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German Pages 118 Year 2002
CHRISTIAN S C H M I D
Das Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit aus rechtstheoretischer Sicht
Schriften zur Rechtstheorie Heft 209
Das Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit aus rechtstheoretischer Sicht
Von Christian Schmid
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schmid, Christian: Das Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit aus rechtstheoretischer Sicht / von Christian Schmid. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zur Rechtstheorie ; H. 209) Zugl.: Regensburg, Univ., Diss., 2000/2001 ISBN 3-428-10554-0
Alle Rechte vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 3-428-10554-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ®
Vorwort Die Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg i m Wintersemester 2000/2001 als Dissertation vor. Meinem Doktorvater Prof. Dr. Andreas Hoyer danke ich dafür, daß er durch seine wohlwollende Förderung die Anfertigung dieser Arbeit ermöglicht hat. Ebenso danke ich Prof. Dr. Friedrich-Christian Schroeder für die zügige Anfertigung des Zweitgutachtens. Christian Schmid
Inhaltsverzeichnis
Α. Einleitung
11
Β. Problemstand
14
I. Klassische Irrtumsprobleme 1. Irrtum über RechtfertigungsVoraussetzungen
14 14
a) Einführung
14
b) Theorien zum Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes
17
aa) Vorsatztheorie
17
bb) Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen
20
cc) Vorsatzunrechtsausschließende eingeschränkte Schuldtheorie
22
dd) Rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie
23
ee) Rechtsfolgenselbständige Schuldtheorien
25
if) Strenge Schuldtheorie
26
gg) Streng objektive Theorie
28
hh) Ergebnis
29
2. Fehlen der subjektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes II. Aktuelle Probleme 1. Strafbarkeit der Mauerschützen
30 31 31
a) Einführung
31
b) Dogmatische Begründung der Strafbarkeit
32
c) Isolierte Anwendung des Tatbestandes
34
2. Entscheidung des BVerfG vom 28. 5. 1993 zum Schwangerschaftsabbruch
36
a) Einführung
36
b) Kritik der Auffassung des BVerfG
37
c) Zusammenfassung
39
8
Inhaltsverzeichnis 3. Problem der Einheit der Rechtsordnung
39
a) Verwaltungsrechtsakzessorietät
39
b) Zivilrechtsakzessorietät
41
c) Strafunrechtsausschluß
42
d) Kompetenz
42
e) Rechtsgebietsspezifische Auslegung oder Rechtsakzessorietät?
43
III. Dogmengeschichtlicher Uberblick
44
1. Die Gliederung der Straftat
44
2. Die Irrtumslehre im 19. Jahrhundert
46
3. Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen
48
4. Die Tatbestandslehre im Nationalsozialismus
51
5. Die Diskussion in der Nachkriegszeit
52
6. Darstellung des derzeitigen Meinungsstands
54
a) Rechtsprechung
54
b) Schrifttum
55
C. Die Strafrechtsnorm
58
I. Tatbestand und Verbot, Rechtfertigung und Erlaubnis II. Der Inhalt der Strafrechtsnorm
58 59
1. Norm und Normsatz
59
2. Strafrechtsnorm als Bestimmungsnorm
60
3. Strafrechtsnorm als Sanktionsnorm
61
4. Auseinandersetzung
62
5. Norm und private Nachteilsandrohung
63
6. Der Begriff der Sanktion
64
7. Sanktionen und Abgaben
66
8. Die Funktion des Normbegriffs
69
III. Norm und Rechtswidrigkeit
71
IV. Norm und Schuld
72
V. Ergebnis
74
Inhaltsverzeichnis D. Logische Analyse der Bewertung im Strafrecht I. Einführung II. Die Objekte der Bewertung III. Bewertung 1. Wertbegriffe a) Klassifikatorische Wertbegriffe
75 75 75 76 76 76
b) Komparative und metrische Wertbegriffe
77
c) Subjektive und objektive Wertbegriffe
78
2. Bewertung als Bildung von einstelligen Begriffen (Wertbegriffen)
78
3. Pflichtbegriffe (deontische Begriffe)
79
4. Ableitung der Pflichtbegriffe von den Wertbegriffen
79
IV. Die Bildung des Begriffs Rechtswidrigkeit
80
1. Abstraktes Beispiel
80
2. Konsequenzen aus dem Beispiel
81
3. Verallgemeinerung des Beispiels
81
4. Vergleich einfacher und komplexer Tatbestände des Besonderen Teils des StGB
82
V. Die Extension der Strafbarkeit E. Sachliche Unterschiede zwischen Tatbestandsmerkmalen und Rechtfertigungsgründen I. Wertunterschied II. Soziale Auffälligkeit
82
84 84 86
III. Deliktstypus
87
IV. Verbotsmaterie
88
V. Duldungspflicht VI. Erforderlichkeitskriterium VII. Freiheitserweiterung VIII. Prinzipien der Rechtfertigung IX. Wortlaut der §§ 32, 34 X. Ergebnis
88 90 91 92 94 95
10
Inhaltsverzeichnis
F. Gesamtergebnis I. Konsequenzen der Sanktionstheorie der Rechtsnorm II. Konsequenzen der logischen Analyse III. Konsequenzen der logischen und sachlichen Gleichheit G. Folgerungen für die dogmatischen Probleme I. Konsequenzen für die dargestellten Probleme 1. Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes
96 96 97 98 99 99 99
2. Fehlen der subjektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes
101
3. Strafbarkeit der Mauerschützen
101
4. Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs
103
5. Einheit der Rechtsordnung
103
II. Folgen für die dogmatische Einordnung von Strafbarkeitsvoraussetzungen
104
1. Einwilligung
104
2. Genehmigung/Befugnis
104
3. Verwerflichkeit
104
4. Soziale Adäquanz / Strafwürdigkeit / Strafbedürftigkeit
105
H. Schlußwort
108
Literaturverzeichnis
109
Sachverzeichnis
116
Α. Einleitung Das Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit wurde lange Zeit nur unter dem rein dogmatischen Gesichtspunkt betrachtet, ob ein Irrtum über rechtfertigende Umstände ein Tatbestandsirrtum, einem Tatbestandsirrtum gleichzusetzen oder ein als Verbotsirrtum zu behandelnder Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Tat sei1. Die logische Komponente des Problems für den Aufbau der Straftat war zwar immer deutlich2, trat jedoch angesichts des heftigen Streits um die Behandlung des Irrtums über rechtfertigende Umstände in den Hintergrund. In letzter Zeit werden jedoch auch andere Fragen diskutiert, die mit dem logischen Aufbau der Straftat zusammenhängen. Diese Fragen betreffen nicht nur strafrechtsspezifische Probleme als vielmehr auch Themen, die die Rechtsordnung insgesamt betreffen. Daher soll das Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit anhand normtheoretischer und logischer Methoden untersucht werden. Dabei stehen sich zwei Auffassungen gegenüber. Zum einen die Lehre vom Leitbildtatbestand, die besagt, daß Tatbestand und Rechtswidrigkeit zwei unterschiedliche Wertungsstufen darstellen3, zum anderen die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, die der Ansicht ist, es gebe nur eine Wertungsstufe, die aus positiven und negativen Voraussetzungen bestehe4. Dabei sind die Tatbestands1
Vgl. Engisch, Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum bei Rechtfertigungsgründen, ZStW 70 (1958), S. 566 ff.; Herzberg, Erlaubnistatbestandsirrtum und Deliktsaufbau, JA 1989, S. 243 ff.; Kaufmann, Arthur, Die Irrtumsregelung im Strafgesetz-Entwurf 1962, ZStW 76 (1964), S. 564 ff.; Schröder, Der Irrtum über Rechtfertigungsgründe nach dem BGH, MDR 1953, S. 70 ff.; von Weber, Der Irrtum über einen Rechtfertigungsgrund, JZ 1951, S. 260 ff.; Welzel, Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit des Handelns, SJZ 1948, S. 368 ff. 2 Vgl. ζ. B. Engisch, Logische Überlegungen zur Verbrechensdefinition, Welzel-Festschrift, S. 343 ff. 3 Vgl. u. a. Baumann, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 173 ff.; Bockelmann ! Volk, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 36 ff.; Gallas, Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen, ZStW 67 (1955), S. 1 ff.; Herzberg, Handeln in Unkenntnis einer Rechtfertigungslage, JA 1986, S. 190 ff.; Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen; Hirsch, Strafgesetzbuch: Leipziger Kommentar, vor § 32 Rn 5; Jakobs, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 153 ff.; Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, S. 225 f.; Kaufmann, Armin, Lebendiges und Totes in Bindings Normentheorie, S. 248 ff.; Maurach/Zipf Strafrecht. Allgemeiner Teil, Teilband 1, S. 318; Stratenwerth, Strafrecht. Allgemeiner Teil I, S. 71 ff.; Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 49 ff. 4 Vgl. u. a. Engisch, Der Unrechtstatbestand im Strafrecht, DJT-Festschrift, S. 401 ff.; Kaufmann, Arthur, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, JZ 1954, S. 653 ff.; Rödig, Zur Problematik des Verbrechensaufbaus, Lange-Festschrift, S. 39 ff.; Samson, Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, 5. Auflage (!), vor § 32 Rn 6 ff.; Schaff stein,
12
Α. Einleitung
merkmale i. S. d. Leitbildtatbestandes positive und die Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe negative Tatbestandsmerkmale. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit sind danach identisch. Diese Unterscheidung hat nicht nur für das Problem des Irrtums über rechtfertigende Umstände, sondern auch für andere in letzter Zeit diskutierte Probleme Relevanz. Die Bestrafung der Mauerschützen ist im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG problematisch, weil die Rechtsordnung der DDR mit § 27 des Grenzgesetzes einen Rechtfertigungsgrund enthielt, die den Schußwaffengebrauch ermöglichte. In der DDR wurden die Mauerschützen grundsätzlich auch nicht bestraft. Nach verbreiteter Auffassung verstieß jedoch der Schußwaffengebrauch an der innerdeutschen Grenze in Kombination mit den erheblichen Schwierigkeiten, die mit einer legalen Ausreise verbunden waren, gegen elementare Gerechtigkeits- und Menschenrechtsgrundsätze, so daß § 27 DDR-Grenzgesetz, wonach die Schüsse der Grenzsoldaten bei illegalen Grenzübertritten gerechtfertigt waren, zum Teil als nichtig angesehen wird, so daß eine Strafbarkeit nach dem Leitbildtatbestand des Totschlags verbleibt. Der Bundesgerichtshof hält so die Bestrafung der Mauerschützen für zulässig5. Es ergibt sich jedoch das Problem, ob der Totschlagstatbestand der DDR isoliert angewendet werden kann. Dies ist nur möglich, wenn man Tatbestand und Rechtfertigungsgründe trennt und die Tötung auch unabhängig von den vom Gesetzgeber aufgestellten Ausnahmefällen als in dieser Rechtsordnung verboten erachtet. Die Differenzierung zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit beschäftigte auch das Bundesverfassungsgericht. Es erachtete die Formulierung als unzulässig, der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten 3 Monate sei nicht rechtswidrig (§ 218a StGB i. d. Fassung vom 27. 7. 1992), weil nach der Werteordnung des Grundgesetzes ein generelles Tötungsverbot bestehen müsse6. Der Ausschluß der Rechtswidrigkeit begründe jedoch eine Erlaubnis, die für die gesamte Rechtsordnung gilt. Gleichzeitig schlug das BVerfG die Formulierung als nicht tatbestandsmäßig vor 7 , die der Gesetzgeber auch in der Neufassung des § 218 vom 21.8. 1995 übernommen hat. Diese Fassung sei verfassungsgemäß. Diese Differenzierung ist jedoch nur sinnvoll, wenn man entgegen der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen von verschiedenen Wertungsstufen ausgeht. Das Problem, mit dem sich das Bundesverfassungsgericht beschäftigt hat, läßt sich verallgemeinern. Es ist generell problematisch, ob eine Erlaubnis in einem Soziale Adäquanz und Tatbestandslehre, ZStW 72 (1960), S. 369 ff.; Schröder, Die Irrtumsrechtsprechung des BGH, ZStW 65 (1953), S. 207 ff.; Schünemann, Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsreform im Spiegel des Leipziger Kommentars und des Wiener Kommentars, G A 1985, S. 341 ff.; von Weber, Negative Tatbestandsmerkmale, Mezger-Festschrift, S. 183 ff. 5 BGH v. 3. 11. 1992, BGHSt 39, 1 ff. 6 Β Verf. v. 28. 5. 1993, BVerfGE 88, S. 273. 7 BVerfG v. 28. 5. 1993, BVerfGE 88, S. 274.
Α. Einleitung
Rechtsgebiet Wirkung für die gesamte Rechtsordnung entfaltet, ob beispielsweise ein rechtswidriger, aber wirksamer Verwaltungsakt im Strafrecht zwingend einen Rechtfertigungsgrund darstellt (Problem der Einheit der Rechtsordnung). Das ist nur der Fall, wenn die Erlaubnis eine über die Beseitigung eines konkreten Verbots hinausgehende eigenständige Funktion für die Rechtsordnung hat, was nur möglich ist, wenn ein Erlaubnissatz isoliert, ohne Bezug auf bestimmte Verbote, in der Rechtsordnung enthalten ist, was nach der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen abzulehnen ist, wie später noch genauer dargestellt wird. Nach der Erörterung des Problemstands (B.), bei der auch auf die historische Entwicklung des Straftatbegriffs eingangen wird, soll das Problem des Verhältnisses von Tatbestand und Rechtswidrigkeit unter formalen Gesichtspunkten untersucht werden, zunächst normentheoretisch (C.), dann logisch (E.). Danach wird geprüft, ob materielle Gründe für die Unterscheidung von Tatbestand und Rechtswidrigkeit sprechen (F.). Schließlich werden das Ergebnis der Untersuchung zusammengefaßt (G.) und Folgerungen für die erörterten Probleme gezogen (H.).
Β. Problemstand I. Klassische Irrtumsprobleme Wie bei den Merkmalen des Tatbestandes kann auch bei den Rechtfertigungsvoraussetzungen die Vorstellung des Täters mit der Wirklichkeit auf zweierlei Arten differieren. Der Täter kann von in Wirklichkeit nicht vorliegenden Rechtfertigungsvoraussetzungen ausgehen (Irrtum über Rechtfertigungsvoraussetzungen) oder der Täter weiß nicht, daß er unter den Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes handelt (Unkenntnis von RechtfertigungsVoraussetzungen).
1. Irrtum über Rechtfertigungsvoraussetzungen a) Einführung Allgemein wird der Irrtum über Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes als eines der schwierigsten und komplexesten Probleme des Strafrechts angesehen1. Es wird der Theorienwirrwarr 2 mit abenteuerlichen Namensgebungen3 kritisiert, allerdings auch eingeräumt, daß der Streit im Zentrum der Strafrechtsdogmatik stattfinde 4. Der Irrtum über Rechtfertigungsvoraussetzungen wird gewöhnlich als Erlaubnistatbestandsirrtum bezeichnet. Die Verwendung des Wortes Erlaubnistatbestandsirrtum setzt allerdings die Anerkennung der deontischen Kategorien (Verbot/Gebot/Erlaubnis/Freistellung) 5 voraus. Denn man muß die rechtswidrige Handlung als verboten und dementsprechend Rechtfertigungsgründe als Erlaubnistatbestände ansehen. Die Lehre von dem der Straftat vorausgehenden Verbot entstammt Bindings Normentheorie 6, ist allerdings nicht unumstritten. Lehnt man 1 Schejfler, Der Erlaubnistatbestandsirrtum und seine Umkehrung, das Fehlen subjektiver Rechtfertigungselemente, Jura 1993, S. 617. 2 Roxin, Unterlassung, Vorsatz und Fahrlässigkeit, Versuch und Teilnahme im neuen Strafgesetzbuch, JuS 1973, S. 202. 3 Herzberg, Erlaubnistatbestandsirrtum und Deliktsaufbau, JA 1989, S. 294. 4 Herzberg, Erlaubnistatbestandsirrtum und Deliktsaufbau, JA 1989, S. 243. 5 Dazu Adomeit, Rechtstheorie für Studenten, S. 37; Lampe, Logische Beziehungen zwischen ontischen und deontischen Sätzen, dargestellt anhand „logischer Quadrate", Rechtstheorie 1983, S. 317 ff.
I. Klassische Irrtumsprobleme
15
die Existenz von Verboten ab7 oder definiert sie anders als Binding als Verhalten, mit dem man eine Sanktion vermeidet 8, so teilt man Verhaltensweisen nicht in verboten / erlaubt, sondern in mit / ohne staatlichen Zwangsakt versehen ein. In letzterem Fall könnte man nicht mehr von Rechtfertigungsgründen als Erlaubnistatbeständen, sondern müßte von Rechtfertigungsgründen als eine Form von Sanktionsausschließungsgründen sprechen. Auch die von Hans-Ludwig Günther vertretene Lehre von der spezifischen Strafrechtswidrigkeit sieht nicht in jedem Rechtfertigungsgrund eine Erlaubnis, sondern geht teilweise von speziellen Strafunrechtsausschließungsgründen aus9. Um nicht schon vorweg zwangsläufig Bindings Normentheorie vorauszusetzen, ist es besser, vom Irrtum über Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes oder vom Irrtum über Umstände, die zu einem Rechtfertigungsgrund gehören, zu sprechen. Ein Irrtum über Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes liegt vor, wenn sich der Täter Umstände vorstellt, die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes sind, diese Umstände aber tatsächlich nicht vorliegen. Beispiel 1: Anläßlich eines Fahrfehlers im Stau will Β den A (ausschließlich verbal) zur Rede stellen, steigt aus seinem Fahrzeug aus und öffnet die Fahrertür des Α. A hat Angst vor Β und schlägt ihm mit der Faust ins Gesicht 10. A irrt über das Vorliegen eines Angriffs, da Β den A nur zur Rede stellen will, tatsächlich Rechtsgüter des A aber nicht beeinträchtigen wollte, damit über eine tatsächliche Voraussetzung der Notwehr. Die Lösungen dieses Problems reichen vom Vorsatzausschluß über die Bestrafung wegen der Vorsatztat bei Verwendung des Fahrlässigkeitsstrafrahmens bis zur Bestrafung wegen der Vorsatztat nach dem Vorsatzstrafrahmen. Die systematisch möglichen Ansätze reichen von einer extrem subjektiven Theorie, die das Vorliegen der subjektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen für eine Rechtfertigung ausreichen ließe, über Vorsatz-, Schuld-, zur extrem objektiven Theorie, die keine subjektiven Rechtfertigungselemente anerkennt. Soweit ersichtlich wird allerdings eine extrem subjektive Theorie von niemandem11, die extrem objektive Theorie 12 nicht im Zusammenhang mit dem Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen 6
Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band 1, S. 1 ff. Hoyer, Strafrechtsdogmatik nach Armin Kaufmann, Berlin 1997, S. 81. s Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Auflage, Wien 1960, S. 120 ff. dazu Hoyer, Strafrechtsdogmatik nach Armin Kaufmann, Berlin 1997, S. 80 f.: „Neuer Wein in alten Schläuchen". 9 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß. 10 OLG Düsseldorf v. 8. 11. 1993, NJW 1994, S. 1232 ff. 7
11 Zu dieser möglichen Theorie: Scheffler, Der Erlaubnistatbestandsirrtum und seine Umkehrung, das Fehlen subjektiver Rechtfertigungselemente, Jura 1993, S. 623. 12 Spendet, Strafgesetzbuch: Leipziger Kommentar, § 32 Rn 138.
16
Β. Problemstand
eines Rechtfertigungsgrundes, sondern nur im Rahmen des Problems der Unkenntnis der Rechtfertigungsvoraussetzungen vertreten, so daß eine Differenzierung nur nach Vorsatz- und Schuldtheorie erfolgt, wobei auch wiederum innerhalb derer differenziert wird. Eine andere systematisch mögliche Einteilung erfolgt nach der Lehre vom Leitbildtatbestand und der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen. Ausgangspunkt für beide Unterscheidungen ist der Begriff des Vorsatzes an sich, dessen Ausschluß nach § 15 zur Straffreiheit oder gegebenenfalls zur Fahrlässigkeitsstrafbarkeit (§ 15 HS 2) führen würde. Bei der Differenzierung nach Vorsatzund Schuldtheorie kommt es darauf an, ob bereits ein Rechtsirrtum den Vorsatz ausschließt, bei Leitbild- oder Gesamtunrechtstatbestand darauf, ob der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes ein Irrtum über Umstände des gesetzlichen Tatbestands im Sinne des § 16 ist. Nach der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen sind Rechtfertigungsvoraussetzungen Umstände des gesetzlichen Tatbestandes. Nach § 16 schließt der Irrtum über Umstände des gesetzlichen Tatbestandes den Vorsatz aus. Problematisch ist hierbei, daß die Gleichstellung von Tatbestands- und Rechtfertigungsirrtum unter Umständen einen monströsen Vorsatz zur Folge hat, weil nach § 16 Abs. 1 der Vorsatz bereits bei Unkenntnis eines Umstands des gesetzlichen Tatbestandes entfallen würde. Entsprechend würde nach Ansicht der Kritiker der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen der Vorsatz bereits bei Unkenntnis des NichtVorliegens der Rechtfertigungsvoraussetzungen entfallen, nicht erst bei fehlerhafter Vorstellung von RechtfertigungsVoraussetzungen 13. Dieses Ergebnis wird als psychologisch und rechtspolitisch unhaltbar angesehen14. Die Lehre vom Leitbildtatbestand erkennt Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe nicht als Umstände des gesetzlichen Tatbestands an. Sie kann dennoch auf zweierlei Weise zu einem Vorsatzausschluß kommen. Entweder vertritt man die Vorsatztheorie und sieht das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit als Bestandteil des Vorsatzes an oder man wendet die alte (reichsgerichtliche) Unterscheidung zwischen Tat- und Rechtsirrtum mit einer analogen Anwendung des § 16 für Tatirrtümer bei Rechtfertigungsgründen an. Ersteres führt zu Problemen der Interpretation des § 17, der nach herrschender Ansicht die Fälle des Verbotsirrtums allenfalls zu einem Schuldausschluß führen läßt, letzteres zu Problemen bei Tatbestandsmerkmalen, die eine rechtliche Bewertung erfordern. Schränkt man die Schuldtheorie nicht dahingehend ein, daß Tatsachenirrtümer auch in der Rechtfertigungsebene zum Vorsatzausschluß führen, so ist wegen der Unanwendbarkeit des § 16 der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes als Verbotsirrtum anzusehen und § 17 anzuwenden, was bei Unvermeidbarbeit nach 13
Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, S. 267 ff.; Welzel, Die Regelung von Vorsatz und Irrtum im Strafrecht als legislatorisches Problem, ZStW 67 (1955), S. 213; Kaufmann, Armin, Tatbestandseinschränkung und Rechtfertigung, JZ 1955, S. 38. 14
Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, S. 268.
17
I. Klassische Irrtumsprobleme
§ 17 S. 1 zum Schuldausschluß und damit zur Straflosigkeit, bei Vermeidbarkeit nach § 17 S. 2 zur Möglichkeit der Strafmilderung führt. Wendet man die streng objektive Theorie, die keine subjektiven Voraussetzungen bei Rechtfertigungsgründen fordert 15 , konsequent auch für den Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes an, so ist ein Irrtum über solche Voraussetzungen für das Unrecht irrelevant. Der Irrtum über Rechtfertigungsvoraussetzungen kann wie nach der strengen Schuldtheorie allenfalls auf Schuldebene bedeutsam sein. Die eingeschränkte Schuldtheorie wird noch mit weiteren Differenzierungen vertreten, weil teilweise die fehlende Möglichkeit der Teilnahme16, teilweise die Straflosigkeit bei fehlendem Fahrlässigkeitstatbestand17, beides Folgen des Vorsatzausschlusses, als unbefriedigend empfunden wird. Folgende Tabelle soll einen systematischen Uberblick über die verschiedenen Ansichten liefern: rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie
rechtsfolgenselbständige Schuldtheorien
strenge Schuldtheorie, extrem objektive Theorie
-
+
+
+
-
-
+
+
-
-
-
+
Vorsatztheorie, Lehre von den negativen Tabestandsmerkmalen, vorsatzunrechtsausschließende eingeschränkte Schuldtheorie vorsätzliche Tat Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat Strafrahmen der vorsätzlichen Tat
Soweit ein erster Überblick der vertretenen Lösungsansätze. Im Folgenden werden die einzelnen Theorien mit deren Argumenten genauer analysiert.
b) Theorien zum Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes aa) Vorsatztheorie Die Vorsatztheorie besagt, der Vorsatz müsse das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit umfassen, der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes schließe das Unrechtsbewußtsein aus, daher entfalle beim Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes der Vorsatz. 15 Spendei, Strafgesetzbuch: Leipziger Kommentar, § 32 Rn 138; Spendei , Der Gegensatz rechtlicher und sittlicher Weitung am Beispiel der Notwehr, DRiZ 1978, 330. 16 Tröndle / Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, § 16 Rn 27a. 17 Haft, Der doppelte Irrtum im Strafrecht, JuS 1980, S. 661.
2 Schmid
18
Β. Problemstand
Entwickelt wurde die Vorsatztheorie im letzten Jahrhundert von Binding als Reaktion auf die reichsgerichtliche Unterscheidung zwischen Tat- und Rechtsirrtum, seit dem 1. Strafrechtsreformgesetz mit der Einfügung des § 17 wird sie nur noch von wenigen vertreten 18, im übrigen wird sie als Verstoß gegen § 17 angesehen19. Die Gegner sind der Ansicht, der Gesetzgeber habe sich in § 17 gegen diese These entschieden, da die Einsicht, Unrecht zu tun, das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit ist und dessen Fehlen keinen Vorsatz-, sondern einen Schuldausschluß zur Folge hat 20 . Dieses Argument ist von den Befürwortern nur schwer zu entkräften. Die Vorsatztheorie wird mit dem Schuldprinzip begründet, das verfassungsrechtlich verankert sei, und deshalb durch einfaches (nichtverfassungsänderndes) Gesetz nicht eingeschränkt werden könne. Das Schuldprinzip fordere, daß Vorsatz aktuelles Tat- und Unrechtsbewußtsein voraussetze21, denn Vorsatz sei ein Teil der Schuld und der Begriff des Vorsatzes beinhalte sowohl Tat- als auch Unrechtsbewußtsein22. Bewußtseinsgegenstand muß dabei das Unrecht der Tat sein, Tatsachen seien nur soweit von Bedeutung, als sie das Unrecht begründen 23. Der Unterschied zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt liege darin begründet, daß die Vorsatztat Unrechtsbewußtsein voraussetzt, die Fahrlässigkeitstat nur die Erlangbarkeit des Unrechtsbewußtseins24. Der wesentliche Bewertungsunterschied unter Schuldgesichtspunkten sei nicht, ob der Täter die Tatsachen kennt oder nicht, sondern ob er die Tat für erlaubt hält oder nicht. Darin sei auch die unterschiedliche Strafwürdigkeit von Vorsatz und Fahrlässigkeit zu sehen. Zwar lege der Wortlaut von § 17 die Schuldtheorie nahe, insbesondere der Satz 2 laufe nach der Vorsatztheorie praktisch leer 25 . Denn bei einem Ausschluß des Vorsatzes entfällt die Strafbarkeit nach § 15, die Milderung käme nur noch für die eventuell verbleibende Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Betracht. Im Hinblick auf das Schuldprinzip müsse diese Verkrampfung des Gesetzes jedoch hingenommen werden 26 . Ein anderes Wortlautverständnis kommt bei der Auslegung oftmals vor. Es wird dabei auf das Beispiel eines bevorstehenden Unglücks hingewiesen, das so18 Schmidhäuser, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 218 ff.; Langer, Vorsatztheorie und strafrechtliche Irrtumsregelung, G A 1976, 193 ff.; Otto, Grundkurs Strafrecht. Allgemeine Strafrechtslehre, S. 86; Spendet, Das Unrechtsbewußtsein in der Verbrechenssystematik, TröndleFestschrift, S. 89 ff. 19 Vgl. ζ. B. Cramer, SchönkeISchröder. Strafgesetzbuch: Kommentar, § 15 Rn 104; Tröndle / Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, § 17 Rn 2; Roxin, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 795. 20 Ζ. B. Wessels/Beulke, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 143.
21 Schmidhäuser, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 222 f. 22 Schmidhäuser, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 219. 23 Schmidhäuser, Der Verbotsirrtum und das Strafgesetz (§16 Abs. 1 Satz 1 und § 17 StGB), JZ 1979, S. 367. 24 Schmidhäuser, JZ 1979, S. 367. 25 Schmidhäuser, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 223. 26 Schmidhäuser, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 42.
