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German Pages 334 Year 2006
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1044
Ministerbefangenheit als Verfassungsproblem Von
Christian Ley
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
CHRISTIAN LEY
Ministerbefangenheit als Verfassungsproblem
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1044
Ministerbefangenheit als Verfassungsproblem
Von
Christian Ley
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-12237-2 978-3-428-12237-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
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Meiner Familie
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2005/2006 von der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität als Dissertation angenommen. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio, welcher trotz seiner außergewöhnlichen Arbeitsbelastung stets für mich erreichbar war und sich für Fragen von meiner Seite ausführlich Zeit genommen hat. Herrn Prof. Dr. Hillgruber danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Besonderen Dank schulde ich Herrn Dr. Achim Seidel, welcher mir sowohl mit äußerster Fachkompetenz zur Seite stand als auch stets mit motivierendem Einfluß zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen hat. Danken möchte ich auch Kathrin Lohmöller und Leslie Trüstedt für das aufmerksame Korrekturlesen der Arbeit und ihre hilfreichen Anmerkungen hierzu sowie Dr. Sebastian Ley und Dr. Julia Zaporozhan für die mühevolle Formatierung der Arbeit. Nicht zuletzt gilt mein Dank meinen Eltern, die mir die Ausbildung und zügige Durchführung der Arbeit ermöglichten. München, Juni 2006
Christian Ley
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Kapitel 1 Das Ministererlaubnisverfahren E.ON AG / Ruhrgas Aktiengesellschaft als Präzedenzfall
24
§ 1 Die beteiligten Unternehmen des Zusammenschlusses und ihre wirtschaftliche Bedeutung vor und nach der Fusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 § 2 Chronologische Darstellung der wesentlichen Schritte auf dem Weg zur Fusion
30
§ 3 Grundsätzliche Entscheidungszuständigkeit im Fall des § 42 Abs. 1 GWB . . . . 34
Kapitel 2 Der befangene Bundesminister im Verwaltungsverfahren
40
§ 4 Unbefangenheit im Verwaltungsverfahren als Verfassungsgebot . . . . . . . . . . . . 40 § 5 Die Rechtsfolgen der §§ 20, 21 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 § 6 Die Voraussetzungen und Folgen der §§ 20, 21 VwVfG sowie ihre Geltung im Falle des befangenen Bundesministers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 § 7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
Kapitel 3 Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit im parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland
89
§ 8 Demokratische Legitimation als Verfassungsforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 § 9 Die Ministerverantwortlichkeit im Spiegel des Demokratiegebots . . . . . . . . . . 145 § 10 Verfassungsrechtlich gerechtfertigte Sonderkonstellationen im Hinblick auf das Erfordernis demokratischer Legitimation und parlamentarische Ministerverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 § 11 Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
10
Inhaltsübersicht Kapitel 4 Der befangene Bundesminister im Spannungsfeld zwischen Demokratieprinzip und Rechtsstaatsgebot
§ 12 Das Spannungsfeld
221
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
§ 13 Lösungsansätze de lege / de constitutione lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 § 14 Lösungsmöglichkeiten de lege / de constitutione ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 § 15 Abschließende Überlegungen und Änderungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Zusammenfassung der Ergebnisse
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Kapitel 1 Das Ministererlaubnisverfahren E.ON AG / Ruhrgas Aktiengesellschaft als Präzedenzfall
24
§ 1 Die beteiligten Unternehmen des Zusammenschlusses und ihre wirtschaftliche Bedeutung vor und nach der Fusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick über den Fusionspartner E.ON AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Überblick über den Fusionspartner Ruhrgas Aktiengesellschaft . . . . . . . . . III. Überblick über die (ehemalige) Aktionärsstruktur der Ruhrgas Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Stellung des fusionierten Konzerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 29
§ 2 Chronologische Darstellung der wesentlichen Schritte auf dem Weg zur Fusion
30
24 25 26
§ 3 Grundsätzliche Entscheidungszuständigkeit im Fall des § 42 Abs. 1 GWB . . . . 34
Kapitel 2 Der befangene Bundesminister im Verwaltungsverfahren § 4 Unbefangenheit im Verwaltungsverfahren als Verfassungsgebot . . . . . . . . . . . . I. Wurzeln des Unbefangenheitsgrundsatzes in der Judikative . . . . . . . . . . . . II. Unbefangenheitsgebot als gemeinsames Rechtsprinzip in den Staaten des heutigen Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bedeutung und Ausprägung der Befangenheitsregeln im deutschen Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Verbot des Mitwirkens befangener Amtsträger an Entscheidungen im deutschen Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungen auf der Gemeindeebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weitere gesetzliche Regelungen zur Sicherstellung der Unbefangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kodifikation des Unbefangenheitsgrundsatzes in den §§ 20, 21 des Verwaltungsverfahrensgesetzes von 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsrechtliche Grundlagen des Gebots der Unbefangenheit . aa) Etymologie und Begriffsabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40 40 40 41 44 44 44 45 46 47 47
12
Inhaltsverzeichnis bb) Telos des (Verwaltungs-)Verfahrensrechts und die ratio der §§ 20, 21 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verfassungsrechtliche Vorgaben des Unbefangenheitsprinzips und ihre einfachgesetzliche Umsetzung in den §§ 20, 21 VwVfG (1) Die Grundrechte als Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Der Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Weitere Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Grundsätze des Berufsbeamtentums als Grundlage . . . (3) Das Demokratieprinzip als Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Das Rechtsstaatsprinzip als Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . .
48 51 52 53 55 55 57 58 59
§ 5 Die Rechtsfolgen der §§ 20, 21 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 I. Rechtsfolgen für den befangenen Amtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 II. Rechtsfolgen für die vorgenommene Handlung bei Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 § 6 Die Voraussetzungen und Folgen der §§ 20, 21 VwVfG sowie ihre Geltung im Falle des befangenen Bundesministers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Voraussetzungen des Mitwirkungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tätigwerden in einem Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Handeln für eine Behörde – Adressatenkreis der §§ 20, 21 VwVfG . . . 3. Das Kausalitätserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Verhältnis von § 20 zu § 21 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Überblick über die Regelungen der §§ 20, 21 VwVfG im einzelnen . . . II. Das Ministererlaubnisverfahren gem. § 42 GWB als Verwaltungsverfahren und die Anwendbarkeit der §§ 20, 21 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausschluß des Bundesministers Dr. Müller im Ministererlaubnisverfahren E.ON/Ruhrgas aufgrund Befangenheit bzw. Besorgnis der Befangenheit . . 1. Bedenken gegen die unbefangene Entscheidung in der Person des Bundeswirtschaftsministers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtliche Bewertung der geäußerten Vorwürfe und Rechtsfolge . . . . .
72 72 72 73 75 77 77 80 81 82 84
§ 7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
Kapitel 3 Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit im parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland
89
§ 8 Demokratische Legitimation als Verfassungsforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 I. Das Böckenförde-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Der Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
Inhaltsverzeichnis
13
2. Formen der demokratischen Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 a) Funktionelle und institutionelle demokratische Legitimation . . . . . . 91 b) Organisatorisch-personelle demokratische Legitimation . . . . . . . . . . 92 c) Sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . 94 d) Verhältnis von organisatorisch-personeller und sachlich-inhaltlicher demokratischer Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 II. Widerhall des Modells in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. BVerfGE vom 10.12.1974 – Gemeindeordnung Schleswig-Holstein . . 96 2. BVerfGE vom 15.02.1978 – Bildung von Bezirksvertretungen in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3. BVerfGE vom 08.08.1978 – Kalkar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4. VGH NRW vom 15.09.1986 – Arbeitnehmer-Mitbestimmung . . . . . . . 99 5. BVerfGE vom 01.10.1987 – Besetzung von Untersuchungsausschüssen 100 6. BVerfGE vom 31.10.1990 – Ausländerwahlrecht zu Bezirksversammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 7. BVerfGE vom 24.05.1995 – Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 8. StGH Bremen vom 15.01.2002 – Bremer Beleihungsgesetz . . . . . . . . 103 9. BVerwGE vom 17.12.1997 – Lippeverbandsgesetz und Emschergenossenschaftsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 10. BVerfGE vom 05.12.2002 – Lippeverbandsgesetz und Emschergenossenschaftsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 III. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Böckenförde-Modell und seinem Widerhall in der Rechtsprechung durch die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Die Kritik Kleins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Die Kritik Brydes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Die Kritik Rinkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4. Die Kritik Battis/Kerstens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 5. Die Kritik Fisahns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 6. Die Kritik Blankes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 7. Die Kritik Emdes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 8. Die Kritik Kluths . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 IV. Das Erfordernis demokratischer Legitimation im Grundgesetz . . . . . . . . . 120 1. Das Prinzip der Volkssouveränität im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Demokratie als Staatsform nach dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . 121 3. Mittelbare Demokratie und repräsentative Demokratie im parlamentarischen Regierungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Das parlamentarische Regierungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Die mittelbare Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 c) Die repräsentative Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4. Legitimationsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
14
Inhaltsverzeichnis 5. Legitimationssubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Legitimationsnotwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Auseinandersetzung mit der an dem Legitimationsmodell geübten Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zwischenergebnis zur Frage des Böckenförde-Modells als Ausfluß des Demokratieprinzips im verfassungsrechtlichen System . . . . . . . . . . . .
128 131
§ 9 Die Ministerverantwortlichkeit im Spiegel des Demokratiegebots . . . . . . . . . . I. Hierarchische Struktur der Staatsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hierarchie als verfassungsrechtlicher Grundtyp der Ministerialverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Organisation und Hierarchie innerhalb der Regierung . . . . . . . . . . . . . 3. Organisation und Hierarchie innerhalb der Ministerien . . . . . . . . . . . . II. Die Ministerverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Bundesminister in seiner Beziehung zum Parlament . . . . . . . . . . a) Demokratische Legitimation der Bundesminister . . . . . . . . . . . . . . b) Die Grundsätze der Ministerverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Historische Wurzeln der Ministerverantwortlichkeit – Entwicklung in Großbritannien und Frankreich und Ableitungen daraus für Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Ministerverantwortung im parlamentarischen Regierungssystem grundgesetzlicher Prägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Parlament als kontrollierender Widerpart des Bundesministers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Der Bundesminister als kontrollierter Widerpart des Parlaments im Sinne einer parlamentarischen Ministerverantwortlichkeit? ee) Ministerverantwortlichkeit und Verschuldensprinzip . . . . . . . 2. Ausgestaltung der Ministerverantwortlichkeit – Kontrollmöglichkeiten des Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick über die Kontrollrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verantwortung als Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aktualisierung der Ministerverantwortlichkeit vor einem „Staatsgerichtshof“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Sichtbarmachung von Verantwortlichkeit durch die Kontrollmöglichkeiten des Parlaments im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Art. 67 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 69 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . bb) Art. 68 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 69 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . cc) Art. 43 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Art. 44 Abs. 1 GG i.V.m. PUAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Art. 45 GG und Art. 45a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Art. 45b GG i.V.m. WBeauftrG, §§ 113 ff. GOBT . . . . . . . . . gg) Art. 45c GG i.V.m. Art. 17 GG i.V.m. PetAG u. §§ 108 ff. GOBT hh) Kontrolle der Finanzplanung, Art. 110, 114 Abs. 1 GG . . . . . .
145 147
133 144
147 149 153 158 158 158 159
159 165 167 169 175 177 177 178 178 179 180 181 182 186 189 189 190 191
Inhaltsverzeichnis ii) Geschäftsordnungsmäßige Fragerechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . jj) Tadels- und Mißbilligungsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . kk) Entlassungsvoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kontrollrechte als Ausdruck rechtlicher Verantwortlichkeit? . . . . . f) Wirkungslosigkeit der Kontrollmöglichkeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Exemplarischer Überblick über das Ausscheiden von Bundesministern aus der Regierungstätigkeit im Laufe der 14. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages als Indiz für die Existenz der Ministerverantwortlichkeit in der politischen Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 10 Verfassungsrechtlich gerechtfertigte Sonderkonstellationen im Hinblick auf das Erfordernis demokratischer Legitimation und parlamentarische Ministerverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rechtsprechung als Ausnahme und ihre Rechtfertigung . . . . . . . . . . . 1. Die Weisungsfreiheit der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtfertigung aufgrund Art. 97 Abs. 1, 92 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien als Ausnahme und ihre Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Weisungsfreiheit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtfertigung aufgrund Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtfertigung aufgrund Art. 5 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Bundeskartellamt als Ausnahme und ihre Rechtfertigung . . . . . . . . . 1. Die Weisungsfreiheit des Bundeskartellamtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtfertigung aufgrund Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtfertigung in Anlehnung an Art. 97 Abs. 1, 92 GG . . . . . . . . . . . .
15 193 196 197 198 198
200
204 205 205 206 207 207 208 209 211 211 212 213
§ 11 Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
Kapitel 4 Der befangene Bundesminister im Spannungsfeld zwischen Demokratieprinzip und Rechtsstaatsgebot § 12 Das Spannungsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzmäßig berufener Vertreter des Bundesministers bei der Entscheidung nach § 42 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendigkeit der Suche nach einer normierten Vertreterbestimmung – oder Zuständigkeit qua ministerieller Weisung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsätzlich anzuwendendes Normenregime im Falle der Ministervertretung bei einer Entscheidung nach § 42 Abs. 1 GWB . . . . . . . . . . . . 3. Die Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 1 GWB in grundsätzlicher Analyse als Handlung des Bundesministers „in der Regierung“ oder als „Leiter einer obersten Bundesbehörde“ i.S.d. § 14 GOBReg . . . . . . . . . . . . . .
221 221 222 222 224
228
16
Inhaltsverzeichnis a) Wortlautargument aus der Überschrift des § 42 GWB? . . . . . . . . . . b) Die Doppelstellung des Bundesministers bei der Vornahme von Amtshandlungen und ihre maßgeblichen Abgrenzungskriterien . . aa) Übertragbarkeit von anerkannten Einzelfällen? . . . . . . . . . . . . bb) Die „institutionelle Sichtweise“ als maßgeblicher Definitionsansatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Begriff des „Politischen“ als maßgebliches Abgrenzungskriterium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche (Un-)Zulässigkeit der Vertretung des befangenen Bundesministers im Falle des § 42 Abs. 1 GWB durch den beamteten Staatssekretär gem. § 6 GGO i.V.m. § 14 Abs. 3 GOBReg . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Entwicklung der Rechtsstellung des beamteten Staatssekretärs . . 2. Der Staatssekretär als politischer Beamter – Existenz einer eigenen parlamentarischen Verantwortlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 13 Lösungsansätze de lege / de constitutione lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aufrechterhaltung der parlamentarischen Verantwortlichkeit des vertretenen Bundesministers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Korrigierende Interpretation der Befangenheits- und Vertretungsbestimmungen vor dem Hintergrund des Demokratiegebots . . . . . . . . . . . . . . 2. (Fort-)Bestehen der parlamentarischen Verantwortlichkeit des befangenen Bundesministers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Stellvertretung“ oder „Ersetzung“ des befangenen Amtswalters – materiellrechtliche Unterscheidbarkeit und terminologische Konsequenz . . . . . . . . III. „Stellvertretung“ des befangenen Bundesministers als Leiter einer obersten Bundesbehörde durch Zuweisung an den Parlamentarischen Staatssekretär gem. § 6 Abs. 1 S. 2 GGO i.V.m. §§ 14 Abs. 3, 14a GOBReg? . . . . . . . . . . 1. Der entwicklungsgeschichtliche Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die heutige rechtliche Stellung der Parlamentarischen Staatssekretäre IV. Stellvertretung durch die Bundesregierung oder einzelne ihrer Mitglieder? 1. Stellvertretung durch einen Ministerkollegen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertretungsregelung in § 42 GWB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vertretung gem. § 14 Abs. 1 GOBReg analog? . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellvertretung durch den Bundeskanzler? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellvertretung durch die Bundesregierung als Kollegialorgan? . . . . . V. Verfassungsrechtlich gerechtfertigte Existenz eines ministerialfreien- und parlamentsfreien Raumes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorliegen eines „ministerial- und parlamentsfreien“ Raumes im Falle der Befangenheit des Bundesministers in seiner Funktion als Ressortchef 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Existenz des „ministerialfreien“ Raumes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228 229 231 232 234
239 239 242 248 249 250 251 258 263
267 267 268 275 275 275 277 278 282 285 286 287 292
Inhaltsverzeichnis § 14 Lösungsmöglichkeiten de lege / de constitutione ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ersetzung des befangenen Bundesministers durch den parlamentarisch verantwortlichen Parlamentarischen Staatssekretär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsänderung in Anlehnung an das baden-württembergische und bayerische Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kritische Bewertung des baden-württembergischen und bayerischen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsänderung in Anlehnung an das Modell des österreichischen Verfassungsrechts und § 16 GORReg 1924 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kritische Bewertung des in Anlehnung an das gegenwärtige österreichische System und § 16 GORReg 1924 entwickelten Lösungsvorschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ersetzung des befangenen Bundesministers durch einen Ministerkollegen 1. Kritische Bewertung des Vorschlags der Vertretung durch einen Ministerkollegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 293 293 293 300 302
306 306 307
§ 15 Abschließende Überlegungen und Änderungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Zusammenfassung der Ergebnisse
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
Einleitung Der Auslöser der Arbeit „Im Verfahren über die Zulässigkeit der Ministererlaubnis . . . haben am heutigen morgen alle Beschwerdeführer ihre Beschwerde zurückgenommen. . . . Aufgrund der Rücknahmen ist die Ministererlaubnis in der Gestalt der Änderungsverfügung vom 18. September 2002 bestandskräftig.“ 1
Mit diesen Worten findet einer der in Rechts- und Wirtschaftskreisen meistbeachteten Zusammenschlüsse von europäischer Tragweite sein Ende. Bei dieser Liebesheirat fanden die E.ON AG als größtes deutsches Energieversorgungsunternehmen und eines der zehn größten Unternehmen Deutschlands insgesamt und die Ruhrgas Aktiengesellschaft als eines der in Europa führenden und in Deutschland größtes Gasversorgungsunternehmen zusammen. Der für die beiden Unternehmen steinige Weg zum Zusammenschluß begann Anfang des Jahres 2001 mit ersten Fusionsplänen und dem Mitte 2001 beim Bundeskartellamt gestellten Antrag auf Freigabe des Zusammenschlusses. Ihr scheinbar frühes Ende fanden die Pläne mit der Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts Anfang des Jahres 2002. Mit dieser Entscheidung gaben sich die beiden fusionswilligen Unternehmen indes nicht zufrieden und stellten beim damaligen Bundesminister für Wirtschaft und Technologie einen Antrag auf Erteilung einer Ministererlaubnis nach § 42 GWB. Der Bundesminister übertrug die Entscheidungszuständigkeit in diesem Fall auf seinen beamteten Staatssekretär, nachdem anhaltende öffentliche Kritik an seiner Person als Entscheider geübt worden war: Der Minister war langjähriger hochrangiger Mitarbeiter bei einem E.ON-Vorgängerunternehmen, und wurden Vermutungen über eine Rückkehr zur E.ON AG nach Beendigung seiner Amtszeit geäußert. Unter Ausschluß des Ministers vom Verfahrensablauf erteilte der Staatssekretär – unter Auflagen – die begehrte Ministererlaubnis. Zuvor war das bei der Monopolkommission in Auftrag gegebene Sondergutachten bezüglich der Fusion zu der Empfehlung gekommen, eine Ministererlaubnis nicht zu erteilen. Der zuständige Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf gab wenige Tage nach der Erlaubniserteilung mehreren Anträgen verschiedener Konkurrenten auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen den Vollzug der Erlaubnis statt, da
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OLG Düsseldorf, Pressemitteilung v. 31.01.2003, www.olg-duesseldorf.nrw.de/.
