul c. Paul ‘Paul

groß ist groß im Maße dREF größist groß im Maße dREF größist groß im Maße dREF

Q dREF ≥ dSTAND

XP Spezifikation/ Identifikation von dSTAND 1,82 m dSTAND ¼ 1,82 m’

-er dREF > dSTAND

als Nico dSTAND ist die Größe von Nico’ -er um 5 cm als Nico dSTAND ist die Größe dREF > dSTAND & dREF – dSTAND ¼ 5cm von Nico’

Für unsere Modellierung im Sinne einer nackten Phrasenstruktur (bare phrase structure; Chomsky 1995) ist die X-bar-syntaktische Implementierung ohne eigentliche Bedeutung (vgl. 2.1). Den hierarchischen Aufbau von Kennedys DegP möchte ich jedoch unverändert übernehmen und auch als Schnittstellen-Eingabe für die Interpretation von zu- und genug-Komparativen verwenden.69 Damit ergibt sich für einen Satz wie (8.34a) die syntaktische Struktur in (8.34b). (Ob die Linearisierung und Konstituenz in (8.34b) abgeleitet ist in dem Sinne, dass die PP rechtsversetzt worden ist, ist an dieser Stelle irrelevant.)

 nur bei zu expliziert werden kann, mit genug aber ungrammatisch ist (Der Tisch ist (um) 5cm {zu hoch/*hoch genug}. Bierwisch leitet dieses unterschiedliche Verhalten aus dem korrespondierenden Verhalten von Komparativen mit -er vs. Äquativkonstruktionen mit so … wie ab. Strukturen mit zu werden zu den Komparativen gestellt und Konstruktionen mit genug zu den Äquativkonstruktionen. In unserer Struktur ist dieser Unterschied in dem nicht weiter ausdifferenzierten Paradigma unter Deg0 miteingekapselt und wird im weiteren – trotz seiner Wichtigkeit – nicht berücksichtigt 69 Vgl. auch Kennedys (1999: 174, Endnoten 15 und 16) Erwägungen zur Ableitung von LF und PF in Vergleichskonstruktionen.

186  Syntax und Semantik von Possessum- und Zweckausdrücken (8.34) a. Pauli ist die Treppe [zu steil zur Erfüllung seinesi ZwecksC Z]. Deg′ b.

3

Deg′

2 Deg0 zu

AP

4

PP

6 zur Erfüllung seinesi ZwecksC Z

steil Für die semantische Komposition gehe ich davon aus, dass der obligatorische Zweckbezug von zu/genug-Konstruktionen durch eine entsprechende Valenz von zu und genug in die Struktur kommt. Mehr dazu im Anschluss an (8.35). Wir erhalten demnach bis zu dem Punkt, an dem das Nominativargument eingeführt wird, eine Ableitung der Satzbedeutung wie in (8.35) (vgl. für eine nicht ereignissemantische Implementierung und mit Schwerpunktsetzung in der genauen Explizierung der modalen Komponente Meier 2003). Weil Kennedy (1999) nicht in einem ereignissemantischen System arbeitet und zudem insgesamt weniger explizite Ableitungen vorlegt, als wir das hier anstreben, bedeutet die Anpassung an unseren theoretischen Rahmen und unsere Notationskonventionen einen recht starken interpretierenden Eingriff. So interpretiere ich Kennedys Annahme, dass Adjektive Messfunktionen von Individuen in Skalenwerte denotieren, so, dass die Gradvariable d durch den ι-Operator gebunden ist und demzufolge nach Sättigung oder Bindung der Argumentstellen wie eine definite Kennzeichnung referiert; in weniger auf die konkrete Implementierung ausgerichteter Weise hatten wir denselben Punkt auch schon im Anschluss an (8.30) oben diskutiert. (Die durch Zahlenpunkte markierten Stellen der Derivation werden gleich im Anschluss an (8.35) erläutert. Die weitere Ableitung bis zur Ebene des Diathesemorphems entspricht denjenigen in 12.3.)

Die Modellierung der Bindungsziele  187

(8.35) Für beliebige Belegungsfunktionen a, Kontexte C und Welten w gilt: =die Treppe zu steil zur Erfüllung seinesi ZwecksC Z>a,C,w = λs . ιd[d ist der Steilheitsgrad der Treppe(s)] = dREF & dREF > dSTANDmax & ∀s′[s′ ist geeignet zur Erfüllung von a(i)’s ZweckC Z → ∃yιd[d ist der Steilheitsgrad von y(s′)] < dSTANDmax] wo =die Treppe> =  die Treppe

[FA]

=zur Erfüllung seinesi ZwecksC Z>a,C,w = λx . λs . ιd[d ist der Steilheitsgrad von x(s)(w)] = dREF & dREF > dSTANDmax & ∀s′[s′ ist geeignet zur Erfüllung von a(i)’s ZweckC Z in w → ∃yιd[d ist der Steilheitsgrad von y(s′)(w)] ≤ dSTANDmax] qp

[FA]

=zu steil>w = =zur Erfüllung seinesi ZwecksC Z>C,a = λs . λw . s ist geeignet zur Erfüllung von λgs,s,t . λx . λs . ιd[d ist der a(i)’s ZweckC Z in w Steilheitsgrad von x(s)(w) = dREF & dREF ≥ dSTANDmax & ∀s′[g(s′)(w) → ∃yιd[d ist der Steilheitsgrad von y(s′)(w)] ≤ dSTANDmax]

qp =zu>w =  λfe,s,s,d . λgs,s,t. λx . λs . f(x)(s)(w) = dREF & dREF ≥ dSTANDmax & ∀s′[g(s′)(w) → ∃y[f(y)(s′)(w) ≤ dSTANDmax]]

[FA]

=steil> =  λz . λs . λw . ιd[d ist der Steilheitsgrad von z(s)(w)]

u: Das Gradmorphem zu in seiner ereignissemantischen Modellierung hat kein Zustands-, Zeit- oder Weltargument für das Konjunkt „dREF > dSTAND “, weil Größenverhältnisse zwischen Skalenpunkten nicht kontingent sind. v: Eigentlich enthalten Adjektivdenotate gemäß unseren Festlegungen auch mindestens einen Zeitbezug, nämlich den, der das Intervall bezeichnet, in dem der betreffende Steilheitsgrad gilt. So können ja etwa fahrbare Treppen oft in ihrer Neigung verstellt werden. Um weitere Komplexität in der Derivation zu vermeiden, notiere ich den Zeitbezug des Adjektivs nicht. w: Der Kontextbezug der definiten Kennzeichnung bleibt hier implizit.

Die Gradmorpheme zu und genug sind in der Konstruktion mit zu-steil/süß-Dativen also diejenigen Ausdrücke, die durch ihre Valenzeigenschaften das Skelett der ganzen DegP aufspannen. Für genug ist eine ganz ähnliche Denotation angebbar wie für zu. Sie unterscheidet sich darin von derjenigen von zu, dass

188  Syntax und Semantik von Possessum- und Zweckausdrücken „dSTANDmax “ ersetzt ist durch „dSTANDmin “;70 vgl. unsere einleitende Darstellung der relevanten Fakten in Diagramm 8.1. Der Linearisierungsunterschied zwischen zu þ A und A þ genug kann entweder durch von vornherein unterschiedliche Linearisierungen abgeleitet werden, oder durch PF-Rechtsversetzung von genug, welche ausgelöst werden mag, um den Akzentzusammenstoß zwischen genúg und meistens erstsilbenbetonten Adjektiven zu vermeiden (die sekundäre Ableitung der Position von zu scheint weniger plausibel zu sein). Beide Denotationen im Vergleich sind in (8.36) angeführt. (8.36)

DENOTATIONEN VON zu UND genug a. OzuPw ¼ λf#e,#s,#s,d$$$ . λg#s,#s,t$$. λx . λs . f(x)(s)(w) ¼ dREF & dREF > dSTANDmax & 8s′[g(s′)(w) ! 9y[f(y)(s′)(w) < dSTANDmax ]] b. OgenugPw ¼ λf#e,#s,#s,d$$$ . λg#s,#s,t$$ . λx . λs . f(x)(s)(w) ¼ dREF & dREF $ dSTANDmin & 8s′[g(s′)(w) ! 9y[f(y)(s′)(w) < dSTANDmax ]]

Damit haben wir für alle Typen von Bindungszielausdrücken explizite syntaktische und semantische Vorschläge gemacht, die einerseits verschiedene Bedeutungen abdecken (Possessorbindung vs. Nutznießerbindung), andererseits aber syntaktisch weitgehend analog darstellbar sind: Sowohl im Fall von PossessumDPs als auch im Fall von Zweckausdrücken konnten die Bindungsziele dargestellt werden als Konstituenten im linken Ast des entsprechenden Ausdrucks.

 70 Aber vgl. Fn. 68 für den weitergehenden Unterschied zwischen zu und genug, was die Explizierbarkeit des Abweichungsmaßes angeht.

9 Zusammenfassung von Teil II: Freie Dative als Exponenten einer lokalen Bindungsdiathese mit Rösslsprungsyntax Der ereignissemantische Diathese-Begriff, der unserer Analyse zugrundeliegt, ist in 4.3 entwickelt worden. Diathese betrifft die Anbindung von Argumenten an eine Prädikation, sofern es sich nicht um interne Argumente handelt. Interne Argumente sind im Lexikoneintrag von Verben vorgesehen. Die Beziehung der Referenten von internen Argumenten zum durch das Verb (oder Adjektiv) beschriebenen Sachverhalt ist im Vergleich thematisch so frei bzw. potenziell idiosynkratisch, wie es nur irgend denkbar ist unter der Maßgabe einer noch zu komplettierenden Theorie möglicher Verben (vgl. Kaufmann 1995b). Anders gesagt: Es gibt keine Klassenbildung für interne Argumente, die thematische Generalisierungen von ähnlicher Allgemeinheit wie bei VP-extern angebundenen Argumenten wie AGENS oder INSTRUMENT zulassen würde. Außerdem brauchen interne Argumente nicht kumulativ zu sein (vgl. Kratzer in Vorb.), und interne Argumente sind im Unterschied zu nicht-internen Argumenten nicht sekundär an einen anaphorisch wiederaufgenommenen Sachverhalt anbindbar (vgl. Sie aß eine Birne. Sie tat es mit Messer und Gabel vs. Sie aß. *Sie tat es Birnenakk ; Eckardt 1998: 25–34). Diese Idiosynkrasie und enge Anbindung der Sachverhaltsbeteiligungsrelationen interner Argumente ist eine direkte Folge der Lexikalisierung der internen Argument-Valenz im Verb. Jedes Argument, das zusätzlich in den Satz kommt, muss über ein Diathesemorphem eingeführt werden, welches eine Aussage zur thematischen Beteiligung des Argumentreferenten macht. Das gilt auch für AGENS-Morpheme (wie auch für Passiv-Diathesemorphem-e; vgl. 4.3.11). Die Anbindung der VP-extern eingeführten Sachverhaltsbeteiligungen erfolgt in unserem ereignissemantischen Rahmen in der Tradition von Davidson (1967) und Parsons (1990) über zusätzliche Prädizierungen über den betreffenden Sachverhalt, d. h. der Referent des AGENS-Arguments in Paul hat die Rosen im Supermarkt gekauft steht in keiner direkten Relation zu den Rosen, sondern zum Ereignis e, das unabhängig davon als ein Ereignis des Rosen-im-Supermarkt-Kaufens charakterisiert worden ist. In Kap. 4 haben wir die Reflexivdiathese in Abwandlung von Heim & Kratzer (1998) und Büring (2005a, b) und im Sinne von Kratzer (2009) diathetisch formuliert, weil die Gleichheit zwischen AGENS-Referent und internem Argument-Referenten erst ab dem Moment implementierbar wird, wo die Valenz des AGENS-Arguments in die Struktur eingeführt wird, also auf Ebene des AGENS-Diathesemorphem-s (bei Kratzer 1996 Voice0 , minimalistisch mit meist weniger weitgehenden semantischen Implikationen sonst oft v; Chomsky 1995). Wir ha-

190  Zusammenfassung von Teil II ben ein AGENSþ b -Morphem postuliert, das die Anwendung der Regel BR-R (Binder-Regel für die Reflexivdiathese) auslöst, d. h. die Einführung eines nackten Individuen-Index- direkt unterhalb des Diathesemorphems. Dieser Index kann im lokalen C-Kommando-Bereich unter Anwendung von Prädikatsabstraktion (PA) eine Argumentstelle im Bereich der internen Argumente (wieder)eröffnen. AGENS- und interne Argument-Valenz können dann in einem Zug durch das nächsthöher in die Struktur kommende Argument gesättigt werden. Die Dativdiathese ist deswegen ganz ähnlich wie die Reflexivdiathese, weil auch sie dazu führt, dass die Referenz zweier Argumentstellen auf denselben Referenten festgelegt wird, eine davon im C-Kommandobereich des Dativdiathese-Morphems (P-EXPERIENCERþb , LANDMARKEþb oder AFFIZIERTERþb ) und die andere in Gestalt des Dativarguments direkt über dem Diathesemorphem. Die genaueren Beschränkungen, die für die Dativdiathese gelten, waren Gegenstand der Kap. 5 bis 8. Zunächst haben wir nachgewiesen, dass der Gebrauch freier Dative tatsächlich immer mit Bindung eines c-kommandierten Arguments einhergeht, allerdings ist dieses Argument oft implizit. Semantisch ist es aber als gebundenes Element immer nachweisbar, und außerdem ist es salva veritate auch immer explizierbar (Kap. 5). Die Lokalität der Dativbindung war Gegenstand von Kap. 6. Dativargument und gebundener Ausdruck müssen in derselben Tempusdomäne enthalten sein, d. h. es liegt ein typologisch wenig besonderer Fall von lokaler Bindung vor. Mit Kratzer (2009) haben wir die Lokalitätsbeschränkung phasensyntaktisch abgeleitet: Nur innerhalb der lokalen vPPhase- kann das Antezedens vor der distribuiert stattfindenenden Interpretation jeder vP seine Merkmale auf den zu bindenden pronominalen Ausdruck übertragen. Obligatorische Dativbindung betrifft immer nur den linken Rand eines Arguments innerhalb der lokalen Domäne, nämlich die Possessor-Position von Possessum-DPs (wie seinen Mantel) oder die Nutznießer- oder Zwecksubjekt-Position von Zweckausdrücken (wie zu seinem kontextuell gegebenen Zweck des …) (Kap. 7). Das macht die Dativbindung zu einer „obliquen“ Form von Bindung, die wir oben mit der Metapher des Rösslsprungs belegt haben. Zur weiteren Erhellung der Randbindungsbedingung haben wir auf den schlimmsten Fall hin generalisiert: Mit Reuland (2011) haben wir die Annahme plausibel gemacht, dass lokale diathesegetriebene Bindung im Deutschen immer nur in linke Ränder hineinbindet (so wird für sich Bewegung nach Spec,D oder Spec,π angenommen). Auch diese baumgeometrische Beschränkung lässt sich womöglich phasensyntaktisch genauer fassen. Wenn auch die DPs, die das Bindungsziel enthalten, im Sinne von Phasen lokal interpretiert werden, können nur im linken Phasenrand Pronomina ihre Merkmale vom Antezedens übertragen bekommen.

Zusammenfassung von Teil II  191

In Kap. 8 schließlich haben wir den lokalen DP-Kontext der Bindungszielvariable expliziert. Das Ziel war es, die strukturellen Parallelen zwischen allen DPs, die die Bindungszielvariablen der freien Dativdiathese enthalten, plausibel zu machen. Außerdem haben wir Vorschläge für die semantische Komposition der Bindungsziel-DPs gemacht.

Teil III: Freie Dative und thematische Eigenschaften

10 Zwei unterschiedliche thematische Relationen für freie Dative – die P-EXPERIENCER-Relation 10.1 Die Intuition hinter den zwei unterschiedlichen thematischen Relationen für freie Dative Die Explizierung der in dieser Studie vorgeschlagenen einheitlichen Theorie über freie Dative beginnt im vorliegenden Teil III, welcher sich mit den thematischen Eigenschaften oder den Sachverhaltsbeteiligungsrollen der Dativreferenten beschäftigt, mit einer Disjunktion: Freie Dative gehören zu einer von zwei Klassen. Das scheint zunächst unser ganzes Vorhaben in ein zweifelhaftes Licht zu rücken. Sind freie Dative nun etwas Einheitliches oder nicht? Die Antwort darauf ist einfach. Alle freien Dative haben etwas gemeinsam, aber es gibt auch Unterschiede. Das, was alle freien Dative verbindet, ist, dass sie im Sinne von Teil II diathetische Binder sind. Im Hinblick auf thematische bzw. Sachverhaltsbeteiligungsprädikate lassen sie sich jedoch in zwei Klassen aufspalten, nämlich in LANDMARKEN und P-EXPERIENCER (das „P“ steht für „potenziell“; vgl. unten). Darüberhinaus gibt es auch freie Dativreferenten, die sowohl LANDMARKEN als auch P-EXPERIENCER sind. Diese Kombination von Sachverhaltsbeteiligungseigenschaften bezeichnen wir als AFFIZIERTENschaft. Um die zwei unterschiedlichen Sachverhaltsbeteiligungen von Dativreferenten einleitend zu illustrieren, können wir auf ein Beschreibungsdilemma zurückgreifen. Einerseits gibt es viele Konstruktionen mit Dativen, in denen dem jeweiligen Dativreferenten Belebtheit und Wahrnehmungsfähigkeit zugeschrieben wird. Wenn jemand sagt Ich kaufe meiner Zahnbürste einen neuen Zahnputzbecher, dann erweckt diese Person den Eindruck, dass ihre Zahnbürste einen Wahrnehmungsapparat hat und eine mentale Repräsentation davon haben kann, wenn ein neuer Zahnputzbecher vorhanden ist. Wenn im Gegensatz dazu ein Gärtner sagt % Ich habe dem Baum einen Großteil der Krone weggeschnitten, ist damit keine Wahrnehmungszuschreibung für den Baum durch den Sprecher verbunden (sofern der Sprecher nicht der Gruppe angehört, die auch in dieser Konstruktion grundsätzlich personifizierende Lesarten erhält).1 Genau entlang der Trennlinie von obligatorisch signalisierter Wahrnehmungsfähigkeit des Dativreferenten und Indifferenz bezüglich dieser Eigenschaft verläuft die Klassengrenze zwischen P-EXPERIENCER-Dativen und LANDMARKEN-Dativen. Für P-EXPERI 1 „Es ist absolut falsch, dem Baum einen großen Teil der Krone auf einmal wegzuschneiden […].“ (http://www.ogv-erbach.de/index.php/gartentipps/obst/warum-obstbaeume-schneiden.html; 1.11.2012)

196  Zwei unterschiedliche thematische Relationen ist also die Eigenschaft zumindest möglicher Sachverhaltswahrnehmung entscheidend; für LANDMARKEN ist das entscheidende Kriterium die räumliche Bezogenheit auf ein Possessum. Bei der dritten Klasse von freien Dativen, den AFFIZIERTEN-Dativen, mischen sich P-EXPERIENCERschaft und LANDMARKENschaft. Im vorliegenden Kapitel wird nur das Wahrnehmungsprädikat der P-EXPERIENCERschaft genauer bestimmt. Die Definition von LANDMARKEN ist Gegenstand von Kap. 11. Kombinationen aus LANDMARKEN- und P-EXPERIENCERschaft bei freien Dativen werden an verschiedenen Stellen von Kap. 12 diskutiert. ENCER

10.2 Zwei unterschiedliche thematische Relationen für freie Dative – die deskriptiven Generalisierungen In diesem Abschnitt wird die Annahme zweier grundsätzlich verschiedener thematischer Rollen für freie Dative begründet. Die eine Art freier Dative signalisiert nichts über die Wahrnehmung oder mentale Repräsentation der betreffenden Situation durch den Dativreferenten; die andere Art freier Dative präsupponiert und impliziert etwas über die Möglichkeit der Wahrnehmung oder mentalen Repräsentation des relevanten Sachverhalts durch den Dativreferenen. 10.2.1 motiviert die Notwendigkeit eines kategoriellen Schnitts. 10.2.2 diskutiert den Unterschied zwischen Wahrnehmungsfähigkeitspräsuppositionen für Argumentreferenten und Sachverhaltswahrnehmungsimplikationen aus einer allgemeinen Perspektive. 10.2.3 schließlich untersucht den genauen Gehalt des kategoriellen Unterschieds im Bereich der zwei Klassen freier Dative je nachdem, was über die Wahrnehmung des Dativreferenten ausgesagt wird.

10.2.1 Es gibt einen kategoriellen Unterschied der thematischen Relationen für freie Dative Wenn man die Beispiele in (10.1) bis (10.3) miteinander vergleicht, erhält man leicht den Eindruck, dass ein freier Dativ keinerlei Aussage über die Wahrnehmungsfähigkeit oder die Sachverhaltswahrnehmung des Dativreferenten zulässt. (10.1) Dativreferent nimmt den relevanten Sachverhalt notwendig wahr: a. Ihr ist der Joghurt zu süß. b. Ihm war das Licht zu grell. (10.2) Dativreferent nimmt den relevanten Sachverhalt möglicherweise wahr: a. Paul trat Emma auf den Rock. b. Paul kochte Emma ein schönes Abendessen.

Zwei unterschiedliche thematische Relationen  197

(10.3) Dativreferent nimmt den relevanten Sachverhalt nicht wahr: a. Paul ist die Hose zu eng, aber er merkt es nicht. b. % Sie haben dem Auto einen Spoiler ans Heck montiert. c. % Dem Baum bröckelt die Borke vom Stamm. Mit animaten Referenten wie in (10.1) und (10.2) kommen Sätze vor, in denen der Dativreferent notwendigerweise eine mentale Repräsentation des relevanten Sachverhalts hat (Beispiele in (10.1)), und auch andere Sätze, in denen der Dativreferent eine mentale Repräsentation des relevanten Sachverhalts zumindest haben kann (Beispiele in (10.2)). Inanimate Referenten kommen – wie in (10.3b/c) – ebenso als freie Dative vor. Aufgrund dieses ersten Überblicks könnte man leicht zu dem Schluss kommen, dass freie Dative mit der thematischen Proto-Eigenschaft der (Sachverhalts-)Wahrnehmung (vgl. Dowty 1991, Wechsler 1995, Reinhart 2002) einfach nichts zu tun haben. Dieser Schluss wäre allerdings voreilig. Zum einen ist die Beobachtung, dass Dativmarkierung mit der Animatheit und Wahrnehmungsfähigkeit des entsprechenden Referenten korreliert, wahrscheinlich so alt wie die nachdenkende Beschäftigung mit Dativen. Außerdem lassen sich sehr viel genauere Aussagen treffen, wenn man einen Kategorienschnitt zwischen Dativen wie in (10.1) und (10.2) einerseits und Dativen wie in (10.3) andererseits setzt. Dieser Kategorienschnitt soll im Folgenden motiviert werden. Das Argument für die thematische Unifizierung der Dative in (10.1) und (10.2) auf der einen Seite und ihre Abgrenzung von den Dativen in (10.3) geht von der Beobachtung aus, dass der Gebrauch von Dativen mit inanimaten Referenten in Sätzen wie (10.1) und (10.2) immer zu Personifikationslesarten führt, während dieser Effekt bei Konstruktionen wie in (10.3) nicht zu beobachten ist (mit der üblichen Einschränkung, dass es eine Sprechergruppe gibt, die Sätze mit inanimaten Dativreferenten fast durchgängig ablehnen).2 Drei Beispiele für den genannten Personifikationseffekt sind in (10.4) bis (10.6) angeführt. (10.4) Der Ledersohle war der Boden zu glatt. präsupponiert/akkommodiert: ‘Die Ledersohle ist wahrnehmungsfähig.’ (10.5) Paul trat der Kleiderpuppe auf den Fuß. präsupponiert/akkommodiert: ‘Die Kleiderpuppe ist wahrnehmungsfähig.’ (10.6) Paul kochte den Pfannkuchen eine gute Schokoladensauce. präsupponiert/akkommodiert: ‘Die Pfannkuchen sind wahrnehmungsfähig.’  2 Die Feststellung, dass der Gebrauch von Dativen mit inanimaten Referenten oft zu (akkommodierten) Personifikationslesarten führt, manchmal aber auch nicht, findet sich in der Literatur (Olsen 1997: 321 im Kontext valenzgebundener Dative in Partikelverb-Konstruktionen). Mir sind jedoch keine Versuche bekannt, diesen Befund für die Systematisierung der Daten auszunutzen, wie es hier geschieht.

198  Zwei unterschiedliche thematische Relationen

Es liegt also bei der Dativverwendung in Sätzen wie (10.1), (10.2) und (10.4) bis (10.6) eine andere Art von Sensitivität bezüglich der Animatheit und Wahrnehmungsfähigkeit der Dativreferenten vor als bei den wachsen/bröckeln-Dativen und den absägen/einbauen-Dativen in (10.3). Wachsen/bröckeln-Dative und absägen/einbauen-Dative sind tatsächlich (und wieder mit der üblichen Einschränkung für eine Sprechergruppe) völlig indifferent in Bezug auf Animatheit und Wahrnehmungsfähigkeit. Dementsprechend erhalten wir, wie in (10.7) gezeigt, hier auch keine obligatorischen Personifikationslesarten. (10.7) a. b.

% %

Sie bauten der Kleiderpuppe eine Lampe in den Kopf ein. Der Mumie platzten überall Bindenstücke von den Extremitäten ab.

Wenn wir das entsprechende Personifikationsverhalten für alle Dativtypen unserer Testbatterie ermitteln, erhalten wir die Klassifikation in Tabelle 10.1. Tab. 10.1: Klassifikation von Dativen nach Personifikationszwang P-EXPERIENCER-Dative: Akkommodation von Wahrnehmungsfähigkeit/ obligatorische Personifikation bei inanimaten Dativreferenten

treten-Dative: Paul trat der Kleiderpuppe auf den Rock. auf-den-Fuß-fallen-Dative: Dem Sofatisch fiel ein Kissen auf den Fuß. einengen/sitzen-Dative: Der Kragen schnürte der Puppe den Hals ein. stricken/sauberwischen-Dative: Paul kochte den Pfannkuchen eine Schokoladensauce. sich-öffnen-Dative Den Brötchen öffnete sich die Backofentür. offenstehen-Dative: Den Brötchen stand die Backofentür offen. zu-steil/süß-Dative: Dem Zelt ist der Untergrund zu uneben.

reine LANDMARKEN-Dative: keine Akkommodation von Wahrnehmungsfähigkeit/ keine obligatorische Personifikation inanimater Dativreferenten

absägen/einbauen-Dative: Sie bauten dem Auto neue Zündkerzen in den Motor ein.

%

wachsen/bröckeln-Dative: % Dem Baum bröckelt die Borke vom Stamm. am-Fuß-kleben-Dative: Dem Auto ragte eine Palme aus dem Schiebedach.

%

Zwei unterschiedliche thematische Relationen  199

Wir können also zusammenfassen, dass reine LANDMARKEN-Dative (absägen/ einbauen-Dative, wachsen/bröckeln-Dative und am-Fuß-kleben-Dative) niemals signalisieren, dass ihre Referenten wahrnehmungsfähig sind oder eine mentale Repräsentation des betreffenden Sachverhalts haben. Im Gegensatz dazu können alle anderen Dativtypen nur in Sätzen vorkommen, die Sachverhalte beschreiben, die beim Dativreferenten prinzipiell mit einer mentalen Repräsentation einhergehen können unabhängig vom Einzelfall der Kontextualisierung. Der Sonderstatus von Dativen etwa wie in (10.1) (Ihm war das Licht zu grell) ist es dann, dass für a ll e Kontextualisierungen gilt, dass die Dativreferenten eine mentale Repräsentation des betreffenden Sachverhalts haben. Das ist einfach der Grenzfall der allgemeineren Bedingung, die gerade aufgestellt worden ist. Es ist eine linguistische Binsenweisheit, dass man streng unterscheiden muss zwischen den ontologischen Eigenschaften, die Referenten als solche haben, und den Eigenschaften, die Referenten qua Satzbedeutung in einem Sachverhalt zugeschrieben werden oder die von der Satzbedeutung vorausgesetzt werden.3 Die genauen deskriptiven Generalisierungen über diese verschiedenen Arten der Eigenschaftszuschreibung im Hinblick auf Wahrnehmungsfähigkeit und mentale Repräsentation liegen bei den freien Dativen nicht klar auf der Hand. Deswegen werden wir den Phänomenbereich in 10.2.2 zunächst etwas allgemeiner aufarbeiten. In einem weiteren Schritt können wir dann in 10.2.3 die Anwendung auf die Dative leisten.

10.2.2 Arten der Wahrnehmungszuschreibung an Referenten allgemein Als Ausgangspunkt der allgemeinen Überlegungen zur Zuschreibung oder Nicht-Zuschreibung von Wahrnehmungseigenschaften an Referenten in sprachlichen Äußerungen beginnen wir mit einem Prädikat, das keinerlei Aussage über die Sachverhaltswahrnehmung oder die Wahrnehmungsfähigkeit des Referenten zulässt, dem das Prädikat zugeschrieben wird. Die Tatsache, dass Paul (wahrscheinlich) ein wahrnehmungsfähiger Referent ist, ist für die Konstruktion eines Satzes wie Paul wiegt 85 kg ganz unwichtig, denn auch nicht-wahrnehmungsfähige Referenten haben ein Gewicht und können in derselben Konstruktion verwendet werden (vgl. etwa Dieser Tisch wiegt 85 kg). Es ist in der vorliegenden Konstruktion auch zulässig, wahrnehmungsfähige und nicht wahrnehmungsfähige Referenten zu koordinieren, ohne ein Zeugma zu pro 3 Vgl. Engelberg (2000: 193–198) für eine gute Diskussion der Unterscheidungen, die man mindestens braucht, wenn man Dowtys (1991) sentience-Begriff (‘Wahrnehmung’) nutzbar machen möchte.

200  Zwei unterschiedliche thematische Relationen

vozieren: Paul und der Tisch wiegen jeder 85 kg. Damit ist bewiesen, dass von der Wahrnehmungsfähigkeit des Subjektreferenten bei wiegen abstrahiert wird. Anders liegt der Fall bei einem Prädikat wie krank sein. Obwohl es, verwendet in einem Satz wie Paul ist krank, keinen Schluss darüber zulässt, ob Paul ein Bewusstsein davon hat, dass er krank ist, setzt es doch voraus, dass der Zustandsträger animat und wahrscheinlich sogar ein Mensch ist. Diese Form von semantischer Voraussetzung ist als Präsupposition fassbar (im Kontext von Argumentspezifikationen durch einen prädikativen Ausdruck ist auch oft von „Selektionsbeschränkungen“ die Rede). Aus der Anwendung des Prädikats krank sein f ol gt nicht, dass der Zustandsträger, auf den dieses Prädikat zutrifft, animat oder ein Mensch ist, sondern die geglückte Anwendung des Prädikats se tz t v or au s , dass der Zustandsträger ein Mensch oder zumindest animat ist. Demzufolge enthält ein Satz wie Der Tisch ist krank eine Präsuppositionsverletzung, wenn der Tisch nicht als Kennzeichnung eines belebten Referenten verwendet wird (oder als solche verstanden wird).4 Man kann also – mit einem bestimmten theoretischen Verständnis von Präsuppositionen – auch sagen, dass ein Satz – etwa Paul ist krank – überhaupt nur dann als wahr oder falsch bewertet werden kann, wenn all seine Präsuppositionen erfüllt sind – etwa dass Paul ein Mensch oder zumindest animat ist. Eine weitere Möglichkeit der Signalisierung von Wahrnehmungskategorien liegt bei Verben wie aufwachen vor. Das Verb aufwachen impliziert, dass der Subjektreferent in einen wachen Zustand übergeht, also in einen Zustand, in dem er sich Rechenschaft über seine Wahrnehmungen bzw. mentalen Repräsentationen ablegen kann, und es setzt voraus (präsupponiert), dass er zuvor in einem nicht oder nur eingeschränkt wahrnehmungsfähigen Zustand war (und natürlich, dass er grundsätzlich wahrnehmungsfähig ist). Die Ausbuchstabierung der Wahrheitsbedingungen eines Satzes mit aufwachen nimmt also Bezug auf den Wahrnehmungsstatus des Subjektreferenten im Resultatszustand (wach sein). Deswegen ist ein Satz wie Paul wachte auf einfach falsch, wenn Paul nicht in den Zustand des wachen, bewussten Wahrnehmens übergewechselt ist (wohingegen Der Tisch ist krank unter normalen Bedingungen verunglückt).  4 Für unsere Zwecke reicht der Konditionaltest zur Feststellung von Präsuppositionen aus: Bei Einbettung in einen falls-Satz bleiben Präsuppositionen erhalten, während Implikationen/entailments verloren gehen. So bleibt in Falls Paul der Kleiderpuppe auf den Fuß getreten ist … die (präsupponierte/akkommodierte) Information erhalten, dass die Kleiderpuppe offenbar wahrnehmungsfähig ist; ob Paul ihr jedoch wirklich auf den Fuß getreten hat, bleibt offen. D. h. die Implikationen der entsprechenden Assertion Paul ist der Kleiderpuppe auf den Fuß getreten sind im falls-Satz nicht vorhanden. Vgl. z. B. in der Folge von Frege ([1892] 1986) und Strawson (1950) summarisch Heim & Kratzer (1998: 75-80, 159-172) zum Präsuppositionsbegriff sowie 2.3.

Zwei unterschiedliche thematische Relationen  201

Als wären das nicht schon genug Arten des Verhältnisses zwischen Wahrnehmung(sfähigkeit) von Referenten und linguistisch vermitteltem (Nicht-)Bezug darauf, ist es nötig, noch eine weitere Art dieses Verhältnisses zu unterscheiden. Zu diesem Zweck wollen wir uns (10.8) genauer ansehen. (10.8) Pauli war bewusst, dass eri Emmas Geburtstag vergessen hatte. (10.8) präsupponiert, dass Paul Emmas Geburtstag vergessen hat. Wenn er den Geburtstag nicht vergessen hat, macht es keinen Sinn, sich Gedanken über die Wahrheit von (10.8) zu machen; der Satz hat dann keinen Wahrheitswert. Nehmen wir an, Paul hat den Geburtstag tatsächlich vergessen, und Sprecher und Hörer wissen das. Die Präsupposition, dass Paul den Geburtstag vergessen hat, ist also erfüllt. Damit (10.8) im Hinblick auf seine Wahrheit oder Falschheit bewertet werden kann, müssen nun auch noch die Präsuppositionen erfüllt sein, die an den Gebrauch des Dativs im Matrixsatz geknüpft sind. Auch in (10.8) ist für den Dativreferenten von war bewusst präsupponiert, dass er ein Mensch oder animat ist. Das ist so wie bei der Präsupposition für den Subjekreferenten bei krank sein. Außerdem wird durch war bewusst präsupponiert, dass Paul in einem Zustand ist, in dem er ein Bewusstsein mentaler Repräsentationen hat. Was bei war bewusst noch zusätzlich hinzukommt, ist, dass impliziert wird, dass der Dativreferent eine mentale Repräsentation eines bestimmten Sachverhalts hat, nämlich des präsupponierten Sachverhalts, der im dass-Satz ausgedrückt ist. Die vier Arten, wie Prädikate mit Referenteneigenschaften, die Wahrnehmung und mentale Repräsentationen davon betreffen, interagieren können, ist in Tabelle 10.2 noch einmal zusammengefasst. Die beiden unteren Fälle in Tabelle 10.2 (exemplifiziert durch aufwachen und jdm. bewusst sein) unterscheiden sich oberflächlich betrachtet nicht grundsätzlich; bei beiden ist eine Präsupposition mit Wahrnehmungsbezug kombiniert mit einer Implikation/einem entailment mit Bezug auf mentale Repräsentationen. Der Unterschied liegt im Inhalt der Implikation, denn im bewusst-seinFall nimmt die Implikation Bezug auf die mentale Repräsentation des Sachverhalts, der im Teilsatz ausgedrückt wird; es liegt nicht nur – wie bei aufwachen – eine Implikation über mentale Repräsentationen als solche vor. Nach diesem allgemeinen Exkurs über verschiedene Arten des Bezugs auf die Wahrnehmungsfähigkeit und mentale Repräsentationen von Argumentreferenten können wir uns in 10.2.3 die entsprechenden Fragen zu den freien Dativen vorlegen.

Implikation

‘Argumentreferent ist nach einer Zustandsveränderung in einem Zustand, in dem er sich Rechenschaft über seine mentalen Repräsentationen ablegen kann.’

eine Präsupposition

eine Implikation (ein entailment)

…wacht auf.

…ist bewusst, dass …

Präsupposition

‘Argumentreferent wird vom Sprecher behandelt als bei den Diskursteilnehmern bekannt (i) als wahrnehmungsfähig und (ii) als vor der Zustandsveränderung in einem Schlaf- oder Bewusstlosigkeitszustand befindlich.’

eine Präsupposition

‘Argumentreferent hat eine mentale Repräsentation Implikation des Sachverhalts des Komplement-Satzes, über die er sich Rechenschaft ablegen kann.’

eine Implikation (ein entailment)

Präsupposition

‘Argumentreferent wird vom Sprecher behandelt als bei den Diskursteilnehmern als wahrnehmungsfähig bekannt.’

Präsupposition

eine Präsupposition

‘Argumentreferent wird vom Sprecher behandelt als bei den Diskursteilnehmern als wahrnehmungsfähig bekannt.’

n.a.



…ist krank.

[keine Aussage über Wahrnehmung, Wahrnehmungsfähigkeit oder mentale Repräsentationen des Argumentreferenten]

DER

keine Implikation oder Präsupposition

BEI NICHTZUTREFFEN

…wiegt 85 kg.

ENTAILMENTS) BZW.

DAS PRÄDIKAT ENTHÄLT IM HINBLICK AUF DIE WAHRNEHMUNG(SFÄHIGKEIT) ODER DIE MENTALEN REPRÄSENTATIONEN DES ARGUMENT-REFERENTEN… .

BEISPIEL

PARAPHRASE DER IMPLIKATION (DES DER PRÄSUPPOSITION

Tab. 10.2: Arten des Bezugs auf die Wahrnehmung und die Wahrnehmungsfähigkeit von Argumentreferenten

.

falsche Aussage

Präsuppositionsverletzung bzw. Akkommodation

falsche Aussage

Präsuppositionsverletzung bzw. Akkommodation

Präsuppositionsverletzung bzw. Akkommodation

n.a.

EINE…

RESULTIERT

202  Zwei unterschiedliche thematische Relationen

Zwei unterschiedliche thematische Relationen  203

10.2.3 Präsupponierte Wahrnehmungsfähigkeit und implizierte Sachverhaltswahrnehmungsmöglichkeit bei P-EXPERIENCER-Dativen Es kann als Ergebnis der Diskussion in 10.2.1 schon als gesichert gelten, dass (absägen/einbauen-Dative, wachsen/bröckeln-Dative und amFuß-kleben-Dative) nichts über die Wahrnehmung oder die mentalen Repräsentationen der Dativreferenten signalisieren; man kann sie zur obersten Zeile von Tabelle 10.2 stellen. Die P-EXPERIENCER-Dative stellen die weniger eindeutigen Fälle dar, insbesondere die treten-Dative, die stricken/sauberwischen-Dative, die auf-den-Fuß-fallen-Dative und die sich-öffnen-Dative. (10.9) führt noch einmal einschlägige Beispiele an. LANDMARKEN-Dative

(10.9) a. b. c. d.

Emma trat Paul auf den Fuß. Emma strickte Paul Socken. Emma fiel die Vase auf den Fuß. Plötzlich öffnete sich Emma ein Ausweg.

In allen Sätzen in (10.9) besteht eine Präsupposition, dass der Dativreferent wahrnehmungsfähig ist. Das ist der Grund dafür, dass für inanimate Referenten in entsprechenden Sätzen Personifikationslesarten akkommodiert werden müssen, um die Sätze vor dem Verunglücken zu bewahren (vgl. (10.4) bis (10.6), hier wiederholt als (10.10) bis (10.12)). (10.10) Der Ledersohle war der Boden zu glatt. präsupponiert/akkommodiert: ‘Die Ledersohle ist wahrnehmungsfähig.’ (10.11) Paul trat der Kleiderpuppe auf den Fuß. präsupponiert/akkommodiert: ‘Die Kleiderpuppe ist wahrnehmungsfähig.’ (10.12) Paul kochte den Pfannkuchen eine gute Schokoladensauce. präsupponiert/akkommodiert: ‘Die Pfannkuchen sind wahrnehmungsfähig.’ Ist das womöglich schon alles, was über die Dative mit Wahrnehmungsbezug gesagt werden muss? Reicht es also aus, freie Dative thematisch danach zu klassifizieren, ob mit ihnen eine Animatheits- und damit auch eine Wahrnehmungsfähigkeits-Präsupposition- einhergeht? Einige Fakten sprechen dagegen. Widerstreitende Evidenz zur „Nur-Präsupposition-s-Annahme“: Die Evidenz für oder gegen die Annahme einer bloßen Präsupposition von Wahrnehmungsfähigkeit für P-EXPERIENCER erweckt zunächst den Eindruck eines Widerspruchs.

204  Zwei unterschiedliche thematische Relationen

Einerseits gilt, dass besser verstandene Bedeutungsbestandteile thematischer Relationen immer Implikationen/entailments einzelner Sachverhalte sind, und keine Präsuppositionen bezüglich des ontologischen Status, den der sachverhaltsbeteiligte Referent hat.5 Das heißt, dass gut verstandene thematische Eigenschaften solche sind, die Referenten Eigenschaften a ls be t ei li g t a n e i ne m b es t i m m t en S a chve r ha lt (nämlich in dem in der jeweiligen Prädikation beschriebenen) zuschreiben. So impliziert in dem Satz Emma hat Paul den Stift weggenommen die AGENS-Rolle von Emma nicht, dass Emma grundsätzlich nur willentlich an Sachverhalten beteiligt ist, sondern dass sie an dem Sachverhalt, auf den sich der Satz bezieht, willentlich beteiligt ist. Anders gesagt: Thematische Eigenschaften sind nicht als ontologische Referenteneigenschaften definiert, sonders als Sachverhaltsbeteiligungseigenschaften je einzelner sprachlich kodierter Sachverhalte.6 Das folgt schon aus der weit verbreiteten Sicht, thematische Rollen als Relationen zwischen Individuen und Sachverhalten zu fassen, der wir uns (unter den besonderen Vorzeichen der gewählten Implementierung) hier anschließen. Demzufolge würde man erwarten, dass alle P-EXPERIENCER-Dative die betreffenden Sachverhalte tatsächlich wahrnehmen müssen. (10.13) versammelt Beispiele, die gegen diese Verallgemeinerung sprechen. (10.13) a. Paul merkte nicht, dass ihm die Decke weggezogen wurde. b. Emma merkte nicht, dass ihr jemand auf den Fuß trat. c. Tobias erfuhr nie, dass Emma ihm einen Pullover gestrickt hatte. In allen Sätzen in (10.13) wird im einbettenden Satz assertiert, dass die Dativreferenten keine Kenntnis von dem relevanten Sachverhalt des jeweils eingebetteten Teilsatzes haben. Wenn der Gebrauch von P-EXPERIENCER-Dativen mit notwendigen bewussten mentalen Repräsentation der jeweiligen Sachverhalte einherginge, müssten die Sätze in (10.13) kontradiktorisch sein. Das sind sie nicht, also kann keine allgemeine mentale Sachverhaltsrepräsentations-Implikation- für P-EXPERIENCER bestehen.7  5 Vgl. unter vielen, aber besonders weit rezipiert Dowty (1991: 574), der von (Proto-Role) e ntailment s spricht. 6 Vgl. Dowty (1991: 575). Allerdings schwankt Dowty, wie auch Engelberg (2000: 190) feststellt, bei der Festlegung, ob nicht doch auch sachverhaltsunabhängige Referenteneigenschaften thematische Prädikate sein können. Diese Möglichkeit schließe ich aus. 7 Es scheint zunächst so, als lieferten Sätze wie in (i) noch stärkere Evidenz dafür, dass PEXPERIENCER-Dative auch dann oft gut sind, wenn ihnen lokal, also qua Nominalsemantik, die mentale Sachverhaltsrepräsentation abgesprochen wird; vgl. (i) mit den Dativ-DPs dem Komapatienten und der Verstorbenen.

Zwei unterschiedliche thematische Relationen  205

Sind wir also trotz der zuvor angeführten allgemeinen Bedenken gegen präsupponierte und für Referenten konstant gegebene, also sachverhaltsunabhängige thematische Eigenschaften dazu gezwungen, für P-EXPERIENCER genau solche thematischen Eigenschaften anzunehmen? Oder anders gesagt: Ist es am Ende nur eine konversationelle Implikatur, dass wir normalerweise davon ausgehen, dass die Dativreferentin in einem Satz wie Er ist ihr auf den Mantel getreten das Auf-den-Mantel-getreten-Bekommen bemerkt? Ich glaube nicht. Drei Argumente für eine (modalisierte) Wahrnehmungsimplikation: Erstens gibt es die sich durch starke sprachliche Intuitionen ständig erneuernde Tradition, die darauf beharrt, dass viele Dative etwas über die mentale Repräsentation des relevanten Sachverhalts beim Dativreferenten aussagen. Zweitens brauchen wir für zu-steil/süß-Dative sowieso den Bezug auf die mentale Sachverhalts-Repräsentation beim Dativreferenten. Im Sinne einer möglichst sparsamen Ansetzung verschiedener thematischer Prädikate für Dative sollten wir so lange wie möglich versuchen, mit der geringeren Anzahl an Sachverhaltsbeteiligungstypen auszukommen. Drittens, und das ist ausschlaggebend, gibt es CoercionDaten, die man als eindeutige Evidenz für den positiven Bezug auf mentale Sachverhaltsrepräsentationen bei P-EXPERIENCER-Dativen werten muss. Diesen Typ Daten kann man gewinnen, wenn man freie Dative in Konstruktionen einfügt, die psychische, sich spontan ereignende Zustandsveränderungen im Bewusstsein eines Referenten beschreiben, der nicht der Dativreferent ist; vgl. (10.14). (10.14) a. Ich erschrak (*= Pihm) über seine Forderungen. b. Plötzlich hatte ich (*= Pihr) ihre Bestellungen vergessen. c. Ich entwickelte (*= Pihm) über Nacht ein schlechtes Gewissen.

 (i) a. Die Schwester streichelte dem Komapatienten über den Arm. b. Sie banden der Verstorbenen das Kinn hoch und zogen ihr den Ring ab.

Allerdings liegt hier wohl der Fall vor, dass für Wörter wie Komapatient und Verstorbener (bei letzterem wegen der deverbalen Bildung oder des erst kurz zuvor eingetretenen Todes?) einfach die Präsupposition der Wahrnehmungsfähigkeit noch gilt (so müsste man auch Wegeners 1985: 289–290 (42b′) behandeln). Das wird klar, wenn man Sätzen wie in (i) das Beispiel (ii) gegenüberstellt, das eine Personifikationslesart für der Leiche erzwingt. (ii) Die Schwester streichelte der Leiche über den Arm. Demnach geht mit dem Lexem Leiche keine linguistische Signalisierung von Wahrnehmungsfähigkeit einher, wohl jedoch mit Komapatient, Verstorbener (oder auch Schlafender, Bewusstloser).

206  Zwei unterschiedliche thematische Relationen Die zwei Verben erschrecken, vergessen und das Verb-Objekt-Gefüge ein schlechtes Gewissen entwickeln sind alle unakkusativ oder – je nach terminologischer Tradition – inchoativ, sie bezeichnen Sachverhalte, deren Ursache als ungeklärt dargestellt wird und die in einen Zustand münden (wobei ein schlechtes Gewissen entwickeln neben einer telischen Lesart auch eine rein durative Lesart hat, und zudem noch von jeder der beiden Varianten eine agentiv-kausative – in (10.14c) geht es uns um die nicht-agentive telische Lesart, bei der über Nacht ein voll entwickeltes schlechtes Gewissen entstanden ist). Alle drei Zustandsveränderungen finden im Bewusstsein des jeweiligen Subjektreferenten statt. Im normalen Gebrauch lassen Prädikate wie erschrecken, vergessen oder ein schlechtes Gewissen entwickeln den Gebrauch freier Dative nicht zu. Das illustrieren die Varianten in (10.14) mit Dativ und Ungrammatikalitätsbewertung (die guten Lesarten werden gleich im Anschluss diskutiert). Wenn man nicht sagen kann (und das haben wir bereits hinreichend gezeigt), dass der Gebrauch von P-EXPERIENCER-Dativen impliziert, dass die Dativreferenten immer eine mentale Repräsentation der betreffenden Sachverhalte haben, dann mag doch immer noch impliziert sein, dass Individuen vom Wahrnehmungs- und Bewusstseinstyp der P-EXPERIENCER-Referenten Sachverhalte wie diejenigen, die in den betreffenden Sätzen beschrieben werden, doch zumindest wahrnehmen können müssen. Anders gesagt: P-EXPERIENCER-Dative können dann gebraucht werden, wenn es eine Kontextualisierung des betreffenden Satzes gibt, in der der Dativreferent den jeweiligen Sachverhalt wahrnimmt. Diese Hypothese wird gestützt durch die bereits angekündigten Sonderlesarten der Sätze in (10.14), in denen die Dative akzeptabel sind. Wenn z. B. der Sprecher in (10.14a) deutliche äußere Anzeichen des Erschreckens zeigt, weil er weiß, dass der Dativreferent diese Anzeichen erwartet oder sich wünscht – etwa in einer taktisch geführten Preisverhandlung – dann ist der Gebrauch des Dativs völlig angemessen. In etwas anderer Weise wird (10.14b) dann gut, wenn man vergessen hier in einer ganz bestimmten Kontextualisierung nicht als rein psychisches Verb auffasst, sondern in der Bedeutung ‘vergessen mitzubringen’. Es mag z. B. sein, dass (10.14b) eine Stufe in einem eskalierenden Ehestreit charakterisiert. Die Ehefrau des Sprechers beharrt darauf, ihrem Ehemann den Auftrag gegeben zu haben, Bestellungen abzuholen. Weil er ohne die Bestellungen zurückgekommen ist, wirft sie ihm vor, den Auftrag vergessen zu haben, aber der Ehemann ist sich keiner Schuld bewusst. Dieser Sachverhalt kann aus der Perspektive des Mannes wahrheitsgemäß und geglückt mit (10.14b) mit dem Dativargument beschrieben werden. Auch in diesem Szenario ist das Vergessen für die Dativreferentin wahrnehmbar und mit einer mentalen Repräsentation des Sachverhalts verbunden, denn es geht ja um das Nicht-Mitbringen der Bestellungen und nicht um einen rein psychischen Vorgang. (10.14c) schließlich kon-

Die Modellierung der P-EXPERIENCERschaft  207

textualisiert sich leicht in einem Szenario, in dem der Sprecher bereits einige Erfahrung im Umgang mit Betreuern, Sozialarbeitern oder Therapeuten mitbringt und weiß, dass er durch das Nach-außen-Kehren seines schlechten Gewissens einen gewissen Zweck in der Interaktion mit dem Dativreferenten erreichen kann. Auch hier wird das Prädikat, das eigentlich einen inneren psychischen Vorgang bezeichnet, verstanden als etwas durch andere Wahrnehmbares oder an sie Kommunizierbares. Wohlgemerkt, für keine dieser Sonderlesarten ist impliziert, dass der Dativreferent die betreffenden Sachverhalte tatsächlich wahrnimmt. Vielmehr werden die Sachverhalte so verstanden, dass sie für die Dativreferenten nur grundsätzlich wahrnehmbar sind. Wir können jetzt also unsere Frage beantworten, was der Gebrauch eines PEXPERIENCER-Dativs über die Wahrnehmungseigenschaften des Dativreferenten und die mentale Sachverhaltsrepräsentation beim Dativreferenten aussagt. Eine Assertion mit einem P-EXPERIENCER-Dativ präsupponiert, dass der Dativreferent prinzipiell wahrnehmungsfähig ist; und eine Assertion mit einem P-EXPERIENCERDativ impliziert, dass der Dativreferent in mindestens einem Kontext, in dem der betreffende Satz verwendet werden kann, eine mentale Repräsentation des assertierten Sachverhalts hat. Dass sich diese Präsupposition und diese Implikation empirisch auseinanderhalten lassen, haben wir oben gezeigt. Wenn wir abschließend noch einmal einen Abgleich mit Tabelle 10.2 vornehmen, wird deutlich, dass der Wahrnehmungs- und Mentale-Repräsentationenbezug von P-EXPERIENCER-Dativen demjenigen des (selegierten) Dativargument-Referenten von bewusst sein am nächsten kommt. Auch bei diesem Ausdruck kombiniert sich eine Wahrnehmungsfähigkeitspräsupposition mit einer Implikation über die mentale Repräsentation des in der eingebetteten syntaktischen Struktur versprachlichten Sachverhalts. Es gibt allerdings einen Unterschied. Er besteht darin, dass bewusst sein die aktualisierte mentale Repräsentation impliziert, wohingegen P-EXPERIENCER-Dative nur die Möglichkeit der mentalen Repräsentation implizieren. Wie in 10.2.1 erläutert, stellen zu-steil/ süß-Dative den Grenzfall dar; eine mentale Repräsentation ist immer impliziert.

