Das Verbot kollektiven Verzichts auf die vertragsärztliche Zulassung als Verfassungsproblem [1 ed.] 9783428534388, 9783428134380

§ 95b SGB V, der am 1. Januar 1993 in Kraft trat und seitdem unverändert gilt, verbietet den kollektiven Verzicht auf di

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Das Verbot kollektiven Verzichts auf die vertragsärztliche Zulassung als Verfassungsproblem [1 ed.]
 9783428534388, 9783428134380

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Schriften zum Gesundheitsrecht Band 21

HELGE SODAN

Das Verbot kollektiven Verzichts auf die vertragsärztliche Zulassung als Verfassungsproblem

Duncker & Humblot · Berlin

HELGE SODAN

Das Verbot kollektiven Verzichts auf die vertragsärztliche Zulassung als Verfassungsproblem

Schriften zum Gesundheitsrecht Band 21 Herausgegeben von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR) Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a.D.

Das Verbot kollektiven Verzichts auf die vertragsärztliche Zulassung als Verfassungsproblem

Von Universitätsprofessor Dr. Helge Sodan

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1614-1385 ISBN 978-3-428-13438-0 (Print) ISBN 978-3-428-53438-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-83438-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Es gibt nur wenige Vorschriften im Sozialrecht, die der Gesetzgeber über längere Zeit unverändert läßt. Dazu gehört § 95b SGB V, der am 1. Januar 1993 in Kraft trat und den kollektiven Verzicht auf die vertragsärztliche Zulassung regelt. Absatz 1 dieser Vorschrift bestimmt, daß es mit den Pflichten eines Vertragsarztes unvereinbar ist, in einem mit anderen Ärzten aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf die Zulassung als Vertragsarzt zu verzichten. An den damit festgelegten Pflichtenverstoß knüpfen die Absätze 2 und 3 in § 95b SGB V erhebliche Sanktionen: zum einen durch ein auf sechs Jahre befristetes Rückkehrverbot, sofern die Aufsichtsbehörde feststellt, daß wegen des kollektiven Verzichts die vertragsärztliche Versorgung nicht mehr sichergestellt ist, und zum anderen durch Beschränkungen der Vergütung von Leistungen, die ein Arzt nach seinem Verzicht sozialversicherten Patienten erbringt. Anlaß für die Einfügung des § 95b SGB V waren die seinerzeitigen Erwägungen vor allem auf vertragszahnärztlicher Seite, sich durch gemeinschaftlichen Verzicht auf die Zulassung als Vertrags(zahn)arzt gegen Eingriffe in die Berufsfreiheit zu wehren. Durch die negativen Folgen, welche der Gesetzgeber an diese Verhaltensweise geknüpft hat, sollten verzichtsbereite Vertrags(zahn)ärzte von dem Schritt abgehalten werden. Diese präventive Wirkung hat § 95b SGB V über viele Jahre erfüllt, so daß die Vorschrift lange Zeit keine praktische Bedeutung erlangte. Dies änderte sich erst, als im Frühjahr 2004 in Niedersachsen 44 Kieferorthopäden auf ihre Zulassung bzw. Ermächtigung zur vertragszahnärztlichen Versorgung verzichteten. In der Folgezeit kam es zu einer Reihe sozialgerichtlicher Entscheidungen über Vergütungsfragen und die Wiederzulassungssperre. Letztinstanzlich entschied das Bundessozialgericht durch mehrere Urteile jeweils vom 27. Juni 2007 und 17. Juni 2009. Diese Entscheidungen erörtern jedoch nur am Rande und mit recht pauschalen Hinweisen verfassungsrechtliche Probleme. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des § 95b SGB V, die schon bald nach Inkrafttreten der Norm im Schrifttum bezweifelt wurde, liegt soweit ersichtlich bislang nicht vor. Weil die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift noch nicht abschließend geklärt ist, widmet sich die vorliegende Untersuchung ausführlich den einschlägigen Verfassungsfragen. Die Arbeit wurde im Auftrag des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR) erstellt. Für sehr wertvolle und ausdauernde Unterstützung danke ich herzlich Herrn Rechtsanwalt Dr. Nils Schaks, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter im DIGR tätig ist. Zu Dank verpflichtet bin ich ferner Herrn Dr. Florian R. Simon (LL.M.) und Frau

6

Vorwort

Heike Frank, Duncker & Humblot GmbH, für die überaus zügige Veröffentlichung der Arbeit und die weiterhin sehr wohlwollende Förderung der „Schriften zum Gesundheitsrecht“. Berlin, im Mai 2010

Helge Sodan

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Erster Teil Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens oder Verhaltens

18

A. Gegenwärtiges Meinungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Grammatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Anzahl der beteiligten Vertragsärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Verfahren oder Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3. Abgestimmtheit des Verfahrens oder Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Anzahl der beteiligten Vertragsärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Abgestimmtheit des Verfahrens oder Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 a) Fruchtbarmachung des § 1 Abs. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 b) Begrenzung durch § 105 Abs. 3 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 IV. Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 VI. Vereinbarkeit des Ergebnisses mit verfassungsrechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . 33 1. Gesetzgebungskompetenz des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 a) Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 c) Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 d) Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 e) Kompetenz kraft Sachzusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

8

Inhaltsverzeichnis f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 1 SGB V mit Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 aa) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 bb) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 cc) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 (1) Hinreichende Gründe des Gemeinwohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 (2) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (3) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Eigentumsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 c) Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 d) Vereinigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 aa) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 bb) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 cc) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 e) Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 1 SGB V mit dem Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . 57 4. Zur Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

C. Ergebnis zum Ersten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

Zweiter Teil Verfassungsmäßigkeit der Regelung der Wiederzulassungssperre in § 95b Abs. 2 SGB V

61

A. Gesetzgebungskompetenz des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 II. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 III. Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 IV. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 V. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 VI. Kompetenz kraft Sachzusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

Inhaltsverzeichnis

9

VII. Annexkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 VIII. Ergebnis zu I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 2 SGB V mit Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I. Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 a) Zum Schutz besonders wichtiger Interessen der Allgemeinheit . . . . . . . . . . 68 b) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 c) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 II. Eigentumsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 a) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 b) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 c) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 d) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 III. Vereinigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 IV. Allgemeiner Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 V. Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 C. Ergebnis zum Zweiten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

10

Inhaltsverzeichnis Dritter Teil Zulässigkeit der Vergütungsregelungen

84

A. Gesetzgebungskompetenz des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 3 SGB V mit Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 I. Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 a) Hinreichende Gründe des Gemeinwohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 c) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 d) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 II. Eigentumsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 III. Vereinigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 IV. Allgemeiner Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 C. Ergebnis zum Dritten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

Vierter Teil Zulässigkeit von nachwirkenden negativen Rechtsfolgen

94

A. Gesetzgebungskompetenz des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB V mit Grundrechten . . . . . . . . . . . . 94 I. Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

Inhaltsverzeichnis

11

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 a) Hinreichende Gründe des Gemeinwohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 c) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 d) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 II. Eigentumsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 C. Ergebnis zum Vierten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Fünfter Teil Zusammenfassung in Leitsätzen

104

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

Abkürzungsverzeichnis a.a.O. Abs. abw. a. D. a. E. Ärzte-ZV AEUV a. F. AG A. M. AöR Art. Aufl. BayObLGE Bd. Beschl. BGB BGBl. BGH BGHZ BSG BSGE BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzw. ders. d. h. DÖV DVBl. EG EGV EU EuGH EuGRZ f., ff. Fn. GemS-OGB

am angegebenen Ort Absatz abweichend/e außer Dienst am Ende Zulassungsverordnung für Vertragsärzte Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) oder Amtsgricht Anderer Meinung Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Artikel Auflage Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts Band Beschluß Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise derselbe das heißt Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Europäische Gemeinschaft oder Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (alte Fassung) Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift folgende Fußnote Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes

Abkürzungsverzeichnis GesR GewArch GG GKV-WSG

13

Gesundheitsrecht (Zeitschrift) Gewerbearchiv (Zeitschrift) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung GMG Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung GOÄ Gebührenordnung für Ärzte GOZ Gebührenordnung für Zahnärzte Gr. Senat Großer Senat GSG Gesundheitsstrukturgesetz GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen HKG Niedersachsen Heilkammergesetz Niedersachsen Hrsg. Herausgeber hrsg. herausgegeben HS Halbsatz insbes. insbesondere JA Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) JR Juristische Rundschau (Zeitschrift) Jura Juristische Ausbildung (Zeitschrift) JZ Juristenzeitung KG Kammergericht LG Landgericht LSG Landessozialgericht m. Anm. mit Anmerkung MDR Monatsschrift für Deutsches Recht MedR Medizinrecht (Zeitschrift) m. w. N. mit weiteren Nachweisen n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR NJW Rechtsprechungsreport Zivilrecht Nr. Nummer NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht OLG Oberlandesgericht RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rn. Randnummer Rs. Rechtssache S. Seite(n) SG Sozialgericht SGb Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) SGB V Fünftes Buch Sozialgesetzbuch Slg. Sammlung SozR Entscheidungssammlung zum Sozialrecht u. a. und andere Urt. Urteil v. vom v. a. vor allem Vgl./vgl. Vergleiche/vergleiche

14 Vorb. VSSR VVDStRL WuW WuW-E-BGH WuW-E-OLG z. B.

Abkürzungsverzeichnis Vorbemerkung Vierteljahresschrift für Sozialrecht Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift) Entscheidungen des BGH in WuW Entscheidungen der OLG in WuW zum Beispiel

Einleitung Das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz)1 nachfolgend abgekürzt: GSG fügte mit Wirkung zum 1. Januar 1993 mit § 95b eine neue Vorschrift in das SGB V ein. In ihrem ersten Absatz erklärt diese Norm den Verzicht von Vertragsärzten auf die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung in einem abgestimmten Verfahren oder Verhalten für unvereinbar mit den Pflichten eines Vertragsarztes. In § 95b Abs. 2 SGB V wird geregelt, daß ein Vertragsarzt, der in einem mit anderen Vertragsärzten aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf die Zulassung verzichtet, frühestens nach Ablauf von sechs Jahren nach Abgabe der Verzichtserklärung wieder zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden darf, sofern es wegen des Verzichts zur Feststellung der Aufsichtsbehörde nach § 72a Abs. 1 SGB V kommt. Diese Feststellung bezieht sich darauf, daß „die vertragsärztliche Versorgung nicht mehr sichergestellt ist“, weil „mehr als 50 vom Hundert aller in einem Zulassungsbezirk oder einem regionalen Planungsbereich niedergelassenen Vertragsärzte auf ihre Zulassung nach § 95b Abs. 1 verzichtet oder die vertragsärztliche Versorgung verweigert“ haben (§ 72a Abs. 1 SGB V). Gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V gelten diese Bestimmungen entsprechend für Vertragszahnärzte, auf die in der nachfolgenden Untersuchung sprachlich gesondert nur im Falle von Besonderheiten hingewiesen wird. Die Vergütung erbrachter Leistungen wird durch § 95b Abs. 3 SGB V erheblich beschränkt: „Nimmt ein Versicherter einen Arzt oder Zahnarzt in Anspruch, der auf seine Zulassung nach Absatz 1 verzichtet hat, zahlt die Krankenkasse die Vergütung mit befreiender Wirkung an den Arzt oder Zahnarzt. Der Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse ist auf das 1,0fache des Gebührensatzes der Gebührenordnung für Ärzte oder der Gebührenordnung für Zahnärzte beschränkt. Ein Vergütungsanspruch des Arztes oder Zahnarztes gegen den Versicherten besteht nicht. Abweichende Vereinbarungen sind nichtig.“ § 72a Abs. 3 Satz 3 SGB V bestimmt, daß mit Ärzten oder Zahnärzten, die nach § 95b Abs. 1 SGB V ausgeschieden sind, keine Einzelverträge gemäß § 72a Abs. 3 Satz 1 SGB V abgeschlossen werden dürfen. § 13 Abs. 2 Satz 8 SGB V schließt die

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Vom 21. 12. 1992 (BGBl. I S. 2266).

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Einleitung

Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Abs. 3 Satz 1 SGB V im Wege der Kostenerstattung aus.2 Anlaß für die Einfügung des § 95b SGB V, der bislang unverändert geblieben ist, waren die seinerzeitigen Erwägungen vor allem auf vertragszahnärztlicher Seite, sich durch gemeinschaftlichen Verzicht auf die Zulassung als Vertrags(zahn)arzt gegen Eingriffe in die Berufsfreiheit zu wehren.3 Durch die negativen Folgen, welche der Gesetzgeber an diese Verhaltensweise geknüpft hat, sollten verzichtsbereite Vertrags(zahn)ärzte von dem Schritt abgehalten werden. Diese präventive Wirkung hat § 95b SGB V über viele Jahre erfüllt, so daß die Vorschrift, deren Praxistauglichkeit schon früh bezweifelt wurde4, lange Zeit keine praktische Bedeutung erlangte. Dies änderte sich erst, als im Frühjahr 2004 in Niedersachsen 44 Kieferorthopäden auf ihre Zulassung bzw. Ermächtigung zur vertragszahnärztlichen Versorgung verzichteten.5 Das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit stellte mit Bescheid vom 3. Juni 2004 auf der Grundlage von § 72a Abs. 1 SGB V fest, daß in drei Landkreisen in Niedersachsen die kieferorthopädische Versorgung nicht mehr sichergestellt sei. Daran schloß sich ein mehrjähriger Rechtsstreit an, der die Frage zum Gegenstand hatte, ob die ausgeschiedenen Kieferorthopäden Vergütungsansprüche gegen Krankenkassen wegen der von ihnen nach Wirksamwerden des Zulassungsverzichts zugunsten von Krankenversicherten erbrachten Leistungen besaßen. Nach verschiedenen (landes)sozialgerichtlichen Entscheidungen6 kam es zu drei Urteilen des Bundessozialgerichts jeweils vom 27. Juni 20077: Danach dürfen Zahnärzte für Kieferorthopädie, die in einem mit

2 Siehe zur insoweit eingeschränkten Arztwahlfreiheit näher Helge Sodan, Vertrags(zahn)ärzte und ihre Patienten im Spannungsfeld von Sozial-, Verfassungs- und Europarecht, 2009, S. 105 ff. 3 Siehe dazu Peter Scholich, Juristische Aspekte des kollektiven Systemausstiegs, in: PVS Verband (Hrsg.), Ausstieg aus dem System der kassenärztlichen Versorgung, 2007, S. 84 f. 4 Vgl. Günther Schneider, Handbuch des Kassenarztrechts, 1994, Rn. 351: „Im übrigen ist die Praktikabilität des in Rede stehenden Regelungssystems zu bezweifeln“; Rainer Hess, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 95b SGB V Rn. 5 (Stand der Kommentierung: Dezember 2000) in bezug auf § 95b Abs. 3 SGB V: „Die Praktikabilität der Regelung muß bezweifelt werden.“ 5 Siehe zu den Hintergründen dieser Aktion ausführlich Christian Scherer, Der kieferorthopädische Kassenkonflikt Eine sozialpolitische Fallstudie, in: PVS Verband (Hrsg.), Ausstieg aus dem System der kassenärztlichen Versorgung, 2007, S. 41 ff. 6 Siehe insbes. LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 13. 09. 2006, L 3 KA 90/05; vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, MedR 2005, S. 179 ff.; Beschl. v. 16. 08. 2005, L 3 KA 197/05 ER; Beschl. v. 12. 10. 2005, L 3 KA 109/05 ER; SG Hildesheim, Beschl. v. 04. 05. 2005, S 20 KR 435/04 ER. Siehe zu einer ausführlichen Analyse Frank Schramm, Die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen zum kollektiven Zulassungsverzicht (§ 95b SGB V), in: PVS Verband (Hrsg.), Ausstieg aus dem System der kassenärztlichen Versorgung, 2007, S. 93 ff. 7 Siehe BSGE 98, 294 ff.; BSG, MedR 2008, S. 384 ff. mit Anmerkung von Herbert Schiller, a.a.O., S. 389 ff.; Urt. v. 27. 06. 2007, B 6 KA 39/06 R. Siehe zu einer weiteren

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anderen Berufsangehörigen abgestimmten Verhalten auf ihre Zulassung oder Ermächtigung verzichtet haben, Versicherte der Krankenkassen nach dem Wirksamwerden des Verzichts grundsätzlich nicht mehr behandeln und dafür abrechnen; eine Ausnahme gilt nur unter den engen Voraussetzungen des sogenannten Systemversagens. Die einschlägigen Regelungen des § 95 SGB V hielt das Bundessozialgericht für verfassungsgemäß. Die Urteile des Bundessozialgerichts vom 27. Juni 2007 beschäftigen sich allerdings nur am Rande mit verfassungsrechtlichen Problemen. So werden insbesondere die Gesetzgebungskompetenzen sowie die Grundrechte der betroffenen Leistungserbringer aus Art. 9 Abs. 1 (Vereinigungsfreiheit) und Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsfreiheit) nicht thematisiert. Das Bundessozialgericht hielt in drei Urteilen jeweils vom 17. Juni 2009 – jedoch ohne hinreichende Begründung auch die in § 95b Abs. 2 SGB V geregelte Wiederzulassungssperre für mit dem Grundgesetz vereinbar8. Weil aber die Verfassungsmäßigkeit des § 95b SGB V noch nicht abschließend geklärt ist, widmet sich die nachfolgende Untersuchung ausführlich den sich insoweit stellenden Fragen. Im Ersten Teil werden zunächst die Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens oder Verhaltens erörtert. Daran schließen sich im Zweiten Teil Überlegungen zur Verfassungsmäßigkeit der Wiederzulassungssperre in § 95b Abs. 2 SGB V an. Im Dritten Teil folgen Ausführungen zur Zulässigkeit der Vergütungsregelungen des § 95b Abs. 3 SGB V. Der Vierte Teil beschäftigt sich mit der Zulässigkeit von nachwirkenden negativen Rechtsfolgen. Der Fünfte Teil beschließt mit einer Zusammenfassung in Leitsätzen die Untersuchung.

Anmerkung Helmut Platzer/Herbert Matschiner, Konsequenzen der kollektiven Rückgabe der Kassenzulassung durch Vertragsärzte, NZS 2008, S. 244 ff. 8 BSGE 103, 243 ff.; BSG, SGb 2009, S. 472 f.; Urt. v. 17. 06. 2009, B 6 KA 14/08 R.

Erster Teil

Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens oder Verhaltens Zentraler Begriff des § 95b SGB V ist der des abgestimmten Verfahrens oder Verhaltens. Er wird in § 95b Abs. 1 SGB Vals mit den Pflichten eines Vertragsarztes unvereinbar bezeichnet. Eine Legaldefinition dieses Begriffes existiert nicht, und es liegt auch kaum Rechtsprechung vor, die sich vertieft mit dem Begriff des abgestimmten Verfahrens oder Verhaltens im Sinne von § 95b Abs. 1 SGB V befaßt9. Das Bundessozialgericht warf in seinen Urteilen vom 27. Juni 2007 die Frage auf, ob der kollektive Verzicht eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung erfordere; es ließ diese Frage jedoch dahingestellt, sah eine „mindestens informelle“ Absprache als hinreichend an und verwies im übrigen auf Werbung „in den Medien und auf zahlreichen Veranstaltungen für den Ausstieg der niedersächsischen Kieferorthopäden aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung“10. In zwei Urteilen vom 17. Juni 2009 vertrat das Bundessozialgericht die Auffassung, dass es für die Annahme eines kollektiven Verzichts ausreichend sei, „wenn es in zeitlichem Zusammenhang mit entsprechenden, auf eine grundlegende Änderung des vertragsärztlichen Systems gerichteten Aktionen der Ärzteschaft bzw einzelner Arztgruppen zu einer im Vergleich zum Üblichen signifikant angestiegenen Abgabe von Verzichtserklärungen kommt“.11 Als weitere Indizien wertet das Gericht eine 9 BVerfG (Kammerbeschluß), NJW 1997, S. 2446 äußerte sich nicht zu materiell-rechtlichen Fragen, sondern nahm die Verfassungsbeschwerde wegen des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht an. In BSG, MedR 2008, S. 384 (385, Rn. 21) und Urt. v. 27. 06. 2007, B 6 KA 39/06 R, Rn. 17 (zitiert nach juris) heißt es jeweils nur lapidar: „Dass der Zulassungsverzicht von ca 50 Kieferorthopäden in Niedersachsen zum 1.7. bzw 1. 10. 2004 […] auf einer mindestens informellen Absprache der Betroffenen beruhte, liegt auf der Hand.“ BSGE 77, 227 (231) sprach § 95b SGB V zwar an, äußerte sich zu dieser Vorschrift aber nicht näher, weil im Streitfall ein individueller Zulassungsverzicht vorlag. BSGE 89, 19 ff. und LSG Saarland, Urt. v. 04. 04. 2000, L 2/3 K 31/95 (zitiert nach juris) wandten § 95b SGB V nicht an; insoweit ging es um die Empfehlung eines Berufsverbandes der Physiotherapeuten an seine Mitglieder, nach dem Auslaufen vertraglicher Vereinbarungen über die Höhe der Vergütung physiotherapeutischer Leistungen Kassenmitglieder nur noch als Privatpatienten zu behandeln. 10 BSG, MedR 2008, S. 384 (385, Rn. 21); Urt. v. 27. 06. 2007, B 6 KA 39/06 R, Rn. 17 (zitiert nach juris). 11 BSGE 103, 243 (247); BSG, Urt. v. 17. 06. 2009, B 6 KA 14/08 R, Rn. 30 (zitiert nach juris). A. M. Jacob Joussen, in: Ulrich Becker/Thorsten Kingreen (Hrsg.), SGB V Gesetzliche Krankenversicherung, 2008, § 95b Rn. 2, nach dessen Auffassung der zeitliche Zusammenhang allein nicht ausreichend sein kann.

A. Gegenwärtiges Meinungsspektrum

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verbandspolitische Diskussion und grundsätzliche Kritik am System der vertragsärztlichen Versorgung.12 Auch in landessozialgerichtlichen Entscheidungen war das Vorliegen eines kollektiven Verzichts – soweit ersichtlich – unstreitig, so dass dieser Begriff kaum thematisiert wurde. Als Indizien wertete das Landessozialgericht NiedersachsenBremen etwa standardisierte Schreiben sowie eine einheitliche Strategie13. An anderer Stelle wurden „die hohe Zahl der Verzichtserklärungen, die Konzentration auf wenige Zulassungsbezirke und das im Kontakt mit den Medien festzustellende Auftreten der Kieferorthopäden als Gruppe“ genannt und „aus den Veröffentlichungen der organisierten Kieferorthopäden ein strukturiertes, gelenktes und koordiniertes Vorgehen“ herausgelesen14. In der sozialrechtlichen Literatur wird der für § 95b SGB V bedeutsame Begriff des abgestimmten Verfahrens oder Verhaltens nicht einheitlich verstanden. Daher soll zunächst ein Überblick über das gegenwärtige Meinungsspektrum in der Literatur gegeben werden, bevor eine eigene grundlegende Analyse erfolgt.

A. Gegenwärtiges Meinungsspektrum Die Begründung der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. in ihrem Gesetzentwurf zu § 95b Abs. 1 SGB V enthält unter anderem folgende Ausführungen: „Zwar ist es jedem Vertragsarzt unbenommen, eigenverantwortlich und selbständig über sein Ausscheiden aus dem vertragsärztlichen Sicherstellungssystem zu entscheiden. Ein bedingter in Abhängigkeit von den Entscheidungen Dritter stehender kollektiver Verzicht ist dagegen nicht zulässig.“15

Im Schrifttum wird das Korbmodell als „griffigstes Beispiel“ bezeichnet; erfaßt seien nur gelenkte kollektive Aktionen von Vertragsärzten in größerer Zahl, die darauf angelegt seien, die vertragsärztliche Versorgung zu gefährden16. Zugleich wird teilweise ausgeführt, daß die Eignung der Aktion zur Zielerreichung, also der tatsächliche Eintritt einer Gefährdung des Systems der gesetzlichen Krankenversi-

12

BSGE 103, 243 (247); BSG, Urt. v. 17. 06. 2009, B 6 KA 14/08 R, Rn. 31 (zitiert nach

juris). 13

LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 13. 09. 2006, L 3 KA 90/05, Rn. 36 (zitiert nach

juris). 14

LSG Niedersachsen-Bremen, MedR 2005, S. 179 (180). BT-Drucks. 12/3608, S. 94 f. 16 Harald Klückmann, in: Karl Hauck/Wolfgang Noftz (Hrsg.), Gesetzliche Krankenversicherung, SGB V, K § 95b Rn. 11 (Stand der Kommentierung: IV / 1997). Vgl. auch Jacob Joussen, Der kollektive Verzicht auf die Zulassung nach § 95b SGB V, SGb 2008, S. 388 (389 f.). 15

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

cherung, nicht erforderlich sei17. Dem wird das folgende, nicht tatbestandsmäßige Verhalten gegenübergestellt: „Ein ,eigenverantwortlich, selbständig, autonom, frei, individuell, unabhängig, ungelenkt, unbedingt, aus eigenem Willensentschluß ausgesprochener Zulassungsverzicht ist stets möglich und nicht pflichtwidrig. Denn auch die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung geht auf die freie Willensentscheidung (Antrag) des Vertragsarztes zurück.“18 Teilweise wird in der Literatur auf den Zweck der Maßnahmen abgestellt; das Tatbestandsmerkmal sei erfüllt, wenn die Aktionen zur Destabilisierung des Systems erfolgten19. Eine etwas ausführlichere Definition lautet wie folgt: „Das Verfahren oder Verhalten ist abgestimmt, soweit die in Betracht kommenden Vertragsärzte in der erforderlichen Zahl tatsächlich kollektiv abgestimmt und einvernehmlich mit dem Ziel wenigstens einer Beeinträchtigung, wenn nicht einer Beseitigung der Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung einen Zulassungsverzicht erklärt haben, um eigene Interessen, insbesondere wirtschaftlicher Natur durchzusetzen.“20

Anderer Ansicht nach soll sich das abgestimmte Verfahren oder Verhalten nach der Anzahl der beteiligten Ärzte richten.21 Hierbei wird jedoch betont, daß auch bei einer Beteiligung von weniger als 50 Prozent der Ärzte eines Gebietes ein abgestimmtes Verfahren oder Verhalten vorliegen könne, so daß es auf die örtlichen Gegebenheiten ankomme22. Gelegentlich wird der Begriff nicht definiert, sondern auf die „ethische Bedenklichkeit“ eines solchen ärztlichen Vorgehens verwiesen23. Zwischen den beiden Polen – unabhängige Entscheidung im Gegensatz zu einer Entscheidung in Abhängigkeit von derjenigen Dritter – verläuft offenbar die Bestimmung des Begriffs des abgestimmten Verfahrens oder Verhaltens. Wann in concreto der eine oder der andere Fall vorliegt, bleibt jedoch offen.

17 Klückmann (Fn. 16). Cornelius Pawlita, in: Rainer Schlegel/Thomas Voelzke (Hrsg.), juris PraxisKommentar SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung, 2008, § 95b Rn. 15, hält hingegen den Eintritt einer Unterversorgung für erforderlich. 18 Klückmann (Fn. 16), K § 95b Rn. 9. 19 Hess (Fn. 4), § 95b SGB V Rn. 3. Joussen (Fn. 11) und Pawlita (Fn. 17) sehen die politische Zielrichtung der Destabilisierung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung als Tatbestandsmerkmal des kollektiven Verzichts an. 20 Schneider (Fn. 4), Rn. 335. 21 Siehe Peter Lindemann, in: Georg Wannagat, Kommentar zum Recht des Sozialgesetzbuchs, § 95b SGB V Rn. 4 (Stand der Kommentierung: September 1999). Ähnlich BSG, MedR 2008, S. 384 (385, Rn. 21); Urt. v. 27.06.2007, B 6 KA 39/06 R, Rn. 17 (zitiert nach juris): „ca 50 Kieferorthopäden“. 22 Lindemann (Fn. 21). 23 Jürgen Kruse, in: ders./Andreas Hänlein (Hrsg.), Sozialgesetzbuch V Gesetzliche Krankenversicherung, 3. Aufl. 2009, § 95b Rn. 6.

B. Analyse

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Insgesamt läßt sich feststellen, daß zur Bestimmung des Begriffs des abgestimmten Verfahrens oder Verhaltens unterschiedliche Kriterien, wie Anzahl der beteiligten Personen, Ziel- und Zweckrichtung des ärztlichen Verhaltens sowie die Abhängigkeit der Verzichtsentscheidung von den Entscheidungen Dritter, herangezogen werden. Auch dies erschwert im Einzelfall die Bestimmung, in welchen Fällen von einem pflichtwidrigen Verhalten gesprochen werden kann. Bisher liegt – soweit ersichtlich – keine tiefergehende systematische Analyse des Begriffs des abgestimmten Verfahrens oder Verhaltens vor. Daher soll im folgenden eine genauere Begriffsbestimmung vorgenommen werden.

B. Analyse Welchen exakten Inhalt die Vorschrift des § 95b SGB Vaufweist, gilt es durch die klassischen24, auf Friedrich Carl von Savigny zurückgehenden25 Auslegungsmethoden zu ermitteln26. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer frühen Entscheidung zu den Auslegungsmethoden ausgeführt: „Diesem Auslegungsziel dienen die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatische Auslegung), aus ihrem Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (teleologische Auslegung) und aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung).“27

Das Auslegungsziel ist der in der Gesetzesbestimmung zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers; nicht maßgebend sind die subjektiven Vorstellungen der einzelnen in den Gesetzgebungsorganen vertretenen Personen.28 Deshalb wird im folgenden der Inhalt des § 95b Abs. 1 SGB V anhand der klassischen Auslegungsmethoden ermittelt.

24

Siehe Ernst Forsthoff, Zur Problematik der Verfassungsauslegung, 1961, S. 39. Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, §§ 32 ff. Savigny unterschied vier Elemente der juristischen Interpretation: das grammatische, logische, historische und systematische Element, welche in dieser Reihenfolge angewandt werden sollen. 26 Vgl. BVerfGE 82, 6 (11). 27 BVerfGE 11, 126 (130). Siehe dazu näher Helge Sodan/Jan Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 4. Aufl. 2010, § 2 Rn. 4 ff. 28 So bereits BVerfGE 1, 299 (312). Vgl. außerdem etwa BVerfGE 11, 126 (129 ff.); 71, 81 (106); 79, 106 (121). 25

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

I. Grammatische Auslegung Die Auslegung des Wortlauts führt zu einer Interpretation anhand der Bedeutung eines Ausdrucks oder einer Wortverbindung im allgemeinen Sprachgebrauch oder, falls ein solcher vorhanden ist, im juristischen Sprachgebrauch.29 1. Anzahl der beteiligten Vertragsärzte § 95b Abs. 1 SGB V spricht von einem mit anderen Ärzten aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten. Hieraus ergibt sich als Minimalforderung, daß drei oder mehr Personen zusammenwirken. Denn der Ausdruck „mit anderen Ärzten“ steht im Plural, verlangt also mindestens zwei Ärzte30. Diese müssen sich nun mit einem weiteren Vertragsarzt abstimmen. Für eine höhere Mindestanzahl von beteiligten Vertragsärzten bietet der Wortlaut indes keinen Anhaltspunkt. 2. Verfahren oder Verhalten Allgemein versteht man im juristischen Sprachgebrauch unter dem Begriff des Verhaltens die willensgesteuerte Lebensäußerung eines Menschen.31 Das Verhalten kann rechtsgeschäftlicher oder rein tatsächlicher Natur sein.32 „Verfahren ist die Art und Weise der Bewältigung einer Aufgabe oder eines Vorhabens.“33 Das Verfahren ist ein Prozeß, der sich aus einer Mehrzahl von Schritten zusammensetzt. Hieraus ergibt sich, daß auch ein Verfahren menschliches Verhalten voraussetzt. Liegt also ein abgestimmtes Verfahren vor, so ist darin notwendig ein abgestimmtes Verhalten eingeschlossen. Da bereits das abgestimmte Verhalten tatbestandsmäßig ist, kommt dem komplexeren Begriff des abgestimmten Verfahrens keine eigenständige Bedeutung zu. In der Literatur wird der Zulassungsverzicht selbst als das Verhalten im Sinne des § 95b Abs. 1 SGB V angesehen34. Stets muß dem jedoch die Verhaltensabstimmung vorausgehen; denn der Verzicht ist der letzte Schritt im Rahmen eines zusammengesetzten Tatbestandes. Festzuhalten ist daher, daß ein bloßes Unterlassen nie tatbestandsmäßig ist.

29

Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 320. So auch Pawlita (Fn. 17). 31 Horst Tilch/Frank Arloth (Hrsg.), Deutsches Rechtslexikon, Bd. 3, 3. Aufl. 2001, S. 4466 („Verhalten“). 32 Gerhard Köbler, Juristisches Wörterbuch, 14. Aufl. 2007, S. 447 („Verhalten“). 33 Köbler (Fn. 32), S. 442 („Verfahren“). 34 Schneider (Fn. 4), Rn. 335. 30

B. Analyse

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3. Abgestimmtheit des Verfahrens oder Verhaltens Das Verfahren oder Verhalten muß aufeinander abgestimmt sein. Wann dies der Fall ist, stellt das Hauptproblem bei der Begriffsbestimmung dar. Eine feste Bedeutung kommt dem Begriff der Abgestimmtheit im juristischen Sprachgebrauch nicht zu. Der Duden definierte das Verb „abstimmen“ zum Zeitpunkt der Einführung des § 95b SGB V wie folgt: „aufeinander einstellen, in Einklang bringen, absprechen“35. Eine Abstimmung setzt also voraus, daß etwas zur beiderseitigen Kenntnis geschieht. Abstimmung ist notwendigerweise bewußtes Zusammenwirken. Insgesamt läßt sich erschließen, daß eine vollständige Koordination durch aktives Tun von mindestens drei Vertragsärzten untereinander vorliegen muß. Dies ist der Fall, wenn eine gemeinsame, einheitliche Vorgehensweise abgesprochen wurde, die tatsächlich durchgeführt wird.