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der Senat „ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Erlaubnis“ hegte 2. An dem für die Verkündung der Hauptsacheentscheidung vorgesehenen Tag nahmen sämtliche Beschwerdeführer ihre Beschwerden zurück, nachdem sie wirtschaftliche Absprachen mit den zusammenschlußwilligen Unternehmen getroffen hatten. Durch den darauf folgenden Ringtausch entstand der größte private Energieversorger der westlichen Welt. Das Grundsätzliche und die Aktualität der Fragestellung Auch nach Abschluß des genannten Verfahrens verblieben grundsätzliche Rechtsfragen von praxisrelevanter Bedeutung. Zwar ist das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen auch und gerade im Hinblick auf die Vorgänge im Ministererlaubnisverfahren E.ON/Ruhrgas geändert worden bzw. sind die Änderungen in einer Gesetzesnovelle enthalten, doch gerade diejenigen Vorschriften, die in der vorliegenden Arbeit einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen werden sollen und die aus Sicht des Verfassers änderungsbedürftig erscheinen, blieben unberührt 3. Bereits wenige Monate nach Erteilung der Erlaubnis im Fall E.ON/Ruhrgas ging erneut ein Antrag auf eine Ministererlaubnis beim Bundeswirtschaftsministerium ein 4, diesmal aus dem Bereich des Presseverlagswesens – eben jener Branche, aus welcher der gegenwärtige Bundeswirtschaftsminister beruflich entstammt 5. Der Problematik der Befangenheit auf ministerieller Ebene wird ihre prima facie anhaftende Exotik durch diese Vorgänge mit Sicherheit genommen. Durch die in vielerlei Hinsicht außerordentliche Situation des Zusammenschlußverfahrens E.ON/Ruhrgas wurden verfassungsrechtliche Fragestellungen aufgeworfen, welche weder in abstrakter noch konkreter Form bis zu diesem Zeitpunkt
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OLG Düsseldorf, Beschluß v. 11.07.2002, Rn. 7; www.olg-duesseldorf.de/. Die Vorschrift des bisherigen § 8 GWB, der die Möglichkeit der Erteilung einer Ministererlaubnis für Kartelle vorsah, soll bspw. ersatzlos gestrichen werden; vgl. Begründung des Bundeswirtschaftsministeriums zur 7. GWB-Novelle, S. 12. Die Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle nach § 42 GWB wird dagegen ausdrücklich unverändert beibehalten, S. 36; www.bundesgerichtshof.de/gesetzesmaterialien/KartellG/Begruendung.pdf. Gleiches gilt für die GOBReg. 4 Der Holtzbrinck-Verlag reichte am 13.01.2003 einen Antrag auf Erteilung der Ministererlaubnis beim Bundeswirtschaftsminister ein, www.welt.de/data/2003/05/12/ 91477.html. 5 Vgl. Lebenslauf Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement. Dieser war u.a. als Chefredakteur einer größeren Zeitung tätig, bevor er Minister wurde; www.bmwa.bund.de/ Navigation/Ministerium/Minister-und-Staatssekretaere/lebenslauf-wolfgang-clement.html. 3
Einleitung
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einer Untersuchung unterzogen worden sind. Virulent bleibt die Themenstellung auch deshalb, da eine vollständige Klärung der Konfliktlage weder in Rechtsprechung noch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung erfolgt ist. Obwohl es sich um schwierige und grundsätzliche Rechtsfragen handelte, wurden innerhalb kürzester Zeit vielfältige Stellungnahmen und Rechtsgutachten abgegeben. Die allgemeinpolitische Brisanz der Fusionspläne und die ungewöhnlich hohe Zahl unmittelbar und mittelbar Beteiligter spiegeln sich deutlich in dem Umfang sowie der Intensität der geführten Dispute und ihrer außergewöhnlichen Gegenläufigkeit hinsichtlich ihrer jeweiligen Ergebnisse wider 6. Auch der mit dem Hauptsacheverfahren befaßte Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf konnte die entscheidende verfassungsrechtliche Frage, wer der „rechtmäßig berufene Vertreter des Ministers“ war, stets offen lassen und sich mit einer Hypothese begnügen, da er ohnehin andere Gründe für das Vollzugsverbot für gegeben hielt 7. Der Auslöser für diese Arbeit war danach zwar ein konkreter Fall, welcher die verfassungsrechtliche Konfliktlage offenbarte – die hierfür zu suchenden Lösungen sind jedoch ebenso wie der darzustellende Prinzipienwiderstreit grundsätzlicher Natur.
6 Vgl. dazu die wichtigsten Stellungnahmen und (Rechts-)Gutachten und die Beziehungen ihrer Autoren zu einzelnen Verfahrensbeteiligten. Neben diesem bereits mit der Thematik (vor-)befaßten Kreis gab es keine weiteren juristischen Ausführungen, welche lediglich zu wissenschaftlichen Zwecken erarbeitet wurden. Im Auftrag der E.ON AG erstellte Gutachten: Bunte, Rechtswissenschaftliches Gutachten im Auftrag der Firma E.ON AG in dem Zusammenschlussvorhaben E.ON/Gelsenberg/Bergemann zum Antrag auf Ministererlaubnis gemäß § 42 GWB; Kirchhof/Puhl, Gutachten zur Zuständigkeit für die Entscheidung zur Genehmigung des E.ON/Ruhrgas-Zusammenschlusses gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB. Im Auftrag von anderen (den Zusammenschluß ablehnenden) Verfahrensbeteiligten erstellte Gutachten: Hermes/Wieland, Rechtsgutachten im Auftrag einer Rechtsanwaltskanzlei, welche div. Beigeladene vertrat, veröffentlicht in ZNER 2002, 158 ff. (Teil 1) u. 267 ff. (Teil 2); Assistent am Lehrstuhl Prof. Wieland, Droege, WuW 2002, 930 ff.; Assistent am Lehrstuhl Prof. Wieland, Kellner, ZNER 2002, 275ff.; Möschel, BB 2002, 2077 ff. als Gutachter für RWE; Lenz, NJW 2002, 2370 f. als Rechtsanwalt für die EnBW AG. Für die Bundesregierung bzw. das Bundeswirtschaftsministerium handelnd: Bechtold als Rechtsanwalt, BB 2003, 1021 ff. u. DB 2004, 235 ff.; Staebe als Rechtsanwalt derselben Kanzlei und zum damaligen Zeitpunkt für das Ministererlaubnisverfahren (mit-)zuständiger Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministeriums, WuW 2003, 714 ff. Büdenbender, EWiR 2 (2003), 65 (66): „Dies wird verbunden mit einer in der Geschichte der Fusionskontrolle einzigartigen Materialschlacht von Gutachten und Gegengutachten in wirtschaftlicher und wettbewerbspolitischer Hinsicht, die – vielfach als neutrale wissenschaftliche Abhandlungen formuliert oder auch „getarnt“ – das Schrifttum erreicht haben.“ 7 OLG Düsseldorf, Beschluß v. 11.07.2002, Rn. 9; www.olg-duesseldorf.de/.
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Der Gang der Arbeit Das soeben skizzenhaft dargestellte Ministererlaubnisverfahren im Fall E.ON/ Ruhrgas hat in seinem Verlaufe verfassungsrechtliche Problemkonstellationen ans Licht befördert, welche in ihren Dimensionen jenen der wirtschaftlichen resp. wirtschaftspolitischen in nichts nachstehen. Das Schlaglicht, das durch das konkrete Zusammenschlußvorhaben auf die Verfassung, ihre Strukturprinzipien und mögliche bisher ungesehene Friktionen derselben geworfen wurde, soll zum Anlaß genommen werden, anhand einer umfassenden Analyse die Problemfelder und denkbare Lösungsansätze hierfür zu untersuchen. Zentrum der Analyse müssen die Vorgänge innerhalb des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie bei der Erteilung der Ministererlaubnis sein. Der an den Bundesminister gerichtete Antrag auf Erteilung der Erlaubnis wurde durch einen beamteten Staatssekretär im Ministerium bearbeitet und in vollkommener rechtlicher und faktischer Eigenständigkeit verbeschieden. Durch das Ausscheiden des Ministers aus dem Verfahren, wurde das spitzenhierarchische Weisungsgefüge aufgehoben. Der Gang der Arbeit orientiert sich somit an den aufgeworfenen Problemfeldern, welche es je für sich einer Analyse zu unterziehen gilt, und mündet in eine lösungsorientierte Konfrontation der gefundenen (widerstreitenden) Ergebnisse. Mit einem Überblick über die Bedeutung, Stellung und rechtliche Strukturen der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen sowie einer kurzen chronologischen Darstellung der wichtigsten Stationen auf dem Weg von der Fusionsplanung bis zu ihrem Vollzug ist in Kapitel 1 zu beginnen, um diese Betrachtungen als Basis für die weiteren Ausführungen und Überlegungen zur Verfügung zu haben. Im daran anschließenden Kapitel 2 ist der Frage nachzugehen, ob, und wenn ja, inwieweit ein – vielleicht auch nur scheinbar – am Verfahrensausgang persönlich Interessierter bei Ausübung staatlicher Aufgaben als Sachentscheider vom Verfahren nach Maßgabe des einfachen Gesetzesrechts sowie von Verfassungs wegen ausgeschlossen werden muß. Intensiver Begutachtung bedarf dabei insbesondere die Frage, ob dies ausnahmslos – auch und gerade für einen Bundesminister – der Fall sein muß und ob sich diese Forderung als eine solche der Verfassung selbst darlegen läßt. Die Stellung des Souveräns in der deutschen Verfassung und die Ausprägung, die das Demokratieprinzip im Grundgesetz gefunden hat, sind Gegenstand der Betrachtungen des ersten Teils in Kapitel 3. Insbesondere die Fragen nach der Notwendigkeit einer lückenlosen Durchdringung sämtlicher hoheitlicher Staatstätigkeit mit dem Geist der Demokratie und ihrer ständigen Rückbindung an die Volksvertretung müssen dabei ebenso untersucht werden wie die Art und Weise der Sicherstellung und Vermittlung demokratischer Legitimation in diesem System.
Einleitung
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Medium der Sichtbarmachung und zugleich unmittelbare Konsequenz des Demokratieprinzips und der daraus abzuleitenden Notwendigkeit der Rückführung sämtlicher Hoheitsgewaltausübung auf das Volk ist der Zentralbegriff der Verantwortlichkeit, hier konkretisiert auf den Bereich der Ministerverantwortlichkeit. Existenz und Ausgestaltung sowie die Frage nach eventuell verfassungsrechtlich vorgesehenen Ausnahmen hiervon sind im zweiten Teil des Kapitels 3 zu untersuchen, insbesondere im Hinblick auf die Kernthematik einer Korrelation von Weisungs-/Letztentscheidungsbefugnis und der Verantwortlichkeit für das Entscheidungsergebnis. Mögen die einzelnen Betrachtungen und verfassungsrechtlichen Analysen auch zu überzeugenden und verfassungsrechtlich je für sich zwingenden Ergebnissen führen, wird die Spannung innerhalb des aus den einzelnen Steinen zusammengesetzten Mosaiks überdeutlich. Ziel des Kapitels 4 muß es daher sein, in einem ersten Schritt das sich offenbarende Dilemma der widerstreitenden Verfassungsprinzipien in der Situation des befangenen Bundesministers als Sachentscheider aufzuzeigen und in einem zweiten Schritt dieses Dilemma de constitutione lata aufzulösen oder in einem dritten und letzten Schritt de lege ferenda oder gar de constitutione ferenda einer verfassungsgemäßen Regelung erstmals zuzuführen.
Kapitel 1
Das Ministererlaubnisverfahren E.ON AG / Ruhrgas Aktiengesellschaft als Präzedenzfall Das wirtschaftliche und vor allem auch wirtschaftspolitische Interesse, welches das Zusammenschlußvorhaben E.ON/Ruhrgas von Anfang an begleitete, wird vor dem Hintergrund des Zahlenwerks und der energiepolitischen sowie wettbewerbsrechtlichen Brisanz verständlich 1. Selbst im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Betrachtung können die allgemein(staats-)politischen Dimensionen unter Umständen beachtenswerte Auswirkungen haben, so daß die Ereignisse des Verfahrens vorliegend zumindest in skizzenhafter Form darzulegen sind. Dies gilt vor allem für die – um hier nur einen Ausschnitt zu nennen – Betrachtung und Auslegung der Begrifflichkeit einer „Stellvertretung in der Regierung“ nach der GOBReg, welche sich unter Umständen an einer zu eruierenden „Wichtigkeit“ der Entscheidung orientieren könnte. Die Deutung und nähere Bestimmung des Begriffes der „Wichtigkeit“ aber muß – zumindest zu einem erheblichen Teil – auf die wirtschaftliche und energie-/versorgungspolitische Dimension des Zusammenschlusses zurückgreifen. Raum für die Einbeziehung diesbezüglicher Überlegungen bieten vor allem einzelne verfassungsrechtliche Normen, welche die innere Organisation der Bundesregierung betreffen und im weiteren die Bestimmungen der Geschäftsordnung der Bundesregierung, die diese näher konkretisieren 2.
§ 1 Die beteiligten Unternehmen des Zusammenschlusses und ihre wirtschaftliche Bedeutung vor und nach der Fusion Die Fusion der E.ON AG mit der Ruhrgas AG führte zwei der wirtschaftlich und energiepolitisch bedeutendsten Unternehmen Deutschlands zusammen, wie ein kurzer Blick auf einige Kennzahlen verdeutlicht. Die Konzentration lag 1 Vgl. zum folgenden die Beschlüsse des Bundeskartellamtes v. 17.01.2002, B 8-40000U-109/01 und v. 26.02.2002, B 8-40000-U-149/01. 2 Dazu insbesondere Kapitel 4, § 13.
§ 1 Die beteiligten Unternehmen
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dabei auf den wichtigsten Daten und Strukturmerkmalen, welche eine Einschätzung der allgemein- und wirtschaftspolitischen Bedeutung beider Unternehmen ermöglichen. Im Blickpunkt standen die Kategorien der Versorgungssicherheit und Marktbeherrschung sowohl vor als auch nach dem Zusammenschluß.
I. Überblick über den Fusionspartner E.ON AG Die E.ON AG entstand durch die Verschmelzung der Vorgängerunternehmen VEBA AG und VIAG AG und wurde am 16. Juni 2000 in das Handelsregister Düsseldorf eingetragen. Im Geschäftsjahr 2001 erzielte der E.ON-Konzern einen Brutto-Umsatz von ca. 80 Milliarden Euro, beschäftigte ca. 150.000 Mitarbeiter und gehört damit zu den zehn größten Unternehmen in Deutschland 3. Der Energiekonzern ist unmittelbar und mittelbar an über 200 Unternehmen im Energiebereich mit mindestens zehn Prozent beteiligt und ist auf allen Stufen der Elektrizitätswirtschaft tätig, so bei Stromversorgung, -transport, -verteilung und -letztversorgung. Im Bereich der Stromwirtschaft kann als Konkurrent einzig der RWE-Konzern ein nennenswertes Gegengewicht bilden, mit welchem der E.ONKonzern zusammen aus wettbewerblicher Sicht ein marktbeherrschendes Duopol im Sinne von § 19 Abs. 2 S. 2 GWB bildet 4. Auch im Gasgeschäft ist E.ON in nicht unerheblichem Umfang tätig und wirkt in der regionalen Gasverteilung und -letztversorgung durch diverse Konzernund Beteiligungsgesellschaften auf dem Markt mit 5. Von diesen Gesellschaften beziehen zahlreiche Unternehmen ihr Erdgas von der Ruhrgas AG.
