Das Zusammenspiel von Einheitlichem UN-Kaufrecht und nationalem Recht: Lückenfüllung und Normenkonkurrenz: Zugleich ein Beitrag zur Rechtsvergleichung auf dem Gebiet von Willensmängeln sowie vor- und nebenvertraglichen Pflichten und ihren Äquivalenten im deutschen und amerikanischen Recht sowie im UN-Kaufrecht [1 ed.] 9783428487028, 9783428087020


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German Pages 296 Year 1996

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Das Zusammenspiel von Einheitlichem UN-Kaufrecht und nationalem Recht: Lückenfüllung und Normenkonkurrenz: Zugleich ein Beitrag zur Rechtsvergleichung auf dem Gebiet von Willensmängeln sowie vor- und nebenvertraglichen Pflichten und ihren Äquivalenten im deutschen und amerikanischen Recht sowie im UN-Kaufrecht [1 ed.]
 9783428487028, 9783428087020

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Schriften zum Internationalen Recht Band 77

Das Zusammenspiel von Einheitlichem UN-Kaufrecht und nationalem Recht: Lückenfüllung und Normenkonkurrenz

Von

Christoph Schmid

Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTOPH SCHMID

Das Zusammenspiel von Einheitlichem UN-Kaufrecht und nationalem Recht: Lückenfüllung und Normenkonkurrenz

Schriften zum Internationalen Recht Band 77

Das Zusammenspiel von Einheitlichem UN-Kaufrecht und nationalem Recht: Lückenfüllung und Normenkonkurrenz Zugleich ein Beitrag zur Rechtsvergleichung auf dem Gebiet von Willensmängeln sowie vor- und nebenvertraglichen Pflichten und ihren Äquivalenten im deutschen und amerikanischen Recht sowie im UN-Kaufrecht

Von Christoph Schmid

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schmid, Christoph: Das Zusammenspiel von Einheitlichem UN-Kaufrecht und nationalem Recht : Lückenfüllung und Normenkonkurrenz / von Christoph Schmid. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum internationalen Recht ; Bd. 77) Zugl.: München, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08702-X NE: GT

D 19 Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-08702-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist. Das Loch ist ein ewiger Kompagnon des Nicht-Lochs: Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut. Wäre überall etwas, dann gäbe es kein Loch, aber auch keine Philosophie und erst recht keine Religion, als welche aus dem Loch kommt... Das Loch ist der Grundpfeiler dieser Gesellschaftsordnung, und so ist sie auch.. Wenn der Mensch ein Loch sieht, hat er das Bestreben, es auszufüllen, dabei fällt er meist hinein. Man tut also gut, um die Löcher einen großen Bogen zu machen, wobei man sich nicht wundern darf, wenn man in andre fällt. Man falle also lieber in das erste. Loch ist Schicksal. Das merkwürdige am Loch ist der Rand. Er gehört noch zum Etwas, sieht aber beständig in das Nichts, eine Grenzwache der Materie... Größenwahnsinnige behaupten, das Loch sei etwas Negatives. Das ist nichtrichtig:der Mensch ist ein Nicht-Loch, und das Loch ist das Primäre. Lochen sie nicht: das Loch ist die einzige Vorahnung des Paradieses, die es hienieden gibt...

Kurt Tucholsky, Zur soziologischen Psychologie der Löcher (1931)

Vorwort Das Zusammenspiel von Einheitlichem UN-Kaufrecht und nationalem Recht lernte ich zum ersten Mal im Rahmen eines Praktikums in der Münchner Anwaltskanzlei Blume & Asam im Jahre 1989 kennen. In Fällen aus dem deutsch-italienischen Handelsverkehr kam bereits damals öfters das UNKaufrecht kraft kollisionsrechtlicher Verweisung zur Anwendung, da es in Italien schon am 1.1.1988 in Kraft getreten war. Häufig argumentierte eine Partei damit, eine bestimmte Materie - z.B. Irrtumsanfechtung, Verjährung, Allgemeine Geschäftsbedingungen - sei im Einheitsrecht nicht geregelt, so daß sie ausschließlich nach einem nationalen Lückenfüllungsstatut zu beurteilen sei. Die Anwendung nationalen Rechts ging jedoch nicht selten auf Kosten vorrangiger einheitsrechtlicher Regelungen; die nationalrechtliche Ergänzung des UN-Kaufrechts wurde mit anderen Worten in ein "nationalrechtliches Sperrfeuer" umfunktioniert. Als Antwort darauf verfolgt diese Arbeit das Anliegen, das Zusammenspiel von Einheitsrecht und nationalem Recht möglichst harmonisch und einheitsrechtsfreundlich zu gestalten und störende Einflüsse nationaler Lückenfüllungsstatute gering zu halten. Dabei wird auch erstmals der Versuch unternommen, dieses Zusammenspiel abstrakt - in Form Allgemeiner Lehren, denen der erste Teil gewidmet ist - zu erfassen. Die vorliegende Arbeit lag der juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München im Frühjahr 1995 als Dissertation vor. Sie wurde in den Jahren 1991-1994 in München und an der University of California in Berkeley erstellt. Durch eine summarische Überarbeitung vor der Drucklegung konnten noch ausgewählte Literatur und Rechtsprechung bis Anfang 1996 berücksichtigt werden. Mein Dank gilt vor allem meinem verehrten Doktorvater, s.M. Herrn Professor Andreas Heldrich, der mir die Bearbeitung dieses Themas ermöglichte und mich besonders auch bei meinen Auslandsaufenthalten loyal unterstützte. Verpflichtet bin ich weiter meinem Betreuer in Berkeley, Herrn Professor Richard Buxbaum, dank dessen Aufgeschlossenheit und Hilfsbereitschaft der Aufenthalt dort überhaupt erst verwirklicht werden konnte, sowie Frau Professor Dagmar Coester-Waltjen für die Förderung meiner Ausbildung im allgemeinen und die Erstellung mehrerer Gutachten im besonderen. Auch für die finanzielle Förderung schulde ich Dank. Ohne die Stipendien des Freistaates Bayern und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in den verschiedenen Abschnitten meines Studiums wäre diese Arbeit nicht zustande gekom-

8

Vorwort

men. Danken möchte ich schließlich auch allen Freunden, die mir durch ihre kritische fachliche Begleitung ebenso wie ihren persönlichen Beistand in allen Lebenslagen eine große Stütze waren, namentlich Stephanie Seul, Claudia Roth und Dr. Peter Guntz. Europäisches Hochschulinstitut Florenz, Mai 1996 Christoph Schmid

Inhaltsübersicht Einführung und Problemstellung

21

Erster Teil

Allgemeine Lehren zur Lückenfüllung und Normenkonkurrenz 1. Abschnitt Regelungsbereich, externe und interne Lücken, Lückenfüllung 1. Kapitel: Einführung

26

2. Kapitel: Externe Lücken

29

3. Kapitel: Regelungsbereich und interne Lücken

53

4. Kapitel: Lückenfüllung

60 2. Abschnitt

Normenkonkurrenz zwischen Vorschriften des Einheitsrechts und des nationalen Rechts 1. Kapitel: Grundlagen

84

2. Kapitel: Die normenverdrängende

Konkurrenz

94

3. Kapitel: Die kumulative Normenkonkurrenz

106

Zusammenfassung der Allgemeinen Lehren

115

Zweiter Teil

Lückenfüllung und Normenkonkurrenz in Einzelbereichen Einleitung

121 1. Abschnitt Vertragswesentliche Fehleinschätzungen

1. Kapitel: Rechtsvergleichende

Umschreibung des Instituts Willensmängel

2. Kapitel: Das deutsche Recht der vertragswesentlichen

Fehleinschätzungen

122 126

10

Inhaltsübersicht

3. Kapitel: Das amerikanische zungen

Recht der vertragswesentlichen

Fehleinschät138

4. Kapitel: Vertragswesentliche Fehleinschätzungen im CISG bei deutschem und amerikanischem Recht als Lückenfiillungsstatuten 158 Zusammenfassung des 1. Abschnitts: Vergleich sowie deutschem und amerikanischem Recht

und Zusammenspiel von CISG 184

2. Abschnitt Vor- und nebenvertragliche Pflichten und ihre Äquivalente 1. Kapitel: Die Grundkonzeption des Leistungsstörungsrechts und die Frage von Nebenpflichten im deutschen Recht im Vergleich zu common law und UN-Kaufrecht 186 2. Kapitel: Vor- und nebenvertragliche

Pflichten

im deutschen Recht

3. Kapitel: Vor- und nebenvertragliche rikanischen Recht

Pflichten

und ihre Äquivalente im ame213

4. Kapitel: Vor- und nebenvertragliche

Pflichten und ihre Äquivalente im CISG... 248

Zusammenfassung des 2. Abschnitts: Vergleich sowie deutschem und amerikanischem Recht

190

und Zusammenspiel von CISG 277

Schlußbemerkung

281

Literaturverzeichnis

282

Stichwortverzeichnis

289

Inhaltsverzeichnis Einführung und Problemstellung

21

Erster Teil

Allgemeine Lehren zur Lückenflillung und Normenkonkurrenz 1. Abschnitt Regelungsbereich, externe und interne Lücken, Lückenfüllung 1. Kapitel: Einführung 2. Kapitel: Externe Lücken § 1 Abgrenzungsnormen des Abkommens § 2 Einzelne Abgrenzungsnormen und externe Lucken I. Negativzuweisungen aus Art. 4 S. 1 II. Anwendungsausschlüsse der Artt. 2-6 § 3 Vertragsgültigkeit I. Begriff II. Qualifikation 1. Übersicht 2. Ansätze autonomer Qualifikation a) Problemstellung b) Autonomes Modell Honnolds c) Autonomes Modell Schlechtriems 3. Nationalrechtliches Modell Lessiaks ΙΠ. Eigenes Modell § 4 Gültigkeit von Gebräuchen § 5 Eigentumsfragen § 6 Andere externe Lücken § 7 Gewillkürte externe Lücken

26

.

29 29 33 33 35 36 36 37 37 38 38 38 39 41 42 47 50 50 51

3. Kapitel: Regelungsbereich und interne Lücken § 1 Schluß von den Sachnormen auf den Regelungsbereich § 2 Kaufrechtliche Nebenfragen § 3 Interessen- und Schutzzwecklösung § 4 Entstehungsgeschichte

53 54 55 58

53

4. Kapitel: Lückenfüllung § 1 Übersicht § 2 Auslegung

60 60 61

12

Inhaltsverzeichnis I. Grundlagen II. Methoden der Auslegung § 3 Autonome Lückenfullung I. Methoden der Lückenfullung II. Lückenfüllung durch allgemeine Grundsätze ΙΠ. Grenzen autonomer Lückenfullung § 4 Lückenfüllung durch nationales Recht I. Übersicht Π. Bestimmung des anwendbaren nationalen Rechts bei externen Lükken ΙΠ. Allgemeines Vertragsstatut und Sonderanknüpfungen 1. Konzeptueller Ausgangspunkt 2. Vertragsstatut und Lückenfüllungsstatut 3. Bestimmung des Lückenfüllungsstatuts durch ergänzende einheitliche Kollisionsnormen? 4. Anwendbarkeit der lex fori bei Randfragen? IV. Anknüpfung von Lücken im außervertragsrechtlichen Bereich V. Lückenfüllung durch Rechtswahl

61 62 65 66 68 70 72 72 72 73 73 74 76 79 80 82

2. Abschnitt Normenkonkurrenz zwischen Vorschriften des Einheitsrechts und des nationalen Rechts 1. Kapitel: Grundlagen § 1 Die Bedeutung der Normenkonkurrenz fur das Zusammenspiel von Einheitsiecht und nationalem Recht § 2 Natur der Kollision zwischen Einheitsrecht und Lückenfullungsstatut im Vergleich zu anderen Normenkollisionen § 3 Normenkonkurrenz im nationalen Recht I. Gesetzeskonkurrenz oder nonnenverdrängende Konkurrenz II. Elektive oder alternative Konkurrenz ΙΠ. Anspruchshäufung (kumulative Normenkonkurrenz) 2. Kapitel: Die normenverdrängende Konkurrenz § 1 Unterschiede zur nationalen Gesetzeskonkurrenz und Kriterien für die Verdrängung des nationalen Rechts im Zusammenspiel mit dem CISG § 2 Fallgruppen I. Gleichwertige Funktionen bei unterschiedlichen Tatbeständen II. Unterschiedliche Tatbestände und Funktionen bei teleologischem Vorrang einer Funktion 1. Problematische Fälle 2. Teleologischer Vorrang der Funktionen 3. Grad und Folgen des Nonnwiderspruchs ΙΠ. Verbleibende Fälle § 3 Nationale Konkurrenzvorfragen

84 84 86 89 89 91 91 94 94 96 96 96 96 97 98 98 98

Inhaltsverzeichnis § 4 Verdrängung des nationalen Rechts in einheitsrechtlichen Regelungsenklaven § 5 Verdrängung des Einheitsiechts durch höherrangiges nationales oder vorrangiges internationales Recht 3. Kapitel: Die kumulative Normenkonkurrenz § 1 Problemstellung § 2 Nonnwiderspruche und Angleichung I. Nonnwidersprüche II. Angleichung im IPR ΙΠ. Angleichung in der Kollision zwischen Einheitsrecht und nationalem Recht 1. Die kollisionsrechtliche Methode 2. Die materiellrechtliche Methode

101 104 106 106 107 107 109 110 110 112

Zusammenfassung der Allgemeinen Lehren

115

Zweiter Teil

Lückenfullung und Normenkonkurrenz in Einzelbereichen Einleitung

121 1. Abschnitt Vertragswesentliche Fehleinschätzungen

7. Kapitel: Rechtsvergleichende Umschreibung des Instituts Willensmängel § 1 Begriff der Willensmängel im deutschen Recht 122 § 2 Vertragswesentliche Fehleinschätzung als rechtvergleichender Systembegriff 123 I. Funktionale Bestimmung 123 II. Überschneidungen mit anderen Instituten 123 2. Kapitel: Das deutsche Recht der vertragswesentlichen Fehleinschätzungen § 1 Grundlagen: Willensmängel, Auslegung und Konsens 126 § 2 Struktur des juristischen Willens und korrespondierende Willensmängel.... 127 I. Überblick 127 II. Defekte im Handlungswillen 128 ΙΠ. Defekte im Geltungswillen 128 I V . Defekte im Geschäftswillen 129 V. Der Sonderfall des Eigenschaftsirrtums 130 VI. Gemeinschaftlicher Irrtum und Lehre von der Geschäftsgrundlage 131 1. Definition der Geschäftsgrundlage 131 2. Tatbestandsmerkmale der Geschäftsgrundlage 132 3. Verhältnis der Geschäftsgrundlage zu anderen Rechtsbehelfen 133 § 3 Andere Fälle von vertragswesentlichen Fehleinschätzungen: Zweckeireichung, Wegfall des Leistungssubstrats und Zweckstörung 134 § 4 Rechtsfolgen vertragswesentlicher Fehleinschätzungen 135

122

126

14

Inhaltsverzeichnis § 5 Zusammenfassung

136

3. Kapitel: Das amerikanische Recht der vertragswesentlichen Fehleinschätzungen 138 § 1 Rechtsquellen und Besonderheiten 138 § 2 Das geltende amerikanische Recht der vertragswesentlichen Fehleinschätzungen 140 I. Konzeptuelle Grundlagen 140 Π . Misunderstanding 141 ΙΠ. Unilateral mistake 144 1. Entwicklung 144 2. Regelung nach dem Restatement 145 I V . Mutual mistake 147 V. Impracticability 150 VI. Frustration 153 VII. Konkurrenzen 154 V m . Ruckabwicklung des Vertrages {remedy of restitution) 154 § 3 Zusammenfassung 156 4. Kapitel: Vertragswesentliche Fehleinschätzungen im CISG bei deutschem und amerikanischem Recht als Lückenfüllungsstatuten 158 § 1 Auslegung und Konsens 158 I. Regelungsbereich 158 II. Die einheitsiech diche Regelung im einzelnen 158 § 2 Irrtümer und Fehleinschätzungen hinsichtlich nachvertraglicher Umstände...... 161 I. Überblick: Regelungsbereich und Lücken 161 Π . Gewährleistungsrecht des CISG versus nationale Aufhebungsbestimmungen wegen Irrtums und Zweckverfehlung 162 1. Überblick 162 2. Artt. 35ff. versus Aufhebung wegen Eigenschaftsirrtums nach nationalem Recht 163 3. Artt. 35ff. versus Doppelirrtum 166 4. Artt. 35ff. versus Eigenschaftsirrtümer außerhalb des Mängelbereichs und Zweckverfehlung (frustration ) 166 a) Eigenschaftsirrtum ohne Sachmangel, insbesondere Zweckverfehlung (frustration ) 166 b) Besserlieferung 167 5. Artt. 35ff. versus Aufhebung wegen Irrtums über Rechtsmängel.... 169 ΙΠ. Anwendbarkeit der einheitsrechtlichen Rückabwicklungsbestimmungen bei Aufhebungsgründen aus dem Lückenfullungsstatut 169 IV. Vorweggenommene Vertragsverletzung versus nationale Bestimmungen über die Vertragsaufhebung infolge Irrtums 174 1. Überblick 174 2. Verschlechterungseinrede (Art. 71) versus Vertragsaufhebung infolge eines Irrtums über Eigenschaften in der Person des Vertragspartners nach nationalem Recht 175

Inhaltsverzeichnis

V.

3. Verschlechterungseinrede und Aufklärungsobliegenheit versus Vertragsaufhebung infolge Irrtums nach nationalem Recht allgemein 176 a) Problemstellung 176 b) Die Aufklärungsobliegenheit als allgemeiner Grundsatz 177 Allgemeiner Befreiungstatbestand (Art. 79) versus impracticability , Geschäftsgrundlage und mutual mistake 178 1. Regelungsbereich 178 2. Konkurrierende Regelungen des nationalen Rechts 179 a) Impracticability 180 b) Geschäftsgrundlage, Unmöglichkeit, beidseitiger Irrtum bzw. mutual mistake 181

Zusammenfassung des 1. Abschnitts: Vergleich sowie deutschem und amerikanischem Recht

und Zusammenspiel von CISG 184

2. Abschnitt Vor- und nebenvertragliche Pflichten und ihre Äquivalente 1. Kapitel: Die Grundkonzeption des Leistungsstörungsrechts und die Frage von Nebenpflichten im deutschen Recht im Vergleich zu common law und UN-Kaufrecht 186 2. Kapitel: Vor- und nebenvertragliche Pflichten im deutschen Recht § 1 Die Grundkonzeption von Nebenpflichten § 2 Pflichtverletzungen des Verkäufers und Rechtsbehelfe des Käufers § 3 Zusätzliche Vertragspflichten I. Obhutspflicht II. Versendungspflichten ΙΠ. Verpackungspflicht I V . Montagepflichten V. Instruktionspflichten VI. Pflicht zur Wartung und Ersatzteillieferung VU. Pflicht zur Aushändigung von Dokumenten, Rechnungen und Bescheinigungen V m . Andere vertragliche Nebenpflichten § 4 Allgemeine Pflichten I. Leistungsbezogene Pflichten, insbesondere vorvertragliche Pflichten und Aufklärungspflichten 1. Die Pflicht, einen Vertragsschluß nicht treu widrig zu verhindern... 2. Die Pflicht, den vertragswesentlichen Erwartungen einer Partei gerecht zu werden 3. Aufklärungspflichten a) Regelungstatbestände b) Einzelfälle aa) Aufklärung über Vertragshindernisse bb) Aufklärung über vertragswesentliche Umstände

190 190 191 193 193 194 195 196 196 197 197 198 199 199 200 201 202 202 203 203 204

Inhaltsverzeichnis

16

cc) Aufklärung bei Vertragsdurchführung Schutzpflichten 1. Untersuchungs-und Warnpflichten 2. Verkehrssicherungspflichten § 5 Zusammenfassung II.

206 207 207 208 209

3. Kapitel: Vor- und nebenvertragliche Pflichten und ihre Äquivalente im amerikanischen Recht 213 § 1 Pflichten und Pflichtäquivalente und ihre Quellen im amerikanischen Recht 213 § 2 Vertragliche Nebenpflichtäquivalente aus dem UCC 215 I. Vertragsverletzungen des Verkäufers und Rechtsbehelfe des Käufers im UCC 215 II. Nebenpflichtäquivalente aus duties of performance und warranties .... 217 1. Die Konstruktion von Nebenpflichtäquivalenten 217 2. Einzelne Nebenpflichtäquivalente aus duties of performance 219 a) Obhutspflicht 219 b) Montagepflicht 220 c) Versendungspflichten, Transportpflichten, Pflicht zur Übergabe von Dokumenten 221 3. Einzelne Nebenpflichtäquivalente aus warranty 221 a) Express warranty 222 b) Implied warranty of merchantability 222 aa) Grundsätze 222 bb) Handelstauglichkeit 223 cc) Einzelne Pflichten 224 (1) Warnpflichten 224 (2) Instruktionspflichten 225 (3) Untersuchungspflichten 226 (4) Produzentenpflichten 227 (5) Sorgfaltspflichten hinsichtlich Verpackung und Auszeichnung 227 (6) Allgemeine Schutzpflichten (Verkehrssicherungspflichten)? 228 (7) Unterschiedliche Pflichten des Verkäufer-Herstellers und des Zwischenhändlers 228 dd) Implied warranty for particular purpose 229 ee) Implied warranty from course of dealing and usage of trade 229 c) Cumulation of warranties 230 § 3 Nebenpflichtäquivalente aus dem tort law 231 I. Die Konzeption des angloamerikanischen tort law 231 Π . Pflichtäquivalente aus negligence, strict liability und misrepresentation 232 1. Negligence 232 2. Strict liability 233 3. Fraud und misrepresentation 234

Inhaltsverzeichnis § 4 Andere Äquivalente vorvertraglicher Pflichten I. Promissory estoppel II. Implied in fact contract. ΠΙ. Restitution § 5 Zusammenfassung

238 239 241 242 243

4. Kapitel: Vor- und nebenvertragliche Pflichten und ihre Äquivalente im CISG... 248 § 1 Die Grundkonzeption von Vertragspflichten und ihren Äquvalenten im CISG 248 § 2 Pflichtverletzungen des Verkaufers und Rechtsbehelfe des Käufers 249 § 3 Zusätzliche Vertragspflichten. 252 I. Die Konstruktion von zusätzlichen Vertragspflichten im CISG im Unterschied zum deutschen und amerikanischen Recht 252 II. Einzelne zusätzliche Vertragspflichten 253 1. Obhuts-und Erhaltungspflicht 253 2. Versendungs-und Beförderungspflichten 254 3. Verpackungspflicht 255 4. Montagepflicht 256 5. Pflichten zur Instruktion, Wartung und Ersatzteillieferung 257 6. Pflicht zur Übergabe von Dokumenten 257 7. Andere Nebenpflichten 259 § 4 Allgemeine Pflichten 259 I. Der konzeptuelle Ausgangspunkt des CISG 259 II. Leistungsbezogene Pflichten, insbesondere vorvertragliche Pflichten und Aufklärungspflichten 261 1. Die Erstreckung des Regelungsbereiches des CISG auf das Stadium der Vertragsanbahnung und die Geltung des Gutglaubensgrundsatzes 261 2. Einzelne Pflichten 266 a) Pflicht, einen Vertragsschluß nicht treuwidrig zu verhindern 266 b) Aufklärungspflichten 267 aa) Anfechtung wegen arglistiger Täuschung bzw. rescission infolge misrepresentation 268 bb) Aufklärung über vertragswidrige Beschaffenheit und sonstige Eigenschaften der Kaufsache 268 cc) Übrige Fälle 269 ΙΠ. Schutzpflichten - Abgrenzung von vertraglichen und deliktischen Pflichten 270 1. Konzeptueller Ausgangspunkt 270 2. Die Abgrenzung vertraglicher und deliktischer Pflichten sowie die Herleitung einzelner Schutzpflichten 271 Zusammenfassung des 2. Abschnitts: Vergleich sowie deutschem und amerikanischem Recht

2 Schmid

und Zusammenspiel von CISG 277

Schlußbemerkung

281

Literaturverzeichnis

282

Stichwortverzeichnis

289

Abkürzungsverzeichiiis Vorbemerkung: Amerikanische Rechtsprechung, Gesetzestexte und Literatur in Fachzeitschriften sind in der vorliegenden Arbeit in der in den USA üblichen Form zitiert. Der Band wird dabei vor die abgekürzte Bezeichung der Zeitschrift, der Entscheidungs- oder Gesetzessammlung gesetzt, während die Seitenzahl und Jahresangabe (in Klammern) nach der Abkürzung stehen. Vergleiche im einzelnen hierzu sowie zu den üblichen Abkürzungen: The Columbia Law Review, The Harvard Law Review Association, The University of Pennsylvania Law Review and The Yale Law Review, A Uniform System of Citation, 14th ed., 1986 ("bluebook"). A. a.A a.a.O. Abi. AcP AGBG AGBGB Anh. arg Art. Artt Aufl. BayOblG BayVBl BB Bd. Bde. Betr BGB BGB-KE BGBl. BGH bzw. CC CCit cic CISG

Alternative anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt Archiv für civilistische Praxis Gesetz zur Reghing der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vom 9.12.1976 (BGBl I , S . 3317) (österreichisches) Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Anhang argumentum Artikel Artikel (Plural) Auflage Bayerisches Oberstes Landesgericht, auch Entscheidungen des BayOblG in Zivilsachen (Band und Seite) Bayerische Verwaltungsblätter Betriebsberater Band Bände Der Betrieb Bürgerliches Gesetzbuch Kommissionsentwurf zur Neuregelung des Schuldrechts (gemäß Abschlußbericht) Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof, auch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Band und Seite) beziehungsweise Code Civil (Frankreich) Codice Civile (Italien) culpa in contrahendo Convention on the International Sale of Goods

Abkürzungsverzeichnis Com. ders. Diss. ed. EG Einf. Einl. EKG EuGVÜ EWGV f. ff. Fn. FS GG h.M. Hs. i.F. IPR i.S.d. i.V.m. JbltR LG Ht. MDR MK m.w.N. nJF. NJW NJW-RR Nr. OLG ostJBl ProdhaftG pW RabelsZ RG RIW RSC RST Rz. S. sec. SJZ

2*

19

Commentary derselbe Dissertation Edition Europäische Gemeinschaft(en) Einführung Einleitung (Haager) Einheitliches Kaufgesetz Europäisches Gerichtstands- und Vollstreckungsübeieinkommen Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und folgende und fortfolgende Fußnote Festschrift Geschäftsgrundlage herrschende Meinung Halbsatz infine Internationales Privatrecht im Sinne des/der in Verbindung mit Jahrbuch fur Italienisches Redit Landgericht litera Monatsschrift fur deutsches Redit Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtspiechungs-Report Zivilrecht Nummer Oberlandesgericht österreichische Juristische Blätter Produkthaftungsgesetz positive Vertragsverletzung Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (Rabeiszeitung) Reichsgericht, audi amtliche Sammlung der RG-Rechtsprechung in Zivilsachen (Band und Seite) Recht der Internationalen Wirtschaft Restatement Second on Contracts Restatement Second on Torts Randziffer Satz/Seite section Schweizer Juristenzeitung

20 sog. UCC UNCITRAL UNIDROIT UStG

V. v. Artt. VersR VertragsG

vgl. Vorbem. WM WVÙ z.B. ZEuP ZGB Ziff. zit.

Abkurzungsveizeichnis sogenanntei/-e/-es Uniform Commercial Code United Nations Commission on International Trade Law International Institute for the Unification of Private Law Umsatzsteuergesetz von/versus vor Artikeln Versicherungsrecht Vertragsgesetz (Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 11.4.1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 5.7.1989 (BGBG1Π S. 586) vergleiche Vorbemerkung Wertpapiermitteilungen Wiener Konvention über das Recht der Verträge v. 23.5.1969 (abgedruckt in Sartorius Π, Nr 300) zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (schweizerisches) Zivilgesetzbuch Ziffer zitiert

Einführung und Problemstellung Am 11.4.1980 wurde in Wien am Ende der 97. Diplomatischen UNKonferenz mit 62 Teilnehmerstaaten das von der United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL) ausgearbeitete UN-Abkommen über den internationalen Warenkauf (Convention on Contracts for the International Sale of Goods - CISG1 -) verabschiedet. Es ist Nachfolger der Haager Abkommen über den internationalen Kauf beweglicher Sachen und den Abschluß von internationalen Kaufverträgen vom 1.7.1964; diese wiederum bildeten den Schlußstein der schon vor dem Zweiten Weltkrieg von Ernst Rabel angeregten Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des grenzüberschreitenden Warenkaufs. 2 Inhaltlich hält sich das CISG in seinen Grundstrukturen, Schlüsselbegriffen und in vielen Detaillösungen an das Vorbild der Haager Abkommen. Obwohl die Haager Abkommen an keinen offenkundigen Mängeln litten, fanden sie außerhalb eines Kernbereichs der Europäischen Gemeinschaften kaum Akzeptanz; insbesondere konnten sich wichtige Handelsnationen wie Frankreich und die USA, aber auch alle Entwicklungsländer nie zu einer Mitgliedschaft entschließen. Um dem Ziel der weltweiten Vereinheitlichung des Kaufrechts für den grenzüberschreitenden Warenverkehr näherzukommen, setzten die Vereinten Nationen bereits 1966 die UNCTTRAL-Kommisssion ein, die bis 1978 mit der Ausarbeitung von Entwürfen beschäftigt war. 3 Der letzte Entwurf, der 1978 in New York fertiggestellt wurde, bildete dann die Grundlage fur die Schlußfassung des Abkommens auf der Wiener Konferenz von 1980.

Völkerrechtlich in Kraft getreten ist das CISG erst am 1.1.1988, nachdem Ende 1986 die erforderliche Zahl von zehn Ratifikationsurkunden beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt worden waren.4 Am 14.7.1989 ist in der Bundesrepublik Deutschland, die auch zu den Unterzeichnerstaaten gehörte, das Zustimmungsgesetz zum CISG vom 5.7.1989 in Kraft getreten. In der Folge wurden am 21.12.1989 die Ratifikationsurkunde beim General1 Die auf den englischen Wortlaut zurückgehende Abkürzung CISG wird auch in der deutschen Literatur mehrheitlich verwandt- Alle im folgenden nicht näher gekennzeichneten Artt. sind solche des CISG. 2 Zur Entstehungsgeschichte im Überblick vgl. Schlechtriem Einl. S. 25-27.

statt vieler Schlechtriem-

3 Die Beratungen von UNCITRAL sind in 10 Yearbooks (erschienen in den Jahren 1966-79) dokumentiert. 4

Vgl. dazu Art. 9 1 I V i.V.m. I.

Einfühlung

22

Sekretär der Vereinten Nationen hinterlegt5 und die Haager Übereinkommen gekündigt,6 wonach das CISG am 1.1.1991 j- also nach den vorgeschriebenen 12 Monaten nach Kündigung der Haager Ubereinkommen7 - in Kraft trat.8 Bis heute hat sich die Zahl der Mitgliedstaaten auf 32 erhöht.9 Darunter befinden sich alle wichtigen Handelspartner der Bundesrepublik Deutschland. Sachlich anwendbar ist das CISG aber nicht nur auf Kaufverträge zwischen Parteien aus Mitgliedstaaten (Art. 11 a), sondern auch dann, wenn die Regeln des IPR zur Anwendung des Sachrechtes eines Vertragsstaats führen (sog. Vorschaltlösung, Art. 11 b). 1 0 Ist das CISG nach Art. 11 a) nicht anwendbar, ist mithin auf die Kollisionsnormen der lex fori zurückzugreifen. Das deutsche IPR verweist, sofern keine vorrangige Rechtswahl nach Art. 27 EGBGB vorliegt, in Artt. 28 I, Π, 35 EGBGB auf das Sachrecht der charakteristischen vertraglichen Leistung als Recht der engsten Verbindung. In Kaufverträgen ist das grundsätzlich die Leistung des Verkäufers, so daß das Recht des Staates zur Anwendung berufen ist, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt bzw seine Hauptverwaltung hat.11 Daraus ergibt sich, daß das CISG aus deutscher Sicht grundsätzlich auch dann einschlägig ist, wenn sich in einem Kaufvertrag ein deutscher Verkäufer und ein Käufer aus einem Nichtvertragsstaat gegenüberstehen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang Art. 95. Diese Vorschrift erlaubt es jedem Vertrags Staat, die Geltung des A r t 1 b) fur sich auszuschließen. Nach Art. 2 VertragsG vom 5.7.89 ist ArL 1 b) ferner in der Bundesrepublik Deutschland nicht anzuwenden, wenn nach deutschem IPR das Recht eines Staates zur Anwendung kommt, der gemäß Art. 95 die Geltung des Art. 1 b) für sich ausgeschlossen hat. Diese scharfsinnige Regelung fördert den internationalen Entscheidungseinklang

5

Vgl. Art. 9 1 I V .

6

Vgl. Art. 9 9 Ι Π .

7

Vgl. ArL Χ Π der Haager Übereinkommen von 1964.

8 I m Gebiet der ehemaligen DDR befand sich das CISG bereits seit 13.1990 in Kraft (GBl. DDR 1989 Π S. 65). Nach der herrschenden Auslegung des Art. 12 Π des Eimgungsvertrages (BGBl. 1990 Π S. 1477) ist das CISG vom 3.10.1990 bis zum 1.1.1991 jedoch in seiner Geltung für das Gebiet der neuen Bundesländer suspendiert worden. Vgl. Magnus, Deutsche Rechtseinheit, S. 459; Jayme/Furtak-Reinhart S. 87. 9 Stand August 1995: Ägypten, Argentinien, Australien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Chile, Dänemark, Ecuador, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien (1.9.1995), Guinea, Irak, Italien, Jugoslawien (Nachfolgestaaten; Übergangsfragen im einzelnen ungeklärt), Kanada, Kuba (1.12.95), Lesotho, Mexiko, Moldau (Republik; 1.11.95), Neuseeland (1.10.95), Niederlande, Norwegen, Österreich, Rumänien, Rußland, Sambia, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Syrien, Tschechei, Uganda, Ukraine, Ungarn, USA, VR China, Weißrußland. 1 0

Vgl. etwa Karollus, S. 30f.; zu Art. 1 b) allg Punder S. 867ff.

11

Vgl. dazu statt vieler Palandt/Heldrich

EGBGB A r t 28 Rz. 3, 8.

Einfühung und verhindert eine "imperialistische Anwendung" des Einheitsrechts, die den Haager Gesetzen vorgeworfen wurde. 1 2

Insgesamtfindet das Abkommen Anwendung in der Mehrzahl aller grenzüberschreitenden gewerblichen13 Warenkäufe, die nach dem 1.1.1991 abgeschlossen wurden und in denen eine Partei Deutscher ist. 14 Das CISG hat damit zweifelsohne die Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiete des Privatrechts auch für die Bundesrepublik einen wichtigen Schritt vorangebracht. Wenn ein deutscher Richter nunmehr anstelle eines fremden Sachrechts das CISG, dessen Text in amtlicher deutscher Übersetzung vorliegt und über das bereits umfangreiche und verläßliche Sekundärliteratur existiert,15 anwenden kann, kommt das weiter auch der Rechtssicherheit zugute. Authentische und damit verbindliche Fassungen gibt es nur in den sechs Amtssprachen der UNO (Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch). 16 Die deutsche Fassung wurde auf einer Übersetzungskonferenz 1982 in Bonn von den deutschsprachigen Ländern erarbeitet. Völlige Texteinheit konnte dabei nicht erreicht werden. 17 Da sich die bundesdeutsche Fassung bisher bewährt hat und keine inhaltlichen Unterschiede zu den authentischen Fassungen offenbar geworden sind, besteht regelmäßig kein Anlaß, auf letztere zurückzugreifen.

Rechtsvereinheitlichung vermag das CISG freilich nur in den Grenzen seines Regelungsbereichs herbeizufuhren. Dieser erstreckt sich nach der grundlegenden Bestimmung des Art. 4 S. 1 ausschließlich auf Fragen, die den Abschluß des Kaufvertrages und die aus ihm erwachsenden Rechte und Pflichten der Parteien betreffen. Neben den in Artt. 2, 3 und 5 niedergelegten Anwendungsausschlüssen betrifft das Abkommen, soweit es nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt, insbesondere nicht Gültigkeitsfragen und Wirkungen des Vertrages auf das Eigentum an der verkauften Sache (Art. 4 S. 2). In diesen Bereichen, den Lücken außerhalb des Regelungsbereichs (sog. externen Lühken), bleibt es bei dem nach den Regeln des IPR zu bestimmenden nationalen Recht (sog. Lückenfiülungsstatut). 1 2 Konkret trägt Ait. 2 VertragsG folgender Situation Rechnung: Ist das Abkommen nach Art. 1 a) nicht anwendbar und verweisen die IPR-Normen eines Mitgliedsstaates auf dessen eigenes Recht, so wendet er nicht das CISG an, sondern autonomes Sachrecht, wenn er Art. 1 b) fur sich ausgeschlossen hat. Diese Entscheidung wird durch Art. 2 VertragsG auch in der Bundesrepublik Deutschland respektiert, d.h. wir wenden, sofern unsere IPR-Regeln auf das Recht dieses Staates verweisen, dasselbe Recht an, das dieser selbst anwenden würde (instruktiv Schlechtriem-Schlechtriem A r t 2 VertragsG Rz. lf.). 1 3 Nach A r t 2 a) findet das CISG grundsätzlich bei Konsumentenkäufen keine Anwendung. 1 4

Übersicht über die Fallgruppen bei Schlechtriem-Herber

Art. 1 Rz. 40.

15

Besonders hervorgehoben sei an dieser Stelle der umfassende Kommtentar von v. Caemmerer /Schlechtriem. 16 17

Vgl. Schlechtriem-Schlechtriem

Einl. S. 26.

Zu den - insgesamt inhaltlich wenig bedeutenden - Unterschieden im Text siehe Schlechtriem-Bearbeiter in der Kommentierung der einzelnen Artikel.

Einfühung

24

Aber auch für Fragen, die im CISG geregelte Gegenstände betreffen, aber im Übereinkommen nicht ausdrücklich entschieden werden (sog. interne Lühken), ist gemäß Art. 7 Π der Rückgriff auf ein - nach dem IPR des Forums zu bestimmendes - nationales Lückenfüllungsstatut zulässig, wenn sie sich mit den allgemeinen Grundsätzen, auf denen das Abkommen beruht, nicht lösen lassen. In bezug auf das nationale Recht spricht man hier auch von Subsidiärstatut . Dieser Begriff reflektiert den bestehenden grundsätzlichen Anwendungsvorrang des CISG. 18 Die Existenz solcher interner Lücken, die ein nationales Recht zu füllen hat, bedingt die Aufspaltung des Vertragsstatuts. Einheitsrecht und (jeweiliges) Lückenfüllungsstatut bilden eine Art Mischstatut, das sich als Sonderrecht des einzelnen Mitgliedsstaates für internationale Kaufsachverhalte darstellt. Die Zuordnung einzelner (Sachverhalts-) Fragen zum Regelungs- oder Lükkenbereich des Abkommens bereitet in vielen Fällen Schwierigkeiten. Zwar fällt diese Abgrenzung nicht schwer, wenn eine bestimmte Frage ausdrücklich geregelt ist, sie also unter eine Norm des Abkommens subsumiert werden kann. Wenn aber keine solche Regelung vorhanden ist, ist es schwer festzulegen, wann die betreffende Frage noch dem Regelungsbereich des Abkommens unterstellt und im Wege rechtsfortbildender (autonomer) Lückenfüllung gelöst werden darf. Kompliziert wird die Abgrenzung von Regelungsbereich und Lücken insbesondere bei solchen lückenumschreibenden Systembegriffen, die das Abkommen selbst inhaltlich nicht näher bestimmt, wie z.B. der Vertragsgültigkeit in Art. 4 S. 2 lit. a). Mit diesen Fragestellungen zu Regelungsbereich, Lücken und Lückenfüllung befaßt sich der erste Abschnitt des Allgemeinen Teils dieser Arbeit. Im Anschluß daran - wenn geklärt ist, daß eine bestimmte Frage vom Abkommen erfaßt und geregelt ist - kann sich das Problem der Konkurrenz der einschlägigen einheitsrechtlichen Bestimmung mit nationalen Normen stellen. Grundsätzlich genießt das CISG im Rahmen seines Regelungsbereichs einen Anwendungsvorrang als internationales Sonderkaufrecht. Ansonsten könnte es seinen Vereinheitlichungszweck (Art. 7 I) gar nicht erfüllen. Das bedeutet, daß tatbestandlich ebenfalls einschlägige Bestimmungen des nationalen Rechts (konkurrierendes nationales Recht) verdrängt werden müssen. Dies erscheint selbstverständlich, wenn das jeweilige nationale Recht die betreffenden Normen auch dem Kaufrecht unterstellt. Nicht selten behandeln nationale Rechte im CISG geregelte Fragen jedoch in anderen systematischen Zusammenhängen sowie unter Zugrundelegung anderer funktionaler und teleologischer Wertungen.

18 I m Bereich der externen Lücken ist dagegen kein vorrangiges Statut vorhanden, zu dem ein nationales Recht im Verhältnis der Subsidiarität stehen könnte. 19

253ff.

Englisch: splitting , französisch: dépeçage . Dazu allgemein Jay me, dépeçage, S.

19

Einfühung So ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Vereinbarung bindend sein soll, im CISG nur in den Bestimmungen über Vertragsabschluß und Form geregelt, während dazu im angloamerikanischen Recht eine Art Gegenopfer in Form der sog. consideration 20 gefordert wird.

Deswegen sind für die Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen eine einheitsrechtliche Norm eine konkurrierende nationale Vorschrift zu verdrängen vermag, subtile und differenzierte Kriterien zu entwickeln. Kommt man bei der Untersuchung eines Konkurrenzverhältnisses zu dem Ergebnis, daß keine Verdrängung stattfindet, müssen Einheitsrecht und nationales Recht notwendig kumulativ zur Anwendung gelangen - tertium non datur. Der Grundsatz der kumulativen Anwendung gilt selbstverständlich auch für das Nebeneinander von im CISG geregelten und ungeregelten Fragen, die nach einem nationalen Lückenfüllungsstatut behandelt werden müssen. Bei der Nebeneinander-Anwendung von Einheitsrecht und nationalem Recht können nun, insbesondere im Grenz- und Überlappungsbereich beider Statute, Normwidersprüche auftreten. Denn "der Sache nach kommen übernationales Sonderrecht und nationales Rechtssystem nebeneinander zur Anwendung, als verschiedene Normenkomplexe, die grundsätzlich nicht aufeinander abgestimmt sind. Es gibt für sie auch keinen gemeinsamen Überbau von Grundlehren und Grundbegriffen, auch keine gemeinsamen Regeln der Rechtsgewinnung, das heißt der Auslegung und Fortbildung durch den Richter." 21 Wenn solche Normwidersprüche zu unhaltbaren Ergebnissen führen, müssen sie - regelmäßig auf Kosten eines der beteiligten Rechte - beseitigt werden. All diese Fragen der Normenkonkurrenz zwischen einheitsrechtlichen und nationalen Bestimmungen werden im 2. Abschnitt des Allgemeinen Teils erörtert. Im darauf folgenden "Besonderen Teil" wird untersucht, wie in einigen wichtigen und häufig vorkommenden Systembereichen - Willensmängel sowie vor- und nebenvertragliche Pflichten - das Zusammenspiel von Einheitsrecht und nationalem Recht konkret erfolgt. Exemplarisch herangezogen wird dazu die Konkurrenz zwischen CISG und deutschem sowie amerikanischem Recht. Ergebnis dieses Vorgehens ist die Herausbildung der erwähnten Mischstatute aus Einheitsrecht und (jeweiligem) nationalen Recht.

2 0 21

Dazu unten S. 96.

Sto II, Internationalprivatrechtliche Fragen, S. 495f.- Diese Gegebenheiten erlauben findigen Rechtsanwendern unschwer Manipulationen und Verschleppungstaktiken: In einem einfachen Kaufrechtsfall brauchen nur irgendwelche Fragen gefunden zu werden, die vom CISG nicht geregelt erscheinen, und schon kann es zum angesprochenen Nebeneinander zweier nicht aufeinander abgestimmter Rechtsordnungen mit komplizierten Konkurrenzproblemen und Normwidersprüchen kommen. So ist es oft möglich, ein "nationalrechtliches Sperrfeuer" aufzubauen, das das überragende Ziel der Rechtssicherheit und den Vereinfachungs- und Vereinheitlichungszweck des Abkommens zunichte machen kann.

Erster Teil

Allgemeine Lehren zur Lückenfüllung und Normenkonkurrenz 1. Abschnitt Regelungsbereich, externe und interne Lücken, Lückenfüllung 1· Kapitel: Einführung Seinen sachlichen Anwendungsbereich (Regelungsbereich) legt das CISG positiv und negativ fest. Ersteres geschieht durch die grundlegende Angabe des Regelungsgegenstandes Kaufvertrag - Abschluß und daraus erwachsende Pflichten - in Art. 4 S. 1 sowie durch die Einbeziehung bestimmter Werklieferungsverträge in Art. 3 I. Die negative Eingrenzung erfolgt dagegen durch die Angabe der nichtgeregelten Bereiche, der sog. Regelungslücken. So werden in Artt. 2, 3 Π, 4 S. 2 und 5 bestimmte Gegenstände als nicht mehr vom Abkommen erfaßt festgeschrieben. Dies sind, wie schon in der Einführung erwähnt, Lücken außerhalb des Regelungsbereichs (externe Lücken)} Die internen Lücken werden hingegen in Art. 7 Π begrifflich umschrieben als Fragen, die im Übereinkommen geregelte Gegenstände betreffen, aber nicht ausdrücklich entschieden werden. Es handelt sich dabei also, wie ebenfalls erwähnt, um Lücken innerhalb des Regelungsbereichs.2 Während externe Lücken mithin von der Rechtsvereinheitlichung ausgesparte Bereiche (Bereichslücken) darstellen und von Abgrenzungsnormen auf kollisionsrechtlicher Ebene bestimmt werden, handelt es sich bei internen Lücken regelmäßig um bei der Anwendung des materiellen Einheitsrechts auftretende Lücken (Normlücken). 1

Zur Abgrenzung von internen und externen Lücken instruktiv Karollus, S. 16-18; Dölle-Wahl Art. 17 Rz. 18 (verwendet werden die inhaltsgleichen Begriffe Lücken präter legem und Lücken intra legem); ferner Schlechtriem, Wiener Kaufrechtsübereinkommen, S. 479. Von einer anderen Bedeutung der Begriffe interne und externe Lücken geht offenbar Frigge S. 5 aus, die dabei - völlig zu Unrecht - u.a. die soeben zitierten LiteratursteUen fär sich vereinnahmt, so daß die Konzeption ihrer Arbeit insoweit widersprüchlich erscheint 2 Für interne bzw. externe Lücken finden sich in der Literatur auch folgende Bezeichnungen: Lücken bzw. Restfragen (Randfragen), nicht geregelte Fragen.

1. Kapitel: Einführung

27

Das bisher existierende einheitliche Sachiecht beschränkt sich durchweg auf die Vereinheitlichung von relativ kleinen Teilgebieten des Privatrechts. 3 Jenseits davon bleibt notwendigerweise ein weitaus größerer unvereinheitlichter Bereich bestehen, der den externen Lücken einer einheitsrechtlichen Kodifikation entspricht. Dem könnte nur ein universales Weltrecht, das das gesamte Privatrecht abschließend regelt, abhelfen. In absehbarer Zeit ist die Schaffung eines solchen Weltrechts natürlich nicht zu erwarten - die Gesetzgebungssouveränität der immer nodi größer werdenden Zahl von Staaten fuhrt vielmehr dazu, daß auch die Vereinheitlichung verhältnismäßig kleiner Materien lange dauert und sich schwierig gestaltet. Ganz anders ist die Situation im nationalen Recht geartet: Zwar gibt es dort sogenannte rechtsfreie Räume* Darunter versteht man grundsätzlich jedoch nicht externe Lücken im genannten Sinne, sondern außerrechtliche Bereiche wie Moral, Gedanken, Überzeugungen, Lebensweisen, Geschmack, Takt oder Anstand, die einer Ordnung durch das Redit weder zugänglich sind noch einer solchen bedürfen. Soweit aber außerhalb eines rechtsfreien Raumes eine Frage insbesondere der äußeren Ordnung 5 menschlichen Zusammenlebens, fur die die Rechtsordnung kompetent ist, 6 betroffen ist, sind die Gerichte verpflichtet, diese zu entscheiden. Ansonsten läge eine im Rahmen unserer Verfassung, insbesondere des Art. 19 I V GG, nicht zulässige Rechtsverweigerung vor. Wenn die Rechtsordnung aber für die betreffende Frage keine Antwort bereithält, muß zu ihrer Lösung das bestehende Recht fortgebildet werden. Diese Verpflichtung gilt zunächst bei Fragen, zu denen die Rechtsordnung schweigt (Gesetzeslücken im weiteren Sinn)/ die jedoch nodi durch deren Weiterentwicklung im Rahmen der eigenen Teleologie gelöst werden können (gesetzesimmanente Rechtsfortbildung); des weiteren aber audi fur solche, die sich nicht mehr in den ursprünglichen Regelungsplan der geltenden Gesetze einpassen lassen, zum Beispiel, weil überhaupt nicht mit ihrem Auftreten gerechnet worden ist (gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung). 8 I m Ergebnis bedeutet dies, daß im innerstaatlichen Recht nur Lücken innerhalb der nationalen Rechtsordnung, die diese selbst auch auszufüllen hat, anerkannt werden dürfen. Eine Selbstbeschränkung des Regelungsbereichs von innerstaatlichem Recht, vergleichbar den externen Lücken des Einheitsrechts, ist dagegen nicht statthaft.

Die Unterscheidung zwischen externen und internen Lücken ist im Einheitsrecht außerordentlich wichtig: Nur interne Lücken dürfen nach Art. 7 Π nämlich aus dem Einheitsrecht selbst (autonom), und zwar durch den Rück3

Vgl. allgemein Dolle-Wahl A r t 17 EKG Rz. 23ff.; Kotz S. 3.

4

Dazu grundlegend Fikentscher, Bd. 3, S. 722, Bd. 4, S. 159-175 (164f.); Larenz, Methodenlehre, S. 370ff.; Canaris S. 31ff.; Fastenrath S. 152-154. 5 Eine grundsätzliche Beschränkung des Rechts auf die äußere Ordnung menschlichen Zusammenlebens ist aber abzulehnen; dieses erstreckt sich vielfach auch auf innere Vorgänge wie z.B. Motive und Absichten. Dazu Fastenrath S. 153f. m.w.N. 6 Die Abgrenzung des "Kompetenzbereichs" des Rechts von außerrechtlichen Gebieten mag im Einzelfall schwierig sein, sie ist jedoch zwingend vorzunehmen. Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 371. 7 8

Begriffe und Beispiel nach Larenz a.a.O.

So war etwa die deutsche Rechtsprechung vor dem Eingreifen des Gesetzgebers gezwungen, Regelungen über die Haftung bei Unfällen in der Luftfahrt zu erfinden.