II. Systematische Auslegung Welche von mehreren möglichen Bedeutungsvarianten in Betracht kommt, ergibt sich auch aus dem Bedeutungszusammenhang, in welchem der in Rede stehende Begriff verwendet wird.36 Die systematische Auslegung bezieht sich daher auf den „Zusammenhang der sachlichen Strukturen der normativ relevanten Ausschnitte der Regelungsbereiche“.37

1. Anzahl der beteiligten Vertragsärzte In systematischer Auslegung kann erwogen werden, von einem abgestimmten Verfahren oder Verhalten erst dann zu sprechen, wenn zuvor 50 Prozent der niedergelassenen Vertragsärzte eines Zulassungsbezirks oder eines regionalen Planungsbereichs auf die Zulassung verzichtet haben, wie es § 72a Abs. 1 SGB V voraussetzt. Denn eine erneute Zulassung nach dem kollektiven Verzicht darf gemäß § 95b Abs. 2 SGB V frühestens nach Ablauf von sechs Jahren erfolgen, wenn es zur Feststellung nach § 72a Abs. 1 SGB V kommt. Jedoch legt § 95b Abs. 1 SGB V den Pflichtverstoß fest, nicht § 95b Abs. 2 SGB V.38 Die letztgenannte Vorschrift knüpft an § 95b Abs. 1 SGB V an und regelt die Feststellung der Aufsichtsbehörde nach § 72a Abs. 1 SGB V als zusätzliches Tatbestandsmerkmal. Wenn § 72a Abs. 1 SGB V davon ausgeht, daß der Sicherstellungsauftrag auf die Krankenkassen und ihre Verbände erst dann übergeht, wenn 35

Duden, Das Stilwörterbuch, Bd. 2, 7. Aufl. 1988, S. 39 („abstimmen“). Larenz (Fn. 29), S. 324. 37 Friedrich Müller/Ralph Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 9. Aufl. 2004, Rn. 365. 38 Hans-Dieter Sproll, in: Dieter Krauskopf (Hrsg.), Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Bd. 2, § 95b SGB V Rn. 3 (Stand der Kommentierung: September 2008). 36

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

mehr als 50 Prozent der niedergelassenen Vertragsärzte kollektiv auf die Zulassung verzichtet haben, dann muß bereits begrifflich ein kollektiver Verzicht von weniger als 50 Prozent der Vertragsärzte möglich sein. In diesem Fall ist lediglich die Feststellung nach § 72a Abs. 1 SGB V unzulässig; ein kollektiver Verzicht liegt dennoch vor39. Im Ergebnis läßt sich also feststellen, daß der Systematik keine konkreten zahlenmäßigen Vorgaben entnommen werden können, ab wie vielen beteiligten Ärzten ein abgestimmtes Verfahren oder Verhalten vorliegt. 2. Abgestimmtheit des Verfahrens oder Verhaltens Der Wortlaut des 95b Abs. 1 SGB V gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage, ab wann ein Verfahren oder Verhalten aufeinander abgestimmt ist. Möglicherweise lassen sich jedoch Vorschriften inner- oder außerhalb des SGB V zur Begriffsbestimmung heranziehen. a) Fruchtbarmachung des § 1 Abs. 1 GWB Der Begriff des aufeinander abgestimmten Verhaltens ist seit längerem fester Bestandteil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB § 25 Abs. 1 a. F.; vgl. nunmehr § 1 Abs. 1 n. F.) und geht auf eine fast gleichlautende Formulierung in Art. 85 Abs. 1 und 3 des früheren Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV a. F.) zurück (siehe nunmehr Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV). Der jetzige § 1 GWB spricht zwar von „aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen“ und nicht von „aufeinander abgestimmtem Verfahren oder Verhalten“. Zum Zeitpunkt der Einfügung des § 95b Abs. 1 in das SGB V galt jedoch noch § 25 Abs. 1 GWB a. F., in welchem von „aufeinander abgestimmtem Verhalten“ die Rede war. Bis auf die Formulierung „Verfahren oder“ stimmten demnach beide Begriffsbildungen wörtlich überein. Dies spricht für eine begriffliche und inhaltliche Nähe; daher können zur Begriffsbestimmung des aufeinander abgestimmten Verfahrens oder Verhaltens im Sinne des § 95b SGB V die ähnlichen Vorschriften des § 25 Abs. 1 GWB a. F. bzw. § 1 GWB n. F. herangezogen werden. Dies legt auch die Gesetzesbegründung nahe, die es mit den Pflichten eines Vertragsarztes unverträglich findet, „wenn er sich in wettbewerbswidriger Weise mit anderen Vertragsärzten zur Durchsetzung eigener Interessen abstimmt“40, und sich damit auf das Wettbewerbsrecht bezieht.

39 So auch BSG, MedR 2008, S. 384 (386, Rn. 30); Urt. v. 27.06.2007, B 6 KA 39/06 R, Rn. 26 (zitiert nach juris); LSG Niedersachsen-Bremen, MedR 2005, S. 675 (677); Beschl. v. 12.10.2005, L 3 KA 109/05 ER, S. 16. 40 BT-Drucks. 12/3608, S. 95 Hervorhebung vom Verfasser.

B. Analyse

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Jedoch enthält auch das Kartellrecht keine Legaldefinition des Begriffs der abgestimmten Verhaltensweisen. Der deutsche Gesetzgeber hat von der Formulierung einer Definition Abstand genommen, da er hierzu infolge der Auslegung des Begriffs durch den Europäischen Gerichtshof keine Veranlassung sah41. Der Europäische Gerichtshof verstand unter abgestimmtem Verhalten im Sinne des jetzigen Art. 101 AEUV (zuvor: Art. 81 EG): „eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen […], die zwar noch nicht bis zum Abschluß eines Vertrages im eigentlichen Sinne gediehen ist, jedoch bewußt eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten läßt. Die aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen erfüllen daher schon ihrem Wesen nach nicht alle Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung, sondern können sich insbesondere auch aus einer im Verhalten der Beteiligten hervorgetretenen Koordinierung ergeben.“42

In der Literatur wird der Begriff des abgestimmten Verhaltens als „gegenseitige Verständigung zwischen mehreren Unternehmen in Koordinierungsabsicht ohne rechtliche Verpflichtung über das künftige Marktverhalten“43, als „schlüssiges Vereinbaren ohne Rechtsfolgewillen“44 oder als „wechselseitige Information über künftiges Marktverhalten in Koordinierungserwartung“45 definiert. Nach oben hin dient der Begriff der Abgrenzung von Verträgen46, nach unten zur Abgrenzung von nicht abgestimmten Verhaltensweisen, d. h. kartellrechtlich unerheblichen Fällen des Parallelverhaltens, von der autonomen unternehmerischen Verhaltensweise47. Dem entspricht die Unterteilung in „freie Entscheidung“ und „in Abhängigkeit von Dritten stehende Entscheidung“, wie sie in der Gesetzesbegründung getroffen wird48. Für § 95b Abs. 1 SGB V ist nur die Abgrenzung nach unten von Bedeutung; denn abgestimmte Verhaltensweisen mit Rechtsbindungswillen werden erst recht erfaßt, da der kartellrechtliche Tatbestand der abgestimmten Verhaltensweisen einen Auffangtatbestand darstellt49. Wenn der Europäische Gerichtshof von einer aktiven Ausräumung der mit einem unkoordinierten Marktverhalten verbundenen Risiken spricht, stellt sich die Frage, wo die Risikominderung liegen könnte. Dieses Problem ergibt sich auch in bezug auf 41 Vgl. dazu Hermann-Josef Bunte, in: Eugen Langen/Hermann-Josef Bunte (Hrsg.), Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd. 1, 10. Aufl. 2006, § 1 Rn. 59. 42 EuGH, Rs. 48/69 („ICI“), Slg. 1972, S. 619 (658). So auch EuGH, Rs. 46/73 u. a. („Zucker“), Slg. 1975, S. 1663 (1942 Rn. 26 ff.). 43 Bunte (Fn. 41), § 1 Rn. 62. 44 Siegfried Büttner, Kartellvertrag und Kartellverhalten, WuW 1971, S. 690 (707). 45 Daniel Zimmer, in: Ulrich Immenga/Ernst-Joachim Mestmäcker (Hrsg.), GWB, Bd. 1, 4. Aufl. 2007, § 1 Rn. 94 a. E. 46 KG, WuW-E-OLG, S. 2369 (2372); Rainer Bechtold, GWB – Kartellgesetz – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 5. Aufl. 2008, § 1 Rn. 15 f. 47 Volker Emmerich, Kartellrecht, 11. Aufl. 2008, § 4 Rn. 21. 48 Siehe BT-Drucks. 12/3608, S. 94 f. 49 Bechtold (Fn. 46), Rn. 16; Bunte (Fn. 41), § 1 Rn. 57.

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

§ 25 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 GWB a. F. Danach waren nur solche abgestimmten Verhaltensweisen verboten, die „geeignet sind, die Erzeugung oder die Marktverhältnisse für den Verkehr mit Waren oder gewerblichen Leistungen durch Beschränkung des Wettbewerbs zu beeinflussen“. Der Wortlaut des § 1 Abs. 1 GWB n. F. enthält dieses einschränkende Tatbestandsmerkmal nicht mehr. Wie in der Literatur jedoch nachgewiesen wurde50, ist es auch dem neuen § 1 GWB immanent. Vertragsärzte können im Falle ihres Verzichts auf die Zulassung auch weiterhin gesetzlich krankenversicherte Patienten behandeln; diese müssen die Ärzte dann allerdings – vorbehaltlich der Regelung in § 95b Abs. 3 Satz 3 SGB V selbst vergüten.51 Dies wird nur selten vorkommen. Daher konkurrieren die verzichtenden Ärzte verstärkt um die verhältnismäßig wenigen Privatpatienten. Insofern würde erst durch den abgestimmten Verzicht der Wettbewerb belebt. Auf der anderen Seite stehen – sofern nicht rasch genügend Vertragsärzte nachrücken – weniger Vertragsärzte für die Patientenversorgung zur Verfügung. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit höher, daß ein Patient privat liquidieren läßt, was das wirtschaftliche Risiko der kollektiv verzichtenden Vertragsärzte vermindert. Insgesamt ergibt sich somit kein klares Bild; die „Eignung zur Risikominderung“ erscheint zur Konturierung des sozialrechtlichen Begriffs wenig ergiebig. Fraglich ist aber, ob überhaupt auf den Ärztewettbewerb abgestellt werden darf. Denn während das GWB den Wettbewerb der Unternehmer in ökonomischer und gesellschaftspolitischer Hinsicht sichern soll52, dient § 95b SGB V einem funktionsfähigen Krankenversicherungswesen53. Um diesen unterschiedlichen Gesetzeszwecken Rechnung zu tragen, darf das Merkmal der Eignung zur Wettbewerbsbeeinträchtigung nicht unbesehen auf das SGB V übertragen werden. Statt dessen muß dieses Merkmal so verstanden werden, daß die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung nicht gefährdet werden darf.54 Dies wollte der Gesetzgeber umfassend sichern. Der Bundesgerichtshof differenziert zwischen der tatbestandsmäßigen Abstimmung und der nicht tatbestandsmäßigen Reaktion auf eine wirtschaftliche Zwangslage55. Als eine solche ließe sich die durch die Sozialgesetzgebung nachhaltig gefährdete Freiberuflichkeit56 ansehen. Jedoch kann auch durch einen individuellen

50

Karsten Schmidt, „Altes“ und „neues“ Kartellverbot, AG 1998, S. 551 (560). Anders jedoch BSGE 98, 294 ff. Siehe dazu näher den Dritten Teil der vorliegenden Untersuchung. 52 Andreas Heinemann, Europäisches Kartellrecht: Einführung und aktuelle Entwicklungen (Teil I), Jura 2003, S. 649. 53 Siehe BT-Drucks. 12/3608, S. 94 f. 54 Siehe BT-Drucks. 12/3608, S. 95. 55 BGH, WuW-E-BGH, S. 2182. 56 Siehe dazu näher Helge Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 157 ff., 275. 51

B. Analyse

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Verzicht diesen Gefahren begegnet werden, so daß keine Zwangslage vorliegt, die gerade eine kollektive Verhaltensabstimmung erforderlich macht. Im Hinblick auf § 1 GWB n. F. war und ist umstritten, ob die Abstimmung durch Marktverhalten als tatbestandsmäßig anzusehen ist. Während dies teilweise bejaht wird57, da im Ergebnis auch auf diese Weise der Wettbewerb eingeschränkt werden könne, verneint die Gegenmeinung58 diese Frage. Bezogen auf den kollektiven Verzicht lautet die Frage, ob es tatbestandsmäßig im Sinne von § 95b SGB V ist, wenn Ärzte, nachdem sie von dem individuellen Verzicht anderer Vertragsärzte erfahren haben, ebenfalls individuell auf ihre Zulassung verzichten. Hierbei gilt es zu bedenken, daß das Verbot abgestimmten Verhaltens grundsätzlich nur dann verletzt ist, „wenn der Adressat eines Abstimmungsangebots vor Durchführung des Angekündigten […] die Annahme signalisiert“59. Denn eine Abstimmung liegt lediglich dann vor, wenn der als erster Handelnde damit rechnen darf, daß die anderen an der Absprache Beteiligten entsprechend handeln werden.60 Dies ist aber bei dem individuellen Verzicht nicht der Fall. Denn die Verzichtserklärung ist eine rechtlich erhebliche Willensäußerung, die nur in sehr begrenztem Maße wieder zu Fall gebracht werden kann. Die Annahme oder Hoffnung, andere Vertragsärzte würden ebenfalls verzichten, ist jedenfalls kein geeigneter Aufhebungsgrund für die Verzichtserklärung. Somit ist nach der Systematik das bewußte Nachahmen des individuellen Verzichts nicht tatbestandsmäßig im Sinne des § 95b Abs. 1 SGB V. Dieselben Gründe könnten auch gegen die Annahme eines abgestimmten Verhaltens sprechen, wenn die Ärzte letztlich in ihrer Entscheidung frei sind, ob sie auf ihre Zulassung verzichten. Denn jeder Vertragsarzt erklärt den Verzicht gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung, so daß keine Möglichkeit der gegenseitigen Kontrolle besteht. Anders läge es, wenn die beteiligten Vertragsärzte ihre Verzichtserklärung bei einer zentralen Sammelstelle abgäben61, so daß die Unabhängigkeit der Entscheidung durch die Gruppendynamik eingeschränkt wäre. Jedoch ergibt sich aus der Rechtsprechung62, daß die vorherige Fühlungnahme nicht gestattet sein soll. Eine Entscheidung ist nicht bereits dann frei, wenn der Vertragsarzt sich den Verzicht zunächst vorbehält und später doch aufgrund eigenen Entschlusses den Verzicht erklärt. Auch in einem solchen Fall liegt eine Verhaltensabstimmung mit anschließendem Zulassungsverzicht vor. Schließlich ist festzuhalten, daß die Abstimmung auch durch oder über Dritte erfolgen kann63; dies bedeutet im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, 57 58 59 60 61 62 63

Zimmer (Fn. 45), § 1 Rn. 98 ff. Bechtold (Fn. 46), § 1 Rn. 17. Zimmer (Fn. 45), § 1 Rn. 96. Emmerich (Fn. 47), § 4 Rn. 23 ff. Vgl. dazu Sproll (Fn. 38), § 95b SGB V Rn. 5. Siehe EuGH, Rs. 46/73 u. a. („Zucker“), Slg. 1975, S. 1663 (1965 Rn. 173/174). Vgl. OLG Stuttgart, WuW-E-OLG, S. 3332 (3333).

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

daß eine Koordinierung des Verhaltens z. B. durch die Kassenärztliche Vereinigung tatbestandsmäßig wäre. Nach der systematischen Auslegung ergibt sich das vorläufige Zwischenergebnis, daß von § 95b SGB V solche Verhaltensweisen erfaßt sind, die von mindestens drei Vertragsärzten gemeinsam koordiniert und in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander vorgenommen werden.

b) Begrenzung durch § 105 Abs. 3 SGB V Fraglich ist jedoch, ob jede Form der Abstimmung als pflichtwidrig zu betrachten ist oder ob sich aus anderen Bestimmungen des SGB Vergibt, daß bestimmte Formen der Abstimmung nicht als pflichtwidrig angesehen werden können. § 105 Abs. 3 SGB V bestimmt, daß die Kassenärztlichen Vereinigungen den freiwilligen Verzicht auf die Zulassung als Vertragsarzt vom 62. Lebensjahr an finanziell fördern können. Hierdurch bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, daß das Ausscheiden älterer Vertragärzte gesetzlich erwünscht ist, so daß zur Erreichung dieses Ziels sogar finanzielle Aufwendungen seitens der Kassenärztlichen Vereinigungen zulässig sind. Dies könnte einen Konflikt zu § 95b SGB V für den Fall darstellen, daß Ärzte, die das 62. Lebensjahr vollendet haben, kollektiv auf die Zulassung verzichten im Sinne von § 95b Abs. 1 SGB V. Es stellt sich die Frage, wie dieser Normkonflikt aufzulösen ist. Einerseits ließe sich die Auffassung vertreten, daß § 105 Abs. 3 SGB V den freiwilligen Verzicht fördert, aber nicht der kollektive Verzicht erfaßt ist. Andererseits wird durch § 105 Abs. 3 SGB V ein bestimmtes Ziel verfolgt, nämlich das des Ausscheidens älterer Vertragsärzte. Zur Erreichung dieses Zweckes ist es aber unerheblich, ob sich die Vertragsärzte zuvor abgestimmt haben oder nicht. Der kollektive Verzicht ist zumindest im Gegensatz zur Zulassungsentziehung gemäß § 95 Abs. 6 SGB V als freiwillig anzusehen, so daß der Wortlaut des § 105 Abs. 3 SGB V auch den kollektiven Verzicht erfaßt. Deshalb wird von einigen Autoren im Schrifttum dem § 105 Abs. 3 SGB V Vorrang vor § 95b SGB V eingeräumt64, da anderenfalls ein Wertungswiderspruch65 entstünde, wenn einerseits ein Verhalten staatlicherseits als Pflichtwidrigkeit angesehen, andererseits dasselbe Verhalten finanziell gefördert würde. Diese Argumentation verkennt jedoch, daß das Gesetz in § 105 Abs. 3 SGB V von einem freiwilligen Verzicht spricht und in der Gesetzesbegründung zu § 95b Abs. 1 SGB V zwischen dem freiwilligen und dem abhängigen Verzicht unterschieden wird66. Man wird also nicht dem gesetzgeberischen Willen gerecht, wenn § 105 Abs. 3 SGB V Priorität eingeräumt würde. Schließlich entsteht 64

Siehe Hess (Fn. 4), § 95b SGB V Rn. 3; Klückmann (Fn. 16), K § 95b Rn. 13. Siehe zum Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung und zu dessen verfassungsrechtlicher Herleitung Helge Sodan, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, JZ 1999, S. 864 (868 ff., 871). 66 Siehe BT-Drucks. 12/3608, S. 94 f. 65

B. Analyse

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kein Wertungswiderspruch, wenn man davon ausgeht, daß § 105 Abs. 3 SGB V nur den individuellen Verzicht meint. Denn dann kann der kollektive Verzicht auch nicht finanziell gefördert werden. Im Ergebnis läßt sich daher keine Feststellung treffen, daß § 105 Abs. 3 SGB V den Anwendungsbereich des § 95b Abs. 1 SGB V dahingehend einschränkt, daß ein kollektiver Verzicht auf die Zulassung, der aus Altersgründen erklärt wird, nicht erfaßt ist.

III. Historische Auslegung Die Methode der historischen Auslegung fragt danach, welche Deutung der Regelungsabsicht des Gesetzgebers am meisten entspricht.67 Auskunft über die Normvorstellungen des Gesetzgebers ergibt häufig die Entstehungsgeschichte des Gesetzes; als Erkenntnisquelle dient auch die dem Entwurf beigegebene Begründung.68 Die Vorschrift des § 95b SGB V wurde durch Art. 1 Nr. 53 in Verbindung mit Art. 35 Abs. 1 GSG vom 21. Dezember 1992 neu in das SGB Vaufgenommen und ist bisher unverändert geblieben. Das Bundessozialgericht spricht von einem „Regelungskonzept“ zur Verhinderung von Versorgungsengpässen69. Eine vergleichbare Vorschrift existierte bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Auch vor Inkrafttreten des § 95b SGB V entsprach es der überwiegenden Auffassung, daß der kollektive Zulassungsverzicht nicht mit den Pflichten eines damaligen Kassenarztes vereinbar war70. Teilweise wird daher die erstmalige gesetzliche Normierung dieses Pflichtwidrigkeitstatbestands als nicht erforderlich angesehen71. Demgegenüber wird im Schrifttum die Ansicht vertreten, daß die gesetzliche Normierung „diesem Verbot jedoch einen besonderen Stellenwert im vertragsärztlichen Pflichtenkatalog“ gebe72. Regelungsanlaß waren im Herbst 1992 aufgekommene Erwägungen insbesondere aus dem Bereich der Zahnärzte, massenhaft das System der gesetzlichen Krankenversicherung zu verlassen.73 Die Gesetzesbegründung geht davon aus, daß die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund einer Unterversorgung gefährdet wäre, 67

Larenz (Fn. 29), S. 328. Larenz (Fn. 29), S. 330. 69 BSGE 98, 294 (297 f., Rn. 19); BSG, MedR 2008, S. 384 (386, Rn. 26); Urt. v. 27.06.2007, B 6 KA 39/06 R, Rn. 22 (zitiert nach juris). 70 Klückmann (Fn. 16), K § 95b SGB V Rn. 6; Schneider (Fn. 4), Rn. 349. Davon geht die Gesetzesbegründung selbst aus, vgl. BT-Drucks. 12/3608, S. 94. 71 Schneider (Fn. 4), Rn. 350. 72 Kruse (Fn. 23), § 95b Rn. 2. 73 Vgl. BSGE 98, 294 (297 f., Rn. 19); BSG, MedR 2008, S. 384 (386, Rn. 26); Urt. v. 27.06.2007, B 6 KA 39/06 R, Rn. 22 (zitiert nach juris); BSGE 103, 243 (245 ff.); BTDrucks. 12/3608, S. 94; Klückmann (Fn. 16), K § 95b Rn. 2; Wolfgang Rüfner, Das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz), NJW 1993, S. 753 (754). 68

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

„wenn Vertragsärzte in großer Zahl zum gleichen Zeitpunkt das vertragsärztliche System“ verließen74. Diese Aussage bestätigt den Befund der systematischen Auslegung, daß nur ein gleichzeitiger, nicht aber ein nachfolgender Verzicht auf die Zulassung tatbestandsmäßig ist. Weiterhin könnte dem entnommen werden, daß die Mindestgrenze von drei beteiligten Vertragsärzten zu niedrig ist, da die Begründung von einer „großen Zahl“ spricht. Unklar bleibt allerdings nach dieser Begründung, wann eine „große Zahl“ vorliegt. Letztlich dürfte auf die lokalen Gegebenheiten abzustellen sein. Die Auslegung muß jedoch den historischen Kontext berücksichtigen, in welchem die Begründung entstand.75 Der Gesetzgeber sah sich zu der Regelung veranlaßt, weil Vertragszahnärzte einen Verzicht auf ihre jeweilige Zulassung in großer Zahl in Aussicht gestellt hatten. Deshalb liegt es nahe, die Verwendung des Ausdrucks „Vertragsärzte in großer Zahl“ in der Gesetzesbegründung als Reaktion auf diese Ankündigung zu verstehen. Der Gesetzgeber wollte damit nicht den Anwendungsbereich des § 95b SGB V festlegen; vielmehr bezog er sich auf die damalige Situation, ohne daß hieraus zu schließen wäre, der Verzicht von Vertragsärzten in „mittlerer Zahl“ sollte nicht erfaßt sein. Diese Auffassung wird gestützt durch den apodiktischen Satz in der Gesetzesbegründung, daß „jede Schädigung der vom Körperschaftszweck erfaßten Interessen der Beteiligten […] zu unterbleiben“ habe76. Hierdurch wird zum Ausdruck gebracht, daß das Problem des kollektiven Verzichts umfassend zu lösen ist; den Vertragsärzten soll von vornherein jede Möglichkeit genommen werden, die vertragsärztliche Versorgung als Druckmittel einzusetzen. Wenn die Gesetzesbegründung davon spricht, daß die Unterversorgung infolge der Destabilisierung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung von den Vertragsärzten gewollt sei, scheint sie davon auszugehen, daß es keine anderen Gründe für einen kollektiven Verzicht geben könnte. Dem ist aber nicht so. Wie in systematischer Hinsicht dargelegt wurde, ist auch ein kollektiver Verzicht aus Altersgründen möglich. Der Begründung ist jedoch das Ziel der Regelung zu entnehmen, die Destabilisierung zu verhindern. Dieses Ziel soll möglichst ohne Einschränkung erreicht werden. Die Motive der verzichtenden Vertragsärzte sollen unerheblich sein, ebenso wie die Anzahl der beteiligten Personen. Tatbestandsmäßig im Sinne von § 95b Abs. 1 SGB V ist ein Verhalten von drei oder mehr Vertragsärzten dann, wenn sie ihre Entscheidung koordiniert haben, ohne daß es auf die Anzahl oder Intention der verzichtenden Vertragsärzte ankäme. Die Begründung greift noch drei weitere Aspekte auf. Erstens wird kritisiert, daß durch die Bildung einer solchen Interessengemeinschaft während der Zeit der bestehenden Mitgliedschaft in der Kassenärztlichen Vereinigung die Vertragsärzte ihre

74 75 76

BT-Drucks. 12/3608, S. 95. Vgl. Larenz (Fn. 29), S. 330. Siehe BT-Drucks. 12/3608, S. 95.

B. Analyse

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eigene Sache über die der Körperschaft stellten.77 Weiterhin wird ausgeführt, daß der kollektive Verzicht rechtsmißbräuchlich sei, weil der Vertragsarzt den Verzicht in der Erwartung erkläre, daß die vertragsärztliche Versorgung auf Dauer nicht ohne ihn auskomme und er deshalb weiterhin – aber dann zu seinen Konditionen – von gesetzlich Versicherten in Anspruch genommen werden könne.78 Schließlich mache der innere Vorbehalt der Endgültigkeit des Verzichts diesen zusätzlich pflichtwidrig.79 Diese Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Sie verstärken aber das gefundene Ergebnis, daß nämlich jegliche Verhaltenskoordination mit anschließendem Verzicht unabhängig von dem Zweck der Maßnahme, der Eignung zur Zweckerreichung und der Anzahl der Vertragsärzte tatbestandsmäßig sein soll. Wenn in der Begründung ausgeführt wird, „die Bildung einer Interessengemeinschaft“ bedeute, „daß der Vertragsarzt seine eigene Sache über die Sache der Körperschaft“ stelle80, soll damit zum Ausdruck gebracht werden, daß die Verfolgung eigener Interessen als Pflichtwidrigkeit zu qualifizieren sei, die verboten werden müsse. Zu bedenken ist jedoch, daß die Kassenärztliche Vereinigung eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Pflichtmitgliedschaft ist (§ 77 Abs. 1, 3 und 5 SGB V). Als öffentlich-rechtlich verfaßte Einrichtung ist diese Vereinigung der sogenannten mittelbaren Staatsverwaltung zuzuordnen. Der durch das Grundgesetz konstituierte Staat ist aber, ganz im Sinne der Lehre von Immanuel Kant81, der Bürger wegen da und nicht umgekehrt.82 Auf dieser Grundkonzeption baut das System der Grundrechte auf: Danach ist „die Freiheit des Einzelnen prinzipiell unbegrenzt, während die Befugnis des Staates zu Eingriffen in diese Sphäre prinzipiell begrenzt ist“.83 „Hier also die ursprunghafte, nicht rechtfertigungsbedürftige, grundsätzlich umfassende Freiheit des Individuums – dort die notwendig rechtlich gebundene und beschränkte, auf Rechtfertigung verwiesene Staatsgewalt.“84 Die eigene Interessenverfolgung ist von daher weder anzüglich noch rechtfertigungsbedürftig, sondern Ausdruck des grundrechtlichen Schutzes, den das Grundgesetz gewährleistet.85 Darüber hinaus ist es widersprüchlich, wenn die Gesetzesbegründung den Ärzten vorwirft, aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung auszutreten, um 77

Siehe BT-Drucks. 12/3608, S. 95. Siehe BT-Drucks. 12/3608, S. 95. 79 Siehe BT-Drucks. 12/3608, S. 95. 80 Siehe BT-Drucks. 12/3608, S. 95. 81 Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1797/1798, in: Werkausgabe in zwölf Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Bd. VIII, 1996, S. 345. 82 Alfred Katz, Staatsrecht, 18. Aufl. 2010, Rn. 546. 83 Carl Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 126. 84 Josef Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders./ Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 2. Aufl. 2000, § 111 Rn. 7. 85 Vgl. Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte – Staatsrecht II, 25. Aufl. 2009, Rn. 44. 78

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

später zu selbst diktierten Konditionen weiterhin an der Versorgung teilzunehmen. Denn auf derselben Seite der Begründung wird den Vertragsärzten vorgeworfen, das vertragsärztliche System in Frage zu stellen, vom Abrechnungsmodus des vertragsärztlichen Systems abkehren und eine private Abrechnung erreichen zu wollen. Es ist aber nicht möglich, zugleich für und gegen dasselbe Ziel zu kämpfen. Schließlich macht der innere Vorbehalt der Endgültigkeit den Verzicht nicht pflichtwidrig. Vielmehr entspricht es der Rechtsordnung, daß die Mentalreservation bei der Abgabe rechtlich erheblicher Erklärungen unbeachtlich ist86, wie es in § 116 BGB kodifiziert ist. Diese „unentbehrliche, aber auch selbstverständliche Regel“87 gilt als „allgemeiner, geradezu evidenter Rechtsgrundsatz“88 auch im öffentlichen Recht89. Zusammenfassend ergibt sich aus der historischen Auslegung, daß jeder koordinierte Verzicht von drei oder mehr Vertragsärzten erfaßt wird.

IV. Teleologische Auslegung „Teleologische Auslegung heißt Auslegung gemäß den erkennbaren Zwecken und dem Grundgedanken einer Regelung. Die einzelne Bestimmung ist im Rahmen ihres möglichen Wortsinns und in Übereinstimmung mit dem Bedeutungszusammenhang des Gesetzes in dem Sinne auszulegen, der den Zwecken der gesetzlichen Regelung und dem Rangverhältnis dieser Zwecke optimal entspricht. Dabei hat der Auslegende stets die Gesamtheit der Zwecke im Auge zu behalten, die einer Regelung zugrunde liegen.“90

„Sinn und Zweck“ einer zu deutenden Vorschrift lassen sich jedoch methodisch einwandfrei – d. h. ohne normgelöste subjektive „Wertung“ – nur aus einer grammatischen, historisch-genetischen und/oder systematischen Interpretation erschließen; neben diesen allgemein anerkannten Auslegungsregeln ist die teleologische Interpretation kein selbständiges Element der Konkretisierung.91 Dennoch sind Sinn und Zweck einer Norm von erheblicher Bedeutung. Verfassungsinterpretation ist 86

Helmut Heinrichs, in: Otto Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Aufl. 2010, § 116 Rn. 1; Ernst A. Kramer, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. I/1, 5. Aufl. 2006, § 116 Rn. 1. 87 Heinrichs (Fn. 86). 88 Kramer (Fn. 86), § 116 Rn. 4. 89 RGZ 147, 36 (40); Heinrichs (Fn. 86); Kramer (Fn. 86), § 116 Rn. 4. 90 Larenz (Fn. 29), S. 332. 91 Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rn. 68; Müller/Christensen (Fn. 37), Rn. 364; Helge Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 514 f.; ders., Unabhängigkeit und Methodik von Verfassungsrechtsprechung, in: ders. (Hrsg.), Wechsel und Kontinuität im Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, 2001, S. 21 (24); Ekkehart Stein, in: Erhard Denninger/Wolfgang Hoffmann-Riem/Hans-Peter Schneider/Ekkehart Stein (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 3. Aufl., Einleitung II Rn. 8, 53 und 93 (Stand der Kommentierung: 2001).

B. Analyse

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„notwendig Anwendung der teleologischen Methode als Zusammenfassung von sprachlicher, historischer und systematischer Auslegung, nicht als vierte Auslegungsart neben diesen drei.“92 Sinn und Zweck des § 95b SGB V bestehen darin, eine Gefährdung oder Beseitigung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung, wie es bisher besteht, zu verhindern.93 Vertragsärzte sollen nicht durch den kollektiven Verzicht das System der gesetzlichen Krankenversicherung schwächen können, um dadurch eigene Interessen wirkungsvoll durchsetzen zu können. „Jede Schädigung der vom Körperschaftszweck erfaßten Interessen der Beteiligten hat zu unterbleiben.“94 Diese Zielrichtung bestätigt die Erkenntnisse der systematischen und historischen Auslegung. Denn auch die teleologische Auslegung ergibt, daß jede Interessenschädigung zu unterbleiben hat. Der zitierte Satz95 bringt zum Ausdruck, daß eine Schädigung der Verbandsinteressen auch dann tatbestandsmäßig ist, wenn die Schädigung nicht Ziel, sondern nur Folge des Handelns war. Was zählt, ist der eingetretene Erfolg. Demzufolge kommt es auch nicht auf die Eignung zur (vollständigen oder teilweisen) Beseitigung des vertragsärztlichen Systems an.

V. Zwischenergebnis Alle Auslegungsmethoden kommen zu demselben Ergebnis. Unter einem abgestimmten Verfahren oder Verhalten ist das Vorgehen von drei oder mehr Vertragsärzten zu verstehen, die vor dem Verzicht auf die Zulassung diesen Schritt miteinander koordiniert haben. Die Eignung zur Gefährdung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung sowie die Motive der handelnden Vertragsärzte sind hierbei unbeachtlich.

VI. Vereinbarkeit des Ergebnisses mit verfassungsrechtlichen Vorgaben Die Regelung in § 95b Abs. 1 SGB V mit dem soeben ermittelten Inhalt muß jedoch verfassungsrechtlichen Vorgaben genügen, um wirksam zu sein. Fraglich ist

92 Stein (Fn. 91), Einleitung II Rn. 93; Helge Sodan, Methoden der Verfassungsinterpretation in der verfassungsgerichtlichen Judikatur, in: Otto Depenheuer/Ilyas Dogan/Osman Can (Hrsg.), Deutsch-Türkisches Forum für Staatsrechtslehre I, 2004, S. 11 (28). 93 BSGE 98, 294 (297 f., Rn. 19); BSG, MedR 2008, S. 384 (386, Rn. 26); Urt. v. 27.06.2007, B 6 KA 39/06 R, Rn. 22 (zitiert nach juris); Kruse (Fn. 23), § 95b Rn. 1; Klückmann (Fn. 16), K § 95b Rn. 2; Sproll (Fn. 38), § 95b SGB V Rn. 2. 94 BT-Drucks. 12/3608, S. 95. 95 Siehe BT-Drucks. 12/3608, S. 95.

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

insbesondere die Gesetzgebungskompetenz des Bundes96 sowie die Vereinbarkeit mit den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip. 1. Gesetzgebungskompetenz des Bundes a) Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG Der Bund müßte sich auf einen Gesetzgebungstitel stützen können, da anderenfalls gemäß Art. 70 GG die Länder zuständig wären97 und eine bundesgesetzliche Regelung wegen Verstoßes gegen die Kompetenzverteilung nichtig wäre98. Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG unter anderem auf die Zulassung zu ärztlichen Berufen. Die Zulassung bezieht sich nur auf die Erteilung, Zurücknahme und den Verlust der Approbation sowie die Befugnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs.99 Keine Zulassungsfrage stellt die Berufsausübung dar; diese ist etwa betroffen durch das Ärztekammerrecht100, das Facharztwesen101 oder die ärztliche Berufsgerichtsbarkeit102. Bei der Schaffung eines Pflichtwidrigkeitstatbestandes handelt es sich aber um eine Regelung der Art und Weise der Ausübung der bereits aufgenommenen Tätigkeit, also um eine Berufsausübungsfrage. Somit ist Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG keine taugliche Gesetzgebungskompetenz. Denn die Begrenzung der Kompetenznorm hat die Funktion, den nicht zugewiesenen Bereich gemäß Art. 70 GG in der Gesetzgebungskompetenz der Länder zu belassen. b) Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG Als Kompetenzgrundlage für § 95b Abs. 1 SGB V kann ferner nicht Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG herangezogen werden. Danach erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung auch auf die Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung. Von dieser Kompetenz hat der Bund zwar durch den Erlaß des GWB Gebrauch gemacht; § 95b Abs. 1 SGB V enthält einen kartellrechtsähnlichen Pflichtwidrigkeitstatbestand. Ob eine Regelung dem Kompetenztitel unterfällt, richtet sich aber nach ihrem Gegenstand, nicht nach ihrem Zweck oder ihrer Wirkung; soweit in Fällen der Überschneidung von Gesetzgebungsgegenständen Zweifel bestehen, entscheidet der Schwerpunkt der beabsichtigten gesetzlichen Regelung über die

96 Siehe zu den Gesetzgebungskompetenzen des Bundes im Gesundheitswesen Helge Sodan, Verfassungs- und europarechtliche Grundlagen des Medizinrechts, in: Frank Wenzel (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, 2. Aufl. 2009, Kapitel 1 Rn. 3 ff. 97 Siehe etwa Andreas Haratsch, in: Helge Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, 2009, Art. 70 Rn. 1. 98 BVerfGE 26, 281 (301). 99 BVerfGE 4, 74 (83); 7, 18 (25); 17, 287 (292); 33, 125 (154 f.). 100 BVerwGE 39, 110 (112). 101 BVerfGE 33, 125 (155); 98, 265 (307). 102 BVerfGE 4, 74 (83 ff.); 7, 18 (25).