3 Vgl. Sondergutachten der Monopolkommission Nr. 34 v. 13.05.2002, S. 7; www.monopolkommission.de/sg/_34/text/_s34.pdf. Im Jahre 2000 erreichte die E.ON AG einen konsolidierten Umsatz des Gesamtkonzerns von 93,24 Milliarden Euro und lag damit nach der Volkswagen AG und der DaimlerChrysler AG an dritter Stelle aller deutschen Unternehmen; vgl. 14. Hauptgutachten der Monopolkommission 2000/2001, „Netzwettbewerb durch Regulierung“, S. 197, Tabelle III.7. 4 Die E.ON AG war an 218 Zusammenschlüssen beteiligt, die dem Bundeskartellamt 2000 und 2001 angezeigt wurden. Damit liegt sie an zweiter Stelle hinter der RWE AG, die an 252 Zusammenschlüssen beteiligt war. Das drittplatzierte Unternehmen zeigte 86 Zusammenschlüsse an; vgl. 14. Hauptgutachten der Monopolkommission 2000/2001, „Netzwettbewerb durch Regulierung“, S. 247 ff., Tabelle III. 22. 5 E.ON hält an ca. 90 Gasversorgungsunternehmen 25-49,9%; an ca. 30 Gasversorgungsunternehmen 20-24,9%; an ca. 20 Gasversorgungsunternehmen 10-19,9%, Beschluß des BKartA v. 26.02.2002, S. 27 f., www.bundeskartellamt.de. Daneben ist die E.ON-Tochter E.ON-Energie zudem größter privater Wasserversorger Deutschlands über ihre 80%Beteiligung an Gelsenwasser, vgl. Kurzbericht E.ON-Energie 2002, S. 20, www.eon-energie.com/Ressources/downloads/GB_Lay1203 .pdf. Noch vor der Übernahme der Ruhrgas AG wurde die E.ON AG auf dem Strommarkt in Großbritannien durch zwei Übernahmen dort zur Nummer eins und im Bereich der Gaswirtschaft zur Nummer zwei, FAZ v. 22.10.2002, S. 17.
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Kap. 1: Das Ministererlaubnisverfahren E.ON AG/Ruhrgas Aktiengesellschaft
II. Überblick über den Fusionspartner Ruhrgas Aktiengesellschaft Die Ruhrgas AG liegt im europäischen Wettbewerb an dritter Stelle hinsichtlich des Marktanteils am europäischen Gasaufkommen und ist für Deutschland das mit Abstand größte importierende Ferngasunternehmen. Ruhrgas erreicht etwa 60% des gesamten inländischen Gasaufkommens und erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2001 einen Konzernumsatzerlös von ca. 13,3 Milliarden Euro 6. Die Ruhrgas AG selbst ist an zahlreichen energiewirtschaftlichen Unternehmungen beteiligt. Des weiteren beliefert sie etwa 90% aller Weiterverteiler in ihrem Ferngasleitungsnetz, welches das ausgedehnteste in Deutschland ist. Bei den zusammen mit anderen Gasimporteuren gebildeten Einkaufskonsortien übernimmt die Ruhrgas AG üblicherweise die Verhandlungsleitung gegenüber den Exporteuren. Besonderes Augenmerk ist zudem auf die langfristigen, strategischen Investitionen der Ruhrgas AG bei der russischen GAZPROM zu richten. Durch ein im internationalen Vergleich hohes und intensives Engagement bestehen zwischen diesen Unternehmen enge Beziehungen, die sowohl Einkaufsmacht als auch sichere und langfristige Belieferung miteinander verbinden 7. Bundeskartellamt und Monopolkommission attestieren der Ruhrgas AG in Deutschland übereinstimmend eine marktbeherrschende Stellung im Bereich der Gaswirtschaft 8.
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Jahresabschluß Ruhrgas Konzern, Überblick 2003, www.ruhrgas.de/dateien/Jahresabschluss_im _Ueberblick.pdf. 7 Die Ruhrgas AG war im Jahre 2002 größter ausländischer Aktionär mit ca. 5,5% (der Anteil soll in absehbarer Zeit auf 10% ausgebaut werden) und einziges Unternehmen insgesamt, das ein Mitglied im Direktorenrat von GAZPROM stellte. Dabei ist zu berücksichtigen, daß ca. 20% des gesamten Primärenergieverbrauchs Deutschlands auf Erdgas entfallen, wovon rund 80% importiert werden müssen. Gemäß des Energieberichts 2001 des Bundeswirtschaftsministeriums soll der Erdgasanteil am Primärenergieverbrauch 2020 in Deutschland zwischen 28 und 40% liegen. Dabei kommen heute ca. 36% des nach Deutschland importierten Erdgases aus Rußland, was bedeutet, daß diese 36% von GAZPROM als Exportmonopolist geliefert werden. Deutschland ist mit Abstand größter europäischer Abnehmer russischen Erdgases. Bis in das Jahr 2030 hat die Ruhrgas AG sich vertraglich eine Lieferquote von einem Drittel ihres benötigten Erdgases durch GAZPROM gesichert. In Rußland sind nach derzeitigen Erkenntnissen die größten Erdgasvorkommen der Welt lokalisiert. www.bmwi.de/Redaktion/Inhalte/Downloads/ 1/energiebericht1,property=pdf.pdf; www.ruhrgas.de; www.gazprom.com. 8 Vgl. Beschluß des Bundeskartellamtes v. 26.02.2002, B 8-40000-U-149/01, S. 24, sowie das ergänzende Sondergutachten der Monopolkommission Nr. 35 v. 05.09.2002, S. 10; www.monopolkom-mission.de/sg_35/text_s35.pdf.
§ 1 Die beteiligten Unternehmen
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III. Überblick über die (ehemalige) Aktionärsstruktur der Ruhrgas Aktiengesellschaft Bis Juli 2001 war die E.ON AG – mittelbar – Aktionärin der Ruhrgas AG mit einem Anteil von weniger als 0,1%. Um ihr Ziel einer 100%igen Kapital- und Stimmenbeteiligung zu verwirklichen, mußte sie sich mit den übrigen Aktionären unmittelbar über einen Verkauf ihrer Anteile einigen, da die Anteile nicht an der Börse gehandelt wurden. Die Anteilseigner der Ruhrgas AG kamen fast ausschließlich aus dem Energiesektor. Hauptanteilseigner waren die Gelsenberg AG und die Bergemann GmbH, beides Holdinggesellschaften, die gemeinsam einen Kapitalanteil von ca. 60% hielten 9. Weitere beteiligungsrechtlich relevante Unternehmen waren die Schubert KG sowie die BEB Erdgas und Erdöl GmbH, welche addiert die übrigen ca. 40% der Anteile im Besitz hatten 10. Graphisch läßt sich die ehemalige Eigentümerstruktur der Ruhrgas AG folgendermaßen veranschaulichen 11:
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Die Gelsenberg AG ist eine 100%ige Tochter der Deutschen BP AG. In die Bergemann GmbH haben (als nicht-E.ON-assoziierte Unternehmen) die RAG BeteiligungsGmbH, Vodafone Mannesmann AG, ThyssenKrupp AG, RWE-DEA AG, EBV AG, Harpen AG, Hydro Gas and Chemicals GmbH, RWE Systems AG und Preussag Energie AG ihre Stimmen zu einem gemeinsamen Pool gebündelt, um ein einheitliches Auftreten in den Entscheidungsgremien der Ruhrgas AG sicherzustellen. Vgl. Sondergutachten der Monopolkommission Nr. 34 v. 13.05.2002, S. 11 f.; www.monopolkommis-sion.de/sg_34/ text_s34.pdf; s. dort auch zu der einzelnen prozentualen Verteilung der Anteile auf die beteiligten Unternehmen. 10 Gesellschafterin der Schubert KG waren die Schubert Beteiligungs-GmbH (Mobil Erdgas-Erdöl GmbH u. Preussag Energie GmbH), die BEB Erdgas und Erdöl GmbH sowie die Gelsenberg AG. An der BEB Erdgas und Erdöl GmbH waren die Deutsche Shell GmbH und die Esso Deutschland GmbH mit jeweils 50% Gesellschaftsanteil beteiligt. Vgl. Sondergutachten der Monopolkommission Nr. 34 v. 13.05.2002, S.11 f.; www.monopolkommission.de/sg_34/text_s34.pdf. 11 Die Aktionärsstruktur ist überblicksartig darzustellen, um die folgend zu erwähnenden Anteilsübernahmen von einzelnen Aktionären der Ruhrgas AG sowie die Reaktionen des Bundeskartellamts hierauf nachzeichnen zu können, insbesondere im Hinblick auf die Erreichung eines beherrschenden Einflusses durch die E.ON AG.
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Kap. 1: Das Ministererlaubnisverfahren E.ON AG/Ruhrgas Aktiengesellschaft
Quelle: Sondergutachten der Monopolkommission Nr. 34 v. 13.05.2002, S. 11; www.monopolkommission.de/sg_34/text_s34.pdf.
Innerhalb der Anteilseignerschaft fanden Stimmrechtsübertragungen dergestalt statt, daß sich die Eigentümerstruktur nicht mehr mit der Stimmrechtsverteilung deckte. Die Gelsenberg AG übertrug ihre Stimmrechte aus der Beteiligung an der Ruhrgas AG auf ihre Mitgesellschafterin. Die Bergemann GmbH erhielt das Recht zur Ausübung der Stimmrechte aus 25 % der Anteile. Durch die Bildung des Stimmrechtspools und der Stimmrechtsübertragung verfügt die Bergemann GmbH über die Stimmenmehrheit an der Ruhrgas AG mit 59,7558% der Stimmen. Die Gelsenberg AG übte dabei – wenn auch nur mittelbar (ihr wurde bei Entscheidungen der Bergemann GmbH die Ruhrgas AG betreffend ein entsprechend höherer Stimmenanteil zugestanden) – ein Viertel der Stimmrechtsanteile an der Ruhrgas AG aus. Die vormalige Verteilung der Stimmrechte in der Hauptversammlung der Ruhrgas AG läßt sich wie folgt darstellen:
§ 1 Die beteiligten Unternehmen
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Quelle: Sondergutachten der Monopolkommission Nr. 34 v. 13.05.2002, S. 12; www.monopolkommission.de/sg_34/text_s34.pdf.
IV. Die Stellung des fusionierten Konzerns Erklärtes Ziel der Fusion war es, einen vertikal-integrierten Konzern zu schaffen, der im europäischen Wettbewerb bestehen und für die energiebezogene Versorgungssicherheit in Deutschland sorgen könnte. Bereits vor dem Zusammenschluß verfügte die E.ON AG im Bereich der Gasverteilung über ein regional breit aufgestelltes Beteiligungsportfolio. Im sog. „Upstream-Bereich“ (Erforschung, Ausbeutung von Erdgaslagern sowie Import und Erdgasferntransport) indes konnte sie, anders als ihre europäischen Konkurrenten, noch keine Kapazitäten vorweisen. Durch die Übernahme der Ruhrgas AG und Eingliederung in den Konzern wurde dieser essentielle Teilbereich dem Unternehmen ergänzend hinzugefügt, da die E.ON AG somit die Herrschaft über den bedeutendsten inländischen Anbieter der für die Stromerzeugung zukunftsträchtigsten Primärenergie Erdgas erlangt hat 12. Die Integration des ehemaligen Erdgaslieferanten in die konzerneigene Struktur versetzt die E.ON AG in die Lage, von der Exploration bis zur Belieferung des Endkunden alle Wertschöpfungsschritte voll für sich zu nutzen. Auf der anderen Seite wurde auch die Ruhrgas AG in ihrer europäischen Wettbewerbsstellung erheblich gestärkt. Hatte die E.ON AG vormals mehrere Zulieferer für Erdgas, ist es ihr jetzt möglich, den gesamten Bedarf über ihre Tochtergesellschaft zu decken, die ihrerseits Abnehmersicherheit bezüglich erheblicher Produktionsmengen erhält. Im Resultat entsteht durch den Zusammenschluß E.ON/Ruhrgas ein vertikalintegrierter Strom- und Gaskonzern, wobei die Integration sämtliche Wertschöp-
12
Beschluß des BKartA v. 26.02.2002, S. 52, B 8-40000-U-149/01.
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Kap. 1: Das Ministererlaubnisverfahren E.ON AG/Ruhrgas Aktiengesellschaft
fungsstufen sowohl der Gas- als auch der Stromversorgung erfaßt und die beiden auf den jeweiligen Sektoren dominierenden Unternehmen zusammenführt. Aufgrund des in verschiedenen Bereichen bestehenden Substitutionsverhältnisses zwischen Strom und Gas weisen die Zusammenschlußvorhaben zugleich eine bedeutende horizontale Dimension auf. Die Verknüpfung strom- und gaswirtschaftlicher Aktivitäten begründet in der Folge einen außerordentlichen Verhaltensspielraum von E.ON/Ruhrgas 13. Im Gasbereich wurde die bereits bestehende marktbeherrschende Stellung der Ruhrgas AG bei der Erstbelieferung von Gasweiterverteilern ebenso verstärkt, wie diejenige des E.ON-Konzerns bei der Belieferung von letztverbrauchenden Gasgroßkunden einerseits und von lokalen Gasweiterverteilern (Stadtwerke) andererseits 14. Gleiches gilt für den Strombereich. Hier wurde durch den vollzogenen Zusammenschluß die bestehende marktbeherrschende Stellung des E.ON-Konzerns (zusammen mit der RWE AG) auf den Märkten der Belieferung von industriellen/gewerblichen Stromgroßkunden einerseits und der Belieferung von weiterverteilenden Stromversorgungsunternehmen andererseits verstärkt 15. Der E.ON-Konzern ist nach Durchführung des Zusammenschlusses zum größten privaten Energieversorger der westlichen Welt aufgestiegen 16.
§ 2 Chronologische Darstellung der wesentlichen Schritte auf dem Weg zur Fusion Von den ersten (offiziellen) Schritten der Planung eines Erwerbs sämtlicher Ruhrgas-Anteile durch die E.ON AG im Juli 2001 dauerte es noch mehr als zweieinhalb Jahre, bis am 31. Januar 2003 sämtliche Beschwerdeführer ihre Beschwerden vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf zurückzogen und die E.ON AG im Zuge der bestandskräftigen (modifizierten) Ministererlaubnis im März 2003 durch Akquisition weiterer Gesellschaftsanteile endgültig alleinige Eigentüme-
13 Vgl. Sondergutachten der Monopolkommission Nr. 34 v. 13.05.2002, S. 67; www.monopolkom-mission.de/sg_34/text_s34.pdf. 14 Einschätzung des BKartA bei Durchführung der Fusion, in: Beschluß des BKartA v. 26.02.2002, S. 26 ff.; Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung bedeutet dabei „die Veränderung der die Marktmacht bestimmenden Größen dergestalt, dass die die Macht auf einem bestimmten Markt neutralisierende Wirkung des Wettbewerbs im Wege der Änderung von markt- und unternehmensbezogenen Strukturen in noch höherem Maß eingeschränkt wird, als dies vor dem Zusammenschluss der Fall war (WuW/E BGH 2795, 3804 „Pinneberger Tageblatt“)“, S. 35. 15 Einschätzung des BKartA bei Durchführung der Fusion, in: Beschluß des BKartA v. 26.02.2002, S. 40 ff. 16 FAZ v. 01.02.2003, S. 11, „Eon ist bei Ruhrgas am Ziel“.
§ 2 Chronologische Darstellung
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rin der Ruhrgas AG wurde. Die wesentlichen Eckpunkte dieses Prozesses waren folgende: 16. Juli 2001: E.ON und BP vereinbaren eine Neustrukturierung ihrer Öl- und Gasaktivitäten in Deutschland. E.ON soll im Zuge einer Kapitalerhöhung 51% an der BP-Tochter Gelsenberg AG übernehmen. BP hat die Option, die verbleibende Gelsenberg-Beteiligung in Höhe von 49% an E.ON zu verkaufen 17 . 15./16. August 2001: E.ON beantragt beim Bundeskartellamt gem. § 39 GWB die Genehmigung für den Zusammenschluß mit der Gelsenberg AG 18. 09. November 2001: E.ON beantragt beim Bundeskartellamt gem. § 39 GWB die Genehmigung für den Zusammenschluß mit der Bergemann GmbH. E.ON wollte die bestehende Anteilsbeteiligung von 0,1827% auf 99,8453% erhöhen 19. Nach Durchführung auch dieses Zusammenschlusses würde E.ON mit 59,7558% die Stimmenmehrheit an der Ruhrgas AG kontrollieren. 17. Januar 2002: Das Bundeskartellamt untersagt durch Beschluß das angemeldete Zusammenschlußvorhaben E.ON/Gelsenberg wegen zu erwartender Verstärkung marktbeherrschender Stellungen sowohl beim Absatz von Gas als auch beim Absatz von Strom 20. 15./18. Februar 2002: E.ON beantragt den Erlaß einer Ministererlaubnis nach § 42 GWB für die Übernahme der Mehrheit der Anteile an der Gelsenberg AG beim damaligen Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Dr. Werner Müller 21. 20. Februar 2002: Beauftragung der Monopolkommission durch den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie gem. § 42 Abs. 4 S. 2 GWB mit einer gutachterlichen Stellungnahme zu dem Zusammenschlußvorhaben E.ON/Gelsenberg. Mit Schreiben vom 20.03.2002 wird der Auftrag auf das Zusammenschlußvorhaben E.ON/Bergemann erweitert. 20./21. Februar 2002: Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie erklärt in Schreiben an seinen beamteten Staatssekretär und Bundeskanzler Schröder, daß er sich weiterer Mitwirkung im Ministererlaubnisverfahren E.ON/Gelsenberg enthalten werde, da es vermehrt zu Äußerungen über eine Besorgnis der Befangenheit bezüglich seiner Person in dem Verfahren in der Öffentlichkeit und Fachkreisen gekommen sei. Die Entscheidung in der Sache hat der Bundesminister in den Schreiben dem beamteten Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Dr. Alfred Tacke übertragen 22. 26. Februar 2002: Das Bundeskartellamt untersagt durch Beschluß das angemeldete Zusammenschlußvorhaben E.ON/Bergemann wegen zu erwartender Verstärkung marktbeherrschender Stellungen sowohl beim Absatz von Gas als auch beim Absatz von Strom 23.