10.3 Die Modellierung der P-EXPERIENCERschaft Was wir als Ergebnis der Diskussion in 10.2 zu modellieren haben, ist schnell zusammengefasst. (10.15) a.

NICHTSIGNALISIERUNG VON WAHRNEHMUNGSEIGENSCHAFTEN LANDMARKEN-Dative signalisieren nichts über die Wahrnehmungseigenschaften des betreffenden Referenten.

208  Zwei unterschiedliche thematische Relationen

b.

SIGNALISIERUNG VON WAHRNEHMUNGSEIGENSCHAFTEN

(i)

P-EXPERIENCER-Dative präsupponieren, dass der betreffende Referent wahrnehmungsfähig ist. (ii) P-EXPERIENCER-Dative implizieren, dass der betreffende Referent eine mentale Repräsentation des betreffenden Sachverhalts haben kann.

In Kap. 11 wird der LANDMARKEN-Begriff diskutiert; hier soll es uns um die Explizierung der P-EXPERIENCERschaft gehen. Eine erste Formulierung der Denotation der P-EXPERIENCER-Rolle in Form eines Lambdaterms findet sich in (10.16). Wie üblich wird aus der Präsupposition eine Definitionsmengenbeschränkung und aus der Implikation eine Wahrheitsbedingung. Die Modalisierung bleibt noch unberücksichtigt. (10.16) OP-EXPERIENCERP ¼ λx : x ist wahrnehmungsfähig . λe . x hat eine mentale Repräsentation von e (vorläufig) Eine Hinsicht, in der (10.16) verbessert werden muss, betrifft die Explizierung eines weiteren Sachverhalts, und zwar des Sachverhalts, der ein Sachverhalt des Eine-mentale-Repräsentation-von-e-Habens durch x ist. Schließlich nehmen Wahrnehmungssachverhalte auf ein Wahrnehmensereignis Bezug, und der wahrgenommene Sachverhalt ist verschieden von diesem Wahrnehmungsereignis. Eine in dieser Hinsicht verbesserte Version ist in den beiden Varianten von (10.17) angeführt. (10.17) OP-EXPERIENCERP a. ¼ λx : x ist wahrnehmungsfähig . λe . 9s[x hat eine mentale Repräsentation von e(s)] b. ¼ λx : x ist wahrnehmungsfähig . λe . 9s[s ist ein Zustand des Einementale-Repräsentation-von-e-durch-x-Habens] (vorläufig) Die beiden Versionen in (10.17) sind äquivalent. In der a-Version kommt an einer Stelle die Prädikatsnotation mit runden Klammern zum Einsatz, behält dadurch aber sonst eine natürlichsprachlich glatte Form. In der b-Version ist die Prädikation von s expliziert, was natürlichsprachlich nur unter Inkaufnahme eines sehr komplexen phrasalen Kompositums zu erreichen ist. So wie die P-EXPERIENCERschaft momentan gefasst ist, ist nicht gewährleistet, dass die mentale Repräsentation ein Ereignis zum Gegenstand hat, das im Mo-

Die Modellierung der P-EXPERIENCERschaft  209

ment der mentalen Repräsentation gilt. (10.17) würde es auch zulassen, dass sich der P-EXPERIENCER nur an e erinnert oder e gedanklich antizipiert. (10.18) behebt diesen Mangel durch eine zeitliche Überlappungsbedingung für e und s. (10.18) Für beliebige te , ts gilt: OP-EXPERIENCERP te;ts a. ¼ λx : x ist wahrnehmungsfähig . λe . 9s[te kts !Q & x hat eine mentale Repräsentation von e(s)] b. ¼ λx : x ist wahrnehmungsfähig . λe . 9s[e und s überlappen sich zeitlich & s ist ein Ereignis des Eine-mentale-Repräsentation-von-edurch-x-Habens] (vorläufig) Die Überlappungsrelation könnte noch etwas genauer gefasst werden z. B. in dem Sinne, dass s, der Wahrnehmungssachverhalt, nicht vor e anfangen kann. Um die Denotation auch angesichts der weiteren noch nötigen Verfeinerungen übersichtlich zu halten, verzichte ich auf eine genaue Notation der Überlappungsbedingungen und fasse die besonderen Überlappungsbedingungen durch das Prädikat des EXP(ERIENCER)-Überlappens, notiert als indizierter Mengendurchschnitt „kEXP “ wie in (10.19). (10.19) Für beliebige te , ts gilt: OP-EXPERIENCERP te;ts a. ¼ λx : x ist wahrnehmungsfähig . λe . 9s[tekEXP ts ! Q & x hat eine mentale Repräsentation von e(s)] b. ¼ λx : x ist wahrnehmungsfähig . λe . 9s[e und s EXP-überlappen sich zeitlich & s ist ein Zustand des Eine-mentale-Repräsentation-von-edurch-x-Habens] (vorläufig) Um sowohl statische als auch dynamische Sachverhalte abdecken zu können, brauchen wir zwei Varianten des P-EXPERIENCER-Morphems; eine Variante für Fälle wie Er massierte ihr den Rücken, und eine für Fälle wie Ihm war der Joghurt zu süß. Diese Aufspaltung wird in (10.20) durchgeführt. Ab jetzt notiere ich nur noch in der verknappten Notationsweise wie z. B. in (10.19a).8  8 Statt diese Polysemie des P-EXPERIENCER-Morphems anzunehmen, könnte man auch eine Sachverhaltsvariable annehmen, die Zustände und Ereignisse zusammenfasst. Solch ein einheitlicher Lexikoneintrag mit einer entsprechenen Variable u ist in (i) angegeben.

(i) Für beliebige tu , ts gilt: OP-EXPERIENCERP tu;ts ¼ λx : x ist wahrnehmungsfähig . λu . 9s[tukEXP ts ! Q & x hat eine mentale Repräsentation von u(s)]

210  Zwei unterschiedliche thematische Relationen

(10.20) a. [dynamischer wahrgenommener Sachverhalt] Für beliebige te , ts gilt: OP-EXPERIENCERP te;ts ¼ λx : x ist wahrnehmungsfähig . λe . 9s[tekEXP ts ! Q & x hat eine mentale Repräsentation von e(s)] b. [statischer wahrgenommener Sachverhalt] Für beliebige ts , tsʹ gilt: OP-EXPERIENCERP ts;tsʹ ¼ λx : x ist wahrnehmungsfähig . λs . 9s′[tskEXP ts′ ! Q & x hat eine mentale Repräsentation von e(s′)] (vorläufig) Anhand von Beispielen wie Paul merkte nicht, dass ihm die Decke weggezogen wurde in (10.13) oben hatten wir diskutiert, dass P-EXPERIENCER nicht grundsätzlich eine mentale Repräsentation des relevanten Sachverhalts haben. Es muss sich nur um einen Sachverhalt handeln, der von einem Typ ist, dass der P-EXPERIENCER den Sachverhalt wahrnehmen k a nn unabhängig von der konkreten Situation, die in der Ereignisbeschreibung der VP beschrieben wird. Diese Komponente kommt in (10.20) noch nicht zum Ausdruck. Ich fasse diese Unbestimmtheit in der Aktualisierung der Sachverhaltswahrnehmung als Implikation/entailment in natürlicher Sprache wie in (10.21). Der Begriff der „zirkumstantiellen Möglichkeit“ bezieht sich mit Kratzer (1981, 1991) auf eine Möglichkeit, die aufgrund der sachlichen Gegebenheiten der betreffenden Situation vorliegt. (10.22) gibt die endgültigen Lexikoneinträge für die dynamische und die statische P-EXPERIENCER-Morphemvariante an. (10.21) Implikative EXPERIENCER-Beteiligung Wenn x Teil des vP-Sachverhalts e oder s ist, dann besteht die zirkumstantielle Möglichkeit, dass x eine mentale Repräsentation von e bzw. s hat. (10.22) a. [dynamischer wahrgenommener Sachverhalt] Für beliebige te , ts gilt: OP-EXPERIENCERP te;ts ¼ λx : x ist wahrnehmungsfähig . λe . x ist Teil von e ! möglichZIRK [9s[tekEXP ts ! Q & x hat eine mentale Repräsentation von e(s)]] b. [statischer wahrgenommener Sachverhalt] Für beliebige ts , tsʹ gilt: OP-EXPERIENCERP ts;tsʹ ¼ λx : x ist wahrnehmungsfähig . λs . x ist Teil von e ! möglichZIRK [9sʹ[tskEXP ts ! Q & x hat eine mentale Repräsentation von e(sʹ)]] (endgültig)

Die Modellierung der P-EXPERIENCERschaft  211

Die implikative Ausbuchstabierung der P-EXPERIENCER-Beteiligung leistet Folgendes. (i) Das Antezedens der Implikation lässt es offen, ob der P-Experiencer überhaupt Teil des vP-Sachverhalts ist. Wenn Paul einen Kuchen backt, um ihn Maria später zu schenken, Maria aber nicht dabei ist und nie etwas von diesem Sachverhalt erfährt (vielleicht weil der Kuchen missrät und Paul lieber nichts erzählt), kann man trotzdem während des Backens wahrheitsgemäß sagen: Paul backt Maria gerade einen Kuchen. (ii) Für den Fall, dass Maria anwesend ist während des Backens, stellt die Assertion der zirkumstantiellen Möglichkeit im Konsequens sicher, dass es sich um einen Sachverhalt handelt, der aufrund seiner physikalischen Beschaffenheit, Sichtbarkeit etc. so beschaffen ist, dass Maria eine kognitive Repräsentation von ihm haben kann. Die Möglichkeitskomponente in dieser Wahrheitsbedingung ist dazu da, Fälle wie den des unbemerkten Decke-Wegziehens abzudecken. In solch einem Fall ist die P-Experiencer-Person, die die Decke weggezogen bekommt, sicherlich Teil des Sachverhalts; aber sie muss eben nicht notwendigerweise merken, was passiert. (10.22) stellt das Genaueste dar, was in dieser Studie über die Semantik des P-EXPERIENCER-Morphems ausgesagt wird.9 Die Denotation ist von einer Art, dass sie ohne Weiteres oberhalb der VP in die Struktur kommen kann. Beispiele für Ableitungen finden sich in 12.3.

 9 Ich vermeide hier eine mögliche-Welten-semantische Implementierung. Das scheint gerechtfertigt, weil der Möglichkeitsoperator sich nur als Ergebnis der Dekomposition von P-EXPERIENCER ergibt. Nach „außen“ hin ist die Modalisierung irrelevant.

11 Die 11.1

LANDMARKEN-Relation

LANDMARKEN-Dative

LANDMARKENschaft,

von Dativen

intuitiv

wie wir sie in diesem Kapitel analysieren, ist eine Lokalisierungsrelation: Dativreferenten, die LANDMARKEN sind, müssen den räumlichen Bezugsrahmen für den Sachverhalt im Prädikat und für die Sachverhaltsbeteiligten definieren. Wenn Paul sich an Karneval als Pinocchio verkleidet, seine Nase aber unbemerkt abfällt, auf dem Boden zurückbleibt und später jemand auf die Nase tritt, kann man nicht sagen, dass jemand Paul auf die Nase getreten ist. Das liegt daran, dass in diesem Szenario zum Zeitpunkt des Auf-die-Nase-Tretens keine räumliche Beziehung zwischen Paul und der Nase einerseits und dem Ereignis des Auf-die-Nase-Tretens andererseits bestand. Wenn hingegen die Nase gerade erst abgefallen ist und Paul noch anwesend ist, ist es möglich zu sagen, dass jemand Paul auf die Nase getreten ist. So einfach die Feststellung dieser grundsätzlich lokalen Semantik von LANDMARKEN-Dativen ist, so komplex ist das sich um diesen lokalen Kern herumlagernde Muster aus Eigenschaften, die außerdem noch auf die LANDMARKEN-Relation zutreffen. Die vielleicht verblüffendste und gleichzeitig subtilste weitere Eigenschaft betrifft die mögliche lokale Verortung des LANDMARKEN-Dativreferenten selbst. Der Dativreferent lokalisiert zwar etwas, aber er selbst muss auch durch satzgrammatisch zu repräsentierendes Material lokalisiert sein. Anders gesagt: Referenten von LANDMARKEN-Dativen müssen auf irgendeine Weise im Satz an den Ort weiterer Referenten angebunden werden, die auch im Diskursuniversum präsent sind. Das Besondere ist, dass diese Anbindung nicht dem Schließen kooperativer Diskursteilnehmer überlassen bleiben kann, sondern dass hier ein satzgrammatisches Erfordernis vorliegt. Neben dieser gleichzeitig wichtigen und sich leicht entziehenden Eigenschaft werden wir im Detail diskutieren, dass LANDMARKEN-Referenten Ganze sein müssen. Wenn man ein Nomen, das per Lexikoneintrag oder Weltwissen einen Teil von etwas beschreibt, als LANDMARKEN-Dativ verwendet, schlägt die Lesart sofort so um, dass der vermeintliche Teil als losgelöstes Ganzes empfunden wird. Wenn man z. B. sagt, dass man einer Hand die Finger verbindet, assoziiert man damit besonders leicht ein Szenario, in dem eine abgetrennte Hand, vielleicht von einer Skulptur, betroffen ist, nicht aber eine Hand, die Teil eines intakten menschlichen Körpers ist. LANDMARKEN-Dative gehen immer mit einer „geschachtelten“ Raumstruktur einher: Der Dativ lokalisiert einen Sachverhalt, und dieser Sachverhalt muss wieder ein Lokalisierungssachverhalt sein. Wenn Paul Nico eine Decke über die Beine legt, wird das Decke-über-die-Beine-Legen in Bezug auf die räumliche La-

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  213

ge von Nico verortet. Das ist die Dativ-LANDMARKEN-Situierung. Zusätzlich wird aber auch noch ausgesagt, dass die Decke sich als Ergebnis der Handlung in einem räumlichen Verhältnis zu Nicos Beinen befindet: Sie liegt auf ihnen. Das ist die unterhalb des LANDMARKEN-Dativs eingebettete örtliche Beziehung, die wir grundsätzlich nachweisen werden. Um das tun zu können, müssen wir auch in Fällen, in denen nur ein Argument unterhalb des Dativs vorkommt, die semantische Wirksamkeit eines weiteren Arguments in den Wahrheitsbedingungen nachweisen, denn lokale Beziehungen bestehen immer zwischen zwei Referenten. Ein sehr eingängiger Fall mit implizitem Referentenbezug ist ein Satz wie Paul tritt Nico auf den Mantel. Wenn Nico als LANDMARKE das Auf-seinen-Mantelgetreten-Bekommen lokal verortet, stellt das Verb treten die Information bereit, dass dasjenige, was sich kurzzeitig auf Nicos Mantel befand, ein Fuß war, und demzufolge besteht die relevante lokale Beziehung zwischen Pauls Fuß und Nicos Mantel. Nicht alle Fälle impliziten Bezugs auf lokalisierte Referenten sind so offensichtlich, aber wir werden behaupten, dass ein entsprechender Bezug immer vorhanden ist. Die sprachliche Kodierung räumlicher Beziehungen ist ein Standardthema der kognitiven Grammatik, und ein Ziel der Explizierung der LANDMARKENschaft wird es sein, Einsichten der kognitiven Grammatik für die formale Semantik nutzbar zu machen bzw. Konzepte der kognitiven Grammatik wie Figur und Grund oder trajectory und landmark zunächst einmal als sinnvolle und semantisch eindeutig fassbare Kategorien zu etablieren. In diesem Sinne machen wir uns im deskriptiven Teil des vorliegenden Kapitels an vielen Stellen die intuitiv leicht zugängliche gestalttheoretische Figur/Grund-Terminologie zunutze, bevor wir diese Dichotomie in der Implementierung auf eine asymmetrische Lokalisierungsrelation zwischen einem Individuum und einem Sachverhalt zurückführen.

11.2

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen

11.2.1 Sprachlich kodierte Figur-Grund-Konfigurationen als situierte Zustände Ein einfaches Figur/Grund-Schema: In Satz (11.1) wird ein räumliches Verhältnis zwischen einem Haus und einem Fahrrad beschrieben. (11.1) Vor einem Haus steht ein Fahrrad. In einem ganz wörtlichen Sinne bildet das Haus den Hintergrund für das Fahrrad (oder den Locus/Inner Locative Starostas 1978). Gleichzeitig liegt aber auch

214  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

ein abstrakteres Figur-Grund-Schema vor. Wahrnehmungspsychologisch (genauer: gestaltpsychologisch) gilt für den Grund in einer Figur-Grund-Konstellation, dass er weniger detailliert wahrgenommen wird, weniger scharf konturiert ist und als lokaler Referenzrahmen für die Figur dient. Die Figur hingegen, obwohl schärfer konturiert und im Fokus der Wahrnehmung, hängt in ihrer Verortung vom Referenzrahmen des Grundes ab.10 So beziehen sich ein Fahrrad und einem Haus in (11.1) nicht auf gleich gewichtete Bezugsobjekte. Das Fahrrad ist, obwohl es viel kleiner ist als das Haus, wichtiger. Wir können auch sagen, dass der Satz etwas über die Position eines Fahrrads aussagt, nicht aber über die eines Hauses – und das, obwohl es ein gültiger Schluss aus unserem Satz ist, dass das Haus sich hinter dem Fahrrad befindet, und das wäre eine Aussage über die Position des Hauses. Dass es sich bei (11.1) um eine Aussage über die Lage eines Fahrrads handelt, liegt daran, dass gar nicht das Haus und das Fahrrad direkt miteinander in Beziehung gesetzt werden, sondern das Fahrrad wird über die Vorderregion des Hauses, auf die durch den Gebrauch der Präposition vor Bezug genommen wird, nur indirekt mit dem Haus in Beziehung gesetzt (Bierwisch 1988, Kaufmann 1995a).11  10 Das Element ostensiver Definition, das oft in der Diskussion von Figur-Grund-Konfigurationen enthalten ist, mag in erster Linie ein Problem der Wahrnehmungspsychologie sein. Tatsächlich sind Gestalten und Figur-Grund-Beziehungen in der Wahrnehmungspsychologie bis heute nicht definiert, sondern bestenfalls einigermaßen zufriedenstellend charakterisiert (vgl. Goldstein 1997: 176–181). Für die Linguistik gilt – auch in ihren Axiomatisierung und Exaktheit anstrebenden Ausprägungen – oft dasselbe (vgl. folgendes Zitat aus Wunderlich 1991: 596: „Szenen, die von Sätzen wie [Der Ball ist unter dem Tisch] beschrieben werden, haben die Eigenschaft, dass ein Objekt (ein physikalisches Objekt oder ein Ereignis, das sogenannte target oder Thema) lokalisiert wird in Abhängigkeit von einem anderen Objekt (der sogenannten Landmarke oder dem Relatum). Damit die Lokalisierung gilt, ist es meistens der Fall, dass die Landmarke perzeptuell prominenter ist als das target (weniger beweglich oder größer oder auf andere Weise zugänglicher)“ (im Original: „Scenes described by sentences like [The ball is under the table] have the feature that one object (a physical object or event, the so-called target or theme) is located in relation to another object (the so-called landmark or relatum). For the location to be effective it is mostly the case that the landmark is perceptually more prominent than the target (less movable, or bigger, or in some other way more accessible).“ 11 Sprachen mit bestimmten postpositionsartigen Elementen lassen die über Nachbarschaftsregionen vermittelte Lokalisierung meist besser erkennen als Sprachen, die (fast) nur Präpositionen haben. So hat z. B. das Chinesische ein Paradigma von postponierten Nachbarschaftsregionenmarkern, die an nominale Ausdrücke suffigiert werden (oder in der expliziteren Variante mit ihnen komponiert werden). Diese komplexen Ausdrücke werden dann von der maximal unspezifischen lokalen Präposition zài als Komplement genommen. (i) versammelt einige Beispiele.

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  215

Die Vorderregion des Hauses ist eine „Nachbarschaftsregion“ des Hauses. Daraus resultiert ein asymmetrisches Verhältnis zwischen dem Haus und dem Fahrrad. Das Fahrrad ist das Situierte, der Raum vor dem Haus das Situierende, und das Haus trägt nur dazu bei, das Situierende referenziell oder konzeptuell zugänglich zu machen (Langackers 1993 Verhältnis von landmark und dominion). Ein einfach rekursives Figur-Grund-Schema: Figur-Grund-Konfigurationen weisen oft Rekursivität auf. Der Satz in (11.2) liefert ein Beispiel für eine geschachtelte Gestaltkonfiguration. (11.2) Am Ortseingang steht vor einem Haus ein Fahrrad. Wieder wird die Figur eines Fahrrads vor einem Haus verortet. Aber es kommt oberhalb des Hauses eine weitere Gliederungsebene hinzu, auf der nun das Haus zur Figur wird, während etwas anderes, nämlich der Ortseingang, den Grund liefert. An dieser Stelle müssen wir wieder unterscheiden zwischen (Hinter-)Gründen als solchen und Figuren, aus denen diese Gründe „abgeleitet“ werden. Denn bei genauer Betrachtung gilt wie schon analog bei der einleitenden Diskussion des Verhältnisses von Haus und Fahrrad in (11.1), dass der genaue Punkt oder die genaue Linie des Ortseingangs eine Figur ist, dass aber die Präpositionalphrase am Ortseingang auf einen räumlichen Bereich in der Nähe des Ortseingangs Bezug nimmt, der den Grund für das eingebettete Figur-Grund-Schema darstellt. Demnach können aus DPs, die sich auf Figuren beziehen, durch Kombination mit Präpositionen größere Ausdrücke, nämlich Präpositionalphrasen, werden, die auf gestaltpsychologische Gründe Bezug nehmen. Wir werden Figuren, die sekundär zur Gewinnung von Gründen dienen, als „Grundgeber“ bezeichnen. Die soeben skizzierte Gewinnung von Gründen aus Figuren durch Präpositionalphrasen wird für den Satz (11.2) in Diagramm 10.1 verdeutlicht. (Im Diagramm stehen Punkte für Figuren, und Rahmen begrenzen Gründe.12)  (i) UNSPEZIFISCHE

NOMINAL

NACHBARSCHAFTS-

PRÄPOSITION

REGIONENMARKER

zài [shāfa bei Sofa ‘auf/unter/im Sofa’

-shàng(mian)/-xià(mian)/-lĭ(mian)] -oben(Seite)/-unten(Seite)/-innen(Seite)

Vgl. Kracht (2002), Zhang (2002) oder Svenonius (2008, 2010) für neuere Ansätze zur semantischen und syntaktischen Analyse räumlicher PPs. 12 Ich weiche hier und im Folgenden von Langackers (1993) diagrammatischen Konventionen ab. Bei Langacker sind Figuren und Landmarken nur durch unterschiedliche Beschriftungen unterschieden. Unsere Konventionen erlauben es, die Unterscheidung mit rein diagrammatischen Mitteln zu repräsentieren.

216  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

Ortseingang Fahrrad Haus Diagramm 11.1: Figur-Grund-Konfiguration von (11.2)

Die Ortseingangs-Figur und die Haus-Figur in Diagramm 11.1 dienen nur dem sprachlich expliziten Aufspannen von Gründen in einer rekursiven Konfiguration. Für das Verständnis unserer Diagramme ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass es sich nicht um diagrammatisch visualisierte Darstellungen von Teil-Ganzes-Strukturen handelt. Wenn das der Fall wäre, müsste die Ortseingangsfigur Teil des von ihr aufgespannten Rahmens sein, oder doch zumindest direkt an ihn angrenzen (am Ortseingang). Stattdessen stellt die Linie vom Punkt zum Rechteck die (funktionale) Abbildung dar, die vom Figurreferenten zu dem Gültigkeitsbereich der eingebetteten Prädikation führt, und diese Abbildung erfolgt in unserem Beispiel durch die Präposition an/am.13 Für die Ortseingangsfigur in Diagramm 11.1 gilt innerhalb des weiteren Kontexts, in dem (11.2) geäußert werden mag, dass auch sie Figur vor einem Grund ist, denn Figuren hängen nie „in der Luft“. Aber der Grund der Ortseingangsfigur wird durch den weiteren Kontext gegeben und ist satzgrammatisch als Präsupposition vorgegeben. Wir werden unten auf durch den Diskurs vorgegebene Figur-Grund-Konfigurationen im Unterschied zu den Figur-Grund-Konfigurationen zurückkommen, die Teil der Assertion eines Satzes sind. Gestalten und Zustände: Mein Vorschlag zur semantischen Abdeckung gestaltpsychologischer Kategorien wird darin bestehen, stative Figur-Grund-Konstellationen vollständig mit (linguistisch besser verstandenen) Zuständen im potenziellen Gültigkeitsbereich erfüllter Präsuppositionen gleichzusetzen. Figur vor einem Grund zu sein bedeutet dann das gleiche wie ‘Zustandsträger innerhalb eines Gültigkeitsbereichs sein’ und Grund für eine Figur zu sein ist gleichbedeutend mit ‘den Gültigkeitsbereich für einen Zustand festlegen’ bzw. ‘eingrenzen, für welchen Bereich ein Zustand gilt’. Grundgeberschaft kann also zustandsterminologisch als Gültigkeitsbereichsgeberschaft bezeichnet werden. Ich werde in den folgenden deskriptiven Abschnitten immer die gestaltpsycho 13 Ich danke Thomas Weskott dafür, mich auf die unbeabsichtigte mereologische Lesart der Diagramme hingewiesen zu haben.

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  217

logische Terminologie verwenden, denn wir wollen es uns zunutze machen, dass die Figur/Grund-Terminologie gut intuitiv auffassbar ist. Ihre notorische Ostensivität – das heißt letztlich unklare Definition (vgl. Fn. 10) – wird dabei bewusst in Kauf genommen. Im Modellierungsteil werden wir die Figur-GrundKonfigurationen vollständig zustandssemantisch reduzieren. Ich nehme also den Standpunkt ein, dass gestaltpsychologische Kategorien schon allein deshalb ihren Platz in linguistischen Beschreibungen haben bzw. ohne Schaden für sie verwendet werden können, weil sie abbildbar sind auf besser verstandene semantische Kategorien. Die Diskussion der Vorbehalte, die in der Literatur gegen die Annahme von gestaltpsychologischen Kategorien im Kontext von Überlegungen über thematische Prädikate formuliert worden sind, erfolgt erst in 11.2.8 in Form eines Exkurses, und zwar nachdem wir die grundlegenden Generalisierungen über die zunächst gestalttheoretisch erschlossenen Eigenschaften von LANDMARKEN-Dativen eingeführt haben. An dieser Stelle soll die Parallelisierung gestaltpsychologischer und zustandssemantischer Kategorien nur vorläufig anhand des Beispiels (11.3) und von Diagramm 11.2 illustriert werden. (11.3) Auf einer Scheibe klebt ein Herzchen. Das Herzchen ist die letztlich relevante Figur der Figur-Grund-Konfiguration in (11.3). Zustandssemantisch ist dieses Herzchen ein Zustandsträger, denn es ist auf eine bestimmte und für die linguistische Repräsentation relevante Weise in Kontakt mit einem anderen Gegenstand, nämlich der Oberfläche der Scheibe.14 Die Oberfläche der Scheibe, auf die durch die Präpositionalphrase auf einer Scheibe als auf eine Nachbarschaftsregion der Scheibe Bezug genommen wird, ist der Grund der Figur-Grund-Konfiguration. Zustandssemantisch leistet die Oberfläche der Scheibe die Gültigkeitsspezifizierung für den Klebeort des Herzchens. Die Scheibe als ganze, über die ihre Oberfläche als Ort identifiziert wird, ist auch eine Figur, aber diese Figur steht wie der Ortseingang in (11.2) und Diagramm 11.1 außerhalb des durch (11.3) maximal aufgespannten Grundes. Demnach ist die Scheibe zwar ein Zustandsträger, aber keiner, dessen räumlich/zeitliche Situierung innerhalb des Satzes assertiert würde.

 14 Kleben ist ein Kontakt-Verb, das die Art und Weise des Aufrechterhaltens der Unterstützungsrelation zwischen einem Referenten und seiner Kontaktfläche spezifiziert (Kaufmann 1995a: 115–118). Bei Levin (1993: 162–164) heißen diese Verben „tape verbs“ und bilden eine Unterklasse der verbs of combining and attaching, wobei allerdings im Englischen im Unterschied zum Deutschen alle Verben dieser Klasse per Konversion aus Nomina abgeleitet sind.

218  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

Scheibe (unabhängig vom Satz verorteter Grundgeber) Herzchen (Figur)

Diagramm 11.2: Konfiguration von (11.3)

Es liegt in (11.3) also eine einfach geschachtelte Figur-Grund-Konfiguration vor. Zustandssemantisch liegt die Beschreibung eines Klebezustands für einen Zustandsträger (das Herzchen) vor, und die Eingrenzung des räumlichen Gültigkeitsbereichs dieses Zustands erfolgt mithilfe der Präpositionalphrase auf einer Scheibe. Ausgestattet mit diesen Hintergrundannahmen über gestaltpsychologische (und letztlich zustandssemantisch zu reduzierende) Kategorien können wir uns jetzt den freien Dativen zuwenden und ihre invariante Funktion in diesem Bereich erhellen, und zwar zunächst im Vergleich mit lokativischen PPs mit Possessoren.

11.2.2

LANDMARKEN-Dative

und lokativische PPs: Ähnlichkeiten und Unterschiede

An Beispiel (11.4) lässt sich gut einleitend illustrieren, was die freien Dative mit den zuletzt diskutierten Phänomenen zu tun haben. (11.4) (Dem) Paul klebt ein Herzchen auf der/seiner Nase. (Dem) Paul in (11.4) ist ein freier Dativ. (Vgl. das Kriterium in 1.2. Auf der Nase klebt ein Herzchen impliziert nicht, dass es einen Referenten gibt, dem das Herzchen auf der Nase klebt; die Nase könnte ja etwa von einer Statue abgefallen sein). Es handelt sich um einen am-Fuß-kleben-Dativ unserer Testbatterie. Der Referent Paul ist eine Figur der höchsten in der Assertion relevanten Gestaltgliederungsebene. Gleichzeitig definiert derselbe Referent aber auch den Grund der nächsttieferen Gestaltgliederungsebene, denn Pauls Nase hat Paul als Grundgeber. Demnach ist Paul ein Grundgeber für die zweithöchste Gestaltgliederungsebene. Wir können nun vorläufig Diagramm 11.2 an unsere neue Konfiguration anpassen; das zeigt Diagramm 11.3. Die Figur des Herzchens hat die Oberflächen-Nachbarschaftsregion- von Pauls Nase (den inneren Rahmen in Diagramm 11.3) als Grund. Dieser Grund

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  219

Paul

Herzchen Pauls Nase

Diagramm 11.3: Konfiguration von (11.4) (vorläufig)

wird über die Figur von Pauls Nase identifiziert. Damit ist auch Pauls Nase ein Grundgeber. Paul als Grund für die Figur seiner Nase wird durch den mittleren Rahmen repräsentiert. Paul als Figur der obersten Gestaltgliederungsebene ist als Punkt dargestellt (vgl. die Diskussion nach (11.5) für die Erklärung, wieso die Figur Paul wiederum in einen Rahmen eingeschlossen ist). Wir wollen diese Gestaltgliederung jetzt mit derjenigen eines vergleichbaren Satzes ohne freien Dativ kontrastieren. (11.5) ist solch ein Beispiel. (11.5) Auf Pauls Nase klebte ein Herzchen. Wenn wir die Gestaltgliederung von (11.5) explizieren, erhalten wir oberflächlich betrachtet genau dasselbe Ergebnis wie für (11.4). Auf der höchsten Gestaltgliederungsebene befindet sich Paul, eine Ebene tiefer Pauls Nase, und am tiefsten eigebettet ist das Herzchen, das auf der Nase klebt. Allerdings gibt es auch Unterschiede. Intuitiv möchten wir sagen, dass Pauls Involviertheit in den Sachverhalt in (11.5) viel geringer ist als in (11.4) – immerhin ist er nur als Possessor sprachlich repräsentiert und nicht (zusätzlich) als Dativargument. Wir können diese Intuition auch mit einer Wahrheitsbedingung, also einem harten semantischen Faktum, assoziieren. Während Pauls Nase in (11.5) nicht Teil von Pauls Körper sein muss (sie könnte abgetrennt sein, oder es könnte sich um eine Gumminase für Pauls Maskierung handeln, die gerade auf dem Tisch liegt), muss die Nase in (11.4) Teil von Pauls Körper sein oder zumindest räumlich auf ihn bezogen (Fox 1981; Wegener 1983, 1985, Hocke 1987, Olsen 1997).15 Wir können  15 Brandt (2003, 2006) würde wohl für alle freien Dative im Sinne dieser Studie (seine „cipients“) eine lokale Beziehung dieses Typs zur Voraussetzung machen. Das zwingt ihn, z. B. für Judikanten-Dative metaphorische Räume anzunehmen. Derartige schwer im Zaum zu haltende

220  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

auch anders formulieren, dass Paul in (11.4) mit freiem Dativ T ei l de s ve r spr a ch li cht en Sa ch ve rh al t s i st , während Paul als reiner Possessor in (11.5) nur i m H i nt e rg r und de s ve r s pr a chl ic ht en S ac hve rh al t s i s t . Eine andere Reformulierung desselben Verhältnisses können wir geben, wenn wir sagen, das freie Dative eine t he m at i s che Sa chv er ha lt s b e t ei li gu ng aufweisen, Possessoren von DPs aber nicht. Eine letzte alternative Formulierung rekurriert auf den Kontrast zwischen Präsupposition und Implikation: Freie Dative i m pli zi e re n d ie Sa ch ver ha l ts b e t ei li g ung de s D a t ivr e f er e nt e n, während Possessoren von DPs ein pr ä s up pon ie r t es Ve r hä lt ni s zwischen dem DP-Referenten und dem Possessor-Referenten anzeigen. Wenn wir weiterhin in unseren Diagrammen auch reine Possessoren als Figuren repräsentieren wollen, andererseits aber dem Unterschied zwischen präsupponierter Possessionsrelation und implizierter Sachverhaltsbeteiligung Rechnung tragen wollen, brauchen wir eine zusätzliche diagrammatische Konvention: Von jetzt an werden wir Figuren, die nicht per Sachverhaltsbeteiligungs-Implikation(bzw. thematischem Prädikat), sondern nur per Beziehungspräsupposition mit einem sachverhaltsbeteiligten Referenten assoziiert sind, in Rahmen mit durchbrochener Linie setzen. Die Strichelung soll die Zugehörigkeit zum Diskurshintergrund oder zur Präsupposition markieren. Figuren, auf die implizierte/assertierte thematische Prädikate zutreffen, sind grundsätzlich von Rahmen mit durchgezogenen Linien umgeben. Damit ergeben sich für die zuletzt diskutierten Sätze unter Zugrundelegung der in (11.6) zusammengefassten Darstellungskonventionen Diagramm 11.4 und Diagramm 11.5. (11.6)

KONVENTIONEN FÜR DIAGRAMM-DARSTELLUNGEN VON FIGUR-GRUND-KONFIGURATIONEN

a. Punkte symbolisieren Figuren. b. Rahmen symbolisieren Gründe. c. Linien zwischen Figuren und Gründen symbolisieren Grundgeberschaft. d. Rahmen mit durchgezogenen Linien symbolisieren die implizierte Sachverhaltsbeteiligung der enthaltenen Figuren. e. Rahmen mit durchbrochenen Linien symbolisieren das Enthaltensein der unmittelbar enthaltenen Figuren und ihrer Grundgeberschaft im Diskurshintergrund bzw. in der Präsupposition.

 Ausweitungen werden hier vermieden: Alle LANDMARKEN, und nur LANDMARKEN, nicht aber PEXPERIENCER, müssen in einer (vermittelten) räumlichen Konfiguration mit einer tiefer eingebetteten Figur stehen. Brandts Ansatz wird in 14.3.2 ausführlich behandelt.

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  221

DativPaul

Pauls Nase

Herzchen Possessor-Paul

Pauls Nase

Diagramm 11.4: Konfiguration von Paul klebt ein Herzchen auf der/seiner Nase

Unsere Diagramme setzen sich aus zwei Teildiagrammen zusammen. Das linke Teildiagramm von Diagramm 11.4 repräsentiert die Sachverhaltsbeteiligung der drei beteiligten Referenten in ihrer Gestaltrekursion. Die LANDMARKEN-Figur Paul in diesem Teildiagramm entspricht der Dativ-DP Paul. Das rechte Teildiagramm stellt die Possessionspräsupposition dar, die zwischen Paul und seiner Nase besteht. Es stellt nur die Verhältnisse dar, die durch die/seine Nase (bzw. der/seiner Nase) ausgedrückt werden. Die Possessor-Figur Paul im rechten Teildiagramm entspricht der durch Bindung etablierten zweiten Bezugnahme auf Paul im Präpositionalobjekt der/seiner Nase (vgl. Teil II, insbesondere Kap. 5). Es ist wichtig, sich zu veranschaulichen, dass das zweite Teildiagramm keine redundante Doppelung von Information enthält, die bereits im ersten Teildiagramm enthalten wäre. Die präsupponierte Possessionsbeziehung, die im zweiten Teildiagramm dargestellt ist, ist unabhängig vom versprachlichten Sachverhalt. DPs wie Pauls/seine Nase oder die Nase (in der bridging-Lesart) sagen nie etwas darüber aus, ob Paul von dem versprachlichten Sachverhalt betroffen ist oder ob er überhaupt anwesend ist (Paul muss z. B. nicht anwesend sein, damit man in dem oben bereits verwendeten Maskierungs-Szenario sagen kann Jemand hat

Pauls Nase Herzchen Pauls Nase

Possessor-Paul

Diagramm 11.5: Konfiguration von Auf Pauls Nase klebt ein Herzchen

222  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

Pauls Nase weggenommen). Im Gegensatz dazu impliziert im linken Teildiagramm die gemeinsame Anwesenheit von Paul und seiner Nase im äußersten Grund (mit durchgezogener Linie!) die gemeinsame Anwesenheit von Paul und einem weiteren Gegenstand (nämlich seiner Nase) in dem durch Paul klebt ein Herzchen auf der Nase bezeichneten Sachverhalt. Wir können auch etwas anders formulieren und sagen, dass der Grund-Rahmen von Pauls Nase im rechten Teildiagramm als Menge interpretiert alle Possessa Pauls enthält, wohingegen der Grund-Rahmen, der im linken Teildiagramm Pauls Nase unmittelbar enthält, als Menge aufgefasst diejenigen Referenten enthält, die als Teil des versprachlichten Sachverhalts räumlich auf Paul bezogen sind. Für den Satz ohne Dativ, wie er in Diagramm 11.5 aufbereitet ist, ist Paul nicht als Sachverhaltsbeteiligter assertiert. Deswegen findet er sich nirgends als Figur in einem Kasten mit durchgezogener Linie. Der entsprechende Sachverhalt hat nur zwei thematisch Beteiligte, nämlich Pauls Nase und das Herzchen. Weil über Paul thematisch nichts Sachverhaltsrelevantes impliziert wird, bleibt offen, ob Paul in der entsprechenden Situation zugegen ist. Das rechte Teildiagramm expliziert wiederum die Verhältnisse in der DP Pauls Nase. Wir haben uns jetzt auf unterschiedliche Darstellungskonventionen für Grundgeber mit implizierter Sachverhaltsbeteiligung einerseits und mit präsupponierter Beziehung zu einem Sachverhaltsbeteiligten andererseits festgelegt. Aber außer dem Argument, dass Sätze mit Possessoren in PPs vs. Sätze mit analogen LANDMARKEN-Dativen etwas abweichende Wahrheitsbedingungen haben (LANDMARKEN-Dative implizieren eine räumliche Bezogenheit des Dativreferenten auf einen anderen Referenten in der versprachlichten Situation), haben wir noch keine weiteren distributionellen Unterschiede dokumentiert, die sich aus dem Unterschied ergeben. Im Rest dieses Abschnitts werden wir die Relevanz des Unterschieds zwischen LANDMARKEN-Dativen und Possessoren weiter untermauern, indem wir das überraschend unterschiedliche Kontextualisierungspotenzial von entsprechenden Satzvarianten genauer unter die Lupe nehmen. Possessoren in PPs und LANDMARKEN-Dative haben unterschiedliche Kontextualisierungseigenschaften: (11.7a) mit dem angegebenen Kontext ist ein Fall, in dem die Lage des Hundekadavers und damit auch die Lage des Bauchs des Hundekadavers leicht als im Inneren des Lagerhauses akkommodiert werden. (11.7) [Die Tierschützer betraten ein Lagerhaus.] a. … Aus dem Bauch eines Hundekadavers quollen die Eingeweide heraus. b. …(#)Einem Hundekadaver quollen die Eingeweide aus dem Bauch heraus.

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  223

Im Gegensatz dazu erzeugt die Version mit LANDMARKEN-Dativ in (11.7b) im Anschluss an den eingeklammerten Kontext ein Gefühl der Unvermitteltheit. Es kommt einem so vor, dass man nicht genug über die Lage des Hundekadavers weiß bzw. dass die erschließbare Ortsangabe ‘im Inneren des Lagerhauses’ nicht genau genug ist und dass die Information über den Hund „zu unvermittelt“ eingeführt wird. Wenn wir (11.7b) erweitern zu (11.7b′), verstehen wir den Käfig als im Lagerhaus stehend, und das Problem ist behoben. (11.7) [Die Tierschützer betraten ein Lagerhaus.] b′. … In einem Käfig quollen einem Hundekadaver die Eingeweide aus dem Bauch heraus. Demnach können PPs wie in (11.7b′) die Anbindung an präsupponierte bzw. diskursgegebene (oder kooperativ akkommodierte) Gründe leisten, LANDMARKEN-Dative wie in (11.7b) jedoch nicht. Die streng satzgrammatische Natur dieser Fähigkeit von PPs wird offensichtlich, wenn wir versuchen, die Grundangabe, die das Innere des Käfigs betrifft, außerhalb des Satzes, der den LANDMARKEN-Dativ enthält, in den Kontext einzuführen. Der entsprechend veränderte Diskurs ist in (11.8) angeführt. (11.8) [Die Tierschützer betraten ein Lagerhaus. In dem Lagerhaus stand ein Käfig.] … Einem Hundekadaver quollen die Eingeweide aus dem Bauch heraus. In (11.8) verunglückt der Diskurs zwar nicht unbedingt (auf dieses Faktum kommen wir unten zurück), aber dafür ergibt sich auch bei Anstrengung praktisch keine Kontextualisierungsmöglichkeit, in der der Hundekadaver sich in dem Käfig befindet; und das obwohl die Situierungsassertion bezüglich des Käfigs dem relevanten Satz unmittelbar vorausgeht. Offenbar m u s s die Diskurs-Anbindung von LANDMARKEN-Dativen satzgrammatisch geleistet werden – entweder durch overtes PP-Material oder Lokativausdrücke, oder durch akkommodierte Information, welche aber nicht anaphorisch einen im Kontext vorgegebenen Grund aufnimmt, sondern höchstens eine Teilstruktur dieses Grundes (vgl. die „Unvermitteltheitsintuition“, die wir für (11.7b) festgestellt hatten). Diese bemerkenswerte Eigenschaft von LANDMARKEN-Dativen ist in (11.9) formuliert. (11.9)

DIE SATZGRAMMATISCHE NATUR DER DISKURSANBINDUNG VON LANDMARKEN-DATIVEN

Die Anbindung eines LANDMARKEN-Dativreferenten an den präsupponierten Diskurshintergrund kann explizit nur lokal, d. h. innerhalb des (Teil-) Satzes erfolgen.

224  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

Bauch d. Hundes Eingeweide Bauch d. Hundes

Possessor-Hund

Diagramm 11.6: Die kontextualisierte Gestaltkonfiguration von (11.7a): [Die Tierschützer betraten ein Lagerhaus.] Aus dem Bauch eines Hundekadavers quollen die Eingeweide heraus.

Wenn wir die Varianten aus (11.7) diagrammatisch aufbereiten, können wir den soeben beschriebenen Unterschied zwischen PPs und LANDMARKEN-Dativen ablesen. In Diagramm 11.6 gelingt die Anbindung an den Diskurshintergrund, in Diagramm 11.7 gelingt sie nicht. (Besondere Diskursbedingungen, die (11.7b) doch gelingen lassen, werden weiter unten diskutiert). Meine Hypothese zur Ableitung dieses Kontrasts beruht auf der Idee, dass die Einbettung der räumlichen Assertion in den Diskurshintergrund genau dann gelingt, wenn der Referent der Grundgeberfigur der höchsten Gestaltgliederungsebene bereits per präsupponierter Relation im Diskurs verankert ist. In Diagramm 11.6 ist der Hundebauch-Referent einerseits Grundgeber-LANDMARKE der räumlichen Assertion. Gleichzeitig ist dieser Diskursreferent auch per präsupponierter Possessionsrelation an den Hundereferenten angebunden. Als solcher ist er im rechten Teildiagramm innerhalb eines (gestrichelten) Präsuppositionskastens. Der Figurreferent der höchsten Gestaltgliederungsebene links ist also per Possessionsprä-

DativKadaver

Bauch d. Hundes

Eingeweide Bauch d. Hundes

Possessor-Hund

Diagramm 11.7: Die kontextualisierte Gestaltkonfiguration von (11.7b): [Die Tierschützer betraten ein Lagerhaus.] (#)Einem Hundekadaver quollen die Eingeweide aus dem Bauch heraus.

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  225

supposition des rechten Teildiagramms im Diskurs verortet. Anders in Diagramm 11.7. Hier geht die Gestaltgliederungsrekursion eine Stufe zu weit: Der höchste assertierte Grundgeber, der Hundekadaver, ist nicht per präsupponierter Relation an einen noch höheren Grundgeber anbindbar, und damit ist er im Diskurs nicht hinreichend verortet. Damit haben wir vorläufig expliziert, wieso der verunglückte Diskurs das Gefühl vermittelt, dass man nicht weiß, wo der Hund liegt, wohingegen das in dem guten Diskurs nicht der Fall war. Die Gegenprobe bestätigt das noch einmal: Wenn wir die diskursgegebene unspezifische Grundangabe für den Satz mit LANDMARKEN-Dativ durch einen geeigneten anaphorischen Ausdruck satzgrammatisch explizeren, entsteht keine Unsicherheit: Sie betraten ein Lagerhaus. In dem Lagerhaus/Dort/Drinnen/Gleich beim Eingang quollen einem Hundekadaver die Eingeweide aus dem Bauch heraus. An dieser Stelle können wir auch einen Erklärungsansatz dafür entwickeln, wieso (11.8), hier wiederholt als (11.10), als Diskurs nicht verunglückt, dafür aber wohl kein Szenario abdecken kann, in dem der Kadaver sich in dem Käfig befindet. (11.10) [Die Tierschützer betraten ein Lagerhaus. In dem Lagerhaus stand ein Käfig.] Einem Hundekadaver quollen die Eingeweide aus dem Bauch heraus. Der Hundekadaver kann nicht als in dem Käfig befindlich verstanden werden. Andererseits verunglückt der Diskurs nicht mehr, weil die Informationen über den Käfig und den Hundekadaver allein durch ihre Mehrzahl verstanden werden können als die Existenz zweier verschiedener Substrukturen in dem Lagerhaus ausgliedernd. An diesen können je verschiedene Zustände gelten. Anders gesagt liefert die Verkettung von zwei Aussagen über Sachverhalte, die in dem Lagerhaus gelten, die Möglichkeit, jeweils satzgrammatisch zu akkommodieren, dass der eine Sachverhalt dort gilt, wo der andere nicht gilt. Was das unterschiedliche Kontextualisierungsverhalten von LANDMARKENDativen gegenüber Possessoren in PPs also zeigt, ist, dass sie, im Gegensatz zu Possessum-denotierenden DPs, ihre Diskursanbindung nicht „selbst mitbringen“; im Fall von Possessum-DPs leistet das die präsupponierte Possessionsrelation mit verortendem Possessor. Damit ist unsere Generalisierung von oben gestützt worden, dass nämlich Referenten von LANDMARKEN-Dativen immer Sachverhaltsbeteiligte sind, auf die thematische Prädikate zutreffen und die unabhängig vom LANDMARKEN-Dativ in den Diskurs eingepasst werden müssen. Allerdings handelt es sich bei der angeführten Evidenz nur um kursorische Evidenz, die weiterer Bestätigung bedarf. Das Problem ist, dass wir unser Argu-

226  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen ment nur für am-Fuß-kleben-Dative entwickelt haben (also für LANDMARKEN-Dative in zustandsbeschreibenden Sätzen mit Bindung in Possessa; vgl. 12.2.3); für die anderen Dativklassen sind wir analoge Argumente schuldig geblieben. Zwar lassen sich in der Tat für einzelne andere Dativklassen ganz parallele Argumente konstruieren, aber es ist mir nicht gelungen, ähnlich robuste Kontraste wie für am-Fuß-kleben-Dative für alle anderen Dativtypen zu finden. Das liegt wahrscheinlich daran, dass bei Anwesenheit von Agens-Argumenten die Gestaltrekursion eine Ebene weiter geht und damit die Verortung der Dativreferenten über die Agensargumente möglich wird, auch wenn die Dativreferenten nicht anderweitig diskursetabliert sind. Wenn das so wäre, müsste man zumindest erwarten, dass einengen/sitzen-Dative völlig parallele Kontraste wie die oben diskutierten produzieren; schließlich denotieren auch sie assertierte Grundgeber der höchsten Gestaltgliederungsebene, nur dass sie zudem auch noch P-EXPERIENCER sind. (Ein Satz wie Dem Sessel saß eine Katze auf der Lehne führt zu der für P-EXPERIENCER typischen Akkommodation, dass der Sessel belebt ist, oder er verunglückt; vgl. 10.2). (11.11) illustriert den relevanten Kontrast. (11.11) [Sie kamen auf einen kleinen Platz.] a. (#)Einem Gaukler saß ein Affe auf der Schulter. b. Auf der Schulter eines Gauklers saß ein Affe. Wie im Fall des am-Fuß-kleben-Dativs in (11.7) hat man auch in (11.11a) den Eindruck, dass der Gaukler nicht gut genug diskursetabliert ist, als dass über ihn ohne weitere Information direkt ausgesagt werden könnte, dass auf seiner Schulter ein Affe sitzt. Dieser Eindruck fehlt in (11.11b), und der Grund, den wir dafür im analogen Fall oben identifiziert haben, ist, dass der Gaukler in (11.11b) aufgrund der Possessionskonstruktion der höchsten Gestaltgliederungsebene Teil der Präsupposition des Satzes ist und als solcher konstruktionell als im Diskurshintergrund befindlich gekennzeichnet ist (oder in diesen hineinakkommodiert wird). In (11.11a) hingegen hat er als Dativ-Argument eine thematische Rolle im versprachlichten Sachverhalt (und zwar die hierarchisch höchste der Gestaltgliederung), und für diese Funktion fehlt ihm die Diskursanbindung; wie oben gilt allerdings auch hier, dass in einem Kontext, in dem auf (11.11a) weitere Sätze folgen, in denen andere Dinge beschrieben werden, die auf dem Platz gerade stattfinden, (11.11a) gut ist. Wir können festhalten, dass die Referenten von am-Fuß-kleben-Dativen und einengen/sitzen-Dativen aufgrund ihrer implizierten thematischen Beteiligung nicht die Anbindung an den Diskurshintergrund leisten können. Im Gegensatz dazu können (referenzidentische) Possessoren präsupponierter Beziehungen in Abwesenheit der Dative diese Diskursanbindung leisten.