28

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfüllung

griff auf allgemeine Grundsätze, auf denen das Abkommen beruht, geschlossen werden. Für externe Lücken ist das CISG dagegen gar nicht kompetent, es bleibt, wie schon in der Einführung erwähnt, nur der Rückgriff auf ein nationales Recht. Denn der Vorrang des Einheitsrechts kann nur zum Tragen kommen, wenn und soweit ein solches überhaupt existiert, sein Regelungsbereich also berührt ist. Ist der Bereich der externen Lücken betroffen, kann die Aufspaltung des Sachstatuts mit ihren dargelegten negativen Auswirkungen bzw die Kollision verschiedener Statute mithin nicht vermieden werden. Die Abgrenzung zwischen externen und internen Lücken ist jedoch ebenso schwierig wie bedeutsam. Dies deswegen, weil der genannte Wortlaut des Art. 4 S. 1 für die positive Festlegung des Regelungsbereichs des Abkommens wenig hergibt. Wegen dieses kargen Textbefundes erscheint es - im Rahmen einer Hilfskonstruktion - zur Bestimmung des Regelungsbereichs förderlich, diesen in einem ersten Schritt negativ einzugrenzen, also durch Ausklammerung der bereits aufgeführten externen Lücken. Erst wenn ein Sachverhalt keine solche externe Lücke betrifft, ist die - mittels weiterer Hilfskriterien zu treffende - positive Feststellung, ob er in den Regelungsbereich des CISG fällt, unumgänglich. An diese Reihenfolge hält sich auch die folgende Darstellung.

2. Kapitel: Externe Lücken

29

2. Kapitel: Externe Lücken § 1 Abgrenzungsnormen des Abkommens

Teil 1 des Abkommens (Artt. 1 - 6 ) trägt den Titel "Anwendungsbereich und allgemeine Bestimmungen" und enthält in Kapitel 1 Abgrenzungsnormen, die regeln, unter welchen Voraussetzungen das CISG zur Anwendung gelangt. Die Teile 2 und 3 enthalten dagegen die vereinheitlichten Sachnormen und nur vereinzelt Abgrenzungsnormen. Festzuhalten ist mithin eine grundsätzliche Unterscheidung von Rechtsanwendungs- und Sachnormen. Nach anderer Ansicht1 sind die Abgrenzungsnormen des ersten Teils in erster Linie vor die Klammer gezogene Bestandteile der nachfolgenden vereinheitlichten Sachnormen, deren Rechtsnatur sie teilen. Dies verwischt aber die bewährte Differenzierung zwischen Rechtsanwendungs- und Sachnonnen,2 die etwa bei Auslegung und Rechtsfortbildung methodisch unterschiedlich zu behandeln sind.3

In Artt. 1 - 3 wird festgelegt, welche Breite von Verträgen (Kaufverträge oder kaufähnliche Verträge) dem CISG unterstehen, während in Artt. 4 und 5 bestimmt wird, in welcher Tiefe diese Verträge vom CISG erfaßt werden. Mit Ausnahme der positiven Zuweisungen in Artt. 4 S. 1 und 3 I erfolgt diese Bestimmung, wie einleitend erwähnt, negativ durch Angabe von externen Lücken (z.B. Fragen der Vertragsgültigkeit, Art. 4 S. 2 lit. a), bestimmte Produkthaftungsfälle, Art. 5). Eine Mischstellung nimmt Art. 6 ein: Zum einen kann aus ihm abgeleitet werden, welche Verträge insgesamt dem CISG unterstehen; andererseits kann er auch zur Regelung der Frage dienen, auf welche Bereiche eines Vertrages das Abkommen Anwendung findet.

Indirekt folgt aus den Abgrenzungsnormen des Abkommens auch, daß in den von ihnen nicht umfaßten bzw. ausgegrenzten Bereichen (externe Lükken) ein anderes Recht als Lückenfüllungs- oder Ergänzungsstatut gelten muß.4 Das Zusammenspiel der einheitlichen Abgrenzungsnormen mit nationalen Kollisionsnormen gestaltet sich wie folgt: Liegt ein Fall des Art. I I a ) vor, kommt das Einheitrecht ohne Vorschaltung eines nationalen (oder internationalen) Kollisionsrechts zur Anwendung (autonome Ankniipfiing). Dann gehen

1

Czerwenka S. 29-31.

2

Da eine gewisse kollisionsrechtliche Funktion auch von dieser Auffassung nicht geleugnet wird, wirkt sie insgesamt unstimmig. 3 Dazu sogleich S. 31 fur die Kollisionsnormen, S. 61 für die Sachnormen des Abkommens. 4

Zu dessen Bestimmung unten S. 72.

30

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lcken und Lückenfüllung

auch die einheitsrechtlichen Abgrenzungsnormen der Artt. 2-5 den nationalen Kollisionsnormen als lex specialis vor,5 was Art. 3 Π EGBGB klarstellt.6 Die Anwendung des CISG über Art. I I b ) setzt dagegen voraus, daß die vorgeschalteten nationalen Kollisionsnormen der lex fori auf das Sachrecht eines Vertragstaats verweisen.7 Die Vorschriften in Teil 1 haben weiterhin zwei verschiedene Abgrenzungsfunktionen: Zunächst geben sie an, wann innerhalb einer nationalen Rechtsordnung das Einheitsrecht den Vorrang vor nationalen Sachnormen, die dieselbe Materie regeln, beanspruchen kann. Ausschlaggebend hierfür ist das Merkmal der Internationalität, deswegen läßt sich das Einheitsrecht als Sonderrecht für internationale Käufe begreifen. Diese Konstruktion ist vergleichbar mit den kaufrechtlichen Bestimmungen der §§ 343ff. HGB, die handelsrechtliche Sondervorschriften im Verhältnis zum BGB enthalten.8 In bezug auf diese Funktion kann man mit Kropholler von internationalitätsbestimmenden Abgrenzungsnormen sprechen.9 Daneben dienen die Vorschriften des ersten Teiles zur Abgrenzung des Einheitlichen Kaufrechts als Kaufvertragsstatut eines Vertragsstaats gegenüber anderen Statuten seines eigenen oder eines fremden Sachrechts. In dieser Hinsicht besitzen sie den Charakter genuiner einseitiger Kollisionsnormen. 10 Im Unterschied zu nationalen Kollisionsnormen, die den Konflikt zwischen mehreren gleichsam in einer Ebene liegenden nationalen Sachrechten lösen 0horizontale Kollisionsnormen), besitzen die Abgrenzungsnormen des Abkommens folglich eine horizontale und eine vertikale Komponente. u Denn in ihrer internationalitätsbestimmenden Funktion dienen sie zur Abgrenzung des internen Kaufrechts vom CISG als vorrangigem internationalen Sonderkaufrecht, das gleichsam auf einer höheren funktionalen Ebene anzusiedeln ist. Sie können mithin auch als vertikale Kollisionsnormen bezeichnet werden. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, daß mit der Transformation in innerstaatliches Recht völkerrechtlichen Verträgen normenhierarchisch (nur) der Rang einfachen Gesetzesrechts zukommt. Auch das Grundgesetz statuiert für sie keinen Vorrang vor nationalem deutschen Recht. 1 2 Den einheitlichen Kollisions- und Sachnormen des CISG kommt als Sonderrecht fur internationale Kaufverträge aber

5

v. Bar S. 70 Rz. 90; Kropholler, Einheitsrecht, S. 190 spricht allgemein - dine Bezugnahme auf eine bestimmte Rechtsordnung - von lex specialis. 6 Dieser Bestimmung kommt insofern nur deklaratorische Bedeutung zu (MKSonnenberger Art. 3 Rz. 10; a Α . Palandt-Heldrich EGBGB 3 Rz. 7). 7

Vgl. dazu schon oben S. 22.

8

Schlechtriem-Herber

9

Kropholler,

v. Artt. 1-6 Rz. 4.

Einheitsrecht, S. 191.

1 0

So insbesondere U. Huber S. 422.

11

Enderlein/Maskow/Strohbach

1 2

Palandt-Heldrich 1-6 Rz. 35f.

v. Art. 1 Nr. 2.

EGBGB 3 Rz. 6ff.; für das CISG Schlechtriem-Herber

v. Artt.

2. Kapitel: E x t e e Lcken

31

der Vorrang als lex specialis gegenüber nationalem Recht zu. Die Zielbestimmung der einheitlichen Anwendung (Art. 7 I ) begründet darüber hinaus einen teleologischen Vorrang des Einheitsrechts gegenüber konkurrierendem nationalen Recht.

Mit der Konstruktion vertikaler Kollisionsnormen läßt sich die autonome Anknüpfung durch das CISG in Art. 1 I a) gut begreiflich machen.14 Auch Art. 7 Π, der zur Lückenfüllung zuerst das Einheitsrecht selbst und erst danach das nationale Subsidiärstatut beruft, wird vor diesem Hintergrund "plastisch". Die Doppelfunktionalität der einheitsrechtlichen Abgrenzungsnormen macht schließlich auch verständlich, daß sie methodisch grundsätzlich anders als nationale Kollisionsnormen zu behandeln sind, so daß die allgemeinen internationalprivatrechtlichen Instrumente Qualifikation, 15 Angleichung,16 Verweisung, Renvoi und Vorfrage 17 auch nur unter Beachtung der Besonderheiten der vertikalen Kollision zwischen Einheitsrecht und nationalem Lückenfüllungsstatut herangezogen werden können. Einheitliche Kollisions- und Sachnormen sind des weiteren gleichermaßen den Zielvorgaben der Internationalität und der einheitlichen Anwendung des CISG verpflichtet. Dies läßt sich aus Art. 7 I ableiten, der trotz der Stellung im kollisionsrechtlichen Teil nach seiner ratio legis auch auf die Kollisionnormen des Abkommens selbst anzuwenden ist. 18 Deswegen verbietet sich grundsätzlich die im nationalen IPR 19 mehrheitlich vertretene lex foriQualfikation. Sie muß einer autonomen Qualifikation weichen, die funktional vorgeht und die Teleologie der Kollisionsnormen ebenso wie die der von ihnen - in der Folge einer bestimmten Qualifikation - zur Anwendung berufenen Sachnormen berücksichtigt. Ausnahmsweise ist in Einzelfällen auch eine nationale Qualifikation denkbar, nämlich dann, wenn das CISG das Zusammenspiel von Einheitsrecht und nationalem Recht gezielt regeln will, die einheitliche Anwendung des Abkommens also nicht gefährdet ist. Art. 28, eine im Sachnonnteil des CISG enthaltene Abgrenzungsnorm, regelt, daß ein Gericht einen Anspruch auf Erfüllung in natura nur zuerkennen darf, wenn es dies auch nach der lex fori bei gleichartigen Kaufverträgen täte. Hier verweist das 1 3

In diesem Sinne kann man von einem pro iure «ni/fcrme-Grundsatz sprechen.

1 4

Art. I I b ) stellt dagegen ein Beispiel fur die Vernetzung von einheitlichen und nationalen Kollisionsnonnen dar. 15 Vgl. etwa zur Qualifikation des Begriffes Vertragsgültigkeit i.S.d. Art. 4 S. 2 l i t a) unten S. 37ff. 1 6

Vgl. dazu z.B. unten S. llOff., wo das Zusammenspiel zwischen nationalem Lückenfüllungsstatut und CISG unter dem Gesichtspunkt der Angleichung behandelt wird. 1 7

Vgl. als Beispiel das unten S. 98ff. diskutierte Problem nationalrechtlicher Konkurrenzvorfragen. 18 Czerwenka S. 127 m.w.N.: Eine solche Selbstanwendbarkeit von Normen ist nach den Gesetzen der Nonnenlogik anders als in der Aussagenlogik grundsätzlich zulässig. 1 9

Vgl. statt vieler Palandt-Heldrich

Einl. v. EGBGB 3 Rz. 27.

32

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfllung CISG also gezielt auf nationales Recht, das als eine Art Vorfrage zu prüfen ist. Daraus folgt, daß das Gericht den Begriff der Erfüllung in natura auch nach nationalem Recht zu qualifizieren hat. Teilweise wird in der Literatur auch eine nationalrechtliche Qualifikation bei den Ausnahmetatbeständen des Art. 4 S. 2 (Vertragsgültigkeit, Gültigkeit von Gebräuchen und Eigentumsfragen) vertreten. 20

Die Grundsätze zur autonomen Lückenfüllung (Art. 7 II) sind aus teleologischen Erwägungen dagegen nicht auf die einheitsrechtlichen Abgrenzungsnormen anwendbar.21 Denn diese sind sharp-edged provisions , die keiner eigenen Rechtsfortbildung fähig sind; vielmehr sind sie - im Rahmen des Qualifikationsvorganges - nur der Auslegung zugänglich, die ihre Schranke im Wortsinnfindet. Diese Auslegung kann sich jedoch auch ändern, da sie den gegenwärtig anerkannten Entwicklungsstand des einheitlichen Sachrechts wiedergeben muß und dieser sich insbesondere wegen der Möglichkeit rechtsfortbildender Lückenfüllung (Art. 7 I I ) 2 2 seinerseits ändern kann. Sollten sich z.B. Literatur und Rechtsprechung in den Mitgliedstaaten dazu entschließen, aus Vorschriften des Abkommens ein der deutschrechtlichen culpa in contrahendo vergleichbares Institut zu entwickeln, dann müßte Art. 4 S. 1 - Kaufvertrag und daraus resultierende Pflichten der Parteien - so ausgelegt werden, daß nunmehr auch vorvertragliche Pflichten darunter gefaßt werden. Dies ist zumindest begrifflich unproblematisch. 23

Andererseits kann aber ausnahmsweise eine analoge Anwendung von Kollisionsnormen in Frage kommen, wenn der Regelungszweck des CISG es gebietet, eine begrifflich möglicherweise vom Abkommen umfaßte Frage von seinem Anwendungsbereich auszunehmen, der Regelungsbereich des Abkommens also eingeschränkt wird. So durfte Art. 3 I I als Sonderregelung eines gemischten Vertrages allgemein auf alle gemischten Verträge, in denen andere als kaufvertragliche Elemente im Vordergrund stehen, analog anzuwenden sein. Als Beispiele können Mietkauf und Leasing genannt werden.

Im Grundsatz stellen die Abgrenzungsnormen des Abkommens in noch größerem Maße strenges Recht als nationale Kollisionsnormen dar. Der Anwendungsbereich des Einheitsrechts, den sie definieren, muß im Interesse der internationalen Rechtssicherheit und -klarheit möglichst präzise feststehen.24

2 0

Vgl. unten S. 41f.

2 1

Dies läßt Czerwenka S. 127 offensichtlich außer Betracht. Eine autonome Lükkenfullung im Bereich der Kollisionsnormen würde jedoch zumindest theoretisch eine erhebliche Erweiterung des Anwendungsbereichs des CISG zulassen, wozu einem einzelnen Mitgliedstaat schon jede Befugnis fehlt. 2 2

Zu den Grenzen autonomer Lückenfullung unten S. 70f.

2 3

Dazu vgl. unten S. 261ff.

2 4 Darin liegt ein dem CISG immanentes Spannungsverhältnis zur rechtsfortbildenden Lückenfüllung.

2. Kapitel: Externe Lucken

33

Die Einheitlichkeit ihrer Anwendung muß auch im Nebeneinander zu verschiedenen nationalen Rechten (Lückenfüllungsstatuten) gewährleistet sein. Zusammenfassend läßt sich mithin festhalten, daß die Abgrenzungsnormen des CISG vorwiegend kollisionsrechtlichen Charakter aufweisen, weswegen sie im folgenden auch als einheitsrechtliche Kollisionsnormen bezeichnet werden. Als den nationalen Kollisionsnormen teleologisch übergeordnete Vorschriften müssen sie autonom qualifiziert werden, damit der Regelungsbereich des Abkommens international einheitlich festgelegt werden kann.

§ 2 Einzelne Abgrenzungsnormen und externe Lücken

Die Abgrenzungsnormen des Abkommens legen, wie erwähnt, den Regelungsbereich mittels positiver (Artt. 4 S. 1, 3 I) und negativer Zuweisungen (Artt. 2, 3 II, 4 S. 2, 5) fest. Letztere bestimmen explizit externe Lücken. Daneben können solche auch dadurch bestimmt werden, daß der Begriff kaufrechtliche Pflichten i.S.d. Art. 4 S. 1 seinerseits ebenfalls negativ definiert wird. Die Materie kaufrechtlicher Pflichten läßt sich mit anderen Worten von anderen Rechtsgebieten abgrenzen, wobei einige Bereiche ermittelt werden können, die jedenfalls nicht zum Kaufrecht gehören.

/. Negativzuweisungen aus Art. 4 S. 1 Die Begriffe "Abschluß des Kaufvertrages und die aus ihm erwachsenden Rechte und Pflichten" (Art. 4 S. 1) legen, wie auch der Blick auf die im Abkommen konkret geregelten Sachfragen zeigt, ein herkömmliches Verständnis von Inhalt und Umfang des alleemeinen Vertragsstatuts zugrunde, ähnlich dem nationaler Kollisionsrechte.25 Daraus läßt sich indiziell schließen, daß Institute, für die nationale Kollisionsrechte regelmäßig eine vom allgemeinen Vertragsstatut abweichende Kollisionsnorm bereithalten ("Sonderanknüpfung"), auch nicht als kaufrechtlich i.S.d. CISG qualifiziert werden können. Das gilt etwa für die Bereiche Geschäftsfähigkeit und Stellvertretung, die überdies zumeist noch als Gültigkeitsfragen i.S.d. Art. 4 S. 2 lit. a) eingestuft werden. In weiterem Sinne lassen sich so auch andere Gebiete des Privatrechts - z.B. Delikts- und Sachenrecht - vom CISG abgrenzen. Dagegen können Sonderanknüpfungen nationaler Kollisionsrechte für Institute des Allgemeinen Schuldrechts (nach deutscher Terminologie), wie z.B. die Zession,26 grundsätzlich nicht deren Ausschluß vom Anwendungsbereich des CISG begründen. Denn das einheitliche Kaufrecht vollzieht die Unterscheidung von 2 5

Vgl. im EGBGB Art. 32.

2 6

Vgl. im EGBGB Ait. 33.

3 Schmid

34

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfllung

Allgemeinem und Besonderem Schuldrecht des BGB nicht nach und ist deswegen auch nicht auf letzteres beschränkt; vielmehr enthält es an mehreren Stellen Regelungen, deren Äquivalente im BGB zum Allgemeinen Schuldrecht gehören, wie z.B. Art. 74 S. 2. Das Argument der gesonderten kollisionsrechtlichen Anknüpfung läßt sich schließlich jedoch für solche Materien heranziehen, die durch andere internationale Konventionen einheitlich geregelt sind oder auch erst geregelt werden sollen. Das gilt beispielsweise für Fragen der Verjährung, die Gegenstand eines UN-Abkommens von 197927 sind, das allerdings in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht in Kraft getreten ist. Auch Rechtsbereiche, die nach ihrer Natur nicht vorrangig zum Kaufrecht gehören, unterfallen nicht dem CISG. Somit betrifft das Abkommen nicht öffentliches Recht, einschließlich des ganzen Verfahrensrechts. Dazu ist unter anderem das gesamte Konkursrecht zu zählen, auch insofern als die Abwicklung von Kaufverträgen in Frage steht. Selbstverständlich unterfallen diese Gebiete üblicherweise ebenfalls nicht dem allgemeinen Vertragsstatut. Ausnahmsweise ist es schließlich möglich, aus vorrangigen Wertungsgesichtspunkten die Existenz einer Lücke ('Versteckte Lücke") abzuleiten.28 Angezeigt erscheint ein solches Vorgehen beim Erfüllungsort für die Zahlungsverpflichtung (Art. 57 I), soweit diese Regelung für die Ausfüllung der Verweisung auf das Vertragsstatut zur Bestimmung eines besonderen Gerichtsstandes - wie ihn viele Verfahrensordnungen 29 kennen - herangezogen wird. 30 Dieses Vorgehen rechtfertigt sich daraus, daß ein Gerichtsstand am Erfüllungsort der Zahlungsverpflichtung, d.h. im Regelfall des Art. 57 I a) bei der Niederlassung des Verkäufers* 1 den Käufer nicht hinnehmbar benachteiligen würde. Ein solches Ergebnis widerspräche zum einen dem Sinn- und Gerechtigkeitsgehalt des Verfahrensrechts, insbesondere des EuGVÜ, das dem Schutz des Beklagten Priorität zuweist und besondere Gerichtsstände als Ausnahmen ansieht. 32 Zum anderen war eine solche prozeßrechtliche Dimension des Art. 57 I a) ausweislich der Entstehungsgeschichte der Vorschrift nicht intendiert. 33 2 7

Dazu näher Schlechtriem-Herber

2 8

Dazu auch Stoll, Regelungslücken, S. 78.

2 9

Vgl. etwa Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ, § 29 ZPO.

Art. 4 Rz. 21 Fn. 33.

3 0

Vgl. Schlechtriem-Hager Art. 57 Rz. 10 m.w.N.; a.A. Schlechtriem-Herber 4 Rz. 20 mit Hinweis auf die Rspr zum EKG. 3 1 I m Gegensatz zu deutschem Recht ist diese Verpflichtung also eine reine Bringschuld, es fehlt an einer Entsprechung des § 270 I V BGB. Vgl. Schlechtriem-Hager Art. 57 Rz. 4f. 3 2 So überzeugend Jay me, Klägergerichtsstand, S. 13. Freilich ist das nicht die herrschende Auslegung des EuGVU, dazu sogleich. 3 3 Ein Antrag der deutschen Delegation, an Art. 57 einen dritten Absatz anzufügen, wonach dem Zahlungsort keine zuständigkeitsbegründende Wirkung beizumessen sei, wurde abgelehnt, weil Fragen der internationalen Zuständigkeit außerhalb des Rege-

Art.

2. Kapitel: Externe Lücken

35

Auch nach der Entscheidung des EUGH vom 29.6.1994 3 4 bleibt es möglich, in Art. 5 7 1 a) insoweit eine Lücke zu bejahen. Denn darin hat der EUGH auf Vorlage des BGH hin nur eine autonome Bestimmung des Begriffs Erfüllungsort in Art. 4 EuGVÜ ohne Rückgriff auf das Vertragsstatut abgelehnt.35 Nicht präjudiziell ist damit eine Auslegung des jeweiligen Vertragsstatuts selbst. Damit ist es also nach wie vor zulässig, wenn man im Rahmen des CISG Verfahrens- und materiellrechtlichen Erfüllungsort nicht gleichsetzt.36

IL Anwendungsausschlüsse der Artt. 2-6 Das CISG statuiert in Artt. 2, 3 Π externe Lücken für bestimmte Arten von kaufähnlichen Verträgen, in Artt. 4 und 5 dagegen für bestimmte Teilbereiche eines Kaufvertrages selbst. Nach Art. 2 unterfallen Konsumentenkäufe, Käufe auf Versteigerungen (auch rein privater Natur), Käufe im Rahmen einer Zwangsvollstreckung oder anderer gerichtlicher Maßnahmen, Käufe von Wertpapieren oder Zahlungsmitteln, von Schiffen und Luftfahrzeugen sowie von elektrischer Energie nicht dem CISG. Dies zum einen, weil einige der genannten Typen hoheitsrechtliche Züge tragen und sich das CISG einer Regelung solcher Bereiche bewußt enhält; 37 zum anderen, weil sie vom einheitsrechtlichen Prototyp des Warenkaufs zu weit abweichen und deswegen vom CISG nicht sachgerecht geregelt werden könnten. Aus letzteren Gründen erklärt Art. 3 I, I I das Abkommen auf Werklieferungsverträge, in denen der Besteller selbst einen wesentlichen Teil der zur Herstellung nötigen Materialien zur Verfügung stellen muß, sowie auf Lieferkäufe mit Montageverpflichtung und sog. Anlagenlieferungsverträge für nicht anwendbar. 38 Nach Art. 5 schließlich ist der ganze Bereich der Produkthaftung, soweit von einer fehlerhaften Kaufsache verursachte Personenschäden gegeben sind, vom Anwendungsbereich des CISG ausgenommen.

Mehr Schwierigkeiten als die genannten Vorschriften birgt jedoch Art. 4 S. 2 in sich, der als externe Lücken - soweit das CISG nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt (1. Hs.) - die Vertragsgültigkeit, die Gültigkeit von Gebräuchen sowie die Wirkungen, die der Vertrag auf das Eigentum an der verkauflungsbereichs der Konvention lägen. Vgl. dazu instruktiv Magnus, Aktuelle Fragen, S. 97. 3 4

IPrax 1995 S. 31 Nr. 1.

3 5

Dazu die überzeugende Kritik von Jay me, Klägergerichtsstand, S. 13.

3 6

Wenn nun aber das CISG die Verweisung des Verfahrensrechts hinsichtlich des prozeßrechtlich relevanten Erfüllungsorts nicht ausfüllt, wird die Frage an die jeweiligen Verfahrensordnungen gleichsam zurückgegeben. Deshalb dürfte sich das EuGVÜ zumindest bei Anwendbarkeit des CISG einer autonomen Bestimmung des Begriffs Erfüllungsort nicht mehr entziehen.- Leider ist, solange die zitierte umstrittene Rechtsprechung des EuGH zu dieser Frage beibehalten wird, mit einem solchen Vorgehen in der Praxis nicht zu rechnen. 3 7

Vgl. dazu unten Fn. 50.

3 8

Vgl. zu diesem Komplex Schlechtriem-Herber

3*

Art. 3 Rz. 3-8.

36

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfllung

ten Sache haben kann, festschreibt. Außerdem läßt die Fassung des Art. 4 S. 2 ("betrifft es insbesondere nicht...") den Schluß zu, daß neben den genannten externen Lücken noch andere nicht genannte existieren. Zentrale Bedeutung für die Bestimmung des Regelungsbereichs beansprucht dabei insbesondere die Qualifikation des Systembegriffes Vertragsgültigkeit, die im folgenden exemplarisch untersucht wird. Unter der Brille des deutschen Rechts würde man diesem Begriff, auch wenn er im BGB nicht ausdrücklich verwendet wird, die in Kaufverträgen regelmäßig wichtigen Fragen der Nichtigkeit infolge Anfechtung wegen Willensmängeln und infolge Gesetzes- oder Sittenwidrigkeit (§ 134 und § 138 BGB) zuordnen. In der Tat sind diese Fragen im CISG zumindest nicht konkret geregelt.

§ 3 Vertragsgültigkeit

I. Begriff Wenn Art. 4 S. 2 lit. a) auch ausdrücklich den Bereich der Vertragsgültigkeit 39 vom Regelungsbereich des Abkommens ausnimmt, enthält er doch keine nähere Umschreibung dieses Systembegriffs. Weiteren Aufschluß erteilt zunächst die Entstehungsgeschichte. In den Beratungen von UNCITRAL ist wiederholt erwogen worden, auch Fragen der Vertragsgültigkeit mit ins CISG aufzunehmen.40 Zur Diskussion stand, ob Bestimmungen des UNIDROIT-Entwurfs über die Gültigkeit von Verträgen von 197241 einbezogen werden sollten, was schließlich aus Praktikabilitätsgründen abgelehnt wurde.42 Dieser befaßt sich vor allem mit Fragen des inneren Konsenses: Irrtum, Täuschung, Drohung und Zwang. Nach den Vorstellungen der Verfasser des CISG sollte der Begriff der Vertragsgültigkeit auch eben diese Fragen umfassen. 43 3 9

Vgl. dazu nun auch Hartneil, S. 1-93.

4 0

Honnold, Documentary History, S. 256f., 297f.

4 1

Text in Honnold a.a.O. S. 268-273.

4 2

In diesem Bereich war eine Einigkeit der Vertragstaaten besonders schwer zu erreichen, da dieVertragsgültigkeit in nationalen Rechten oft mit - im einzelnen sehr verschiedenen - Erwägungen der public policy in Verbindung gebracht wird ("...the wide range of domestic policies as to what is illicit": Honnold , Uniform Law and UCC, S. 23f.) und die Vertragstaaten nicht ihre eigenen Eingriffsnormen "ausmanövrieren" wollten. Außerdem war man der Meinung, daß diese Materie wegen der regelmäßigen Erfahrenheit der Pateien in internationalen Verträgen selten zum Tragen kommen werde (Honnold a.a.O.). Die heutigen Erfahrungen bestätigen dies kaum (vgl. etwa Schlechtriem-Schlechtriem Einl. m S. 29ff.). 4 3

Vgl. dazu Schlechtriem, UN-Kaufrecht, S. 19.

2. Kapitel: Externe Lcken

37

Daraus und aus der Tatsache, daß in Artt. 1 lf. die formelle Gültigkeit von Verträgen geregelt ist, ist zu entnehmen, daß das Abkommen unter Vertragsgültigkeit vor allem die materielle Gültigkeit versteht. Diese erfaßt neben den Fragen des inneren Konsenses auch Wirksamkeitsvoraussetzungen wie Rechtsfähigkeit, Geschäftsfähigkeit und Stellvertretung sowie Bereiche, die üblicherweise stark von public policy- Erwägungen geprägt sind (Sitten- und Gesetzesverstoß, wirtschaftslenkende Vorschriften des Devisen- oder Verbraucherschutzrechts).44 Der Begriff der Vertragsgültigkeit läßt sich also inhaltlich annähernd als Korrelat zur Nichtigkeit i.S.d. § 142 BGB auffassen. Diese Einordnung soll freilich nur einen ersten Anhaltspunkt geben, nicht jedoch eine präzise Qualifikation ersetzen.

IL Qualifikation 1. Übersicht Obwohl hinsichtlich der Einordnung der soeben erwähnten Institute weitgehende Einigkeit besteht, ist sehr umstritten, wie bei Einzelfragen die Zuordnung zur Vertragsgültigkeit vorgenommen werden soll und unter welchen Voraussetzungen die "Soweit-Ausnahme" (Art. 4 S. 2 1. Hs.) zum Zuge kommen kann. Das trifft vor allem auf solche Fragen zu, die zwar von einem nationalen Recht als Gültigkeitsfragen klassifiziert werden, aber auch im Abkommen direkt oder zumindest in einer funktionell vergleichbaren Form geregelt werden. In solchen Fällen ist zu klären, ob nationale Gültigkeitsregelungen trotzdem noch die Anwendbarkeit des CISG auszuschließen vermögen. Ein mittlerweile schon klassisches Beispiel ist das Verhältnis zwischen den Vorschriften über die Vertragskonformitat der Kaufsache (Artt. 35ff.) und nationalen Bestimmungen über die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums, die von vielen Rechtsordnungen als Gültigkeitsfrage eingestuft wird. Weiter kann auch die consideration- Lehre des angloamerikanischen Rechts angeführt weiden. Als (nationalrechtlich qualifizierte) Gültigkeitsvorschrift könnte sie einerseits vom Anwendungsbereich des CISG ausgeschlossen sein; andererseits ist auch denkbar, daß sie von den unterschiedlichen, aber funktional möglicherweise gleichwertigen (äquivalenten) Bestimmungen der Artt. 1 lf. verdrängt wird.

Der in der Literatur herrschende Streit läßt sich im wesentlichen auf die Frage zurückführen, ob der Begriff der Vertragsgültigkeit autonom oder nach nationalem Recht zu qualifizieren 45 ist.

4 4 4 5

Z.B. AGBG und Verbraucherkreditgesetz im deutschen Recht.

Anstatt des üblichen Begriffes der Qualifikation könnte hier auch - dogmatisch exakter - von Auslegung gesprochen weiden, da die Auslegung der Kollisionsnoimen

38

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfüllung

2. Ansätze autonomer Qualifikation a) Problemstellung Eine radikal nationalrechtliche Qualifikation würde es mit sich bringen, daß jeder Staat andere Vorschriften als Gültigkeitsfragen qualifizierte und vom Anwendungsbereich des Abkommens ausnähme. Damit wäre der Vereinheitlichungszweck des CISG in erheblichem Umfang gefährdet. Ein solches Vorgehen widerspräche auch dem oben beschriebenen Grundsatz der autonomen Qualifikation der einheitsrechtlichen Kollisionsnormen. Autonome Qualifikationsversuche kranken hingegen daran, daß das CISG neben der genannten Beschränkung auf die materielle Gültigkeit kaum konkrete Anhaltspunkte dafür enthält, welche Fragen unter den Gültigkeitsbegriff subsumiert werden dürfen. 46 Weitere Streitpunkte bestehen zur "Soweit-Ausnahme" (Art. 4 S. 2 1. Hs.): Die Meinungen reichen von einer restriktiven bis zu einer extensiven Auslegung, der zufolge auch noch eine funktional äquivalente Regelung als ausdrücklich im Sinne der Vorschrift gelten könnte. Im folgenden wird versucht, die wesentlichen in der Literatur vertretenen Ansichten darzustellen und eine eigene, an der Teleologie des Abkommens orientierte Lösung zu entwickeln.

b) Autonomes Modell Hormolds Honnold47 geht aus vom zentralen Anliegen des CISG, Rechtsvereinheitlichung in allen von ihm geregelten Fragen zu erzielen, und verficht demgemäß einen autonomen Standpunkt. Es sei gleichgültig, mit welchem label ein nationales Recht eine bestimmte Frage belege, mit anderen Worten, unter welchen Systembegriff es sie einordne: Wenn die Konvention eine Sachfrage regele, dann solle diese Regelung auch Anwendungfinden, gleichviel ob dieselbe Frage im jeweiligen nationalen Recht Bereichen wie tort (Delikt) oder validity (Vertragsgültigkeit) zugeordnet werde. Wenn dieselben operative des Forums nur den ersten Teilakt des Qualifikationsprozesses bildet. Vgl. MKSonnenberger Einl. Rz. 339ff. (346). 4 6

A A . insoweit Kindler in JbltR Bd. 5, S. 212-214, der alle Normen des CISG, die auf der Rechtsfolgenseite die Unwirksamkeit der Verpflichtung mindestens eines Vertragsteils anordnen, als ausdrücklich geregelte Gültigkeitsfragen auffaßt. Diese etwas pauschale Lösung fuhrt zwar zu ähnlichen Ergebnissen wie die hier vertretene Konkurrenzlösung. Allerdings ergibt sich aus dem oben erwähnten UNEDROITEntwurf über die Gültigkeit von Verträgen, daß ein so weitgehender Gültigkeitsbegriff gerade nicht gewollt war. 4 7 Uniform Law See 65, 73; sich ihm im wesentlichen anschließend Enderlein/Maskow/Strohbach Art. 4 Nr. 3.1. und Kindler, vgl. vorstehende Fn.

2. Kapitel: Externe Lcken

39

facts , die den Tatbestand einer nationalen Norm erfüllten, auch zur Anwendbarkeit einer einheitsrechtlichen Vorschrift führten, gehe letztere vor; das Attribut operative solle dabei bedeuten, daß keine Identität der konkurrierenden Normen nötig sei, sondern eine Übereinstimmung hinsichtlich der wesentlichen Tatbestandselemente genüge. So rechtfertige es nicht die Anwendung nationalen Rechts, daß das CISG den Ersatz von Produktschäden nicht - wie viele nationale Rechte - vom Verschulden abhängig mache. Denn insoweit liege keine planwidrige Lücke, sondern eine intendierte abweichende Regelung vor. Andererseits führe die Tatsache, daß das CISG den Tatbestand einer Vertragsaufhebung infolge arglistiger Täuschung nicht kenne, zur Annahme einer issue of validity und somit zur Anwendbarkeit nationalen Rechts. 48

Als Kritik kann dagegen vorgebracht werden, daß recht vage bleibt, unter welchen Voraussetzungen konkurrierende Normen gleiche operative facts aufweisen. Auch erklärt Honnold nicht, wie er seine Auffassung mit dem Wortlaut des Art. 4 S. 2 vereinbaren will. Für diesen Ansatz spricht dagegen ganz wesentlich, daß er den internationalen Charakter des CISG gebührend berücksichtigt; insbesondere öffnet die Forderung, daß die nationalrechtliche Qualifikation von Systembegriffen irrelevant für die Bestimmung des Regelungsbereichs des CISG sein müsse, den Blick für eine teleologisch und funktional orientierte Sichtweise des Qualifikationsproblems.

c) Autonomes Modell Schlechtriems In eine ähnliche Richtung geht die Interpretation Schlechtriems:49 Die einheitliche Anwendung des CISG sei insbesondere dann in Frage gestellt, wenn in jedem Vertragsstaat der Begriff der Vertragsgültigkeit nach dem jeweiligen nationalen Recht qualifiziert werde. Dann nämlich seien in Anwendung des Art. 4 S. 2 lit. a) jeweils andere nationale Rechtsbehelfe vom Regelungsbereich des Einheitsrechts ausgenommen und könnten in der Folge zu ihm in Konkurrenz treten. Dies müsse dadurch verhindert werden, daß der Begriff der Vertragsgültigkeit rein autonom, also einheitlich bestimmt werde: Demnach könnten positiv nur solche Fragen zur Vertragsgültigkeit gehören, die auch einheitlich, also in allen oder zumindest in der Mehrzahl der Vertragstaaten dazu gezählt würden. Dies könne man beispielsweise von der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums50 - was nach deutschrechtlicher Qualifikation ein typischer Fall des in4 8

Beispiele nach Honnold, Uniform Law, See 65, 73.

4 9

Schlechtriem, Unification, S. 126ff. (128); UN-Kaufrecht, S. 23f.

5 0

Dazu näher unten S. 162ff.

40

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfüllung

neren Konsenses, also der Vertragsgültigkeit wäre - nicht annehmen.51 Andererseits führt Schlechtriem aus, daß die Frage der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums im CISG geregelt sei, da dieses den Problemkreis der Verantwortung des Verkäufers für ein fehlerhaftes Produkt, dem auch der Eigenschaftsirrtum unterfalle, erschöpfend behandle. Daraus schließt er implizit,52 daß eine solche Frage keine "genuine question of validity" (i.S.d. Art. 4 S. 2 lit. a) sein könne. Diese weitere Argumentation Schlechtriems läuft auf eine negative Definition des Begriffes der Vertragsgültigkeit hinaus: Alle Tatbestände, die im Abkommen geregelt seien, seien allein deswegen schon keine Gültigkeitsfragen mehr. Diese Ansicht stößt in folgenden Punkten auf Kritik: Die positive Definition, die den Bereich der Vertragsgültigkeit nur als Schnittmenge aller entsprechenden Normen der Mitgliedstaaten sieht, ist sehr schwer zu bestimmen - es müßte eine aufwendige rechtsvergleichende Untersuchung durchgeführt werden - und stellt den Rechtsanwender deswegen vor kaum lösbare Probleme. Man kann den Verfassern des CISG wohl nicht unterstellen, daß sie eine solch injustiziable Auslegung im Sinn hatten. Auch Schlechtriem selbst dient diese Definition nur zur Folgerung, man könne eben nicht annehmen, daß alle Vertragstaaten eine bestimmte Frage (z.B. einen Eigenschaftsirrtum) als Problem der Vertragsgültigkeit betrachteten. Insofern stellt sich die positive Definition mehr als findiges Manöver dar, um die Klippe der Vertragsgültigkeit unbeschadet zu umschiffen, als daß es sich um eine reelle und brauchbare Abgrenzungsformel handelte. Die negative Definition - die nicht zwingend aus der positiven folgt - ist teilweise irreführend. Der Schluß, daß eine Frage, die im Abkommen geregelt ist, keine Gültigkeitsfrage sei, ist nicht logisch zwingend. Denn in der "Soweit-Ausnahme" (Art. 4 S. 2 1. Hs.) wird vorausgesetzt, daß das Abkommen ausdrückliche Regelungen einer Gültigkeitsfrage enthalten kann. Das erkennt freilich auch Schlechtriem; in seinen Ausführungen gegen die Zulässigkeit der Anfechtung neben Rechtsbehelfen des Einheitsrechts geht er jedoch offenbar davon aus, daß die Anfechtung überhaupt keine Gültigkeitsfrage i.S.d. Art. 4 S. 2 lit. a) sei. Das läuft aber nicht nur der Qualifikation der meisten nationalen Rechte, sondern auch der des UN-Entwurfs über die Vertragsgültigkeit zuwider. Zumindest indiziell zutreffend ist aber die Schlußfolgerung, daß das CISG mit Ausnahme der ausdrücklichen anderen Bestimmungen i.S.d. Art. 4 S. 2 1. Hs. - nach der von ihm selbst zugrunde gelegten autonomen Qualifikation Gültigkeitsfragen nicht weiter regele. Denn sonst hätte Art. 4 S. 2 lit. a) ja ei5 1 Davon spricht Schlechtriem a.a.O. nicht ausdrücklich; diese Folgerung ist jedoch zwingend, weil sonst diese Frage keinesfalls unter den Regelungsbereich des CISG fallen könnte. 5 2 Ansonsten erscheint seine Gedankenführung (Unification S. 127 Fn. 11 Nr. 1) nicht verständlich.

2. Kapitel: Externe Lcken

41

nen Anwendungsausschluß für im Einheitsrecht geregelte Fragen zur Folge, was nicht Intention der Bestimmung sein kann. Wegweisend sind weiterhin Schlechtriems allgemeinere Ausführungen an anderer Stelle.53 Danach müsse über die Bestimmung des Anwendungsbereichs und die Lückenfüllung generell eine autonome und funktionale Qualifikation entscheiden, nicht die Einordnung der betreffenden Frage nach der lex fori. Eine "Soweit-Ausnahme" i.S.d. Art. 4 S. 2 1. Hs. könne schon dann bejaht werden, wenn eine Frage im Abkommen "speziell und abschließend" geregelt werde.54 Welche Wertung sich dahinter genau verbirgt, bleibt jedoch unklar.

3. Nationalrechtliches Modell Lessiaks Lessiaks Ausführungen basieren auf der Überlegung, eine nationale Norm könne vom CISG nicht schon dann verdrängt werden, wenn ein Sachverhalt auch nur in einem Teilbereich von einem einheitsrechtlichen Tatbestand erfaßt sei, während er gleichzeitig vom nationalen Recht spezieller (wegen des Erfordernisses zusätzlicher Tatbestandsvoraussetzungen) geregelt würde.55 Noch allgemeiner folgert er weiter, es sei auch nicht die Absicht des CISG, den Parteien einen Rechtsbehelf des nationalen Rechts abzuschneiden. Aus diesen Gründen sei auch eine restriktive Auslegung des Ausnahmetatbestandes in Art. 4 S. 2 1. Hs. ("soweit in diesem Übereinkommen nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist...11) geboten. Dies lege besonders die authentische englische Fassung ("...except as otherwise expressly provided in this convention...") nahe. Allgemein führe die autonome Auslegung, die auf der Annahme basiere, daß eine im Abkommen geregelte Frage keine Gültigkeitsfrage sei, dazu, daß Art. 4 dann eigentlich überflüssig wäre: Denn wozu bedürfte es eines Anwendungsausschlusses für eine Frage, die sowieso nicht im Abkommen enthalten sei. Dagegen spreche bereits die Formulierung des Art. 4 als Grenzziehungsvorschrift, die wiederum nur dann sinnvoll sei, wenn darin eine Abgrenzung von etwas außerhalb des Abkommens Liegendem vorgenommen werde. Umgekehrt werde Art. 4 verständlich, wenn eine Frage, die im CISG geregelt sei, als Gültigkeitsfrage qualifiziert werden könne und deswegen kraft seiner abdrängenden Zuweisung grundsätzlich vom Anwendungsbereich des CISG ausgenommen werde. Zu dieser Feststellung, daß nämlich eine im CISG be5 3 5 4

Schlechtriem-Schlechtriem

Einl. m S. 30f.

Schlechtriem, UN-Kaufrecht, S. 19; ähnlich Enderle in/Maskow/Strohbach auf Schlechtriem berufend) Art. 4 Nr. 3.1: "funktional äquivalent". 5 5

riems.

(sich

Dieses Argument zielt vor allem gegen die autonome Qualifikation Schlecht-

42

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfüllung

handelte, jedoch nicht ausdrücklich bestimmte Frage die Vertragsgültigkeit betreffe, obwohl das Abkommen solche Fragen wie gezeigt gar nicht regeln wolle, komme man nur, wenn man den Begriff der Vertragsgültigkeit nicht autonom, sondern nach nationalem Recht qualifiziere. Dieser Meinung ist zuzugeben, daß einer Partei nicht einfach ein außerhalb des Abkommens stehender Rechtsbehelf genommen werden kann, nur weil der betreffende Sachverhalt im CISG in irgendeinem Teilbereich erfaßt wird. Hier bedarf es vielmehr einer subtileren Abwägung. Außerdem stößt - wie aufgezeigt - die autonome Definition auf die grundlegende Schwierigkeit, daß sie einen Begriff exakt bestimmen will, der im CISG nur vage umschrieben wird. Nicht überzeugend ist aber die Folgerung, daß deswegen eine nationalrechtliche Qualifikation der einzig normenlogisch vertretbare Ausweg sei. Denn wie sich aus der Entstehungsgeschichte ergibt,56 verstanden die Verfasser unter Vertragsgültigkeit einen durch den UN-Entwurf vorgeprägten autonomen Begriff, der nicht nur aus dem CISG selbst abzuleiten ist. Deswegen ist es nicht schlüssig, daß Art. 4 bei autonomer Qualifikation ein überflüssiger Anwendungsausschluß für sowieso nicht vom Abkommen erfaßte Fragen wäre. Auch der autonom qualifizierte Begriff nimmt somit nach der Vorstellung der Verfasser des CISG auf etwas außerhalb des Abkommens Liegendes Bezug. Insofern ist Art. 4 als Grenzziehungsvorschrift sinnvoll. Hauptsächlich ist gegen Lessiak jedoch einzuwenden, daß seine radikal nationalrechtliche Qualifikation ohne jegliches einheitsrechtliches Korrektiv gerade bei Fragen der Vertragsgültigkeit dazu führen würde, daß in jedem Land andere Fragen als Probleme der Vertragsgültigkeit i.S.d. Art. 4 S. 2 angesehen würden. Dies würde - wie beschrieben - natürlich den Zielen der Rechtsvereinheitlichung und internationalen Rechtssicherheit und -klarheit grob widersprechen. Lessiaks Lösungsansatz kann deshalb nicht gefolgt werden.

III. Eigenes Modell a) Aus den dargelegten Lösungsansätzen läßt sich ungefähr ableiten, welche Anforderungen eine sachgerechte Lösung erfüllen sollte: Vorrangig muß sie gewährleisten, daß alle vom CISG in wesentlichen Teilen geregelten Fragen auch wirklich nach den Vorschriften des Abkommens behandelt werden und nicht durch die Hintertür einer nationalrechtlichen Qualifikation der Vertragsgültigkeit aus dessen Anwendungsbereich herausgenommen werden.57 Dane5 6 5 7

ObenS. 36f.

Dafür sprechen sich nicht nur die deutsche Lehre, sondern auch einige Autoren der fremdsprachigen Literatur aus. So beispielhaft für das Verhältnis des CISG zum portugiesischen Recht Bento Soares/Moura Ramos S. 97 Fn. 28: "Ο afastamento limi-

2. Kapitel: Externe Lcken

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ben sollte sich eine solche Lösung vernünftig aus dem Wortlaut des Art. 4 S. 2 unter Einbeziehung der "Soweit-Ausnahme" ableiten lassen. Vorzugsweise sollte dabei die Qualifikation des Begriffes der Vertragsgültigkeit so anwenderfreundlich wie möglich sein - insbesondere sollte auf weitgehende rechtsvergleichende Untersuchungen oder eine Auswertung der Materialien verzichtet werden können. Denn ansonsten ist die Gefahr groß, daß Gerichte aus Opportunitätsgründen in nationalrechtliche Bahnen abgleiten. Eine sachgerechte Lösung sollte schließlich auch die Fälle befriedigend lösen, die nur teilweise oder funktional und inhaltlich unterschiedlich im Vergleich zu einem nationalen Recht vom CISG erfaßt werden. Dies macht ein Verfahren erforderlich, das bestimmt, unter welchen Voraussetzungen eine Regelung des CISG eine tatbestandlich ebenfalls einschlägige nationale Gültigkeitsvorschrift verdrängen kann. b) Versucht man sich nun näher an eine Lösung heranzutasten, ist zunächst festzuhalten, daß die von den Literaturstimmen im Zusammenhang mit der näheren Charakterisierung des Gültigkeitsbegriffs diskutierten Probleme zu zwei ganz verschiedenen Themenkomplexen gehören: zum einen zur Festlegung des Regelungsbereichs des CISG, und zwar im Hinblick auf dessen mögliche Einschränkung bei Gültigkeitsfragen, zum anderen zur Frage, welches Schicksal nationale Normen, die in casu mit einer einheitsrechtlichen Norm konkurrieren, erfahren sollen, insbesondere wann und unter welchen Umständen sie verdrängt werden können. Die erste Frage erscheint einer einfachen und nicht umstrittenen Lösung zugänglich. Aus den zitierten Literaturmeinungen und den oben aufgestellten Anforderungen an eine sachgerechte Lösung ergibt sich, daß die Bejahung einer Gültigkeitsfrage keinesfalls, gleich nach welcher Qualifikation des Begriffes, dazu führen darf, daß - ausdrücklich festgeschriebene oder auch erst im Wege der autonomen Lückenfüllung entwickelte - Regelungen des Abkommens, die diese Frage betreffen, von der Anwendung ausgeschlossen sind. Denn sicher wollte sich das Abkommen in Art. 4 S. 2 nicht für von ihm geregelte Fragen selbst ausschließen. Zu diesem Zwecke muß Art. 4 S. 2, aber nur soweit die Zuordnung einheitsrechtlicher Bestimmungen betroffen ist, zwingend autonom qualifiziert werden. Eine nationalrechtliche Qualifikation des Gültigkeitsbegriffs könnte nämlich dazu führen, daß eine einheitsrechtliche Bestimmung, die mit einer nationalen Gültigkeitsvorschrift konkurriert, in Anwendung des Art. 4 S. 2 vom Anwendungsbereich des Abkommens ausgenommen würde - ein absurdes Ergebnis. Aufgrund der Existenz der "Soweit-Ausnahme" in Art. 4 S. 2 1. Hs. ist man jedoch der schwierigen Aufgabe enthoben, den Begriff Gültigkeitsfrage abschließend autonom definieren zu müssen. Die Anwendbarkeit nar dos problemas referentes à validade dos contratos do àmbito material da Convençao nao terrà ο significado de arredar normas convencionais sobre diversos pontos que, no interior dos sistemas juridicos nacionais, possam ser considerados pertinentes à validade do contrato."

44

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfllung

einer Norm des CISG ist nämlich gewährleistet, wenn sie entweder ihrem materiellen Gehalt nach keine Gültigkeitsfrage betrifft oder als ausdrückliche andere Bestimmung i.S.d. 1. Hs. gelten kann. Dabei besteht entgegen Kindler 58 keine Notwendigkeit, in der überwiegenden Zahl der Fälle auf die Annahme einer "Soweit-Ausnahme" auszuweichen. Denn wie oben59 begründet, können zu einer positiven "Grobeingrenzung" des Gültigkeitsbegriffs das Erfordernis der materiellen Gültigkeit sowie der mehrfach erwähnte UNIDROIT-Entwurf herangezogen werden. Vergleicht man insbesondere letzteren mit dem CISG, kommt man zu dem Ergebnis, daß dieses kaum Gültigkeitsregelungen im dort definierten Sinn enthält. Viel schwieriger ist die zweite Frage nach den Bedingungen für eine Verdrängung konkurrierenden nationalen Rechts. Man könnte zunächst versuchen, die betreffenden nationalen Bestimmungen einer verfeinerten autonomen Qualifikation im Hinblick auf das Vorliegen einer Gültigkeitsfrage zuzuführen. Fest steht nach dem oben Gesagten, daß das CISG Gültigkeitsfragen nicht regeln will, wohl aber den Vertragsschluß und die aus ihm erwachsenden Pflichten der Parteien. Diese Zweiteilung könnte als Ansatzpunkt fur eine autonome Qualifikation begriffen werden. Ließe sich demnach eine Vorschrift nicht dem Vertragsschluß oder den vertraglichen Pflichten zuordnen - was indiziell zu bejahen wäre, wenn sie im Abkommen keine inhaltliche Entsprechung fände -, wäre eine Zuordnung in den Bereich der materiellen Vertragsgültigkeit möglich, sofern die Vorschrift nicht die formelle Gültigkeit beträfe oder über das Vertragsrecht selbst hinausginge. Ergänzend könnte der Inhalt des UN-Entwurfs zur Vertragsgültigkeit herangezogen werden, da er von den Verfassern des CISG zumindest als konzeptioneller Ausgangspunkt in ihren Willen aufgenommen wurde. Die darin geregelten Probleme könnten also indiziell dem Bereich der Vertragsgültigkeit i.S.d. Art. 4 S. 2 lit. a zugeordnet werden.