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Vereinbarung der E.ON AG mit BP über VEBA Oel und Gelsenberg/Ruhrgas v. 16. Juli 2001; www.eon-ag.com/onlineres/common/download/conference_call_1607_d.pdf. 18 Beschluß des BKartA v. 17.01.2002, B 8-40000-U-109/01, S. 4 f. 19 Beschluß des BKartA v. 26.02.2002, B 8-40000-U-149/01, S. 5. Ein Erwerb von Bergemann-Geschäftsanteilen wurde bereits mit Vertrag vom 13.06.2000 vereinbart, Beschluß OLG Düsseldorf v. 25.07.2002, WuW/E DE-R 926 (931). 20 Beschluß des BKartA v. 17.01.2002, B 8-40000-U-109/01. 21 Pressemitteilung des BMWI v. 19.02.2002, www.bmwi.de. 22 Ministererlaubnis v. 05.07.2002, Nr. 28., www.bmwi.de.
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Kap. 1: Das Ministererlaubnisverfahren E.ON AG/Ruhrgas Aktiengesellschaft
4./5. März 2002: E.ON beantragt den Erlaß einer Ministererlaubnis nach § 42 GWB beim damaligen Bundesminister für Wirtschaft und Technologie für die Übernahme der Mehrheit der Anteile an der Bergemann GmbH 24. 12. März 2002: Ab diesem Zeitpunkt Erlaß zahlreicher Verfügungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie über die Beiladung von ca. 30 Unternehmen und Verbänden zu den Verfahren 25. 02. April 2002: Verbindung der Ministererlaubnisverfahren E.ON/Gelsenberg und E.ON/ Bergemann zum Verfahren E.ON/Ruhrgas 26. Zugleich Schreiben an die Beteiligten und Beigeladenen mit der Mitteilung der Übertragung der Entscheidung an den beamteten Staatssekretär 27. 14. April 2002: Beginn von Gesprächen und Verhandlungen mit Beteiligten und Beigeladenen unter Mitwirkung resp. Leitung des Staatssekretärs und Mitarbeitern im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 28. 13. Mai 2002: Die Monopolkommission kommt in dem bei ihr in Auftrag gegebenen Sondergutachten zu der Empfehlung, die beiden Zusammenschlußvorhaben E.ON/Gelsenberg und E.ON/ Bergemann nicht zu genehmigen. Als Grund führt sie die Entstehung nicht zu rechtfertigender besonders schwerwiegender Wettbewerbsbeeinträchtigungen an 29. 29. Mai 2002: Einzige öffentliche mündliche Verhandlung im Verfahren E.ON/Ruhrgas. Diese findet unter Leitung eines Ministerialdirektors des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie statt 30. 03. Juli 2002: E.ON trifft Vereinbarungen zum Erwerb der 40%-Beteiligung an Ruhrgas, die von ExxonMobil, Shell und Preussag über die Schubert KG sowie BEB Erdgas und Erdöl GmbH gehalten wird 31. 05. Juli 2002: Erteilung der Ministererlaubnis nach § 42 GWB in beiden beantragten Fällen unter Auflagen durch den beamteten Staatssekretär 32. In diesem Zusammenhang übernimmt E.ON von BP die restlichen 49% der Anteile an der Gelsenberg AG und wird damit ihr alleiniger Eigentümer. 08./10. Juli 2002: Eingang der an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie gerichteten Beschwerden von im Verfahren beigeladenen konkurrierenden Unternehmen gegen die Erteilung der Ministererlaubnis 33.
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Beschluß des BKartA v. 26.02.2002, B 8-40000-U-149/01. Pressemitteilung des BMWI v. 06.03.2002, www.bmwi.de. 25 Ministererlaubnis v. 05.07.2002, Nr. 26. u. 30 ff., www.bmwi.de. 26 Ministererlaubnis v. 05.07.2002, Nr. 27., www.bmwi.de. 27 Ministererlaubnis v. 05.07.2002, Nr. 28., www.bmwi.de. 28 Ministererlaubnis v. 05.07.2002, Nr. 34 ff., www.bmwi.de. 29 Sondergutachten der Monopolkommission Nr. 34 v. 13.05.2002; www.monopolkommission.de/ sg_34/text_s34.pdf. 30 OLG Düsseldorf, Beschluß v. 11.07.2002, Rn. 13, www.olg-duesseldorf.de/. 31 FAZ v. 05.07.2002, S. 14. 32 Ministererlaubnis v. 05.07.2002, www.bmwi.de. 33 OLG Düsseldorf, Beschluß v. 11.07.2002, Rn. 3, www.olg-duesseldorf.de/. 24
§ 2 Chronologische Darstellung
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10. Juli 2002: Konkurrierende Unternehmen beantragen den Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen die Vollziehung der Ministererlaubnis beim Oberlandesgericht Düsseldorf 34. 11. Juli 2002: Auf die Anträge hin ergeht vorläufig eine einstweilige Anordnung durch den Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf 35. Darin wird die aufschiebenden Wirkung der eingelegten Beschwerden angeordnet. Der Beschluß beinhaltet ein Verbot, die genehmigten Zusammenschlüsse zu vollziehen oder an deren Vollzug mitzuwirken. Der Senat stützt seinen Beschluß auf ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung des Antragsgegners, resultierend aus der Annahme gravierender Verfahrensfehler beim Zustandekommen der Ministererlaubnis. Als solche gravierenden Verfahrensfehler sieht das Gericht unter anderem die Abwesenheit des Entscheidenden, hier des Staatssekretärs unter Vorbehalt seiner Zuständigkeit, bei der einzigen öffentlichen mündlichen Verhandlung an sowie die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den Informationsaustausch zwischen den Beteiligten und dem Ministerium, ohne den Beigeladenen die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. 25. Juli 2002: Der Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf bestätigt seine vorläufig beschlossenen einstweiligen Anordnungen 36. 05. September 2002: Durchführung einer erneuten öffentlichen mündlichen Verhandlung in Anwesenheit des beamteten Staatssekretärs mit dem Ziel, die vom Kartellsenat gerügten Verfahrensfehler zu heilen 37. 05. September 2002: In ihrem ergänzenden Sondergutachten gem. § 44 Abs. 1 S. 4 GWB kommt die Monopolkommission erneut zu dem Ergebnis, daß die beantragten Zusammenschlußgenehmigungen aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht erteilt werden dürften 38. 18. September 2002: Der Staatssekretär erhält die Erlaubnisverfügung vom 05. Juli 2002 für die Zusammenschlußvorhaben im Grundsatz aufrecht; eine Abänderung dieser wird hinsichtlich einer Verschärfung verschiedener Auflagen vorgenommen 39. 18. September 2002: Der Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf stellt durch Beschluß fest, daß die einstweiligen Anordnungen auch gegenüber einer weiteren Erlaubnisverfügung bzw. deren Änderung bis zur (endgültigen) Beschwerdeentscheidung fortbestehen 40. 20. September 2002: Antrag des Staatssekretärs gem. § 65 Abs. 5 S. 1 GWB an das Oberlandesgericht Düsseldorf auf Aufhebung der bisher in dem Verfahren ergangenen Beschlüsse und die Zurückweisung der Anträge auf Erlaß der einstweiligen Anordnungen 41.
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OLG Düsseldorf, Beschluß v. 11.07.2002, Tenor II., www.olg-duesseldorf.de/. OLG Düsseldorf, Beschluß v. 11.07.2002, www.olg-duesseldorf.de/. 36 OLG Düsseldorf, Beschluß v. 25.07.2002, WuW/E DE-R 926. 37 Modifizierte Ministererlaubnis v. 18.09.2002, Nr. 27 ff. 38 Ergänzendes Sondergutachten der Monopolkommission Nr. 35 v. 05.09.2002; www.monopolkommission.de/sg_35/text_s35.pdf. 39 Modifizierte Ministererlaubnis v. 18.09.2002, WuW/E DE-V 643 ff. 40 OLG Düsseldorf, Beschluß v. 18.09.2002, WuW/E DE-R 943 ff. 41 OLG Düsseldorf, Beschluß v. 16.12.2002, NJOZ 2003, 546 (547). 35
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Kap. 1: Das Ministererlaubnisverfahren E.ON AG/Ruhrgas Aktiengesellschaft
16. Dezember 2002: Beschluß des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf 42. Der Antrag auf Aufhebung der bisherigen einstweiligen Anordnungen wird zurückgewiesen und bezüglich neuer Beschwerdeführer einstweilige Anordnungen ausgesprochen und zur Klarstellung die Weitergeltung der bisherigen einstweiligen Anordnungen ergänzt. Eine rechtswirksame Heilung der monierten Verfahrensfehler wird abgelehnt, da eine solche Heilungsmöglichkeit für eine fehlerhaft durchgeführte mündliche Verhandlung im Rahmen des Ministererlaubnisverfahrens nicht bestehe. 29. Januar 2003: Termin zur mündlichen Verhandlung in den Beschwerdeverfahren. Bestimmung des 31.01.2003 als Entscheidungsverkündungstermin 43. 31. Januar 2003: Außergerichtliche Einigung zwischen der E.ON AG und den Beschwerdeführern. Auf Basis kommerzieller Absprachen, meist einen Tausch von Beteiligungen beinhaltend, ziehen alle Beschwerdeführer ihre Beschwerden zurück 44. Damit ist die Ministererlaubnis vom 05.07.2002 in Gestalt der Änderungsverfügung vom 18.09.2002 bestandskräftig 45. 07. März 2003: Die E.ON AG hat den im Juli 2002 vereinbarten Erwerb der von ExxonMobil, Shell und Preussag über die Schubert KG sowie BEB Erdgas und Erdöl GmbH gehaltenen 40%-Beteiligung an Ruhrgas vollzogen. Die E.ON AG ist damit alleinige Eigentümerin von Ruhrgas 46.
§ 3 Grundsätzliche Entscheidungszuständigkeit im Fall des § 42 Abs. 1 GWB Gegenstand des diese Untersuchung auslösenden Falles war ein Zusammenschlußvorhaben, welches den Vorschriften über die Zusammenschlußkontrolle des GWB unterworfen war. Vor einer Prüfung eventuell bestehender Vertretungsnotwendigkeiten resp. -möglichkeiten, deren Ausgestaltung und verfassungsrechtlicher Zulässigkeit, ist es erforderlich, Klarheit über die grundsätzliche Entscheidungszuständigkeit im Verfahren nach § 42 GWB zu gewinnen. Gerade im Hinblick auf ein zu erforschendes, verfassungskonformes Vertreterhandeln muß deutlich werden, in welcher Stellung, Funktion, Verantwortung und Entscheidungssphäre sich der zu Vertretende im konkreten Einzelfall befindet. Nur auf Basis der Erkenntnis über die Gesamtsituation des als Entscheider Vorgesehenen und der gesetzlich vorgesehenen Ursprungszuweisung kann es eine folgerichtige Analyse der Frage geben, welches Normenregime im Vertretungsfall anzuwenden ist. Aber auch für un-
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OLG Düsseldorf, Beschluß v. 16.12.2002, NJOZ 2003, 546 ff. OLG Düsseldorf, Pressemitteilungen v. 09.01.2003 und 31.01.2003, www.olg-duesseldorf. nrw.de/. 44 E.ON, Pressemitteilung v. 31.01.2003; www.eon-ag.com. 45 OLG Düsseldorf, Pressemitteilung v. 31.01.2003, www.olg-duesseldorf.nrw.de/. 46 E.ON Geschichte 2000-2004, www.eon-ag.com. 43
§ 3 Grundsätzliche Entscheidungszuständigkeit
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ter Umständen im weiteren Verlauf vorzunehmende Korrekturen im Wege einer verfassungskonformen Auslegung ist Voraussetzung, daß die gesetzgeberische Intention und grundsätzliche Norminterpretation herangezogen werden kann. Gemäß § 42 Abs. 1 S. 1 GWB erteilt der „Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit ( . . . ) auf Antrag die Erlaubnis zu einem vom Bundeskartellamt untersagten Zusammenschluß, ( . . . )“. Amtlich überschrieben ist der Paragraph mit dem Begriff „Ministererlaubnis“. Damit wird deutlich: Der Minister entscheidet über den Antrag, unterzeichnet die Erlaubnis und trägt hierfür die Verantwortung. Das Gesetz sieht eine Zuweisung der Entscheidung an seine Person als Amtsinhaber vor 47. Die zugrunde zu legende Prämisse scheint geklärt zu sein. Bei genauerer Betrachtung ist dies jedoch nicht der Fall. Vielmehr beginnt an gerade diesem Punkt die angesprochene Untersuchung der funktionellen und situativen Komponenten der Entscheidungszuweisung. Hierzu ist ein kursorischer Überblick über den Verfahrensablauf und eine nähere Betrachtung der ministeriellen Funktion in diesem Verfahren notwendig. Die wettbewerbsrechtliche Zusammenschlußkontrolle kann aus einem zweistufigen Verfahren bestehen, was bei einer Untersagungsverfügung auf der ersten Stufe zumeist der Fall ist. Diese erste Stufe ist vor dem Bundeskartellamt einzuleiten, bei dessen negativem Entscheid eine zweite vor dem Beschwerdegericht oder dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit folgen kann. Das Bundeskartellamt wird als Kartell- und Bundesoberbehörde tätig, welche zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit gehört, § 51 Abs. 1 GWB. Zur Einleitung der ersten Stufe dieses Verfahrens sind die beteiligten Unternehmen verpflichtet, gemäß § 39 GWB ihren geplanten Zusammenschluß vor dessen Vollzug beim Bundeskartellamt anzumelden. Ausnahmen gelten nur, wenn die gesetzlichen Schwellenwerte bei Umsatzerlösen nicht erreicht werden (§ 35 GWB) oder die geplante Anteilsübernahme nicht unter die besonderen Voraussetzungen des Tatbestandes des „Zusammenschlusses“ im Sinne des § 37 GWB fällt. Innerhalb eines Monats muß das Bundeskartellamt sich anhand der eingereichten Unterlagen entscheiden, ob es in das Hauptprüfverfahren eintritt, § 40 Abs. 1 GWB. In diesem Verfahren setzt sich das Bundeskartellamt intensiv und detailliert mit der wirtschaftlichen Position der beteiligten Unternehmen auseinander. Steht danach durch den Zusammenschluß zu erwarten, daß eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird, ist er zu untersagen. Einzige Möglichkeit für die Unternehmen, in einem solchen Falle eine Untersagung zu verhindern, ist, nachzuweisen, daß eine Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen eintritt und daß diese die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegt, § 36 Abs. 1 GWB. Mit der Untersagungs- oder Freigabeverfügung des Bundeskartellamtes endet die erste Stufe des Zusammenschlußverfahrens. 47
Statt aller Möschel, BB 2002, 2077; Bunte, BB 2002, 2393.
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Kap. 1: Das Ministererlaubnisverfahren E.ON AG/Ruhrgas Aktiengesellschaft
Als dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit zugewiesene Behörde unterliegt das Bundeskartellamt generell allgemeinen Weisungen des Bundesministers und so auch in diesen Prüfverfahren, § 52 GWB. Gegen die Verfügung des Bundeskartellamtes steht den Beteiligten die Beschwerde vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf zu, § 63 GWB. Ist das Zusammenschlußvorhaben durch das Bundeskartellamt untersagt worden, ist es den Beteiligten auch möglich, anstatt Beschwerde 48 einzulegen, eine Ministererlaubnis nach § 42 GWB zu beantragen. Der Antrag hierzu muß innerhalb eines Monats nach Zustellung der Untersagungsverfügung des Bundeskartellamtes beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit gestellt werden, § 42 Abs. 3 S. 1 GWB. Nach Eingang des Antrags verpflichtet das Gesetz den Minister zur Einholung einer Stellungnahme der Monopolkommission sowie dazu, den obersten Landesbehörden, in deren Gebiet die beteiligten Unternehmen ihren Sitz haben, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, § 42 Abs. 3 S. 2 GWB. Die Entscheidung des Bundesministers kann nur aufgrund der zwingend vorgeschriebenen öffentlichen mündlichen Verhandlung nach § 56 Abs. 3 S. 3 GWB ergehen, in der die Anträge und Standpunkte aller Beteiligten berücksichtigt werden müssen, die an der Verhandlung teilnehmen. In seiner Entscheidung hat der Bundesminister zu beurteilen, ob in dem konkreten Fall „die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen wird oder der Zusammenschluß durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist“, § 42 Abs. 1 S. 1 GWB. Dazu muß der Minister auch die Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Rahmen berücksichtigen. Im Laufe der Entscheidungspraxis hat sich ein inhaltliches Prüfungsprogramm entwickelt, durch das die unbestimmten Rechtsbegriffe der „gesamtwirtschaftlichen Vorteile“ und des „überragende(n) Interesse(s) der Allgemeinheit“ konkretisiert werden. Darunter fallen insbesondere Aspekte der Sicherung der Energieversorgung, Rationalisierungsvorteile, Sanierungen, internationalen Wettbewerbsfähigkeit, Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen und Umweltschutz 49. Der Minister beendet das Verfahren mit einer Untersagungs- oder Erlaubnisverfügung, gegebenenfalls verbunden mit Bedingungen oder Auflagen, § 42 Abs. 1 u. 2 GWB. Auch gegen diese Verfügung steht den Beteiligten das Rechtsmittel der Beschwerde zu, § 63 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 GWB. Die Entscheidung über die Erteilung oder Versagung der Erlaubnis ist geprägt von der Abwägung übergeordneter, großräumiger und weitreichender wirtschaftlicher Interessen, die unter Umständen Bedeutung für die gesamte Bevölkerung 48 Mestmäcker/Veelken, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 42, Rn. 13 ff.; a.A. Ruppelt, in:Langen/Bunte, § 42, Rn. 2, 16, der für eine Möglichkeit paralleler Betreibung der Verfahren eintritt; ebenso Richter, in: Wiedemann, HdbKartellR, § 21, Rn. 75, 121. 49 Mestmäcker/Veelken, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 42, Rn. 31 ff; Kellner, ZNER 2002, 275 ff; Bechtold, GWB, § 42, Rn. 8.