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  227

11.2.3 Abschluss nach oben: Dativreferenten sind „Ganze“ Im unmittelbar vorausgehenden Abschnitt 11.2.2 haben wir nur Sätze diskutiert, die Zustände beschreiben, und wir haben herausgestellt, dass LANDMARKEN- und P-EXPERIENCER-Dativ-Referenten immer thematisch an den versprachlichten Sachverhalten beteiligt sind. Sie sind immer unter den Referenten, über die in einem Satz etwas impliziert wird, und sie beziehen sich niemals auf Referenten, die nur zu präsupponierten Bedeutungsbestandteilen beitragen. Es galt zudem, dass die Dativreferenten immer der höchsten relevanten Gestaltgliederungsebene der Assertion angehörten, d. h. die entsprechenden Grundgeber-Figuren waren immer von genau einem Grund-Rahmen mit durchgezogener Linie umgeben. Diese Generalisierung ist für komplexere Sachverhaltstypen, insbesondere für agentive Zustandsverursachungen (vgl. 12.2.1) nicht aufrechtzuerhalten, denn der Zustand, von dem der LANDMARKEN-, P-EXPERIENCER- oder AFFIZIERTEN-Dativreferent ein Teil ist, ist wiederum Teil einer komplexeren Sachverhaltsstruktur, deren Wahrheit ebenso assertiert bzw. impliziert ist wie die des betreffenden Resultatszustands. Was wir jetzt zeigen wollen, ist, dass Referenten von LANDMARKEN-Dativen nie echte Teile anderer kontextuell relevanter Ganzer sind. In (11.12) wird diese mereologische Eigenschaft formuliert, bevor wir sie im Folgenden anhand von Beispielen erläutern. (11.12)

LANDMARKEN SIND GANZE/ABSCHLUSS NACH OBEN16

Referenten von LANDMARKEN-Dativen dürfen per Präsupposition keine echten Teile kontextuell relevanter Ganzer sein. Der Kontrast zwischen (11.13a) und (11.13b) illustriert die Beschränkung, auf die wir abzielen.17 (11.13) a. Am Unterschenkel (des linken Beins) wachsen keine Haare mehr. b. % Dem linken Bein wachsen am Unterschenkel keine Haare mehr.  16 Bei der hier diskutierten Eigenschaft von LANDMARKEN handelt es sich nicht um etwas, das für beliebige andere thematische Beteiligungen auch gelten würde. Ein Satz wie Paul hielt die Tür mit seinen Füßen auf ist völlig unauffällig, obwohl Pauls Füße ein Teil von Paul sind und sowohl Paul als auch seine Füße thematisch an dem Aufhalten-Sachverhalt beteiligt sind. 17 Olsen (1997: 325–326) zitiert die unveröffentlichten Arbeiten von Witt (1996) und Lindemann (1996) als Referenzen für die erstmalige Beschreibung entsprechender Kontraste im Bereich von Partikelverben mit ein (Er massiert dem Mann/*dem Kopf das Mittel ein vs. Er massiert das Mittel *in den Mann/in den Kopf ein).

228  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

Während (11.13a) völlig neutral zum Ausdruck bringt, dass an einem Körperteil keine Behaarung mehr wächst, ist (11.13b) markiert. Eine kooperative Reaktion auf (11.13b) wäre es, zu sagen, dass es kein Wunder ist, wenn dem Bein keine Haare mehr am Unterschenkel wachsen, denn es ist ja offenbar vom Körper abgetrennt. Diese Kontextualisierung von (11.13b) lässt sich mit dem Abschluss nach oben in Verbindung bringen, den ich als Präsupposition von LANDMARKENDativen annehme. Als abgetrenntes Bein ist der Körperteil eine Figur der höchsten Gestaltgliederungsebene und kein Teil eines weiteren kontextuell relevanten Individuums. Wenn das Bein Teil des unverstümmelten Körpers eines Menschen ist, ist es nicht leicht als solch eine unabhängige Figur konzeptualisierbar. Stattdessen wird sich in den meisten Kontexten die Person, von der der Unterschenkel ein Körperteil ist, als Figur so stark als thematisch am Sachverhalt beteiligt anbieten, dass die Versprachlichung des Beins als LANDMARKEN-Dativ ausgeschlossen ist oder verunglückt. Es sind allerdings Kontexte denkbar, in denen bei intaktem Körper Sätze wie (11.13b) gut möglich sind. Typischerweise handelt es sich um wissenschaftliche oder medizinische Kontexte (vgl. auch Burridge 1996: 679). Ein Dermatologe, der einen Patienten untersucht, könnte gut einen Satz wie (11.13b) äußern. Das ist deswegen möglich, weil sich bei Detail-Untersuchungen die Aufmerksamkeit auf situationell dekontextualisierte oder derelationalisierte Teile von Ganzen richten kann. Kontraste wie der für den wachsen/bröckeln-Dativ in (11.13) finden sich in (11.14) und (11.15) für die anderen reinen LANDMARKEN-Dative. Auch für die markierten Sätze dieser Beispielpaare gilt, dass Kontexte denkbar sind, in denen die Sätze geglückt geäußert werden können. Das ist immer dann der Fall, wenn es gelingt, die Dativreferenten nicht als Teile von Individuen zu kontextualisieren. (11.14) absägen/einbauen-Dative a. Sie nähten das Fingerglied wieder an den Stumpf des Zeigefingers an. b. #% Sie nähten dem Zeigefinger das Fingerglied wieder an den Stumpf an. (11.15) am-Fuß-kleben-Dative a. Sein Hüftspeck quoll aus der Hose an der Seite heraus. b. % Sein Hüftspeck quoll der Hose an der Seite heraus. Im Bereich der AFFIZIERTEN-Dative, die ja per Implikation gemäß unserer Hypothese immer auch LANDMARKEN sein sollten, gelingt der Nachweis des Abschlusses nach oben nicht so leicht. Das liegt daran, dass AFFIZIERTE per P-EXPERIENCERPräsupposition (vgl. 10.2.3) immer wahrnehmungsfähig sein müssen und demzufolge z. B. ein Satz mit treten-Dativ wie #Er legte der Hand einen Stein in die Handfläche zwar voraussagegemäß verunglückt, aber schwer zu kontrollieren

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  229

ist, weswegen er verunglückt. Verunglückt er, weil die Hand zu einem Menschen gehört, der sich dann als Grundgeber bzw. LANDMARKE in den Vordergrund drängt, so dass man (bei passender Situation) eher den Satz Er legte dem Mädchen einen Stein in die Handfläche erwarten würde? Oder verunglückt er, weil die Hand vom Körper abgetrennt konzeptualisiert wird und dann zwar plausiblerweise etwas Ganzes ist, dafür aber nicht mehr wahrnehmungsfähig, wodurch die AFFIZIERTEN/P-EXPERIENCER-Präsupposition- verletzt wird? Es wäre für den empirischen Wert unserer Behauptung eines mereologischen Abschlusses nach oben nicht gut, wenn wir für die AFFIZIERTEN-Dative prinzipiell keine Evidenz anführen könnten und uns nur auf die Evidenz der reinen LANDMARKEN-Dative stützen müssten. Ein bestimmter Konstruktionstyp ermöglicht es uns jedoch, auch für die AFFIZIERTEN-Dative ein Argument zu konstruieren. Der Kontrast in (11.16) ist hier einschlägig. Er macht es sich zunutze, dass Reflexiva in Dativposition eine andere Teil-Ganzes-Semantik aufweisen als praktisch extensionsgleiche Possessumsphrasen (vgl. mit anderer Stoßrichtung, aber einschlägigen Daten auch Gast 2000). (11.16) treten-Dative: a. #Der Häftling hat seinem ganzen Körper Parolen in die Haut tätowiert. b. Der Häftling hat sich auf seinem ganzen Körper Parolen in die Haut tätowiert. (11.17) Der Häftling hat {seinem Mithäftling/ % dem ganzen Körper seines Mithäftlings} Parolen in die Haut tätowiert. Auch wenn eine weitgehende extensionale Identität von menschlichen Referenten wie in (11.16a) mit ihren Körpern besteht, so gilt doch, dass der Körper ein Possessum und ein Teil eines Menschen ist, und so ist er in (11.16a) auch sprachlich markiert – nämlich durch eine DP mit Possessivpronomen. Gemäß unserer Voraussage verunglückt der Satz, weil der Referent von seinem ganzen Körper Teil eines anderen kontextuell relevanten Referenten ist, nämlich des Häftlings. (11.16b) mit dem dativischen Reflexivum umgeht dieses Problem. Der Referent von der Häftling und von sich ist identisch, so dass die Bedingung erfüllt ist, dass der AFFIZIERTEN- und damit auch LANDMARKEN-Referent kein echter Teil eines anderen kontextuell relevanten Referenten ist (Identität erfüllt die Bedingung einer echten Teilrelation nicht). (11.17) illustriert, dass der Kontrast bei Referenzverschiedenheit von Subjekt- und Dativreferent aufgehoben ist: Wenn kein mereologisch fassbares Verhältnis zwischen Dativreferent und Subjektreferent besteht, kann sehr wohl der Dativreferent (der Referent von dem ganzen Körper seines Mithäftlings in (11.17)) explizit als Possessum (nicht Teil) eines anderen Referenten (nämlich des Mithäftlings)

230  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

gekennzeichnet sein. Nur darf dieser andere Referent dann nicht kontextuell relevant sein. Wir können also zusammenfassen, dass LANDMARKEN-Dative mit einem präsupponierten mereologischen Abschluss nach oben einhergehen. Da alle AFFIZIERTEN-Dative auch die LANDMARKEN-Bedingungen erfüllen, gilt die Generalisierung für alle hier untersuchten Dative, außer für reine P-EXPERIENCER. Eine empirische Konsequenz von (11.12) (Abschluss nach oben) für Massenund Abstraktnomina: Es gibt einen in dieser Allgemeinheit vielleicht verblüffenden Kontrast, der eine direkte Folge von „Abschluss nach oben“ ist. Es führt nämlich zu abweichenden Ergebnissen, wenn nicht-determinierte oder nichtquantifizierte Massennomen- oder Abstrakta-DPs als LANDMARKEN-Dative verwendet weren. Diese Beschränkung gilt auch für Sprecher mit liberaler Dativverwendung bei inanimaten Referenten.18 (11.18) a. #Wein setzt sich Weinstein unten in der Flasche ab. b. % Dem Wein/Einem Wein/Jedem Wein/Manchem Wein/Keinem Wein/ Fünf Weinen/Fünf Flaschen Wein/Einigem Wein/Allen Weinen/Allem Wein/Rotem Wein/Weinen setzt sich Weinstein unten in der Flasche ab. c. Bei/In Wein setzt sich Weinstein unten in der Flasche ab. (11.19) a. #Liebe wird der Alltag manchmal schal. b. % Der Liebe/Jeder Liebe/Mancher Liebe/Keiner Liebe/Zwei Arten Liebe/ Aller Liebe wird der Alltag manchmal schal. c. Für Liebe wird der Alltag manchmal schal. Während nackte Dativ-DPs mit entsprechender Massen- oder Abstraktasemantik verunglücken, werden die Konstruktionen sofort gut, wenn irgendeine Form von Determinierung oder Quantifikation in der DP mit zum Ausdruck kommt ((11.18b)/(11.19b)), und sei es nur die Pluralmarkierung, die ja bei Massennomina zu Behältnis- oder Sortenpluralen führt. Sobald Quantifikation ins Spiel kommt, muss das, worüber quantifiziert wird, „gequantelt“ vorliegen, d. h. es hat die Teilbarkeitseigenschaften von Individuen oder Gruppen von Individuen, und nicht mehr die von Substanzen oder den Denotaten von abstrakten Konzepten. Diese Beispiele deuten darauf hin, dass, was auch immer die genauen referenziellen Eigenschaften von Massennomina und Abstrakta sind, die Referenz nicht auf „Ganze“ in dem für LANDMARKEN relevanten Sinne gehen kann. In Konstruktion

 18 Ich danke Martina Werner dafür, mich auf dieses Faktum gestoßen zu haben.

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  231

mit Präpositionen sind nackte Massennomina und Abstrakta hingegen möglich, wie (11.18c) und (11.19c) zeigen.19 Damit belegt der Kontrast zwischen (11.18a/c) bzw. (11.19a/c) zudem ein weiteres Mal, dass die Distribution von LANDMARKEN-Dativen anders ist als die von PPs bzw. von Präpositionalobjekten (vgl. 11.2.2).

11.2.4

LANDMARKEN-Dative

und das rekursive Format der mit ihnen einhergehenden Gestaltgliederung

Der vorliegende Unterabschnitt hat den mittelbaren oder indirekten Figurstatus von LANDMARKEN-Dativreferenten zum Gegenstand. Demzufolge wird in jedem Satz mit einem LANDMARKEN-Dativ eine Lokalisierungsrelation mit einer Figur und einem Grund sekundär auf den Grundgeber bezogen, den der LANDMARKENDativ denotiert. Das allgemeine Schema: In (11.20) sind Sätze mit Dativen zusammengestellt, die die generelle Mittelbarkeit der Sachverhaltsbeteiligung der LANDMARKEN-Dativ-Referenten gut illustrieren. (11.20) a. b.

%

Sie bauten dem Auto einen neuen Vergaser in den/seinen Motor ein.20 Dem Baum fiel hin und wieder ein überreifer Apfel aus dem/seinem Geäst. %

 19 Für nominalisierte Adjektive bzw. Partizipien gilt der Kontrast nicht: Luftgetrocknetem bildet sich manchmal Edelschimmel an der Oberfläche. Derartige Daten sind keine Gegenevidenz zu der im Haupttext vertretenen These, wenn man – wie es sicher angebracht ist – die adjektivische Flexion im Dativ als Niederschlag einer determinierenden oder quantifizierenden Komponente ansieht. 20 Die Beispiele mit Partikelverben (hier einbauen) explizieren im Rahmen dieser Arbeit immer durch eine zusätzliche PP den Referenten, für dessen Nachbarschaftsregion (hier das Innere) der Resultatszustand gilt; und das, obwohl z. B. Sie bauten dem Auto einen neuen Vergaser ein ohne in den Motor bereits ein guter Satz ist. Der Grund dafür ist, wie bereits in 1.4 allgemein erläutert, der folgende. Ein Satz wie Sie bauten dem Auto einen neuen Vergaser ein kann nach der implikativen Weglassprobe für freie Dative (vgl. 1.9) in 1.2) keinen unstrittigen freien Dativ enthalten. Zwar ist der entsprechende dativlose Satz Sie bauten einen neuen Vergaser ein syntaktisch wohlgeformt, aber er enthält eine logische Implikation, dass es etwas gibt, dem der Motor eingebaut wird. Demnach wäre der Dativ nicht frei nach dem von uns zugrundegelegten Kriterium. Wenn man hingegen – wie hier grundsätzlich vorgenommen – eine weitere mereologische Ebene hinzufügt und den Satz erweitert zu Sie bauten dem Auto einen neuen Vergaser in den Motor ein, erhält man bei Auslassung des Dativs einen Satz ohne entsprechende Implikation: Sie bauten einen neuen Vergaser in den Motor ein impliziert nicht, dass es etwas gibt, dem der neue Vergaser in den Motor eingebaut wird. Es kann gut sein, dass der Motorblock als solcher in keinen anderen Gegenstand eingebaut ist und demnach die Innenregion des Motors den höchsten assertierten Grund der entsprechenden Konfiguration darstellt.

232  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

c. Paul klebte ein Herzchen auf der/seiner Nase. Die primären Figuren, d. h. die Figuren der am tiefsten eingebetteten Gründe, sind in (11.20) ein Vergaser, Äpfel und ein Herzchen. In jedem der drei Fälle wird zumindest auch ein Teilsachverhalt impliziert, der stativ zu beschreiben ist (vgl. Kap. 12 für die Systematisierung der unterschiedlichen Sachverhaltsstruktur von Sätzen mit LANDMARKEN-Dativen und freien Dativen allgemein). In (11.20a) ist die stative Teilsituation die, dass der Vergaser sich nach seinem Einbau in dem Motor und in dem Auto befindet. Die (wiederkehrende) stative Teilsituation von (11.20b) ist, dass der jeweilige Apfel nach dem Fall nicht mehr im Geäst des Baums ist. Wenn also auf die „eigentlichen“ Figuren in (11.20) Bezug genommen wird durch einen neuen Vergaser, ein überreifer Apfel und ein Herzchen, in welcher Hinsicht sind dann die Dativreferenten noch Figuren? Wir kennen die Antwort bereits: Die Dativreferenten sind Figuren, weil die relevanten stativen Teilsachverhalte innerhalb von größeren Konfigurationen gelten, die auch noch Teil der Assertionen der betreffenden Sätze sind. Paul in (11.20c) ist eine Figur, weil das Herzchen auf seiner Nase klebt und die Nase in der betreffenden Situation räumlich auf ihn bezogen ist (wahrscheinlich als echter Körperteil). Der Baum in (11.20b) ist eine Figur, weil der jeweilige Apfel nach dem Herunterfallen räumlich, wenn auch negativ, auf ihn bezogen ist (der Apfel ist nicht mehr im Geäst des Baumes). Das Auto in (11.20a) schließlich ist eine Figur, weil der Vergaser nach dem Einbau seinen Platz in der Innenregion seines Motors hat, und Vergaser und Motor sind in der relevanten Situation räumlich aufeinander bezogen. In allen Fällen gilt die Eigenschaft der primären Figur vor einem Grund, der erst aufgespannt wird durch den Bezug auf einen Referenten, dessen Position wiederum über den maximalen Grundgeber identifiziert wird. Dem generellen Schema in Diagramm 11.8 entsprechen also die Zuordnungen zu den Sätzen in (11.20), die in Tabelle 11.1 angegeben sind.

primäre Figur

Dativreferent (maximaler Grundgeber) über Dativreferent lokalisierter intermediärer Grundgeber

Possessum

Possessor

Diagramm 11.8: Allgemeines Figur-Grund-Schema der freien Dativ-Diathese mit

LANDMARKE

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  233

Tab. 11.1: Instanziierungen gestaltpsychologischer Kategorien in (11.20)

(11.20a) (11.20b) (11.20c)

maximaler Grundgeber

intermediärer Grundgeber

primäre Figur

Auto Baum Paul

Motor Geäst Nase

Vergaser Apfel Herzchen

Das rechte allgemeine Teildiagramm in Diagramm 11.8 stellt das präsupponierte Possessionsverhältnis dar, das durch die Präpositionalobjekts-DP zum Ausdruck gebracht wird unabhängig davon, ob ein Possessivpronomen gebraucht wird oder bridging-Definitheit vorliegt. Die Possessorreferenz wird durch Bindung durch den Dativ festgelegt. Der Dativreferent als assertierter maximaler Grundgeber des linken Teildiagramms spannt den Grund für diejenigen Figuren auf, die in dem versprachlichten Sachverhalt räumlich auf den Dativreferenten bezogen sind; diese aktuelle Bezogenheit braucht für das präsupponierte Possessionsverhältnis, das präpositionalobjektsintern ausgedrückt wird, in Sätzen ohne Dativ nicht zu gelten; die primäre Figur des linken Teildagramms schließlich befindet sich in einer Nachbarschaftsregion des intermediären Grundgebers (vgl. auch 11.2.2). Ich behaupte, dass das zweifach rekursive linke Teilschema und das einfach geschachtelte rechte aus Diagramm 11.8 für alle Sätze, in denen LANDMARKEN-Dative vorkommen, nachweisbar sind. Anders gesagt, eine geschachtelte Figur-Grund-Konstellation wie in Diagramm 11.8 ist eine notwendige Bedingung für den Gebrauch eines LANDMARKEN-Dativs. Insofern jeder AFFIZIERTEN-Dativ (¼LANDMARKENþP-EXPERIENCER-Dativ) auch die Bedingungen für LANDMARKEN-Dative erfüllen muss, gilt die doppelt rekursive Gestaltgliederung allgemein für Sachverhalte, in denen nicht P-EXPERIENCERschaft die einzige thematische Beteiligung des freien Dativreferenten ist (wie das etwa bei reinen stricken/sauberwischen-Dativen oder zu-steil/süß-Dativen der Fall ist). Der Zusammenhang von maximalem assertiertem Grundgeberstatus und Dativbindung: Unsere Behauptung über die rekursive Gestaltgliederung bei LANDMARKEN-Dativen aus Diagramm 11.8 und den notwendig maximalen implizierten Figur- bzw. Grundgeberstatus des Dativreferenten muss noch exakter gefasst und empirisch in allen Fällen nachgewiesen werden. Zu einem Teil haben wir diese Arbeit bereits geleistet, und zwar in Teil II. Die Tatsache, dass der intermediäre Grundgeber in Diagramm 11.8 und in (11.20) ohne Ausnahme zu den Possessa des Dativreferenten gehört, folgt ja daraus, dass der Dativ den Possessor des Präpositionalobjekts bindet. Die Komponente, die nun aber für die LANDMARKEN-Definition als solche noch hinzukommen muss, ist die, dass als intermediäre Grundgeber nur im Sachverhalt räumlich auf den Dativreferenten bezogene Individuen in Frage kommen. Anders gesagt: Es gibt

234  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

zum einen die Menge von räumlich auf den Dativreferenten bezogenen Referenten als Beteiligte an einem Sachverhalt. Diese Menge wird definiert über die thematische Information des LANDMARKEN-Morphems. Zum anderen gibt es die Menge der Possessa des Dativreferenten. Diese zweite Menge wird definiert durch die Possessorsemantik des Ausdrucks, der durch den Dativ gebunden wird (vgl. die Daten und Modellierung der Randbindungsbedingung in Kap. 7). Die Schnittmenge aus beidem ergibt die Menge der in dem relevanten Sachverhalt räumlich auf den Dativreferenten bezogenen Possessa. In dieser Schnittmenge muss der intermediäre Grundgeber enthalten sein. Eine weitere Bedingung, die wir jetzt noch explizieren und empirisch rechtfertigen müssen, ist die, dass immer mindestens ein intermediärer Grundgeber und eine primäre Figur in der Gestaltkonfiguration vorkommen müssen und dass obligatorische Dativbindung immer nur eine Gliederungsebene tiefer in den intermediären Grundgeber hinein erfolgt, aber nie zwei Ebenen tiefer in die primäre Figur. Dem intermediären Grundgeber entspricht meist ein Präpositionalobjekt und der primären Figur ein Akkusativobjekt (Fälle, in denen das anders ist, diskutieren wir in 11.2.5), und tatsächlich zielt die Bindung in (11.20) ja auch immer in eine PP hinein. Dass LANDMARKEN-Dative immer nur obligatorische LANDMARKEN für intermediäre Grundgeber sind und nie für primäre Figuren, dass Dativbindung also typischerweise nur obligatorisch auf PPs abzielt, nicht aber auf Ränder von Akkusativobjekten, das belegen für stative Fälle die Beispiele in (11.21) und (11.22).21 (11.21) a. Ihm klebte [eine Briefmarke]primFig an [einem Finger]intermedGrundgeb . b. Ihm klebte [ein Finger]primFig an [einer Briefmarke]intermedGrundgeb . (11.22) Ihm klebte [ein Sturp]primFig an [einem Zölp]intermedGrundgeb . In (11.21a) ist es nicht weiter verwunderlich, dass der (implizite) Possessor des Fingers das obligatorische Bindungsziel des Dativs ist; Finger sind nun einmal Körperteile. Allerdings bleibt die Bindung in die PP auch bei Vertauschung der  21 Den Anstoß zur Aufstellung dieser Generalisierung verdanke ich Ekkehard König, der auf die Klärung der möglichen und nötigen Bindungsverhältnisse in (i) gedrungen hat.

(i) Der Polizist steckte dem Verdächtigen die Hände in die Taschen. Es kann sich in (i) um die Hände des Polizisten (so die naheliegende Lesart) oder um die des Verdächtigen handeln. Die Taschen müssen jedoch diejenigen des Verdächtigen sein (sofern man nicht eine „benefaktive“ Lesart mit einem stricken/sauberwischen-Dativ unserer Klassifikation generiert; in diesem Fall muss der Dativ überhaupt nicht in overtes Material von (i) hineinbinden, sondern er bindet das Zwecksubjekt des akkommodierten Zwecks, den das Hände-indie-Taschen-Stecken für den Dativreferenten nach Meinung des Polizisten hatte).

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  235

entsprechenden Nomina erhalten. Der Finger mag in (11.21b) der Finger des Dativreferenten oder auch ein abgetrennter Finger unklarer Zugehörigkeit sein, wohingegen die Briefmarke nun – trotz ihrer Indefinitheit – eindeutig als dem Dativreferenten zugehörig verstanden wird.22 D. h. dass an einer Briefmarke in (11.21b) interpretiert wird als ‘an einer seiner Briefmarken’. Die Beobachtungen für (11.21) bestätigen also unsere Annahme, dass die LANDMARKENschaft des Dativreferenten grundsätzlich für einen Präpositionalobjektsreferenten gilt. In (11.22) tritt derselbe Effekt für nonce-Wörter bzw. lexikalische Lücken auf. Das Argument, das sich aus Sätzen mit solchen möglichen, aber nicht existierenden Wörtern konstruieren lässt, ist von maximaler Reichweite. Wenn der Satz in (11.22) für jede denkbare Bedeutung von Zölp und Sturp tatsächlich nur Lesarten hat, bei denen der Zölp in einem Possessumsverhältnis zum Dativreferenten steht, ist bereits gezeigt, dass unsere spezifische Generalisierung für stative Sachverhalte, die unter Gebrauch des Verbs kleben versprachlicht werden, allgemein gilt. Wenn wir nun noch klebte durch eine nicht genutzte phonetisch mögliche Wortgestalt für eine Verbform ersetzen und gleichzeitig durch weiteres Material das mögliche Verb auf eine stative Lesart festlegen, können wir die Allgemeinheit des Arguments auf alle am-Fuß-kleben-LANDMARKEN-Dative ausdehnen. Das ist mit einem Satz wie (11.23a) möglich. Bei entsprechender Einrichtung des Beispiels ist wie in (11.23b) der analoge Nachweis auch für wachsen/bröckeln-LANDMARKEN-Dative möglich. (11.23c) schließlich führt ein entsprechendes Datum für absägen/einbauen-Dative an. Damit sind alle reinen LANDMARKEN-Dative erfasst. (11.23) a. Es hielt zehn Jahre an, dass dem Derg ohne die geringste Veränderung ein Sturp am Zölp dohnte1 . b. Plötzlich geschah es, dass dem Derg ein Sturp vom Zölp dohnte2 . c. Plötzlich dohnte3 sie dem Derg einen Sturp vom Zölp. Wie auch immer man (unter Berücksichtigung von Fn. 22) (11.23a) interpretiert, der Zölp muss entweder ein (Körper-)Teil des Derg sein oder aber ein Gegenstand, der räumlich auf den Derg bezogen ist. Für (11.23b) und (11.23c) gilt dasselbe mit dem einzigen Unterschied, dass hier telische Sachverhalte beschrieben  22 Es ist wichtig für das Funktionieren dieses Aguments, in (11.21)–(11.23) alle Lesarten mit Bindung in (negierte) Zwecke auszuschließen, denn bei Bindung in implizites Zweck-Material ist die Interpretation der expliziten Präpositionalobjekte frei für Lesarten ohne Bindung ihrer impliziten Possessoren (vgl. die in Kap. 5 dargelegten Möglichkeiten, das Bindungserfordernis der freien Dativdiathese abzugelten). So hat z. B. (11.21b) die Malefaktiv-Lesart ʻEs geschah ihm zu seinem Unglück, dass einer seiner Finger an (irgendeiner) Briefmarke festklebte.ʼ Diese Lesart ist irrelant für unser Argument.

236  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen werden und in (11.23c) die Subjektreferentin offenbar AGENS des verursachenden Ereignisses ist. Für die Resultatssachverhalte beider Sätze gilt jedoch wieder, dass vom Zölp das Bindungsziel für den Dativ enthalten muss. Aufgrund dieser Evidenz nehme ich an, dass für LANDMARKEN-Dative die Annahme sinnvoll ist, dass der Dativ grundsätzlich in den linken Rand des intermediären Grundgebers bindet. In 11.2.5 werden wir zeigen, dass diese Annahme auch dann aufrecht zu erhalten ist, wenn die VP nur eine DP enthält und nicht sofort einsichtig ist, wie die Funktionen der intermediären Grundgeberschaft und einer weiteren Figur auf das explizite sprachliche Material der VP zu verteilen sind. Für AFFIZIERTEN-Dative mit Bindung in Possessa lassen sich die Beispiele in (11.23) ebenso verwenden wie für LANDMARKEN-Dative (zur Erinnerung: AFFIZIERTEN-Dative mit Bindung in Possessa unterscheiden sich von LANDMARKEN-Dativen mit Bindung in Possessa nur durch die zusätzliche Eigenschaft der P-EXPERIENCERschaft; vgl. Kap. 10). Damit haben wir für alle unsere Dativklassen mit LANDMARKEN-Semantik gezeigt, dass ob li g at o ri s che Dativbindung nie die primäre Figur (meist das Akkusativ- oder, in unakkusativen/inchoativen Konstruktionen, das Nominativargument) betrifft, sondern den intermediären Grundgeber. Wohlgemerkt, der Dativ kann im Rahmen normaler DP-Bindung auch anderes binden, aber immer nur zusätzlich. Es ist allerdings noch unklar, ob wir unser rekursives Gestaltschema auch dann noch sinnvoll einer Analyse zugrundelegen können, wenn, wie etwa in Sie streichelte ihm über den Rücken, vP-intern überhaupt nur eine Figur-DP explizit vorkommt. Diese Fälle hatten wir in 11.1 nur einleitend genannt, aber noch nicht systematisch diskutiert. In den bislang eingehender behandelten Fällen gab es immer ein Objekt (worunter hier auch die nicht präpositional regierten einzigen Argumente von Unakkusativa gefasst sind) und ein Präpositionalobjekt. Mit den weniger eindeutigen Fällen werden wir uns im folgenden Abschnitt befassen.

11.2.5 Nicht-DP-wertige primäre Figuren und intermediäre Grundgeber Es gibt viele Sätze mit freien Dativen, in denen nicht nach dem Vorbild von (11.24) eine Akkusativ-DP und eine PP in die VP eingebettet sind. (11.24) Paul legte Paula die Hand auf den Kopf. In (11.24) hat Paulas Kopf intermediären Grundgeberstatus, und die Hand ist die Figur der tiefsten Einbettungsebene. In (11.25) liegen die Dinge anders. (11.25) Paul streichelte Paula (über) den Rücken.

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  237

In diesem Satz ist nur eine PP oder eine Akkusativ-DP VP-intern eingebettet. Wenn auch keine weitere DP genannt wird, ist doch der Bezug auf einen weiteren Sachverhaltsbeteiligten nicht schwer auszumachen: Die Handlung des Streichelns impliziert ein Instrument, wahrscheinlich Pauls Hand, welches in dem relevanten räumlichen Verhältnis mit der Nachbarschaftsregion des Rückens steht oder in dieses Verhältnis kommt. Wohlgemerkt, es ist nicht nötig, dass wir wissen, ob Paul mit den Händen streichelt oder vielleicht mit einer Feder oder mit dem Fuß. Was zählt, ist, dass es einen Gegenstand geben muss, der sich (immer wieder) auf Paulas Rücken befindet. Ähnliche Fälle sind in (11.26) versammelt. (11.26) a. Paul trat Paula auf den Mantel. b. Paul vernarbte der Rücken immer mehr. c. Paul machte Paula die Wäsche schmutzig/trank Paula die Teekanne leer. d. Paul warf mir die Illustrierte herein. (11.26a) ist wie (11.25), nur impliziert treten im Gegensatz zu streicheln ein bestimmtes Instrument bzw. einen bestimmten beteiligten Körperteil, nämlich einen Fuß. In (11.26b) liegt ein denominales Verb vor (vernarben), dessen Stamm die Art der den Rücken räumlich gliedernden oder bedeckenden Referenten bezeichnet. Andere derartige Verben sind verpickeln, verdrecken, verkrauten oder verschimmeln. Da es sich (in den relevanten Gebräuchen) um nicht-agentive Zustandsverursachungen handelt (vgl. die allgemeine Diskussion relevanter Sachverhaltstypen in 12.2.1 unten), entspricht dem Akkusativ agentiver Zustandsverursachungen bei diesen Verben der Nominativ (der Rücken in (11.26b)). Anstatt zu sagen, dass die Narben in (11.26b) die relevanten Figuren sind, könnte man auch sagen, dass eigentlich die durch die Narben zustandekommende Bedeckung oder Gliederung des Rückens selbst die relevante Figur darstellt. Unter dieser Annahme läge eigentlich schon durch das Präfix ver- ein teilexpliziter Bezug auf die den Rücken vollständig bedeckende oder gliedernde Struktur vor, und der Verbstamm würde nur genaueren Aufschluss über die Art der Bedeckung oder Gliederung geben. Für denominale Verben wie vernarben lasse ich die Entscheidung offen, ob der Bezug auf die Narben nur eine „attributive“ Rolle hat bzw. eine Art-und-Weise-Komponente in der Charakterisierung der Bedeckung oder Gliederung darstellt und eigentlich die Partikel den Figurbezug einführt.23 Im Zusammenhang mit (11.28) und (11.29) werden  23 Stiebels (1996b: 23) wägt unter ihren theoretischen Vorzeichen beide Varianten gegeneinander ab und schließt, dass – auf unsere Terminologie übertragen – die denominalen Verbstämme nicht den Bezug auf die primären Figuren leisten.

238  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

wir bei einigen Partikelverben die Partikeln eindeutiger identifizieren können als diejenigen Elemente, welche den teilexpliziten Figurbezug stiften. Die zwei Beispiele mit agentiven Zustandsverursachungen in (11.26c) implizieren jeweils Zustände, die in einer Nachbarschaftsregion der Wäsche bzw. der Teekanne gelten: Auf oder in der Wäsche ist am Ende Schmutz, und es ist nicht mehr der Fall, dass in der Teekanne Flüssigkeit ist. Das relevante Implikat von (11.26d) schließlich ist eine Existenzaussage über eine räumliche Struktur, in der sich der Sprecher und die Illustrierte während des Resultatszustands befanden, wahrscheinlich ein Zimmer. Der Bezug darauf kommt durch die deiktisch präfigierte Partikel herein in den Satz (vgl. 8.2.1).24 Bislang haben wir die Bezugstypen auf implizite Gestaltgliederungsentitäten in (11.27) kennengelernt. Diagramm 11.9 rekapituliert noch einmal unsere Darstellung der Gestaltgliederung aus 11.2.4, die mit LANDMARKEN-Dativen einhergeht. (11.27) a.

PRIMÄRE FIGUR NICHT DP-WERTIG, IMPLIZITER BEZUG IM VERBSTAMM

jdm. (über) etw. streicheln jdm. auf/gegen/vor… etw. treten jdm. auf/gegen/vor… etw. schlagen jdm. etw. küssen jdm. etw. leertrinken … b. PRIMÄRE FIGUR NICHT DP-WERTIG,

(implizite Instrument-Beteiligung), (implizite Fuß-Beteiligung), (implizite Instrument-Beteiligung), (implizite Lippen-Beteiligung), (implizite Flüssigkeits-Beteiligung)

TEILEXPLIZITER BEZUG DURCH VERBSTAMM ODER RESULTATIVES ADJEKTIV

(oder durch das telische Präfix, das wie ver- eine vollständige Bedeckung bzw. Ausfüllung implizieren kann; vgl. die Diskussion von (11.26b) und Fn. 117) vernarben, verpickeln, verdrecken, verkrauten, schmutzig machen… c. INTERMEDIÄRER GRUNDGEBER NICHT DP-WERTIG, TEILEXPLIZITER BEZUG DURCH PARTIKEL

herein, herauf, hinauf…  24 Härtl (2003a,b) hat – psycholinguistisch-experimentell gestützt – verschiedentlich gegen die konzeptuelle Aktivität impliziter Sachverhaltsbeteiligter wie in (11.26d) argumentiert. Diese Untersuchungen sind für uns jedoch nicht einschlägig, da Härtl, soweit ich das richtig beurteile, nicht zwischen exist en z iel l er Bi ndun g von Variablen impliziter Argumente einerseits und Re fe re nz auf Referenten impliziter Argumente andererseits unterscheidet. Uns geht es immer nur um die existenzielle Bindung, wohingegen Härtls Tests mit negativem Ergebnis auf den Nachweis bestimmter Diskursreferenten im Sprecherbewusstsein abzielen.

LANDMARKEN-Dative

primäre Figur

– die deskriptiven Generalisierungen  239

Dativreferent (maximaler Grundgeber)

Possessum

über Dativreferent lokalisierter intermediärer Grundgeber

Diagramm 11.9: Allgemeines Figur-Grund-Schema der freien Dativ-Diathese mit

Possessor

LANDMARKE

Im Folgenden werden wir in Ergänzung zu den bereits diskutierten teilexpliziten Arten von Bezug auf primäre Figuren denjenigen genauer diskutieren, der mit den abtrennbaren Verbpartikeln offen, auf und zu(sammen)einhergeht. Strukturen mit den Partikeln auf, offen oder zu(sammen) wie in (11.28) und (11.29) stellen, so die hier aufgestellte Behauptung, einen teilexpliziten Bezug zur primären Figur her, und diese Figur ist entweder eine Öffnung oder ein Verschluss. (11.28) a. b. (11.29) a. b. c.

Paul stand der Hosenladen offen/auf. Paul ging der Hosenladen auf. Paul klappte der Mund zu. Paul klebten die Augen zu. Paul klebten die Hände zusammen.

Für Zustände des Offenseins stehen bei Positionsverben wie stehen und liegen zwei Partikeln zur Verfügung (offen und auf ) im Unterschied zu Resultatszuständen von nicht-agentiven und agentiven Zustandsverursachungen; daher kann in (11.28a) offen neben auf verwendet werden, in (11.28b) hingegen nur auf. Für die entsprechenden Sachverhalte mit Verschlüssen lauten die Partikelformen zu oder zusammen wie in (11.29) (zusammen wird offenbar dann verwendet, wenn die Verschlusskonfiguration zwei gegenüberliegende Seiten (zweidimensionales Schema) oder Flächen (dreidimensionales Schema) aufweist oder so aufgefasst werden kann). Wie bereits gesagt, ich nehme an, dass auf, offen und zu(sammen) Partikeln mit teilexplizitem Bezug auf die Figur der tiefsten Gestaltgliederungsebene sind, und diese Figur ist eine Öffnung oder ein Verschluss. Im Moment handelt es sich bei dieser Generalisierung um eine bloße Annahme, die sich aus dem Bestreben ergibt, die Rekursion aus Diagramm 11.9 für die Gestaltgliederung aller Sätze mit LANDMARKEN-Dativdiathese nachzuweisen. Unabhängige empirische Evidenz für unsere Behauptung, dass mindestens die Partikeln offen, auf und zu(sammen) (vielleicht aber auch ver- mit seinem teilex-

240  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

pliziten Bezug auf vollständige Bedeckung oder Ausfüllung; vgl. die Diskussion von (11.26b) oben) teilexpliziten Bezug auf Öffnungs- und Verschluss-Figuren nehmen, ist aus dem implikativen Potenzial von ansonsten vergleichbaren Sätzen mit und ohne die Partikeln auf und zu(sammen) zu gewinnen. Sätze mit den Partikeln implizieren das Vorliegen einer Öffnung bzw. eines Verschlusses und provozieren wie in (11.30b) Kontradiktionen, wenn die Existenz dieser Öffnung oder dieses Verschlusses negiert wird. Sätze ohne die Partikeln (wie in (11.30a)) tolerieren derartige Fortführungen. (11.30) a. Paul klebten die Lippen, deswegen vermied er es, den Mund zu schließen. b. #Paul klebten die Lippen zusammen, deswegen vermied er es, den Mund zu schließen. (11.31) a. Paul platze die Geldbörse (auf). b. Paul platzte die Seifenblase (#auf). In (11.31) wird für den Kontrast die Tatsache ausgenutzt, dass platzen mit der Partikel auf auf einen Resultatszustand festgelegt ist, in dem noch ein Gegenstand vorkommt, der überhaupt eine Öffnung aufweisen kann, wenn er geplatzt ist. Gegenstände, die mit dem Platzen aufhören zu existieren (wie die Seifenblase in (11.31b)), können demzufolge nicht aufplatzen.25 Der Kontrast ist also mit der Hypothese kompatibel, dass auf nur stehen kann, wenn im Resultatszustand eine Öffnungsfigur vorkommt. Die Evidenz für den Figurstatus von Öffnungen und Verschlüssen, die durch (11.30) und (11.31) bereitgestellt wird, ist nicht zwingend. Schließlich könnten wir auch sagen, dass die Daten nur zeigen, dass bei Partikelgebrauch in (11.30) und (11.31) tatsächlich etwas geschlossen bzw. auf sein muss, und dann ist von Individuen-Argumenten wie einer Öffnung oder einem Verschluss gar nicht unbedingt die Rede. Zusätzliche Evidenz ist womöglich aus dem Kontrast in (11.32) zu gewinnen. (11.32) a. Die Tüten werden nur gefaltet. ? So ein Verschluss hält nicht gut. b. Die Tüten werden nur zugefaltet. So ein Verschluss hält nicht gut.  25 Für offen habe ich im Gegensatz zu auf keinen entsprechenden Kontrast konstruieren können. Das scheint daran zu liegen, dass offen nur mit Positions- und Positionierungsverben kombiniert werden kann, und diese Verben beschreiben die Konfiguration des Resultatszustands näher (liegen/legen, stehen/stellen). Es handelt sich um Verben der Art und Weise der Lage im Raum, sie implizieren jedoch nichts über die interne Konfiguriertheit ihres Individuenargument-Referenten. Auf genau diesen Typ Information müssen wir aber für den Typ von Kontrast in (11.30) und (11.31) zugreifen.

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  241

(11.32a) ist zwar nicht inkohärent, aber dieser Diskurs erfordert mehr Akkommodationsaufwand als (11.32b). Der Unterschied ist aus unserer Hypothese über den Öffnungsfigur- bzw. Verschlussfigur-Bezug von auf und zu ableitbar: Wenn die Existenz eines Verschlusses an der Tüte durch (11.32b), aber nicht durch (11.32a) impliziert ist, ergibt sich der bessere Anschluss des Folgesatzes mit soBezug auf den definiten Typ Verschluss für die b-Variante.26 Die stichhaltige Begründung eines teilimpliziten Figurbezugs durch die Partikeln auf, offen und zu(sammen) bedarf wahrscheinlich noch weiterer Evidenz. Im Moment muss ich dieses Problem offenlassen. Es sei aber festgehalten, dass unsere Datenübersicht die Annahme eines Figurbezugs für auf, offen und zu(sammen) keinesfalls unplausibler gemacht hat.27 Zusammenfassung: Wir konnten in diesem Abschnitt die Interaktion von Verbpräfixen, Verbpartikeln, Verbstämmen, freier Dativdiathese und Implikationen über die Existenz von teilimpliziten Sachverhaltsbeteiligten nicht deskriptiv vollständig durchführen. Dazu ist der Bereich der Komposition und Derivation im Bereich des verbalen Lexikons des Deutschen zu groß und auch zu wenig konsensuell erschlossen (vgl. jedoch vor allem Stiebels 1996a,b und Kaufmann 1995a für detaillierte Untersuchungen zu Teilbereichen). Wir konnten aber die semantische Wirksamkeit der von uns postulierten generellen Gestaltkonfiguration für LANDMARKEN (und die Zweckimplikate von P-EXPERIENCERN) auch in Fällen von Implizitheit oder Teilexplizitheit für große Beispielgruppen plausibel machen. Die be 26 Vgl. Hole & Klumpp (2000) für die Explizierung der Hypothese, dass so ein bzw. son definite Typreferenz mit indefiniter Tokensemantik verbindet. 27 In diesem Zusammenhang ist wahrscheinlich die Beobachtung einschlägig, dass Stiebels (1996a) in Bezug auf auf und zu als Verbpartikeln sehr zurückhaltend ist, wenn es um die Angabe von Lexikoneinträgen geht. Entgegen der sonst verfolgten lexikalisch-semantischen Ausrichtung der Studie zieht sich die Autorin im Hauptteil ganz auf syntaktische Eigenschaften der entsprechenden Partikelverben zurück (Stiebels 1996a: 160–161). Während für andere Partikeln an vergleichbarer Stelle konkrete Vorschläge zur Explizierung ihres Bedeutungsbeitrags gemacht werden, ist die genaueste Aussage etwa für auf (mit Bezug auf Satz (i), Stiebels (33a)) das auf (i) folgende Zitat.

(i) Der Eichelhäher klopfte die Nuss auf. [auf4 ] „Die durch auf4 eingebrachte Resultatsangabe, daß sich aus der vorausgehenden Handlung die Öffnung eines Objekts ergibt, ist […] möglich, da mit der Kontaktherstellung die zur Öffnung erforderliche Manipulation gegeben ist (s. [(i)]). Hier spezifiziert die Partikel Gestalteigenschaften des durch Klopfen affizierten Objekts“ (Stiebels 1996a: 279). Im Anhang (Stiebels 1996a: 303) findet sich dann ein Lexikoneintrag für auf4 , der als Resultatszustandsprädikat (Stiebels Äquivalent für) λx . offen(x) enthält. Ich interpretiere die Zurückhaltung bezüglich semantischer Festlegungen in der Behandlung von Stiebels auf4 als indirekte Unterstützung für meine Behauptung, dass die Semantik von Partikeln wie auf und zu offenbar nicht dem Standardformat anderer Verbpartikeln mit räumlichem Bezug entspricht.

242  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

hauptete Existenz des teilimpliziten Bezugs der Partikeln auf, offen und zu(sammen) auf Öffnungs- bzw. Verschluss-Figuren muss empirisch noch besser abgesichert werden, kann momentan aber auf keinen Fall ausgeschlossen werden.

11.2.6 Zusammenfassung der deskriptiven Generalisierungen zu LANDMARKEN-Dativen Aufgrund der Ergebnisse der Diskussion in 11.2.1 bis 11.2.5 können wir jetzt die Eigenschaften noch einmal zusammenstellen, die wir zur Charakterisierung der thematischen Relation von LANDMARKEN-Dativen identifiziert haben. Wir haben diese Charakterisierung über weite Strecken mit gestaltpsychologischen Termini durchgeführt, jedoch gleich zu Beginn die Position bezogen, dass diese intuitiv leicht fassbare, aber linguistisch (und auch wahrnehmungspsychologisch) schwer definierbare Terminologie auf eine ereignissemantische Terminologie abbildbar ist. Diese Abbildung werden wir in 11.3 vornehmen. Zunächst einmal sind die Referenten von LANDMARKEN-Dativen Figuren einer assertierten bzw. implizierten Gestaltkonfiguration (vgl. 11.2.1). Damit bezeichnen sie Referenten, denen im Rahmen einer Assertion eine Eigenschaft in einem Sachverhalt zugeschrieben wird. Gleichzeitig spannen Referenten von LANDMARKEN-Dativen über ihren Nachbarschaftsregionenraum Gründe für Figuren auf, die sich eine Gestaltebene tiefer befinden. Die Kombination dieser beiden ersten Eigenschaften haben wir als Grundgeberschaft gefasst. LANDMARKEN-Dative haben eine von Possessoren in PPs verschiedene Distribution (vgl. 11.2.2). Während die Sachverhaltsbeteiligung von LANDMARKEN-Dativreferenten impliziert ist, ist das in bedeutungsähnlichen PPs signalisierte Possessionsverhältnis zwischen einem Possessor des Präpositionalobjektsreferenten und dem Präpositionalobjektsreferenten selbst immer Teil der Präsupposition des entsprechenden Satzes. Aus Teil II ist zudem bereits bekannt, dass Dative Possessoren von DPs binden. Die Funktion von beiden kann schon allein deswegen nicht identisch sein. Referenten von LANDMARKEN-Dativen sind präsupponierte Ganze (vgl. 11.2.3); sie können per Präsupposition keine Teile anderer kontextuell relevanter Referenten sein. LANDMARKEN-Dative beziehen sich auf Referenten, über die der Grundgeber der nächsttieferen räumlichen Rekursionsebene zugänglich wird (vgl. 11.2.4). So ist in allen Sachverhalten, die durch Paula die Decke auf das Sims legen beschrieben werden können, das Sims räumlich auf Paula bezogen. LANDMARKENschaft ist also auf Beziehungen eingeschränkt, die in dem beschriebenen Sachverhalt gelten, wohingegen das Possessionsverhältnis, das DP-intern

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  243

signalisiert wird, nicht derart eingeschränkt ist. Im typischen Fall findet sich neben dem DP-wertigen Bezug auf den intermediären Grundgeber, realisiert als Präpositionalobjekt, auch noch ein DP-wertiger Bezug auf die primäre Figur, und zwar in Form des direkten Objekts oder, bei Unakkusativa, des Subjekts. Die zuletzt zusammengefasste doppelte Rekursion vom LANDMARKEN-Dativreferenten über den intermediären Grundgeberreferenten und die primäre Figur ist auch in Fällen nachweisbar, in denen statt zweier in die VP eingebetteter DPs (mit den Funktionen von intermediärem Grundgeber und primärer Figur) nur eine DP vorliegt (vgl. 11.2.5). Verbstämme, Präfixe oder Partikeln können den Bezug auf die fehlende primäre Figur oder den intermediären Grundgeber (bzw. die existenzielle Bindung der entsprechenden Individuenvariable) implizieren. Bevor wir in 11.3 eine Modellierung der soeben zusammengefassten Generalisierungen anstreben, befasst sich 11.2.7 in Form eines kurzen Exkurses mit dem Unterschied der Wahrheitsbedingungen bei Verben wie runterfallen vs. zerbrechen. In 11.2.8 geht es, wieder als Exkurs, um einige notorisch umstrittene Konzepte, die im Zusammenhang mit thematischen Relationen oder thematischen Prädikaten allgemein und auch speziell im Hinblick auf die thematische Beteiligung von Dativreferenten in der Literatur immer wieder diskutiert werden. Neben der Frage, ob Gestaltkategorien der Status thematischer Prädikate zukommen kann, werden wir dort auch das Verhältnis zwischen Gestaltgliederung und Informationsstruktur diskutieren. Beide Exkurse können ohne Weiteres übersprungen werden, wenn man am raschen „Fortgang der Handlung“ interessiert ist.

11.2.7 Exkurs: „Echte“ Malefaktivität vs. runterfallen In diesem Exkurs soll gezeigt werden, dass der Kontrast zwischen Verben mit Richtungspartikeln (oder auch PPs) wie runterfallen und Verben der Zerstörung wie zerbrechen mit einem eindeutigen Interpretationsunterschied in der Dativinterpretation einhergeht. Er unterscheidet trennscharf zwischen solchen Sachverhalten, die den Dativreferenten als LANDMARKE räumlich auf den intermediären Grundgeber beziehen (runterfallen) und anderen Sachverhalten, die keine lokale Relation anzeigen (zerknittern); im zweiten Fall liegt nur P-EXPERIENCERSschaft vor.28 Der klare Kontrast lässt sich mit Beispielen wie in (11.33) nachweisen. (11.33) a. …, dass Paul das Hemd wohl im Schrank runtergefallen ist. b. …, dass Paul das Hemd wohl im Schrank zerknittert ist.  28 Vgl. zu dieser Debatte auch Krohn (1980: 150) und Wegener (1985: 289).