Dieser weitere autonome Auslegungsversuchs hätte zunächst den gewichtigen Nachteil, daß er, sofern man den UNIDROIT-Entwurf nicht als abschließenden Katalog heranziehen wollte (wofür Hinweise in der Enstehungsgeschichte fehlen), immer noch unpräzise und auch kaum mehr einer Weiterentwicklung fähig wäre. Dies liegt daran, daß ein autonomer Systembegriff, der nicht auch abschließend autonom definiert werden kann, zu einer genauen Abgrenzung einfach nicht ausreicht. So geben der Begriff Vertragsgültigkeit als solcher und seine Entstehungsgeschichte eben nur unvollständige Hinweise auf die davon erfaßten Rechtssätze. Alle autonomen Qualifikationsversuche kranken aber noch an einer grundlegenderen Schwäche. Denn selbst wenn am Ende der Qualifikation feststünde, daß es sich bei der betreffenden nationalen Bestimmung tatsächlich um eine Gültigkeitsvorschrift handelte, könnte nach der erwähnten Zielbestimmung des Art. 7 I eine Verdrängung konkurrierender Bestimmungen des 5 8

Vgl. oben Fn. 54.

5 9

S. 39.

2. Kapitel: Externe Lcken

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CISG keinesfalls hingenommen werden; nicht einmal ihre kumulative Anwendung entspräche dem dargelegten Vereinheitlichungszweck des Abkommens, wenn dabei Normwidersprüche zulasten des Einheitsrechts bestehen blieben. Deswegen bliebe eine nachträgliche Korrektur des Ergebnisses zugunsten des CISG unverzichtbar. Konstruktiv wäre dies möglich: Man könnte auch bei Bejahung einer nationalen Gültigkeitsvorschrift deren Verdrängung begründen, indem man die konkurrierenden einheitsrechtlichen Normen als andere Bestimmung i.S.d. Art. 4 S. 2 1. Hs. auffaßte, die den Regelungsausschluß des CISG für die betreffende Gültigkeitsfrage revidierte. 60 Unter welchen wertungsmäßigen Voraussetzungen auf diese Konstruktion zurückzugreifen ist, bleibt jedoch unklar. Insgesamt verstellen die verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten des Systembegriffs Gültigkeit den Blick darauf, daß eine vernünftige, der Teleologie der einheitlichen Anwendung des CISG entsprechende Lösung der Verdrängungsfrage nur durch einen direkten Vergleich der konkurrierenden Normen und der hinter ihnen stehenden Funktionen und Teleologien selbst möglich sein dürfte. Mit anderen Worten bedeutet dies, daß die Beantwortung der Verdrängungsfrage auch bei Art. 4 S. 2 von der Ebene der Kollisions- auf die der Sachnormen verlagert werden sollte (hier sog. Konkurrenzlösung). Wohl am einfachsten geht man dabei wie folgt vor: Als erster Schritt ist zu prüfen, ob das vom IPR des Forums berufene Lückenfüllungsstatut ein auch im Einheitsrecht geregeltes Problem als Gültigkeitsfrage ansieht. Dieses Vorgehen bedeutet keine abschließende nationalrechtliche Bestimmung des Gültigkeitsbegriffes, sondern dient nur dazu, aus dem nationalen Recht die materiellen Normen auszusondern, die mit dem CISG in casu in Konkurrenz treten können.61 So sind etwa nationalrechtliche Vorschriften zur Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums den Vorschriften über die Vertragskonformität der Ware (Artt. 35ff.), die consideration- Lehre des common law den Bestimmungen über Vertragsschluß und Formfreiheit gegenüberzustellen.

Hat man die konkurrierenden Normen gefunden, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob in der Normenkonkurrenz die Regelung des Einheits6 0

Eine solche andere Regelung einer Gültigfaeitsfrage zwingend in einer einheitlichen Gültigkeitsvö/vscÄri/r liegen.

muß logisch auch nicht

6 1 Allenfalls theoretisch denkbar ist das Problem, daß das Abkommen eine Frage als Gültigkeitsfrage wertet und nicht regelt, während das Lückenfüllungsstatut die Frage nicht als solche qualifiziert und systematisch an anderer Stelle regelt. Würden dann infolge einer nationalrechtlichen Qualifikation nur die Bereiche, die das Lückenfüllungsstatut als Gültigkeitsfragen anerkennt, diesem überantwortet, könnte dies zu einem Normmangel führen. Wenn sich durch das CISG eine Frage auch nicht mit Hilfe autonomer Lückenfüllung lösen läßt, wird man aber selbstverständlich auf die funktional passenden Normen des Lückenfüllungsstatuts zurückgreifen. Zu der Erkenntnis, daß das CISG diese Frage als Gültigkeitsfrage begreift, wird man mangels näherer autonomer Definition des Begriffes gar nicht kommen.

46

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfüllung

rechts wertungsmäßig vorrangig ist. Wenn das der Fall ist, wird die nationale Norm verdrängt; falls kein Vorrang zu ermitteln ist, sind beide Normen kumulativ anwendbar. Diese Untersuchung ist unter Zuhilfenahme funktionaler und teleologischer Kriterien durchzuführen. Wegen ihrer allgemeinen Bedeutung für die Frage der Verdrängung von Normen des nationalen Rechts wird sie in einem eigenen Kapitel über die normenverdrängende Konkurrenz noch genauer behandelt, auf das hier verwiesen wird. 62 Geht man von einem nationalen Institut in diesem Bereich - etwa der consideratio/i-Lehre - aus und vergleicht diese mit den Regelungen des CISG, könnte man dabei auf funktional gleichwertige oder ähnliche Regelungen (etwa die Formvorschriften der Artt. 1 lf.) stoßen. Diese gingen dann vor und verdrängten die nationale Regelung. 63

Dieses Vorgehen läßt sich auch mit dem Wortlaut des Art. 4 S. 2 in Einklang bringen: Es erscheint durchaus vertretbar, daß eine autonome Kollisionsnorm ausnahmsweise - als "Bezugsobjekt" bei der Abgrenzung - auf ein nationales Statut verweist, sofern die einheitliche Anwendung des Abkommens insgesamt nicht gefährdet wird. 64 Als einheitsrechtliches Korrektiv kann hier nämlich, wie bereits erwähnt, die "Soweit-Ausnahme" herangezogen werden: Wenn sich bei der Prüfung der Normenkonkurrenz ergibt, daß nach dem anwendbaren nationalen Recht ein Problem der Vertragsgültigkeit vorliegt, die betreffende Frage gleichwohl im CISG wertungsmäßig vorrangig geregelt ist, dann kann insoweit eine ausdrückliche andere Bestimmung i.S.d. Art. 4 S. 2 1. Hs. angenommen werden. Das Tatbestandsmerkmal "ausdrücklich" wird dabei in zulässiger Weise weit ausgelegt: Ausdrücklich heißt nicht notwendigerweise direkt, sondern kann auch noch wertungsmäßig vorrangig bedeuten;65 denn es wäre illusorisch anzunehmen, daß das CISG, das schon nicht definiert, was es unter einer Gültigkeitsfrage versteht, noch weitergehend eine Ausnahme von diesem weitgehend "anonym" bleibenden Begriff dem Wortlaut nach genau erfassen sollte ("ausdrückliche" andere Bestimmung). Kommt man im erwähnten Beispiel der Konkurrenz zwischen Artt. 35ff. und einer nationalen Anfechtungsvorschrift zum Vorrang des CISG und läßt demzufolge die Anfechtung nicht zu, so entspricht das, übertragen auf die Konstruktion des Art. 4 S. 2 1. Hs., der Annahme einer ausdrücklichen anderen Bestimmung in Gestalt der Gewährleistungsvorschriften. 66 Wenn der ein6 2

Unten S. 83ff.

6 3

Ausführlich zu diesem Fall unten S. 96.

6 4

Vgl. schon oben S. 31.

6 5

Ähnlich Enderlein/Maskowf

6 6

Strohbach Art. 4 Nr. 3.1.

Auch wenn das nicht so klar ausgesprochen wird, verfährt die Literatur im Grunde ähnlich: Es wird etwa argumentiert, eine ausdrückliche andere Bestimmung i.S.d. Art. 4 S. 2 1. Hs. müsse "speziell und abschließend" oder "funktional äquivalent" sein oder "ein im wesentlichen gleicher Tatbestand (des Abkommens) müsse ge-

2. Kapitel: Externe Lcken

47

heitsrechtlichen Norm dagegen kein Vorrang zukommt, bedeutet das, daß beide Normen nebeneinander zur Anwendung gelangen. Erstere ist dann keine andere Bestimmung i.S.d. Art. 4 S. 2 1. Hs. Die klassischen nationalen Gültigkeitsbestimmungen - etwa Fragen der public policy wie devisen- oder außenwirtschaftsrechtliche Vorschriften - können z.B. nicht durch die Vertragsabschluß- und Formvorschriften des CISG als verdrängt angesehen werden. Denn das Abkommen hat sich bewußt einer Regelung dieser Bereiche enthalten. 67

Diese Konkurrenzlösung ist geeignet, alle genannten Anforderungen zu verwirklichen: Sie ermöglicht eine wertungsmäßige Abwägung zwischen einheitsrechtlichen und nationalen Normen, sie ist vom Wortlaut des Art. 4 S. 2 getragen und verzichtet ferner auf die nur kompliziert und vage mögliche autonome Bestimmung des Begriffes Vertragsgültigkeit68 Sie ist jedoch auch insofern autonom, als die Regelungen des CISG und die hinter ihnen stehenden funktionalen und teleologischen Wertungen die allein maßgebende Richtschnur für die Verdrängung nationalen Rechts darstellen. Sie erlaubt schließlich eine systematisch einheitliche Behandlung aller im Zusammenhang mit externen Lücken auftretenden Konkurrenzfragen.

§ 4 Gültigkeit von Gebräuchen

Art. 4 S. 2 lit. a) schreibt in der 3. Alt auch für die Frage der Gültigkeit von Gebräuchen eine externe Lücke fest. Gebräuche und Gepflogenheiten sind im Abkommen wie im nationalen Recht in zweierlei Hinsicht bedeutsam: erstens bei der Frage, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt (z.B. bei Schweigen in besonderen Umständen), und weiter bei der Ermittlung der genauen Rechtsfolgen einer bestimmten Erklärung.69 Der Begriff Gebräuche ist einheitsrechtlich zu bestimmen. Anders als noch Art. 13 IEAG und § 1-205 UCC enthält das CISG zwar keine eigene Defini-

nügen", (Schlechtriem-Herber Art. 4 Rz. 13 Fn. 21c), um eine konkurrierende, tatbestandlich ebenfalls "passende" Vorschrift des nationalen Rechts zu verdrängen. Ähnlich neuestens auch Flesch, Irrtum und Verschlechterungseinrede, S. 875. Ungerechtfertigt ist angesichts dieser Lösungsvorschläge der pauschale Vorwurf Neumayers (Neumayer/Ming Art. 4 Nr. 6; Neumayer S. 10lf.), die deutsche Literatur entscheide diese Frage einfach so wie die entsprechende Konkurrenz im nationalen Recht zwischen § 459 und § 119 Π BGB. 6 7

50.

So insbesondere Honnold, Uniform Law and UCC, S. 23f. Vgl. auch oben Fn.

6 8

Zugegebenermaßen erschöpft sich die Bedeutung des Art. 4 S. 2 bei dieser Auslegung weitgehend in einer Klarstellung; denn ohne sie würde man - um eine Auslegungshilfe ärmer geworden - ähnlich verfahren. 6 9

Grundlegend Baumbach/Duden/Hopt

§ 346 1 A.

48

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfllung

tion;70 gleichwohl erschließt sich der Begriff in Art. 91 durch die Abgrenzung zu nur relativ wirkenden Gepflogenheiten, die als ständige Übung in früheren Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien entstanden sind. Danach ist unter Gebräuchen eine allgemein anerkannte und verpflichtende Übung der betr fenden Verkehrskreise zu verstehen.71 Die Umschreibung der Geltungsvoraussetzungen für bestimmte Gebräuche in Art. 9 Π darf dagegen nicht als allgemeine Definition herangezogen werden; sonst wäre Art. 91 überflüssig. 72 Von Gebräuchen zu trennen sind Regelwerke wie Musterverträge im Außenhandel, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Incoterms 1980 oder Richtlinien der Internationalen Handelskammer fur Dokumenten-Akkreditive. Regelmäßig sind nur einzelne Bestandteile daraus gleichzeitig auch Handelsbräuche. 73 Soweit das jedoch nicht der Fall ist, ist die Einbeziehung solcher Regelwerke nach Art. 8 I I , Ι Π und nicht nach Art. 9 zu prüfen. 74

Der Geltungsgrund von Gebräuchen nach dem Abkommen ist verschieden. Zunächst sind die Parteien nach Art. 9 I an Gebräuche, mit denen sie sich (ausdrücklich oder stillschweigend) einverstanden erklärt haben, und entstandene Gepflogenheiten gebunden. Mittels einer solchen vertraglichen Vereinbarung können die Parteien alle Arten von Gebräuchen einbeziehen, gegebenenfalls auch rein nationale, denen keine internationale Geltung i.S.d. Art. 9 II zukommen würde, etwa weil es sich nicht um einen vergleichbaren Vertrag im selben Geschäftszweig handelt. Art. 9 II statuiert unter engen Voraussetzungen auch eine Bindung an solche Gebräuche, die unabhängig vom Geltungswillen der Parteien auf den Vertrag Anwendung finden (sog. normative Gebräuche). Solche müssen aber allgemeine Geltung im internationalen Verkehr besitzen, und zwar sowohl in dem Geschäftszweig (z.B. Maschinenbau), in dem das Geschäft abgeschlossen wird, als auch für Geschäfte der in Frage stehenden Art. (z.B. des Groß-, Versand, oder Einzelhandels).75 Zudem - insofern findet ein subjektives Merkmal Eingang in den normativen Begriff - ist erforderlich, daß die (konkreten) Parteien den jeweiligen Brauch kannten bzw zumindest hätten kennen müssen. Darüber hinaus muß es sich bei den Parteien jedoch nicht um Kaufleute i.S.d. 7 0 In Art. 6 des New Yorker Entwurf (UNCITRAL Yearbook I X (1978), S. 84) war noch eine Definition enthalten, die jedoch nicht ins Wiener Abkommen übernommen wurde: "For the purpose of this Convention, usage means any practice or method of dealing of which the parties knew or ought to have known and which in international trade is widely known to and regularly observed by parties to contracts of the type involved in the particular trade concerned." 7 1

Vgl. auch Schlechtriem-Junge Art. 9 Rz. 2.

7 2

Czerwenka S. 174f.

7 3

Im nationalen Recht dagegen sind bestimmte Regelwerke - z.B. die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) - in ihrer Gesamtheit zu Handelsbräuchen geworden. 7 4

Schlechtriem-Junge Art. 9 Rz. 8.

7 5

Karollus S. 52.

2. Kapitel: Externe Lcken

49

HGB handeln. Denn im Unterschied zum personenbezogenen Kaufmannsbegriff des HGB nimmt das CISG die handelsrechtliche Qualifizierung geschäftsbezogen vor: so allgemein durch den Ausschluß von Konsumentenkäufen in Art. 2 a) und für Gebräuche speziell in Art. 9 II. Wegen der autonomen Bestimmung des Begriffes Gebräuche ist die Gültigkeitsprüfung, 76 die nach dem Lückenfüllungsstatut77 (Art. 4 S. 2 lit. a) 3. Alt) vorzunehmen ist, problematisch. Klar ist zwar, daß Gültigkeit hier nicht die Frage der Existenz als solche betrifft, denn diese geht ja schon in der obigen Definition auf; gemeint ist vielmehr die Inhaltskontrolle von Gebräuchen 7 8 Nur: Wie soll das nationale Lückenfüllungsstatut sinnvoll eine solche Inhaltskontrolle von Gebräuchen im einheitsrechtlichen Sinn durchführen? Das setzt voraus, daß auch das jeweilige nationale Recht das Institut der Gebräuche in einem zumindest ähnlichen Inhalt kennt, was bei den europäischen Rechtsordnungen zutrifft; ferner, daß dieses Recht auch eine Unterscheidung nach Geltung (Existenz) und Inhaltskontrolle zuläßt.79 Denkbar ist aber auch, daß zwingende Normen eines bestimmten Lückenfüllungsstatuts entgegenstehen oder daß ein solches die Existenz von Gebräuchen überhaupt nicht kennt.80 In derartigen Fällen ist wieder ein einheitsrechtliches Korrektiv anzubringen, das gemäß der hier vertretenen Konkurrenzlösung an der "Soweit-Ausnahme" des Art. 4 S. 2 1. Hs. festzumachen ist. Demnach ist die Existenz von Gebräuchen als solche im Abkommen vorrangig geregelt und kann nicht über eine nationale Gültigkeitsregelung negiert werden. Auch gegenüber nationalen Regelungen, die Gebräuche als nachrangig gegenüber anderen dispositiven Regelungen einstufen,81 geht das CISG vor.

7 6 Die Gültigkeit von Gepflogenheiten, die von den Gebräuchen zu trennen sind, ist dagegen eine Frage der Vertragsgültigkeit (Art. 4 S. 2 l i t a). 7 7 Wenn sich ein Handelsbrauch auf Geschäfte erstreckt, die an einen bestimmten Ort gebunden sind - etwa Messen oder Häfen - so soll nach Schlechtriem-Junge Art. 9 Rz. 5 unter Ausschaltung des Kollisionsrechts stets das Sachrecht dieses Ortes als Lückenfüllungsstatut für die Gültigkeitsprüfung kompetent sein. Dabei geht es jedoch vorwiegend um internationale Bräuche, die sich zweifellos auch an ortsgebundenen Einrichtungen mit vielen ausländischen Teilnehmern und Nutzern etablieren können. Auch wenn ein solcher qualifizierter Bezug zu einem bestimmten Geltungsort besteht, erscheint es jedoch nicht geboten, abweichend von den Regeln des IPR fur die Gültigkeit stets das Sachrecht dieses Ortes heranzuziehen. 7 8 So auch Karollus S. 43, 50. Insoweit kann es zu Mißverständnissen fuhren, wenn man wie Junge (Schlechtriem-Junge Art. 9 Rz. 5) bei der Gültigkeit von "Anerkennung durch die kompetente Rechtsordnung" spricht. Unklar auch Herbert Czerwenha Art. 9 Rz. 5. 7 9

Schlechtriem-Junge A r t 9 Rz. 2 Fn. 3 m.w.N

8 0

Letzteres kann z.B. in einem planwirtschaftlichen System zutreffen.

8 1

So z.B. das österreichische Recht. Vgl. Karollus S. 50.

4 Schmid

50

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfllung § 5 Eigentumsfragen

Nach Art. 4 S. 2 lit. b) sind auch die Wirkungen, die der Vertrag auf das Eigentum an der verkauften Ware haben kann, vom Anwendungsbereich des CISG ausgenommen. Damit unterstehen die sachenrechtlichen Konsequenzen des Vertrages grundsätzlich dem Lückenfüllungsstatut. Das gilt unabhängig davon, ob das betreffende Rechtssystem dem Konsensual- oder dem Abstraktionsprinzip folgt. Nach dem Konsensualprinzip geht das Eigentum ex lege mit wirksamem Kaufvertrag über. Dessen Vorliegen ist nach den Bestimmungen des CISG im Rahmen einer Vorfrage zu prüfen. I m Falle der Vertragsaufhebung nach dem CISG oder einem nationalen Ungültigkeitsgrund fällt das Eigentum folglich automatisch wieder an den Verkäufer zurück. In Rechtsordnungen mit Abstraktionsprinzip bedarf es dagegen eines eigenen sachenrechtlichen Ubereignungsvertrages, der vom CISG völlig unabhängig ist. Bei Vertragsaufhebung kann der Verkäufer jedoch auch das Eigentum an der Ware nach Art. 81 I I 1 zurückfordern. Ist ihre Rückgabe im ursprünglichen Zustand unmöglich, so sind die Sonderregelungen der Artt. 82-84 zu beachten, die nationalen Regelungen vorgehen, auch wenn das betreffende nationale Recht diese nicht kaufrechtlich qualifiziert. Demnach werden z.B. im deutschen Recht gegebenenfalls konkurrierende Vorschriften des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses (§§ 347 S. 1 i.V.m. 987ff. BGB) oder des Bereicherungsrechts (§§ 812ff. BGB) insoweit verdrängt.

Am Randefinden Eigentumsfragen auch an zwei weiteren Stellen im CISG Erwähnung. So ist der Verkäufer nach Art. 30 verpflichtet, dem Käufer das Eigentum an der Ware zu verschaffen. In Artt. 41f. wird ferner bestimmt, daß der Verkäufer die Ware frei von Ansprüchen und Rechten Dritter zu liefern hat; dazu zählen insbesondere auch sachenrechtliche Ansprüche und Rechte (z.B. dingliche Sicherheiten). In Art. 42 wird diese Verpflichtung auch auf gewerbliches und anderes geistiges Eigentum ausgedehnt. Nach der Konkurrenzlösung83 kommen diese Regelungen als andere Bestimmungen im Sinne der "Soweit-Ausnahme" (Art. 4 S. 2 1. Hs.) zur Anwendung.

§ 6 Andere externe Lücken

An einigen anderen als den genannten Stellen enthält das CISG ausdrückliche oder mittelbare Verweisungen auf nationales Recht. Diesefinden sich im Unterschied zu den "offenliegenden" Vorschriften des 1. Teils im Sachnormteil des Abkommens.

8 2

Dazu unten S. 104ff.

8 3

Vgl. oben S. 49ff.

2. Kapitel: Externe Lcken

51

Einige Beispiele zur Veranschaulichung: Art. 96 eröffnet Vertragsstaaten, deren Rechtsordnung die Schriftform zum wirksamen Abschluß eines Kaufvertrages fordert, die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen Artt. 11 und 29 oder im Teil II des CISG enthaltene Vorschriften zugunsten des nach den Kollisionsnormen berufenen nationalen Rechts abzubedingen. Der bereits erwähnte Art. 28 - einheitsrechtliche Kollisionsnorm und materiellrechtliche Norm zugleich - beinhaltet für die Frage, ob eine Partei die Erfüllung einer Verpflichtung in natura verlangen kann, eine versteckte Sachnormverweisung auf die lex fori.

§ 7 Gewillkürte externe Lücken

Neben den erörterten gesetzlichen externen Lücken kann es auch noch solche geben, die kraft privatautonomer Gestaltung entstehen. Ihnen kommt eine Sonderstellung zu. Der bereits erwähnte84 Art. 6 eröffnet den Parteien die Möglichkeit, die Geltung des Abkommens ganz auszuschließen, von seinen Bestimmungen abzuweichen oder deren Wirkung zu ändern. Daraus läßt sich a maiore ad minus folgern, 85 daß auch ein teilweiser Ausschluß des CISG möglich sein muß.86 So können Lücken geschaffen werden, die nur relativ inter partes bestehen. Zustandekommen und Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung richtensich nach Art. 6 i.V.m. Teil Π des Abkommens. Wenn eine solche Vereinbarung nicht (oder nicht wirksam87) ein statt des CISG anzuwendendes Lückenfüllungsstatut bestimmt, dann kann zweifelhaft sein, ob die Parteien interne oder externe Lücken schaffen wollten; mit anderen Worten, ob sie eine autonome oder eine Lückenfüllung durch nationales Recht beabsichtigten. Art. 6 bedenkt zwar nur die zweite Möglichkeit, die erste muß jedoch als "Minus" ebenfalls zulässig sein. Was gewollt ist, ist im Einzelfall durch Auslegung der Parteivereinbarung zu bestimmen. Wenn die Parteien das CISG insgesamt abbedingen, wollen sie natürlich nicht eine autonome Lückenfüllung, sondern die Anwendung eines nationalen Rechts; dieses ist dann nach den Regeln des IPR zu bestimmen. Dasselbe Ergebnis kann gewollt sein, wenn wesentliche und abgrenzbare Teile - z.B. der Vertragsschluß - ausgenommen werden. Werden aber nur einzelne Regelungen ausge-

8 4

Vgl. oben S. 29.

8 5

Schlechtriem-Herber

A r t 6 Rz. 6 m.w.N

8 6

I m Unterschied dazu eröffnet Ait. 92 den Staaten beim Beitritt die Möglichkeit, das CISG nur teilweise zu ratifizieren. 8 7 Zur Wirksamkeit einer solchen Rechtswahl vgl. unten S. 82: Lückenfüllung durch Rechtswahl.

*

52

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lcken und Lückenfllung

schlossen, so dürfte regelmäßig eine autonome Ergänzung des Vertrages nach Art. 71, Π gewollt sein; insoweit ist dann eine interne Lücke zu bejahen.88 Insgesamt ist bei der Anwendung der einzelnen lückenumschreibenden Abgrenzungsnormen also stets eine im Ergebnis einheitsrechtsfreundliche Qualifikation vorzunehmen, die das CISG in möglichst vielen Fällen zum Zuge kommen läßt. Wenn demnach bei der Prüfung des sachlichen Anwendungsbereichs des Abkommens keine der in diesem Kapitel erörterten externen Lükken einschlägig ist, muß - in einem nächsten Schritt - eine Zuordnung der betreffenden Frage zum Regelungsbereich positiv geprüft werden.

8 8

Schlechtriem-Herber

Art. 6 Rz. 10.

3. Kapitel: Regelungsbereich und interne Lücken

53

3. Kapitel: Regelungsbereich und interne Lücken Ausgangspunkt für eine positive Bestimmung des Regelungsbereichs des CISG ist der bereits mehrfach erwähnte Art. 4 S. 1. Im Wege systematischer, funktionaler und teleologischer Auslegung (erster Schritt des Qualifikationsvorgangs) lassen sich aus ihm weitere positive Zuweisungskriterien ableiten. Folgende Ansätze verdienen Beachtung:1

§ 1 Schluß von den Sachnormen auf den Regelungsbereich

Wie allgemein bei der Qualifikation lassen sich aus den vorhandenen Sachnormen Schlüsse auf die Reichweite der Kollisionsnormen und damit auf den Regelungsbereich des Abkommens ziehen. Denn es ist selbstverständlich davon auszugehen, daß nach der Intention des CISG alle Fragen, die sich mit Hilfe seiner Sachnormen erfassen lassen, auch als kaufrechtlich zu qualifizieren sind. Diese Methode ermöglicht eine genauere Zuordnung, insbesondere in Randfragen des Einheitsrechts. So sind die im vorigen Kapitel erörterten negativen Zuordnungen (externen Lükken) wenig aufschlußreich für die Frage, ob etwa ein Irrtum über die Eigenschaften der Kaufsache oder ein durch einen Sachmangel verursachter Folgeschaden zum Regelungsbereich des Abkommens gehören. Ermittelt man aber, daß beide Fragen mit Hilfe einheitsrechtlicher Vorschriften - Artt. 35 bzw. 74 -, regelbar sind, so kann man daraus auf eine autonome Bestimmung des Regelungsbereichs schließen, die beide mitumfaßt. _ Freilich sagen diese Überlegungen noch nichts darüber aus, ob und unter welchen Voraussetzungen konkurrierende Vorschriften des nationalen Rechts verdrängt werden. 2

Dieses Vorgehen stellt sich dogmatisch im Grundsatz als Umkehrung des sonst üblichen Qualifikationsvorgangs dar: Während im allgemeinen DPR meist von einem Systembegriff auf die von ihm erfaßten Sachnormen geschlossen wird, leitet man hier aus den vorhandenen Sachnormen Inhalt und Reichweite des Systembegriffs (kaufrechtliche Pflichten i.S.d. Art. 4 S. 1) ab. Dieses Vorgehen kann man als inverse Qualifikation bezeichnen.3 Dieser Ansatz eignet sich auch für die Randbereiche der einheitsrechtlichen Regelungsmaterie, in denen zwar keine konkreten Regelungen mehr vorlie-

1

Zur ähnlichen Problematik im EKG wegweisend Dölle-Wahl Art. 17 Rz. 50ff.

2

Dazu unten S. 94ff.

3

Auch im Rahmen des normalen Qualifikationsvorgangs finden sich (hier sog) "inverse Überlegungen" bei der Frage, welche Sachnormen infolge einer bestimmten Qualifikation anwendbar wären.

54

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfüllung

gen, solche jedoch durch die zugelassenen Instrumente der autonomen Lükkenfüllung entwickelt werden dürfen. Dort läßt sich nämlich ein allgemeiner Maßstab für die Festlegung des Regelungsbereichs aus der Teleologie der Zentralbestimmungen über Regelungsbereich und Lückenfüllung, Artt. 4 S. 1 und 7 I, Π, erschließen: Gemäß Art. 7 I ist die möglichst umfangreiche und einheitliche Anwendung des CISG zu gewährleisten (Ait. 7 I), was nach Art. 7 Π sogar zu der weitgehenden Methode der Rechtsfortbildung durch allgemeine Grundsätze4 berechtigt. Demgegenüber will Art. 4 S. 1 zwar den Anwendungsbereich des Abkommens allgemein festlegen, aber dabei nicht eine möglichst weitgehende Anwendung des Einheitsrechts verhindern. Es entspricht deswegen der ratio beider Bestimmungen, eine Frage jedenfalls dann dem Regelungsbereich des CISG zuzuordnen, wenn sie sich mit den zulässigen Methoden der autonomen Lückenfüllung befriedigend lösen läßt. Der Gegenschluß ist aber nichtrichtig:Wenn eine Frage mit den Instrumenten der autonomen Lückenfüllung nicht befriedigend gelöst werden kann, bedeutet das nicht, daß sie dann auf keinen Fall zum Regelungsbereich des Abkommens gerechnet werden kann. Denn im Rahmen des Art. 7 II ist ja auch der Rückgriff auf nationales Recht zur Ausfüllung von internen Lücken zulässig, wenngleich dieses Vorgehen wegen des Vereinheitlichungszwecks des CISG nur als ultima ratio in Frage kommt. Eine genauere Bestimmung des Problems, wann sich eine Frage mittels autonomer Lückenfüllung befriedigend lösen läßt - mit anderen Worten deren Grenzen nicht überschritten werden - bleibt den Ausführungen zur Lückenfüllung vorbehalten.5

§ 2 Kaufrechtliche Nebenfragen

Kaufrechtlich qualifiziert werden dürfen auch solche Fragen untergeordneter Bedeutung, die in einem engen und unmittelbaren Zusammenhang zu im CISG positiv geregelten Bereichen stehen. Das kann für solche Fragen bejaht werden, die sich als nachrangiger Annex oder kraft Sachzusammenhangs dem kaufvertraglichen Bereich zuordnen lassen. Als Beispiel für eine Annexfrage können Rechtswahlklauseln genannt werden. Wenn in Art. 6 den Parteien die Möglichkeit gegeben wird, das CISG abzubedingen, dann kann daraus e contrario geschlossen weiden, daß auch "aufdrangende Zuweisungen" zum Regelungsbeieich des CISG zulässig sein müssen und sinnvol-

4

Näher dazu unten S. 68f.

5

Dazu unten S. 65ff.

3. Kapitel: Regelungsbereich und interne Lücken

55

lerweise auch nach den Vorschriften des Abkommens selbst auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen sind.6

§ 3 Interessen- und Schutzzwecklösung

Schlechtriem hat zur Abgrenzung kaufrechtlicher Fragen von anderen Bereichen wie dem Deliktsrecht7 eine differenzierte Interessen- und Schutzzwecklösung vorgeschlagen. Auszugehen sei dabei von der Zuordnung eines Sachverhalts zu den im Kaufrecht geschützten Interessen, den diesen entsprechenden Pflichten und dem Wechselverhältnis zwischen Interessen und Pflichten. So seien das Interesse des Käufers, die Kaufsache zu benutzen, zu verbrauchen und gegebenenfalls weiterzuverkaufen, sowie die korrespondierenden Pflichten des Verkäufers kaufrechtlicher Natur. Je nach Ausgestaltung des einzelnen Vertrages seien auch Lieferzeit und vertragskonforme Beschaffenheit der Kaufsache ebenso wie die entsprechenden Verkäuferpflichten dem Kernbereich des Kaufvertrages zuzurechnen. Dagegen gehörten etwa Sorgfaltspflichten und andere auf die Integrität von Leib und Leben sowie Vermögenswerten des Käufers abzielende Pflichten grundsätzlich dem Bereich des Deliktsstatuts an.8 Insgesamt seien nur solche Gegenstände essentiell kaufrechtlicher Natur, die der Verwirklichung kaufrechtlicher Interessen dienten. In der Folge zieht Schlechtriem diese Interessenlösung sogar dazu heran, Fragen, die vom Wortlaut des Abkommens umfaßt sind, vom Anwendungsbereich auszuschließen, weil sie nicht mehr essentiell kaufrechtliche Bereiche berührten und es deswegen am Regelungsinteresse des CISG fehle. Davon betroffen sind insbesondere einige Tatbestände, die nach ihrem Wortlaut vornehmlich den Schutz des Integritätsinteresses bezwecken. Während eine deliktsrechtliche Qualifikation bei Schäden an der Kaufsache selbst noch zweifelhaft sein könne, zählten Mangelfolgeschäden am Eigentum des Käufers nicht mehr zu den essentiell kaufrechtlichen Materien, sie stünden vielmehr dem Deliktsrecht näher. Folglich dürften sie nicht mehr dem CISG unterstellt werden, Ersatzansprüche müßten sich vielmehr nach nationalem Deliktsrecht richten.9 Zu beachten ist aber, daß auch solche Schäden noch unter den Wortlaut der Artt. 45

6 Schlechtriem-Schlechtriem v. Artt. 14 Rz. 11; Schlechtriem-Herber Art. 6 Rz. 16; Asam in JbltR Bd. 3, S. Iff. (9f.).- Dieselbe Konstruktion findet sich im übrigen auch in Artt. 29, 31 Π EGBGB. 7

Schlechtriem, Borderland, S. 467ff. (473 - 475).

8

Diese Unterscheidung erinnert an die vom BGH praktizierte Abgrenzung von Vertrags- und Deliktsrecht nach Integritäts- und Wertinteresse; vgl. etwa den Gaszugfall, BGH 86,256. 9

Borderland, S. 473f.

56

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfllung

I b i.V.m. 74 subsumiert werden könnten, da auch Folgeschäden auf eine Nonkonformität der Kaufware (Artt. 35ff.) zurückgehen. 10 Weiterhin sei der qualifizierte Tatbestand einer betrügerischen oder vorsätzlichen Schädigung des Vertragspartners essentiell deliktischer Natur, auch wenn er ebenfalls unter den Wortlaut des Art. 74 gefaßt werden kann, der freilich die qualifizierte Form der Schädigung nicht berücksichtigt. Ein anderes Beispiel stelle das dem CISG und den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen fremde Institut der punitive damages dar. Könnte der Käufer etwa bei einer betrügerischen Schädigung, die auch unter Art. 74 subsumiert werden könnte, punitive damages nach kalifornischem Recht als Lückenfüllungsstatut verlangen?

In solchen Randfällen, die das CISG mehr oder weniger zufällig noch mitregele, entspreche das Festhalten am Vorrang des Abkommens nicht seiner Teleologie: Sein Regelungsgegenstand seien primär der Kaufvertrag und die daraus resultierenden Rechte und Pflichten der Parteien; es sollte dabei keine abschließende Regelung etwa über Mangelfolgeschäden, qualifizierte Formen der Schädigung oder die Anwendbarkeit dem CISG unbekannter ausländischer Institute wie punitive damages geschaffen werden. Schlechtriems Ansicht läuft also darauf hinaus, die genannten Bereiche im Wege einer teleologischen Reduktion vom Anwendungsbereich des Abkommens auszunehmen. Indessen überzeugt diese auch von Honnold11 abgelehnte Auffassung nicht. Es besteht zunächst keine Notwendigkeit einer teleologischen Restriktion des Anwendungsbereichs unter dem Gesichtspunkt eines mangelnden Regelungsinteresses. Schlechtriem ist zwar insoweit zuzustimmen, als Mangelfolgeschäden, betrügerische Schädigung und punitive damages deliktisch qualifiziert werden können. Daneben kann es aber auch als vertragliche Verpflichtung angesehen werden, bei Vertragsdurchführung keine anderen Güter des Vertragspartners zu schädigen oder ihm auch nicht durch arglistiges oder betrügerisches Verhalten Schaden zuzufügen;12 im Rahmen einer vertraglichen Beziehung ist sogar ein weitergehender Rechtsgüterschutz - etwa durch strengere Sorgfaltsanforderungen als im Deliktsrecht - gerechtfertigt. So gehen z.B. deutsches und amerikanisches Recht von einer Doppelqualifikation von Mangelfolgeschäden als vertraglich und deliktisch aus. Von einer solchen Qualifikation als "auch-vertraglich" geht für den Bereich von Mangelfolgeschäden ersichtlich auch das CISG aus: Die aus dem angloamerikanischen Schadensrecht übernommene contemplation-rule (Art. 74 S.

1 0 Vgl. Borderland, S. 473: "But even if only property damages are caused, which as consequential damages were within the contemplation of the parties and, therefore, recoverable under CISG, Article 74, we are outside the principal domain of interests created by contracts and protected by contractual remedies..." - Terminologisch könnte man insofern von akzidentiellen Regelungen des Abkommens sprechen. 11

Art. 5 Rz. 73 i.F.

12

So ausdrücklich Stoll in: Schlechtriem, Fachtagung, S. 259.

3. Kapitel: Regelungsbereich und interne Lücken

57

2) hat die Funktion, das Schadensrisiko des Schuldners zu begrenzen,13 insbesondere soll sie auch den Schuldner vor weitgehenden Mangelfolgeschäden schützen.14 Insofern kommt ihr eine dem Kausalitäts- und Zurechnungserfordernis des deutschen Rechts vergleichbare Begrenzungsfunktion zu. Wenn aber das CISG durch die Rezeption einer solchen Norm den Fall von Mangelfolgeschäden bedacht hat, wäre es eine sachlich nicht gerechtfertigte Beschneidung des Anwendungsbereichs des Abkommens,15 unter Hinweis auf mangelndes Regelungsinteresse allein nationales Recht zur Anwendung kommen zu lassen. Wenn man argumentiert, es sei nicht Intention des CISG, die Bereiche vorsätzliche oder betrügerische Schädigung und punitive damages abschließend zu regeln, so folgt daraus weiterhin gar nicht zwingend die Notwendigkeit, den Anwendungsbereich des CISG einzuschränken. Denn die Qualifizierungsmerkmale (vorsätzlich etc.) regelt das CISG ohnehin nicht spezifisch. Solche Fälle erfaßt das Abkommen vielmehr nur im Grundtatbestand des Schadensersatzes (Art. 74). Diese Regelung verdrängt entgegen Schlechtriem jedoch nicht die nationalen Qualifikationstatbestände (z.B. § 826 BGB). 16 Wegen der angesprochenen Doppelqualifikation der genannten Bereiche als vertraglich und deliktisch bietet sich vielmehr - wie auch im nationalen deutschen Recht - die Nebeneinander-Anwendung beider Normen an (kumulative Normenkonkurrenz). Mit anderen Worten bedingt die Zuordnung einer bestimmten Frage zum Regelungsbereich des CISG also nicht automatisch die Verdrängung konkurrierenden nationalen Rechts.17 So ist denkbar, daß ein Käufer im Fall einer sittenwidrigen Schädigung durch die Lieferung einer mangelhaften Sache sich auf das Abkommen (Art. 74) und ein nationales Deliktsrecht stützen kann; sollte letzteres das Institut der punitive damages kennen, steht ihm grundsätzlich auch deren Geltendmachung offen. 18 13

Vgl. Schlechtriem-Stoll rikanische Entscheidungen.

Art. 74 Rz. 4 Fn. 8 mit Hinweis auf englische und ame-

1 4 Vgl. § 2-715 (2) UCC: "Consequential damages resulting from the seller's breach include any loss resulting from general or particular requirements and needs of which the seller at the time of contracting had reason to know and which could not reasonably prevented by cover or otherwise (...)". Vgl. Honnold Art. 74 Rz. 406-408 zu Mangelfolgeschäden im Rahmen des Art. 74 S. 2. In diesem Sinne auch Schlechtriem-Stoll Art. 74 Rz. 18. 15 Honnold Art. 5 sec. 73 i.F: "Adding exceptions to the area of uniformity seems inconsistent with the compromise on scope and substance that led to international agreement." 16

Nur unter dieser Prämisse wäre die Einschränkung des Regelungsbereichs die einzige Möglichkeit, die Anwendbarkeit der besagten nationalen Institute sicherzustellen. 17 18

Dazu auch unten S. 94ff.

Nicht einheitsrechtsspezifische Einschränkungen können sich hinsichtlich der Geltendmachung von punitive damages aber aus dem deutschen ordre public (Art. 6 EGBGB) ergeben.

58

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lcken und Lückenfllung

Ungeachtet dieser Kritik ist sicher, daß die Differenzierung nach Integritäts- und Wertinteresse einen grundsätzlichen ersten Anhaltspunkt für die Zuordnung einer Frage zum Regelungsbereich des CISG zu liefern vermag.

$ 4 Entstehungsgeschichte

Die Bedeutung der Entstehungsgeschichte für die nähere Bestimmung des Regelungsbereichs ist problematisch. Zwar ist Honnold zuzugeben, daß jene wichtige Anhaltspunkte für die autonome Auslegung von Abgrenzungsnormen des Abkommens liefert; für die autonome Bestimmung mancher verwendeten Systembegriffe (z.B. Vertragsgültigkeit) fast die einzigen. Andererseits ist in vielen Bereichen aus der Entstehungsgeschichte kein homogener Wille der Verfasser des Abkommens zu entnehmen, der eine sichere Zuordnung von Einzelfragen zum Regelungsbereich erlaubte. Besonders deutlich wird dies auf dem Gebiet der Beweislast, 19 über dessen Zugehörigkeit zum Regelungsbereich des Abkommens die Entstehungsgeschichte widersprüchliche Aussagen enthält. So wurde die Fassung des Art. 25 über die wesentliche Vertragsverletzung mehrmals im Hinblick auf Beweislastüberlegungen geändert; auch die Endfassung wirft Beweislastfragen auf. 2 0 Trotzdem wurde auf der Wiener Konferenz ein ägyptischer Antrag, die Beweislast allgemein zu regeln, abgelehnt. 21 In der Literatur finden sich auch Stimmen, die die Frage als exteme Lücke bezeichnen, im einzelnen aber verschiedene Zugeständnisse machen und Ausnahmen zulassen.22 Ähnlich berichten die Materialien, 23 daß ein Antrag der damaligen DDR, das vielen Vertragstaaten bekannte Rechtsinstitut der culpa in contrahendo alleemein zu regeln, abgelehnt wurde. Daraus wird gemeinhin der Schluß gezogen, 2 4 daß das CISG das vorvertragliche Stadium und die dort entstehenden Pflichten nicht regele, obwohl sich im Abkommen selbst bedeutsame Gegenindizien finden lassen.

Allgemein ist auch zu bedenken, daß der teleologischen Auslegung das Primat gegenüber der historischen zukommt, auch wenn jene sich vielfach erst aus dieser erschließt. Denn die Verwirklichung des - gegebenenfalls aktualisierten - Gesetzesplans ist wichtiger als die Einhaltung der Vorstellungen des historischen Gesetzgebers.

1 9 Vgl. dazu die umfangreiche Untersuchung von Antweiler über die Beweislast im UN-Kaufrecht. 2 0

Vgl. Schlechtriem-Schlechtriem

2 1

Official Records S. 99,295ff.

2 2

Etwa Schlechtriem-Huber ne Grundsätze der Beweislast.

A r t 25 Rz. 16.

Art. 46 Rz. 18a-c mit der Beschränkung auf allgemei-

2 3

Official Records S. 294f., Nr. 77ff.

2 4

Dazu ausführlich unten S. 261ff.

3. Kapitel: Regelungsbereich und interne Lücken

59

Zusammenfassend ist mithin festzuhalten, daß sich Ansätze für die positive Zuordnung einer bestimmten Frage zum Bereich kaufrechtlicher Pflichten i.S.d. Art. 4 S. 1 durch den Rückgriff auf die einheitlichen Sachnormen, die Bejahung eines engen Sachzusammenhangs zu im CISG geregelten Fragen, die Unterscheidung nach kaufrechtlichen und anderen Interessenssphären sowie bedingt auch durch die Auswertung der Entstehungsgeschichte gewinnen lassen. Steht danach einmal fest, daß die betreffende Frage dem Regelungsbereich des CISG unterfällt, kann es sich entweder um eine geregelte Frage oder um eine interne Lücke handeln. Der Übergang zwischem beidem ist fließend; er bestimmt auch die Unterscheidung von Auslegung und (autonomer) Lükkenfüllung. Sofern eine interne Lücke bejaht wird, ist weiter zu untersuchen, wie für sie mittels der zulässigen Instrumente der Lückenfüllung eine Regelung gefunden werden kann.

60

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfullung

4. Kapitel: Lückenfüllung § 1 Übersicht

Das CISG regelt in Art. 7 Abs. I die Auslegung und unmittelbar danach in Abs. II die Lückenfüllung. Die räumliche Nähe beider Begriffe deutet auch auf ihre inhaltliche Verwandtschaft hin. Vorrangig ist immer die Auslegung der bestehenden Vorschriften; erst wenn damit eine Frage nicht befriedigend erfaßt werden kann, darf auf die Lückenfüllung zurückgegriffen werden. Der Übergang ist jedoch fließend: So gehört eine extensive Anwendung einer Norm zur Auslegung, während die davon oft kaum zu unterscheidende analoge Anwendung zur Lückenfüllung zu rechnen ist. Kropholler1 bezeichnet deswegen die Lückenfüllung als die Fortsetzung der Auslegung auf einer anderen Stufe. In Art. 7 II sind die beiden grundsätzlichen Möglichkeiten der Lückenfüllung bereits vorgezeichnet: Die die Anwendung des Einheitsrechts wahrende und fördernde autonome Lückenfüllung durch Fortbildung des CISG sowie die den Vereinheitlichungszweck preisgebende Lückenfüllung durch nationales Recht. Dagegen war in Art. 17 EKG - dem Haager Pendant zu Art. 7 I I - ein solcher Rückgriff auf das nationale Recht als subsidiäres Vertragsstatut nicht vorgesehen, wenn er auch in der Literatur 2 als letztes Mittel empfohlen wurde, um eine zu weitgehende, im Interesse der Rechtssicherheit nicht mehr hinnehmbare Rechtsfortbildung durch Herausbildung allgemeiner Grundsätze zu vermeiden.

Weiter folgt aus dem Vereinheitlichungszweck des CISG, daß auf das nationale Recht erst rekurriert werden darf, wenn die Möglichkeiten der autonomen Lückenfüllung voll ausgeschöpft sind. Diese Art der Lückenfüllung hat deswegen ultima ratio-Charakter. Wie erwähnt,3 ist autonome Lückenfüllung nach Art. 7 Π jedoch nur bei internen Lücken möglich. Bei externen Lücken gilt diese Bestimmung nicht, dortrichtetsich auch die Bestimmung eines Lückenfüllungsstatuts nach allgemeinen Regeln. Zusammenfassend läßt sich also für die Ergänzung des Einheitsrechts ein Stufenverhältnis - Auslegung, autonome Lückenfüllung, Lückenfüllung durch nationales Recht - feststellen, wobei die jeweils nächsthöhere Stufe im Verhältnis zur vorausgehenden subsidiären Charakter aufweist. An diese Reihenfolge hält sich auch die folgende Darstellung.

1

Einheitsrecht, S. 292f. m.w.N.

2

Kropholler,

3

Unten S. 72.

Ausschluß, S. 382.

4. Kapitel: Lückenfüllung

61

§ 2 Auslegung

Nach Art. 7 I sind bei der Auslegung der internationale Charakter und die Notwendigkeit der einheitlichen Anwendung des CISG sowie die Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel zu berücksichtigen. Diese allzu knappe Regelung nur der Zielvorgaben der Auslegung macht weitere Überlegungen zu den für sie maßgeblichen Grundlagen und Methoden erforderlich.

/. Grundlagen Zunächst einmal ist klarzustellen, daß Gegenstand aller Auslegung das CISG selbst ist. Sein Ursprung als völkerrechtliches Übereinkommen (sog. Convention intégrale ) bedingt, daß ausschließlich die Originalfassung in den Originalsprachen in allen Vertragstaaten verbindlich ist. Von den zulässigen nationalen Vorbehalten (Teil IV, Artt. 89ff.) abgesehen, ist also nicht - wie etwa bei EAG und EKG oder auch dem amerikanischen Uniform Commercial Code 4 (sog. traité-contrats) - auf die aus der Umsetzung in nationales Recht resultierende Fassung abzustellen. Das hat etwa bei Auslegungsdivergenzen die praktische Folge, daß für einen Richter nicht die in seinem Staat vertretene Interpretation maßgeblich ist, sondern die international anerkannte.5 Zu beachten ist weiterhin der eigenständige Charakter der Rechtsmaterie des internationalen Einheitsrechts. Während es seinem Ursprung nach zum Völkervertragsrecht gehört, stellt es inhaltlich materielles Privatrecht dar. Deswegen ist es auch mit den nationalen Privatrechten verwandt. Das bedeutet für die Auslegung, daß Grundsätze und Methoden sowohl des Völkerrechts als auch des Privatrechts zwar nutzbar gemacht, aber nicht unbesehen übernommen werden können.6 In Art. 7 I geben die Begriffe internationaler Charakter und einheitliche Anwendung die Zielvorgaben für die Auslegung des Einheitsrechts an, während die Beachtung des guten Glaubens im internationalen Handelsverkehr ein materielles Erfordernis darstellt.7 Aus den beiden ersten Maximen ergibt sich das Gebot, das Abkommen in möglichst vielen Fällen ("Breite" des Anwendungsbereichs) möglichst weitgehend ('Tiefe" des Anwendungsbereichs) anzuwenden, mit anderen Worten der Grundsatz der einheitsrechtsfreundlichen

4

Zum UCC vgl. unten S. 140.

5

Beim UCC muß dagegen in jedem amerikanischen Staat partikuläre Auslegung und Rechtsprechung berücksichtigt werden, denn die Kodifikation gilt in jedem Staat als staatliches Recht in der jeweils anerkannten Auslegung (Hay S. 22). 6

Kropholler,

7

Schlechtriem-Herber

Einheitsrecht, S. 235ff. (237). Art. 7 Rz. 10.

62

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfllung

Auslegung und Lückenfüllung (hier sog. pro iure ww/örme-Grundsatz). Direkt nichts ausgesagt ist in Art. 71 jedoch über die Methoden der Auslegung.