B. Analyse

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Zuordnung zu einem Kompetenztitel.103 Durch § 95b Abs. 1 SGB V wurde eine Vorschrift geschaffen, welche die ärztliche Versorgung der Versicherten gewährleisten soll. Angesichts dieses gesundheitsspezifischen Bezuges liegt der Schwerpunkt der Regelung jedenfalls nicht in der Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG. c) Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG Ferner kommt hier Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG als Kompetenzvorschrift in Betracht. Der Begriff des Rechts der Wirtschaft wird allgemein weit verstanden und umfaßt alle Normen, die das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung regeln.104 Berufsrecht unterfällt dem Recht der Wirtschaft, soweit es Gewerbe- und Handwerksrecht ist; im übrigen gehen spezielle Regelungen wie Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG vor.105 Die spezielle Norm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG erfaßt das ärztliche Berufsausübungsrecht jedoch gerade nicht. Dies ist, wie ein systematischer Vergleich mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zeigt, der das gesamte Recht der Rechtsanwaltschaft, des Notariats und der Rechtsberatung umspannt, „Kennzeichen einer inhaltlich verschiedenen Abgrenzung der Gesetzgebungszuständigkeiten“106, so daß sich ein Rückgriff auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG verbietet. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Auffassung vertreten, daß unter das Recht der Wirtschaft auch die ärztliche Gebührenordnung falle107. Aber diese Ansicht läßt sich schwerlich mit dem in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG enthaltenen Klammerzusatz vereinbaren, weshalb berechtigte Kritik an der Entscheidung geäußert wurde; denn die freiberufliche Arzttätigkeit ist gerade keine gewerbliche Betätigung.108 Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, daß ein „Gegenstand, der sowohl unter eine spezielle Bezeichnung wie auch unter eine umfassende allgemeine Bezeichnung eingeordnet werden kann, nur der speziellen Bestimmung zu unterstellen ist“109. 103

Peter Badura, Staatsrecht, 3. Aufl. 2003, F Rn. 28. Siehe etwa BVerfGE 8, 143 (148 f.); 55, 274 (308); 68, 319 (330). Kritisch dazu Philip Kunig, Die Legende vom „weiten“ Begriff des „Rechts der Wirtschaft“, JR 1986, S. 491 (492 ff.); Christian Pestalozza, in: Hermann von Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. VIII, 3. Aufl. 1996, Art. 74 Rn. 524 ff. 105 Michael Bothe, in: Erhard Denninger/Wolfgang Hoffmann-Riem/Hans-Peter Schneider/ Ekkehart Stein (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, 3. Aufl., Art. 74 Rn. 24 (Stand der Kommentierung: August 2002); Theodor Maunz, in: ders./Günter Dürig, Grundgesetz, Bd. V, Art. 74 Rn. 140 (Stand der Kommentierung: Oktober 1984). 106 BVerfGE 4, 74 (83). 107 BVerfGE 68, 319 (328). 108 Siehe Pestalozza (Fn. 104), Art. 74 Rn. 543. 109 BVerfGE 7, 29 (44). Vgl. dazu auch Manfred Hagedorn, Anmerkung zum Urteil des BSG vom 21.11.1972 – 6 R Ka 41/71 (= NJW 1973, S. 1437), NJW 1973, S. 2262 (2263); Rupert Stettner, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 70 Rn. 29. 104

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

Es ist sehr zweifelhaft, ob der Bundesgesetzgeber die Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG für sich in einem Fall in Anspruch nehmen kann, in dem Regelungen vorrangig und speziell der Finanzierung der Sozialversicherung dienen.110 Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG darf nicht so weit interpretiert werden, daß eine „Universalgesetzgebungszuständigkeit des Bundes“ entsteht, „die alle im einzelnen aufgeführten Zuständigkeiten entbehrlich macht, weil kein Gesetz denkbar ist, das nicht zumindest mittelbare ökonomische Folgen auslöst“.111 Das ärztliche Zulassungsrecht ist speziell im Verhältnis zum Recht der Wirtschaft, so daß aus diesem Grund Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG als Kompetenzgrundlage ausscheidet. d) Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG Somit verbleibt als möglicher Kompetenztitel die in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG genannte Sozialversicherung. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, daß der Begriff der Sozialversicherung weit zu verstehen sei112. Umfaßt sei alles, „was sich der Sache nach als Sozialversicherung“ darstelle.113 Hierzu zähle auch das Vertragsarztwesen.114 Gekennzeichnet sei die Sozialversicherung durch ein soziales Bedürfnis nach Ausgleich besonderer Lasten, die Aufbringung der erforderlichen Mittel durch Beiträge der Beteiligten oder Betroffenen115 und die organisatorische Durchführung durch selbständige Anstalten des öffentlichen Rechts116.117 Der Bund hat von dem Kompetenztitel der „Sozialversicherung“ unter anderem durch umfangreiche Regelungen der Einbindung von Ärzten und Zahnärzten in das System der gesetzlichen Krankenversicherung Gebrauch gemacht. Diese Vorschriften bilden schon seit langem eine besondere Rechtsmaterie, welche gerade in verfassungsrechtlicher Hinsicht zunehmender, vor allem grundrechtlicher Kritik

110 Helge Sodan, Der „Beitrag“ des Arbeitgebers zur Sozialversicherung für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, NZS 1999, S. 105 (111). 111 Josef Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, 1973, S. 54. 112 BVerfGE 75, 108 (146 f.); 87, 1 (34); 88, 203 (313). 113 BVerfGE 88, 203 (313). So bereits BVerfGE 11, 105 (111). 114 BVerfG (Kammerbeschluß), NJW 1999, S. 2730 (2731). So auch BVerwGE 65, 362 (365); 99, 10 (12); BSGE 82, 55 (59); Christoph Degenhart, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Aufl. 2009, Art. 74 Rn. 58; Philip Kunig, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 5. Aufl. 2003, Art. 74 Rn. 67; Maunz (Fn. 105), Art. 74 Rn. 175. 115 BVerfGE 87, 1 (34). 116 BVerfGE 11, 105 (111 ff.); 63, 1 (34 f.). 117 Vgl. zur Frage, ob wirklich alle gesetzlich Versicherten ein soziales Bedürfnis nach Ausgleich besonderer Lasten haben, Sodan (Fn. 56), S. 319 ff.

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ausgesetzt ist.118 Erhebliche Bedenken ergeben sich insbesondere auch in kompetenzrechtlicher Hinsicht.119 Das Bundesverfassungsgericht geht bislang offenbar stillschweigend von der erforderlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Regelung des Vertragsarztrechts aus. Das Bundesverwaltungsgericht vertrat in einem Urteil aus dem Jahre 1982120 die Auffassung, der Bund habe eine Kompetenz im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung für das „Kassenarztrecht“ als Bestandteil der „Sozialversicherung“. Die damaligen Kassenärzte seien „in das öffentlich-rechtliche Versorgungssystem der Krankenversicherung nach der Reichsversicherungsordnung einbezogen“ gewesen. Als „wesentliches Element des Kassenarztrechts“ sah das Gericht unter anderem den „Sicherstellungsauftrag für die kassenärztliche Versorgung“ an. „Die danach anzunehmende Kompetenz des Bundes zur Regelung der öffentlichrechtlichen Pflichten des Kassenarztes“ sei „gegenüber der Gesetzgebungszuständigkeit des Landes für eine Regelung der allgemeinen Berufsausübung des Arztes eine speziellere Kompetenzzuweisung, die gegenüber der generelleren den Vorrang“ habe.121 Gegen die These, die Kompetenz zur Regelung der „Sozialversicherung“ sei spezieller als diejenige zur Ausformung des allgemeinen ärztlichen Berufsrechts, bestehen jedoch methodologische Einwände. Das Bundesverfassungsgericht wies zutreffend darauf hin, daß bei mehreren möglichen Kompetenztiteln ein Gesetzgebungsgegenstand nur der speziellen Bestimmung zu unterstellen ist.122 Das Vertragsarztrecht als Leistungserbringungsrecht ist lediglich Bestandteil des allgemeinen Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung, welches darüber hinaus vor allem das Leistungsrecht umfaßt. Damit ist das Vertragsarztrecht und insoweit dieses besondere ärztliche Berufsrecht als „Teilmenge“ die speziellere Rechtsmaterie gegenüber der allgemeinen Kompetenz für die Sozialversicherung in Art. 74 Abs. 1 118 Vgl. aus dem umfangreichen jüngeren Schrifttum Wolfgang Gitter/Gabriele KöhlerFleischmann, Gedanken zur Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung und zur Funktion des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, SGb 1999, S. 1 (4 mit Fn. 5); Friedhelm Hufen, Inhalt und Einschränkbarkeit vertragsärztlicher Grundrechte, MedR 1996, S. 394 ff.; Rainald Maaß, Die Entwicklung des Vertragsarztrechts in den Jahren 1994 und 1995, NJW 1995, S. 3028 (3039 ff.); Fritz Ossenbühl, Richtlinien im Vertragsarztrecht, NZS 1997, S. 497 ff.; Ruth Schimmelpfeng-Schütte, Richtliniengebung durch den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen und demokratische Legitimation, NZS 1999, S. 530 ff.; Sodan (Fn. 56), S. 215 ff., 306 ff.; ders., Normsetzungsverträge im Sozialversicherungsrecht, NZS 1998, S. 305 (308 ff.); Raimund Wimmer, Rechtsstaatliche Defizite im vertragsärztlichen Berufsrecht, NJW 1995, S. 1577 ff.; ders., Grenzen der Regelungsbefugnis in der vertragsärztlichen Selbstverwaltung, NZS 1999, S. 113 ff. 119 Siehe dazu bereits Helge Sodan, Verfassungsrechtliche Anforderungen an Regelungen gemeinschaftlicher Berufsausübung von Vertragsärzten, NZS 2001, S. 169 (170 ff.). 120 Siehe BVerwGE 65, 362 (365). Vgl. ferner BVerwGE 99, 10 (12). 121 BVerwGE 65, 362 (365). 122 Vgl. Fn. 109.

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

Nr. 12 GG. Der Bundesgesetzgebung verbleibt der umfängliche Bereich des für die Sozialversicherung wesentlichen Leistungsrechts, welches allerdings erhebliche Auswirkungen auf das Leistungserbringungsrecht hat. Dieser Befund wird bestätigt durch die bereits genannte Festlegung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, durch welche die Bundeszuständigkeit eben auf die „Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen“ beschränkt ist. Daraus ist im Umkehrschluß zu folgern, daß für das übrige und sogar überwiegende ärztliche Berufsrecht nach Art. 70 Abs. 1 GG die Länder das Recht der Gesetzgebung haben. Wäre die „Sozialversicherung“ die speziellere Rechtsmaterie, „so liefe die von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG gewollte Kompetenzabgrenzung ins Leere. Der Gesetzgeber müßte nur einen ihm zugewiesenen Regelungsbereich – hier die Sozialversicherung – erfassen und die ihm als regelungsopportun erscheinenden weiteren Sachverhalte dort normativ einbeziehen, um sich letztlich einer Gesetzgebungskompetenz zu gerieren, die ihm nach der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung nicht zugewiesen ist. Eine derartige Auslegung würde das Kompetenzgefüge der Art. 70 ff. GG aushebeln“.123 Die Gesetzgebungskompetenz für die „Sozialversicherung“ kann selbst für das Leistungsrecht hinsichtlich seiner Auswirkungen auf das Leistungserbringungsrecht nicht grenzenlos in Anspruch genommen werden. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind in den Versicherungsschutz durch die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen; die meisten niedergelassenen Ärzte sind auf eine Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung angewiesen.124 Infolgedessen hat das Leistungsrecht des Bundes-Sozialgesetzgebers längst das ärztliche Berufsrecht wesentlich durchdrungen. Zu beachten ist also der „Vorrang des in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder (Art. 70 I GG) fallenden allgemeinen ärztlichen Berufsrechts“, von dem das Bundessozialgericht in einem Urteil aus dem Jahre 1997 sprach125. Somit kann der Bund sich für die Regelung in § 95b SGB V nicht auf die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG stützen.

123 Günther Schneider, Rechtsfragen zur Hausarzt- und Facharztregelung, MedR 1995, S. 175 (179). Vgl. dazu auch Meinhard Heinze, Die rechtlichen Rahmenbedingungen der ärztlichen Heilbehandlung, MedR 1996, S. 252 (256 f.); Friedhelm Hufen, Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Gebietsabgrenzung Hausarzt/Facharzt in § 73 SGB V, 1997, S. 9 ff. Anders hingegen Ingwer Ebsen, Das System der Gliederung in haus- und fachärztliche Versorgung als verfassungsrechtliches Problem, VSSR 1996, S. 351 (355 ff.). 124 Sodan (Fn. 56), S. 228 f. 125 BSGE 80, 256 (259). Vgl. in diese Richtung auch bereits BSGE 23, 97 (99); 62, 224 (226). Vgl. ferner BVerfGE 4, 74 (83 ff.); 7, 18 (25); 17, 287 (292); 33, 125, (154 f.). Siehe aus der Literatur Helge Sodan, Die institutionelle und funktionelle Legitimation des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, NZS 2000, S. 581 (583); ders. (Fn. 119).

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e) Kompetenz kraft Sachzusammenhangs Zu einer Durchbrechung der ausdrücklichen Kompetenzverteilung der Art. 70 ff. GG führen Gesetzgebungszuständigkeiten kraft Sachzusammenhangs, die daher nur zurückhaltend beansprucht werden dürfen.126 Sie bewirken ein Übergreifen von einer dem Bund ausdrücklich zugewiesenen Materie in eine anderweitige, ihm nicht ausdrücklich zugewiesene Materie127, wenn dieses Übergreifen unerläßlich ist, andernfalls die dem Bund ausdrücklich zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann128. Die Unerläßlichkeit der Verknüpfung muß nachgewiesen sein; bloße Zweckmäßigkeitsüberlegungen genügen nicht.129 Für einen Sachzusammenhang zwischen dem das Vertragsarztrecht betreffenden Pflichtwidrigkeitstatbestand und der dem Bund ausdrücklich zugewiesenen Kompetenz der Sozialversicherung im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG könnte die vom Gesetzgeber bezweckte Sicherung der finanziellen Stabilität und der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung130 sprechen. Denn § 95b Abs. 1 SGB V soll eine Unterversorgung der Versicherten durch die Inpflichtnahme der Vertragsärzte verhindern. Somit könnte man annehmen, daß diese sozialversicherungsrechtliche Vorschrift sich zwangsläufig auf das vertragsärztliche Berufsrecht auswirkt. Dagegen spricht jedoch zuerst, daß die Bestimmung des Pflichtwidrigkeitstatbestandes in § 95b Abs. 1 SGB V nicht unerläßliche Voraussetzung für die Regelung der dem Bund zugewiesenen Materie der Sozialversicherung ist. Der Bund kann von dieser Gesetzgebungskompetenz Gebrauch machen, ohne ärztliches Berufsrecht zu regeln, wie die auf Landesebene beschlossenen Berufsordnungen erkennen lassen. Überdies ist das Gebrauchmachen von der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs nur insoweit zulässig, als keine substantielle Erweiterung der Hauptmaterie erfolgt.131 Die ausdrücklich zugewiesene Materie ist hier das Sozialversicherungsrecht. Wie bereits dargelegt wurde, umfaßt es das allgemeine ärztliche Berufsrecht gerade nicht. Das vom Bundesgesetzgeber beschlossene Vertragsarztrecht regelt jedoch in wesentlicher Hinsicht vertragsärztliche Pflichten. Dabei handelt es sich mittlerweile um ein abgegrenztes Teil-Rechtsgebiet von erheblichem Umfang, was auch daraus deutlich wird, daß innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit eigene Kammern und Senate für die Angelegenheiten der Vertragsärzte gebildet sind und es ein vielfältiges Schrifttum speziell zum Vertragsarztrecht gibt.

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Siehe dazu Haratsch (Fn. 97), Art. 70 Rn. 17. BVerfGE 3, 407 (421); 22, 180 (213); 26, 281 (300). 128 BVerfGE 3, 407 (421). 129 Vgl. dazu Kunig (Fn. 114), Art. 70 Rn. 24. 130 Siehe hierzu Nils Schaks, Der Grundsatz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung, 2007. 131 Degenhart (Fn. 114), Art. 70 Rn. 45; Albert von Mutius, „Ungeschriebene“ Gesetzgebungskompetenzen des Bundes, Jura 1986, S. 498 (500). 127

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

In einem Sondervotum von drei Mitgliedern des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts wurde im Hinblick auf die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs sogar eine „Form des Zitiergebots“ gefordert: Der Bundesgesetzgeber müsse „das Ausmaß eines Hineinwirkens in den fremden Bereich ausdrücklich“ offen legen und damit zum Ausdruck bringen, „daß es dieser Regelung zur Normierung der eigenen Materie bedarf“.132 Auch hieran fehlt es. Somit läßt sich hier zugunsten des Bundesgesetzgebers keine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs begründen. f) Ergebnis Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß eine Kompetenz des Bundes zum Erlaß des § 95b Abs. 1 SGB V nicht ersichtlich ist. Vielmehr sind die Länder für das ärztliche Berufsrecht zuständig. § 95b Abs. 1 SGB V ist also wegen Verstoßes gegen die Kompetenzverteilung verfassungswidrig. 2. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 1 SGB V mit Grundrechten Die Verfassungswidrigkeit des § 95b Abs. 1 SGB V könnte sich überdies insbesondere aus Verstößen gegen Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3 und 1 sowie Art. 2 Abs. 1 GG ergeben. a) Berufsfreiheit aa) Schutzbereich Art. 12 Abs. 1 GG schützt als einheitliches Grundrecht die Freiheit des Berufs.133 Gewährleistet wird die „Freiheit des Bürgers, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als Beruf zu ergreifen, d. h. zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen“.134 Das Grundrecht ist in erster Linie „persönlichkeitsbezogen“.135 Es konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung und Existenzerhaltung.136 Unter dem Begriff des Berufs ist jede „auf Erwerb gerichtete Tätigkeit“ zu verstehen, „die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Aufrechterhaltung einer

132

BVerfGE 98, 329 (352). BVerfGE 7, 377 (400 ff.); 33, 303 (336); 54, 237 (245 f.); 95, 193 (214); Rüdiger Breuer, Freiheit des Berufs, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, 2. Aufl. 2001, § 147 Rn. 32; Helge Sodan, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 2009, Art. 12 Rn. 1. 134 BVerfGE 30, 292 (334). So bereits BVerfGE 7, 377 (397). 135 BVerfGE 30, 292 (334). 136 BVerfGE 54, 301 (313); 75, 284 (292); 97, 12 (25). 133

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Lebensgrundlage dient“.137 Nicht nur die Wahl und das Beibehalten des gewählten Berufs werden durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt, sondern auch die Freiheit, keinen Beruf auszuüben oder den einmal gewählten Beruf aufzugeben138 („negative“ Berufsfreiheit). Im Hinblick auf § 95b Abs. 1 SGB V ist die „negative“ Berufsfreiheit berührt, da sich diese Vorschrift auf das Ausscheiden aus der vertragsärztlichen Versorgung bezieht. Zwar führt der in § 95b Abs. 1 SGB V statuierte Pflichtenverstoß nicht zur Unwirksamkeit der Verzichtserklärung139, also nicht zum zwangsweisen Verbleib in der vertragsärztlichen Versorgung. Jedoch sind die möglichen Folgen eines kollektiven Verzichts auf die Zulassung als Vertragsarzt geeignet, verzichtsbereite Vertragsärzte von der Ausübung ihrer grundrechtlich geschützten Freiheit abzuhalten, so daß sie wider ihren Willen in der vertragsärztlichen Versorgung verbleiben. Somit ist also der Schutzbereich der Berufsfreiheit thematisch betroffen. bb) Eingriff Nach klassischem Grundrechtsverständnis liegt dann ein Eingriff in grundrechtlich verbürgte Freiheiten vor, wenn der Staat unmittelbar, final, mit rechtlicher Wirkung und der Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung handelt.140 In bezug auf die Berufsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt: „Es genügt, daß sie aufgrund der staatlichen Maßnahme nicht mehr in der gewünschten Weise ausgeübt werden kann“.141 § 95b Abs. 1 SGB V erklärt den abgestimmten Verzicht auf die Zulassung für Vertragsärzte als pflichtwidrig und damit verboten. Im Falle eines Pflichtenverstoßes können rechtliche Sanktionen nach § 95b Abs. 2 und 3 SGB V sowie – bis zum Wirksamwerden der Verzichtserklärung – nach dem Disziplinarrecht142 erfolgen. Sowohl die abschreckende Wirkung des Verbots als auch die möglichen Sanktionen wurden bewußt zur Regelung vertragsärztlichen Verhaltens erlassen. Nach klassischem Verständnis liegt also ein Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit vor.143 Die ärztliche Tätigkeit kann nicht mehr in der gewünschten Weise ausgeübt werden.

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BVerfGE 102, 197 (212); 110, 304 (321); 111, 10 (28); 115, 276 (300). Siehe näher zum Begriff des Berufs Sodan (Fn. 133), Art. 12 Rn. 9. 138 BVerfGE 58, 358 (364); 68, 256 (267). 139 Hess (Fn. 4), § 95b SGB V Rn. 3; Klückmann (Fn. 16), K § 95b Rn. 8. 140 BVerfGE 105, 279 (300); BVerwGE 90, 112 (121). Hierzu ausführlich Michael Sachs, in: Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, 1994, S. 82 ff. 141 BVerfGE 82, 209 (223). 142 Vgl. zu diesem Aspekt Klückmann (Fn. 16), K § 95b Rn. 12. 143 So auch jeweils in bezug auf § 95b Abs. 3 SGB V BSGE 98, 294 (305, Rn. 36); BSG, MedR 2008, S. 384 (389, Rn. 41); Urt. v. 27.06.2007, B 6 KA 39/06 R, Rn. 37 (zitiert nach juris).

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

cc) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Die Verfassung überträgt durch Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG dem Gesetzgeber Befugnisse zur Regelung der Berufsausübung. Gesetzliche Vorschriften vermögen aber nur dann das Grundrecht der Berufsfreiheit wirksam einzuschränken, wenn sie in formeller Hinsicht mit den kompetenzrechtlichen Vorgaben der Verfassung vereinbar sind und in materieller Hinsicht insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.144 Wie bereits dargelegt wurde145, steht dem Bund keine Gesetzgebungskompetenz zur Regelung in § 95b Abs. 1 SGB V zu. Schon aus diesem Grund läßt sich der Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG nicht rechtfertigen. Sollte dennoch eine Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes angenommen werden, so müßte § 95b Abs. 1 SGB V den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genügen, um verfassungsgemäß zu sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Regelungen der Berufsausübung verhältnismäßig, „wenn sie durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden, wenn das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zweckes geeignet und auch erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist“146.Demgegenüberist eine objektive Berufszulassungsregelung nur dann zulässig, „wenn sie der Abwehr nachweisbarer oder höchst wahrscheinlicher schwerwiegender Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“ dient.147 Entscheidend ist daher, ob die Tätigkeit als Vertragsarzt die Ausübung eines eigenständigen Berufs darstellt, so daß hier eine Zulassungsregelung vorläge, oder ob es sich lediglich um eine besondere Form der Ausübung des Berufs des Arztes handelt, mit der Folge, daß vorliegend eine Ausübungsregelung gegeben wäre. Teilweise wird die Auffassung vertreten, daß aufgrund der überragenden Bedeutung der vertragsärztlichen Versorgung (etwa 90 Prozent der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland sind gesetzlich krankenversichert) die Tätigkeit als Vertragsarzt einen eigenständigen Beruf darstelle148. 1960 bzw. 1961 hat das Bundes144 Vgl. etwa BVerfGE 13, 181 (190); 32, 319 (326); 40, 371 (378); 53, 1 (15); 76, 196 (207); 80, 1 (24); 94, 372 (389 f.); Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Aufl. 1996, S. 347 ff.; Sodan (Fn. 110), S. 109. 145 Vgl. Erster Teil B. VI. 1. a) – f). 146 BVerfGE 68, 272 (282); fast wortgleich BVerfGE 61, 291 (312); 106, 181 (192); vgl. ferner etwa BVerfGE 7, 377 (405 f.); 73, 301 (317); 85, 360 (375 ff.); 102, 197 (220); 109, 64 (85); 117, 163 (182). 147 BVerfGE 7, 377 (408); 11, 168 (183); 25, 1 (11); 75, 284 (296); 85, 360 (374); 97, 12 (32). 148 So etwa Harald Bogs, Freie Zulassung zum freiberuflichen Kassenarztamt unter dem Bonner Grundgesetz, in: Wolfgang Gitter/Werner Thieme/Hans F. Zacher (Hrsg.), Festschrift für Georg Wannagat zum 65. Geburtstag, 1981, S. 51 (69 f.); Erika Herweck-Behnsen, Die

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verfassungsgericht sowohl in bezug auf die damaligen Kassenärzte149 als auch auf die seinerzeitigen Kassenzahnärzte150 ausgeführt, daß die Kassen(zahn)arzttätigkeit nicht als eigenständiger Beruf zu qualifizieren sei. Denn sowohl die damaligen Kassenärzte als auch privat liquidierende Ärzte übten die gleiche Tätigkeit aus; sie nähmen an ihren Patienten die gleiche Art der Behandlung vor.151 Darüber hinaus versorgten beide – rechtlich gesehen – denselben Patientenkreis; denn auch der Kassenarzt dürfe jederzeit Privatpatienten behandeln, ebenso wie der nicht zugelassene Arzt Kassenpatienten behandeln dürfe, sofern sie ihn privat vergüteten.152 Die gegenteilige Ansicht führe dazu, daß ein niedergelassener Arzt, der auch Privatpatienten behandele, zwei Berufe ausüben würde.153 Auch die Anschauung der Patienten bestätigt diesen Befund, da bei ihnen kaum die Vorstellung maßgebend ist, den aufgesuchten niedergelassenen Arzt als Angehörigen eines besonderen vertragsärztlichen Berufsstandes zu konsultieren.154 Der Vertragsarzt übt also keinen eigenständigen Beruf aus.155 Die Regelung des § 95b Abs. 1 SGB V stellt daher lediglich eine Berufsausübungsregelung dar. Demnach würden zur Rechtfertigung hinreichende Gründe des Gemeinwohls ausreichen. Jedoch ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, daß Berufsausübungsregelungen von ihren tatsächlichen Auswirkungen her einer Berufswahlregelung nahe kommen können mit der Folge, daß auch die konkrete Berufsausübungsregelung die erhöhten, strengeren Anforderungen der Rechtfertigung einer Berufswahlregelung erfüllen muß.156 Dann ist die Berufsausübungsregelung nur gerechtfertigt, wenn sie durch besonders wichtige Interessen der Allgemeinheit gefordert wird, die anders nicht geschützt werden können.157 Ob ein solcher Fall in bezug auf § 95b Abs. 1 SGB V vorliegt, ist fraglich. Auf der einen Seite stellt der Gesetzgeber durch § 95b Abs. 2 und 3 SGB V harte Sanktionsmöglichkeiten bereit, die schwerwiegende Folgen für die weitere ärztliche Existenz haben können und geeignet sind, den Vertragsarzt gegen seinen Willen in der vertragsärztlichen Versorgung verbleiben zu lassen. Die in § 95b Abs. 2 SGB V angeordnete mindestens sechsjährige Zulassungssperre kann im Falle des Scheiterns der rein privatärztlichen Praxis dazu führen, daß der Arzt überhaupt nicht mehr in Legitimation der Zulassungsbeschränkungen des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte durch das Grundgesetz, NZS 1995, S. 211 f.; Albert Krölls, Grundgesetz und ärztliche Niederlassungsfreiheit, GewArch 1993, S. 217 (221). 149 Siehe BVerfGE 11, 30 (41). 150 Siehe BVerfGE 12, 144 (147). 151 BVerfGE 11, 30 (41). 152 BVerfGE 11, 30 (41). 153 BVerfGE 11, 30 (41). 154 Sodan (Fn. 56), S. 156 f. 155 Sodan (Fn. 56), S. 156, 164 f., 194, 228. 156 Siehe etwa BVerfGE 11, 30 (44 f.); 12, 144 (147 f.); 32, 1 (34 f.); 82, 209 (229 f.). 157 BVerfGE 11, 30 (45); 12, 144 (148).

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diesem Beruf tätig sein kann. Denn als Privatarzt kann er in diesem Falle seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten, und als Vertragsarzt darf er vor Ablauf von sechs Jahren nicht erneut zugelassen werden. Dann ist der Vertragsarzt aber de facto im vertragsärztlichen Versorgungssystem festgehalten. Auf der anderen Seite gilt es jedoch die Pflichtwidrigkeit des § 95b Abs. 1 SGB V von den ihr folgenden Sanktionsmöglichkeiten zu trennen. Außerdem verbleibt dem Vertragsarzt stets die Möglichkeit, individuell auf die Zulassung gemäß § 28 Abs. 1 Ärzte-ZV zu verzichten. Somit liegt nur eine Berufsausübungsregelung vor, die durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden kann. (1) Hinreichende Gründe des Gemeinwohls Wie bereits dargelegt wurde, zielt die Regelung des § 95b Abs. 1 SGB V darauf ab, durch diese „legislative Drohung“158 das System der gesetzlichen Krankenversicherung vor einer Destabilisierung durch Vertragsärzte zu schützen und so die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährleisten.159 Auch das Bundessozialgericht stellt in seiner Rechtsprechung zum kollektiven Zulassungsverzicht auf „die Stabilität der vertragsärztlichen Versorgung“ ab, „deren Sicherstellung in sachlicher wie in finanzieller Hinsicht ein Gemeinwohlbelang von erheblichem Gewicht“ sei160. Die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts nennt als „Gemeinwohlbelang von hinreichendem Gewicht“ „die Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung“161. Dieser Gemeinwohlbelang ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewichtig genug selbst zur Rechtfertigung einer Berufswahlregelung162. Teilweise führt das Bundesverfassungsgericht aus, dieser Grundsatz sei so gewichtig, daß der Gesetzgeber sich ihm nicht einmal entziehen dürfte163. Demnach lägen besonders wichtige Interessen der Allgemeinheit vor, welche die Regelung des § 95b Abs. 1 SGB V rechtfertigen könnten. Das Bundesverfassungsgericht wendet diesen Grundsatz in nunmehr gefestigter Rechtsprechung an und hält ihn für einen hinreichenden Gemeinwohlbelang auch zur Rechtfertigung erheblicher Grundrechtseingriffe. Dennoch ist aus dogmatischer Sicht fraglich, ob der Grundsatz der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Kranken158

Begriff von Schneider (Fn. 4), Rn. 354. Vgl. Erster Teil B., insbes. III. und IV. 160 BSGE 98, 294 (304, Rn. 34); BSG, MedR 2008, 384 (389, Rn. 42); Urt. v. 27.06.2007, B 6 KA 39/06 R, Rn. 38 (zitiert nach juris). 161 Siehe BVerfGE 103, 172 (184); BVerfG (Kammerbeschluß), DVBl. 2002, S. 400 (401). Vgl. ferner etwa BVerfGE 68, 193 (218); 70, 1 (29); 82, 209 (230); BVerfG, Pharma Recht 1991, S. 121 (122 f.); BVerfG (Kammerbeschluß), DVBl. 1992, S. 276 (278); BVerfGE 103, 392 (404). Siehe dazu auch Helge Sodan, Verfassungsrechtsprechung im Wandel – am Beispiel der Berufsfreiheit, NJW 2003, S. 257 (259). 162 BVerfG (Kammerbeschluß), DVBl. 2002, S. 400 (401). 163 So BVerfGE 68, 193 (218); vgl. ferner BVerfG, Pharma Recht 1991, S. 121 (122 f.); BVerfG (Kammerbeschluß), DVBl. 1992, S. 276 (278). 159

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versicherung eine solche rechtfertigende Kraft entfalten kann.164 Wenn das Bundesverfassungsgericht formuliert, der Gesetzgeber dürfe sich der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung nicht entziehen165, heißt dies, daß der Gesetzgeber diesen Grundsatz verfolgen muß. Eine Bindung des Gesetzgebers kann sich jedoch nur aus der Verfassung, also dem Grundgesetz ergeben. Demnach wären der Grundsatz der finanziellen Stabilität sowie damit Existenz und Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung von Verfassungs wegen vorgegeben.166 Da die zitierten Entscheidungen jedoch keine Begründung für dieses Ergebnis geben, ist fraglich, wo im Grundgesetz der genannte Grundsatz zu verorten ist. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG scheidet als Auftrag an den Gesetzgeber aus, da Kompetenzbestimmungen nur Zuständigkeiten regeln, aber keine Pflichten begründen.167 Als verfassungsrechtliche Grundlage dieses Prinzips kommt aber das sogenannte Sozialstaatsprinzip in Betracht. Das Grundgesetz konstituiert in Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 die Bundesrepublik Deutschland als „sozialen Bundesstaat“ bzw. „sozialen Rechtsstaat“ und gestattet die deutsche Mitwirkung bei der Entwicklung der Europäischen Union nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG nur, wenn diese auch „sozialen […] Grundsätzen […] verpflichtet ist“.168 Das damit verankerte Sozial(staats)prinzip ist ein der konkreten Ausgestaltung in hohem Maße fähiges und bedürftiges Prinzip, welches durch Gesetze verwirklicht wird.169 Konkrete Ansprüche des einzelnen können aus Art. 20 Abs. 1 GG daher regelmäßig nicht hergeleitet werden.170 Aufgrund der Unbestimmtheit seines Inhalts mahnt das Sozial(staats)prinzip zur Zurückhaltung bei richterrechtlicher Rechtsschöpfung.171 Das Sozial(staats)prinzip soll eine „gerechte Sozialordnung“172 ermöglichen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dient das Sozial(staats)prinzip unter anderem der Fürsorge für Hilfsbedürftige, d. h. für Personen, die aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände oder gesellschaftlichen Benachteiligung 164

Ablehnend Schaks (Fn. 130), passim. Vgl. dazu im Hinblick auf den Anspruch auf angemessene Vergütung des Vertragsarztes Helge Sodan/Olaf Gast, Die Relativität des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität nach SGB V, Verfassungs- und Europarecht, NZS 1998, S. 497 ff.; Helge Sodan, Das Beitragssatzsicherungsgesetz auf dem Prüfstand des Grundgesetzes, NJW 2003, S. 1761 (1763). 165 So BVerfGE 68, 193 (218). 166 Siehe hierzu und dem Folgenden ausführlich Schaks (Fn. 130), S. 62 ff. 167 Vgl. BVerfGE (abw. Meinung) 69, 1 (59 f.); BVerwG, DVBl. 1982, S. 199 (200); Michael Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Aufl. 2009, Vorb. Art. 1 Rn. 132; Sodan (Fn. 133), Vorb. Art. 1 Rn. 53. 168 Hervorhebungen vom Verfasser. 169 Karl Albrecht Schachtschneider, Das Sozialprinzip, 1974, S. 38. 170 BVerfGE 27, 253 (283); 82, 60 (80); Roman Herzog, in: Theodor Maunz/Günter Dürig, Grundgesetz, Bd. III, Art. 20 VIII Rn. 28 (Stand der Kommentierung: 1980). 171 Klaus Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 912. 172 BVerfGE 5, 85 (198); 22, 180 (204); 27, 253 (283); 59, 231 (263).