244  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

Obwohl Hemden in Schränken auch ohne anwesende Menschen herunterfallen können, drängt sich in (11.33a) eine Lesart in den Vordergrund, in der Paul im Schrank war (oder davor stand), als das Hemd herunterfiel. (Diesen Typ Lesart erhält man, das ist wichtig, auch wenn man im Schrank nicht auf Pauls Position bezieht, sondern auf die Position des Hemdes.) Wahrscheinlich ist das sogar die einzige Lesart im Hinblick auf diesen Aspekt. Gemäß unserer Argumentation in 8.2.1 wird durch runter teilexplizit auf Pauls Bereich Bezug genommen, in den hinein das Hemd fällt. In (11.33b) hingegen tut Pauls Position gar nichts zur Sache. Das Zerknittern zerstört die funktionale Integrität des Hemds als frisches Hemd für Paul, und dieser (negative) Zweckbezug (vgl. 8.2.2) basiert nicht auf räumlicher Bezogenheit.29 Den Typ Kontrast aus (11.33) können wir noch einmal verdichten, wenn wir, wie in (11.34), ein Verb verwenden, das ambig zwischen einer räumlichen und einer funktionalen Integritätszerstörungs-Lesart ist. Solch ein Verb ist umkippen, denn es kann entweder ein Umfallen bezeichnen oder aber das Verderben bestimmter Lebensmittel. Mit diesen zwei Bedeutungen gehen unterschiedliche Lesarten für freie Dative einher. (11.34) …, dass Paul die Sahne schon im Kühlschrank umgekippt ist. a. Lesart 1: ‘Die Sahne ist schon im Kühlschrank verdorben, und damit hat sie ihre Brauchbarkeit für Pauls Zwecke verloren.’ b. Lesart 2: ‘Die Sahne ist schon im Kühlschrank umgefallen, und Paul war auch im Kühlschrank oder war zumindest ganz in der Nähe.’ In dem Kontrast in (11.34) zeigt sich also in zugespitzter Weise, dass die reine LANDMARKEN-Lesart mit einer lokalen Implikation einhergeht: Paul und die Sahne müssen zum Zeitpunkt des Umfallens räumlich aufeinander bezogen gewesen sein. Im Gegensatz dazu ist die Schlechtwerden-Lesart kompatibel mit einer Situation ohne räumliche Bezogenheit von Paul und der Sahne. Was hier den Zusammenhang stiftet, ist, dass die Sahne nach dem Schlechtwerden für Paul

 29 Bei Stiebels (1996a: 155–157) wird für ver- bei Verben wie verbrennen ein semantisches Primitivum (bzw. ein Prädikat, das nicht weiter dekomponiert wird) mit dem Etikett ZERSTÖRT/BESCHÄDIGT bzw. DAMAGED angenommen. Solche konzeptuell reichen Prädkate, die ohne expliziten Bezug auf Funktionen von Gegenständen für andere Referenten auskommen, führen dazu, dass etwa für ver- sieben Homonyme unterschieden werden müssen (Stiebels 1996a: 302). Das schmälert nicht den Wert von Dekompositionsvorschlägen wie diesem, es illustriert nur das Anwachsen der Anzahl von Kategorien, wenn, wie in den meisten derartigen Dekompositionsansätzen, Zweckbeziehungen nicht expliziert werden (vgl. im Gegensatz dazu Pustejovsky 1995 mit seinem Konzept des „telischen Quale“ („telic quale“)).

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  245

keinen Zweck mehr erfüllen kann. In dieser Lesart ist Paul keine sondern ein reiner P-EXPERIENCER.

LANDMARKE,

11.2.8 Exkurs: Gestaltpsychologische Kategorien, thematische Prädikate, Präsuppositionen und Informationsstruktur Gestaltkategorien werden im Kontext thematischer Relationen mitdiskutiert, seit es thematische Relationen als Konzepte der modernen Linguistik gibt, also mindestens seit Gruber (1965). In der kognitiven Linguistik Langackerscher Prägung wird der Begriff des landmarks ganz selbstverständlich verwendet, um die räumliche Bezogenheit von Referenten auf andere Referenten zu beschreiben (Langacker 1987). Allerdings unterlassen es Langacker und, soweit ich das überblicke, auch die Forscher, die unter Bezugnahme auf Langackers landmark-Begriff arbeiten, den Begriff zu definieren; bestenfalls wird er charakterisiert, d. h. einzelne seiner Eigenschaften werden benannt (Langacker 1987: 214–220, insbesondere 217–220). In Diagrammen der entsprechenden Tradition ist ein landmark immer mit denselben diagrammatischen Mitteln gekennzeichnet wie die Figur, die auf das landmark bezogen ist. Die Feststellung des Begriffsumfangs bzw. -inhalts des – wie ich glaube – wichtigen und linguistisch interessanten landmark-Begriffs Langackers wird in der Literatur der Intuition des Lesers überlassen. Auch in Talmys Arbeiten (etwa bei Talmy 1985, 2001: 339–341) werden Gestaltkategorien ganz selbstverständlich verwendet. Es bleibt zwar im Einzelnen unklar, wie man sich das genaue Verhältnis möglicher thematischer Prädikate und gestaltpsychologischer Kategorien vorzustellen hat, aber Talmy verwendet ein ground-Konzept, das Langackers landmark oder vielleicht sogar unserer Grundgeberschaft entspricht. Jackendoff (1983) spricht in diesem Zusammenhang vom Referenzobjekt (reference object). Wahrscheinlich liegt es an der geringen theoretischen Festlegung der kognitiven Grammatik und assoziierter Forscher in diesem Bereich, dass es in der formalsemantischen Literatur generativen Zuschnitts nur wenige Bezugnahmen auf die Gestaltgliederung von Sachverhalten bzw. auf das landmark-Konzept gibt (aber vgl. Wunderlich 1991: 596, Maienborn 2001: 192; vgl. auch die Nutzbarmachung des Terminus landmark bei Kracht 2002: 185 für die Bezugnahme auf Präpositionalobjekte). Kaufmann (1995a) oder Stiebels (1996a) und z. T. auch die Begründer der entsprechenden Tradition (Bierwisch 1988, Lang 1987, 1991, 1993, Bierwisch & Lang (Hrsg.) 1987, Wunderlich 1985, 1991), machen sich u. a. den Begriff der Nachbarschaftsregion (vgl. Kracht 2002: 186) eines Gegenstands, auf die durch Präpositionen Bezug genommen wird, zur Explizierung

246  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

räumlicher Verhältnisse zunutze. Diese Relation von Gegenstand und Nachbarschaftsregion – etwa das Verhältnis zwischen einem Tisch einerseits und der Raumstelle seiner Oberfläche und des darüberliegenden Bereichs, die beide für die Interpretation von auf dem Tisch relevant sind – entspricht unserer Grundgeberschaft. Allerdings legen die Arbeiten dieser Tradition die Zwei-Ebenen-Semantik zugrunde (vgl. z. B. Bierwisch & Lang 1987). In dieser Ausprägung der formalen Semantik gibt es neben der Ebene von im engeren Sinne linguistisch relevanten Bedeutungsbestandteilen (der Semantischen Form/SF) noch die Ebene der prinzipiell sprachunabhängigen, aber mit der Semantischen Form interagierenden Konzeptuellen Struktur (CS). Die genaue Explizierung räumlicher Verhältnisse fällt in dieser Theorie in den Bereich der Konzeptuellen Struktur, wohingegen die Semantische Form nur die abstrakten (aber sprachspezifischen) prädikatenlogisch gefassten Term-Schemata zur Verfügung stellt, die durch die außersprachlichen Konzepte gefüllt werden. Durch diese Art der Modularisierung der Semantik, die in der hier zugrundegelegten Ausprägung der formalen Semantik nicht vorgesehen ist, ergeben sich auch bei intensiver Befassung mit räumlichen Konfigurationen keine im engeren Sinne semantischen Aussagen über Gestaltkategorien; die entsprechende Kategorien werden ja als zur Konzeptuellen Struktur zugehörig beschrieben und stellen damit so etwas wie (stark strukturiertes) Weltwissen dar. Mutmaßlich als Folge davon, dass in der ZweiEbenen-Semantik die Konzeptuelle Struktur der Semantischen Form als statisch und nicht eigentlich im Diskurs entwickelt gegenübersteht, finden sich an prominenter Stelle auch keine Erörterungen über Implikationen oder Präsuppositionen von Bedeutungsbestandteilen, die zur Versprachlichung von räumlichen Verhältnissen beitragen. Im Gegensatz dazu haben wir oben wiederholt auf die assertierte Grundgeberschaft der Dativreferenten (mit ihrem Bedarf an satzgrammatisch zu leistender Anbindung an präsupponierte Information (vgl. 11.2.2)) hingewiesen und sie dem präsupponierten Status der Grundgeberschaft von Präpositionalobjektspossessoren bzw. – allgemeiner – DP-internen Possessoren gegenübergestellt. Wenn man die Literatur über thematische Rollen oder thematische Prädikate insgesamt und ohne vorherrschenden Bezug auf die Versprachlichung von räumlichen Verhältnissen sichtet, kann man feststellen, dass außerhalb der Langackerschen kognitiven Linguistik Dowtys (1991: 562-566) Verdikt gegen gestaltpsychologisch fundierte thematische Prädikate bis vor wenigen Jahren sehr einflussreich war.30 Im speziellen Bereich der Anwendung auf die Funktionen

 30 Insbesondere durch die Arbeiten von Svenonius (2008, 2010) und assoziierter Forscher(innen) in der kartographischen Tradition (Cinque 1999) hat sich das letzthin geändert.

LANDMARKEN-Dative

– die deskriptiven Generalisierungen  247

deutscher Kasus schließt sich etwa Dürscheid (1999: 254) der Behauptung an, dass Gestaltkategorien als thematische Prädikate irrelevant seien. Was ist die Grundlage für Dowtys Schlussfolgerung, dass Gestaltkategorien und thematische Prädikate Phänomene unterschiedlicher Ebenen sind? Dowtys Argument geht aus von der Annahme, dass als thematische Eigenschaften nur Bedeutungsbestandteile in Frage kommen, die konstant bleiben bei unterschiedlichen, aus der Perspektive der Wahrheitsbedingungen aber äquivalenten Versprachlichungen ein und derselben Situation. Demnach sei in einem Sachverhalt, in dem Helen den Stein von da, wo John ist, zur Veranda trägt („If Helen carries the rock from John to the porch, then…“; Dowty 1991: 563), immer und in jeder äquivalenten möglichen Versprachlichung Helen AGENS, der Stein PATIENS oder THEMA, John SOURCE und die Veranda GOAL des Ereignisses. Schon diese Annahme mag beim Leser die Frage aufwerfen, ob unterschiedliche „Arten des Gegebenseins“ eines Gegenstands oder Sachverhalts (Frege 1892[1986]) nicht doch auf ganz basaler Ebene linguistisch relevante Konzeptualisierungsunterschiede ermöglichen, die diese womöglich etwas hemdsärmelige Variante der Korrespondenztheorie der Bedeutung in schwieriges Fahrwasser bringen.31 Wenn wir diese Bedenken zugunsten der Formulierung des Arguments zurückstellen, ist der nächste Schritt in Dowtys Argument die nicht als kontrovers diskutierte Einführung der Annahme, dass die Perspektivierung eines Sachverhalts, die sich gestaltpsychologisch fassen lässt, in eins fällt mit der Perspektivierung von Referenten im Diskurs; also mit dem, was je nach theoretischer Anbindung mit stark überlappendem Gegenstandsbezug als „Thema vs. Rhema“ oder „Topik“ und „Kommentar“ (Daneš 1970, Sgall 1993), „gegeben vs. neu“ (given vs. new) (Prince 1981, Schwarzschild 1999), „Fokus-HintergrundGliederung“ oder auch allgemeiner als „Informationsstruktur“ (von Stechow  31 Wie sieht es z. B. mit so gut bekannten Satzpaaren aus wie Die Lampe steht hinter dem Stuhl und Der Stuhl steht vor der Lampe? Für entsprechende Beispielpaare dieses Typs referiert Dowty (1991: 563) die Position, dass sich die Gestaltkonfiguration vom einen Satz zum anderen umkehrt, auch wenn die reale Situation gleich bleibt. Hier greift nun Dowtys Annahme, dass, wenn wahrheitsbedingungsäquivalente Sätze bezüglich irgendeiner Kategorisierung gegenläufig sind, es sich bei dieser Kategorisierung nicht um thematisch relevante Kategorien handeln kann. Wie schon im Fließtext angedeutet, bin ich der Meinung, dass auch die wahrheitswertfunktionale linguistische Semantik mittlerweile weit darüber hinaus ist, die verschiedenen „Arten des Gegebenseins“ (Frege 1892[1986]) einer Situation oder eines Gegenstandes als grundsätzlich außerhalb ihres Betrachtungshorizonts liegend aufzufassen. Das belegt die äußerst erfolgreiche, an die Satzsemantik angebundene Beschäftigung mit einem formalen Begriff von Diskurshintergrund (Groenendijk & Stokhof 1990, 1991) und Präsupposition (Heim 1983) oder auch die breite formalsemantische Diskussion zur Informationsstruktur. Man vergleiche auch etwa Eckardts (1998: 29–30) überzeugend geführten Beweis, dass ein Kaufen-Ereignis nie identisch mit einem Verkaufen-Ereignis ist.

248  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

1982, Rooth 1985, 1992, Schwarzschild 1999, Büring 1997, 2003, Krifka 2007) bezeichnet wird (vgl. auch Krifkas 1995 BFA-Strukturen mit einer vermittelnden Position zwischen von Stechow 1982 und Rooth 1985, 1992). Demzufolge wäre der gestaltpsychologische Grund einer sprachlich gefassten räumlichen Konfiguration gleichzusetzen mit – je nach Terminologie – dem Thema, dem Gegebenen, oder dem Hintergrund. An dieser Stelle wird meine Kritik an Dowtys Argument ansetzen. Allerdings wollen wir zunächst das Argument als solches komplettieren. Dowty (1991: 564) behauptet nämlich, dass die größere Diskursangebundenheit von Thema/Gegebenem/Hintergrund eine Funktion des (grammatischen) Subjekts ist – zumindest in Sprachen wie dem Englischen. Demnach wäre es unökonomisch, eine sprachliche Funktion, die allein durch Anbindung an die Subjektfunktion ableitbar ist, mit einem eigens eingeführten Rollenterminus zu belegen. Ich habe Zweifel an jedem der drei Teile dieses Arguments. Es scheint mir jedoch für unseren Zweck hinreichend zu sein, die von Dowty vorgenommene und zuvor schon hervorgehobene Gleichsetzung räumlicher Gestaltkategorien mit Diskurskategorien wie „Topik“ vs. „Kommentar“ anzuzweifeln. Dowty selbst benutzt in seiner Argumentation den in der Literatur zur Informationsstruktur weit verbreiteteten Test des w-Frage-Kontexts: Das, was durch das Fragewort erfragt wird, ist der Fokus/das Neue/das Rhema der Antwort. Es ist nun ein allgemein bekanntes Faktum, dass der Fokus „durch einen Satz hindurchwandern kann“, je nachdem, wie die Frage lautet. Die Frage-Antwort-Sequenzen in (11.35) illustrieren das. (11.35)

INFORMATIONSSTRUKTUR KANN IM DEUTSCHEN UNABHÄNGIG VON SYNTAKTISCHEN FUNKTIONEN VARIIEREN

a. b. c. d.

Was ist hinters Bett gefallen? – [Die LAMpe] ist hinters Bett gefallen. Wohinter ist die Lampe gefallen? – Die Lampe ist hinters [BETT] gefallen. Wohin ist die Lampe gefallen? – Die Lampe ist [hinters BETT] gefallen. Was ist mit der Lampe passiert? – Die Lampe ist [hinters BETT gefallen].

In (11.35) werden der Reihe nach das Subjekt, das Präpositionalobjekt, die PP und die VP erfragt, und demzufolge entspricht der Fokus jeweils der eingeklammerten Konstituente. Der Fokusexponent, d. h. das Wort, das den Fokusakzent trägt (Büring 1997), ist für die tontragende Silbe entsprechend markiert. Wir sehen, dass die Verteilung von Fokus und Hintergrund auch bei konstanten grammatischen Funktionen eben nicht über verschiedene Diskurseinbettungen hinweg konstant bleibt. Es ist zwar sicher so, dass Subjekte häufiger im Hintergrund sind als PP-Ergänzungen, aber das ist gerade kein satzgrammatisches Faktum in dem Sinne, dass es eine Regel der Grammatik des Deutschen oder Englischen gibt, die (wie Dowty behauptet) besagen würde, dass die Deno-

Die Modellierung der

LANDMARKENschaft

 249

tation von Subjekten grundsätzlich eine stärkere Anbindung an den vorausgehenden Diskurs aufweist (so auch Krifka 2007). Was die Beispiele in (11.35) nun aber vor allem belegen, ist, dass Informationsstruktur bzw. die Einbindung in den vorausgegangenen Diskurs etwas ganz anderes ist als die gestaltpsychologische Gliederung räumlicher Konfigurationen. In (11.35) variiert die Informationsstruktur, aber in allen Antworten ist die Lampe die Figur der resultierenden statischen Situation, die Region hinter dem Bett der Grund und das Bett selbst der Grundgeber für den Grund. Darüber mag man eine gestaltpsychologisch aufgefasste informationsstrukturelle Gliederung blenden in der Art, dass etwa in (11.35c) die Region hinter dem Bett (oder das Sich-hinterdem-Bett-Befinden der Lampe) diskursfunktional eine Figur ist, weil der entsprechende Ausdruck fokussiert ist, aber das wäre eine weitere, von der räumlichen Konfiguration ganz unabhängige Anwendung gestaltpsychologischer Kategorien. Ich ziehe zusammenfassend den Schluss, dass Dowty (1991) nur deswegen Gestaltkategorien als mögliche thematische Eigenschaften zurückweist, weil er wahrscheinlich irrigerweise Informationsstruktur und räumliche Figur/GrundGliederung auf einer Ebene behandelt.

11.3 Die Modellierung der

LANDMARKENschaft

Die Modellierungsaufgabe für die zusammengefasst. (11.36) a.

LANDMARKENschaft

von Dativen ist in (11.36)

(vgl. 11.2.1) Referenten von LANDMARKEN-Dativen sind Figuren, über die der Grund einer weiteren Figur bestimmt wird. b. LOKALER BEZUG (vgl. 11.2.1) Die Figur des durch die LANDMARKE aufgespannten Grunds ist ein räumliches Relatum der LANDMARKE im betreffenden Sachverhalt. c. ASSERTIERTE/IMPLIZIERTE SACHVERHALTSBETEILIGUNG (vgl. 11.2.2) Die Sachverhaltsbeteiligung von Referenten von LANDMARKEN-Dativen wird assertiert bzw. impliziert (und nicht präsupponiert). d. DIE SATZGRAMMATISCHE NATUR DER DISKURSANBINDUNG VON LANDMARKENDATIVEN (vgl. 11.2.2) Die Anbindung eines LANDMARKEN-Dativreferenten an den präsupponierten Diskurshintergrund kann explizit nur lokal, d. h. innerhalb des (Teil-)Satzes erfolgen. GRUNDGEBERSCHAFT

250  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

e.

(vgl. 11.2.3) Referenten von LANDMARKEN-Dativen dürfen per Präsupposition keine echten Teile anderer kontextuell relevanter Individuen sein. f. GRUNDGEBERREKURSION (vgl. 11.2.4) LANDMARKEN-Dative spannen den Grund für Figuren auf, die wiederum den Grund für die primäre Figur aufspannen. ABSCHLUSS NACH OBEN

Diagramm 11.10 (¼ Diagramm 11.9) rekapituliert das rekursive Gestaltschema für LANDMARKEN-Dative, das wir in den Abschnitten 11.2.2 bis 11.2.5 schrittweise abstrahiert haben. Die linke Hälfte des Diagramms stellt die rekursive Schachtelung der sachverhaltsbeteiligten Figuren bzw. Gestalten von Sätzen mit freier LANDMARKEN-Dativdiathese dar. Die rechte Hälfte des Diagramms repräsentiert die präsupponierte Possessionsbeziehung, die zwischen dem Referenten, auf den im linken Rand des Possessumausdrucks referiert wird, und dem betreffenden Possessum besteht. Der Dativreferent der linken Diagrammhälfte ist referenzidentisch mit dem Possessor der rechten Diagrammhälfte. Diese Identität kommt durch Dativbindung zustande, welche Gegenstand von Teil II der vorliegenden Studie war. Wir wollen jetzt schrittweise die Generalisierungen zur LANDMARKENschaft aus (11.36) in einen Lexikoneintrag für den LANDMARKENkopf übersetzen. Grundgeberschaft und lokaler Bezug: In einem ersten Schritt sollen (11.36a) und (11.36b) berücksichtigt werden. (11.37) Für beliebige Kontexte C gilt: OLANDMARKEPC ¼ λx . λs . 9s′[der Ort von s `s NachbarschaftsregionenraumC von x(s′)] (vorläufig)

primäre Figur

Dativreferent (maximaler Grundgeber) über Dativreferent lokalisierter intermediärer Grundgeber

Possessum

Possessor

Diagramm 11.10: Allgemeines Figur-Grund-Schema der freien Dativ-Diathese mit

LANDMARKE

Die Modellierung der

LANDMARKENschaft

 251

Die Wahrheitsbedingung von (11.37) ist eine Lokalisierungsrelation, formuliert als Teil-Ganzes-Beziehung unter Orten: Der Sachverhalt s der Verbalhandlung muss seinen Ort im Bereich der Nachbarschaftsregionen von x als beteiligt an s′ haben.32 Wenn Paul Paula auf den Mantel tritt, muss der Kontakt zwischen Pauls Fuß und Paulas Mantel an einem Ort bestehen, der über die Position von Paula in dem betreffenden Sachverhalt bestimmbar ist. Dabei ist der Nachbarschaftsregionenraum kontextuell parametrisiert, denn je nach linguistischem und außersprachlichem Kontext mag der Nachbarschaftsregionenraum einer gegebenen LANDMARKE mal größer und mal kleiner sein. So kann man z. B. im Extremfall wahrheitsgemäß sagen, dass einem Großbauern ein Vogel auf den Hof zugeflogen ist, auch wenn der Bauer den Vogel vielleicht noch gar nicht gesehen hat und sich nur jemand, der auf dem Hof arbeitet, sich um den Vogel kümmert. Das liegt daran, dass im angegebenen Szenario der gesamte große Hof als Nachbarschaftsregionenraum des Großbauern aufgefasst werden kann. Damit sind die beiden ersten Modellierungserfordernisse aus (11.36) abgegolten. Die nächste Modellierungsaufgabe ist in (11.38) wiederholt (vgl. (11.36c)). (11.38)

ASSERTIERTE/IMPLIZIERTE SACHVERHALTSBETEILIGUNG

(vgl. 11.2.2) Die Sachverhaltsbeteiligung von Referenten von LANDMARKEN-Dativen wird assertiert bzw. impliziert (und nicht präsupponiert).

Der assertierte bzw. implizierte Status der Sachverhaltsbeteiligung von LANDMARKEN-Dativreferenten ist dadurch bereits berücksichtigt, dass unsere aktuelle Formulierung den Raumbezug in dem betreffenden Sachverhalt als Wahrheitsbedingung formuliert (die Bedingung der Ort von s `s NachbarschaftsregionenraumC von x steht in (11.37) rechts vom rechtesten Punkt). Wir modellieren also eine Sicht auf die Daten, die für (11.39) eine Bewertung als kontradiktorisch voraussagt, was die konfligierenden Anforderungen im Hinblick auf Paulas Anwesenheit bzw. ihre räumliche Bezogenheit auf die Gumminase angeht. Dabei gilt, dass

 32 Eine weniger natürlichsprachliche Formalisierung der vorläufigen Wahrheitsbedingungen des LANDMARKEN-Kopfes würde den NachbarschaftsregionenraumC von x als Teil von s′ als Vereinigungsmenge modellieren: Der Nachbarschaftsregionenraum von x als Teil von s′ ist dann die Vereinigungsmenge aller Raumpunkte der Mengen N1 bis Nn , wobei die Mengen N1 bis Nn die Mengen aller Raumpunkte von Nachbarschaftsregionen von x umfassen. (Unser Nachbarschaftsregionenraum entspricht Krachts 2002: 186 Nachbarschaft (neighbourhood).) Ein Zustand von Geltung eines Zustands im Nachbarschaftsregionenraum eines Individuums ist dann als Teilmengenbeziehung beschreibbar: die Menge der Raumpunkte, die das am Zustand beteiligte Individuum einnimmt, ist eine Teilmenge der Raumpunkte, die den Nachbarschaftsregionenraum der LANDMARKE ausmachen.

252  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen Kontexte wie im oben diskutierten Großbauernfall „gedehnte“ Nachbarschaftsregionenräume ermöglichen. (11.39) [Paula hat die Gumminase, die zu ihrer Verkleidung gehört, liegen gelassen, als sie weggegangen ist. In ihrer Abwesenheit ist Ede auf die Gumminase getreten. Paul sagt:] # Ede ist Paula auf die Gumminase getreten, aber Paula war gar nicht da. Für reine

LANDMARKEN-Dative

(im Gegensatz zu treten-Dativen wie in (11.39), die LANDMARKENschaft und P-EXPERIENCERschaft verbinden) ist der entsprechende Effekt noch stärker. (11.40) a. absägen/einbauen-Dative: % dem Baum Äste einsprühen(, #die schon abgeschnitten und abtransportiert sind) b. wachsen/bröckeln-Dative: % Dem Baum fallen Blüten aus [den Ästen(, #die schon abgeschnitten und abtransportiert sind)]. c. am-Fuß-kleben-Dative: % Dem Baum hängen Birnen in [den Ästen(, #die schon abgeschnitten und abtransportiert sind)]. Satzgrammatische Diskursanbindung von LANDMARKEN-Dativen: Die nächste Modellierungsaufgabe (11.36d) ist in (11.41) wiederholt. (11.41)

DIE SATZGRAMMATISCHE NATUR DER DISKURSANBINDUNG VON LANDMARKEN-DATIVEN (vgl. 11.2.2) Die Anbindung eines LANDMARKEN-Dativreferenten an den präsupponierten Diskurshintergrund kann explizit nur lokal, d. h. innerhalb des (Teil-)Satzes erfolgen.

Die relevanten Daten aus 11.2.2 sind in (11.42) wiederholt. (11.42) [Die Tierschützer betraten ein Lagerhaus.] a. PRÄPOSITIONALOBJEKTSREFERENTEN BRAUCHEN NICHT SATZGRAMMATISCH LOKALISIERT ZU SEIN. … Aus dem Bauch eines Hundekadavers quollen die Eingeweide heraus. b. NICHT SATZGRAMMATISCH LOKALISIERTE DATIV-LANDMARKEN SIND NICHT GENÜGEND VERORTET. (#) … Einem Hundekadaver quollen die Eingeweide aus dem Bauch heraus.

Die Modellierung der

c.

LANDMARKENschaft

 253

VERORTUNG ÜBER SATZGRENZEN HINWEG GLÜCKT AUCH MIT KONTEXTUELL PLAUSIBLEN TEILSTRUKTUREN NICHT.

… In dem Lagerhaus stand ein Käfig. Einem Hundekadaver quollen die Eingeweide aus dem Bauch heraus. (Lesart: Der Hund ist nicht im Käfig.) d.

SATZINTERNE LOKALISIERUNGSINFORMATION KANN DIE DISKURSANBINDUNG LEISTEN.

(i) … In dem Lagerhaus/Dort/Drinnen/Gleich beim Eingang quollen einem Hundekadaver die Eingeweide aus dem Bauch heraus. (ii) … In einem Käfig quollen einem Hundekadaver die Eingeweide aus dem Bauch heraus. Ein Teil dieser Generalisierungen lässt sich durch die Einführung einer Ortsvariable modellieren: Der Lexikoneintrag des LANDMARKEN-Kopfs enthält eine lokal ungebundene Ortsvariable. Im Rahmen unserer Bindungsmodellierung aus Teil II in der Tradition von Heim & Kratzer (1998) und Büring (2005a, b) bedeutet das genauer, dass die Denotation des LANDMARKEN-Kopfs einen Argumentausdruck mit Index enthält, welcher durch die Belegungsfunktion auf eine Menge von benachbarten Raumpunkten abgebildet wird, der aber andererseits in einer Bindungskonfiguration auch dazu führen kann, dass ein c-kommandierendes Lokaladverb(ial) das Argument bindet. Solch eine Modellierung ist in (11.43) durchgeführt. (11.43) Für beliebige Belegungen a, Zahlen i und Kontexte C gilt: OLANDMARKEPa;C ¼ λx . λs . 9s′[der Ort von s `s NachbarschaftsregionenraumC von x(s′) & s′ gilt an Ort a(i)] (vorläufig) Mit (11.43) wird erreicht, dass Gesamtsachverhalt s′ entweder an einem kontextuell eindeutig identifizierten Ort gilt ‒ der Ort, auf den die Belegungsfunktion a die Zahl i abbildet ‒ oder aber dass der Ort per Bindung durch einen satzgrammatisch repräsentierten Ausdruck indirekt festgelegt ist. Dadurch, dass s′ lokalisiert wird, ist auch x, also das LANDMARKEN-Dativ-Individuenargument, lokalisiert, denn x ist beteiligt an s′. Die Bindbarkeit der Ortsvariable deckt Generalisierung (11.42d) ab, die Beschränkung, dass nur satzgrammatisch repräsentiertes Material die Verortung des Dativreferenten leisten kann. Das Problem ist nun aber, dass anaphorische Diskursbindung der Ortsvariable durch (11.43) nicht ausgeschlossen wird; d. h. (11.42b/c) sind noch nicht abgeleitet. Wir streben an dieser Stelle auch keine genauere Implementierung an. Für solch eine Implementierung wäre letztlich eine Refle-

254  Die LANDMARKEN-Relation von Dativen

xivierungsanalyse zwischen satzinternem Antezedens und gebundener Ortsvariable nötig. So könnte man z. B. das LANDMARKENmorphem weiter dekomponieren und syntaktisieren, bis der Ortsvariable der Status eines koverten Reflexivpronomens zukäme. Eine andere Frage, die in (11.43) nicht bzw. nur vorläufig geklärt wird, ist die, ob Orte Individuen sind oder als eigener ontologischer Typ modelliert werden sollten. So wie (11.43) formuliert ist, werden Orte als Individuen behandelt, denn Indizes in Form von natürlichen Zahlen (bzw. in Form von i, j etc. als Variablen darüber) werden von der Belegungsfunktion a auf Individuen abgebildet. Man könnte demgegenüber auch für eine ontologisch differenziertere Sicht argumentieren in dem Sinne, dass eine separate Lokalisierungsfunktion l spezifische Raumpunktmengen-Indizes auf Orte abbildet (vgl. Kracht 2002). Auch diese Verfeinerung nehme ich hier nicht vor. Abschluss nach oben: Das mereologische Modellierungserfordernis aus (11.36e) wird in (11.44) wiederholt und in (11.45) mit einem Beispielpaar illustriert. (vgl. 11.2.3) Referenten von LANDMARKEN-Dativen dürfen per Präsupposition keine echten Teile anderer sachverhaltsbeteiligter kontextuell relevanter Individuen sein. (11.45) a. Am Unterschenkel (des linken Beins) wachsen keine Haare mehr. b. %#Dem linken Bein wachsen am Unterschenkel keine Haare mehr. (11.44)

ABSCHLUSS NACH OBEN

Der Lambdaterm in (11.46) drückt diese Generalisierung zusammen mit unseren bisherigen Festlegungen für LANDMARKEN aus. Die neue mereologische Komponente ist durch Fettdruck hervorgehoben. (11.46)

LANDMARKEN MIT ABSCHLUSS NACH OBEN

Für beliebige Belegungen a, Zahlen i und Kontexte C gilt: OLANDMARKEPa;C ¼ λx : J9y[x `e y & y2K]. λs . 9s′[der Ort von s `s NachbarschaftsregionenraumC von x(s′) & s′ gilt an Ort a(i)], wobei K eine kontextuell saliente Teilmenge von D ist (endgültig) Der Abschluss nach oben wird in (11.46) ausgedrückt durch eine Präsupposition. Es wird ausgeschlossen, dass der LANDMARKEN-Dativreferent x echter Teil eines kontextuell relevanten Individuums y ist. (Ich formuliere die Präposition – letztlich inadäquat – ohne Zustandsbezug. Dadurch bleibt der λ-Term besser lesbar.)

Die Modellierung der

LANDMARKENschaft

 255

Grundgeberrekursion: Es bleibt noch eine LANDMARKEN-Eigenschaft übrig, nämlich die Grundgeberrekursion aus 11.2.4, hier noch einmal wiederholt als (11.47). (11.47) GRUNDGEBERREKURSION LANDMARKEN-Dative spannen den Grund für Figuren auf, die wiederum den Grund für die primäre Figur aufspannen. Grundgeberrekursion ist diejenige Eigenschaft, die es ausschließt, dass LANDMARKEN-Dative als LANDMARKEN unmittelbar für den primären Zustandsträger oder die am tiefsten eingebettete Figur fungieren, sondern immer Grundgeber für einen weiteren Grundgeber sind, nämlich für denjenigen Grundgeber, der schließlich den Grund für die primäre Figur aufspannt (vgl. z. B. Diagramm 11.10 auf S. 250). Die Eigenschaft der Grundgeberrekursion ergibt sich bereits vollständig aus unserer zuletzt aufgestellten und endgültigen Formulierung der LANDMARKEN-Denotation in (11.46). Dadurch, dass (11.46) nur e i ne n lambdagebundenen Individuenbezug aufweist (und sonst nur noch einen weiteren lambdagebundenen Bezug auf ein Zustandsargument sowie negiert existenziell gebundene weitere Individuen- und Zustandsvariablen), wird die LANDMARKEN-Variable x nur auf Z u st ä nd e räumlich bezogen (nämlich auf s′ und indirekt auf s), und nicht auf ein anderes Individuum (vgl. auch Tomioka & Sim 2005). Wenn man zudem davon ausgeht, dass Zustände, die durch die räumliche Position einer Figur (mit)konstituiert werden, als solche immer den Bezug auf eine lokale Verankerung dieser Figur durch einen weiteren Referenten voraussetzen, ergibt sich die doppelte Rekursion der LANDMARKEN-Dativschaft von selbst: Das Denotat der Schwester des LANDMARKEN-Morphems impliziert immer schon eine räumliche Situierung, und dazu müssen schon eine primäre Figur und ein Grundgeber vorhanden sein. Der Zustandsbezug der LANDMARKE betrifft immer nur den unmittelbar eingebetteten Zustand (von dem der intermediäre Grundgeber ein Teil ist); auf den minimalen Zustand, an dem die primäre Figur beteiligt ist, kann die LANDMARKE immer nur indirekt über den Zustand des intermediären Grundgebers bezogen werden. Damit ist mein Vorschlag für die Explizierung des LANDMARKEN-Morphems komplett.

12 Kreuzklassifizierende Dimensionen: Sachverhaltsstruktur, thematische Beteiligung und Bindungsziele 12.1 Die kreuzklassifizierenden Dimensionen intuitiv Die Faktoren, die in diesem Kapitel diskutiert werden, fügen den Sachverhaltsbeteiligungen von LANDMARKEN und P-EXPERIENCERN (und von AFFIZIERTEN als Kombination aus beidem) nichts Neues hinzu. Vielmehr handelt es ich um Dimensionen der Variation, die ganz unabhängig von freien Dativen zwischen Sätzen gegeben sind. Das Problem ist, dass etwa die Bedeutungen von Sätzen mit „Judikanten“- oder zu-steil/süß-Dativen wie Ihr ist der Auflauf noch zu heiß im Vergleich mit einem „benefaktiven“ stricken/sauberwischen-Dativ wie in ihm ein Schiffchen basteln zunächst einmal so wenige Vergleichspunkte aufweisen, dass man leicht glauben kann, dass es sich um ganz unterschiedliche Dativ-Phänomene handelt. Wenn man dann noch einen Fall mit am-Fuß-kleben-Dativ wie Ihm hängt das Hemd aus der Hose hinzunimmt, wird es noch schwerer zu sehen, dass der Bedeutungsbeitrag der Dative jeweils nur innerhalb sehr enger Grenzen variiert. Diese engen Grenzen, so werden wir argumentieren, sind vollständig durch den Unterschied zwischen LANDMARKEN- und P-EXPERIENCER-Beteiligung vorgegeben. Alles, was darüber hinausgeht, ist unabhängigen Faktoren geschuldet. Der erste Faktor, den wir uns genauer ansehen werden, betrifft die Sachverhaltsstruktur. Dem entspricht die Frage, ob ein Zustand beschrieben wird, das (nicht-gewollt verursachte) Zustandekommen eines Zustands oder aber das beabsichtigte Herbeiführen eines Resultats. So beschreiben Ihr ist der Auflauf noch zu heiß und Ihm hängt das Hemd aus der Hose Zustände, ihm ein Schiffchen basteln aber das beabsichtigte Herbeiführen der Existenz des Schiffchens. Im Gegensatz dazu beschreibt Ihm fiel das Schiffchen runter einen Sachverhalt, der einfach passiert und nicht beabsichtigt ist. Wir legen die Analyse dieser Gegebenheiten so an, dass die Sachverhaltsbeteiligung des Dativreferenten sich auf den Zustand oder die Zustandsverursachung bezieht. Die zweite Dimension fügt die Ergebnisse der thematischen Diskussion aus den Kapiteln 10 und 11 hinzu; es geht um die Frage, ob der Dativreferent als LANDMARKE oder als P-EXPERIENCER oder als beides am Sachverhalt beteiligt ist. Die dritte Dimension nimmt eine zentrale Unterscheidung aus Teil II wieder auf: Bindet der Dativ einen Possessor oder ein Zwecksubjekt? Es ist wahrscheinlich unstrittig, dass es eine prototypische Zuordnung von Possessorbindung und LANDMARKEN-Beteiligung einerseits und von Zwecksubjekt-Bindung und PEXPERIENCER-Beteiligung andererseits gibt. Aber erstens gibt es auch verschiede-

Empirische Generalisierungen zur Interaktion  257

ne komplexe Kombinationen (etwa LANDMARKE þ P-EXPERIENCER þ Zwecksubjektund Possessorbindung wie in naheliegenden Lesarten von ihm das Bein unter Schmerzen zur besseren Heilung schienen), und außerdem sind einzelne Kombinationen auch ausgeschlossen. So gibt es keine Fälle von reiner LANDMARKENBeteiligung mit Bindung von Zwecksubjekten. Die Unterscheidung und Diskussion dieser verschiedenen Fälle wird die empirische Geschmeidigkeit unseres Vorschlags (bei gleichzeitiger klarer Beschränkung der Lesarten) zur Geltung bringen. Ich glaube, dass kein anderer momentan vertretener Ansatz zur Syntax und Semantik freier Dative die Ableitung so vieler verschiedener Lesarten mit vergleichbar wenigen dativbezogenen Annahmen in vergleichbar expliziter Form leisten kann.

12.2 Empirische Generalisierungen zur Interaktion von Sachverhaltsstruktur, thematischer Beteiligung und Bindungszielen 12.2.1 Kreuzklassifizierende Dimensionen I: Sachverhaltsstruktur und P-EXPERIENCERschaft Die Sätze in (12.1) illustrieren bei maximaler Bedeutungsverwandtschaft drei unterschiedliche Sachverhaltstypen. (12.1) a. Dem Jungen hat das Kaugummi an der Schuhsohle geklebt. ‘Es bestand der Zustand, dass dem Jungen das Kaugummi an der Schuhsohle klebte.’ b. Dem Jungen ist das Kaugummi an der Schuhsohle festgeklebt. ‘Es trat der Zustand ein, dass dem Jungen das Kaugummi an der Schuhsohle klebte.’ c. Emma hat dem Jungen das Kaugummi an der Schuhsohle festgeklebt. (12.1a) ist ein Beispiel für eine (resultativ-)stative Sachverhaltsbeschreibung im Sinne von Vendlers (1957[1967]) states. In der Weise, die für die Semantik von kleben charakteristisch ist (Kaufmann 1995a; vgl. auch Fn. 14/Teil III), besteht eine unterstützende Kontaktbeziehung zwischen dem Kaugummi und einer Nachbarschaftsregion der Schuhsohle, nämlich der Oberfläche (bzw. der Unterseite) der Schuhsohle. (12.1b) liefert sozusagen die Vorgeschichte, denn der Satz beschreibt das Zustandekommen der Situation in (12.1a). Die Sachverhaltssemantik von unakkusativem oder inchoativem festkleben umfasst also die Assertion der Zustandveränderung (das In-Kontakt-Kommen von Kaugummi und Schuhsohle) ebenso

258  Kreuzklassifizierende Dimensionen

wie die Assertion des Resultatszustands (das Kleben des Kaugummis an der Schuhsohle). Unakkusativa gehen im Deutschen wahrscheinlich mit einer Implikation oder Präsupposition über das nicht-agentive Verursachtsein des Resultatszustands einher. Ich nehme also mit Kratzer (2005a) an, dass (12.1b) ein verursachendes Ereignis impliziert, nur wird außer über die Existenz und NichtAgentivität dieses Ereignisses hinaus nichts impliziert bzw. präsupponiert.33 Andererseits schließe ich (gegen Levin & Rapaport Hovav 1995 und mit Härtl 2003) aus, dass ein AGENS semantisch impliziert ist. (12.1c) schließlich weitet den Situationsblickwinkel insofern noch weiter, als jetzt auch ein AGENS in den Blick kommt: Der verursachende Sachverhalt von (12.1c) weist einen agentiv handelnden Mitspieler auf, und zwar Emma. Damit erhalten wir einen agentiv-kausativen Gesamtsachverhalt. Er besteht aus einem verursachenden Ereignis, in dem ein AGENS vorkommt, und aus einem Resultatszustand. Weil (12.1b) wohl impliziert oder zumindest präsupponiert, dass das Festkleben nicht durch eine agentive Handlung als unmittelbar verursachendes Ereignis zustande gekommen ist, kann (12.1c) nicht einfach das Ergebnis der Aufaddierung der Bedeutung von (12.1b) und Agentivität sein. Solch eine Aufaddierung würde zu dem Widerspruch führen, dass das unmittelbar verursachende Ereignis einen Agens und keinen Agens aufwies. Universalgrammatisch ist es wahrscheinlich nicht notwendig, dass unakkusative Konstruktionen immer mit der Implikation bzw. Präsupposition der Nicht-Agentivität einhergehen, so dass man die Nicht-Additivität- von (12.1b) und (12.1c) als eine Merkmalsbündelung einzelner Sprachen beschreiben kann.34 Demzufolge muss man nicht an 33 Diese Annahme ermöglicht es, ohne die Ansetzung eine BECOME-Primitivums auszukommen (Kratzer 2005, zustimmend Alexiadou, Anagnostopoulou & Schäfer 2006). Das, was bei Autoren wie Dowty (1979), Bierwisch (1989), Wunderlich (1992), Kaufmann (1995a), Stiebels (1996a,b) oder Primus (1999) durch das BECOME-Prädikat ausgedrückt wird, lässt sich ebenso darstellen als Kausiertheit eines Zustands durch ein existenziell gebundenes verursachendes Ereignis, d. h. durch die Annahme eines – sowieso benötigten – CAUSE-Prädikats, dessen verursachendes Ereignisargument existenziell gebunden wird (vgl. 12.3 für die Modellierung). 34 Dem scheint zu widersprechen, dass Sätze wie (i) vorkommen, die nicht unbedingt den Eindruck einer Kontradiktion erwecken, und das würde dafür sprechen, die Signalisierung von Nicht-Agentivität (höchstens) als Präsupposition, wenn nicht sogar nur als skalare Implikatur zu fassen.

(i) Ihm ist ein Kaugummi an der Schuhsohle festgeklebt, weil ich es dahingeklebt habe. (i) scheint zu widerlegen, dass Unakkusativität Agentivität ausschließt, und es würde die gegenläufige Behauptung unterstützen, dass unakkusativ/inchoativ versprachlichte Sachverhalte rein additiv agentiv angereichert werden können. Allerdings tendiere ich dazu, die Bedeutung von (i) wie in (ii) kontextualisiert zu paraphrasieren, und wenn diese (in ihrem ersten Teil wohlgemerkt stative!) Paraphrase akkurat ist, stellt (i) keine Gegenevidenz zu der These mehr

Empirische Generalisierungen zur Interaktion  259

nehmen, dass universalgrammatisch Sätze, die das bloße Eintreten eines Resultatszustands denotieren, immer implizieren oder semantisch präsupponieren, dass das verursachende Ereignis keinen Agens hatte.35 (12.1′) fasst diese Generalisierungen zur Ereignissemantik noch einmal so zusammen, dass die allgemeinsten ereignissemantischen Implikationen von Assertionen mit entsprechenden Prädikatstypen natürlichsprachlich ausformuliert werden. (12.1′)

a. Zustand ‘Es gibt einen Zustand eines bestimmten Typs.’ b. (nicht-agentive) Zustandsverursachung ‘Es gibt ein (nicht-agentives) Ereignis, das einen Zustand eines bestimmten Typs verursacht.’ c. agentive Zustandsverursachung ‘Es gibt ein Ereignis mit einem AGENS, das einen Zustand eines bestimmten Typs verursacht.’

Der Typ (12.1′b) wird oft „Zustandsveränderung“ oder „change-of-state“ genannt, aber im Lichte der hier zugrundegelegten Sachverhaltsontologie sind das keine ganz geglückten Bezeichnungen, denn es wird ja nichts über einen Au s ga ng s zustand impliziert, sondern nur über den Resultatszustand. Der Begriff der Zustandsveränderung scheint mir jedoch die gleichartige Bezugnahme auf Ausgangs- wie Resultatszustand zu implizieren. Deswegen benutze ich lieber den Begriff „Zustandsverursachung“, zumal durch ihn auch gleich die Festlegung auf eine kausative – nicht zu verwechseln mit „agentiv-kausative“ – Semantik für unakkusative oder inchoative Prädikate zum Ausdruck kommt (vgl. Fn. 33). Nur in Klammern fließt die Komponente der Nicht-Agentivität in die Bezeichnung für diesen Sachverhaltstyp mit ein, weil wir oben argumentiert haben, dass die Bün dar, dass unakkusativ/inchoativ konstruierte Sätze im Deutschen eine nicht-agentive Implikation aufweisen.

(ii) ‘Ihm klebt ein Kaugummi an der Schuhsohle, weil ich es dahingeklebt habe, und es scheint dir nur so, dass ihm ein Kaugummi an der Schuhsohle klebt, der ohne agentive Einflussnahme dahingekommen ist.’ Ich lasse die Frage unentschieden, modelliere in 12.3 aber, um einen konkreten Vorschlag vorlegen zu können und die Terme übersichtlich zu halten, eine Implikation. Für Diskussionen zu diesem Punkt bin ich David Restle und Fabian Schäfer zu Dank verpflichtet. 35 So weisen auch Pylkkänen (2002) und Kratzer (2005a) auf das typologisch klassenbildende Merkmal der Bündelung von Kausierungs- und Diathesemerkmalen hin: Das Deutsche gehört zu denjenigen Sprachen, die in vielen Konstruktionen bei der Einführung des CAUSE-Prädikats dem Sprecher gleichzeitig eine Entscheidung darüber abverlangen, ob das verursachende Ereignis einen AGENS hatte.

260  Kreuzklassifizierende Dimensionen delung von Zustandsverursachung und Information über (Nicht-)Agentivität keine Notwendigkeit darstellt, sondern nur eine typologische Möglichkeit ist. Typ (12.1′c) wird oft als „agentiv-kausativ“ bezeichnet, eine Bezeichnung, der wir uns prinzipiell anschließen könnten. Allerdings würde ihr Gebrauch in (12.1′) den hier zugrundegelegten „Baukasten“-Charakter der angenommenen Sachverhaltstypen und der zwischen ihnen bestehenden Relationen verschleiern. Würden wir von „agentiv-kausativer Zustandsverursachung“ sprechen, wäre das Element der Verursachung unnötig doppelt benannt. Die Variante „agentiv-kausative Zustandsveränderung“ würde den rein additiven Unterschied zwischen (12.1′b) ohne Nicht-Agentivitätskomponente und (12.1′c) verdunkeln und zudem das Problem der gleichgewichteten Bezugnahme auf den Vorzustand wieder aufweisen. Deswegen bleibe ich bei den in (12.1′) gebrauchten Termini. Typischerweise sind Sätze, die reine Zustände oder reine Zustandsverursachungen beschreiben, intransitiv. Sätze, die agentive Zustandsverursachungen beschreiben, sind, wenn sie nicht passiviert oder anders diathetisch verändert sind, transitiv oder weisen ein VP-internes Richtungskomplement auf. Es gibt jedoch auch transitive Sätze ohne Verursachungssemantik, geschweige denn agentive Verursachungssemantik. Ein Beispiel ist in (12.2a) gegeben (vgl. Jackendoff 1990a, Levin 1993: 120, Kratzer 2000, Haiden 2004: 38, Siemund & Hole 2006: 204-205, Jackson 2004, 2005). (12.2) a. Blumen schmücken seinen Balkon. b. Paul schmückt seinen Balkon mit Blumen. Zunächst mag es so aussehen, als sei (12.2a) einfach ein Satz, der eine Zustandsverursachung beschreibt, allerdings mit der Besonderheit, dass das Subjekt kein prototypischer AGENS ist, sondern ein INSTRUMENT oder etwas Ähnliches. Tatsächlich belegt (12.2b), dass man die Blumen mit dem typischen Ausdrucksmittel einer INSTRUMENT-Relation in einen Satz, der eine agentive Zustandsveränderung zum Inhalt hat, einbringen kann. Mehr noch, die semantische Beziehung, die zwischen den Blumen und dem resultierenden Geschmücktsein des Balkons in (12.2b) besteht, ist genau dieselbe Relation, die in der Interpretation von (12.2a) zwischen den Blumen und dem Geschmücktsein des Balkons besteht. Es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied. Sofern man phantastische Kontexte ausschließt, muss (12.2a) völlig stativ interpretiert werden, und es ist nicht einmal impliziert, dass es sich um den Resultatszustand einer i nt en ti on al - a ge nt i ven Zustandsverursachung handelt. So kann z. B. die Kletterrose vom Nachbarn eine Etage tiefer hochgewachsen sein und Pauls Balkon in (12.2a) schmücken, ohne dass je jemand das beabsichtigt hätte oder handelnd dazu beigetragen hätte. Kurzum, es gibt transitive Verben, die eigentlich meist agentive Zustandsverursachungen beschreiben, die aber in einem

Empirische Generalisierungen zur Interaktion  261

abgeleiteten Gebrauch, der keine Implikation über seine intentional-agentive Verursachung enthält, rein stativ interpretiert werden. Im Unterschied zu der Situation bei den wenigen lexikalisch stativen transitiven Verben wie haben liegt hier ein systematisches Faktum vor, das eine klar umrissene Verbklasse betrifft. Es handelt sich um Levins (1993: 119-120) fill-Verben in ihrem stativen Gebrauch, der immer dann möglich ist, wenn das „Lokatum“ in der „Lokatum-Subjekt-Diathese“ (locatum subject alternation; Levin 1993: 81-82) die Subjektfunktion innehat. Semantisch ist diese besondere Diathese von fill-Verben eng verwandt mit der lexikalischen Semantik von Positionsverben wie sitzen, stehen, liegen. Der Unterschied ist nur, dass letztere Verben nie transitiv konstruiert werden, sondern PP-Ergänzungen nehmen (wahrscheinlich, weil sie als Verben mit stativer Lesart synchron nicht produktiv von ihren agentiv zustandsverursachenden und einen Akkusativ regierenden Varianten setzen, stellen, legen abgeleitet sind). Wir haben diese Erörterung der Stelligkeit unterschiedlicher rein stativ interpretierter Verben hier eingeschaltet, da im Bereich der nur zustandsimplizierenden Prädikationen mit freien Dativen die größte Stelligkeitsvariation zu beobachten ist, wir aber diese unterschiedlichen Stelligkeitstypen alle nur einem einzigen ereignissemantischen Typ zuweisen wollen. Die Dative unserer Testbatterie, die in diesem Zusammenhang betroffen sind, sind die einengen/sitzen-Dative. Diese Klasse vereint bei gemeinsamer Stativität transitive Konstruktionen sowie intransitive mit PP-Komplement. Wenn man Zustandspassiva von unakkusativen Verben mit hinzunimmt, erhält man auch noch intransitive Konstruktionen ohne PP.36 (12.3) führt je ein Beispiel auf. (12.3) einengen/sitzen-Dative a. intransitiv & PP Dem Gaukler saß ein Affe auf der Schulter. b. transitiv Der Kragen schnürte ihm den Hals ein. c. Zustandspassiv ohne PP Ihm ist der Rücken (seit seiner Pubertät) vernarbt. Wenn wir nun unsere Subtypen freier Dative vollständig auf die drei Sachverhaltsklassen verteilen, die wir oben unterschieden haben, erhalten wir die Klassifikation in Tabelle 12.1.  36 Innerhalb der Germanistik wird nicht allgemein angenommen, dass unakkusative Verben Zustandspassiva bilden können (vgl. etwa Helbig 1987). Ich habe jedoch an anderer Stelle zu zeigen versucht, dass die Annahme, dass Zustandspassiva von Unakkusativa nicht bildbar sind, nicht haltbar ist (Hole 2002).