IL Methoden der Auslegung Weitgehende Einigkeit besteht in der Literatur,8 daß die völkerrechtlichen Auslegungsmethoden, wie sie in den Art. 3 Iff. des WVÜ niedergelegt wurden, mit der Ausnahme der Grundsätze zu mehrsprachigen Abkommenstexten (Art. 33 WVU) 9 für die Auslegung des zivilrechtlichen Einheitsrechts10 des CISG kaum nutzbringend sind. Denn während jene primär zur Verwirklichung des Willens der Vertragsparteien dienen, ist das materielle Einheitsrecht als abstrakt-generelles Gesetzesrecht vornehmlich der internationalen Rechtsklarheit und -Sicherheit verpflichtet, weswegen seine Auslegung soweit als möglich zu objektivieren ist. Für Staaten wie die Bundesrepublik, die sowohl dem CISG als auch dem W V U beigetreten sind, läßt sich die Nichtanwendung der Art. 3 Iff. W V U dogmatisch auf zwei Wegen herleiten: Zunächst könnte man wegen der eben skizzierten funktionalen Unterschiede zwischen Völkervertragsrecht und materiellem Einheitsrecht die genannten Bestimmungen des W V U im Wege einer teleologischen Restriktion 11 von der Anwendung ausschließen. Vorzugswürdig erscheint jedoch die im folgenden erörterte autonome Lösung, in Art. 7 I eine interne Lücke hinsichtlich der einzelnen Auslegungsmethoden anzunehmen.12

Anstelle der Anwendung der völkerrechtlichen Auslegungsmethoden erscheint es vielmehr angebracht, für die Auslegung von materiellem Einheitsrecht eigenständige Lehren zu entwickeln. Konstruktive Voraussetzung dafür ist, daß man hinsichtlich der einzelnen Auslegungsmethoden im CISG eine interne Lücke annimmt, diese Frage also noch vom Regelungsbereich des Abkommens umfaßt sieht. Das läßt sich gut vertreten, da die Auslegung und ihre grundsätzlichen Ziele in Art. 7 I ja genannt sind und eine Trennung von Zielen und Methoden nicht dem bestehenden Sachzusammenhang Rechnung trägt.

8

So überzeugend Schlechtriem-Herber

Art. 7 Rz. 12 m.w.N. in Fn. 20; Diedrich S.

142. 9

Gegen diese Ausnahme Honnold, Uniform Law, Art. 7, S. 134f.

1 0

Bedenkenlos können Art. 3 Iff. W V Ü jedoch auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten in Artt. 81-88 angewandt werden. Vgl. etwa Reinhart Art. 7 Rz. 8. 11 1 2

Zur teleologischen Auslegung im Völkerrecht vgl. Fastenrath S. 186f.

Möglich erscheint es aber auch, diese Vorschriften, die angesichts ihrer allgemeinen Formulierung auch nicht gänzlich unpassend sind, den Bedürfnissen des Einheitsrechts teleologisch angepaßt anzuwenden. Ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn dürfte damit allerdings nicht verbunden sein.

4. Kapitel: Lückenfüllung

63

Dreh- und Angelpunkt aller Auslegungsmethoden ist der Grundsatz, daß das Abkommen aus sich selbst heraus (autonom) auszulegen ist. 13 Dies folgt zum einen schon aus dem in Art. 7 I verankerten Ziel der einheitlichen Anwendung. Daneben läßt sich diese Vorgabe auch Art. 7 II entnehmen, der festschreibt, das Abkommen vorrangig aus sich selbst heraus fortzubilden, was - a maiore ad minus - auch für die Auslegung zu gelten hat.14 Nicht abschließend geklärt erscheint jedoch die Frage, mittels welcher einzelner Methoden die gebotene autonome Auslegung zu realisieren ist. In der deutschsprachigen wie allgemein in der kontinentaleuropäischen Literatur 15 zur Auslegung von materiellem Einheitsrecht werden als Ausgangspunkt meist die klassischen Auslegungskanones (Textinterpretation, historische, systematische und teleologische Interpretation), ergänzt um die rechtsvergleichende Auslegung unter Einbeziehung ausländischer Rechtsprechung und Lehre, herangezogen. Diese Methoden erfahren im weiteren jedoch Modifikationen, die den Besonderheiten des Einheitsrechts, insbesondere dem überragenden Ziel international einheitlicher Anwendung, Rechnung tragen sollen. Dieser Weg hat sich bisher als gut gangbar erwiesen. Jedoch erscheint es um einer wirklich einheitlichen autonomen Auslegung des CISG willen besser, die Auslegungsmethoden eines bestimmten Rechtskreises nicht einmal als konzeptionellen Ausgangspunkt zu verwenden; denn ein solches Vorgehen ist für andere Rechtskreise, namentlich den common law-Bereich, in dem andere Methoden bestimmend sind,16 schlecht nachvollziehbar, auch wenn damit passable Ergebnisse erreicht werden. Vielmehr ist es wünschenswert, die zulässigen Auslegungskanones ihrerseits zu uniformieren. Dieser Weg gestaltet sich freilich schwierig, da das CISG selbst keine Anhaltspunkte enthält und ein methodisch einheitliches Vorgehen in den verschiedenen Mitgliedstaaten bisher nicht ersichtlich ist. Aussicht auf Akzeptanz hat deswegen wohl nur eine Synthese der bisher in den verschiedenen Rechtskreisen bei der Auslegung von internationalem Einheitsrecht verwandten Methoden, wobei exemplarisch der common law-Bereich und der kontinentaleuropäische Rechtskreis, die in puncto Auslegungsmethoden gleichsam als zwei Extreme zu begreifen sind, herangezogen werden können.17 Dabei läßt sich auf der Grundlage der Vorschläge von Diedrich18 eine vierstufige Leiter von Methoden entwickeln, die hier leicht ergänzt übernommen werden soll: 13

Dazu umfassend und präzise Diedrich S. 139ff. m.w.N.

1 4

Bianca/Bonell-Bonell

Introduction S. 19.

15

Vgl. umfassend Diedrich S. 59ff. und S. 140ff. m.w.N. So auch die Argumentation des BGH in BGH NJW 1976, 1583f. zum Warschauer Luftverkehrsübereinkommen. 16

Diedrich S. 83ff. m.w.N.

17

Diedrich S. 56-58.

18

Diedrich S. 152-155.

64

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfüllung

Auf der ersten Stufe steht die Textinterpretation, wobei zumindest bei Unklarheiten stets auf die authentischen Fassungen zurückzugreifen ist. Bei ihr ist zu beachten, daß Begriffen des Einheitsrechts, die auch in einem nationalen Recht verwendet werden, in der Regel nicht derselbe Sinn wie in diesem beigelegt werden kann, sofern nicht ausnahmsweise feststeht, daß genau diese Bedeutung gemeint war. 19 Im allgemeinen waren die Verfasser des CISG zur Vermeidung eines Heimatwärtsstrebens bei der Auslegung deswegen auch bemüht, neue, unverbrauchte Begriffe zu verwenden, die noch von keiner nationalen Rechtsordnung "besetzt" waren. Andererseits sind bei der Textinterpretation auch nationale Vorbilder zu berücksichtigen, also solche Vorschriften, die bei der Redaktion einzelner Normen des CISG Pate gestanden haben. Dies gilt insbesondere dann, wenn die jeweiligen Vorbilder während der Vorarbeiten allen Verhandlungsteilnehmern bekannt gemacht und von diesen in ihren Willen aufgenommen worden sind.20 So ist - was im 2. Teil der Arbeit noch naher gezeigt wird - das gesamte Leistungsstörungsrecht des CISG eng an das common law angelehnt. Die Konstruktion der Nachfrist in Art. 47 ist dagegen dem deutschen Recht (§ 326 BGB) entnommen. 21

Weiterhin ist ebenfalls auf der ersten Stufe der systematische Zusammenhang von Vorschriften innerhalb des Abkommens - keinesfalls aber innerhalb der Rechtsordnung, als deren Bestandteil das CISG zur Anwendung gelangt zu Rate zu ziehen. Auch eine elementare teleologische Auslegung, orientiert am Ziel der einheitlichen Anwendung des CISG (Art. 7 I), kann bereits hier stattfinden.22 Auf der zweiten Stufe sind im Rahmen einer historischen Auslegung die Materialien (Officiai Records) zum CISG zu untersuchen. Dabei gelten jedoch dieselben Vorbehalte, die schon bei der Bestimmung des Regelungsbereichs aus der Entstehungsgeschichte erörtert wurden.23 Zu beachten ist auch, daß der Abkommenstext, der den im Kompromißwege gebildeten Mehrheitswillen widerspiegelt, vorrangig gegenüber den Stellungnahmen einzelner Delegierten ist. Bei der historischen Auslegung kann schließlich auch ein Vergleich mit Vorläuferbestimmungen des Haager Kaufrechts, ähnlich der englischen misc/we/-Auslegungsregel,24 hilfreich sein.

19

Z.B. die lex-fori Verweisung in Art. 28. Vgl. Schlechtriem-Herber

Art. 7 Rz. 13,

19ff. 20

Ders.

2 1

Art. 7 Rz. 25.

Schlechtriem-Huber

Art. 47 Rz. 5.

2 2

Weitergehende Normzwecke sollte man jedoch zunächst mithilfe der historischen Auslegung ermitteln bzw. überprüfen.- Zur teleologischen Interpretation vgl. auch Karollus S. 15 und Magnus, Währungsfragen, S. 125. 2 3 2 4

Oben S. 58.

So zu Recht Magnus, Währungsfragen, S. 116. Zur mischief rule rechtsvergleichend etwa Diedrich S. 90f.

65

4. Kapitel: Lückenfüllung

Nach diesen beiden abkommensimmanenten (und deswegen vorrangigen) Methoden sind auf der dritten Stufe Literatur und höchstrichterliche Rechtsprechung aus den Mitgliedstaaten zu beachten. Selbstverständlich sind solche Judikate nicht zwingend, vielmehr kommt ihnen die Bedeutung einer persuasive authority zu, die aber schon aus Gründen der einheitlichen Anwendung des Abkommens prinzipiell berücksichtigt werden sollte. Hierbei kann wiederum auch die Rechtsprechung zu den Haager Kaufrechten herangezogen werden, sofern sich aus der Entstehungsgeschichte des CISG nicht ergibt, daß jener in der betreffenden Frage bewußt nicht gefolgt werden sollte. Schließlich ist als ultima ratio auf der vierten Stufe auch eine Auslegung auf der Grundlage funktionaler Rechtsvergleichung (Mikrovergleichung)25 der nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in Betracht zu ziehen. Wenn feststeht, daß in verschiedenen Rechtskreisen zu bestimmten Fragen Extrempositionen vertreten werden, die andere vertretene Lösungen mit abdecken - wie das ebenso wie im hier zu untersuchenden Fall der verschiedenen Auslegungsmethoden häufig hinsichtlich des commontov-Bereichseinerseits und der kontinentaleuropäischen Rechte andererseits zutreffen wird -, erscheint es auch statthaft, sich auf die exemplarische Untersuchung dieser Extrempositionen zu beschränken. Die rechtsvergleichende Interpretation gewinnt vor allem bei der Konkretisierung von Generalklauseln wie etwa der Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel (Art. 7 I ) Bedeutung, da dort die bisher genannten Stufen der Auslegung kaum weiterfuhren. 26 Es bietet sich dabei die Methode an, die Bedeutungsinhalte der jeweiligen Generalklausel in den verschiedenen nationalen Rechten gleichsam zu synthetisieren, wobei freilich auch die Zielvorgaben des Art. 7 I zu beachten sind. 27

Wenn die Auslegung der bestehenden Vorschriften des CISG auf allen vier Stufen für die Erfassung der fallrelevanten Frage nicht ausreicht, muß nochmals eine Stufe höher - auf das Instrument der Lückenfüllung zurückgegriffen werden.

§ 3 Autonome Lückenfüllung

Auch innerhalb des Bereichs der rechtsfortbildenden Lückenfüllung sind verschiedene Methoden zu unterscheiden, die funktional betrachtet im Verhältnis zueinander wieder auf verschiedenen Stufen stehen.

2 5

Zu Begriff und Methode wegweisend ZweigertlKötz

2 6

Ähnlich Schlechtriem-Herber

I S . 4-6, 3 Iff. m.w.N.

Art. 7 Rz. 26.

2 7 Für ein Beispiel zur Konkretisierung des Gutglaubenserfordernisses, vgl. unten S. 265.

5 Schmid

66

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfllung

So führt die im Abkommen genannte Methode der Lückenfüllung durch Herausbildung allgemeiner Grundsätze, auf denen das CISG beruht (Art. 7 Π), bereits einen Schritt weiter als die (Einzel-)Analogie vom Wortlaut der einheitsrechtlichen Normen weg und steht deswegen auf einer höheren Stufe. Noch weiter geht methodisch die Rechtsfortbildung durch solche allgemeinen Grundsätze, die im Abkommen selbst keine Grundlage mehrfinden, sich von seiner Teleologie ablösen und nur durch wertende Rechtsvergleichung ermittelt werden können (gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung). 28 Diese Methode ist allerdings im Hinblick auf den Wortlaut des Art. 7 I ("Grundsätze, auf denen das Abkommen beruht") problematisch.

/. Methoden der Lückenßllung Der Umstand, daß Art. 7 II mit dem Rekurs auf die allgemeinen Grundsätze des Abkommens eine der am weitesten in Richtung Rechtsfortbildung weisenden Methoden der Lückenfüllung für zulässig erklärt, läßt a maiore ad minus29 den Schluß zu, daß auch weniger weitgehende Methoden angewendet werden dürfen. Als "mildere Mittel" sind diese gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der sich als materiales Rechtsprinzip bzw. rechtssatzförmiges Prinzip30 auch auf rechtstechnische Bereiche wie die Rechtsfortbildung sinnvoll anwenden läßt, sogar vorrangig zu beachten.31 In der Literatur zum internationalen Einheitsrecht anerkannt sind, nah verwandt zum internen materiellen Recht, folgende Methoden:32 (1) Die Analogie, die wie im internen Recht eine wertungsmäßig zu einem geregelten Tatbestand vergleichbare Situation sowie eine (planwidrige) Regelungslücke voraussetzt, auf die die vorhandene Regelung übertragen wird. Ein Analogieverbot, das bisweilen im Völkerrecht gefordert wird, 33 besteht im internationalen Einheitsrecht nicht. Hier ist nämlich nicht das Bestreben vorrangig, die Souveränität der Vertragstaaten möglichst unangetastet zu lassen, sondern die Notwendigkeit, privatrechtliche Beziehungen voraussehbar, gerecht und einheitlich zu regeln.

2 8

Kropholler,

Einheitsrecht, S. 299.

2 9

Dieses Vorgehen selbst stellt schon eine Lückenfüllung des Art. 7 I I dar. Normenlogisch ist nichts gegen eine solche "Selbstanwendung" von Normen einzuwenden, vgl. Czerwenka S. 127 m.w.N. 3 0

Larenz, Methodenlehre, S. 412 (insbesondere Fn. 110), 423, 481f.

3 1

Karollus S. 17; Bianca/Bonell-Bonell

3 2

Grundlegend Kropholler,

Art. 7 Nr. 2.3.2.1.

Einheitsrecht, S. 293ff.; Larenz, Methodenlehre, S.

370ff. 3 3

Vgl. ausführlich Fastenrath S. 134-139 m.w.N.

4. Kapitel: Lückenfüllung

67

Bei der Prüfung, wann ein wertungsmäßig vergleichbarer Tatbestand vorliegt, kann man im Einheitsrecht auch auf einen (hypothetischen) Vergleich mit dem nationalen Recht zurückgreifen: Man stelle sich vor, einem Tatbestand T1 ist im Abkommen die Rechtsfolge R1 zugeordnet, und will man nun prüfen, ob diese auch auf den nicht geregelten Tatbestand T2 paßt (den man im Wege autonomer Lückenfullung auch dem Abkommen zu unterstellen gedenkt). Hier kann man indiziell prüfen, ob die Rechtsfolge des Abkommens R1 der dem Tatbestand T2 in einem (repräsentativ ausgewählten) nationalen Recht zugeordneten Rechtsfolge R2nat hinreichend äquivalent ist, ob sich also alle Probleme, die R2nat behandelt, auch befriedigend durch R1 lösen lassen. Dieses Vorgehen wird hier als sekundäre Analogieprüfung bezeichnet. 34

(2) Das argumentum a malore ad minus (oder argumentum a fortiori), die Analogie im Gleichheitssatz wurzelt und eine teleologische Wertung erfordert. Wenn die ratio legis einer Vorschrift erst recht (im Sinne eines logischen Stufenverhältnisses) auch auf einen verwandten, aber nicht geregelten Sachverhalt zutrifft, kann ihre Rechtsfolge auch für diesen Fall Geltung beanspruchen.

das w

(3) Das argumentum e contrario (Umkehrschluß), das den Fall betrifft, daß die ratio legis einer Vorschrift nahelegt, ihre Rechtsfolge gerade nicht auf einen verwandten Sachverhalt anzuwenden. Im Unterschied zur Analogie führt das argumentum e contrario also nicht unmittelbar zur Ermittlung einer anwendbaren Vorschrift, sondern nur zu einem Anwendungsausschluß für eine bestimmte Vorschrift. Daraus können jedoch häufig Rückschlüsse auf die in casu angebrachte Rechtsfolge gezogen werden. (4) Teleologische Reduktion und Extension, die zur Anwendung kommen, wenn die ratio legis einer in Frage stehenden Vorschrift eine über deren Wortlaut hinausgehende Einschränkung oder Ergänzung erfordert. Im Unterschied dazu trägt bei der einschränkenden oder erweiternden Auslegung der Wortlaut einer Vorschrift noch die Bedeutung, die ihr beigelegt wird. Die teleologische Extension ist der Analogie nahe verwandt. I m Unterschied zu letzterer soll sie aber dann zum Zuge kommen, wenn der im Gesetz nicht geregelte Fall dem geregelten zwar nicht - wie bei der Analogie - wertungsmäßig ähnlich ist, der nicht geregelte Fall dennoch in die Regelung des Gesetzes hätte einbezogen werden sollen, um ihren Zweck zu erfüllen. 5 Daraus läßt sich folgern, daß die teleologische Extension im Vergleich zur Analogie eine graduell weitergehende Rechtsfortbildung bewirkt.

Versagen die soeben aufgeführten Methoden, darf subsidiär auf die allgemeinen Grundsätze des Einheitsrechts zurückgegriffen werden.

5*

3 4

Zu einem Beispiel für dieses Vorgehen vgl. unten S. 170ff.

3 5

Vgl. dazu mit Beispielen Larenz, Methodenlehre, S. 397ff.

68

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfllung

IL Lückenßllung durch allgemeine Grundsätze Die allgemeinen Grundsätze, auf denen das CISG beruht, stellen einen Unterfall der sog. allgemeinen Rechtsgrundsätze dar, die alsrichterrechtlich geprägte Rechtsquelle36 insbesondere im Völkerrecht37 und in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit38 ihre Bedeutung haben. Einige der großen modernen Ziviliechtskodifikationen enthalten auch mit Art. 7 II vergleichbare Verweisungen auf allgemeine Rechtsgrundsätze zum Zwecke der Lückenfüllung. 39 Allgemeine Rechtsgrundsätze sind nicht nur aus der Schnittmenge des gemeinsamen Inhalts verschiedener Vorschriften herauszubilden, was zu einem "Asyl für die Fehler" verschiedener Normen führen könnte;40 vielmehr muß es genügen, wenn ein bestimmter Rechtsgedanke mehrere Vorschriften des CISG durchzieht und nach seiner ratio generell, auch in nicht geregelten Situationen, Anwendung finden soll.41 Karollus weist zutreffend darauf hin, daß die Lückenfüllung mittels allgemeiner Grundsätze der Rechtsfigur der Gesamtanalogie 42 (oder auch Rechtsanalogie genannt) entspricht. Die Entwicklung solcher materieller Grundsätze 3 6

Dazu Larenz, Methodenlehre, S. 384ff.; Dolle-Wahl A r t 17 Rz. 30-35.

3 7

Vgl. Fastenrath S. lOOff., 125ff;

3 8

Dölle-Wahl A r t 17 Rz. 33.

3 9

So z.B. § 7 AGBGB: "Läßt sich ein Rechtsfall weder aus Worten, noch aus dem natürlichen Sinne eines Gesetzes entscheiden, so muß auf ähnliche, in den Gesetzen bestimmt entschiedene Fälle, und auf die Gründe anderer damit verwandten Gesetze Rücksicht genommen werden. Bleibt der Rechtsfall noch zweifelhaft; so muß solcher mit Hinsicht auf die sorgfältig gesammelten und reiflich_erwogenen Umstände nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen entschieden werden." Ähnlich Art. 12 Disposizioni preliminarie al CCï/:..."Se una controversia non può essere decisa con una precisa disposizione, si ha riguardo alle disposizioni che regolano casi simili ο materie analoghe; se il caso rimane ancora dubbio, si decide secondo i principi generali delV ordinamento giuridico dello Stato." Auch Art . 6 des spanischen Código Civil enthält einen vergleichbaren Verweis auf allgemeine Rechsgrundsätze:..."Cuando no haya ley exactamente aplicable al punto controvertido, se aplicarâ la costumbre del lugar, y, en su defecto, los principio s generates del Derecho ." Ahnlich interpretiert werden auch die Vorschriften des § 1-201 UCC und des Art. 1 ZGB, die ebenfalls Auslegung und Rechtsfortbildung betreffen, ohne jedoch einen ausdrücldichen Verweis auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu enthalten.- Vgl. allgemein dazu Kropholler, Einheitsrecht, S. 15Iff. und Dölle-Wahl Art. 17 Rz. 26-45. 4 0 So zum ähnlichen Problem des Art. 215 Π EWGV die prägnante Formulierung von Heldrich, Europäische Rechtseinheit, S. 681-685 (685). 4 1

Dazu Trompenaars S. 39ff. (41 f.), die insbesondere auch den Wert rechtsvergleichender Erkenntnis bei der Herausbüdung allgemeiner Grundsätze im Rahmen des CISG betont. 4 2

Dazu grundsätzlich Larenz, Methodenlehre, S. 362f. Canaris S. 97ff. spricht von Induktion.

4. Kapitel: Lückenfllung

69

vollzieht sich wie folgt: Aus einzelnen Bestimmungen des CISG müssen induktiv bestimmte Leitgedanken herausgearbeitet werden, aus denen dann deduktiv ein für den konkreten Fall passender, abstrakt-generell gehaltener Obersatz43 zu entwickeln ist. Aufgrund der Tatsache, daß das CISG Besonderes und Allgemeines Schuldrecht sowie teilweise auch den Allgemeinen Teil des BGB abdeckt, ergibt sich, daß auch allgemeine Grundsätze sich nicht auf den Bereich des Kaufrechts beschränken müssen, sondern vielmehr auch Äquivalente aus jenen anderen Bereichen des Privatrechts umfassen dürfen. I m einzelnen erscheint es deswegen nicht prinzipiell ausgeschlossen, Institute wie Vertragsstrafe, Abtretung oder Aufrechnung durch allgemeine Grundsätze zu regeln, sofern ein solches Vorgehen in den Vertragsstaaten Chancen auf Akzeptanz hat. Für zulässig wird man es weiter halten dürfen, wenn im Abkommen selbst enthaltene Generalklauseln oder andere offene Tatbestände rechtsvergleichend ausgefüllt werden. Dabei handelt es sich dogmatisch auch eher um Auslegung als um Lückenfüllung. 44 Die derart präzisierten Klauseln oder Tatbestände können dann auch ihrerseits wieder in eine Gesamtanalogie mit anderen Vorschriften oder allgemeinen Grundsätzen des Abkommens eingebracht werden. 45

Die ersten in der Literatur der Mitgliedstaaten entwickelten Grundsätze haben Hyland und Honnold zusammengefaßt:46 -

Loyalität zur anderen Vertragspartei; Kooperationspflicht; Pflicht zur Vermeidung und Geringhaltung von Schäden; Handeln nach dem Maßstab eines reasonable merchant, Grundsatz des Vertrauensschutzes; Vorhersehbarkeit der Rechts- und Schadensfolgen einer Vertragsverletzung als Anspruchsvoraussetzung; - Vorrang des Partei willens (Mcontract principle "); - nur Tatsachen, die der anderen Partei bekanntgeeeben wurden, können Rechtsfolgen nach sich ziehen ("discussion principle").

Weiterhin erscheint es zulässig, als "Grundsätze, auf denen das Abkommen beruht" nicht nur materielle Obersätze anzusehen, sondern auch methodische Prinzipien, wie z.B. die Zulässigkeit der Ergänzung des CISG durch normative Handelsbräuche (Art. 9 II). Speziell diesen dürfen wohl auch internationale Grundsätze des Handelsrechts wie die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts als Grundfeste einer moderenen lex mercatoria, wie sie 4 3

Karollus S. 16f. spricht von "Regel".

4 4

Vgl. oben S. 65. Dieses Verfahren wurde oben S. 63 bereits bei der Herleitung autonomer Auslegungsmethoden angewandt. 4 5

Eine solche Konstruktion wird z.B. unten S. 268 zur Erfassung bestimmter vorvertraglicher Pflichten versucht. 4 6 In: Schlechtriem, Fachtagung, S. 139 bzw. 329ff. Zu weiteren allgemeinen Grundsätzen vgl. auch Heilmann S. 133f. und zuletzt die hervorragende Zusammenstellung von Magnus, Allgemeine Grundsätze, S. 478-490. 4 7

Dazu eingehend unten S. 177f.

70

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbeich, Lücken und Lückenfllung

kürzlich im International Restatement of Contract Law/ den, gleichgesetzt werden.49

48

dokumentiert wur-

Die allgemeinen Grundsätze stellen insgesamt mithin das umfangreichste und weitestgehende Instrumentarium der autonomen Lückenfüllung dar. Im Zuge der Fortbildung des CISG durch die Rechtsprechung könnte aus ihnen ein einheitsrechtliches case law geschaffen werden, das, wenngleich nicht verbindlich, den Rückgriff auf nationales Recht bei der Lückenfüllung zunehmend überflüssig machen könnte.

III. Grenzen autonomer Lückenfullung Aus den vorhergehenden Ausführungen wird deutlich, daß die Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze zumindest theoretisch eine schrankenlose Rechtsfortbildung ermöglichen würde, auch in Materien, die explizit als Lükken festgeschrieben sind. So stellt sich insbesondere hier, aber auch bei allen anderen Methoden der Lückenfüllung, die Frage nach deren Grenzen. Grundsätzlich gilt, wie erwähnt,50 daß sich jede autonome Lückenfüllung im Rahmen des Regelungsbereichs bewegen muß (Art. 7 Π); dieser bildet die äußerste Demarkationslinie. Insbesondere dürfen also die Natur der betreffenden Frage, eine "abdrängende Zuweisung" durch andere Kollisionsnormen sowie die von ihr berührten Interessen der Fortbildung des CISG nicht entgegenstehen. Wie ebenfalls schon aufgezeigt, müssen im Regelungsbereich des Abkommens Lücken nicht zwingend autonom geschlossen werden. Dies setzt vielmehr voraus, daß sich mithilfe des Instrumentariums der autonomen Lükkenfüllung auch eine befriedigende Lösung finden läßt. Nicht überschritten werden dürfen also einerseits der Regelungsbereich als externe Beschränkung und andererseits die instrumentalen Möglichkeiten der autonomen Lückenfüllung als immanente Grenze. Zur Erläuterung das Beispiel des Tauschvertrags: Hier kommt nach einer Literaturmeinung die analoge Anwendung des Abkommens in Frage. 51 Dafür spricht, daß die meisten Vorschriften des CISG, insbesondere die Konformitätsbestimmungen (Art. 30ff.), relativ gut auf den Tausch passen würden. Artt. 53ff. sprechen zwar von einer Geldleistungspflicht und sind auch in Bezug darauf konzipiert; anstelle dieser Vorschriften könnten jedoch im Grundsatz für beide Teile die Be4 8 Die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts wurden unter der Leitung von Bonell zusammengefaßt und auch von ihm herausgegeben. 4 9

Für die Anwendung dieser Prinzipien als allgemeine Grundsätze im Rahmen des CISG auch Magnus, S. 491f. 5 0 5 1

Oben S. 60.

Ender le in/Maskow/ Sto hbach Art. 1 Nr. 1; a.A. Schlechtriem-Herber 18 Fn. 30.

Art. 1 Rz.

4. Kapitel: Lückenfllung

71

Stimmungen über die Verkäuferleistung (Artt. 30ff.) angewandt werden. Zur autonomen Lückenfüllung nötig wäre also nur die stets zulässige Methode der Einzelanalogie; der Herausbildung allgemeiner Grundsätze bedürfte es nicht. Insoweit bestehen also keine Bedenken. Problematisch ist aber, ob ein solches Vorgehen nicht den Regelungsbereich kaufrechtlicher Rechte und Pflichten überschreiten würde.

Darüber hinaus folgt aus der Zielbestimmung der einheitlichen Anwendung des CISG (Art. 7 I) eine teleologische Grenze für die autonome Lückenfüllung: Diese darf nicht zu einer uneinheitlichen Anwendung des CISG führen, etwa wenn bestimmte Staaten in gewissen Fragen eine weitergehende Rechtsfortbildung als andere vornehmen. So ist bei Zweifelsfällen wie dem Tausch zu bedenken, daß eine völkerrechtliche Anwendungspflicht des Abkommens wohl nicht plausibel gefordert werden kann, wenn die betreffende Frage nicht in vertretbarer Weise unter den Wortlaut der einheitlichen Abgrenzungsnormen subsumiert werden kann. Deshalb sollte man sich bei einem solchen Vorgehen immer fragen, ob es zumindest in mehreren Mitgliedstaaten auf Zuspruch stoßen und übernommen werden könnte, was im Ergebnis auf eine Art. Akzeptanzprognose hinausläuft. In eine solche müssen insbesondere der aktuelle Stand von Rechtsprechung und Literatur in den anderen Mitgliedstaaten des CISG eingehen. Demnach dürfen Tauschverträge wohl nur unter das Abkommen gefaßt werden, wenn sich eine solche Tendenz in mehreren Mitgliedstaaten abzeichnet. Gegenwärtig finden sich dafür freilich kaum Anhaltspunkte.

Eine weitere - bereits angedeutete52 - Beschränkung folgt aus dem Wortlaut des Art. 7 Π ("Grundsätze, auf denen das Abkommen beruht"). Diese Formulierung bedeutet, daß sich die Rechtsfortbildung innerhalb der Teleologie des CISG halten muß und sich nicht ausschließlich auf wertende Rechtsvergleichung stützen darf. Dabei ist jedoch zum einen zu berücksichtigen, daß, wie erwähnt,53 das CISG seiner Regelungsteleologie nach auch Bereiche umfaßt, die im deutschen Recht zum Allgemeinen Schuldrecht oder zum Allgemeinen Teil des BGB gefaßt werden, zum anderen, daß, wie ebenfalls erwähnt, auch methodische Prinzipien zur Ergänzung des CISG als allgemeine Grundsätze i.S.d. Art. 7 Π gelten können. Weiterhin darf bei der Entscheidung für oder gegen eine Lückenfüllung mittels allgemeiner Grundsätze nicht übersehen werden, daß die prinzipiell ja wünschenswerte Fortbildung des Einheitsrechts nur möglich ist, wenn Rechtsprechung oder Literatur in einem Staat den ersten Schritt tut. Die Entscheidung für oder gegen eine autonome Lückenfüllung erfordert insgesamt also eine subtile Abwägung vielerlei Gesichtspunkte im Einzelfall. Sie kommt somit einer Gratwanderung gleich, einem Widerstreit von "bold 5 2

Oben S. 66.

5 3

Oben S. 72.

7 2 1 . Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfllung

ness v. restraint". 54 Schließlich ist zu bedenken, daß selbst eine Entscheidung gegen die autonome Lückenfüllung nicht zu Problemen des Normmangels führt. Denn als ultima ratio bleibt der Rückgriff auf das Subsidiärstatut.

§ 4 Lückenfüllung durch nationales Recht

I. Übersicht Wie bereits in der Einleitung55 beschrieben, bewirkt die Anwendung von nationalem Recht bei der Lückenfüllung eine Aufspaltung des Vertragsstatuts. An seine Stelle tritt ein Mischstatut, das je nach einschlägigem Lückenfüllungsstatut anders zusammengesetzt ist. Im außervertragsrechtlichen Bereich können dagegen CISG und ein beliebiges nationales Statut nebeneinander zur Anwendung gelangen. In diesem Zusammenhang stellen sich eine Reihe von Fragen: Zuerst muß geklärt werden, wie das Lückenfüllungsstatut bei externen Lücken zu bestimmen ist. Weiter, ob zur Lückenfüllung das vom IPR des Forums berufene allgemeine Vertragsstatut ausreicht oder ob in einzelnen Fällen auch Sonderanknüpfungen vorgenommen werden müssen. Besondere Beachtung verdienen dabei die Vorschläge von Stoll zu einzelnen Sonderanknüpfungen, ergänzenden autonomen Kollisionsnormen und Rest- und Randfragen. Abschließend soll ermittelt werden, wie außervertragsrechtliche Fragen im Bereich der externen Lücken, insbesondere aus dem Sachen- und Deliktsrecht, anzuknüpfen sind und unter welchen Voraussetzungen die Wahl eines bestimmten Lükkenfüllungsstatuts zulässig ist.

II. Bestimmung des anwendbaren nationalen Rechts bei externen Lücken Während für interne Lücken in Art. 7 II die Bestimmung des Subsidiärstatuts über die Kollisionsnormen der lex fori geregelt ist, trifft das CISG für den Bereich der externen Lücken keine Aussage. Logisch denkbar ist die Anwendung der Sach- oder der Kollisionsnormen der lex fori. Zu ergänzenden Kollisionsnormen (Normen, die auf ein bestimmtes Subsidiärstatut zum Zweck der Lückenfüllung verweisen) führt Kropholler aus, daß

5 4

Honnold, Uniform Law, S. 155.

5 5

ObenS. 24.

4. Kapitel: Lückenfüllung

73

sie mangels gegenteiliger Anhaltspunkte Sachnormverweisungen enthielten.56 Dies deswegen, weil das Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs, das im autonomen DPR für die Beachtlichkeit eines Renvoi, also gegen die Annahme von Sachnormverweisungen, spreche, schon durch die Vereinheitlichung der ergänzenden Kollisionsnormen selbst verwirklicht sei. Hier jedoch sprechen die sachlichen Abgrenzungsnormen des CISG keine ausdrückliche kollisionsrechtliche Verweisung57 aus, sondern der Bereich der externen Lücken entzieht sich prinzipiell auch auf kollisionsrechtlicher Ebene einer einheitsrechtlichen Regelung. Die Verwirklichung internationaler Entscheidungsharmonie bei der Festlegung des Lückenfüllungsstatuts ist also nach wie vor gefordert. Das Abkommen enthält ferner keinen Hinweis darauf, daß im Bereich der externen Lücken von der grundsätzlichen Beachtlichkeit des IPR für internationale Sachverhalte abzuweichen wäre. Vielmehr ist eine unterschiedliche Behandlung von internen und externen Lücken sachlich nicht gerechtfertigt. Das im Bereich der externen Lücken kompetente Lückenfüllungsstatut ist folglich ebenfalls nach den (autonomen) Kollisionsnormen des Forums zu bestimmen.58

III. Allgemeines Vertragsstatut

und Sonderanknüpfungen

1. Konzeptueller Ausgangspunkt Wenn soeben ermittelt worden ist, daß das zur Lückenfüllung berufene nationale Recht stets nach den Kollisionsnormen des Forums zu bestimmen ist, ist noch nichts darüber ausgesagt, wie diese Bestimmung konkret vorzunehmen ist. Die nationalen Kollisionsrechte enthalten zwei verschiedene Lösungmöglichkeiten für die Bestimmung des auf einen Vertrag anwendbaren Rechts: Denkbar ist zum einen die einheitliche Anknüpfung des gesamten Lebenssachverhalts (Kauf-)Vertrag durch eine einheitliche Kollisionsnorm. Das ist die Lösung des neuen vereinheitlichten deutschen IPR, 59 das einheitlich alle 5 6

S. 197-204.

5 7

Zu beachten aber der Vorschlag Sto Iis zur Entwicklung ergänzender einheitlicher Kollisionsnormen; unten S. 216ff. 5 8 In der Literatur vertritt einzig Gonzales S. 82 ebenso lapidar wie unzutreffend eine Anwendung der Sachnormen der lex fori: "Under Art. 4, the Convention defers to the laws of the forum on the question of validity of the contract or any of its provisions." Das besagt jedoch der Wortlaut des Art. 4 S. 2 gerade nicht. 5 9 Art. 27ff. EGBGB beinhalten die Umsetzung des EG-Übereinkommens vom 19.6.1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht. Es handelt sich also um einheitliche Kollisionsnonnen, die auch einheitlich angewendet werden

74

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfllung

wesentlichen mit dem Vertrag zusammenhängenden Fragen (Artt. 31f. EGBGB) dem von den Parteien gewählten oder nach dem Schwerpunkt des Vertrages bestimmten Recht unterstellt (Artt. 27f. EGBGB). Andererseits ist es auch möglich, daß die Kollisionsnormen des Forums einzelne Teilfragen des Lebenssachverhalts Kaufvertrag verschieden anknüpfen, so daß es zu einer Aufspaltung des Vertragsstatuts (dépeçage) kommt. Diese Situation, die etwa das bis 1986 geltende deutsche IPR noch kannte,60 versucht das neue IPR zu vermeiden, um anderenfalls auftretenden Normwidersprüchen zwischen den Einzelstatuten vorzubeugen. Wenn die zur Bestimmung des Lückenfüllungsstatuts einschlägigen Kollisionsnormen ermittelt worden sind, ist weiter noch zu klären, ob sie (im Falle einer Verweisung auf ausländisches Recht) auf Kollisions- oder Sachnormen verweisen.

2. Vertragsstatut und Lückenfüllungsstatut Die mehrheitliche Auffassung 61 wendet das von den Kollisionsnormen der lex fori zur Anwendung berufene Vertragsstatut auf alle Lücken des CISG an. Wenn hierfür überhaupt eine Begründung gegeben wird, so wird meist argumentiert, daß, auch was die Ergänzung des Einheitsrechts anbelangt, eine dépeçage vermieden werden müsse.62 Gegen diese Auffassung hat sich Stoll63 mit überzeugenden Gründen gewandt: Die einheitliche Bestimmung des Vertragsstatuts im IPR gehe davon aus, daß dieses Statut tatsächlich auch für den gesamten Vertrag zur Anwendung gelange. Formeller Anknüpfungspunkt der einschlägigen Kollisionsnormen der lex fori (z.B. Artt. 27f. EGBGB) ist mit anderen Worten der Vertrag als Ganzes. Diese Situation liegt hier nicht einmal ansatzweise vor; denn der Hauptteil aller kaufvertraglichen Fragen ist bereits durch die vorrangigen einheitsrechtlichen Abgrenzungsnormen (Art. 1 CISG i.V.m. Art. 3 Π EGBGB) ausschließlich dem internationalen Sonderstatut des CISG unterstellt. Eine einheitliche Schwerpunktbestimmung, wie sie Art. 28 EGBGB bezweckt, ist bereits im Ansatz ausgeschlossen.

müssen, worauf Art. 36 EGBGB eigens nochmals hinweist. Vgl. näher PalandtHeldrich Vorbem. v. EGBGB 27 Rz. 1. 6 0

Vgl. Stoll Regelungslücken, S. 76 m.w.N.

6 1

Vgl. Schlechtriem-Herber Art. 4 Rz. 19ff., insbesondere Fn. 39; EnderleinJMaskow!Strohbach Art. 7 Ziff. 11 und Einl. 2.3. 6 2

So insbesondere Schlechtriem-Herber

6 3

Internationalprivatrechtliche Fragen, S. 495ff.; Regelungslücken, S. 75ff.

a.a.O.

4. Kapitel: Lückenfllung

75

Berücksichtigt man nun diese hier zwingend vorgegebene Aufspaltung des Vertragsstatuts in Einheitsrecht und nationales Recht, erscheint eine isolierte Anknüpfung der jeweiligen vom Abkommen nicht mehr geregelten Frage (Restfrage) geboten. Dabei ist nicht auf den Schwerpunkt des ganzen Vertrages, sondern auf deren eigenen Schwerpunkt abzustellen. Das geltende deutsche IPR enthält für dieses Vorgehen auch die positivrechtliche Grundlage in Art. 28 I 2 EGBGB, wonach auf einen abtrennbaren Teil des Vertrages auch das Recht eines anderen Staates angewandt werden kann, wenn jener eine engere Verbindung zu diesem Staat aufweist. Wegen der vorrangigen Anwendung des Einheitsrechts ist vorliegend die Abtrennbarkeit des "Lückenteils" bereits zwingend vorgegeben. Der Tatbestand von Art. 28 12 EGBGB ist also insoweit erfüllt. Versucht man nun, isoliert den Schwerpunkt einzelner Lückenbereiche des CISG zu bestimmen, ergibt sich jedoch, daß viele gar keinen spezifischen eigenen, von dem des gesamten Vertrages abweichenden Schwerpunkt besitzen. Umfangreiche Lückenbereiche wie insbesondere die Vertragsgültigkeit betreffen den Vertrag als Ganzes, so daß eine Sonderanknüpfung nach Art. 28 I 2 EGBGB nicht in Betracht kommt, obwohl der Vertrag nicht einem einheitlichen Statut unterstellt werden kann. Es bleibt damit bei der Anwendung des nationalen Rechts, das ohne die Statutenspaltung auf den gesamten Vertrag anwendbar wäre (Art. 2811 EGBGB). Es gibt andererseits auch Lücken, die einen eigenen Schwerpunkt aufweisen. Das trifft insbesondere auf solche zu, die nicht nur einen faktisch abgetrennten, sondern auch einen - unter Zugrundelegung einer systematischen und funktionalen Betrachtung - sinnvollerweise abtrennbaren Vertragsteil bilden. So wird der Schwerpunkt einer einzelnen aus dem Vertrag resultierenden Forderung regelmäßig an ihrem Erfüllungsort 64 liegen. In der Folge sind alle die Forderung betreffenden Fragen, z.B. Verjährung, Zession, Schuldbeitritt und Aufrechnung, 65 dem am Erfüllungsort geltenden Recht zu unterstellen. Würde man dagegen auch in diesen Fällen an die für den gesamten Vertrag charakteristische Leistung des Verkäufers anknüpfen, wäre dieser kollisions-

6 4 S to II stellt hier vorrangig auf die Niederlassung des Forderungsschuldners ab, die meist mit dem Erfüllungsort zusammenfallen dürfte. Bei der Bestimmung des Erfüllungsortes ist zu beachten, der im CISG festgelegte Leistungshandlungsort (Art. 31, insbesondere lit. c) nicht mit dem Erfüllungsort im prozeßrechtlichen Sinn (vgl. § 29 ZPO, Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ) identisch ist (vgl. dazu schon oben S. 37). Denn die Vorschriften des CISG sollen nur die räumlichen Modalitaten der Leistung festlegen, aber nicht präjudizierend auf die Begründung eines Gerichtsstands einwirken (vgl. S toll, Internationalprivatrechtliche Fragen, S. 500f. m.w.N.). Bejahte man dies, so wäre dem Verkäufer stets ein bequemer Gerichtsstand an seiner Niederlassung eröffnet, was ihn in ungerechtfertigter Weise bevorzugen würde (vgl. Stoll, Regelungslücken, S. 78). 6 5

Stoll, Internationalprivatrechtliche Fragen, S. 506ff.

7 6 1 . Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfüllung

rechtlich ungebührlich bevorzugt. Eine Sonderanknüpfung des Forderungsstatuts ist hier also sachgerechter. Ein weiteres konstruktives Problem ergibt sich dabei, wenn das nationale Recht nur ein einheitliches Vertragsstatut ohne Ausnahmebestimmung kennt (also keine dem Art. 28 I 2 EGBGB vergleichbare Vorschrift enthält). Die Herleitung eines besonderen Lückenfüllungsstatuts für bestimmte Einzelfragen wird jedoch auch in diesen Fällen möglich sein. Denn da es nicht auf die Ordnung des Vertrages im Ganzen ankommt, kann wohl auch ein einheitliches Vertragsstatut, das von dieser Prämisse ausgeht, hinsichtlich der Anknüpfung der jeweiligen Regelungslücke teleologisch restringiert werden. Das maßgebliche Einzelstatut kann dann im Wege rechtsfortbildender Lückenfüllung im jeweiligen Kollisionsrecht bestimmt werden. Dabei dürften inhaltlich Ergebnisse, die Art. 28 12 EGBGB vergleichbar sind, gewonnen werden können. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, daß bei Maßgeblichkeit deutschen Kollisionsiechts sowohl eine Verweisung nach Art. 28 I 1 als auch nach Art. 28 12 EGBGB gemäß Art. 35 EGBGB als Sachnormverweisung zu verstehen ist. Damit ist die Bestimmung des Lückenfüllungsstatuts definitiv. Eine etwaige Rück- oder Weiterverweisung durch die Kollisionsnormen des verwiesenen Rechtes wäre unbeachtlich. Wenn dagegen anders als in Art. 35 I EGBGB die Kollisionsnormen einer Rechtsordnung keine Aussage darüber enthalten, ob sie auf Kollisions- oder Sachrecht verweisen, ist anzuerkennen, daß bei Sonderanknüpfungen für einzelne Lücken die Annahme einer Sachnormverweisung vorzugswürdig ist. Denn anderenfalls könnte ein ausländisches Kollisionsrecht eine solche subtil ermittelte Sonderanknüpfung wieder zunichte machen. Zusammenfassend wird man bei der Lückenfüllung durch ein beliebiges nationales Recht also zunächst ermitteln, wie (1) die in Frage stehende Lücke am sachgerechtesten angeknüpft werden kann. Im wesentlichen wird man dabei den soeben beschriebenen Unterschied zwischen allgemeinem Vertragsstatut und Sonderstatut einzelner Forderungen berücksichtigen müssen. Kommt man dabei zum Ergebnis, daß eine Sonderanknüpfung geboten ist, ist (2) zu untersuchen, ob sich eine solche auf eine ausdrückliche Bestimmung des anwendbaren nationalen Kollisionsrechts stützen läßt oder daraus wenigstens entwickelt werden kann. Eine solche Sonderanknüpfung ist schießlich, soweit zulässig, als Sachnormverweisung aufzufassen.

3. Bestimmung des Lückenfüllungsstatuts durch ergänzende einheitliche Kollisionsnormen? In seinen Ausführungen zur Lückenfüllung durch nationales Recht geht Stoll noch einen bemerkenswerten Schritt weiter: Um eine sachgerechte An-

4. Kapitel: Lückenfllung

77

knüpfung einzelner an den kaufrechtlichen Bereich angrenzender Lücken des CISG zu gewährleisten, bedürfe es gar nicht des Rückgriffs auf nationales IPR. Möglich sei vielmehr auch die Herausbildung ergänzender einheitsrechtlicher Kollisionsnormen, die auf die jeweiligen Lücken genau zugeschnitten seien. Da die allgemeinen Kollisionsregeln der verschiedenen Mitgliedstaaten verschieden seien, so daß sich nicht überall eine Lösung wie im deutschen EGBGB durch Art. 2812finden lassen werde, und auch keine befriedigenden vereinheitlichten Kollisionsnormen vorhanden seien,66 könne nur so eine einheitliche Behandlung der Lückenbereiche erreicht werden. Diese ergänzenden Kollisionsnormen gingen nämlich auch den nationalen Regeln vor. Diese Theorie stellt Stoll am in der Rechtsprechung schon öfter entschiedenen67 Fall der Verjährung dar. Zwar falle diese Frage in den Regelungsbereich des Abkommens, sie sei aber nicht ausdrücklich geregelt, so daß es sich um eine inteme Lücke handele, die durch Fortbildung des CISG ausgefüllt werden dürfe. Eine Lükkenfüllung durch einheitliches Sachrecht sei aber utopisch, da eine Regelung konkreter Verjährungsfristen im CISG nicht enthalten sei und schon aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auch nicht aus allgemeinen Grundsätzen (Art. 7 Π) entwickelt werden dürfe. Gleichwohl könnten aus allgemeinen Grundsätzen ergänzende einheitliche Kollisionsnormen abgeleitet werden. Hier biete sich die Übernahme der in Artt. 74 S. 2, 79 enthaltenen contemplation-rule ins Kollisionsrecht an. Demnach übernehme eine Partei im Zweifel nur dasjenige Risiko, das sie bei Vertragsabschluß vernünftigerweise in Betracht zu ziehen gehabt hätte. In kollisionsrechtlicher Hinsicht bedeute dieser Grundsatz, daß nur die Anwendung desjenigen nationalen Rechts gerechtfertigt sei, mit dem der Schuldner bei Vertragsabschluß am ehesten gerechnet hat und rechnen mußte - also das an seinem Niederlassungsort geltende Recht.

Diese Konstruktion hat den Vorteil, daß ergänzende Kollisionsnormen als flankierende Bestimmungen das materielle Einheitsrecht harmonisch mit dem Lückenfüllungsstatut verbinden könnten. Das Beispiel der Verjährung zeigt zudem, daß nur eine Sonderanknüpfung den Charakteristika einzelner Lükkenbereiche (Restfragen) gerecht werden kann. Auch in dogmatischer Hin-

6 6 Versuche zur Vereinheitlichung des Kollisionsrechts sind in diesem Bereich verschiedentlich unternommen worden. Zu nennen ist zunächst das Haager Übereinkommen betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche Sachen anzuwendende Recht vom 15.6.1955 (Jayme/Hausmann Nr. 47 S. 121), dem von den Mitgliedstaaten des CISG allein Italien und Belgien angehören. Dieses Ubereinkommen genießt nach Art. 90 den Vorrang vor dem CISG selbst. Bei italienischem Forum kommt das CISG also nur über Art. 1 I b) zur Anwendung, wenn das Haager Übereinkommen auf das Recht eines Mitgliedstaates verweist. Allerdings nimmt das Übereinkommen auch nicht auf die Besonderheiten der Anknüpfung von Lücken im CISG Rücksicht.- Revidiert und neugefaßt wurde das Haager Übereinkommen am 22.12.1986 ÇText und Kommentierung in EnderleiniMaskow/Strohbach S. 387ff.), um es zur kollisionsrechtlichen Flankierung des CISG umzugestalten; deswegen räumt es diesem auch den Vorrang ein (Art. 8 V, 23 a) n.F.). Jedoch ist die Neufassung noch nicht in Kraft getreten, und die Chancen dafür stehen nach allgemeiner Ansicht schlecht. 6 7

Vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG v. 8.4.1992, IPrax 1993 S. 93 Nr. 7.

78

1. Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfllung

sieht erscheinen ergänzende Kollisionsnormen prima vista vertretbar. Zwar enthält das CISG keine solchen Regelungen. Insbesondere behandelt Art. 28 - die einzige Vorschrift des CISG, die eine Verweisung auf ein bestimmtes nationales Recht (die lex fori) ausspricht - nicht eine Frage der Lückenfüllung. Sie unterwirft nur die Anwendung eines im CISG geregelten Rechtsbehelfs (Erfüllungsanspruch) einem lex fori-Vorbehalt, um auf den Ausnahmecharakter der specific performance 68 im common law Rücksicht zu nehmen. 69

Jedoch ist die Figur ergänzender Kollisionsnormen im Einheitsrecht allgemein keine "Unbekannte". Vielmehr bedienen sich mehrere Abkommen ihrer, um ein Stück Rechtsvereinheitlichung auch in den Bereich der Lücken hinüberzuretten und um Normwidersprüche im Übergangsbereich von Einheitsrecht und nationalem Recht möglichst zu verhindern. Insofern könnte sich diese Konstruktion auch im CISG als nützlich erweisen. Auch einer Herausbildung ergänzender Kollisionsnormen aus den allgemeinen Grundsätzen des Abkommens i.S.d. Art. 7 II steht prinzipiell nichts entgegen. Zwar sind solche ersichtlicherweise bisher nur zur Rechtsfortbildung im materiellrechtlichen Bereich herangezogen worden.70 Doch da das CISG im Bereich der internen Lücken schon eine Rechtsfortbildung auf der Ebene der Sachnormen gestattet, muß es a maiore ad minus auch zulässig sein, wenn das Einheitsrecht in bestimmten Fällen von seiner Regelungsmacht nur auf kollisionsrechtlicher Ebene Gebrauch macht. Die konkrete materiellrechtliche Lösung der jeweiligen Fragen, die das CISG auch selbst hätte entscheiden dürfen, bleibt dabei weiterhin einem nationalen Sachrecht überlassen. Gegen Stolls Konstruktion könnte aber sprechen, daß im Rahmen des Abkommens für eine Herleitung allgemeiner Grundsätze im Bereich externer Lücken keine Kompetenz vorhanden ist. Eine autonome Lückenfüllung durch allgemeine Rechtsgrundsätze, zu der auch die Rechtsfortbildung durch ergänzende Kollisionsnormen zu zählen wäre, ist bekanntlich nur bei internen Lükken i.S.d. Art. 7 Π statthaft. Zur Regelung außerkaufrechtlicher Bereiche ist das CISG kollisionsrechtlich ebensowenig wie materiellrechtlich befugt. In diesem Zusammenhang werden Stolls Ausführungen etwas inkonsequent: In seiner Abhandlung über internationalprivatrechtliche Fragen bei der landesrechtlichen Ergänzung des CISG will er die sog. Restfragen ausschließlich außerhalb des Regelungsbereichs des Abkommens ansiedeln.71 Zu solchen Restfragen gehörten insbesondere Zession, Schuldübernahme und Ver6 8

Vgl. dazu unten S. 216ff.