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

an ihrer persönlichen oder sozialen Entfaltung gehindert sind.173 Insbesondere sei dem Sozial(staats)prinzip ein Auftrag zur Schaffung sozialer Sicherungssysteme gegen die Wechselfälle des Lebens zu entnehmen.174 Die gesetzliche Krankenversicherung ist ein solches System, das – anders als die private Krankenversicherung – nicht auf der Versicherung eines individuellen Risikos, sondern auf Umverteilung unter den Beitragszahlern beruht.175 Das Sozial(staats)prinzip erfordert in bezug auf die sozialen Sicherungssysteme aber nur ein Minimum an Schutz.176 „Es gewährleistet in ihrem Kern diejenigen Rechtsbereiche, die zum Wesen des sozialen Rechtsstaats gehören, wie etwa das […] Sozialversicherungsrecht […]“.177 „Der Abbau auch des unerläßlichen Grundbestandes sozialer Sicherung wäre verfassungswidrig.“178 Dem kann entnommen werden, daß lediglich ein Mindestmaß an Schutz verfassungsrechtlich vorgegeben ist. Nur dieses Mindestmaß kann den Grundrechten als kollidierendes Verfassungsrecht entgegengehalten werden. Denn wenn dem Bürger lediglich ein Minimum an Schutz gewährt wird, kann auch nur ein Minimum an verfassungsrechtlichem Gehalt zu seinen Lasten grundrechtsbeschränkend wirken. Es handelt sich um die „zwei Seiten derselben Medaille“. Zwar ist der Gesetzgeber nicht durch das Sozial(staats)prinzip gehindert, einen weitergehenden Schutz, als ihn das Sozial(staats)prinzip fordert, zu verwirklichen; eine solche Maßnahme wird aber nicht von Art. 20 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG gefordert. „Die Formel vom sozialen Rechtsstaat enthält daher zwar für den konkretisierenden Gesetzgeber einen verbindlichen Auftrag, aber keine verbindlichen Richtlinien für die Erfüllung dieses Auftrags. Die Neigung, alles Wünschenswerte in sie hineinzulegen und es auf diese Weise als Verfassungsgebot auszugeben, verkennt die Bedeutung der Formel, gerade auch im Kontext der demokratischen Ordnung des Grundgesetzes.“179

In den Versicherungsschutz der gesetzlichen Krankenversicherung wurden in der Vergangenheit immer mehr Menschen einbezogen. Derzeit sind dies etwa 90 Prozent. So viele in Deutschland lebende Menschen können nicht per se als gesellschaftlich benachteiligt oder von besonders ungünstigen persönlichen Lebensumständen betroffen angesehen werden. Die gesetzliche Krankenversicherung in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung stellt daher nicht eine Fürsorgeeinrichtung nur für Hilfsbedürftige dar. Der Gesetzgeber hat hierdurch das von Art. 20 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG allein geforderte Minimum an sozialem Schutz überschritten, so daß die gesetzliche Krankenversicherung in ihrer derzeitigen 173

Siehe BVerfGE 100, 271 (284). Vgl. auch bereits BVerfGE 43, 13 (19); 45, 376 (387). BVerfGE 28, 324 (348); 45, 376 (387); 68, 193 (209). 175 Eberhard Eichenhofer, Sozialrecht, 6. Aufl. 2007, Rn. 356; Helge Sodan, Die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, in: VVDStRL 64 (2005), S. 144 (148 f.). 176 BVerfGE 82, 60 (80). 177 Hesse (Fn. 91), Rn. 214 Hervorhebung vom Verfasser. 178 Stern (Fn. 171), S. 895. 179 Hesse (Fn. 91), Rn. 215. 174

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Ausgestaltung nicht mehr als durch das Sozial(staats)prinzip verfassungsrechtlich geboten gelten kann.180 Das Sozial(staats)prinzip läßt sich nicht in dem Sinne verstehen, daß es bei der Existenzsicherung des Bürgers gegen die Wechselfälle des Lebens ein „so und nicht anders aufgebautes Sozialversicherungssystem“181 gewährleistet. „Es ist sicher richtig, daß weder das unterverfassungsmäßige Anspruchssystem noch die organisatorische Ausgestaltung des zur Zeit existierenden Normenbestandes verfassungsrechtlich gewährleistet ist.“182

Selbst im Falle einer tatsächlich eintretenden vorübergehenden Unterversorgung könnte keine Verletzung von Art. 20 Abs. 1 GG festgestellt werden, da genügend soziale Vorsorge besteht und dieses Minimum auch nicht bei einer Unterversorgung unterschritten würde. Dieses Ergebnis wird ferner durch den Grundsatz des Vorrangs privater Lebensgestaltung gestützt, der besagt, daß staatliche Regelungen subsidiär gegenüber der Vorsorge des eigenverantwortlich handelnden Individuums sind183. Vor allem darf der Gesetzgeber durch eine weite Sozialgesetzgebung nicht die Bindung an die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG umgehen.184 Ferner muß bedacht werden, daß die Umsetzung des Sozial(staats)prinzips nur im Rahmen des finanziell Möglichen gefordert werden kann.185 Das finanziell Mögliche wird auch durch die wirtschaftliche Leistungskraft der Bürger bestimmt.186 Hier sind es die zum Zulassungsverzicht bereiten Vertragsärzte, deren finanzielle Leistungsfähigkeit in Frage steht. Jedoch ist deren finanzielle Leistungskraft insgesamt gesehen im Gefolge zahlreicher Gesetzesänderungen in den letzten Jahrzehnten erheblich gesunken.187 Schließlich ist zu erwägen, ob der Grundsatz der Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgt, der bestimmt, daß jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat. Denn ein funktionsfähiges gesetzliches Versicherungssystem kommt letztlich der Gesundheit der Versicherten zugute. Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht erst jüngst ausgeführt, daß dieser Grundsatz neben dem der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung stehe188. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kann also keine Grundlage des Prinzips der Sicherung der Funktionsfähigkeit der ge180

Siehe hierzu Schaks (Fn. 130), passim. BVerfGE 39, 302 (315). Vgl. auch BVerfGE 51, 115 (125). 182 Stern (Fn. 171), S. 894. 183 Siehe dazu Josef Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2001, S. 313 ff.; Helge Sodan, Vorrang der Privatheit als Prinzip der Wirtschaftsverfassung, DÖV 2000, S. 361 (368 f.). 184 Sodan, (Fn. 119), S. 175. 185 Hesse (Fn. 91), Rn. 208; Stern (Fn. 171), S. 919. 186 Stern (Fn. 171), S. 919. 187 Siehe dazu im einzelnen Sodan (Fn. 56), S. 157 ff., 275, passim. 188 BVerfGE 103, 172 (184). 181

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

setzlichen Krankenversicherung sein. Auch aus anderen geschriebenen oder ungeschriebenen Verfassungssätzen läßt sich der Verfassungsrang der gesetzlichen Krankenversicherung oder ihrer Stabilität nicht herleiten.189 Der Grundsatz der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung bindet den Gesetzgeber mithin nicht. Er gehört also nicht zu den „absoluten“, d. h. von der Verfassung selbst vorgegebenen Gemeinschaftswerten, sondern zu den „relativen“, die erst der „einfache“ Gesetzgeber in den Rang von Gemeinschaftswerten erhebt.190 Für die Rechtfertigung einer Berufsausübungsregelung genügen jedoch hinreichende Gemeinwohlbelange auch ohne Verfassungsrang. Die unterschiedliche Wertigkeit der Gemeinschaftsgüter wirkt sich aber bei der nachfolgenden Prüfung der Verhältnismäßigkeit insofern aus, als ein „absoluter“ Gemeinschaftswert eher einen empfindlichen Grundrechtseingriff zu rechtfertigen vermag. (2) Geeignetheit Geeignetheit bedeutet, daß das eingesetzte Mittel den erstrebten Erfolg zumindest zu fördern vermag.191 Dabei verfügt der Gesetzgeber jedoch über einen erheblichen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum192, der bei der Verfolgung wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Ziele besonders groß ist193. Ausweislich der Gesetzesbegründung194 soll durch § 95b Abs. 1 SGB V erreicht werden, daß der Vertragsarzt die Erfüllung des Sicherstellungsauftrags fördert und alles unterläßt, „was die Sicherstellung und die Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung gefährden oder ausschließen könnte“. Das Verbot des kollektiven Verzichts auf die Zulassung einschließlich der Sanktionsmöglichkeiten trägt dazu bei, Vertragsärzte davon abzuhalten, in einem abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf die Zulassung zu verzichten. Auf diese Weise wird ein kollektiver Verzicht zwar nicht völlig ausgeschlossen. Aber er wird doch so unattraktiv gemacht, daß weniger Vertragsärzte geneigt sein werden, sich an einem kollektiven Verzicht zu beteiligen, als wenn eine solche Vorschrift nicht bestünde. Folglich ist es unwahrscheinlicher, daß es infolge eines kollektiven Zulassungsverzichts in einem bestimmten Gebiet zu einer ärztlichen Unterversorgung und damit zu einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Kranken-

189

Schaks (Fn. 130), S. 101 ff. Vgl. dazu BVerfGE 13, 97 (107); Eberhard Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 65 f. 191 BVerfGE 30, 292 (316); 33, 171 (187); 90, 145 (172); 92, 262 (273). 192 BVerfGE 39, 210 (225 f.); 77, 84 (106); 77, 308 (332). Siehe dazu näher Sodan (Fn. 133), Vorb. Art. 1 Rn. 64. 193 BVerfGE 46, 246 (256 f.); 51, 193 (208); 77, 84 (106); 77, 308 (332). 194 BT-Drucks. 12/3608, S. 95. 190

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versicherung kommt. Somit ist § 95b Abs. 1 SGB V geeignet, den erstrebten Zweck zu erreichen. (3) Erforderlichkeit Das Gebot der Erforderlichkeit, demzufolge keine Maßnahme über das zur Verfolgung ihres Zwecks notwendige Maß hinausgehen darf, ist dann verletzt, wenn das Ziel der staatlichen Maßnahme auch durch ein anderes, gleich wirksames Mittel erreicht werden kann, welches das betreffende Grundrecht nicht oder weniger fühlbar einschränkt.195 Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat in einem Beschluß aus dem Jahre 1994196 die Auffassung vertreten, dem Gesetzgeber stehe „bei der Beurteilung von Eignung und Erforderlichkeit der gewählten Mittel zur Erreichung“ des Ziels der Sicherung der finanziellen Grundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung „ein weiter Beurteilungsspielraum“ zu, der nur dann überschritten werde, „wenn seine Erwägungen so offensichtlich fehlsam“ seien, „daß sie vernünftigerweise keine Grundlage für gesetzgeberische Maßnahmen abgeben“ könnten. Ein so weiter Spielraum kann dem Gesetzgeber jedoch nicht zugestanden werden, weil die Einbindung insbesondere der Leistungserbringer in das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung vielfältige, intensive Grundrechtsbelastungen verursacht.197 Konsequent angewandt, führte die in dem genannten Kammerbeschluß vertretene Ansicht zu einer Loslösung des Gesetzgebers von der in Art. 1 Abs. 3 GG statuierten strikten Bindung an die Grundrechte. Überdies entstünde ein Bruch innerhalb der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Denn wie zuvor dargelegt, wird die Formel von den besonders wichtigen Interessen der Allgemeinheit, „die anders nicht geschützt werden können“, im Rahmen der Erforderlichkeit geprüft. Beschränkte man die Prüfung der Erforderlichkeit auf eine Evidenzkontrolle, so würde das in der Judikatur entwickelte Kriterium wieder eliminiert. Aber die Kontrolldichte nimmt zu, je wichtiger die zu schützenden Interessen sind und je intensiver sie berührt werden.198 Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht selbst festgestellt, daß der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum um so geringer wird, je mehr eine Regelung in ihren Auswirkungen einer Berufswahlregelung nahe kommt.199 Somit gelten auch bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit sozialrechtlicher Vorschriften die allgemeinen Anforderungen in bezug auf die Erforderlichkeit und nicht etwa ein „Sonderrecht“, mit dem sich nahezu jeder Eingriff des Gesetzgebers in Grundrechte legitimieren ließe. Auch 195 196 197 198 199

BVerfGE 53, 135 (145 f.); 67, 157 (176); 68, 193 (218 f.); 90, 145 (172); 92, 262 (273). BVerfG (Kammerbeschluß), NJW 1994, S. 3007. Vgl. Sodan (Fn. 56), S. 315. Ebsen (Fn. 123), S. 361. BVerfGE 11, 10 (42).

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

Winfried Boecken verwirft die These vom (allzu) weiten Spielraum des Gesetzgebers, indem er ausführt: „Allerdings müßte doch im Ansatz nachvollziehbar dargelegt werden, daß andere Maßnahmen […] nicht ausreichen.“200

Als im Vergleich zur jetzigen Regelung milderes Mittel kommt in Betracht, das Verbot des § 95b Abs. 1 SGB V erst ab einer Mindestanzahl von beteiligten Vertragsärzten eingreifen zu lassen. Denn dann wäre – bei einer entsprechend hohen Mindestzahl – sichergestellt, daß das scharfe Schwert des § 95b SGB V erst dann Anwendung fände, wenn wirklich die vertragsärztliche Versorgung gefährdet wäre. Bei einer festgelegten Anzahl von Vertragsärzten bestünde zwar die Möglichkeit, daß die verzichtsbereiten Ärzte sich so miteinander absprächen, daß die Mindestzahl nur knapp unterschritten würde.201 Die gesetzliche Regelung könnte aber so formuliert werden, daß bei einer tatsächlich eintretenden Unterversorgung oder Gefährdung des Systems ein kollektiver Verzicht vorläge. Eine weniger belastende Maßnahme läge auch darin, die Eignung zur Gefährdung des Systems als Tatbestandsmerkmal aufzunehmen; denn wenn die Funktionsfähigkeit des Systems bewahrt werden soll, ist es nicht nötig, solche Verhaltensweisen als pflichtwidrig zu bezeichnen, die diesen legislativen Zweck gar nicht zu beeinträchtigen vermögen. Somit ist § 95b Abs. 1 SGB V nicht erforderlich. Des weiteren läge ein milderes Mittel vor, wenn auf die Zielrichtung der handelnden Vertragsärzte abgestellt würde. Nur wenn das Motiv des abgestimmten Verhaltens die Beeinträchtigung ist, erscheint es erforderlich, die Verhaltensabstimmung zu verbieten. § 105 Abs. 3 SGB V zeigt, daß nicht jeder kollektive Verzicht als pflichtwidrig behandelt werden müßte. Deshalb wäre es eine weniger beeinträchtigende Maßnahme, nur solche Verhaltensabstimmungen zu verbieten, die zumindest bedingt vorsätzlich auf eine Destabilisierung gerichtet sind. Verhaltensweisen, welche eine potentielle Beeinträchtigung darstellen, sind hingegen dann nicht tatbestandsmäßig, wenn ein anderer Zweck verfolgt wird und die Interessenbeeinträchtigung lediglich ungewollte Nebenfolge ist. Zur Vermeidung einer Unterversorgung besteht bereits in § 72a SGB V ein geeignetes Instrumentarium.202 Nach dieser Vorschrift geht der Sicherstellungsauftrag auf die Krankenkassen und ihre Verbände über, wenn mehr als 50 Prozent aller in einem Zulassungsbezirk oder einem regionalen Planungsbereich niedergelassenen Vertragsärzte auf ihre Zulassung nach § 95b Abs. 1 SGB V verzichtet oder die vertragsärztliche Versorgung verweigert haben und die Aufsichtsbehörde nach Anhörung der Landesverbände der Krankenkassen, der Ersatzkassen und der Kassenärzt200 Winfried Boecken, Art. 14 GG und die Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung wegen Erreichens der Altersgrenze, in: Carl-Eugen Eberle (Hrsg.), Festschrift für Winfried Brohm zum 70. Geburtstag, 2002, S. 231 (240 f.). 201 In diese Richtung auch Lindemann (Fn. 21). 202 Siehe dazu Sodan (Fn. 56), S. 278.

B. Analyse

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lichen Vereinigung festgestellt hat, daß dadurch die vertragsärztliche Versorgung nicht mehr sichergestellt ist. Um eine drohende Unterversorgung zu vermeiden, ließe sich die Frist von der Abgabe der Verzichtserklärung bis zu ihrem Wirksamwerden so bemessen, daß noch nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Ärzte in ausreichender Zahl gewonnen werden könnten. Dadurch könnte gleichzeitig den Interessen der Versicherten an einer ausreichenden Versorgung, dem Willen der einstiegsbereiten Ärzte und dem der verzichtenden Vertragsärzte ohne gravierende Grundrechtseingriffe Rechnung getragen werden. Dabei würde das Ziel der Vermeidung einer Unterversorgung ebenso effektiv erreicht. Schließlich könnte man das Verbot des kollektiven Zulassungsverzichts so ausgestalten, daß eine Rechtfertigung durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen in Betracht käme. Das Bundessozialgericht hat in einem Urteil aus dem Jahre 2001, in dem es um die „Rückgabe“ der Zulassung von Krankengymnasten nach einer entsprechenden Aufforderung durch den Zentralverband der Krankengymnasten ging, ausgeführt: „Als Ausnahme von der regelmäßigen Unbilligkeit solcher Aufrufe kommt jedoch die Wahrnehmung berechtigter Interessen in Betracht. Bei dem hier zu beurteilenden Wettbewerb innerhalb des stark reglementierten Marktes gesundheitsfördernder Dienstleistungen gilt die Besonderheit, daß die gesetzlichen KKn als Nachfrager insgesamt, aber auch als Einzelkasse wie die Klägerin eine marktbeherrschende Stellung einnehmen. Eine wirtschaftliche Existenz des einzelnen Krankengymnasten allein durch die Behandlung von Privatpatienten ist in aller Regel nicht möglich. Die Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen seiner Mitglieder durch den Beklagten bildet vor diesem Hintergrund nur ein Gegengewicht zur Marktmacht der Klägerin. Die von Aufträgen der Klägerin abhängigen Mitglieder der Beklagten hatten nur durch kollektives Handeln eine Chance, die Klägerin zu Zugeständnissen bei der Höhe der Vergütung zu bewegen.“203

Diese Entscheidung erging zwar nicht in Anwendung des § 95b SGB V. Immerhin ist dem Urteil aber zu entnehmen, daß die Leistungserbringer das Recht haben, gemeinschaftlich zu handeln und auf diese Weise ihre eigenen, auch wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Eine entsprechende Verhaltensabstimmung ist nicht in jedem Fall pflichtwidrig, sondern kann als Wahrnehmung berechtigter Interessen zulässig sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn keine anderen effektiven Mittel der Interessenvertretung vorhanden sind. Gleichzeitig wird durch die zitierten Ausführungen des Bundessozialgerichts die Ansicht relativiert, daß bereits vor Erlaß des § 95b SGB V das Verbot der Verhaltensabstimmung der ganz herrschenden Meinung entsprochen habe204. Der Gedanke, daß die Wahrnehmung berechtigter Interessen den kollektiven Zulassungsverzicht rechtfertigen kann, kommt im Schrifttum mit folgenden Sätzen zum Ausdruck: 203

BSGE 89, 19 (23 f.). Vgl. dazu Klückmann (Fn. 16), K § 95b Rn. 6; Schneider (Fn. 4), Rn. 349. Davon geht die Gesetzesbegründung selbst aus, vgl. BT-Drucks. 12/3608, S. 94. 204

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens „Ob dies in einer solchen Allgemeinheit verfassungsrechtlich unbedenklich ist, dürfte zweifelhaft sein. Der Fall unangemessener Druckausübung auf die Ärzteschaft seitens der Krankenkassen ist jedenfalls theoretisch nicht undenkbar, so daß insoweit unter der Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch Maßnahmen kollektiver Gegenwehr rechtlich nicht von vornherein ausgeschlossen sein können.“205

Folglich ist das totale Verbot des kollektiven Zulassungsverzichts zu weitgehend formuliert, weil auch Fälle der berechtigten Interessenwahrnehmung erfaßt werden. Anders als das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen206 annimmt, bestehen mehrere mildere, aber gleich effektive Maßnahmen. Nach allem ist § 95b Abs. 1 SGB V nicht erforderlich und daher unverhältnismäßig. Diese Regelung verstößt damit gegen Art. 12 Abs. 1 GG. b) Eigentumsfreiheit Fraglich ist, ob die Regelung des § 95b Abs. 1 SGB V auch gegen Art. 14 Abs. 1 GG verstößt. Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG werden das Eigentum und das Erbrecht gewährleistet. Eigentum ist die Zuordnung eines vermögenswerten Rechtsgutes an einen Rechtsträger, der in einer Gemeinschaft lebt; das Eigentum bedarf somit der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber.207 Daher hat das Grundgesetz in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 dem Gesetzgeber die Aufgabe zugewiesen, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. „Solche Normen legen generell und abstrakt die Rechte und Pflichten des Eigentümers fest, bestimmen also den ,Inhalt des Eigentums“.208 Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Beschluß vom 26. Juni 2002 wesentliche Inhalte seiner Rechtsprechung zu Art. 14 Abs. 1 GG wie folgt zusammengefaßt: „Die Eigentumsgarantie soll dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sichern und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens ermöglichen. Sie schützt den konkreten Bestand an vermögenswerten Gütern vor ungerechtfertigten Eingriffen durch die öffentliche Gewalt. Eine allgemeine Wertgarantie vermögenswerter Rechtspositionen folgt aus Art. 14 Abs. 1 GG nicht“.209

Unzweifelhaft stellen die einzelnen Gegenstände in einer Praxis Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG dar. Die Möglichkeit, dieses Eigentum privatnützig zu

205 Bertram Schulin, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1, 1994, § 6 Rn. 230. 206 LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 13.09.2006, L 3 KA 90/05, Rn. 59 (zitiert nach juris). 207 Vgl. etwa BVerfGE 14, 263 (277); 58, 300 (330); 89, 1 (8). 208 BVerfGE 52, 1 (27); 58, 300 (330). 209 BVerfGE 105, 252 (277) unter Bezugnahme auf BVerfGE 105, 17 (30).

B. Analyse

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nutzen oder zu veräußern, wird durch das Verbot des kollektiven Verzichts auf die Zulassung als Vertragsarzt nicht berührt. Eine unmittelbare Anwendung des aus Art. 14 Abs. 1 GG abgeleiteten sogenannten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb210 scheidet aus, weil die freiberufliche Tätigkeit von Ärzten und Zahnärzten gerade keine Ausübung eines Gewerbes darstellt211. Dies ergibt sich auch aus § 1 Abs. 2 der Bundesärzteordnung und § 1 Abs. 4 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde. Möglicherweise läßt sich jedoch die Judikatur zum eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb unter dem Gesichtspunkt des „Betriebseigentums“212 auf die Arzt- und Zahnarztpraxen übertragen213. Das Bundesverfassungsgericht hat bisher gezweifelt, ob das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG anzuerkennen ist und nur ausgeführt, welche Aspekte des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb jedenfalls nicht von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt werden214. Auch bei Anerkennung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb unter dem Aspekt des Betriebseigentums als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG ist hier dessen Schutzbereich nicht eröffnet. Denn das Verbot des kollektiven Verzichts auf die Zulassung in § 95b Abs. 1 SGB V ist eine Verhaltensanordnung, die nicht auf ein vermögenswertes Rechtsgut bezogen ist. Mangels Eröffnung des Schutzbereichs der Eigentumsfreiheit ist dieses Grundrecht hier nicht verletzt. c) Koalitionsfreiheit Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet für jedermann und für alle Berufe das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Dieses Grundrecht schützt zunächst die sogenannte individuelle Koalitionsfreiheit, d. h. die Freiheit des einzelnen, eine Koalition zu bilden und in ihr tätig zu sein.215 Träger des Grundrechts kann jedermann als Berufsangehöriger sein.216 Die 210

Siehe dazu näher Sodan (Fn. 133), Art. 14 Rn. 12. Vgl. dazu Sodan (Fn. 56), S. 18, 68 ff., 73 ff., 253. 212 Siehe zu diesem Begriffsvorschlag Walter Leisner, Eigentum, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, 2. Aufl. 2001, § 149 Rn. 109. 213 Befürwortend Sodan (Fn. 56), S. 253 f. 214 Siehe BVerfGE 13, 225 (229); 51, 193 (221 f.), 58, 300 (352 f.); 66, 116 (145); 68, 193 (222 f.). Vgl. ferner BVerfGE 105, 252 (278). 215 Vgl. BVerfGE 28, 295 (304); 50, 290 (367); 55, 7 (21); 64, 208 (213); Rupert Scholz, Koalitionsfreiheit, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, 2. Aufl. 2001, § 151 Rn. 80. Vgl. zum Koalitionszweck Helge Sodan, Verfassungsrechtliche Grenzen der Tarifautonomie, JZ 1998, S. 421 (422 f.). 216 Hartmut Bauer, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 9 Rn. 67; Rupert Scholz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig, Grundgesetz, Bd. II, Art. 9 Rn. 3 (Stand der Kommentierung: Februar 1999). 211

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

ganz überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur sieht jedoch die sogenannten Freien Berufe217 als nicht durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt an, sondern nur Arbeitnehmer und Arbeitgeber218. Demnach könnten sich die Vertragsärzte als Freiberufler nicht auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen. d) Vereinigungsfreiheit aa) Schutzbereich Die in Art. 9 Abs. 1 GG allen Deutschen zuerkannte Gewährleistung, Vereine und Gesellschaften zu bilden, stellt ein Abwehrrecht dar und bildet zugleich ein „konstituierendes Prinzip der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes: das Prinzip freier sozialer Gruppenbildung“219. Eine Vereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG ist ein auf Dauer angelegter, freiwilliger Zusammenschluß einer Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen, welcher der Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks dient und eine organisierte Willensbildung aufweist.220 Die Rechtsfähigkeit oder die Rechtsform der Vereinigung sind unerheblich.221 Geschützt wird zunächst das Tätigwerden der Mitglieder, d. h. die Bildung der und das Handeln in der Vereinigung.222 Im Falle des kollektiven Verzichts haben sich die beteiligten Vertragsärzte als natürliche Personen freiwillig und privatrechtlich zusammengefunden. Da die Anforderungen an die organisatorische Willensbildung nicht hoch anzusetzen sind, so daß auch lockere Verbindungen erfaßt werden223, erfüllen kollektiv verzichtende Vertragsärzte die Anforderungen an eine Vereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG224.

217

Siehe zum Begriff des Freien Berufs ausführlich Sodan (Fn. 56), S. 13 ff. Siehe etwa LSG Saarland, Urt. v. 04.04.2000, L 2/3 K 31/95 (zitiert nach juris), S. 5; Bauer (Fn. 216); Wolfgang Löwer, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 1, 5. Aufl. 2000, Art. 9 Rn. 81; Scholz (Fn. 216), Art. 9 Rn. 180; ders. (Fn. 215), § 151 Rn. 56. 219 BVerfGE 50, 290 (353). Siehe auch BVerfGE 38, 281 (302 f.); 80, 244 (252 f.). 220 BVerwGE 106, 177 (181); Wolfram Höfling, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Aufl. 2009, Art. 9 Rn. 8; Michael Kemper, in: Hermann von Mangoldt/Friedrich Klein/ Christian Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. I, 5. Aufl. 2005, Art. 9 Rn. 12; Sodan (Fn. 133), Art. 9 Rn. 2. 221 Detlef Merten, Vereinsfreiheit, in Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 32. 222 Hans D. Jarass, in: ders./Bodo Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 10. Aufl. 2009, Art. 9 Rn. 6, 8. 223 Jarass (Fn. 222), Art. 9 Rn. 3; Merten (Fn. 221), § 165 Rn. 38. 224 So auch Wieland Schinnenburg, Zur Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen bei kollektivem Zulassungsverzicht bei Vertragsärzten, MedR 2005, S. 26 (27). 218

B. Analyse

55

Diese Norm schützt jedoch keine Tätigkeiten, denen der Bezug zur vereinsmäßigen Struktur fehlt225, so daß Vorschriften, die für alle gleichermaßen gelten, keine Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Art. 9 Abs. 1 GG darstellen226. Während der individuelle Verzicht auf die Zulassung als Vertragsarzt gerade zulässig ist, wird in § 95b Abs. 1 SGB V nur das kollektive Handeln als pflichtwidrig angesehen, so daß der Schutzbereich eröffnet ist. bb) Eingriff Das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit wird durch jede belastende Regelung beeinträchtigt, die das geschützte Verhalten behindert.227 § 95b Abs. 1 SGB V wertet den kollektiven Verzicht als pflichtwidrig, wodurch Vertragsärzte davon abgehalten werden, von ihrer grundrechtlich geschützten Freiheit Gebrauch zu machen. Folglich liegt ein Eingriff in die Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG vor. cc) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Gemäß Art. 9 Abs. 2 GG sind Vereinigungen verboten, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Diese Regelung wird als Regelungs- bzw. Gesetzesvorbehalt angesehen.228 Die Verbotsgründe des Art. 9 Abs. 2 GG sind abschließend.229 Jedoch ist es zulässig, anstelle des Verbots eine mildere Rechtsfolge vorzusehen, sofern die Voraussetzungen für ein Verbot vorliegen.230 Daß § 95b Abs. 1 SGB V nicht ausdrücklich vom Verbotensein der Vereinigung kollektiv verzichtender Vertragsärzte spricht, ist deshalb unschädlich. Eine Vereinigung von kollektiv auf die Zulassung verzichtenden Vertragsärzten handelt ersichtlich nicht den Strafgesetzen zuwider; ferner richtet sie sich nicht gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Fraglich ist aber, ob die Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstößt. Dieser Begriff wird nicht einheitlich interpretiert. Teilweise wird er im Sinne der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gedeutet.231 Hierunter versteht das Bundesverfassungsgericht eine Ordnung, „die unter Ausschluß jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der 225

BVerfGE 30, 227 (243); BVerwGE 88, 9 (11 f.). Kemper (Fn. 220), Art. 9 Rn. 43 ff. 227 Bauer (Fn. 216), Art. 9 Rn. 51; Jarass (Fn. 222), Art. 9 Rn. 12. 228 Siehe etwa Bauer (Fn. 216), Art. 9 Rn. 54; Jarass (Fn. 222), Art. 9 Rn. 17. 229 BVerfGE 80, 244 (254); Sodan (Fn. 133), Art. 9 Rn. 12. 230 Scholz (Fn. 216), Art. 9 Rn. 117, 134; Jarass (Fn. 222), Art. 9 Rn. 22. 231 Siehe BVerwGE 47, 330 (351); BVerwG, NJW 1995, S. 2505; Sodan (Fn. 133), Art. 9 Rn. 15; Stern (Fn. 171), S. 217. 226

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“.232 Die Gegenansicht qualifiziert den Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung in Art. 9 Abs. 2 GG als Synonym für die Gesamtheit der Verfassung.233 Einigkeit besteht wieder dahingehend, daß ein Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung voraussetzt, daß diese aktiv und in kämpferisch-aggressiver Form angegriffen wird.234 Insoweit besteht eine Parallele zur Rechtsprechung und Literatur im Hinblick auf die Auslegung von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG: Auch dort wird verlangt, daß eine Partei eine „aktiv kämpferische, aggressive Haltung“235 einnimmt, bevor sie durch das Bundesverfassungsgericht verboten werden kann. Der Verzicht als bloßes Ausscheiden aus der vertragsärztlichen Versorgung ist weder aggressiv noch kämpferisch und kommt dem Verhalten, das eine Partei an den Tag legen muß, bevor sie verboten werden kann, in keiner Weise gleich. Somit greift der Vorbehalt in Art. 9 Abs. 2 GG nicht ein. Eine Rechtfertigung kommt also nur durch kollidierendes Verfassungsrecht in Betracht.236 Als Rechtfertigung wird die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung vorgebracht. Wie bereits dargelegt wurde237, ist diese jedoch kein Grundsatz von Verfassungsrang, so daß sie keinen Eingriff in das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit zu rechtfertigen vermag. Bereits aus diesem Grund ist § 95b Abs. 1 SGB V wegen Unvereinbarkeit mit Art. 9 Abs. 1 GG verfassungswidrig. e) Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit Die weite Auslegung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Sinne der Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit hat zur Folge, daß Art. 2 Abs. 1 GG als „Auffangnorm“238 nur insoweit heranzuziehen ist, als im konkreten Einzelfall nicht bereits spezielle Grundrechte unter vollständiger thematischer Abdeckung des

232

BVerfGE 2, 1 (12 f.); vgl. ferner BVerfGE 5, 85 (140); 44, 125 (145). Siehe Kemper (Fn. 220), Art. 9 Rn. 78; Scholz (Fn. 216), Art. 9 Rn. 127. 234 Siehe BVerwGE 37, 344 (358 f.); 61, 218 (220); BVerwG, NJW 1995, S. 2505; Scholz (Fn. 216), Art. 9 Rn. 128; Stern (Fn. 171), S. 217. 235 BVerfGE 5, 85 (141). 236 Vgl. zur Zulässigkeit dieser Möglichkeit Bauer (Fn. 216), Art. 9 Rn. 59; Jarass (Fn. 222), Art. 9 Rn. 22; Sodan (Fn. 133), Vorb. Art. 1 Rn. 53, Art. 9 Rn. 17. 237 Vgl. Erster Teil B. VI. 2. a) cc) (1). 238 So Walter Schmidt, Die Freiheit vor dem Gesetz, AöR 91 (1966), S. 42 (84 f.). 233

B. Analyse

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Sachverhalts einschlägig sind.239 Vorliegend sind jedoch die Grundrechte der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) thematisch einschlägig, so daß die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG subsidiär zurücktritt. 3. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 1 SGB V mit dem Rechtsstaatsprinzip § 95b Abs. 1 SGB V könnte ferner gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen. Das Erfordernis der ausreichenden Bestimmtheit von Rechtsnormen ist Ausdruck des Gebots der Rechtssicherheit und somit Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips.240 Rechtssicherheit verlangt Rechtsklarheit, d. h. der einzelne Bürger muß erkennen können, was von ihm verlangt wird, denn verbindlich kann nur ein verständlicher Rechtsbefehl sein. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ausgeführt, daß Rechtsvorschriften so genau zu fassen sind, „wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist“241. Ziel des Bestimmtheitsgebotes ist es, Zweck und Ausmaß der Vorschrift so zu umgrenzen, daß für den Bürger staatliches Handeln meßbar und in gewissem Ausmaß voraussehbar und damit berechenbar wird.242 Der Begriff des abgestimmten Verfahrens oder Verhaltens gehört zu den unbestimmten Rechtsbegriffen243. Solche Begriffe sind – trotz ihrer Bezeichnung – grundsätzlich zulässig244, da es nicht immer möglich ist, einen Sachverhalt ohne auslegungsbedürftige Begriffe zu regeln. Bereits zu § 25 Abs. 1 GWB a. F. wurden verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot geäußert245, obwohl § 25 Abs. 1 GWB a. F. einen engeren Tatbestand aufwies als § 95b Abs. 1 SGB V. So wurde zu § 25 Abs. 1 GWB a. F. die Auffassung vertreten, daß für das Verbot abgestimmter Verhaltensweisen mangels einer Legaldefinition und sonstiger Bestimmungskriterien kein

239 In diesem Sinne z. B. BVerfGE 6, 32 (37); 9, 63 (73); 50, 290 (362); 89, 1 (13); Helge Sodan, Berufsständische Zwangsvereinigung auf dem Prüfstand des Grundgesetzes, 1991, S. 37. 240 BVerfGE 49, 168 (181); 59, 104 (114); 62, 169 (183); 80, 103 (106 f.). Siehe dazu näher Sodan/Ziekow (Fn. 27), § 7 Rn. 35 ff. 241 BVerfGE 93, 213 (238). So auch BVerfGE 49, 168 (181); 59, 104 (114); 87, 234 (267). 242 BVerfGE 9, 137 (147); 21, 73 (79); 56, 1 (12); BVerwGE 100, 230 (236 f.). 243 Vgl. hierzu Matthias Jestaedt, Maßstäbe des Verwaltungshandelns, in: Hans-Uwe Erichsen/Dirk Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2006, § 10 Rn. 10 ff. 244 Siehe etwa BVerfGE 21, 73 (79); 78, 205 (212); 80, 103 (108). 245 Siehe Philipp Möhring, „Abgestimmtes Verhalten“ im Kartellrecht, NJW 1973, S. 777 (779).