I. Klassische Irrtumsprobleme
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wohl nach Rechtsprechung27 als auch nach Literatur 28 ein Unglücksfall im Sinne des § 323c sei 29 . In diesem Beispiel wird der Wortlaut zu Lasten des Täters ausgedehnt. Die Vorsatztheorie schränke die Strafbarkeit nur zugunsten des Täters ein. Insofern könne eine Beschränkung der dem § 17 unterfallenden Sachverhalte hingenommen werden und sei im Hinblick auf das Schuldprinzip hinzunehmen. § 17 ist nach der Vorsatztheorie nur noch auf die Fälle des § 16 Abs. 1 Satz 2 anzuwenden, wenn also das Fehlen des Unrechtsbewußtseins auf Fahrlässigkeit beruht. In der Tat kann die Vorsatztheorie nicht als Verstoß gegen § 17 angesehen werden, da § 17 nicht besagt, daß trotz fehlender Unrechtseinsicht Vorsatz vorliegen kann, sondern, daß bei Unvermeidbarkeit keine Schuld vorliegt. Selbst wenn kein einziger Fall unter § 17 fällt, würde die Vorsatztheorie § 17 nicht widersprechen. Allerdings ist natürlich zu begründen, weshalb das Unrechtsbewußtsein zum Vorsatz gehört. Dabei ist im Rahmen der Auslegung des Gesetzes auch § 17 zu berücksichtigen. Immerhin läßt der Ausschluß des Vorsatzes die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit unberührt. Man kann § 17 gar als Kodifizierung des Fahrlässigkeitsvorwurfes ansehen, weil der Irrtum genau dann vermeidbar ist, wenn der Täter aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die Möglichkeit hatte, das Unrechtsbewußtsein zu erlangen 30. Die Strafmilderung des S. 2 beträfe dann lediglich noch die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit. Noch mehr spräche aber die systematische Stellung für diese Auslegung: §§ 15, 16 und 18 beträfen Konstellationen, in denen ein Verhalten nicht als vorsätzliches, sondern als fahrlässiges zugerechnet wird, daher regle auch § 17 lediglich fahrlässiges Verhalten 31. § 17 könne somit auch als Kodifizierung der Vorsatztheorie verstanden werden 32. Zu begründen ist allerdings, weshalb dem im vermeidbaren Verbotsirrtum handelnden Täter eine doppelte Privilegierung zu Teil wird, denn die zu mildernde Fahrlässigkeitsstrafe ist ohnehin schon geringer als die Vorsatzstrafe. Hierzu wird angeführt, daß die Strafmilderung des § 17 S. 2 in manchen Fällen sachgerecht sei, weil die Rechtsfahrlässigkeit oftmals weniger schwer wiege als die Tatfahrlässigkeit, etwa bei strittigen Rechtsfragen oder beim (vorwerfbaren) Vertrauen auf eine falsche Rechtsauskunft 33. In diesen Fällen sei die Verhängung der vollen Fahrlässigkeitsstrafe nicht sachgerecht, weil sich die Strafdrohung am Durchschnittsfall der Tatfahrlässigkeit orientiere 34. In Fällen, in denen die Rechtsfahrlässigkeit so schwer wie die Tatfahrlässigkeit wiegt, ist von der Strafmilderung abzusehen.
2v BayObLG v. 6. 9. 1962, NJW 1963, S. 62. 28 Cramer, Schönke / Schröder. Strafgesetzbuch: Kommentar, § 323c Rn 5. 29 Schmidhäuser, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 223. 30
Langer, Vorsatztheorie und strafrechtliche Irrtumsregelung, GA 1976, S. 214 f. Langer, Vorsatztheorie und strafrechtliche Irrtumsregelung, G A 1976, S. 215. 3 2 Langer, S. 215. 31
33 34
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Langer, Vorsatztheorie und strafrechtliche Irrtumsregelung, G A 1976, S. 217. Langer, GA 1976, S. 217.
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Β. Problemstand
Sieht man also § 17 als zusätzliche Regelung des Vorsatzausschlusses an, so ist diese Norm ohne weiteres mit der Vorsatztheorie vereinbar und fügt sich sogar problemlos in deren Systematik ein. Daher steht die Vorsatztheorie nicht nur, wie bereits festgestellt, nicht im Widerspruch zu § 17, sondern § 17 kann so ausgelegt werden, daß er als Argument für die Vorsatztheorie dienen kann. Die These, der Gesetzgeber oder das Gesetz habe sich gegen die Vorsatztheorie oder für die Schuldtheorie entschieden, ist daher unzutreffend. Mit dem Gesetz sind beide Theorien vereinbar.
bb) Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen sieht die Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe als negative Tatbestandsmerkmale an. Das Unrecht wird in gleicher Weise von Tatbestandsmerkmalen und Rechtfertigungsgründen begründet, nur seien die einen positiv, die anderen negativ formuliert. Der Tatbestand sei Geltungsgrund, nicht nur Indiz für die Rechtswidrigkeit 35. Die positiven Merkmale konstituierten Unrecht durch ihr Vorliegen, die negativen durch ihr Fehlen 36 . Positive wie negative Tatbestandsmerkmale dienten daher der Herausarbeitung des strafrechtlichen Unrechts in gleicher Weise37. Die Unterscheidung zwischen positiven und negativen unrechtsbestimmenden Merkmalen habe lediglich gesetzestechnische Bedeutung38. Für die Bewertung eines Verhaltens sei es gleichgültig, ob es nicht tatbestandsmäßig oder zwar tatbestandsmäßig, aber nicht schuldhaft sei 39 . Für den Irrtum über rechtfertigende Umstände folgt daraus, daß die unrechtsausschließenden Merkmale wie die unrechtsbegründenden Merkmale Umstände des gesetzlichen Tatbestands i. S. d. § 16 sind. Daher entfalle beim Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes der Vorsatz nach § 16, da die Vorstellung negativer Umstände der Nichtvorstellung positiver Umstände juristisch gleichsteht, wie bereits Savigny nachgewiesen hat 40 . Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen wird regelmäßig als eine Form der eingeschränkten Schuldtheorie bezeichnet41. Das ist nur insoweit zutreffend, als sie auch dann, wenn man grundsätzlich den Thesen der Schuldtheorie 35
Kaufmann, Arthur, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, JZ 1954, S. 657. 36 Rudolphi, Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 15 Rn 10. 37 Roxin, Offene Tatbestände und Rechtspflichtverletzung, S. 174. 38 Samson, Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, 5. Auflage, vor § 32 Rn 9. 3 9 Samson, Rn 9. 40
von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band 3, S. 111 und 326. Ζ. B. Wessels/Beulke, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 146; Joecks, Studienkommentar StGB, § 16 Rn 30. 41
I. Klassische Irrtumsprobleme
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folgt, im Falle des Irrtums über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes nicht mit dem Ergebnis der strengen Schuldtheorie (vorsätzliches Delikt) übereinstimmt. Die Lehre ist aber auch mit der Vorsatztheorie vereinbar, denn auch wenn man der Vorsatztheorie folgt, kann man der Ansicht sein, Tatbestandsmerkmale und Rechtfertigungsvoraussetzungen seien logisch gleichwertig. Jedoch stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit für den Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes nur im Rahmen der Schuldtheorie, weil bei der Vorsatztheorie der Vorsatzausschluß schon aus dem fehlenden Unrechtsbewußtsein folgt. Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen ist aber eine allgemeine Theorie, nicht nur für das einzelne Problem des Irrtums über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes geschaffen. Sie steht mit ihrer Fragestellung jenseits der Auseinandersetzung um Vorsatz- und Schuldtheorie, löst beispielsweise auch die anschließend im Kapitel „B. II. Aktuelle Probleme" dargestellten Fragen. Daher ist es unzutreffend, diese Lehre als eingeschränkte Schuldtheorie zu bezeichnen. Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen begründet ihre These mit der logischen Gleichwertigkeit von Tatbestandsmerkmalen und den Voraussetzungen von Rechtfertigungsgründen. Ob der Gesetzgeber einen Tatbestandsausschluß oder eine Rechtfertigung wählt, sei eine gesetzestechnische Zufälligkeit, die von Zweckmäßigkeitserwägungen getragen ist, weil es beispielsweise wenig Sinn machen würde, in jede Tatbestandsfassung die Klausel „ . . . wenn nicht dadurch in angemessener Weise eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum von sich oder einem anderen abgewendet werden kann und das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt oder darin eine erforderliche und gebotene Verteidigung gegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff zu sehen ist ..." aufzunehmen. Wegen der logischen Gleichwertigkeit von Tatbestands- und Rechtfertigungsmerkmalen seien auch letztere Umstände des gesetzlichen Tatbestandes im Sinne des § 16. Wenn es keine rechtlich relevante zweite Unrechtsstufe gibt, müssen alle rechtfertigenden Umstände zum gesetzlichen Tatbestand gehören 42. Die Gegner der Lehre von den negativen Tatbestandmerkmalen sehen vor allem sachliche Unterschiede zwischen Tatbestands- und Rechtfertigungsmerkmalen. Teilweise wird ein Wertunterschied zwischen tatbestandslosem und gerechtfertigtem Verhalten gesehen43, teilweise ein Unterschied in der sozialen Relevanz44, zum Teil wird angenommen, Rechtfertigungsgründe begründeten eigenständige Duldungspflichten 45, schließlich werden Rechtfertigungsgründe auf eigene einheitliche Prinzipien, Rechtsbewährung46 und Interessenabwägung47, zurückgeführt 48. 42 43 44
Samson, Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, 5. Auflage, vor § 32 Rn 12. Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 81.
Jakobs, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 158. 5 Wessels / Beulke, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 40. 4 6 Schmidhäuser, Die Begründung der Notwehr, GA 1991, S. 112 ff. 4
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Β. Problemstand
Auch die logische Gleichwertigkeit wird bestritten. So wird den Tatbestandsmerkmalen als logische Funktion die Festlegung des Deliktstypus zugesprochen49, teilweise die Tatbestandsmäßigkeit bereits als logische Voraussetzung der allen Rechtfertigungsgründen gemeinsamen Erforderlichkeitsprüfung angesehen50. Ein weiterer Einwand spielt auf das Vorsatzerfordernis an. Wenn für den Vorsatz die Kenntnis der Tatumstände erforderlich sei und die Rechtfertigungsvoraussetzungen negative Tatbestandsmerkmale seien, so müsse der Vorsatz des Täters das Fehlen sämtlicher RechtfertigungsVoraussetzungen umfassen 51. Allerdings, so Vertreter der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, sei der Tatbestand mit dem Vorliegen von positiven und dem Fehlen negativer Tatbestandsmerkmale erfüllt, daher liege Vorsatz konsequenterweise dann vor, wenn Kenntnis und Wille hinsichtlich der positiven Merkmale besteht und Kenntnis und Wille hinsichtlich negativer Merkmale fehlt 52 . Ein monströser Vorsatz sei nicht erforderlich. Zudem sei dem Täter durchaus bewußt, daß er nicht unter den Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes handelt (Figur des sachgedanklichen Mitbewußtseins)53. Die beiden sich im Rahmen der Auseinandersetzung um die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen stellenden und zu beantwortenden Fragen sind also die nach dem logischen Rang der Rechtfertigungsvoraussetzungen und die nach sachlichen Unterschieden zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit. Sofern man keine Unterschiede feststellen kann, ist das Problem zu lösen, welche Anforderungen an den Vorsatz bei negativen Tatbestandsmerkmalen zu stellen sind.
cc) Vorsatzunrechtsausschließende eingeschränkte Schuldtheorie Die vorsatzunrechtsausschließende eingeschränkte Schuldtheorie besagt, der Vorsatz entfalle analog § 16 54 . Zwar handle es sich bei den Rechtfertigungsvoraussetzungen wegen der bereits bei der Kritik der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen dargelegten Gründen nicht um Tatbestandsmerkmale und damit nicht um Umstände des gesetzlichen Tatbestands im Sinne des § 16, allerdings handle es sich um Tatumstände und nicht um rechtliche Bewertungen, so daß, ent47 Ζ. B. Noll, Tatbestand und Rechtswidrigkeit: Die Wertabwägung als Prinzip der Rechtfertigung, ZStW 77 (1965), S. 1 ff. 48 Eingehende Darstellung bei von der Linde, Rechtfertigung und Entschuldigung im Strafrecht, S. 82 ff. 4 9 Beling Ernst, Die Lehre vom Tatbestand, S. 1 ff. 50
Kaufmann, Armin, Tatbestandseinschränkung und Rechtfertigung, JZ 1955, S. 40 f. Kaufmann, Armin, Tatbestandseinschränkung und Rechtfertigung, JZ 1955, S. 38. 52 Rudolphi, Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 15 Rn 10. 53 Schünemann, Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsreform im Spiegel des Leipziger Kommentars und des Wiener Kommentars, G A 1985, S. 350; Roxin, Strafrecht. Allgemeiner Teil, Band I, S. 529. 54 Roxin, Strafrecht. Allgemeiner Teil, Band I, S. 524, S. 526 f. 51
I. Klassische Irrtumsprobleme
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sprechend der Irrtumsrechtsprechung des Reichsgerichts, § 16 mit seinem Vorsatzausschluß eher paßt als ein Schuldausschluß. Der Verbotsirrtum sei die falsche Auffassung über Recht und Unrecht, während der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes ein Sachverhaltsirrtum sei, bei dem in der Vorstellung des Täters die richtigen Kategorien von Recht und Unrecht vorhanden seien55. Die Zielsetzung des Täters stimme mit den Normen des Rechts völlig überein 56. Weil bei objektiver Beurteilung das Verhalten des Täters auf etwas Erlaubtes gerichtet sei und der unerwünschte Erfolg lediglich aufgrund mangelnder Sorgfalt eintrete, treffe ihn nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf 57. Wenn aber die Rechtfertigungsgründe hinsichtlich des Irrtums solche strukturelle Gemeinsamkeiten mit den Tatbeständen aufweisen, stellt sich die Frage, weshalb die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen abgelehnt wird. Hierbei wird auf die sachlichen Unterschiede (ζ. B. Deliktstypus, Begründung der Duldungspflicht durch Rechtfertigungsgründe) verwiesen 58. Gerade dies erscheint inkonsequent. Wenn der Tatbestand eine eigenständige Funktion wie die Appellfunktion des Deliktstyps erfüllt, so muß ein solcher Appell zu erhöhten Prüfungspflichten führen, wie dies nach der strengen Schuldtheorie der Fall ist. Ansonsten ist nicht ersichtlich, worin diese Appellfunktion bzw. die Funktion eines durch den Tatbestand begründeten Deliktstypus bestehen soll. Im Ergebnis unterscheidet sich diese Lehre nicht von der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen. Indem sie die Rechtfertigungsvoraussetzungen nicht als Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestandes ansieht, umgeht sie das Problem des monströsen Vorsatzes, weil wegen des Analogie Verbots § 16 nicht auch analog zu Lasten des Täters angewendet werden kann.
dd) Rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie Der Ausschluß des Vorsatzes führt dazu, daß jemand, der erkennt, daß die Rechtfertigungsvoraussetzungen nicht vorliegen, und den Handelnden zur Tat bestimmt oder diesem Hilfe leistet, nicht Anstifter oder Gehilfe sein kann, weil sowohl § 26 als auch § 27 eine vorsätzliche Tat voraussetzen. Die Vertreter der rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie wollen dieses Ergebnis vermeiden und schlagen vor, nicht § 16, sondern nur die Rechtsfolge des § 16 anzuwenden. Das führe nur zu keiner Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat, nicht zu einem Ausschluß des Vorsatzes. Es sei nicht der Tatbestandsvorsatz, sondern nur die Vorsatzschuld ausgeschlossen. Es gibt somit nach dieser Theorie zwei Vorsätze.
55 56 57 58
Roxin, Roxin, Roxin, Roxin,
Strafrecht. Strafrecht. Strafrecht. Strafrecht.
Allgemeiner Allgemeiner Allgemeiner Allgemeiner
Teil, Band I, S. 527. Teil, Band I, S. 526. Teil, Band I, S. 527. Teil, Band I, S. 233 ff.
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Β. Problemstand
Merkwürdigerweise taucht diese Vorsatzschuld außerhalb des Problems des Irrtums über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes nirgends auf, müßte doch dieser Begriff eigentlich einen positiven Inhalt haben, der in allen Fällen zu prüfen ist. Betrachtet man diesen Inhalt genauer, so ist er: „der für das Vorsatzdelikt charakteristische Gesinnungsunwert" bzw. „der für Vorsatzdelikte typische Abfall von den Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft 4'59. Ist der Gesinnungsunwert aber das Typische für das Vorsatzdelikt, so muß sein Fehlen den Vorsatz ausschließen. Interessant ist aber auch folgendes: Die Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft sind natürlich das Recht, sonst würde es sich nicht um eine Rechtsgemeinschaft, sondern um eine andere soziale Gruppe handeln. Also fehlt denjenigen, die sich von der Wertvorstellung der Rechtsgemeinschaft abkehren, das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit. Nach der rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie ist also das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit für das Vorsatzdelikt typisch. Es handelt sich daher nicht um eine Schuldtheorie, sondern um eine Vorsatztheorie. Denn essentiell für die Schuldtheorie ist die These, das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gehört nicht zum Vorsatz. Der Begriff Gesinnungsunwert, soll er sich nicht auf moralische, sondern auf rechtliche Werte beziehen, ist daher auch nichts anderes als das Unrechtsbewußtsein. Die von den Vertretern dieser Theorie so bezeichnete Vorsatzschuld ist also das Unrechtsbewußtsein. Man kann aber an dieser Theorie noch weitere Mängel feststellen: Handelt es sich um eine Rechtsfolgenverweisung, so müßte die Rechtsfolge des § 16 angewendet werden. Diese ist der Ausschluß des Vorsatzes, nicht aber der Vorsatzschuld (d. h. des Unrechtsbewußtseins). Dann wäre aber das Ziel dieser Theorie nicht erreicht, weil dann wiederum der Tatbestimmer kein Anstifter und der Hilfeleister kein Gehilfe im Rechtssinne wäre. Gemeint ist daher wohl eher die Nichtanwendung des § 16 Abs. 1 Satz 1 und die Anwendung des § 16 Abs. 1 Satz 2 6 0 . Es soll ein Vorsatzdelikt vorliegen, aber wegen eines Fahrlässigkeitsdelikts bestraft werden. § 16 Satz 2 ist aber keine Rechtsfolge des § 16 Satz 1, sondern nur eine Klarstellung, daß die Anwendung des § 16 Satz 1 die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nicht ausschließt. Dieser Klarstellung bedarf es aber gar nicht, wenn § 16 Abs. 1 Satz 1 nicht angewendet wird. Eine Rechtsfolgenverweisung liegt jedenfalls nicht vor. Im übrigen wird von Kritikern der rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie darauf hingewiesen, daß eine Rechtsfolgenverweisung keine Gesetzesanwendungstechnik, sondern eine Technik des Gesetzgebers ist 61 . Letztlich würde sich ohnehin die Frage stellen, ob, sollte die Konstruktion trotz der dargestellten Mängel aufrechterhalten werden, andere an der Tat Beteiligte Teilnehmer sind. Da sie als einzige den wahren Sachverhalt kennen, können nur sie und nicht der unmittelbar Rechtsgutsverletzende ein Interesse an der Rechts59
Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, S. 419. Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, S. 418. 61 Grünwald, Zu den Varianten der eingeschränkten Schuldtheorie, Afo//-Gedächtnisschrift, S. 183 ff. 60
I. Klassische Irrtumsprobleme
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gutsverletzung haben, nur sie das Geschehen planend und lenkend in der Hand haben und damit Zentralgestalten sein, so daß nach der subjektiven Theorie und der Tatherrschaftslehre Täterschaft vorläge und Teilnahme schon deswegen nicht in Betracht käme. Im übrigen bestehen aus diesen Gründen auch kaum Strafbarkeitslücken, da in der Regel eine Täterschaftsbestrafung zu erfolgen hat. Lediglich wenn der Helfende oder den Tatentschluß Hervorrufende den Irrtum des Handelnden nicht kennt, ist mangels Tatherrschaftsvorsatz, oder wenn der Tatbestand spezielle Rechtspflichtmerkmale (ζ. B. Amtsträger, Garantenstellung) verlangt, die nur beim unmittelbar Handelnden vorliegen, mangels dieser keine täterschaftliche Bestrafung möglich. Indes treten letztere Fälle häufiger beim Tatbestandsirrtum auf, wo keine problematischen Strafbarkeitslücken gesehen werden 62. Die rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie vertritt ja nicht, daß § 16 Abs. 1 Satz 2 auch beim Tatbestandsirrtum eine Rechtsfolgen Verweisung ist. Die beim Tatbestandsirrtum auftretenden Strafbarkeitslücken werden hingenommen. Daher sind diese Lükken auch beim seltener auftretenden Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes nicht als problematisch, sondern als vom Gesetz vorgesehen anzusehen. Zusammenfassend kann angemerkt werden, daß die rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie keine Schuld-, sondern eine Vorsatztheorie ist, keine Rechtsfolgenverweisung zum Inhalt hat, und auch ihrem eigenen Ziel, der Strafbarkeit der Tatbestimmer und Hilfeleister als Teilnehmer, nicht gerecht werden kann, weil diese auch bei Vorsatz des unmittelbar Rechtsguts verletzenden objektiv irrtumsbedingte Tatherrschaft innehaben. Diese Theorie ist daher abzulehnen, weil sie ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird und daher überflüssige dogmatische Systembrüche enthält.
ee) Rechtsfolgenselbständige Schuldtheorien Von einigen Dogmatikern wird der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes als Irrtum eigener Art angesehen, der mit den herkömmlichen gesetzlichen Regelungen und dogmatischen Konstruktionen nicht zu lösen sei, sondern einer eigenen Konzeption bedarf. Wie bei der rechtsfolgenverweisenden eingeschränkten Schuldtheorie wird hierbei die Behandlung der Tat als vorsätzliches Delikt als sachgerecht angesehen, der Strafrahmen des Vorsatzdelikts erscheint jedoch als zu hoch. Daher werden Konzepte entwickelt, diesem error sui generis seinen ihm angemessenen Strafrahmen zuzuordnen. Die unselbständige Schuldtheorie weist ihm den Fahrlässigkeitsstrafrahmen zu 6 3 . Die eingeschränkt rechtsfolgenselbständige Schuldtheorie geht grundsätzlich vom Fahrlässigkeitsstrafrahmen aus, sieht jedoch auch diejenigen Fälle als strafwürdig an, in 62 Roxin, Strafrecht. Allgemeiner Teil, Band I, S. 531. 63 Jakobs, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 375 f.
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Β. Problemstand
denen es keinen Fahrlässigkeitstatbestand gibt und greift dabei auf den Vorsatzstrafrahmen zurück, der allerdings nach § 49 Abs. 1 gemindert wird 64 . Die streng rechtsfolgenselbständige Schuldtheorie schließlich wendet immer den nach § 49 Abs. 1 geminderten Strafrahmen an 65 . Um eine vorsätzliche Tat handle es sich deshalb, weil der Leitbildtatbestand vorsätzlich erfüllt werde, der Vorsatzstrafrahmen sei jedoch zu hoch, weil er dem Irrtum, der dazu führe, daß der Täter handelt, obwohl er „an sich rechtstreu" gesinnt sei, nicht gerecht werde. Gegen die Einführung selbständiger Rechtsfolgen spricht, daß für eine Analogie dort kein Raum ist, wo es eine vollständige gesetzliche Regelung gibt. Die Rechtsfolge ist jedem Delikt aber gesetzlich zugewiesen, den Vorsatzdelikten wie den Fahrlässigkeitsdelikten. Ist daher eine Tat ein Vorsatzdelikt, kann mangels Regelungslücke nicht der Fahrlässigkeitsstrafrahmen zugewiesen werden. Auch der Vorsatzstrafrahmen mit zwingender Milderung nach § 49 Abs. 1 StGB als selbständige Rechtsfolge ist abzulehnen. Die Vorsatzdelikte haben eine gesetzlich zugewiesene eindeutige Rechtsfolge, bei Anwendung des § 17 kann sich der Strafrahmen dabei gemäß §§ 17 S. 2, 49 Abs. 1 nach unten erweitern. Für eine selbständige Rechtsfolge ist darüber hinaus kein Raum. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, aufgrund der Eigenart des Irrtums die Milderung nach § 17 S. 2 als zwingend anzusehen. Dann handelt es sich aber nicht um eine im Rahmen der Rechtsfortbildung entwickelte selbständige Rechtsfolge, sondern um eine Auslegung des § 17. So räumt Krümpelmann selbst ein, daß sich seine Lösung auch im Rahmen der strengen Schuldtheorie entwickeln läßt: „Die Unterscheidung nach Schuldstufentheorie und strenger Schuldtheorie verliert bei dieser Lösung [E 1962, der Verf.] ihre Berechtigung" 66. Die Konstruktionen selbständiger Rechtsfolgen sind daher abzulehnen.
ff) Strenge Schuldtheorie Die strenge Schuldtheorie verlagert die Rechtfertigungslage vom Vorsatz in das Unrechtsbewußtsein67 und behandelt den Irrtum über rechtfertigende Umstände als Verbotsirrtum. Die Verbrechensstufe Tatbestand bestehe nur im Leitbildtatbestand, Gegenstand des Vorsatzes seien daher nur die Merkmale des Leitbildtatbestandes68. Jeder andere Irrtum, der den Unrechtsbereich betrifft, sei daher ein Verbotsirrtum 69. 64
Dreher, Der Irrtum über Rechtfertigungsgründe, #e/m7z-Festschrift, S. 207 ff. Krümpelmann, Stufen der Schuld beim Verbotsirrtum, G A 1968, S. 130 ff.; Krümpelmann selbst bezeichnet seine Lehre als Schuldstufentheorie. Seine Lösung wurde im Reformentwurf 1962 vorgeschlagen. 66 Krümpelmann, Stufen der Schuld beim Verbotsirrtum, GA 1968, S. 147. 67 Schweder, Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 16 Rn 47. 68 Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, S. 347. 69 Hirsch, S. 347; Welzel Hans, Das deutsche Strafrecht, S. 169. 65
I. Klassische Irrtumsprobleme
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Die strenge Schuldtheorie wurde auf der Grundlage der finalen Handlungslehre entwickelt. Sie ist Konsequenz der Trennung vorrechtlicher, sachlogischer Strukturen von der rechtlichen Bewertung (Welzel: Objekt der Wertung / Weitung des Objekts) 70 . Ein Irrtum über das Objekt der Weitung wirkt danach vorsatzausschließend (Tatbestandsirrtum), ein Irrtum über die Weitung des Objekts bei Unvermeidbarkeit schuldausschließend (Verbotsirrtum). Der Leitbildtatbestand beschreibt die wertfreie sachlogische Struktur, nämlich die zweckgerichtete Veränderung der Außenwelt, genauer, die Steuerung des Kausalgeschehens auf den vom Willen antizipierten Erfolg, die Rechtswidrigkeitsfeststellung fügt dem die Wertung hinzu. Weil im Falle einer gerechtfertigten Handlung dennoch die im Leitbildtatbestand beschriebene zweckgerichtete Veränderung der Außenwelt erfolgt ist, betrifft die Rechtfertigung nicht das Objekt der Wertung, sondern die Weitung des Objekts. Ein Irrtum über die Rechtfertigung, gleich welcher Art, sei es Tat- oder Rechtsirrtum, sei es ein Irrtum bezüglich eines existierenden Rechtfertigungsgrundes oder sei es, daß sich der Täter fälschlicherweise die Existenz eines bestimmten Rechtfertigungsgrundes vorstellt, ist immer ein Verbotsirrtum, der nach § 17 StGB zu behandeln ist. Gegen die Annahme der Weitfreiheit des Leitbildtatbestandes sowie der Handlung als vorrechtliche, sachlogische Struktur können allerdings Bedenken vorgebracht werden. Man muß nicht einmal auf stark wertend geprägte Tatbestände wie die Beleidigung zurückgreifen 71, um die Weitfreiheit des Tatbestandes anzuzweifeln. Selbst die sogenannten deskriptiven Tatbestandsmerkmale unterliegen einer Bewertung, sind also normativ. So kann nicht aus einer wertfreien Betrachtung der Außenwelt festgestellt werden, ob das Objekt eine Sache ist oder nicht, es ist die Kenntnis der Bewertungskriterien erforderlich, im Falle einer Sache muß das Objekt ein Volumen haben und darf kein Mensch sein. Handelt es sich bei dem Objekt nun um einen Hund, so macht es einen Unterschied, ob es von einem Strafrechtler oder einem Zivilrechtler betrachtet wird, denn der Zivilrechtler betrachtet Tiere nicht als Sache (§ 90a BGB). Es gibt kein rein deskriptives Tatbestandsmerkmal, alle sind normativ, genauso gibt es auch keinen wertfreien Tatbestand. Die Unterscheidung muß vielmehr anders getroffen werden. Bei manchen Tatbestandsmerkmalen sind die Bewertungskriterien sinnlich wahrnehmbar (Sache, Mensch), bei anderen nicht (fremd), diese existieren ausschließlich im Bewußtsein der Menschen. Man kann sich also einen Tatbestand mit ausschließlich sinnlich wahrnehmbaren Tatbestandsmerkmalen denken, dies wäre dann so etwas wie ein wertfreier Tatbestand. Ob es nun sachlogische Strukturen gibt oder nicht, kann dahingestellt bleiben. Für Tatbestandsmerkmale mit rein sinnlich wahrnehmbaren Definitionselementen macht die finale Handlungslehre nämlich durchaus Sinn. Bei diesen kann sich das intellektuelle Element des Vorsatzes nämlich auf die sinnliche Wahrnehmung der Definitionselemente (Bewertungskriterien) beziehen, ohne daß 70 Welzel, Über Wertungen im Strafrecht, GS 103 (1931), S. 340 ff. 71 Roxin, Zur Kritik der finalen Handlungslehre, ZStW 74 (1962), S. 525.