6 9

Schlechtriem-Huber

Art. 28 Rz. 4.

7 0

Vgl. Schlechtriem-Herber Art. 7 Rz. 33ff.; Dölle-Wahl Ait. 17 Rz. 48ff.; Kropholler, Einheitsrecht, S. 151-159, 198-201; Karollus S. 16f.; Enderlein/Maskow/ Strohbach Art. 7 Ziff. 7. 7 1

Internationalprivatrechtliche Fragen, S. 497 Ziff. 2.

4. Kapitel: Lückenfllung

79

jährung. In seinen neueren Ausführungen zu ergänzenden Kollisionsnormen stuft er jedoch - ohne jegliche Kommentierung seiner offenbar geänderten Auffassung - die "Restfrage Verjährung" als interne Lücke ein. In der Folge wird dann die Konstruktion einer ergänzenden Kollisionsnorm für das Verjährungsstatut überhaupt erst möglich. Anders als bei anderen Fragen, die im BGB zum Allgemeinen Schuldrecht oder zum Allgemeinen Teil gehören,72 dürfte eine Zuordnung des Instituts der Verjährung zum Regelungsbereich des CISG aber nicht vertretbar sein und zudem kaum auf Akzeptanz in den Mitgliedstaaten stoßen. Denn in diesem Bereich wurde, wie erwähnt, auf eine Regelung im CISG bewußt zugunsten des bereits im Entwurf feststehenden UN-Abkommens über die Verjährung verzichtet. Abschließend läßt sich folgern, daß die Konstruktion ergänzender einheitsrechtlicher Kollisionsnormen ein hervorragendes Instrument zur kollisionsrechtlichen Flankierung des Einheitlichen Kaufrechts darstellt. Im Bereich der externen Lücken wie insbesondere im Fall der Verjährung ist es jedoch unzulässig.

4. Anwendbarkeit der lex fori bei Randfragen? Ebenfalls von Stoll73 stammt der weitere beachtliche Vorschlag, im Anwendungsbereich des Lückenfüllungsstatuts74 nach Rest- und Randfragen zu unterscheiden und letztere unmittelbar den Sachnormen der lex fori zu unterstellen. Restfragen seien dagegen ohne Besonderheiten entsprechend der Systematik des DPR nach dem einschlägigen Vertragsstatut zu behandeln. Unter Randfragen versteht Stoll diejenigen nicht geregelten Fragen, die nach regelmäßiger Erfahrung nicht grundsätzliche Wertungen, sondern hauptsächlich die Rechtstechnik beträfen. Als Beispiele nennt er Bedingung und Befristung sowie die Regeln zur Schadensbemessung, soweit sie nicht schon im CISG enthalten seien. Alle übrigen externen Lücken sollen dagegen Restfragen darstellen. Die Existenzberechtigung von Randfragen ergebe sich aus einer prozessualen Rechtsanwendungsregel, der zufolge der Richter bei untergeordneten Fragen geringer Wertungsrelevanz ohne Vorschaltung der Kollisionsnormen sein eigenes Sachrecht anwenden dürfe. Dieses Vorgehen bringe auch den Vorteil mit sich, daß die praktisch oft kaum durchführbare Abgrenzung zwischen internen und externen Lücken75 im Bereich der Randfragen überflüssig wer-

7 2

Vgl. oben S. 34f.

7 3

Internationalprivatiechtliche Fragen, S. 498-500.

7 4

Also bei externen und nicht autonom ausfüllbaien internen Lücken.

7 5

A.a.O. S. 498.

8 0 1 . Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfüllung

de. 76 Jedoch dürfe der Wunsch nach einer vereinfachten Behandlung solcher Materien nicht dazu führen, daß alle "lästigen" Fragen, die nicht klar im CISG geregelt seien, zu Randfragen abgewertet und deswegen der lex fori unterstellt würden. Einzuräumen ist dieser Ansicht, daß die Abgrenzung von internen und externen Lücken im Einzelfall schwierig sein kann. Außerdem tendieren die Gerichte in der Praxis dazu,77 sich besonders bei nebensächlichen Fragen nicht lange mit kollisionsrechtlichen Erwägungen aufzuhalten, sondern vielmehr ohne Zwischenschritte auf die lex fori zurückzugreifen. Die Unterscheidung von Rest- und Randfragen gibt aber insofern zu berechtigter Kritik Anlaß, als - zumindest de lege lata - das CISG eben auch bei nebensächlichen Fragen eine klare Trennung von internen und externen Lükken vorgibt und allgemein der Begriff Randfragen im Abkommen keine Stütze findet. Außerdem kann die Abgrenzung zwischen wertungsmäßig erheblichen und unerheblichen Fragen genauso problematisch werden wie die Differenzierung zwischen internen und externen Lücken. Noch schwerwiegender ist aber, daß sich eine prozeßrechtliche Verweisung auf die lex fori, wie sie Stoll anführt, aus dem CISG ersichtlicherweise nicht herleiten läßt. Für eine solche ergänzende Kollisionsnorm würde dem CISG, wie gezeigt,78 im Bereich der externen Lücken, auch die Regelungskompetenz fehlen. Aber auch den nationalen Kollisionsrechten läßt sich eine solche einheitliche lex foriVerweisung soweit ersichtlich nicht entnehmen. Der Konstruktion der Randfragen kann damit zum gegenwärtigen Zeitpunkt mangels rechtlicher Grundlage nicht gefolgt werden. De lege ferenda könnte dieser Ansatz freilich dann eine wesentliche Vereinfachung mit sich bringen, wenn das Institut der Randfragen von den Vertragstaaten anerkannt würde und es gelingen würde, bestimmte Fragen einheitlich als Randfragen festzulegen.79

IV. Anknüpfung von Lücken im außervertragsrechtlichen

Bereich

Die bisher erwähnten Fälle der Lückenfüllung durch nationales Recht betreffen allesamt den vertragsrechtlichen Bereich, der von vielen nationalen 7 6 Dieses Vorgehen läuft im Ergebnis auf eine einheitliche Sachnormverweisung auf die Vorschriften der lex fori im Bereich der Randfragen hinaus. 7 7

Stoll a.a.O. Fn. 19 belegt dies mit Beispielen aus dem internationalem Transportrecht. 7 8 7 9

ObenS. 78.

Es sei an dieser Stelle noch erwähnt, daß Stoll selbst in seinem neueren Beitrag zur Lückenfüllung im Einheitlichen Kaufrecht (Regelungslücken, S. 692ff.) den Begriff Randfragen nicht mehr verwendet.

4. Kapitel: Lückenfllung

81

Kollisionsrechten, insbesondere auch dem neuen deutschen IPR (Art. 27f. EGBGB) einem einheitlichen Vertragsstatut unterstellt wird. Dieser Bereich entspricht im wesentlichen - von einigen externen Lücken (z.B. Art. 4 S. 2) abgesehen - auch dem Regelungsbereich des CISG. Dort kommt das nationale Recht nur subsidiär zur Anwendung ("Subsidiärstatut"), für den Fall, daß aus dem CISG keine Regelung abgeleitet werden kann. Selbstverständlich können in einem kaufrechtlichen Fall aber auch außervertragsrechtliche Lücken relevant werden, insbesondere solche Fragen, die die deutsche lex fori als Sachen- oder deliktsrechtlich qualifizieren würde. Was das Sachenrecht anlangt, wurde oben80 schon festgestellt, daß das CISG diesen Bereich allgemein als externe Lücke statuiert und weitgehend - sieht man von Artt. 30 und 41 sowie der Frage der Rückabwicklung (Artt. 8 Iff.), die sich auch auf das Eigentum erstrecken kann, ab 81 - dort auch keine Regelungen enthält. Für die genannten Einzelregelungen kann im übrigen offengelassen werden, ob das CISG sie autonom "nicht-sachenrechtlich", sondern kaufrechtlich qualifiziert oder ob sie ausdrückliche andere Bestimmungen i.S.d. Art. 4 S. 2 1. Hs. darstellen, mit anderen Worten ausnahmsweise geregelte sachenrechtliche Fragen (was oben82 zu Art. 30 und 41f. vertreten wurde und naheliegender ist): Denn nach beiden Konstruktionen gehen sie dem nationalen Recht vor, und nur darauf kommt es nach der Zielbestimmung des Art. 7 I an. Probleme einer etwaigen kumulativen Anwendung von CISG und nationalem Sachenrecht sind hier nicht ersichtlich. Außerhalb der genannten Einzelfragen ist das von den DPR-Normen des Forums bestimmte Sachenrechtsstatut ohne Besonderheiten anwendbar. Dieses ist im deutschen Recht nach dem lex rei sitae-Grundsatz und dessen anerkannten Ausnahmen zu ermitteln.83 Komplizierter ist jedoch das Zusammenspiel von CISG und nationalem Deliktsrecht, zumal eine dem Art. 4 S. 1 1. Hs. vergleichbare Bestimmung im CISG fehlt. Hierzu wird in der Literatur die Meinung vertreten, daß das CISG auch hinsichtlich solcher von ihm geregelter Fragen, die regelmäßig in den nationalen Deliktsrechten ebenfalls erfaßt werden - also Überschneidungsbereiche von Kauf- und Deliktsrecht wie Mangelfolgeschäden und in gewissem Umfang auch Schutzpflichten bzw. Schutzpflichtäquivalente - eine ausschließlich kaufrechtliche Qualifikation vornehme. Danach würde ein konkurrierendes nationales Deliktsrechts grundsätzlich verdrängt;84 es bräuchte

8 0

S. 50.

8 1

Vgl. oben S. 50.

8 2

S. 50f.

8 3

Vgl. Palandt-Heldrich

8 4

Anh. Π zu EGBGB 38 Rz. 2ff.

So sind wohl Enderle in/Maskow/Strohbach haftung, S. 538 zu verstehen.

6 Schmid

Art. 5 Ziff. 1.2. und Otto, Produkt-

8 2 1 . Teil, 1. Abschnitt: Regelungsbereich, Lücken und Lückenfllung

deswegen gar nicht mehr kollisionsrechtlich ermittelt und materiell auf seine Anwendung hin untersucht werden.85 Wenn man einer so weitgehenden autonomen Qualifikation nicht folgt, sondern wie die vorliegende Arbeit die Verdrängungsfrage erst auf Konkurrenzebene löst,86 muß ermittelt werden, wie gegebenenfalls konkurrierende deliktsrechtliche Ansprüche angeknüpft werden. Zunächst läßt sich feststellen, daß eine akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts an das Vertragsstatut wie im nationalen IPR 87 ins Leere geht: Denn neben dem einheitsrechtlichen Vertragsstatut existiert schlichtweg kein einheitsrechtliches Deliktsstatut. Die ratio der akzessorischen Anknüpfung - die einheitliche Anknüpfung des Überlappungsbereichs von Vertrags- und Deliktsrecht zur Vermeidung von Normwidersprüchen - könnte deswegen selbst dann nicht realisiert werden, wenn man das Deliktsstatut immer der Rechtsordnung entnähme, als deren inkorporierter Teil das CISG im jeweiligen Fall zur Anwendung kommt; denn auch dann unterstünden beide Statute keiner einheitlichen funktionalen Gesamtordnung, die Widersprüche weitgehend ausschließen würde. Aus diesen Gründen ist eine solche Anknüpfung im Zusammenspiel von CISG und nationalem Recht nicht mehr sinnvoll. Am sachgerechtesten erscheint es in dieser Situation, wie im Bereich der Produzentenhaftung88 an das Recht des Markt- bzw. Verkaufsortes anzuknüpfen, denn damit mußten beide Parteien bei Vertragsschluß am ehesten rechnen. Bei Schädigungen außerhalb des Anwendungsbereichs des CISG, insbesondere auch bei Schädigungen Dritter, bleibt es selbstverständlich nach allen Ansichten bei der allgemeinen Verweisung auf das Tatortrecht.89

V. Lückenßllung durch Rechtswahl Beachtens- und für die Parteien empfehlenswert ist schließlich die Möglichkeit, Probleme der dépeçage zumindest teilweise durch die Wahl eines bestimmten Lückenfüllungsstatuts zu lösen. Dabei können die Parteien auch festlegen, für welche Einzelfragen dieses Statut kompetent sein soll. Im Bereich der externen Lücken ist eine solche Rechtswahl, insbesondere deren Zustandekommen und Zulässigkeit, nach den nationalen Kollisionsnormen der lex fori (z.B. Art. 27 I, IV i.V.m. Art. 31 I EGBGB) zu beurteilen. Denn dem Einheitsrecht fehlt für diesen Bereich die Regelungszuständigkeit. 8 5

Dazu eingehend unten S. 84ff.

8 6

So die unten S. 84ff. vorgeschlagene Lösung.

8 7

Dazu Palandt-Heldrich

8 8

Palandt-Heldrich

8 9

Vgl. Palandt-Heldrich

EGBGB 38 Rz. 14, 17.

a.a.O. Rz. 17. EGBGB 38 Rz. 2ff.

4. Kapitel: Lückenfullung

83

Im Regelungsbereichs des Abkommens selbst ist eine Rechtswahl unproblematisch zulässig. Es dürfen sogar nur einzelne Normen oder Institute des CISG durch das Wahlstatut ersetzt werden: Denn wenn Art. 6 nicht nur erlaubt, das Abkommen auszuschließen, sondern auch, von einzelnen Bestimmungen abzuweichen oder deren Rechtsfolgen zu ändern, muß erst recht auch eine teilweise Abbedingung möglich sein.90 Das wirksame Zustandekommen einer solchen Rechtswahlrichtetsich nach den einheitsrechtlichen Vorschriften über den Vertragsschluß (Artt. 24-24). Zusammenfassend ist zur Lückenfüllung festzuhalten, daß eine Frage innerhalb des Regelungsbereichs, die die Vorschriften des CISG auch bei weiter Auslegung nicht erfassen, zunächst nach den zulässigen Methoden der autonomen Lückenfüllung, insbesondere den allgemeinen Grundsätzen des Abkommens, zu behandeln ist. Ist die betreffende Frage auch danach keiner einheitsrechtlichen Regelung zugänglich, ist auf das nach den Kollisionsnormen der lex fori zu bestimmende Lückenfüllungsstatut zurückzugreifen. Dieses ist mit Ausnahme des Sonderstatuts für einzelne Forderungen mit dem allgemeinen Vertragsstatut der nationalen Kollisionsrechte (z.B. Art. 28 11 EGBGB) identisch. In den außervertragsrechtlichen Bereichen, insbesondere im Sachen- und Deliktsrecht, ist im Grundsatz eine Anknüpfung wie im nationalen IPR vorzunehmen. Wenn nach dem in diesem Abschnitt dargestellten Vorgehen eine bestimmte Sachfrage insgesamt oder auch nur teilweise dem Regelungsbereich des Einheitsrechts unterstellt und eine konkret anwendbare Bestimmung gefunden bzw. im Wege autonomer Lückenfüllung entwickelt werden konnte, ist weiter das Schicksal von konkurrierenden Normen oder ganzen Instituten des Lükkenfüllungsstatuts zu klären.

9 0

6*

Schlechtriem-Herber

A r t 6 Rz. 6 m.w.N.

84

1. Teil, 2. Abschnitt: Nonkonkurrenz

2. Abschnitt Normenkonkurrenz zwischen Vorschriften des Einheitsrechts und des nationalen Rechts 1. Kapitel: Grundlagen § 1 Die Bedeutung der Normenkonkurrenz für das Zusammenspiel von Einheitsrecht und nationalem Recht

Wenn nach dem im ersten Abschnitt dargestellten Vorgehen eine bestimmte Sachfrage eine einheitsrechtliche Lösung erlaubt, stellt sich im weiteren wie erwähnt das Problem, ob und in welchem Umfang daneben auch konkurrierende Bestimmungen des nationalen Rechts zur Anwendung kommen können. Ebenso wie im internen deutschen Recht läßt ich mit Konkurrenz oder Normenkonkurrenz die Situation bezeichnen, daß derselbe Lebenssachverhalt die Tatbestände von mehreren Normen oder Normkomplexen erfüllt. Handelt es sich um ein Zusammentreffen von anspruchsbegründenden Normen, die ganz oder im wesentlichen übereinstimmende Leistungsgegenstände zum Inhalt haben, spricht man von Anspruchkonkurrenz.1 Probleme werfen Konkurrenzen vor allem dann auf, wenn die Nebeneinander-Anwendung der zusammentreffenden Normen zu - logischen oder teleologischen - Normwidersprüchen führen würde. Normwidersprüche werden in der Literatur teilweise auch als Kollisionen bezeichnet. 2 Zur Vermeidung von Verwechslungen insbesondere mit dem IPR sollte dieser Begriff aber dem Zusammentreffen von Normen bzw. Normkomplexen (wie z.B. Statuten im IPR-Sinne) an sich - unabhängig von der Frage von Widersprüchen vorbehalten bleiben. Weiterhin findet sich auch die interessante Deutung von Widersprüchen als eigenständige sog. sachliche Kollisionen.3

Prima vista erscheint die Lösung des Konkurrenzproblems vorgezeichnet: Fallen die konkurrierenden Normen in den Regelungsbereich des Einheitsrechts und läßt sich aus diesem für die von ihnen berührten Fragen auch eine Regelung finden, werden sie wegen dessen Vorrangs als lex specialis verdrängt. Betreffen sie dagegen eine externe oder eine nicht im Wege der autonomen Lückenfüllung zu schließende interne Lücke, kommen sie neben dem 1 I m deutschen Recht spricht man dabei auch von Anspruchskonkurrenz i.w.S. Vgl. allgemein Palandt-Heinrichs § 194 Rz. 8; Georgiades S. 66; Staudinger-Dilcher § 194 Rz. 16; Engisch S. 162ff. Zu vage die Formulierung von Hassold S. 1864: "Konkurrenz besteht zwischen Normen, die dasselbe Problem, d.h. denselben Fallbereich in derselben Hinsicht regeln." - Im einzelnen sogleich unten S. 89. 2

So insbesondere Lorenz, Methodenlehre, passim; Minas-v. Savigny S. 45.

3

Kegel, Allgemeines Kollisionsrecht, S. 48f. und 57ff.

1. Kapitel: Grundlagen

85

Einheitsrecht zur Anwendung. Im Einklang damit läßt sich in der Literatur4 häufig die pauschale Formulierung auffinden, eine Trage sei im Abkommen geregelt, so daß nationales Recht nicht mehr zur Anwendung gelangen könne." Darin liegt unumstritten auch der Grundsatz des Zusammenspiels von Einheitsrecht und nationalem Recht. Die Zuordnung einer nationalen Norm zum Regelungs- bzw. Lückenbereich des Einheitsrechts erfolgt dabei durch deren Subsumtion unter einen lükkenumschreibenden Systembegriff der einheitsrechtlichen Kollisionsnormen (z.B. Art. 4: Abschluß des Vertrages, Vertragsgültigkeit) oder durch eine negative Zuordnung (z.B. "jedenfalls nicht kaufrechtlich"). Die Lösung erfolgt also auf kollisionsrechtlicher Ebene. In der Mehrzahl der Fälle läßt sich damit das Schicksal der konkurrierenden nationalen Bestimmungen schon entscheiden. So wird man die Frage, ob der Käufer eine fehlerhafte Ware wandeln kann (§§ 346, 467, 465, 462, 459 BGB) eindeutig dem Bereich der Rechte des Käufers bei Vertragsverletzungen des Verkäufers zuordnen und auch die einschlägige Bestimmung des Einheitsrechts (Art. 49) auffinden. Damit liegt im CISG natürlich keine Lücke vor, so daß die nationalen Bestimmungen des BGB verdrängt werden.

In anderen Fällen ist die Zuordnung eines nationalen Tatbestandes zum Regelungs- bzw. Lückenbereich dagegen außerordentlich problematisch. Das ist erstens der Fall, wenn sich das nationale Rechtssystem in Strukturen und Grundbegriffen erheblich vom Einheitsrecht unterscheidet, so daß die Subsumtion einer nationalen Norm unter einheitsrechtliche Systembegriffe zumindest nach dem Wortlaut allein nicht mehr eindeutig möglich ist. So wird man zumindest anfänglich Schwierigkeiten haben, das angloamerikanische Institut der consideration richtig einzuordnen. Mit der bloßen Zuordnung zu Systembegriffen (kollisionsrechtliche Lösung) kommt man hier nicht weit. In Frage kämen nämlich die Bereiche Abschluß des Vertrages (Art. 4 S. 1), Gültigkeitsfrage (Art. 4 S. 2 lit. a) und unter Umständen auch Formfrage (Art. 11).

Zur Lösung eines solchen Konkurrenzproblems wird man sich vielmehr ähnlich wie bei der Qualifikation im IPR auch auf die Ebene des materiellen Rechts begeben und das CISG nach Regelungen durchsuchen müssen, die der consideration-hehie vergleichbar sind und deshalb einer (positiven) Abgrenzungsnorm des Abkommens unterstellt werden dürfen. Auf diese Weise kann erst ein eventueller Vorrang des Einheitsrechts festgestellt werden (hier sog. Konkurrenzlösung). Ebenso sollte man nach der hier vertretenen Ansicht auch bei solchen Systembegriffen des Abkommens verfahren, die sich autonom nicht hinreichend deutlich bestimmen lassen, wie z.B. der bereits erörterte Begriff Vertragsgültigkeit (Art. 4 S. 2 lit. a).5

4 Wörtlich so argumentiert etwa Honnold Art. 5 See 73 S. 121ff. Ähnlich Schlechtriem-Schlechtriem Einl. S. 30f. 5

Vgl. oben S. 36ff.

86

1. Teil, 2. Abschnitt: Nonkonkurrenz

Schließlich ist die Feststellung, eine bestimmte nationale Norm gehöre zu einem im Abkommen geregelten Systembereich, nicht immer zur Beantwortung der Frage, ob eine Verdrängung stattfindet, ausreichend. Denn es ist auch denkbar, daß die Regelung des Abkommens gar nicht abschließend sein sollte, daß mit anderen Worten eine Nebeneinander-Anwendung (kumulative Konkurrenz) von einheitsrechtlicher und nationaler Norm in Frage kommt. Im kollisionsrechtlichen Sinne kann man in diesen Fällen von einer Doppelqualifikation sprechen.6 Genausowenig wie es fur das nationale deutsche Recht zutrifft, daß das Deliktsrecht bei einer bestimmten Frage (z.B. Mangelfolgeschäden) bereits deswegen nicht mehr angewandt werden darf, weil diese schon im Veitragsrecht geregelt ist, verbietet sich dieser Schluß - zumindest in dieser pauschalen Form - auch beim Zusammentreffen von Einheitsrecht und nationalem Recht: Obwohl von der herrschenden Ansicht vertreten wird, Mangelfolgeschäden unterfielen dem CISG, bedeutet das nicht zwingend, daß nationales Deliktsrecht nicht mehr konkurrierend zum einheitlichen Vertragsrecht anwendbar wäre. 7

Aufgabe dieses Abschnittes ist es deswegen, die für die Entscheidung einer Konkurrenzfrage in methodischer und inhaltlicher Hinsicht maßgeblichen Wertungen aufzuschlüsseln. Dazu wird zunächst die Natur der Kollision von Einheitsrecht und nationalem Recht im Vergleich zu anderen Fällen von Normenkollisionen untersucht.

§ 2 Natur der Kollision zwischen Einheitsrecht und Lückenfüllungsstatut im Vergleich zu anderen Normenkollisionen

Seinem Ursprung nach ist das Zusammentreffen von CISG und nationalem Lückenfüllungsstatut ein besonderer Fall der Statutenkollision. Denn beide Rechte werden erst von Kollisionsnormen, den Abgrenzungsnormen des CISG bzw. den nationalen IPR-Normen der lex fori, zur Anwendung berufen. 8 Indessen gibt es bedeutsame Unterschiede zu einer von nationalen IPRNormen angeordneten Statutenkollision. Bei letzterer handelt es sich nämlich um ein Zusammentreffen von Normenkomplexen, die verschiedene Materien regeln (z.B. Vertrags- und Deliktsstatut) und grundsätzlich gleichberechtigt auf derselben Stufe nebeneinander stehen, mit anderen Worten um eine hori6

Vgl. dazu bereits oben S. 55ff. (57).

7

Vgl. zu diesem Fall oben S. 57 sowie das 2. Kapitel (S. 94ff).

8

Nach EnderleinIMaskowlStrohbach Einl. S. 30f. handelt es sich hier nicht um eine Frage des Kollisionsrechts im traditionellen Sinn, denn es würden nicht unterschiedliche nationale Rechte, sondern Rechtssphären - das Einheitsrecht einerseits und die einzelnen nationalen Rechte andererseits - voneinander abgegrenzt.- Jedoch erscheint es praktisch wenig hilfreich, sämtliche nationalen Rechte als Sphäre des nationalen Rechts festzulegen.

1. Kapitel: Grundlagen

87

zontale Kollision. Dagegen regeln Einheitsrecht und Subsidiärstatut im Ausgangspunkt dieselbe Materie - es handelt sich um zwei Kaufvertragsstatute. Dabei steht das CISG über dem Subsidiärstatut: als lex specialis9 verdrängt es innerhalb seines Regelungsbereichs grundsätzlich das nationale Kaufrecht. In den Lückenbereichen des CISG kommt das Subsidiärstatut wieder zur Anwendung, so daß eine Aufspaltung des Kaufvertragsstatuts eintritt. Es ist hier eine vertikale Kollision gegeben. Erst im außerkaufrechtlichen Bereich, den andere Statute (z.B. Sachenrecht) regeln, tritt das nationale Recht wieder "ungespalten" und gleichrangig (horizontal) neben das Einheitsrecht. Aber selbst dort kann sich die Dominanz des Einheitsrechts im Fall von Normwidersprüchen zeigen: Denn sein Vorrang als lex specialis und der Grundsatz der einheitlichen Anwendung (Art. 7 I) bedingen, daß Widersprüche regelmäßig im Sinne des Einheitsrechts aufzulösen sind. Insofern strahlen seine Wertungen über seinen Anwendungsbereich aus.10 Außerhalb der Fälle einer Statutenkollision im IPR kommen Normenkollisionen auch im unvereinheitlichten nationalen Recht selbst vor, wobei von Konkurrenz oder Anspruchskonkurrenz im weiteren Sinne gesprochen wird: 11 Klassische Beispiele sind etwa das Verhältnis zwischen Eigenschaftsirrtum und Gewährleistung (§§ 119 Π und 459ff. BGB) oder zwischen vertraglichen und deliktischen Ersatzansprüchen im Fall von Mangelfolgeschäden (pW und § 823 BGB). Aber auch hier gibt es erhebliche Unterschiede zur Kollision von CISG und nationalem Recht. Obwohl bestimmte Systembereiche wie Vertrags- und Deliktsrechts mehrere Berührungs- und Überschneidungspunkte aufweisen, treffen im nationalen Recht grundsätzlich nur einzelne Normen aufeinander, und nicht ganze Statute. Es existiert mit anderen Worten dort nur eine Normenkonkurrenz, keine "StatutenkonkurrenzInterne Konkurrenzen innerhalb einer nationalen Rechtsordnung sind des weiteren schon zwingend in deren System angelegt; es handelt sich um "geborene11 und nicht um (durch kollisionsrechtliche Verweisungen) "gekorene" Konkurrenzen. Außerdem stehen konkurrierende Normen des CISG und des nationalen Rechts anders als konkurrierende Bestimmungen innerhalb des nationalen Rechts nicht unter dem Dach einer gemeinsamen funktionalen Gesamtordnung. Dies trifft selbst dann nicht zu, wenn das CISG als Bestandteil derselben Rechtsordnung eines Staates 12 zur Anwendung gelangt, der auch das Lückenfullungsstatut

9

Oben S. 30f.m.w.N.

1 0

Im einzelnen dazu unten S. 108ff.

11

Vgl. oben S. 84 Fn. 1 m.w.N.

1 2 Selbstverständlich in erster Linie mit Normen aus den Rechtsordnungen von Mitgliedstaaten; verweist jedoch eine solche Rechtsordnung auf die eines Drittstaates - indem sie etwa im Deliktsstatut an den locus delicti commissi anknüpft - und nimmt

88

1. Teil, 2. Abschnitt: Normenkonkunz angehört, so daß de facto nur diese eine Rechtsordnung einschlägig ist. Denn entstehungsgeschichtlich und funktional gesehen ist eine nationale Norm nicht in Funktion zu einer inkorporierten einheitsrechtlichen Norm konzipiert worden; das CISG bildet vielmehr im nationalen Recht eine "international-autonome Enklav e " , 1 3 innerhalb derselben Rechtsordnung existieren mithin verschiedene funktionale Gesamtordnungen.

Deswegen ist es grundsätzlich auch nicht möglich, wie im nationalen Recht eine Konkurrenzwertung auf der Basis einer rechtlichen Gesamtordnung vorzunehmen - mit anderen Worten beide Normen sowohl im Verhältnis zueinander als auch im Verhältnis zur darüberstehenden Gesamtordnung zu interpretieren. Insofern kann etwa zur Begründung eines lex specialis-Verhältnisses14 nicht auf Regelungsintentionen des Gesetzgebers zurückgegriffen werden, sondern allenfalls auf die - mehr oder weniger zufällige - Überschneidung der Anwendungsbereiche der konkurrierenden Normen. Weiter ergibt sich daraus, daß das Konkurrenzverhältnis bestimmter Normen oder sogar ganzer Rechtsgebiete nicht nach pauschalen, eine Gesamtordnung voraussetzenden Regeln wie teilweise in nationalen Rechten - z.B. eines non-cumul von Vertrags- und Deliktsrecht wie im französische Recht15 - bestimmt werden kann. Die Lösung einer Konkurrenzfrage muß hier vielmehr dem Einzelfall vorbehalten bleiben. Zur genaueren Erfassung der für die Lösung eines Konkurrenzproblems relevanten Kriterien stellt sich nun die Frage, inwieweit die vorhandenen Kollisions- und Konkurrenzmodelle, das nationale oder das internationalprivatrechtliche, auf Konkurrenzen zwischen Einheitsrecht und Subsidiärstatut angewandt werden können. Zu unterscheiden ist dabei wiederum zwischen der soeben dargelegten vertikalen Kollision von CISG und nationalem Recht im vertragsrechtlichen Bereich und der horizontalen Kollision im außervertragsrechtlichen Bereich. Letztere entspricht einer klassischen IPR-Kollision, so daß auf sie auch die IPR-Regeln, gegebenenfalls mit leichten Modifizierungen im Hinblick auf den erwähnten Wertungsvorrang des CISG, angewandt werden können. Dagegen erweisen sich die IPR-Kollisionsregeln als bereits im Ausgangspunkt ungeeignet, Fälle der vertikalen Kollision zu erfassen. Denn wie erwähnt beschäftigen sich diese nur damit, das Nebeneinander von zwei Statuten harmonisch auszugestalten, nicht auch das "Übereinander". Im Kollisionsrecht finden sich darüber hinaus tendenziell mehr Überlegungen dazu, (horizontale) Kollisionsprobleme nicht aufzulösen, sondern durch verschiedene Kunstgriffe bereits im Ansatz zu vermeiden: So existiert dort bei der Angleichung die sog. internationalprivatrechtliche Lösung, die bezweckt, letztere die Verweisung an, so ist auch eine Konkurrenz der Normen des CISG mit Rechtssätzen dieses Drittstaates denkbar. 13

Formulierung von Stoll, Internationalprivatrechtliche Fragen, S. 496.

1 4

Dazu sogleich S. 90.

15

Vgl. umfassend, auch zu den wichtigen Ausnahmen, Durry S. 146ff.

1. Kapitel: Grundlagen

89

Normwiderspriiche, die im Falle der Kollision zweier Statute auftreten, durch eine "Neu"-Qualifikation zu umgehen.16 Weiter werden im Falle von Schädigungen der anderen Partei im Rahmen einer vertraglichen Sonderbeziehung deliktische Ansprüche akzessorisch17 an das Vertragsstatut angeknüpft, um eine einheitliche Beurteilung der Rechtslage zu ermöglichen und den Zusammenprall von Ansprüchen aus verschiedenen Rechtsordnungen zu vermeiden.18 Diese beiden Lösungsmöglichkeiten sind jedoch in der Kollision zwischen Einheitsrecht und Subsidiärstatut versperrt. Somit steht das Kollisionsrecht wegen dieser Möglichkeiten, Konkurrenzprobleme zu umgehen, tendenziell weniger in der Notwendigkeit, sich mit zwingend vorgegebenen Konkurrenzen, wie sie beim Zusammentreffen von Einheitsrecht und Lückenfüllungsstatut vorkommen, auseinandersetzen zu müssen. Trotz der aufgezeigten Unterschiede erscheint es hier also aussichtsreicher, eine Lösung auf der Grundlage der nationalen Konkurrenzlehre zu suchen. Sie hat auch, wie noch im einzelnen zu zeigen sein wird, 19 subtile Kriterien und Kategorien entwickelt, um zwingend vorgegebene, nicht "umgehbare" Konkurrenzen zwischen eng verwandten Normen aus verschiedenen Bereichen innerhalb eines Rechtssystems - z.B. den genannten Ersatzansprüchen aus Vertrag und Delikt - zu ordnen.

§ 3 Normenkonkurrenz im nationalen Recht

Innerhalb der nationalen Konkurrenzlehre werden grundsätzlich drei Fälle unterschieden:20

/. Gesetzeskonkurrenz

oder normenverdrängende

Konkurrenz

In den Fällen der Gesetzeskonkurrenz ergibt sich aus logischen, systematischen und vor allem teleologischen Erwägungen die Verdrängung einer Norm durch die andere. Wegen des absoluten Vorrangs der "stärkeren" Norm, der die Anwendung der "schwächeren" im Konfliktfall ausschließt, entpuppt sich hier das Konkurrenzverhältnis als ein nur scheinbares. 16

Vgl. unten S. 112f.

17

Vgl. oben S. 81f.

18

Vgl. statt vieler Palandt-Heldrich

19

Sogleich unten S. 89ff.

EGBGB 38 Rz. 14 und 17 m.w.N.

2 0 MK-Kramer § 241 Rz. 21ff.; Larenz, Methodenlehie, S. 266ff., insbesondere Fn. 25; Kuizübersicht bei Jauernig-Vollkommer § 241 Nr. 5; Staudinger-Dilcher § 194 Rz. 15-25.

90

1. Teil, 2. Abschnitt: Normenkonkurrenz

Die Gesetzeskonkurrenz wird im deutschen Zivil- und Strafrecht in folgende, nicht völlig übereinstimmende Unterfälle eingeteilt: Im Zivilrecht werden Spezialität und Subsidiarität21 unterschieden. Spezialität bedeutet einen in erster Linie logischen Vorrang des speziellen Tatbestandes (lex specialis) gegenüber dem allgemeinen (lex generalis): Die lex specialis weist alle Merkmale der lex generalis und (mindestens) ein zusätzliches Merkmal auf, der Anwendungsbereich der lex specialis stellt also eine Teilmenge des Anwendungsbereichs der lex generalis dar. Als Beispiel nennt Larenz 2 2 das Verhältnis der ersten beiden Absätze des § 565 BGB, wobei Abs. I I eine auf Mieterschutzerwägungen beruhende Spezialregelung für Wohnraummietverhältnisse enthält.

In diesen Fällen ist eine Verdrängung der lex generalis jedoch nur dann zwingend geboten, wenn sich die beiden Rechtsfolgen teleologisch ausschließen, ihre konkurrierende Anwendung also zu Normwidersprüchen führen würde.23 Daraus folgt, daß auch zur Bestimmung des Vorrangs einer lex specialis teleologische Überlegungen erforderlich sind. Die Kategorie der Subsidiarität betrifft dagegen Fälle, in denen sich die Anwendungsbereiche der konkurrierenden Normen nicht völlig decken, sondern vielmehr eine Schnittmenge bilden, in denen jedoch ein (nur) teleologischer Vorrang einer Norm gegeben ist, der zur Verdrängung der anderen führt. Als Beispiel läßt sich die Konkurrenz zwischen §§ 459ff. und 119 I I BGB nennen, die im deutschen Recht 2 4 oft ungenau als Fall der Spezialität bezeichnet wird. Als Begründung hierfür wird angeführt, die Gewährleistungsvorschriften seien vorrangig, weil sie die vertragswidrige Eigenschaftsabweichung umfassend und ausschließlich regelten. 25 Das ist aber strenggenommen nicht ganz korrekt: Zwar kann ein teleologischer Vorrang bejaht werden, nicht jeder Fall der Sachmängelgewährleistung beinhaltet aber automatisch auch einen Irrtum, die Irrtumsfälle stellen also nur eine sog. unechte Teilmenge der Sachmängelfälle dar. Deswegen sollte dieser Fall der Subsidiarität zugeordnet werden.

2 1 Dietz S. 62 spricht von "Subsidiarität infolge erschöpfender Regelung," Larenz, Methodenlehre, S. 268 von "normenverdrängender Konkurrenz." Zur Abgrenzung unbrauchbar dagegen der Begriff "Überschneidung", den Hassold S. 1864 verwendet; denn auch in den Fällen der Spezialitat liegt eine Überschneidung des Anwendungsbereichs der konkurrierenden Normen vor. 2 2

Larenz, Methodenlehre, S. 268.

2 3

Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 268 mit dem Beispiel eines infolge Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetzes eingetreteten Schadens. Hier ist die Konkurrenz von § 8231 und Π problemlos, eine Verdrängung von Abs. I als lex generalis ist also nicht geboten. 2 4 Anders die meisten anderen europäischen Rechtsordnungen, die hier eine kumulative Normenkonkurrenz annehmen, vgl. insbesondere für Österreich, Lessiak S. 489 m.w.N.; für die Schweiz Bucher-Bucher S. 48. 2 5

Vgl. Palandt-Putzo Vorbem. v. § 459 Rz. 9f.

1. Kapitel: Grundlagen

91

Die wohl h.M. im Strafrecht definiert Spezialität genauso wie das Zivilrecht, unterteilt jedoch die Fälle des (nur) teleologischen Vorrangs etwas genauer in Subsidiarität und Konsumtion.26 Unter Subsidiarität versteht man den allgemeinen Nachrang eines Tatbestandes (Auffangtatbestand) im Verhältnis zu einem anderen; der subsidiäre Tatbestand soll kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung oder aus teleologischen Gründen (sog. stillschweigende Subsidiarität) nur angewandt werden, wenn der vorrangige nicht anwendbar ist. Subsidiarität wird insbesondere bei einer Art normativem Stufenverhältnis zwischen zwei Delikten angenommen, so z.B. bei Versuch und Vollendung oder Täterschaft und Teilnahme.27 Die verbleibende Kategorie der Konsumtion besitzt Auffangfunktion und umfaßt vorwiegend die Fälle, in denen keine Art von Stufenverhältnis zwischen den Delikten wie bei der Subsidiarität besteht, gleichwohl eine Verdrängung eines Delikts aus teleologischen Gründen wiederum geboten erscheint, weil sein Unrechtsgehalt typischerweise durch das andere bereits aufgezehrt (konsumiert) wird. 28

II. Elektive oder alternative Konkurrenz Im Fall der elektiven oder alternativen Konkurrenz kann der Berechtigte zwischen zwei oder mehreren Ansprüchen wählen; danach beschränken sich seine Rechte auf den gewählten, sofern eine Wahl in bestimmten Fällen nicht nachträglich abgeändert werden kann. Ein bekanntes Beispiel ist die Wahlmöglichkeit zwischen Wandelung und Minderung in § 462 BGB oder zwischen Wandelung, Minderung und Schadensersatz in § 463 BGB.

III. Anspruchshäufung (kumulative Normenkonkurrenz) Die Kategorie der Normenhäufung bildet den allgemeinsten Fall der Normenkonkurrenz (echte Anspruchskonkurrenz, Anspruchskonkurrenz i.e.S.). 2 6 Vgl. etwa Dreher/Tröndle v. § 52 Rz. 17ff„ Schmidhäuser 18. Kapitel Rz. 23ff. S. 730ff., Jakobs S. 865ff., Baumann/Weber S. 660ff. I m einzelnen bestehen jedoch hinsichtlich Reichweite und Abgrenzungen der einzelnen Fälle der Gesetzeskonkurrenz erhebliche Meinungsunterschiede, die jedoch selten praktische Bedeutung erlangen. 2 7 2 8

Schmidhäuser Kapitel 18 Rz. 30 S. 732f.

Ein solches Verhältnis wird z.B. angenommen zwischen Einbruchsdiebstahl und Sachbeschädigung, Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässiger Tötung sowie Meineid und uneidlicher Falschaussage. Vgl. etwa Dreher-Tröndle v. § 52 Rz. 20.

92

1. Teil, 2. Abschnitt: Normenkonkurrenz

Sie liegt immer dann vor, wenn ein Sachverhalt mehrere Ansprüche zuläßt, die grundsätzlich unabhängig voneinander sind, wenn also keine Verdrängung stattfindet und kein Alternativverhältnis gegeben ist. Im Unterschied zu den Fällen der alternativen Konkurrenz sind die der kumulativen Konkurrenz auf ein zumindest weitgehend gleiches Anspruchsziel gerichtet, so daß nicht mehrere solche Ziele zur Auswahl stehen.29 Auch wenn sich zwei konkurrierende Ansprüche auf ein und dasselbe Ziel (Interesse)richten,ist anzuerkennen, daß sie als selbständige Ansprüche erhalten bleiben und nicht zu einem Einheitsanspruch verschmelzen: aus der Anspruchskonkurrenz wird keine bloße Anspruchsnormenkonkurrenz. 30 Die entscheidende Abgrenzungsfrage liegt dagegen bei der Unterscheidung von verdrängender und kumulativer Konkurrenz. Als Hauptanwendungsfall der kumulativen Normenkonkurrenz wird meist das Verhältnis von Vertragsrecht und Deliktsrecht genannt. Die entsprechenden Tatbestände stehen grundsätzlich unabhängig nebeneinander, ihre Funktionen und Regelungszwecke sind so unterschiedlich, daß ein Verhältnis der Spezialität oder Konsumtion nicht auftreten kann. Deshalb ist auch eine völlige Verdrängung eines Anspruchs durch den anderen nicht möglich.

Eine Beeinflussung eines Anspruchs durch den anderen wird jedoch ausnahmsweise dann angenommen, wenn die konkurrierende Anwendung die Wertungen (ratio legis) der vorrangigen Norm durchkreuzen würde, also mit anderen Worten ein Normwiderspruch gegeben ist. Die Beeinflussung des Deliktsrechts durch das Vertragsrecht 31 wird im Einzelfall etwa bei divergierenden Haftungsmaßstäben oder Verjährungsfristen zugelassen; so wenn im vertraglichen Bereich ein abgeschwächter Verschuldensmaßstab, z.B. die diligentia quam in suis, anzusetzen ist. In der Folge konsequenter, die Konkurrenz nicht berücksichtigender Rechtsanwendung wäre in einem solchen Fall ein vertraglicher Anspruch zu verneinen, ein deliktischer dagegen zu bejahen.

Hier müssen deswegen Überlegungen zum Verhältnis der betreffenden Normen einsetzen, die von deren Aufgabe sowie deren Sinn und Zweck (funktionale und teleologische Wertung) in der Gesamtordnung des nationalen Rechtssystems (systematische Wertung) ausgehen und an deren Ende in der 2 9

Selbstverständlich dürfen auch im Rahmen der kumulativen Konkurrenz gleiche Leistungsgegenstände nicht kumuliert werden; etwa darf der Geschädigte nicht zweimal - einmal nach Vertrags- und einmal nach Deliktsrecht - Schadensersatz bekommen. 3 0 Begründet hat die Auffassung von der Anspruchsnormenkonkunenz Georgiades S. 142ff. Umfassend dazu Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haftung, S. 46ff., mit zahlreichen weiteren Hinweisen sowie einer Dokumentation der Entwicklung der Lehre. Vgl. auch Larenz, Methodenlehre, S. 269 Fn. 15. Gegen Georgiades zusammenfassend Staudinger-Dilcher § 194 Rz. 22. 3 1

Dagegen ist umgekehrt eine Beeinflussung des Vertragsrechts durch das Deliktsrecht grundsätzlich ausgeschlossen, da - sofern ein Vertrag überhaupt besteht - die zugrundeliegenden vertragsrechtlichen Wertungen vorrangig sind.

1. Kapitel: Grundlagen

93

Regel eine der konkurrierenden Normen zur Beseitigung des Widerspruchs modifiziert wird. Genau betrachtet handelt es sich dabei weniger um die nachträgliche Beseitigung von Widersprüchen als um ein sachgerechtes Verständnis jeder Norm im Gesamtgefüge einer Rechtsordnung.32 Die konkurrierenden Normen sind bereits von vornherein so auszulegen und gegebenenfalls zu modifizieren, daß sie sich stimmig in dieses Gesamtgefüge einpassen lassen. I m obigen Fall unterschiedlicher Verschuldensmaßstabe kommt man dabei zu dem Schluß, daß die deliktische Haftung nicht weiter als die vertragliche gehen kann, weil sonst die wertungsmäßig vorrangige ratio der letzteren - die Privilegierung eines unter besonderen Umständen handelnden Schädigers - unterlaufen würde.

Bei der kumulativen Normenkonkurrenz läßt sich also im Unterschied zur Gesetzeskonkurrenz das Verhältnis zwischen den konkurrierenden Normen nicht im Sinne eines allgemeinen, zur Verdrängung führenden Vorrangs charakterisieren, sondern es wird nur eine Beeinflussung in casu anerkannt, wenn anderenfalls die vorrangigen Wertungen einer Norm gestört würden. Im Ergebnis bleiben dann auch beide Normen anwendbar, eine wird nur modifiziert, aber nicht verdrängt. Am Ende dieses Kapitels zu den Grundlagen der Normenkonkurrenz sollen nun folgende Arbeitshypothesen für das weitere Vorgehen aufgestellt werden: (1) Die beiden Grundtypen der Normenkonkurrenz - normenverdrängende und kumulative Konkurrenz - lassen sich auch zur Erfassung des Zusammenspiels von Einheitsrecht und nationalem Recht nutzbar machen. Während die normenverdrängende Konkurrenz den Regelfall in der vertikalen Kollision von CISG und nationalem Recht im kaufrechtlichen Bereich darstellt, trifft das für die kumulative Normenkonkurrenz im Bezug auf die horizontale Kollision im außerkaufrechtlichen Bereich zu. (2) Die zur Erfassung der für die Verdrängung nationalen Rechts maßgeblichen Kriterien sollen aus den nationalen Regeln zur normenverdrängenden Konkurrenz entwickelt werden, wobei letztere entsprechend der Besonderheiten der hier vorliegenden Konkurrenzsituation zu modifizieren sind. (3) Normkonflikte, namentlich Widersprüche, die in den Fällen der kumulativen Konkurrenz vorkommen, sollen mittels kollisionsrechtlicher Regeln, insbesondere der Lehre von der Angleichung, aufgelöst werden. Denn diese enthalten tendenziell mehr methodisch dafür brauchbare Möglichkeiten als die dargelegten nationalen Regeln. 3 2 3 3

Vgl. instruktiv MK-Sormenberger

Einf. Rz. 424.

Solche Wertungen sind immer problematisch und können daher nur einzelfallbezogen getroffen werden. Gegen einen allgemeinen Vorrang des Vertragsrechts spricht, daß es oft nicht zu rechtfertigen ist, den Schädiger wegen der bloßen Existenz einer schuldrechtlichen Sonderverbindung zu privilegieren (so auch Larenz, Methodenlehre, S. 269).

94

1. Teil, 2. Abschnitt: Normenkonkurrenz

2. Kapitel: Die normenverdrängende Konkurrenz § 1 Unterschiede zur nationalen Gesetzeskonkurrenz und Kriterien für die Verdrängung des nationalen Rechts im Zusammenspiel mit dem CISG

Eine Analyse der Fälle von normenverdrängender und kumulativer Normenkonkurrenz im Zusammenspiel von Einheitsrecht und nationalem Recht läßt erkennen, daß hier im Vergleich zur Konkurrenz im nationalen Recht eine Art spiegelverkehrtes Verhältnis gegeben ist. Dort bildet die friedliche Koexistenz, mit anderen Worten die kumulative Anwendung zweier konkurrierender Bestimmungen, den Regelfall. Zur Verdrängung einer Norm kommt es nur, wenn die konkurrierende Anwendung zu Normwidersprüchen führen würde und ein logischer oder teleologischer Vorrang der anderen Norm gegeben ist. In der Kollision zwischen Einheitsrecht und Subsidiärstatut ist wegen des allgemeinen Vorrangs des CISG als internationalen Sonderkaufrechts dagegen die Verdrängung konkurrierenden nationalen Kaufrechts die Regel, auch wenn kein Normwiderspuch auftritt. Wie am Anfang dieses Abschnitts ausgeführt, 1 besteht insoweit bereits ein Vorrang des gesamten Statuts, der eine Untersuchung des Verhältnisses konkurrierender Normen (Konkurrenzlösung) normalerweise überflüssig macht. Wie ebenfalls dort erörtert, ist eine solche Untersuchung im Hinblick auf einen logischen oder teleologischen Vorrang aber geboten, wenn eine Zuordnung zum Anwendungsbereich des CISG oder das Vorliegen einer abschließenden Regelung zweifelhaft ist.2 Dabei dürfte jedoch eine Gesetzeskonkurrenz in Form der Spezialität kaum vorkommen. Denn Fälle, in denen eine nationale Norm eine lex generalis im Verhältnis zu einer einheitsrechtlichen darstellt, dürften regelmäßig bereits eindeutig und abschließend zum kaufrechtlichen Bereich zu rechnen sein, so daß eine gesonderte Untersuchung der Normenkonkurrenz gar nicht erforderlich ist. So wird man unschwer erkennen, daß sich hinter Art. 35 I ("der Verkäufer hat Ware zu liefern, die in Menge, Qualität und Art. ... den Anforderungen des Vertrages entspricht") der subjektive Fehlerbegriff des BGB verbirgt, während die Grundnorm des Art. 35 Π a) ("...die Ware entspricht dem Vertrag nur, wenn sie sich für Zwecke eignet, fur die Ware der gleichen Art gewöhnlich gebraucht wird") eine Entsprechung des objektiven Fehlerbegriffs darstellt. Die Regelungen des BGB werden deswegen in vollem Umfang verdrängt.

Weiterhin ist zur Verdrängung eine strenge Spezialität im oben definierten Sinn gar nicht erforderlich; es genügt wegen des allgemeinen Vorrangs des

1

Oben S. 85.

2

Ausfuhrlich oben S. 85.