262  Kreuzklassifizierende Dimensionen Tab. 12.1: Klassifikation freier Dativ-Konstruktionen nach Sachverhaltstyp SACHVERHALTSTYP

TYPEN FREIER DATIVE

BEISPIELE

agentive Zustandsverursachung

treten-Dative ihm auf den Mantel treten stricken/sauberwischen-Dative ihm ein Bullauge sauberwischen % dem Baum Äste vom Stamm absägen absägen/einbauen-Dative

(nicht-agentive) auf-den-Fuß-fallen-Dative Zustandswachsen/bröckeln-Dative verursachung sich-öffnen-Dative Zustand

einengen/sitzen-Dative offenstehen-Dative am-Fuß-kleben-Dative zu-steil/süß-Dative

Ihm ist etwas auf den Fuß gefallen. Dem Haus läuft Wasser in den Keller. Ihm öffnete sich die Tür.

%

Die Hose engte ihm alles ein. Ihr stand die Tür offen. % Der Kiste quoll Füllmaterial aus den Ritzen. Die Treppe ist ihr zu steil.

In 10.2.3 hatten wir bereits eine andere Klassifikation über die Dativtypen unserer Testbatterie durchgeführt. Dort ging es um die Frage, welche Dative bei Inanimatheit des Referenten eine Personifikationslesart erhalten. Wenn wir die Klassifikation nach Sachverhaltstypen kombinieren mit der nach P-EXPERIENCERBeteiligung vs. Nicht-P-EXPERIENCER-Beteiligung, ergibt sich die Kreuzklassifikation in Tabelle 12.2. Tab. 12.2: Kreuzklassifikation freier Dativ-Konstruktionen nach Sachverhaltstyp und P-EXPERIdes Dativreferenten

ENCERschaft

THEMATISCHE BETEILIGUNG DES DATIVREFERENTEN NICHT-P-EXPERIENCER

(¼LANDMARKE)

SACHVERHALTSTYP

agentive Zustandsverursachung

(nicht-agentive) Zustandsverursachung

Zustand

P-EXPERIENCER (& LANDMARKE)

absägen/einbauen-Dative

treten-Dative stricken/sauberwischen-Dative

%

dem Baum Äste vom Stamm absägen

ihm auf den Mantel treten ihm ein Bullauge sauberwischen

wachsen/bröckeln-Dative

auf-den-Fuß-fallen-Dative sich-öffnen-Dative

%

Dem Haus läuft Wasser in den Keller.

Ihm ist etwas auf den Fuß gefallen. Ihm öffnete sich die Tür.

am-Fuß-kleben-Dative

einengen/sitzen-Dative offenstehen-Dative zu-steil/süß-Dative

%

Die Hose engte ihm alles ein. Ihr stand die Tür offen. Die Treppe ist ihr zu steil.

Der Kiste quoll Füllmaterial aus den Ritzen.

Empirische Generalisierungen zur Interaktion  263

Durch die Einführung der kreuzklassifizierenden Dimension in Tabelle 12.2 enthält jede Klasse nur noch ein oder zwei Mitglieder, mit Ausnahme der Dative, die P-EXPERIENCER von Zuständen denotieren. In dieser Klasse rechts unten in der Tabelle befinden sich noch drei Dativ-Subtypen. Der nächste Klassifizierungsschnitt, den wir vornehmen werden, wird dazu führen, dass in jeder Kategorie (bis auf eine) nur noch ein Dativtyp der Testbatterie vorkommt. Dieser Klassifikationsschritt berücksichtigt eine weitere thematische Komponente. Während wir bislang nur die Klasse der P-EXPERIENCER von der komplementären Klasse der NICHT-P-EXPERIENCER unterschieden haben, werden wir in 12.2.2 zusätzlich die Klasse der LANDMARKEN von der Klasse der NICHT-LANDMARKEN unterscheiden. Entweder kann ein freier Dativ P-EXPERIENCER sein, oder er kann LANDMARKE sein, oder er kann beides sein. Bevor wir diesen Klassifikationsschritt durchführen, müssen wir uns jedoch noch Klarheit über den relevanten Sachverhaltstyp von zu-steil/süß-Dativen verschaffen. Bislang haben wir die entsprechenden Konstruktionen immer ganz selbstverständlich als stativ behandelt, aber die Aufrechterhaltung dieser Generalisierung muss angesichts bestimmter Daten begründet werden. Diese Begründung liefert der folgende Unterabschnitt. Der Sachverhaltstyp von Sätzen mit zu-steil/süß-Dativen: Bis zu diesem Punkt haben wir immer nur solche Sätze mit „Judikanten“-Dativen diskutiert, in denen das gradierbare Adjektiv den Prädikatsnukleus dargestellt hat. Demzufolge gehörten alle Sätze mit „Judikanten“-Dativen zum Sachverhaltstyp der Zustände. Angesichts von Daten wie in (12.4) mag man leicht glauben, „Judikanten“-Dative kämen auch mit nicht-agentiven und agentiven Zustandsverursachungen (vgl. 12.2.1) vor – und sogar, wie (12.4d) nahezulegen scheint, mit einem Sachverhaltstyp, mit dem die freie Dativdiathese sonst nicht kompatibel ist. (12.4) a. Paul war Nico zu träge. (Zustand) b. Paul wachte Nico zu früh auf. ((nicht-agentive) Zustandsverursachung) c. Paul fuhr Nico zu schnell in die Garage. (agentive Zustandsverursachung) d. Paul fuhr Nico zu schnell. (Handlung (Vendlers 1957[1967] activities)) NOM

DAT

NOM

DAT

NOM

DAT

NOM

DAT

Allerdings wäre dieser Schluss, dass nämlich zu-steil/süß-Dative nicht sensitiv für bestimmte Sachverhaltstypen sind, voreilig. Wenn wir gemäß unserer Diskussion der zu-steil/süß-Dative in Teil II/8.2.3 und 8.3.3 für die Sätze in (12.4) Paraphrasen wie in (12.4′) angeben, sehen wir, dass das Vergleichsprädikat in allen Fällen weiteren Skopus hat als die verbalen oder adjektivischen Prädikate.

264  Kreuzklassifizierende Dimensionen

Letztere liefern nur Restriktormaterial für die Bestimmung von dREF . Demzufolge ist der Sachverhaltstyp der in die Vergleichskonstruktion eingebetteten Konstruktionen irrelevant für die Bestimmung des Sachverhaltstyps der gesamten Konstruktion, denn auf der höchsten Ebene liegt immer ein Vergleich zwischen Graden vor, und der ist stativ. (12.4′) a. ‘Der Grad dREF , zu dem Paul träge war, war größer als der im Hinblick auf Nicos Zweck z, etwa mit Nico zusammenzuleben, festgelegte obere Grenzwert dSTANDmax , und Nico hatte eine mentale Repräsentation davon.’ b. ‘Der Frühheitsgrad dREF des Aufwachens von Paul war größer als der im Hinblick auf Nicos Zweck z, etwa auszuschlafen, festgelegte obere Grenzwert dSTANDmax , und Nico hatte eine mentale Repräsentation davon.’ c. ‘Der Grad dREF an Schnelligkeit, mit dem Paul in die Garage fuhr, war größer als der im Hinblick auf Nicos Zweck z, etwa sich sicher zu fühlen, festgelegte obere Grenzwert dSTANDmax , und Nico hatte eine mentale Repräsentation davon.’ d. ‘Der Grad dREF an Schnelligkeit, mit dem Paul fuhr, war größer als der im Hinblick auf Nicos Zweck z, etwa sich sicher zu fühlen, festgelegte obere Grenzwert dSTANDmax , und Nico hatte eine mentale Repräsentation davon.’ Ein näher am sprachlichen Material gewonnenes Argument kann man entwickeln, wenn man sich die Interaktion des Adverbs plötzlich mit unseren Sätzen in (12.4′′) ansieht. (12.4′′) a. b. c. d.

Paul Paul Paul Paul

NOM

NOM

NOM

NOM

war Nico plötzlich zu träge. wachte Nico plötzlich zu früh auf. fuhr Nico plötzlich zu schnell in die Garage. fährt Nico plötzlich zu schnell. DAT

DAT

DAT

DAT

In allen vier Sätzen bezieht sich plötzlich auf die Veränderung von Nicos Einschätzung: Während Nico früher nicht fand, dass Paul zu träge ist, impliziert (12.4′′a), dass Nico zum Referenzzeitpunkt seine Meinung geändert hatte. Obwohl in einem Satz ohne Dativ wie Paul fuhr plötzlich in die Garage das Adverb plötzlich die Unvermitteltheit des In-die-Garage-Fahrens ausdrückt, kann es das in (12.4′′c) nicht. Das zeigt ganz deutlich, dass (12.4′′c) k ei ne agentive Zustandsverursachung assertiert, sondern einen Vergleich zwischen Schnelligkeitsgraden (dessen Bewertungsgrundlage, nämlich dSTANDmax , sich offenbar

Empirische Generalisierungen zur Interaktion  265

kurz vor dem Referenzzeitpunkt geändert hat). Die agentive Zustandsverursachung ist demgegenüber in (12.4′′c) präsupponiert. Analoge Argumente lassen sich für die Sätze in (12.4′′b) und (12.4′′d) konstruieren. Es bleibt also dabei, dass Referenten von zu-steil/süß-Dative, auch wenn sie in Sätzen mit dynamischen verbalen Prädikaten vorkommen, an stativen Sachverhalten mit höchstem Skopus beteiligt sind. Unsere letzte Tabelle 12.2 trug diesem jetzt bestätigten Befund schon Rechnung.

12.2.2 Kreuzklassifizierende Dimensionen II: LANDMARKENschaft und davidsonische Argumenthaltigkeit Die Klassifikation in Tabelle 12.2 berücksichtigt noch nicht die Dimension der (NICHT-)LANDMARKENschaft. Es ist nämlich, wie schon verschiedentlich angemerkt, nicht so, dass P-EXPERIENCERschaft und LANDMARKENschaft sich wechselseitig ausschließen würden. Ein freier Dativreferent kann sowohl P-EXPERIENCER als auch LANDMARKE sein. Als entscheidendes semantisches Kriterium für LANDMARKENschaft hatten wir in Kap. 11 festgestellt, dass LANDMARKEN grundsätzlich einen Tab. 12.3: Kreuzklassifikation freier Dativ-Konstruktionen nach Sachverhaltstyp und P-EXPERIENCERschaft des Dativreferenten THEMATISCHE

BETEILIGUNG

NICHT-P-EXPERIENCER

(¼LANDMARKE)

SACHVERHALTSTYP

agentive Zustandsverursachung

(nicht-agentive) Zustandsverursachung

Zustand

DES DATIVREFERENTEN P-EXPERIENCER (& LANDMARKE)

absägen/einbauen-Dative

treten-Dative stricken/sauberwischen-Dative

%

dem Baum Äste vom Stamm absägen

ihm auf den Mantel treten ihm ein Bullauge sauberwischen

wachsen/bröckeln-Dative

auf-den-Fuß-fallen-Dative sich-öffnen-Dative

%

Dem Haus läuft Wasser in den Keller.

Ihm ist etwas auf den Fuß gefallen. Ihm öffnete sich die Tür.

am-Fuß-kleben-Dative

einengen/sitzen-Dative offenstehen-Dative zu-steil/süß-Dative

%

Die Hose engte ihm alles ein. Ihr stand die Tür offen. Die Treppe ist ihr zu steil.

Der Kiste quoll Füllmaterial aus den Ritzen.

266  Kreuzklassifizierende Dimensionen

räumlichen Bezug zu einem weiteren Referenten (bzw. zu einem Teilsachverhalt mit einem beteiligten Referenten) aufweisen müssen, der am VP-Sachverhalt beteiligt ist. Wir wollen dieses Kriterium der räumlichen Bezogenheit nun zur weiteren Auffächerung unserer vorläufigen Klassifikation aus Tabelle 12.2, hier wiederholt als Tabelle 12.3, nutzbar machen. In den Zellen der rechten Spalte von Tabelle 12.3 ist immer ein Dativtyp mit simultaner LANDMARKEN- und P-EXPERIENCER-Eigenschaft zusammengefasst mit einem Dativtyp (oder, rechts unten, mit zwei Dativtypen), der allein P-EXPERIENCER-Eigenschaften aufweisen muss. Für treten-Dative gilt, dass der Referent, dem z. B. auf etwas getreten wird, im betreffenden Sachverhalt räumlich bezogen sein muss auf das, worauf getreten wird. Das LANDMARKEN-Kriterium ist also erfüllt. Gleichzeit denotieren treten-Dative, wie wir aus Kap. 10 wissen, auch eindeutig P-EXPERIENCER. Die Referenten von stricken/sauberwischen-Dativen hingegen müssen in keiner räumlichen Beziehung zu einem Referenten des VP-Sachverhalts stehen. So kann man jemandem einen Pullover stricken und das Ergebnis, weil es missraten ist, nach dem Stricken, und ohne es dem Dativreferenten zu zeigen oder ihn in Kenntnis von der Existenz des Pullovers zu setzen, gleich wieder aufribbeln. D. h. zu keinem Zeitpunkt der Existenz des Pullovers hat eine relevante räumliche Konfiguration zwischen dem intendierten Begünstigten und dem Pullover bestanden. Ganz parallel kann einem ein Gegenstand nur dann etwas einengen (vgl. die rechte Zelle mit Sachverhaltstyp „Zustand“ in Tabelle 12.3), wenn der Gegenstand räumlich auf einen bezogen ist. Im Gegensatz dazu kann einem eine Tür offenstehen, ohne dass man vor Ort ist. Für die mittlere P-EXPERIENCER-Zelle mit Zustandsverursachungs-Sachverhalten von Tabelle 12.3 kann man analog argumentieren: Wenn etwas auf meinen Mantel gefallen ist, ich aber in der Situation nicht anwesend war und ich von dem Vorfall nur berichtet bekommen habe, kann ich nicht sagen: „Mir ist etwas auf den Mantel gefallen“. Nur wenn ich während des Fallens anwesend war, kann ich sagen, dass mir etwas auf den Mantel gefallen ist. Die lokale Bezogenheit der LANDMARKE ist also nachweisbar. Wir können demnach unsere Klassifikation von Dativtypen wie in Tabelle 12.4 durchgeführt weiter explizieren. In Bezug auf die thematischen Beteiligungen haben wir jetzt also je eine reine LANDMARKEN- und eine reine P-EXPERIENCER-Klasse, sowie eine Mischklasse. In einer Zelle (rechts unten) sind jedoch immer noch zwei Dativtypen vertreten (offenstehen-Dative und zu-steil/süß-Dative). Sie stehen in einer Zelle, weil beide in Sätzen vorkommen, die Zustände beschreiben und deren Dativreferenten reine P-EXPERIENCER sind. Allerdings hatten wir in 8.3.3 bereits herausgestellt, dass der relevante Zustandsbezug von zu-steil/süß-Dativen ohne davidsonisches Zu-

Empirische Generalisierungen zur Interaktion  267 Tab. 12.4: Kreuzklassifikation freier Dativ-Konstruktionen nach Sachverhaltstyp, schaft und P-EXPERIENCERschaft des Dativreferenten

LANDMARKEN-

THEMATISCHE BETEILIGUNG DES DATIVREFERENTEN LANDMARKE

LANDMARKE

&

P-EXPERIENCER

P-EXPERIENCER AGENTIVE ZUSTANDS-

SACHVERHALTSTYP

VERURSACHUNG

absägen/einbauenDative: % dem Baum Äste vom Stamm absägen

(NICHT-AGENTIVE) wachsen/bröckelnZUSTANDSDative: % VERURSACHUNG Dem Haus läuft Wasser in den Keller. ZUSTAND

am-Fuß-kleben-Dative:

%

Der Kiste quoll Füllmaterial aus den Ritzen.

treten-Dative: ihm auf den Mantel treten auf-den-Fuß-fallenDative: Ihm ist etwas auf den Fuß gefallen.

stricken/sauberwischen-Dative: ihm ein Bullauge sauberwischen sich-öffnen-Dative: Ihm öffnete sich die Tür.

einengen/sitzen-Dative: offenstehen-Dative zu-steil/ eng/süßDative: Die Hose engte ihm Ihr stand die Tür offen./ alles ein. Ihm ist die Treppe zu steil.

standsargument zu repräsentieren ist, weil Beziehungen zwischen Skalenwerten immer und überall und auch über mögliche Welten hinweg gleich bleiben. Offenstehen-Dative gehen gemäß unseren Überlegungen in 8.3.2 dagegen an der relevanten Stelle immer mit einem Sachverhaltsargument einher. Weniger technisch formuliert können wir sagen, dass die Frage, ob eine Tür offensteht oder nicht, zu klären ist, indem man anhand der entsprechenden Situation überprüft, ob die Tür offensteht; will man hingegen feststellen, ob die Skalenwertkonstante d1 größer oder kleiner als die Skalenwertkonstante d2 ist, muss man keine Situation überprüfen, denn unabhängig von Situationen werden d1 und d2 immer in demselben Verhältnis zueinander stehen. Wenn diese Überlegungen zutreffend sind, wird unsere Klassifikation genau dann vollständig, wenn wir für die zu-steil/süß-Dative (und nur für sie) das Merkmal des nicht-davidsonischen Zustandsbezugs (was den Vergleich der Skalenwerte angeht) annehmen und so zu-steil/süß-Dative von offenstehen-Dativen (und allen anderen freien Dativtypen) unterscheiden. Durch die zweidimensionale Darstellung in Tabelle 12.5 wird eine ungünstige Tabellengestalt erzwungen, aber man kann sich leicht vorstellen, dass die zu-steil/süß-Dative in einer dreidimensionalen Darstellung nicht rechts von den offenstehen-Dativen stehen würden, sondern davor oder dahinter.

268  Kreuzklassifizierende Dimensionen Tab. 12.5: Kreuzklassifikation freier Dativ-Konstruktionen nach Sachverhaltstyp, thematischer Sachverhaltsbeteiligung des Dativreferenten und davidsonischer Argumenthaltigkeit THEMATISCHE BETEILIGUNG DES DATIVREFERENTEN LANDMARKE

LANDMARKE

&

P-EXPERIENCER

P-EXPERIENCER AGENTIVE ZUSTANDS-

SACHVERHALTSTYP

VERURSACHUNG

absägen/ treten-Dative: einbauen-Dative: % dem Baum Äste ihm auf den vom Stamm Mantel treten absägen

(NICHT-AGENTIVE) wachsen/bröZUSTANDSckeln-Dative: % VERURSACHUNG Dem Haus läuft Wasser in den Keller. ZUSTAND

am-Fuß-klebenDative: % Der Kiste quoll Füllmaterial aus den Ritzen.

stricken/sauberwischen-Dative: ihm ein Bullauge sauberwischen

auf-den-Fuß-fallen-Dative: Ihm ist etwas auf den Fuß gefallen.

sich-öffnenDative: Ihm öffnete sich die Tür.

einengen/sitzenDative: Die Hose engte ihm alles ein.

ZUSTAND OHNE DAVIDoffenstehenSONISCHES ARGUMENT Dative: Ihr stand die Tür zu-steil/ eng/süßoffen. Dative: Ihm ist die Treppe zu steil.

Tabelle 12.5 expliziert vollständig, welche Eigenschaften die zehn Dativtypen unserer Testbatterie definieren. Es handelt sich um eine Kreuzklassifikation aus Sachverhaltstyp und thematischer Beteiligung des Dativreferenten. Im folgenden Abschnitt wird eine letzte Klassifikationsdimension eingeführt, die des Bindungsziels im Sinne von Teil II dieser Studie.

12.2.3 Klassifikation freier Dative nach thematischer Beteiligung und Bindungsziel Obwohl Tabelle 12.5 bereits vollständig die Kategorien berücksichtigt, die unseren zehn Typen von Sätzen mit freien Dativen zugrundeliegen, fehlt noch eine Dimension, um die empirische Reichweite unseres Vorschlags vollständig zu explizieren. Die fehlende Dimension ist die des Bindungsziels: Bindet der Dativ einen Possessor oder ein Zwecksubjekt oder beides? Bei oberflächlicher Betrachtung mag man vielleicht meinen, dass LANDMARKENschaft gleichbedeutend ist mit Bindung in Possessa und P-EXPERIENCERschaft mit Bindung in Zwecke. Das

Empirische Generalisierungen zur Interaktion  269

ist jedoch nicht der Fall. Zwar kommen nicht alle denkbaren Kombinationen von thematischer Beteiligung und Bindungsziel vor; aber eine Kreuzklassifikation liefert doch für viele Merkmalskombinationen empirisch sinnvolle und intuitiv erwünschte Klasse. Wenn man alle Kombinationsmöglichkeiten von thematischer Beteiligung und Bindungsziel durchspielt, erhält man Tabelle 12.6. Sie berücksichtigt der besseren Übersichtlichkeit halber nur agentive Zustandsverursachungen. Es ist jedoch nicht schwer, auch für die anderen Sachverhaltstypen parallele Fälle zu konstruieren. Tab. 12.6: Kreuzklassifikation freier Dative nach thematischer Beteiligung und Bindungsziel bei agentiven Zustandsverursachungen THEMATISCHE BETEILIGUNG DES DATIVREFERENTEN LANDMARKE

LANDMARKE

&

P-EXPERIENCER

P-EXPERIENCER

BINDUNGSZIEL

Possessor

Possessor & Zwecksubjekt

%

der Kamera die Linse zu- Paul auf den Fuß treten Paul die Söhne verhaften halten. % dem Frachter Wasser in die Ballasttanks pumpen j k Paul das Bein schienen Paul die Hausaufgaben machen m n

Zwecksubjekt p

l

o

Paul die Sitzung protokollieren r q

In Zelle j ist der prototypische Fall reiner LANDMARKENschaft mit inanimatem Dativreferenten bei Bindung in eine Teil/Possessums-DP erfasst. Zwar erfolgen die agentiven Handlungen der Beispiele zu einem Zweck; deswegen mag man meinen, es liege auch eine Bindung in Zwecke vor. Die Zwecke des Verhinderns von Aufnahmen und des Beschwerens eines Schiffes bei fehlender Ladung sind jedoch keine Zwecke, die Zwecke der Kamera oder des Schiffs erfüllen, sondern Zwecke der handelnden Personen. Zelle k kombiniert LANDMARKEN- und P-EXPERIENCERschaft mit der Bindung eines Possessors (desjenigen der Fußes). Einerseits muss das Individuum, dem auf den Fuß getreten wird, zumindest eine mentale Repräsentation des Sachverhalts haben können (P-EXPERIENCERschaft), andererseits muss der Fuß räumlich auf den Dativreferenten bezogen sein (LANDMARKENschaft; vgl. die Diskussion

270  Kreuzklassifizierende Dimensionen

von (11.4) und (11.5) in 11.2 für die Diskussion dieses Punkts). Andererseits wird in den meisten Fällen das Auf-den-Fuß-Treten keinen Zweck Pauls erfüllen. Es ist allerdings denkbar, dass das Auf-den-Fuß-Treten für Paul doch einen Zweck erfüllt, etwa wenn dadurch eine Blutung an Pauls Fuß gestoppt werden kann oder wenn Paul sich davon die Bekämpfung eines Fußkrampfs erhofft. D. h. Paul auf den Fuß treten kann, je nach Kontext, auch als Beispiel für Zelle n aufgefasst werden. Es handelt sich hierbei um ein gutes Beispiel, um die empirische Reichweite und Flexibilität unseres Vorschlags bei gleichzeitiger klarer Abgrenzung des Unmöglichen aufzuzeigen. Insofern die thematischen Bedingungen erfüllt sind, kann für einen Dativ nämlich ohne Kontext nicht ausgeschlossen werden, dass er neben einem Possessor nicht noch in einen impliziten oder expliziten Zweckausdruck hineinbindet. Genau diese fallweise Möglichkeit der Verbindung von „Possessor“- und „Benefaktiv“-Lesarten ist ein entscheidender empirischer Vorteil des hier vertretenen Ansatzes, den, soweit ich das überblicke, keine konkurrierende Analyse für sich verbuchen kann. Der Fall in Zelle l ist besonders, weil man bei der Vielzahl von Fällen, in denen in dieser Studie in Beispielen schon Körperteile von Dativreferenten betroffen waren, vielleicht zu sehr in den Hintergrund getreten ist, dass soziale Rollenbeziehungen und allgemeinere Possessionsbeziehungen ohne mereologische Implikationen auch unter das Possessionskonzept fallen, das für die Definition des Bindungsziels relevant ist (vgl. (5.13) in 5.3). So können Pauls Söhne verhaftet worden sein, ohne dass Paul in der Situation anwesend war. Das ist möglich, weil freie Dative, wie in diesem Fall, thematisch auch reine P-EXPERIENCER sein können und nicht immer auch LANDMARKEN mit entsprechendem räumlichen Bezogenheitsimplikat sein müssen. Gleichzeitig erfüllt die Verhaftung in den allermeisten Kontexten keinen Zweck Pauls. Wenn doch, und wenn dieser Zweck linguistisch repräsentiert werden soll, läge ein Beispiel wie in Zelle o vor. Zellen m und p behandele ich nebeneinander. Zunächst diskutiere ich den „unmöglichsten“ Fall, nämlich Zelle p. Ich gehe davon aus, dass reine LANDMARKEN-Referenten keine Zwecksubjekte sein können. D. h. es gibt eine Implikationsbeziehung zwischen P-EXPERIENCERschaft und Zwecksubjektschaft derart, dass jedes Zwecksubjekt mindestens auch P-EXPERIENCER sein muss. Diese Implikation, auch wenn sie intuitiv wahrscheinlich sofort einleuchtet, weil nur animate Sachverhaltsbeteiligte Zwecke verfolgen können, folgt aus nichts, was wir in dieser Studie behaupten. Ich muss sie stipulieren. Zudem gilt eine negative Implikationsbeziehung zwischen LANDMARKENschaft und Zwecksubjektschaft. Zwecke gelten in dieser Studie als nicht lokalisiert und als nicht lokalisierbar, und deswegen kann auch kein räumliches Verhältnis zwischen einer LANDMARKE

Empirische Generalisierungen zur Interaktion  271

und einem Zweckzustand etabliert werden. Damit sind aber die Wahrheitsbedingungen für LANDMARKENschaft (vgl. 11.2.2 und 11.3) durch Bezug auf Zweckzustände allein nicht erfüllbar. Wegen der Implikation zwischen Zwecksubjektschaft und P-EXPERIENCERschaft einerseits und der Inkompatibilität von reiner LANDMARKENschaft und Zwecksubjektschaft für einen freien Dativreferenten andererseits ist Zelle p leer und als Kreuzklassifikationskategorie ohne Extension schattiert. Zelle m ist nur infolge der Implikationsbeziehung zwischen Zwecksubjektschaft und P-EXPERIENCERschaft extensionslos. Zelle n deckt all die Fälle ab, in denen an einem räumlich auf den Dativreferenten bezogenen Teil oder Possessum eine Handlung ausgeführt wird, die auf einen Zweck des Dativreferenten bezogen ist. Im konkreten Beispielfall mag das Schienen von Pauls Bein für Paul den Zweck erfüllen, dass er wieder gehen kann oder dass die möglicherweise gebrochenen Knochen richtig wieder zusammenwachsen. Derartige Fälle mit doppeltem Bindungsziel und komplexer thematischer Beteiligung hatten wir für die zweite denkbare Lesart von Zelle k bereits oben besprochen. Im Unterschied zum zuletzt diskutierten Fall fehlt im Fall von Zelle o jede notwendige räumliche Bezogenheit des Dativreferenten auf das Ereignis des Hausaufgabenmachens. Dafür werden die Hausaufgaben im entsprechenden Kontext als Pauls Hausaufgaben interpretiert, und ihr Gemachtsein erfüllt in den Augen des AGENS einen Zweck Pauls. Es fehlt also jede LANDMARKEN-Implikation- bei gleichzeitig gegebener P-EXPERIENCERschaft mit Bindung in ein Possessum und einen Zweck. Die ungefüllte Zelle p ist als Merkmalskombination mit leerer Extension schon im Zusammenhang mit Zelle m diskutiert worden. Zelle q ist ungefüllt, weil, wie im Zusammenhang mit Zelle m bzw. p diskutiert, die alleinige Anwesenheit eines Zwecksubjekts als Bindungsziel in Abwesenheit eines Possessors den Wahrheitsbedingungen von LANDMARKEN zuwiderläuft: LANDMARKEN spannen einen lokalen Gültigkeitsbereich für einen Zustand auf, in dem durch eine gebundene Variable noch einmal auf den LANDMARKEN-Referenten als Possessor referiert wird, aber Zwecke haben keinen lokalen Gültigkeitsbereich. In Zelle r schließlich finden wir den Fall, dass reine P-EXPERIENCERschaft gepaart mit alleiniger Zwecksubjektbindung auftritt: Das Protokollieren oder das Protokolliertsein der Sitzung erfüllt einen Zweck Pauls, und Paul nimmt das Protokollieren oder das Protokolliertsein in mindestens einer Kontextualisierung des Satzes wahr, aber das Protokollieren oder das Protokolliertsein braucht nicht in einem Bereich zu gelten, der räumlich im betreffenden Sachverhalt auf Paul bezogen ist.

272  Kreuzklassifizierende Dimensionen Zelle r verdient eine noch tiefergehende Beschäftigung mit möglichen Lesarten. Sie lässt uns nämlich erkennen, wie unser Ansatz mit so genannten Stellvertreter-Lesarten umgeht. (12.5) soll als Ausgangspunkt dienen. (12.5)

Ed hat Paul eine/die Sitzung protokolliert.

Sätze wie (12.5) werden häufig so paraphrasiert, dass man Stellvertreterschaft als charakteristisch für die relevante Dativverwendung identifiziert: Ed hat für Paul die Aufgabe übernommen, die Sitzung zu protokollieren. Solch eine Kontextualisierung bietet sich besonders in der Variante mit dem indefiniten Artikel an. Eine andere Art, (12.5) insbesondere bei Gebrauch des definiten Artikels zu kontextualisieren, ist es, ein Szenario anzunehmen, in dem Ed die Sitzung für Paul protokolliert, damit dieser das Protokoll hinterher nachlesen kann, obwohl er vielleicht in der Sitzung anwesend ist. Aus der Perspektive unserer Klassifikationskriterien sind beide Fälle semantisch gleich: Einerseits ist Paul P-EXPERIENCER, weil es zumindest möglich sein muss, dass Paul Kenntnis vom Protokollieren erhält; andererseits muss das Protokollieren in Zusammenhang mit einem (von Ed zumindest angenommenen) Zweck Pauls stehen, etwa demjenigen, über den Verlauf der Sitzung informiert zu sein oder aber, wenn Paul eigentlich der verpflichtete Protokollant ist, indirekt für die Erfüllung von Pauls Pflicht zu sorgen. In diesem Fall fasst also unser Klassifizierungsvorschlag zwei Lesarten semantisch zusammen: Stellvertreter- und Nutznießer-Lesarten. Beides sind eigentlich Nutznießer-Fälle, nur besteht der Zweck im einen Fall in Stellvertretung und indirekter Pflichterfüllung, und im anderen in der Unterstütung von Pauls Gedächtnis. Wohlgemerkt, die vollständigen Wahrheitsbedingungen der beiden kontextualisierten Varianten von (12.5) sind auch in unserem Vorschlag nicht identisch; nur die lokale Dativbedeutung ist gleichermaßen als P-EXPERIENCERschaft gefasst. Außerdem bindet der Dativ in beiden Fällen ein Zwecksubjekt. Die Zwecke selbst sind aber verschieden, und deswegen ist auch die kontextualisierte Bedeutung beider Lesarten verschieden. Um es abschließend noch einmal zu betonen: Dass die meisten Beispiele in Tabelle 12.6 je nach Kontext und Explizierung impliziter Komponenten auch als Beispiele für benachbarte Zellen gebraucht werden könnten, stellt keinen Nachteil unserer Analyse dar, sondern untermauert gerade ihre empirische Angemessenheit. Sobald ein freier Dativ zumindest eine der beiden Rollen LANDMARKE oder P-EXPERIENCER instanziiert und solange er einen Possessor oder ein Zwecksubjekt bindet, sind die Grammatikalitätsanforderungen erfüllt. Diese Minimalanforderungen weisen in unserer Kreuzklassifikation die Zellen j, l und r auf. Die übrigen nicht-schattierten Zellen lässt das System zu, und damit deckt es den großen empirischen Bereich gemischter Beispiele ab, in denen sich einer-

Die Modellierung der kreuzklassifizierenden Dimensionen  273

seits LANDMARKEN- und P-EXPERIENCERschaft mischen und andererseits Possessums- und Zweckbezug. Analysen, die keine systematische Beziehung z. B. zwischen „Possessor“-Dativen und „benefaktiven“ Dativen herstellen, sind empirisch in dieser Hinsicht gegenüber unserer Analyse im Nachteil (vgl. Kap. 14).

12.3 Die Modellierung der kreuzklassifizierenden Dimensionen Für die Modellierung der Sachverhaltsstruktur von Zuständen, (nicht-agentiven) Zustandsverursachngen und agentiven Zustandsverursachungen lehne ich mich fast vollständig an Kratzer (1996, 2000, 2005a, in Vorb.) an (vgl. auch Hale & Keyser 1993 oder Alexiadou, Anagnostopoulou & Schäfer 2006). In vielerlei Hinsicht ist diese Sicht auf Sachverhaltsstrukturen ganz ähnlich wie in anderen Ansätzen, etwa bei Bach (1986), Wunderlich (2000) oder Bierwisch (2005), aber Kratzers Implementierung hat mindestens im Vergleich mit den anderen eben genannten Autoren zwei besondere Eigenschaften. Zum einen entwickelt Kratzer eine strikt kompositional und syntaktisch gewendete (neo-)davidsonische Theorie der Sachverhaltsstruktur; d. h. dass jedes thematische Prädikat prinzipiell einer (zugrundeliegenden) Konstituente bzw. einer Lexikoneinheit entsprechen kann – was nicht ausschließt, dass die Lexika einzelner Sprachen nicht Einträge enthalten könnten, die mehrere dieser Prädikate bündeln.37 Durch die syntaktische Wendung der davidsonischen Grundidee erlangt Kratzers Implementierung eine maximale Reichweite, was die Inkorporierbarkeit aller möglichen einzelsprachlichen Systeme angeht. Wenn jedes thematische Prädikat und jedes Prädikat der Sachverhaltsstruktur prinzipiell für sich lexikoneintragswürdig ist, steht ein maximal universalistischer „Baukasten“ bereit, aus dem Sprachen ihre Diathese- und Sachverhaltsstruktur-Konstruktionen zusammenstellen können (vgl. auch Rivero 1990, Marantz 1993, Borer 1994, Déchaine 1997, McFadden 2006: 55-56). Restringiert wird das System dann einerseits syntaktisch und andererseits konzeptuell. Theorien der Sachverhaltsstruktur, die komplexe Sachverhaltsstrukturen grundsätzlich im Lexikon generieren (wie etwa bei Wunderlich 1991, 2000, Kaufmann 1995a oder Stiebels 1996a) können empirisch zwar dasselbe abdecken, entbehren manchmal aber der syntaktischen Allgemeinheit oder Eleganz. In dem Maße, in dem Kratzer und andere Forscher zeigen können, dass die Beschränkungen, die empirisch nötig sind, am besten als syntaktisch oder konzeptuell gefasst werden sollten, wird ein lexikon 37 Ein Beispiel für typologisch klassenbildende Bündelung dieser Art betrifft die häufige Verbindung des Ausdrucks von Kausativität und (Nicht-)Agentivität (Pylkkänen 2002, Kratzer 2005a: 202).

274  Kreuzklassifizierende Dimensionen

basierter Ansatz der Ereignisstruktur in meinen Augen unattraktiver. Ich schließe mich hier der „syntaktischen“ Sicht an, was jedoch nichts anderes heißt, als dass jede minimale Bedeutungskomponente prinzipiell auch lexikoneintragswürdig ist. Gleichzeitig sind einzelsprachlich amalgamierte Lexikoneinträge, die aus Bündeln solcher atomarer Merkmale bestehen, immer auch möglich. Die zweite – in meinen Augen attraktive – Besonderheit von Kratzers Implementierung ist es, dass sie ohne das (einstellige) BECOME-Prädikat auskommt (vgl. Fn. 33). Anstatt die Modellierung komplexer Sachverhalte so anzulegen, dass eine Klasse von Ereignissen als „passierend“ dargestellt wird (nämlich durch das einstellige BECOME-Prädikat), geht Kratzer davon aus, dass ‘passieren’ reduzierbar ist auf ‘verursacht sein durch ein nicht näher bestimmtes Ereignis’.38 Demzufolge ergeben sich die einfachen Zuordnungen in (12.6).39 (12.6) a. Zustand: f(x)(s) b. (nicht-agentive) Zustandverursachung: f(x)(s) & g(e) & CAUSE(s)(e) & J9y[Agens(y)(e)] c. agentive Zustandsverursachung: f(x)(s) & g(e) & CAUSE(s)(e) & Agens(y)(e) Auf Assertionsebene in einem einfachen Satz sind die Sachverhaltsvariablen e und s existenziell gebunden. Die Prädikate, die die Zustände und Ereignisse näher beschreiben (f und g in (12.6)) sind nicht als gebundene Variablen repräsentiert, sondern als Beispiel-Konstanten für Prädikatsfunktionen, wie sie in der Denotation eines gegebenen Satzes vorkommen mögen. Dasselbe gilt für die hier als Individuen-Konstanten verwendeten Argumente x und y in (12a) und (12c). In Tabelle 12.7 werden die verschiedenen Typen auf unsere alten Beispiele (12.1) aus 12.2.1, allerdings noch ohne Dativargument, bezogen.  38 Entgegen Levin & Rappaport Hovav (1999) und Rappaport Hovav & Levin (2001) gehe ich davon aus, dass verursachendes Ereignis und verursachter Sachverhalt zeitlich zumindest aneinander angrenzen müssen. D. h. die Beispiele der beiden Autorinnen, in denen ein Resultatszustand erst einige Zeit nach dem verursachenden Ereignis manifest wird (etwa in am nächsten Morgen merken, dass man sich heisergesungen hat), fasse ich so auf, dass entweder das Verursachungsereignis oder der verursachte Sachverhalt oder beide zeitlich so gedehnt sind, dass zeitliche Adjazenz rekonstruierbar ist. 39 Vgl. die Diskussion in 12.2.1 und Fn. 34 für die Diskussion der Frage, ob die Nicht-Agentivität von Zustandsverursachungen wie in (12.6b) richtig als Konjunkt der Wahrheitsbedingungen zu fassen ist oder nur als Präsupposition oder gar als skalare Implikatur gefasst werden sollte. Der Vorschlag in (12.6b) wählt, die am übersichtlichsten notierbare Variante aus.

Die Modellierung der kreuzklassifizierenden Dimensionen  275 Tab. 12.7: Die Sachverhaltsstruktur der drei Hauptklassen im Vergleich ZUSTAND

Das Kaugummi hat an der Schuhsohle festgeklebt.

(NICHT-AGENTIVE) Das Kaugummi ist an ZUSTANDSder Schuhsohle festVERURSACHUNG geklebt. (dynamische Lesart)

AGENTIVE ZUSTANDSVERURSACHUNG

Emma hat das Kaugummi an der Schuhsohle festgeklebt.

9s[An-der-Schuhsohle-Festkleben(das Kaugummi)(s)]40 ‘Es gab einen Zustand des Typs, dass das Kaugummi an der Schuhsohle festklebte.’ 9e9s[An-der-Schuhsohle-Festkleben(das Kaugummi) (s) & g(e) & CAUSE(s)(e)] & J9z[Agens(z)(e)] ‘Es gab ein Ereignis ohne AGENS des g-Typs, so dass es einen dadurch verursachten Resultatszustand des Typs gab, dass das Kaugummi an der Schuhsohle festklebte.’ 9e9s[an-der-Schuhsohle-festkleben(das Kaugummi)(s) & g(e) & CAUSE(s)(e) & Agens(Emma)(e)] ‘Es gab ein Ereignis des g-Typs, so dass Emma AGENS dieses Ereignisses war und es einen dadurch verursachten Resultatszustand des Typs gab, dass das Kaugummi an der Schuhsohle festklebte.’

Die Komposition der drei Satzbedeutungen in ihren für die Sachverhaltsstruktur relevanten Teilen (eingeschlossen in spitze Klammern in den a-Sätzen) ist in (12.7b), (12.8b) und (12.9) dargestellt. (Trotz der notwendigerweise linearisierten Darstellung sind die Derivationen mit unterschiedlichen syntaktischen Optionen für den zugrundeliegenden Aufbau der VP als links- oder rechtsköpfig kompatibel. Solange das direkte Objekt bzw. das unakkusative Subjekt oberhalb vom Resultatsprädikat in die Struktur kommt, ist für unsere Analyse der Unterschied zwischen zugrundeliegender OV-Struktur (Haider 1997, 2000) oder VOStruktur (Kayne 1994, Wurmbrand 2003) unerheblich.) (12.7) a. … dass 〈das Kaugummi an der Schuhsohle festgeklebt〉 hat. b. Odas Kaugummi an der Schuhsohle festkleb-P ¼ λs . s ist ein Festklebezustand des Kaugummis an der Schuhsohle  40 Hier und im Folgenden notiere ich die Verursachungspräsupposition von stativen Sätze wie Das Kaugummi hat an der Schuhsohle festgeklebt nicht. Um sie mit einzufangen, müsste der λ-Term, der der Struktur mit Existenzquantor in Tabelle 12.7 entspricht (¼ (i)), wie in (ii) gefasst werden und dann eventuell noch auf eine gewisse kontextuelle Salienz oder Relevanz festgelegt werden.

(i) 9s[an-der-Schuhsohle-festkleben(das Kaugummi)(s)] (ii) [λs . an-der-Schuhsohle-festkleben(das Kaugummi)(s)](s′) ist definiert gdw. 9e[CAUSE(s′)(e)]

276  Kreuzklassifizierende Dimensionen

qp [FA] Odas KaugummiP ¼ Oan der Schuhsohle festklebP ¼ das Kaugummi λx . λs . s ist ein Festklebezustand von x an der Schuhsohle qp [FA] Oan der SchuhsohleP ¼ Ofestkleb-P ¼ λy . λs . y ist an der Schuhλf〈e,〈s,t〉〉 . λx . λs . s ist ein sohle(s) f(x)(s)-Festklebezustand (12.8) a. … dass 〈das Kaugummi an der Schuhsohle festgeklebt〉 ist. (dynamische Lesart) b. OAGENTIV– cause das Kaugummi an der Fußsohle festkleb-P ¼ λe . 9s[s ist ein Festklebezustand des Kaugummis an der Schuhsohle & CAUSE(s)(e) & J9z[Agens(z)(e)P qp [PM] OAGENTIV– P ¼ Ocause das Kaugummi an der Fußsohle festkleb-P ¼ λe . J9z λe . 9s[s ist ein Festklebezustand des Kaugummis [Agens(z)(e)] an der Schuhsohle & CAUSE(s)(e)] qp [FA] OcauseP ¼ Odas Kaugummi an der Schuhsohle festkleb-P ¼ λs . s ist ein Festklebezustand des Kaugummis λf〈s,t〉 . λe . 9s [CAUSE(s)(e)]41 an der Schuhsohle qp [FA] Odas KaugummiP ¼ Oan der Schuhsohle festklebP ¼ das Kaugummi λx . λs . s ist ein Festklebezustand von x an der Schuhsohle qp [FA] Oan der SchuhsohleP ¼ Ofestkleb-P ¼ λy . λs . y ist an der Schuh- λf〈e,〈s,t〉〉 . λx . λs . s ist ein f(x)(s)sohle(s) Festklebezustand

 41 Bei Kratzer (2005a: 200) ist die Denotation von cause etwas umfangreicher, nämlich (mit Anpassung an unsere Notierungskonventionen) wie in (i).

(i) OcauseP ¼ λf〈s,t〉 . λe . 9s[state(s) & event(e) & f(s) & CAUSE(s)(e)] Mir ist nicht klar, wozu s und e in dieser Version (redundanterweise) Zustands- bzw. Ereigniseigenschaften zugeschrieben werden. Wenn damit stärker als bei Kratzer sonst bisher üblich nahegelegt werden soll, dass s und e vom selben allgemeinen ontologischen Typ sind, würde es sich m. E. anbieten, eine neue, gemeinsam verwendete Variable einzuführen, also etwa …λvs 9vs ′ . state(vs ′) & event(vs )…. (wobei v die Sachverhaltsvariable ohne Spezifikation für Stativität bzw. Dynamizität wäre).

Die Modellierung der kreuzklassifizierenden Dimensionen  277

(12.9) a. … dass 〈EmmaNOM das Kaugummi an der Schuhsohle festgeklebt〉 hat. (dynamische Lesart) b. OEmma AGENS cause das Kaugummi an der Fußsohle festkleb-P ¼ λe . 9s[s ist ein Festklebezustand des Kaugummis an der Schuhsohle & CAUSE(s)(e) & Agens(Emma)(e)] 2 [FA] OEmmaP OAGENS cause das Kaugummi an der Fußsohle festkleb-P ¼ ¼ Emma λz . λe . 9s[s ist ein Festklebezustand des Kaugummis an der Schuhsohle & CAUSE(s)(e) & Agens(z)(e)] qp [SI] OAGENSP ¼ Ocause das Kaugummi an der Fußsohle festkleb-P ¼ λz . λe . λe . 9s[s ist ein Festklebezustand des Kaugummis Agens(z)(e) an der Schuhsohle & CAUSE(s)(e) qp [FA] OcauseP ¼ Odas Kaugummi an der Schuhsohle festkleb-P ¼ λs . s ist ein Festklebezustand des Kaugummis λf〈s,t〉 . λe . 9s [CAUSE(s)(e)] an der Schuhsohle qp [FA] Odas KaugummiP ¼ Oan der Schuhsohle festkleb-P ¼ das Kaugummi λx . λs . s ist ein Festklebezustand von x an der Schuhsohle qp [FA] Oan der SchuhsohleP ¼ Ofestkleb-P ¼ λy . λs . y ist an der λf〈e,〈s,t〉〉 . λx . λs . s ist ein Schuhsohle(s) f(x)(s)-Festklebezustand Wir wissen aus Teil II und Kap. 10, dass die LANDMARKEN- und die P-EXPERIENCERFunktionen vom Typ 〈e,〈s,t〉〉 sind und dass die Individuenvalenz des Schwesterknotens, der per DPM mit diesen Funktionen kombiniert wird, durch die Anwendung von BR-D entsteht. Wenn wir nun in die Derivationen in (12.7) bis (12.9) LANDMARKEN- oder P-EXPERIENCER-Köpfe mit ihren Dativargumenten integrieren möchten, bieten sich dafür bei dynamischen Sachverhalten und Annahme stativer und dynamischer Varianten vier Positionen an: (i) diejenige zwischen VP (das Kaugummi an der Schuhsohle festkleb-) und dem Kausativmorphem; (ii) diejenige direkt oberhalb des Kausativmorphems; (iii) diejenige direkt oberhalb des AGENS/AGENTIV -Morphems. Es scheint empirisch der Fall zu sein, dass unsere Diathesemorpheme immer an der höchstmöglichen Position verkettet werden, aber immer unterhalb der AGENS-Position. Beides, die hohe Verkettung und die Verkettung unterhalb von AGENS, folgt nicht aus unserem Ansatz. Ich muss diese Komponenten syntaktisch stipulieren. Die höhere Verkettungsoption lässt den

278  Kreuzklassifizierende Dimensionen

Dativreferenten an einem Ereignis (im engeren dynamischen Sinne) beteiligt sein. Wenn cause nicht vorhanden ist – bei Zuständen also – ist der Dativreferent an einem Zustand beteiligt. (12.10) illustriert einen stativen Fall, (12.11) einen dynamischen. (12.10) a. … dass 〈PaulDAT das Kaugummi an der Schuhsohle festgeklebt〉 hat. b. Für beliebige Belegungen a gilt: OPaul LDM das Kaugummi an der Schuhsohle festkleb-Pa½6→y ¼ λs . s ist ein Festklebezustand des Kaugummis an Pauls Schuhsohle & Paul ist Landmarke von s qp [FA] OPaulP¼ OLDM das Kaugummi an der Schuhsohle festkleb-Pa½6→y ¼ Paul λy . λs . s ist ein Festklebezustand des Kaugummis an yʼs Schuhsohle & y ist Landmarke von s qp [DPM] Odas Kaugummi an der6 Schuhsohle festkleb-Pa½6→y ¼ OLDMP¼ λy . λs . y λy . λs . s ist ein Festklebezustand des Kaugummis ist Landmarke an yʼs Schuhsohle qp [PA] von s 6 Odas Kaugummi an der6 Schuhsohle festkleb-Pa ¼ λs . s ist ein Festklebezustand des Kaugummis an a(6)ʼs Schuhsohle qp [FA] Odas KaugummiP ¼ Oan der6 Schuhsohle festklebPa ¼ das Kaugummi λx . λs . s ist ein Festklebezustand von x an a(6)ʼs Schuhsohle qp [FA] Ofestkleb-P ¼ Oan der6 SchuhsohlePa ¼ λy . λs . y ist an a(6)ʼs λf〈e,〈s,t〉〉 . λx . λs . s ist ein Schuhsohle(s) f(x)(s)-Festklebezustand (12.11) a. … dass 〈PaulDAT das Kaugummi an der Schuhsohle festgeklebt〉 ist. (dynamische Lesart) b. Für beliebige Belegungen a gilt:

Die Modellierung der kreuzklassifizierenden Dimensionen  279

OAGENTIV– cause das Kaugummi an der Fußsohle festkleb-P ¼ λe . 9s[s ist ein Festklebezustand des Kaugummis an Pauls Schuhsohle & CAUSE(s)(e) & Paul ist Landmarke von e & J9z[Agens(z)(e)]] qp [DPM] – OPaul LDM das Kaugummi an der6 Schuhsohle festOAGENTIV P¼ ¼ λe . J9z kleb-Pa½6→y ¼ λe . 9s[s ist ein Festklebezustand des [Agens(z)(e)] Kaugummis an Pauls Schuhsohle & CAUSE(s)(e) & Paul ist Landmarke von e] 2 [FA] OPaulP¼ OLDM das Kaugummi an der6 Schuhsohle festPaul kleb-Pa½6→y ¼ λy . λe . 9s[s ist ein Festklebezustand des Kaugummis an yʼs Schuhsohle & CAUSE(s)(e) & y ist Landmarke von e] qp [DPM] Odas Kaugummi an der6 Schuhsohle festOLDMP¼ λy . λe . kleb-Pa½6→y ¼ λy . λe . 9s[s ist ein Festy ist klebezustand des Kaugummis an yʼs Landmarke Schuhsohle & CAUSE(s)(e)] 2 [PA] von e 6 Ocause das Kaugummi an der6 Schuhsohle festkleb-Pa ¼ λe . 9s[s ist ein Festklebezustand des Kaugummis an a(6)ʼs Schuhsohle & CAUSE(s)(e)] qp [FA] OcauseP ¼ Odas Kaugummi an der6 Schuh sohle festkleb-Pa ¼ λs . s ist ein λf〈s,t〉 . λe . 9s [CAUSE(s)(e)] Festklebezustand des Kaugummis an a(6)ʼs Schuhsohle qp [FA] Odas KaugummiP ¼ Oan der6 Schuhsohle das Kaugummi festklebPa ¼ λx . λs . s ist ein Festklebezustand von x an a(6)ʼs Schuhsohle qp [FA] Ofestkleb-Pa ¼ Oan der6 SchuhsohlePa ¼ λy . λs . y ist an a(6)ʼs Schuhλf〈e,〈s,t〉〉 . λx . λs . s ist ein sohle(s) f(x)(s)-Festklebezustand

280  Kreuzklassifizierende Dimensionen

Die letzte kreuzklassifizierende Dimension des empirischen Teils in diesem Kapitel, die verschiedenen Bindungsziele in Possessums- und Zweckphrasen, ist bereits in 8.3 modelliert worden. Damit ist, soweit das im Detail möglich war, der empirische Bereich des vorliegenden Kapitels abgearbeitet. Abschließend können wir festhalten, dass in Einklang mit typischen syntaktischen Befunden über die Position freier Dative ihre Interpretation ebenso nahelegt, dass sie oberhalb des VP-intern kodierten (Resultats-)Zustands und unterhalb des agentiven Systems ihren Platz haben (vgl. aus stärker syntaktischer Perspektive auch Marantz 1993: 116, McFadden 2006 und, mit deutlich anderer Akzentuierung, Kallulli 2006). Es ergibt sich das allgemeine syntaktische Schema in (12.12). Die schattierten Konstituenten sind nicht notwendige Bestandteile der Struktur und kommen je nach Sachverhaltstyp hinzu. Die Anwendung von BR-D, ausgelöst durch das [þb]-Merkmal am Diathesemorphem (vgl. Teil II), führt auf LF innerhalb der lokalen Tempusdomäne zur Bindung einer Individuen-Variable durch die Dativ-DP. (12.12)