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Β. Problemstand
man ein Nachvollziehen der Bewertung fordert. Die sog. vorrechtliche Struktur der Handlung ist dann die Summe der Bewertungskriterien für das in der gesetzlichen Tatbestandsfassung enthaltene Verbum. Problematisch ist jedoch bereits, ob die Handlung ausschließlich mit sinnlich wahrnehmbaren Elementen definiert werden kann. Beispielsweise kann man zur Tötung neben der naturwissenschaftlich feststellbaren (Bewegung, Tod, naturwissenschaftliche Verbindung) auch noch nicht wahrnehm- oder meßbare Kriterien fordern (ζ. B. unerlaubte Gefahr). Auch hätte die Verteidigung bei der Notwehr eine wertfreie, vorrechtliche Struktur. Wenn der Täter den in seiner Vorstellung antizipierten Tod eines anderen zweckgerichtet herbeiführt, so umfaßt seine Vorstellung unter Umständen auch den Angriff eines anderen. Eine Verteidigungshandlung unterscheidet sich daher nicht von einer Tötungshandlung. Man kann also eine Unbeachtlichkeit der Verteidigungshandlung im Rahmen des § 16 nur mit der besonderen systematischen Stellung der Rechtfertigungsgründe oder sachlichen Gründen rechtfertigen, nicht mit Wertfreiheit oder vorrechtlicher Struktur der Leitbildtatbestandshandlung. Insoweit ist die strenge Schuldtheorie allerdings konsequent und streng dem Wortlaut des Gesetzes verhaftet. Denn sofern man, wie die Vertreter dieser Lehre, eigenständige Funktionen der Rechtfertigung (Duldungspflichtbegründung) oder des Leitbildtatbestandes (Appellfunktion) oder einen logischen Vorrang des Leitbildtatbestandes anerkennt, so fallen die Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe nicht unter § 16. Für eine vorsätzliche Tat reicht also die Kenntnis der Voraussetzungen des Leitbildtatbestandes aus (Umkehrschluß aus § 16), auf ein Fehlen der Vorstellung von Rechtfertigungsvoraussetzungen käme es nicht mehr an. Für die strenge Schuldtheorie wird daher insbesondere die Vermeidung von Strafbarkeitslücken im Bereich der Teilnahme und bei fehlender Fahrlässigkeitsstrafbarkeit angeführt 72. Allerdings führt das fehlende Unrechtsbewußtsein, das aus der Unkenntnis der fehlenden Rechtfertigungstatsachen folgt, zu einem Verbotsirrtum (wie auch im Falle des § 16 Abs. 1 regelmäßig ein Verbotsirrtum vorliegt, sofern nicht ein anderes Delikt einschlägig ist, auf den es jedoch wegen des Vorsatzausschlusses dann nicht mehr ankommt).
gg) Streng objektive Theorie Die streng objektive Theorie hält subjektive Voraussetzungen im Bereich der Rechtfertigung für unbeachtlich. Die Rechtswidrigkeit sei streng objektiv, ohne Rücksicht auf den guten oder schlechten Glauben des Täters, zu prüfen und der Erlaubnistatbestandsirrtum müsse daher ohne Einfluß bleiben 73 . Folge wäre also 72 Schweder, Strafgesetzbuch: Leipziger Kommentar, § 16 Rn 52; Hirsch, Der Streit um Handlungs- und Unrechtslehre, ZStW 94 (1982), S. 265. 73 von Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 25. Auflage, S. 255.
I. Klassische Irrtumsprobleme
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ein vorsätzliches Delikt, der Irrtum betrifft allenfalls die Schuld 74 . Ein Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes läßt jedoch in den meisten Fällen das Unrechtsbewußtsein entfallen, womit zumindest die grundsätzliche Beachtlichkeit des Erlaubnistatbestandsirrtums durch § 17 geregelt ist. Die Konsequenzen entsprächen daher der strengen Schuldtheorie, Straflosigkeit bei Unvermeidbarkeit des Irrtums, Strafbarkeit wegen des Vorsatzdelikts mit Milderungsmöglichkeit bei Vermeidbarkeit des Irrtums. Daher wird die streng objektive Theorie ausschließlich im Zusammenhang mit der umgekehrten Fragestellung, dem Problem des Fehlens subjektiver Rechtfertigungsvoraussetzungen, vertreten 75. hh) Ergebnis Vollkommen widerspruchsfrei und mit den gesetzlichen Regelungen problemlos vereinbar sind nur die Vorsatztheorie, die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, und die strenge Schuldtheorie. Das Problem kann nämlich auf folgende beiden Fragen zurückgeführt werden: (1) Ist das Wesen des Vorsatzes die Kenntnis der Umstände des gesetzlichen Tatbestands (Schuldtheorie) oder die fehlende Rechtstreue (dann Vorsatztheorie)? Anders formuliert: Konstituiert § 16 das intellektuelle Element des Vorsatzes oder deklariert die Norm nur eine Form des Vorsatzausschlusses? (2) Sind die tatsächlichen Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe Umstände des gesetzlichen Tatbestandes (dann Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen) oder nicht (strenge Schuldtheorie)? Die anderen Lehren vermischen entweder Vorsatz- und Schuldtheorie, indem sie zunächst grundsätzlich die Kenntnis der Tatumstände für den Vorsatz ausreichen lassen, dann aber doch den Vorsatz analog entfallen lassen, weil der Täter „an sich rechtstreu" sei, oder sie begründen Analogien hinsichtlich der Rechtsfolge, obwohl keine Regelungslücke vorhanden ist. Frage 2 stellt sich dabei nur, wenn man die erste Frage im Sinne der Schuldtheorie beantwortet hat, da ansonsten bereits ein Vorsatzausschluß wegen mangelnder Erfüllung des Vorsatzbegriffs erfolgt und § 16 ohnehin nur deklaratorische Bedeutung hat. Nun ist die im Rahmen dieser Arbeit interessierende Fragestellung aber nicht das Problem des Irrtums über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes, sondern die des Verhältnisses von Tatbestand und Rechtswidrigkeit, so daß die erste Fragestellung außer acht gelassen wird und im folgenden nur die zweite Frage genauer untersucht wird. 74
Diese Konsequenz wird von v. Liszt nicht gezogen, er hängt in der in der vorherigen Fußnote zitierten Auflage seines Lehrbuchs der Vorsatztheorie an (anders noch in der ersten Auflage). 75 Spendel, Strafgesetzbuch: Leipziger Kommentar, § 32 Rn 138. Auch Spendel vertritt im übrigen die Vorsatztheorie, vgl. Spendel Günter, Das Unrechtsbewußtsein in der Verbrechenssystematik, rràW/e-Festschrift, S. 89 ff.
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Β. Problemstand
2. Fehlen der subjektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes Das Fehlen der subjektiven Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes ist der umgekehrte Fall zum Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes, so wie das Fehlen eines vorgestellten Tatbestandsmerkmals der umgekehrte Fall zum Tatbestandsirrtum ist. In den einen Fällen fehlen die objektiven Voraussetzungen, in den anderen die subjektiven. Beispiel 2: Anläßlich eines Fahrfehlers im Stau will Β den A verprügeln, steigt aus seinem Fahrzeug aus und öffnet die Fahrertür des Α. A glaubt, Β wolle ihn nur verbal zur Rede stellen, hat jedoch keine Lust zu einer derartigen Diskussion und schlägt Β mit der Faust nieder Die strenge Schuldtheorie gewährt die Rechtfertigung nur, wenn sowohl die objektiven als auch die subjektiven Voraussetzungen vorliegen. Im Falle des Irrtums über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes wird kein Vorsatzausschluß anerkannt, im Falle des umgekehrten Irrtums erfolgt daher mangels Rechtfertigung die Bestrafung wegen vollendeten Delikts 76 . Nach der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen ist die Rechtfertigung nicht anders zu behandeln als der Tatbestand. So wie der Tatbestandsirrtum (Fehlen einer subjektiven Tatbestandsvoraussetzung) gegebenenfalls zur Fahrlässigkeitsstrafbarkeit führt und die Umkehrung, das Fehlen eines objektiven Tatbestandsmerkmals, gegebenenfalls zum Versuch, führt das Fehlen einer objektiven Rechtfertigungsvoraussetzung gegebenenfalls zur Fahrlässigkeit und die Umkehrung, das Fehlen einer subjektiven Tatbestandsvoraussetzung gegebenenfalls zum Versuch. Analytisch betrachtet führt ein Überschuß an positiven objektiven Merkmalen gegebenenfalls zur Fahrlässigkeit, ein Überschuß an positiven subjektiven Merkmalen gegebenenfalls zum Versuch. Ein Überschuß an negativen subjektiven Merkmalen ist dabei gleich dem Mangel an positiven subjektiven Merkmalen, ist gleich dem Überschuß an positiven objektiven Merkmalen. Daher hat der Tatbestandsirrtum (Überschuß an positiven objektiven Merkmalen) die gleiche Konsequenz wie der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes (Überschuß an negativen subjektiven Merkmalen). Gleiches gilt umgekehrt. Ein Überschuß an negativen objektiven Merkmalen ist gleich dem Mangel an positiven objektiven Merkmalen, ist gleich dem Überschuß an positiven subjektiven Merkmalen. Das Fehlen der subjektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen hat also die gleiche Konsequenz wie das Fehlen eines objektiven Tatbestandsmerkmals77. Die eingeschränkte Schuldtheorie behandelt Rechtfertigungsgründe analog zu den Tatbestandsmerkmalen. Sie wendet daher beim Problem des Fehlens der subjektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen die Versuchsregeln analog an 78 . 76
Hirsch, Strafgesetzbuch: Leipziger Kommentar, vor § 32, Rn 59. Schünemann, Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsreform im Spiegel des Leipziger Kommentars und des Wiener Kommentars, GA 1985, S. 373. 78 Günther, Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, vor § 32, Rn 91. 77
II. Aktuelle Probleme
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Für die extrem-objektive Theorie ist die Rechtfertigung rein objektiv zu bestimmen. Das Fehlen subjektiver Rechtfertigungsvoraussetzungen ist unbeachtlich, die Rechtfertigung wird alleine deswegen gewährt, weil der rechtlich gebilligte Zustand geschaffen wurde 79 . Der Aktunwert könne zwar moralisch beachtlich sein, rechtliche Bedeutung habe er keine 80 . Auch diese Theorie macht einen Unterschied zwischen Rechtfertigungs- und Tatbestandsvoraussetzungen, weil bei letzteren schon aufgrund der gesetzlichen Regelung sowohl objektive als auch subjektive Voraussetzungen erforderlich sind. Auch die Lösung dieses Problems hängt also an der Frage, ob Tatbestands- und Rechtfertigungsvoraussetzung gleich oder unterschiedlich zu behandeln sind.
II. Aktuelle Probleme Zu diesen klassischen Problemen haben sich insbesondere bei Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Probleme gesellt, die die Fragen um das Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit neu aufwerfen.
1. Strafbarkeit der Mauerschützen a) Einführung Nach Art. 315 EGStGB ist das anzuwendende Strafrecht für in der DDR begangene Straftaten nach § 2 StGB zu ermitteln, wonach bei Rechtsänderung das mildere Recht anzuwenden ist (§ 2 Abs. 3 StGB). Bei der Beurteilung der Strafbarkeit der Mauerschützen ist dabei zunächst zu prüfen, nach welchem Recht die Täter milder bestraft worden wären. Auch in der DDR gab es wie in allen Rechtsordnungen Tötungstatbestände. Probleme bereiten aber die Fälle, in denen die Tat nach § 27 des Grenzgesetzes der DDR gerechtfertigt gewesen wäre. Danach war der Schußwaffengebrauch nicht rechtswidrig, wenn der Schütze davon ausgehen durfte, daß der Grenzflüchtling ein Verbrechen begehen würde, was bei illegalem Grenzübertritt regelmäßig von der DDR-Rechtsprechung angenommen wurde 81 . Verbrechen waren nach § 1 Abs. 3 DDR-StGB Straftaten, für die im Einzelfall eine Freiheitsstrafe von über 2 Jahren ausgesprochen wurde, für den ungesetzlichen Grenzübertritt sah § 213 DDR-StGB für schwere Fälle eine Freiheitsstrafe von bis zu acht Jahren vor. Es war daher durchaus juristisch vertretbar, den Mauerschützen 79
Spendel, Strafgesetzbuch: Leipziger Kommentar, § 32 Rn 138. Spendel, Der Gegensatz rechtlicher und sittlicher Wertung am Beispiel der Notwehr, DRiZ 1978, S. 330. 81 Buchner, Die Rechtswidrigkeit der Taten von Mauerschützen im Lichte von Art. 103 II GG unter besonderer Berücksichtigung des Volkerrechts, S. 79. 80
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Β. Problemstand
die Voraussetzungen des § 27 DDR-GrenzG zuzubilligen. Zudem waren die Grenzsoldaten durch die Dienstvorschriften für den Grenzpostendienst (DV 30/9 vom 1. 8. 1963 Nr. 64 und 66) verpflichtet, Grenzübertritte durch Schußwaffengebrauch zu verhindern, so daß sich die Rechtfertigung nach positiver DDR-Rechtsordnung auch aus Handeln auf Befehl ergibt, wenn die DV 30 / 9 rechtmäßig war . Wendet man auf die Mauerschützenfälle also DDR-Recht an, so ergibt sich auf den ersten Blick Straffreiheit, nach dem Recht der Bundesrepublik eine Strafbarkeit wegen Totschlags oder Mordes. Die Folge wäre Straffreiheit gemäß § 2 Abs. 3 StGB.
b) Dogmatische Begründung der Strafbarkeit Um die Mauerschützen dennoch ohne Verstoß gegen das Verbot rückwirkender Bestrafung (Art. 103 Abs. 2 GG) bestrafen zu können, werden verschiedene Lösungsansätze vertreten. Schlüssel hierfür ist die Nichtanerkennung der Rechtfertigung nach § 27 DDR-Grenzgesetz oder der DV 30/9. Dann kommt man zu dem Ergebnis, daß sich die Täter nach § 113 DDR-StGB (Totschlag) strafbar gemacht haben, wegen fehlender Strafminderungsmöglichkeit entsprechend § 213 StGB das bundesdeutsche Recht milder ist, und die Täter nach § 212 StGB bestraft werden können. Dazu werden zwei verschiedene Lösungsansätze vertreten. Entweder wird § 27 DDR-StGB so ausgelegt, daß die Rechtfertigung in den Mauerschützenfällen nicht gegeben war (menschenrechtsfreundliche Auslegung)83 und die DDR-Richter diese Vorschrift nur falsch angewendet haben. Oder § 27 DDR-Grenzgesetz wird als nichtig angesehen, weil gegen elementare Menschenrechte verstoßend. Dabei wird entweder Naturrecht (Radbruchsche Formel) 84 oder Völkerrecht 85 verwendet86. Gleiches muß für den Rechtfertigungsgrund des Handelns auf Befehl gelten. Sofern der Befehl (DV 30/9) aus genannten Gründen rechtswidrig war, rechtfertigt er nicht mehr, weil es sich bei der Tötung um eine Rechtsgutsverletzung höchsten Ausmaßes handelt, selbst wenn der Befehl im Innenverhältnis verbindlich gewesen sein sollte 87 . 82
Hirsch, Strafgesetzbuch: Leipziger Kommentar, vor § 32 Rn 173. S3 So BGH v. 3. 11. 1992, BGHSt 39, S. 1 ff.; auch Renzikowski ist in den Fällen dieser Auffassung, in denen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz überschritten ist (Renzikowski, Zur Strafbarkeit des Schußwaffengebrauchs an der innerdeutschen Grenze, NJ 1992, S. 155). 84
Ζ. B. Alexy, Mauerschützen, S. 29 f.; Werte, Menschenrechtsschutz und Volkerstrafrecht, ZStW 109 (1997), S. 826; Frommel, Die Mauerschützenprozesse - Eine unerwartete Aktualität der Radbruch'sehen Formel, Arthur-Kaufmann-Festschrift, S. 90; weiter Nachweise bei Seidl, Rechtsphilosophische Aspekte der „Mauerschützen"-Prozesse; S. 43. 85 Buchner, Die Rechtswidrigkeit der Taten von Mauerschützen im Lichte von Art. 103 II GG unter besonderer Berücksichtigung des Volkerrechts; Hirsch, Rechtsstaatliches Strafrecht und staatlich gesteuertes Unrecht. 86 Uberblick bei Schroeder, Die Rechtswidrigkeit der Flüchtlingserschießungen zwischen Transzendenz und Immanenz, JR 1993, S. 46. 87 Vgl. Hoyer, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit innerhalb von Weisungsverhältnissen, S. 17.
II. Aktuelle Probleme
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Die Lösung der Frage, ob die Mauerschüsse durch § 27 GrenzG oder die DV 30/9 gerechtfertigt waren, hängt zunächst vom Begriff des Rechts ab. Man kann grundlegend drei verschiedene Rechtsbegriffe, den ethischen, den juristischen und den soziologischen Rechtsbegriff, unterscheiden, wobei der juristische und der soziologische Rechtsbegriff unter dem Oberbegriff „positivistischer Rechtsbegriff 4 zusammengefaßt werden können. Nach dem ethischen Rechtsbegriff sind § 27 GrenzG und DV 30/9 nur anwendbar, wenn die Rechtfertigung moralischen Kriterien standhält. Eine Anwendung hätte beispielsweise nach der Radbruchschen Formel zu unterbleiben, wenn „der Widerspruch zur Gerechtigkeit ein unerträgliches Maß erreicht" 88 . Nun befindet sich § 27 GrenzG als Befugnisnorm zur Verhinderung von Verbrechen zwar nicht für sich im Widerspruch zur Gerechtigkeit, möglicherweise aber die Anwendung auf die Fälle des ungesetzlichen Grenzübertritts in Verbindung mit den erheblichen Hindernissen, die einer legalen Ausreise in den Weg gestellt wurden. Für einen extremen Widerspruch zur Gerechtigkeit wird insbesondere die Völkerrechtswidrigkeit der Beschränkungen der Ausreisefreiheit angeführt 89. Die Staatengemeinschaft hat sich nämlich durch Unterzeichnung des Internationalen Paktes für bürgerliche und politische Rechte zur Gewährung der Ausreisefreiheit verpflichtet (Art. 12). Sofern man diesen völkerrechtlichen Vertrag als Konkretisierung des Naturrechts versteht, ist es daher durchaus möglich, die Anwendung des § 27 GrenzG auf die Mauerschützenfälle als unerträglichen Widerspruch zur Gerechtigkeit anzusehen. Gleiches gilt für die DV 30/9. Nach dem juristischen Rechtsbegriff wird das Recht autoritativ gesetzt90. Unabhängig von ethischen Kriterien kann jeder beliebige Inhalt Recht sein 91 . Eine Bestrafung der Mauerschützen ist ohne Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG nicht möglich, wenn die Rechtfertigung aus dem gesetzten Recht der DDR ableitbar war. Es ist hierbei zu differenzieren. Wegen des hohen Strafrahmens des ungesetzlichen Grenzübertritts ist es, wie schon dargestellt, grundsätzlich juristisch vertretbar, den Grenzsoldaten zuzubilligen, daß sie handelten, um ein Verbrechen zu verhindern. Allerdings gab es Fälle, in denen noch geschossen wurde, als sich die Flüchtlinge bereits ergeben haben (Exzeßfälle). In diesen Fällen verhinderten die Grenzsoldaten keinen Grenzübertritt. Für die Exzeßfälle scheidet juristisch gesehen eine Rechtfertigung mangels Erforderlichkeit des Schußwaffengebrauchs aus.
88 Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, SJZ 1946, S. 107; Dazu: Sprenger, 50 Jahre Radbruchsche Formel oder: Von der Sprachnot der Juristen, NJ 1997, S. 3 ff. Kritisch zur Anwendung der Radbruchschen Formel: Dreier, Gustav Radbruch und die Mauerschützen, JZ 1997, S. 421 ff. 89 Buchner, Die Rechtswidrigkeit der Taten von Mauerschützen im Lichte von Art. 103 II GG unter besonderer Berücksichtigung des Volkerrechts, S. 302. 90 Vgl. ζ. B. Hart, Der Begriff des Rechts, S. 145: „In England anerkennt man als Gesetz, was immer die Königin im Parlament erläßt." 9 1 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 201.
3 Schmid
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Β. Problemstand
Der BGH geht sogar noch einen Schritt weiter. Er legt das DDR-Recht insgesamt menschenrechtsfreundlich aus und ist der Ansicht, § 27 GrenzG sei wegen der völkerrechtlichen Bindungen der DDR einschränkend auszulegen92 und die Grenzsoldaten seien an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 93 gebunden gewesen und damit nicht einmal im Sinne der DDR-Rechtsordnung gerechtfertigt. Der BGH macht die DDR damit nachträglich zu einem Rechtsstaat, in dem für Staatsorgane der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz galt. Dem war jedoch nicht so, vielmehr waren die Gesetze parteilich im Sinne der „sozialistischen Gesetzlichkeit" anzuwenden94. Die Restriktionen des BGH ergeben sich aber nicht aus dem Wortlaut des § 27 GrenzG und der Grundsatz der Parteilichkeit in der Anwendung des DDR-Rechts verbietet die einschränkende Auslegung und gebietet eher noch eine unverhältnismäßige Anwendung. Auch ergibt sich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht, wie das für die Erforderlichkeit vertreten wird 9 5 , aus dem Wesen eines Rechtfertigungsgrundes, wie das Beispiel der Notwehr zeigt. Die Restriktionen in der Anwendung des § 27 GrenzG sind daher abzulehnen. Nach dem juristischen Rechtsbegriff waren also die Mauerschüsse grundsätzlich gerechtfertigt, die Exzeßfälle jedoch bereits nach DDR-Recht strafbar. Die BGH-Lösung ist damit nur mit dem ethischen Rechtsbegriff zu erreichen. Nach dem soziologischen Rechtsbegriff kommt es beim Recht weder auf moralische Kriterien noch auf die autoritativ gesetzten Vorschriften, sondern auf die tatsächliche Wirksamkeit an 96 . Tatsächlich hatte kein Mauerschütze eine Sanktion zu erwarten, auch nicht in Exzeßfällen. Nach dem soziologischen Rechtsbegriff waren in der DDR die Mauerschüsse generell nicht strafbar. c) Isolierte Anwendung des Tatbestandes Es interessiert nun die Frage, ob bei Nichtanwendung eines Rechtfertigungsgrundes, wie dies für den ethischen Rechtsbegriff für § 27 DDR-Grenzgesetz vertreten wird, der Tötungstatbestand isoliert angewendet werden darf. Das wäre der Fall, wenn der Tatbestand eines Strafgesetzes unabhängig von den Rechtfertigungsgründen in einer Rechtsordnung enthalten ist, das Töten also grundsätzlich verboten ist und die ausnahmsweise bestehende verbotsaufhebende Erlaubnis erst in einer zweiten Stufe festgestellt wird. 92 BGH v. 3. 11. 1992, BGHSt 39, S. 23. 93 BGH v. 3. 11. 1992, BGHSt 39, S. 25. 94 Schroeder, Die Rechtswidrigkeit der Flüchtlingserschießungen zwischen Transzendenz und Immanenz, JR 1993, S. 49. 95 Kaufmann, Armin, Lebendiges und Totes in Bindings Normentheorie, S. 254. 96 Vgl. ζ. B. Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 297: „Was Recht sei, d. h. der Inhalt, den mit dem Wort Recht zu bezeichnen mir praktisch erscheint, ist schon des langen und breiten dargetan: die soziale Lebensordnung eines zentral organisierten gesellschaftlichen Großintegrats, sofern diese Ordnung sich auf einen von besonderen Organen monopolistisch gehandhabten Sanktionsapparat stützt.".
II. Aktuelle Probleme
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Zum Teil wird vertreten, die Rechtfertigungsgründe seien nicht untrennbar mit dem Tatbestand verbunden, weil das Verbot der Tötung von Menschen auch ohne die Ausnahmen Sinn mache97. Dagegen wird argumentiert, auch die Erlaubnissätze des DDR-Tatzeitrechts seien zu beachten, da die Bewertung einer Handlung gleichermaßen durch negative wie positive Rechtssätze bestimmt werde 98. Nach Jakobs nimmt der Gesetzgeber bei einer Rechtfertigung bestimmte Fälle aus der Regelung heraus 99. Die umfassende Geltung der Regelung sei nicht gewollt 100 . Normen seien Willensprodukte 101. Eine Erweiterung des Bereichs der strafbaren Handlungen bedürfe eines neuen Willensaktes102. Beseitigt man einen Rechtfertigungsgrund, so fehle trotzdem der Wille des Normgebers, den Bereich umfaßt zu haben 103 . Daher entstehe ein normatives Vakuum, nicht ein strafbarer Bereich 104 . Die Bestrafung wäre nur nach einer ergänzenden naturrechtlichen Strafnorm möglich, die aber im Hinblick auf Art. 103 II GG Probleme bereitet 105 . Es ist damit die Frage zu beantworten, ob eine Strafnorm unabhängig von den vom Gesetzgeber aufgestellten Rechtfertigungsgründen angewendet werden kann. Bei der Lösung dieser Frage gelangt man wiederum zum Problem um das Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit. Wenn man mit der Lehre vom Leitbildtatbestand eine von den Rechtfertigungsgründen unabhängige Existenz der Tatbestände anerkennt, ist eine isolierte Anwendung ohne weiteres möglich. Wenn man aber wie die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen Tatbestand und Unrecht sowohl durch positive als auch durch negative Tatbestandsvoraussetzungen konstituiert sieht, ist eine Streichung des Rechtfertigungsgrundes nicht einfach möglich, weil ein Teil einer Norm nicht ohne Änderung ihres Sinnes gestrichen werden kann.
97
Buchner, Die Rechtswidrigkeit der Taten von Mauerschützen im Lichte von Art. 103 II GG unter besonderer Berücksichtigung des Volkerrechts, S. 89 f. 98 Renzikowski, Zur Strafbarkeit des Schußwaffengebrauchs an der innerdeutschen Grenze, NJ 1992, S. 153. 99 Jakobs, Untaten des Staates-Unrecht im Staat, GA 1994, S. 11. 100 Jakobs, GA 1994, S. 11. ιοί Jakobs, 102 Jakobs, 103 Jakobs, 104 Jakobs, 105 Jakobs, 3*
GA 1994, S. 11. GA 1994, S. 11. Untaten des Staates-Unrecht im Staat, GA 1994, S. 12. GA 1994, S. 12. G A 1994, S. 12.