2. Kapitel: Die noenverdrängende Konkurrenz

95

CISG eine bloße Kongruenz der Tatbestände, so daß auch eine einheitsrechtliche lex generalis einer nationalen lex specialis nicht zu weichen bräuchte. Von zentraler Bedeutung sind im Zusammenspiel von CISG und nationalem Recht dagegen die Fälle, in denen ein Vorrang der einheitsrechtlichen Norm nur funktional-teleologisch ermittelt werden kann. Für diese erscheint eine Aufteilung in Subsidiarität und Konsumtion wie im deutschen Strafrecht nicht günstig. Zum einen ist eine solche Unterscheidung inhaltlich nicht geboten. Insbesondere läßt sich die Kategorie der Subsidiarität im strafrechtlichen Sinn im Zusammenspiel des CISG mit nationalen Recht nicht wiederfinden. Denn dort existiert kein normatives, auf einer einheitlichen Konzeption des Gesetzgebers beruhendes Stufenverhältnis einzelner Bestimmungen wie im Strafrecht, da beiden Rechtsordnungen wie erwähnt3 keine gemeinsame funktionale Gesamtordnung zu eigen ist. Schließlich ist der Begriff der Subsidiarität - ähnlich wie der der Spezialität - schon belegt für die Bezeichnung des allgemeinen Verhältnisses von CISG und nationalem Kaufrecht (Subsidiärstatut). Aus diesen Gründen soll hier für die Fälle des ausschließlich teleologischen Vorrangs allein der Begriff der Konsumtion, der zudem auch im Zivilrecht eine große Tradition hat,4 Verwendung finden. Auch bei diesen Fällen bedingt der allgemeine Vorrang des Einheitsrechts schließlich einen wesentlichen Unterschied im Vergleich zur Gesetzeskonkurrenz im nationalen Recht. Die Verdrängung einer nationalen Norm muß im Grundsatz schon dann stattfinden, wenn die einheitsrechtliche ihr in puncto Funktionalität und Teleologie gleichwertig (äquivalent) ist und nach der Regelungsteleologie des Einheitsrechts eine abschließende Reglung - d.h. der Ausschluß einer kumulativen Anwendung - gewollt ist. Eines darüber hinausgehenden funktionalen oder teleologischen Vorrangs der jeweiligen einheitsrechtlichen Norm bedarf es dann anders als in der nationalen Konkurrenzsituation nicht mehr. Wenn dagegen das nationale Recht dieselbe (oder auch nur eine weitgehend ähnliche) Frage - nur oder auch - unter ganz anderen funktionalen und teleologischen Erwägungen regelt, die in der Wertung nicht äquivalent zu denen des Einheitsrechts sind, kann nach der Regelungsteleologie des CISG keine abschließende Regelung gewollt sein. Dann kommt vielmehr eine kumulative Anwendung beider Regelungen in Betracht. Die hier durchzuführende Untersuchung der Äquivalenz ist ein typisches rechtsvergleichendes Vorgehen, bei dem Funktionen und Teleologien angesichts der Verschiedenheit der konkurrierenden Rechtsordnungen in puncto Grundlehren und Strukturen einen höheren Stellenwert genießen als die spezielle Systematik und die Begrifflichkeiten einer einzelnen Rechtsordnung.5 3

Soeben S. 87.

4

Er wurde schon im römischen Recht verwendet, wo er allgemein für die Fälle der Verdrängung stand (de eadem re ne bis sit actio), vgl. Staudinger-Dilcher § 194 Rz. 15. 5

Allgemein zur funktionalen Methode Zweigert/Kötz

I S . 4-6, 3Iff.

96

1. Teil, 2. Abschnitt: Normenkonkurrenz

Selbstverständlich kann es aber hilfreich sein, die Stellung einer einheitsrechtlichen Norm innerhalb der Systematik des CISG und seiner Institute zu ermitteln und mit der Konzeption des nationalen Rechts zu vergleichen. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse soll nun versucht werden, einzelne Fälle der Konsumtion zu kategorisieren.

§ 2 Fallgruppen

/. Gleichwertige Funktionen bei unterschiedlichen

Tatbeständen

Noch weitgehend eindeutig sind die Fälle zu bewerten, bei denen zwar die Tatbestände völlig unterschiedlich formuliert sind, aber doch die Funktionen der konkurrierenden Normen gleichwertig (äquivalent) sind und die einheitsrechtliche Regelung abschließenden Charakter aufweist. In diesen Fällen führt an der Verdrängung der nationalen Norm kein Weg vorbei. Ein schon erwähntes Beispiel dafür ist die consideration-Lehre des angloamerikanischen Rechts im Verhältnis zu den funktional ähnlichen Vorschriften (Vertragsabschluß und Formfreiheit, Teil I I , Artt. 14ff. und Artt. l l f . ) des CISG. Während das angloamerikanische Recht als Seriositätsindiz eine Art Gegenopfer 6 verlangt, verzichten die kontinentaleuropäischen Rechte und auch das CISG auf ein vergleichbares Erfordernis, sondern verlangen nur in einzelnen Vorschriften (z.B. § 313 BGB) die Einhaltung einer besonderen Form. Auch die consideration-Lehre kann somit nicht mehr angewendet werden.

II. Unterschiedliche Tatbestände und Funktionen bei teleologischem Vorrang einer Funktion 1. Problematische Fälle Zweifelsfälle entstehen dort, wo nicht nur die Tatbestände, sondern auch die Funktionen und funktionalen Anknüpfungspunkte der konkurrierenden Normen unterschiedlich sind, eine kumulative Anwendung jedoch zu schwerwiegenden Normwidersprüchen führen würde. Als Beispiel kann wieder auf den mehrfach zitierten Fall des Konfliktes zwischen den Mängelgewährleistungsvorschriften des Abkommens und nationalen Vorschriften über die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums verwiesen werden. Während letztere dazu dienen, die Enttäuschung einer gerechtfertigten Erwartung zu sanktionieren, geht es bei der Gewährleistung primär um die Erfüllung der vertraglichen Pflicht des Verkäufers, eine mangelfreie Kaufsache zu liefern. Die Vor6

Grundlegend Zweigert/Kötz

Π S. 83ff. (84-90).

2. Kapitel: Die noenverdrängende Konkurrenz

97

aussetzungen beider Vorschriften sind verschieden: so unterliegt die Mängelgewährleistung dem Untersuchungs- und Rügeerfordernis des Artt. 38f; außerdem sind die Veqährungsfristen (nach nationalem Recht) meist verschieden. Die Rechtsfolge beider Vorschriften - Vertragsauflösung - ist jedoch weitgehend gleich. Deswegen stellt sich die Frage, ob ein Käufer noch nach nationalem Recht anfechten darf, wenn die Voraussetzungen der Gewährleistung nicht vorliegen. Dieser Widerspruch kann sich auch bis in den Bereich des Sachenrechts fortspinnen: Würde man dem Käufer nach einem romanischen (das Abstraktionsprinzip nicht kennenden) Recht die Anfechtung des Vertrages erlauben, obwohl die Voraussetzungen der Artt. 35ff. nicht vorliegen, wäre der Verkäufer Eigentümer geblieben und könnte nach Kondiktionsrecht die Herausgabe der Kaufsache verlangen, die der Käufer nach dem Gewährleistungsrecht des CISG jedoch nicht wandeln dürfte.

Solche komplexen und unklaren Konkurrenzsituationen müssen noch zusätzlichen Wertungen unterzogen werden. In diesem Rahmen können ein teleologischer Vorrang (2) einer der (unterschiedlichen) Funktionen und ergänzend der Grad und die Folgen von auftretenden Normwidersprüchen (3) untersucht werden.

2. Teleologischer Vorrang der Funktionen Wenn die Funktionen der konkurrierenden Normen verschieden sind, erhebt sich die Frage nach einem Vorrang zwischen diesen Funktionen. Zwischen Eigenschaftsirrtum und Mängelgewährleistung wird man zunächst keine grundsätzliche Spezialität feststellen können. Nicht nur die Funktionen beider Vorschriftenkomplexe sind unterschiedlich, auch die Anwendungsbereiche überschneiden sich nicht völlig: Denn ein Sachmangel setzt zwar in der Regel, aber keineswegs begriffsnotwendig einen Irrtum voraus. 7 Gleichwohl ist die Funktion des Irrtumsrechts, der zufolge sich die berechtigte Erwartung des Käufers realisieren muß, teleologisch in der Tendenz nachrangig zur Erfüllung der Vertragspflichten durch den Verkäufer. Denn wenn der Verkäufer seine Pflichten korrekt erfüllt hat, liegt es nahe, daß dann keine Enttäuschung einer berechtigten Erwartung des Käufers mehr vorliegen kann; hat er sie nicht erfüllt, muß er vordringlich einmal dafür einstehen, unabhängig davon, ob sich die Erwartungen des Käufers hinsichtlich der Eigenschaften der Kaufware realisiert haben.8 Deswegen ist hier ein teleologischer Vorrang der Gewährleistungsvorschriften des

7 Deswegen ist im Bereich des deutschen Rechts Larenz, Methodenlehre, S. 268 zuzustimmen, der entgegen der h.M. kein lex specialis-Verhältnis, sondern eine sog. normenverdrängende Konkurrenz annimmt. 8 Das ist nur eine Grundsatzwertung. Sie wird etwa ins Wanken gebracht, wenn eine Rechtsordnung dem Käufer auch dann eine Anfechtung erlaubt, wenn zwar objektiv keine schützenswerten enttäuschten Erwartungen gegeben sind, er jedoch durch Ersatz des Vertrauensschadens die Nachteile der Vertragsauflösung für den Verkäufer beseitigt.

7 Schmid

98

1. Teil, 2. Abschnitt: Normenkonkurrenz Abkommens zu erkennen, der die Verdrängung der nationalen Bestimmungen rechtfertigen könnte.9

3. Grad und Folgen des Normwiderspruchs Eine zweite teleologische Wertung geht von Grad und Folgen des bei kumulativer Anwendung auftretenden Normwiderspruchs aus. Sie beinhaltet im Grundsatz, daß eine konkurrierende Anwendung umso eher zugelassen werden kann, je geringer die dabei auftretenden Normwidersprüche sind, je weniger also die den Vorschriften des CISG zugrundeliegende Teleologie gestört wird. Diese Kriterien sind der Angleichungsdogmatik des IPR 10 entlehnt. Danach können geringe Widersprüche hingenommen werden, nur bei erheblichen ist auf jeden Fall anzugleichen. Beispielsweise würde es die Teleologie der Mängelgewährleistungsvorschriften erheblich stören, wenn der Käufer auch ohne Untersuchung und Rüge der Beschaffenheit der Kaufware (Artt. 38f.) noch mittels Anfechtung die Vertragsaufhebung erreichen könnte und sich gegebenenfalls auch der Verkäufer der Gewährleistung durch Anfechtung entziehen könnte.

Diese Art der Wertung ist jedoch nachrangig und kann nur ergänzend zu den anderen treten. Denn ein vorhandener Normwiderspruch allein kann nicht zur Konsumtion einer nationalen Norm führen. Andererseits ist ein bestehender teleologischer oder funktionaler Vorrang einer einheitsrechtlichen Norm stärker zu gewichten, wenn die kumulative Anwendung zu einschneidenden Widersprüchen führen würde.

III Verbleibende Fälle Läßt sich zwischen einheitsrechtlicher und nationaler Norm kein Vorrang im Sinne der verschiedenen Fälle der normenverdrängenden Konkurrenz feststellen, muß die kumulative Anwendung beider zugelassen werden - tertium non datur.

§ 3 Nationale Konkurrenzvorfragen

Bisher wurde über die Verdrängung von nationalen durch einheitsrechtliche Normen immer in der Untersuchung der konkret auftretenden Konkurrenzsi9

Wegen der Lösung des Falles vgl. unten S. 163ff.

1 0

Vgl. unten S. llOf.

2. Kapitel: Die nomenverdrängende Konkurrenz

99

tuation entschieden. In Abweichung davon fordert die Literatur, ohne die Problematik dieses Vorgehens zu reflektieren, daß die Verdrängung nationaler Normen unabhängig von der konkret auftretenden Konkurrenz mit einheitsrechtlichen Normen auch von internen Konkurrenzregeln des nationalen Rechts angeordnet werden könne. Demnach soll der Systemzusammenhang, in dem die nationale Norm in ihrem eigenen Recht steht, in Gestalt nationaler Konkurrenzvorfragen Berücksichtigung finden. Im Rahmen einer solchen nationalen Konkurrenzvorfrage sei mithin zu prüfen, ob das interne nationale Recht die (kumulative) Konkurrenz zulasse.11 Lessiak erläutert diese Ansicht am bekannten Beispiel der Konkurrenz der Gewährleistungsvorschriften des CISG und der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums nach nationalem Recht. 1 2 Ob eine Anfechtung in dieser Situation möglich ist, solle zunächst davon abhängen, ob das nationale Recht eine solche Konkurrenz zuließe, wenn statt der Normen des CISG die Normen dieses nationalen Rechts über die Gewährleistung (die unstrittig vom CISG verdrängt werden) anzuwenden wären. Demnach sei eine Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums nach deutschem Recht (§ 119 I I BGB) nicht neben den Normen des CISG zur Mängelgewährleistung zulässig, da gemäß der deutschen Lehre und Rechtsprechung § 119 I I BGB auch nicht neben §§ 459ff. BGB anwendbar ist. Eben diese Auffassung vertritt auch Bydlinski, wenn er meint, das nationale Recht stelle in solchen Fällen eben keine zur Lückenfullung passende Norm zur Verfügung. 13 I m österreichischen, italienischen und französischen Recht käme man genau zum gegenteiligen Ergebnis, da dort die kumulative Anwendung der entsprechenden Vorschriften zugelassen wird. Dasselbe Problem stellt sich bei Anwendbarkeit französischen Deliktsrechts neben dem UN-Kaufrecht Nach der Konkurrenzregel des non-cumul ist im französischen Recht die Anwendung des Deliktsrechts neben dem Vertragsrecht grundsätzlich ausgeschlossen. Würde man diese Regel auch hier in Gestalt einer Vorfrage beachten, bliebe der Rückgriff auf das französische Deliktsstatut neben Vorschriften des CISG versperrt. In der Entstehungsgeschichte des CISG ist man offensichtlich von der Beachtlichkeit der internen französischen Konkurrenzregel ausgegangen. Denn der Ausschluß von Personenschäden vom Regelunsbereich des CISG verfolge den Zweck, weiterreichenden nationalen Produkthaftungsbestimmungen nicht den Boden zu entziehen. 14 Insbesondere wird argumentiert, daß in der französischen Rechtsordnung sich ohne Art. 5 CISG die unhaltbare Situation ergeben hätte, daß der Ersatz von Personenschäden durch das CISG zu sehr eingeschränkt worden wäre. Das setzt voraus - ohne daß dafür irgendeine Begründung gegeben wird -, daß französisches Deliktsrechts in diesen Fällen für unanwendbar gehalten wurde.

Wenn man solche Konkurrenzvorfragen des nationalen Rechtes beachtet, unterstellt man jedoch stillschweigend, daß dieses dieselben Wertungen, von denen es die Beurteilung einer internen Konkurrenzfrage abhängig macht, auch für die entsprechende Konkurrenz mit dem Einheitsrecht heranziehen 11

Lessiak S. 487ff. spricht von "Vorfrage im nationalen Recht."

12

Lessiak a.a.O. (vorstehende Fußnote).

13

Doralt-Bydlinski

1 4

S. 86f.

Official Records S. 245. Vgl. dazu Honnold See. 71 m..w.N. zur Entstehungsgeschichte; Staudinger-Magnus Art. 5 Rz. 2.

7*

100

1. Teil, 2. Abschnitt: Normenkonkurrenz

würde. Das würde aber eine funktionale und teleologische Identität der Regelungen von Einheitsrecht und nationalem Recht voraussetzen, die von den genannten Autoren ohne Prüfung offenbar vorausgesetzt wird. Die Konkurrenz einer einheitsrechtlichen mit einer nationale Norm wird also anhand von Wertungen entschieden, die mit dem Einheitsrecht nicht in Beziehung stehen, sondern nur für die interne Konkurrenz der betreffenden nationalen Norm mit anderen Normen dieses nationalen Rechts maßgeblich sind. Richtigerweise ist die Konkurrenzentscheidung jedoch allein auf der Grundlage einer Analyse der tatsächlich zusammentreffenden Normen des Einheitsrechts und des nationalen Rechts zu treffen. Führt man die Meinung von Lessiak und Bydlinski insofern weiter, könnte man jedoch argumentieren, daß das nationale Recht isoliert aus seiner Perspektive heraus bei dieser Konkurrenzentscheidung ebenfalls auf seine Anwendung verzichten könnte, m.a.W. seine eigene Verdrängung bejahen könnte. Eine solche Kompetenz käme dem nationalen Recht auf jeden Fall zu, wenn in casu seine Verdrängung durch das Einheitsrecht zu verneinen ist, wenn es sich also um eine Lükke des Einheitsrechts handelt. Denn auch unter dem Gesichtspunkt der einheitlichen Anwendung (Art. 7 I CISG) ließe sich kein nivellierendes Ausgreifen des Einheitsrechts in den Regelungsbereich des nationalen Lückenfüllungsstatuts rechtfertigen. Jedoch ist für eine solche Analyse aus der Perspektive des nationalen Rechts neben der Untersuchung über die etwaige Verdrängung der konkurrierenden nationalen Bestimmungen kein Raum mehr. Denn eben bei der letzteren Untersuchung wird bereits aus der Perspektive des Einheitsrechts und der des nationalen Rechts unter Zuhilfenahme funktionaler und teleologischer Erwägungen geprüft, ob das nationale Recht auf seine Anwendung verzichtet bzw. vom Einheitsrecht verdrängt wird. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist dann bereits eine Konkurrenzregel für eine bestimmte Konstellation des Zusammentreffens von Einheitsrecht und nationalem Recht. Die nationalen Konkurrenzregeln, die die herrschende Meinung hier heranziehen will, wurden schließlich selbst bei einer solchen Untersuchung des internen Rechts über eine evtl. Verdrängung ermittelt. Festzuhalten ist damit, daß nationale Konkurrenzregeln im Zusammenspiel von Einheitsrecht und nationalem Recht keine Bedeutung haben und deshalb auch nicht in Gestalt von Konkurrenzvorfragen zu berücksichtigen sind. In dem von Lessiak angeführten Fall der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums sollte deswegen nur die etwaige Verdrängung der nationalen Bestimmungen durch die Konformitätsregelungen des Einheitskaufrechts (Art. 35 CISG, Art. 33 EKG) geprüft werden. Konkurriert das CISG beim Ersatz eines durch den Mangel der Kaufware verursachten Vermögensschadens mit der Generalklausel des französischen Deliktsrechts (Art. 1382 C Q , so sollte deren Anwendung nicht schon wegen des Prinzips des non-cumul ausgeschlossen werden. Für eine Ausnahme von diesem Prinzip könnte sprechen, daß die strengen Voraussetzungen, denen das CISG etwa Mangelfolgeschäden unterwirft (Art. 38f. und die contemplation-rule in Art. 74 S. 2), bei schweren Folgeschäden an anderen Sachen des Käufers 15 als unbillig emp-

2. Kapitel: Die nonnenverdrängende Konkurrenz

101

funden werden könnten. Der einzige Ausgleich ließe sich dann über nationales Deliktsrecht bewerkstelligen. Damit ist aber noch nicht ausgesagt, daß eine nationale Norm ohne Modifikation auch dann immer kumulativ neben einer Bestimmung des Einheitsrechts angewandt werden kann, wenn dies zu Normwidersprüchen fuhren würde; so insbesondere wenn etwa der einheitsrechtliche Anspruch wegen Versäumnis der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit ausgeschlossen, während die Generalklausel des Art. 1382 CC einschlägig wäre. 1 6

§ 4 Verdrängung des nationalen Rechts in einheitsrechtlichen Regelungsenklaven

Während das CISG innerhalb seines Regelungsbereichs als lex specialis jeglichem nationalen Recht vorgeht, sofern es auch abschließende Regelungen enthält, kommt im Bereich der externen Lücken, wie erwähnt,17 ein nationales Recht als Lückenfüllungsstatut zur Anwendung. Im Regelfall verläuft zwischen den "Sphären" des Einheitsrechts und des nationalen Rechts eine Art Demarkationslinie, die von der äußersten zulässigen Ausdehnung des CISG mittels rechtsfortbildender Lückenfüllung18 bestimmt wird. In einigen selteneren Fällen kommt es jedoch vor, daß sich innerhalb einer Norm bzw. eines Instituts des Lückenfüllungsstatuts eine Vorfrage oder auch nur ein oder mehrere Tatbestandsmerkmale finden, für die auch das Einheitsrecht eine Regelung bereithält. Am deutlichsten wird diese Konstellation bei nationalen Regelungen, die als Vorfrage einen wirksamen Kaufvertrag voraussetzen, z.B. einem Vertrag zugunsten Dritter. Während sich hinsichtlich der Prüfung des Vertrages selbst die Anwendung des CISG anbietet, bleiben die spezifischen Voraussetzungen des Anspruchs des Dritten dem nationalen Recht vorbehalten. Über die Fälle von Vorfragen hinaus kommt die Verdrängung des nationalen Rechts durch das CISG bei einzelnen Tatbestandsmerkmalen in Betracht: So könnte

15 Keine Interferenz mit dem non cumul-Punzip ergibt sich dagegen bei Personenschäden, die nach Art. 5 CISG vom Anwendungsbereich des Einheitskaufrechts ausgeschlossen sind. Hierbei handelt es sich um eine externe Lücke im Bereich des Kaufrechts, die selbstverständlich durch das kollisionsrechtlich berufene nationale Kaufrecht, sofern das betreffende Recht Personenschäden zumindest auch kaufrechtlich qualifiziert, gefüllt werden kann. Niggemanns vage Feststellung (RIW 1991, S. 377f.), daß diese Lösung dem Grundgedanken des CISG widerspreche - was auf eine Art Sperrwirkung des Art. 5 CISG hinausliefe - ist ist schlichtweg unzutreffend und mangels näherer Begründung nicht nachvollziehbar. Außerhalb seines Regelungsbereichs kann das CISG keine Verdrängungswirkung gegenüber nationalem Recht entfalten (ebenso Staudinger-Magnus Art. 5 Rz. 16). 16

Vgl. unten S. 108ff.

17

Vgl. oben S. 72f.

18

Dazu oben S. 70ff.

102

1. Teil, 2. Abschnitt: Normenkonkurrenz

erwogen werden, hinsichtlich von Inhalt und Umfang eines Schadensersatzanspruchs, der sich aus nationalem Deliktsrecht ergibt, Artt. 74ff. anzuwenden. Das würde etwa bei durch die Ware verursachten Personenschäden, die nach Art. 5 vom CISG ausgenommen sind, eine Harmonisierung der Haftung bedeuten. 19 Auch hinsichtlich einer möglichen Haftungsbefreiung oder der deliktsrechtlichen Gehilfenhaftung könnte man an die Anwendung von Art. 79 anstatt nationaler Normen wie § 831 BGB denken. Strukturell ähnlich zu erfassen wäre die Übernahme eines möglicherweise aus Art. 71 folgenden allgemeinen Grundsatzes - keine Vertragsaufhebung bei Erkennbarkeit des Aufhebungsgrundes 20 - als einheitsrechtliche Regelungsenklave in den Bereich nationalen Irrtumsrechts.

Zu klären ist nun, wann sich in solchen Fällen der Vorrang des Einheitsrechts durchzusetzen vermag, so daß man von einheitsrechtlichen Enklaven im nationalen Recht sprechen kann. Im Ausgangspunkt steht fest, daß solche nur bruchstückhaften einheitsrechtlichen Regelungen inmitten des Regelungsbereichs des Lückenfüllungsstatuts grundsätzlich nicht dieselbe "Verdrängungswirkung" haben können wie im CISG abschließend geregelte Bereiche. Der Vorrang des Einheitsrechts als lex specialis kann auch hier nicht mehr uneingeschränkt zum Zug kommen, sondern muß wieder einer differenzierten Beurteilung des Einzelfalls im Sinne einer Konkurrenzlösung weichen.21 Für eine solche lassen sich folgende Leitlinien aufstellen: Sicher ist die Anwendbarkeit des Abkommens auf die soeben erwähnte, im CISG abschließend geregelte Vorfrage des wirksamen Zustandekommens eines Kaufvertrages. 22 Der im deutschen IPR geltende Grundsatz der selbständigen Anknüpfung23 führt hier über die Kollisionsnorm des Art. 4 S. 1 zum CISG, ohne daß es einer besonderen funktional-teleologischen Begründung dieser Lösung bedürfte. Die Vorfrage des wirksamen Zustandekommens eines Kaufvertrages kann sich wie erwähnt beim Vertrag zugunsten Dritter, beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter oder auch im nationalen Anfechtungsrecht stellen; die nationalen Anfechtungsregeln können nämlich nur zur Anwendung kommen, wenn nach dem Einheitsrecht das Zustandekommen des Vertrages zu bejahen ist und nicht an Dissens oder anderen Nichtigkeitsgründen scheitert. 24

19

Ohne eine solche könnte etwa ein Anspruch auf Ersatz eines Körperschadens begründet sein, während der Ersatz des durch dasselbe Schadensereignis verursachten Sachschadens an mangelnder Vorhersehbarkeit (Art. 74 S. 2) scheitern könnte. 2 0

Dies hätte zur Folge, daß auch dem nationalen Recht unterliegende Aufhebungsgründe, z.B. ein Inhaltsirrtum, bei Erkennbarkeit nicht mehr zur Aufhebung berechtigen würden. 2 1

Vgl. zu den Grundfällen, in denen eine Konkurrenzlösung geboten erscheint, oben S. 85. 2 2

So auch Wey I S . 307 Fn. 752.

2 3

H.M., vgl. statt vieler Palandt-Heldrich

2 4

Dazu unten S. 158ff.

Einl. 9 v. Art. 3 EGBGB.

2. Kapitel: Die noenverdrängende Konkurrenz

103

Komplizierter ist dagegen die mögliche Übernahme einzelner Tatbestandsvoraussetzungen des CISG zu bewerten. Bietet sich ein solches Vorgehen an, so ist zunächst der gesicherte Bestand an externen Lücken zu respektieren, also Bereiche wie das Deliktsrecht, das - im Gegensatz zu "Mischbereichen" wie dem Recht der Willensmängel25 - auf jeden Fall außerhalb des Regelungsbereichs des Abkommens liegt. Deswegen wäre es unzulässig - auch um den Preis etwaiger uneinheitlicher Ergebnisse -, den einheitsrechtlichen Schadensbegriff (Art. 74, insbesondere Satz 2) ins nationale Deliktsrecht zu übernehmen. Denn das Schadensrecht des CISG ist rein kaufrechtlich zu qualifizieren. Obwohl viele Rechte wie etwa das BGB hinsichtlich des Inhalts und Umfangs eines Schadensersatzanspruchs keine Trennung zwischen Vertrags- und Deliktsrecht vornehmen - §§ 249ff. BGB finden ja auch bei §§ 823ff. BGB Anwendung - kann eine solche Konstruktion mangels ausdrücklicher Anordnung nicht einfach ins CISG übernommen werden. Ein 'Hineinregieren" des einheitsrechtlichen Schadensrechts in nationales Deliktsrecht außerhalb des Anwendungsbereichs des CISG ist grundsätzlich abzulehnen. Das Einheitsrecht ist hierzu nicht kompetent. Dasselbe gilt fur Art. 79, der als Befreiungsregelung bzw. Regelung der Gehilfenhaftung ebenfalls nicht ins nationale Deliktsrecht übernommen werden darf 2 6

Grundsätzlich geboten erscheint dagegen die Anwendung auch nur bruchstückhafter Regelungen des Einheitsrechts, wenn es sich um eine Frage handelt, die kraft Sachzusammenhangs noch innerhalb des Regelungsbereichs des CISG anzusiedeln ist. Auch ein solcher Sachzusammenhang ist nach funktional-teleologischen Kriterien zu bestimmen. Ein Verbot der Geltendmachung erkennbarer Vertragsverletzungen, wie es in Art. 71 statuiert ist, dürfte im Grundsatz auch auf nationale Aufhebungsregelungen beispielsweise die Anfechtung wegen Inhaltsirrtums - übertragen werden. Denn das Recht der Willensmängel ist als "Mischstatut" nicht generell vom Anwendungsbereich des CISG ausgeschlossen; Art. 71 könnte insoweit systematisch als andere Regelung i.S.d. Art. 4 S. 2 1. Hs. begriffen werden. Diese Lösung setzt freilich voraus, daß sich aus der Regelungsteleologie einheitsrechtlicher Vorschriften wie Art. 71 ein so weitreichender allgemeiner Grundsatz entnehmen läßt. 2 7

Zulässig ist die Anwendung einer einheitsrechtlichen Teilregelung schließlich auch dann, wenn sich diese bei der Angleichung eines nationalen Tatbestands zur Beseitigung von Normwidersprüchen vollzieht. Ein solches Vorgehen ist auch außerhalb des Regelungsbereichs des Einheitsrechts zulässig.28

2 5

Vgl. zusammenfassend S. 184ff.

2 6

Wenn insoweit eine Verdrängung nationalen Deliktsrechts abgelehnt wird, sagt dies prinzipiell noch nichts über die Möglichkeit dessen modifzierter Anwendung im Wege der Angleichung aus. Dazu unten S. 112ff. 2 7

Dazu unten S. 18 Iff.

2 8

Vgl. unten S. l l f f .

104

1. Teil, 2. Abschnitt: Normenkonkurrenz § 5 Verdrängung des Einheitsrechts durch höherrangiges nationales oder vorrangiges internationales Recht

Bisher wurde in diesem Kapitel immer der Fall der Verdrängung des nationalen Rechts durch das Einheitsrecht untersucht. Wegen der Zielbestimmung der möglichst weitgehenden und einheitlichen Anwendung des CISG ist der umgekehrte Fall - die Verdrängung des CISG durch einfachgesetzliches nationales Recht - auch grundsätzlich nicht denkbar. Verdrängt werden kann das CISG jedoch durch höherrangiges (nationales) Recht oder vorrangiges internationales Recht. Das CISG steht als in innerstaatliches Recht transformiertes völkerrechtliches Übereinkommen auf der Stufe einfachen Gesetzesrechts.29 Das bedeutet selbstverständlich, daß es von höherrangigen Normen, insbesondere der Verfassung, verdrängt werden könnte, sofern jemals - was kaum vorstellbar ist Konfliktfälle auftreten. Wichtiger ist in diesem Zusammenhang die Bestimmung des Art. 90. Danach geht das CISG bereits geschlossenen oder in Zukunft zu schließenden völkerrechtlichen Übereinkommen, die Bestimmungen über geregelte Gegenstände enthalten, nicht vor, sofern die Parteien ihre Niederlassung in Vertragstaaten einer solchen Übereinkunft haben. Demnach kann es z.B. zu einer Verdrängung des CISG durch eine andere völkerrechtliche Vereinbarung kollisionsrechtlicher Natur kommen.30 Als weiterer Anwendungsfall dieser Bestimmung werden in der Literatur 31 die EG-Produkthaftungsrichtlinie, 32 die als sekundäres Gemeinschaftsrecht noch dem Völkerrecht in diesem Sinne zugeordnet werden kann,33 und die inzwischen erlassenen Umsetzungsgesetze (z.B. das deutsche Produkthaftungsgesetz-ProdHaftG) genannt: Diese regelten die nicht von Art. 5 berührte Einstandspflicht des Verkäufers für Sachschäden vorrangig; das Einheitsrecht werde deswegen im Anwendungsbereich der Produkthaftungsrichtlinie verdrängt.34 Dem kann jedoch nicht beigepflichtet werden: Die Einstandspflicht für Produktschäden ist auch nach dem ProdHaftG als außervertragliche Haftung konstruiert.35 Deswegen sind die Bestimmungen des ProdHaftG, die ebenso wie nationales Deliktsrecht einen vertragsunabhängigen Rechtsgüterschutz 2 9

Vgl. statt vieler Palandt-Heldrich

3 0

Z.B. das Haager Kaufrechtsübeieinkommen von 1955, vgl. oben S. 77 Fn. 66.

31

Schlechtriem-Herber

3 2

Richtlinie des Rates der EG 85/374/EWG, Abi. EG v. 7.8.1985, Nr. L 210, S. 29.

3 3

Schlechtriem-Herber

Art. 90 Rz. 12.

3 4

Schlechtriem-Herber

Art. 90 Rz. 12, Herber S. 105.

3 5

EGBGB 3 Rz. 7 m.w.N.

Art. 5 Rz. 12ff. (14).

So etwa fur das deutsche ProdHaftG die Regierungsbegründung, BundestagDrucksache 11/2447, S. 11.

2. Kapitel: Die noenverdrängende Konkurrenz

105

bezwecken, funktional und teleologisch nicht gleichwertig im Verhältnis zu den vertragsrechtlichen Bestimmungen des CISG (inbesondere Art. 74). Mit anderen Worten liegt deswegen kein gleicher Regelungsgegenstand i.S.d. Art. 90 vor. Somit vermag das ProdHaftG trotz seines normenhierarchischen Vorrangs das CISG nicht zu verdrängen.36 Auch bei der Verdrängung des Einheitsrechts nach Art. 90 ist also vom oben37 geforderten Primat der funktional-teleologischen Betrachtungsweise bei der Lösung einer Konkurrenzfrage auszugehen. Zusammenfassend läßt sich zur normenverdrängenden Konkurrenz Folgendes festhalten: Zur Verdrängung einer nationalen Norm durch eine einheitsrechtliche kommt es immer dann, wenn - trotz etwaiger verschiedener Tatbestände - beiden Normen dieselbe Funktion und Teleologie zugrunde liegt. Besteht keine solche Übereinstimmung, kann sich eine Verdrängung auch aus einem teleologischen Vorrang der Funktion, die hinter der einheitsrechtlichen Norm steht, ergeben. Für die Beurteilung der Verdrängungsfrage ist es des weiteren grundsätzlich irrelevant, wie das nationale Recht die gleiche Frage nach internen Konkurrenzregeln entscheiden würde (sog. nationale Konkurrenzvorfrage). Weiterhin ist eine Verdrängung nationalen Rechts auch innerhalb seines Anwendungsbereichs in einheitsrechtlichen Regelungsenklaven denkbar, insbesondere bei der Vorfrage des wirksamen Zustandekommens des Kaufvertrags oder in einheitsrechtlich-nationalen "Mischbereichen11. Prinzipiell denkbar, aber in der Praxis wohl selten auftretend ist die Verdrängung des Einheitsrechts durch höherrangiges nationales oder vorrangiges internationales Recht. Letzteres genießt nach Art. 90 insoweit den Vorrang vor dem CISG, als sich die Regelungsgegenstände beider Rechte überschneiden, was im Fall der EG-Produkthaftungsrichtlinie bzw. den nationalen Umsetzungsgesetzen zu verneinen ist. Läßt sich dagegen zwischen einheitsrechtlicher und nationaler Norm kein Vorrang im genannten Sinne bejahen, ist zwingend ein Fall der kumulativen Normenkonkurrenz anzunehmen.

3 6

Ebenso Otto, Produkthaftung, S. 533ff.; ders.. Nochmals, S. 206; Magnus, Aktuelle Fragen, S. 94f. 3 7

Vgl. S. 94f.

1. Teil, 2. Abschnitt Normenkonkurrenz

106

3. Kapitel: Die kumulative Normenkonkurrenz § 1 Problemstellung

Die zweite Variante der Normenkonkurrenz ist die der Nebeneinanderanwendung der konkurrierenden Rechtssätze. Dieser Fall ist dem ersten nachrangig, so daß man von einer zweiten Stufe der Normenkonkurrenz sprechen kann. Zur Nebeneinanderanwendung kommt es, wie erwähnt,1 wenn in der Konkurrenz kein Vorrang der einheitsrechtlichen gegenüber der nationalen Norm besteht. Wie ebenfalls schon angedeutet, besteht ein solches Verhältnis vor allem in den Überschneidungsbereichen des CISG mit nationalem Deliktsrecht. Eine umfassende Verdrängung nationalen Deliktsrechts ist nämlich abzulehnen, da sich der allgemeine Rechtsgüterschutz des Deliktsrechts in Funktion und Teleologie grundlegend von vertraglichen Ersatzansprüchen unterscheidet. Vielmehr ist eine konkurrierende Anwendung deliktsrechtlicher Normen geboten, da auch der Beteiligte einer Sonderverbindung von der anderen Seite grundsätzlich erwarten darf, daß sie diejenige Sorgfalt aufbringt, die jeder jedem schuldet. Außerdem wäre es ungerechtfertigt, einer geschädigten Partei die verfahrensrechtlichen Vorteile des Deliktsrechts, z.B. den Gerichtsstand am Tatort, zu nehmen. Bei der Nebeneinander-Anwendung von Einheitlichem Kaufrecht und nationalem Deliktsrecht kann es jedoch zu Normwidersprüchen kommen, mit denen sich dieses Kapitel hauptsächlich befaßt. Zur Erläuterung wird folgendes Beispiel herangezogen: Durch einen Defekt einer kleinen Komponente - beispielsweise eines Schalters oder Reglers - einer gekauften wertvollen Maschine entsteht in dieser ein Brand, der sowohl die gesamte Maschine selbst als auch den Raum, in dem sie aufgestellt ist, zerstört. 2 Ein nationales Deliktsrecht 3 gewährt (bei Vorliegen der übrigen Haftungsvoraussetzungen) Ersatz fur die Maschine (Mangelschaden) sowie für die Zerstörung des Raumes (Mangelfolgeschaden). Als Kaufvertragsstatut kommt neben dem nationalen Deliktsrecht das CISG zur Anwendung. Der Käufer hat jedoch hinsichtlich des Mangels seine Untersuchungs- und Rügeobliegenheit gemäß Artt. 38f. verletzt. Geklärt werden soll nun, ob er trotzdem noch für den gesamten Schaden nach dem nationalen Deliktsrecht Ersatz verlangen kann oder ob ihm dies unter Berufung auf die Wertungen des CISG verwehrt werden muß. 1

Oben S. 94f.

2

Entschieden in BGH 67,359 und 364f. (Schwimmerschalter).

3

So u.a. das deutsche Recht der unerlaubten Handlungen (§§ 823ff. BGB) und das - entsprechend interpretierte - Produkthaftungsgesetz. Nach Abschluß dieser Dissertation ist dieser Fall auch im Einheitlichen Kaufrecht tatsächlich aufgetreten: BGH IPRax 1996, S. 124, Nr. 13 mit Anmerkung P. Huber, IPRax 1996, S. 91.

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verenonkurrenz

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Ein ähnliches Problem ergibt sich, wenn der Verkäufer im Vertrag wirksam die Haftung für Mangelfolgeschäden ausgeschlossen hat. Auch dann ist wieder fraglich, ob sich dieser Ausschluß auch auf das nationale Deliktsrecht erstreckt.

§ 2 Normwidersprüche und Angleichung

/. Normwidersprüche Im Gegensatz zur normenverdrängenden Konkurrenz ist in den Fällen der kumulativen Konkurrenz ein "Einschreiten" nur geboten, wenn wertungsmäßig nicht mehr tolerierbare Widersprüche auftreten. Das wird in der Konkurrenzsituation Einheitsrecht-nationales Recht seltener als im internen nationalen Recht vorkommen. Denn der teleologische Vorrang des CISG fuhrt bei Normen, die in Tatbestand, Funktion und Teleologie vergleichbar sind, regelmäßig zur Verdrängung der nationalen Norm. Wie gezeigt,4 ist eine kumulative Konkurrenz nur zu bejahen, wenn Tatbestände, Funktionen und Teleologien der konkurrierenden Normen unterschiedlich sind und sich auch kein teleologischer Vorrang einer Funktion feststellen läßt - also beide Normen ihre eigene "Anwendungsberechtigung" besitzen.5 In diesem Fall sind aber Widersprüche regelmäßig gar nicht störend, sondern - eben aus der anderen Funktion und Teleologie resultierend - sachlich begründet. Das läßt sich z.B. fur eine unterschiedliche Regelung des Umfangs des zu ersetzenden Personen- bzw. Sachschadens nach nationalem Recht (z.B. §§ 249ff. BGB) und CISG (Art. 74ff.) bejahen.6

Einer Auflösung eines Widerspruchs bedarf es nur in dem Fall, daß trotz des unterschiedlichen funktionalen und teleologischen Ausgangspunktes die unveränderte Anwendung beider Normen die vorrangige ratio einer Norm ad absurdum führen würde, mit anderen Worten also ein bestehender Widerspruch unerträgliche Ausmaße annähme. I m oben angeführten Beispielsfall ist es dagegen hinnehmbar, dem Käufer trotz Versäumnis der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit einen Anspruch auf Ersatz seiner Mangelfolgeschäden nach nationalem Deliktsrecht zuzuerkennen: Die Untersuchungs- und Rügeobliegenheit (Artt. 38f.) bezweckt, die Abwicklung des Kaufes zu beschleunigen und dem Verkäufer Klarheit über später immer schwerer feststellbare Sachmängel zu geben, um ihm die Möglichkeit der Nacherfüllung offenzuhalten. Die Frage der vertragsmäßigen Beschaffenheit der Kaufsache soll also nach einem Rügeversäumnis dem Streit der Parteien entzogen sein. Artt. 38f. haben dagegen nicht den Sinn, die deliktische Verantwortlichkeit des Verkäufers, die im deutschen Recht im Unterschied zur vertraglichen Haftung im Grundsatz auf die Verletzung absoluter Rechtsgüter und Schutzgesetze (§ 823 BGB) beschränkt ist,

4

Oben S. 94f.

5

Der Übergang zur normenverdrängenden Konkurrenz, insbesondere im Fall der Konsumtion, ist aber auch hier fließend. 6

Dazu bereits oben S. 103.

108

1. Teil, 2. Abschnitt: Normenkonkurrenz

zu begrenzen. Es wäre in der Tat auch unbillig, wenn der Verkäufer einem beliebigen Dritten gegebenüber strenger haften würde als seinem Vertragspartner. Durch das Versäumnis der Rüge verliert der Käufer also im Beispielsfall zwar seinen einheitsrechtlichen Anspruch auf Ersatz der Mangelfolgeschäden (Zerstörung des Raumes), nicht aber den konkurrierenden Anspruch nach einem nationalen Deliktsrecht. 7 Anders ist aber für die Mangelschäden als solche (Zerstörung der gesamten Maschine) zu entscheiden. Denn dabei handelt es sich um ein essentiell kaufrechtliches Ptoblem. Die Teleologie des CISG, das die Frage der Haftung fur ein fehlerhaftes Produkt vorrangig regelt, wäre unerträglich beeinträchtigt, wenn der Käufer ein und dasselbe Anspruchsziel auch unter den erleichterten Voraussetzungen eines nationalen Deliktsrechts erreichen könnte. Wenn das deutsche Recht dagegen eine zerstörte Sache im Falle der Abtrennbarkeit des fehlerhaften Teils von der Gesamtsache (fehlende Stoffgleichheit) auch nach Deliktsrecht ersetzt, so ist dies im wesentlichen als Korrektiv der in vielen Fällen als zu kurz empfundenen Verjährungsfrist des § 477 BGB zu betrachten. Obwohl Verjährungsfristen im CISG nicht geregelt sind, kann diese Lösung, die speziell für das Zusammenspiel von deutschem Vertrags- und Deliktsrecht entwickelt wurde, nicht auf das Einheitsrecht übertragen werden. Auch wenn also ein nationales Deliktsrechtrecht bestimmte Mangelschäden ersetzt, darf auf jeden Fall der Widerspruch zu Artt. 38f. nicht bestehenbleiben.8

Wenn ein solcher nicht mehr hinnehmbarer Widerspruch auftritt, stellt sich die Frage nach seiner Auflösung. Da, wie schon bemerkt,9 eine Verdrängung der deliktsrechtlichen Norm in diesem Fall nicht zu rechtfertigen wäre, stellt sich das Problem einer möglichst schonenden Einwirkung auf das nationale Recht. Da die hier vorliegende horizontale Konkurrenz wie erwähnt10 grundsätzlich einer Kollision verschiedener Statute im IPR entspricht, soll hier versucht werden, eine Lösung in Anlehnung an die Angleichungslehre zu entwickeln, die im IPR zur Behandlung von Widersprüchen herangezogen wird. 11

7

Ein vergleichbarer Fall im nationalen Recht - Mangelfolgeschaden und Verstoß gegen § 377 HGB - wurde vom BGH ebenso entschieden (BGHZ 101, 337). 8 Gleiches gilt fur das Problem des Haftungsausschlusses fur Mangelfolgeschäden. Die Frage, ob den Verkäufer im Rahmen der Vertragsabwicklung eine so weitgehende Einstandspflicht trifft, muß einer privatautonomen Gestaltung zugänglich sein. Auch der Verzicht auf einen deliktischen Schutz muß - so er ersichtlich gewollt ist - möglich sein. Denn davon hängt gerade bei Käufen, bei denen erhebliche, den Wert der Kaufsache um ein Vielfaches übersteigende Folgeschäden denkbar sind, die Wirtschafts- und Wettbewerbsfähigkeit von vielen Produkten ab. Dieses Problem betrifft aber weniger einen etwaigen Widerspruch zwischen Einheitsrecht und nationalem Deliktsrecht als die Reichweite privatautonomer Gestaltungsmöglichkeit. 9

Oben S. 80.

1 0 11

Oben S. 89.

Die Literatur versucht dagegen, Normenkonflikte zwischen CISG und Lückenfüllungsstatut allein auf der Grundlage des nationalrechtlichen Konkurrenzmodells zu erfassen. Vgl. Schlechtriem, Borderland, S. 473ff.

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109

IL Angleichung im IPR Normwidersprüche treten im DPR auf, wenn verschiedene auf einen Fall anwendbare Kollisionsnormen einander widersprechende Sachnormen bzw. Normenkomplexe (Statuten) zur Anwendung berufen. Ein im IPR häufig angeführtes Beispiel dafür stellt die vermögensrechtliche Stellung des überlebenden Ehegatten dar. 12 Die Modifizierung von konkurrierenden Rechtssätzen zur Vermeidung von Norm Widersprüchen wird im IPR gemeinhin Angleichung13 genannt. Die Literatur zum IPR teilt (horizontale) Normwidersprüche unter anderem nach Seins- ("so kann es nicht sein") und Sollenswidersprüchen ("so soll es nicht sein"),14 logischen und teleologischen Widersprüchen15 sowie Normenmangel, Normenhäufung und Nichtnachvollziehbarkeit wegen Fremdartigkeit16 ein. Eine andere übliche Klassifizierung unterscheidet daneben nach einseitigen und beidseitigen Normwidersprüchen.17 Die Frage der Angleichung ist im IPR logisch nachrangig zur Qualifikation und von dieser genau zu trennen: Während durch die Qualifikation festgestellt wird, welche materiellrechtlichen Normen einer Rechtsordnung anzuwenden sind, ist eine Angleichung überhaupt erst dann erforderlich, wenn zwischen diesen - bereits ermittelten - Normen Widersprüche auftreten. 18 12 So kommt es vor, daß das anwendbare Guterrechtsstatut den überlebenden Ehegatten nur erbrechtlich bedenkt, das anwendbare Erbstatut jedoch nur einen güterrechtlichen Ausgleich vorsieht. Dann würde der überlebende Ehegatte überhaupt nichts bekommen (Fall des sog. Normmangels). Umgekehrt ist auch der Fall denkbar, daß das anwendbare Güterrechtsstatut dem überlebenden Ehegatten einen gewissen güterrechtlichen Ausgleichsanspruch zugesteht, daneben aber keinen erbrechtlichen, während das anwendbare Erbstatut nur einen erbrechtlichen Ausgleich in einer bestimmten Höhe vorsieht. Dann ist ein doppelter Normwiderspruch (Fall der sog. Normenhäufung) gegeben: Erstens widerspricht eine Kumulierung der Ansprüche beiden Rechtsordnungen, da der überlebende Ehegatte mehr als in jeder einzelnen bekommen würde. Selbst wenn man aber einen Anspruch angemessen kürzt, kann ein einseitiger Nonnwiderspruch bestehen bleiben, etwa in der Rechsordnung, die neben dem güterrechtlichen Ausgleichsanspruch keinen erbrechtlichen vorsieht. Die Gewährung eines - wenn auch gekürzten - erbrechtlichen Anspruchs verstößt nämlich gegen die Teleologie dieser Rechtsordnung. Vgl. dazu statt vieler Palandt-Heldrich Einl. v. EGBGB 3 Rz. 32. 13

Canaris S. 66 spricht bei den Fällen der Angleichung von Kollisionslücken.

1 4

Kegel S. 199ff.

15

Schurig S. 239.

16

MK-Sonnenberger Einf. Rz. 424ff.

17

Diese teilweise umstrittenen Begriffe sind jedenfalls als "Arbeitsinstrumente" auch im Einheitsrecht sinnvoll. 18 Der Qualfikation entspricht im Einheitsrecht die Subsumtion unter die Abgrenzungsnormen des Abkommens, die seinen Anwendungsbereich festlegen, etwa die Einordnung eines Problems als kaufrechtliche Frage i.S.d. Art. 4 S. 1 des Abkom-

110

1. Teil, 2. Abschnitt: Normenkonkurrenz

Zur Auflösung der Widersprüche bedient sich das IPR der sog. internationalprivatrechtlichen und der sog. materiellrechtlichen Lösung. a) Im Rahmen der internationalprivatrechtlichen Lösung wird die Grenze zwischen zwei Kollisionsnormen verschoben, d.h. die Reichweite einer Kollisionsnorm wird dahingehend verändert, daß nunmehr bestimmte Sachnormen von der Verweisung erfaßt bzw. ausgeschlossen sind; ausnahmsweise wird sogar fallbezogen eine neue Kollisionsnorm entwickelt. Diese Art der Angleichung gehört logisch zur Qualifikation; 19 denn die Art und Weise, in der man den Anwendungsbereich von Kollisionsnormen festlegt, kann und muß mit standigem Blick darauf erfolgen, welche Normen der konkurrierenden Sachrechte in der Folge einer bestimmten Qualifikation anzuwenden wären und ob diese sich etwa widersprächen. Kegel 2 0 spricht hier plastisch von vorbeugender Qualifikation.

b) Die materiell-privatrechtliche Lösung besteht dagegen darin, die nach den Kollisionsnormen berufene lex causae so zu modifizieren ("umzubiegen"21), daß vorher bestehende Normwidersprüche beseitigt werden oder - in seltenen Fällen - auch darin, eine neue materielle, nur im konkreten Fall anwendbare Norm zu schaffen. Welcher Angleichungsmethode der Vorzug zu geben ist, ist im IPR grundsätzlich Sache des Einzelfalls.

III. Angleichung in der Kollision zwischen Einheitsrecht und nationalem Recht 1. Die kollisionsrechtliche Methode Im Einheitsrecht entspräche der IPR-Lösung das Vorgehen, auf die Kollisionsnormen des nationalen oder die des Einheitsrechts so einzuwirken (also den sachlichen Anwendungsbereich des anzugleichenden Rechtes anders zu ziehen), daß Normwidersprüche vermieden werden. Kommt man beispielsweise zu dem Ergebnis, daß bestimmte Arten der Anfechtung nach nationalem Recht neben den Rechtsbehelfen des Einheitsrechts zulässig sind, ist es erwägenswert, nur die Anfechtungsgründe dem nationalen Recht zu entnehmen, während man die Rückabwicklung des Vertrages den Vorschriften des CISG

mens.- I m Bereich des - mit dem Einheitsrecht konkurrierenden - subsidiären Vertragsstatuts kommen dagegen ohne Modifikationen die IPR-Regeln für die Qualifikation zur Anwendung (vorausgesetzt wird jedoch, daß fur die betreffende Frage das Einheitrecht nicht kompetent ist, also eine - auch nicht autonom schließbare - Lücke zu bejahen ist). 19

Kegel S. 201.

2 0

Kegel a.a.O.

2 1

Kegel a.a.O.

. Kapitel: Die

verenonkurrenz

111

(Artt. 8Iff.) unterstellen könnte. Damit könnten inbesondere etwaige Widerspruche zwischen den Ruckabwicklungsvorschriften des CISG und denen eines nationalen Rechts vermieden werden.