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

bestimmter Inhalt auszumachen sei246. Dies sei um so gravierender, als der Begriff des abgestimmten Verhaltens damals in keiner Weise durch Rechtsprechung und Literatur inhaltlich konkretisiert gewesen sei.247 Das Kammergericht ist dieser Ansicht in einer Entscheidung zu § 25 Abs. 1 GWB a. F. entgegengetreten, da der Begriff „jedenfalls dem mit den grundsätzlichen Wertvorstellungen des GWB über die Freiheit des Wettbewerbs vertrauten, in der Unternehmensführung tätigen Personenkreis erkennen [lasse], was verboten ist“248. Die größere begriffliche Weite des § 95b Abs. 1 SGB V könnte vermuten lassen, daß diese Vorschrift erst recht als verfassungsrechtlich zu unbestimmt angesehen werden müßte. Jedoch bestehen die Bedenken gegen § 95b Abs. 1 SGB V nicht etwa deshalb, weil keine Erkennbarkeit der Grenzen der Norm vorläge. Vielmehr ist im Wege der Auslegung zu entnehmen, daß jeglicher koordinierte Verzicht von drei oder mehr Vertragsärzten tatbestandsmäßig sein soll249; die Grenzen des Tatbestandes sind also richterlicher Überprüfung250 zugänglich. Für den einzelnen Vertragsarzt ist erkennbar, daß jede Fühlungnahme mit Kollegen vor dem Verzicht auf die Zulassung pflichtwidrig sein soll. Das Problem ist daher nicht die Unbestimmtheit, sondern die Weite des Tatbestandes; diese führt – wie bereits dargelegt wurde251 zu einem Verstoß gegen das Übermaßverbot, nicht aber gegen das Bestimmtheitsgebot.

4. Zur Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung Grundsätzlich hat die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem Grundgesetz die Nichtigkeit des Gesetzes zur Folge.252 Demnach wäre § 95b Abs. 1 SGB V wegen seiner Unvereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und den Art. 70 ff. GG nichtig. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf eine Vorschrift jedoch dann nicht als verfassungswidrig und damit nichtig verworfen werden, wenn eine Möglichkeit zur verfassungskonformen Auslegung besteht253. Diese Methode baut auf dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung auf.254 Wenn verschiedene Auslegungen in Betracht kommen und die „einfachgesetzliche“ Norm nicht bei allen Auslegungen mit der Verfassung als höherrangigem Recht vereinbar 246

Möhring (Fn. 245). Möhring (Fn. 245), S. 780. 248 KG, WuW-E-OLG, S. 2369 (2372). 249 Vgl. Erster Teil B. I. – IV. 250 Vgl. dazu BVerfGE 6, 32 (42 f.); 20, 150 (157 f.); 21, 73 (79 f.). 251 Vgl. insbes. Erster Teil B. VI. 2. a) cc). 252 Vgl. etwa BVerfGE 1, 14 (37); 61, 149 (151); 65, 1 (3); 67, 299 (313 f.); 68, 384 (390). 253 BVerfGE 2, 266 (282); 8, 28 (33 f.); 9, 194 (197, 199 f.); 16, 306 (329); 88, 145 (166); 90, 263 (274 f.); 93, 37 (81); 95, 64 (81, 93); 100, 1 (43 f., 47). 254 Hesse (Fn. 91), Rn. 81. 247

B. Analyse

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ist, muß die „verfassungskonforme“ Auslegung gewählt werden.255 Nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts „spricht nicht nur eine Vermutung dafür, daß ein Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sondern das in dieser Vermutung zum Ausdruck kommende Prinzip verlangt auch im Zweifel eine verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes“256. Für eine solche Interpretation ist Raum, „wenn eine auslegungsfähige Norm nach den üblichen Interpretationsregeln mehrere Auslegungen zuläßt, von denen eine oder mehrere mit der Verfassung übereinstimmen, während andere zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führen; solange eine Norm verfassungskonform ausgelegt werden kann und in dieser Auslegung sinnvoll bleibt, darf sie nicht für nichtig erklärt werden“.257 Das sich daraus ergebende Gebot der Bevorzugung der verfassungsmäßigen Auslegung kennzeichnet die verfassungskonforme Auslegung.258 Im Hinblick auf die fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes scheidet eine verfassungskonforme Auslegung jedoch aus, da § 95b Abs. 1 SGB V ärztliches Berufsrecht regelt, für das der Bund keine Gesetzgebungskompetenz hat259, welche auch nicht durch Auslegung herbeigeführt werden kann. Nachfolgend soll jedoch die Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit den Grundrechten erörtert werden für den Fall, daß – nach hier vertretener Auffassung zu Unrecht – eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes bejaht werden sollte. Aber auch hinsichtlich der Vereinbarkeit mit Grundrechten ist die verfassungskonforme Auslegung nicht unbegrenzt möglich. Der Wille, die Norm aufrechtzuerhalten, darf nicht so weit gegen, daß ihr ein anderer Inhalt zukommt.260 Ausgeschlossen ist die Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung, wenn sie „mit

255 Siehe zu diesem Interpretationsprinzip aus dem Schrifttum etwa Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung. Grenzen und Gefahren, 1986; Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1966; Hesse (Fn. 91), Rn. 79 ff.; Klaus Schlaich/Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 8. Aufl. 2010, Rn. 440 ff.; Gunther Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 13. Aufl. 2008, Rn. 83; Helmut Simon, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, EuGRZ 1974, S. 85 ff.; Helge Sodan, Freier Beruf und Berufsfreiheit, 1988, S. 75 f.; Sodan/Ziekow (Fn. 27), § 2 Rn. 13 ff.; Andreas Voßkuhle, Theorie und Praxis der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen durch Fachgerichte, AöR 125 (2000), S. 177 ff.; Reinhold Zippelius, Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, Bd. II, 1976, S. 108 ff. 256 BVerfGE 2, 266 (282). 257 BVerfGE 48, 40 (45). Vgl. auch BVerfGE 32, 373 (383 f.); 51, 304 (323); 64, 229 (241 f.); 69, 1 (55); 83, 201 (214 f.); 88, 203 (331). 258 Schlaich/Korioth (Fn. 255), Rn. 443. 259 Vgl. Erster Teil B. VI. 1. 260 BVerfGE 8, 71 (78 f.); 71, 81 (105).

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1. Teil: Voraussetzungen des abgestimmten Verfahrens

dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde“.261 Es stellt sich nun die Frage, ob neben dem gewonnenen Auslegungsergebnis noch weitere Interpretationsmöglichkeiten gegeben sind und ob diese bejahendenfalls mit dem Willen des Gesetzgebers in Einklang stehen. Die Auslegung ergab nach allen methodischen Ansätzen dasselbe Ergebnis. Somit ist bereits zweifelhaft, ob neben dem ermittelten Inhalt des § 95b Abs. 1 SGB V im Wege der Interpretation ein verfassungskonformer Inhalt entnommen werden kann. Fraglich ist auch, ob eine verfassungskonforme Auslegung möglicherweise an dem ihr entgegenstehenden erklärten Willen des Gesetzgebers scheitert. Ziel der Regelung ist es zu verhindern, daß sich Vertragsärzte absprechen und gemeinsam auf die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung verzichten. Erfaßt werden sollte jedes Verhalten, welches die „Interessen der Körperschaft“ schädigt.262 Damit unvereinbar wäre es, einen kollektiven Verzicht auf die Zulassung in beschränktem Maße zuzulassen. Sinn und Zweck der Vorschrift lassen sich aus grammatischer, systematischer und historischer Auslegung ermitteln; sie sprechen in besonderem Maße gegen eine verfassungskonforme Auslegung.263 Im Ergebnis steht also der erklärte Wille des Gesetzgebers einer verfassungskonformen Auslegung entgegen. § 95b Abs. 1 SGB V ist deshalb verfassungswidrig.

C. Ergebnis zum Ersten Teil Nach allem bleibt festzuhalten, daß § 95b Abs. 1 SGB V gegen die Grundrechte der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) sowie gegen die bundesstaatliche Kompetenzverteilung (Art. 70 ff. GG) verstößt.

261 BVerfGE 18, 97 (111); 90, 263 (275); 101, 312 (329). Siehe auch BVerfGE 8, 28 (34); 88, 203 (331 f.); 92, 158 (183); 95, 263 (275); 98, 17 (45); 99, 341 (358); 101, 54 (86, 88); 102, 254 (340). 262 Siehe BT-Drucks. 12/3608, S. 95. 263 Vgl. dazu BVerfGE 8, 38 (41); 9, 194 (200); 95, 64 (93).

Zweiter Teil

Verfassungsmäßigkeit der Regelung der Wiederzulassungssperre in § 95b Abs. 2 SGB V Im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der in § 95b Abs. 2 SGB V geregelten Wiederzulassungssperre ist insbesondere die Gesetzgebungskompetenz des Bundes sowie die Vereinbarkeit mit den Grundrechten fraglich.

A. Gesetzgebungskompetenz des Bundes Ohne einen Gesetzgebungstitel des Bundes wäre eine bundesgesetzliche Regelung wegen Verstoßes gegen die Kompetenzverteilung nichtig.264

I. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG Als Gesetzgebungstitel zugunsten des Bundes kommt die Vorschrift in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG in Betracht, welche die Zulassung zu ärztlichen Berufen nennt; die Zulassung betrifft nur die Erteilung, Zurücknahme und den Verlust der Approbation sowie die Befugnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs.265 Alle anderen Aspekte des Arztrechts fallen in den Kompetenzbereich der Länder.266 Die Regelung in § 95b Abs. 2 SGBV hat zwei Bestandteile: Das Tatbestandsmerkmal des kollektiven Verzichts auf die Zulassung im Sinne von § 95b Abs. 1 SGB V bezieht sich auf die Art und Weise der bereits aufgenommenen Berufstätigkeit, betrifft also nicht die Erteilung, Zurücknahme oder den Verlust der Approbation. Es handelt sich demnach um eine Berufsausübungsregelung. Die Rechtsfolge (sechsjährige Zulassungssperre) hingegen könnte als Berufszulassungsfrage verstanden werden. Jedoch behält ein Arzt, der kollektiv auf die Zulassung verzichtet hat, seine Approbation. Er scheidet nur aus der vertragsärztlichen Versorgung aus, hat aber weiterhin das Recht, Privatpatienten ärztlich zu behandeln. Anders könnte es allenfalls dann liegen, wenn der 264

Vgl. Fn. 97 f. sowie Ebsen (Fn. 123), 353 f. Siehe hierzu bereits Erster Teil B. VI. 1. a). 266 Hermann Butzer, Verfassungsrechtliche Anmerkungen zum GKV-Gesundheitsmodernisierungsgesetz 2004 (GMG), MedR 2004, S. 177 (179). 265

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2. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Wiederzulassungssperre

Beruf des Vertragsarztes im Verhältnis zum frei praktizierenden Arzt ein eigenständiger Beruf wäre, wie dies vor allem bei der Anwendung von Art. 12 Abs. 1 GG diskutiert wird. Die Tätigkeit des Vertragsarztes ist nur eine Modalität des allgemeinen Berufs des frei praktizierenden Arztes.267 Der Vertragsarzt übt also keinen eigenständigen Beruf aus.268 Folgerichtig wird in der Literatur daher auch abgelehnt, die Zulassung als Vertragsarzt unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zu subsumieren.269 Somit enthält diese Norm keine Bundeskompetenz zum Erlaß des § 95b Abs. 2 SGB V.

II. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG Weiterhin kommt eine Herleitung der Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG nicht in Betracht.270 Der Begriff des Rechts der Wirtschaft wird zwar allgemein weit verstanden und umfaßt alle Normen, die das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung regeln.271 Berufsrecht unterfällt dem Recht der Wirtschaft, soweit es Gewerbe- und Handwerksrecht ist; im übrigen gehen spezielle Regelungen wie Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG vor.272 Die spezielle Norm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG erfaßt das ärztliche Berufsausübungsrecht jedoch gerade nicht.273 Dies gilt nicht nur im Hinblick auf § 95b Abs. 1 SGB V, sondern auch in bezug auf § 95b Abs. 2 SGB V.

III. Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG Als Kompetenzgrundlage für § 95b Abs. 2 SGB V kann ferner nicht Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG herangezogen werden.274 § 95b Abs. 2 SGB V baut zwar auf dem kartellrechtsähnlichen Pflichtwidrigkeitstatbestand des § 95b Abs. 1 SGB V auf. Ob eine Regelung einem bestimmten Kompetenztitel unterfällt, richtet sich aber nach ihrem Gegenstand, nicht nach ihrem Zweck oder ihrer Wirkung; soweit in Fällen der Überschneidung von Gesetzgebungsgegenständen Zweifel bestehen, entscheidet der Schwerpunkt der beabsichtigten gesetzlichen Regelung über die Zuordnung zu einem Kompetenztitel.275 Angesichts des gesundheitsspezifischen Bezuges liegt 267

Vgl. hierzu bereits Erster Teil B. VI. 2. a) cc). Sodan (Fn. 56), S. 155 ff., 164 f., 194 f., 228. 269 Siehe Pestalozza (Fn. 104), Art. 74 Rn. 1321 mit Fn. 2359, Rn. 1326 mit Fn. 2373; Eibe Riedel/Ulrich Derpa, Kompetenzen des Bundes und der Länder im Gesundheitswesen, 2002, S. 19. 270 Siehe hierzu bereits Erster Teil B. 1. c). 271 Siehe Fn. 104. 272 Siehe Fn. 105. 273 Vgl. hierzu oben Erster Teil B. VI. 1. a). 274 Vgl. hierzu bereits Erster Teil B. VI. 1. b). 275 Siehe Fn. 103. 268

A. Gesetzgebungskompetenz des Bundes

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der Schwerpunkt von § 95b Abs. 2 SGB V jedenfalls nicht in der Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG.

IV. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG Auch Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG scheidet als Kompetenzgrundlage aus. Dem Bund stehen im Bereich des Gesundheitswesens nur sachlich beschränkte Gesetzgebungskompetenzen zu (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12, 19, 19 a GG); dies kann nicht durch einen Rückgriff auf die allgemeinere Regel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG unterlaufen werden.276

V. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG Somit verbleibt als mögliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Wie bereits dargelegt wurde277, geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, daß der Begriff der Sozialversicherung weit zu verstehen sei. Er umfasse alles, „was sich der Sache nach als Sozialversicherung“ darstelle; hierzu zähle auch das Vertragsarztwesen. Es ist jedoch große Skepsis „bei der Rezeption einfachen Rechts in das Verfassungsrecht geboten. Nur in engen Grenzen kann es eine Vermutung für einen gesetzesgleichen Verfassungsinhalt geben. […] Der Schluß, daß Sozialversicherung das ist, was in der Sozialgesetzgebung des Bundes geregelt ist, ist als klassische petitio principii unzulässig.“278 Der Bund hat von dem Kompetenztitel der „Sozialversicherung“ unter anderem durch umfangreiche Regelungen der Einbindung von Ärzten und Zahnärzten in das System der gesetzlichen Krankenversicherung Gebrauch gemacht. Diese Vorschriften bilden schon seit langem eine besondere Rechtsmaterie, die gerade in verfassungsrechtlicher Hinsicht zunehmender, vor allem grundrechtlicher Kritik ausgesetzt ist.279 Erhebliche Bedenken bestehen aber auch in kompetenzrechtlicher Hinsicht.280 Das Bundesverfassungsgericht geht bislang offenbar stillschweigend von der erforderlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Regelung des Vertragsarztrechts aus. 276 BVerfGE 88, 203 (330); Bodo Pieroth, in: Hans D. Jarass/Bodo Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 10. Aufl. 2009, Art. 74 Rn. 16; Riedel/Derpa (Fn. 269), S. 12. 277 Siehe Erster Teil B. VI. 1. d). 278 Riedel/Derpa (Fn. 269), S. 8 unter Verweis auf Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV, 2. Aufl. 1999, § 100 Rn. 31 f. 279 Vgl. Fn. 118. 280 Siehe dazu bereits Sodan (Fn. 119); Riedel/Derpa (Fn. 269), passim; Butzer (Fn. 266), S. 178 ff.

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2. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Wiederzulassungssperre

Die gegen diese Sichtweise erhobenen Einwände281 greifen auch in bezug auf § 95b Abs. 2 SGB V durch. Richtig ist, daß das Leistungserbringungsrecht die speziellere Rechtsmaterie ist im Verhältnis zum allgemeinen Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Wegen dieses Spezialitätsverhältnisses kann § 95b Abs. 2 SGB V nicht auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG gestützt werden.282 Dieser Befund wird bestätigt durch die bereits genannte Festlegung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, durch welche die Bundeszuständigkeit eben auf die „Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen“ beschränkt ist. Daraus ist im Umkehrschluß zu folgern, daß für das übrige und sogar überwiegende ärztliche Berufsrecht nach Art. 70 Abs. 1 GG die Länder das Recht der Gesetzgebung haben.283 Eine andere Sichtweise würde die von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG gewollte Kompetenzabgrenzung ins Leere laufen lassen.284 Somit kann der Bund sich nicht auf die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG stützen.

VI. Kompetenz kraft Sachzusammenhangs Wie bereits dargelegt wurde285, bewirken Gesetzgebungszuständigkeiten kraft Sachzusammenhangs ein Übergreifen von einer dem Bund ausdrücklich zugewiesenen Materie in eine anderweitige, ihm nicht ausdrücklich zugewiesene Materie, wenn dieses Übergreifen unerläßlich ist, andernfalls die dem Bund ausdrücklich zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann. Die Unerläßlichkeit der Verknüpfung muß nachgewiesen sein; bloße Zweckmäßigkeitsüberlegungen genügen nicht. Gegen die Annahme einer Kompetenz kraft Sachzusammenhangs spricht zunächst, daß das Rückkehrverbot in § 95b Abs. 2 SGB V nicht unerläßliche Voraussetzung für die Regelung der dem Bund zugewiesenen Materie der Sozialversicherung ist. Der Bund kann von dieser Gesetzgebungskompetenz Gebrauch machen, ohne ärztliches Berufsrecht zu regeln, wie die auf Landesebene beschlossenen Berufsordnungen erkennen lassen. Überdies ist das Gebrauchmachen von der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs nur insoweit zulässig, als keine substantielle Erweiterung der Hauptmaterie erfolgt.286 Eine solche substantielle Erweiterung würde aber entstehen, wenn man das Leistungserbringungsrecht dem Bund zuweisen würde.

281

Siehe Erster Teil B. VI. 1. d). A. M. BSGE 103, 243 (260); BSG, Urt. v. 17. 06. 2009, B 6 KA 14/08 R, Rn. 71 (zitiert nach juris) jeweils mit der Begründung, daß § 95b SGB V als Teil des Leistungserbringungsrecht Bestandteil der Sozialversicherung sei. 283 Vgl. Fn. 266. 284 Vgl. hierzu die Nachweise in Fn. 123. 285 Siehe Erster Teil B. VI. 1. e). 286 Siehe Fn. 131. 282

B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 2 SGB V mit Grundrechten

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Somit läßt sich hier zugunsten des Bundesgesetzgebers auch keine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs begründen.

VII. Annexkompetenz Unter einer Annexkompetenz des Bundes wird überwiegend ein Sonderfall der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs verstanden287. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Annexkompetenz zugunsten des Bundes gegeben, wenn eine an sich nicht der Bundesgesetzgebung unterfallende Materie keine einheitliche und selbständige ist, in einem notwendigen Zusammenhang mit einer der Zuständigkeit des Bundes unterliegenden Materie steht und deshalb als Annex dieses Sachgebietes angesehen werden kann288. Wie alle „ungeschriebenen“ Zuständigkeiten ist auch die Annexkompetenz restriktiv anzuwenden.289 Wie bereits dargelegt wurde, liegt gerade kein notwendiger Zusammenhang zwischen den Regelungen in § 95b SGB V und der Sozialversicherung im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG vor. Das Vertragsarztwesen ist kein „Anhängsel“, sondern stellt eine einheitliche und selbständige Materie dar.

VIII. Ergebnis zu I. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß eine Kompetenz des Bundes zum Erlaß des § 95b Abs. 2 SGB V nicht ersichtlich ist. Vielmehr sind die Länder für das ärztliche Berufsrecht zuständig. § 95b Abs. 2 SGB V ist also wegen Verstoßes gegen die bundesstaatliche Kompetenzverteilung der Art. 70 ff. GG verfassungswidrig.

B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 2 SGB V mit Grundrechten Die Verfassungswidrigkeit des § 95b Abs. 2 SGB V könnte sich auch aus Verstößen gegen Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 GG ergeben.

287 Siehe etwa Martin Bullinger, Ungeschriebene Kompetenzen im Bundesstaat, AöR 96 (1971), S. 237 (243 f.); Hesse (Fn. 91), Rn. 236; Katz (Fn. 82), Rn. 430; Pieroth (Fn. 276), Art. 70 Rn. 12. 288 BVerfGE 22, 180 (210); 77, 288 (299). 289 Vgl. Hartmut Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 17 Rn. 47.

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2. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Wiederzulassungssperre

I. Berufsfreiheit 1. Schutzbereich Art. 12 Abs. 1 GG schützt als einheitliches Grundrecht die Freiheit des Berufs.290 Unter dem Begriff des Berufs ist jede „auf Erwerb gerichtete Tätigkeit“ zu verstehen, „die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dient“.291 Nicht nur die Wahl und das Beibehalten des gewählten Berufs werden durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt („positive“ Berufsfreiheit), sondern auch die Freiheit, keinen Beruf auszuüben oder den einmal gewählten Beruf aufzugeben292 („negative“ Berufsfreiheit). Im Hinblick auf § 95b Abs. 2 SGB V sind beide Aspekte der Berufsfreiheit berührt. Die „negative“ Berufsfreiheit ist betroffen, da diese Vorschrift als „legislative Drohung“293 ein Ausscheiden aus der vertragärztlichen Versorgung verhindern soll. Zwar führt der in § 95b Abs. 1 SGB V statuierte Pflichtenverstoß nicht zur Unwirksamkeit der Verzichtserklärung294, also nicht zum zwangsweisen Verbleib in der vertragsärztlichen Versorgung. Jedoch sind die möglichen Folgen eines kollektiven Verzichts auf die Zulassung als Vertragsarzt geeignet, verzichtsbereite Vertragsärzte von der Ausübung ihrer grundrechtlich geschützten Freiheit abzuhalten, so daß sie wider ihren Willen in der vertragsärztlichen Versorgung verbleiben. Die „positive“ Berufsfreiheit ist betroffen, da der Arzt nach dem Ausscheiden aus der vertragsärztlichen Versorgung sechs Jahre lang von einer diesbezüglichen Mitwirkung ausgeschlossen ist. Der Schutzbereich der Berufsfreiheit ist eröffnet. 2. Eingriff Nach klassischem Grundrechtsverständnis „wird unter einem Grundrechtseingriff im Allgemeinen ein rechtsförmiger Vorgang verstanden, der unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ, zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt“.295 In bezug auf die Berufsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt: „Es genügt, daß sie aufgrund der staatlichen Maßnahme nicht mehr in der gewünschten Weise ausgeübt werden kann.“296 Die mindestens sechsjährige Rückkehrsperre des § 95b Abs. 2 SGB V wird unmittelbar und final zur Regelung vertragsärztlichen Verhaltens eingesetzt; das Verbot der 290 291 292 293 294 295 296

Siehe Fn. 133. Siehe Fn. 137. Siehe Fn. 138. Begriff von Schneider (Fn. 4), Rn. 354. Hess (Fn. 4), § 95b SGB V Rn. 3; Klückmann (Fn. 16), K § 95b Rn. 8. BVerfGE 105, 279 (300). BVerfGE 82, 209 (223).

B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 2 SGB V mit Grundrechten

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Wiederzulassung kann erforderlichenfalls mit Zwang durchgesetzt werden, so daß nach klassischem Verständnis ein Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit vorliegt. 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Gesetzliche Vorschriften vermögen aber nur dann das Grundrecht der Berufsfreiheit wirksam einzuschränken, wenn sie in formeller Hinsicht mit den kompetenzrechtlichen Vorgaben der Verfassung vereinbar sind und in materieller Hinsicht insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.297 Wie bereits dargelegt wurde298, steht dem Bund keine Gesetzgebungskompetenz zur Regelung in § 95b Abs. 2 SGB V zu. Schon aus diesem Grund ist der Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigen. Sollte dennoch eine Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes angenommen werden, so müßte § 95b Abs. 2 SGB V die Voraussetzungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfüllen, um verfassungsgemäß zu sein. Auch hier gelten die unterschiedlichen Anforderungen, die davon abhängen, ob es sich um eine Regelung der Berufsausübung oder eine Berufszulassungsvoraussetzung handelt.299 Wie bereits dargelegt wurde300, handelt es sich bei der Tätigkeit des Vertragsarztes nur um eine Modalität des allgemeinen Berufs des frei praktizierenden Arztes, so daß § 95b Abs. 2 SGB V bereits durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden könnte, es sei denn, diese Vorschrift käme in ihren Auswirkungen einer Berufszulassungsregelung nahe301. Im Hinblick auf die hier berührte „negative“ Berufsfreiheit ist Folgendes zu berücksichtigen: Bevor § 95b Abs. 2 SGB V eingreifen kann, muß der möglicherweise Betroffene Vertragsarzt gewesen sein und mit anderen Vertragsärzten kollektiv auf die Zulassung verzichtet haben. Da es dem Vertragsarzt aber stets unbenommen ist, gemäß § 28 Abs. 1 Ärzte-ZV individuell auf die Zulassung zu verzichten, stellt § 95b Abs. 2 SGB V keine Berufsausübungsregelung dar, die einer Berufszulassungsbeschränkung nahe kommt. Bis zur Abgabe der Verzichtserklärung im Rahmen eines aufeinander abgestimmten Verfahrens oder Verhaltens hat der Arzt die Möglichkeit, die sechsjährige Zulassungssperre zu vermeiden, indem er individuell auf die Zulassung verzichtet. Bezüglich der „positiven“ Berufsfreiheit scheint prima facie Entsprechendes zu gelten, da der Vertragsarzt individuell statt kollektiv hätte verzichten können. Jedoch muß bedacht werden, daß der verzichtende Arzt nach erfolgtem kollektiven Verzicht keine Handlungsmöglichkeit mehr besitzt. Bei der „negativen“ Berufsfreiheit ist dies 297 298 299 300 301

Siehe Fn. 144. Vgl. Zweiter Teil A. Siehe dazu bereits Erster Teil B. VI. 2. a) cc). Siehe Erster Teil B. VI. 2. a) cc). Siehe Fn. 156.

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2. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Wiederzulassungssperre

anders, weil diese betroffen ist, bevor die Verzichtserklärung abgegeben wird. Die „positive“ Berufsfreiheit ist erst nach dem Verzicht berührt. Zu diesem Zeitpunkt hat der einzelne Arzt weder auf die Feststellung der Aufsichtsbehörde noch auf eine erneute vorzeitige Zulassungsentscheidung Einfluß. Scheitert die privatärztliche Praxis, so ist der Arzt gezwungen, den Beruf des niedergelassenen Arztes aufzugeben.302 Denn die privatärztliche Tätigkeit kann er, und die vertragsärztliche Tätigkeit darf er (mindestens sechs Jahre lang) nicht mehr ausüben. Zwar geht die Gesetzesbegründung303 davon aus, daß die „Illoyalität“ des Vertragsarztes es rechtfertige, „den kollektiv ausgeschiedenen Vertragsarzt ,beim Wort zu nehmen und ihn zumindest für die Dauer von sechs Jahren aus der vertragsärztlichen Versorgung auszuschließen“; aber ein verzichtender Vertragsarzt erklärt nicht, daß er die Tätigkeit als frei praktizierender Arzt aufgeben, sondern nur, daß er aus der vertragsärztlichen Versorgung ausscheiden will. Deshalb kann man ihn auch nicht in diesem Sinne „beim Wort nehmen“. Ist der Arzt aber nicht mehr in der Lage, seinen Beruf selbständig in einer Praxis auszuüben, so kommt die Regelung des § 95b Abs. 2 SGB V in ihren Auswirkungen einer objektiven Berufszulassungsregelung nahe.304 Diese Erkenntnis entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welches eine Berufsausübungsregelung, die einer Berufswahlbeschränkung nahe kam, in einem Fall annahm, in dem jemand aufgrund der Zulassungsentziehung mehrere Jahre nicht an der (damaligen) kassenärztlichen Versorgung teilnehmen konnte305. Somit bedarf es zur Rechtfertigung der Vorschrift des § 95b Abs. 2 SGB V besonders wichtiger Interessen der Allgemeinheit, die anders nicht geschützt werden können.306 a) Zum Schutz besonders wichtiger Interessen der Allgemeinheit Wie bereits dargelegt wurde307, zielt § 95b SGB V darauf ab, durch eine „legislative Drohung“ das System der gesetzlichen Krankenversicherung vor einer Destabilisierung durch Vertragsärzte zu schützen und so die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährleisten. Die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts nennt als „Gemeinwohlbelang von hinreichendem Gewicht“ „die Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung“308.

302

Sodan (Fn. 56), S. 274. BT-Drucks. 12/3608, S. 95. 304 Sodan (Fn. 56), S. 274. 305 BVerfGE 69, 233 (244). 306 So auch BSGE 103, 243 (261); BSG, Urt. v. 17.06.2009, B 6 KA 14/08 R, Rn. 72 (zitiert nach juris). 307 Siehe Erster Teil B. III. und IV. 308 Siehe Fn. 161. 303

B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 2 SGB V mit Grundrechten

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Wie ebenfalls bereits gezeigt wurde309, hat der Grundsatz der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung keinen Verfassungsrang; er gehört also nicht zu den „absoluten“ Gemeinschaftswerten, sondern zu den „relativen“, die erst der „einfache“ Gesetzgeber in den Rang von Gemeinschaftswerten erhebt. Aber wichtige Interessen der Allgemeinheit sind nicht nur Gemeinwohlbelange mit Verfassungsrang,310 so daß auch die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung ein wichtiges Interesse der Allgemeinheit darstellen kann. b) Geeignetheit Ausweislich der Gesetzesbegründung311 soll durch § 95b SGB Verreicht werden, daß der einzelne Vertragsarzt die Erfüllung des Sicherstellungsauftrags fördert und alles unterläßt, „was die Sicherstellung und die Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung gefährden oder ausschließen könnte“. Die sechsjährige Zulassungssperre trägt dazu bei, Vertragsärzte davon abzuhalten, in einem abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf die Zulassung zu verzichten. Auf diese Weise wird ein kollektiver Verzicht zwar nicht völlig ausgeschlossen. Aber er wird durch eine Rechtsfolge so unattraktiv gemacht, daß weniger Vertragsärzte geneigt sein werden, sich an einem kollektiven Verzicht zu beteiligen, als wenn die Regelung in § 95b Abs. 2 SGB V nicht bestünde.312 Jedoch kann sich die Regelung in § 95b Abs. 2 SGB V nach dem Verzicht als kontraproduktiv erweisen, sofern nicht genügend Ärzte nachrücken wollen. In diesem Fall entstünde durch die Unmöglichkeit, die verzichtenden Ärzte einzubinden, eine Unterversorgung. Insoweit ließe sich an der Geeignetheit der Regelung zweifeln.313 Jedoch reicht eine Teileignung der fraglichen Regelung aus. Das gewählte Mittel hat nicht das bestmögliche oder geeignetste zu sein314 ; der Erfolg muß nicht in jedem Einzelfall auch tatsächlich erreicht werden oder erreichbar sein315. Da der kontraproduktive Effekt nicht sicher ist, dafür der Präventionsgedanke greift, wird man der Regelung in § 95b Abs. 2 SGB V die Eignung nicht absprechen können.