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Β. Problemstand
2. Entscheidung des BVerfG vom 28.5.1993 zum Schwangerschaftsabbruch a) Einführung Das Bundesverfassungsgericht erachtet die Formulierung als unzulässig, der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten 3 Monate sei nicht rechtswidrig (§ 218 a StGB i. d. Fassung vom 27. 7. 1992), die Formulierung als nicht tatbestandsmäßig (§ 218a i. d. aktuellen Fassung vom 21. 8. 1995) jedoch als verfassungsgemäß106. Diese Differenzierung ist nur sinnvoll, wenn man von verschiedenen Wertungsstufen ausgeht. Das Bundesverfassungsgericht hatte über die Frage zu entscheiden, ob die im Rahmen der Rechtsangleichung der beiden deutschen Staaten erfolgte Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Ein wichtiger Streitpunkt war dabei die Fassung des § 218a StGB, wonach ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate nicht rechtswidrig sein sollte, sofern sich die Betroffene einem Beratungsgespräch unterzogen hat („Fristenlösung mit Beratungspflicht"). Diese Bewertung ist laut Bundesverfassungsgericht nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht ist im Einklang mit seiner früheren Rechtsprechung 107 der Ansicht, daß aus dem grundgesetzlich garantierten Recht auf Leben folgt, daß der Schwangerschaftsabbruch während der gesamten Dauer der Schwangerschaft als Unrecht anzusehen ist 1 0 8 . Weil die Rechtsordnung sich durch Verhaltensanforderungen, Gebote und Verbote, ausdrücke 109, fordert es, daß der Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verboten sein müsse 110 . Ein Ausschluß der Rechtswidrigkeit bedeute aber, daß das Verhalten erlaubt sei 111 . Diese Entscheidung des Gesetzgebers, die im Strafrecht getroffen wird, habe Wirkung für die gesamte Rechtsordnung 112. Das grundsätzliche Verbot sei dadurch nicht mehr gewährleistet 113. Verfassungsrechtlich zulässig sei nur ein Tatbestandsausschluß, da hierdurch das grundsätzliche Verbot nicht berührt werde 114 . Die Entscheidung, ob der Schwangerschaftsabbruch in anderen Teilen der Rechtsordnung rechtswidrig oder rechtmäßig ist, bleibe dann offen 115 . Der Tatbestands106 107 los 109
BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG
v. 28. 5. v. 25. 2. v. 28. 5. v. 28. 5.
1993, BVerfGE 1975, BVerfGE 1993, BVerfGE 1993, BVerfGE
88, S. 274. 39, S. 44. 88, S. 255. 88, S. 252.
no BVerfG v. 28. 5. 1993, BVerfGE 88, S. 273. m BVerfG v. 28. 5. 1993, BVerfGE 88, S. 273. 112 BVerfG v. 28. 5. 1993, BVerfGE 88, S. 273. 113 BVerfG v. 28. 5. 1993, BVerfGE 88, S. 273. 114 BVerfG v. 28. 5. 1993, BVerfGE 88, S. 274. us BVerfG v. 28. 5. 1993, BVerfGE 88, S. 274.
II. Aktuelle Probleme
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ausschluß gebe dem Gesetzgeber die Möglichkeit, verfassungsrechtlichen Anforderungen zum Schutz des ungeborenen Lebens in anderen Rechtsgebieten zu entsprechen 116. Dies sei nicht möglich, wenn im Strafrecht das Verhalten als nicht rechtswidrig, d. h. erlaubt, bewertet werde. Dahinter steht die Erwägung, daß im Falle eines nicht rechtswidrigen Abbruchs die Krankenkasse den Eingriff bezahlen und der Arbeitgeber Entgeltfortzahlung leisten müsse, was bei einem rechtswidrigen Abbruch nicht der Fall wäre. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, daß der strafrechtliche Unrechtsausschluß eine Unrechtsbewertung in anderen Rechtsgebieten, wie im Sozial- und Arbeitsrecht, verhindere. Im Falle des Tatbestandsausschlusses sei eine Unrechtsbewertung in anderen Rechtsgebieten jedoch möglich.
b) Kritik der Auffassung des BVerfG Gegen diese Auffassung werden sowohl von Gegnern als auch von Befürwortern der Fristenlösung Einwände erhoben. So wird zum einen argumentiert, „nicht rechtswidrig" sei nicht gleichbedeutend mit „sozialethisch billigenswert" oder „sozialethisch erwünscht" 117 . Es werde von der Rechtsordnung nur eine Grenze gezogen, innerhalb derer man sich betätigen darf 118 . Das verhindere nicht, daß in anderen Rechtsgebieten zusätzliche Anforderungen oder Beschränkungen an die Handlung gestellt oder Zusatzpflichten auferlegt werden können 119 . Jedes Rechtsgebiet bestimme seine Voraussetzungen selbst 120 . Aus der Bewertung „rechtmäßig" im Strafrecht folgt nach dieser Ansicht nicht zwingend, daß das Verhalten nicht durch andere Maßnahmen als das Strafrecht mißbilligt oder sanktioniert werden kann. Diese Auffassung entspricht auch der früheren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. In einer Entscheidung zur Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers im Falle eines Schwangerschaftsabbruchs führte es aus, bei der Beurteilung der Voraussetzungen des Lohnfortzahlungsgesetzes sei die strafrechtliche Einordnung des Verhaltens unerheblich 121 , obwohl § 1 Abs. 2 S. 2 L F G 1 2 2 bei einem 116 BVerfG v. 28. 5. 1993, BVerfGE 88, S. 274. 117
Eser, Schwangerschaftsabbruch: Auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, S. 89. Eser, Schwangerschaftsabbruch: Auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, S. 90. 119 Eser, S. 90. 118
120
Eser, Schwangerschaftsabbruch: Auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, S. 97; Günther, Votum zugunsten eines subjektiven Notlagenbegriffs, in: Baumann u. a. (Hg.), Schwangerschaftsabbruch im vereinten Deutschland, S. 92. 121 BVerfG v.18. 10. 1989, NJW 1990, S. 241; Anm. von Kluth, JR 1990, 104 ff. 1 22 Jetzt in § 3 Abs. 2 Entgeltfortzahlungsgesetz neu geregelt, wobei nicht mehr nur ein nicht rechtswidriger, sondern auch ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen nach Beratung umfaßt ist.
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Β. Problemstand
rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch keinen Anspruch vorsah. Das BAG, dessen Entscheidung mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen wurde, stellte nämlich in einer Entscheidung „nicht strafbar" mit „nicht rechtswidrig" im Sinne des LFG gleich 123 und gewährte die Lohnfortzahlung unabhängig von der Frage, ob der Schwangerschaftsabbruch im Sinne des Strafrechts rechtswidrig ist oder nicht. Jedenfalls sei er im Sinne des Arbeitsrechts nicht rechtswidrig. Ein weiterer Einwand gegen die Lösung des BVerfG ist die Vieldeutigkeit des Tatbestandsausschlusses. Er könne auch so interpretiert werden, daß vom Gesetzgeber nicht nur ein Pönalisierungsverzicht gewollt sei, sondern die Schutzwürdigkeit des Interesses des Embryos gänzlich verneint werde, das Lebensrecht des Ungeborenen damit erst nach drei Monaten zum Rechtsgut erhoben werde 124 . Vielmehr gebe es keine Rechtswidrigkeit an sich oder a priori 1 2 5 , tatbestandsloses Verhalten sei daher dogmatisch gar nicht zugänglich, da es an einem rechtfertigungsfähigen und -bedürftigen Verhalten fehle 126 . Eine Unrechtskennzeichnung erfolge daher genausowenig wie bei einem Ausschluß der Rechtswidrigkeit 127. Der Tatbestandsausschluß drücke daher die Billigung des Schwangerschaftsabbruchs noch stärker aus als ein Ausschluß der Rechtswidrigkeit 128, wo immerhin die grundsätzliche Schutzwürdigkeit des Rechtsguts anerkannt werde. Schließlich wird beanstandet, daß sich der Gesetzgeber auch im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG eindeutig entscheiden müsse, ob ein Verhalten im Einklang oder im Widerspruch zur Rechtsordnung steht. Entweder sei ihm die Illegalität eines Verhaltens so wichtig, daß er das Rechtswidrigkeitsurteil aufrecht erhält. Dann müsse er aber auch im Vorfeld jede Handlung verbieten, die das mißbilligte Verhalten fördert, ζ. B. auch die Bereitstellung von Einrichtungen, den Handel mit Geräten usw. Oder er wolle mit dem Konzept „präventive Hilfe statt repressiver Strafe" ernst machen, dann müsse ein legaler Schwangerschaftsabbruch ermöglicht und die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen werden. Eine dritte Möglichkeit gebe es nicht 1 2 9 .
123 BAG ν. 5. 4. 1989, NJW 1989, S. 2347; krit. dazu Tröndle, Lohnfortzahlung bei Schwangerschaftsabbruch, NJW 1989, S. 2990 ff. 124 Eser, Schwangerschaftsabbruch: Auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, S. 93; Eser, Schwangerschaftsabbruch: Reformversuche in Umsetzung des BVerfG-Urteils, JZ 1994, S. 505; Hartmann, Anmerkung zu BVerfG NJW 1993, S. 483, NStZ 1993, S. 184; Hermes/Walther, Schwangerschaftsabbruch zwischen Recht und Unrecht, NJW 1993, S. 2341. 125 Tröndle, Das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz, NJW 1995, S. 3011; von Hippel, Zuständigkeit: Ein Element des Rechts, Geerds-Festschrift, S. 155 Fn 73. 126 Tröndle, Das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz, NJW 1995, S. 3011; Eser, Schwangerschaftsabbruch: Reformversuche in Umsetzung des BVerfG-Urteils, JZ 1994, S. 506. 12V Tröndle, Das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz, NJW 1995, S. 3014. 128 Eser, Schwangerschaftsabbruch: Reformversuche in Umsetzung des BVerfG-Urteils, JZ 1994, S. 505. 129 Eser, Schwangerschaftsabbruch: Auf dem verfassungsrechtlichen Prüf stand, S. 97.
II. Aktuelle Probleme
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c) Zusammenfassung Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß das Problem darin besteht, ob bei einem Ausschluß der Rechtswidrigkeit im Strafrecht ein Verhalten erlaubt ist und ob eine solche Erlaubnis eine derart weitreichende Wirkung hat, daß dem Gesetzgeber die Möglichkeit genommen ist, in einem anderen Bereich der Rechtsordnung das betreffende Verhalten zu verbieten. Nach der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen wäre die Differenzierung des BVerfG ohnehin hinfällig. Denn nach ihr sind Rechtfertigungsgründe negative Voraussetzungen für den Tatbestand, ein Vorliegen schließt den Tatbestand aus. Die Formulierungen „nicht tatbestandsmäßig" und „nicht rechtswidrig" sind nach dieser Lehre bedeutungsgleich. Daraus folgt, daß der Konzeption des Bundesverfassungsgerichts zwingend die Lehre vom Leitbildtatbestand zugrunde liegt.
3. Problem der Einheit der Rechtsordnung Vorgenanntes Problem kann noch allgemeiner gefaßt werden. Ist ein Verhalten in einem Rechtsgebiet erlaubt, so stellt sich die Frage, ob diese Erlaubnis für die gesamte Rechtsordnung gilt, insbesondere im Strafrecht zwingend einen Rechtfertigungsgrund darstellt.
a) Verwaltungsrechtsakzessorietät Wer beispielsweise aufgrund eines durch Bestechung oder Täuschung erwirkten rechtswidrigen, aber wirksamen Verwaltungsakts handelt, verhält sich im Sinne des Verwaltungsrechts nicht rechtswidrig (Umkehrschluß aus § 48 VwVfG). Beispiel 3: A verkauft aus Beständen der NVA sowjetische Kampfflugzeuge Marke M IG-21 an den Irak. Sein Freund B, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, erteilt ihm hierfür gegen eine satte Parteispende die nach § 3 Abs. 3 des Kriegswaffenkontrollgesetzes erforderliche Genehmigung. § 22a I Nr. 4 KWKG stellt die Ausfuhr von Kriegswaffen ohne Genehmigung unter Strafe. Die Genehmigung ist nach der Rechtsprechung ein Rechtfertigungsgrund, weil der Umgang mit Kriegswaffen als so gefährlich angesehen wird, daß das Unrecht nicht erst durch die fehlende Genehmigung begründet, sondern lediglich durch die Genehmigung ausgeschlossen wird (repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt) 130. Die vom Wirtschaftsministerium erteilte Genehmigung ist zwar rechtswidrig, aber wirksam.
40
Β. Problemstand
Fraglich ist, ob die verwaltungsrechtliche Wirksamkeit der Genehmigung auch für das Strafrecht beachtlich ist. Der Strafrichter ist nach einer Ansicht an eine wirksame Genehmigung auch dann gebunden, wenn sie rechtswidrig ist 1 3 1 . Diese Ansicht entspricht der Lehre vom Leitbildtatbestand, denn sie betrachtet die Erlaubnis isoliert ohne den zugrundeliegenden Verbotstatbestand. Damit entfaltet sie auch Wirkung für das Strafrecht, ohne daß sich der strafrechtliche Tatbestand darauf beziehen muß. Sieht man andererseits eine Erlaubnis nur als negative Voraussetzung für die verwaltungsrechtliche Sanktion an, so befreit sie nur vom verwaltungsrechtlichen Verbot, im Strafrecht kann bei Vorliegen der dort geltenden Voraussetzungen trotzdem eine Sanktion verhängt werden. Bezogen auf den Fall bedeutet das, daß durch die wirksame Genehmigung die Grenzbehörden den Transport der Waffen nicht unterbinden können. Sie müssen den A aus der Bundesrepublik mit den Flugzeugen ausreisen lassen, solange die Genehmigung nicht zurückgenommen wurde. Ob darüber hinaus die Erlaubnis auch zwingend die Bestrafung nach § 22a Abs. 1 Nr. 4 KWKG verhindert, hängt davon ab, ob diese Erlaubnis isoliert existiert und damit auch für das Strafrecht anzuwenden ist oder ob diese Erlaubnis nur eine negative Voraussetzung für das rechtmäßige Passieren der Staatsgrenze mit den Waffen ist und somit die Strafbarkeitsvoraussetzung „ohne Genehmigung" gesondert auszulegen ist. Dann kann die Auslegung des Begriffs der Genehmigung nämlich nach materiellrechtlichen Kriterien erfolgen 132 . Während im Umweltstrafrecht dieses Problem durch Einführung des § 330 d Nr. 5 gelöst wurde, indem der Begriff „Handeln ohne Genehmigung" positiv-rechtlich dahingehend definiert wurde, daß auch bestimmte Fälle des rechtswidrigen, aber wirksamen Verwaltungsakts umfaßt sind, bleibt es in anderen Rechtsgebieten, wie im Kriegswaffenkontrollrecht, bestehen. Aber auch die umweltrechtliche Genehmigung kann diese Fragen aufwerfen, nämlich bezüglich anderer Delikte. Beispiel 4: Aufgrund einer rechtswidrigen, aber wirksamen Genehmigung leitet A Dioxin in die Naab ein, obwohl in der Nähe regelmäßig Kinder baden. Wie A für möglich gehalten, wegen der Ersparnis der Entsorgungskosten dennoch billigend in Kauf genommen hat, erleiden einige dieser Kinder schwere Vergiftungen. Bewertet man das Handeln alleine aufgrund der wirksamen Genehmigung als erlaubt, so muß die gefährliche Körperverletzung gerechtfertigt sein.
130 BGH v. 22. 7. 1993, NJW 1994, S. 62. Α. A. Pottmeyer, Kriegswaffenkontrollgesetz: Kommentar, § 22a Rn 11 : Tatbestandsmerkmal, da der Umgang mit Kriegswaffen grundsätzlich erlaubt sei (Präventives Verbot mit Erlaubnis vorbehält). 131 Pottmeyer, Kriegswaffenkontrollgesetz: Kommentar, § 22a Rn 13. 132 So Rademacher, Die Strafbarkeit der Verunreinigung eines Gewässers (§ 324 StGB) unter besonderer Berücksichtigung der behördlichen Genehmigung als Rechtfertigungsgrund, S. 128; Goldmann, Die behördliche Genehmigung als Rechtfertigungsgrund, S. 246.
II. Aktuelle Probleme
41
b) Zivilrechtsakzessorietät Ahnlich stellt sich die Frage, wie eine zivilrechtliche Befugnis, über das Vermögen eines anderen zu verfügen, in anderen Rechtsgebieten wirkt. Beispiel 5: A übt als Betreuer des Β dessen umfassende Vermögensverwaltung aus. Er schließt eine Vielzahl von Geschäften ab, die das Vermögen des Β schädigen und dem A Vorteile bringen. Auf den ersten Blick erscheint dies als ein typischer Fall der Untreue. Sieht man aber die Befugnis über das Vermögen des Β als Erlaubnis an, die für die ganze Rechtsordnung gilt, sind die Vertragsschlüsse erlaubte Verhaltensweisen und die Befugnis, über das Vermögen eines anderen zu verfügen, würde zwingend einen Rechtfertigungsgrund für die Beschädigung des Vermögens eines anderen darstellen. Für den Untreuetatbestand in der ersten Variante (Mißbrauchstatbestand) würde dies bedeuten, daß seine Erfüllung bereits begrifflich die Rechtfertigung zur Folge hätte, weil der Tatbestand eine Befugnis voraussetzt, die rechtfertigen würde. Wenn man die Vermögensverfügungsbefugnis als Erlaubnis ansieht, wäre der Mißbrauchstatbestand sinnlos. Die Frage der Akzessorietät kann auch im Zivilrecht umgekehrt auftreten, nämlich, ob zivilrechtliche Vorschriften zu einer Erweiterung der Strafbarkeit führen können. Eine recht aktuelle Problematik ist der Umfang des Erziehungsrechts. Bis dato ist weitgehend ein Erzieherprivileg anerkannt, das eine körperliche Mißhandlung rechtfertigt 133 oder zumindest deren Strafunrecht ausschließt134, wenn die Erziehungsmaßnahme zum Erreichen eines Erziehungszwecks erforderlich und angemessen ist 1 3 5 . Nach der Neufassung des § 1631 Abs. 2 BGB haben Kinder „ein Recht auf gewaltfreie Erziehung" und sind „körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen" unzulässig136. Die Vorschrift des § 1631 BGB regelt das Personensorgerecht. Das Erzieherprivileg gilt als Ausfluß des Personensorgerechts 137. Sofern das Erzieherprivileg akzessorisch an die Regelung des BGB geknüpft ist, müßte die Neufassung das Erzieherprivileg endgültig abschaffen. Das wäre dann der Fall, wenn das zivilrechtliche Verbot körperlicher Bestrafung Wirkung für die gesamte Rechtsordnung entfaltet. Andererseits könnte man vertreten, daß das zivilrechtliche Verbot nur innerhalb des Zivilrechts besteht. Es würde dann lediglich Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche der Kinder gegenüber ihren Eltern begründen und eine Vorausset133 Roxin, Strafrecht. Allgemeiner Teil, Band I, S. 684. 134 Horn, Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 223 Rn 13; Günther, Die Auswirkungen familienrechtlicher Verbote auf das Strafrecht, Hermann-Lange-Vzsischûil, S. 895. 135 Horn, Rn 13; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT 1, S. 99. 136 Bundestagsdrucksache 14/1247, S. 2. 137 Horn, Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 223 Rn 11.
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Β. Problemstand
zung für die Entziehung des Sorgerechts darstellen. Strafrechtlich könnte das Erzieherprivileg weitergehend sein.
c) Strafunrechtsausschluß Von Hans-Ludwig Günther stammt eine Konzeption, nach der zwar eine Erlaubnis in einem anderen Rechtsgebiet auch für das Strafrecht einschlägig sein soll, ein strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund jedoch nicht zwingend eine Erlaubnis in anderen Rechtsgebieten nach sich zieht 138 . Er begründet dies damit, daß zwar die Rechtsordnung Handlungen billigt und mißbilligt, indem sie Handlungen als rechtmäßig und rechtswidrig einstuft. Eine von der Gesamtrechtsordnung mißbilligte Handlung werde jedoch nicht zwingend auch im Strafrecht mißbilligt. „Strafrechtswidrig" seien nur solche Handlungen, die spezifisch strafrechtliches Unrecht verwirklichen 139 . Die Strafe setze nämlich strafwürdiges Unrecht voraus, das unter strafrechts-teleologischen Gesichtspunkten aus dem gesamten Unrecht ausgewählt werde 140 . Die Grenze zwischen Recht und Unrecht deckt sich danach nicht mit der Grenze zwischen strafwürdigen Handlungen und nicht strafwürdigen Handlungen 141 . Damit ließe sich das Problem des BVerfG lösen, indem man § 218a als Strafunrechtsausschließungsgrund ansieht und die Bewertung in anderen Rechtsgebieten davon unberührt läßt. Auch ein familienrechtliches Verbot körperlicher Bestrafungen müßte nicht zwangsläufig zu einer Pönalisierung der Eltern führen 142 . Das Strafrecht müßte zum Familienrecht eigene Wertungen hinzufügen, ansonsten läge kein für das Strafrecht relevantes Unrecht vor 1 4 3 . Allerdings bleibt das umgekehrte Problem bestehen, eine Erlaubnis in anderen Rechtsgebieten müsse auch im Strafrecht rechtfertigend wirken, da das Strafunrecht gesteigertes Unrecht sei 1 4 4 . d) Kompetenz Für dieses umgekehrte Problem bietet sich Alexys Unterscheidung zwischen Erlaubnis und Kompetenz an. Alexy unterscheidet die Erlaubnis von der Kompetenz, 138
Günther, Strafrechts Widrigkeit und Strafunrechtsausschluß. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 247. 140 Günther, S. 247. 139
141 Günther, S. 247. 142 Günther, Die Auswirkungen familienrechtlicher Verbote auf das Strafrecht, HermannLöwge-Festschrift, S. 899. 143 Günther, Die Auswirkungen familienrechtlicher Verbote auf das Strafrecht, HermannLöwge-Festschrift, S. 894. 144 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 178.
II. Aktuelle Probleme
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die das rechtliche Können bezeichnet145. Die Kompetenz ist die Möglichkeit, rechtliche Positionen zu ändern. Der Inhaber der Kompetenz kann durch bestimmte Handlungen generelle oder individuelle Normen setzen. Als Beispiele hierfür führt Alexy Vertragsschlüsse, Gesetzgebung und Verwaltungsakte an. Die Wahrnehmung einer Kompetenz sei in der Regel zwar erlaubt, sie könne aber auch verboten sein 146 . Sinnvoll sei zwar, den Rechtssubjekten die Kompetenz zu verbotenem Handeln zu nehmen, das müsse jedoch nicht geschehen147. So sind nach § 134 BGB nicht alle verbotswidrigen Vertragsschlüsse unwirksam 148 . Es kann also durchaus die Kompetenz zum Abschluß eines Rechtsgeschäfts bestehen, dessen Durchführung verboten ist. Das Rechtsgeschäft ist dann wirksam, die Erfüllung löst jedoch unter Umständen eine Sanktion aus. Auf diese Weise kann das Nebeneinander der zivilrechtlichen Vermögensverfügungsbefugnis (Kompetenz) und der strafrechtlichen Nichtbefugnis (Verbot) erklärt werden. Die Vermögensverfügungsbefugnis wäre als Kompetenz nicht mit einer Erlaubnis gleichzusetzen. A besäße in Fall 5 die Kompetenz zum Abschluß von Rechtsgeschäften zu Lasten des B, die Rechtsgeschäfte wären ihm dennoch nicht erlaubt. Die Vermögensverfügungsbefugnis wäre nicht ein aus der Zivilrechtsakzessorietät folgender Rechtfertigungsgrund. A kann wegen Untreue (Alt. 1) bestraft werden. Der Mißbrauchstatbestand wäre nicht sinnlos. Ebenso kann der Fall der wirksamen, aber rechtswidrigen Verwaltungsakte gesehen werden. Die Verwaltung besitzt die Kompetenz, wirksame Verwaltungsakte zu erlassen, auch wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Unterscheidet man diese Kompetenz von der Erlaubnis, so zieht dieser Verwaltungsakt nicht zwingend eine Erlaubnis nach sich und stellt nicht unbedingt einen Rechtfertigungsgrund für das Strafrecht dar.
e) Rechtsgebietsspezifische
Auslegung oder Rechtsakzessorietät?
Bei anderen Begriffen ist die einheitliche Auslegung in verschiedenen Rechtsgebieten ohnehin nicht zwingend. So wird der Begriff „Mensch" im Strafrecht anders als im Verfassungsrecht, wo das ungeborene Leben umfaßt ist, ausgelegt und der Begriff „Sache" enthält im Strafrecht Tiere 149 , im Zivilrecht nicht (§ 90a BGB). Fraglich ist, ob die Begriffe „Genehmigung", „Befugnis" oder gar „rechtswidrig" nicht genauso zu behandeln sind, bzw., ob es einen sachlichen Grund gibt, hierbei Unterschiede zu machen. Es ist daher im folgenden zu untersuchen, ob eine Rechtfertigung die Grenze zwischen Recht und Unrecht bzw. erlaubt und verboten für 145 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 211. 146 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 212. 147 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 212 Fn 160. 148 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 213 Fn 160. 149 Graul, Zum Tier als Sache im Sinne des StGB, JuS 2000, S. 215 ff.
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Β. Problemstand
die gesamte Rechtsordnung festlegt, die Rechtfertigung gänzlich unabhängig von einer solchen Grenze ist oder entsprechend der Konzeption Günthers die Grenze nur in eine Richtung festgelegt wird. Auch die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, ob man mit der Lehre vom Leitbildtatbestand der Erlaubnis eine selbständige Existenz in der Rechtsordnung zubilligt oder, wie die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, die Erlaubnis nur als jeweilige negative Verbotsvoraussetzung ansieht.
I I I . Dogmengeschichtlicher Überblick Der folgende Überblick stellt in groben Zügen die Entwicklung des Straftatbegriffs und der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen dar 150 .
1. Die Gliederung der Straftat Bis ins 19. Jahrhundert gab es keinen wissenschaftlich ausdifferenzierten Straftatbegriff. Sowohl in der Kanonistik des Mittelalters als auch zur Zeit des Naturrechts wurde zwar über einige strafrechtliche Probleme wie Irrtümer, insbesondere Unterscheidung von Tatsachen- und Rechtsirrtum, Notwehr, Notstand, Versuch usw. diskutiert, nicht aber in analytisch-systematischer, sondern in rhetorischer, auf den Prozeß bezogenen Weise 151 . Es handelte sich um Argumentationstopoi zum Ausschluß der Strafe. Beispielweise wurde die Notwehr in der CCC bei der Tötung abgehandelt und erst in den Landesgesetzen des 19. Jahrhunderts in den Allgemeinen Teil aufgenommen 152. Den wissenschaftlichen Straftatbegriff gibt es erst seit Ende des 19. Jahrhunderts, nicht einmal das StGB von 1871 unterschied zwischen einzelnen Deliktsstufen, sondern sprach nur von Gründen, welche die Strafbarkeit ausschließen. Die systematischen Kategorien Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld wurden erst mit der Reform 1975 eingeführt 153 .
150 Umfassende Darstellung bei Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, S. 13-219 und Weigt, Die Stellung der Rechtfertigungsgründe im Verbrechensaufbau Ein Beitrag zur Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, S. 3-54. Die Zeit vor Belings Tatbestandslehre ist dargestellt bei Schweikert, Die Wandlungen der Tatbestandslehre seit Beling, S. 7 - 1 3 und Schmeder, Die Entwicklung der Gliederung der Straftat in Deutschland, Hokkaigakuen Law Jornal 1988, S. 196 ff. (S. 195-185). 15
1 Schild, Alternativkommentar zum StGB, vor § 13 Rn 1. 1 52 Nagler, Der heutige Stand der Lehre von der Rechtswidrigkeit, ßmi/mg-Festschrift, S. 276. 1 53 Schild, Alternativkommentar zum StGB, vor § 13 Rn 1.
III. Dogmengeschichtlicher Überblick
45
Der Tatbestandsbegriff war vor der Entstehung des wissenschaftlichen Straftatbegriffs mit dem Straftatbegriff identisch. Er entstand aus dem „corpus delicti" des Inquisitionsprozesses, äußeren Beweiszeichen der Tat. Erst seit Beginn des 19. Jahrhunderts wendete man sich von der prozessualen zur materiellen Betrachtungsweise und definierte das „corpus delicti" um vom „Inbegriff derjenigen Umstände, die gewiß oder wahrscheinlich machen, daß ein Verbrechen begangen worden ist" 1 5 4 zu „denjenigen Tatsachen, die den Begriff einer bestimmten Gattung von Verbrechen bestimmen" 155 . Damit begann die Beschäftigung mit dem materiellen Gehalt der Straftat und die Entwicklung einer Verbrechenssystematik, indem man die Merkmale des Verbrechens in Kategorien einteilte. Der klassische Straftatbegriff definiert die Straftat als tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung 156 . Eine in diese Richtung weisende Dreigliederung taucht erstmals 157 im Jahre 1840 bei Heinrich Ludens Definition des Tatbestandsbegriffs auf: „Erstens: Eine verbrecherische,
durch eine menschliche Handlung
hervorgebrachte
Erscheinung. Zweitens: Rechtswidrigkeit
dieser Handlung.