Im Vergleich zur Angleichung im EPR weist die Angleichung im Konflikt zwischen CISG und nationalem Recht gewichtige Besonderheiten auf: Soweit der Anwendungsbereich des CISG reicht, kommt den Vorschriften des Abkommens ein absoluter Vorrang im Verhältnis zum nationalen Recht zu. Das CISG ist deswegen und nach seiner Zielbestimmung der einheitlichen Anwendung (Art. 7 I) grundsätzlich unnachgiebig22 in dem Sinn, als es im Konfliktfall nicht dem nationalen Recht und dessen Zielbestimmungen "geopfert" werden darf. Eine Angleichung durch Beschneidung des Anwendungsbereichs des Abkommens würde ferner im davon betroffenen Bereich zur Anwendung nationalen Rechts führen, was schon bei der Lückenfüllung nur als ultima ratio zulässig ist. Dieser Vorbehalt muß erst recht dann gelten, wenn das Abkommen sogar einen bestimmten Bereich positiv regelt und es nur Widersprüche aufzulösen gilt. Außerdem würde bei einer Beschneidung des Anwendungsbereichs zur Auflösung eines Normwiderspruchs mit einer Norm nur eines bestimmten nationalen Rechts die einheitliche Anwendung des Abkommens (Art. 7 I) zunichte gemacht. Eine "Neu-"Qualifikation, die den Anwendungsbereich des Abkommens einschränken würde, ist deswegen nicht mit den Besonderheiten der hier gegebenen Situation zu vereinbaren. Auch eine erweiternde Qualifikation der einheitsrechtlichen Kollisionsnormen zum Zwecke der Auflösung von Widersprüchen im Sachrecht stößt auf grundlegende Bedenken. Zunächst ist ein solches Vorgehen kaum mit dem Charakter der einheitsrechtlichen Kollisionsnormen als strenges Recht zu vereinbaren. Dieser begründet sich aus der Notwendigkeit, daß die Kollisionsnormen des CISG eine einheitliche Anwendung des Abkommens im Zusammenspiel mit beliebigen nationalen Lückenfüllungsstatuten sicherstellen müssen;2^ damit aber verträgt sich eine erweiternde "Neu-"Qualifikation in casu wiederum nicht. Außerdem kann das CISG angesichts seines begrenzten Regelungsbereichs nicht einfach zur Beseitigung eines Widerspruchs über den Wortsinn der einheitlichen Abgrenzungsnormen hinaus ausgedehnt werden. Denn nur innerhalb seines Regelungsbereichs haben die Mitgliedsstaaten dem CISG Vorrang gegenüber ihren eigenen Kaufrechten eingeräumt; eine Befugnis zurrichterlichen Erweiterung des Abkommens in den Bereich externer Lücken hinein, auch wenn sie nur punktuell zur Beseitigung von Widersprüchen vorgenommen wird, besteht nicht.24 Ein solches Verfahren würde mithin auch eine Überschreitung der Grenzen zulässiger Lückenfüllung bedeuten.

2 2 Vgl. dazu auch den sogleich unten Fn. 29 zitierten polnischen Sorgerechtsfall, in dem sich das polnische Recht als unnachgiebig erweist. 2 3

Vgl. schon oben S. 33.

2 4

Vgl. oben S. 33.

112

1. Teil, 2. Abschnitt: Normenkonkurrenz

Im Ergebnis ist deswegen auch eine erweiterte Auslegung der einheitsrechtlichen Kollisionsnormen im Rahmen der Angleichung abzulehnen. Die kollisionsrechtliche Angleichungsmethode erweist sich damit zur Auflösung von Normwidersprüchen zwischen CISG und nationalem Recht insgesamt als untauglich.

2. Die materiellrechtliche Methode Wegen der Undurchführbarkeit der kollisionsrechtlichen Angleichungsmethode kommt der materiellrechtlichen Methode ein umso größeres Gewicht zu. Diese beinhaltet, wie erwähnt,25 die modifizierte Anwendung der Sachnormen eines der konkurrierenden Rechte oder in Ausnahmefällen auch die Schaffung einer neuen Norm in casu (new rule approach ),26 um bestehende Widersprüche zu beseitigen. Letztere Möglichkeit scheidet in der vorliegenden Kollision aus. Denn die Herausbildung einer ,fKompromißnorm ,f in einer bestimmten Fallkonstellation - nach der Maxime: wie hätten die konkurrierenden Rechte entschieden, hätten sie den Normenwiderspruch erkannt - ist allenfalls im Zusammenspiel des CISG mit einigen nationalen Rechten, keinesfalls aber mit allen denkbar. Ein solches Vorgehen würde aber dem Ziel der einheitlichen Anwendung und Fortbildung des CISG widersprechen. Außerdem würde der teleologische Vorrang des CISG als lex specialis der Herausbildung eines Kompromisses entgegenstehen: Denn auch wenn man entsprechend der genannten Maxime voraussetzte, daß das CISG einen bestimmten Normenkonflikt "erkannt" hätte, könnte man nicht folgern, daß es von der vorrangigen Geltung seiner Regelungen abgewichen wäre. 27 Übrig bleibt mithin nur der Weg der modifizierten Anwendung eines der konkurrierenden Rechte.

2 5

Soeben S. 109f.

2 6

Diesem Vorgehen kommt im amerikanischen Kollisionsrecht wegen dessen größerer Flexibilität gesteigerte Bedeutung zu. Vgl. etwa Weintraub S. 80. 2 7

Auch im nationalen Recht ist eine ähnliche Konstruktion versucht worden in Fällen, in denen Normwidersprüche zwischen Vertrags- und Deliktsrecht auftreten. Georgiades S. 204ff. hat vorgeschlagen, aus vertraglichem und deliktischem Anspruch einen sog. Einheitsanspruch zu synthetisieren. Dieser Ansatz ist von der h.M. aber zu Recht mit Hinweis u.a. auf die Gesetzesbindung der Rechtsprechung (Art. 1 I V GG), die dem Richter grundsätzlich eine freie Rechtsschöpfung verbietet, abgelehnt worden. Zur ähnlichen Idee der Konstruktion eines contort im amerikanischen Recht vgl. Schlechtriem, Borderland, S. 469 mit Hinweis auf G. Gilmore, The Death of Contract (1974), S. 87.

. Kapitel: Die

verenonkurrenz

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Für die Durchführung der Angleichung greift man im IPR meist auf die von Kegel entwickelte Interessenregel28 zurück. Zu beachten sind danach das Ordnungsinteresse der Kollisionsnormen (also deren möglichst buchstabenund systemgetreue Anwendung), das Interesse des inneren Entscheidungseinklangs (die Vermeidung von Normwidersprüchen) sowie das Interesse an einer realen Entscheidung (anwendbare Normen dürfen nur möglichst wenig abgeändert, insbesondere nicht völlig flillusionär,f angewendet werden). Das schwächste Interesse ist zu opfern, während dem stärksten nachzugeben ist (Gesetz des geringsten Widerstandes). Das bedeutet, daß man das Recht modifiziert, in dem dies am leichtesten möglich ist; das trifft auf dasjenige Recht zu, das nach seiner ratio nachgiebig konstruiert ist. 29 In weiterer Hinsicht folgt aus dem Gesetz des geringsten Widerstandes auch, daß notfalls Widersprüche im nachrangigen, nachgiebig konstruierten Recht hinzunehmen sind. Im Konflikt zwischen CISG und nationalem Recht ist die Interessenwertung dagegen einfacher: Das vorrangige Interesse liegt in der sachlich möglichst weitgehenden und einheitlichen Anwendung des Einheitsrechts. Dieses ist hier grundsätzlich das unnachgiebig konstruierte Recht. Daraus folgt ferner, daß Widersprüche im Einheitsrecht grundsätzlich nicht hingenommen werden dürfen, während das nachrangige Lückenfüllungsstatut zu deren Beseitigung nötigenfalls auch "geopfert" werden darf. Mit anderen Worten bedeutet dies: Anzugleichen ist grundsätzlich im nationalen Recht. Gleichwohl sind auch nicht vermeidbare Widersprüche im nationalen Recht möglichst gering zu halten, es ist also im Einzelfall so schonend wie möglich zu modifizieren. I m Beispielsfall 30 würde man also für die Mangelschäden das Untersuchungs- und Rügeerfordernis (Artt. 38f.) in das deutsche Deliktsrecht hineinschreiben, also insofern den Tatbestand des § 823 BGB ergänzen. Angesichts der funktionalen Unterschiede von nationalem Deliktsrecht und Einheitlichem Kaufrecht, die eine vollständige Verdrängung nicht rechtfertigen, ist diese Lösung gegenüber der weitergehenden Annahme einer Konsumtion vorzugswürdig.

2 8

Kegel S. 201ff.

2 9

Kegel a.a.O. führt dafür das Beispiel eines deutsch-polnischen Sorgerechtsfalles an: Dort wäre nach dem auf die elterliche Sorge der Mutter anwendbaren deutschen Recht diese allein sorgeberechtigt, während nach dem für den Vater zum Zuge kommenden polnischen Recht dieser zusammen mit der Mutter die elterliche Sorge innehätte. Da hier eine IPR-Lösung nicht in Frage kommt, ist zu entscheiden, ob im deutschen oder polnischen Sachrecht anzugleichen ist; nach Kegel ist ersteres richtig, da die polnischen Regeln über die nichteheliche Vaterschaft unbiegsam seien - was zugunsten des Verhältnisses des nichtehelichen Vaters zu seinem Kind statuiert ist, soll einerseits erreicht, andererseits nicht überschritten werden. Die deutschen Regeln über die nichteheliche Mutterschaft seien dagegen elastisch - falls der nichtehelichen Mutter mehr Rechte als einer ehelichen zukommen, sei dies ein Notbehelf; wenn also ein Vater nach ausländischem Recht als Sorgeberechtigter hinzutrete, müsse die Rechtsstellung der Mutter insoweit eingeschränkt werden. 3 0

ObenS. 106f.

8 Schmid

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1. Teil, 2. Abschnitt: Normenkonkurrenz

Im Fall der kumulativen Normenkonkurrenz kommen Einheitsrecht und nationales Recht also grundsätzlich unabhängig voneinander zur Anwendung. Nur wenn ausnahmsweise Normwidersprüche auftreten, die die Wertungen des Einheitsrechts in unerträglicher Weise stören, ist eine Modifizierung des nationalen Rechts angebracht. Methodisch kann man dabei wie bei der materiellrechtlichen Methode der Angleichung im IPR verfahren.

Zusammenfassung

115

Zusammenfassung der Allgemeinen Lehren I.

Bei allen internationalen Handelskäufen,1 die seit dem 1.1.1988 getätigt wurden, ist die Anwendbarkeit des Einheitlichen UN-Kaufrechts (CISG) zu prüfen, das in der Bundesrepublik Deutschland selbst seit dem 1.1.1991 in Kraft ist. Sachlich ist das CISG anwendbar, wenn entweder beide Parteien aus Mitgliedstaaten kommen (Art. 1 I a) oder die Regeln des IPR des Forums zur Anwendung des Rechts eines Vertragsstaates führen (Art. 1 I b), sog. Vorschaltlösung). Die Bestimmungen des in nationales Recht transformierten Einheitsrechts gehen als lex specialis für Auslandssachverhalte dem unvereinheitlichten nationalen Recht vor. Der Vorrang des CISG gilt freilich nur im Rahmen seines Regelungsbereichs, so daß bei allen Sachfragen zu prüfen ist, ob sie auch von diesem erfaßt werden. Bei dieser Untersuchung sind zunächst die einheitsrechtlichen (sachlichen) Abgrenzungsnormen (Artt. 2-6), die kollisionsrechtlichen Charakter haben, zu beachten. Ausgangspunkt ist die positive Zuweisung des Art. 4 S. 1, wonach das CISG den Abschluß des Kaufvertrags und die aus ihm erwachsenden Rechte und Pflichten der Parteien regelt. In den meisten Fällen, besonders wenn die betreffende Frage auch von den Sachnormen des Abkommens explizit geregelt ist, läßt sich daraus allein schon eine Zuordnung ableiten. Anderenfalls ist zu differenzieren: Handelt es sich um eine Frage, die im Abkommen zwar nicht ausdrücklich geregelt ist, aber doch dem (von den Abgrenzungsnormen umschriebenen) Regelungsbereich zugehörig ist (sog. interne Lücke), darf sie mittels rechtsfortbildender Lückenfüllung gelöst werden; nur wenn ein solches Vorgehen konstruktiv nicht möglich ist, bleibt gemäß Art. 7 II als ultima ratio der Rückgriff auf das von den Kollisionsnormen des Forums bestimmte nationale Recht (sog. Subsidiärstatut). Hat man es dagegen mit einer Lücke außerhalb des Regelungsbereichs (sog. externe Lücke) zu tun, besteht zur Anwendung des nationalen Rechts überhaupt keine Alternative. Die aus diesen Gründen sehr wichtige Abgrenzung von Regelungsbereich und externen Lücken muß in Zweifelsfällen also mittels weiterer Kriterien bestimmt werden. Da das CISG neben Art. 4 S. 1 keine weiteren positiven Zuweisungen enthält, ist es zweckmäßig, zuerst die in Betracht kommenden negativen Zuweisungen - die Abgrenzungsnormen der Artt. 2, 3, 4 S. 2 und 5, die externe Lücken umschreiben - zu prüfen. Diese müssen wegen der Zielbestimmungen des Art. 7 I - internationaler Charakter und einheitliche An1 Der Begriff Handelskauf dient hier zur Abgrenzung von Konsumentenkaufen i.S.d. Art. 2 a).

8*

116

1. Teil: Allgemeine Lehren zur Lückenfullung und Normenkonkurrenz

wendung des CISG - grundsätzlich einheitlich und aus sich selbst heraus (autonom) ausgelegt werden. Besondere Bedeutung beansprucht dabei der weite Begriff der Vertragsgültigkeit i.S.d. Art. 4 S. 2 lit. a). Würde man nämlich diesen Begriff nach verschiedenen nationalen Rechten jeweils unterschiedlich auslegen ("qualifizieren"), stellten sich jeweils andere Rechtsinstitute als Fragen der Vertragsgültigkeit dar - und das unabhängig davon, ob das CISG das betreffende Institut ebenfalls regeln würde, wenn auch in anderen funktionalen und systematischen Zusammenhängen. Somit würde man das Abkommen nicht nur bei von ihm geregelten Fragen ausschließen, sondern es auch uneinheitlich - da von der jeweiligen Auslegung des Gültigkeitsbegriffes abhängig - anwenden. Andererseits ist eine autonome Qualifikation des Begriffes wenig fruchtbar, da das Abkommen keine näheren Hinweise für seine Ausfüllung enthält. Es erscheint daher am besten, das Problem auf Konkurrenzebene zu lösen. Danach kommen nationale Gültigkeitsregeln nicht zur Anwendung, wenn die betreffende Frage im CISG wertungsmäßig vorrangig geregelt ist; dann kann man von einer "insoweit anderen Regelung" i.S.d. Art. 4 S. 2 1. Hs. sprechen. In welchen Fällen ein solcher Vorrang des CISG gegeben ist, kann mittels der Allgemeinen Grundsätze zur Normenkonkurrenz (unten II.) entschieden werden. Genauso kann man bei Problemen vorgehen, die das Lückenfüllungsstatut als Fragen der Gültigkeit von Gebräuchen (Art. 4 S. 2 lit. a) 2. Α.) oder des Eigentums (lit. b) qualifiziert. Neben den in Artt. 2-5 umschriebenen externen Lücken existieren vereinzelt noch andere. Diese gehen ausnahmsweise aus bestimmten Vorschriften des Sachnormteils hervor (z.B. Art. 28); zu einem größeren Teil lassen sie sich jedoch erst durch eine vertiefte Auslegung - mittels Hilfskriterien wie: andere internationale Konventionen, typischerweise andere (nationale) Kollisionsnormen - oder eine teleologische Reduktion von Art. 4 S. 1 erschließen. Letzteres Verfahren ist insbesondere bei "versteckten Lücken" wie der Frage des Erfüllungsortes im prozeßrechtlichen Sinn anzuwenden. Wenn sich aus den genannten negativen Zuweisungen kein Aufschluß darüber ergibt, ob die betreffende Frage zum Regelungsbereich des CISG gehört, bleiben nur noch positive Zuweisungen, die mittels weiterer Hilfskriterien aus Art. 4 S. 1 abgeleitet werden können. Ausgangspunkt ist der Schluß von den einheitlichen Sachnormen auf den Regelungsbereich: Wenn sich eine Frage mit ihnen direkt oder auch im Wege zulässiger autonomer Lückenfüllung befriedigend lösen läßt, ist sie regelmäßig auch dem Anwendungsbereich des CISG zu unterstellen. Denn dieses will sich ja nicht für geregelte Fragen selbst ausschließen. Diese Wertung läßt sich auch auf Bereiche ausdehnen, die sich als nebensächlicher Annex oder kraft Sachzusammenhangs (z.B. Rechtswahlverträge bzw. -klausein) dem Kaufrecht zuordnen lassen.

Zusammenfassung

117

Weiterer Aufschluß läßt sich durch die Zuordnung zu (typischerweise) im Kaufrecht geschützten Interessen gewinnen. Danach gehört zum kaufrechtlichen Bereich stets das Wertinteresse, jedoch nur ausnahmsweise das von einigen Normen des CISG mitumfaßte Integritätsinteresse (z.B. bei Folgeschäden). Eine teleologische Reduktion des Abkommens auf den Schutz des Wertinteresses unter Ausklammerung dieser ausnahmsweise einbezogenen Fälle des Integritätsinteresses ist jedoch abzulehnen; denn das CISG schützt dort bewußt auch dem Kaufrecht nahestehende Integritätsinteressen. Schließlich kann man sich bei der näheren Abgrenzung des Art. 4 S. 1 bedingt auch auf die Entstehungsgeschichte des CISG stützen, soweit sich aus ihr unzweifelhaft bestimmte Zuweisungen belegen lassen. Kommt man bei der Prüfung dieser positiven Kriterien zu dem Ergebnis, daß die betreffende Frage zum Regelungsbereich des Abkommens gehört, aber nicht ausdrücklich geregelt ist, also eine interne Lücke darstellt, ist weiter zu ermitteln, wie diese ausgefüllt werden kann. Die dafür zulässigen Methoden stehen in einem funktionalen Stufenverhältnis, das Art. 7 II nur unvollständig wiedergibt. Zunächst ist eine möglichst weitgehende Auslegung der einheitsrechtlichen Normen geboten, die fließend in die Rechtsfortbildung durch analoge Anwendung einzelner Vorschriften übergeht. Auch argumentum e contrario und teleologische Reduktion können auf dieser ersten Stufe der Lückenfüllung herangezogen werden. Läßt sich eine Frage damit nicht bewältigen, ist - eine Stufe höher - zu untersuchen, ob sie sich im Wege der Gesamtanalogie durch die Herausbildung abkommensimmanenter allgemeiner Grundsätze lösen läßt. Die Grenzen zulässiger autonomer Lückenfüllung liegen in den feststehenden Konturen des Regelungsbereichs einerseits und in den instrumentalen Möglichkeiten der einzelnen Methoden der Lückenfüllung andererseits; insbesondere verbietet sich die Herausbildung von allgemeinen Grundsätzen, die nicht aus dem Abkommen, sondern im Wege wertender Rechtsvergleichung aus einer Gesamtschau einzelner Rechtsordnungen entwickelt werden. Bei internen Lücken, die autonom nicht befriedigend ausgefüllt werden können (vgl. Art. 7 II), und generell bei externen Lücken bleibt, wie erwähnt, nur der Rückgriff auf das Lückenfüllungsstatut. Dieses ist im kaufrechtlichen Bereich regelmäßig mit dem allgemeinen Vertragsstatut identisch. Jedoch sind bei einzelnen Fragen, die isoliert betrachtet einen vom allgemeinen Vertragstatut (das ja größtenteils vom CISG verdrängt wird) abweichenden Schwerpunkt besitzen (z.B. die Verjährung einer Forderung) auch Sonderanknüpfungen vorzunehmen. Solche müssen, soweit möglich, den Kollisionsnormen des Forums entnommen werden (z.B. Art. 28 I 2 EGBGB). Die Entwicklung von ergänzenden einheitlichen Kollisionsnormen aus allgemeinen Grundsätzen i.S.d. Art. 7 II zum Zweck einer Sonderanknüpfung von "Restfragen", die dem nationalen Recht verbleiben, verbietet sich, da dazu das Abkommen zumindest im Bereich externer Lücken nicht befugt ist. Auch eine grundsätzliche Verweisung auf die lex fori bei nebensächlichen und nur

118

1. Teil: Allgemeine Lehren zur Lückenfullung und Normenkonkurrenz

rechtstechnisch geprägten ("Lücken"-) Fragen (sog. Randfragen) ist nicht zulässig, da sich dafür im Abkommen keine Stütze findet. Soweit Lücken in außerkaufrechtlichen Bereichen, insbesondere im Sachen· und Deliktsrecht, betroffen sind, ist im Grundsatz eine Anknüpfung wie im nationalen IPR vorzunehmen. Eine etwaige Verdrängung der nationalen Normen ist erst im Rahmen der Prüfung des konkreten Konkurrenzverhältnisses (sogleich Π.) zu untersuchen. Schießlich ist die Bestimmung des Lückenfüllungsstatuts auch durch Rechtswahl der Parteien möglich.

Π.

Wenn nach der soeben erörterten Vorgehensweise die betreffende Sachfrage insgesamt oder in Teilbereichen dem Regelungsbereich des CISG unterstellt werden konnte, stellt sich das weitere Problem, was mit konkurrierenden nationalen Normen geschieht, die dieselbe Frage ebenfalls erfassen. Für diese Prüfung kann im Bereich vertragsrechtlicher Lücken auf die Methoden der nationalrechtlichen Konkurrenzlehren, freilich angepaßt an die spezifischen Gegebenheiten der einheitsrechtlich-nationalen Konkurrenz, zurückgegriffen werden. In Fällen des Zusammentreffens von Einheitsrecht und außervertragsrechtlichen Bereichen des nationalen Rechts sind dagegen die herkömmlichen DPR-Regeln anzuwenden. Prima vista erscheint die Lösung einer Konkurrenzfrage im vertragsrechtlichen Bereich vorgezeichnet; denn wegen des Vorrangs des CISG als lex specialis wird konkurrierendes nationales Recht grundsätzlich verdrängt (sog. normenverdrängende Konkurrenz). Kompliziert wird dieses Problem jedoch dadurch, daß es im Einzelfall meist schwer festzustellen ist, wann die Regelungen des CISG abschließend sind und der Vorrang des Abkommens zum Tragen kommt. Es ist nämlich denkbar, daß das nationale Recht dieselbe Sachfrage tatbestandlich, funktional und teleologisch anders als das Einheitsrecht regelt. Verdrängt werden können aber nur dem CISG gleichwertige (äquivalente) Bestimmungen des nationalen Rechts. Voraussetzung dafür ist, daß Funktionen und Teleologien der konkurrierenden Normen auch weitgehend gleichwertig sind oder daß zumindest - bei unterschiedlichen Funktionen - der Funktion der einheitsrechtlichen Norm der Vorrang zukommt. Die normenverdrängende Konkurrenz bringt darüber hinaus weitere dogmatische Probleme mit sich, die einer gesonderten Erörterung bedürfen. Zum einen ist es bei der Beurteilung einer Normenkonkurrenz unerheblich, wie das Lückenfüllungsstatut eine vergleichbare Konkurrenz intern behandeln würde (sog. nationalrechtliche Konkurrenzvorfrage), wenn es insoweit anwendbar wäre.

Zusammenfassung

119

Als Beispiel hierfür wird die Konkurrenz von einheitlichem Gewährleistungsrecht (Artt. 35ff.) und nationalen Bestimmungen über die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums (z.B. § 119 II BGB) genannt. Ob man hier § 119 II BGB noch neben Art. 35 für anwendbar erklärt oder eine Verdrängung bejaht, sollte nicht davon abhängig gemacht werden, wie das nationale Recht die entsprechende Situation (§§ 459ff. und § 119 Π BGB) löst. Denn dies würde voraussetzen, daß §§ 459ff. BGB und Artt. 35ff. gleichwertig sind. Vielmehr sollte über das Verhältnis solcher konkurrierender Bestimmungen allein im Rahmen der Verdrängungsprüfung entschieden werden. Des weiteren ist es möglich, daß sich die Verdrängung des nationalen Rechts nicht nur auf bestimmte Vorschriften oder Institute als Ganzes erstreckt, sondern daß sich innerhalb von insgesamt nicht verdrängten Vorschriften bzw. Instituten ein einheitsrechtlich geregelter Teil findet (hier sog. einheitsrechtliche Enklave im nationalen Recht), der nur eine partielle Verdrängung des nationalen Rechts bedingt. Dazu kommt es vor allem dann, wenn der einheitsrechtliche Teil eine selbständige Vorfrage darstellt (z.B. die Frage des wirkam zustandegekommenen Kaufvertrags bei nationalen Ansprüchen aus Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte) oder seine Einfügung bei der Korrektur von Normwidersprüchen im Wege der Angleichung erfolgt. Während schließlich eine Verdrängung des Abkommens durch das Lückenfüllungsstatut ausgeschlossen ist, kommt eine Verdrängung durch höherrangiges nationales oder vorrangiges internationales Recht grundsätzlich in Betracht. Allerdings sind bei einer Verdrängung nach Art. 90 nur solche völkerrechtlichen Normen beachtlich, die den gleichen Regelungsgegenstand wie das CISG haben. Das trifft insbesondere auf die Europäische Produkthaftungsrichtlinie und die nationalen Umsetzungsgesetze (z.B. das deutsche ProdHaftG) nicht zu. Kann man nach den oben genannten Kriterien keine Verdrängung der konkurrierenden Normen des nationalen Rechts bejahen - insbesondere weil, wie im Fall von Vertrags- und Deliktsrecht, ihre Funktionen unterschiedlich sind und kein Vorrang zwischen ihnen besteht - ist ihre kumulative Anwendung zwingende Folge. Grundsätzlich stehen sich dann beide Normen in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen unabhängig voneinander gegenüber. Etwaige Normwidersprüche sind deswegen regelmäßig als in der Natur der Sache begründet hinzunehmen; beseitigt werden müssen sie nur dann, wenn sie ein eklatantes Ausmaß erreichen und Sinn und Zweck der Normen ad absurdum führen würden. Ist demgemäß eine Auflösung der Widersprüche geboten, kann nach der Lehre der Angleichung im DPR vorgegangen werden. Dabei kommt nur die materiellrechtliche Methode - Modifizierung einer der konkurrierenden Sachnormen in casu - in Betracht, weil die internationalprivatrechtliche Methode

120

1. Teil: Allgemeine Lehren zur Lückenfullung und Normenkonkurrenz

sich als ungeeignet erweist, den Besonderheiten des Konflikts von Einheitsrecht und nationalem Recht gerecht zu werden. In Anbetracht dessen, daß die Wertungen des Einheitsrechts vorrangig zu realisieren sind und seine einheitliche Anwendung im Zusammenspiel mit einem beliebigen nationalen Recht gewährleistet sein muß, ist eine Angleichung stets im nationalen Recht vorzunehmen.

Zweiter Teil

Lückenfullung und Normenkonkurrenz in Einzelbereichen Einleitung In diesem Teil der Arbeit wird konkret das Zusammenspiel des CISG mit deutschem und amerikanischem Sachrecht (als Lückenfüllungsstatuten) in den Bereichen Willensmängel sowie vor- und nebenvertragliche Pflichten des Verkäufers untersucht. Eine grundlegende Schwierigkeit dieses Vorgehens liegt darin, daß die genannten Systembegriffe vom deutschen Recht geprägt sind und im CISG sowie im amerikanischen Recht als solche gar nicht vorkommen. Gleichwohl sind die von diesen Begriffen umschriebenen Sachfragen auch im amerikanischen Recht geregelt, nur in anderem systematischen und funktionalen Zusammenhang. Dasselbe trifft auch auf das CISG zu, soweit die betreffenden Materien überhaupt in seinen Regelungsbereich fallen. Getreu der rechtsvergleichenden Methode werden deshalb die funktional äquivalenten oder zumindest ähnlichen Institute und Einzelregelungen dieser Rechtsordnungen ermittelt. Zur näheren Erfassung des Zusammenspiels des CISG mit den nationalen Rechten wird folgende Vorgehensweise angewendet: In einem ersten Schritt wird die von den einzelnen Systembegriffen umrissene Materie im deutschen Recht dargestellt. Dabei wird im Bereich der Willensmängel ein für eine rechtsvergleichende Darstellung besser passender Systembegriff entwickelt. Daraufhin werden die funktionalen Äquivalente dieser Materie im amerikanischen Recht dargestellt. Schließlich wird die jeweilige Materie im CISG untersucht. Dabei wird ermittelt, ob und inwieweit einzelne Fragen im Einheitsrecht geregelt sind bzw. sich durch autonome Lückenfüllung regeln lassen; außerdem wird aufgezeigt, wie mit konkurrierenden nationalen Bestimmungen zu verfahren ist, insbesondere welche Fragen den nationalen Rechten vorbehalten bleiben. Normwidersprüche, die beim Zusammenspiel von Einheitsrecht und nationalem Recht auftreten, werden beseitigt. Im Ergebnis fördert diese Untersuchung die Konturen eines einheitsrechtlichnationalen Mischstatutes zutage, das sich als eine Art Sonderrecht der jeweiligen Vertragstaaten für internationale Kaufsachverhalte auffassen läßt. Zudem zeigt sie den Grenz- und Überschneidungsbereich des CISG mit außerkaufrechtlichen Bereichen, die den nationalen Rechten vorbehalten bleiben, auf.

122

2. Teil, 1. Abschnitt: Vertragswesentliche Fehleinschätzungen

1. Abschnitt Vertragswesentliche Fehleinschätzungen 1. Kapitel: Rechtsvergleichende Umschreibung des Instituts Willensmängel § 1 Begriff der Willensmängel im deutschen Recht

Willensmängel werden im deutschen Recht gemeinhin definiert als eine Störung des naturgemäßen Verhältnisses der Deckung von (innerem) Willen und (nach außen tretender) Erklärung.1 Mit anderen Worten liegt eine Divergenz zwischen subjektivem und objektivem Tatbestand einer Willenserklärung vor. Diese enge Definition ist jedoch im deutschen Recht selbst in mehrerlei Hinsicht problematisch. Zum einem erfaßt sie nicht alle Fälle, die gewohnheitsmäßig zu den Willensmängeln gerechnet werden: So stimmen in den Fällen von Täuschung oder Drohung (§ 123 BGB) Wille und Erklärung regelmäßig überein, Schutzgut der Vorschrift ist vielmehr die Freiheit der Willensentschließung. Aber auch der gewohnheitsmäßig zu den Willensmängeln gerechnete Eigenschaftsirrtum (§ 119 II BGB) betrifft nach herrschender Ansicht2 nicht eine Divergenz zwischen Willen und Erklärung, sondern es handelt sich um einen - ausnahmsweise beachtlichen - Irrtum im Stadium der Willensbildung (Motivirrtum). Andererseits werden einige Fälle von Defekten im Willen trotz ihrer funktionalen und inhaltlichen Zugehörigkeit begrifflich üblicherweise nicht zum Institut Willensmängel gerechnet. Besonders deutlich wird dies bei zweiseitigen Motivirrtümern, die nach herrschender Auffasssung 3 der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage unterstellt werden und bei denen der Zusammenhang zu den Willensmängeln kaum mehr Erwähnung findet. Wegen dieser Ungereimtheiten wäre es insbesondere im Rahmen einer rechtsvergleichenden Untersuchung nicht sachdienlich, nur die im deutschen Recht dem Institut der Willensmängel zugeordneten Bereiche zu untersuchen; erforderlich ist vielmehr ein weiterer, funktional ausgerichteter Systembegriff.

1

Dazu und zum Folgenden MK-Kramer §116 Rz. 15ff. 2 3

Vgl. Palandt-Heinrichs

v. § 116 Rz. 7-16; Palandt-Heinrichs

v.

§ 119 Rz. 17.

Vgl. Palandt-Heinrichs § 242 Rz. 149f. A.A. Medicus, Rz. 162, der nach § 119 Π BGB beachtliche Irrtümer allein dieser Vorschrift unterstellen will, auch wenn es sich um beidseitige handelt.

1. Kapitel: Rechtsvergleichende Umschreibung des Instituts Willensmängel 123 § 2 Vertragswesentliche Fehleinschätzung als rechtvergleichender Systembegriff

/. Funktionale Bestimmung Im deutschen Recht liegt sowohl bei den Fällen der Willensmängel als auch bei denen der Geschäftsgrundlage der gleiche funktionale Grundtatbestand einer falschen Beurteilung von vertragswesentlichen Umständen vor.4 Deren Folge ist die Abweichung des tatsächlichen Erfolges eines Vertrages von dem (von einer oder beiden Parteien) gewollten. Eine solche Fehleinschätzung kann sich auf Umstände richten, die zur Zeit des Vertragsschlusses schon existieren, oder auch auf solche, die erst später eintreten. Letztere Variante betrifft also den Fall, daß sich eine bei Vertragsschluß vorausgesetzte Erwartung nicht erfüllt. Im amerikanischen Recht findet sich - neben vielen anderen - eine entsprechende Einteilung explizit bei Farnsworth: Er faßt Irrtümer über bei Vertragsschluß existierende Umstände 0mistake 5) sowie Fehleinschätzungen späterer Entwicklungen (impracticability undfrustration 6)unter dem Systembegriff "failure of basic assumption" zusammen7- zu Deutsch: Fehlgehen einer grundlegenden Annahme (die beide Parteien als erheblich für den Vertragsschluß einschätzten). Dieser Oberbegriff ist funktional ausgerichtet und weitgehend flexibel, so daß er dem methodischen Gebot der Rechtsvergleichung, eine eigene Systematik auf funktionaler Basis zu entwerfen, 8 Genüge leistet. Im folgenden soll er mit vertragswesentliche Fehleinschätzung wiedergegeben werden.

II. Überschneidungen mit anderen Instituten Der weite Systembegriff vertragswesentliche Fehleinschätzung bringt aber auch Abgrenzungsprobleme und Überschneidungen mit sich. Denn in vielen Instituten etwa des BGB kommen Fehleinschätzungen im gerade definierten Sinn vor, auch wenn die jeweiligen Normen dies weder voraussetzen noch 4

Dies trifft (indirekt) auch bei Inhalts- und Erklärungsirrtümern zu: Bei ersteren besteht eine Fehleinschätzung hinsichtlich der inneren Umsetzung des richtig gebildeten Willens, bei letzteren besteht sie in bezug auf die - ungewollt - fehlgeschlagene Erklärung. 5

Vgl. unten S. 144ff.

6

Vgl. unten S. 150ff.

7

Der Titel des Chapter 9 seines dreibändigen Kompendiums lautet: Basic Assumption ." 8

Grundlegend zu diesem Schritt Zweigert/Kötz

I S . 49-52.

M

Failure

of

124

2. Teil, 1. Abschnitt: Vertrags wesentliche Fehleinschätzungen

speziell daran eine selbständige Rechtsfolge knüpfen. Insbesondere ist das bei Leistungsstörungen der Fall. Darunter versteht man im deutschen Recht alle Ereignisse bei Vertragsabwicklung, die die ordnungsgemäße Erfüllung erschweren oder ausschließen oder einer Partei sonstwie Schaden zufügen.9 Alle Arten von Leistungsstörungen (Unmöglichkeit, Verzug und Schlechtleistung) sind zumindest potentiell - also wenn sich die Parteien über die in Fragen stehenden Umstände überhaupt Gedanken gemacht haben - auch durch Fehleinschätzungen geprägt. Denn regelmäßig wäre ein Vertrag nicht abgeschlossen worden, hätte auch nur eine Partei mit der Leistungsstörung gerechnet. So beinhalten Fälle anfänglicher subjektiver oder objektiver Unmöglichkeit regelmäßig auch eine Fehleinschätzung. Denn wer einen Vertrag abschließt, geht unter normalen Umständen davon aus, daß dessen Erfüllung gegenwärtig möglich ist und auch nicht durch zukünftige Ereignisse unmöglich gemacht wird. Ähnlich verhält es sich mit den Fällen von Verzug und Schlechtleistung.

Fehleinschätzungen, insbesondere solche, die auf die Zeit nach Vertragsschluß gerichtet sind, und Leistungsstörungen treten also häufig zueinander in Konkurrenz. Regelmäßig wird in solchen Fällen die Berufung auf Fehleinschätzungsregeln von den Konkurrenzregeln einer Rechtsordnung ausgeschlossen sein. Überdies sind die weitergehenden Leistungsstörungsvorschriften meist günstiger für die Partei, die einer Fehleinschätzung unterlegen ist. Als Beispiel sei der berühmte englische leading case zum Unmöglichkeitsrecht, Tylor v. Caldwell}® zitiert. Dort wurde fur eine Abendveranstaltung eine Halle gemietet, die kurz vor dem Termin abbrannte. Hier ist eine Leistungsstörung (nachträgliche) Unmöglichkeit - gegeben; daneben auch eine beidseitige Fehleinschätzung hinsichtlich des weiteren Bestandes des Mietobjekts. Das deutsche Recht würde nur die Berufung auf die Unmöglichkeitsregeln (nicht auch auf §§ 537ff. BGB) gestatten; für den beidseitigen Irrtum kämen nur die Grundsätze der Geschäftsgrundlage in Betracht, die aber als im Verhältnis zu den Unmöglichkeitsregeln subsidiär ausschieden.

Eine Konkurrenz von Leistungsstörungsrecht und "Fehleinschätzungsrecht" ist freilich nicht durchgängig möglich, wenn eine Rechtsordnung für beide Gebiete nur ein einziges Institut bereithält. Das kommt dann vor, wenn die "Fehleinschätzungselemente" im Verhältnis zu den Leistungsstörungen als nachrangig eingestuft und deshalb gleichsam unterschlagen werden. So wird Taylor v. Caldwell im common law nach allgemeiner Ansicht vom Institut der impracticability erfaßt, das neben Fällen der Leistungserschwerung und Unmöglichkeit auch Fehleinschätzungen über nachvertragliche Ereignisse regelt. Eine Berufung auf die Irrtumsregeln scheitert dagegen, da diese nur vorvertragliche Umstände betreffen. Es gibt im common law vielmehr überhaupt kein Institut, das spezifisch und ausschließlich Irrtümer über nachvertragliche Umstände regelt.

9 Begründet wurde der Begriff von Heinrich stungsstörungen", 1936. 1 0

B&S 826,122 Eng. Rep. 309 (1863).

Stoll in: "Die Lehre von den Lei-

1. Kapitel: Rechtsvergleichende Umschreibung des Instituts Willensmängel 125 Als weiteres Beispiel bieten sich die Fälle der Zweckverfehlung -frustration im amerikanischen Recht - an, sofern der Zweck Veitragsbestandteil geworden ist. Vermietet ein Wohnungseigentümer seinen Balkon an einen Anhänger der Monarchie, damit dieser den Krönungszug beobachten könne, findet der Zug aber dann wegen Erkrankung des Königs nicht statt, 11 liegt nach deutschem Recht neben der Fehleinschätzung auch ein Fall der Unmöglichkeit vor, 1 2 sofern das Stattfinden des Zuges zum Vertragsbestandteil geworden ist. Die Unmöglichkeit verdrängt bei der rechtlichen Beurteilung wieder die Fehleinschätzung als Anknüpfungspunkt.

In der folgenden Darstellung ist der Komplex der vertragswesentlichen Fehleinschätzungen also auch insoweit zu untersuchen, als in den nationalen Rechten Einzelregelungen, die spezifisch und gesondert auf Fehleinschätzungen abstellen, in der Konkurrenz von vorrangigen anderen Vorschriften (z.B. Unmöglichkeitsregeln im deutschen Recht) verdrängt werden oder überhaupt nicht vorhanden sind.

11

Diese sog. Krönungszugfälle mußten zu Beginn des Jahrhunderts wiederholt von der englischen Rechtsprechung entschieden werden, z.B. Krell v. Henry, 1903 LR 2 KB 740. Vgl. dazu Zweigert/Kötz Π S. 253. 1 2

Vgl. Palandt'Heinrichs § 275 Rz. 11 m.w.N.; MK-Roth § 242 Rz. 617ff., v. § 275 Rz. 26ff. (teilweise andere Begriffsverwendung).

126

2. Teil, 1. Abschnitt: Vertrags wesentliche Fehleinschätzungen

2· Kapitel: Das deutsche Recht der vertragswesentlichen Fehleinschätzungen § 1 Grundlagen: Willensmängel, Auslegung und Konsens

Ein wirksamer vertraglicher Konsens setzt die inhaltliche Deckung der vertragskonstituierenden Willenserklärungen voraus. Dieses Erfordernis kann besonders dann zweifelhaft sein, wenn einer oder beiden Parteien bei Vertragsabschluß eine wesentliche Fehleinschätzung unterlaufen ist. Das Vorliegen eines Konsenses ist zunächst durch Auslegung der Willenserklärungen zu ermitteln. Dabei ist nach heute herrschender Auffassung mit Rücksicht auf Vertrauensschutzerwägungen auf die objektivierte Sicht eines vernünftigen Dritten in Lage und rechtlicher Stellung des Empfängers (objektiver Empfdngerhorizont) abzustellen. § 133 BGB ("Bei der Auslegung einer Willenserklärungen ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften") ist also insofern bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen durch eine erweiternde Anwendung des § 157 BGB ("Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit der Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern") zu modifizieren. 1 Deshalb sind ausnahmsweise auch Fälle von "willenlosen Willenserklärungen" möglich, nämlich wenn dem Erklärenden sein Verhalten normativ als Willenserklärung zugerechnet wird, auch wenn er keinen Rechtsbindungswillen hatte. Eine Ausnahme von der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont ist jedoch dann zu machen, wenn sich der innere Wille beider Parteien deckt. Dann bedingt der Grundsatz der Privatautonomie, daß das einvernehmlich Gewollte gilt, unabhängig davon, ob die Erklärungen sich gar nicht oder nur unzureichend decken (falsa demonstratio non nocet).2 In diesen Fällen kann § 133 BGB mithin uneingeschränkt zur Anwendung gelangen. Als Ausdehnung des falsa demonstratio-Grundsatzes wird es nicht für nötig befunden, daß der Erklärungsempfänger selbst den gleichen Willen wie der Erklärende hat; es genügt, wenn er diesen Willen tatsächlich erkannt hat.3 Denn ansonsten könnte der Empfänger den erkannten Irrtum zu seinen Gunsten ausnutzen. Ein Konsens wird weiter auch dann bejaht, wenn sich eine Partei gegen die objektive Erklärungsbedeutung ihres Verhaltens verwahrt, also etwa bei Inanspruchnahme einer nach den Umständen nur gegen Bezahlung zu erwartenden Leistung erklärt, sie werde nicht bezahlen. Eine solche Verwahrung wird we1

Vgl. statt vieler Palandt-Heinrichs

2

Ders.§ 133 Rz. 8.

§ 133 Rz. 7, 9f.

3 So die ständige Rspr unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben, vgl. BGH NJW 1984, 721. Dasselbe Ergebnis ließe sich auch mit dem Rechtsgedanken des § 1161 begründen.

. Kapitel: esches Recht

127

gen des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) als unzulässig erachtet (protestatio facto contraria non valet).4 Das Institut der Willensmängel, das den wesentlichen Teil der vorvertraglichen Fehleinschätzungen im deutschen Recht ausmacht, umfaßt nur diejenigen pathologischen" Fälle, in denen nach dem objektiven Empfängerhorizont trotz der Defekte im Willen einer oder beider Parteien eine inhaltliche Dekkung der Erklärungen noch zu bejahen ist. Ist das nicht der Fall, sind die Erklärungen etwa objektiv mehrdeutig oder in sich widersprüchlich (perplex) und liegt ihnen kein übereinstimmender Wille zugrunde, so ist Dissens gegeben, und ein Vertrag kann nicht wirksam zustande kommen.5

§ 2 Struktur des juristischen Willens und korrespondierende Willensmängel

/. Überblick Die Dogmatik teilt den juristischen Willen in drei Komponenten auf: 6 - den Handlungswillen, das Bewußtsein, überhaupt ein Tun oder Unterlassen vorzunehmen, - den rechtlichen Geltungswillen (auch Rechtsbindungswille genannt7), die Vorstellung, eine rechtlich erhebliche, also Rechtsfolgen auslösende Erklärung abzugeben, und schließlich - den Geschäftswillen, die auf einen ganz bestimmten rechtlichen Erfolg gerichtete Absicht. Willensmängel können auf jeder dieser drei Ebenen vorkommen; ihre rechtliche Behandlung ist jedoch recht unterschiedlich. 4 BGHZ 21, 319 (Hamburger Parkplatzfall) wollte diese Rechtsfolge noch aus einem faktischen Vertrag, der durch sozialtypisches Verhalten entstehe, ableiten. Heute ist diese Lehre zurecht aufgegeben (vgl. BGH W M 1986, 190f.), im wesentlichen weil sie tragende Grundsätze der Rechtsgeschäftslehre ohne genügende Veranlassung aufgibt. Zur Begründung der Unbeachtlichkeit einer einseitigen Verwahrung sind nach Medicus (§ 10 I, Rz. 191) neben der protestatio-Regel ergänzend die Rechtsgedanken der §§ 612, 632 BGB heranzuziehen, wonach der Handelnde unter bestimmten Umständen das Recht verliert, die Folgen seines Handelns zu bestimmen, insbesondere die Vergütungspflicht durch einseitige Erklärung auszuschließen. Diese Grundsätze fungieren also als Einschränkung der Privatautonomie.- Ablehnend zu einer rechtsgeschäftlichen Lösung MK-Kramer v. § 116 Rz. 38 m.w.N. 5 Das trifft grundsätzlich bei einer Divergenz der Erklärungen hinsichtlich der essentialia negotii, z.B. des Kaufpreises, zu (vgl. schon RG 93, 299). Hier ist die Auslegungsregel des § 155 BGB gar nicht anwendbar (RG 104, 266), sie betrifft nur den Dissens hinsichtlich von Nebenpunkten (accidentalia negotii).- Beachtenswert ist schließlich noch, daß Dissens kein Nichtigkeitsgrund ist. 6

Vgl. statt vieler Palandt-Heinrichs

7

Teilweise werden auch unterschiedliche Begriffe verwendet.

v. § 116 Rz. 1-4.

128

2. Teil, 1. Abschnitt: Vertrags wesentliche Fehleinschätzungen

IL Defekte im Handlungswillen Der Handlungswille ist für eine Willenserklärung absolut konstitutiv. Fehlt er (beispielsweise bei Reflexen, Handlungen im Schlaf oder unter Hypnose oder bei Anwendung von vis absoluta) liegt unter keinen Umständen eine wirksame Willenserklärung vor. Dies gilt nach herrschender Auffassung 8 auch dann, wenn nach dem objektiven Empfängerhorizont eine Erklärung zu bejahen wäre. Denn dem Grundsatz der privatautonomen Gestaltung von Rechtsverhältnissen gebührt bei so fundamentalen Defekten der Vorrang vor Erwägungen des Vertrauensschutzes.

III. Defekte im Geltungswillen Komplizierter sind Defekte im Geltungswillen zu erfassen. Grundsätzlich muß es hier genügen, wenn der Erklärende den intendierten wirtschaftlichen Erfolg seines Tuns, der auch rechtlich möglich sein muß, kennt (Grundfolgentheorie).9 Nicht erforderlich ist, daß sich der Wille auf alle 'Begleitumstände", insbesondere eventuelle Nebenfolgen auf dem Weg zu diesem Erfolg, bezieht. Sonst wäre die Rechtssicherheit in nicht hinnehmbarer Weise gefährdet, da dem Handelnden regelmäßig nicht alle möglichen Folgen seines Tuns bewußt sind und viele Erklärungen aus diesem Grund ungültig wären.10 Unterschieden werden können die Fälle des unbewußten und des bewußten Fehlens des Geltungswillens.Der erstgenannte Tatbestand wird als Fehlen des Erklärungsbewußtseins bezeichnet (berühmtes Beispiel:11 Heben der Hand bei einer Versteigerung, um einen Bekannten zu grüßen). Er ist vom BGH überzeugend gelöst worden:12 Die Freiheit in der Wahl der Erklärungshandlung beinhaltet danach auch die Verantwortung, den Rechtsverkehr nicht durch Handlungen, die objektiv als Erklärung verstanden werden können, zu stören. Deshalb ist dem Erklärenden vernünftigerweise das Risiko einer - objektiv gerechtfertigten - Fehldeutung seines Verhaltens aufzuerlegen. Wenn der Erklärende also die Deutung seines Verhaltens als Willenserklärung bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen müssen, ist es ihm auch als Willenserklärung zuzurechnen. Allerdings steht ihm die Möglichkeit offen,

8

Vgl. Soergel-Hefermehl

9

MK-Kramer

v. § 116 Rz. 15 m.w.N.

v. § 116 Rz. 13.

1 0

Ein Irrtum über Rechtsfolgen außerhalb der Grundfolgen kann einen nach § 119 I BGB beachtlichen Inhaltsirrtum darstellen, vgl. sogleich und MK-Kramer § 119 Rz. 69ff. 11

Schulfall 'Trierer Weinversteigerung", vgl. dazu Medicus § 6 Π Rz. 130.

1 2

BGH 91,327 dazu W P M 89,652.

. Kapitel: esches Recht

129

analog § 119 I 1. A. BGB den Vertrag anzufechten, was ihn jedoch analog § 122 BGB zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet. Zu den bewußten Willensmängeln, bei denen vorsätzlich ein Erklärungsschein gesetzt wird, sind die Fälle der §§ 116-118 BGB zu zählen. Handelte ein Teil ohne Geltungswillen, so ist die Willenserklärung nichtig, wenn der andere Teil den Mangel bemerkt (§§ 116 S. 2, 117 I BGB). Ist das nicht der Fall, muß sich der Erklärende aus Vertrauensschutzerwägungen an seiner Erklärung festhalten lassen (vgl. § 116 S. 1 BGB). Systemwidrig und unbillig ist deswegen die Regelung des § 118 BGB, wonach eine nicht ernst gemeinte Erklärung, die in der Erwartung abgegeben wird, daß dies erkannt wird, nichtig ist, auch wenn sie der Empfänger ernst nimmt. Die Härte dieser Vorschrift wird jedoch dadurch abgemildert, daß der Erklärende nach § 122 BGB zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet und hinsichtlich der mangelnden Ernstlichkeit beweispflichtig ist. Außerdem muß er, sofern er erkennt, daß der Empfänger die Erklärung ernst nimmt, diesen auf die mangelnde Ernstlichkeit hinweisen; sonst scheitert die Berufung auf § 118 BGB an der Einrede unzulässiger Rechtsausübung als Ausfluß des Gutglaubensgrundsatzes (§ 242 BGB).