309

Siehe Erster Teil B. VI. 2. a) cc). BVerfGE 13, 97 (107); Ebsen (Fn. 123), S. 360 f.; Manfred Gubelt, in: Ingo von Münch/ Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. Aufl. 2000, Art. 12 Rn. 56. Siehe auch Rupert Scholz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig, Grundgesetz, Bd. II, Art. 12 Rn. 337 ff. (Stand der Kommentierung: Juni 2006). 311 BT-Drucks. 12/3608, S. 95. 312 So auch BSGE 103, 243 (262); BSG, Urt. v. 17.06.2009, B 6 KA 14/08 R, Rn. 74 (zitiert nach juris). 313 So auch Schinnenburg (Fn. 224), 27 f. 314 Sachs (Fn. 167), Art. 20 Rn. 150 f. 315 BVerfGE 67, 157 (175). 310

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2. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Wiederzulassungssperre

c) Erforderlichkeit Wie gezeigt, gelten auch im Bereich der Sozialversicherung die allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Erforderlichkeit einer gesetzlichen Regelung; es darf kein Sonderrecht geben.316 Bei der Erforderlichkeit von § 95b Abs. 2 SGB V erscheint insbesondere die lange Dauer der Zulassungssperre problematisch.317 Zwar ist es verständlich, daß ein Vertragsarzt, der kollektiv auf die Zulassung verzichtet hat, nicht nach Belieben zwischen der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung und dem Verzicht hierauf „pendeln“ soll. Ein milderes Mittel wäre ein kürzeres Rückkehrverbot. Es fragt sich jedoch, ob eine z. B. dreijährige Zulassungssperre zur Erreichung des gesetzgeberischen Zwecks gleich geeignet ist. Wenn man davon ausginge, daß eine zwei- bis fünfjährige Rückkehrsperre eine vergleichbare abschreckende Wirkung hätte wie die mindestens sechsjährige, da auch dieser kürzere Zeitraum relativ lang ist, vor allem im Falle des Scheiterns der rein privatärztlichen Praxis, wäre jedoch das Fehlen der Erforderlichkeit noch nicht dargetan. Denn das Bundesverfassungsgericht räumt dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Bemessung von Fristen ein; er kann generalisieren und pauschalisieren318. Allerdings ist dieser Spielraum nicht unbegrenzt. Er endet dort, wo die Regelung willkürlich wird.319 Bedenkt man, daß die Entziehung der Zulassung wegen gröblicher Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten im Sinne des § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V nur als ultima ratio in Betracht kommt320 und die Zulassungsgremien im Einzelfall eine erneute vorgezogene Zulassung aussprechen können, erscheint die automatische mindestens sechsjährige Rückkehrsperre sehr lang und rigide321. Hinzu kommt, daß die Entziehung der Zulassung in der Regel für maximal fünf Jahre ausgesprochen werden darf.322 So hat das Bundessozialgericht ausgeführt: „Eine ,Bewährungszeit von 5 Jahren ist allerdings eine lange Zeit, die in Anbetracht dessen, daß es sich bei der Entziehung der Kassenzulassung um einen sehr schweren Eingriff in das Recht des niedergelassenen Arztes auf freie Berufsausübung handelt, nur in besonders gra-

316

Siehe oben Erster Teil B. VI. 2. a) cc) (3). So auch Kurt Brackmann u. a. (Hrsg.), Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 1/1, Dritter Teil, § 95b SGB V Nr. 4 a. E. (Stand der Kommentierung: Oktober 1997); Hess (Fn. 4), § 95b SGB V Rn. 4 („Unter verfrechtl Gesichtspunkten kann deswegen die lange Dauer des ZulVerbotes bedenkl sein […]“); Hufen (Fn. 118), S. 398 mit Fn. 55 („vermutlich verfassungswidrig“); Lindemann (Fn. 21), § 95b SGB V Rn. 10 („Ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, ist hierbei eine offene Frage“); Schinnenburg (Fn. 224), S. 28; Schneider (Fn. 4), Rn. 352; ders., Die Auswirkungen des Gesundheitsstrukturgesetzes auf das Kassenarztrecht, MedR 1993, S. 83 (88) [„verfassungsrechtliche Bedenken“]. A. M. Kruse (Fn. 23) [mit ethischer Bedenklichkeit des kollektiven Verzichts argumentierend]. 318 BVerfGE 3, 58 (148); 44, 1 (21 f.); 71, 364 (397); 79, 212 (219 f.); 80, 297 (311). 319 BVerfGE 44, 1 (21 f.); 79, 212 (219 f.); 80, 297 (311); 95, 64 (88); 101, 239 (270). 320 Vgl. BVerfGE 69, 233 (244); BSGE 60, 76 ff.; 61, 1 (4); 66, 6 (8). 321 Schinnenburg (Fn. 224), S. 28. A. M. BSGE 103, 243 (262); BSG, Urt. v. 17.06.2009, B 6 KA 14/08 R, Rn. 75, 79 (zitiert nach juris). 322 Hess (Fn. 4), § 95 SGB V Rn. 88. 317

B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 2 SGB V mit Grundrechten

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vierenden Fällen überschritten werden sollte; in vielen Fällen wird schon eine kürzere Zeit genügen, um feststellen zu können, ob der Arzt wieder für die kassenärztliche Versorgung geeignet ist.“323

Als sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung findet sich der Hinweis auf die „Illoyalität“ des Vertragsarztes zu seiner Kassenärztlichen Vereinigung.324 Jedoch sind auch andere Pflichtverletzungen kein Zeichen von Loyalität gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung. Der Hinweis, daß den Vertragsarzt nach seinem Verzicht keine Disziplinierungsmaßnahmen mehr erreichten325, ist in zweierlei Hinsicht verfehlt. Erstens fehlt die Begründung, weshalb eine schärfere Sanktion erfolgen muß, als § 95 Abs. 6 SGB V dies vorsieht. Und zweitens führt die Verzichtserklärung nicht unmittelbar zum Ausscheiden aus der vertragsärztlichen Versorgung, wie sich aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV und § 95 Abs. 7 Satz 1 SGB V ergibt. In der Zeitspanne zwischen der Erklärung des Verzichts und dessen Wirksamwerden ist der Arzt weiterhin Mitglied der Kassenärztlichen Vereinigung und somit ihrer Disziplinargewalt unterworfen. Da auch die Entziehung der Zulassung erst nach gröblicher Pflichtverletzung (§ 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V) oder bei schwerwiegendem Mangel in der Person des Zahnarztes (§ 21 ZV-Zahnärzte) in Betracht kommt, erscheint die Annahme problematisch, daß der kollektive Verzicht eine schwerwiegendere Pflichtverletzung darstelle und somit eine schärfere Sanktion rechtfertige326. Denn eine maximal fünfjährige Zulassungssperre soll z. B. ausgesprochen werden bei wiederholtem schweren Fehlverhalten im ärztlichen Bereich327 oder bei Fälschung von Urkunden und dem Ausstellen falscher Gesundheitszeugnisse, wenn damit Straftatbestände erfüllt sind328. Es ist nicht nachvollziehbar, daß im Vergleich dazu der kollektive Verzicht auf die Zulassung, der keinem Straftatbestand unterfällt, für die Dauer von mindestens sechs Jahren zum Ausschluß von der vertragsärztlichen Versorgung führt, während Verstöße gegen das Kernstrafrecht stets einen kürzeren Ausschluß nach sich ziehen. Somit ist die Pauschalisierung willkürlich und nicht erforderlich. Neben der zeitlichen Verkürzung des Rückkehrverbots kommt auch eine räumliche Begrenzung der Zulassungssperre in dem Sinne in Betracht, daß der Arzt nur in dem Bezirk, in dem er kollektiv verzichtet hat, befristet von der Zulassung ausgeschlossen ist. Denn § 95b SGB V hat gewisse Berührungspunkte mit wettbewerbsrechtlichen Inhalten.329 Bevor ein Arzt seinen bekannten Zulassungsbezirk mit dem Patientenkreis verlassen muß, wird er diesen Schritt sehr genau überlegen. Es ließe sich auch eine Regelung erwägen, derzufolge der Arzt während eines gewissen 323

BSG, MedR 1987, S. 254 (255). Siehe BT-Drucks. 12/3608, S. 95. 325 In diese Richtung Klückmann (Fn. 16), K § 95b Rn. 16. 326 So aber Kruse (Fn. 23). 327 Vgl. hierzu BSGE 61, 1 (4). 328 So Hermann Plagemann, in: ders. (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 20 Rn. 81; Schinnenburg (Fn. 224), S. 28. 329 So ist in der Gesetzesbegründung von „wettbewerbswidriger“ Interessendurchsetzung die Rede; vgl. BT-Drucks. 12/3608, S. 95. 324

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2. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Wiederzulassungssperre

Zeitraums nur in unterversorgten Gebieten eine Zulassung erhalten könnte. Auf diese Weise ließe sich der Unterversorgung begegnen und damit dem gesetzgeberischen Anliegen des § 95b Abs. 2 SGB V Rechnung tragen, ohne dem Arzt jede Möglichkeit zur Rückkehr in die vertragsärztliche Versorgung vor Ablauf der sechs Jahre zu nehmen. Überdies erscheint die Regelung widersprüchlich.330 Wenn § 95b Abs. 2 SGB V den Zweck hat, einer Unterversorgung im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung entgegenzuwirken, so ist dies nur möglich, sofern genügend Ärzte bereit sind, gegebenenfalls eine Vertragsarztzulassung zu erwerben. § 95b Abs. 2 SGB Venthält keine Regelung für den Fall, daß nicht genügend Nachrücker vorhanden sind. Dann blieben Vertragsarztsitze unbesetzt; die verzichtenden Ärzte könnten selbst dann nicht eine Vertragsarztzulassung erhalten, wenn eine Unterversorgung droht.331 Zumindest in diesem Fall müßte eine frühere Wiederzulassung möglich sein. Der Umstand, daß selbst im Fall der Unterversorgung § 95b Abs. 2 SGB V uneingeschränkt gilt, läßt die Erforderlichkeit dieser Norm entfallen. Darüber hinaus ist § 95b Abs. 2 SGB V eine zwingende Vorschrift. Der Zulassungsausschuß hat keine Möglichkeit zur Erteilung einer Zulassung vor Ablauf der sechs Jahre, wenn die Voraussetzungen des § 95b Abs. 2 SGB V vorliegen.332 Im Einzelfall kann dies eine unzumutbare Belastung für einen verzichtenden Vertragsarzt darstellen, insbesondere im Falle des Scheiterns seiner rein privatärztlichen Praxis. Milder wäre also die Normierung einer Härtefallregelung. Da der einzelne Vertragsarzt im voraus nicht ermessen kann, ob er unter die Härtefallregelung fallen wird, würde durch sie auch nicht der Präventionsgedanke des § 95b Abs. 2 SGB V vereitelt. Somit wäre die Einführung einer Härtefallregelung ebenfalls ein milderes, zur Erreichung des genannten Gesetzeszweckes gleich wirksames Mittel. Schließlich steht mit § 72a SGB V ein ausreichendes Instrumentarium zur Verfügung, um einer Unterversorgung zu begegnen; auch dies führt dazu, daß sich die Regelung in § 95b Abs. 2 SGB V als nicht erforderlich und unverhältnismäßig erweist.333 Erhebliche Bedenken bestehen im übrigen gegen die Angemessenheit der Regelung. Diese setzt voraus, daß bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist.334 Im Falle des – angesichts des wirtschaftlichen Risikos nicht unwahrscheinlichen – Scheiterns einer privatärztlichen Praxis hätte die mindestens sechsjährige Zulassungssperre faktisch ein befristetes Berufsverbot für den Arzt zur Folge. Dieser wird in der Regel seine Praxis veräußern 330 331 332 333 334

Vgl. dazu Fn. 65. Sodan (Fn. 56), S. 278 f. Hess (Fn. 4), § 95b SGB V Rn. 4; Klückmann (Fn. 16), K § 95b R. 17. Sodan (Fn. 56), S. 278. Vgl. auch Erster Teil B. VI. 2. a) cc) (3). Vgl. etwa BVerfGE 61, 291 (312); 68, 272 (282); 77, 84 (111); 81, 70 (92); 95, 173 (183).

B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 2 SGB V mit Grundrechten

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müssen. Eine Vernichtung der beruflichen Existenz steht jedoch außer Verhältnis zum Zweck der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung.335 Nach allem ist § 95b Abs. 2 SGB V weder erforderlich noch angemessen und daher unverhältnismäßig. Diese Regelung verstößt damit gegen Art. 12 Abs. 1 GG.

II. Eigentumsfreiheit 1. Schutzbereich Unzweifelhaft stellen die einzelnen Gegenstände in der Praxis Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG dar. Die Möglichkeit, die einzelnen Eigentumsgegenstände zu veräußern, wird durch die Rückkehrsperre nicht berührt. Zu beachten ist jedoch auch die durch die Eigentumsfreiheit geschützte privatnützige336 Verwendung einzelner Praxisgegenstände. Im Falle der Schließung seiner Praxis kann sich der Arzt seiner Instrumente und Einrichtungsgegenstände nicht mehr so bedienen, wie er es tun könnte, wenn er noch Patienten hätte. Vor allem aber kommt die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 14 Abs. 1 GG unter dem Aspekt des sogenannten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Betracht. Denn dadurch, daß sich eine rein privatärztliche Praxis mit eingeschränkten Abrechnungsmöglichkeiten (vgl. § 95b Abs. 3 SGB V) regelmäßig nicht rentieren dürfte, kann die Privatnützigkeit der Praxis betroffen sein. Eine unmittelbare Anwendung des aus Art. 14 Abs. 1 GG abgeleiteten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb scheidet jedoch aus, weil die freiberufliche Tätigkeit von Ärzten gerade keine Ausübung eines Gewerbes darstellt.337 Die Judikatur zum eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb läßt sich aber unter dem Gesichtspunkt des „Betriebseigentums“338 auf die Zahnarztpraxen übertragen.339 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs umfaßt das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb den Betrieb mit all seinen Ausstrahlungen, „nicht nur den gegenständlichen Bestand des Betriebes, sondern dessen gesamte Erscheinungsform, den Tätigkeitskreis und seinen Kundenstamm, kurz alles, was in seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert des konkreten Betriebes aus-

335 Sodan (Fn. 56), S. 279. Vgl. auch Marc Schüffner/Laura Schnall, Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts, 2009, S. 45 f. A. M. hingegen BSGE 103, 243 (263 f.); Joussen (Fn. 11), Rn. 4. 336 Siehe zum Schutz der Privatnützigkeit durch Art. 14 Abs. 1 GG etwa BVerfGE 50, 290 (339); 53, 257 (290); 91, 294 (308). 337 Vgl. Erster Teil B. VI. 2. b). 338 Siehe zu diesem Begriffsvorschlag Leisner (Fn. 212). 339 Sodan (Fn. 56), S. 253 f.

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2. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Wiederzulassungssperre

macht“340. Auch die vertragsärztliche Praxis wurde durch den Bundesgerichtshof in den Schutzbereich des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb einbezogen „als Gesamtheit all dessen, was die gegenständlichen und personellen Grundlagen der Tätigkeit des praktizierenden Arztes bei der Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben bildet“341. Demnach wäre die Praxis des Vertragsarztes unter dem Gesichtspunkt des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt. Jedoch ist streitig, ob das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb überhaupt Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG darstellt. Während das Bundesverfassungsgericht in seiner frühen Rechtsprechung davon ausging, daß Art. 14 Abs. 1 GG auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb schützt342, hat das Gericht später diesbezüglich Zweifel geäußert343. Das Bundesverwaltungsgericht344, der Bundesgerichtshof345 sowie gewichtige Stimmen in der Literatur346 halten jedoch an der ursprünglichen Auffassung fest. Denn das Bundesverfassungsgericht hat bislang den Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG nicht ausdrücklich verneint, sondern lediglich ausgeführt, welche Aspekte des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb jedenfalls nicht von diesem Schutz umfaßt werden347. Insoweit wurden genannt: künftige Verdienstmöglichkeiten und in der Zukunft liegende Chancen348, bestehende Geschäftsbeziehun340 BGHZ 55, 261 (263). Vgl. ferner BGHZ 23, 157 (163); 45, 83 (87). So auch HansJürgen Papier, in: Theodor Maunz/Günter Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, Art. 14 Rn. 95 (Stand der Kommentierung: Juni 2002). 341 BGHZ 132, 181 (186). Vgl. auch BGHZ 81, 21 (33); Boecken (Fn. 200), S. 233 ff.; Hufen (Fn. 118), S. 397; Papier (Fn. 340), Art. 14 Rn. 98; Roman Seer, Die Berufszulassung für Vertragsärzte nach dem Gesundheitsstrukturgesetz 1993 im Spannungsverhältnis zwischen Berufsfreiheit und Eigentumsschutz, MedR 1995, S. 131 (134 ff.). 342 BVerfGE 1, 264 (277); 13, 225 (229); 22, 380 (386); 45, 142 (173). So auch BSGE 5, 40 (42). 343 BVerfGE 51, 193 (221); 66, 116 (145); 68, 193 (222 f.); 77, 84 (118); 87, 363 (394). 344 BVerwGE 36, 248 (249); 62, 224 (226); 81, 49 (54); BVerwG, NJW 1982, S. 63 (64). 345 BGHZ 23, 157 (162 f.); 45, 83 (87); 55, 261 (263). 346 Peter Axer, Eigentumsschutz für wirtschaftliche Betätigung, in: Otto Depenheuer/ Markus Heintzen/Matthias Jestaedt/Peter Axer (Hrsg.), Nomos und Ethos, Hommage an Josef Isensee zum 65. Geburtstag von seinen Schülern, 2002, S. 121 (133 f.); Peter Badura, Der Eigentumsschutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes, AöR 98 (1973), S. 153 (154 ff.); Dirk Ehlers, Eigentumsschutz, Sozialbindung und Enteignung bei der Nutzung von Boden und Umwelt, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (215); Otto Kimminich, in: Rudolf Dolzer/ Klaus Vogel/Karin Graßhof (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. III, Art. 14 Rn. 77 ff. (Stand der Kommentierung: August 1992); Leisner (Fn. 212), § 149 Rn. 108 ff.; Papier (Fn. 340); Rudolf Wendt, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Aufl. 2009, Art. 14 Rn. 26, 47 ff. 347 Siehe BVerfGE 13, 225 (229); 51, 193 (221 f.), 58, 300 (352 f.); 66, 116 (145); 68, 193 (222 f.). Vgl. ferner BVerfGE 105, 252 (278). 348 BVerfGE 30, 292 (335); 77, 84 (118); 95, 173 (187 f.). So auch BVerwGE 95, 341 (349).

B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 2 SGB V mit Grundrechten

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gen und der Kundenstamm349. Auch der Unternehmensruf, selbst wenn er auf vorheriger Leistung beruht, soll nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht vom verfassungsrechtlichen Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb erfaßt sein350. Inwieweit diese Aussagen zutreffend sind, mag hier dahinstehen; denn die Arztpraxis in ihrer Gesamtheit unterfällt keiner dieser ausdrücklich abgelehnten Kategorien. Gegen die Anerkennung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wird vorgebracht, daß es sich hierbei um eine zivilrechtliche Konstruktion handele, die (vermeintliche) Lücken des Deliktsrechts schließen solle; die zivilrechtliche Wertung könne jedoch nicht das Verfassungsrecht determinieren351. Dieser Einwand überzeugt nicht: Aus der zivilrechtlichen Anerkennung folgt nicht, daß das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb auf Verfassungsebene keine Bedeutung haben dürfte. Weiterhin wird bemängelt, daß die Abgrenzung zu Art. 12 Abs. 1 GG verschwimme, wenn das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG anerkannt würde352. Denn Art. 12 Abs. 1 GG schütze den Erwerb, Art. 14 Abs. 1 GG das Erworbene.353 Trotz dieser – einer Reihe von Einwänden ausgesetzten354 Abgrenzungsformel hat das Bundesverfassungsgericht verschiedentlich eine Idealkonkurrenz zwischen Art. 12 und 14 GG angenommen.355 Indem das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG ausführt, daß dieses Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung und Existenzentfaltung diene356, wird eine enge Verbindung zum Grundrecht der Eigentumsfreiheit deutlich. Auch Art. 14 Abs. 1 GG soll einen Freiheitsraum – nämlich im vermögensrechtlichen Bereich sichern und eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung ermöglichen.357 Kritisiert wird im Schrifttum ferner, daß das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eine richterrechtliche Konstruktion darstelle und es an der gesetzgeberischen Anerkennung des Gewerbebetriebs als Eigentum fehle358.

349 BVerfGE 77, 84 (118). So auch BSGE 67, 251 (255); Joachim Wieland, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 14 Rn. 52. 350 Siehe BVerfGE 105, 252 (278). 351 Jörg Berkemann, in: Dieter C. Umbach/Thomas Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 1, 2002, Art. 14 Rn. 146; Brun-Otto Bryde, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. Aufl. 2000, Art. 14 Rn. 18. 352 Vgl. Jarass (Fn. 222), Art. 14 Rn. 22, 25. 353 So BVerfGE 30, 292 (335); 85, 360 (383); 88, 366 (377). 354 Siehe dazu im einzelnen Sodan (Fn. 91), S. 485 ff. 355 Siehe etwa BVerfGE 8, 71 (79 ff.); 21, 150 (154 f., 160); 50, 290 (339 ff., 361 ff., 365). 356 Siehe Fn. 136. 357 BVerfGE 24, 367 (389); 79, 292 (303 f.); 83, 201 (208); 97, 350 (370 f.); 102, 1 (15). 358 So Wieland (Fn. 349).

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2. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Wiederzulassungssperre

Für die Anerkennung spricht jedoch, daß das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit mehr wert ist als die Summe der Einzelteile. Das Bürgerliche Gesetzbuch zeichnet sich durch das Bemühen aus, die Zerschlagung sinnvoller wirtschaftlicher Verbindungen zu verhindern. Dieser vernünftige Grundgedanke ist auch für die Auslegung der Verfassung von Bedeutung.359 Ferner läßt sich ein Erst-Recht-Schluß zugunsten der Anerkennung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb anführen. Denn wenn jede einzelne Vermögensposition dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG unterfällt, muß doch erst recht die Summe solcher geschützten Vermögenspositionen geschützt sein. So läßt sich auch der Satz des Bundesverfassungsgerichts erklären, wonach der Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht weiter gehen könne als der Schutz der wirtschaftlichen Grundlage360. Für eine gesetzgeberische Anerkennung des Gewerbebetriebs als Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG sprechen Regelungen des Firmen- und Markenrechts, wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche und Steuergesetze. Ferner ist zu berücksichtigen, daß es im Gesellschaftsrecht zwei Möglichkeiten der Unternehmensübertragung gibt: zum einen den sogenannten share deal, bei dem die Gesellschaftsbeteiligung selbst übertragen wird, zum anderen den asset deal, bei dem (in Deutschland wegen des sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes geboten) jeder einzelne Vermögensgegenstand gesondert übertragen wird.361 In der Regel haben Veräußerer und Erwerber die Wahl, welchen Weg sie gehen. Da Anteilsscheine als Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG anerkannt sind362, würde beim share deal stets der eigentumsrechtliche Schutz eingreifen. Weshalb dies bei dem asset deal nicht der Fall sein soll, läßt sich nicht begründen. Erschwerend kommt hinzu, daß die ärztliche Tätigkeit in eigener Praxis ausgeübt werden muß (vgl. etwa § 32 Abs. 1 Satz 1 ÄrzteZV, § 32 Abs. 1 HKG Niedersachsen) und ärztliche Berufsordnungen kapitalgesellschaftliche sowie personenhandelsgesellschaftliche Kooperationen verbieten (siehe z. B. § 8a Abs. 1 der Berufsordnung für die niedersächsischen Zahnärzte). Daher ist die Möglichkeit der Praxisübertragung im Wege des share deals eingeschränkt; dadurch wird die Problematik weiter zugespitzt. Weshalb der verfassungsrechtliche Schutz freiberuflicher Praxen geringer sein soll als derjenige von Gewerbebetrieben, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Auch dies spricht für die Anerkennung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Letztlich läßt sich eine Lösung bereits an Hand des verfassungsmäßigen Begriffs des Eigentums gewinnen: Unter Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG ist jede vermögenswerte privatrechtliche Rechtsposition zu verstehen, unabhängig davon, ob sie durch Gesetzes-

359

So auch Axer (Fn. 346), S. 135; Bryde (Fn. 351), Art. 14 Rn. 19. So BVerfGE 58, 300 (353). 361 Vgl. hierzu Jobst-Hubertus Bauer/Robert von Steinau-Steinrück, in: Wolfgang Hölters (Hrsg.), Handbuch des Unternehmens- und Beteiligungskaufs, 6. Aufl. 2005, Teil VIII A. II.; Gerhard Picot, in: ders. (Hrsg.), Unternehmenskauf und Restrukturierung, 3. Aufl. 2004, Teil I Rn. 26 ff. 362 BVerfGE 100, 289 (301 f.); 102, 197 (211); Wieland (Fn. 349), Art. 14 Rn. 49. 360

B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 2 SGB V mit Grundrechten

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recht als Eigentum gekennzeichnet ist oder nicht.363 Merkmale des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffes sind eigene Leistung und/oder Kapitalaufwand364, Vertrauen auf das Eigentum365 und Sicherung der Existenz366. Diese Kriterien sind bei einer Arztpraxis vollständig erfüllt. Denn der Arzt hat die Praxis aufgebaut und etabliert, wofür er eigene Leistungen erbringen und Kapital aufwenden mußte. Weiterhin durfte er auf den Bestand vertrauen. Schließlich ist eine freiberufliche Praxis Sicherungseigentum par excellence, denn der Freiberufler bestreitet mit den Einnahmen aus seiner Praxis seinen Lebensunterhalt. Somit unterfällt die vertragsärztliche Praxis unter dem Gesichtspunkt des Betriebseigentums dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG.367 Hier wird der Schutzbereich unter dem Aspekt der Privatnützigkeit berührt.368 Das Bundesverfassungsgericht sieht zwar den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit als nicht berührt an, wenn eine Praxis infolge des Verlustes der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung aufgegeben werden muß369 ; diese Sichtweise geht aber „am Kern der Eigentumsgewährleistung vorbei: Eigentumsschutz ist in erster Linie Bestands- und Nutzungsschutz“370. Vorliegend sind gerade der Bestand der Praxis und ihre privatnützige Verwendung durch den Arzt betroffen.371 2. Eingriff In Betracht kommt hier ein Eingriff in Form einer Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 oder eine Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG. Inhalts- und Schrankenbestimmungen sind Regelungen, die „generell und abstrakt die Rechte und Pflichten des Eigentümers festlegen“372, während unter einer Enteignung der teilweise oder vollständige Entzug einer konkreten Eigentumsposition zum Zwecke der Erfüllung öffentlicher Aufgaben verstanden wird373. § 95b Abs. 2 SGB V bewirkt nicht, daß die Arztpraxis auf einen im voraus bestimmten 363

Leisner (Fn. 212), § 149 Rn. 84. BVerfGE 1, 264 (277 f.); 14, 288 (293); 30, 292 (334); 50, 290 (340); 58, 81 (112). 365 Leisner (Fn. 212), § 149 Rn. 94; Wendt (Fn. 346), Art. 14 Rn. 47. 366 Leisner (Fn. 212), § 149 Rn. 93. 367 So auch Boecken (Fn. 200), S. 235. 368 Sodan (Fn. 56), S. 274 und allgemein zum verfassungsrechtlichen Schutz der Verfügungsbefugnis S. 254 ff.; siehe ferner Boecken (Fn. 200), S. 235. 369 BVerfG (Kammerbeschluß), NJW 1998, S. 1776 (1777 f.). 370 Boecken (Fn. 200), S. 235. 371 Das BSG hingegen lehnt mit der recht pauschalen Begründung, § 95b Abs. 2 SGB V beziehe sich auf die berufliche Tätigkeit, nicht auf deren Ergebnis, die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 14 Abs. 1 GG ab; siehe BSGE 103, 243 (264); BSG, Urt. v. 17.06.2009, B 6 KA 14/08 R, Rn. 82 (zitiert nach juris). 372 BVerfGE 58, 137 (144 f.); 58, 300 (330); 72, 66 (76); 100, 226 (240). 373 BVerfGE 58, 137 (144); 58, 300 (330 f.); 72, 66 (76); 83, 201 (211). 364

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2. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Wiederzulassungssperre

Rechtsträger übergeht. Der verzichtende Arzt kann in der Regel seine Praxis nicht allein mit Privatpatienten aufrechterhalten; aber es ist ihm unbenommen, die Praxis an einen anderen Arzt zu übertragen. § 95b Abs. 2 SGB Venthält eine Regelung, die alle Vertragsärzte unter den näher bezeichneten Voraussetzungen betrifft. Somit liegt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung vor. 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Neben der formellen Verfassungsmäßigkeit374, an der es vorliegend wegen der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes mangelt375, bedarf es zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer Inhalts- und Schrankenbestimmung der Verhältnismäßigkeit der zu rechtfertigenden Regelung376. Hierbei hat der Gesetzgeber Art. 14 Abs. 2 GG zu beachten, der festlegt, daß Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll („Sozialpflichtigkeit des Eigentums“). a) Legitimer Zweck Wie bereits dargelegt wurde377, stellt die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung einen legitimen Zweck dar. b) Geeignetheit Auch im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG ist von der Eignung der Regelung auszugehen. c) Erforderlichkeit Zur Zielerreichung bestehen mehrere andere Möglichkeiten, die weniger intensiv in die Eigentumsfreiheit eingreifen, aber gleich geeignet sind. Ein kollektiver Verzicht dürfte erst dann als pflichtwidrig sanktioniert werden, wenn er nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt ist.378 Mit § 72a Abs. 1 SGB V besteht bereits ein wirksames Instrumentarium, um einer drohenden Unterversorgung vorzubeugen.379 Die Zulassungssperre müßte und könnte zeitlich sowie örtlich begrenzt werden.380 Es müßte eine Härtefallregelung geschaffen werden.381 Aus diesen Gründen ist § 95b Abs. 2 SGB V nicht erforderlich. 374 375 376 377 378 379 380 381

Vgl. BVerfGE 34, 139 (146); 58, 137 (145). Siehe dazu Zweiter Teil A. Vgl. BVerfGE 8, 71 (80); 75, 78 (97 f.); 76, 220 (238); 92, 262 (273). Siehe Erster Teil B. VI. 2. a) cc) (1). Vgl. Erster Teil B. VI. 2. a) (3). Siehe Erster Teil B. VI. 2. a) (3). Siehe Zweiter Teil B. I. 3. c). Siehe Zweiter Teil B. I. 3. c).

B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 2 SGB V mit Grundrechten

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d) Angemessenheit Bei der erforderlichen Abwägung ist zunächst die Intensität, also die Schwere und Tragweite der Eigentumsbeeinträchtigung bedeutsam382, wobei sachliche oder finanzielle Ausgleichsansprüche383 oder die Gewährung kompensierender Rechte384 die Intensität der Beeinträchtigung mindern. Vorliegend wird der Eingriff in keiner Weise gemindert, obwohl der Verlust der ärztlichen Praxis eine intensive Eigentumsbeeinträchtigung von erheblicher Schwere und Tragweite ist. Denn die Praxis soll für den einzelnen Arzt einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sicherstellen. Dies entspricht gerade der Funktion des Art. 14 Abs. 1 GG.385 Durch den sich aus der gesetzlichen Regelung ergebenden wirtschaftlichen Zwang zur Veräußerung der Praxis und die fehlende Möglichkeit, die Praxis selbst zu nutzen, wird die Eigentumsposition völlig ausgehöhlt.386 Dem einzelnen Arzt dient die Praxis regelmäßig als Lebensgrundlage. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genießt das Eigentum, soweit es für die Sicherung der persönlichen Freiheit des Eigentümers wichtig ist, besonderen Schutz387. Somit ist der Spielraum des Gesetzgebers bei persönlichem Eigentum sehr viel geringer als etwa beim Eigentum von Handelsgesellschaften.388 Einschränkungen können um so schwerer gerechtfertigt werden, je mehr die Eigentumsposition auf eigener Leistung beruht und nicht auf staatlicher Gewährung.389 Die Praxis beruht aber in erster Linie auf dem Einsatz von Kapital, Arbeitskraft und Fachwissen des Arztes. Er hat sich seine Praxis durch eigene Leistung aufgebaut. Die Praxis stellt persönliches Eigentum dar. Zu Lasten des Eigentümers ist weiterhin der soziale Bezug des Eigentums von Bedeutung. Die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung ist „um so weiter, je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und in einer sozialen Funktion steht“.390 Ein erhöhter sozialer Bezug wird bei Eigentum an Grund und Boden angenommen391 sowie bei Eigentum an sonstigen Produktionsmitteln, das Macht über Dritte verleiht392. Bei der Praxis steht nicht das Eigentum an den Räumlichkeiten im Vordergrund; auch ansonsten befindet sich der Arzt in keiner besonderen Machtposition. Vor allem dient der Aspekt des sozialen Bezugs zur Abgrenzung von der Funktion des Eigentums zur persönlichen Freiheitssicherung. Diese ist vorliegend aber in besonderem Maße berührt. 382 383 384 385 386 387 388 389 390 391 392

Vgl. BVerfGE 31, 229 (243). Siehe BVerfGE 58, 137 (149 f.); 79, 174 (192). Siehe BVerfGE 71, 1 (14 f.). Vgl. Fn. 357. Boecken (Fn. 200), S. 241. BVerfGE 100, 226 (241); 102, 1 (17). BVerfGE 50, 290 (348 f.). BVerfGE 58, 81 (112); 91, 294 (311). BVerfGE 70, 191 (201); 79, 292 (302); 101, 54 (75 f.); 102, 1 (17); BSGE 60, 158 (162). BVerfGE 21, 73 (82 f.); 87, 114 (146). Jarass (Fn. 222), Art. 14 Rn. 42.

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2. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Wiederzulassungssperre

Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß die Regelung in § 95b Abs. 2 SGB V auch unangemessen und damit unverhältnismäßig ist.

III. Vereinigungsfreiheit 1. Schutzbereich Wie gesehen, fällt die Verhaltensabstimmung unter den Schutzbereich von Art. 9 Abs. 1 GG.393 Berührt sind sowohl die „negative“ Freiheit (vor dem Verzicht durch Abschreckung) als auch die „positive“ Freiheit (nach dem Verzicht durch die eigentliche Sanktion).394 2. Eingriff Das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit wird durch jede belastende Regelung beeinträchtigt, die das geschützte Verhalten behindert.395 § 95b Abs. 2 SGB V knüpft an den kollektiven Verzicht eine mindestens sechsjährige Zulassungssperre, wodurch Vertragsärzte davon abgehalten werden, von ihrer grundrechtlich geschützten Freiheit Gebrauch zu machen. Für den Fall, daß sie dennoch von dieser Freiheit Gebrauch machen, sehen sie sich einer mindestens sechsjährigen Sanktion ausgesetzt. Folglich liegt ein Eingriff in Art. 9 Abs. 1 GG vor. 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Gemäß Art. 9 Abs. 2 GG sind Vereinigungen verboten, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Wie bereits oben dargelegt396, läuft der kollektive Verzicht von Vertragsärzten auf die Zulassung weder den Strafgesetzen zuwider, noch richtet er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung. Somit greift der Vorbehalt in Art. 9 Abs. 2 GG nicht ein. Eine Rechtfertigung kommt also nur durch kollidierendes Verfassungsrecht in Betracht.397 Die hier allein als Rechtfertigung möglicherweise heranzuziehende Funktionsfähigkeit des Systems der gesetzli393

Vgl. oben Erster Teil B. VI. 2. d) aa). Das BSG spricht lediglich die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG kurz an und sieht einen Eingriff, sofern er überhaupt vorliegen sollte [vgl. dazu oben Erster Teil B. VI. 2 c)], jedenfalls zum Schutz der Stabilität der vertragsärztlichen Versorgung als gerechtfertigt an; siehe BSGE 103, 243 (265); BSG, Urt. v. 17.06.2009, B 6 KA 14/08 R, Rn. 83 (zitiert nach juris). 395 Siehe Fn. 227. 396 Vgl. Erster Teil B. VI. 2. d) cc). 397 Vgl. zur Zulässigkeit dieser Möglichkeit Bauer (Fn. 216), Art. 9 Rn. 59; Jarass (Fn. 222), Art. 9 Rn. 22; Sodan (Fn. 133), Vorb. Art. 1 Rn. 53, Art. 9 Rn. 17. 394

B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 2 SGB V mit Grundrechten

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chen Krankenversicherung ist jedoch kein Grundsatz von Verfassungsrang.398 Schon deshalb ist § 95b Abs. 2 SGB V wegen Unvereinbarkeit mit Art. 9 Abs. 1 GG verfassungswidrig.

IV. Allgemeiner Gleichheitssatz § 95b Abs. 2 SGB V könnte auch auf Grund eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig sein. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, wenn der Staat eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten399. Welche Sachverhaltselemente so wichtig sind, daß ihre Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, hat zwar regelmäßig der Gesetzgeber zu entscheiden; sein Spielraum endet aber dort, wo die ungleiche Behandlung nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist.400 1. Ungleichbehandlung Sofern man in dem kollektiven Verzicht auf die Zulassung als Vertragsarzt einen Verstoß gegen eine vertragsärztliche Pflicht sieht401, liegt eine Ungleichbehandlung zwischen Vertragsärzten vor, die kollektiv auf die Zulassung als Vertragsarzt verzichtet haben, und solchen, die auf andere Art ihre vertragsärztlichen Pflichten verletzt haben. Während der erstgenannte Verstoß im Falle der Feststellung der Aufsichtsbehörde nach § 72a Abs. 1 SGB V stets zu einer mindestens sechsjährigen Wiederzulassungssperre führt, gelten für die übrigen Pflichtverletzungen andere Sanktionen. Es darf die Zulassung z. B. bei einem Verstoß gegen § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V regelmäßig nur für die Dauer von maximal fünf Jahren entzogen werden; die Zulassungsentziehung kommt auch nur als ultima ratio in Betracht, und im Einzelfall ist eine erneute vorzeitige Wiederzulassung möglich.402 Im Falle des kollektiven Zulassungsverzichts gelten diese Regelungen nicht.

398

Siehe Erster Teil B. VI. 2. a) cc) (1). Siehe etwa BVerfGE 55, 72 (88); 58, 369 (373 f.); 60, 329 (346); 62, 256 (274); 64, 229 (239); 73, 301 (321); 82, 60 (86); 88, 5 (12); 88, 87 (97); 91, 346 (363); 91, 389 (401); 105, 313 (352). Siehe dazu näher Sodan (Fn. 133), Art. 3 Rn. 14 ff. 400 BVerfGE 60, 123 (134). 401 Siehe dazu näher Zweiter Teil B. I. 3. c). 402 Vgl. Zweiter Teil B. I. 3. c). 399

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2. Teil: Verfassungsmäßigkeit der Wiederzulassungssperre

2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Ungleichbehandlungen sind grundsätzlich zulässig; sie müssen jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Hierbei besteht kein einheitlicher Prüfungsmaßstab. Das Bundesverfassungsgericht differenziert nach der Art der Intensität einer Ungleichbehandlung403. Während Ungleichbehandlungen geringerer Intensität nach der sogenannten Willkürformel bereits dann gerechtfertigt sind, wenn sich irgendein sachlicher Grund für die Regelung finden läßt404, sind Ungleichbehandlungen größerer Intensität erst dann gerechtfertigt, wenn sich ein gewichtiger sachlicher Grund finden läßt und die Regelung verhältnismäßig ist405. Die Intensität der Ungleichbehandlung richtet sich danach, ob die Ungleichbehandlung an Personen oder Sachverhalte anknüpft406, ob der Betroffene durch sein Verhalten beeinflussen kann, in welche Gruppe von Normadressaten er fällt407, und inwieweit Freiheitsgrundrechte durch die Ungleichbehandlung betroffen sind408. Vorliegend wird derselbe Sachverhalt, nämlich eine Verletzung vertragsärztlicher Pflichten, anders behandelt, je nach dem, ob es sich bei der Pflichtverletzung um einen kollektiven Verzicht auf die Zulassung handelt oder nicht. Durch die Regelung des § 95b Abs. 2 SGB V sind auch, wie bereits dargelegt wurde, Freiheitsrechte erheblich berührt. Somit liegt eine Ungleichbehandlung mittlerer Intensität vor. Ein vernünftiger Grund für die Differenzierung ist jedoch nicht ersichtlich; denn die verschiedenen Pflichtverletzungen stehen nicht in einem Verhältnis von größerer oder niedrigerer Schwere zueinander409. Da es überhaupt an einem Grund für die Ungleichbehandlung mangelt, ist sie bereits aus diesem Grund verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. § 95b Abs. 2 SGB V verletzt Art. 3 Abs. 1 GG.

V. Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung Grundsätzlich führt die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem Grundgesetz zur Nichtigkeit des Gesetzes.410 Demnach wäre § 95b SGB V wegen seiner Unvereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und den Art. 70 ff. GG nichtig.

403

Siehe BVerfGE 88, 87 (96); 91, 389 (401); 95, 267 (316 f.). BVerfGE 93, 99 (111). 405 BVerfGE 88, 87 (96 f.). 406 BVerfGE 60, 329 (346 f); 95, 267 (316 f.). 407 BVerfGE 88, 87 (96); 99, 365 (388 f.). 408 BVerfGE 79, 212 (218 f.); 95, 267 (317). 409 Vgl. Zweiter Teil B. I. 3. c).; so auch Schinnenburg (Fn. 224), S. 28. A. M. Kruse (Fn. 23), § 95b Rn. 2 („besonderer Stellenwert im vertragsärztlichen Pflichtenkatalog“). 410 Siehe Fn. 252. 404

C. Ergebnis zum Zweiten Teil

83

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf eine Vorschrift jedoch dann nicht als verfassungswidrig und damit nichtig verworfen werden, wenn eine Möglichkeit zur verfassungskonformen Auslegung411 besteht412. Für eine solche Interpretation ist Raum, „wenn eine auslegungsfähige Norm nach den üblichen Interpretationsregeln mehrere Auslegungen zuläßt, von denen eine oder mehrere mit der Verfassung übereinstimmen, während andere zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führen; solange eine Norm verfassungskonform ausgelegt werden kann und in dieser Auslegung sinnvoll bleibt, darf sie nicht für nichtig erklärt werden“.413 Wie oben ausführlich dargelegt wurde414, ist das Tatbestandsmerkmal des kollektiven Verzichts auf die Zulassung keiner verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Gleiches gilt für die in § 95b Abs. 2 SGB Vangeordnete Rechtsfolge. Der Wortlaut ist insoweit eindeutig und nicht auslegungsfähig. Schließlich kann die fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht durch Auslegung „geheilt“ werden.

C. Ergebnis zum Zweiten Teil § 95b Abs. 2 SGB V ist formell verfassungswidrig, da dem Bund keine Gesetzgebungskompetenz für den Erlaß dieser Vorschrift zusteht. In materieller Hinsicht verletzt § 95b Abs. 2 SGB V Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art 9 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.

411 412 413 414

Vgl. hierzu bereits Erster Teil B. VI. 4. und die Nachweise in Fn. 255. Siehe Fn. 253. Siehe Fn. 257. Vgl. Erster Teil B. VI. 4.

Dritter Teil

Zulässigkeit der Vergütungsregelungen Nimmt ein Versicherter einen Arzt oder Zahnarzt in Anspruch, der auf seine Zulassung nach § 95b Abs. 1 SGB V verzichtet hat, zahlt die Krankenkasse die Vergütung mit befreiender Wirkung an den Arzt oder Zahnarzt (§ 95b Abs. 3 Satz 1 SGB V). Hierbei ist der Vergütungsanspruch des Arztes oder Zahnarztes auf den 1,0-fachen Satz der GOÄ oder GOZ beschränkt (§ 95b Abs. 3 Satz 2 SGB V). Gegen den Versicherten hat der Arzt oder Zahnarzt keine Vergütungsansprüche (§ 95b Abs. 3 Satz 3 SGB V). Abweichende Vereinbarungen sind nichtig (§ 95b Abs. 3 Satz 4 SGB V). Im Schrifttum werden Bedenken gegen diese Vorschrift wie folgt formuliert: „Wenn die Zul eines Vertragsarztes durch Verzicht endet, scheidet er aus dem System der vertragsärztl Versorgung aus und kündigt auch seine Niederlassung nicht mehr als Vertragsarzt an. Der Vers muss daher bei der Inanspruchnahme dieses Arztes mit einer Privatliquidation rechnen, zumal auch § 13 Abs 2 die Kostenerstattung durch die KK grundsätzl nur bei Inanspruchnahme von Vertragsärzten zulässt […]. Dies verkennt die Begr zu Abs 3, die unterstellt, dass der Vers den betr Arzt nach wie vor im System der GKV in Anspruch nehmen kann […]. Bei nachträgl Aufdeckung des Sachverhaltes würde der Konflikt ausschließl auf dem Rücken des Vers ausgetragen, der den betr Arzt als Privatpatient in Anspruch genommen hat. Die Regelung ist aber auch verfrechtl zu beanstanden, da die nachgehende Bindung eines rechtswirksam auf die KassenZul verzichtenden Arztes an vertragsärztl Pfl nicht zeitl unbefristet und auch nicht für sechs Jahre gelten kann und die Zielsetzung der Vorschr es nicht rechtfertigt, den Vergütungsanspruch des Arztes auch dann einzuschränken, wenn der Vers gegenüber dem Arzt als Privatpatient ohne Vorlage eines Berechtigungsscheines oder der KV-Karte auftritt.“415

Die Beantwortung der Fragen, ob der Gesetzgeber den Vergütungsanspruch des Arztes bzw. Zahnarztes gegenüber dem Patienten ausschließen und den Vergütungsanspruch des Arztes oder Zahnarztes gegenüber der Krankenkasse auf den 1,0-fachen Gebührensatz der GOÄ bzw. GOZ beschränken darf, wirft verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes und die Grundrechte der betroffenen Vertrags(zahn)ärzte auf.

415 Hess (Fn. 4). Da es sich um ein wörtliches Zitat handelt, wurden die sprachlichen Abkürzungen beibehalten.

A. Gesetzgebungskompetenz des Bundes

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A. Gesetzgebungskompetenz des Bundes Wie oben bereits dargelegt wurde416, hat der Bund keine Gesetzgebungskompetenz für das allgemeine ärztliche Berufsrecht aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7, 12, 16 oder 19 GG oder aus ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen. Hier könnte indes die Tatsache, daß nicht ein Pflichtwidrigkeitstatbestand aufgestellt, sondern die Höhe der Vergütung geregelt wird, zu einer anderen verfassungsrechtlichen Bewertung führen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar die Auffassung vertreten, daß unter das Recht der Wirtschaft im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG auch die ärztliche Gebührenordnung falle.417 Im Hinblick auf § 95b Abs. 3 SGB V ist jedoch zu bedenken, daß die Anwendung der Rechtsfolge dieser Norm einen vorherigen kollektiven Verzicht auf die Zulassung nach § 95b Abs. 1 SGB V voraussetzt. Wie dargelegt wurde418, fehlt dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung dieses Tatbestandsmerkmals. Da § 95b Abs. 3 Satz 3 und 4 Vorschriften darstellen, die auf Privatrechtsbeziehungen einwirken, könnte sich der Bund aber möglicherweise auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG stützen. Nach dieser Vorschrift erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes unter anderem auf das Gebiet des bürgerlichen Rechts. Hierunter versteht man die Ordnung der Individualrechtsverhältnisse, wie sie im Bürgerlichen Gesetzbuch und den herkömmlich zum bürgerlichen Recht gerechneten Nebengesetzen erfolgt ist.419 Ob eine Regelung dem Kompetenztitel unterfällt, richtet sich nach ihrem Gegenstand, nicht nach ihrem Zweck oder ihrer Wirkung; soweit in Fällen der Überschneidung von Gesetzgebungsgegenständen Zweifel bestehen, entscheidet der Schwerpunkt der beabsichtigten gesetzlichen Regelung über die Zuordnung zu einem Kompetenztitel.420 Durch § 95b Abs. 3 SGB V wurde eine Vorschrift geschaffen, welche durch ihre abschreckende Wirkung eine Unterversorgung der gesetzlich Krankenversicherten im ärztlichen Bereich verhindern soll. Angesichts dieses gesundheitsspezifischen Bezuges liegt der Schwerpunkt jedenfalls nicht in der Regelung des bürgerlichen Rechts im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Folglich kann für den auf dem Pflichtwidrigkeitstatbestand aufbauenden § 95b Abs. 3 SGB V ebenfalls unter keinem Gesichtspunkt eine Bundeskompetenz bejaht werden.

416

Vgl. Erster Teil B. VI. 1. a) – f) sowie Zweiter Teil A. I. – VIII. Siehe BVerfGE 68, 319 (328). 418 Vgl. Erster Teil B. VI. 1. 419 BVerfGE 42, 20 (30 f.); Haratsch (Fn. 97), Art. 74 Rn. 2; Maunz (Fn. 105), Art. 74 Rn. 54. 420 Siehe Fn. 103. 417

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3. Teil: Zulässigkeit der Vergütungsregelungen

B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 3 SGB V mit Grundrechten Es kommen Verletzungen der Grundrechte der Berufsfreiheit, der Eigentumsgarantie, der Vereinigungsfreiheit und des allgemeinen Gleichheitssatzes in Betracht.

I. Berufsfreiheit 1. Schutzbereich Wie bereits dargelegt wurde, üben Vertragsärzte den Beruf des freien Arztes aus und genießen somit den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht formulierte in einem Beschluß aus dem Jahre 1999: „Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet dem Einzelnen die Freiheit der Berufsausübung als Grundlage seiner persönlichen und wirtschaftlichen Lebensführung. Er konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung und Existenzerhaltung […]. Das Grundrecht umschließt auch die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen selbst festzusetzen oder mit den Interessenten auszuhandeln.“421

Somit ist der Schutzbereich der (positiven) Berufsfreiheit eröffnet. 2. Eingriff „Vergütungsregelungen und hierauf gründende Entscheidungen, die auf die Einnahmen, welche durch eine berufliche Tätigkeit erzielt werden können, und damit auch auf die Existenzerhaltung von nicht unerheblichem Einfluß sind, greifen in die Freiheit der Berufsausübung ein“.422

§ 95b Abs. 3 SGB V stellt eine Vergütungsregelung dar und greift somit in die Berufsfreiheit ein. 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung scheidet hier bereits auf Grund des Fehlens einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus.423 Fraglich ist, ob § 95b Abs. 3 SGB V überdies mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar ist. 421 BVerfGE 101, 331 (346 f.). In diesem Sinne bereits BVerfGE 47, 285 (321); 88, 145 (159). Siehe aus dem Schrifttum etwa Raimund Wimmer, Der Grundsatz der Beitragssatzstabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung, in: Helge Sodan (Hrsg.), Finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und Grundrechte der Leistungserbringer, 2004, S. 45 (50). 422 BVerfGE 101, 331 (347). 423 Vgl. Dritter Teil A.

B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 3 SGB V mit Grundrechten

87

§ 95b Abs. 3 SGB V stellt keine subjektiven oder objektiven Voraussetzungen für den Zugang zum Beruf des Arztes auf, so daß diese Vorschrift bereits durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls424 gerechtfertigt werden könnte, es sei denn, sie käme in ihren Auswirkungen einer Berufszulassungsregelung nahe425. Bevor § 95b Abs. 3 SGB V eingreifen kann, muß der möglicherweise betroffene Arzt Vertragsarzt gewesen sein und mit anderen Vertragsärzten kollektiv auf die Zulassung verzichtet haben. Da es dem Vertragsarzt aber stets unbenommen ist, individuell auf die Zulassung zu verzichten, stellt § 95b Abs. 3 SGB V genauso wenig eine Berufsausübungsregelung, die einer Berufszulassungsregelung nahe kommt, dar wie § 95b Abs. 1 SGB V. Somit bedarf es zur Rechtfertigung lediglich hinreichender Gründe des Gemeinwohls. a) Hinreichende Gründe des Gemeinwohls Die Sicherung der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung ist zwar kein Belang von Verfassungsrang; jedoch ist sie gewichtig genug, eine Berufsausübungsregelung zu rechtfertigen.426 Sie stellt einen hinreichenden Grund des Gemeinwohls dar. b) Geeignetheit Nach der Gesetzesbegründung soll das Verbot des kollektiven Zulassungsverzichts die Funktionsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung sicherstellen; dazu wird auch die Stabilität der Beitragssätze gerechnet.427 Wenn nun nicht die Patienten selbst den in Anspruch genommenen Arzt, der kollektiv auf die Zulassung verzichtet hat, vergüten müssen, sondern statt dessen die Krankenkassen, werden diese gerade nicht ent-, sondern belastet. Insofern könnte bereits die Eignung des § 95b Abs. 3 SGB V zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels fehlen. Wenn man jedoch der Ansicht ist, daß die Krankenkassen nicht von dem kollektiven Verzicht der Vertrags(zahn)ärzte profitieren sollen, indem die Versicherten selbst die Behandlungskosten zu tragen haben, dann erscheint § 95b Abs. 3 SGB V zur Zweckerreichung geeignet, da die Ärzte bzw. Zahnärzte nur mit dem 1,0-fachen Satz der GOÄ bzw. GOZ vergütet werden müssen. c) Erforderlichkeit Fraglich ist, welche milderen Mittel in Betracht kommen. Der Wortlaut des § 95b Abs. 3 SGB V läßt nicht den Schluß zu, daß die Vergütungsregelungen nur für eine 424 425 426 427

Siehe Fn. 146. Siehe Fn. 156 f. Siehe Erster Teil B. VI. 2. a) cc) (1). Siehe BT-Drucks. 12/3608, S. 95.

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3. Teil: Zulässigkeit der Vergütungsregelungen

begrenzte Dauer gelten. Demnach würde ein Vertrags(zahn)arzt, der kollektiv auf seine Zulassung verzichtet hat, bis zum Ende seiner beruflichen Tätigkeit lediglich den 1,0-fachen Satz der GOÄ bzw. GOZ im Falle von Behandlungen gesetzlich Krankenversicherter verlangen können.428 Ob die Feststellung nach § 72a Abs. 1 SGB V, die gemäß § 95b Abs. 2 SGB V Voraussetzung dafür ist, daß der ausgeschiedene Vertragsarzt erst nach sechs Jahren wieder in die vertragsärztliche Versorgung aufgenommen werden kann, auch im Rahmen des § 95b Abs. 3 SGB V gilt, ist umstritten.429 Der Wortlaut dieser Vorschrift enthält keine Begrenzung auf eine bloß sechsjährige Geltung der Vergütungsregelung; auch die Systematik des § 95b SGB V weist in diese Richtung. Denn § 95b Abs. 3 Satz 1 SGB V enthält als Tatbestandsmerkmal nur, daß der Vertragsarzt kollektiv auf die Zulassung im Sinne des Abs. 1 verzichtet haben muß. Dieses Ergebnis entspricht auch der gesetzgeberischen Intention, nach der die Vertragsärzte umfassend und effektiv von einem kollektiven Verzicht abgehalten werden sollten. Somit gilt die Vergütungsregelung ohne jede zeitliche Befristung. Der 3. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen sieht in der sechsjährigen Frist eine zeitliche Obergrenze430 ; jedoch soll die Möglichkeit, Kassenpatienten zu Lasten der Krankenkassen behandeln, bereits früher enden, nämlich dann, wenn die durch den kollektiven Verzicht entstandene Unterversorgung durch Nachrücker wieder ausgeglichen wurde431. Diese Auffassung wird auf eine teleologische Reduktion des § 95b Abs. 3 SGB V gestützt: Diese Norm bezwecke den Schutz der Versicherten. Dieses Schutzes bedürften die Versicherten jedoch dann nicht mehr, wenn die ausgeschiedenen Vertrags(zahn)ärzte durch andere ersetzt worden seien.432 Diese Ansicht findet im Wortlaut jedoch keine Stütze. Es handelt sich weniger um eine teleologische Reduktion als vielmehr um eine Rechtsschöpfung praeter legem. Dieses Vorgehen ist nicht nur methodisch fragwürdig, sondern führt auch zu Folgeschwierigkeiten, da die Beteiligten stets überwachen müssten, wann wieder ausreichend Ärzte nachgerückt sind433. Im Falle, daß Ärzte nicht in ausreichender Zahl nachrücken, würde die sechsjährige Höchstgrenze gelten, die sich dem § 95b Abs. 3 SGB V ebenfalls nicht methodisch korrekt entnehmen läßt. Somit kann nur von einer unbegrenzten Dauer der Gebührenabsenkung nach § 95b Abs. 3 SGB V ausgegangen werden. Die Berufsfreiheit wäre jedoch weniger betroffen, wenn die Begrenzung der Vergütung und der Ausschluß der Vergütungspflicht des Patienten nur während eines begrenzten Zeitraums gelten würden. Die Regelung wäre dennoch 428

Ebenso Schinnenburg (Fn. 224), S. 29 Die Notwendigkeit der Feststellung bejahend Hess (Fn. 4), § 95b SGB V Rn. 5 a. E.; ablehnend LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 13. 09. 2006, L 3 KA 90/05, Rn. 48 (zitiert nach juris); Klückmann (Fn. 16), K § 95b Rn. 26. 430 LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 12.10.2005, L 3 KA 109/05 ER, S. 19. 431 LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 13.09.2006, L 3 KA 90/05, Rn. 50 (zitiert nach juris). 432 LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 13.09.2006, L 3 KA 90/05, Rn. 50 (zitiert nach juris). 433 Siehe dazu auch BSGE 98, 294 (302 ff., Rn. 29 ff.); BSG, MedR 2008, S. 384 (388, Rn. 36 ff.); Urt. v. 27.06.2007, B 6 KA 39/06 R, Rn. 32 ff. (zitiert nach juris). 429

B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 3 SGB V mit Grundrechten

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gleich effektiv, wenn sie für z. B. ein Jahr gelten würde, da der Einkommensverlust in diesem Zeitraum groß genug wäre, um abschreckend zu wirken. Weiterhin würde in Art. 12 Abs. 1 GG weniger eingegriffen, wenn der Arzt bzw. Zahnarzt, der auf seine Zulassung kollektiv verzichtet hat, die „normale“ Vergütung erhalten würde. Speziell für Zahnärzte liegt der 1,0-fache Satz regelmäßig erheblich unter dem Honorar, welches der Zahnarzt im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung erhält.434 § 95b Abs. 3 SGB V soll sicherstellen, „daß Vertragsärzte den mit einem kollektiven Verzicht verfolgten Zweck nicht auf Kosten der Versicherten erreichen.“435 Nach dem kollektiven Verzicht kann der Arzt bzw. Zahnarzt „Versicherte nur zu Bedingungen behandeln, die dem Interesse der Versicherten wie auch dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität nicht abträglich sind.“436 Es ist jedoch kein Grund des Gemeinwohls ersichtlich, der es rechtfertigt, dem ausgeschiedenen Arzt bzw. Zahnarzt dasjenige Honorar zu verweigern, welches er für dieselbe Leistung vor seinem Zulassungsverzicht erhalten hätte.437 Denn bereits vor dem Verzicht war der Vertrags(zahn)arzt in seiner Berufsfreiheit durch den Grundsatz der Beitragssatzstabilität erheblich eingeschränkt (vgl. § 71 Abs. 1 SGB V). Eine weitere Kürzung der Vergütungsansprüche ist nicht erforderlich. Der einzelne Arzt bzw. Zahnarzt muß zumindest noch kostendeckend und mit der Möglichkeit eines Gewinns arbeiten dürfen.438 § 95b Abs. 3 SGB V differenziert nicht danach, ob der gesetzlich Krankenversicherte mit einer Privatliquidation durch den von ihm aufgesuchten, zuvor infolge kollektiven Verzichts auf die Zulassung aus der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschiedenen Arzt rechnet oder nicht. Daher läge eine weniger einschneidende Maßnahme vor, wenn bei der Behandlung von gesetzlich krankenversicherten Personen, die gegenüber dem Arzt ohne Vorlage der Krankenversichertenkarte auftreten, der Ausschluß des Vergütungsanspruchs und die Begrenzung auf den 1,0-fachen Satz nicht eingriffe.439 Denn in einem solchen Fall ist der Patient nicht schutzbedürftig, und mangels Vergütungspflicht der Krankenkasse kann der Grundsatz der Beitragssatzstabilität keine Rolle spielen. Der Gesetzgeber hat ferner nicht den Aspekt der Wahrnehmung berechtigter Interessen oder des stärker zeitlich verzögerten Wirksamwerdens der Verzichtserklärung berücksichtigt.

434

Siehe dazu Sodan (Fn. 56), S. 277; ders., Privat(zahn)ärztliche Behandlungspflicht zu abgesenkten staatlichen Gebührensätzen als Verfassungsproblem, 2006, S. 75 f. Vgl. ferner Schinnenburg (Fn. 224), S. 29. 435 BT-Drucks. 12/3608, S. 95. 436 BT-Drucks. 12/3608, S. 95. 437 Sodan (Fn. 56), S. 277. 438 So auch Josef Isensee, Das Recht des Kassenarztes auf angemessene Vergütung, VSSR 1995, S. 321 (340 ff.); Raimund Wimmer, Der Rechtsanspruch von Vertragsärzten auf angemessene Vergütung, MedR 1998, S. 533 (534 ff.). 439 Hess (Fn. 4).

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3. Teil: Zulässigkeit der Vergütungsregelungen

Somit sind die Regelungen in § 95b Abs. 3 SGB V aus mehreren Gründen nicht erforderlich und daher unverhältnismäßig. d) Angemessenheit Abgesehen davon sind diese Regelungen zumindest für betroffene Zahnärzte auch unzumutbar und damit unverhältnismäßig im engeren Sinne. Allgemein sind freiheitsbeschränkende Maßnahmen nur dann angemessen, wenn bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere der grundrechtserheblichen Belastungen und dem Gewicht der diese rechtfertigenden Gründe die Grenzen der Zumutbarkeit noch gewahrt sind.440 § 95b Abs. 3 SGB V würde im Ergebnis dazu führen, daß Zahnärzte, welche infolge eines kollektiven Verzichts auf die Zulassung aus der vertragszahnärztlichen Versorgung ausgeschieden sind, bis zum Ende ihrer Berufstätigkeit als niedergelassene Zahnärzte für Behandlungen von Personen, die zwar gesetzlich krankenversichert, aber mit einer Privatliquidation einverstanden sind, nur den 1,0-fachen Satz der GOZ verlangen könnten. Da dieser Satz aber bei Zahnärzten regelmäßig nicht einmal die Praxiskosten deckt, wäre der einzelne Zahnarzt gezwungen, jeweils mit Verlust tätig zu werden. Damit verkennt der Gesetzgeber die Bedeutung des dem Zahnarzt gewährleisteten Grundrechts der Berufsfreiheit im Verhältnis zum Gemeinwohlbelang der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung. Somit sind die Regelungen in § 95b Abs. 3 SGB V weder erforderlich noch angemessen und wegen Verletzung des Übermaßverbotes verfassungswidrig.441

II. Eigentumsfreiheit Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfaßt die in Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Eigentumsgarantie „nur Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen, nicht aber in der Zukunft liegende Chancen und Verdienstmöglichkeiten“442. Legt man diese Judikatur zugrunde, so ist hier der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG nicht eröffnet, da § 95b Abs. 3 SGB V lediglich die Möglichkeiten zukünftigen Gewinns schmälert, nicht aber bereits erworbene, konkret vorhandene Rechtspositionen der Ärzte und Zahnärzte beeinträchtigt.

440 441 442

(77).

Siehe Fn. 146. Im Ergebnis ebenso Schüffner/Schnall (Fn. 335), S. 48. BVerfGE 105, 252 (277); vgl. auch bereits BVerfGE 68, 193 (222); 74, 129 (148); 97, 67

B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 3 SGB V mit Grundrechten

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III. Vereinigungsfreiheit 1. Schutzbereich § 95b Abs. 3 SGB V selbst regelt nur die Höhe und den Modus der Vergütung für den aus der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschiedenen Arzt. Die Geltendmachung des Vergütungsanspruchs ist jedoch keine vereinigungsgemäße Tätigkeit, so daß an der Eröffnung des Schutzbereiches gezweifelt werden könnte. Jedoch wird auf dem verfassungswidrigen § 95b Abs. 1 SGB V aufgebaut, der gerade die Betätigung in der Vereinigung sanktioniert. Die in § 95b Abs. 3 SGB V geregelten Sanktionen sind unmittelbare gesetzliche Folgen der Wahrnehmung grundrechtlich geschützter Freiheit, so daß der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG eröffnet ist. 2. Eingriff Die Sanktionen des § 95b Abs. 3 SGB V erfolgen final, unmittelbar, mit rechtlicher Wirkung und sind mit hoheitlichem Zwang durchsetzbar, so daß ein klassischer Eingriff vorliegt. 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Der Eingriff in Art. 9 Abs. 1 GG ist verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftig. Insbesondere muß er mit dem Übermaßverbot vereinbar sein. Auch § 95b Abs. 3 SGB V wendet sich nicht gegen Vereinigungen, die den Strafgesetzen zuwider handeln oder sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Unabhängig vom streitigen Inhalt des Begriffs der verfassungsmäßigen Ordnung443 richtet sich eine Vereinigung von kollektiv verzichtenden Vertragsärzten hiergegen nicht aggressiv-kämpferisch. Eine Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht scheidet aus, da dem Grundsatz der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung kein Verfassungsrang zukommt444. Bereits deshalb ist § 95b Abs. 3 SGB V verfassungswidrig.

IV. Allgemeiner Gleichheitssatz § 95b Abs. 3 SGB V könnte auch auf Grund eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz erfassungswidrig sein.445 443

Vgl. dazu bereits Erster Teil B. VI. 2. d) cc). Siehe Erster Teil B. VI. 2. a) cc) (1). 445 Das BSG verneint freilich ohne Begründung eine Ungleichbehandlung von kollektiv und individuell verzichtenden Ärzten und Zahnärzten: BSGE 98, 294 (305, Rn. 35); BSG, MedR 2008, S. 384 (389, Rn. 43); Urt. v. 27.06.2007, B 6 KA 39/06 R, Rn. 39 (zitiert nach juris). 444

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3. Teil: Zulässigkeit der Vergütungsregelungen

1. Ungleichbehandlung § 95b Abs. 3 Satz 2 SGB V beschränkt den Vergütungsanspruch der Ärzte und Zahnärzte, die jeweils zuvor kollektiv auf ihre Zulassung als Vertragsarzt bzw. Vertragszahnarzt verzichtet haben, auf das 1,0-fache des Gebührensatzes der GOÄ bzw. GOZ. Insofern liegt noch keine Ungleichbehandlung dieser beiden Personengruppen vor. Jedoch sind die Gebührenordnungen für beide Gruppen unterschiedlich ausgestaltet: Während der einfache Gebührensatz der GOÄ immerhin regelmäßig die Praxiskosten des Arztes deckt, ist dies im Falle des einfachen Gebührensatzes der GOZ grundsätzlich nicht der Fall. Zahnärzte, die kollektiv auf ihre vertragszahnärztliche Zulassung verzichtet haben, stehen bezüglich der Vergütungsregelungen schlechter da als Ärzte, die kollektiv auf ihre vertragsärztliche Zulassung verzichtet haben. Bezugspunkt für die unterschiedlichen Vergütungsregelungen ist jedoch in beiden Fällen dasselbe Verhalten, nämlich der kollektive Verzicht auf die Zulassung als Vertrags(zahn)arzt. Somit besteht aufgrund der Anknüpfung des § 95b Abs. 3 Satz 2 SGB Van die unterschiedlich gestalteten Gebührenordnungen eine Ungleichbehandlung von Ärzten und Zahnärzten.

2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Das Bundesverfassungsgericht differenziert bei der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung nach der Art der Intensität einer Ungleichbehandlung.446 Die Intensität der Ungleichbehandlung richtet sich danach, ob die Ungleichbehandlung an Personen oder Sachverhalte anknüpft, ob der Betroffene durch sein Verhalten beeinflussen kann, in welche Gruppe von Normadressaten er fällt, und inwieweit Freiheitsgrundrechte durch die Ungleichbehandlung betroffen sind.447 Vorliegend wird derselbe Sachverhalt, nämlich der kollektive Zulassungsverzicht, anders behandelt, je nach dem, ob er von Vertragsärzten oder Vertragszahnärzten erklärt wurde. Anknüpfungspunkt ist somit die Arzt- bzw. Zahnarzteigenschaft. Es werden also nicht Sachverhalte, sondern Personengruppen unterschiedlich behandelt. Seine Eigenschaft als Zahnarzt kann der Vertragszahnarzt bei dem Verzicht nicht beeinflussen. Er verzichtet kollektiv auf die Zulassung gerade in seiner Eigenschaft als Vertragszahnarzt. Ihm ist es nicht möglich, den Verzicht auf die Zulassung so zu erklären, daß ihn die milderen Folgen treffen, wie sie sich für Vertragsärzte ergeben. Daher kann der Vertragszahnarzt durch sein Verhalten nicht beeinflussen, in welche Gruppe von Normadressaten er fällt. Schließlich sind auch, wie bereits dargelegt wurde, Freiheitsrechte massiv berührt. Somit liegt eine Ungleichbehandlung höherer Intensität vor. Ein gewichtiger Grund ist jedoch nirgends ersichtlich. Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, daß die Gleichstellung der Vertragszahnärzte mit den Vertragsärzten 446 447

Siehe Fn. 403. Siehe Fn. 406 408.

C. Ergebnis zum Dritten Teil

93

in § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V vom Gesetzgeber nicht mit all ihren Folgen erkannt wurde.448 Da es überhaupt an einem Grund für die Ungleichbehandlung mangelt, ist sie bereits aus diesem Grunde verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. § 95b Abs. 3 Satz 2 SGB V verletzt deshalb Art. 3 Abs. 1 GG.

C. Ergebnis zum Dritten Teil Nach allem bleibt als Ergebnis festzuhalten, daß § 95b Abs. 3 SGB V gegen Art. 12 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 70 ff. GG verstößt.

448 Vgl. zur mangelnden Berücksichtigung der Vertragszahnärzte in der Gesetzesbegründung zu den Regelungen betreffend Zulassungsbeschränkungen Sodan (Fn. 56), S. 238 f., 241 ff.

Vierter Teil

Zulässigkeit von nachwirkenden negativen Rechtsfolgen A. Gesetzgebungskompetenz des Bundes Wie schon dargelegt wurde449, steht dem Bund zum Erlaß der Regelung des § 95b SGB V keine Kompetenz zu.

B. Vereinbarkeit von § 95b Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB V mit Grundrechten Bereits zuvor450 wurde die Verfassungswidrigkeit der Vergütungsregelungen in § 95b Abs. 3 SGB V begründet. Die genannte Bestimmung verletzt unter anderem Art. 12 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 GG, da die Begrenzung des Vergütungsanspruchs auf den 1,0-fachen Satz der GOÄ bzw. GOZ unverhältnismäßig ist. § 95b Abs. 3 SGB V ist auch in sich widersprüchlich: Wenn er Vergütungsansprüche gegen Patienten ausschließt, kann die Krankenkasse nicht mit befreiender Wirkung leisten, da niemand außer der Krankenkasse die (zahn)ärztliche Vergütung schuldet.451 Das Bundessozialgericht spricht einerseits davon, daß die vertragszahnärztlichen Regeln für die kollektiv ausgeschiedenen Vertragszahnärzte nicht mehr verbindlich seien452, andererseits heißt es die „Nachhaftung“ gut453. Deshalb stellt sich die Frage, inwieweit es verfassungsrechtlich zulässig ist, daß der aus der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung ausgeschiedene Arzt bzw. Zahnarzt weiterhin dem Regime des SGB V unterstellt wird und keine Möglichkeit der privatrechtlichen Regelung des Vergütungsanspruchs mit dem Patienten hat.

449

Vgl. Erster Teil B. VI. 1. a) – f), Zweiter Teil A. I. – VIII., Dritter Teil A. Siehe Dritter Teil. 451 Vgl. hierzu Klückmann (Fn. 16), K § 95b Rn. 29. 452 BSGE 98, 294 (303, Rn. 31); BSG, MedR 2008, S. 384 (388, Rn. 39); Urt. v. 27.06.2007, B 6 KA 39/06 R, Rn. 35 (zitiert nach juris). 453 BSGE 98, 294 (299 f., 305, Rn. 22 ff., 36); BSG, MedR 2008, S. 384 (386 f. 389, Rn. 29 ff., 44); Urt. v. 27.06.2007, B 6 KA 39/06 R, Rn. 25 ff., 40 (zitiert nach juris). 450

B. Vereinbarkeit mit Grundrechten

95

I. Berufsfreiheit 1. Schutzbereich Wie bereits dargelegt wurde, üben Vertrags(zahn)ärzte den Beruf des freien Arztes bzw. Zahnarztes aus und genießen somit den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG. Diese Vorschrift „gewährleistet dem Einzelnen die Freiheit der Berufsausübung als Grundlage seiner persönlichen und wirtschaftlichen Lebensführung. Er konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung und Existenzerhaltung […]. Das Grundrecht umschließt auch die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen selbst festzusetzen oder mit den Interessenten auszuhandeln.“454 Somit ist der Schutzbereich der Berufsfreiheit eröffnet. 2. Eingriff Durch § 95b Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB V wird staatlicherseits unmittelbar und final sowie der Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung in grundrechtlich geschützte Freiheit eingegriffen, so daß ein Eingriff nach klassischem Verständnis vorliegt. In den Worten des Bundesverfassungsgerichts: „Vergütungsregelungen und hierauf gründende Entscheidungen, die auf die Einnahmen, welche durch eine berufliche Tätigkeit erzielt werden können, und damit auch auf die Existenzerhaltung von nicht unerheblichem Einfluß sind, greifen in die Freiheit der Berufsausübung ein“.455

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung scheidet hier bereits auf Grund der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus.456 Fraglich ist, ob § 95b Abs. 3 SGB V überdies mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar ist. § 95b Abs. 3 SGB V stellt keine subjektiven oder objektiven Voraussetzungen für den Zugang zum Beruf des Arztes bzw. Zahnarztes auf und kommt diesen in seinen Auswirkungen auch nicht nahe, so daß diese Vorschrift bereits durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden könnte.457

454

Siehe Fn. 422. BVerfGE 101, 331 (347). 456 Siehe zu den Gesetzgebungskompetenzen Erster Teil B. VI. 1. a) – f), Zweiter Teil A. I. – VIII., Dritter Teil A. 457 Vgl. Dritter Teil B. I. 3. 455

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4. Teil: Zulässigkeit von nachwirkenden negativen Rechtsfolgen

a) Hinreichende Gründe des Gemeinwohls In der Gesetzesbegründung zu § 95b Abs. 3 SGB V heißt es458 : Der Vertragsarzt bleibe „dem Vertragsarztsystem kraft Gesetzes zumindest insofern verhaftet“; der Gesetzgeber könne einen „Vertragsarzt an seiner einmal getroffenen Entscheidung, dem Vertragsarztsystem unter Beachtung der für ihn geltenden Pflichten beizutreten, festhalten“. „Mit dem Beitritt zum vertragsärztlichen System“ übernehme „der Vertragsarzt die Verantwortung für den Erhalt dieses Systems“. Der Vertragsarzt müsse „sich deshalb in nachgehender Verantwortlichkeit zu seiner Mitgliedschaft in der Kassenärztlichen Vereinigung gefallen lassen, daß er das vertragsärztliche System nur nach den rechtlich zugelassenen Möglichkeiten und unter Beachtung der Interessen der Kassenärztlichen Vereinigung rechtswirksam verlassen“ könne. Der kollektive Verzicht sei „überdies zu mißbilligen, weil er sich zum Ziel gesetzt“ habe, „verfassungsgemäß zustande gekommene Gesetze zu unterlaufen und den Willen des Gesetzgebers zu desavouieren“. Als Gemeinwohlbelang von hohem Rang, welchem § 95b Abs. 3 SGB V dienen soll, wird schließlich die „Sicherung der finanziellen Grundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung“ genannt. Wie bereits dargelegt wurde459, ist der Grundsatz der Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung ein „relativer“ Gemeinwohlbelang. Jedoch bedürfen einige Aussagen der Gesetzesbegründung einer Kommentierung. Gegenüber der Kritik, daß kollektiv verzichtende Ärzte verfassungsgemäß zustande gekommene Gesetze unterliefen und der Wille des Gesetzgebers desavouiert würde, gilt es festzustellen, daß über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes nicht die Gesetzesbegründung entscheidet. Allein maßgeblich ist, ob das Gesetz objektiv den Vorgaben des Grundgesetzes entspricht; nicht entscheidend ist hingegen, wie der Gesetzgeber sein eigenes Gesetz beurteilt. Daher ist die zuvor genannte Aussage bedeutungslos und inhaltlich sogar unzutreffend, da – wie gesehen – der Bund zum einen keine Gesetzgebungskompetenz besitzt und zum anderen die fraglichen Regelungen gegen das Übermaßverbot verstoßen. Sie sind also gerade nicht verfassungsgemäß. Die Behauptung in der Gesetzesbegründung, daß der Vertragsarzt nur unter Beachtung der Interessen der Kassenärztlichen Vereinigung das System der gesetzlichen Krankenversicherung verlassen könne, läßt auf ein fehlerhaftes Verständnis der Funktionsweise der Grundrechte schließen. Zu bedenken ist nämlich, daß die Kassenärztliche Vereinigung eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Pflichtmitgliedschaft ist (vgl. § 77 Abs. 1, 3 und 5 SGB V). Als öffentlich-rechtlich verfaßte Einrichtung ist diese Vereinigung der sogenannten mittelbaren Staatsverwaltung zuzuordnen. Wie bereits dargelegt wurde460, ist der durch das Grundgesetz konsti458 459 460

BT-Drucks. 12/3608, S. 95 f. Vgl. Erster Teil B. VI. 2. a) cc) (1). Siehe Erster Teil B. III.