Agens-DP AGENS/ AGENTIV

Dativ-DP P-EXPERIENCER+b/ LANDMARKE+b/ AFFIZIERTER+b

cause

Konstituente mit (Resultats-)ZustandsDenotat und Bindungsziel der Dativbindung

13 Zusammenfassung von Teil III: Syntax und Semantik von P-EXPERIENCER und LANDMARKE Wir haben in Teil III dieser Studie die thematischen Eigenschaften von freien Dativen expliziert und einen Vorschlag zu ihrer syntaktischen Position im Rahmen einer expliziten Komposition gemacht. Freie Dative haben die thematischen Eigenschaften von P-EXPERIENCERN, von LANDMARKEN oder von beiden zugleich. Den Kombinationsfall aus P-EXPERIENCER- und LANDMARKENschaft haben wir als AFFIZIERTENschaft bezeichnet. Für die Komposition ist anzunehmen, dass die entsprechenden thematischen Köpfe im Bereich oberhalb von Resultatszustandsphrasen und unterhalb des agentiven Systems in die Struktur kommen. In Kap. 10 haben wir in 10.2 zunächst den kategoriellen Unterschied zwischen P-EXPERIENCERN und LANDMARKEN empirisch begründet, bevor wir im Modellierungsteil 10.3 einen Vorschlag für die Explizierung der Denotation des P-EXPERIENCER-Morphems entwickelt haben. P-EXPERIENCER-Dative (etwa wie in ihr eine Bouillon kochen) unterscheiden sich von LANDMARKEN-Dativen (etwa wie in % dem Auto einen Temperaturfühler unter die Motorhaube einbauen) darin, dass nur PEXPERIENCER, nicht aber reine LANDMARKEN, die Möglichkeit der Sachverhaltswahrnehmung implizieren. Der endgültige Vorschlag für die Denotation des P-EXPERIENCER-Morphems ist in (13.1)/(13.2) (¼(10.21)/(10.22)) in beiden Varianten wiederholt. (13.1) Implikative EXPERIENCER-Beteiligung Wenn x Teil des vP-Sachverhalts e oder s ist, dann besteht die zirkumstantielle Möglichkeit, dass x eine mentale Repräsentation von e bzw. s hat. (13.2) a. [dynamischer wahrgenommener Sachverhalt] Für beliebige te , ts gilt: OP-EXPERIENCERPte;ts ¼ λx : x ist wahrnehmungsfähig . λe . [x ist Teil von e] →[möglichZIRK [9s[tekEXP ts ! Q & x hat eine mentale Repräsentation von e(s)]]] b. [statischer wahrgenommener Sachverhalt] Für beliebige ts , tsʹ gilt: OP-EXPERIENCERPts;tsʹ ¼ λx : x ist wahrnehmungsfähig . λs . [x ist Teil von e] →[möglichZIRK [9sʹ[ tskEXP tsʹ ! Q & x hat eine mentale Repräsentation von e(sʹ)]]] (endgültig)

282  Zusammenfassung von Teil III

Das Besondere am Konzept der P-EXPERIENCERschaft im Vergleich mit anderen Vorschlägen in der Literatur ist seine Modalisierung. Während in Bezug auf EXPERIENCER impliziert wird, dass sie den VP-Sachverhalt wahrnehmen, wird durch P-EXPERIENCERschaft nur impliziert, dass der betreffende Referent den VP-Sachverhalt grundsätzlich wahrnehmen k a nn. Anders gesagt: Ein nicht negierter Satz mit P-EXPERIENCER-DP muss in einem Kontext wahr sein können, in dem der P-EXPERIENCER-Referent eine mentale Repräsentation des betreffenden Sachverhalts hat. Von der Möglichkeit der Sachverhaltswahrnehmung unterschieden ist die Bedingung der Wahrnehmungsfähigkeit des P-EXPERIENCERS als ontologische Eigenschaft unabhängig vom versprachlichten Sachverhalt. Diese Eigenschaft hat den Stellenwert einer Präsupposition. LANDMARKENschaft, wie sie in Kap. 11 diskutiert worden ist, ist eine besondere Form von Lokalisierungsrelation: Über den LANDMARKEN-Referenten wird eine Menge von Mengen von Raumpunkten definiert (der Nachbarschaftsregionenraum der LANDMARKE), und der Sachverhalt, auf den im Schwesterknoten Bezug genommen wird, muss vollständig innerhalb dieses Nachbarschaftsregionenraums gelten bzw. situiert sein. So gilt für eine Situation, in der % Dem Haus lief Wasser in den Keller wahr ist, dass der Resultatszustand des Wasser-im-KellerSeins in einem Bereich gilt, der über das Haus räumlich zugänglich ist – und das gilt für den Innenraum des Kellers eines Hauses natürlich. D. h. durch LANDMARKEN-Dative werden Zustände auf einen räumlichen Geltungsbereich festgelegt. Demzufolge können auch nur solche Zustände, die überhaupt lokalisierbar sind, mit der LANDMARKEN-Denotation interagieren, ohne zu einer Präsuppositionsverletzung zu führen. Gestaltpsychologisch gesehen fügen LANDMARKEN-Dative der bereits (mindestens) einfach geschachtelten Figur-Grund-Struktur des (Resultats-)Zustands eine weitere Ebene hinzu: Die primäre Figur des Resultatszustands (etwa das Wasser aus unserem Beispiel) wird über den Zustand des Im-Keller-Seins indirekt mit dem Haus in Beziehung gesetzt. Der Keller ist die Figur der höchsten im Resultatszustand relevanten Gestaltgliederungsebene. Als Grundgeber spannt sie über ihren Nachbarschaftsregionenraum den Grund für das Wasser auf. Über dieser (Resultats-)Gestaltgliederung spannt die Dativ-LANDMARKE eine weitere Gestalgliederungsebene auf, in der das Haus als Grundgeber-Figur den Grund für die Resultatszustands-Konfiguration aufspannt. Die Lokalisierung des LANDMARKEN-Referenten selbst muss satzsemantisch repräsentiert sein. Diese Generalisierung hatten wir im zweiten Teil von 11.2.2 begründet. Ihre Implementierung haben wir teilweise über einen anaphorischen Ortsbezug in der Präsupposition des LANDMARKEN-Kopfs geleistet. Aus mereologischer Perspektive (vgl. 11.2.3) sind LANDMARKEN-Referenten deswegen besonders, weil es sich immer um (zumindest kontextuell definierte)

Zusammenfassung von Teil III  283

Ganze handeln muss. Die mereologische Eigenschaft „Abschluss nach oben“ hat Präsuppositionsstatus. Unsere endgültige Formulierung der LANDMARKEN-Denotation aus 11.3, hier wiederholt als (13.3), trägt diesen Generalisierungen Rechnung. (13.3)

LANDMARKEN MIT ABSCHLUSS NACH OBEN

Für beliebige Belegungen a, Zahlen i und Kontexte C gilt: OLANDMARKEPa;C ¼ λx : JƎy[x `e y & ydK]. λs . 9s′[der Ort von s `s NachbarschaftsregionenraumC von x(s′) & s′ gilt an Ort a(i)], wobei K eine kontextuell saliente Teilmenge von D ist (endgültig) Neben reiner LANDMARKENschaft und reiner P-EXPERIENCERschaft bei freien Dativen gibt es eine Vielzahl an Fällen, in denen sich LANDMARKEN- und P-EXPERIENCERschaft mischen. So gilt etwa, dass die Dativreferentin in Ihr fiel der Stein auf den Fuß sowohl die P-EXPERIENCER Bedingungen der Wahrnehmungsfähigkeit und möglichen Sachverhaltswahrnehmung erfüllt als auch die zuletzt zusammengefassten LANDMARKENBedingungen. Derartige Kombinationslesarten haben wir in 12.2.3 behandelt. Wenn man, wie in 12.2 vorgenommen, zusätzlich zur Unterscheidung von PEXPERIENCERschaft und LANDMARKENschaft Sätze mit freien Dativen noch nach den Sachverhaltstypen Zustand, Zustandsveränderung und agentive Zustandsveränderung klassifiziert, erhält man für jeden Typ thematischer Beteiligung der freien Dativreferenten drei Klassen je nachdem, von wieviel kausativer (und agentiver) Struktur die Dativdiathese-Konstruktion dominiert wird. Im einfachsten, stativen Fall (wie in Ihm hängt das Hemd aus der Hose) ist das freie Dativargument das zugrundeliegend hierarchisch höchste Argument ohne weitere sachverhaltsaufbauende Struktur oberhalb. Im (nicht-agentiv) zustandsverändernden Fall (wie Ihm rutschte das Hemd aus der Hose) wird unterhalb des Diathesemorphems denotiert, dass der Resultatszustand verursacht worden ist durch ein nicht-agentives Rutschen-Ereignis. Im agentiv zustandsverändernden Fall (wie in Sie zog ihm das Hemd aus der Hose) kommt zusätzlich zu der reinen Verursachungsrelation zwischen Ereignis und Zustand und bei angepasster Art-und-Weise-Information (ziehen vs. rutschen) noch eine explizite AGENS-Beteiligung oberhalb von der DativDP im Rahmen des verursachenden Ereignisses mit ins Spiel. „Judikanten“-Dative bzw. zu-steil/süß-Dative des Typs Ihr war die Suppe zu heiß stellen insofern einen Sonderfall dar, als hier ein besonderer Typ stativer Prädikate das Komplement des Diathesemorphems P-EXPERIENCER bildet: Das Vergleichsprädikat, das die Skalenwerte miteinander in Beziehung setzt, hat kein davidsonisches Argument. Der Grund dafür liegt darin, dass zwei gegebene Skalenwerte nicht kontextabhängig geordnet sind, sondern in jedem denkbaren

284  Zusammenfassung von Teil III

Kontext und in jeder möglichen Welt auf dieselbe Weise geordnet sind. Demgegenüber kann natürlich der Grad, in dem der betreffende Referent eine Eigenschaft aufweist, von Kontext zu Kontext variieren. So kann die Suppe Paula vor fünf Minuten zu heiß gewesen sein, und jetzt ist sie ihr nicht mehr zu heiß, weil sie abgekühlt ist und die entsprechende Gradzahl jetzt niedriger ist als der relevante Schwellenwert. Demgegenüber bleibt die Ordnungsbeziehung zwischen dem zuvor gegebenen hohen Wert, sagen wir: 75°C, und dem für Paula in der betreffenden Situation relevanten Schwellenwert (etwa 50°C) immer gleich, denn 75 ist unabhängig von jeder Kontextualisierung größer als 50. Die folgenden Merkmale der hier vorgeschlagenen thematischen Implementierung für freie Dative scheinen es mir besonders wert zu sein hervorgehoben zu werden. Erstens liegt mit unserer Analyse – wie ich glaube – erstmals ein Vorschlag vor, der eine einheitliche Freie-Dativ-Syntax zur Deckung bringt mit einer in der Tradition oft in verwirrender Weise dargestellten thematischen Varianz. Häufig steht einem eher „lokalen“ Dativ in der Literatur ein „Betroffenheits“- oder „EXPERIENCER“-Dativ gegenüber, und genau entlang den Trennlinien zwischen diesen Arten der thematischen Beteiligung verlaufen auch unsere trennscharf gezogenen Kategoriengrenzen. Alles, was an Dativen mit lokativischer Semantik zu tun hat, geht auf die Eigenschaften des LANDMARKEN-Morphems zurück. Alles, was an Dativen mit der mentalen Repräsentation von (Teil-)Sachverhalten beim Dativreferenten zu tun hat, geht auf die Bedeutung des P-EXPERIENCER-Morphems zurück. Viele Fälle von „Betroffenheits“-Intuitionen lassen sich dekomponieren in LANDMARKENschaft plus P-EXPERIENCERschaft. „Betroffenheit wegen einer relevanten Possessionsbeziehung“ ist P-EXPERIENCERschaft mit oder ohne gleichzeitige LANDMARKENschaft sowie mit Bindung in Possessa. „Benefaktivität/Malefaktivität“ ist P-EXPERIENCERschaft mit oder ohne LANDMARKENschaft bei Bindung in Zwecke (und gegebenfalls zudem noch in Possessa). Bei allem Lesartenreichtum lassen sich sehr klare Falsifikationsbedingungen für die hier aufgestellte Theorie über die thematische Beteiligung freier Dativreferenten aufstellen. Wenn ein Dativ frei ist (vgl. unser Kriterium aus 1.2), dann muss er zumindest die Bedingungen für LANDMARKENschaft oder die für PEXPERIENCERschaft erfüllen. Einen freien Dativ, der nicht zumindest eine der beiden Rollen hat, habe ich bislang nicht gefunden. Wenn es solche Beispiele doch gibt, muss die hier vertretene Theorie angepasst werden. Teil II (Freie Dative und Bindung) und Teil III (Freie Dative und thematische Eigenschaften) stellen den Kern der vorliegenden Studie dar. Wir haben jetzt das Ende von Teil III erreicht. Teil IV ist der Explizierung der Stellung gewidmet, die unsere Theorie über freie Dative im Kontext anderer Ansätze und verwandter empirischer Bereiche einnimmt.

Teil IV: Freie Dative des Deutschen im Kontext

14 Konkurrierende Forschungstraditionen In diesem Kapitel stelle ich drei aktuelle Forschungstraditionen vor, die es zum Ziel haben, den Bereich der freien Dative oder Teilbereiche davon theoretisch abzudecken. In 14.1 geht es um (syntaktische und lexikalische) Possessoranhebungsanalysen, in 14.2 um die Applikativtheorie Pylkkänens (2002) und in 14.3 um Bindungsansätze aus der französischen Tradition und um Brandts (2003, 2006) lokalistisch-mereologische Bindungstheorie für deutsche Dative. Ich werde für alle drei Paradigmen aufzuzeigen versuchen, dass sie wahrscheinlich nicht ausreichen, um unserem Untersuchungsgegenstand – den freien Dativen des Deutschen – gerecht zu werden. Dabei werden wir feststellen, dass unser Ansatz naturgemäß den anderen Bindungsmodellierungen am ähnlichsten ist. Aber auch mit den Possessoranhebungs- und Applikativanalysen gibt es Berührungspunkte.

14.1 Freie Dative und „Possessoranhebung“ Der vorherrschende Ansatz in der generativen Grammatik (und mutatis mutandis in der relationalen Grammatik), um „Pertinenz“- oder „Possessor“-Dative zu analysieren, ist immer die Anhebungsanalyse gewesen.1 (14.1) ist eine leicht vereinfachte und ins Deutsche übersetzte Darstellung von Lee-Schoenfelds (2005: 94, 2006: 127) Vorschlag für die Syntax einer deutschen Possessoranhebungskonstruktion in Er ruinierte mir die Wohnung. (Die Vereinfachung betrifft nicht die Struktur, sondern nur die Darstellung der Zuweisung von thematischer Information durch zusätzliche Pfeile bei Lee-Schoenfeld). In der Struktur in (14.1) wird die Dativ-DP mir von der Position innerhalb der Possessums-DP, die als direktes Objekt fungiert, in eine v-Projektion für Benefaktive oder Malefaktive hochbewegt bzw. intern verkettet. Direkt oberhalb der für die Dativsemantik zuständigen vP schließt sich die AGENS-vP an. Der Kasus des direkten Objekts, des Possessums, wird per Kongruenz/agree auf Distanz vom AGENS-v überprüft, während der Dativ der Possessor-DP mir vom Benefaktiv/Malefaktiv-v überprüft wird.  1 Vgl. für die relationale Grammatik grundlegend Perlmutter & Postal (1977), und seither in diesem Paradigma unter vielen Aissen (1987) oder Mirto (2004); generativ zuerst Isačenko (1966) und unter wirklich hunderten von Referenzen an prominenter Stelle seit den 90er Jahren etwa Landau (1999) zum Neuhebräischen und für das Deutsche Gallmann (1992) und zuletzt Lee-Schoenfeld (2005, 2006); ablehnend früh Tuggy (1980) und in letzter Zeit mit einem unabhängigen, aber unserem an wichtigen Stellen vergleichbaren Vorschlag Tomioka & Sim (2005) zum Koreanischen.

288  Konkurrierende Forschungstraditionen

(14.1) vP qp DP v′ Subjekt qp AAGENS Er vP v qp [AKK] ruinierte DP v′ [DAT] qp MALE/BENEFAKTIV mir VP v qp arg V′ [DAT] qp tv DP VTHEME qp arg D′ tV tPD POSSESSOR

qp

D [∅] [AKK] die

NP | N Wohnung

In diesem Szenario hat die Dativ-DP schon objektintern die Possessor-Relation zugewiesen bekommen, bevor sie in der v-Projektion oberhalb auch noch die Affiziertheitsinformation hinzugefügt bekommt. Der Possessor muss deshalb bewegt werden, weil nur der untere v-Kopf das Dativ-Merkmal am Possessor überprüfen kann, und das kann nicht in der DP-internen Position geschehen. Es liegt also ein – theoretisch allein erlaubter – Fall von last-resort-Bewegung- vor. Lee-Schoenfeld (2005: 91) stellt fest, mit dieser Analyse das „klassische Rätsel“ des „possessiven“ Dativs zu lösen, wie Landau (1999: 91) es formuliert hat: „Ein Argument in einem Satz (der Possessor) ist in seiner semantischen Rolle von einem anderen Argument (dem Possessum) abhängig, aber in seinem syntaktischen Verhalten ist es vom Prädikat abhängig. Wovon ist der possessive Dativ ein Argument?“2 Lee-Schoenfelds Antwort ist: „Von beiden“, und ihre Analyse rechtfertigt diese Antwort im Rahmen des minimalistischen Programms (Chomsky 1995), das zwar einerseits sehr viel sparsamer mit Stipulationen ist als die Rektions- und Bindungstheorie, in unserem Bereich aber geschmeidiger ist, etwa was die Annahme funktionaler Morpheme wie des Benefaktivitäts/Malefak-

 2 Im Original: „An argument in the clause (the possessor) derives its semantic role from another argument (the possessee) but its syntactic behavior from the predicate. What’s the possessor dative an argument of?“

Freie Dative und „Possessoranhebung  289

tivitäts-v angeht, das nach einer Bewegung einer schon mit thematischer Information ausgestatteten DP weitere thematische Information hinzufügen kann. Lee-Schoenfelds Vorschlag ist eine theoretisch zeitgemäße syntaktische Analyse der „Pertinenz“-Dative, welche, wie viele andere Analysen zuvor, von einer Bewegung des Dativs aus der tiefer eingebetteten Possessum-DP ausgeht. Was Lee-Schoenfeld tatsächlich zeigen kann, ist, dass es möglich ist, eine Anhebungsanalyse mit der Erkenntnis zu verbinden, dass „Pertinenzdative“ als am VP-Sachverhalt notwendig beteiligt zu analysieren sind. Damit ist ein Haupteinwand gegen Anhebungsanalysen beseitigt worden. Landau (1999) etwa leitet die Betroffenheitskomponente noch aus einer Implikatur ab: Wenn etwas passiert, das einem Possessum zustößt, dann ist indirekt (meist) auch der Possessor betroffen. Bei Lee-Schoenfeld ist die Betroffenheit des Dativreferenten dagegen „hart verdrahtet“ und wird nicht der Pragmatik oder konzeptueller Anreicherung überlassen (so auch neuerdings Landau (persönliche Mitteilung)). Dennoch gibt es Gegenargumente gegen Anhebungsanalysen, die Lee-Schoenfeld nicht diskutiert und die so allgemein sind, dass sie neben älteren Analysen auch Lee-Schoenfelds gut ausgearbeiteten Vorschlag als letztlich inadäquat erscheinen lassen. Bevor wir uns diesen Argumenten zuwenden, muss eine Variante der syntaktischen Possessoranhebungs-Analysen vorgestellt werden. Sie wird von Wunderlich (1996, 2000) im Rahmen seiner lexikalischen Theorie der Argumentstruktur vertreten. Da gegen sie fast dieselben Argumente ins Feld geführt werden können wie gegen die Anhebungsanalysen, wird sie an dieser Stelle eingeführt. Man kann Wunderlichs Analyse recht gut als „lexikalische Possessoranhebung“ charakterisieren (vgl. Hole 2005b: 234–235), denn was bei syntaktischen Ansätzen die Bewegung leistet (der Übergang von einer DP-internen zu einer verbbezogenen syntaktischen „Mitspielerschaft“ der Dativ-DP), ist bei Wunderlich (2000: 262) wie in (14.2) als lexikalische Regel gefasst. (14.2) Possessor-Erweiterung bei Verben […]3 … λs VERB(…)(s) & …λs{VERB(…) & poss(z,u)}(s) The realization of both u and z depends on further properties of the verb.

 3 Die Auslassung bezieht sich auf Wunderlichs Unterscheidung eines weiteren Falls der Possessor-Ausweitung bei ursprünglich intransitiven Verben oder bei Verben mit einem DP- und einem PP-Argument. Für uns ist dieser zweite Fall mit seiner komplexeren Linkingproblematik irrelevant, da der grundsätzliche Mechanismus der Argumentintegrierung genauso modelliert ist wie in dem in (14.2) dargestellten elsewhere-Fall. Das s-Argument ist Wunderlichs Situations-Argument (ein ontologisch wohl viel reicheres Konzept als unsere Sachverhaltsargumente; vgl. 2.5.1).

290  Konkurrierende Forschungstraditionen

In dieser Regel wird ausgedrückt, dass Possessor-Erweiterung dazu führt, dass die Argumentstruktur und die Wahrheitsbedingungen von Verben so erweitert werden, dass ein Possessionsprädikat mit der Verbbedeutung konjungiert wird. Es stellt eine Possessionsbeziehung her zwischen einem Argument des Verbs und einem weiteren Possessorreferenten z (wobei man sich eigentlich in der Repräsentation der Regel auch die Darstellung der Referenzidentität zwischen dem Possessor und dem nicht dargestellten Argument des Verbs wünschen würde). Es wird also einfach festgestellt, dass das Verb ein weiteres Argument nimmt, welches in einer Possessionsbeziehung zu einem anderen Argument des Verbs steht. Unter der Annahme, dass Possessoren „eigentlich“ Teil der Possessums-DP sein sollten, mag das wenig intuitiv aussehen. Strenggenommen ist diese mangelnde Intuitivität aber kein Problem, weil die „eigentliche“ Annahme nirgends formuliert wird. In gewisser Weise wird die Intuition ignoriert, die dem klassischen „Possessiver“Dativ-Rätsel (s. o.) zugrundeliegt. Solange die Wahrheitsbedingungen der possRelation so vage bzw. gar nicht ausformuliert bleiben, wie sie das momentan sind (Wunderlich 1996: 340), bleibt die lexikalische Possessoranhebung empirisch hinter Lee-Schoenfelds (2005) thematisch kumulativer Analyse zurück; denn während Lee-Schoenfeld Possessionssemantik und benefaktive bzw. malefaktive Sachverhaltsbeteiligung beide semantisch abdeckt, muss die lexikalische Possessoranhebungs-Analyse entweder die Betroffenheitskomponente pragmatisch hinzukommen lassen (wie in den älteren syntaktischen Analysen) oder aber ad hoc den Gehalt der relevanten Possessionsrelation nur für diese Konstruktion mit den benötigten Betroffenheitsimplikationen anreichern. Im Folgenden werde ich drei allgemeine Argumente gegen Possessoranhebungs-Analysen vorbringen, die ich für die stärksten überhaupt halte. Schwächere Argumente diskutiere ich hier nicht (aber vgl. Pylkkänen 2002, Cuervo 2002: 138, Brandt 2006: 107, Hole 2004b: 368–370, Hole 2006: 385–390).

14.1.1 Das Ellipse-Argument Das Ellipse-Argument macht sich zunutze, dass eine Ellipse identisch mit einer nicht-elidierten Konstituente sein muss. Ein einschlägiger Fall für unseren empirischen Bereich der Bewertung von Possessoranhebungs-Analysen ist in (14.3) angeführt (vgl. mit fast demselben Beispiel Hole 2005b: 234). (14.3)

SCHEINBARE NICHTIDENTITÄT UNTER ELLIPSE

[Haarschneide-Nachmittag bei Paula und ihren zwei Söhnen. Zuerst hat Paula ihrem Sohn Paulj die Haare geschnitten, jetzt ist Kevini an der Reihe. Paula denkt:]

Freie Dative und „Possessoranhebung  291

Ich will seinei Haare kürzer schneiden als ihmj […seinej Haare schneiden…]. Wenn der Dativ nach als ein angehobener Dativ wäre (vgl. 14.1.3 zu der Tatsache, dass in (14.3) sowohl ein Dativ als auch ein Possessivpronomen gebraucht werden), müsste die Ellipse eine Spur enthalten (in (14.3) durch seine im Sinne der Kopiertheorie der Bewegung nicht-kanonisch ausbuchstabiert). Wenn die Ellipse eine Spur enthielte, müsste auch die nicht-elidierte Konstituente eine Spur enthalten. Aber für diese Spur wäre kein Binder/kein Antezedens vorhanden, denn das erste Konjunkt enthält ja gar keinen Dativ. In (14.3) kann im nicht-elidierten Teil keine Possessoranhebung stattgefunden haben. Wenn das so ist, kann aber auch die elidierte Konstituente keine Spur enthalten. Die Schlussfolgerung ist, dass die „Possessoranhebungskonstruktion“ nicht als Bewegung modelliert werden kann. Die lexikalische Possessoranhebung steht vor einem analogen Problem, denn das Verb im ersten Konjunkt müsste transitiv sein, wogegen im zweiten Konjunkt ein trivalentes abgeleitetes Verb benötigt wird. Unter Annahme von Identität unter Ellipse ist das unmöglich. Unser Ansatz lässt Identität zwischen den elidierten und den ausgesprochenen VPs in (14.3) ohne Probleme zu. Die durch das Diathesemorphem und BR-D ausgelöste Prädikatsabstraktion kann das Dativargument in eine Bindungsbeziehung mit dem Possessivpronomen oder dem impliziten pronominalen Bezug in der Ellipse treten lassen (vgl. Teil II, insbesondere Kapitel 5 und 7), ohne dass die elidierte Konstituente lokal verschieden sein müsste von der entsprechenden ausgesprochenen Konstituente. Die einzige Bedingung ist die, dass das Diathesemorphem nicht Teil der Ellipse ist, sondern direkt oberhalb der elidierten Konstituente in der Struktur steht.

14.1.2 Das Informationsstatus-Argument Das Informationsstatus-Argument ist rein semantisch (vgl. Hole 2004b: 370–371, 2005b: 233–234, 2006: 390–391). Gleichzeitig ist es wahrscheinlich das theorieneutralste. Andererseits macht es sich keine Standardbeobachtung zunutze, wodurch es etwas Argumentation erfordert. Es basiert auf der Tatsache, dass ein DP-Referent in anderen Konstruktionen niemals präsupponiert an einem Teilsachverhalt und zugleich per Implikation an einem anderen Teilsachverhalt beteiligt ist. Possessoranhebungsanalysen müssen aber genau das postulieren. Die Beispiele in (14.4) sollen den Kontrast verdeutlichen.

292  Konkurrierende Forschungstraditionen

(14.4)

DP-INTERNE POSSESSION IST PRÄSUPPONIERT, BETEILIGUNG AM VP-SACHVERHALT DAGEGEN IMPLIZIERT

a. Paul ist David auf den entzündeten Zehennagel getreten. b. Falls Paul David auf den entzündeten Zehennagel getreten ist, … Die Tatsache, dass David in (14.4a) einen entzündeten Zehennagel hat, kommt in der Possessoranhebungsanalyse so zum Ausdruck, dass die Possessor-Spur in der DP den entzündeten Zehennagel von David gebunden wird. Sofern, wie etwa bei Lee-Schoenfeld (2005, 2006), die Affiziertheitsimplikation mitmodelliert wird, kommt diese weitere Information an der Stelle in die Struktur, wo der Dativ seine auf den Treten-Sachverhalt bezogene Beteiligungsinformation erhält (bei Lee-Schoenfeld 2005 in der unteren vP; vgl. (14.1)). Der Unterschied zwischen dem Informationsstatus des Einen-entzündeten-Zehennagel-Habens und des Auf-ihn-getreten-Bekommens kommt ganz klar in (14.4b) zum Vorschein. Es ist bekannt, dass in der Protasis eines Konditionalgefüges Implikationen analoger Aussagesätze nicht erhalten bleiben, wohl aber die Präsuppositionen. Und tatsächlich ist in (14.4b) weiterhin gegeben, dass David einen entzündeten Zehennagel hat, nicht aber, dass Paul ihm darauf getreten ist. Zudem würde der Satz, wie auch immer er fortgeführt wird, im Sinne einer Präsuppositionsverletzung verunglücken, wenn David gar keinen entzündeten Zehennagel hätte. Das Argument, das sich an diesen Kontrast zwischen Präsupposition und Implikation knüpft, ist eigentlich ganz leicht aufzustellen. Ich kenne einfach keinen anderen eindeutigen Fall, in dem ein bewegtes Element auf diese Weise präsupponierte Information der Erstposition und implizierte Information der Landungs-Position miteinander verschränken würde. So gilt etwa im Bereich der Brückenverben, dass Bewegung aus dem Komplementsatz heraus in den Matrixsatz hinein gerade dann nicht zugelassen ist, wenn die Wahrheit des Komplementsatzes präsupponiert ist (Ihni glaubte/)wusste sie gesehen zu haben; Erteshik-Shir 1973, Grewendorf 1988, Müller 1989, Rinas 1997). Insofern ist es einfach höchst unwahrscheinlich, dass bei den „Pertinenz“-Dativen solch ein Fall vorliegt. Das Informationsstatus-Argument ist leicht misszuverstehen, deswegen muss es deutlich abgegrenzt werden von einer Variante, die ich nicht vertreten möchte.4 Ich behaupte nicht, dass eine DP in einem Satz nicht gleichzeitig präsupponierte und implizierte Information ausdrücken kann. Das wäre eine sehr leicht zu widerlegende Behauptung, denn jede definite DP wie etwa der Dieb in Der Dieb hat das Land verlassen bringt sowohl präsupponierte wie implizierte/assertierte Informa 4 Ich danke Idan Landau (persönliche Mitteilung) für Diskussion zu diesem Punkt.

Freie Dative und „Possessoranhebung  293

tion zum Ausdruck (vgl. die Diskussion von Definitheit in 8.2.1/8.3.1). Einerseits wird in dem Satz impliziert bzw. assertiert, dass jemand das Land verlassen hat. Dass diese Person der einzige kontextuell relevante Dieb ist, hat jedoch den Status einer Präsupposition. Solch eine Kombination aus assertierter bzw. implizierter Sachverhaltsbeteiligungsinformation und präsupponierter Information als Teil der definiten Kennzeichnung einer DP ist ubiquitär. Was ausgeschlossen sein soll, ist die Bewegung von einer DP-Position in einem präsupponierten Prädikat in eine DP-Position in einem assertierten/implizierten Prädikat. Lexikalische Possessoranhebungsanalysen als solche könnten dem Informationsstatus-Argument prinzipiell leicht Genüge tun, weil sie die Possessionsinformation einfach in die Präsupposition bzw. den Restriktor des λ-Ausdrucks hineinschreiben könnten, der die Dativvalenz modelliert. Der konkrete Vorschlag, den Wunderlich (1996, 2000) gemacht hat, stellt den Unterschied zwischen präsupponierter Possession und implizierter Sachverhaltsbeteiligung jedoch überhaupt nicht dar. Insofern ist dieser Vorschlag schon allein deswegen empirisch nicht adäquat. Und auch wenn er wie soeben skizziert ausgebaut würde, bliebe doch das Singuläre der betreffenden Konstruktion bestehen. Unser Vorschlag zur Dativbindung umgeht das Problem der ungewöhnlichen Kombination zweier verschiedener Informationstypen. Die Dativ-DP als Argument des Diathesemorphems erhält implizierte Information zugeschrieben, und die gebundene Variable ist DP-intern Teil einer Prädikation, die wie erwartet nur präsupponierte Information darstellt.

14.1.3 Das spellout-Argument Das spellout-Argument bezieht sich auf das Faktum, dass in jeder angeblichen Possessoranhebungsstruktur des Deutschen die angebliche Spur als Possessivpronomen realisiert werden kann.5 (14.5) a. Paula trat Ede auf seinen/den Mantel. b. Der Ring war Paul an seinem/am Ringfinger zu eng. c. % Der Kiste quoll Füllmaterial aus ihren/den Ritzen.

 5 Es erstaunt etwas, dass diesem ganz systematischen Befund in den Possessoranhebungsanalysen für das Deutsche (zuletzt bei Lee-Schoenfeld 2005 in Monographiestärke und trotz des Ansatzes zu einer Diskussion in Lee-Schoenfelds Abschnitt 3.3.3) nicht Rechnung getragen wird. Stattdessen findet sich der Versuch, Daten wie in (14.5) mit Possessivpronomina als ungrammatisch oder degradiert wegzuerklären.

294  Konkurrierende Forschungstraditionen

Die Varianten mit Possessivpronomina in (14.5) mögen nicht bevorzugt sein, möglich sind sie aber allemal.6 Zwar lassen es neuere Bewegungstheorien zu, dass in besonderen Fällen Spuren ausgesprochen werden (Fanselow & Mahajan 1995); in diesen Fällen handelt es sich aber nie um Paare von möglichen lexikalischen DPs und Pronominalisierungen, sondern immer um Doppelungen des bewegten Materials (welche in den belegten Fällen immer pronominal sind). In unseren Fällen hingegen müsste es möglich sein, dass ein lexikalischer Kopf einer Bewegungskette mit einer pronominalen „Kopie“ kombinierbar ist. Wunderlichs (1996, 2000) lexikalische Possessoranhebung steht im Hinblick auf die Möglichkeit, ein Possessivpronomem neben einem Dativargument zu gebrauchen, nur vor einem Redundanzproblem: Ein Possessivpronomen bringt Information zum Ausdruck, die durch den Dativ bereits signalisiert wird. Das ist kein besonders schwerwiegendes Problem, zumal ein Vertreter der lexikalischen Possessoranhebung argumentieren könnte, dass genau zur Redundanzvermeidung das Possessivpronomen oft weggelassen wird. Im Gegensatz dazu hat unsere Bindungstheorie zu erklären, wieso die gebundene Variable so oft keinen segmentalen Ausdruck findet. Die Antwort auf diese Frage wäre jedoch in einem viel weiteren empirischen Kontext zu geben als im Bereich der Dativbindung, denn bridging-Kontexte sind ja zahlreich, und Dativbindungsphänomene stellen nur einen Teilbereich dar (vgl. 6.2.3 und außerdem 15.2 zur historischen Entwicklung). Das eigentliche spellout-Problem besteht dagegen für die Dativbindungstheorie nicht, denn es ist ja gerade der am ehesten erwartbare Fall, dass die gebundene Possessorvariable phonologischen Ausdruck als Pronomen findet.

 6 Vgl. 15.2 für die historische Perspektive, die zeigt, dass das bevorzugte Weglassen des Possessivpronomens eine historisch nachzeichenbare Neuerung im Deutschen ist. Das Englische weist in diesem Bereich einen rätselhaften Kontrast auf, den mir Andrew McIntyre (persönliche Mitteilung) zur Kenntnis gebracht hat.

(i)

He hit me in {the/*my/*an} arm. ‘Er schlug mir auf {den/meinen/einen} Arm.’

(ii) a. I broke {an/my/*the} arm. ‘Ich habe mir {einen/meinen/den} Arm gebrochen.’ b. The ship tore {a/its/*the} sail. ‘An dem Schiff ist {ein/??? sein/das} Segel gerissen.’ Im Deutschen sind mir derartige Grammatikalitätskontraste zwischen Bindung in PPs vs. Bindung in direkte Objekte nicht bekannt (vgl. Er trat mir gegen mein/das Schienbein vs. Er zertrümmerte mir mein/das Schienbein).

Freie Dative und Applikativtheorien  295

14.2 Freie Dative und Applikativtheorien Pylkkänen (2001, 2002) hat (unter Anwendung von Marantz 1993 und Kratzer 1996) einen sehr einflussreichen Vorschlag zur Behandlung von benefaktiven und „Possessor“-Dativen gemacht.7 Für Pylkkänen (2002: 45) handelt es sich bei „Possessor“-Dativen um Instanziierungen einer Struktur, bei der durch einen funktionalen Applikativkopf unterhalb des Verbs eine bestimmte Art des In-Besitz-Kommens oder Außer-Besitz-Kommens zwischen Direktem-Objekt-Referent und Dativ-Referent zum Ausdruck gebracht wird. „Benefaktive“ Dative werden demgenüber mit einer oberhalb der VP in der Struktur stehenden Applikativprojektion assoziiert. Die syntaktische Position dieser hohen Applikativphrase entspricht der von uns hier generell für den freien Dativ angenommenen Position. Weil durch ti e fe Applikative eine Beziehung zwischen zwei Individuen ausgedrückt wird, wird hier auch oft von individuen-bezogenem Applikativ gesprochen. Da für die ho he n Applikative eine Beziehung zwischen dem Applikativreferenten und einem Sachverhalt angenommen wird, ist für jenen Fall oft auch von ereignis- oder sachverhaltsbezogenem Applikativ die Rede. Der hohe oder sachverhaltsbezogene Applikativ hat neben der benefaktiven Ausprägung noch weitere, besonders im Bantu reich belegte Varianten, etwa einen LokativApplikativ- oder einen Instrumental-Applikativ-. Durch die Wahl der Applikativterminologie mag für manchen Typologen nahegelegt werden, dass Pylkkänen von einer Art Promotion zum Objekt ausgeht, und diese Sicht liegt ja auch nahe, wenn man sich die PP-Paraphrasemöglichkeiten vieler Applikativstrukturen veranschaulicht. Es ist jedoch wichtig, sich klarzumachen, dass Pylkkänen nicht von Ableitungsbeziehungen zwischen Sätzen mit PPs und Sätzen mit semantisch ähnlichen Applikativargumenten ausgeht. Pylkkänen (2002) nimmt also, anders als etwa Baker (1988), nicht an, dass eine Präposition (unsichtbar) in das Verb inkorporiert wird, so dass das zugrundeliegende Präpositionalobjekt als direktes Objekt realisiert wird. Vielmehr ist der Applikativkopf einfach Teil der funktionalen (Diathese-)Struktur der betreffenden Sätze. Anhand zweier Beispielableitungen soll Pylkkänens Applikativtheorie nun genauer vorgestellt werden. Zunächst werden tiefe Applikative behandelt, danach hohe. (14.6) ist Pylkkänens (2002: 23) Beispielableitung für Mary bought John a book, ein Satz, in dem John als durch eine tiefe Applikativphrase in die Struktur  7 Vgl. unter vielen Bezugnahmen Brandt (2006), Cuervo (2003), Jeong (2006), Kallulli (2006), Kratzer (2005a), Lee-Schoenfeld (2005), McFadden (2006), McGinnis (2001), McIntyre (2006); mit einem starken logisch-ereignissemantischen Einwand Larson (2010).

296  Konkurrierende Forschungstraditionen hineinkommend analysiert wird.8 Wie bereits gesagt, Pylkkänen geht davon aus, dass für Possessor-Dative analoge Strukturen gelten. (14.6) VoiceP λe.buying(e) & agent(e, Mary) & theme(e, the book) & to-the-possession-(the book,

3 Mary

John)

[FA]

λx.λe.buying(e) & agent(e, x) & theme(e, the book) & to-the-possession-(the book,

3

Mary9 Voice

John)10 [SI]

λe.buying(e) & theme(e, the book) & to-the-possession-(the book, John)

3

λx . λe. agent(e,x) buy

λx.λe.buying(e) & theme(e,x)

[FA]11

λf〈e,〈s,t〉〉.λe.f(e, the book) & theme(e, the book) & 12

3 John John13

to-the-possession-(the book, John)

[FA]

λy.λf〈e,〈s,t〉〉.λe.f(e, the book) & theme(e, the book) & to-the-possession-(x, the book)14

3 APPL λx.λy.λf〈e,〈s,t〉〉.λe.f(e,x) & theme(e,x) & to-the-possession-(x,y)

[FA]

the book the book15

 8 Ich übernehme in (14.6) und (14.8) bis auf minimale Anpassungen (andere Verwendung von Spatien, objektsprachliche Auszeichnung durch Kursivschrift vs. Fettdruck bei Pylkkänen) Pylkkänens Notation, füge aber die jeweils zur Anwendung kommenden Interpretationsregeln hinzu. Pylkkänens Struktur ohne die im Folgenden jeweils erläuterten Korrekturen ist in (i) wiedegegeben. (i) VoiceP λe.buying(e) & agent(e, Mary) & theme(e, the book) & to-the-possession(the book, John) 3 Mary 3 Voice λe.buying(e) & theme(e, the book) & to-the-possession(the book, John) λx . λe. agent(e,x) 3 buy λfe,s,t.λe.f(e, the book) & theme(e,x) & to-the-possession(the book, John) λx.λe.buying(e) & theme(e,x) 3 John 3 APPL the book the book λx.λy.λfe,s,t.λe.f(e,x) & theme(e,x) & to-the-possession(x,y) 9 Denotation ergänzt. 10 Die Denotation dieses Knotens fehlt bei Pylkkänen (2002: 23) ebenso wie an vielen anderen Stellen der Arbeit. Sie ist aber eindeutig erschließbar. 11 Vgl. den Text unterhalb der Ableitung. 12 Bei Pylkkänen (2002) steht statt „the book“ (oder entsprechenden anderen Objektnominalen) an dieser Stelle in den meisten Beispielableitungen irrtümlicherweise noch die Argumentvariable x. 13 Denotation ergänzt. 14 Denotation ergänzt. 15 Denotation ergänzt.

Freie Dative und Applikativtheorien  297

Das Entscheidende an dieser Analyse ist, dass der Applikativkopf als komplexe Funktion modelliert ist, die die Thema-DP als Argument nimmt, um eine Funktion zu ergeben, welche die Applikativ-DP als Argument nimmt; dadurch kommt eine Funktion zustande, die das transitive Verb als Argument nimmt. Als letztes ist noch eine Ereignisvalenz vorhanden. Die Einführung des AGENSArguments ist Standard nach Kratzer (1996) wie in 4.3.3 eingeführt. Erwähnenswert ist, dass die Thema-Relation „theme(e,x)“ als separates Konjunkt dargestellt ist und nicht, wie bei Kratzer (1996, in Vorb.), als unabgetrennter und wahrscheinlich sogar unabtrennbarer Teil der Verbbedeutung modelliert ist (vgl. 2.5.2 und 4.3.2). Das wird für das Argument in 14.2.3 von Bedeutung sein. Neben den vielen kleinen Ungenauigkeiten in Pylkkänens Beispielableitungen wie in (14.6) dokumentiert sticht eine etwas hervor. Die Denotation von buy in (14.6) enthält ein Thema-Konjunkt. Der Schwesterknoten enthält auch ein Thema-Konjunkt (nämlich ursprünglich dasjenige der Denotation des Applikativkopfs). Wie in Fn. 149 angemerkt, ist bei Pylkkänen die Individuenvariable x der Thema-Relation in diesem Schwesterknoten fälschlicherweise noch erhalten. Der nächste Kompositionsschritt (zum Mutterknoten von buy) erfordert nun etwas Erklärung. In der korrigierten Version wie in (14.6) steht dem Themakonjunkt „theme(e,x)“ von buy das Themakonjunkt „theme(e, the book)“ gegenüber. Diese zwei Konjunkte können reduziert werden zu „theme(e, the book)“, wenn man wie wir hier davon ausgeht, dass die Themafunktion eines gegebenen Sachverhalts (bzw. thematische Funktionen im Allgemeinen) immer den gesamten Definitionsbereich erschöpft. Unter diesen Gegebenheiten kann, wenn „theme(e,x) & theme (e, the book)“ gelten soll, x nur das Buch sein. Das ist zwar ein ungewöhnlicher Kompositionsschritt, er scheint mir jedoch zulässig zu sein. In Pylkkänens eigener Darstellung mit ihren nicht wie in (14.6) beseitigten Ungenauigkeiten wird hingegen folgender Kompositionsschritt gemacht. (14.7) Die Komposition von ObuyP und OJohn APPL the bookP bei Pylkkänen (2002: 23) (vgl. auch (i) in Fn. 145) OJohn APPL the bookP(ObuyP) ¼ [λf〈e,〈s,t〉〉.λe.f(e, the book) & theme(e,x) & to-the-possession-(the book, John)](λx.λe.buying(e) & theme(e,x)) ¼ λe.buying(e) & theme(e, the book) & to-the-possession-(the book, John) Auch dieser Schritt ist nicht ohne Weiteres durchsichtig, denn in der Denotation von John APPL the book liegt x ungebunden vor (es ist ja bei Pylkkänen versehentlich nicht im selben Schritt wie die entsprechenden Variablen sonst

298  Konkurrierende Forschungstraditionen

durch the book ersetzt worden!). Im Gegensatz dazu ist das x der Denotation von buy λ-gebunden. Wenn man davon absieht, dass die Ausgangsdenotationen fehlerhaft sind, müsste sich bei Pylkkänens Ausgangslage für den Mutterknoten eigentlich die Denotation in (14.7′) ergeben (mit Ersetzung des ungebundenen x durch y). (14.7′) λe.buying(e) & theme(e, the book) & theme(e,y) & to-the-possession-(the book, John) Diese Denotation ist zwar dann wieder äquivalent mit (14.7), wenn man plausiblerweise sagt, dass das Buch und y identisch sein müssen, wenn die Themarelation in jedem Konjunkt alle sachverhaltsbeteiligten Thema-Individuen als Argument nimmt. Auch hier ist solch eine Konjunktreduktion aber zumindest ungewöhnlich. Außerdem, und das wiegt natürlich viel schwerer, ist die Ausgangsdenotation von John APPL the book ja, wie oben erläutert und in (14.6) korrigiert, eindeutig unrichtig. Wie man es dreht und wendet, Pylkkänens Vorschlag ist nicht gut expliziert und etwas fehlerhaft. Wenn man unter Vernachlässigung dieser Einwände Pylkkänens Analyse auf den hier vertretenen Vorschlag bezieht, kann man sagen, dass Pylkkänen eigentlich syntaktisch fast die Possessionsbeziehung modelliert, die bei uns DPintern modelliert wird. Das soll heißen, dass in der Position, in der bei Pylkkänen das Applikativ-Argument steht, in unserem Ansatz mutatis mutandis das zu bindende (oft leere) pronominale Argument steht. Die Applikativstruktur in (14.6) modelliert einen Rezipienten-Applikativ-. Für die Modellierung eines Quell-Applikativ-s (wie in jdm. einen Ring stehlen) ist „to-the-possession-(x,y)“ in den Wahrheitsbedingungen des Applikativkopfs einfach durch „from-the-possession-(x,y)“ zu ersetzen. Alles andere bleibt gleich. Für stative Applikative könnte man, obwohl Pylkkänen (2002) sie nicht vorsieht, leicht eine weitere Applikativkopf-Variante mit dem Prädikat „in-thepossession-(x,y)“ definieren.16 Eine Beispielableitung nach Pylkkänen (2002: 17-18; vgl. Bresnan & Moshi 1993: 49 für das Datum) für einen hohen Applikativ wie den der Bantusprache Chaga in (14.8a) findet sich in (14.8b).17

 16 Pylkkänen (2002) schließt eigentlich stative tiefe Applikative aus. Das ist zu Recht kritisiert worden (vgl. Lee-Schoenfeld 2005: 101-102). 17 Pylkkänen (2002) erläutert ihre Glossierungskonventionen nicht. Ich übernehme sie – außer im Fall der lexikalischen Wurzeln – unverändert, aber in Übersetzung. Die Zahlen bezeichnen Nominalklassen-Präfixe.

Freie Dative und Applikativtheorien  299

(14.8) a.

CHAGA

Na̋ ı̋lyì-í-à mkà Ehefrau isst-APPLIKATIV--ENDVOKAL ‘Er isst für seine Frau Essen.’

kélyá. Essen

b. λe.Eating(e) & Agent(e, he) & Theme(e, food) & Benefactive(e, wife)18

VoiceP

3 he

[FA]

λx.λe.Eating(e) & Agent(e,x) & Theme(e, food) & Benefactive(e, wife)

3 Voice

[SI]

λe.Eating(e) & Theme(e, food) & Benefactive(e, wife)

3

λx.λe.Agent(e,x)

wife19

[FA]

λx.λe.Eating(e) & Theme(e, food) & Benefactive(e,x)

3 ApplBen λx.λe.Benefactive(e,x)

[SI]

λe.Eating(e) & Theme(e, food)

3 eat

[FA]

food20

Es wird zwar bei Pylkkänen nicht im Einzelnen erläutert, wie sich die Oberflächenform im Chaga (14.8a) zu der interpretierten Struktur (14.8b) derivationell verhält, aber man erkennt gut, dass der hohe Applikativ oberhalb der VP in die Struktur kommt und eine Argumentstelle für ein Benefaktivargument eröffnet. Um das tun zu können, muss, wie schon bei beiden AGENS-Köpfen in diesem und dem voraufgegangenen Beispiel, Sachverhaltsidentifizierung angewendet werden (vgl. 4.3.3). Der hohe Applikativ bei Pylkkänen entspricht unserer Binderposition. In gewisser Weise ist unser Vorschlag also die Konjunktion aus Pylkkänens zwei verschiedenen Applikativtypen (plus Bindungsbeziehung). Es fällt unmittelbar auf, dass im Unterschied zu unserem Vorschlag „Pertinenz“- oder „Possessor“-Dative bei Pylkkänen als sehr viel tiefer in der Struktur angesetzt sind als bei uns. D. h. unsere Syntax für „Possessor“-Dative entspricht Pylkkänens Syntax für ereignisbezogene hohe Applikative und nicht der für individuenbezogene tiefe Applikative. Genau die letzteren bezieht Pylkkänen jedoch, wie bereits angemerkt, auf die „Possessor“-Dativ-Fakten. Im Folgenden zähle ich drei Argumente auf, die über die kompositionellen Unsicherheiten von Pylkkänens Analyse hinaus gegen die Übernahme der tiefen Applikativtheorie für die freien Dative im Deutschen sprechen. Wie im Fall der  18 Denotation ergänzt. 19 Denotation fehlt. 20 Denotationen fehlen.

300  Konkurrierende Forschungstraditionen

Argumentation im Zusammenhang mit den Possessoranhebungsanalysen in 14.1 beschränke ich mich auf solche Argumente, die ich für sehr stark halte. Argumente, denen durch pure Hinzufügungen zu Pylkkänens Theorie zu begegnen wäre, lasse ich undiskutiert.21

14.2.1 Applikative bzw. freie Dative als natürliche Klasse Das allgemeinste, was Pylkkänen über Applikative sagt, ist, dass „die meisten Sprachen ein Mittel haben, um der Argumentstruktur eines Verbs ein indirektes Objekt hinzuzufügen. […] In der Bantuistik werden solche Argumente applizierte Objekte genannt und die resultierenden Konstruktionen Applikativ-Konstruktionen“.22; 23 Gleich im Anschluss daran führt sie den Unterschied zwischen hohen und tiefen Applikativen ein, der für ihre Theorie zentral ist. In der gesamten Arbeit werden die Applikative des Bantu (Pylkkänen zieht Daten aus dem Chaga, Chicheŵa, Kinyarwanda und Luganda heran) als hohe Applikative im Sinne der Beispielanalyse in (14.8) klassifiziert. Als Illustrationen für tiefe Applikative kommen vor allem deutsche, englische, finnische, koreanische und neuhebräische Daten vor. Was unerwähnt bleibt, ist, dass auch in den Bantusprachen zahlreiche Belege für diejenigen semantischen Konfigurationen vorkommen, die Pylkkänen als charakteristisch für tiefe Applikative annimmt, und in ihnen kommen dieselben Applikativmorpheme vor wie in den Beispielen für hohe Applikative. Zwei Beispiele sind in (14.9) aufgeführt. (14.9) a.