Drittens: Dolose oder culpose Eigenschaft dieser Handlung. " 158.
Luden teilt den Tatbestand also auf in eine durch menschliche Handlung hervorgebrachte verbrecherische Erscheinung, zu der auch der Kausalzusammenhang gehört 1 5 9 , die Rechtswidrigkeit und die Schuld (samt Vorsatz). Die Einteilung wurde später auch von Liszt und Beling für die Definition der Straftat verwendet 160 , obwohl Ludens Tatbestandsbegriff ohne unmittelbaren historischen Einfluß blieb 1 6 1 . Liszt formulierte in der ersten Auflage seines Lehrbuchs 1881: „ Verbrechen ist die vom Staate mit Strafe bedrohte, normwidrige Handlung" 162. Den Erfolg zählte Liszt wie auch den Kausalzusammenhang zur 154 so in § 133 der preußischen peinlichen Kriminalordnung definiert, zit. nach Schweikert, Die Wandlungen der Tatbestandslehre seit Beling, S. 8 Fn 7. 155 Klein, Grundsätze des gemeinen deutschen peinlichen Rechts, Halle 1796. 156 Vgl. z. B. Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, S. 178; Haft, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 19 f. 157 Ein 1825 von Carl Georg Wächter entwickeltes System (vgl. Schroeder, Die Entwicklung der Gliederung der Straftat in Deutschland, S. 192) trennt nicht zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld, sondern zwischen Rechtspflicht und Zurechnung. 158 Luden, Über den Thatbestand des Verbrechens nach gemeinem deutschen Rechte, S. 110. 159 Luden, Über den Thatbestand des Verbrechens nach gemeinem deutschen Rechte, S. 113. 160 Schweikert, Die Wandlungen der Tatbestandslehre seit Beling, S. 12.
161 Schroeder, Die Entwicklung der Gliederung der Straftat in Deutschland, Hokkaigakuen Law Journal 24 (1988), S. 190. 162 von Liszt, Das deutsche Reichsstrafrecht, S. 64.
46
Β. Problemstand
Handlung, wobei er zwischen Handlung im engeren und weiteren Sinn unterschied 163 . Der heutige Tatbestandsbegriff und die Einteilung der Straftat in Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld stammt von Ernst Beling, der die Straftat 164 1906 wie folgt definierte: „ Verbrechen ist die tatbestandsmäßige, rechtswidrige, schuldhafte, einer auf sie passenden Strafdrohung unterstellte und den Strafdrohungsbedingungen genügende Handlung. " 1 6 5 . Der Tatbestand ist für Beling die Umschreibung des Deliktstypus. Indem das Strafrecht fest umschriebene Typen von Verbrechen verlangt, unterscheide es sich vom Zivilrecht, das wegen der Privatautonomie keine starren Schemata kenne 166 . Nicht jede sozialschädliche Handlung könne daher als Straftat bezeichnet werden, sondern die Typizität oder Tatbestandsmäßigkeit als Eigenschaft der Handlung sei begriffliches Merkmal für das Verbrechen 167. Belings Definition der Straftat, die im wesentlichen auch heute noch so verwendet wird, führt damit die Kategorie der Tatbestandsmäßigkeit ein, die begriffliche Grundlage für den Streit zwischen der Lehre vom Leitbildtatbestand und der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen ist.
2. Die Irrtumslehre im 19. Jahrhundert Die Irrtumslehre entwickelte sich zunächst unabhängig vom Tatbestandsbegriff. Nicht zwischen Tatbestandsirrtum, Erlaubnistatbestandsirrtum und Verbotsirrtum wird unterschieden, sondern zwischen Sachverhaltsirrtum und Rechtsirrtum. Diese Unterscheidung stammt aus dem Pandektentitel 22,6 und dem Kodextitel 1,18, die auch zur Zeit der CCC mangels anderer Regelung in ihr subsidiär anwendbar waren 1 6 8 . Ursprünglich regelten die entsprechenden Stellen die Bedeutung eines Irrtums im Rahmen eines zivilrechtlichen Anspruchs 169 , später wurden sie aber auch für den Strafprozeß verwendet 170 . Die Regelung war folgende: „error iuris nocet, error facti non nocet". Da die Römer das Recht von der prozessualen Seite her betrachteten, war diese Regel zunächst eine Beweisregel für die Beurteilung von Irrtumsbehauptungen171. Während Tatirrtümern geglaubt wurde, hielt man die Gel163 von Liszt , Das deutsche Reichsstrafrecht, S. 71 f. 164 Wegen der technischen Verwendung des Verbrechensbegriffs (§ 12 Abs. 1 StGB) ist es sinnvoller, von der Straftat zu sprechen. 165
Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 7. Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 23. 167 Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 24. 168 Binding, Über den Irrtum bei Delikten im heutigen Strafrecht und dem der Zukunft, in: Binding, Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen, S. 410. 169 Binding, S. 410. 166
170 Vollmar, Über die inneren Gründe der Rechtssprechung des Reichsgerichts zum Irrtum im Strafrecht, S. 21.
III. Dogmengeschichtlicher Überblick
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tendmachung von Rechtsirrtümern für bloße Schutzbehauptungen. Diese prozessuale Glaubwürdigkeitsbeurteilung wurde ins materielle Recht übertragen 172. Sie fand Eingang in die deutsche Partikulargesetzgebung des 19. Jahrhunderts 173. Im RStGB von 1871 fand sich keine Regelung über den Rechtsirrtum. Das war bereits im Preußischen StGB von 1851 so. Eine Bestimmung über den Rechtsirrtum wurde nicht aufgenommen, „da die Unwirksamkeit des Rechtsirrtums schon gemeinen Rechtes sei" 1 7 4 . Statt dessen fand eine sehr ausführliche Regelung des faktischen Irrtums Eingang in das Preußische StGB: „Wenn die Strafbarkeit einer Handlung abhängig ist entweder von besonderen Eigenschaften in der Person des Thäters oder desjenigen, auf welchen sich die Tat bezog, oder von den besonderen Umständen, unter welchen die Handlung begangen wurde, so ist eine solche Handlung demjenigen als Verbrechen oder Vergehen nicht zuzurechnen, welchem jene Verhältnisse oder Umstände zur Zeit der That unbekannt waren" 175 .
Bei dieser Formulierung ist deutlich, daß nur faktischer, nicht aber rechtlicher Irrtum gemeint ist. Inhaltlich sollte § 59 RStGB nichts ändern, wie Äußerungen von Entwurfsverfassern belegen 176 , allerdings ist in den Materialien zu diesem Problem nichts enthalten. Die Formulierung war jedoch einfacher als im Preußischen StGB: „Wenn jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vorhandensein von Thatumständen nicht kannte, welche zum gesetzlichen Thatbestande gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, so sind ihm diese Umstände nicht zuzurechnen. Bei der Bestrafung fahrlässig begangener Handlungen gilt diese Bestimmung nur insoweit, als diese Unkenntnis selbst nicht durch Fahrlässigkeit verschuldet ist.".
Das Reichsgericht übernahm nun die Differenzierung, daß Tatirrtümer beachtlich, Rechtsirrtümer aber unbeachtlich sind, mit der Maßgabe, daß bei Blankettmerkmalen und außerstrafrechtlichen Rechtssätzen auch der Rechtsirrtum nicht schadet. Um diese Rechtsprechung herrschte im 19. Jahrhundert reger Streit. Insbesondere Binding attackierte sie mit teils heftigen Worten 177 . Er ist der Ansicht, es könne 171 Binding, Über den Irrtum bei Delikten im heutigen Strafrecht und dem der Zukunft, in: Binding, Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen, S. 410. 172 Binding, Über den Irrtum bei Delikten im heutigen Strafrecht und dem der Zukunft, in: Binding, Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen, S. 411. 173 Binding, Über den Irrtum bei Delikten im heutigen Strafrecht und dem der Zukunft, in: Binding, Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen, S. 437. 174 Goltdammer, Die Materialien zum Straf-Gesetzbuche für die Preußischen Staaten, Teil 1, S. 434. 175 Goltdammer, Die Materialien zum Straf-Gesetzbuche für die Preußischen Staaten, Teil 1, S. 429 f. 176 Binding, Über den Irrtum bei Delikten im heutigen Strafrecht und dem der Zukunft, in: Binding, Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen, S. 442. 177 Binding, Über den Irrtum bei Delikten im heutigen Strafrecht und dem der Zukunft, in: Binding, Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen, S. 417 f. Fn. 4: „Man steht
Β. Problemstand
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nur einen Irrtum über die Befugnis, etwas zu tun, geben. Das Unrechtsbewußtsein sei daher das entscheidende Kriterium für den Vorsatz 178 . Der Irrtum über Tatsachen sei nur von Bedeutung, weil er den Verbotsirrtum zwingend zur Folge hat. Diese Kontroverse Binding/Reichsgericht ist ein Vorläufer der Kontroverse Vorsatz/Schuldtheorie, man kann gar sagen, Bindings Kritik des Reichsgerichts hat letztere Diskussion entfacht. Für das Problem des Irrtums über Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes hatte diese Kontroverse jedoch keine Bedeutung. Nach der Auffassung des Reichsgerichts Schloß der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes den Vorsatz aus, weil es sich um einen Tat- und keinen Rechtsirrtum handelt 179 . Nach Bindings Auffassung entfällt der Vorsatz wegen des fehlenden Unrechtsbewußtseins.
3. Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen Die Begründung der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen wird Adolf Merkel mit der ersten Auflage seines Lehrbuchs aus dem Jahre 1889 zugeschrieben 180. Zur Wirkung gelangte sie durch den Kommentar von Reinhard Frank 181 . Ob Adolf Merkel (wie auch Reinhard Frank) die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen wirklich vertrat, ist wegen der noch nicht ausgefeilten Strafrechtsdogmatik Ende des 19. Jahrhunderts, insbesondere war Belings Werk mit der dreigliedrigen Straftatdefinition noch nicht erschienen, nicht so sicher 182 . Merkel erwähnte in seinem Lehrbuch nur, daß der Irrtum über Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe den Vorsatz ausschließt. Ausgehend von der heutigen Dogmatik würde man nicht sagen, daß, wer diese Ansicht vertritt, die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes als negative Tatbestandsmerkmale ansieht, da dieses Ergebnis auch von der Vorsatztheorie und teilweise von Anhängern der Schuldtheorie vertreten wird. Jedenfalls aber seit Anfang des 20. Jahrhunderts wird die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmastarr, wenn man beobachtet, welche Interpretationskunst strafrechtlicher Begriffe das Reichsgericht [...] voraussetzt, und zwar muß denn die Interpretation stets mit der des Reichsgerichts übereinstimmen, auch wenn dieses seine Ansicht mittlerweile geändert hat! [... ] Man schaudert bei dem Gedanken, wie vielen Verurteilungen wegen vorsätzlicher Rechtsbeugung sich die Mitglieder des Reichsgerichts bei Findung der Urteile durch falsche Auslegung des Strafgesetzes aussetzen! 178 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band 3, S. 305. 179 Vgl. ζ. β. RG v. 2. 12. 1890, RGSt 21, 189. iso Merkel, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 82 f. 181
von Frank, Das Strafgesetzbuch für das deutsche Reich (1. Auflage 1897); Franks Bekenntnis zur LvnT findet sich bereits in von Frank, Rechtsprechung des Reichsgerichts vom 30. Juni 1890 bis 30 September 1891, ZStW 14 (1894), S. 354 ff. 182 Bestritten von Minas - von Savigny, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 1 f.
III. Dogmengeschichtlicher Überblick
49
len mit der o. g. These vertreten und stellt bis heute eine bedeutende Ansicht d a r 1 8 3 . Zum Teil ist man auch der Ansicht, die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen sei sowohl dem Inhalt als auch dem Begriff nach bereits vor dem Erscheinen von Merkels Lehrbuch vertreten w o r d e n 1 8 4 . In der ersten Auflage seines Lehrbuches 1889, § 30 (Vorsatz und Irrtum), formuliert M e r k e l 1 8 5 : „Für das vorsätzlich begangene Delikt ist nach dem ausgeführten eine Uebereinstimmung zwischen Wollen und Wissen einerseits und den wesentlichen äußeren Thatmerkmalen andererseits charakteristisch. [ . . . ] Daher kann von jenem in den nachfolgend bezeichneten Fällen keine Rede sein: 1. Der Handelnde übersah im Momente der That Umstände, welche zum gesetzlichen Thatbestande gehören, [ . . . ] 2. Der Handelnde setzt Verhältnisse voraus, deren NichtVorliegen zum gesetzlichen Thatbestande gehört (negative Thatbestandsmerkmale), [ . . . ] Zu den unter 1 und 2 erwähnten Fällen gehört es auch, wenn der Irrtum die Existenz einer Rechtsvorschrift oder eines obrigkeitlichen Befehls oder einer obrigkeitlichen Erlaubnis betrifft, insofern als die Existenz der Vorschrift oder des Befehls oder das NichtVorliegen einer Erlaubnis zum gesetzlichen Thatbestande der betreffenden Deliktsart gehört [ . . . ] . Das gleiche gilt unter der gleichen Voraussetzung bezüglich der Rechtswidrigkeit oder der Unbefugtheit der Handlung, welche in zahlreichen Deliktsdefinitionen eine Rolle spielen. Eine andere hier nicht zu erörternde Frage ist, ob die Unkenntnis derartiger Umstände bei den betreffenden Deliktsarten das Delikt überhaupt oder nur die vorsätzliche Begehung desselben in Wegfall bringe." Fraglich ist jedoch, ob Merkel damit die Zugehörigkeit der Rechtswidrigkeitsvoraussetzungen zum Tatbestand i m heutigen Sinne gemeint hat. Belings Definition der Straftat stammt aus dem Jahr 1906. Es liegt daher durchaus nahe, daß Merkel mit „Tatbestand" die Straftat insgesamt gemeint h a t 1 8 6 , die Bezeichnung negative Tatbestandsmerkmale beispielsweise auch für Schuldausschließungsgründe hätte verwenden können und die Verwendung i m Zusammenhang mit den Rechtfertigungsgründen ein historischer Zufall i s t 1 8 7 . Allerdings wurde schon vor Beling ein dreistufiger Aufbau vertreten und zwischen Tatbestand i m engeren und weiteren Sinne differenziert 1 8 8 . Wie erwähnt findet sich der dreistufige Aufbau bereits bei Luden i m Jahre 1840. Auch Liszt baut in seinem Lehrbuch, das in erster Auflage 1881 erschien, dreistufig auf. Beide Konzepte haben große Ähnlichkeit mit
183 Vgl. Fn. 2. 184 Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, S. 31. 185 Merkel, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 82 f. 186 So Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, S. 30 ff. 187 So Minas von Savigny, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 2. 188 Weigt, Die Stellung der Rechtfertigungsgründe im Verbrechensaufbau - Ein Beitrag zur Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, S. 10 Fn 56. 4 Schmid
50
Β. Problemstand
Belings Straftatbegriff. Die jeweils erste Stufe entspricht inhaltlich weitgehend Belings Tatbestandsbegriff. Der objektive besondere Tatbestand war dabei dem Tatbestand Belings ähnlich 189 . Die Verwendung des Begriffs „gesetzlicher Tatbestand" deutet darauf hin, daß Merkel den besonderen Tatbestand gemeint hat und nicht einen beliebigen Strafbarkeitsausschluß, sondern einen Ausschluß des Vorsatzes im Sinne der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen im Auge hatte. Derselben Ansicht wie Merkel war auch Reinhard von Frank in seinem Kom190
mentar
:
„Haftung wegen vorsätzlicher Begehung tritt mithin nur dann ein, wenn der Thäter die sämtlichen zum Thatbestande gehörenden Thatumstände kennt. Dies gilt: für sämtliche positive Thatumstände [ . . . ] nicht nur für die positiven, sondern auch für die negativen Thatumstände. [ . . . ] die irrtümliche Annahme eines negativen Tatumstandes entspricht der irrtümlichen Nichtannahme eines positiven. Die irrtümliche Annahme eines Umstands, dessen thatsächliches Vorliegen die Rechtswidrigkeit beseitigen würde, schließt den Vorsatz aus. [ . . . ] " .
Die Diskussion um die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen begann Anfang des 20. Jahrhunderts mit Kohlrauschs Kritik an der 2. Auflage von Franks Kommentar 191 sowie weiteren Stellungnahmen zur 3./4. Auflage 192 . Bis dahin ging man jedoch noch vom Gesamttatbestand aus, diesbezüglich war die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen nicht widerlegbar. Darüber hinaus hatte die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen für den Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes zu diesem Zeitpunkt keine Bedeutung, da man zwischen Tat- und Rechtsirrtum unterschied. Die eigentliche Diskussion ging daher erst mit Erscheinen von Belings Tatbestandslehre los. Beling führte den Leitbildtatbestand ein und folgerte daraus, daß § 59 RStGB mit den Worten „gesetzlicher Tatbestand" nur den besonderen Tatbestand meinen könne 193 . Auf der Grundlage von Belings neu eingeführtem Tatbestandsbegriff wurde die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen erstmals von Baumgarten im Jahre 1913 formuliert 194 . Seiner Auffassung nach gehöre auch der Glaube, daß die Rechtfertigungsvoraussetzungen nicht vorliegen, zum Vorsatz 195 , Belings 189 Weigt, S. 10 Fn 56. 1 90 von Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, § 59/11. 1 91 Kohlrausch, Irrtum und Schuldbegriff. 192 Dazu Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, S. 58 ff. 1 93 Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 186. Allerdings gehört nach Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 185 auch das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit zum Vorsatz, so daß sich aus Belings Auffassung keine Konsequenzen für die Frage des Irrtums über Rechtfertigungsvoraussetzungen ergeben. 1 94 Baumgarten, Der Aufbau der Verbrechenslehre. 1 95 Baumgarten, Der Aufbau der Verbrechenslehre, S. 183.
III. Dogmengeschichtlicher Überblick
51
Tatbestandsdefinition sei daher zu eng 1 9 6 . Die führenden Strafrechtler dieser Zeit nahmen nun gegen die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen Stellung 1 9 7 , sie blieb eine Mindermeinung. Ende der zwanziger Jahre schlossen sich Zimmerl, Radbruch und Engisch Baumgartens Auffassung an 1 9 8 , so daß die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen immerhin keine unbeachtliche Ansicht war. Beling verteidigte im Jahre 1930 nochmals seinen Leitbildtatbestand199.
4. Die Tatbestandslehre im Nationalsozialismus Zur Zeit des Nationalsozialismus machten es sich Professoren der Kieler Fakultät (Kieler Schule) zur Aufgabe, eine Rechtsdogmatik zu entwickeln, die die Einflüsse der Rezeption des römischen Rechts, die durch das abstrakte Rechtsdenken die Einheit von Recht und Gesellschaft zerstört habe, beseitigt 200 . Die wissenschaftliche Ausdifferenzierung, zu der auch die Trennung des Straftatbegriffs in Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld gehört, führte man darauf zurück. Belings Lehre vom Tatbestand sei ein zergliederndes und letztlich zersetzendes Rechtsdenken201. Tat und Täter seien vielmehr als Einheit zu sehen 202 , sie stellten keine Kategorien dar, in die sich die einzelnen Merkmale der Verbrechensvoraussetzungen einteilen ließen 203 . Ein wesenhaftes und ganzheitliches Rechtsdenken dürfe das Verbrechen nicht in getrennte Bestandteile aufspalten 204. Es müsse das Phänomen Verbrechen als Ganzes begreifen, das sich nicht in verschiedene Teile zerlegen läßt 205 . Das Rechtsdenken der Kieler Schule wendete sich also gegen eine systematische Aufgliederung des Verbrechensbegriffs, was einer Rückkehr zum Gesamttatbestand entspricht. Hinzu kommt der Versuch der Entwicklung eines Willensstrafrechts, das das subjektive Element der Straftat besonders betonen sollte. Die Natur des Verbre196
Baumgarten, Der Aufbau der Verbrechenslehre, S. 229. Ζ. B. Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band 3, S. 306; Mayer Max Ernst, Der allgemeine Teil des deutschen Strafrechts, S. 319. 198 Zimmerl, Zur Lehre vom Tatbestand; Radbruch Gustav, Zur Systematik der Verbrechenslehre, Franfc-Festschrift, S. 158 ff.; Engisch, Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht. 199 Beling, Die Lehre vom Tatbestand. 200 Dazu Michaelis, Wandlungen des deutschen Rechtsdenkens seit dem Eindringen des fremden Rechts. 201 Dahm, Verbrechen und Tatbestand, S. 63. 2 2 0 Dahm, Verbrechen und Tatbestand, S. 92. 197
203 Schaffstein, Rechtswidrigkeit und Schuld im Aufbau des neuen Strafrechtssystems, ZStW 57 (1938), S. 334. 2 A) und nicht rechtswidrig, wenn A geringeres oder gleiches Unrecht als das Unterlassen von A verwirklicht (formal: -> Rw(A) Def A< U ->A) 1 4 . Bei metrischen Bewertungen führt man zunächst eine Funktion u ein, die jeder Handlung eine Zahl u(A) als Unrechtswert der Handlung A zuordnet. A ist dann rechtswidrig, wenn der Unrechtswert von A größer als der Unrechtswert des Unterlassens von A ist (formal: Rw(A) Def U ( A ) > u(-A)). Eine weitere Möglichkeit, Rw zu definieren, wäre, einen Standard für das Unrechtsmaß festzulegen, ζ. B. u = 0 und Rw für alle Handlungen festlegen, deren Unrechtsmaß größer als der Standard ist (formal: Rw(A) Def U ( A ) > 0).
12
Zeichenerläuterung: -> heißt nicht. von Kutschern, Wissenschaftstheorie I, S. 16. 14 Zeichenerläuterung: u heißt größeres Unrecht, < u heißt kleineres oder gleiches Unrecht. 13
78
D. Logische Analyse der Bewertung im Strafrecht
Beim Beispiel mit den Autos kann man den klassifikatorischen Begriff „wertvoll" nur über die Festlegung von Standards definieren, weil hier die Objekte aus M nicht negierbar sind. Die Definition durch Negation ist nur möglich, wenn die zu bewertenden Objekte bestimmten ontologischen Kategorien angehören. Man könnte definieren, daß ein Auto wertvoll ist, wenn der Wert höher als 20.000 DM ist oder daß ein Auto wertvoll ist, wenn es wertvoller als Auto A ist. Nun bietet das Strafgesetzbuch mit den Strafrahmen selbst die metrischen Werte für die Handlungen an, aus der die Bewertungen „tatbestandsmäßig" und „rechtswidrig" abgeleitet werden können. Man kann beispielsweise den Unrechtswert u für eine Handlung festlegen, wenn man die Mindeststrafe zur Höchststrafe addiert und für lebenslang den Wert 20 ansetzt. Dann hat der Diebstahl den Unrechtswert 5, der Totschlag den Wert 20, der Mord den Wert 35. Verhaltensweisen, für die das Gesetz keinen Strafrahmen vorsieht, haben den Wert 0. Aus dieser metrischen Bewertung kann die klassifikatorische Bewertung abgeleitet werden. Eine Handlung ist rechtswidrig, wenn u > 0 ist und rechtmäßig, wenn u = 0 ist.
c) Subjektive und objektive Wertbegriffe Werte können subjektiv und objektiv bestimmt werden. Ein subjektiver Wert ist ein Wert für eine Bezugsperson, ein objektiver Wert ist ein Wert, der nach intersubjektiven Kriterien festgelegt wird 15 . Man kann die Rechtswidrigkeit als objektiven Wert ansehen. Dann muß im einzelnen festgelegt werden, welche intersubjektiven Kriterien für die Bestimmung der Rechtswidrigkeit gelten. Das wäre das Problem der Bedingungen für die Geltung von Normen. Darauf soll es aber im Rahmen dieser Untersuchung nicht ankommen, da formale Eigenschaften für beliebige Normen unabhängig von deren Geltung erörtert werden. Daher seien die Werte im Rahmen dieser Abhandlung subjektive Werte für eine beliebige Person, die will, daß das StGB gilt. Die Werteinteilung richtet sich demnach nach dem StGB. Das bedeutet, daß diejenige Person, die will, daß das StGB gilt, auch will, daß einer bestimmten Tat ein bestimmter Wert aus der Menge (rw, -< rw) zugeordnet wird. Diese Person werde G genannt (wie Gesetzgeber). Der Wert Rechtswidrigkeit ist damit ein Wert für die Person G. Gleiches gilt für die Tatbestandsmäßigkeit.
2. Bewertung als Bildung von einstelligen Begriffen (Wertbegriffen) Eine Bewertung ist die Bildung eines einstelligen Begriffs auf der Grundmenge M. Man erzeugt mit Elementen aus M eine neue Menge, die den Umfang (Extensi15
von Kutschern, Einführung in die Logik der Normen, Werte und Entscheidungen, S. 86.
III. Bewertung
79
on) des Wertbegriffs bildet. So kann man den Begriff „tatbestandsmäßig" (Tb) bilden, dessen Umfang die Menge Τ ist, die alle die Elemente aus M enthält, die den Wert tatbestandsmäßig zugeteilt erhielten, sowie den Begriff „rechtswidrig" (Rw), dessen Umfang die Menge R ist, die alle die Elemente aus M enthält, die den Wert rechtswidrig zugeteilt erhielten. Dann gilt: Τ ist Teilmenge von M und R ist Teilmenge von M. χ ist genau dann tatbestandsmäßig (Tb(x)) wenn χ Element von Τ ist, χ ist genau dann rechtswidrig (Rw(x)), wenn χ Element von R ist.
3. Pflichtbegriffe (deontische Begriffe) Von den Wertbegriffen sind die Pflichtbegriffe (deontische Begriffe) zu unterscheiden. Diese Begriffe dienen dazu, bestimmte Handlungen zu fordern. Die wichtigsten deontischen Begriffe sind Gebot, Verbot und Erlaubnis und Freistellung 16 . Es genügt aber der Verbotsbegriff, weil sich die übrigen Begriffe mit Hilfe des Verbots und der Negation ausdrücken lassen. „A ist geboten" ist gleichbedeutend mit „Nicht A ist verboten" (entspricht: Es ist verboten, A zu unterlassen), „A ist erlaubt" ist gleichbedeutend mit „A ist nicht verboten" und „A ist freigestellt" ist gleichbedeutend mit " Nicht A ist nicht verboten" (entspricht: Es ist erlaubt, A zu unterlassen). Für „A ist verboten" kann man die Abkürzung VA einführen, und die übrigen Operatoren entsprechend definieren. Definitionen: A ist geboten
:=V -Ά
A ist erlaubt
:=
VA
A ist freigestellt: - i V - i A
Eine Interpretation des Verbotsbegriffs könnte als Relation zwischen möglichen Welten festgelegt werden, etwa so, daß eine Tat verboten ist, wenn sie in allen Welten unterlassen wird, die normativ optimal sind.
4. Ableitung der Pflichtbegriffe von den Wertbegriffen Bereits in einem früheren Kapitel wurde die Unabhängigkeit des Verbotsbegriffs vom Begriff der Rechtswidrigkeit widerlegt 17 . Es gibt kein von den Sanktionsandrohungen unabhängiges Verbot. Die Schuld kann aus normtheoretischen Gründen
16 Vgl. Kapitel C. 17 Vgl. Kapitel C.
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D. Logische Analyse der Bewertung im Strafrecht
keine Voraussetzung des Verbots 18 sein. Ein Verhalten ist genau dann verboten, wenn es mit einer Sanktionsdrohung verknüpft ist. Die Pflichtbegriffe sind daher inhaltlich durch Wertbegriffe definierbar und umgekehrt. Ein Verhalten ist genau dann rechtlich verboten, wenn es rechtswidrig ist bzw. wenn auf das Verhalten ein staatlicher Zwangsakt zu verhängen ist.
IV. Die Bildung des Begriffs Rechtswidrigkeit Die Bewertung Rechtswidrigkeit ist die Bildung des einstelligen Begriffs R, dessen Umfang die Menge R ist. Für die Bildung der Menge R gibt es 2 Möglichkeiten. Man kann zunächst anhand gewisser Kriterien, die vom Gesetzgeber G festgelegt wurden, die Menge Τ mit Elementen aus M bilden, sodann anhand gewisser Kriterien die Menge R mit Elementen aus T. Man kann aber auch gleich anhand gewisser Kriterien mit Elementen aus M die Menge R bilden.