B. Vereinbarkeit mit Grundrechten

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tuierte Staat aber, ganz im Sinne der Lehre von Immanuel Kant, der Bürger wegen da und nicht umgekehrt. Auf dieser Grundkonzeption baut das System der Grundrechte auf: Danach ist „die Freiheit des Einzelnen prinzipiell unbegrenzt, während die Befugnis des Staates zu Eingriffen in diese Sphäre prinzipiell begrenzt ist“.461 „Hier also die ursprunghafte, nicht rechtfertigungsbedürftige, grundsätzlich umfassende Freiheit des Individuums – dort die notwendig rechtlich gebundene und beschränkte, auf Rechtfertigung verwiesene Staatsgewalt.“462 Die eigene Interessenverfolgung ist von daher weder anzüglich noch rechtfertigungsbedürftig, sondern Ausdruck des grundrechtlichen Schutzes, den das Grundgesetz gewährleistet.463 b) Geeignetheit Von der Geeignetheit der Regelung in § 95b Abs. 3 SGB V ist – trotz gewisser Ungereimtheiten – auszugehen.464 c) Erforderlichkeit Klärungsbedürftig ist ferner die Frage, welche milderen Mittel in Betracht kommen. Der Wortlaut des § 95b Abs. 3 SGB V läßt nicht den Schluß zu, daß die Vergütungsregelungen nur für eine begrenzte Dauer gelten. Demnach würde ein Vertrags(zahn)arzt, der kollektiv auf seine Zulassung verzichtet hat, bis zum Ende seiner beruflichen Tätigkeit lediglich den 1,0-fachen Satz der GOÄ bzw. GOZ im Falle von Behandlungen gesetzlich Krankenversicherter verlangen können.465 Der Vertrags(zahn)arzt bliebe somit – in der Terminologie der Gesetzesbegründung – dem System der gesetzlichen Krankenversicherung lebenslang „verhaftet“. Grund hierfür soll sein, daß die Vertrags(zahn)ärzte „ursprünglich aufgrund eigenen Antrags“ zur vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung zugelassen worden seien466. Damit habe der einzelne Vertrags(zahn)arzt „Verantwortung für den Erhalt des Systems“ übernommen, so daß man ihn „in nachgehender Verantwortlichkeit zu seiner Mitgliedschaft in der Kassenärztlichen Vereinigung“ festhalten könne. Unberücksichtigt bleibt in der Gesetzesbegründung jedoch, daß eine Zwangsmitgliedschaft in der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung besteht (vgl. § 77 Abs. 1, 3 und 5 SGB V). Zwar stellt der einzelne Vertrags(zahn)arzt einen Antrag, aber doch in erster Linie, um gesetzlich krankenversicherte Patienten behandeln zu können. Denn ohne diese Möglichkeit kann eine Praxis angesichts der Tatsache, daß etwa 90 Prozent der Bevölkerung in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert 461 462 463 464 465 466

Siehe Fn. 83. Siehe Fn. 84. Siehe Fn. 85. Vgl. oben Dritter Teil B. I. 3. b). Siehe oben Dritter Teil B. I. 3. b). BT-Drucks. 12/3608, S. 96.

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4. Teil: Zulässigkeit von nachwirkenden negativen Rechtsfolgen

sind, in der Regel nicht bestehen. Die Mitgliedschaft in der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung ist also nicht primäres Ziel des Antrags, sondern eher eine zwangsläufige Folge. Noch problematischer ist jedoch die Annahme, der Vertrags(zahn)arzt sei auf Grund des Antrags lebenslang an diese Entscheidung gebunden. Selbst wenn man davon ausginge, daß jeder kollektive Verzicht pflichtwidrig sei und somit grundsätzlich Sanktionen nach sich ziehen könnte, ist hiermit noch nicht dargetan, weshalb diese Sanktion zeitlich unbefristet gelten sollte. Das Zivilrecht, das eine vertiefte Durchdringung des Mitgliedschaftsrechts bietet, kann aufschlußreich sein auch für das Verständnis der öffentlich-rechtlichen Mitgliedschaft. Bei dem kollektiven Verzicht auf die Zulassung handelt es sich um einen freiwilligen Verzicht, so daß insbesondere § 39 BGB als Vergleichsmaßstab heranzuziehen ist. Da die rechtlichen Wirkungen von Austritt und Ausschluß identisch sind467, können auch die Erläuterungen zu § 38 BGB herangezogen werden. Zwar gelten die §§ 38 und 39 BGB nicht unmittelbar für öffentlich-rechtliche Zwangsvereinigungen468 wie die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen; aber die genannten Vorschriften können herangezogen werden, um das Wesen der Mitgliedschaft zu konkretisieren.469 Mit dem Wirksamwerden des Austritts erlöschen alle mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten ex nunc; selbst durch die Satzung kann keine partielle Fortdauer von mitgliedschaftlichen Rechten und Pflichten angeordnet werden.470 Denn mit dem wirksam vollzogenen Austritt ist das bisherige Mitglied im allgemeinen der Satzung des Vereins entrückt und an die Anordnungen der Vereinsorgane nicht mehr gebunden.471 Des weiteren bezweckt § 39 BGB den Schutz des Mitglieds, das keiner unbedingten Bindung für unbegrenzte Zeit ausgesetzt sein soll.472 Deshalb sind satzungsmäßige Formerfordernisse, welche Zeitverlust und besondere Kosten verursachen wie z. B. der Zwang zur notariellen Beurkundung der Austrittserklärung, als Erschwerungen, die über den § 39 Abs. 2 BGB hinaus gehen, unzulässig.473 Die Satzung kann auch nicht bestimmen, daß ein Mitglied bis zum Wirksamwerden des Austritts keine Rechte, sondern nur noch Pflichten hat.474 Diese beiden Aspekte 467 Dieter Reuter, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. I/1, 5. Aufl. 2006, § 39 Rn. 11; Günter Weick, in: Julius von Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Erstes Buch, §§ 21 79, Neubearbeitung 2005, § 39 Rn. 12. 468 Weick (Fn. 467), § 39 Rn. 14. 469 Vgl. zur Heranziehung des Zivilrechts bei fehlenden öffentlich-rechtlichen Regelungen Hans J. Wolff/Otto Bachof/Rolf Stober/Winfried Kluth, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 35 Rn. 1 ff. 470 Reuter (Fn. 467), § 38 Rn. 58. 471 RGZ 71, 388 (391); 88, 395 (398 f.); Weick (Fn. 467), § 39 Rn. 8. 472 RGZ 108, 160 (162). 473 LG München I, NJW 1987, S. 847 (848); Reuter (Fn. 467), § 39 Rn. 4; Weick (Fn. 467), § 39 Rn. 3. 474 Weick (Fn. 467), § 39 Rn. 10.

B. Vereinbarkeit mit Grundrechten

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lassen sich auf den kollektiven Verzicht übertragen: Der ausgeschiedene Arzt bzw. Zahnarzt hat keine Rechte mehr in der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung, weil er ausgetreten ist und der Gesetzgeber ihn in dieser Hinsicht „beim Wort nimmt“. Die Einschränkung der Vergütungspflicht kann jedoch als einschränkende Pflicht gesehen werden. Wenn das Mitglied aber noch bei bestehender Mitgliedschaft nicht nur mit Pflichten belastet werden kann, so gilt dies erst recht nach dem Austritt. Und wenn bereits relativ geringfügige Formerfordernisse, wie die notarielle Beurkundung der Austrittserklärung, unzulässig sind, dann muß die zeitlich unbegrenzte Regelung, Patienten nur zum 1,0-fachen Satz der GOÄ bzw. GOZ zu behandeln, erst recht als austrittsbehindernd gewertet werden. Somit sind die Bestimmungen in § 95b Abs. 3 Satz 3 und 4, am Maßstab des zivilrechtlichen Mitgliedschaftsrechts gemessen, eindeutig unzulässig. Zwar sind nachwirkende Pflichten nicht per se unzulässig.475 Aber erstens wirkt § 95b Abs. 3 SGB V nicht nach, sondern entsteht erst nach dem Austritt. Und zweitens ist z. B. eine Schweigepflicht ausgeschiedener Mitglieder476 nicht mit der zeitlich unbefristeten Begrenzung der Vergütung auf den 1,0-fachen Satz der GOÄ bzw. GOZ vergleichbar. Vor diesem Hintergrund vermögen Ausführungen des 3. Senats des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen nicht zu überzeugen. Es ist widersprüchlich, wenn das Gericht einerseits – zu Recht – die Wirksamkeit des kollektiven Verzichts feststellt477, andererseits aber die ausgeschiedenen Vertragszahnärzte auch weiterhin in großem Umfang den Regeln der gesetzlichen Krankenversicherung unterwerfen will478. Die vertragszahnärztlichen Bindungen sind jedoch nur durch die Teilnahme an der vertragszahnärztlichen Versorgung gerechtfertigt. Diese Teilnahme endet mit dem Wirksamwerden des kollektiven Verzichts. Es ist inkonsequent und systematisch nicht überzeugend, von der Wirksamkeit des Verzichts bei gleichzeitiger und fortdauernder Pflichtenunterworfenheit auszugehen. Überzeugender ist ein Beschluß desselben Senats, in dem die Konsequenzen aus der Wirksamkeit des kollektiven Verzichts gezogen werden und ausdrücklich festgestellt wird, dass der ausgeschiedene Vertragszahnarzt „nicht den typischen vertragszahnärztlichen Beschränkungen“ unterfällt479. Die lebenslange „Verhaftung“ im System ist damit nicht erforderlich. Vor allem ist sie auch systematisch widersprüchlich. Denn § 95b Abs. 2 SGB V schließt den Vertragsarzt gerade für mindestens sechs Jahre von der vertragsärztlichen Versorgung aus. Hiermit wird deutlich zum Ausdruck gebracht, daß er nicht mehr Teil des Systems ist und so bald nicht wieder werden soll. Dies stellt auch die Gesetzesbegründung zu § 95b Abs. 2 SGB V klar. Dort ist die Rede davon, daß die „Illoyalität“ des verzichtenden Vertragsarztes es rechtfertige, ihn „beim Wort zu nehmen und ihn 475 476 477

Siehe hierzu Weick (Fn. 467), § 39 Rn. 8. Weick (Fn. 467), § 39 Rn. 8. LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 13.09.2006, L 3 KA 90/05, Rn. 35 (zitiert nach

juris). 478

LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 13.09.2006, L 3 KA 90/05, Rn. 55 ff. (zitiert nach

juris). 479

LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 12.10.2005, L 3 KA 109/05 ER, S. 17.

100

4. Teil: Zulässigkeit von nachwirkenden negativen Rechtsfolgen

zumindest für die Dauer von sechs Jahren aus der vertragsärztlichen Versorgung auszuschließen“480. Im Hinblick auf den Austritt aus der Versorgung wird also der Verzichtserklärung rechtliche Wirkung beigemessen: Insoweit nimmt man den Vertragsarzt „beim Wort“. Es ist widersprüchlich, wenn der Gesetzgeber den Vertragsarzt dann nicht „beim Wort nimmt“, wenn es um die Vergütung geht. Mit Wirksamwerden der Verzichtserklärung ist der Vertragsarzt aus der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschieden.481 Er ist nicht mehr Mitglied in der Kassenärztlichen Vereinigung. Sein Verzicht stellt den actus contrarius zum Antrag dar, so daß er bezüglich der Modalitäten der ärztlichen Versorgung nicht mehr dem System der gesetzlichen Krankenversicherung unterfällt. Alles andere wäre widersprüchlich. Insofern sollte man auch den Gesetzgeber „beim Wort nehmen“ können. Zutreffend sind daher folgende Ausführungen des Präsidenten des Landessozialgerichts a. D. Peter Lindemann im Hinblick auf die Regelungen in § 95b Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB V: „Dies sind vollmundige Aussagen, die sich kaum werden durchsetzen lassen. Denn der Arzt/ ZA ist nicht mehr im System der GKV. Er schließt also mit seinem Patienten/seiner Patientin einen privatrechtlichen Behandlungsvertrag, den der Bannstrahl der GKV nicht mehr treffen kann.“482

Auch der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses Rainer Hess weist zu Recht darauf hin, daß der verzichtende Arzt aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung ausscheidet und damit gerade nicht mehr der vertragsärztlichen Versorgung „verhaftet“ ist483. § 95b Abs. 3 SGB V differenziert nicht danach, ob der gesetzlich Krankenversicherte mit einer Privatliquidation durch den von ihm aufgesuchten, zuvor infolge kollektiven Verzichts auf die Zulassung aus der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung ausgeschiedenen Arzt bzw. Zahnarzt rechnet oder nicht. Daher läge eine weniger einschneidende Maßnahme vor, wenn bei der Behandlung von gesetzlich krankenversicherten Personen, die gegenüber dem Arzt oder Zahnarzt ohne Vorlage der Krankenversichertenkarte auftreten, der Ausschluß des Vergütungsanspruchs und die Begrenzung auf den 1,0-fachen Satz nicht eingriffe.484 Denn in einem solchen Fall ist der Patient nicht schutzbedürftig. Der Patient kann sich vielmehr auf seine Vertragsfreiheit berufen, die Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG ist, sofern keine spezielleren Grundrechte einschlägig sind485. Anders als für die Ärzte und Zahnärzte, 480

BT-Drucks. 12/3608, S. 95. Diesen Aspekt betont auch Schinnenburg (Fn. 224), S. 29. 482 Lindemann (Fn. 21), § 95b SGB V Rn. 9. 483 Hess (Fn. 4). 484 Hess (Fn. 4). 485 Vgl. BVerfGE 8, 274 (328); 12, 341 (347); 60, 329 (339); 65, 196 (210); 74, 129 (151 f.); 89, 48 (61); 89, 214 (231); 95, 267 (303); 99, 341 (350). 481

B. Vereinbarkeit mit Grundrechten

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die mit dem jeweiligen Vertragsschluß einer beruflichen Tätigkeit nachgehen und insofern durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt werden, ist im Hinblick auf die Patienten kein spezielles Freiheitsrecht thematisch berührt. Sie können sich daher auf Art. 2 Abs. 1 GG berufen. Die Vertragsfreiheit umfaßt verschiedene Elemente: Erstens wird geschützt, ob der Grundrechtsträger überhaupt kontrahieren will, zweitens mit wem und drittens, wie der Vertrag inhaltlich gestaltet werden soll.486 Deshalb wird auch auf die Bedeutung der Privatautonomie für die Persönlichkeitsentfaltung hingewiesen.487 „Mit der privatautonomen Gestaltung ihrer gegenseitigen Rechtsbeziehungen nehmen Grundrechtsträger als untereinander gleichberechtigte Privatrechtssubjekte ihr durch das jeweils einschlägige Grundrecht geschütztes Selbstbestimmungsrecht wahr.“488 Art. 2 Abs. 1 GG schützt nicht nur vor hoheitlichen Eingriffen in abgeschlossene Verträge489, sondern auch davor, „daß der Gesetzgeber die inhaltliche Gestaltungs- und Abschlußfreiheit von vornherein durch Ver- oder Gebote (Kontrahierungszwang) einschränkt“490. Der Gesetzgeber ist infolge seiner Grundrechtsbindung von Verfassungs wegen verpflichtet, den Konsens der Vertragspartner anzuerkennen (Art. 1 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG).491 Er hat die getroffenen Regelungen grundsätzlich zu respektieren.492 Dies ist vorliegend nicht der Fall; denn infolge des Ausschlusses eines Vergütungsanspruchs des Arztes bzw. Zahnarztes gegen den Versicherten und der Anordnung der Nichtigkeit abweichender Vereinbarungen durch § 95b Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB V können Arzt bzw. Zahnarzt und Patient den Behandlungsvertrag inhaltlich nicht frei gestalten; die Regelung der Vergütung ist ihrem Einfluß entzogen. Dadurch kann der Patient nicht mit jedem Arzt oder Zahnarzt kontrahieren, sondern nur mit solchen, die nicht kollektiv auf die Zulassung gemäß § 95b Abs. 1 SGB V verzichtet haben. Zwar sind Eingriffe in die grundrechtlich garantierte Vertragsfreiheit grundsätzlich zulässig; dies gilt jedoch nur, wenn sie der Erreichung eines verfassungsrechtlich zulässigen Gemeinwohlzwecks dienen und verhältnismäßig sind.493 Dies bedeutet, daß die Eingriffe die Reichweite und Wirkkraft der verfassungsrechtlich geschützten Privatautonomie angemessen berücksichtigen müssen.494

486

Dieter Medicus/Stephan Lorenz, Schuldrecht I – Allgemeiner Teil, 18. Aufl. 2008, Rn. 64 ff. 487 Siehe Christian Hillgruber, in: Dieter C. Umbach/Thomas Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 1, 2002, Art. 2 Abs. 1 Rn. 97. 488 Hillgruber (Fn. 487), Art. 2 Abs. 1 Rn. 95. 489 Vgl. hierzu BVerfGE 81, 242 (254); 88, 384 (403); 89, 48 (61); 95, 267 (304). 490 Hillgruber (Fn. 487), Art. 2 Abs. 1 Rn. 96. 491 Hillgruber (Fn. 487), Art. 2 Abs. 1 Rn. 98. 492 BVerfGE 81, 242 (254). 493 Hillgruber (Fn. 487), Art. 2 Abs. 1 Rn. 99. 494 BVerfGE 65, 196 (216); 81, 242 (255).

102

4. Teil: Zulässigkeit von nachwirkenden negativen Rechtsfolgen

Prinzipiell stellt der Schutz des Schwächeren einen Gemeinwohlbelang dar, den der Gesetzgeber verfolgen darf und der zu Beschränkungen der Privatautonomie führen kann.495 Es ist jedoch sehr fraglich, ob der Patient ein „Schwächerer“ in diesem Sinne ist. Denn für ihn gilt weiterhin der Grundsatz der freien Arztwahl (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Deshalb kann der Patient einen Arzt oder Zahnarzt auswählen, der zur vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung zugelassen ist, und so im Rahmen des Versicherungsverhältnisses eine Leistung für sich in Anspruch nehmen. Daneben hat er auch die Möglichkeit, den ausgeschiedenen Arzt bzw. Zahnarzt aufzusuchen. Demgegenüber ist der aus der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung ausgeschiedene Arzt oder Zahnarzt auf die relativ wenigen Patienten angewiesen, die mit einer Privatliquidation einverstanden sind. Während der Patient jederzeit zu einem Vertrags(zahn)arzt wechseln kann und somit in seiner Entscheidung frei ist, hat der aus der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung ausgeschiedene Arzt bzw. Zahnarzt in der Regel keine Wahlmöglichkeit. Es liegt von daher keine Störung in der Vertragsparität zu Lasten des Patienten vor. Der Ausschluß des Vergütungsanspruchs des Arztes bzw. Zahnarztes gegenüber dem Versicherten schränkt auch dessen Selbstbestimmungsrecht ein, ohne daß hierfür ein sachlicher Grund vorläge. Wenn ein gesetzlich Krankenversicherter einen Grund zur Konsultation eines Arztes oder Zahnarztes sieht, der kollektiv auf die Zulassung als Vertrags(zahn)arzt verzichtet hat, und bereit ist, den Arzt bzw. Zahnarzt selbst zu vergüten, muß dies möglich sein. Es ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, ihm dieses Recht zu nehmen. Der Grundsatz der Sicherung der finanziellen Stabilität und der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung kann insoweit keine Rolle mehr spielen, da der Arzt bzw. Zahnarzt ja aus diesem System ausgeschieden ist. Somit sind die Regelungen in § 95b Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB V nicht erforderlich und verstoßen daher gegen das Übermaßverbot. d) Angemessenheit Abgesehen davon sind diese Regelungen zumindest für betroffene Zahnärzte auch unzumutbar und damit unverhältnismäßig im engeren Sinne. Allgemein sind freiheitsbeschränkende Maßnahmen nur dann angemessen, wenn bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere der grundrechtserheblichen Belastungen und dem Gewicht der diese rechtfertigenden Gründe die Grenzen der Zumutbarkeit noch gewahrt sind.496 § 95b Abs. 3 SGB V würde im Ergebnis dazu führen, daß Zahnärzte, welche infolge eines kollektiven Verzichts auf die Zulassung aus der vertragszahnärztlichen Versorgung ausgeschieden sind, bis zum Ende ihrer Berufstätigkeit als niedergelassene Zahnärzte für Behandlungen von Personen, die zwar gesetzlich krankenversichert, aber mit einer Privatliquidation einverstanden sind, nur den 1,0fachen Satz der GOZ beanspruchen könnten. Da dieser Satz aber bei Zahnärzten regelmäßig nicht einmal die Praxiskosten deckt, wäre der einzelne Zahnarzt gezwungen, jeweils mit Verlust tätig zu werden. Damit verkennt der Gesetzgeber die 495 496

BVerfGE 81, 242 (254 f.); 89, 214 (232). Siehe auch Medicus/Lorenz (Fn. 486), Rn. 73. Siehe Fn. 146.

C. Ergebnis zum Vierten Teil

103

Bedeutung des dem Zahnarzt gewährleisteten Grundrechts der Berufsfreiheit im Verhältnis zum Gemeinwohlbelang der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung.497 Somit sind die Regelungen in § 95b Abs. 3 SGB V weder erforderlich noch angemessen und wegen Verletzung des Übermaßverbotes verfassungswidrig.

II. Eigentumsfreiheit Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfaßt die in Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Eigentumsgarantie „nur Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen, nicht aber in der Zukunft liegende Chancen und Verdienstmöglichkeiten“498. Legt man diese Judikatur zugrunde, so ist hier der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG nicht eröffnet, da § 95b Abs. 3 SGB V lediglich die Möglichkeiten zukünftigen Gewinns schmälert, nicht aber bereits erworbene, konkret vorhandene Rechtspositionen der Ärzte und Zahnärzte beeinträchtigt.499

C. Ergebnis zum Vierten Teil Es ist verfassungsrechtlich unzulässig, Ärzte und Zahnärzte auch nach ihrem Ausscheiden aus der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung partiell dem Regime des SGB V zu unterstellen und ihnen die eigenverantwortliche Vertragsgestaltung mit den Patienten zu versagen. Die entgegenstehenden Regelungen in § 95b Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB V sind mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar.

497 498 499

Vgl. Dritter Teil B. I. 3. d). Siehe Fn. 442. Vgl. bereits Dritter Teil B. II.

Fünfter Teil

Zusammenfassung in Leitsätzen 1. Die klassischen Auslegungsmethoden führen zu dem Ergebnis, daß bereits dann von einem abgestimmten Verfahren oder Verhalten im Sinne des § 95b Abs. 1 SGB V gesprochen werden kann, wenn drei oder mehr Vertragsärzte den Verzicht auf die Zulassung gemeinsam absprechen. 2. Dem Bund steht keine Gesetzgebungskompetenz für den Erlaß des § 95b Abs. 1 SGB V zu. Er kann sich nicht auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 12, 16 oder 19 GG oder ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen stützen. Wegen des Verstoßes gegen die bundesstaatliche Kompetenzverteilung ist § 95b Abs. 1 SGB V bereits aus formellen Gründen verfassungswidrig. 3. § 95b Abs. 1 SGB V mit dem ermittelten Inhalt verletzt auch das in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht der Berufsfreiheit betroffener Ärzte, weil eine so weitgehende gesetzgeberische Maßnahme nicht erforderlich und infolgedessen unverhältnismäßig ist. 4. § 95b Abs. 1 SGB V verstößt ferner gegen das durch Art. 9 Abs. 1 GG geschützte Grundrecht der Vereinigungsfreiheit. Er verfolgt keinen legitimen Zweck, der zu Eingriffen in dieses Grundrecht befugt. Darüber hinaus enthält § 95b Abs. 1 SGB V eine nicht erforderliche Regelung. 5. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 95b Abs. 1 SGB V scheidet aus. Einer solchen steht der erklärte Wille des Gesetzgebers entgegen, der ein weites, umfassendes Verbot des kollektiven Verzichts statuieren wollte. Darüber hinaus läßt sich die fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht durch eine restriktive Auslegung „heilen“. 6. § 95b Abs. 2 SGB V ist formell verfassungswidrig, da der Bund keine Kompetenz zum Erlaß dieser Vorschrift besitzt. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7, 11, 12, 16 und 19 GG scheiden als Grundlagen für eine Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes aus. Ebensowenig ist eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs oder eine Annexkompetenz gegeben. 7. Art. 12 Abs. 1 GG steht der Regelung in § 95b Abs. 2 SGB V entgegen. Denn diese Vorschrift greift in unverhältnismäßiger Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit zu Lasten von Ärzten ein, die kollektiv auf ihre Zulassung als Vertragsarzt gemäß § 95b Abs. 1 SGB V verzichtet haben.

5. Teil: Zusammenfassung in Leitsätzen

105

8. Unter dem Gesichtspunkt des Rechts am Betriebseigentum ist auch das in Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht der Eigentumsfreiheit verletzt; denn die Regelung in § 95b Abs. 2 SGB V ist weder erforderlich noch angemessen und damit unverhältnismäßig. 9. Die Voraussetzungen des qualifizierten Gesetzes- oder Regelungsvorbehalts des Art. 9 Abs. 2 GG sind nicht erfüllt, so daß § 95b Abs. 2 SGB V auch nicht mit dem in Art. 9 Abs. 1 GG geschützten Grundrecht der Vereinigungsfreiheit vereinbar ist. 10. Sofern man in dem kollektiven Verzicht auf die Zulassung als Vertragsarzt einen Verstoß gegen eine vertragsärztliche Pflicht sieht, liegt eine Ungleichbehandlung zwischen Vertragsärzten vor, die kollektiv auf die Zulassung als Vertragsarzt verzichtet haben, und solchen, die auf andere Art ihre vertragsärztlichen Pflichten verletzt haben. Diese unterschiedliche Behandlung läßt sich nicht durch vernünftige Erwägungen rechtfertigen. Die Regelung in § 95b Abs. 2 SGB V ist deshalb willkürlich und verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. 11. Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift des § 95b Abs. 2 SGB V ist nicht möglich. 12. Die Vergütungsregelungen gemäß § 95b Abs. 3 SGB V sind bereits deshalb mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil sie an den verfassungswidrigen § 95b Abs. 1 SGB V weitergehende benachteiligende Rechtsfolgen knüpfen. 13. Der Bund hat auch für den Erlaß des § 95b Abs. 3 SGB V keine Gesetzgebungskompetenz. 14. Außerdem greift § 95b Abs. 3 SGB V unverhältnismäßig in die Grundrechte der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) ein. Somit ist § 95b Abs. 3 SGB V auch aus diesem Grund verfassungswidrig. 15. § 95b Abs. 3 Satz 2 SGB V verstößt insoweit gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, als der einfache Gebührensatz der GOÄ immerhin regelmäßig die Praxiskosten des Arztes deckt, während dies im Falle des einfachen Gebührensatzes der GOZ grundsätzlich nicht der Fall ist. Zahnärzte, die kollektiv auf ihre vertragszahnärztliche Zulassung verzichtet haben, stehen bezüglich der Vergütungsregelungen schlechter da als Ärzte, die kollektiv auf ihre vertragsärztliche Zulassung verzichtet haben. Als Bezugspunkt für die unterschiedlichen Vergütungsregelungen erweist sich jedoch in beiden Fällen dasselbe Verhalten, nämlich der kollektive Verzicht auf die Zulassung als Vertrags(zahn)arzt. Ein von Verfassungs wegen geforderter gewichtiger Grund für die Ungleichbehandlung ist nirgends ersichtlich. 16. Der Ausschluß des Vergütungsanspruchs eines Arztes oder Zahnarztes, der kollektiv auf die Zulassung als Vertrags(zahn)arzt verzichtet hat, gegenüber gesetzlich Krankenversicherten in § 95b Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB V ist nicht erfor-

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5. Teil: Zusammenfassung in Leitsätzen

derlich und verletzt den Arzt bzw. Zahnarzt daher in seinem durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Grundrecht der Berufsfreiheit. Denn mit dem Wirksamwerden seines Verzichts auf die Zulassung als Vertrags(zahn)arzt scheidet der Arzt bzw. Zahnarzt aus der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung aus. Er steht in keiner Rechtsbeziehung mehr zum System der gesetzlichen Krankenversicherung. 17. Dies wird auch durch einen Vergleich mit den zivilrechtlichen Regelungen des Austritts aus einer Vereinigung deutlich. Erschwernisse des Austritts sind nur in sehr engen Grenzen möglich. Das zulässige Maß an Erschwernissen ist im Falle der auf ihre Zulassung als Vertrags(zahn)arzt kollektiv verzichtenden Ärzte und Zahnärzte überschritten, sofern man die zivilrechtlichen Regelungen als Vergleichsmaßstab heranzieht. 18. Auch die Vertragsfreiheit der Patienten, die durch das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG geschützt wird, führt zur Unzulässigkeit der Regelungen in § 95b Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB V. Da gesetzlich Krankenversicherte weiterhin Vertrags(zahn)ärzte konsultieren und deren Leistungen im Rahmen des Versicherungsverhältnisses in Anspruch nehmen können, ist kein vernünftiger Grund dafür gegeben, ihnen daneben die Möglichkeit einer Privatbehandlung durch einen aufgrund eines kollektiven Verzichts aus der vertrags(zahn)ärztlichen Behandlung ausgeschiedenen Arzt oder Zahnarzt zu nehmen, sofern sie mit einer Privatliquidation einverstanden sind.

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Sachwortverzeichnis Abgestimmtes Verfahren oder Verhalten – Begriff 18 ff. Allgemeine Handlungsfreiheit 56 f., 100 f. – Vertragsfreiheit 100 Allgemeiner Gleichheitssatz 81 f., 91 ff. Approbation 61 Auslegung 21 ff. – grammatische 22 f. – historische 29 ff. – Methoden 21 ff. – systematische 22 ff. – teleologische 32 f. – verfassungskonforme 58 ff., 82 f. Beitragssatzstabilität 87, 89 Berufsausübungsregelung 34, 38, 42 ff., 61 f., 67, 86 f., 95 Berufsfreiheit 5, 16, 40 ff., 66 ff., 86 ff., 95 ff., 100 f., 102 f. – negative 41, 66, 67 Berufszulassungsregelung 34, 38, 42 f., 61, 67 f., 86 f., 95 Bestimmtheitsgebot 57 f. Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers 48 ff., 70, 77 Destabilisierung des GKV-Systems 20, 30, 33, 43, 50, 68 Diskriminierung siehe allgemeiner Gleichheitssatz Disziplinarrecht 41, 71 Drei-Stufen-Theorie 42 ff., 66 ff., 86 ff. Eigentumsfreiheit 52 ff., 73 ff., 90, 103 – Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 53, 73 ff. Einbeziehungsgrad in der GKV 42, 46, 97 f. Eingriff 5, 16, 31, 41, 44, 55, 66 f, 77 f., 80, 86, 91, 95, 101 Einheit der Rechtsordnung 58 f., 72 Enteignung 77

Feststellung der Aufsichtsbehörde nach § 72a SGB V 15, 16, 23 f., 50 f., 81, 88 Freiberuflichkeit 26, 73 Freie Berufe 54 Freiheitlich demokratische Grundordnung 55 f., 80, 91 Funktionsfähigkeit der GKV 26, 29, 39, 43 ff., 48 ff., 56, 68, 69, 73, 78, 80 f., 87, 91, 96, 102 f. Gebührenordnung für Ärzte 15, 84, 87 ff., 94 ff. Gebührenordnung für Zahnärzte siehe Gebührenordnung für Ärzte Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen 24 ff., 57 f., 62 Gesetzgebungskompetenzen 34 ff., 61 ff., 78, 85, 94 f. – Annexkompetenz 65 – als Eingriffsermächtigung 45 – konkurrierende 34, 37 – kraft Sachzusammenhangs 39 f., 64 f. – Schwerpunkt der Regelung 34, 62, 85 – für die Sozialversicherung 36 ff., 63 f. – Spezialität 35, 37, 63 f. Gesundheitsstrukturgesetz 15, 29 Grundrechte 31, 40 ff., 97 Grundrechtseingriff siehe Eingriff Grundrechtsverpflichteter 96 Inhalts- und Schrankenbestimmung 77 f. Koalitionsfreiheit 53 f. Kollektiver Verzicht 18 ff. – durch Unterlassen 22 Kollidierendes Verfassungsrecht 56, 80 f., 91 Korbmodell 19, 27 Kostenerstattung 15 f. Marktverhalten 25 ff. Mittelbare Staatsverwaltung 96 f.

Sachwortverzeichnis

115

Parallelverhalten am Markt 25, 27 Privatautonomie 99 ff. Privatliquidation 26, 43, 61, 89, 94, 100, 102

Übermaßverbot siehe Verhältnismäßigkeit Umverteilung 46 Ungleichbehandlung siehe allgemeiner Gleichheitssatz Unterversorgung 50 f.

Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit 56 f. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit 47 f. Rechtsmißbrauch 31 Rechtsstaatsprinzip 57 f. Rückkehrsperre siehe Wiederzulassungssperre Rückkehrverbot siehe Wiederzulassungssperre

Vereinigungsfreiheit 54 ff., 80 f., 91 Verfassungsmäßige Ordnung siehe Freiheitlich demokratische Grundordnung Vergütungsanspruch 15 f., 84 ff., 94 ff., 100, 102 Verhältnismäßigkeit 42 ff., 55 f., 58, 67 ff., 78 ff., 86 ff., 91, 94, 95 ff. Vertragsarzt – kein eigenständiger Beruf 42 f., 62, 67 Vorbehalt, innerer 31 f.

Sozial(staats)prinzip 45 ff. Spielraum des Gesetzgebers siehe Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers Straftatbestände 55 f., 71, 80, 91 Systemversagen 17

Wahrnehmung berechtigter Interessen 26, 51 f., 78, 89 Wiederzulassungssperre 5, 15, 17, 43, 61 ff., 99

Nichtigkeit von Gesetzen 58, 82

Zulassungsentziehung 70 f., 81