§ 3 Grundsätzliche Entscheidungszuständigkeit
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erlangen können. Diese Entscheidung kann nur mit Hilfe möglichst optimierter Zukunftsprognosen gefällt werden – immer mit dem Risiko behaftet, daß sich diese als irrig erweisen. Im Hinblick auf den Charakter der Entscheidung selbst ist festzuhalten, daß es sich hierbei um einen gebunden Verwaltungsakt handelt, bei welchem dem Minister kein Ermessen zusteht. Sind die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 S. 1 GWB erfüllt, so haben die antragstellenden Unternehmen Anspruch auf Erteilung der Zusammenschlußgenehmigung 50. Bei der Vorfrage hinsichtlich der Beurteilung des Vorliegens der gesamtwirtschaftlichen Vorteile und des überragenden Interesses der Allgemeinheit dagegen hat der Minister einen weiten Beurteilungsspielraum, den er vollständig ausschöpfen kann 51. Aus der Situation der auch oftmals politisch geprägten Entscheidungsfindung heraus erscheint es denkbar, eine „genuin“ politische Zuständigkeit des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit für diese Entscheidung anzunehmen 52. Dabei werden der Entschluß und seine Verantwortungszuweisung in § 42 Abs. 1 GWB bewußt und unbestritten der Person des Ministers selbst zugewiesen. Dies bringt auch die Gesetzesbegründung zur sechsten GWB-Novelle zum Ausdruck, wenn es dort zu § 42 Abs. 1 GWB heißt: „Absatz 1 übernimmt die bisherigen Regelungen in § 24 Abs. 3 Satz 1 und 2. Die amtsbezogene Formulierung („der Bundesminister“) unterstreicht die persönliche politische Verantwortung des Ministers. Im Sprachgebrauch wird deshalb zutreffend der Ausdruck „Ministererlaubnis“, nicht aber der Begriff „Ministeriumserlaubnis“ verwendet.“ 53 Auch die Tatsache, daß infolge eines Kabinettsbeschlusses über die entpersonalisierende Bezeichnung der Ressorts im allgemeinen 54, im Rahmen der sechsten GWB-Novelle jegliche Vorschriften des GWB, die die Bezeichnung „Bundesminister für Wirtschaft“ enthielten in „Bundesministerium“ geändert wurden, und einzig die Vorschriften der §§ 8 und 42 GWB als Ministererlaubnis erhalten blieben 55, zeigt die grundsätzlich starke Bindung der Entscheidung an den Bundesminister.
50 Emmerich, KartellR, § 26, S. 308; Mestmäcker/Veelken, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 42, Rn. 41; Bechtold, GWB, § 42, Rn. 5; Richter, in: Wiedemann, HdbKartellR, § 21, Rn. 128. 51 OLG Düsseldorf Beschluß v. 11.07.2002, Rn. 29; Rittner, Wettbewerbs- und KartellR, § 13, Rn. 159ff.; Bechtold, GWB, § 42, Rn. 5; a.A. Mestmäcker/Veelken, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 42, Rn. 26. 52 Hermes/Wieland, ZNER 2002, 267; Möschel, BB 2002, 2077 (2078); ob diese Aussage zutreffend ist, wird noch im weiteren Verlauf der Arbeit zu klären sein. 53 BT-Drs. 13/9720, S. 61. 54 GMBl. 1993, S. 46, BT-Drs. 13/3316, abrufbar unter dip.bundestag.de/btd/13/033/ 1303316.asc. 55 Bei der Novellierung wurde in ca. 25 Vorschriften der Begriff des „Bundesministers“ durch „Bundesministerium“ ersetzt, z.B. ehem. § 24 Abs. 2 S. 4 u. 5, § 48 Abs. 1 S. 1, § 65 Abs. 1 S. 3 GWB.
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Kap. 1: Das Ministererlaubnisverfahren E.ON AG/Ruhrgas Aktiengesellschaft
In Hinblick auf die Gesetzesbegründung zu § 42 GWB und mit der Wertung, daß es sich um ein „politisches Interventionsverfahren“ handele, welches die Entscheidung des Bundeskartellamtes im Einzelfall korrigiere, wird zum Teil angeführt, daß eine „eigene Zuständigkeit des Ministers“ für dieses Verfahren geschaffen werde 56. Für das Bundesministerium als Bundesoberbehörde, dessen Leiter der Bundesminister ist, werde hingegen keine Zuständigkeit begründet 57. Konkretisierend wird davon gesprochen, daß der Bundesminister „höchstpersönlich“ in der Sache angesprochen sei 58. Da eine differenzierte Betrachtung von sachlicher und funktioneller Zuständigkeit nicht vorgenommen wird, übersieht die genannte Einschätzung jedoch, daß es sich im Bereich – auch politisch bedeutsamer – Verwaltungstätigkeit nicht um einen Ort originärer Ministerzuständigkeit handeln muß. Wenn § 48 Abs. 1 GWB als „Legaldefinition“ für den Begriff der „Kartellbehörde“ abschließend „das Bundeskartellamt, das Bundesministerium für Wirtschaft und die nach Landesrecht zuständigen obersten Landesbehörden“ benennt 59, so wird deutlich, daß zwischen verschiedenen Ebenen der Zuständigkeitszuweisung zu unterscheiden ist 60. Auf der Ebene des Verfahrensablaufs ist der Erlaubnisantrag der beteiligten Unternehmen beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit gemäß § 42 Abs. 3 GWB zu stellen und ist nachfolgend das „Bundesministerium für Wirtschaft ( . . . ) zuständig für die Ministererlaubnisse nach den §§ 8 und 42 ( . . . )“ 61.
56
Hermes/Wieland, ZNER 2002, 267. Hermes/Wieland ZNER 2002, 267 (272); Monopolkommission, 14. Hauptgutachten, S. 79, Nr. 127; wohl auch Lenz, NJW 2002, 2370 f. 58 So Möschel, BB 2002, 2077, dessen Wortwahl bzgl. der Höchstpersönlichkeit an dieser Stelle unglücklich erscheint; mit gleicher Wortwahl auch Schlecht, FAZ v. 22.08.2002, S. 9. Würde man dieser rechtstechnischen Terminologie folgen, wäre eine Stellvertretung schlechthin ausgeschlossen und es bliebe wohl nur der Weg über den Ausschluß eines Handlungsverbots für den Minister oder aber einem Ausscheiden des Ministers aus dem Amt, verbunden mit der Ernennung eines handlungsberechtigten Nachfolgers. Diese Konsequenzen ziehen beide Autoren (ausdrücklich) jedoch nicht, sondern sprechen sich für eine Stellvertretungsmöglichkeit aus. 59 Gesetzesbegründung zu § 48 Abs. 1 GWB, 6. GWB-Novelle, BT-Drs. 13/9720, S. 62 (Hervorhebung durch den Verfasser). 60 Bechtold, GWB, § 42, Rn. 15, Kellner, ZNER 2002, 275 (276), Rittner, Wettbewerbsund KartellR, § 13, Rn. 160, § 14, Rn. 55, gehen ohne Begründung von einem Handeln des Bundesministers „als Kartellbehörde“ aus. Hermes/Wieland gehen offenbar von einer Spaltung resp. Dopplung der Behördeneigenschaft aus, wenn sie einerseits das Bundesministerium als Kartellbehörde ansehen, ZNER 2002, 267, andererseits aber davon ausgehen, daß „der Bundesminister . . . als Kartellbehörde im Sinne des § 48 GWB tätig wird“, ZNER 2002, 158 (168). Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 48, Rn. 3, bezeichnet den Minister ebenfalls als Kartellbehörde und will den entgegenstehenden Wortlaut als „Redaktionsversehen“ deuten. 61 Gesetzesbegründung zu § 48 Abs. 2 GWB, 6. GWB-Novelle, BT-Drs. 13/9720, S. 63. 57
§ 3 Grundsätzliche Entscheidungszuständigkeit
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Auch im vorliegenden, in Kürze zur Abstimmung im Bundestag gelangenden Referentenentwurf zur siebten Novellierung des GWB bleibt die Ministererlaubnis nach § 42 GWB unverändert bestehen. Scheinbar lediglich redaktionell geändert wird § 56 Abs. 3 S. 3 GWB durch die genannte Novelle. So soll die derzeitige Fassung, die vorsieht, daß „in den Fällen des § 42 ( . . . ) im Verfahren vor dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit die Sätze 1 und 2“ über die verpflichtende öffentliche mündliche Verhandlung „entsprechend anzuwenden“ sind, dahingehend geändert werden, daß „in den Fällen des § 42 ( . . . ) das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen“ hat 62. Mit dieser Formulierungsänderung soll jedoch jenseits lediglich redaktioneller Änderung klargestellt werden, daß die mündliche Verhandlung nicht vom Minister persönlich durchgeführt werden muß, sondern daß dies auch durch einen Beamten des Ministeriums erledigt werden kann 63. Wie intensiv das Bundesministerium an der Entscheidungsvorbereitung beteiligt ist und aus bereits rein faktischen Erwägungen sein muß, erkennen auch die Befürworter einer „höchstpersönlichen“ Entscheidungsbefugnis an, wenn sie „selbstverständlich“ davon ausgehen, daß die Verfügung nur mit „Vor- und Zuarbeit des Bundeswirtschaftsministeriums“ ergehen könne 64. Damit aber wird deutlich, daß dem Ministerium an sich sachliche Kompetenzen zukommen. Eine Mitwirkung durch Vorbereitung der Entscheidung ohne grundsätzliche Zuständigkeitszuweisung kann es nicht geben. Diese Sachlage darf nicht verkannt werden und ihre rechtliche Einordnung nicht im Dickicht rechtspolitischer Erwägungen untergehen. Als Konsequenz bedeutet dies, daß das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit sachlich zuständig ist für die Entscheidung nach § 42 GWB, während sich die funktionelle Zuständigkeit des Bundesministers innerhalb des Ministeriums ergibt 65. Die politisch intendierte Verantwortungsklarheit und -unmittelbarkeit bleibt in vollem Umfang erhalten, und nur diese Auslegung kann der Systematik des GWB entsprechen.
62
www.djv.de/downloads/Vorlaeufige_Gesamtfassung.pdf. Bechtold, DB 2004, 235 (236). Die Umformulierung ist eine unmittelbare Reaktion auf eine anderweitige Interpretation des OLG Düsseldorf in seinen Beschlüssen im Fall E.ON/Ruhrgas, welche es als verfahrensfehlerhaft angesehen hatte, daß der unmittelbare Sachentscheider nicht an der mündlichen Verhandlung nach § 56 Abs. 3 GWB teilgenommen hatte. 64 Schlecht, FAZ v. 22.08.2002, S. 9; Möschel, BB 2002, 2077 (2078); Hermes/Wieland, ZNER 2002, 267. 65 Bunte, BB 2002, 2393 (2394 f.); Meessen, WuW 2002, 927; Ministererlaubnis v. 05.07.2002, Nr. 89, WuW DE-V 2002, 751 (757); Kirchhof/Puhl, Gutachten zur Zuständigkeit für die Entscheidung zur Genehmigung des E.ON/Ruhrgas-Zusammenschlusses gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB, S. 8 ff.; OLG Düsseldorf, Beschluß v. 11.07.2002, Rn. 15. 63
Kapitel 2
Der befangene Bundesminister im Verwaltungsverfahren Das Gebot der unbefangenen Sachentscheidung als nicht nur prozessuale, sondern auch prozedurale Garantie im Rahmen hoheitlichen Handelns steht im Mittelpunkt der folgenden Untersuchung. Ziel ist es, die Rechtstradition, verfassungsrechtliche Verankerung (§ 4) und konkrete einfachgesetzliche Ausgestaltung des Unbefangenheitsgrundsatzes mit seinen Folgen (§§ 5, 6) unter kritischer Würdigung darzustellen, um so das Wesen und seine zentrale Bedeutung für das Verwaltungsverfahrensrecht zu erfassen. Insbesondere die verfassungsrechtlichen Grundlagen mußten dabei einer intensiven Begutachtung unterzogen werden. Die hier getroffenen Grundaussagen (§ 7) werden sich im weiteren Verlauf der Arbeit im Rahmen des Ausgleichs widerstreitender Verfassungsprinzipien zu bewähren haben.
§ 4 Unbefangenheit im Verwaltungsverfahren als Verfassungsgebot I. Wurzeln des Unbefangenheitsgrundsatzes in der Judikative Der Gedanke, daß Gerechtigkeit geübt durch Menschen, nur auf der Grundlage einer objektiven, unparteiischen und freien Beurteilung existieren kann, wurde durch Herrscher und Rechtsgelehrte bereits zu früher Zeit zum Ausdruck gebracht und zu geltendem Recht erhoben. So zeugen zahlreiche Überlieferungen vom Streben nach einer unabhängigen Entscheidung im prozessualen Verfahren. Am bekanntesten und weitesten verbreitet ist sicherlich das Gebot des „nemo iudex in re sua“ 1. 1
Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozeßrecht, S. 482, 532. Aber auch weitere Quellen, wie etwa der Codex Justinianus aus dem Jahre 533 bringen diesen Gedanken in unverkennbarer Klarheit hervor: „Quisquis vult esse causidicus, non idem in eodem negotio sit advocatus et iudex.“ (Codex Justinianus (2,6,6)). Und weiter folgend ist das Kapitel: „Ne quis in sua causa iudicet vel sibi ius dicat“ mit folgenden Worten beschrieben: „Generali lege decernimus neminem sibi esse iudicem vel ius sibi dicere debere. In re enim propria iniquum admodum est alicui licentiam tribuere sententiae.“ (Codex Justinianus (3,5,1)).
§ 4 Unbefangenheit im Verwaltungsverfahren als Verfassungsgebot
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Hinter all diesen niedergelegten Rechtsüberzeugungen scheint das einheitliche Gedankengut von der Forderung nach einem unparteiischen Richter hindurch. Niemand, der ein persönliches Interesse und damit eine geistige Voreingenommenheit in das Verfahren bringe, dürfe über die Rechtssache entscheiden. Sei es, daß es sich um ein Verfahren „in eigener Sache“ handele oder auch nur um eine anderweitige Beteiligung am Prozeß; ein Ausschluß von der herausgehobenen Position des Richters als neutralem, unbeeinflußten und unbeeinflußbaren Dritten ist die zwingende Folge. Dieses Unbefangenheitsprinzip als elementare Voraussetzung und Bestandteil eines sachlichen und sowohl von den beteiligten Parteien als auch der Öffentlichkeit akzeptierten Verfahrens ist somit zu Recht als gemeinsames Erbe des römischen Rechts bezeichnet worden 2 und damit auch Wurzel der im heutigen europäischen und insbesondere deutschen Recht zu findenden Normierungen über die Mitwirkungsverbote Befangener. Kam der Gedanke der von persönlichen Interessen unbeeinflußten Entscheidung auch zuerst im Anwendungsbereich der „dritten Gewalt“ zum Tragen, so wird noch darzulegen sein, daß dessen Universalität auch bald für alle übrigen Bereiche hoheitlicher Gewalt anerkannt wurde.
II. Unbefangenheitsgebot als gemeinsames Rechtsprinzip in den Staaten des heutigen Europas Daß es sich bei dem Unbefangenheitsgebot in der Tat um eine im europäischen Rechtsbewußtsein tief verwurzelte Vorstellung von Verfahrensfairneß handelt 3, belegt eine Umschau in den verschiedenen Rechtsordnungen des Kontinents. Trotz vielfältiger individualstaatlicher Besonder- und Eigenheiten läßt sich feststellen, daß für alle Völker die Frage von großem Interesse war und ist, wer über ihre Angelegenheiten rechtlicher Art in Prozessen und Verfahren entscheiden soll. Und so nimmt es nicht Wunder, daß sich dieses Interesse in sämtlichen Kodifizierungen niedergeschlagen hat. Eine frühe Normierung des Unbefangenheitsgebots fand in Österreich in § 6 des Gesetzes über den Verwaltungsgerichtshof vom 22.10.1875 statt, in dem dieser ermächtigt wurde, eine Entscheidung oder Verfügung wegen mangelhaften Verfahrens aufzuheben 4. Durch die Schaffung des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes im Juli 1925 setzte sich Österreich an die Spitze der Vereinheitlichungsbewegung der Verfahrensgrundsätze
Im weiteren lassen sich noch die Postulate des „aliquis non debet esse iudex in propria causa quia non potest esse iudex et pars“, „nemo potest esse simul actor et iudex“ sowie „ . . . suspecti et inimici iudices esse non debent“ anführen, die sich verkürzt auch als „nemo debet esse iudex in propria causa“ finden, vgl. Dagtoglou, in: FG Forsthoff, 1967, S. 65 (68, Fn. 7). 2 Stelkens/Kallerhoff , in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 20, Rn. 67. 3 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 299. 4 Zitiert nach Ule, VerwArch 76 (1985), 129 (136).
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Kap. 2: Der befangene Bundesminister im Verwaltungsverfahren
in der Verwaltung. Obwohl zunächst als „Gesetz zur Vereinfachung der Verwaltung“ überschrieben, wurde doch zugleich die überragende Bedeutung eines Verfahrensablaufs in geordneten Bahnen für die Absicherung der Entscheidung als auch inhaltlich gesetzmäßig hervorgehoben 5. Die die Befangenheit regelnde Vorschrift des § 7 im Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz von 1925 beansprucht auch heute noch unverändert im Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz von 1991 Geltung 6. Neben dieser Grundlegung hat die angesprochene Problematik weitere spezialgesetzliche Regelungen in Österreich erfahren, so zum Beispiel in § 53 Abs. 1 AVG, § 39a Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 1 AVG, § 24 Verwaltungsstrafgesetz und § 1 Abs. 1 Dienstrechtsverfahrensgesetz sowie in vielen weiteren Bestimmungen gleichen Inhalts. Sowohl in Großbritannien als auch in Irland stellt das Prinzip der Unparteilichkeit der Verwaltung eines der beiden Hauptausprägungen der „Natural Justice“, der natürlichen Gerechtigkeit als Teil des Common Law dar 7. Trotz der Ausrichtung der Rechtsordnung auf das „case law“ hat der Grundsatz der Unbefangenheit eine gesetzliche Ausprägung im Bereich des britischen Kommunalrechts im Local Government Act von 1972 in den Sections 94-98 gefunden. Ähnliches kann für Frankreich ausgeführt werden, ebenso wie für Griechenland, das seine das Verwaltungsverfahren betreffenden Regelungen in Anlehnung an das französische Recht formuliert hat. Zumindest im Bereich der Entscheidungen für Kollegialorgane gilt das Unbefangenheitsgebot als „principe général du droit“. Für die Entscheidungen monokratischer Amtsträger dagegen muß auf die vereinzelt gebliebenen gesetzlichen Normierungen zurückgegriffen werden. Im Gegensatz dazu hat in Italien das Unbefangenheitsprinzip unmittelbaren Verfassungsrang. In Art. 97 der Verfassung wird bestimmt, daß die Unparteilichkeit der Verwaltung gesichert sein muß. Diese Sicherung hat vielfache einfachgesetzliche Ausformungen gefunden, z.B. im italienischen Gemeinde- und Provinzialgesetz oder im Verhaltenskodex für die Angehörigen der öffentlichen Verwaltungen. Eine parallele Regelung enthalten die Art. 28, 29 des spanischen Verwaltungsverfahrensgesetzes, die die in der spanischen Verfassung in Art. 103 Abs. 3 geforderte Unparteilichkeit bei der Ausübung der Ämter durch die Beamten in einfaches Recht umsetzen.