IV. Defekte im Geschäftswillen Den Hauptteil der Willensmängel machen schließlich Defekte im Geschäftswillen aus, zu denen vor allem die Irrtumsfälle der §§ 119, 120 BGB zu rechnen sind. Die Dogmatik unterteilt hier nach ein- und beidseitigen Irrtümern sowie verschiedenen Stadien der Willensbildung und -äußerung, in die der Defekt fallen kann. Ein Erklärungsirrtum liegt vor, wenn die "äußere Umsetzung" des fehlerfrei gebildeten Willens fehlgeht, also wenn sich der Erklärende verschreibt, verliest (§ 119 I 1. A. BGB) oder wenn seine Erklärung falsch übermittelt wird (§ 120 BGB). Dagegen ist ein Inhaltsirrtum (§ 119 I 2. A. BGB) zu bejahen, wenn die "innere Umsetzung" des fehlerfrei gebildeten Willens falsch läuft. Beispiele sind der Irrtum über die Identität des Geschäftspartners (error in persona) und den Gegenstand oder Typ des Geschäfts (error in obiecto), so wenn der Erklärende statt kostenloser Informationsschriften ein teueres Gerät bestellt oder sich über die Bedeutung eines verwendeten Fremdworts nicht im klaren ist. In all diesen Fällen gestattet das BGB dem Erklärenden, unter gewissen formellen Voraussetzungen seine Erklärung und damit den Vertrag zu vernichten (§§ 121,143,1421 BGB); im Gegenzug ist er jedoch wieder zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet (§ 122 BGB): Er hat die andere Partei also vermögensmäßig so zu stellen, als hätte sie nicht auf die Gültigkeit seiner Erklärung vertraut. 9 Schmid

130

2. Teil, 1. Abschnitt: Vertrags wesentliche Fehleinschätzungen

V. Der Sonderfall

des Eigenschaftsirrtums

Eine Sonderstellung nimmt, wie erwähnt, der Eigenschaftsirrtum ein, der in der heftig kritisierten Bestimmung des § 119 II BGB geregelt ist. 13 Hier irrt der Erklärende nicht über den Inhalt seiner Erklärung - Wille und Erklärung decken sich also -, sondern über die Tatsachen oder Wertungen, die für seine Erklärung ausschlaggebend sind; der Irrtum liegt also im Stadium der Willensbildung (Motivirrtum). 14 Da die Berücksichtigung von regelmäßig nicht nach außen zutagetretenden Motiven des Erklärenden eine erhebliche Gefahr für die Rechtssicherheit darstellen würde, erlaubt § 119 II BGB die Anfechtung nur bei verkehrswesentlichen Eigenschaften. Die heute wohl herrschende Auffassung 15 interpretiert diesen Begriff im Anschluß an Flume16 dahingehend, daß die Eigenschaften im konkreten Geschäft als wesentlich vereinbart sein müssen. Aus der Verkehrswesentlichkeit wird so eine Vertragswesentlichkeit. Damit ist im Rahmen des § 119 II ebenso wie im Mängelgewährleistungsrecht eine Abweichung der Ist-Beschaffenheit von der vertraglich festgesetzten Soll-Beschaffenheit des Vertragsgegenstandes zu prüfen. Die Rechtsprechung hat dagegen die zur Anfechtung berechtigenden Eigenschaften auf der Grundlage verschiedener dogmatischer Ansätze kasuistisch festgelegt,17 wobei im Detail große Unsicherheiten bestehen bleiben. Je nach den Umständen des Vertrages sind als verkehrswesentlich anerkannt worden: bei Personen Alter, Geschlecht, Sachkunde, Zuverlässigkeit und Kreditwürdigkeit,18 bei Sachen und anderen Rechtsgegenständen19 wertbildende Merkmale wie Stoff, Bestand und Größe, Herkunft, unter Umständen auch Echtheit oder Freiheit von öffentlich-rechtlichen Beschränkungen und Rechtsmängeln.20

13

Vgl. MK-Kramer

§ 119 Rz. 10.

1 4

Bisweilen wird der Eigenschaftsirrtum auch als erweiterter Inhaltsirrtum i.S.d. § 119 12. A. angesehen. Es ist jedoch lebensfremd, in den Inhalt einer Erklärung auch Vorstellungen des Erklärenden hinsichtlich der erwünschten Eigenschaften hineinzuinterpretieren, sofern diese nicht ausdrücklich durch Parteivereinbarung zum Vertragsinhalt gemacht worden sind (vgl. zum Ganzen Palandt-Heinrichs § 119 Rz. 23ff.). 15

Einen exakten Überblick zum Meinungsstand gibt MK-Kramer

16

Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 13ff.; A T § 24/2b S. 478.

17

Überblick bei MK-Kramer

§ 119 Rz. 9Iff.

§ 119 Rz. 108ff.

18

Regelmäßig nur bei Kredit-, nicht aber bei Bargeschäften (vgl. BayOblG Betr 1988, 1846 für eine Bürgschaft und RG 105, 208 fur einen Barkauf) als wesentlich anerkannt. 19 2 0

Der Wortlaut des § 119 Π ist insoweit teleologisch zu extendieren.

Z.B. Umstanden, die einer Bebaubarkeit eines Grundstücks entgegenstehen könnten. Vgl. Palandt-Heinrichs § 119 Rz. 24-27.

2. Kapitel: Deutsches Recht

VI. Gemeinschaftlicher

131

Irrtum und Lehre von der Geschäftsgrundlage

Während die Fälle von gemeinschaftlichem Inhalts- oder Erklärungsirrtum nach den bereits erwähnten21 Grundsätzen der falsa demonstratio gelöst werden, werden die Fälle des gemeinschaftlichen Motivirrtums von der herrschenden Auffassung 22 dem aus dem Gutglaubensprinzip des §242 BGB entwickelten Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage unterstellt.

1. Definition der Geschäftsgrundlage Begriff und Inhalt der Geschäftsgrundlage sind in der Literatur umstritten.23 Die von der Rechtsprechung angewandte und von Teilen der Literatur unterstützte Definition ("subjektive Formel'1) subsumiert darunter die bei Abschluß des Vertrages für beide Parteien erkennbaren und von beiden hingenommenen - einseitigen oder wechselseitigen, zutreffenden oder unzutreffenden - Vorstellungen hinsichtlich gegebener oder künftiger Umstände, auf denen der Geschäftswille der Partei(en) beruht. Die Geschäftsgrundlage steht damit zwischen nur einseitigen Motiven auf der einen und Vertragsbestandteilen wie Bedingung oder Nebenabrede auf der anderen Seite.24 Bemerkenswert ist an dieser Definition ferner auch ihre Ähnlichkeit zum hier übernommenen amerikanischen Systembegriff failure of basic assumption. Rechtsfolge des Wegfalls oder des - insoweit gleichgestellten - anfänglichen Fehlens der Geschäftsgrundlage ist zunächst die Anpassung des Vertrages an die neuen Umstände; falls eine solche zu keinem tragbaren Ergebnis führt, kommt nur die Vertragsaufhebung in Betracht.

2 1

ObenS. 126.

2 2

Vgl. Palandt-Heinrichs

2 3

§ 242 Rz. 149f.

Vgl. statt vieler Palandt-Heinrichs

§242 Rz. llOff. (113-115); Medicus Rz.

151f. 2 4

So unterscheidet sich die Lehre von der GG von ihrem Vorläufer im gemeinen Recht, der clausula rebus sie stantibus. Diese stellt eine vertragliche Abrede dergestalt dar, daß die Bindung an den Vertrag entfällt, wenn eine grundlegende Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die bei Vertragsschluß herrschten, eintritt.

9*

132

2. Teil, 1. Abschnitt: Vertrags wesentliche Fehleinschätzungen

2. Tatbestandsmerkmale der Geschäftsgrundlage Im einzelnen müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein:25 - ein von einer oder beiden Parteien dem Vertrag zugrunde gelegter Umstand ändert sich nicht nur unerheblich - bzw. bei einem Irrtum: ist anfänglich objektiv nicht vorhanden (reales Element), - so daß eine oder beide Parteien den Vertrag bei Kenntnis des Fehlens oder Wegfalls bei verständiger Würdigung nicht geschlossen hätten (hypothetisches Element), - wobei außerdem die Beachtung des Umstandes den Wertungen der Billigkeit entspricht (normatives Element). Dieses letzte Element ist recht komplex von der Rechtsprechung geprägt worden. Grundsätzlich bedeutet es, daß das Risiko des Eintritts eines Umstandes nicht einer Partei zugewiesen sein darf. Das ist der Fall, wenn sich eine Partei vertraglich ausdrücklich zur Übernahme dieses Risikos bereit erklärt hat oder eine solche Risikoverteilung dem vorliegenden Vertragstypus entspricht. Vereinbaren beide Parteien eines Sukzessivlieferungsvertrages, daß der Preis für Einzellieferungen an die Teuerungsrate der Lebenshaltungskosten angeglichen werden soll, so ist es grundsätzlich irrelevant, wenn der Rohstoffpreis für das gelieferte Material stärker als diese ansteigt. 26 Nur wenn dieses vertragstypische Risiko eindeutig überschritten wird - z.B. sich der Rohstoffpreis um ein Vielfaches erhöht hat -, ist eine Vertragsanpassung denkbar. Umgekehrt trägt der Geldleistungsschuldner regelmäßig das Risiko der Finanzierung. Scheitert also bei einem Kaufvertrag die beabsichtigte Kreditaufnahme des Käufers, so ist eine Vertragsanpassung oder -aufhebung nicht gerechtfertigt. Auch das sog. Verwendungs- und Verwertungsrisiko trifft in Kaufverträgen in aller Regel den Käufer. Diesem stehen keine Rechte zu, wenn er wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten die erworbene Ware nicht weiterverkaufen kann, 2 7 ihm die gemietete Gaststätte, für deren Betrieb er Bier gekauft hat, gekündigt wird oder er aus nicht vom anderen Teil zu vertretenden Gründen seinen Betrieb völlig aufgeben muß. 2 8

Außerdem scheitert eine Anpassung, wenn die Änderung der vertragswesentlichen Umstände von einer Partei verschuldet worden ist (§ 276 BGB), also auch wenn diese sich im Verzug befand (§ 285 BGB). Ebenso zu entscheiden ist auch im Falle eines beidseitigen Irrtums, der von einer Partei fahrlässig verursacht worden ist. Darin liegt ein wesentlicher - wertungsmäßig auch kaum zu rechtfertigender - Unterschied zur Regelung des einseitigen Irrtums (§§ 119ff. BGB), wonach auch ein grob fahrlässiger Irrtum die Anfechtung

2 5

Unterscheidung nach Medicus Rz. 165 a.

2 6

Vgl. Palandt-Heinrichs

2 7

BGH 17, 327.

2 8

Vgl. OLG Stuttgart NJW 1954,233, BGH NJW 1985, 2694.

§ 242 Rz. 136 m.w.N.

. Kapitel: esches Recht

133

nicht ausschließt, sondern allenfalls Ansprüche auf Ersatz des Vertrauensschadens nach § 122 BGB oder cic bestehen. Möglich ist eine Anpassung jedoch, wenn der Irrtum auf die Fahrlässigkeit beider Parteien zurückgeht, z.B. wenn sie eine objektiv vorhersehbare und vermeidbare Gefahr nicht erkannt haben. Schließlich muß nach einhelliger Ansicht das Festhalten am Vertrag trotz geänderter Umstände der dadurch benachteiligten Partei subjektiv nicht mehr zumutbar sein. Dies ist im Einzelfall nach Erwägungen über die Risikoverteilung zu entscheiden.29

3. Verhältnis der Geschäftsgrundlage zu anderen Rechtsbehelfen Aus Entstehung und Funktion der Lehre von der Geschäftsgrundlage als Billigkeitsinstrument für Fälle, die sich mit dem geschriebenen Gesetzesrecht nicht befriedigend lösen ließen, wird ihr Charakter als Subsidiärinstrument30 begreiflich. Im einzelnen tritt die Geschäftsgrundlage uneingeschränkt hinter die Institute Unmöglichkeit, Verzug und Gewährleistung zurück, während die condictio ob rem (§ 812 I S. 2 2. Alt. BGB) nach herrschender Auffassung 31 ihrerseits subsidiär zur Lehre von der Geschäftsgrundlage sein soll. Speziell bei beidseitigen Irrtümern im Kaufrecht sind deshalb die Gewährleistungsvorschriften (§§ 459ff. BGB) im Rahmen ihres Regelungsbereiches meist allein anwendbar. Ein Rückgriff auf die Geschäftsgrundlage ist nicht nur ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen für Gewährleistungsansprüche im Einzelfall nicht vorliegen, sondern auch, wenn solche in zulässiger Weise abbedungen sind;32 denn auch der Verzicht der Parteien auf die Gewährleistung ist als privatautonome Sonderregelung vorrangig zu beachten und darf nicht durch eine Vertragsanpassung oder -aufhebung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage konterkariert werden. Unter all den Rechtsbehelfen, die das deutsche Recht im Bereich der Willensmängel zur Verfügung stellt, ist die Geschäftsgrundlage bei weitem das flexibelste Instrument, sowohl in Anbetracht der verschiedenen Rechtsfolgen Anpassung und Aufhebung - als auch wegen der Berücksichtigung von Billigkeitserwägungen im Rahmen von Risikozuweisung und Zumutbarkeit. Das Nebeneinander von strengem Gesetzesrecht und der Lehre von der Geschäftsgrundlage ist nicht in allen Punkten stimmig. Das zeigt sich, wie angedeutet, besonders im Bereich des Irrtumsrechts: So beurteilt sich ein einseitiger Irrtum aus-

2 9

Vgl. Palandt-Heinrichs

§ 242 Rz. 129 m.w.N.

3 0

Vgl. Palandt-Heinrichs

§ 242 Rz. 114f.

3 1

BGH 84, 10; a.A. z.B. MK-Roth § 242 Rz. 541f.

3 2

BGH 98,103; BGH NJW-RR 1989, 776.

134

2. Teil, 1. Abschnitt: Vertragswesentliche Fehleinschätzungen

schließlich nach §§ 119ff. BGB. Der Inende kann grundsätzlich unter den dort genannten Voraussetzungen anfechten, unabhängig davon, ob er den Irrtum verschuldet hat, sich im Irrtum ein nach dem jeweiligen Vertrag typischerweise ihn treffendes Risiko realisiert hat oder dem anderen Teil die Vertragsaufhebung zumutbar ist. 3 3 Einen gewissen Ausgleich bildet lediglich die Schadensersatzpflicht des § 122 BGB. Bejaht man dagegen einen beidseitigen Irrtum, so spielen die genannten Gesichtspunkte im Rahmen der Geschäftsgrundlage unversehens wieder eine entscheidende Rolle. De lege lata sind diese Ungereimtheiten im deutschen Recht der Willensmängel freilich zwingend vorgegeben.

§ 3 Andere Fälle von vertragswesentlichen Fehleinschätzungen: Zweckerreichung, Wegfall des Leistungssubstrats und Zweckstörung

Das Institut der Zweckerreichung erfaßt die Fälle, in denen der Leistungserfolg ohne Zutun des Schuldners durch einen anderen Umstand als die geschuldete Leistungshandlung eintritt. Oft genannte Beispiele sind: Das freizuschleppende Schiff kommt vor Eintreffen des Schleppers von alleine wieder frei.- Der Patient wird vor Ankunft des Arztes dine Behandlung wieder gesund.

Mit Wegfall des Leistungssubstrats ist der Umstand gemeint, daß die Leistungshandlung nicht mehr ausgeführt werden kann, weil ein zur Erfüllung notwendiger Gegenstand nicht mehr vorhanden oder die vom Gläubiger geschuldete Mitwirkung nicht mehr möglich ist. Beispiele: Tylor v. Caldwell .34 Oder Der zu unterrichtende Klavierschüler verstümmelt eine Hand.

Diese Fällen werden im deutschen Recht ausschließlich nach Unmöglichkeitsrecht behandelt, da - auch wenn die Leistungshandlung theoretisch noch möglich wäre - diese jedenfalls nicht mehr den geschuldeten Leistungserfolg herbeiführen kann. Von den beiden soeben genannten Kategorien zu unterscheiden sind die Fälle der Zweckstörung bzw. des Zweckfortfalls. Dort sind Leistungshandlung und -erfolg noch möglich, der Gläubiger hat jedoch wegen geänderter äußerer Umstände kein Interesse mehr daran. Beispiel: Die bereits genannten Krönungszugfälle. 35 Oder. Eine Trauerfeier, für die ein Kranz bestellt wurde, findet nicht statt, da der vermeintliche Erblasser eine Operation überlebt hat.

3 3 Allerdings fließen in die Festlegung von verkehrswesentlichen Eigenschaften i.S.d. § 119 Π BGB auch Erwägungen der Risikozuweisung und Zumutbarkeit ein. 3 4

Vgl. oben S. 124.

3 5

Oben S. 124; Zweigert/Kötz

Π S. 253.

. Kapitel: esches Recht

135

In diesen Fällen ist keine Unmöglichkeit zu bejahen, sofern nicht der Leistungszweck zum Vertragsinhalt geworden ist. Der Gläubiger trägt hier grundsätzlich das Risiko der Zweckstörung. Helfen kann ihm allenfalls die Lehre von der Geschäftsgrundlage, sofern deren Voraussetzungen gegeben sind.36

§ 4 Rechtsfolgen vertragswesentlicher Fehleinschätzungen

Dem Umstand, daß das BGB kein einheitliches Institut für vertragswesentliche Fehleinschätzungen zur Verfügung stellt, entspricht es, daß auch die Rechtsfolgen der aufgeführten Einzelregelungen verschieden konstruiert sind. Alle genannten Arten von Irrtümern (§§ 119ff. BGB) führen, wie erwähnt, zur Anfechtbarkeit des Vertrages. Unter den Voraussetzungen der §§121, 143,1421 BGB kann der irrende Teil hier den Vertrag ex tunc vernichten. Eine etwaige Rückabwicklung erfolgt dann über Bereicherungsrecht (§§ 812ff. BGB). Nach § 812 I 1 I . A . BGB (condictio indebiti37) müssen beide Teile das jeweils vom anderen Erlangte herausgeben. Darunter fallen auch Nutzungen und für den Gegenstand erworbene Surrogate i.S.d. § 818 I BGB. Ist die Herausgabe des Erlangten in natura nicht mehr möglich, besteht ein Wertersatzanspruch (§ 818 II BGB). Soweit jedoch der Empfänger nicht mehr bereichert ist, entfallen alle Rückerstattungsansprüche (§ 818 III BGB). Entschärft wird diese Regelung durch die sog. Saldotheorie, wonach im Falle beidseitiger Herausgabepflichten der Entreicherte prinzipiell den Wert der Entreicherung als Abzugsposten bei seinem eigenen Bereicherungsanspruch berücksichtigen muß. Freilich werden aus Wertungsgesichtspunkten auch Ausnahmen von der Saldotheorie zugelassen, so insbesondere zum Schutz beschränkt geschäftsfähiger oder arglistig getäuschter Personen.38 In den Fällen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage kommen, wie ebenfalls angemerkt, Vertragsanpassung und -aufhebung in Betracht. Beide Rechtsbehelfe bedürfen keiner Gestaltung, sondern ihre Rechtsfolgen treten nach herrschender Auffassung ipso iure ein. 39 Vertragsanpassung geschieht durch Beschränkung oder Erweiterung der gegenseitigen Pflichten; Vertragsaufhebung führt zur Umsteuerung des Vertrages in ein Rückgewährschuldverhältnis, wo3 6 Für die Königszugfälle wird eine Vergütungspflicht des Mieters verneint, wobei die Einordnung unter Unmöglichkeit oder Geschäftsgrundlage striUig ist, vgl. MKKramer § 242 Rz. 617 m.w.N. 3 7 Der Meinungsstreit, ob diesen Fällen die condictio indebiti oder die condictio causam non finitam (§ 812 I 2 2. A) einschlägig ist, kann hier offengelassen werden. Vgl. näher Palandt-Thomas § 812 Rz. 71, 77. 3 8

Näher Palandt-Thomas § 818 Rz. 46-49.

3 9

Näher Soergel-Teichmann § 242 Rz. 262ff. (266ff.).

136

2. Teil, 1. Abschnitt: Vertragswesentliche Fehleinschätzungen

bei die Rückabwicklung nicht nach §§ 812ff., sondern entsprechend §§ 346ff. BGB erfolgt. 40 Hinsichtlich der Rechtsfolgen in Fällen, die nach Unmöglichkeitsrecht entschieden werden (Zweckerreichung, Wegfall des Leistungssubstrats), wird auf die Darstellung der Rechtsbehelfe des Käufers bei Nebenpflichtverletzungen verwiesen.41

§ 5 Zusammenfassung

Der Bereich der vertragswesentlichen Fehleinschätzungen läßt sich im deutschen Recht in Fehleinschätzungen hinsichtlich bei Vertragsschluß existierender Umstände und falsche Prognosen hinsichtlich zukünftiger Umstände unterteilen. Zur ersten Gruppe gehören vor allem die sog. Willensmängel, die durch eine Divergenz zwischen innerem Willen und nach außen kundgegebener Erklärung geprägt sind. Willensmängel setzen immer voraus, daß die Auslegung der vertragskonstituierenden Willenserklärungen nach dem objektiven Empfängerhorizont zu deren inhaltlicher Deckung führt; anderenfalls ist ein Fall des Dissenses gegeben. Willensmängel sind im Bereich des Handlungs-, des Geltungs- oder des Geschäftswillens möglich. Während Defekte im Handlungswillen immer zur Nichtigkeit der betreffenden Erklärung führen, ist bei Defekten im Geltungswillen zu unterscheiden: In den Fällen des unbewußten Fehlens des Geltungswillens (fehlendes Erklärungsbewußtsein) muß der Erklärende sich sein Verhalten als Willenserklärung nur zurechnen lassen, wenn er hätte erkennen müssen, daß dieses vom anderen Teil als eine solche Erklärung verstanden werden durfte. Will der erklärende Teil dagegen mit seinem Verhalten bewußt keine rechtserhebliche Erklärung abgeben (bewußtes Fehlen des Geltungswillens, §§116-118 BGB), muß er sich grundsätzlich dieses Verhalten als Willenserklärung zurechnen lassen, sofern der andere Teil den mangelnden Geltungswillen nicht erkennen konnte. Die häufigsten Fällen spielen sich jedoch im Bereich des fehlenden Geschäftswillens ab. Hierzu zählen der Erklärungsirrtum (§ 119 I 1. A. BGB), bei dem die äußere Umsetzung des Willens, z.B. wegen Versprechens oder Verschreibens, fehlgeht. Weiter auch der Inhaltsirrtum (§ 119 I 2. A. BGB), bei dem die innere Umsetzung des Willens mangelhaft ist; d.h. eine Partei erklärt etwas anderes, als sie innerlich will, indem sie z.B. ein Fremdwort falsch verwendet. 4 0

Vgl. Medicus § 7 Π Ι Rz. 170; MK-Kramer

4 1

Unten S. 19 Iff.

§ 242 Rz. 707ff.

. Kapitel: esches Recht

137

Einen Sonderfall des ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtums stellt der Eigenschaftsirrtum (§ 119 II BGB) dar. Danach ist auch der Irrtum über solche verkehrswesentliche Eigenschaften von Vertragspartner (z.B. Kreditwürdigkeit) oder Vertragsgegenstand (z.B. Alter) beachtlich, die im konkreten Vertrag als erheblich vereinbart sind. Der Fall des gemeinschaftlichen Motivirrtums wird im deutschen Recht dogmatisch inkonsequent nicht zu den Willensmängeln im genannten Sinn gerechnet, sondern dem Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zugeordnet. Danach berechtigt die nachteilig betroffene Partei auch anfängliches Fehlen der für beide Parteien zumindest erkennbaren Umstände, auf denen ihr Geschäftwillen beruht, zur Vertragsanpassung oder -aufhebung, sofern dies nicht für die andere unzumutbar ist. Im Unterschied zu den Willensmängeln bleiben diese Rechtsbehelfe jedoch versperrt, wenn der nachteilig betroffene Teil das Fehlen oder den Wegfall der betreffenden Umstände zu vertreten hat. Zu beachten ist weiterhin, daß die im BGB nicht ausdrücklich geregelte Geschäftsgrundlage im Verhältnis zu positiv geregelten Bereichen, insbesondere dem Leistungsstörungsrecht und den geregelten Irrtumsfällen, subsidiär ist. Die zweite Gruppe - Fehleinschätzungen hinsichtlich zukünftiger Umstände - ist im deutschen Recht nur im genannten Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage spezifisch geregelt. Dieses tritt wie erwähnt in der Konkurrenz hinter das Leistungsstörungsrecht, insbesondere die Unmöglichkeitsregeln, zurück. In diesem ist die Fehleinschätzung aber überhaupt kein notwendiges und positiv geregeltes Tatbestandsmerkmal, sondern sie geht regelmäßig mit Störungen beim Leistungsaustausch einher; denn hätten die Parteien damit gerechnet, hätten sie ohnehin meist keinen Vertrag abgeschlossen. Auch die oft gesondert aufgeführten Fälle der Zweckerreichung und des Wegfalls des Leistungssubstrats beurteilen sich regelmäßig nach Unmöglichkeitsrecht. Die Rechtsfolgen vertragswesentlicher Fehleinschätzungen sind vom einzelnen einschlägigen Tatbestand abhängig: Beachtliche Irrtümer berechtigen zur Anfechtung, in deren Folge es zur Vernichtung und Rückabwicklung des Vertrages nach Bereicherungsrecht kommt (§§ 142 i.V.m. 812ff. BGB). Die Rechtsfolgen von Leistungsstörungen werden im zweiten Abschnitt über vorund nebenvertragliche Pflichten besprochen. Anfängliches Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage führt vorrangig zu Vertragsanpassung, und nur falls diese nicht praktikabel sein sollte, zu Vertragsaufhebung und Rückabwicklung nach Rücktrittsrecht (§§ 346ff. BGB).

138

2. Teil, 1. Abschnitt: Vertragswesentliche Fehleinschätzungen

3. Kapitel: Das amerikanische Recht der vertragswesentlichen Fehleinschätzungen § 1 Rechtsquellen und Besonderheiten

Für die rechtliche Behandlung von vertragswesentlichen Fehleinschätzungen sind mehrere Besonderheiten des angloamerikanischen Rechts und seiner Quellen zu beachten. Vertragswesentliche Fehleinschätzungen sind - wie fast das gesamte angloamerikanische Zivilrecht - Teil des case law, das dem Präzedenzfallsystem folgt. Die Gesetzgebungszuständigkeit liegt in diesem Bereich grundsätzlich bei den Einzelstaaten; das Zivilrecht ist also mehrheitlich state law. Ohne daß in diesem Rahmen eine ausfuhrliche Beschreibung der Besonderheiten des amerikanischen Präzedenzfallsystems geben werden kann, sei erwähnt, daß case law den Vorteil einer zumeist flexibleren Rechtsfortbildung durch den Richter in sich birgt. Neu auftretende Besonderheiten einzelner Fälle können stets berücksichtigt werden, ohne daß es des vorherigen Einschreitens des Gesetzgebers bedurfte. Andererseits geht die Anwendung von case law bisweilen auf Kosten von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, weil oft nur schwer vorauszusagen ist, welchem Präzedenzfall ein Gericht folgen wird. Vergrößert wird dieses Problem noch durch die Tatsache, daß es sich beim Recht der vertragswesentlichen Fehleinschätzungen um state law handelt. Bei ihren Entscheidungen sind die Gerichte eines Staates nur an die Entscheidungen der übergeordneten Instanzen dieses Staates gebunden (sog. binding precedents). Entscheidungen von Gerichten anderer Staaten sind nur sog. persuasive precedents , d.h. sie werden zwar im allgemeinen beachtet, eine Verpflichtung hierzu besteht jedoch nicht.1 Dieses Fehlen einer höchsten Instanz unterscheidet das amerikanische auch grundsätzlich vom englischen Recht und von fallrechtlich geprägten Bereichen kontinentaleuropäischer Rechtsordnungen. 2

Ein weiteres wesentliches Charakteristikum des amerikanischen Rechts ist die Zuordnung der Willensmängel und ihrer Rechtsfolgen (remedies 3) zum Bereich der equity. Equity ist neben dem common law im engeren Sinne4 Teil des case law, wurde jedoch im Unterschied zu diesem als Billigkeitsrecht in Härtefällen entwickelt.5 Die1

Vgl. Hay S. 8f.

2

Vgl. für das hier interessierende Gebiet etwa die umfangreiche Kasuistik zu § 119 Π BGB oben S. 92. 3

Dazu unten S. 154f.

4

Common law i.w.S. umfaßt dagegen das gesamte Fallrecht (case law, also equity und common law ieS) und bildet daher den Gegenbegriff zum geschriebenen Gesetzesrecht (statutory law); vgl. Hay S. 4ff. 5 Common law wurde von den herumfahrenden Richtern des englischen Königs gesprochen und hatte als gemeines (common) Recht den Vorrang vor lokalem Recht. Equity dagegen wurde vom König und später seinem Kanzler ex aequo et bono ge-

3. Kapitel: Amerikanisches Recht

139

se Grundtendenz ist auch nach der Rezeption des englischen Rechts in Amerika noch gültig, obwohl sich inzwischen der Unterschied zwischen equity und common law weitgehend eingeebnet hat und grundsätzlich auch jedes Zivilgericht beides anwendet.6

Heute folgt aus der Unterscheidung zwischen common law und equity vor allem noch, daß in Fragen der equity ein weiterer Ermessensspielraum der Gerichte gegeben ist. Insbesondere werden in die Entscheidung auch Billigkeitserwägungen mit einbezogen, die mit dem eigentlichen Recht der Willensmängel nichts mehr zu tun haben.7 Seit den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts wird das gesamte Fallrecht vom American Law Institute gesammelt und in einer kodifikationsähnlichen Form, dem Restatement , nach Rechtsgebieten gegliedert und in Paragraphen unterteilt, herausgegeben. Dieses ist zwar nicht verbindlich, stellt aber eine hervorragende und übersichtliche Dokumentation des geltenden Rechts dar und wird auch von Gerichten oft zitiert. Aus diesen Gründen wird das Restatement allgemein als sog. sekundäre Rechtsquelle bezeichnet. Der Bereich der vertragswesentlichen Fehleinschätzungen ist im Restatement Second on Contracts (RSC) geregelt.8 Teilweise sind auch in diese Dokumentation Bestimmungen, die in der equity wurzeln, eingegangen. Ein markantes Beispiel dafür bietet § 154 (c) RSC, der die Vertragsaufhebung im Gefolge eines Irrtums regelt: Eine Partei trägt das Risiko eines Irrtums, wenn ...(c) es ihr vom Gericht auferlegt wird, weil das in den Umständen (des Falles) vernünftig ist.

Dieser Satz spiegelt die Tendenz der Rechtsprechung wider, die Frage der Beachtlichkeit von Irrtümern häufig nach dogmatisch kaum faßbaren Billigkeitserwägungen zu entscheiden. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß der Bereich des Irrtumsrechts (ι mistake ) vom Anwendungsbereich des inneramerikanischen einheitlichen Kaufrechts, der Section 2 des Uniform Commercial Code (UCC), ausgenom-

währt, wenn das common law keine für einen bestimmten Fall passende Klageformel (writ, vergleichbar der römischen actio) enthielt, ein Ausgleich jedoch aus Billigkeitsgrunden geboten erschien. 6 In einigen Staaten (z.B. Delaware) gibt es auch heute noch den Chancery Court als Nachfolger des königlichen Kanzlers; Hay S. 8. 7 Beispiele sind die Institute laches und clean hands . Laches ist mit dem deutschen Institut der Verwirkung vergleichbar. Clean hands bedeutet, daß derjenige, der vom anderen etwas fordert, selbst "mit sauberen Händen" dastehen muß, also sich selbst loyal und vertragstreu verhalten haben muß. Beide Prinzipien haben ihre Grundlage im Grundsatz von Treu und Glauben (good faith principle). 8

Das Restatement Second on Contracts wurde von dem berühmten New Yorker Professor E. Allan Farnsworth verfaßt, der - zusammen mit Professor John 0. Honnold - die USA auch bei den Beratungen des CISG vertreten hat.

140

2. Teil, 1. Abschnitt: Vertragswesentliche Fehleinschätzungen

men ist. Andere Fälle vertragswesentlicher Fehleinschätzungen, insbesondere das Institut impracticability ,9 sind jedoch im UCC geregelt. Der UCC wurde als Nachfolger des Uniform Sales Act von 1906 in den vierziger Jahren von fuhrenden Rechtsgelehrten ausgearbeitet 10 und 1952 erstmals als Entwurf gefaßt. In ihm wurden wesentliche Gebiete des amerikanischen Kauf- und Wirtschaftsrechts vereinheitlicht. Inzwischen haben nahezu alle Bundesstaaten11 der USA den UCC - in den neueren Fassungen von 1962,1972 oder 1982 - als state law verabschiedet. Deshalb kommt im Rahmen seines Regelungsbereiches dem traditionellen case law keine große Bedeutung mehr z u . 1 2

Angesichts der kaum überschaubaren Menge des case law werden sich die folgenden Ausführungen vornehmlich am UCC, dem Restatement sowie den darin genannten leading cases orientieren.

§ 2 Das geltende amerikanische Recht der vertragswesentlichen Fehleinschätzungen

/. Konzeptuelle Grundlagen Naturgemäß sind im case law die einzelnen Rechtsgebiete nicht so genau gegliedert und voneinander abgegrenzt wie im kontinentaleuropäischen Gesetzesrecht, in dem Dogmatik und Systembildung traditionell eine größere Rolle spielen. In Darstellungen des amerikanischen Rechts finden sich jedoch häufig Einteilungen, die auf funktional zugeschnittenen Systembegriffen basieren. So behandeln Fuller/Eisenberg13 das Recht der vertragswesentlichen Fehleinschätzungen unter dem Titel "Mistake and Changed Circumstances". Verbreitet ist auch die hier übernommene Einteilung von Farnsworth:14 "Failure of basic assumption: mistake , impracticability and frustration Im Bereich der vertragswesentlichen Fehleinschätzungen existiert, wie erwähnt, eine bedeutsame Zweiteilung: Während sich der Bereich mistake zwingend auf den Irrtum über gegenwärtige (zur Zeit des Vertragsschlusses bestehende) Umstände bezieht, können impracticability undfrustration sowohl eine Fehleinschätzung hinsichtlich vorhandener als auch zukünftiger 9

Vgl. unten S. 150ff.

1 0

Die Leitung hatte der New Yorker Professor Karl N. Llewellyn ; vgl. zur Geschichte allgemein White!Summers § 1 S. Iff. 11

Ausnahmen: Louisiana und Virgin Islands. I m District of Columbia gilt der UCC unmittelbar kraft Verabschiedung durch den Kongreß. 1 2 Gleichwohl hat sich für Auslegung und Lückenfüllung des UCC ein neues case law gebildet. 13

Part V S. 654ff.

1 4

Contracts, chapter 9, S. 497ff.

3. Kapitel: Amerikanisches Recht

141

Umstände zum Gegenstand haben.15 Die Unterscheidung zwischen beiden Fallgruppen ist deswegen erheblich, weil spätere Veränderungen häufiger dem Risikobereich der betroffenen Partei zugeordnet werden als zur Zeit des Vertragsschlusses bereits gegebene. Einer der bekanntesten und meistkommentierten Fälle der letzten Jahre, Alcoa v. Essex, 16 befaßte sich mit der Trennung von bei Vertragsschluß gegebenen und nachträglich eintretenden Umständen. Alcoa verpflichtete sich in einem Vertrag auf 16 Jahre, von Essex geliefertes Aluminium zu schmelzen und weiterzuverarbeiten. Die dafür vorgesehene Vergütung wurde durch eine vertragliche Gleitklausel an einen industriellen Preisindex gekoppelt. Nach über zehn Jahren stellte sich jedoch heraus, daß der Preisindex wesentlich langsamer anstieg als die Energiekosten, die beim Schmelzen anfielen. Alcoa wurde unter dem Gesichtspunkt des beiderseitigen Irrtums eine Befreiung von der Erfullungsverpflichtung zuerkannt. Die Tauglichkeit des industriellen Preisindex als Instrument zum Ausgleich der Teuerungsrate bei den Bearbeitungskosten sei ein bei Vertragsabschluß gegebener Umstand gewesen, keine bloße Zukunftsprognose. Deshalb hätten hier die mistake-Reg&L· angewandt werden können.

Zum Bereich des Irrtums über gegenwärtige Umstände lassen sich unilateral mistake (einseiiger Irrtum) und mutual mistake (beidseitiger Irrtum) zählen. Im Vorfeld der vertragswesentlichen Fehleinschätzungen ist jedoch auf das Institut misunderstanding einzugehen.

II. Misunderstanding Dieses Institut regelt die Voraussetzungen für ein wirksames Zustandekommen des Vertrages, also die Fragen von Konsens und Dissens. Ein Vertrag, der von § 1 RSC als Versprechen oder eine Mehrzahl von Versprechen definiert wird, setzt voraus: - die Äußerung des wechselseitigen Konsenses 0manifestation of mutual assent), - einen Austausch von Versprechen und Leistung oder gegenseitiger Versprechen Cbargain ), - ein "Gegenopfer", das den Rechtsbindungswillen belegt ("Seriositätsindiz" 17 ) und den Vertrag rechtlich verbindlich macht 0consideration ). Das Institut misunderstanding selseitigen Konsenses anzusiedeln.

ist systematisch beim Erfordernis des wech-

15

Zur Konkurrenz beider Institute vgl. unten S. 154.

16

Aluminium Co. of America v. Essex Group, 499 F. Supp. 53 (1980).

17

Zweigert/Kötz

Π S. 84ff.

142

2. Teil, 1. Abschnitt: Vertragswesentliche Fehleinschätzungen

Vertragsrechtlicher Grundtatbestand ist im amerikanischen Recht die Willensäußerung 0manifestation of assent), die nach § 19 (1) RSC durch geschriebenes oder gesprochenes Wort oder durch ein anderes Handeln oder Unterlassen abgegeben werden kann. Ein Konsens setzt zunächst voraus, daß jede Partei entweder eine Willensäußerung in Gestalt eines Versprechen abgibt oder - was einem konkludenten Versprechen gleichkommt - eine Leistungshandlung vornimmt bzw. damit beginnt. Weiterhin muß ein Rechtsbindungswille (intention to engage) vorliegen; dazu genügt auch das Wissen oder Wissenmüssen, daß die andere Partei das eigene Verhalten als Willensäußerung deuten kann. Letzteres läßt sich funktional als eine culpa in contrahendo (c/c)-Regelung begreifen, die nicht zur Rechtsfolge Schadensersatz, sondern zur Zurechnung des eigenen Verhaltens als Willensäußerung führt. 18 Eine solche Zurechnung kann demnach auch dann erfolgen, wenn eine Partei schuldhaft dem eigenen Verhalten keinen Erklärungsgehalt zumißt. Aus § 163 RSC, der die vertragshindernde Irreführung (misrepresentation ) regelt, können Schlüsse auf den Umfang dieses Wissenmüssens gezogen werden: Wenn eine Partei vorsätzlich oder fahrlässig hinsichtlich des Charakters oder wesentlichen Inhalts (character oder essential terms) eines Vertrages irregeführt wird, ist ihr auch ein Verhalten mit objektivem Erklärungsgehalt nicht zurechenbar, da sie dann von einer solchen Rechtsfolge nichts wissen mw/fre. Verallgemeinert man diese Aussage, bedeutet sie das Erfordernis eines - hinsichtlich des Vertragscharakters und wesentlichen Inhalts - beschränkten Geschäftswillens. Die Formulierung 11manifestation of mutual assent die das frühere "meeting of the minds" abgelöst hat, soll ausdrücken, daß es für den Konsens primär auf den Inhalt der äußeren Erklärungen ankommt (objektive Sichtweise).19 Deswegen ist eine Mentalreservation prinzipiell unbeachtlich.20 Andererseits gilt der Vorrang des einvernehmlich Gewollten (der falsa demonstratio-Grundsatz) nach herrschender Ansicht auch dann, wenn sich nach objektiver Betrachtung des Vertrages kein Konsens feststellen ließe.21

18

Kessler! F ine S. 427ff.

19

Der frühere Streit zwischen objectivists entschieden, Farnsworth, Contracts, S. 170f. 2 0 2 1

und subjectivists

ist zugunsten ersterer

RSC § 1 7 Com. c.

Farnsworth, Contracts, S. 244ff. (246). Die Gegenmeinung vertrat die zu Beginn des Jahrhundert einflußreiche Schule des reinen Objektivismus unter dem berühmten Richter Learned Hand. Sie findet sich auch heute noch bisweilen in Entscheidungen, vgl. etwa aus der neueren Rechtsprechung Billmyre v. Sacred Heart Hosp. of Sisters of Charity , 273 Md. 638, 331 A.2d 313 (1975): "When language of a contract is clear, the true test of what is meant is not what the parties to the contract intended it to mean, but what a reasonable person in the position of the parties would have thought it meant."

3. Kapitel: Amerikanisches Recht

143

Es genügt auch im amerikanischen Recht, daß sich der Konsens auf die wesentlichen Punkte des Vertrages bezieht. Das Restatement 22 verlangt, daß beide Parteien dem Vertrag einen einheitlichen Kern an Bedeutung beilegen, so daß zumindest die Bestimmung der beiderseitigen Leistungen möglich ist. Es wäre aber illusorisch, die vollständige Kongruenz der beiderseitigen Willensäußerungen zu fordern, denn dann käme fast nie ein Vertrag zustande.23 Noch in einem weiteren Fall leitet das Restatement den vertragsnotwendigen Konsens aus culpa-Ûberlegungen ab: Wenn eine Partei den Willen der anderen kannte oder kennen mußte, kommt ein Vertrag dieses Inhalts zustande, auch wenn jene in einem wesentlichen Punkt einen anderen Willen hatte (§ 20RSC). Wenn jedoch die Vorstellungen der Parteien zu einem wesentlichen Punkt des Vertrages auseinandergehen, ohne daß eine Partei dies wußte oder wissen mußte, liegt nach § 20 RSC kein Konsens vor, auch wenn ein solcher nach Auslegung des äußeren Verhaltens zu bejahen wäre. Insofern wird der subjektiven Komponente das Schwergewicht beigelegt. In der Literatur wird diese Bestimmung des Restatement jedoch kritisiert; 24 insbesondere wird ihr vorgeworfen, sie entspreche nicht der Rechtsprechung, die - wie auch das deutsche Recht - bei unterschiedlichen Parteivorstellungen sehr wohl auch objektive Kriterien, wie die Umstände des Vertrages, Bräuche und dergleichen, mit in die Betrachtung einbeziehe. Zur Veranschaulichung der unterschiedlichen Standpunkte seien zwei leading cases zitiert: I m berühmten englischen Fall Raffles ν. Wichelhaus 25 wurde Baumwolle verkauft, die sich gerade auf einem Schiff namens Peerless auf dem Transport nach Liverpool befand. Dann stellte es sich heraus, daß zwei Schiffe namens Peerless existierten, wobei das erste im Oktober, das zweite erst im Dezember ankam. Der Beklagte wollte nur eine Lieferung im Oktober annehmen, während der Kläger nur zur Lieferung aus der Dezember-Fracht fähig und bereit war und deren Abnahme einklagte. Der mit dem Fall befaßte Court of Exchequer gab dem Beklagten Recht: Es sei nicht unerheblich, welche Schiffsladung er abnehmen müsse; die Bezeichnung Peerless sei aber angesichts der Existenz zweier Schiffe dieses Namens mehrdeutig (< ambiguous ) gewesen, und es sei deswegen kein Vertrag über die Fracht einer der beiden Peerless zustandegekommen.

Diese Entscheidung ließe sich mit § 20 RSC vereinbaren, da dem divergierenden Parteiwillen Rechnung getragen wird. Auch wenn man mit der anderen Ansicht wie im deutschen Recht Handelsbräuche und Gepflogenheiten der Parteien mit in die Beurteilung einfließen läßt, ändert sich am Ergebnis nichts: Denn hier bringen auch diese Kriterien keinen weiteren Aufschluß, die Erklärungen waren vielmehr objektiv mehrdeutig. 2 2

RSC § 20 Com. b.

2 3

Farnsworth,

2 4

So insbesondere Palmer § 15.2.

2 5

Huri. & C. 906, 159 Eng. Rep. 375 (1864).

Contracts, S. 253.

144

2. Teil, 1. Abschnitt: Vertragswesentliche Fehleinschätzungen

In Frigaliment Importing Co. v. B.N.S. International Sales Corp. 26 kaufte der Kläger, ein Schweizer Importeur, von der Beklagten "chicken", in der Meinung, es handele sich um junge, zum Grillen geeignete Hähne. Die Beklagte lieferte aber Suppenhühner. Das Gericht entschied, der Kläger hätte - da der Wortsinn unklar war und auch eine Auslegung nach den Umstanden und üblichen Handelsbräuchen die Zweideutigkeit nicht beseitigen könnte - darlegen müssen, warum der Vertrag über junge Hähne geschlossen worden sei.

Auch hier ließ sich die Mehrdeutigkeit der beiden Erklärungen aus den Umständen des Falles nicht aufklären. Allerdings erachtete das Gericht ein solches Vorgehen - insoweit als obiter dictum - für zulässig. Demnach wäre die streng subjektive Betrachtung des Restatement zu relativieren. Auch Farnsworth argumentiert in dieselbe Richtung, wenn er aus dieser Entscheidung schließt, es gehe in solchen Fällen weniger um die Frage eines Konsenses als vielmehr um ein Problem der Darlegungslast für den Vorrang einer bestimmten Bedeutung.27 Zusammenfassend ergibt sich, daß das amerikanische Recht bei der Festellung des vertragsnotwendigen Konsenses ebenso wie das deutsche vorrangig der objektiven Betrachtungsweise folgt; teilweise läßt es aber auch eine aus objektiven, subjektiven und c/c-Erwägungen bestehende Mischlösung zum Zuge kommen.

III. Unilateral mistake 1. Entwicklung Die Möglichkeit einer Vertragsaufhebung infolge Irrtums oder anderer unvorhergesehener Umstände (Leistungserschwerung, Unmöglichkeit) wurde früher meist nicht anerkannt. Die Gerichte befanden regelmäßig, daß eine vertragliche Verpflichtung als absolute Garantie zu werten sei, die auch bei unverschuldeten Hindernissen erfüllt werden müsse. Es galt fast ausnahmslos die Regel "pacta sunt servanda". Infolgedessen wurde konsequent auch ein Schadensersatzanspruch aus einer wegen unverschuldeter Unmöglichkeit (nach deutscher Terminologie) undurchführbaren Verpflichtung anerkannt. So verurteilte der Supreme Court of Minnesota noch im Jahre 1874 einen Baumeister zum Schadensersatz,28 obwohl das Gebäude, zu dessen Herstellung er sich verpflichtet hatte, bereits zweimal zusammengebrochen war, da - wie sich erst nach Vertragsschluß herausgestellt hatte - der Untergrund aus Treibsand bestand.

2 6

190 F. Supp. 116(1960).

2 7

Contracts, S. 252f.

2 8

Stees v. Leonhard, 20 Minn. 494,503 (1874).

3. Kapitel: Amerikanisches Recht

145

Daran anknüpfend galt im Kaufrecht der Grundsatz "caveat emptor": Demnach trug allein der Käufer das Risiko für alle wesentlichen Eigenschaften der Kaufsache; Irrtümer waren danach grundsätzlich unbeachtlich. Die moderne Rechtsprechung auf diesem Gebiet befaßt sich vor allem mit Fällen von Kalkulationsirrtümern von Bauunternehmern, die in ihren Angeboten (bids) im Rahmen von öffentlichen Ausschreibungen die Leistungen von Subunternehmern, derer sie sich bedienen wollten, falsch berechnet hatten. Wie erwähnt, gehört dieser Bereich zur equity und ist deshalb in erhöhtem Maße zweckgerichtet und billigkeitsorientiert. Gleichwohl lassen sich auch im amerikanischen Recht Leitlinien für die Anerkennung von Irrtümern finden, die aber weniger den Gehalt von abschließenden Tatbestandsmerkmalen als vielmehr von offenen Mindestvoraussetzungen besitzen. Ein fundamentaler Unterschied zu den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen ist bereits vorab zu nennen: Das amerikanische Recht unterteilt den einseitigen Irrtum nicht - wie etwa das deutsche - in verschiedene Unterfälle, es stellt also dogmatisch nicht darauf ab, in welchem Stadium von Willensbildung und -äußerung der Irrtum begangen wurde.

2. Regelung nach dem Restatement Die Grundbegriffe des geltenden amerikanischen Irrtumsrechts, wie es seinen Niederschlag im Restatement gefunden hat, sind basic assumption und material effect Der Irrtum muß sich auf eine grundlegende Annahme beziehen und eine wesentliche (negative) Auswirkung zeitigen. Prinzipiell unbeachtlich ist ein Irrtum immer dann, wenn die andere Partei schon im Vertrauen auf den Vertrag (reliance) gehandelt hat; so wenn der Hauptunternehmer schon ein Angebot auf der Grundlage der vom Subunternehmer falsch kalkulierten Leistungen gemacht hat. In vielen Fällen wird eine Vertragsaufhebung darüber hinaus für zulässig gehalten, wenn der irrende Teil dem anderen den Vertrauensschaden (reliance damages) ersetzt. Unter diesen Begriff werden hier aber anders als im deutschen Recht regelmäßig nur kleinere Posten - wie etwa Inseratskosten für die Suche nach einem anderen Subunternehmer29- subsumiert; nicht jedoch wird die generelle Möglichkeit anerkannt, bei Ersatz eines beliebig großen Vertrauensschadens den Vertrag aufheben zu können.30 Unzulässig ist eine Vertragsaufhebung dagegen jedenfalls dann, wenn der andere Teil auch nach Erstattung des Vertrauensschadens nicht mehr in den status quo ante zurückversetzt werden kann. 2 9 So in Board of Regents of Murray State Normal School v. Cole, 209 Ky. 761, 273 S.W. 508 (1925). 3 0

Fuller/Eisenberg

10 Schmid

Note S. 683; Farnsworth , Contracts, S. 527 Fn. 15.

146

2. Teil, 1. Abschnitt Vertragswesentliche Fehleinschätzungen

Der einseitige Irrtum muß nächstens auch bewirken, daß die Leistung einer Partei die Opfergrenze überschreiten würde (unconscionability), d.h. daß Leistung und Gegenleistung in krassem Mißverhältnis zueinander stehen. Dies geht über die allgemeine Voraussetzung der wesentlichen negativen Auswirkung 0material effect) noch hinaus. Vergißt der Bauunternehmer, den Betrag für die Kosten der Leistung eines Subunternehmers in sein Angebot einzurechnen, verbleibt ihm aber trotz dieses Fehlers immer noch ein erheblicher Gewinn, so bedingt sein Irrtum zwar eine wesentliche negative Auswirkung, überschreitet aber noch nicht die Opfergrenze. 31

Als Korrektiv fungiert auch hier das Kriterium der Risikozuweisung, demzufolge der irrenden Partei die Vertragsaufhebung verweigert werden kann. Danach trägt eine Partei das Risiko eines Irrtums, wenn dies so vereinbart wurde oder die irrende Partei sich beim Vertragsschluß bewußt mit einem begrenzten Wissen über die den Irrtum begründende Tatsache zufriedengegeben hat (sog. conscious ignorance). In Wood v. Boyntorr 32 verkaufte die Klägerin einen Stein, der sich schon lange in ihrem Besitz befand, zu einem niedrigen Preis an die Beklagte. Später begehrte sie die Aufhebung des Vertrages, weil sich herausstellte, daß der Stein ein Edelstein war, dessen Wert ein Vielfaches des erzielten Preises betrug. Dies wurde ihr versagt, da sie sich bewußt auf dieses Risiko eingelassen hatte: Sie hätte nämlich während der Zeit ihres Besitzes problemlos Nachforschungen über den wahren Wert des Steines anstellen können.

Schließlich trägt - wie erwähnt33- eine Partei das Risiko auch noch dann, wenn das Gericht dies nach den Umständen des Falles für opportun hält. Unter diese Formulierung des Restatement werden etwa unbeachtliche Einschätzungsfehler (risk as to judgement) gefaßt, etwa ein Irrtum des Bürgen über die Kreditwürdigkeit des Hauptschuldners (nach deutscher Terminologie) oder ein Kalkulationsirrtum eines Unternehmers hinsichtlich der Gewinnspanne bei einem Geschäft, der auf einer fahrlässigen Fehleinschätzung der benötigten Arbeitszeit beruht. Davon unterscheiden einige Gerichte einen reinen Rechenfehler (