1. Abstraktes Beispiel In einem Topf befinden sich Kugeln und Würfel verschiedener Farben (blau, gelb, rot). Es sollen nun in einen zweiten Topf die roten und blauen Kugeln gelegt werden. Man kann entweder die roten und blauen Kugeln gleich von dem einen in den anderen Topf legen oder zunächst alle Kugeln in den zweiten Topf legen und dann die gelben Kugeln in den ersten Topf zurücklegen. Alle Kugeln bilden im Beispiel die Menge T, die roten und blauen Kugeln die Menge R. Die Grundmenge M ist die Menge der Elemente im ersten Topf. Die Eigenschaft „nicht gelb sein" ist für eine Kugel eine negative Voraussetzung für die Bewertung R. In diesem Beispiel repräsentieren die Kugeln die Tatbestandsmäßigkeit, die gelben Gegenstände die Rechtfertigung. Die Rechtswidrigkeit wird von den roten und blauen Kugeln repräsentiert. Die Eigenschaft, kugelförmig zu sein, führt dazu, in der ersten Bewertungsstufe in den zweiten Topf gelegt zu werden. Die Eigenschaft, gelb zu sein, führt dazu, in der zweiten Bewertungsstufe wieder in den ersten Topf zurück gelegt zu werden. Der Vorgang kann aber genauso in nur einer einzigen Bewertungsstufe durchgeführt werden. Dann führt die Eigenschaft, rot oder blau zu sein, dazu, in den zweiten Topf gelegt zu werden. Für den Inhalt des zweiten Topfes macht es keinen Unterschied, ob die Bewertung in einer oder zwei Stufen vorgenommen wird.
is Vgl. Kapitel C. IV.
IV. Die Bildung des Begriffs Rechtswidrigkeit
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2. Konsequenzen aus dem Beispiel In diesem Beispiel ist es beliebig, ob man die Bedingung für R so formuliert, daß R die Elemente aus M enthält, die eine rote oder eine blaue Kugel sind, oder so, daß R alle Kugeln aus M, die nicht gelb sind, enthält. Im Strafrecht wäre es für den Gesetzgeber ungleich schwieriger, die Bedingungen für die Bewertung „rechtswidrig" alle positiv zu formulieren, da eine Strafbestimmung so gefaßt werden müßte, daß sie genau die Fälle umfaßt, die jetzt übrigbleiben, wenn man die gerechtfertigten Fälle von den tatbestandsmäßigen bei der jetzigen Formulierung wegnimmt. Das liegt daran, daß die Grundmenge bei der strafrechtlichen Bewertung so groß ist, daß sie sprachlich nicht aufzählbar ist. Abstrakt ist dies aber denkbar. Wie aber das Beispiel zeigt, enthält die Menge R auch bei negativer Formulierung keine anderen Elemente als bei der positiven Formulierung der Bedingungen. Der Begriff Rechtswidrigkeit hat keinen anderen Umfang. Vielmehr zeigt das Beispiel, daß die Formulierung der Rechtfertigungsgründe als Ausnahme zum Tatbestand keine Konsequenzen für den Begriff der Rechtfertigung hat. Man kann im übrigen auch zunächst den Begriff „Tötung eines Lebewesens" bilden, dann den Begriff „Tötung eines Menschen" durch den Ausschluß der Tiere und Pflanzen als Opfer 19 , dann den Begriff „rechtswidrige Tötung" durch Ausschluß der Rechtfertigung. Eine vorherige Bewertung einer Handlung zunächst als Tötung, dann als tatbestandsmäßig, dann als rechtswidrig, ist auch nichts anderes als eine Bewertung eines Gegenstands (ζ. B. einer Rohrzange) als gefährliches Werkzeug, woraus man mit den übrigen Merkmalen der §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 die Bewertung „tatbestandsmäßig" vornehmen kann, usw.
3. Verallgemeinerung des Beispiels Für jeden Gegenstand χ aus M gilt, daß der Begriff R χ entweder enthält oder nicht enthält. Genauso gilt für jede Eigenschaft X und jeden Gegenstande Xj ... x n aus M, daß X! ... x n X entweder erfüllt oder nicht erfüllt. Der Umfang eines Begriffs kann auf verschiedene Arten angegeben werden. Man kann alle Gegenstände χ aufzählen, die in ihm enthalten sind. Man kann auch alle Gegenstände angeben, die nicht in ihm enthalten sind. Schließlich kann man sowohl Gegenstände nennen, die enthalten sind, als auch Gegenstände, die nicht enthalten sind. Logisch macht das keinen Unterschied.
19 § 212' StGB: „Wer ein Lebewesen tötet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren bestraft. Die Tötung einer Pflanze ist nicht rechtswidrig, eines Tieres nur soweit, als das Tierschutzgesetz dies bestimmt. In letzterem Falle ist die Strafe Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis 1 Jahr.". 6 Schmid
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D. Logische Analyse der Bewertung im Strafrecht
4. Vergleich einfacher und komplexer Tatbestände des Besonderen Teils des StGB Bei der Formulierung der Tatbestände des Besonderen Teils des StGB lassen sich Unterschiede in der Art und Weise der Bestimmung des Inhalts des Begriffs der Rechtswidrigkeit erkennen. So bezeichnen vor allem im Bereich der Delikte gegen die Person die Tatbestände überwiegend lediglich die Rechtsgutsverletzung, während beispielsweise im Bereich der Vermögensdelikte die Tatbestände komplexer formuliert sind. Für die Bewertung Tb ist bei § 223 nur die Verletzung von Körper oder Gesundheit erforderlich, während bei § 263 die Rechtsgutsverletzung der Vermögensbeschädigung nicht ausreicht, sondern verschiedene andere Bewertungskriterien zusätzlich erforderlich sind. Man kann nun bei der Bildung des Betrugstatbestandes zunächst alle Vermögensbeschädigungen in eine Hilfsmenge Ηχ aufnehmen, sodann daraus alle, die auf einer Vermögens Verfügung beruhen, in eine Menge H 2 aufnehmen usw., bis die Menge Τ übrigbleibt. Der Gesetzgeber hätte dementsprechend einen allgemeinen Tatbestand der Vermögensbeschädigung formulieren können und dann verschiedene Fälle herausnehmen können, wie er es bei den Delikten gegen die Person mit den Rechtfertigungsgründen gemacht hat. Bei den Eigentumsdelikten hätte er beispielsweise auf das Merkmal „fremd" jeweils verzichten und eine Rechtfertigung für die Fälle einführen können, in denen es sich um die eigene oder eine herrenlose Sache handelt. Auf den Umfang der Menge R, auf die es letztlich ankommt, hat die Methodik des Gesetzgebers keinen Einfluß.
V. Die Extension der Strafbarkeit Entsprechend den vorangestellten Überlegungen kann verallgemeinernd gesagt werden, daß die Bildung einer Menge, die die Elemente enthält, die sanktioniert werden sollen, eine Auswahl aus einer Grundmenge nach bestimmten Kriterien in beliebig vielen Stufen ist. Diese Grundmenge ist eine logische Stufe über der Tatbestandsmäßigkeit. Man könnte sich dies so vorstellen, daß dies ein gedachter übergeordneter Straftatbestand „Alles wird bestraft" ist, der sowohl durch Tatbestandsmerkmale als auch durch Rechtfertigungsgründe eingeschränkt wird. Ein Normensystem, in dem grundsätzlich alles verboten ist, was nicht ausdrücklich als Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot bestimmt ist, ist gar nicht mal so undenkbar, wie es zunächst scheint. Man denke an das Schachspiel, in dem jeder Zug unzulässig ist, der nicht ausdrücklich durch die Spielregeln erlaubt ist. So könnte Art. 2 Abs. 1 GG folgende Fassung haben: „Wer seine Persönlichkeit frei entfaltet, wird für den Rest seines Lebens sicherungshalber verwahrt, sofern und soweit er nicht seine Rechte wahrnimmt oder die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz dieses Verbot einschränken." Damit werden nicht nur wie bei der
V. Die Extension der Strafbarkeit
83
Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen die Rechtfertigungsgründe den Tatbestandsmerkmalen gleichgestellt, sondern auch die Tatbestandsmerkmale den Rechtfertigungsgründen als strafbarkeitsbeschränkende Merkmale. Anhand einer möglichen Welt mit vier möglichen Handlungen A, B, C und D sollen die Überlegungen graphisch verdeutlicht werden: Interpretation {ABCD} {AB}
Alles wird bestraft
{ABC}
{ABD}
{ACD}
{BCD}
{AC}
{AD}
{BC}
{BD}
{A}
{B}
{C}
{DJ
{ }
3 strafbare Handlungen {CD}
2 strafbare Handlungen 1 strafbare Handlung Nichts ist strafbar
In einer möglichen Welt mit 4 möglichen Handlungen gibt es 16 mögliche Strafrechtssysteme20. Wählt der Gesetzgeber die Variante {AC}, so kann er beispielsweise positiv die Eigenschaften von A und C in Strafgesetzen beschreiben, er kann alles bestrafen und Β und D von der Bestrafung ausnehmen oder er kann einen Tatbestand {ACD} festlegen und einen Rechtfertigungsgrund {D}. Zusammenfassend ist festzustellen, daß es logisch keinen Unterschied macht, ob zunächst die Unrechtsvoraussetzungen positiv festgestellt werden und in einer zweiten Stufe gewisse Fälle wieder ausgeschlossen werden oder positive und negative Voraussetzungen in einer Stufe berücksichtigt werden. Es ist damit entgegen der erwähnten These Welzels nicht zwingend der Leitbildtatbestand Gegenstand der Wertung, sondern Objekt der Weitung kann jedes beliebige Element der Gesamtwirklichkeit sein, je nach dem, was man in die Grundmenge aufnimmt. Die logische Analyse hat ergeben, daß die Feststellung des Leitbildtatbestandes nicht logisch zwingend ist. Aus der negativen Formulierung eines Rechtfertigungsgrundes ergibt sich kein Grund, Rechtfertigungsgründe anders zu behandeln als Leitbildtatbestandsmerkmale.
20 Im übrigen gibt es in jeder möglichen Welt mit η möglichen Handlungen 2 n mögliche Strafrechtssysteme, weil es für jede Handlung 2 Möglichkeiten (strafbar und nicht strafbar) gibt, bei 2 Handlungen daher 2x2 Möglichkeiten, bei 3 Handlungen 2x2x2 usw. 6*
E. Sachliche Unterschiede zwischen Tatbestandsmerkmalen und Rechtfertigungsgründen Zum Teil wird gegen die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen eingewendet, es gebe sachliche Gründe für die Einordnung der Rechtswidrigkeit als eigenständige Deliktsstufe.
I. Wertunterschied Welzel stellte als materiellen Grund für die gesonderte Behandlung der Rechtfertigungsgründe den Wertunterschied zwischen tatbestandslosem und tatbestandsmäßigem, aber gerechtfertigten Verhalten heraus. Am plakativen Beispiel, die Tötung einer Mücke sei für die L.v.n.T. rechtlich nichts anderes als die Tötung eines Menschen in Notwehr, glaubte er, die L.v.n.T. ad absurdum geführt zu haben1. Dieser Wertunterschied, den Welzel nicht weiter begründet, weil er wohl das Beispiel für ausreichend plausibel hält, ist aber in der Tat dem Recht nicht zu entnehmen. Denn weder im einen noch im anderen Fall sieht das Recht einen Zwangsakt auf die Vornahme der Handlung vor (es sei denn, die Mücke steht im Eigentum eines anderen). Der Wertunterschied kann also nur außerrechtlichen Maßstäben entnommen werden, etwa der Moral. Solche moralischen Wertunterschiede können aber auch beim Tatbestandsausschluß auftreten. So verursacht ein Verkäufer, der eine andere Person zum teuren Kauf einer wertlosen Sache überredet, bei dieser einen Vermögensschaden. Wenn er weder täuscht, noch die Unerfahrenheit, eine Zwangslage, den Mangel an Urteilsvermögen oder die erhebliche Willensschwäche des anderen ausnutzt, sondern nur seine rhetorischen Fähigkeiten einsetzt, handelt er ebensowenig tatbestandsmäßig wie ein redlicher Verkäufer, obwohl auch hier möglicherweise moralische Wertunterschiede bestehen. Beispiel 13: Herr Cäsar von der Homburg-Mühlheimer verkauft dem Kunden Κ eine Kapitallebensversicherung mit besonderen Auszahlungsmodalitäten. Κ bekommt nicht erst am Ende der Laufzeit von 38 Jahren eine Summe ausgezahlt, sondern bereits nach 12 Jahren einen Teil des Geldes, dann im Abstand von je 6 Jahren weitere, bereits bei Vertragsabschluß dem Κ genannte Summen. Insgesamt muß Κ 300 000 DM ein1 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 81.
I. Wertunterschied
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zahlen, versicherungsmathematisch gesehen erhält er jedoch nur einen Gegenwert von 250000 DM, was wegen der komplizierten Auszahlungsmodalitäten aber nur ein Mathematiker erkennen kann. C hat alle Daten offengelegt, mangels Täuschung liegt kein Betrug vor. Auch Wucher (§ 291) ist nicht einschlägig, weil die bloße Anfälligkeit gegenüber Werbung nicht ausreicht, vielmehr muß die Widerstandskraft wesentlich geringer sein als beim durchschnittlichen am Geschäftsverkehr teilnehmenden Menschen2. Dem Κ entsteht trotzdem ein beträchtlicher Vermögensschaden. Nun liegt es aber nicht fern, daß gewisse Moralvorstellungen 3 dem Handeln des C (der tatbestandslosen Vermögensschädigung) einen negativen moralischen Wert zuordnen. Dennoch legt man dem C keine erhöhte Prüfungspflicht auf. Beispiel 14 (Abwandlung): Κ bleibt skeptisch und läßt sich nur dadurch zu einem Vertragsabschluß überzeugen, daß C hinzufügt, diese Lebensversicherung biete ihm Steuervorteile. Nun sind die Höchstbeträge für Vorsorgeaufwendungen bei Κ aber schon durch die Sozialversicherungsbeiträge vollständig ausgeschöpft, so daß er keine weitere Versicherung mehr steuerlich geltend machen kann. C wußte das nicht, weil er die individuellen Verhältnisse des Κ nicht sorgfältig analysiert hat. Soll aus dem Wertunterschied Mücke / Mensch eine erhöhte Prüfungspflicht bei der Verletzung des Menschen folgen, so müßte das auch für den Verkäufer gelten, der gerade im Begriff ist, vorsätzlich das Vermögen des Kunden zu schädigen, und in diesen Fällen eine erhöhte Prüfungspflicht hinsichtlich der übrigen Tatbestandsmerkmale erforderlich sein. Nun kann man aber in diesen Fällen schwerlich zu einem vermeidbaren Verbotsirrtum kommen, der Wortlaut des § 16 führt eindeutig zu einem Vorsatzausschluß, weil die Täuschung ein positiver Umstand des Betrugstatbestandes ist. Sachlich gesehen liegt aber sowohl bei der Schädigung des Vermögens wie auch bei der Schädigung des Lebens eine Rechtsgutsverletzung vor, nur daß bei den Vermögensdelikten die Strafbarkeitsbeschränkung durch zusätzliche positive Merkmale, bei den Tötungsdelikten mit den Rechtfertigungsgründen durch zusätzliche negative Merkmale vorgenommen wird. Ein Wertunterschied kann damit auch zwischen der Verwirklichung eines Teils des Leitbildtatbestandes und der Erfüllung keines Tatbestandsmerkmals vorliegen. Eine diesbezügliche Differenzierung nur deswegen, weil der Gesetzgeber teilweise den Strafbarkeitsausschluß auf negative Weise stattfinden läßt, ist sachlich nicht gerechtfertigt.
2 Stree, Schönke / Schröder, § 302a Rn 27. 3 Bis in die frühe Neuzeit war nach einheitlicher Auffassung Handel nur dann ethisch gerechtfertigt, wenn Leistung und Gegenleistung im Wert übereinstimmen.
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E. Sachliche Unterschiede
II. Soziale Auffälligkeit Jakobs begründet den materiellen Unterschied zwischen Leitbildtatbestand und Rechtfertigung mit der sozialen Erheblichkeit der Tatbestandsmäßigkeit. Das Töten eines Menschen in Notwehr sei zwar kein Unrecht, die soziale Auffälligkeit zeige sich aber daran, daß das Verhalten mit der Notwehr, einem Handlungskontext, umklammert werden müsse, um tolerierbar zu werden4. Die Rechtfertigung könne aber die soziale Auffälligkeit der Tatbestandsmäßigkeit nicht beseitigen5. Daher sei der Tatbestand eine unabhängig von der Rechtfertigungslage bestehende soziale Sinneinheit6. Ein Handlungskontext sei bei einem tatbestandslosen Verhalten gar nicht erforderlich 7. Darin bestehe auch ein Unterschied zu echten negativen Tatbestandsmerkmalen. Beispielsweise mache der fehlende Wille des Gewahrsams- oder Hausrechtsinhabers einen Diebstahl oder Hausfriedensbruch erst sozial auffällig 8. Der Wille erzeuge im Gegensatz zu den Rechtfertigungsgründen nicht erst einen Zusammenhang, in dem das Geschehen trotz sozialer Auffälligkeit sozial tolerierbar wird, sondern hindere die soziale Auffälligkeit 9. Daraus folgert Jakobs, daß, obwohl die strafrechtlichen Folgen, NichtVorliegen von Unrecht, bei tatbestandslosem und gerechtfertigtem Verhalten gleich sind, die rechtlichen Begründungen hierfür unterschiedlich sind 10 . Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen richte den Blick zu sehr einseitig auf die Folge und vernachlässige den Begründungsgang11. Jakobs sieht einen rechtlichen Unterschied zwischen Tatbestandslosigkeit und Rechtfertigung in der unterschiedlichen sozialen Auffälligkeit der Verhaltensweisen. Es ist jedoch sowohl der Unterschied in der sozialen Auffälligkeit als auch die rechtliche Bedeutung unterschiedlicher sozialer Auffälligkeiten zweifelhaft. Es besteht keine analytische Beziehung zwischen sozialen und rechtlichen Phänomenen. Vielmehr sind soziales System und rechtliches System voneinander unabhängig. Soziale Phänomene erlangen ihren Rechtscharakter nur dadurch, daß irgendein Akt der Rechtserzeugung diesen Phänomenen rechtliche Bedeutung beimißt. Es stellt sich damit die Frage, ob das Recht einen Mechanismus enthält, etwas als sozial erheblich Erkanntes rechtsförmig, hier sogar strafrechtsförmig werden zu lassen.
4 Jakobs, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 158. 5 Jakobs, S. 158. 6 Jakobs, S. 158. 7 Jakobs, S. 158. 8
Jakobs, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 157. 9 Jakobs, S. 157. 10 Jakobs, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 159. h Jakobs, S. 159.
III. Deliktstypus
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Diese Frage ist letztlich zu verneinen. So wenig wie moralische Wertunterschiede einen sachlichen Unterschied zwischen Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit zu begründen vermögen, so wenig können dies auch Unterschiede in der sozialen Relevanz. Die Argumentation von Jakobs unterscheidet sich nämlich nur wenig von Welzeis Argumentation. Denn auch das Mücke-Argument zielt auf die wesentlich größere soziale Auffälligkeit der Tötung eines Menschen gegenüber der Tötung eines Insekts ab. Der Unterschied besteht nur darin, daß Welzel zunächst die soziale Auffälligkeit in moralische Kategorien transformiert, dann die moralischen in rechtliche. Bei der Frage, ob auf ein Verhalten ein Zwangsakt folgen soll, kommt es natürlich auf die soziale Erheblichkeit des Verhaltens an. Das ist jedoch eine Erwägung, die nicht dem Rechtsanwender, sondern dem Rechtssetzer obliegt. Bei der Rechtsanwendung ist die Entscheidung bereits durch das Recht vorgegeben. Recht und Gesellschaft sind getrennt zu betrachten. Es gibt in beiden Systemen je zwei Arten von Verhaltensweisen. So gibt es sozial erhebliche und sozial unerhebliche sowie rechtlich erhebliche (d. h. mit Zwangsakt versehene) und rechtlich unerhebliche Verhaltensweisen. Der Gesetzgeber wird vernünftigerweise die rechtlich erheblichen nur aus den sozial erheblichen Verhaltensweisen auswählen. Tatbestandsmäßige, aber gerechtfertigte Verhaltensweisen sind sozial auffällig, soweit ist Jakobs zuzustimmen, das beruht aber letztlich auf dem eben angeführten Kriterium für vernünftiges Verhalten des Gesetzgebers. Jakobs ist zudem der Ansicht, tatbestandsloses Verhalten sei generell sozial nicht auffällig. Dem ist zu widersprechen. Es sei hierzu auf das bereits zu Welzeis Ansicht angeführte Beispiel des Verkäufers (Beispiel 13) verwiesen. Zusammenfassend ist zu sagen, daß die von Jakobs angeführten Unterschiede zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit sozialwissenschaftlicher, nicht rechtswissenschaftlicher Natur sind und somit im Rahmen der Rechtslehre nicht anerkannt werden können.
I I I . Deliktstypus Soweit die Begründung des Deliktstypus als charakteristisch für den Leitbildtatbestand angesehen wird 1 2 , indem der Tatbestand das Verbrechen dadurch individualisiere, daß er diejenigen Merkmale umfasse, die die jeweilige Verbrechensart kennzeichnen13, ist zunächst unklar, welche Merkmale als deliktstypisch angesehen werden können. Der Lehre vom Leitbildtatbestand ist zuzugestehen, daß eine gerechtfertigte Tötung eine Tötung ist, der Deliktstypus also bestehen bleibt. Töten 12
Vgl. ζ. B. Beling, Die Lehre vom Tatbestand, S. 1 ff.; Lenckner, Schönke/Schröder. Strafgesetzbuch: Kommentar, vor § 13 Rn 45; Gallas, Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen, ZStW 67 (1955), S. 16 f.; dazu auch Hassemer, Tatbestand als Typus. 13 Gallas, ZStW 67, S. 16.
E. Sachliche Unterschiede
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in Notwehr höre zwar auf, verbotenes Töten zu sein, nicht aber, Töten zu sein 14 . Fraglich ist jedoch, ob nicht auch das Töten einer Mücke als Töten bezeichnet werden kann. Dabei wird man kaum bestreiten können, daß das Angriffsobjekt Mensch geradezu konstituierend für den Tatbestand des Totschlags ist. Die Begründung des Deliktstypus rechtfertigt für sich genommen nicht die eigenständige Behandlung des Tatbestands. Denn der Typus des Tatbestands ist nicht anderes als der Begriff des Tatbestands. So ist die Tötung ebenso ein Typus einer Handlung wie die Täuschung, die Verteidigung usw. Für sich genommen jeweils ohne strafrechtliche Relevanz, erlangen sie durch Hinzukommen verschiedener anderer Vorgänge juristischen Sinn. Kommt beim Typus der Tötungshandlungen das Fehlen der Rechtfertigungsgründe hinzu, sind die Handlungen rechtswidrig. Kommen zum Typus der Täuschungshandlungen Irrtum, Vermögensverfügung und Vermögensschaden hinzu und fehlen Rechtfertigungsgründe, ist es ebenso. Genauso kann man Typen von Gegenständen bilden, wie die gefährlichen Werkzeuge, die Gebäude, die Menschen usw. Eine eigenständige Funktion ergibt sich durch Typenbildung nicht, so auch nicht beim Tatbestand.
IV. Verbotsmaterie Die Verbotsmaterie wird nicht, wie vereinzelt angenommen wird 1 5 , durch den Tatbestand festgelegt, sondern durch die Rechtswidrigkeit. Das folgt aus der Sanktionstheorie der Rechtsnorm. Verboten sind diejenigen Handlungen, die mit einem staatlichen Zwangsakt versehen sind. Die Verbotsmaterie wird also durch die Voraussetzungen für die Verhängung eines Zwangsakts festgelegt. Es gibt keinen Zwangsakt, der an die Tatbestandserfüllung anknüpft, wenn die Tat gerechtfertigt ist. Erst bei rechtswidrigen Taten werden Sanktionen verhängt (Maßregeln). Daher wird die Verbotsmaterie nicht durch den Tatbestand, sondern durch die Rechtswidrigkeit umschrieben.
V. Duldungspflicht Zum Teil wird angeführt, im Falle der Rechtfertigung sei der Geschädigte zur Duldung der Handlung verpflichtet 16. Diese Duldungspflicht lasse sich nur aus dem selbständigen Charakter der Erlaubnisnormen herleiten 17. 14 Gallas, ZStW 67, S. 28. 15
Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 49 ff.; Welzel, Aktuelle Strafrechtsprobleme im Rahmen der finalen Handlungslehre, S. 13 f. 16 Lenckner, Schönke/Schröder. Strafgesetzbuch: Kommentar, vor § 13 Rn 45; Wessels! Beulke, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 40; Wolter, Personale und objektive Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Strafrechtssystem, S. 143 ff. 17 Wessels ! Beulke, S. 40.
V. Duldungspflicht
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Nach Kelsens Normbegriff gibt es nur Voraussetzungen für Sanktionen. Die Duldungspflicht für den Angreifer bei der Notwehr beispielsweise würde bedeuten, daß dieser sanktioniert wird, wenn er die Verletzung seines Rechtsguts nicht duldet. Das ist unter Umständen durchaus der Fall, hat aber dann andere Ursachen. Denn die Verweigerung der Duldung kann nur bedeuten, daß er seinerseits Rechtsgüter des Verteidigers verletzt. Dann ist zu prüfen, ob er selbst eine Norm verletzt. Kommt man zu dem Ergebnis, daß dies der Fall ist, so wird er sanktioniert. Die Duldungspflicht ergibt sich somit nicht aus der Erlaubnis des Verteidigers, sondern kann sich nur aus einer anderen Sanktionsnorm ergeben. Hierbei kann die Erlaubnis des Verteidigers allenfalls die Funktion haben, dem Angreifer die Rechtfertigung zu versagen. Das ist aber keine selbständige Funktion der Erlaubnis, sondern nur wiederum eine Voraussetzung für ein anderes Verbot. Eine Duldungspflicht würde nun voraussetzen, daß über den Angreifer eine Sanktion verhängt wird, wenn er den Eingriff in seine Rechtsgüter nicht duldet. Das ist aber nicht der Fall. Nur die Möglichkeiten der Abwehr des Eingriffs sind beschränkt; ein Eingriff in Rechtsgüter des Verteidigers steht nicht zur Verfügung. Alle anderen Möglichkeiten der Vermeidung des Eingriffs des Verteidigers stehen dem Angreifer weiterhin zur Verfügung. Daher kann nicht von einer Duldungspflicht des Angreifers gesprochen werden. Beispiel 15: A will dem Β die Tasche entreißen. Β hält diese geistesgegenwärtig fest und holt zur Verteidigung seines Eigentums zu einem gezielten Fausthieb aus. Variante 1: A wehrt den Fausthieb ab und schlägt Β, um einem weiteren Fausthieb vorzubeugen. Variante 2: A duckt sich und läuft davon. In allen Varianten hat sich A zunächst wegen versuchten Raubes strafbar gemacht, ein Rücktritt kommt wegen des Fehlschlags nicht in Betracht. In Variante 1 macht sich A wegen Körperverletzung (§ 223) strafbar, denn sein Fausthieb ist nicht nach § 32 gerechtfertigt, da der Angriff des B, dessen beabsichtigter Fausthieb, nach § 32 StGB gerechtfertigt und damit nicht rechtswidrig ist. Nicht eine durch den vorherigen Angriff entstehende Duldungspflicht, sondern die darüber hinaus gehende weitere Beeinträchtigung der Rechtsgüter des Β ist der Grund für die Strafbarkeit des A. In Variante 2 hat A über den versuchten Raub hinaus kein weiteres Rechtsgut des Β beeinträchtigt, es gibt daher kein Delikt zu prüfen. Die Rechtsordnung billigt das Ducken des A. Eine Pflicht, den Hieb des Β über sich ergehen zu lassen, hat A nicht.