Nachdem sich in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, wie – zumindest ausschnittsweise – gezeigt, Regelungen zur Befangenheit im Verwaltungsverfahren finden, war es nur konsequent, diese Grundsätze auch auf europäischer Ebene wenigstens im Ansatz zu kodifizieren. Im Bereich des EG-Eigenverwaltungsrechts, das den direkten Vollzug, also den Vollzug des europäischen Rechts durch Gemeinschaftsorgane regelt, stellt Art. 14 des Beamtenstatuts 8 die wohl wichtigste Regelung hinsichtlich der Thematik der Befangenheit im Verwaltungsverfahren dar: „Hat ein Beamter in Ausübung seines Amtes in einer Angelegenheit
5
Ule, VerwArch 76 (1985), 129 (137). Maier, Befangenheit im Verwaltungsverfahren: die Regelungen der EU-Mitgliedstaaten im Rechtsvergleich, S. 87. 7 Maier, Befangenheit im Verwaltungsverfahren: die Regelungen der EU-Mitgliedstaaten im Rechtsvergleich, S. 100 ff. 8 ABl 1968, Nr. L 56, S. 1 ff., zusammengefaßt in ABl 1972, Nr. C 100, S. 3 ff., letzte Änderung ABl. 2995, Nr. L 66, S. 1 ff. Verordnung 259/68. 6
§ 4 Unbefangenheit im Verwaltungsverfahren als Verfassungsgebot
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Stellung zu nehmen, an deren Behandlung oder Erledigung er ein persönliches Interesse hat, das seine Unabhängigkeit beeinträchtigen könnte, so muß er seiner Anstellungsbehörde hiervon Kenntnis geben.“ Diese Pflicht zur Bekanntgabe einer eventuellen Interessenkollision (mit folgendem Ausschluß vom Verfahren) trifft jedoch nicht nur die Beamten, sondern über die Verweisungsvorschrift des Art. 11 Abs. 1 S. 1 der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Gemeinschaft auch die anderen Bediensteten der Europäischen Union. Auch wenn dabei nur von einer Bekanntgabe eines persönlichen Interesses die Rede ist, wird deutlich, daß eine Entscheidung auf europäischer Ebene nicht durch sachwidrige, personenbezogene Interessen beeinflußt werden soll 9. Eine neue Qualität erhielt der Grundsatz der unparteiischen Verwaltung durch die Proklamation der Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch das Europäische Parlament, den Rat und die Kommission am 7. Dezember 2000 in Nizza. In Kapitel V, „Bürgerrechte“, wird dort in Art. 41 Abs. 1, der die amtliche Überschrift „Recht auf eine gute Verwaltung“ trägt, statuiert: „Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von den Organen und Einrichtungen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden.“ Die Erhebung dieses, wie oben gezeigt, bereits in langer Tradition anerkannten Grundsatzes zum Grund- und Bürgerrecht für die Einwohner der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zementiert endgültig die herausragende Bedeutung dieses Gebots für das Verfahrensrecht 10. Durch den am 29. Oktober 2004 von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten unterzeichne-
9 Die grundlegende Wertigkeit des Unbefangenheitsgebots erkennt auch der EuGH an, wenn er – bezogen auf den besonderen Bereich der Ermessensentscheidungen – formuliert: „Soweit jedoch die Organe der Gemeinschaft über einen Beurteilungsspielraum verfügen, kommt eine um so größere Bedeutung der Beachtung der Garantien zu, die die Gemeinschaftsrechtsordnung in Verwaltungsverfahren gewährt. Zu diesen Garantien gehören insbesondere die Verpflichtung des zuständigen Organs, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen, ( . . . ). Nur so kann der Gerichtshof überprüfen, ob die für die Wahrnehmung des Beurteilungsspielraums maßgeblichen sachlichen und rechtlichen Umstände vorgelegen haben.“, vgl. EuGH, Rs. C269/90, Technische Universität München, NVwZ 1992, 358 (359), Hervorhebung durch den Verfasser; Aufnahme dieses Urteils in die amtliche Begründung zu Art. 41 EUGC, EuGRZ 2000, 554 (566) CHARTE 4473/00 CONVENT 49. Im Anschluß daran formuliert das EuG in einem Urteil von 1996: „ . . . kommt der Beachtung der Garantien, die die Gemeinschaftsrechtsordnung im Verwaltungsverfahren gewährt, in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Organe der Gemeinschaft über einen Beurteilungsspielraum verfügen, um ihre Aufgaben erfüllen zu können, ganz besondere Bedeutung zu; zu diesen Garantien gehört insbesondere die Verpflichtung des zuständigen Organs, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen.“, vgl. EuG, Rs. T-528/93 u.a., Métropole télévision S.A., EuZW 1996, 660 (666); Hervorhebung durch den Verfasser. 10 Streinz, in: ders., EUV/EGV, Art. 41 GR-Charta, Rn. 7, zählt die Unparteilichkeit zum Kerngehalt der Vorschrift; Magiera, in: Meyer, Kommentar zur GR-Charta, Art. 41, spricht hiervon ebenfalls als „eigenständiges Grund- oder Kernrecht“.
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ten „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde die Charta Bestandteil des Primärrechts 11. Nach der Ratifizierung des Vertrages durch die Mitgliedsstaaten gilt damit auch das Unbefangenheitsprinzip einheitlich und unmittelbar auf europäischer Ebene.
III. Bedeutung und Ausprägung der Befangenheitsregeln im deutschen Verwaltungsrecht Die Normierung der Befangenheitsgrundsätze in einem allgemein gültigen Verwaltungsverfahrensgesetz wurde in Deutschland erst im Jahre 1976 vorgenommen. Daß diese vereinheitlichte Regulierung zu einem recht späten Zeitpunkt stattfand, bedeutet indes nicht, daß es zuvor keine den heutigen Festlegungen entsprechenden Grundsätze gab. Vielmehr ist – soweit an dieser Stelle ersichtlich – bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert eine erste geschriebene Ausformung des Gedankens der Unbefangenheit im Allgemeinen Preußischen Landrecht zu entdecken. 1. Das Verbot des Mitwirkens befangener Amtsträger an Entscheidungen im deutschen Gesetzesrecht a) Regelungen auf der Gemeindeebene Die genannte Ausformung im Allgemeinen Preußischen Landrecht aus dem Jahre 1794 betraf den Ausschluß von Gemeindevertretern bei Versammlungen und Abstimmungen bei Vorliegen einer Interessenkollision bezüglich eigener Angelegenheiten mit solchen ihrer Gemeinde, Teil II, 6. Titel, § 132 i.V.m. Teil I, 13. Titel, § 21 und Teil II, 8. Titel, §§ 110, 113, 114 12. Eine erste prägnante Festlegung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen im Falle der Befangenheit findet sich in § 19 des Württembergischen Gemeindeediktes aus dem Jahre 1822. Innerhalb kurzer Zeit folgten viele weitere nach, u.a. § 79 Preußische Ständeordnung von 1831, § 45 Badisches Gemeindegesetz von 1831, §§ 40, 100 Preußische Gemeindeordnung von 1850, § 44 Preußische Städteordnung von 1853 und Art. 103 Abs. 1 der Bayerischen Gemeindeordnung von 1869 13.
11 Artikel II-101 Abs. 1: „Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von der Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden.“ 12 Vgl. dazu Maier, Befangenheit im Verwaltungsverfahren: die Regelungen der EUMitgliedstaaten im Rechtsvergleich, S. 49. 13 Vgl. dazu Maier, Befangenheit im Verwaltungsverfahren: die Regelungen der EUMitgliedstaaten im Rechtsvergleich, S. 49.
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Die kaum zu überblickende Vielfalt von einzelnen und zum Teil differierenden Regelungen auf deutschem Staatsgebiet fand ihr Ende mit Inkrafttreten der Deutschen Gemeindeordnung (DGO) vom 30.01.1935. Ihre Zielsetzung beinhaltete zweierlei Gedanken. Zum einen wollte sie der Zersplitterung der gemeindlichen Regelungen wirksam begegnen und zum anderen ausweislich der amtlichen Begründung die „Vettern- und Cliquen-Wirtschaft“ intensiv bekämpfen 14. Um dem zweitgenannten Ziel möglichst nahe zu kommen, wurde eine weite Auslegung des maßgeblichen § 25 DGO gefordert, der in Absatz 1 wörtlich lautete: „Der Bürger darf in seiner ehrenamtlichen Tätigkeit nicht bei Angelegenheiten beratend oder entscheidend mitwirken, wenn die Entscheidung ihm selbst, seinem Ehegatten, seinen Verwandten bis zum dritten oder Verschwägerten bis zum zweiten Grade oder einer von ihm kraft Gesetzes oder Vollmacht vertretenen Person einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann. Dies gilt auch, wenn der Bürger 1. in der Angelegenheit in anderer als öffentlicher Eigenschaft ein Gutachten abgegeben hat oder sonst tätig geworden ist, 2. gegen Entgelt bei jemand beschäftigt ist, der an der Erledigung der Angelegenheiten ein persönliches oder wirtschaftliches Sonderinteresse hat. ...“
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde diese Formulierung fast wortgleich – unter gewissen Erweiterungen – in nahezu alle Gemeindeordnungen der Bundesländer übernommen 15. Die wörtliche Übereinstimmung geht insoweit auch mit der Übereinstimmung bei der Bewertung als maßgebliches Sicherungsinstrument zur „Sauberhaltung der Verwaltung“ einher, die ebenso wie früher auch heute eines der Grundprinzipien der Verwaltung darstellt 16. b) Weitere gesetzliche Regelungen zur Sicherstellung der Unbefangenheit „Nemo iudex in re sua“ – dieser bereits zitierte Satz ist Beweis dafür, daß die Anfänge der rechtsstaatlichen Überlegungen zu einer objektiven Entscheidung im Bereich des gerichtlichen Verfahrens lagen. Der Richter war Objekt der Verbotsnormen und stand im Fokus der Betrachtungen auf dem Weg zu einer unabhängigen und gerechten Entscheidung. Er war und ist es heute im gleichen
14
Borchmann, NVwZ 1982, 17 (18). Vgl. z.B. § 18 GOBW, Art. 49 BayGO, § 25 HGO, § 24 KV M-V, § 26 NGO, § 31 GOLSA. 16 Molitor, Die Befangenheit von Gemeinderatsmitgliedern: eine Untersuchung anhand Art. 49 der Bayerischen Gemeindeordnung mit Bezug auf die Kommunalverfassungen aller Bundesländer, S. 10. 15
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Maße, der ohne Ansehung der Person als Repräsentant der mit verbundenen Augen urteilenden Justitia sein Amt versieht und in dieser Funktion Recht spricht. So statuieren auch alle Prozeßordnungen den Gedanken der Unbefangenheit als fundamentale Voraussetzung für einen fairen Prozeß und eine rechtsfehlerfreie Entscheidung. In den heutigen Prozeßordnungen sind dies u.a. die §§ 41 ff. ZPO, § 54 VwGO, § 60 SGG, beide unter Verweisung auf §§ 41 ff. ZPO 17, §§ 18, 19 BVerfGG sowie schließlich §§ 22 ff. StPO. Spezialgesetzliche Parallelvorschriften zu den §§ 20, 21 VwVfG, die das Unbefangenheitsprinzip für das allgemeine Verwaltungsverfahren festsetzen, finden sich in §§ 16, 17 SGB X für den Bereich des Sozialverwaltungsverfahrens und §§ 82, 83 AO für den Bereich der Verwaltungsverfahren vor Finanzbehörden. Aber auch außerhalb der Prozeßordnungen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß der Unbefangenheitsgrundsatz nicht nur ein solcher der Gerichtsverfahren ist, sondern auch in Verwaltungsverfahren Geltung beanspruchen muß. Daß die Entwicklung indes später eingesetzt hat als im prozessualen Verfahren, ist durch die Konzentration der Exekutive bis ins 19. Jahrhundert auf die Wahrung von Recht und Ordnung zu erklären. Der staatstreue Bürger konfligierte mit der so verstandenen Verwaltung höchst selten, so daß die Einzelheiten des Verfahrens nicht derart im Rechtsbewußtsein verankert waren, wie dies etwa im zivilprozessualen Verfahren der Fall war. Erst mit Änderung des Staat-BürgerVerhältnisses sollte die bestehende Ordnung nicht mehr nur vor Störungen bewahrt werden, sondern entfaltete zukunftsgerichtete und gestaltende Tätigkeit in Form von Planung und Steuerung 18. Erst mit dem „Siegeszug des Sozialstaates verlegte sich das Hauptbegehren des Bürgers von der ‚Nicht-Intervention‘ auf die ‚gerechte Intervention‘“ 19. 2. Kodifikation des Unbefangenheitsgrundsatzes in den §§ 20, 21 des Verwaltungsverfahrensgesetzes von 1976 Nach fast zwei Dekaden reich an Diskussionen, Juristentagen und Formulierungsvorschlägen trat am 01.01.1977 das bundesdeutsche Verwaltungsverfahrensgesetz in Kraft. Wie gezeigt, konnte sich der Gesetzgeber bei der Schaffung der hier in Rede stehenden Normen auf ein breites Spektrum an historischen Vorlagen stützen. Aufgrund dieser Bandbreite und langen Tradition der Unbefangenheitsregeln waren diese bereits übergeordnet zu Gewohnheitsrecht erstarkt 20.
17 Aufgrund dieser pauschalen Inbezugnahme wird zur Klärung inhaltlicher Fragestellungen häufig auf Rechtsprechung und Schrifttum zu §§ 41 ff. ZPO verwiesen, so z.B. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 21, Rn. 6. 18 Grimm, NVwZ 1985, 865 (866). 19 Dagtoglou, in: FG Forsthoff 1967, S. 65 (74 f.); Kaja, AöR 89 (1964), 381 (402f.).
§ 4 Unbefangenheit im Verwaltungsverfahren als Verfassungsgebot
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Dieses Gewohnheitsrecht wurde durch den Erlaß des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes endgültig abgelöst. In das Gesetz neu aufgenommen wurde die Möglichkeit des Ausschlusses vom Verfahren bei bloßer Besorgnis der Befangenheit. a) Verfassungsrechtliche Grundlagen des Gebots der Unbefangenheit aa) Etymologie und Begriffsabgrenzung In der Etymologie des Begriffs „befangen“, der in einer ursprünglichen Bedeutung im Sinne von „umzäunt, eingeengt“ gebraucht wurde, fand in der mittelhochdeutschen Klassik eine Fortentwicklung statt, hin zur adjektivischen Verwendung mit der Bedeutung „in etwas verwickelt, unfrei, schüchtern“ 21. In der neueren Rechtssprache schließlich wurde der Begriff als „Voreingenommenheit“ verstanden. Dem Wortsinn nach ist ein befangener Amtswalter „unfrei in Geist und Gehabe; er besitzt nicht mehr die Freiheit, sich für die Maßstäbe seines Amtsrechts zu entscheiden.“ 22 Der Ansicht, die Befangenheit als jedes subjektive Fehlverhalten bezogen auf den objektiven Verfahrenszweck versteht 23, ist entgegenzuhalten, daß Befangenheit selbst noch kein Fehlverhalten darstellt, da der betroffene Amtsträger mit ihr durchaus zufällig und überraschend konfrontiert werden kann. Erst die aus der Befangenheit resultierende Entscheidung kann ein Fehlverhalten darstellen, wenn der Amtsträger trotz eines Mitwirkungsverbotes gehandelt hat. Bei der Definition der Befangenheit geht es somit vielmehr um die innere Einstellung der handelnden Person und ihre Unvoreingenommenheit hinsichtlich des Verfahrensgegenstandes und der Verfahrensbeteiligten. Bei der Suche nach der richtigen Begrifflichkeit ist zwischen Neutralität und Unparteilichkeit zu unterscheiden 24: Neutralität bedeutet in diesem Zusammenhang Nicht-Intervention, Non-Commitment. Das Unbeteiligtsein muß sich auf alle Handlungsmöglichkeiten beziehen, denn wer nicht völlig neutral ist, ist es überhaupt nicht. In diesem Sinne sind aber
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Molitor, Die Befangenheit von Gemeinderatsmitgliedern, S. 12; OVG Jena, NJW 1947/48, 399; OVG Kassel DÖV 1970, 645; Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 186; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, Vor § 20, Rn. 1; zweifelnd noch Wimmer, MDR 1962, 11 (13); ablehnend in einem vielgerügten Beschluß VGH München NVwZ 1982, 508 (509). 21 Drosdowski, in: Duden Etymologisches Wörterbuch. 22 Kirchhof , VerwArch 66 (1975), 370. 23 Zuck, DRiZ 1988, 172. 24 Dagtoglou, in: FG Forsthoff, 1967, S. 65 (66 f.). Zu dieser Begriffsverwirrung z.B. Neßler, NVwZ 1999, 1081 (1082): „Daraus läßt sich der allgemeine Grundgedanke ableiten, daß der Staat im Verwaltungsverfahren neutral sein muß. . . . Der Neutralitätsgrundsatz in § 20 VwVfG ist letztlich eine Folge aus dem Rechtsstaatsprinzip, . . . “.