(Marantz 1993: 121)24 Chitsiru chinagul-ir-a atsikana Mädchen Trottel kaufte-APPLIKATIV-ENDVOKAL ‘Der Trottel hat den Mädchen Geschenke gekauft.’ CHICHEŴA

mphatso. Geschenke

 21 Ein solches Argument wäre z. B., dass bei Pylkkänen die Possessionsrelation ohne Sachverhaltsargument modelliert ist, obwohl es wahrscheinlich empirisch eines haben sollte, wenn man auch sonst Sachverhaltsargumente annimmt. Diesem Einwand ist jedoch leicht innerhalb von Pylkkänens Theorie zu begegnen. So kann man etwa statt des Prädikats „to-the-possession-(x,y)“ ein Prädikat „to-the-possession-(s,x,y)“ annehmen. 22 Im Original (Pylkkänen 2002: 17): „Most languages have a means of adding an indirect object to the argument structure of a verb. […] In Bantu linguistics such additional arguments are called applied arguments and the resulting constructions applicative constructions.“ 23 Dass traditionellerweise unter Applikativen die Kodierung einer „peripheren“ semantischen Relation als dir ekt es Objekt verstanden wird, soll uns hier nicht weiter beschäftigen. Für das Argument ist dieser Unterschied wahrscheinlich unwichtig. 24 Marantz notiert in seinen Beispielen keine Töne.

Freie Dative und Applikativtheorien  301

b.

(Marantz 1993: 121) kitima kuzrende. Nal ereng-i-a Stuhl Bein carved-APPLIKATIV-ENDVOKAL ‘Er schreinerte {ein Bein für den Stuhl/dem Stuhl ein Bein}.’

CHAGA !

In diesen Beispielen ist eindeutig von einer Beziehung im Sinne von Pylkkänens „to-the-possession--of“ auszugehen (bzw. von einer Beziehung, die die Teil-Ganzes-Struktur des Stuhlreferenten in (14.9b) betrifft). Es ist mir nicht klar, wieso Pylkkänen diese Daten aus dem Bantu nicht berücksichtigt. Auf jeden Fall zerstören sie das klare Bild mit hohen Applikativen im Bantu und tiefen Applikativen in vielen anderen Sprachen, das Pylkkänen suggeriert. Das vollständigere Bild, das unter Berücksichtigung einer breiteren Datenbasis entsteht, ist, dass das, was Pylkkänen als hohe und tiefe Applikative modelliert, in vielen Sprachen eine natürliche Klasse bildet. Genau das liegt ja auch im Deutschen vor, wenn man sich veranschaulicht, dass syntaktisch gesehen „benefaktive“ und „Pertinenz“-Dative sich (lokal) ganz gleich verhalten (und wenn man für das Argument vernachlässigt, dass die benefaktiven Applikative im Bantu wohl eine etwas weitere Distribution haben als die „benefaktiven“ Dative des Deutschen). Die Modellierung von hohen und niedrigen Applikativen ist bei Pylkkänen nun aber so unterschiedlich, dass man sich unwillkürlich fragt, wieso so viele Sprachen gerade diese zwei diathetisch völlig heterogenen Kategorien ausdrucksseitig zusammenfallen lassen sollten. Hohe Applikative sind nach Pylkkänen vom Typ 〈e,〈s,t〉〉, tiefe Applikative aber vom Typ 〈e,〈e,〈〈e,〈s, t〉〉,〈s,t〉〉〉〉. Das sind zwei Typen, die man nicht alltäglicherweise durch Typenanhebungen oder Ähnliches ineinander überführen würde, um sie im Sinne natürlicher Klassenbildung aufeinander abbildbar zu machen. Syntaktisch gesehen sind sie auch völlig verschieden (man vergleiche noch einmal (14.6) mit (14.8b)). Im Sinne der Interpretation, die wir oben bereits vorgeschlagen haben – dass nämlich Pylkkänens hoher Applikativ unserer Binder-Dativ-Position entspricht, wohingegen ihr tiefer Applikativ (allerdings als lokal „externer“ Possessor) fast in unserer Variablen-Position steht – kann man sagen, dass unser Vorschlag plausibel macht, wieso Applikative, egal ob „hoch“ oder „tief“, so oft natürliche Klassen bilden: Ein P-EXPERIENCER- oder LANDMARKEN-Binder bindet einen Possessor oder ein Zwecksubjekt, und all diese Fälle sind syntaktisch sehr ähnlich. Pylkkänens Analyse hat diese unifizierende Kraft, soweit ich das sehe, nicht.

14.2.2 Wahrheitsbedingungen Pylkkänens (2002) Applikativanalyse kommt mit relativ unspezifischen Wahrheitsbedingungen aus. Damit wird der empirische Wert ihrer Theorie ge-

302  Konkurrierende Forschungstraditionen schwächt, denn es sind auf der semantischen Seite keine klaren Falsifikationsbedingungen zu eruieren. So findet sich an keiner Stelle der Arbeit eine Ausbuchstabierung dessen, was genau die Wahrheitsbedingungen von „to-the-possession-“, „from-the-possession-“ oder „Benefactive“ sein sollen. Es wird auch nicht auf klärende Literatur in diesem Bereich verwiesen. Damit bleibt die Analyse im Vagen hinsichtlich der Frage, ob der „tiefe“ Applikativreferent im Rezipientenfall nur ein intendierter Rezipient zu sein braucht oder ob der tatsächliche Besitzerwechsel eine notwendige Bedingung ist. Es ist bekannt, dass ‘geben’- und ‘schenken’-Verben den Erhalt der Sache implizieren, wohingegen andere Verben des Besitzerwechsels oft bzw. meistens den Besitzerwechsel nur als vom AGENS angestrebt implizieren. Aus Pylkkänens Warte könnte man entgegnen, dass die Formulierung „to-the-possession-“ für den Rezipienten-Applikativ- durch to genau denjenigen Interpretationsspielraum eröffnet, der beabsichtigten und tatsächlich erfolgten Besitzerwechsel unter der in to impliziten zweckbezogenen Modalisierung zusammenfasst. Dann ist jedoch unklar, wieso sich das Gegenstück des Quell-Applikativ-s „from-the-possession-“ nicht gleichermaßen inhärent modalisiert präsentiert. Außerdem lässt die Modellierung mithilfe des Possessionsbegriffs für „tiefe“ Applikative auf der einen Seite und mithilfe des Benefaktivitätsbegriffs für „hohe“ Applikative auf der anderen Seite das Alternieren zwischen beiden Fällen unerklärt (vgl. die Diskussionen in 7.2 und 12.2.3; dort war es durch die strukturelle Parallelisierung von „benefaktiven“ und „Pertinenz“-Dativen ja möglich geworden, das Kippen zwischen und auch die Koexistenz von zweck- und possessumsbezogenen Lesarten abzuleiten). Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Pylkkänen (2002) streng genommen gar keinen semantisch falsifizierbaren Vorschlag für die Bedeutung von Applikativkonstruktionen gemacht hat. Außerdem bleibt die semantische und strukturelle Nähe von „tiefen“ und „hohen“ Applikativen im Sinne unserer Generalisierungen aus 7.2 unerklärt bzw. muss sogar als inkompatibel mit Pylkkänens Analyse gelten.

14.2.3 Thema-Abtrennung Zumindest theorieintern ist die bei Pylkkänen (2002) vorgenommene Abtrennung der Thema-Relation aus der Verbbedeutung der problematischste Teil der Analyse. Dieses zunächst nur theorieabhängig relevant scheinende Problem kann sich, wenn sich die in 2.5.2 mit Kratzer (1996, in Vorb.) gemachten Annahmen über Verbbedeutungen weiterhin als empirisch fruchtbar erweisen, zu ei-

Bindungsansätze  303

nem Hindernis ausbauen, das jede denkbare Variante einer tiefen Applikativanalyse von vornherein unmöglich macht. Pylkkänen (2002) modelliert ihre tiefen Applikativköpfe so, dass nicht das Verb dem normalerweise internen Argument des Verbs die thematische Beteiligung zuweist, sondern der Applikativkopf (vgl. das Konjunkt …& theme(e,x)… in der Applikativdenotation in (14.6). Die Verbbedeutung enthält zwar redundanterweise dieselbe Information ein zweites Mal; aber damit der Applikativkopf so gestaltet werden kann, wie er bei Pylkkänen (2002) aussieht, muss er als Konjunkt seiner Wahrheitsbedingungen den Bezug auf eine allgemeine Thema-Relation beinhalten. Nun ist es eine Kernannahme der neo-davidsonischen Theorie von Kratzer (in Vorb.), dass sich eine allgemeine Thema- oder Patiens-Relation überhaupt nicht definieren lässt (vgl. auch 2.5.2). Die thematische Information interner Argumente wird nicht über Diathesemorpheme zugewiesen, sondern ergibt sich prinzipiell idiosynkratisch aus den einzelnen Verbbedeutungen. Semantische Klassenbildungen sind dadurch lexikonintern unter internen Argumenten zwar nicht ausgeschlossen, ihre Abwesenheit in vielen Fällen stellt aber mit dieser Annahme kein Problem mehr da. Wenn das so ist, kann es auch keine allgemeine ThemaRelation geben, die in einem Applikativkopf unabhängig vom jeweiligen Verblexem feststehen könnte. Anders gesagt: Wenn das Thema-Konjunkt in der Verbdenotation eine unzulässige Generalisierung über prinzipiell idiosynkratische Einzelfälle ist (und dafür spricht einiges), dann kann es auch ein entsprechendes Konjunkt in der Applikativkopf-Denotation nicht geben. Nur wenn sich durch unabhängige Evidenz herausstellen sollte, dass es doch für Subklassen des verbalen Lexikons verlässlich definierbare thematische Interne-Argument-Relationen gibt und dass höchstens diese Subklassen applikativ-kompatibel sind, wäre ein Ausweg aus dem Dilemma möglich. In diesem Fall könnte man nämlich womöglich die entsprechende Sub-Thema–Denotation als eigenes thematisches Morphem unabhängig vom Verbstamm modellieren und es wie bei Pylkkänen (2002) mit der Themarelation des Verbstamms interagieren lassen.

14.3 Bindungsansätze 14.3.1 Bindungsansätze für nicht-deutsche Daten Es hat in den vergangenen 25 Jahren immer wieder Autoren gegeben, die in Konkurrenz mit den vorherrschenden Possessoranhebungsanalysen (vgl. 14.1) Varianten einer Bindungsanalyse für „Pertinenz“-Dative entwickelt haben. Um den von uns vertretenen Vorschlag besser kontextualisieren zu können, sollen diese Vorschläge hier vorgestellt werden.

304  Konkurrierende Forschungstraditionen Guéron (1985) schlägt für inalienable Possessionskonstruktionen des Französischen eine (rein syntaktische) Bindungsananlyse vor (vgl. auch Kayne 1975). Durch die Bindungsannahme ergibt es sich von selbst, dass die DP des indirekten Objekts auf der relevanten Ebene in einer Position stehen muss, in der es die Possessum-DP c-kommandiert (Guéron 1985: 51–52). Die meisten anderen Details sind jedoch – auch weil die Analyse im Rahmen der Rektions- und Bindungstheorie (Chomsky 1981) aufgestellt worden ist – nur schlecht mit unserer Analyse vergleichbar. So beschreibt Guéron die Randbindungsbedingung (vgl. Kap. 7) noch nicht, und das Bindungsverhältnis besteht nicht – wie bei uns – zwischen dem zusätzlichen Objekt und dem Possessor des tiefer eingebetteten Arguments; stattdessen sind das zusätzliche Objekt und die gesamte tiefer eingebettete DP als Glieder einer lexikalischen Kette koindiziert. D. h. dass in Guérons Analyse z. B. für das französische Gegenstück von ihm die Hände waschen das Pronomen ihm und das Objekt die Hände koindiziert wären. Für uns besteht in diesem Fall Identität zwischen dem Referenten von ihm und dem Possessor der Hände. Guéron behauptet natürlich nicht, dass Personen mit ihren Händen identisch sind. Um die behauptete Abhängigkeitsbeziehung zwischen den Nominalen trotzdem als Kettenbeziehung fassen zu können, setzt Koindizierung bei Guéron (1985: 44) nicht Identität voraus, sondern nur Nicht-Distinktheit. Tatsächlich überlappen sich ja Referenten und ihre Körperteile und sind damit nicht-distinkt. Der Begriff der lexikalischen Kette erlaubt es dabei, dass das ckommandierte Kettenglied referenziell abhängig und gleichzeitig kein Pronomen ist, sondern eine definite Kennzeichnung. Dadurch wird das modelliert, was bei uns als bridging gefasst ist. Allerdings versagt dieser Mechanismus bei Possessionsbeziehungen, die keine Teil-Ganzes-Beziehungen sind: in Paul das Haus anzünden überlappen sich das Haus und Paul referenziell nicht. Ein weiterer Unterschied zwischen Guérons und unserer Theorie ist, dass Guéron (1985: 45) für die indirekten Objekte der entsprechenden französischen Konstruktion von der semantischen Beteiligung als Possessoren ausgeht. Das ist unter unseren Vorzeichen unmöglich, da die Possessionssemantik allein DP-intern zum Ausdruck gebracht wird. Schließlich kombiniert Guéron (1985) ihre Bindungsanalyse mit einer Implementierung als Kontrollkonstruktion: So wie infinite Prädikate ein PRO-Subjekt haben, argumentiert Guéron, haben Körperteil-DPs in den entsprechenden Konstruktionen ein PRO als Teil ihres definiten Artikels. Für diese Annahme muss sich Guéron (1985: 48) auf eine Kontrolltheorie stützen, in der PRO gebunden ist (Manzini 1983), eine Annahme, die wir nicht teilen. Bei allen Unterschieden zwischen den Ansätzen gibt es jedoch einen Bereich, in dem Guéron bereits Generalisierungen vorlegt, die unseren vergleichbar sind, und das ist im Bereich der Lokalität. Genau wie wir es in

Bindungsansätze  305

Kap. 6 dargelegt haben, beschreibt auch Guéron (1985: 48) die relevante Bindungsbeziehung als lokal. Borer & Grodzinsky (1986) diskutieren anhand von Daten aus dem Neuhebräischen (vgl. auch Berman 1982, wo viele der relevanten Daten bereitgestellt werden) die Abhängigkeitsbeziehung zwischen Referenten von „Pertinenz“-Dativen und tiefer eingebettetem implizitem Bezug auf dieselben Referenten im Kontext des besonderen Diathesesystems des Hebräischen. Die Fakten der Referenzidentität sind also stärker dem Standard entsprechend gefasst als bei Guéron (1985). Allerdings lassen die Autoren die Natur der Abhängigkeitsbeziehung unter Verneinung von Kontrolle letztlich offen (Borer & Grodzinsky 1986: 213), stellen aber die Lokalität der relevanten Abhängigkeitsbeziehung klar heraus. Auch Borers & Grodzinskys (1986) Vorschlag ist angesichts einer noch nicht voll explizierten semantischen Bindungstheorie rein syntaktisch. Eine Besonderheit ihrer Analyse ist es, dass sie die „Pertinenz“-Dative des Neuhebräischen nicht isoliert untersuchen, sondern im systematischen Kontext mit anderen Dativen zugehöriger diathetischer Kategorien, nämlich mit „ethischen“ (d. h. „benefaktiven“) Dativen und reflexiven Dativen. Letztlich legen sie zwar – entgegen unserem Bestreben in Teil II und III dieser Studie – unterschiedliche syntaktische Analysen für die verschiedenen Dativ-Konstruktionen vor. Aber die parallele Behandlung der ausdrucksseitig zusammengehörenden Strukturen ist innerhalb des Paradigmas, in dem Borer & Grodzinsky arbeiten, nicht selbstverständlich und entspricht ganz unserer Stoßrichtung. Die am weitesten ausgebaute Bindungsanalyse zu „Pertinenz“-Dativen (wiederum am Beispiel des Französischen wie bei Guéron 1985 entwickelt) haben Vergnaud & Zubizarreta (1992) vorgelegt (vgl. auch Koenig 1999, eine Arbeit, auf die ich leider sehr spät aufmerksam geworden bin). Allerdings nimmt ihr Analysevorschlag eine Ausprägung an, die idiosynkratische theoretische Neuerungen erzwingt und mir zudem semantisch nicht klar geworden ist. In Vergnauds und Zubizarretas (1992) Theorie ist der type/token-Kontrast von großer Wichtigkeit. Die Autoren behaupten, dass immer dann, wenn in einer Konstruktion wie Le docteur leur a radiographé l’estomac ‘Der Doktor hat ihnen den Magen geröntgt’ der Possessor der tiefer eingebetteten DP gebunden ist, diese DP eine Typeninterpretation hat. Damit soll u. a. der Tatsache Rechnung getragen werden, dass bei pluralischen indirekten Objekten (leur ‘ihnen’) und singularischen tiefer eingebetteten Argumenten (l’estomac ‘den Magen’) distributive Lesarten zustandekommen (Vergnaud & Zubizzarreta 1992: 598). (In unserer Theorie können, sofern die Binder-DP ein Quantor ist oder mit einem Distributor einhergeht, leicht distributive Lesarten erzeugt werden.) Allerdings ist mir unklar, wie Vergnaud & Zubizarreta (1992) unter Rückgriff auf die type/token-Unterscheidung dieses Ziel wirklich erreichen. Die Autoren nehmen an, dass NPs

306  Konkurrierende Forschungstraditionen

Typen-Referenz haben und DPs normalerweise Individuen- bzw. token-Referenz (Vergnaud & Zubizarreta 1992: 612). Für die relevanten Bindungskonfigurationen gehen Vergnaud & Zubizarreta (1992: 615) nun davon aus, dass der französische Artikel in diesen Fällen expletiv sei – sonst aber nicht! – und dass deswegen die Possessum-DP so wie eine NP einen Typ denotiere. Auf eine Weise, die ich nicht verstehe, soll dieses Typ-Denotat die distributiven Lesarten singularischer Possessa-DPs ergeben. Anders gesagt schlagen die Autoren vor, dass DPs mit expletivem Artikel als Typen interpretiert und zu Argumenten etwa von Verbdenotationen werden können, dass aber sekundär eine Instanziierungsrelation die Individuen des Diskursuniversums mit den Typen-Denotaten assoziiert (Vergnaud & Zubizzareta 1992: 612). Um das implementieren zu können, wird eine neue Repräsentationsebene, die L-Struktur, postuliert: „Die L-Struktur ist eine Menge von Elementen D ¼ {i, j, k, …}, so dass jedes Element aus D mit einer Nominalphrase im Satz assoziiert ist“.25 Sofern Vergnauds & Zubizarretas Ansatz das leistet, was die Autoren mit ihm anstreben (nämlich Bindung in Inalienabilitäts-Konstruktionen zu modellieren) – was ich nicht beurteilen kann26 – gibt es auf jeden Fall einen gravierenden theorieinternen Einwand gegen ihn: Es wird mit der L-Struktur eine weitere Repräsentationsebene vorgeschlagen. Solch eine Anreicherung ist in der weiterentwickelten generativen Theorie des Minimalismus extrem unattraktiv, da Repräsentationsebenen in dieser Theorie radikal beschränkt sind auf Schnittstellen zu anderen funktionalen Systemen neben der Grammatik im engeren Sinne. Es bleibt insgesamt jedoch festzuhalten, dass Vergnaud & Zubizarreta (1992) innerhalb der Generativistik denjenigen Bindungsvorschlag zur Modellierung der – in unserer Terminologie – dativischen Bindungsdiathese gemacht haben, der an prominenter Stelle und mit der detailliertesten Implementierung eine Alternative zu den vorherrschenden Possessoranhebungsanalysen geboten hat. Insofern steht unser Vorschlag direkt in der Nachfolge von Vergnauds & Zubizarretas Analyse.

14.3.2 Brandt (2003, 2006): Eine Bindungsanalyse für deutsche Dative Brandt (2003, 2006) hat eine syntaktische und semantische Analyse für deutsche Dative vorgelegt, die eine Bindungsimplementierung mit lokalsemantischen und mereologischen Komponenten verbindet. Damit ist sie auf den ersten  25 Im Original (Vergnaud & Zubizarreta 1992: 610): „L-Structure is a set of elements D ¼ {i, j, k …} such that each element of D is associated with some nominal phrase in the sentence.“ 26 Vgl. Hole (2005: 235–236, 2006: 404–405) für weitere Versuche mit jeweils anderen Schwerpunkten, Vergnauds & Zubizarretas (1992) Ansatz gerecht zu werden.

Bindungsansätze  307

Blick unserem Vorschlag ähnlich. Bei näherer Betrachtung sind jedoch Stoßrichtung und Voraussagen sehr verschieden. Brandt (2006: 104–105) stellt zwei Behauptungen auf, die auf deutsche nicht präpositional regierte Dative zutreffen sollen.27 (14.10) a. Das lexikalische Prädikat einer dativlizensierenden Konstruktion enthält ein indexikalisches (Grad-)Ortsargument, das auf das/den Thema(-Ort) und auf den Dativ (Enthaltensein) bezogen ist. b. Die Interpretation einer dativlizensierenden Konstruktion geht einher mit der Überprüfung zweier disjunkter Wahrheitswertintervalle. (14.10a) sagt aus, dass der Dativreferent – bei Brandt (2003, 2006) referieren Dative auf Orte – als Teil den Ort enthält, auf den in der tiefer eingebetteten (oft impliziten) PP Bezug genommen wird, und der Themareferent befindet sich an diesem Teilort. Die PP-Denotation ist bei Brandt (2003, 2006) mit einer freien Variable für einen enthaltenden Ort modelliert. Über diese Variable wird von einer funktionalen Tempusprojektion direkt unterhalb des Dativarguments ein Prädikat abstrahiert. Der Dativ bindet also die Variable für den enthaltenden Ort. So ist schließlich der Dativort der Ort, der den PP-Ort enthält. Das Thema ist also am PP-Ort, der PP-Ort ist Teil eines enthaltenden Orts, und dieser enthaltende Ort ist identisch mit der Denotation des Dativs. Für „Judikanten“- bzw. zu-steil/süß-Dative wird angenommen, dass Grade das konstruktionelle Analogon zu Orten darstellen. Demgemäß entspricht dem Eine-Eigenschaft-in-einem-bestimmten-Grad--Aufweisen des Themareferenten in zu-steil/süß-Dativ-Konstruktionen das Sich-an-einem-Ort-Befinden eines Themareferenten in anderen Dativkonstruktionen. (14.10a) ist mit unserer Analyse insofern vergleichbar, als auch in Kap. 11, insbesondere in 11.2.4, dafür plädiert wurde, eine zweifach geschachtelte lokale Relation in die Semantik des LANDMARKEN-Kopfs aufzunehmen. Außerdem gehen wir mit Brandt davon aus, dass in der Struktur unterhalb von freien LANDMARKEN-Dativen immer ein Individuen-Denotat mit einem lokativischen oder PP-Denotat in Beziehung gesetzt wird. Ein wichtiger Unterschied zu Brandts Analyse besteht darin, dass in der vorliegenden Arbeit zu-steil/süß-Dative keine LANDMARKEN-Sachverhaltsbeteiligung haben, sondern P-EXPERIENCER sind. Distributionelle Evidenz dafür haben wir aus dem in Kap. 10 etablierten klassenbildenden unter 27 Im Original (Brandt 2006: 104-105): „I. The lexical predicate of a dative licensing construction comprises an indexical (degree) location argument that is related to the theme (location) as well as to the dative (inclusion in). II. Interpretation of a dative licensing construction involves the checking of two disjoint truth intervals.“

308  Konkurrierende Forschungstraditionen schiedlichen Personifikationsverhalten freier Dative gezogen: P-EXPERIENCER präsupponieren Animatheit, während LANDMARKEN das nicht (oder nur für eine Sprechergruppe) tun. Gemäß unserer Analyse ist also eine semantische Parallelisierung von zu-steil/süß-Dativen mit LANDMARKEN-Dativen nicht in jeder Hinsicht erstrebenswert. Tatsächlich ist die Analogisierung beider Fälle bei Brandt (2006: 124–126) auch nicht wirklich ausgearbeitet und bleibt auf einer eher deklarativ-impressionistischen Ebene. (14.10b) besagt für den Zustandsveränderungsfall, dass zusätzlich zum assertierten Resultatszustand ein Vorzustand präsupponiert wird: Zu einem Zeitpunkt vor der Zeit, für die die Assertion gilt, bestand die betreffende Lokalisierungsrelation noch nicht. Wenn Paul Anna auf den Fuß tritt, ist Pauls Fuß als Resultat (kurzzeitig) auf Annas Fuß, was zuvor nicht der Fall war. Für zu-steil/ süß-Dative nimmt Brandt (2006: 125) an, dass die unterschiedlichen Wahrheitswerte für die verschiedenen Vergleichssituationen oder -welten gelten, in denen die betreffende Eigenschaft mal in angemessenem Grade und mal in nicht angemessenem Grade vorliegt. Diese Welten/Situationen sind als Funktion einer Kratzer’schen (1991) Ordnungsquelle entlang einer Skala der Angemessenheit geordnet. Das führt dazu, dass Brandt (2006: 125) den Zeitstrahl der Zustandsveränderungsfälle mit einem Situations- oder Weltenstrahl der zu-steil/süß-Dative parallelisiert. Situationen oder Welten haben wie Zeitpunkte Indizes, und diesen Indizes sind jeweils Wahrheitswerte zugeordnet, nämlich Wahrheitswerte, ob der betreffende Resultatszustand zum betreffenden Zeitpunkt vorliegt oder ob die relevante Eigenschaft in der betreffenden Situation/Welt in angemessenem Grad vorliegt. Obwohl es einige Ähnlichkeiten zwischen Brandts (2003, 2006) und unserem Ansatz gibt, müssen doch (über die bereits erwähnten hinaus) einige wichtige Unterschiede festgestellt werden. (i) Brandts Dativreferenten sind grundsätzlich als Orte angelegt. Wie bereits angemerkt, sind Dativreferenten bei uns immer Individuen, die sich im Falle von LANDMARKEN zwar an einem Ort befinden, der für die Interpretation relevant ist; für P-EXPERIENCER nehmen wir aber mit gutem Grund keinen Bezug auf Orte an. Eine Unschärfe, die sich bei Brandt aus der generellen Annahme der Lokalisierungssemantik für Dative ergibt, betrifft die Behandlung der zu-steil/süß-Dative. In (14.10a) finden sich drei eingeklammerte Elemente. Es ist unklar, ob durch die ersten zwei Klammern Disjunktionen oder fakultative Spezifikationen ausgedrückt werden sollen. Wenn Disjunktionen gemeint sind, was besonders für die erste Klammer („(Grad-)Ortsargument“) naheliegt, ist die Theorie nur scheinbar einheitlich. Wenn Spezifikationen gemeint sind, was sich besonders im Fall der zweiten Parenthese anbietet („Thema(-Ort)“), fehlt eine Erläuterung dessen, in welcher Hinsicht genau das An-einem-Ort-Sein der typischen lokati-

Bindungsansätze  309

vischen Fälle nur ein Sonderfall des Bezugs auf Referenten allgemein ist (vgl. auch die Diskussion zu EXPERIENCERN unter (iii) unten). (ii) Brandt (2006) will eine Analyse für „produktiv im Deutschen vorkommende Dativkonstruktionen“ entwickeln, genauer für „doppelte Objekte und Experiencer-Dative“.28 Brandt schlägt die Bezeichnung „Zipienten“ (cipients) für diese Argumente vor, was eine Verallgemeinerung über Rezipienten und Perzipienten (¼Experiencer) zum Ausdruck bringen soll. Allerdings wird, sofern ich das vollständig überblicke, an keiner Stelle ein distributionelles Kriterium genannt, das es einem erlauben würde, diese Klasse von Ausdrücken verlässlich auszugliedern. In einer starken Lesart wird also eine Unifizierung aller Dativargumente des Deutschen angestrebt. Es ist unklar, ob eine syntaktische und semantische Unifizierung dieses Typs wirklich erstrebenswert ist. Im Rahmen unserer Annahmen sind freie Dative ein Phänomen, das als produktiv zu beschreiben ist, wohingegen die lexikalisch geforderten Dativargumente echt dativregierender Verben mit Bedacht für die Aufstellung unserer Generalisierungen außen vor gelassen worden sind (vgl. 1.3). Es ist kennzeichnend für Brandts Duktus, an den Stellen, an denen man sich Auskunft über die genaue empirische Reichweite oder Implementierungsdetails erhofft, auszuweichen oder sich auf (angeblich) allgemeine Standards zu berufen. Schon die eingangs dieses Paragraphen zitierte Wendung lässt es in der Schwebe, ob alle oder nur einige Dative des Deutschen gemeint sind. An anderer Stelle (Brandt 2006: 118) wird eine syntaktische Struktur vorgeschlagen, die in vielerlei Hinsicht analog zu unserem Vorschlag aus 12.3 und zu vergleichbaren Vorschlägen in der Literatur (etwa bei McFadden 2006 oder Meinunger 2006) ist. Insbesondere ließe sich die oben erwähnte Tempusprojektion („eine funktionale Projektion, die zum Tempussystem natürlicher Sprachen gehört“29) mit unserem Diathesemorphem und der Abstraktionsstruktur identifizieren. Bei Brandt wird jedoch (durch Auslassungspunkte) offengelassen, ob zwischen VP und tP noch weitere Struktur ist, und wenn ja, welche. (iii) Bei Brandt (2003, 2006) sättigt das Denotat des Dativarguments ein Lokalisierungsprädikat. Diese Lokalisierungsprädikation ist im Normalfall die Resultatszustandsprädikation. Damit hat der Dativreferent aber keine PP-externe Sachverhaltsbeteiligung; er sättigt ja nur eine Valenz, die den PP-Sachverhalt wiederum räumlich verankert. Damit liegt aber mit einer bestimmten Lesart wie 28 Im Original (Brandt 2006: 103): „The paper gives an analysis of productively occurring dative constructions in German, attempting to unify what are known traditionally as Double Object and Experiencer Datives.“ 29 Im Original (Brandt 2006: 118): „a functional projection that pertains to the tense system of natural language“.

310  Konkurrierende Forschungstraditionen der eine Variante einer Analyse vor, die dafür argumentiert, dass der „eigentliche“ Ort der Interpretation des Dativs tief VP- bzw. PP-intern ist. Es wird zwar nicht wie in syntaktischen oder lexikalischen Possessoranhebungsanalysen behauptet, dass der Dativ einen Possessor denotiert; es wird jedoch explizit gesagt, dass eine Valenz der Resultatszustand-Lokalisierungs-PP (wiedereröffnet und) gesättigt wird. Brandts Vorschlag ist demnach zwar kein Possessoranhebungsvorschlag, semantisch läuft er aber auf dasselbe hinaus wie eine (durch Bindung vermittelte) „Ortsanhebung“. Damit bleibt dieser Vorschlag, was die thematische Analyse angeht, hinter Lee-Schoenfelds (2005) immerhin im Paradigma der Possessoranhebung gewonnenen Einsicht zurück, dass die entsprechenden Dative sich auf Referenten beziehen, die Possessoren und Sachverhaltsbeteiligte umfassenderer Sachverhalte zugleich sind. Was bei Brandt insbesondere unklar bleibt, ist, woher Dativreferenten ihre oft nachweisbare thematische EXPERIENCER-Beteiligung bekommen. In der Position, in der sie in die Struktur kommen – unmittelbar oberhalb einer funktionalen Tempusprojektion – ist für sie kein thematisches Prädikat vorgesehen, und in dem Prädikat, das sie nach Prädikatsabstraktion sättigen, liefern sie nur Lokalisierungsinformation. Darüberhinaus ist mir auch unklar, wie eine thematische Beteiligung des EXPERIENCER-Typs unter Brandts Vorzeichen überhaupt zu modellieren wäre. Gemäß Brandts Ontologie denotieren Dativargumente ja Orte, und von Orten wird allgemein nicht angenommen, dass sie als EXPERIENCER an Sachverhalten beteiligt sein können. Wenn Brandt die EXPERIENCER-Beteiligung von Dativreferenten darstellen wollte, müsste er also zusätzlich zu seiner Lokalisierungsaussage über Dative noch eine andere Aussage über Dativreferenten in seine Analyse aufnehmen. Diese Aussage müsste beinhalten, dass Dative neben ihrer Ortsemantik auch noch in einer anderen Hinsicht (welcher?) Individuen mit einem sensorischen und Bewusstseinsapparat sind (vgl. die Diskussion in Kap. 10). Diese Punkte sind bei Brandt nicht ausgearbeitet. (iv) Ein Problem, das sich gleich im Anschluss an den vorangehenden Punkt formulieren lässt, betrifft eine Voraussage, die Brandt (2003, 2006) macht, die sich aber, soweit ich das sehe, nicht bestätigt. Wenn jede tiefer eingebettete Resultatszustands-PP eine freie bzw. für die Prädikatsabstraktion in der tP-Struktur zugängliche weitere Ortsvariable enthielte (eine Superlokation, an der die Lokalisierungsrelation der PP gilt), dann müsste jeder Satz mit Resultatszustands-PP, aber ohne Dativ, einen solchen Ort diskursgegeben präsupponieren oder aber die entsprechende Variable anderweitig gebunden vorliegen haben. Dafür liegt mir aber keine Evidenz vor. Vielmehr ist es so – und hier wird deutlich, dass Brandts und meine Analyse in Teilbereichen auf sehr ähnlichen Intuitionen und empirischen Befunden aufbauen – dass die Superlokation, von der Brandt als PP-intern zu modellierender ausgeht, erst durch den ar-

Bindungsansätze  311

gumentlizensierenden LANDMARKENkopf ins Spiel kommt. In 11.2.2 hatten auch wir herausgestellt, dass der PP-Ort im Nachbarschaftsregionenraum des Dativreferenten liegen muss und dass die Superlokation satzsemantisch repräsentiert sein muss (vgl. (14.11) (¼(11.9)). In 11.3 hatten wir das dann durch die in (14.11) fett gesetzte Wahrheitsbedingung modelliert (vgl. (11.43)/(11.46)). (14.11)

DIE SATZGRAMMATISCHE NATUR DER DISKURSANBINDUNG VON LANDMARKEN-DATIVEN

Die Anbindung eines LANDMARKEN-Dativreferenten an den präsupponierten Diskurshintergrund kann explizit nur lokal, d. h. innerhalb des (Teil-)Satzes erfolgen. (14.12)

LANDMARKEN MIT ABSCHLUSS NACH OBEN

Für beliebige Belegungen a, Zahlen i und Kontexte C gilt: OLANDMARKEPa;C ¼ λx : J9y[x `e y & y2K]. λs . 9s′[der Ort von s `s NachbarschaftsregionenraumC von x(s′) & s′ gilt an Ort a(i)], wobei K eine kontextuell saliente Teilmenge von D ist (endgültig) Dem Ausdruck „a(i)“ in (14.12) entspricht semantisch Brandts (2003, 2006) freie Superlokationsvariable. Unserem s entspricht Brandts PP-Sachverhalt. Zu unserem s′ gibt es bei Brandt kein Gegenstück, da bei ihm nirgendwo davon ausgegangen wird, dass der Mereologie von Orten eine Sachverhaltsmereologie entspricht. Was bei Brandt also als weiteres semantisches lokales Argument der PP modelliert ist, kommt bei uns ganz neo-davidsonisch erst durch das LANDMARKEN-Denotat ins Spiel. Damit gibt es für uns aber in Abwesenheit der dativ- bzw. LANDMARKENlizensierenden Struktur auch das weitere semantisch zu repräsentierende lokale Argument nicht. Und genau dafür hatten uns die Kontraste in (14.13) (¼(11.7)/(11.8)) gute Evidenz geliefert. (14.13) [Die Tierschützer betraten ein Lagerhaus.] a. … Aus dem Bauch eines Hundekadavers quollen die Eingeweide heraus. b. (#)… Einem Hundekadaver quollen die Eingeweide aus dem Bauch heraus. c. … In dem Lagerhaus/In einem Käfig quollen einem Hundekadaver die Eingeweide aus dem Bauch heraus. (14.13b) verunglückte ja gemäß unserer Erklärung deswegen so leicht, weil der LANDMARKEN-Dativ mit dem Erfordernis einherging, den genauen Ort („a(i)“) angeben zu können, in dessen Nachbarschaftsregion das Herausgequollensein galt. Dafür war aber die inferierte Information, dass der Sachverhalt wohl im Lagerhaus gilt, nicht ausreichend. Die Information musste satzgrammatisch re-

312  Konkurrierende Forschungstraditionen

präsentiert sein; deswegen glückten die Varianten in (14.13c). Gemäß Brandts Analyse sollte nun aber (14.13a) genau so leicht verunglücken wie (14.13b). Schließlich wäre die Superlokationsvariable der PP Brandt folgend in (14.13a) genauso wenig gebunden oder diskursangebunden wie in (14.13b). (14.13a) glückt aber. Das ist ein Hinweis darauf, dass die Superlokationsvariable tatsächlich erst durch den LANDMARKENkopf in die Struktur kommt und nicht schon Teil des PP-Denotats ist. (v) Generalisierung (14.10b) – also die Behauptung, dass immer ein komplementäres Wahrheitswertintervall präsupponiert ist, wenn ein Dativ interpretiert wird (meist ein Vorzustand) – birgt im empirischen Kontext destruktives Potenzial für Brandts Ansatz. Ein Problem sind Dativargumente in Zustandsprädikationen besonders mit Körperteilbezug, die keine Zustandsveränderungen oder Vorzustände präsupponieren, also etwa in Paul wachsen Haare auf dem Rücken, Paula prangt ein Leberfleck auf der Nase oder Uns stehen die Ohren ab. In keinem der drei Fälle muss je ein (relevanter) Vorzustand bestanden haben, in dem Paul keine Haare auf dem Rücken wuchsen, Paula keinen Leberfleck auf der Nase hatte oder uns die Ohren nicht abstanden (vgl. auch Kratzer 2000 und Hole 2002c: 170-171, 181 mit derselben Generalisierung im Kontext der Analyse von Zustandspassiva und der haben-Konstruktion (Paul hat die Stirn zugewachsen; Leirbukt 1981)). Ein anderes Problem stellen piacere-Verben dar (Belletti & Rizzi 1988), also stative Psych-Verben mit dativischen EXPERIENCERN wie gefallen oder (gut) schmecken; auch hier sind offenbar keine Vorzustände präsupponiert. Diese zweite Problemklasse ist für uns nicht so relevant, denn es handelt sich um echt dativregierende Verben; Brandt möchte sie zwar mitabdecken, aber unsere Analyse konkurriert in diesem Bereich nicht mit Brandts. Brandt (2006: 126) ist sich des Problems bewusst, dass Verben ohne implizierte oder präsupponierte Zustandsveränderung ein Problem darstellen. Seine Behandlung des Problems überzeugt aber nicht. Er schlägt für den Psych-Verb-Fall vor, „dass es für Sinnesprädikate viele einfach im Gedächtnis gespeicherte Qualitätsraum-Orte gibt, so dass das Auffinden und Verankern einer Präsupposition, die einen Vorzustand/Standard definiert, kein Problem darstellt.“30 Dieses Argument ist nicht linguistisch bzw. es trivialisiert den Zustandsveränderungsbegriff. Zu den Körperteilfällen wie Uns stehen die Ohren ab bietet Brandt als angedachten Ausweg an, dass „man sagen kann, dass Körperteilprädikate mit so etwas wie einer eingebauten ‚zu-nah/zu-viel‘-Relation einhergehen. Diese Idee wird dadurch unterstützt, dass Körperteil-Zipienten-Konstruktionen typischerweise eine Bedeutung  30 Im Original (Brandt 2006: 126): „It seems likely that with sense predicates, there will be many quality-space locations simply stored in memory, so that finding and anchoring a presupposition that defines a pre-state/standard poses no problem …“.

Bindungsansätze  313

haben, die physische Nähe voraussetzt, welche zumindest aufregend ist, oft auch schädlich oder schmerzhaft.“31 Es wird also offenbar angedacht, alle Körperteil-Zipienten-Konstruktionen auf zu-steil/süß-Dative zurückzuführen. Ich werde diese Idee nicht weiter verfolgen. Unsere Diskussion von Brandts (2003, 2006) Analyse zusammenfassend, kann man sagen, dass beide Bedingungen Brandts – die Superlokations-Annahme für das Dativdenotat und die Präsupposition eines anderen Wahrheitswertintervalls – nicht allgemein genug sind. Weder referieren alle Dative auf Orte (wobei zudem unklar ist, wie Ortsreferenten zugleich EXPERIENCER-Eigenschaften haben können), noch gilt, dass es für Dativkonstruktionen definitorisch ist, Vorzustände oder komplementäre Wahrheitswertintervalle zu präsupponieren. Brandts Behauptung, dass für die Interpretation von Dativen mit Lokalisierungssemantik immer eine Superlokation des Themareferenten über seine PPLokalisiertheit hinaus charakteristisch ist, wird durch unsere Untersuchung bestätigt. Allerdings haben wir Evidenz dafür angeführt, dass der Bezug auf die Superlokation Teil der LANDMARKEN-Semantik ist und nicht als weiteres Argument der PP modelliert werden sollte. Die Tatsache, dass Brandts Vorschlag empirisch zentrale Teilbereiche nicht plausibel abdecken kann (piacere-Verben, wenn echt dativregierende Verben mitberücksichtigt werden sollen, und in jedem Fall stative Körperteilkonstruktionen), bedroht den Vorschlag im Kern. Die angedachten Lösungen sind wahrscheinlich nicht alle hilfreich und zudem nicht genügend ausgearbeitet.

 31 Im Original (Brandt 2006: 126): „To account for this, one may say that body part predicates come with something like a ‘too close/too much’ relation built in. This idea gets some support from the fact that body-part cipient constructions typically have a meaning involving physical closeness that is at least exciting, often maleficient or harmful.“

15 Übereinzelsprachliches und Historisches 15.1 Übereinzelsprachliches Wir haben an verschiedenen Stellen dieser Arbeit gesehen, dass die freien Dative des Deutschen im Sprachvergleich kein isoliertes Phänomen darstellen. Im Gegenteil, es ist z. B. seit langem bekannt, dass „Pertinenz“-Dative und „benefaktive“ Dative in vielen Sprachen natürliche Klassen bilden (Lander 2004). Um die im Rahmen dieser formalsemantisch ausgerichteten Studie nötige Eindringtiefe und einzelsprachliche systematische Vollständigkeit zu erreichen, habe ich jedoch ganz bewusst oft darauf verzichtet, einschlägige Daten aus anderen Sprachen heranzuziehen. Überblicksweise habe ich an anderer Stelle von strukturellen Parallelen in weiteren Sprachen berichtet (Hole 2004b, 2006).32 Sehr wichtig  32 Eine Auswahl an einschlägigen Veröffentlichungen, die mir vorliegen oder vorgelegen haben, umfasst folgende Referenzen (Sprachenangaben beziehen sich auf die jeweils hauptsächlich behandelten Sprachen): Abbi (1991), indische Sprachen; Aikhenvald (2001), Tariana; Aikhenvald et al. (Hrsg.) (2001), zahlreiche Sprachen; Aissen (1983, 1987, 1999), Tzotzil/Tz’utujil; Alsina & Mchombo (1993), Chicheŵa (Bantu); Baker (1999), Mohawk; Belvin & Den Dikken (1997), Englisch; Bergel’son (1999), Svan (S-Kaukasisch); Berman (1982), Neuhebräisch; Blake (1984), australische Sprachen; Boeder (1968, 1999), Georgisch; Borer & Grodzinsky (1986), Neuhebräisch; Bossong (1998); Bresnan & Moshi (1993), Bantu; Bynon (2005), Indo-Iranisch; Chappell (1992a,b), Chinesisch, Sinitisch; Chappell & McGregor (Hrsg.) (1996), zahlreiche Sprachen; Cheng et al. (1999), Taiwanesisches Chinesisch/S-Min; (Cheung (1973), Chinesisch; Cho (2004), Koreanisch; Cienki (1993), Russisch; Dixon & Aikhenvald (2000a), zahlreiche Sprachen; Dixon & Aikhenvald (Hrsg.) (2000), zahlreiche Sprachen; Fox (1981), verschiedene Sprachen; Fried (1999), Tschechisch; Gamerschlag (1996), Japanisch; Gerdts (1999), verschiedene Sprachen; Gerdts & Kiyosawa (2005), Halkomelem (Salisch); Goldberg (1995), Englisch; Guéron (1985), Französisch; Harford (1993), Chishona (Bantu); Harris (1981), Georgisch; Haspelmath 1999b, europäische Sprachen; Haviland (1981), Tzotzil; Hawkins (1986), Englisch, Deutsch; Heine (1997), verschiedene Sprachen; Hyman (1977), Haya (Bantu); Kallulli (2006), Albanisch u. a.; Kayne (1975), Französisch; Keenan & Ralalaoherivony (2000), Madegassisch; König (2001), zahlreiche Sprachen; König & Haspelmath (1998), europäische Sprachen; Krivokapić (2006), Serbisch/Kroatisch; Kuno (1973), Japanisch; Kuno & Johnson (2005), Japanisch; Lander (2004), zahlreiche Sprachen; Landau (1999), Neuhebräisch; Langacker (1999), verschiedene Sprachen; Legate (2003), Warlpiri; Lehmann (2003), Yukatekisch (Uto-Aztekisch); Lehmann, Shin & Verhoeven (2000), zahlreiche Sprachen; Li (2001), Chinesisch; Marantz (1993), Bantu, verschiedene Sprachen; McIntyre (2006), Deutsch, Englisch; Meeuwis (1998), Lingala (Bantu); Mirto (2004), verschiedene Sprachen; Moore & Perlmutter (2000), Russisch; O’Connor (1996), nördliches Pomo; Ogawa (1997), Deutsch, Japanisch; O’Herin (2001), Abaza (NW-Kaukasisch); Pancheva (2003), Bulgarisch, Mazedonisch, Rumänisch, Serbokroatisch; Payne & Barshi (1999), zahlreiche Sprachen; Payne & Barshi (Hrsg.) (1999), zahlreiche Sprachen; Peterson (1998, 1999), Ladakh; Podlesskaya & Rakhilina (1999),

Übereinzelsprachliches  315

bei diesem Vergleich ist die Tatsache, dass das Auftreten von Bindungsdiathesen des allgemeinen semantischen Typs der deutschen freien Dative nicht auf Argumente mit morphologischer Dativmarkierung bzw. indirekte Objekte beschränkt ist. Vielmehr findet man vergleichbare Konstruktionen mit allen nicht präpositional regierten grammatischen Relationen. Beispiele für verschiedene grammatische Relationen aus verschieden Sprachen sind in (15.1) bis (15.4) angeführt. (15.1)

FREIE SUBJEKTDIATHESE

a.

(Rohdenburg 1974) He broke his leg./The car burst a tire/one of its tires. ‘Er hat sich das Bein gebrochen./An dem Auto platzte ein Reifen.’ b. CHINESISCH (vgl. auch Cheung 1973) tuĭ le. Tā shuāi-duàn-le Bein SATZENDPARTIKEL er/sie fall-brech-PERFEKTIV ‘Er/Sie hat sich ein Bein gebrochen.’ (15.2)

FREIE OBJEKTDIATHESE

a. b.

(15.3)

ENGLISCH

DEUTSCH

Paul zwickte mich in den Bauch. KOREANISCH (vgl. Shibatani 1994: 475, Cho 2004) John-i Mari-lul son-ul Hand-AKKUSATIV John-NOMINATIV Mary-AKKUSATIV ‘John schlug Mary (auf) die Hand.’

ttayliessta. schlug

FREIE LOKATIVDIATHESE

a.

(vgl. Cheung 1973) Tā bă bìlú shēng-le OBJEKTMARKER Feuerstelle anzünd-PERFEKTIV sie/er ‘Sie/er entzündete ein Feuer in der Feuerstelle.’ a′. vgl. die Konstruktion mit PP statt mit bă-Objekt: Tā zài bìlú shēng-le huŏ. Feuer sie/er an Feuerstelle anzünd-PERFEKTIV ‘Sie/er entzündete ein Feuer in der Feuerstelle.’ CHINESISCH

huŏ. Feuer

 Russisch; Pylkkänen (2002), verschiedene Sprachen, vor allem Englisch, Finnisch, Neuhebräisch, Bantu; Rohdenburg (1974), Englisch; Sáàh & Ezè (1997), Àkán, Ìgbo; Shibatani (1994, 1996, 2001), Japanisch, verschiedene Sprachen; Szabolcsi (1981), Ungarisch; Testelec (1984, pers. Mitteilung), Südkaukasisch, Georgisch, Svan; Tomioka & Sim (2005), Koranisch, verschiedene Sprachen; Trithart (1977), Haya (Bantu); Tsao (1987), Chinesisch; Tsunoda (1996), verschiedene Sprachen; Tuggy (1980), Spanisch; Uehara (1999), Japanisch; Vergnaud & Zubizarreta (1992), Französisch; Vermeulen (2005), Japanisch, Koreanisch; Vinet & Zhou (2003), Chinesisch, Französisch; Wunderlich (1996, 2000), allgemein, Japanisch, Deutsch; Yoon (1989), Koreanisch, Chinesisch, Französisch; Yoon (2003), Koreanisch; Zhang (1998a, b), Chinesisch.

316  Übereinzelsprachliches und Historisches b.

(vgl. Buell 2003: 109) Isikole sifund-el-a abantwana. Kinder Schule lernen-APPLIKATIV-ENDVOKAL ‘Die Kinder lernen in der Schule.’ b′. vgl. die Konstruktion mit Lokativ-PP statt Lokativ-DP: ZULU (vgl. Buell 2003: 109) Abantwana bafund-el-a esikoleni. in.der.Schule Kinder lernen-APPLIKATIV-ENDVOKAL ‘Die Kinder lernen in der Schule.’ (15.4) FREIE DOPPELTE-SUBJEKT-DIATHESE a. CHINESISCH Xiàng bízi cháng. Elefant Nase lang ‘Elefanten haben lange Rüssel.’ ‘Was Elefanten angeht, ihre Nasen sind lang.’ b. JAPANISCH (vgl. Kuno 1973, Shibatani 2001: 316, Kuno & Johnson 2005) Bunmeikoku ga danseino heikin-zyumyoo ga NOMINATIV entwickelte.Länder NOMINATIV männlich.durchschn. Lebenserwartung mizikai. kurz ‘In den entwickelten Ländern ist die durchschnittliche Lebenserwartung von Männern (vergleichsweise) kurz.’ ZULU

Wie auch immer die Detailanalyse der Konstruktionen in (15.1) bis (15.4) aussehen mag, in allen Fällen liegen Konstruktionen vor, in denen ein Extra-Argument als Binder des Possessors (oder der VP-internen Lokation) eines tiefer eingebetteten Arguments fungiert. (In den Beispielen ist das Extra-Argument jeweils recte gesetzt und die DP, welche die zu bindende Variable enthält, ist unterstrichen. Obwohl für die freie Lokativdiathese in (15.3) keine BindungszielDP eindeutig auszumachen ist, gehe ich hier davon aus, dass implizit VP-intern oder VP-adjazent eine bindbare Ortsvariable vorliegt; Analoges gilt für (15.4b). Diese Annahme ist jedoch vorläufig und bedarf besserer Begründung.) Damit steht die freie Dativdiathese in einem viel allgemeineren Kontext, in dem nichttiefsteingebettete Argumentausdrücke Variablen binden, die keine Koargumente sind (oder nur selten Koargumente sind). D. h. wir finden meist ein Bindungserfordernis mit Koargumentbindungs-Ausschluss wieder, das wahrscheinlich gut als Randbindungserfordernis mit resultierender Rösslsprungbindung (vgl.