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E. Sachliche Unterschiede
VI. Erforderlichkeitskriterium Armin Kaufmann sieht als Charakteristikum der Rechtfertigungsgründe die Erforderlichkeit der Rechtfertigungshandlung, die bei jedem Rechtfertigungsgrund notwendig sei, an 18 . Die Erforderlichkeit sei ein generelles Strukturprinzip der Rechtfertigungsgründe 19. Erforderlich ist eine Handlung nur, wenn sie das mildeste Mittel ist. Für die Bestimmung des mildesten Mittels sei eine Wertabwägung vorzunehmen. Der Leitbildtatbestand sei hierbei als logisch erste Stufe zwingend erforderlich. Denn zur Feststellung des Unrechtstatbestandes mit dem geringsten Unwert sei dessen rechtliche Relevanz notwendig. Diese liefert der Leitbildtatbestand als Leitbild zur Wertabwägung. Hat ein Pistolenschütze drei Möglichkeiten: Tötung, Verletzung, Zerstörung der Waffe, so sei das mildeste Mittel die Zerstörung der Waffe, weil die Sachbeschädigung das Delikt mit der geringsten Strafdrohung ist 20 . Wären die Rechtfertigungsgründe logisch gleichrangig, so hätte man kein rechtsinternes Leitbild zur Abwägung 21. Den Unrechtstatbeständen der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen könne man keinen Wertmaßstab entnehmen, weil diese ihrerseits das NichtVorliegen eines Rechtfertigungsgrundes voraussetzen22. Sonst käme ein Zirkel zustande, weil bei der Ermittlung des Wertmaßstabes für die Erforderlichkeitsprüfung wiederum nach der Erforderlichkeit gefragt werden müßte23. Wandelt man Armin Kaufmanns Beispiel etwas ab, käme man zu einem unplausiblen Ergebnis. Hat man drei Möglichkeiten zur Abwendung des Angriffs: Tötung, Verletzung, gewaltsame Wegnahme der Waffe (in der Absicht, zur Vermeidung künftiger weiterer Angriffe die Waffe zu behalten), so wäre das mildeste Mittel die Verletzung. Denn bekanntlich enthält § 223 eine geringere Strafdrohung als § 249. Die Tatbestände des Besonderen Teils des StGB sind als Leitbild zur Wertabwägung im Rahmen der Rechtfertigung nur eingeschränkt verwendbar. Denn teilweise liegen den Strafdrohungen nicht nur sich am Wert der Rechtsgüter orientierende Erwägungen, sondern, wie gerade beim Raub, die Strafdrohung erhöhende Präventionserwägungen zugrunde. Natürlich muß ein rechtsinterner Maßstab für die Rechtsgüterabwägung gefunden werden. Dieser kann sich aber nicht ausschließlich aus den Tatbeständen ergeben. Die Tatbestände sind dahingehend zu untersuchen, inwieweit das reine Gewicht des Rechtsguts die Strafdrohung bestimmt und inwieweit wertfremde Erwägungen Ein18 Kaufmann, Armin, Tatbestandseinschränkung und Rechtfertigung, JZ 1955, S. 40 f.; Kaufmann, Armin, Lebendiges und Totes in Bindings Normentheorie, S. 254 ff. 19 Kaufmann, Armin, Lebendiges und Totes in Bindings Normentheorie, S. 254. 20 Kaufmann, Armin, Tatbestandseinschränkung und Rechtfertigung, JZ 1955, S. 40. Kaufmann, Armin, JZ 1955, S. 40. 22 Kaufmann, Armin, JZ 1955, S. 40. 2 3 Kaufmann, Armin, JZ 1955, S. 40.
VII. Freiheitserweiterung
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fluß genommen haben. Eine solche Rechtsgutsbewertung kann aber auch unabhängig von einer konkreten Tatbestandsprüfung erfolgen 24. Darüber hinaus ergibt sich die Wertschätzung eines Rechtsguts natürlich auch aus der Verfassung. Eine solche Vorbewertung auch unter Berücksichtigung der beim konkreten Tatbestand zu prüfenden Merkmale zur Ausfüllung eines auslegungsbedürftigen Begriffs ist im übrigen kein Unikum der Rechtfertigungsgründe. So fällt nach Auffassung der Rechtsprechung25 der Teilnehmer nicht unter den Schutzbereich des § 315c. Bei der Prüfung des menschlichen Gefährdungsobjekts muß also festgestellt werden, ob dies an der Tat beteiligt ist, was eigentlich ohne die Tat selbst nicht möglich ist. Beispiel 16: Nach einer Zechtour fährt der völlig betrunkene A den B, der ihn zur Fahrt ermuntert hat, nach Hause. Alkoholbedingt kam A ins Schleudern und wäre bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h beinahe von der Straße abgekommen. Als einziges Gefährdungsobjekt für A kommt Β in Betracht. Nun ist Β aber nach der Rechtsprechung nur dann ein „anderer" im Sinne des § 315c, wenn er kein Teilnehmer ist. Teilnehmer kann er aber eigentlich nur sein, wenn es eine Haupttat gibt. Die Prüfung der Teilnahme setzt die Haupttat voraus, die Prüfung der Haupttat die vorherige Teilnahme. Dem logischen Dilemma kann nur ausgewichen werden, wenn man eine Vorbewertung des Beitrags des Β am Gesamtgeschehen vornimmt. Die Vorbewertung ist natürlich anhand der rechtsinternen Kriterien (Hervorrufen des Entschlusses zur Fahrt bzw. psychische Förderung der Fahrt) vorzunehmen. So kann man feststellen, ob der A grundsätzlich an der Fahrt beteiligt ist oder nicht und je nachdem den Tatbestand des § 315c bejahen oder verneinen. Die Beteiligung an der Fahrt ist dann negative Voraussetzung des Rechtsbegriffs „anderer" in § 315c. Genauso wie also die Auslegung des Begriffs „anderer" in § 315c nach rechtsinternen Kriterien erfolgt, kann auch der Begriff „Erforderlichkeit" als zu den übrigen Tatbestandsmerkmalen logisch gleichrangige Voraussetzung ausgelegt werden, ohne in ein logisches Dilemma zu verfallen oder auf rechtsexterne Bewertungsmaßstäbe zurückgreifen zu müssen. Damit führt das Erforderlichkeitskriterium nicht zu einer logisch vorrangigen Behandlung des Leitbildtatbestandes.
VII. Freiheitserweiterung Hoyer vertritt die These, ein materieller Grund für die eigenständige Behandlung der Rechtfertigungsgründe sei deren freiheitserweiternder Charakter 26. 24 Vgl. Jakobs, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 158 Fn 125. 25 Ζ. B. BGH v. 16. 1. 1958, BGHSt 11, S. 199 ff. 26 Hoyer, Strafrechtsdogmatik nach Armin Kaufmann, S. 299 ff.
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E. Sachliche Unterschiede
Während die Tatbestandsmerkmale freiheitsbeschränkend wirken, erweitern die Rechtfertigungsgründe die Handlungsmöglichkeiten des Täters. Das Nichtvorliegen eines Tatbestandsmerkmals führe zu einer Umkehrung der durch die Norm statuierten Präferenzrelation, ein Rechtfertigungsgrund führe zur ersatzlosen Elimination der Präferenzrelation 27. Rechtfertigendes Verhalten kann gegenüber rechtsgutsschonenderen Verhaltensalternativen bevorzugt werden, muß aber nicht 28 . Der Täter kann sich nämlich entscheiden, ob er den Rechtfertigungsgrund in Anspruch nimmt oder nicht. Tatbestandsloses Verhalten müsse im Kollisionsfall zur Vermeidung von Strafe gegenüber rechtswidrigem Verhalten vorgezogen werden, nimmt der Täter einen Rechtfertigungsgrund nicht in Anspruch, bleibe er dennoch straflos 29. Tatbestandsmerkmale erweitern aber ebenso wie Rechtfertigungsgründe die Handlungsmöglichkeiten des Täter, nur in negativer Weise. So wie das Vorliegen von Tatbestandsmerkmalen die Freiheit beschränkt und das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes diese Freiheitsbeschränkung einschränkt, damit die Freiheit erweitert, erweitert das NichtVorliegen eines Tatbestandsmerkmals genauso die Freiheit, wie das NichtVorliegen eines Rechtfertigungsgrundes die Freiheit beschränkt. Auch bei NichtVorliegen eines Tatbestandsmerkmales hat der Täter zwei Möglichkeiten: Er kann den Rest des Tatbestandes erfüllen oder gänzlich darauf verzichten. Wenn das Objekt, das A vor sich hat, eine Mücke und kein Mensch ist, kann A das Objekt entweder töten oder darauf verzichten. Das NichtVorliegen des Merkmals „Mensch" erweitert also die Freiheit des A. Wer sich an einem Unfallort befindet, hat Feststellungen zu seiner Person zu ermöglichen, wenn er Unfallbeteiligter ist. Ist er das nicht, hat er zwei Handlungsmöglichkeiten. Er kann sich dennoch als Zeuge zur Verfügung stellen oder einfach so den Unfallort verlassen. Tatbestandsmerkmale sind in gleichem Umfang freiheitserweiternd wie Rechtfertigungsgründe, nur daß es für die Freiheitserweiterung (umgekehrt zur Freiheitsbeschränkung) auf das NichtVorliegen der Tatbestandsmerkmale ankommt, so wie es für die Freiheitsbeschränkung auf das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale und das Nichtvorliegen der Rechtfertigungsgründe ankommt. Eine freiheitserweiternde Funktion ist daher kein sachlicher Grund, Rechtfertigungsgründe anders zu behandeln.
V I I I . Prinzipien der Rechtfertigung Es wird vielfach vertreten, den Rechtfertigungsgründen lägen einheitliche Prinzipien, beispielsweise Rechtsbewährung und Interessenabwägung, zugrunde 30. Fraglich ist daher, ob solche Prinzipien eine eigenständige Behandlung der Recht27
Hoyer, Strafrechtsdogmatik nach Armin Kaufmann, S. 151 und 301 f. Hoyer, Strafrechtsdogmatik nach Armin Kaufmann, S. 137 f. 29 Hoyer, Strafrechtsdogmatik nach Armin Kaufmann, S. 302. 30 Dazu Renzikowski, Notstand und Notwehr, S. 33 ff. und 76 ff.
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VIII. Prinzipien der Rechtfertigung
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fertigungsgründe erforderlich machen. Dem ist entgegenzuhalten, daß Prinzipien der Rechtfertigung allenfalls Motiv für den Gesetzgeber sein können, einen Rechtfertigungsgrund zu normieren. Die logische Form der Abfassung der Rechtfertigungsgründe gibt keine solchen Prinzipien wieder, zumal es bislang nicht gelungen ist, Rechtfertigungsgründe auf ein einheitliches Prinzip zurückzuführen. Als zentrale Prinzipien werden vielfach die Interessenabwägung31 und die Rechtsbewährung32 angegeben. Das Bestehen dieser Prinzipien ist jedoch an sich schon zweifelhaft. Es gibt beispielsweise gar keinen Rechtfertigungsgrund, der strikt auf Interessenabwägung beruht. Wie die Tatbestände sind nämlich auch die Rechtfertigungsgründe vom Rechtsgüterschutz geprägt. Keineswegs kann die Wahrnehmung eines überwiegenden Interesses einen Rechtsgutseingriff rechtfertigen. Dieses überwiegende Interesse muß zum einen regelmäßig selbst ein Rechtsgut sein, zum anderen muß es wesentlich überwiegen (so § 34). Eine Interessenabwägung alleine reicht nicht zur Rechtfertigung aus. Beispiel 17: Während sich Β im Urlaub befindet, Haus des Β ein und übernachtet dort.
steigt der Obdachlose A in das
Würde die Rechtfertigung auf einem Interessenabwägungsprinzip beruhen, so müßte der Hausfriedensbruch des A gerechtfertigt sein. Denn A hat ein großes Interesse an einem Dach über dem Kopf, Β braucht sein Haus während seiner Urlaubsreise nicht, hat also kein Interesse an einem Fernbleiben des A. Dennoch bietet das Gesetz dem A keinen Rechtfertigungsgrund, weil sein Interesse an einer Schlafgelegenheit keine rechtlich geschützte Position wie das Eigentum des Β an seinem Haus ist. Den Rechtfertigungsgründen liegt also wie den Tatbeständen das Prinzip des Rechtsgüterschutzes zugrunde. Im übrigen liegt auch jeder Tatbestandsfassung eine Interessenabwägung zugrunde. So ist das Verbreiten von Pornographie nur pönalisiert, weil das Interesse der Jugend an einer unbeeinflußten sexuellen Entwicklung höher als das Konsumenteninteresse bewertet wird, die Tötung, weil das Lebensinteresse höher bewertet wird als das Interesse, eine Person loszuwerden. Beim furtum usus sieht man grundsätzlich das Interesse des unberechtigten Nutzers als gleichwertig an, nur bei Fahrrädern und Kraftfahrzeugen überwiegt wiederum das Eigentümerinteresse (§ 248b). Ob der Gesetzgeber ein solches Interessenabwägungsergebnis in positive oder negative Tatbestandsumschreibungen faßt, macht sachlich keinen Unterschied. Besonders kann diese Unterschiedslosigkeit nochmals am Beispiel des § 218a verdeutlicht werden. Der jetzige Tatbestandsausschluß für den beratenen, fristgerechten Schwangerschaftsabbruch führt nicht etwa dazu, daß nun die Schutzwürdigkeit des Ungeborenen gänzlich verneint wird, während der vorherigen für verfassungswidrig erklärten Rechtfertigung eine Abwägung zwischen den Interessen 31 32
Lenckner, Schönke / Schröder. Strafgesetzbuch: Kommentar, vor § 32 Rn 7. Ζ. B. Schmidhäuser, Die Begründung der Notwehr, GA 1991, S. 101.
94
E. Sachliche Unterschiede
der Schwangeren und des Neugeborenen zugrundelag. Die Verneinung der Schutzwürdigkeit des Ungeborenen wäre nämlich nach der BVerfG-Rechtsprechung zu diesem Thema evident verfassungswidrig. Vielmehr erfolgt natürlich auch der Tatbestandsausschluß nur deswegen, weil der Gesetzgeber die Interessen der Frauen, die sich trotz Beratung dennoch zu einem Abbruch entschließen, innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate höher bewertet als das Lebensinteresse des Embryos. Gleiches gilt übrigens auch für ein anderes erwogenes Rechtfertigungsprinzip, die Rechtsbewährung, das beispielsweise der Notwehr und dem Festnahmerecht zugrundeliegen soll. Auch viele Tatbestände dienen der Bewährung des Rechts, so z. B. §§ 111 -121, 153-163, 257-261, um nur einige zu nennen. So sind Hehlerei und Geldwäsche beispielsweise keine gewöhnlichen Vermögensdelikte, denn die Mißachtung der Vermögensinteressen anderer wird bereits durch die Bestrafung der Vortat gesühnt. Zu vergelten ist allenfalls noch der Verstoß gegen die objektive Eigentums- und Vermögenszuordnung. Würden die Rechtspflegedelikte die Interessen der Prozeßbeteiligten schützen, so wäre eine Bestrafung in den Fällen systemwidrig, in denen das Interesse, das Gegenstand des Prozesses ist, nicht strafrechtlich geschützt ist. Also kann nur die Rechtsordnung als solche geschützt sein. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß Prinzipien der Rechtfertigung keinen sachlichen Unterschied zwischen Tatbestand und Rechtfertigung begründen können, denn sofern man Rechtfertigungsgründe überhaupt auf einheitliche Prinzipien zurückführen kann, liegen diese auch den Tatbeständen zugrunde.
IX. Wortlaut der §§ 32,34 Der Wortlaut der §§ 32, § 34 wird als weiteres Argument gegen die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen angesehen33. Nach beiden Paragraphen ist die Tat unter bestimmten Voraussetzungen nicht rechtswidrig. Das setze aber den Tatbestand voraus. In der Tat wäre es logisch zwingend, Tatbestandserfüllung und Rechtfertigung zu trennen, wenn mit dem Begriff der Tat die Tatbestandserfüllung gemeint wäre. Dagegen ist anzuführen, daß mit Tat nicht der gesetzliche Tatbestand, sondern das außenweltliche Geschehen bezeichnet wird. Die §§32 und 34 sind also nicht folgendermaßen zu lesen: „Die Tatbestandserfüllung ist nicht rechtswidrig, wenn ...", sondern so: „Das Geschehen ist nicht rechtswidrig, wenn ...". Als anschauliches Beispiel hierfür kann § 218a angeführt werden. Es heißt „Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn ... die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt...". Man kann nun auch nicht sagen, daß diese Formulierung die Tatbestandsmäßigkeit voraussetzt, also mit Schwangerschaftsabbruch 33
Dreher, Der Irrtum über Rechtfertigungsgründe, Heinitz-Festschrift, S. 220.
X. Ergebnis
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die Erfüllung des § 218 gemeint ist, sonst müßte § 218a so verstanden werden: „Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn die Schwangere die Verwirklichung des Tatbestands des § 218 verlangt...". Dieser Satz wäre nämlich logisch unzulässig, weil er die Verwirklichung des Tatbestandes zur Voraussetzung der NichtVerwirklichung machen würde. Also kann mit Schwangerschaftsabbruch nur das außen weltliche Geschehen und nicht die Verwirklichung des § 218 gemeint sein. So ist in den §§32 und 34 mit „Tat" ein Geschehen gemeint, das als „nicht rechtswidrig" bewertet wird, unabhängig davon, ob vorher eine Bewertung „tatbestandsmäßig" vorausgegangen ist oder nicht.
X. Ergebnis Es gibt keinen sachlichen Grund für die unterschiedliche Behandlung der Rechtfertigungsgründe gegenüber den Tatbestandsmerkmalen.
F. Gesamtergebnis I. Konsequenzen der Sanktionstheorie der Rechtsnorm Rechtfertigung und Erlaubnis sind Kriterien für die Beurteilung, ob über eine Person eine Sanktion verhängt werden soll. Da es keine von der Sanktion unabhängige Pflicht gibt, sind sie nur Auswahlkriterien für die konkrete Sanktion im jeweiligen Rechtsgebiet. Dabei beschränkt jedes zusätzliche Merkmal die Möglichkeit der Sanktionierung. Es ist dabei unbeachtlich, ob ein Merkmal negativ oder positiv formuliert ist, da die Menge, die man nach Anwendung aller Kriterien erhält, so oder so denselben Umfang hat. Stellt man nun fest, daß wegen eines Rechtfertigungsgrundes in einem Rechtsgebiet eine Sanktion nicht verhängt werden kann, so hat dies keine Bedeutung für ein anderes Rechtsgebiet, wenn das andere Rechtsgebiet nicht auch das Nichtvorliegen dieses Grundes als Voraussetzung für eine Sanktion fordert. Dies kann ausdrücklich, durch Auslegung oder auch durch Rechtsfortbildung geschehen. Denn eine solche übergreifende Wirkung eines Erlaubnissatzes könnte nur daraus hergeleitet werden, daß die Erlaubnis eine selbständige Funktion im Rahmen der Rechtsordnung einnimmt, die von der Sanktionsnorm unabhängig ist. Diese Funktion ist nur bei einer bereits oben abgelehnten Rechtskonzeption denkbar, die zunächst festlegt, was verboten und erlaubt ist, dann erst an die Verbote Sanktionen knüpft. Eine Festlegung „erlaubt" könnte dann alle Sanktionen der Rechtsordnung für dieses Verhalten ausschließen. Wie aber bereits ausgeführt, ist unklar, nach welchen Kriterien diese Festlegung erfolgen soll, wenn nicht danach, ob der Staat im Falle eines bestimmten Verhaltens Zwangsmaßnahmen einleitet oder nicht, sofern man nicht das Recht mit anderen Bewertungskriterien (Moral, Religion, Sozialwissenschaften usw.) vermischen will. Daher schließt jeder Erlaubnissatz nur genau die Sanktion aus, auf die er sich bezieht und hat keine übergreifende Wirkung für die gesamte Rechtsordnung. Die strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe schließen das Strafen aus, die verwaltungsrechtliche Genehmigung die Möglichkeit der Verwaltung, Bußgelder zu erheben bzw. Vorhaben mit Zwangsmitteln zu unterbinden usw. Die verwaltungsrechtliche Genehmigung schließt die Möglichkeiten des S traf ens jedoch nur aus, wenn sich das Strafgesetz auf eine solche Genehmigung bezieht, wie beispielsweise bei den Umweltdelikten. Das Handeln kann jedoch auch dann noch nach anderen Strafnormen, beispielsweise Eigentums- oder Körperverletzungsdelikten, mit Sanktionen belegt werden. Im übrigen ist es dabei nicht zwingend, daß man im
II. Konsequenzen der logischen Analyse
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Strafrecht einen Begriff wie „unbefugt" im selben Sinne wie das Verwaltungsrecht auslegt. Lediglich eine Deutung des Begriffs, die vom Wortlaut nicht mehr umfaßt ist, ist im Strafrecht unzulässig (Art. 103 II GG). Die Ablehnung eines als Voraussetzung für die Sanktionsnorm vorhergehenden Verbots führt dazu, daß in der DDR das Töten dann verboten war, wenn das Töten mit einer Sanktion belegt wurde, d. h. wenn ein staatlich verhängter Nachteil zu erwarten war. Die Grenzsoldaten, die Flüchtlinge an der Grenze erschossen haben, wurden für ihr staatstreues Verhalten belohnt1, nicht bestraft. Sie hatten keinerlei Nachteil zu befürchten, es bestand kein Bestrafungsrisiko. Für sie war Töten in diesen Fällen schon deswegen nicht verboten, weil die Sanktionierung nach der DDRRechtsordnung ausgeschlossen war. Eine „menschenrechtsfreundliche Auslegung" ist daher nicht möglich, weil eine Norm, die in der Rechtsordnung faktisch gar nicht existiert, auch nicht ausgelegt werden kann.
II. Konsequenzen der logischen Analyse Das Problem der Bestrafung der Mauerschützen durch Beseitigung des § 27 DDR-Grenzgesetz stellt sich jetzt in anderer Weise. Man muß sich den Fall vorstellen, daß einzelne Tatbestandsmerkmale für menschenrechtswidrig erklärt werden, beispielsweise Täuschung, Irrtum und Vermögensverfügung beim Betrug. Dann fallen nach o. g. Konstruktion Auswahlkriterien weg. Würde man die übrigen Tatbestandsmerkmale, Vermögensschaden und Bereicherungsabsicht alleine anwenden, so weitet sich die Strafbarkeit auf vom Gesetzgeber nicht gewünschte Fälle aus, nämlich auch auf den geschickten Verkäufer. Nichts anderes wird aber gemacht, wenn man einen Rechtfertigungsgrund beseitigt und den allgemeinen Tötungstatbestand aufleben läßt. Es wird dann auch die Strafbarkeit auf Fälle ausgeweitet, die der Gesetzgeber nicht als strafbar normiert hat. Auch bei der Beseitigung eines Rechtfertigungsgrundes weitet sich die Strafbarkeit auf vom Gesetzgeber nicht gewünschte Fälle aus, weil der Einzelfall nicht in der Menge R bei Anwendung aller vom Gesetzgeber für R aufgestellten Auswahlbedingungen enthalten war. Denn der durch die verbleibenden Merkmale gebildete Begriff wäre ein anderer als R, nennen wir ihn R \ R' erfüllt aber nicht die Kriterien von Art. 103 II GG, da zur Zeit der Tat dieser Begriff als Sanktionsverhängungsvoraussetzung nicht in der Rechtsordnung enthalten war, kann also keine Sanktion legitimieren. Man müßte neben der Anwendung der Radbruchschen Formel zusätzlich von strafbegründendem Naturrecht ausgehen2.
1
Buchner, Die Rechtswidrigkeit der Taten von Mauerschützen im Lichte von Art. 103 II GG unter besonderer Berücksichtigung des Völkerrechts, S. 80. 2 Hoyer, Besprechung Hirsch, Rechtsstaatliches Strafrecht und staatlich gesteuertes Unrecht, GA 1997, S. 229. 7 Schmid
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F. Gesamtergebnis
I I I . Konsequenzen der logischen und sachlichen Gleichheit Gibt es weder einen logischen Vorrang der Rechtfertigungsgründe noch sachliche Unterschiede zwischen Tatbestandsmerkmalen und Rechtfertigungsgründen, so sind sie nach Art 3 GG gleich zu behandeln, insbesondere bei der Anwendung des § 16.
G. Folgerungen für die dogmatischen Probleme I. Konsequenzen für die dargestellten Probleme 1. Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes Die Ablehnung eines Unterschieds zwischen positiven und negativen Unrechtsvoraussetzungen führt dazu, daß die Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe problemlos als Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes im Sinne des § 16 angesehen werden können. Daher fehlt beim Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes der Vorsatz in unmittelbarer Anwendung des § 16 Abs. 1 auch dann, wenn man die Thesen der Schuldtheorie und finalen Handlungslehre anerkennt. Damit ist im übrigen im Rahmen dieses Problems eine nähere Auseinandersetzung mit der Vorsatztheorie entbehrlich. Nun stellt sich jedoch noch die Frage, ob dann, wie Armin Kaufmann einwendet, konsequenterweise für den Vorsatz immer die Kenntnis des NichtVorliegens aller Rechtfertigungsvoraussetzungen zu fordern ist (Monströser-Vorsatz-Einwand)1. Roxin und Schünemann stimmen dem zu, gehen aber von einem regelmäßig vorliegenden sachgedanklichen Mitbewußtsein hinsichtlich des Fehlens der Rechtfertigungsvoraussetzungen aus2. Gegen die These Arthur Kaufmanns, ein Vorsatz sei nur für strafbegründende Merkmale, nicht für strafbeschränkende Merkmale erforderlich 3, bringt Armin Kaufmann vor, alle Merkmale seien strafbarkeitseinschränkend 4. Für das Unterlassungsdelikt vertritt Armin Kaufmann allerdings, das Fehlen einer irrtümlichen Vorstellung (Quasivorsatz) reiche aus, denn einen Unterlassungsvorsatz könne es nicht geben, weil die Unterlassung nicht Gegenstand eines Verwirklichungswillens sein könne, vielmehr sei die Unterlassung dadurch gekennzeichnet, daß der Verwirklichungswille, einen bestimmten Akt vorzunehmen, fehlt 5. Das Unterlassungsdelikt zeichnet sich dadurch aus, daß objektiv seitens des Täters gerade nichts geschieht. Da ist es durchaus konsequent, auch subjektiv nichts zu verlangen. 1
Kaufmann, Armin, Tatbestandseinschränkung und Rechtfertigung, JZ 1955, S. 38. Schünemann, Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsreform im Spiegel des Leipziger Kommentars und des Wiener Kommentars, GA 1985, S. 350; Roxin, Strafrecht. Allgemeiner Teil, Band I, S. 529. 3 Kaufmann, Arthur, Tatbestand, Rechtfertigungsgründe und Irrtum, JZ 1958, S. 357. 4 Kaufmann, Armin, Tatbestandseinschränkung und Rechtfertigung, JZ 1955, S. 40. 5 Kaufmann, Armin, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 116. 2
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100
G. Folgerungen für die dogmatischen Probleme
Auch negative Tatbestandsmerkmale sind dadurch gekennzeichnet, daß die Strafbarkeit dadurch begründet wird, daß in der Außenwelt nichts vorhanden ist. Also ist auch bei negativen Tatbestandsmerkmalen kein Vorsatz zu verlangen, sondern lediglich ein Quasivorsatz, was heißt, ein Irrtum über rechtfertigende Umstände schließt die Strafbarkeit aus, das Fehlen eines Irrtums reicht jedoch zur Begründung der Strafbarkeit. Widerspricht diese Lösung aber nicht der gesetzlichen Regelung des § 16, die den Vorsatz bereits bei Unkenntnis und nicht erst beim Fehlen eines Irrtums entfallen läßt? § 16 stellt ab auf die Kenntnis von Umständen. Umstände kann man aber nur kennen, wenn sie in der Außenwelt existieren. Umstände, die existieren, kann man kennen (Var. 1) oder nicht kennen (Var. 2). Umstände, die nicht existieren kann man sich irrtümlicherweise vorstellen (Var. 3), wie auch in § 22 im Gegensatz zu § 16 formuliert ist, oder man kann sie sich nicht vorstellen (Var. 4). Der Monströser-Vorsatz-Einwand behauptet nun, die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen müsse fordern, daß man sich vorstellen müsse, daß keine Umstände, die nicht existieren, vorliegen. Das läßt sich aber dem Wortlaut des § 16 nicht entnehmen. Zu Recht fordert § 16 nicht die Kenntnis von Umständen für den Vorsatz, sondern läßt den Vorsatz für den Fall der Unkenntnis von Umständen entfallen. Das kann nicht für die Rechtfertigungsvoraussetzungen gelten, weil die Nichtexistenz rechtfertigender Umstände für die Strafbarkeit wesentlich ist, also kann nicht die Nichtkenntnis rechtfertigender Umstände den Vorsatz entfallen lassen. Also liegt in Var. 1 und Var. 4 Vorsatz vor, in Var. 2 und Var. 3 liegt kein Vorsatz vor. Das Ergebnis läßt sich auch in konsequenter Fortführung von Armin Kaufmanns Dogmatik des Unterlassungsvorsatzes darstellen. § 16 Abs. 1 behandle Bewirktes als nicht vorhanden6. Für die Unterlassung komme es auf das Umgekehrte an: Hier könne nur Nichtbewirktes als bewirkt zu behandeln sein7. § 16 behandelt vorhandene Umstände als nicht vorhanden. Für die negativen Tatbestandsmerkmale kommt es aber auf das Umgekehrte an: Hier kann nur Nichtvorhandenes als vorhanden zu behandeln sein. Für die Rechtfertigung macht also nur die Umkehrung Sinn. Der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen läßt sich der Monströser-Vorsatz-Einwand nicht entgegenhalten. Das Problem des Irrtums über rechtfertigende Umstände ist also dahingehend zu lösen, daß der Irrtum den Vorsatz in direkter Anwendung des § 16 entfallen läßt, was aber nicht zur Folge hat, daß beim Fehlen einer Vorstellung über rechtfertigende Umstände der Vorsatz entfällt.