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Kap. 2: Der befangene Bundesminister im Verwaltungsverfahren
der Sozialstaat und seine Verwaltung nicht neutral. Sie sind aber unparteiisch, oder sollten dies zumindest sein. Denn Unparteilichkeit ist ein auf Sachlichkeit und infolgedessen Gerechtigkeit bezogener Begriff. Im Gegensatz zur Neutralität setzt die Unparteilichkeit auf ein positives Tun, sie wird im Rahmen einer gerechten Intervention, eines sachgemäßen Tuns verwirklicht. Jedenfalls bei typischem exekutivem Handeln, das nicht durch reine Gesetzesdirigierung, sondern durch zielgerichtetes Gestalten geprägt ist, schließen sich Neutralität und Unparteilichkeit aus. Kennzeichen der eingreifenden wie der fürsorgenden Verwaltung ist gerade ihre mangelnde Neutralität 25. In Anlehnung an diese Analyse soll im Folgenden deshalb die Begrifflichkeit der Neutralität vermieden und die der Unparteilichkeit verwendet werden.
bb) Telos des (Verwaltungs-)Verfahrensrechts und die ratio der §§ 20, 21 VwVfG „Das Verfahrensrecht dient der Herbeiführung gesetzmäßiger und unter diesem Blickpunkt richtiger, aber darüber hinaus auch im Rahmen dieser Richtigkeit gerechter Entscheidungen.“ 26 Diese dienende Funktion drückt sich auch darin aus, daß der Entscheidungsprozeß der Verwaltung so strukturiert und kanalisiert wird, daß der „administrative Output“ 27 optimiert wird. Das materielle Recht soll bestmöglich verwirklicht werden. Neben dieser „Optimierungsfunktion“läßt sich eine Vielzahl von Inhalten, die durch das Verwaltungsverfahren verwirklicht werden sollen, finden 28: Durch die klare Gliederung des Verfahrens ist eine Erhöhung der Transparenz und durch die Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung ein Fortschritt in der Entscheidungsreife am Ende des Verfahrens zu erreichen, da überstürzte Entscheidungen hiermit vermieden werden. Über die genannten Aspekte hinaus ist eine eigenständige Rechtsschutzfunktion des Verwaltungsverfahrens in Relation zum Verfahren vor den Verwaltungsgerichten zu konstatieren. Während das Gericht bei seiner Überprüfung der Entscheidung regelmäßig an den Maßstab der klägerschützenden Normen gebunden ist, ist es Aufgabe des Verwaltungsverfahrens, die Sach- und Rechtslage umfassend zu bewerten und zu gestalten, so daß es mittelbar für die Beteiligten zu einer ergänzenden Absicherung seiner Rechtssphäre kommt 29.
25
Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, 1. Aufl. 1976, Vor § 20, Rn. 5. BVerfGE 42, 64 (73). 27 Ossenbühl, NVwZ 1982, 465 (466). 28 V. Mutius, in: FS Menger, 1985, S. 588 f.; so auch schon Schmidt-Aßmann, Jura 1979, 505 (506). 29 Degenhart, DVBl. 1982, 872 (875). 26
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In erster Linie ist es aber das Ziel des Verfahrens, eine gerechte und richtige Entscheidung hervorzubringen. Mit welchem Aufwand dies unter Umständen zu erfolgen hat oder in welcher Zeitspanne eines solche optimale Entscheidung gefunden werden muß resp. soll, wurde dagegen nicht festgestellt. Diese dem Idealziel der gerechten Entscheidung verpflichtete Aufgabe steht somit im Spannungsverhältnis zur Effizienz der Verwaltung. Denn auch diese Aufgabe muß das Verfahrensrecht erfüllen: Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit der Exekutive sind Grundlage für die Erhaltung des Staates 30. Effizienz meint dabei das Verhältnis von Zweck und Mittel in der Weise, daß bestimmte, festzulegende Zwecke mit einem minimalen Mitteleinsatz erreicht oder bei konstantem Mitteleinsatz die gewünschten Zwecke möglichst optimal erreicht werden 31. Wenn man Effizienz als die „Leistungsfähigkeit im politisch-administrativen Gesamtsystem“ 32 akzeptiert und im Bereich der Verwaltung als Selbstverständlichkeit betrachtet 33, muß auch die Verfahrensgestaltung im Rechtsstaat dem gebührend Rechnung tragen. Um einen verfassungsrechtlich unbedenklichen Ausgleich zwischen diesen häufig widerstreitenden Prinzipien gerade im Bereich der Unbefangenheitsregeln zu finden, ist es notwendig, die Stellung und Funktion der §§ 20, 21 VwVfG im Verfahrenssystem zu durchdringen. Die klassische Funktions-Trias der Befangenheitsvorschriften im Verfahrensrecht wird nach dem betroffenen Einzelnen, der öffentlichen Verwaltung und dem individuellen Amtsträger unterteilt 34. Der betroffene Einzelne erhält so die Gewähr, daß kein befangener Amtsträger an der Entscheidung in seiner Angelegenheit teilnimmt. Andererseits werden aber auch die Belange der öffentlichen Verwaltung geschützt im Falle einer Interessenkollision zwischen ihr und dem Amtsträger. Zum dritten hat der Ausschluß aufgrund (befürchteter) Befangenheit für den Amtsträger selbst den Vorteil, daß er vor Konflikten moralischer, wirtschaftlicher oder beruflicher Art bewahrt wird. Insbesondere ermöglicht der Ausschluß es dem Amtsträger, an ihn herangetragene Bitten und Aufforderungen, in einer bestimmten Weise zu handeln, z.B. den beantragten Verwaltungsakt zu erlassen, von Beginn an abzulehnen mit dem Hinweis, daß es ihm – selbst wenn er wollte – nicht möglich sei, in der entsprechenden Weise zu handeln, da er einem Mitwirkungsverbot unterliege 35.
30 Der Gesetzgeber selbst wollte durch die Schaffung eines einheitlichen Verwaltungsverfahrensgesetzes eine rationelle Arbeitsweise der Verwaltung ermöglichen und dadurch ihre Effektivität verbessern, Gesetzesbegründung BT-Drs. 7/910 S. 28 f. 31 V. Mutius, in: FS Menger 1985, S. 587 f.; grundlegend Häberle AöR (98) 1973, 625 ff. 32 Schmidt-Aßmann, Jura 1979, 509. 33 Ossenbühl, NVwZ 1982, 465 (466). 34 Dagtoglou, in: FG Forsthoff, 1967, S. 65 (81); Borgs, in Meyer/Borgs, VwVfG, 1. Aufl. 1976, Vor § 20, Rn. 2.
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Eine weitere, abstrakte und vom konkreten Fall losgelöste Funktion besteht darin, das Ansehen der Verwaltung als eine unabhängige und sachlich orientierte Entscheidungsstelle zu wahren und der Öffentlichkeit Vertrauen gegenüber der Exekutive zu vermitteln. Es genügt in einem demokratisch verfaßten Staat indes nicht, die „Sauberkeit der Verwaltung“ 36 nur herzustellen; sie muß auch für die Öffentlichkeit sichtbar sein. Bereits der „böse Schein“ 37 muß effektiv beseitigt bzw. darf schon nicht zugelassen werden, um das Vertrauen der Bürger und ihrer Akzeptanz der sie betreffenden Entscheidung nicht zu unterminieren 38. Die im laufenden Verfahren oder zu dessen Beginn vorgesehene Möglichkeit der Entfernung eines – eventuell – befangenen Amtsträgers ist nicht die erste Maßnahme, die der Staat ergreift, um Interessenkonflikte und deren Auswirkungen auf die zu fällende Entscheidung zu vermeiden. Auf einer temporal vorgelagerten Ebene hat der Gesetzgeber gehandelt und in Antizipation möglicher Interessenwiderstreite Inkompatibilitäts- und Ineligibilitätsvorschriften erlassen. Art. 137 Abs. 1 GG stellt eine Sondervorschrift dar, die den Gesetzgeber ermächtigt, Inkompatibilitäten zu schaffen 39. Zweck dieser Vorschrift ist die Sicherung der organisatorischen Gewaltenteilung gegen Gefahren, die durch Personalunion eines Exekutivoder Richteramtes und eines Abgeordnetenmandats entstehen können. Insbesondere soll verhindert werden, daß Interessenkonflikte zu Verfilzungen führen und Abgeordnete, die zugleich der Exekutive angehören, gleichsam sich selbst kontrollieren 40. Erst wenn also eine Inkompatibilität nicht vorliegt, aber trotzdem die Befangenheit eines handelnden Amtsträgers zu besorgen ist, ist der Anwendungsbereich der §§ 20, 21 VwVfG betroffen. Als letztes Mittel zur Durchsetzung einer gerechten und richtigen Entscheidung ist bei Übersehen oder Versagen der aufgezeigten präventiven Möglichkeiten die Anrufung der Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgesehen, um eine Korrektur der fehlerhaften Entscheidung vorzunehmen. Aus diesen dargestellten Ebenen ergibt sich gewissermaßen das Bild einer Stufenfolge von der möglichen „Gefahrenvorsorge“ über die erforderliche „Gefahrenabwehr“ bis hin zur nachträglichen „Störungsbeseitigung“ 41. Die Befangenheitsvorschriften der §§ 20, 21
35 Molitor, Die Befangenheit von Gemeinderatsmitgliedern: eine Untersuchung anhand Art. 49 der Bayerischen Gemeindeordnung mit Bezug auf die Kommunalverfassungen aller Bundesländer, S. 11, formuliert dies für den Bereich des Gemeinderats. 36 V. Mutius, VerwArch 65 (1974), 429. 37 Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 6. 38 Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß die sog. „institutionelle Befangenheit“, die sich aus spezifischen Eigeninteressen der Behörden und ihrer Rechtsträger ergibt, nicht im VwVfG geregelt ist, vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 9. Bei der hier in Rede stehenden und zu untersuchenden Befangenheit geht es ausschließlich um die „persönliche Befangenheit“ von einzelnen, mit einer Entscheidung befaßten Amtsträgern innerhalb einer Behörde. 39 Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 137, Rn. 1d. Von dieser Ermächtigung hat er bspw. in den §§ 5 ff. AbgG Gebrauch gemacht. 40 Magiera, in: Sachs, GG, Art. 137, Rn. 3 ff. 41 Scheuing, NVwZ 1982, 487.
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VwVfG stellen somit die „zweite Stufe“ dieses Systems dar und verwehren im Gegensatz zur Inkompatibilität dem Amtsträger nur im Einzelfall die Amtsausübung.
Allerdings ist zu beachten, daß auch nur diese zweite Stufe in Wechselwirkung zu der bereits oben angesprochenen Verwaltungseffizienz tritt. In jedem Fall, in dem ein Antrag – von welcher Seite auch immer – auf Überprüfung der Sachgelenktheit des Amtsträgers gestellt wird, folgt ein unter Umständen langwieriges Untersuchungsverfahren zur Überprüfung der Stichhaltigkeit der Vorwürfe bzw. Selbstablehnung. Auf substantiierte Vorwürfe und Hinweise wird die Behörde eingehen, auch wenn sie dazu nicht verpflichtet sein sollte, um eine spätere Aufhebung ihrer Entscheidung durch das Verwaltungsgericht aus diesem Grunde nicht zu riskieren. Auch unter dem Gesichtspunkt der Handlungswilligkeit und Dialogbereitschaft als vertrauensbildende Maßnahme zwischen Bürger und der Verwaltung wird eine Ignorierung oder ungeprüfte Ablehnung der Vorwürfe kaum denkbar sein. In diesem Spannungsfeld zwischen Verwaltungseffizienz und Verfahrensgerechtigkeit kommt es entscheidend darauf an, welche verfassungsrechtlichen Wertungen den einfachgesetzlichen Regelungen der §§ 20, 21 VwVfG zugrunde liegen. Das Maß und ihr Gewicht als Ausprägung verfassungsrechtlich determinierter Forderungen bestimmen somit die Beachtlichkeit des Unbefangenheitsprinzips und die Rechtsfolgen bei einem Verstoß hiergegen, auch und gerade im Widerstreit mit dem Gebot der Verwaltungseffizienz. Auch wenn bereits vor Erlaß des VwVfG der Grundsatz vom Ausschluß befangener Amtsträger vom Verwaltungsverfahren anerkannt war und bereits als Rechtstradition bezeichnet werden konnte, so wurde doch zugleich auf die Vorteile des Fehlens solcher Verfahrensvorschriften hingewiesen. Die Behörde war dadurch in der Lage, schnell, beweglich und anpassungsfähig zu handeln, ohne durch Förmlichkeiten gebunden zu sein 42. Dieser – eventuell als effizienzfördernd zu beschreibender Zustand 43 – stand im Widerspruch zur verfassungsrechtlich erforderlichen Verfahrensgerechtigkeit. Doch auch heute noch, nach Inkrafttreten der Befangenheitsregeln des VwVfG ist der Kollisionspunkt zwischen Verwaltungseffizienz und Verfahrensgerechtigkeit von Bedeutung. cc) Verfassungsrechtliche Vorgaben des Unbefangenheitsprinzips und ihre einfachgesetzliche Umsetzung in den §§ 20, 21 VwVfG Auch wenn zu Recht darauf hingewiesen wird, daß zuweilen die Vorschriften des Grundgesetzes (und dort insbesondere die Grundrechte) für „spezielle und 42
Wimmer, MDR 1962, 11. Ein nicht „prozessualisiertes“ Verwaltungsverfahren bringe einen Freiheitszuwachs in Form eines raschen, rationellen und formlosen Vorgehens, so Bettermann, VVDStRL 17 (1959), 118 (169). 43
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eigenwillige Folgerungen“ herangezogen werden, die mehr politisch motiviert als rechtswissenschaftlich fundiert erscheinen 44 – Fritz Werners griffige Formel vom Verwaltungsrecht als konkretisiertem Verfassungsrecht 45 beansprucht für die Auslegung und Anwendung der Befangenheitsvorschriften und der dahinter stehenden Verfassungswerte nach wie vor unumschränkt Geltung. Eine Besinnung auf den verfassungsrechtlichen Rückhalt war nicht nur zu den Zeiten nötig, in denen es an einer Kodifizierung dieser Regelungen ermangelte 46. Zweifelsfragen bei der Auslegung und einer unter Umständen erforderlichen Ergänzung und Gewichtung einzelner Regelungen, gerade auf dem Gebiet der Befangenheitsregeln, sind unter Hinzuziehung der grundgesetzlichen Wertungen und Aussagen zu beantworten, auch um die Regelungen in ihrer Gesamtheit und in ihrer Bedeutung für dahinter stehende Belange zu erkennen. Auch wenn das Verfassungsrecht seinerseits „nicht so sehr konkretes wie konzentriertes Recht“ ist 47, ist gerade diese Konzentration nutzbar zu machen für die Bestimmung der Bedeutung der Unbefangenheitsvorschriften im Verwaltungsverfahren oder, anders gewendet: „Einen Rechtsschutzauftrag des Verwaltungsverfahrens verfassungsrechtlich zu begründen und zu konkretisieren, muß also vorrangig bedeuten, verfahrensbezogenen Verfassungsaussagen nachzugehen mit dem Ziel, die in ihnen wirksamen generellen Verfassungsanforderungen an die Verfahrensgestaltung im exekutiven Bereich darzustellen.“ 48 (1) Die Grundrechte als Grundlage Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG ist die vollziehende Gewalt unmittelbar an die Grundrechte und ihre Wertungen gebunden. Darüber, daß die Grundrechte auch für die Ausgestaltung des Verfahrensrechts Geltung beanspruchen und dessen Prägung maßgeblich mit beeinflussen, herrscht weithin Einmütigkeit 49. Die Grundrechte als oberste Prämissen in der Verfassung wirken – ob unmittelbar oder mittelbar – in das gesamte staatlich geordnete Leben ein und sind auch wesentlicher
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Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 11. Werner, DVBl. 1959, 527 ff. Diese Geltung zeigt sich insbesondere im gesetzgeberischen Willen: „ . . . bedeutet der Erlaß eines Verfahrensgesetzes des vorgelegten Inhalts in gewissem Umfange die Konkretisierung bestehenden Verfassungsrechts.“ BT-Drs. 7/910, S. 29. 46 So aber Ossenbühl, NVwZ 1982, 465 (467). 47 Lerche, DVBl. 1961, 690 (692 ff.). 48 Degenhart, DVBl. 1982, 872 (877). 49 Vgl. nur BVerfGE 37, 132 (141, 148); 46, 325 (334); 49, 220 (225); 56, 30 (65); 61, 82 (114 ff.); BVerwGE 74, 109 (112); 92, 132 (136). BVerfGE 53, 31 (65) „ . . . Grundrechtsschutz weitgehend auch durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken ist und daß die Grundrechte demgemäß nicht nur das gesamte materielle, sondern auch das Verfahrensrecht beeinflussen, soweit dieses für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung ist.“ 45
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Gestaltungsfaktor im Rahmen des Verwaltungsverfahrens. Obwohl ursprünglich als Abwehrrechte gegen den Staat konzipiert, kann doch das Verfahren nicht auf bloße Verletzungsfreiheit reduziert werden. Der Verfahrensschutz erfolgt nicht durch die Unterlassung von Eingriffen, sondern durch die Gewährung von Teilhabe, denn die Grundrechte als Verfahrensgarantien sind die Antwort auf die Freiheitsrelevanz des Verfahrens selbst 50. (a) Die Menschenwürde Der Schutz der Menschenwürde und die Realisierung dieses ganz zu Beginn des Grundgesetzes in Art. 1 Abs. 1 manifestierten Bekenntnisses der Bundesrepublik Deutschland ist oberstes Gut in der Verfassung. Durch die universelle Geltung für alle Lebensbereiche und herausgehobene Stellung erscheint der Einwirkungsbereich unbeschränkt. Probleme wirft dabei auf, daß die Konkretisierung dieses weiten Begriffs nicht leicht gelingen kann. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 16.7.1969 einen Eckpfeiler in der Konkretisierung definiert. In dem Beschluß heißt es: „Es widerspricht der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staat zu machen.“ 51 Die Aussage, daß die Verwaltung als Teil staatlichen Handelns nicht die Menschwürde verletzen darf und die Subjektsqualität der Beteiligten stets gewahrt bleiben muß, findet damit unbesehen einhellige Zustimmung 52. Einzig die Frage nach der Ausgestaltung dieser Forderung im Verfahren, die Kristallisation dieser formlosen, alle Lebensbereiche durchdringenden Materie, ist Anlaß zu differenzierter und kontroverser Auseinandersetzung. Kopp deduziert die Verpflichtung zur Unparteilichkeit der Verwaltung direkt aus Art. 1 Abs. 1 GG. In seiner zu dieser Thematik grundlegenden Habilitationsschrift vor Erlaß des Verwaltungsverfahrensgesetzes statuiert er: „Aus dem Anspruch auf Achtung und Schutz der Menschenwürde ergibt sich weiter auch das Recht des Bürgers darauf, daß über seine Rechte nur durch einen Amtsträger entschieden wird, an dessen Objektivität und Unparteilichkeit keine begründeten Zweifel bestehen. Die Unparteilichkeit des das Verfahren führenden und schließlich für die Entscheidung verantwortlichen Amtsträgers ist nicht nur eine Forderung aus den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Sie muß auch deshalb im Verfahren gewährleistet sein, damit das Verfahren selbst sich in Formen abwickelt, die den Erfordernissen des Art. 1 GG Rechnung tragen.“ 53