Übereinzelsprachliches  317

Kap. 7) fassbar ist.33 Die entsprechenden Konfigurationen setzen wahrscheinlich nicht durchgängig voraus, dass die Binder-DP dativmarkiert wäre, und wahrscheinlich auch nicht, dass die Binder-DP semantisch als P-EXPERIENCER oder LANDMARKE im Sinne von Teil II unserer Studie ausgezeichnet wäre. Damit wird unterstrichen, dass die Modellierung der thematischen Beteiligung in der freien Dativdiathese des Deutschen möglichst separat von der Bindungsmodellierung erfolgen sollte. Genau so haben wir die Implementierung in Teil II und Teil III auch angelegt: Die thematische Information ist in Gestalt eines thematischen Diathesemorphems modelliert, und die Bindung kommt durch die zusätzliche Markierung des Diathesemorphems durch das morphosyntaktische Bindungsmerkmal [þb] mit daraus folgender Strukturexpansion und Prädikatsabstraktion zustande (vgl. Teil II). Ein sich im Sprachvergleich immer wieder bestätigender morphologischer Befund soll hier kurz angesprochen werden. In Sprachen, die Übersetzungsäquivalente der freien Dativdiathese morphologisch am Verb markieren, ist das entsprechende Affix, sofern sich relative Abfolgen bestimmen lassen, immer in einer verbstammnahen Position anzutreffen bzw. in einer Position, die verbstammnahem Skopus entspricht.34 Das Affix ist regelmäßig (in der relevanten Hinsicht) verbstammnäher als Kausativ-, Reflexiv- oder Passivmorpheme.35 Dieses Faktum liefert zum einen Unterstützung für die ereignisstrukturelle Annahme, die wir in 5.3 gemacht haben, dass nämlich die freie Dativdiathese direkt oberhalb der VP in die Struktur kommt und dass sich erst oberhalb von ihr andere diathetische Struktur aufbaut. Andererseits ist das übereinzelsprachliche Faktum, dass Applikative morphologisch mit anderen Diatheseaffixen Muster  33 Wieder gilt, dass für die freie Lokativdiathese das Randbindungserfordernis in anderen Sprachen als dem Deutschen noch gesondert zu zeigen wäre. In diesem Zusammenhang ist O’Herins (2001: 490-491) Befund einschlägig, dass im Abaza (NW-Kaukasisch) Komitativ-Applikativ-e und Lokativ-Applikativ-e (also in unserer aktuellen Terminologie Extra-Argumente einer freien Lokativ- bzw. Komitativdiathese) mit Referenten von syntaktischen Kernrelationen koreferieren können, Benefaktiv- und Adversativ-Applikativ-e jedoch nicht. D. h. es kann sein, dass das Randbindungserfordernis unter Koargument-Bindungsausschluss für die freie Lokativdiathese nicht gilt. 34 Diese etwas komplizierte Formulierung soll Fällen gerecht werden, in denen, wie im Abaza (NW-Kaukasisch), die verschiedenen Verb-Präfixe in einer „umgekehrten“ Reihenfolge dem Stamm vorausgehen oder, anders betrachtet, „der Verbstamm seinen Suffixen folgt“; so beginnt im Abaza die maximale verbale Präfixstruktur mit dem Absolutiv-Kongruenzmarker, dann folgt der Applikativmarker, nach weiteren Markern folgt Kausativmorphologie, und ganz am Schluss folgt die Verbwurzel (O’Herin 2001: 481). 35 Vgl. Gerdts & Kiyosawa (2005: 33) zum Halkomelem (Salisch), Boeder (1999) zum Georgischen (S-Kaukasisch), O’Herin (2001) zum Abaza (NW-Kaukasisch), Bresnan & Moshi (1993) zum Bantu.

318  Übereinzelsprachliches und Historisches

bilden, ein weiterer Beleg dafür, dass es universalgrammatisch sinnvoll ist, von der freien Dativdiathese des Deutschen zu sprechen, auch wenn im Deutschen morphologisch kein Diathesereflex nachzuweisen ist. Ein letzter für uns relevanter Punkt, der sich im Sprachvergleich bestätigt, ist es, dass neben animaten freien Argumenten wie in der deutschen Dativdiathese übereinzelsprachlich auch immer wieder Konstruktionen mit inanimaten bzw. reinen LANDMARKEN-Argumenten nachweisbar sind (vgl. (15.1a), (15.4b)).36 Diese Beispiele lassen sich zwar nicht beliebig vermehren, aber sie bilden eine beständige „typologische Unterströmung“ in unserem empirischen Bereich. Das stärkt die Plausibilität der Annahme reiner LANDMARKEN-Dative für das Deutsche angesichts der zahlenmäßig so stark vorherrschenden AFFIZIERTEN-Dative, welche LANDMARKENschaft mit P-EXPERIENCERschaft kombinieren, oder aber auch angesichts der reinen P-EXPERIENCER-Dative. Die kurze Diskussion in diesem Abschnitt hat hoffentlich veranschaulicht, dass unser Ansatz sich im Sprachvergleich leicht kontextualisieren lässt und dass sehr viele weitere Fakten zu berücksichtigen sind. Genau aus diesem Grund breche ich diese Diskussion hier ab, um mich in den diachronen Überlegungen des folgenden Abschnitts aufrisshaft mit den deutschen (und indogermanischen) Fakten zu beschäftigen. Ich hoffe, zu den Fragen des Sprachvergleichs über das hier Angerissene und die Ergebnisse bei Hole (2004b, 2006) hinaus bei anderer Gelegenheit zurückkehren zu können.

15.2 Historisches Es ist seit langem bekannt, dass der Dativ der modernen germanischen Sprachen, sofern er erhalten ist, das Ergebnis einer weitgehenden Reduktion des indogermanischen Kasussystems ist. Delbrück (1907) berichtet in Monographiestärke über den indogermanischen Kasussynkretismus, und Havers (1911) widmet kurz darauf der indogermanischen Kasussyntax aus der Perspektive des „sympathetischen Dativs“ (also des freieren Dativs unseres Typs, der bei Delbrück 1907 meistenteils außen vor geblieben war) ein weiteres Buch. Es ist unumstritten, dass im germanischen Dativ die indogermanischen Kasus Dativ, Instrumental, Lokativ und Ablativ aufgegangen sind (vgl. auch Dal 1966: 33). Gerade der Zusammenfall von Lokativ und Dativ ist angesichts unserer Hypothesen interessant. Immerhin liegt unserem LANDMARKEN-Konzept eine Lokalse 36 Vgl. Keenan & Ralalaoherivony (2000: 3), Madegassisch; Kiyosawa & Gerdts (2010), Salisch; Censabella (2010), Toba (Guaycurú/Argentinian Chaco region); Lacroix (2010), Lazisch (Südkaukasisch); Rapold (2010), Taschelhiyt (Berber).

Historisches  319

mantik zugrunde, und der indogermanische Dativ selbst wird als Kasus, der den an einer Handlung indirekt Beteiligten markiert, schon immer mit einer EXPERIENCER-Bedeutung in Zusammenhang gebracht. Insofern erhofft man sich als synchron und sprachvergleichend arbeitender Linguist schnelle Bestätigung von den Werken der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft. Leider kann die Indogermanistik dieses Verlangen ebenso wie andere sich aus unserer Stoßrichtung ergebende Wünsche, soweit ich das vollständig überblicke, nicht direkt bedienen. Das hat verschiedene Gründe, und ich möchte einige davon im Folgenden kurz vorstellen. Das Ergebnis dieser Übersicht wird sein, dass es tiefergehender Einzeluntersuchungen am einzelsprachlichen Material bedürfte, um für unsere Belange wirklich einschlägige Aussagen machen zu können und dass zudem manchmal solche detaillierteren Untersuchungen von vornherein unmöglich sind, weil Belege fehlen. Ein Grund, wieso die Indogermanistik zum Problem der freien Dativdiathese womöglich weniger Erhellendes beitragen kann, als man vermuten könnte, ist, dass vom Urindogermanischen bis ins moderne Deutsch, etwa was den Gebrauch von „benefaktiven“ und „Pertinenz“-Dativen angeht, überhaupt keine interessante Entwicklung auszumachen ist. Die freie Dativdiathese ist nämlich grundsprachlich; indogermanische Sprachen, die sie nicht oder nur wenig ausgeprägt aufweisen (wie das Englische; vgl. Vennemann 2002) oder aber strukturell anders kodieren (wie die nordgermanischen und keltischen Sprachen mit Superessiv- oder anderen adpositionalen Konstruktionen; vgl. Havers 1911: 253, 273, König & Haspelmath 1998) haben geneuert bzw. die Konstruktion eingebüßt. Damit ist durch Untersuchung der älteren Sprachstufen nicht zu eruieren, wie die freie Dativdiathese entstanden ist, sondern höchstens, unter welchen Bedingungen sie umstrukturiert (Substrat) oder abgebaut wird (etwa bei weitgehendem Verlust des morphologischen Kasussystems wie im Englischen; so schon Havers 1911: 285; vgl. auch Allen 1995 und anders – mit der Hypothese einer transitiven Systembeeinflussung Semitisch – Keltisch – Englisch Vennemann 2002).37  37 Havers (1911: 44) kann zwar zeigen, dass im Altindischen die freie Dativdiathese mit Bindung von Possessoren wohl zunächst in der ersten und zweiten Person vorkam, während in der dritten Person keine Dative am Possessionsausdruck beteiligt waren. Daraus aber allgemein den Schluss zu ziehen, wie Havers (1911: 323) das tut, dass sich der „sympathetische“ Dativ grundsätzlich von der ersten über die zweite schließlich zur dritten Person und vom Personalpronomen auf die lexikalischen DPs ausbreite, scheint mir weniger durch Daten begründet als durch (völker-)psychologische Annahmen modisch nahegelegt worden zu sein. Wenn schon Havers an reichhaltigem Material gewonnenen Generalisierungen über die Ausbreitung sympathetischer Dative in verschiedenen Sprachen vielleicht als etwas voreilig gelten müssen, erstaunt die Selbstverständlichkeit umso mehr, mit der Heine (1997: 163-172) ein allgemeines his-

320  Übereinzelsprachliches und Historisches

Ein anderer Ansatzpunkt für Versuche, die Sprachgeschichte für unsere Hypothesen nutzbar zu machen, könnte es sein, die Bedingungen genauer zu eruieren, unter denen der Zusammenfall von Lokativ und Dativ im Germanischen erfolgt ist. In diesem Bereich zeigt sich nun aber, dass zunächst Synkretismus bzw. Zusammenfall von Lokativ und Instrumental zu beobachten ist, bevor sekundär dieser Lokativ-Instrument-al mit dem Dativ zusammengefallen ist. D. h. es gibt, wenn überhaupt, nur eine sehr indirekte Beziehung zwischen dem grundsprachlichen Dativ und dem Lokativ. Hinzu kommt, dass schon der (mit dem Lokativ zusammengefallene) Instrumental in den schriftlich überlieferten Sprachstufen nur relikthaft als vom Dativ eindeutig geschieden erhalten ist, insbesondere wenn man nur die Dokumente in Betracht zieht, die sich für syntaktische Untersuchungen eignen (Delbrück 1907: 153). So bleiben für eindeutig lokativische Gebräuche des Instrumentals, wenn überhaupt, nur sehr wenige Belege übrig, und mit diesen wenigen Belegen kann man keine weitreichenden Generalisierungen aufstellen. Damit ist in diesem Bereich, zumindest bei nur oberflächlicher altgermanistischer Expertise, kein sicheres Ergebnis erzielbar. Wenn man sich stärker der Grundsprache nähert und andere Sprachzweige in die Betrachtung miteinbezieht, könnte eine vertiefte sprachhistorische Aufarbeitung des Phänomenbereichs womöglich von dem Phänomen „doppelter Dative“ im Rigveda profitieren (Havers 1911: 22, Hettrich 1984, 1987). In der altindischen Hymnensammlung sind zahlreiche Belege für das zu finden, was in unserer Nomenklatur „freie Dativdiathese mit Bindung von Nutznießervariablen in expliziten Zweckausdrücken“ heißt (vgl. etwa 8.3.2). Diese Konstruktion im Rigveda kombiniert einen Dativ der Person mit einem nicht adpositional regierten Ereignisnomen, das auch im Dativ steht. So wird eine benefaktiv-zweckbezogene Fügung des Typs ‘ihm (Soma) zum Trinken (brauen)’ im Rigveda so konstruiert, dass sowohl das Pronomen als auch das ‘Trinken’-Ereignisnomen dativmarkiert sind, und das Ereignisnomen ist nicht von einer Adposition abhängig.38 Sofern man diese Gleichheit des Kasus als Kongruenz deuten darf, würde das den engen strukturellen Zusammenhang innerhalb der Konstruktion widerspiegeln, den wir behaupten. Ein letzter empirischer Teilbereich schließlich, in dem durch Vergleich unter indogermanischen Sprachen und verschiedener Sprachstufen einzelner Sprachen in einem weiteren Kontext interessante Aussagen möglich wären, betrifft  torisches Ausbreitungsszenario für „possessorangehobene“ Dative vorschlägt, das sich allein auf pragmatische und allgemeine grammatikalisierungstheoretische Annahmen stützt. 38 Ein Beispiel ist z. B. sá tē mádāya sutá indra sṓmaḥ‘der Soma ist dir zum Rausche/Trinken gebraut, o Indra’ (Havers 1911: 22), wo tē das dativische Pronomen und mádāya das Ereignisnomen im Dativ ist.

Historisches  321

das Verhältnis zwischen der freien Dativdiathese einerseits und dem strukturell parallelen DP-internen Possessionsausdruck mit Dativen wie in substandardlichem [dem Jungen sein Fahrrad] ‘das Fahrrad des Jungen’ andererseits. Es scheint nämlich der Fall zu sein, dass die DP-interne Konstruktion das Vorhandensein der Konstruktion mit syntaktisch weiterem Skopus zumindest historisch voraussetzt (so Havers 1911: 253 oder König & Haspelmath 1998 trotz des synchron zuwiderlaufenden Befunds im nachhomerischen Altgriechischen; vgl. auch Havers 1911: 19). Diese Generalisierung wäre sicher einschlägig für eine wirklich allgemeine Dativtheorie, weil sie die Satzbezogenheit des Dativs gegenüber der nur possessiven Bezogenheit von echt DP-internen possessiven Dativen betonen würde. Für uns ist sie nicht ohne Weiteres zu verwerten, denn wir haben aus praktischen Gründen darauf verzichtet, auch die DP-internen Dative mitzuberücksichtigen. Damit liegen uns auch gar keine Hypothesen über Struktur und Bedeutung des DP-internen possessiven Dativs vor, die vor dem Hintergrund des historischen Materials diskutiert werden könnten (vgl. aber etwa Wegener 1991). Das ist zwar ein Manko, scheint mir aber angesichts des Umfangs, den diese Untersuchung hat, gerechtfertigt zu sein. Bei einer genaueren Befassung mit dem Verhältnis von freier Dativdiathese mit Bindung in Possessa einerseits und DP-internen Possessor-Dativen andererseits wäre noch einmal der Frage nach den relativ späten ersten gesicherten Belegen für den deutschen DPinternen Possessor-Dativ nachzugehen; Ágel (1993) findet die frühesten Belege im 15. Jahrhundert, Schmid (1988: 248, 251) weist jedoch auf vereinzelte mögliche Belege schon im Alt- und Mittelhochdeutschen hin. Es gibt einen Bereich, in dem die Untersuchung älterer Sprachstufen eindeutige plausibilisierende Evidenz liefert. In 8.2.1 und 8.3.1 haben wir einen pronominalen Bezug in bridging-definite DPs hineinmodelliert, der nie mit der Aussprache eines Possessivpronomens einhergeht. Neuhochdeutsch ist ihm auf den Fuß treten gebräuchlicher als ihm auf seinen Fuß treten, aber wir modellieren die Konstruktion in gewisser Weise so, als wäre immer ein Possessivpronomen vorhanden. Im Althochdeutschen, Altsächsischen und Mittelhochdeutschen war die Lage anders als im Neuhochdeutschen. So führt Havers (1911: 296) eine Reihe typischer mittelhochdeutscher Belege an, die illustrieren, dass die freie Dativdiathese oft mit dem Gebrauch des Possessivpronomens einherging: die im under sîn antlütze spîeten (28, 6), sô ist dem almehtigen gote sîn tempel zebrochen (70, 5). Zusammenfassend muss man sagen, dass die sprachgeschichtliche Anbindung unserer Hypothesen zwar wünschenswert ist, dass aber drei Faktoren an dieser Stelle eine genauere Auseinandersetzung erschweren. Erstens ist die historische Betrachtung in unserem Bereich in Teilen einfach etwas uninteressant – die freie Dativdiathese ist aus der Grundsprache ererbt – oder aber nicht über

322  Übereinzelsprachliches und Historisches einen gewissen Punkt hinaus durchführbar (wie bei der Frage nach lokativischen Gebräuchen des Lokativ-Instrument-als). Zweitens müsste eine historischvergleichende Ergänzung unserer Untersuchung mit detaillierter Korpusarbeit einhergehen, welche ich hier und mit meinem momentanen Kenntnisstand nicht leisten kann. Wenn diese Beschränkungen nicht gegeben wären, könnte eine historisch-vergleichende Untersuchung zur freien Dativdiathese, vor allem im Zusammenhang mit dem adnominalen Dativ, über Havers (1911) hinaus interessant sein; außerdem wäre eine genauere Analyse der „doppelten Dative“ des Altindischen, welche Hettrichs (1984) Befunde bei genauerer Sprach- und Quellenkenntnis mit unseren abgleichen würde, wünschenswert. Unsere Annahme eines zugrundeliegenden pronominalen Bezugs bei Bindung in bridging-Definita erhält durch verbreiteten Gebrauch von Possessivpronomina in entsprechender syntaktischer Position in älteren Sprachstufen des Deutschen Plausibilität, auch wenn diese Possessivpronomina im Neuhochdeutschen eher selten sind.

16 Ausblick Über die in Kap. 15 bereits angesprochenen historischen und übereinzelsprachlichen Bezüge hinaus bieten sich mindestens die folgenden Bereiche zur weiteren Bearbeitung an. Die Theorie thematischer Relationen: Wir haben uns in Teil III um eine genaue Analyse der Sachverhaltsbeteiligung bzw. der thematischen Relationen von freien Dativreferenten bemüht. Was wir allerdings, wenn man einmal von 2.5.2 absieht, nicht systematisch betrieben haben, war eine Einbettung dieser Bemühungen in eine allgemeine Theorie thematischer Relationen. Es fehlt also z. B. eine genaue Positionierung im Hinblick auf die Arbeiten etwa von Gruber (1965), Fillmore (1977), Rauh (1988), Jackendoff (1990), Dowty (1991), Engelberg (2000), Reinhart (2002), Primus (2004) oder Haiden (2004). Der adnominale Dativ: Der adnominale Dativ zum Possessionsausdruck wie in substandardlichem Dem Jungen sein Fahrrad steht an der Ecke ist in unserer Studie außer in 15.2 nicht diskutiert worden. Dabei liegt es klar zutage, dass eine Übertragung der Bindungsanalyse vom Fall der freien Dativdiathese auf den DP-internen Possessionsausdruck wünschenswert wäre. Der einzige Grund, wieso wir diese Übertragung nicht geleistet haben, war die auch schon ohne diese Ergänzung erreichte Länge der vorliegenden Studie. Neben der Konstatierung dieses Desiderats soll hier nur angemerkt werden, dass eine Parallelisierung der freien Dativdiathese mit dem DP-internen dativischen Possessionsausdruck ein weiteres Argument gegen Possessoranhebungsanalysen und für eine Bindungsanalyse liefert. Schließlich kann das (gebundene) Possessivpronomen nicht, wie im heutigen Deutsch bei der freien Dativdiathese bevorzugt der Fall, einfach wegfallen und durch einen bridging-Artikel ersetzt werden. Man kann also statt Dem Jungen sein Fahrrad steht an der Ecke nicht sagen )Dem Jungen das Fahrrad steht an der Ecke. Die obligatorische Ausbuchstabierung einer derart lokalen Bewegungsspur wäre so ungewöhnlich, dass durch dieses Faktum für die in 14.1 zurückgewiesenen Anhebungsanalysen ein weiteres ernstes Problem entsteht. Dative und ‘haben’-Prädikate: In unmittelbarem Zusammenhang mit dem vorausgehenden Punkt steht das Verhältnis zwischen Dativen und ‘haben’-Verben. Die Generalisierung, dass x hat y in vielen Kontexten explizierbar ist als ‘y ist kontrolliert durch x bei x’, lässt sich unmittelbar in Zusammenhang bringen mit unserem lokalistischen Vorschlag für die LANDMARKENschaft aus Kap. 11. Die Verbindung zwischen Lokalisierungssemantik und Possession ist schon lange bekannt (Delbrück 1907, Havers 1911, Gruber 1965: 60, Benveniste 1966, Inoue 1995, Heine 1997, den Dikken 1997, Belvin & den Dikken 1997, Ritter & Rosen 1997, McIntyre 2006, Meinunger 2006) und ist in jüngerer Zeit auch in Verbin-

324  Ausblick

dung mit Applikativanalysen nach Pylkkänen (2002) wie bei Harley (2002) diskutiert worden. Was in unserem Zusammenhang besonders interessant ist, ist die Ähnlichkeit von AFFIZIERTEN-Dativen (wobei AFFIZIERTE LANDMARKEN und P-EXPERIENCER zugleich sind; vgl. 12.2.3) mit Subjekten im haben-Stativ wie in Paul hat das Hemd aus der Hose hängen oder dem haben-Konfigurativ wie in Paul hat die Stirn zugewachsen (Leirbukt 1981, Hole 2002c). Diese Ähnlichkeit beschränkt sich nicht nur darauf, dass die freie Dativdiathese oft mit dem habenStativ konkurriert (vgl. Paul hat das Hemd aus der Hose hängen und Paul hängt das Hemd aus der Hose). Es sind auch bezüglich der Selektionsrestriktionen bis ins Detail Parallelen nachweisbar (so die Unterscheidbarkeit zweier unterschiedlicher Sprechergruppen, die sich über die Bewertung von Sätzen mit inanimaten Subjektreferenten wie % Der See hat die Oberfläche zugewachsen etablieren lassen; vgl. % Dem See ist die Oberfläche zugewachsen). Ich behalte die genauere Explizierung der Verbindung zwischen freier Dativdiathese und ‘haben’-Semantik einer anderen Gelegenheit vor, sofern sich herausstellen sollte, dass McIntyre (2006) dazu nicht bereits alles Nötige gesagt hat. Mehrere Dative in einem Teilsatz: Eine weitere wichtige Frage, der wir keine Aufmerksamkeit gewidmet haben, betrifft die Bedingungen, unter denen mehrere (freie) Dative in einem Teilsatz auftreten können. Gleich zu Beginn der Studie in Kap. 1 hatten wir zwar darauf hingewiesen, dass ein ethischer Dativ wie in Mach mir ihm die Kinder nicht verrückt! relativ leicht mit einem anderen Dativ kombiniert werden kann, während das bei anderen Kombinationen von Dativen nicht geht. Genau das ist die Generalisierung, der man vielfach in der Literatur begegnet. Was sich als Generalisierung viel seltener findet, was aber gleichzeitig sehr wichtig ist, ist, dass unter bestimmten Bedingungen auch Folgen von Dativen ohne ethischen Dativ akzeptabel sind. So weisen Vogel & Steinbach (1998: 77) auf Sätze wie in (16.1) und (16.2) hin.39 (16.1)

Ich habe der Maria dann ihre Falafel dem Oliver mit auf den Teller legen lassen. (16.1′) Ich habe der Maria dann ihre Falafel dem Oliver mit auf den Teller gelegt. (16.2) Der David hat mir der Claudia schon zu viele Geschenke gegeben. Man könnte zunächst meinen, der doppelte Dativ in (16.1) werde vielleicht durch die kausative Struktur ermöglicht (… legen lassen). Dass dies aber nicht der entscheidene Grund sein kann, zeigt (16.1′) ohne analytische kausative Form und mit doppeltem Dativ genau wie in (16.1). (16.2) enthält mit mir keinen ethi 39 Auch Volker Gast (persönliche Mitteilung) verdanke ich einen Hinweis auf entsprechende Fälle. Vgl. auch Fried (1999: 145-146) zum Tschechischen.

Ausblick  325

schen Dativ, wie man leicht sehen kann, wenn man mir durch eine Form in der dritten Person ersetzt und keine erlebte Rede erzwungen wird. Vielmehr liegt ein zu-steil/süß-„Judikanten“-Dativ vor, der mit einem valenzregierten Dativ kombiniert ist (vgl. 12.2.1 für die Diskussion von Konstruktionen, in denen wie in (16.2) das adjektivische Prädikat nicht den Prädikatskern besetzt). Ersetzt man gegeben durch gebastelt, merkt man zudem, dass dieselbe Verdoppelung auch mit freien Dativen an zweiter Stelle möglich ist. Die Sätze in (16.1) bis (16.2) sind sicher akzeptabel, aber sie sind nicht beliebig vermehrbar, wie andere sehr viel marginalere oder irrelevante Beispiele aus demselben Aufsatz zeigen (bei Vogel & Steinbach 1998 werden (16.3a/b) als grammatisch bewertet; Imperativformen so übernommen). ?*

Dem Peter habe ich gestern seinem Auto einen neuen Motor eingebaut. b. Helf mir mal Deinem Vater in der Küche! (ethischer Dativ; vgl. *Helf ihm mal meinem Vater in der Küche)

(16.3) a.

(16.3a) ist m. E. stark degradiert oder schlicht ungrammatisch, und (16.3b) enthält in der guten Lesart eindeutig einen ethischen Dativ. Man kann sich derartigen Daten aus zwei grundsätzlichen Richtungen nähern. Einmal könnte man fragen, was doppelte Dative ermöglicht unter der Maßgabe, dass jeder nicht-präpositional regierte morphologische Kasus eigentlich nur einmal pro Teilsatz vorkommen darf. In diesem Fall wären (16.1) bis (16.2) die zu erklärenden Ausnahmen. Oder man fragt umgekehrt, was die Kookkurrenz mehrerer Vorkommen eines nicht-präpositional regierten Kasus in einem Teilsatz beschränkt. In diesem Fall stellen (16.1) bis (16.2) den theoretisch erwartbaren Normalfall dar, dessen Eintreten nur oft durch eine weitere Einflussgröße verhindert wird. Traditionell geht man nicht nur für thematische Relationen bzw. „Tiefenkasus“ (Starosta 1978, Chomsky 1981), sondern auch für morphologische Kasus von einer „one-per-sent“-Restriktion aus: Jeder morphologische nicht-präpositional regierte Kasus darf pro Teilsatz nur einmal vorkommen. Andererseits könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass für freie Dative eigentlich etwas anderes gelten sollte. Wenn die Kasusverschiedenheit für Koargumente noch einsichtig ist, wird sie für freie diathetische Erweiterungen schon weniger selbstverständlich. So, wie unsere Theorie über freie Dative formuliert ist, macht sie, was die semantischen Typen angeht, jedenfalls keine Voraussage über das Stapeln von Dativen; oberhalb von Diathesemorphem und Dativargument erhalten wir wieder denselben semantischen Typ wie unterhalb, nämlich 〈s,t〉. Allerdings schließt die Semantik unseres LANDMARKEN-Morphems das Stapeln weiterer LAND-

326  Ausblick MARKEN aus: „Abschluss nach oben“ (wie in 11.2.3 diskutiert und in 11.3 modelliert) erlaubt es nicht, dass eine LANDMARKE Teil eines Sachverhalts ist, der wiederum auf eine LANDMARKE bezogen wird. Wenn man die verschiedenen denkbaren Möglichkeiten durchspielt, findet man vorläufige Evidenz dafür, dass zumindest in unserem Bereich der freien Dativdiathese kein Kasusfilter nötig ist. Wenn die semantisch unmögliche Kombination zweier LANDMARKEN vermieden wird, gibt es für die anderen Kombinationen wahrscheinlich gute Beispiele. Das zeigt das Paradigma in (16.4).

(16.4) a. * LANDMARKE >> LANDMARKE * dem Patienten dem Bein die Haare vom Unterschenkel abrasieren b. PP-EXPERIENCER >> LANDMARKE ihr etwas dem Oliver mit auf den Teller legen c. PLANDMARKE >> P-EXPERIENCER % dem Haus (? seinen Bewohnern zur Beruhigung) ein neues Schloss in die Eingangstür einbauen d. PP-EXPERIENCER >> P-EXPERIENCER ihm schließlich doch ihr zur Entlastung einen Pullover stricken (16.4a) ist voraussagegemäß ungrammatisch. (16.4b) ist problemlos möglich und entspricht Vogels & Steinbachs (1998) Beispiel. (16.4c) ist mit „benefaktivem“ P-EXPERIENCER-Dativ leicht degradiert, aber nicht ungrammatisch. Das Beispiel ist so konstruiert, dass durch die Bindung von seinen durch dem Haus ausgeschlossen werden soll, dass der P-EXPERIENCER auf LF mit Skopus über der LANDMARKE interpretiert wird. Generell scheint es so zu sein, dass Abfolgen aus P-EXPERIENCER mit Skopus über LANDMARKE wie in (16.4b) besser sind als umgekehrt wie in (16.4c). Den Grund dafür muss ich hier offenlassen. Fälle mit zwei reinen P-EXPERIENCERN wie in (16.4d) sind wahrscheinlich gut. Damit haben wir Anfangsevidenz dafür geliefert, dass zumindest im Bereich der freien Dativdiathese keine syntaktischen Stipulationen nötig sind, um Dativhäufungen auszuschließen. Vielmehr sind Dativhäufungen doch möglich, sofern nicht zwei LANDMARKEN-Dative aufeinandertreffen. In diesem Bereich sind jedoch weitere Untersuchungen nötig. Ethische Dative: Wie oben bereits erwähnt, haben wir in Kap. 1 die ethischen Dative aus unserem Betrachtungshorizont herausgenommen. Eine der Begründungen dafür war, dass diese Dative relativ leicht zusammen mit anderen Dativen auftreten können. Dieser Grund für die Nichtberücksichtigung entfällt nach der vorausgegangenen Diskussion zumindest zum Teil. Es bleiben noch die anderen in Kap. 1 genannten Gründe übrig, dass nämlich der ethische Dativ paradigmatisch auf Sprechaktteilnehmerrollen, wahrscheinlich sogar auf die

Ausblick  327

erste Person, eingeschränkt ist, dass er nur in direktiven Sprechakten vorkommt, dass er weiteren Skopus nimmt als die Dative der freien Dativdiathese und dass er nicht satzakzent- und vorfeldfähig ist. Wir hatten in 1.1 festgestellt, dass es möglich sein mag, die ethischen Dative letztlich doch näher auf die freien Dative unserer Studie zu beziehen, dass wir in der vorliegenden Studie jedoch nicht den dafür nötigen Allgemeinheitsgrad erreichen werden. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem wir zumindest genauer angeben können, welche Bedingungen eine Unifizierung ethischer mit in unserem Sinne freien Dativen erfüllen müsste. Um freie und ethische Dative unifizieren zu können, muss die Personenbeschränkung ethischer Dative abgeleitet werden. Das kann durch eine Anbindung an die direktive illokutive Komponente von Sätzen mit ethischem Dativ geschehen. Der hohe Skopus ethischer Dative würde dann damit zusammenhängen, dass ihr Skopus mindestens auf der Ebene der Illokution liegen muss und nicht auf die Ebene beschränkt ist, auf der der beschriebene Sachverhalt ausspezifiziert wird. Es blieben die thematische Beteiligung und die mangelnde Vorfeld- und Akzentfähigkeit zu explizieren. Die Vorfeld- und Akzenteigenschaften lassen sich womöglich darauf reduzieren, dass nie Alternativen zum ethischen Dativ möglich sind. Wenn es die Funktion von (Fokus-)Akzenten ist, Alternativen zu erzeugen (Rooth 1985), ethische Dative sich aber immer nur auf den Sprecher beziehen können, können ethische Dative nicht unter Akzent stehen. Damit wären ihnen dann auch Satzpositionen wie das Vorfeld verschlossen, in denen nur Konstituenten stehen dürfen, in denen ein Fokusakzent zumindest vorkommen k a nn. Die thematische Beteiligung ließe sich schließlich als eine (nicht-modalisierte) EXPERIENCERschaft fassen und wäre damit in die Nähe unseres Modells gebracht. Die Beantwortung der Frage, ob auch ein obligatorisches Bindungsziel für ethische Dative plausibel gemacht werden kann – etwa der Possessor des durch den jeweiligen Sachverhalt bedrohten Eudämonie-Zustands – muss zukünftigen Untersuchungen vorbehalten bleiben.

Teil V: Apparat

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Register Abchasisch 72 Abschluss nach oben 36, 227–230, 250, 254, 283, 311, 326 Abstrakta 230–231 Abweichungsmaß 184, 188 Additivität 39–40, 42, 258 s. auch Kumulativität adnominaler Dativ 8, 322–323 Affix 72–73, 317 AFFIZIERTEN-DATIV 9, 46, 92, 128–131, 133–134, 150, 190, 195–196, 227–230, 233, 236, 241, 256, 280–281, 288, 292, 318, 324 Agens 35, 37–41, 43, 73–74, 76–81, 83–86, 89–98, 100–103, 107–111, 129, 133–135, 138, 151, 153, 156, 158, 189–190, 204, 226, 236, 247, 258–260, 271, 274–277, 279–280, 283, 287–288, 297, 299, 302 Agens+b 92, 107–108, 129 Akkommodation 14, 120, 123, 125–128, 141–142, 157, 197–198, 200, 202–203, 222–223, 225–226, 234, 241 – Akkommodationszwang 123 Allquantifikation 34 Altgriechisch 16, 111, 321 Althochdeutsch 321 Altsächsisch 321 animat 28–29, 197, 200–201, 270, 318 Animatheit 8, 28, 197–198, 203, 308 Antezedens 5, 52–53, 56–60, 63–67, 69, 74, 91, 99, 101, 108, 120, 139–140, 145, 150–153, 156, 159, 190, 211, 254, 291 Applikativ 46, 151, 287, 295, 297–303, 316–317, 324 – Applikativtheorie 46, 287, 295, 300 – hoher Applikativ 301 – stativer tiefer 298 – tiefer Applikativ 298–303 Äquativkonstruktion 185 Argumentgleichheit 161 Art des Gegebenseins 53, 64, 113, 126–127, 141, 143, 166, 183, 201, 247, 295 Aspektstruktur 17 assoziative Anapher 145

Bantu 112, 295, 298, 300–301, 314–315, 317 bare phrase structure 25, 185 BECOME 258, 274 Belegung, Belegungsfunktion 82–90, 92, 94, 96, 98, 101, 110, 112–114, 131–132, 134, 136, 178, 180, 187, 253–254, 278, 283, 311 – Belegungsmodifizierung 83, 101 Benefaktiv 3, 5–7, 12–13, 15, 17–18, 35, 111, 117, 131, 157, 159, 165, 169–171, 234, 256, 270, 273, 284, 287–288, 290, 295, 299, 301–302, 305, 314, 317, 319–320, 326 s. auch Malefaktiv Besagter-Test 146–147 Beteiligtheit 12 Bewegung 11, 24, 85, 99, 101, 107, 110, 162, 190, 288–289, 291–294, 323 – A-Bewegung 110 Binde lokal! 102, 104–105, 114, 140 Binder-Index-Evaluierungsregel (BIER) 88–90, 96–97, 98–101, 106 Binderpräfix 90, 99, 106–107 Binderregel 88–93, 96–97, 98–101, 106–109, 111–112, 114, 129, 137–138, 150, 190 – BR-D 129–131, 133, 137, 150, 277, 280, 291 – BR-R 92–93, 96, 98, 100–101, 106–108, 190 – BR-X 93, 98, 107–111, 114, 129, 162 Bindungsbedingung A 62, 82, 86–88, 90, 93, 95, 98–100, 149–150, 153 Bindungsbedingung B 62, 100, 150 Bindungsbedingung C 62 Bindungslesart 52–56, 63, 65, 83, 86, 102–104, 149, 158 s. auch sloppy identity Bindungsziel 17, 123, 145, 149–150, 155–156, 162, 164, 172, 174, 176, 180–181, 188, 190–191, 234, 236, 256–257, 268–271, 280, 316, 327

354  Register bridging 68, 123, 133, 140–141, 145–150, 152–153, 162, 165, 167, 174, 177–178, 221, 233, 294, 304, 321–323 CAUSE 171, 258–259, 274–279 Chaga 298–301 change-of-state 259 chicheŵa 112, 300, 314 Chinesisch 214, 314–316 coercion 205 Dativ-Diathesemorphem 42, 128–129, 132 Dativbindung, obligatorische 45, 55, 126, 139–145, 147–149, 152, 155, 159–160, 171, 190, 234 Dative of Inaction 171 s. auch Malefaktiv dativus (in)commodi 6, 17, 171 s. auch Benefaktiv, Malefaktiv dativus iudicantis 3, 6–7, 13–14, 117–118, 172 s. auch Judikanten-Dativ Davidsonische Prädikatsmodifikation (DPM) 92–94, 96, 98, 101, 110, 130, 133–134, 136–137, 179, 277–279 definite Kennzeichnung 34, 58, 67, 105, 145, 166, 182–183, 186–187, 293, 304 Definitionsmengenbeschränkung 27–29, 178, 208 degree phrase (DegP) 183 s. Gradphrase Diathesemorphem 12, 36, 41–43, 74–75, 77, 80–81, 91, 93, 95, 98, 101–102, 108–109, 111–113, 129–133, 136–138, 151, 186, 189–190, 277, 280, 283, 291, 293, 303, 309, 317, 325 diathetische Binderregel 107–109, 114, 129, 138 s. Binderregel direktiver Sprechakt 327 Disjunkte-Referenz-Annahme 161 Doppelpunkt 27 s. auch Definitionsmengenbeschränkung doppelter Dativ 320, 322, 324–325 dREF 181, 183–185, 187–188, 264 Dritte Lesart 52–53, 55–56, 65, 102 dSTANDmin/dSTANDmax 181, 184–185, 187–188, 264 Einzigkeitspräsupposition 178

Ellipse 8, 53–55, 83, 86, 102, 104, 120, 290–291 Englisch 11, 15–16, 60–61, 63, 72–74, 167, 217, 248, 294, 300, 314–315, 319 entailment 13, 138, 200–202, 204, 210 s. auch Implikation Ereignisargument 33, 77–78, 93, 136, 258 s. auch Sachverhaltsargument, Zustandsargument Ereignisnominalisierung 158, 169 Ereignissemantik 26, 32, 34, 39–40, 84, 89, 93, 95, 259 ethischer Dativ 3, 6, 324–325, 327 Eudämonie 176, 327 s. auch psychisch-physisches Wohlbefinden event identification 79 eventuality 34 s. auch Sachverhalt existenzielle Bindung 12–14, 21, 38, 79–81, 83, 86, 90–91, 94, 110, 183, 238, 243, 255, 258, 274 Fernabhängigkeit 180 Figur, primäre 232–234, 236–239, 243, 250, 255, 282 Figur/Grund-Gliederung 213–218, 220, 233, 249, 282 s. auch Gestaltgliederung Französisch 11, 140, 144, 287, 304–306, 314–315 funktionale Integrität 244 s. auch Verb der Zerstörung Funktionsanwendung 27, 41, 79, 86, 88, 90, 93, 133 Generalisierte Kontrollregel 153 genus verbi 74 Germanisch 54, 65, 72, 318–320 Gestaltgliederung 218–219, 224–228, 231, 233, 238–239, 243, 245, 282 s. auch Figur/Grund-Gliederung Gestaltpsychologie 214, 215–218, 233, 242, 245–249, 282 Gestaltrekursion 221, 226 Goal 59, 168, 247 Grad 14, 20, 26, 31–32, 59, 117–118, 172–176, 181–183, 186–187, 263–264, 284, 307–308, 325–327 Gradmorphem 187

Register  355 Gradphrase (degree phrase; DegP) 183–185, 187 Grammatikalisierung 156, 161, 320 – Grammatikalisierung von Reflexivpronomina 156, 161 Grenzwert 173, 264 Griechisch 16, 111, 321 Grundgeber 215–216, 218–220, 222, 224–227, 229, 231–234, 236, 238–239, 242–243, 245–246, 249–250, 255, 282 – Grundgeberrekursion 250, 255 – Grundgeberschaft 216, 220, 236, 242, 245–246, 249–250 – intermediärer Grundgeber 232–234, 238–239, 250 haben-Konfigurativ 21 haben-Stativ 324 have 104, 135, 171, 214, 300, 313 Hebräisch 102, 140, 144, 158, 287, 300, 305, 314–315 HPSG 59, 76 Identitätsfunktion 161 Implikation 13–14, 42, 65, 112, 142, 173–174, 189, 196, 200–202, 204–205, 207–208, 210–211, 220, 228, 231, 241, 244, 246, 258–259, 261, 270–271, 290–292 s. auch entailment inalienable Possession 304 inanimat 20, 146, 197–198, 203, 230, 262, 269, 318, 324 inchoativ 125–126, 206, 236, 257–259 Index 33, 57, 65, 82–90, 93, 96, 98–101, 105–107, 112–114, 129–130, 133, 141, 145, 151, 153, 190, 253, 307 s. auch Indizierung Individuum 12, 21, 27–28, 30, 32, 39, 42, 90, 98, 101, 213, 228, 251, 254–255, 269 Indizierung 57, 61, 98–99, 104–107, 113, 133, 140, 146, 304 inferables 145 s. auch bridging Infinitiv, nominalisierter 144, 157–158, 169 Informationsstruktur 68, 243, 245, 247–249 Instrument 39, 59, 189, 237–238, 260, 295, 318, 320, 322

internes Argument 22, 39, 42 s. auch nicht-internes Argument Iota-Operator 34, 178, 183 Japanisch 175, 314–316 Judikanten-Dativ 6–7, 14, 18, 31, 118, 172, 174, 219, 256, 263, 283, 307, 325 s. auch dativus iudicantis Kasusfilter 326 Kasussynkretismus 318 Kasussystem, indogemanisches 318 Kleidungsstück 10, 13 kognitive Grammatik 213, 245 Kommunikationsverb 22 Konservativität 69, 182–183 Konspiration 90, 98–99 Kontrast, produktiver 15 Koreanisch 287, 300, 314–315 Koreferenz-Lesart 52–53, 55, 63, 65, 83, 86, 102–104, 120 s. auch strict identity Koreferenzregel 103 Körperteil 8, 10, 13, 126, 156, 161, 228, 232, 234, 237, 270, 304, 312–313 Kumulativität 39, 78 s. auch Additivität L-Struktur 306 Lambda-Kalkül 26, 71 Lambda-Notation 25–26 Lesartenmischung 18 Lesartenübertritt 18 linker Ast 180 Logophorizität 6, 66 Lokalität 45, 58, 60, 95, 139–140, 142, 145–146, 148–153, 180, 190, 305 Lokalitätseffekte 140 Malefaktiv 3, 6–7, 17, 172, 235, 243, 284, 287, 288–290 s. auch Benefaktiv Massennomen 230–231 Medium 3, 109, 111–112 Minimalismus 23–25, 62, 70, 80, 93, 149, 181, 189, 288, 306 Mittelhochdeutsch 321 Modalpartikel 6, 175 Mögliche Welten 31–33, 35, 180, 211, 267 Nachbarschaftsregion 168, 178–179, 214–215, 217–218, 231, 233, 237–238,

356  Register 242, 245–246, 250–254, 257, 282–283, 311 Nachbarschaftsregionenraum 178–179, 242, 250–252, 253–254, 282–283, 311 Nahuatl, klassisches 72 Neo-Davidsonismus 51 Neuhochdeutsch 321–322 nicht-internes Argument 42–43, 74, 189 s. auch internes Argument Niederländisch 72–73 Nutznießer 5, 7, 15, 20, 45, 120, 131, 134, 143–144, 153–157, 160, 164–165, 169–170, 172, 174–176, 188, 190, 272, 320 s. auch Zwecksubjekt Nutznießerbindung 169, 172, 174–175, 188 oblique causer dative 171 Öffnung 239–242 s. auch Verschluss one-per-sent-Restriktion 325 Ontologie 26, 29, 32–33, 182, 259, 310 Ordnungsquelle 308 Ortsanhebung 310 Paar-Schreibweise 31 s. auch Tupel-Schreibweise Partikelverb 21, 197, 227, 231, 238, 241 Passiv 3–4, 16–17, 22, 37, 109–111, 158, 189, 260–261, 312, 317 Patiens 39–40, 77–78, 247, 303 s. auch Thema Personifikation 197–198, 203, 205, 262, 308 Pertinenzdativ 8, 289 s. auch „possessiver“ Dativ Perzipient 309 Phase 70, 95, 149–151, 153, 160, 162–163, 166, 190 φ-Merkmal 151 picture-Nomen 158 s. auch Repräsentationsnomen Possession 5, 7, 9, 15, 18–19, 126, 131–133, 141, 156, 164–167, 177, 220–221, 224–226, 233, 242, 250, 270, 284, 290, 292–293, 296–298, 300–302, 304, 319, 321, 323 „Possessiver“ Dativ 6, 8, 15, 298 possessives schwaches Definitum 146

Possessoranhebung 46, 140, 169–170, 287, 289–294, 300, 303, 306, 310, 323 – lexikalische Possessoranhebung 289–291, 293–294, 310 Possessorbindung 134, 139, 165, 170, 188, 256–257 Possessorvariable 145, 152–153, 159–160, 165–166, 168–169, 294 Possessumausdruck 168, 176, 250 Prädikatsabstraktion 82–89, 91–93, 96, 98–99, 107, 114, 130, 138, 190, 291, 310, 317 Prädikatsmodifikation 42, 79, 88, 92–94, 96, 98, 101, 179 s. auch Davidsonische Prädikatsmodifikation Präpositionalphrase (PP) 3, 8, 10, 19–21, 61, 119, 180, 185, 215, 217–218, 222–225, 231, 234, 236–237, 248, 261, 289, 295, 307, 309–313, 315–316 Präsupposition 28, 131–133, 138, 173, 178, 182, 196, 200–202, 203–205, 207–208, 216, 220–221, 224–229, 242, 245–247, 250, 254, 258, 274–275, 282–283, 292–293, 312–313 Präsuppostionsverletzung 173, 182, 200, 202, 282, 292 pro 150, 153 PRO 153, 304 Prohibition Against Accidental Coreference (PACO) 112–113, 115 Psych-Verb 174, 312 psychisch-physisches Wohlbefinden 118, 172, 175–176 s. auch Eudämonie Quantifikation, leere 85, 98–99, 131 Quantorenanhebung (QA) 82, 84–90, 93, 95, 98–100, 107, 113 R-Ausdruck 69–70 Randbindungsbedingung 155–160, 162, 164, 190, 234, 304 s. auch Rösslsprungbindung Referenzwert 181 s. auch dREF Reflexivbindung 76, 82, 87–88, 91, 95, 97–98, 100–102, 105–107, 111, 149–151, 153, 162

Register  357 Reflexivdiathese 4, 75, 79, 92, 96, 102, 107, 138, 162, 189–190 reflexives Prädikat 71–72, 74, 161 Reflexivierung 5, 61, 72–76, 80–81, 97, 101–102, 150, 254 Reflexivierungsprädikat 97, 102, 138 Reflexivität 3, 51, 71–77, 82, 88–89, 91, 93, 95, 112, 161 Reflexivpronomen 56, 59–61, 63–64, 67, 70, 73, 87–88, 95, 97–99, 101, 113, 118, 139, 149, 151, 153, 156, 162, 254 Regelausgabe 24 Regeleingabe 24 Rektions- und Bindungstheorie 23, 70, 288, 304 Rektionsdomäne 69–71, 149 Relationale Grammatik 287 relationale Lesart 126, 128, 166 Repräsentation, mentale 127, 175, 195–197, 199–201, 202–210, 264, 269, 281–282, 284 Repräsentationsnomen 156, 158, 162 s. auch picture-Nomen Resultatsprädikat 275 Rezipient 298, 302, 309 Reziprozität 111 Rigveda 320 Rösslsprungbindung 45, 155–156, 164, 180, 190, 316 s. auch Randbindungsbedingung Sachverhalt 5, 10, 12–13, 15–17, 19–20, 32, 33–42, 55, 74, 77, 79, 86, 90, 92, 94, 109–110, 116–117, 119, 124, 126–127, 130, 135, 137, 141, 143, 167, 175, 189, 196–197, 199, 201–202, 204–212, 213, 219, 221–222, 225–228, 233–235, 239, 242–243, 245, 247, 249, 251, 256, 258, 262, 266, 269, 271, 274, 277, 281–282, 284, 289, 292, 295, 297, 309–311, 326–327 s. auch eventuality, Ereignissemantik Sachverhaltsargument 34, 37, 40, 137, 267, 289, 300 s. auch Zustandsargument, Ergebnisargument Sachverhaltsbeschreibung 34, 36–37, 41, 116, 118, 125, 128, 138, 257

Sachverhaltsidentifizierung (SI) 41, 79–80, 91, 101, 132–133, 135, 277, 296, 299 Sachverhaltsstruktur 227, 232, 256–257, 273, 275 Sachverhaltswahrnehmung 5, 136–137, 196, 199, 203, 210, 281–283 Sachverhaltswahrnehmungsfähigkeit 19–20, 79, 119 SE-REFLEXIV 73 SELF-REFLEXIV 73, 161 Shona 71–72, 74, 314 Situation 13–14, 31–33, 37–38, 117, 128, 166, 168, 196, 210, 222, 228–229, 232, 244, 247, 249, 257–258, 261, 266–267, 270, 282, 284, 289, 308 Skopus 7, 23, 41, 84, 87, 99, 178, 183, 263, 265, 317, 321, 326–327 Skopusambiguität 84, 87 sloppy identity 51–53, 76, 104, 120 s. auch Bindungslesart Source 59, 168, 247 soziale Rolle 131, 165, 177, 270 spell-out 23–24, 293–294 Sprechaktteilnehmer 326 Sprechergruppe 9, 19–20, 197–198, 308, 324 Spuren-und-Pronomina-Regel (SPR) 82 Standardwert 181 s. auch dSTANDmin/dSTANDmax Stellvertreter 272 strict identity 51–53, 63, 104, 120 s. auch Koreferenz-Lesart Summe 33, 39 Superessiv 319 Superlokation 310–313 sympathetischer Dativ 318–319 Tempusdomäne 45, 60, 63–64, 87, 93, 139, 142, 147, 149–150, 152–153, 160, 162, 180, 190, 280 Thema-Abtrennung 302 Thema/theme 39, 59, 214, 288, 296–299, 303, 307 s. auch Patiens Thematische Relationen 39–44, 45, 128, 132, 195–196, 204, 242–243, 245, 323, 325 Θ-Hierarchie 59 Θ-Kriterium 161

358  Register transderivationell 104 Tupel-Schreibweise 31 s. auch Paar-Schreibweise Unakkusativität 19–20, 22, 119, 125–126, 135, 206, 236, 243, 257–259, 261, 275 unikaler Referent 166 Urindogermanisch 319 valenzgebundener Dativ 14, 17, 197 Verb der Zerstörung 3, 17, 19–20, 29, 119, 172, 175, 237–238, 240, 243, 263, 289, 302 s. auch funktionale Integrität Verbot leerer Quantifikation 85, 98–99, 131 Verbpartikel 21, 239, 241 Vergleichskonstruktion 181–182, 185, 264 Vergleichspartikel 7 Verschluss 239–242 s. auch Öffnung Voice0 80, 91, 94, 189 vP 69, 95, 151, 160, 162, 170, 190, 210–211, 236, 281, 287–288, 292 VP-Ellipse 53–55, 83, 86, 102, 104 Wahrheitsbedingung 25, 28–29, 34–35, 40–42, 56, 65, 74, 77–79, 90, 92–93, 102, 104–105, 124–125, 131, 171, 181, 200, 208, 211, 213, 219, 222, 243, 247, 251, 271–272, 274, 290, 298, 301–303, 311

Wahrheitswert 7, 27–29, 31–32, 34, 47, 79, 92, 130, 137, 182, 201, 247, 307–308, 312–313 Wahrnehmungsfähigkeit 19–20, 79, 119, 195–201, 202–203, 205, 207, 282–283 Wahrnehmungspsychologie 214, 242 weak crossover 159 Weglassprobe 11–15, 21–22, 231 – Implikative Weglassprobe 12–15, 21–22, 231 Wh-Bindung 102, 159 Zipient (cipient) 219, 309, 312–313 Zulu 112, 316 Zustandsargument 255, 267 s. auch Ereignisargument, Sachverhaltsargument Zustandsträger 200, 216–218, 255 Zustandsveränderung 34, 202, 205–206, 259–260, 283, 308, 312 Zustandsverursachung 17, 227, 237–239, 256, 259–260, 262–269, 273–275 Zweckausdruck 164, 188, 190, 270, 320 Zweckphrase 45, 134, 155, 157, 159–160, 165, 168–171, 174, 179–181, 280 Zwecksubjekt 5, 7, 131, 134, 165, 174, 190, 234, 256–257, 268–272, 301 s. auch Nutznießer Zwei-Ebenen-Semantik 246