6 Kaufmann, Armin, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 122. Hinweis: Kaufmann spricht von § 59 Abs. 1, der mit dem heutigen § 16 Abs. 1 fast identisch ist. 7 Kaufmann, Armin, S. 122.
I. Konsequenzen für die dargestellten Probleme
101
2. Fehlen der subjektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes Das Problem des Fehlens der subjektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes ist die Kehrseite des Problems des Irrtums über die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes. Weil es keine Unterschiede zwischen Tatbestandsund Rechtfertigungsvoraussetzungen gibt, ist dieser Mangel an subjektiven negativen Voraussetzungen wie ein Uberschuß an subjektiven positiven Voraussetzungen zu behandeln. Liegt ein Tatbestandsmerkmal nur subjektiv, nicht aber objektiv vor, führt das zur Versuchsstrafbarkeit, wenn der Versuch strafbar ist. Also liegt nach der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen in direkter Anwendung des § 22 Versuch vor, wenn subjektive RechtfertigungsVoraussetzungen fehlen und der Versuch strafbar ist.
3. Strafbarkeit der Mauerschützen Wird ein Rechtfertigungsgrund gestrichen, so wird die Strafbarkeit erweitert. Es ist jedoch umstritten, ob diese Erweiterung der Strafbarkeit über den Wortlaut des Gesetzes hinaus gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstößt. Zum Teil wird vertreten, Art. 103 II GG betreffe nicht die Rechts Widrigkeitsvoraussetzungen, sondern nur die Leitbildtatbestands Voraussetzungen8. Diese Auffassung ist allerdings unzutreffend. Gibt es weder logisch noch sachlich einen Unterschied zwischen Tatbestands- und Rechtfertigungsvoraussetzungen, so müssen beide gleich behandelt werden. Also darf ein Rechtfertigungsgrund nicht rückwirkend aberkannt werden und ein gesetzlich fixierter Rechtfertigungsgrund weder durch Gewohnheitsrecht noch durch Rechtsfortbildung eingeschränkt werden, insbesondere ist die teleologische Reduktion unzulässig. So ist beispielsweise die Einschränkung des Notwehrrechts nur im Rahmen der restriktiven Auslegung der Notwehrvoraussetzungen zulässig, d. h. es darf nicht vorkommen, daß die Fälle, die von der Notwehr ausgenommen werden sollen, auch bei engster Auslegung noch vom Begriff (hier ζ. B.: Verteidigung, Erforderlichkeit, Gebotenheit) beinhaltet werden. So ließe sich beispielsweise die Einschränkung bei provozierter Notwehrlage damit rechtfertigen, daß man darin die Fortsetzung eines begonnenen Angriffs und keine Verteidigung sieht. In die Gebotenheit können vielleicht sowohl eine Verhältnismäßigkeitsprüfung als auch gewisse Duldungspflichten hineingelesen werden. Es ist jedoch immer zu beachten, daß der Wortlaut die Grenze der Rechtfertigungseinschränkungen darstellt. Gegen die Ausdehnung eines Rechtfertigungsgrundes ist grundsätzlich nichts einzuwen-
8 Z. B. Roxin, Strafrecht. Allgemeiner Teil I, S. 113 f.; zweifelnd Schweder, Zur Strafbarkeit von Tötungen in staatlichem Auftrag, JZ 1992, S. 991 f., der die Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG jedenfalls für nur faktisch gewährte Rechtfertigungsgründe ablehnt.
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G. Folgerungen für die dogmatischen Probleme
den, da sie nicht zu Lasten des Täters wirken kann9. So kann die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei jedem Defensivnotstand in Analogie zu § 228 BGB auch entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des § 34 StGB erleichtert werden. Beispiel 18: A schießt dem flüchtigen Spanner S, der A schon mehrmals heimgesucht hat, ins Bein, um weitere unerwünschte Besuche des S zu verhindern. Eine Rechtfertigung nach § 32 scheitert an der Gegenwärtigkeit des Angriffs des flüchtigen S, wegen einer Dauergefahr durch den bereits mehrmals aufgetauchten S kommt § 34 in Betracht. Problematisch ist allerdings die Verhältnismäßigkeit, weil nicht davon ausgegangen werden kann, daß das allg. Persönlichkeitsrecht die körperliche Unversehrtheit wesentlich überwiegt. Allerdings geht die Gefahr von S aus, es liegt ein Fall des Defensivnotstands vor, daher ist es in Analogie zu § 228 BGB für die Rechtfertigung ausreichend, daß die körperliche Unversehrtheit gegenüber dem allg. Persönlichkeitsrecht nicht wesentlich überwiegt 10. Die Analogie ist zulässig, weil sie den A nur begünstigt. Die Folge ist, daß der Schuß des A durch § 34 gerechtfertigt ist. Neben der Erweiterung der Rechtfertigungsvoraussetzungen durch Analogie ist aus gleichen Gründen die Schaffung von Rechtfertigungsgründen durch Gewohnheitsrecht oder Rechtsfortbildung zulässig. Beispiel 19: Arzt A ist an einer Unfallstelle, trifft zwei Verletzte, Β und C, an. Beide drohen zu verbluten. A kümmert sich zunächst um B. C stirbt, hätte aber gerettet werden können, wenn A zunächst ihn behandelt hätte. A könnte sich wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht haben. Er hat allerdings eine von zwei gleichrangigen Handlungspflichten erfüllt und konnte nicht beide gleichzeitig erfüllen. Für diese Fälle gibt es den ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund der Pflichtenkollision. Das Restriktionsverbot gilt nicht bei durch Gewohnheitsrecht oder Rechtsfortbildung geschaffenen Rechtfertigungsgründen, weil dabei die Strafbarkeit nicht entgegen dem Gesetzeswortlaut erweitert wird 11 . So kann das gewohnheitsrechtliche rechtfertigende Erziehungsrecht durch bloße Änderung der Rechtsüberzeugung der Gesellschaft abgeschafft werden. Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG umfaßt alle gesetzlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit, da kein Unterschied zwischen den einzelnen Voraussetzungen besteht. Geht es um die Verhängung einer bestimmten strafrechtli9 Das übersehen Tröndle in Tröndle ! Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, § 16 Rn 25 und Matt in Matt, Strafrecht. Allgemeiner Teil I, S. 233, wenn sie gegen die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen einwenden, die gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtfertigungsgründe seien nach ihr verfassungswidrig. 10 Schroeder, Notstandslage bei Dauergefahr, JuS 1980, S. 340.
h Hirsch, Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, vor § 32 Rn 39.
I. Konsequenzen für die dargestellten Probleme
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chen Sanktion, so müssen alle Voraussetzungen den Kriterien des Art. 103 Abs. 2 GG gerecht werden, auch Rechtfertigungsgründe. Die Mauerschützen können daher nur unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG bestraft werden.
4. Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs Die Differenzierung des BVerfG ist aus normtheoretischen Gründen abzulehnen. Es macht keinen Unterschied, ob man ein bestimmtes Verhalten als nicht tatbestandsmäßig oder als nicht rechtswidrig bezeichnet, weil jeweils die Strafbarkeit auf die gleiche Weise eingeschränkt wird und nur die Begriffe anders lauten. Die Einschränkung der Rechtswidrigkeit im Strafrecht bei fristgerechtem Schwangerschaftsabbruch hätte zudem keinen Einfluß auf die Bewertung in anderen Rechtsgebieten gehabt, weil auch durch eine Formulierung „nicht rechtswidrig" nur das konkrete Verbot des Schwangerschaftsabbruchs eingeschränkt werden würde, nicht aber zwingender Einfluß beispielsweise im Arbeits- und Sozialrecht entfaltet würde. Bei der Subsumtion unter die Lohnfortzahlungsvoraussetzungen hätte der Begriff der Rechtswidrigkeit durchaus auch trotz einer Verneinung der Rechtswidrigkeit im Strafrecht bejaht werden können.
5. Einheit der Rechtsordnung Im Strafrecht brauchen nur die Vorgaben des Strafrechts befolgt zu werden. Da es keine selbständige Funktion der Erlaubnis gibt, sondern nur Voraussetzungen für die Verhängung von Sanktionen, rechtfertigt eine verwaltungsrechtliche Erlaubnis im Strafrecht nicht, wenn das Strafrecht nicht auf das Verwaltungsrecht Bezug nimmt. Die verwaltungsrechtliche Erlaubnis dient grundsätzlich nur der Vermeidung verwaltungsrechtlicher Sanktionen. Zivilrechtliche Regelungen betreffen zunächst nur das Zivilrecht. Auch wenn das Strafrecht das Tatbestandsmerkmal „ohne Genehmigung" enthält, muß eine verwaltungsrechtliche Erlaubnis nicht zwingend rechtfertigen, da die Erlaubnis keine durchgreifende Wirkung entfaltet. Die Auslegung des strafrechtlichen Begriffs kann durchaus auch eine materiell-rechtliche Lösung ergeben, d. h. der Begriff der Genehmigung ist nur dann erfüllt, wenn die Voraussetzungen des materiellen Verwaltungsrechts vorliegen. Ob eine materiell-rechtliche oder verwaltungsrechtliche Auslegung zu wählen ist, hängt vom Zweck der strafrechtlichen Vorschrift ab. Soll durch den Straftatbestand das Rechtsgut unmittelbar geschützt werden, ist der Straftatbestand materiell-rechtlich auszulegen, soll die Verfügungsbefugnis der Verwaltung geschützt werden, ist auf die formelle Genehmigung abzustellen. Das Erzieherprivileg kann im Strafrecht auch weitergehend sein als im Zivilrecht, eine Bindung an die Neufassung des § 1631 BGB unter dem Gesichtspunkt
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G. Folgerungen für die dogmatischen Probleme
der Einheit der Rechtsordnung besteht nicht. So kann das Erzieherprivileg durchaus weiterhin strafrechtlich rechtfertigen. Nach der hier vertretenen Lösung ist Alexys Unterscheidung zwischen Erlaubnis und Kompetenz12 nicht erforderlich. Die zivilrechtliche Vermögensverfügungsbefugnis hat ohnehin nicht zwingend eine strafrechtliche Erlaubnis zur Folge, so daß das erwähnte Problem der Sinnlosigkeit des § 266 Alt. 1 nicht auftritt. Vielmehr ist die Vermögensverfügungsbefugnis eine Voraussetzung für die Sanktion, wie jedes andere Tatbestandsmerkmal auch. Nach der Sanktionstheorie der Rechtsnorm kann es nur Voraussetzungen für Sanktionen geben. Eine von den Sanktionsvoraussetzungen unabhängige Funktion kann den Kompetenzen nicht zukommen. So wie eine Erlaubnis nur negative Voraussetzung einer Sanktion ist, können auch die Kompetenzen nur (positive oder negative) Sanktionsvoraussetzungen sein.
II. Folgen für die dogmatische Einordnung von Strafbarkeitsvoraussetzungen 1. Einwilligung Das Problem, ob die Einwilligung ein Rechtfertigungsgrund ist oder den Tatbestand ausschließt, stellt sich nicht, wenn man von einer logischen und sachlichen Gleichrangigkeit von Tatbestandsmerkmalen und Rechtfertigungsgründen ausgeht. Die Einwilligung ist ein entlastendes Merkmal, dessen Vorliegen bei dispositiven Rechtsgütern das Unrecht ausschließt, damit negatives Tatbestandsmerkmal.
2. Genehmigung /Befugnis Gleiches gilt für eine behördliche Genehmigung. Wer irrig in der Vorstellung handelt, eine Behörde habe in einem Bescheid das Verhalten gebilligt, bzw. im Falle einer materiell-rechtlichen Auslegung, die materiellen Voraussetzungen lägen vor, irrt über die tatsächlichen Voraussetzungen des entlastenden Tatbestandsmerkmals „ohne Genehmigung", was den Vorsatz nach § 16 ausschließt.
3. Verwerflichkeit Es ist umstritten, ob die Verwerflichkeit in § 240 und § 253 Voraussetzung des Tatbestandes oder der Rechtswidrigkeit ist. Teilweise werden Nötigung und Erpressung als offene Tatbestände angesehen, die einer ergänzenden positiven 12 Kapitel Β. II. 3. d).
II. Dogmatische Einordnung von Strafbarkeitsvoraussetzungen
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Rechts Widrigkeitsbegründung durch die Verwerflichkeitsklausel bedürfen 13. Andere sehen hingegen in der Verwerflichkeit ein Tatbestandsmerkmal14. Mit der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen erübrigt sich dieser Streit. Die Verwerflichkeit ist eine den Täter belastende Unrechtsvoraussetzung, damit ein gewöhnliches positives Tatbestandsmerkmal. Ein Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen der Verwerflichkeit schließt den Vorsatz aus.
4. Soziale Adäquanz/Strafwürdigkeit/Strafbedürftigkeit Erkennt man diese Kategorien als RechtswidrigkeitsVoraussetzungen an 15 , so stellt sich auch hier die Frage der Einordnung nicht, Strafwürdigkeit oder Strafbedürftigkeit sind positive Tatbestandsmerkmale, die soziale Adäquanz ist negatives Tatbestandsmerkmal. Allerdings ist zweifelhaft, ob diese Merkmale als echte ungeschriebene Tatbestandsmerkmale anzuerkennen sind. Bei sozial adäquatem Verhalten wird überwiegend bereits die objektive Zurechnung verneint, weil ein sozial adäquat geschaffenes Risiko nicht unerlaubt sei. Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit werden aus sachlichen Gründen teilweise als Schuldvoraussetzungen gesehen. Tatsächlich obliegt es dem Gesetzgeber, festzulegen, was strafwürdig ist und wann ein Strafbedürfnis besteht. Das ergibt sich aus Art. 74, 20 GG. Daher steht der Strafrechtsdogmatik eine solche Beurteilung nicht zu. Ebenso kann ein Verhalten, das mit Strafe bedroht ist, nicht sozial adäquat sein, da auch darüber die Legislative, keine andere Gewalt, zu entscheiden hat. Allerdings sind diese Kriterien natürlich bei der Auslegung des Tatbestandes zu berücksichtigen. So kann das Gebot verfassungskonformer Auslegung dazu führen, daß ein Tatbestand restriktiv auszulegen ist, sofern eine extensive Auslegung Verhaltensweisen erfassen würde, die nicht strafwürdig sind 16 . Beispiel 20: Rechtsanwalt R verteidigt den mehrfach einschlägig vorbestraften Drogenhändler D. D gibt R einen Tausender als Vorschuß. Das Geld stammt aus dem Drogenhandel, was naheliegend ist, da D keine andere Einkunftsquelle hat. R hat sich einen Gegenstand verschafft, der aus einer rechtswidrigen Tat nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 des BtmG stammt und dies leichtfertig nicht erkannt. Bei 13
Ζ. B. Günther, Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 253 Rn 29; Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 326. 14 Ζ. B. Jakobs, Das deutsche Strafrecht, S. 160 f.; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT 1,S. 147. 15 Ζ. B. Schmidhäuser, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 175 ff.; Sax, Tatbestand und Rechtsguts Verletzung, JZ 1976, S. 11. 16 Vgl. Otto, Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit als eigenständige Deliktskategorien?, Sc/zröder-Gedächtnisschrift, S. 62.
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extensiver Auslegung des Wortlauts hätte sich R damit wegen leichtfertiger Geldwäsche nach § 261 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1, 261 Abs. 1 Nr. 2b, 261 Abs. 5 strafbar gemacht. Nun kann man dem R jedoch nicht vorwerfen, daß er Geld für seine Tätigkeit nimmt, bei der Annahme des Geldes von Straftätern ist jedoch regelmäßig damit zu rechnen, daß es auch aus einer rechtswidrigen Tat stammt. Eine extensive Auslegung hätte zum einen die Pönalisierung nicht strafwürdigen Verhaltens, zum anderen die faktische Abschaffung des (auch verfassungsrechtlich garantierten) Rechts auf Verteidigung für alle Täter im Zusammenhang mit Vermögenswerten zur Folge, weil kein Rechtsanwalt das Risiko auf sich nehmen wird, bestraft zu werden. Es bedarf jedoch keiner eigenständigen Deliktskategorie der Strafwürdigkeit, um dieses Problem zu lösen. Der Abs. 2, der streng nach Wortlaut das bloße Sichverschaffen bestraft, ist einschränkend auszulegen. Er firmiert unter der Überschrift Geldwäsche. Der Begriff der Geldwäsche beinhaltet, daß jemand für illegal erworbene („schmutzige") Vermögenswerte andere („saubere") Vermögenswerte aus dem allgemeinen Wirtschaftskreislauf erhält. Der Täter wäscht das Geld, damit ihm der Vermögenswert erhalten bleibt. Also kann unter § 261 Abs. 2 Nr. 1 nur die Verschaffung eines Gegenstands fallen, wenn einem an der Vortat Beteiligten ein Gegenwert zukommt, den er wiederum als Wirtschaftsgut einsetzen kann. Sonst hätte § 261 Abs. 2 Nr. 1 nichts mehr mit der Überschrift „Geldwäsche" zu tun. Die Gegenleistung, Verteidigung im Strafverfahren, ist ein höchstpersönlicher Leistungsanspruch, den der Vortäter schon wegen der Beschränkungen des anwaltlichen Berufsrechts nicht übertragen kann. Eine andere Möglichkeit der Tatbestandsrestriktion ist die verfassungskonforme Einschränkung 17 dahingehend, daß die Entgegennahme von Honorar zur Wahrung der Justizgrundrechte des Vortäters nicht als Sichverschaffen im Sinne der Geldwäsche anzusehen ist. Im Rahmen der Tatbestandsauslegung können also durchaus Strafwürdigkeitsgesichtspunkte zum Tragen kommen. Die Lehre von der Sozialadäquanz sieht die soziale Adäquanz eines Verhaltens als tatbestandsausschließend18 oder als Rechtfertigungsgrund 19 an. Die Sozialadäquanz kann sich aber nur aus der Billigung des Verhaltens durch eine andere Vorschrift ergeben. Dann ist diese Norm negatives Tatbestandsmerkmal. Beispiel 21: A überfährt in der Stadt den Fußgänger F, ohne sich eines Verstoßes gegen die Regeln der StVO schuldig gemacht zu haben. Die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem KFZ ist an sich wegen der vielen Toten und Verletzten 20 bereits ein so gefährliches Verhalten, daß man daran einen π So OLG Hamburg v. 6. 1. 2000, NJW 2000, S. 673. is Hirsch, Soziale Adäquanz und Unrechtslehre, ZStW 74 (1962), S. 78. 19
Welzel, Studien zum System des Strafrechts, S. 516 und 527. Später hat Welzel diese Auffassung aufgegeben und einen Tatbestandsausschluß angenommen, vgl. Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 57.
II. Dogmatische Einordnung von Strafbarkeitsvoraussetzungen
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Fahrlässigkeitsvorwurf knüpfen könnte. Autofahren ist allerdings sozial üblich, jedoch kann die Tatsache, daß ein gefährliches Verhalten üblich ist, die Strafbarkeit nicht ausschließen. Im Gegenteil, entwickelt sich ein rechtsgutsgefährdendes Verhalten zu sozial adäquatem Verhalten, muß das eher Anlaß für den Gesetzgeber sein, aus präventiven Gründen die Strafdrohung zu erhöhen. Daß dem A kein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden kann, liegt vielmehr daran, daß der Gesetzgeber das Autofahren wegen des hohen sozialen Nutzens der Mobilität unter bestimmten Voraussetzungen durch den Erlaß der Straßenverkehrszulassungsordnung ausdrücklich erlaubt hat 21 . Nicht die soziale Adäquanz, sondern die entsprechenden Vorschriften der StVZO, insbesondere die allgemeine Erlaubnis des § 16 Abs. 1, Straßen mit Fahrzeugen zu benutzen, sind negative Tatbestandsmerkmale. Zusammenfassend ist anzuführen, daß grundsätzlich der Gesetzgeber entscheidet, was strafwürdig oder sozialadäquat ist. Strafwürdigkeits-, Strafbedürftigkeitsund Sozialadäquanzkriterien können allenfalls im Rahmen der Tatbestandsauslegung berücksichtigt werden, wenn der Gesetzgeber kein negatives Tatbestandsmerkmal schafft, für eine eigene Prüfung dieser Kriterien als Tatbestands- oder Rechtswidrigkeitsvoraussetzung oder als eigene Deliktsstufe ist kein Raum.
20 Nach der Verkehrstabelle des Statistischen Bundesamts wurden im Jahre 1999 7749 Personen im Straßenverkehr getötet und rund 521000 Personen verletzt. Quelle: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts vom 22. Februar 2000. 21 Jakobs, Strafrecht. Allgemeiner Teil, S. 201 spricht kritisch von historischer Legitimation des Straßenverkehrsrisikos.
H. Schlußwort Diese neue Untersuchung des behandelten Problems unterscheidet sich von den bereits vorliegenden früheren dadurch, daß sie sich nicht ausschließlich auf die Irrtumsproblematik bezieht, sondern vor allem auch auf die neu aufgetretenen Aspekte, insbesondere hinsichtlich der Strafbarkeit der Mauerschützen. Denn die früheren Untersuchungen haben die Frage zu sehr auf die dogmatischen und kriminalpolitischen Bedürfnisse der Irrtumsstrafbarkeit eingeengt und die logische Komponente diesen Bedürfnissen untergeordnet. Eben diese Betrachtung der Frage nur unter dem einen Aspekt hat schließlich zu einer völligen Vernachlässigung dieser Frage bei der Bestrafung der Mauerschützen geführt, obwohl sie sich geradezu aufgedrängt hätte. Man ging stillschweigend davon aus, daß die strafrechtlichen Tatbestände unabhängig von beliebig zu streichenden Ausnahmevorschriften in der Rechtsordnung enthalten waren. Diesbezüglich soll mit den Worten Jakobs abgeschlossen werden: „Es ist geradezu eine Verharmlosung des Nationalsozialismus, wenn man davon ausgeht, es habe damals noch eine Rechtsordnung zum Schutze der Juden und anderer als Regimegegner definierter Personen vor ihrer planmäßigen Vernichtung in Konzentrationslagern und anderswo gegeben, eine Rechtsordnung, die man nur nicht angewandt habe, vielleicht aus Feigheit, vielleicht aus Anpassung, die aber jedenfalls als geltende Rechtsordnung in dieser Ära auch wirklich vorhanden gewesen sei. Die Lage war weit schlimmer: Wer als Gegner des Regimes abgestempelt wurde, verlor nicht nur die Nutzung seiner im Bestand noch vorhandenen Rechte, sondern er verlor diese Rechte ihrem Bestand nach. In rechtsphilosophischer Formulierung heißt das: Wer als Regimegegner definiert wurde, wurde aus dem Anerkennungsverhältnis, ein Gleicher zu sein, ausgeklammert; er wurde unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt. Also geschah nicht nur die Handhabung des Rechts im nationalsozialistischen Geist, sondern schon seine Gestaltung. Die Rechtsprechung und die weit überwiegende Lehre, die sich um diese Fragen nicht einmal gekümmert haben, haben den Kulturverlust, der sich im Nationalsozialismus ereignete, nicht begriffen; sie argumentieren, als hätten die Nationalsozialisten die sittliche Person „Staat" nur falsch gehandhabt. Aber die Nationalsozialisten haben dem wirklichen Staat seine Sittlichkeit genommen."1
1
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Sachverzeichnis Abgaben 66 ff. Alternativentwurf 53 Befugnis 104 Bestimmtheitsgebot 38 Beweisregel 46 Bewertung 75 ff. Bewertungsgegenstand 75 CCC 44 Corpus delicti 45 Deliktsstufen 44 Deliktstypus 46, 87f Deontische Begriffe 79 ff. Determinismus 72 Duldungspflicht 88 f. Einheit der Rechtsordnung 13, 39 ff., 103 f. Einwilligung 104 Entscheidungstheorie 67 Entwurf 1962 53 Erforderlichkeit 34, 90 f. Erlaubnistatbestandsirrtum 14 f. Erzieherprivileg 41 f., 103 f. Extension 82 f. Fahrlässigkeit 18 f. Freiheitserweiterung 91 f. Geltung 64,71 Genehmigung 39 f., 104 Gerechtigkeit 33 Gewässerverunreinigung 68 f. Grenzgesetz der DDR 12, 31 ff. Imperativ 59 ff. Irrtum, Rechtsprechung des BGH 54 Irrtum, Rechtsprechung des Reichsgerichts 47 f.
Irrtum sui generis 25 Irrtum über rechtfertigende Umstände 14 ff., 54, 99 f. Irrtumslehre 46 Kanonistik 44 Kodex 46 Kompetenz 42 f. Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen 20 ff., 48 ff., 54 ff. Leitbildtatbestand 11 f., 16, 50 ff. Mauerschützen 12, 31 ff., 101 Menschenrechtsfreundliche Auslegung 32, 34 Metaregel 58, 71 Nationalsozialismus 51 f. Naturrecht 32, 35,44, 62 f. Normentheorie 14, 58 ff. Normsatz 59 f., 69 Objekt der Wertung 27, 75 f. Ontologie 75 f. Pandekten 46 Pflichtbegriffe 79 f. Pflichtnorm 60 Prävention 62, 66 Preußisches StGB 47 Prinzipien der Rechtfertigung 92 ff. Radbruchsche Formel 33 Rechtfertigungsgründe, Einschränkungen 58 f. Rechtfertigungsvoraussetzungen, subjektive 30 f., 101
Sachverzeichnis Rechtsbegriff 33 f. Rechtsbegriff, ethischer 33 f. Rechtsbegriff, juristischer 33 f. Rechtsbegriff, positivistischer 33 f. Rechtsbegriff, soziologischer 34 Rechtswidrigkeit 11, 71, 80 ff. Reduktions verbot 101 Reformentwürfe 53 Reine Rechtslehre 61 Rückwirkungsverbot 32, 35 Sachlogische Strukturen 27 Sanktion 61 ff. Sanktion, verwaltungsrechtliche 40 Sanktionsnorm 61 Schuld 72 ff. Schuldausschließungsgründe 73 Schuldprinzip 19 Schuldtheorie 15 Schuldtheorie, eingeschränkte 20 ff. Schuldtheorie, rechtsfolgenselbständige 25 f. Schuldtheorie, rechtsfolgenverweisende 23 ff. Schuldtheorie, strenge 26 ff. Schwangerschaftsabbruch 12, 36 ff., 103 Soziale Adäquanz 105 ff. Soziale Auffälligkeit 86 f. Strafbedürftigkeit 105 ff. Strafdrohung 61 f. Strafrechtskommission 53 Strafrechtsnorm 58 ff. Strafrechtswidrigkeit 15, 42 Straftatbegriff, klassischer 44 ff. Strafunrechtsausschluß 42 Strafwürdigkeit 105 ff. Strafzumessungsschuld 74 Streng objektive Theorie 28 f.
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Tatbestand 11 Tatbestandsmerkmale, deskriptive 27 Tatbestandsmerkmale, negative 11 f., 20 ff. Tatbestandsmerkmale, normative 27 Täterschaft 25, 73 Teilnahme 24 f. Teleologische Reduktion 101 Typus 87 f. Umweltstrafrecht 40 Unrechtsbewußtsein 17 ff., 23 f., 28 Untreue 41 Ursprungseinwand 64 Verbotsirrtum 23 f., 28 Verbotsmaterie 88 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 34 Versammlungsgesetz 60 Verwaltungsakt 39 Verwaltungsrechtsakzessorietät 39 f. Verwerflichkeit 104 Völkerrecht 32 ff. Vorsatz 17 ff. Vorsatz, monströser 16, 22, 99 ff. Vorsatztheorie 15, 17 ff. Wertbegriffe 76 ff. Wertfreiheit 27 Wertung des Objekts 27 Wertungsstufen 11 f. Wertunterschied 84 f. Widerspruch, deontischer 58 f. Willensfreiheit 72 Willensstrafrecht 51 f. Zivilrechtsakzessorietät 41