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Grimm, NVwZ 1985, 865 (867). BVerfGE 27, 1 (6). 52 Degenhart, DVBl. 1982, 872 (878): „Daß die Verpflichtung der Verwaltung zur Wahrung der Menschenwürde gemäß Art. 1 GG, . . . , wirksam sind, auch dies darf als gesichertes Wissen um den Zusammenhang von Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht vorausgesetzt werden.“ 51
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Demgegenüber wird vereinzelt eine solche Herleitung für eine Überstrapazierung des Art. 1 Abs. 1 GG gehalten – auch wenn grundsätzlich eine Bindung der Verwaltungsbehörden an die Grundrechte bejaht wird – da sich bei nüchterner Interpretation wohl keine der Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze unmittelbar darauf zurückführen ließe 54. Gegen diese Ansicht ist jedoch darauf hinzuweisen, daß es durch den Bezug der einzelnen Verfahrensanforderungen auf einzelne betroffene Grundrechte bei der erprobten teleologisch-funktionalen Grundrechtsinterpretation verbleibt, die eine verfassungsrechtlich gebotene Einzelfallbetrachtung erst ermöglicht 55. Es ist sich vor Augen zu führen, in welcher Situation der Schutz der Menschenwürde im Verwaltungsverfahren an dieser Stelle verlangt wird. Das zu verbescheidende Anliegen des Bürgers liegt im Falle von Befangenheit im Verantwortungsbereich eines Amtswalters, der ein persönliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hat – in die eine oder andere Richtung. Wenn man sich von der eingriffsschematischen Betrachtungsweise löst, wie es für das Verwaltungsverfahren notwendig ist, so geht es um die abstrakte Betrachtung der Menschenwürdigkeit des Verfahrens, das auch existentielle Bereiche, etwa in Sozialverwaltungssachen, betreffen kann. Eine Trennung nach Benachteiligung und Bevorzugung bei der Entscheidung durch den Amtswalter erscheint in diesem Zusammenhang wenig sinnvoll 56. Steht allein die Sachentscheidung im Vordergrund, so ist eine Mißachtung des Art. 1 Abs. 1 GG durch Einbeziehung der Persönlichkeit des Beteiligten in die Verfahrensentscheidung unabhängig von ihrem positiven oder negativen Ergebnis für den Beteiligten festzustellen. Etwas anderes kann sich im Hinblick auf die erforderliche Intensität der Berücksichtigung von persönlichen Interessen bei der Entscheidung ergeben. Um einen Verstoß gegen die individuelle Menschenwürde zu konstatieren, bedarf es je nach Einzelfall einer Abweichung von gewissem Gewicht, bis der Beteiligte vom Subjekt des Verfahrens zum bloßen Objekt und Spielball privater Interessen des Amtsträgers degradiert wird. Somit ist jeder Einzelfall daraufhin zu überprüfen, ob er nicht dem Anspruch auf Achtung der Menschenwürde widerspricht. Eine derart „negative Inhaltskonkretisierung“ entspricht dem Vorgang der Verfassungsinterpretation 57. Abschließend ist festzustellen, daß es für eine rechtswidrige Verletzung der Menschenwürde im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens sicherlich eines schwerwiegenden Eingriffs bedarf. Dies heißt jedoch nicht, daß es eine grundsätzliche
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Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, S. 42. Laubinger, VerwArch 73 (1982), 60 (80); ablehnend auch Ule, VerwArch 76 (1985), 129 (141 ff.); zweifelnd Held, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, S. 133. 55 v. Mutius, NJW 1982, 2150 (2156). 56 So aber Kirchhof , VerwArch 66 (1975), 370 (374); ihm folgend Kazele, Interessenkollision und Befangenheit im Verwaltungsrecht, S. 50. 57 Held, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, S. 134. 54
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Überdehnung des Art. 1 Abs. 1 GG bedeuten würde, im Einzelfall zur Wahrung der Grundrechtspositionen der Beteiligten auch auf die Menschenwürde zu rekurrieren. (b) Der Gleichheitssatz Trotz einer engen Verschränkung des Gleichheitsgebots aus Art. 3 Abs. 1 GG mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG 58 hat doch jenes eigene Bedeutsamkeit für die Unbefangenheit im Verwaltungsverfahren. Im Unterschied zur umstrittenen Geltung des Art. 1 Abs. 1 GG innerhalb des Verwaltungsverfahrens ist das Bewußtsein um die Tragweite des Gleichbehandlungsgebots allgemein zu nennen 59. Die unmittelbar verfahrensrechtliche Relevanz wird daraus ersichtlich, daß bei einem Amtswalter, der im Rahmen seines Aufgabenbereiches handelt, alle Beteiligten der gleichen, gesetzmäßigen Behandlung bedürfen. Sollte nun zu einem z.B. Antragsteller ein besonderes persönliches Näheverhältnis oder Verwandtschaft gegeben sein, so bestünde die Gefahr, daß der entsprechende Bürger – unerheblich ob schlechter oder besser – ohne sachlich rechtfertigenden Grund wegen Voreingenommenheit des Amtswalters anders und damit ungleich behandelt im Vergleich zu den übrigen Antragstellern mit vergleichbaren Sachverhalt. Das Gebot der Unbefangenheit des entscheidenden Amtsträgers ist mithin direkte Forderung aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG. Eine besondere Rolle spielt dies ersichtlich im Bereich der Leistungsverwaltung, aber auch im Vergaberecht oder im Rahmen besonderer Ausnahmen wie z.B. bei Sondergenehmigungsverfahren. Jede persönlich motivierte, sachlich nicht gerechtfertigte Bevorzugung des Antragstellers kann zu gravierenden Folgen für Wettbewerber und den gesamten Markt überhaupt führen. Gerade in diesem sensiblen Bereich sind Verlagerungen auf vollkommen unbefangene Amtsträger daher unabdingbar für die Realisierung des Gleichheitsgebotes aus Art. 3 Abs. 1 GG. (c) Weitere Grundrechte Grundrechte gelten nicht nur als verfassungsrechtlich verbürgte Ausdifferenzierung sozialer Lebenssachverhalte aus dem staatlichen Herrschaftsverband, sondern sie wirken als funktionale und gleichwohl auf den Schutz des einzelnen bezogene Garantien in die Entscheidungs- und Wirkungsprozesse des politisch58 Mayer, BayVBl. 1960, 332 (337): „Rechtmäßiges Verfahren heißt ferner Beachtung des Gleichheitssatzes im Verfahren. Bei aller Formlosigkeit des allgemeinen Verwaltungsverfahrens darf es kein sachlich ungerechtfertigtes Sonderverfahren für den Einzelfall geben.“ 59 Laubinger, VerwArch 73 (1982), 60 (81); Maier, Befangenheit im Verwaltungsverfahren, S. 29; Marré, Befangenheit im Verwaltungsverfahren, S. 44; Schmidt-Aßmann, Jura 1979, 505 (507); Neßler, NVwZ 1999, 1081 (1082) m.w.N.; BVerfGE 79, 212 (218); 80, 1 (21 f.); 84, 34 (50 f.); BVerwGE 70, 143 (144 f.).
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administrativen Systems hinein 60. Die Grundrechte gelten innerhalb des Verfahrens und sind somit in spezifischem Sinne selbst Verfahrensrechte hervorgehobenen Ranges. Im Gegensatz zu den oben ausgeführten, allgemeine Geltung beanspruchenden Grundrechten der Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG, bedarf es bei der Beurteilung der Wirkung der einzelnen Grundrechte auf die Verfahrensausgestaltung des jeweiligen „sozialen Lebenssachverhaltes“. Da es sich wie dargestellt bei der Durchsetzung des Unbefangenheitsgebots im Verwaltungsverfahren um ein hohes Verfassungsgut handelt, ist auch in vielen Einzelfällen eine Ableitung dieser Regel aus den einzelnen Grundrechten geboten. In den Fokus höchstrichterlicher Rechtsprechung sind dabei bisher die Art. 2 Abs. 1 u. 2 61, 12 62, 14 63 und 16 GG getreten 64. Je nach Einzelfall kann das betroffene Grundrecht in Verbindung mit dem Gebot des geringstmöglichen Eingriffs sowohl die Entscheidung als auch die Durchführung des zur Entscheidungsfindung notwendigen Verfahrens durch einen unbefangenen Amtsträger gebieten. Durch die Einzelfallbezogenheit der in der Sache betroffenen Grundrechte 65 ist eine umfassende Behandlung an dieser Stelle für die Darstellung der übergeordneten Bedeutung der Befangenheitsvorschriften im Verwaltungsverfahren nicht weiterführend. Festzuhalten bleibt indes, daß neben der universellen Bindung des Verwaltungsverfahrens an die Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG die zwingende Ausschließung eines Amtsträgers auch direkt aus einem betroffenen Grundrecht folgen kann.
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Hufen, NJW 1982, 2160 (2164). BVerfGE 53, 30 (65): „Inzwischen haben beide Senate des Bundesverfassungsgerichts bereits ausdrücklich entschieden, daß Art. 2 Abs. 2 GG ebenfalls eine dieses Grundrecht berücksichtigende Verfahrensgestaltung gebietet.“ 62 BVerfGE 39, 276 ff., dort insgesamt zur Verfahrensrelevanz des Art. 12 GG. 63 Vgl. dazu BVerfGE 51, 150 (156): „Aus Art. 14 GG folgt unmittelbar die Pflicht der Gerichte, bei Eingriffen in dieses Grundrecht einen effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Dies schließt den Anspruch auf eine „faire“ Verfahrensführung ein, . . . “ So führte beispielsweise der damalig Bundesminister der Justiz im sog. Zwangsversteigerungsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht aus, daß die Verletzung einer gerichtlichen Aufklärungspflicht einen Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des fairen Verfahrens darstelle, der nicht nur aus Art. 2 Abs. 1 GG, sondern auch aus der grundrechtlichen Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG geltend gemacht werden könne, vgl. BVerfGE 42, 64 (71). 64 Weitere Nachweise bei Laubinger, VerwArch 73 (1982), 60 (62 ff.); Grimm, NVwZ 1985, 865 ff.; Kirchhof , VerwArch 66 (1975), 370 (374 f.). 65 Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 6. 61
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(2) Die Grundsätze des Berufsbeamtentums als Grundlage Wenn im bisherigen Verlauf überwiegend von Amtsträgern 66 und Amtswaltern gesprochen wurde, so lehnt sich dies an die Diktion der §§ 20, 21 VwVfG an, die den Ausschluß von Personen regeln, die „für eine Behörde tätig sein sollen“; dies darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß es nicht zuletzt wegen Art. 33 Abs. 4 GG zumeist Beamte im statusrechtlichen Sinne sein werden, die im Bereich eines Verwaltungsverfahrens tätig werden und eine Entscheidung zu fällen haben. Gemäß Art. 33 Abs. 5 GG ist das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln. Der Grundsatz des sachgemäßen, unparteiischen und unvoreingenommenen Handelns gehört unbestritten zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums 67. In ständiger Rechtsprechung hat bereits das preußische Oberverwaltungsgericht seit 1878 anerkannt und unterstrichen, daß auf allen Gebieten des Verwaltungsrechts im allgemeinen der Grundsatz maßgeblich anzuerkennen sei, daß Beamte, deren persönliches Interesse von einer Amtshandlung wesentlich betroffen werde, sich der Beteiligung an dieser zu enthalten haben 68. Für den Fall, daß die Unbefangenheit nicht mehr als voll gesichert gelten kann, ist der betreffende Amtsträger „als unfähig zur Ausübung einer amtlichen Thätigkeit in der vorliegenden Sachen an(zu)sehen . . . “ 69. Zu den in Art. 33 Abs. 5 GG angesprochenen Regeln des öffentlichen Dienstes zählen neben anderen Vorschriften das Bundesbeamtengesetz (BBG) und das Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG). Die hier im Blickpunkt stehenden Normierungen zu einer unparteiischen und unabhängigen Amtsführung finden sich dabei in § 52 Abs. 1 BBG: „Der Beamte dient dem Volke, nicht einer Partei. Er hat seine Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und bei seiner Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu nehmen.“, § 52 S. 2 BBG: „Er [der Beamte] hat sein Amt uneigennützig nach bestem Gewissen zu verwalten.“ sowie in den wortgleichen §§ 35 Abs. 1 S. 1, 36 S. 2 BRRG und § 59 BBG, der die Befreiung von Amtshandlungen bei Verwandtschaft anordnet. Dabei ist zu beachten, daß es sich bei den genannten Regelungen um Innenrecht handelt und nur das Verhältnis des Beamten zu seinem Dienstherrn geregelt wird. Eine unmittelbare Außenwirkung zum Bürger hin tritt nicht ein. Sollte es zu 66
So die Bezeichnung im der Gesetzesbegründung, BT-Drs. 7/910, S. 47 zu § 17 des Entwurfs (entspr. dem heutigen § 21 VwVfG). 67 Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9, Rn. 62, § 20 Rn. 2; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, Vor § 20, Rn. 7; Held, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, S. 40; Kirchhof , VerwArch 66 (1975) 370 (374); dazu unter Berücksichtigung des Art. 130 WRV Ule, VerwArch 76 (1985), 129 (150 ff.); BVerwG NVwZ 1988, 66. 68 PrOVGE 4, 326 (328); 23, 209 (212); 59, 466 (467); bestätigt durch BVerfGE 9, 268 (286). 69 PrOVGE 16, 355 (357).
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einem Ausschluß eines Beamten aufgrund der beamtenrechtlichen Bestimmungen kommen, so tritt die Veränderung im Verhältnis zum Bürger – in der Form, daß ein anderer Beamter über seinen Antrag entscheidet – lediglich als Reflex ein. Wie sich aus den Bestimmungen des BBG und BRRG ergibt, erzeugt die Rechtsstellung als Beamter Pflichten und Rechte. Art und Umfang der Pflichten und Rechte des Beamten ergeben sich hierbei aus der Rechtsnatur des Beamtenverhältnisses als eines öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses und den vom Grundgesetz hervorgehobenen hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums 70. Dabei dienen auch die Vorschriften über die rechtliche Stellung des Beamten – wie die Institution des Beamtentums überhaupt – dem Wohle der Allgemeinheit. Die Pflicht zur Unparteilichkeit gebietet es dem Beamten, objektiv und ausschließlich nach sachlichen Gesichtpunkten die ihm übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Diese Pflicht erstreckt sich auch auf sein Verhalten außerhalb des Dienstes, das keinerlei Zweifel an seiner unparteiischen Amtsführung entstehen lassen darf 71. Autorität und Machtbefugnisse des Staates sind den Beamten nur übertragen, um diese für das allgemeine Wohl einzusetzen, nicht aber um davon im eigenen Interesse oder im Interesse seiner Angehörigen Gebrauch zu machen. Daraus wird ersichtlich, daß auch im Bereich des Beamtenrechts, das heißt außerhalb des VwVfG, die Behandlung des Unbefangenheitsgebots über eine lange Tradition verfügt und einen außerordentlich hohen Grad an Beachtung in Umfang und Inhalt erfährt. Dem Fazit, ein Rechtsstaat könne nur durch eine unabhängige und unparteiliche Beamtenschaft gesichert werden 72, ist daher umfassend zuzustimmen. (3) Das Demokratieprinzip als Grundlage Der durch das Parlament als Repräsentant des Volkes in Gesetzen niedergelegte Wille zur Ordnung des öffentlichen Lebens muß durch die Verwaltung, dort insbesondere im Verfahren, auch für den Einzelfall, vollzogen werden: Die Verwaltung wird insoweit auch mit der Verwirklichung dessen beauftragt, was demokratische Staatswirklichkeit ausmacht 73. Aus dem in Art. 20 Abs. 1 u. 2 GG statuierten Demokratieprinzip ergibt sich die Notwendigkeit eines Verwaltungsverfahrens, in dem der Bürger mit eigenen Rechten ausgestattet ist und die Verwaltung den Beteiligten und der Allgemeinheit Rechenschaft über ihr Handeln geben muß 74. Das Verfahrensrecht muß Gewähr dafür tragen, daß das Gesetz – und nur dieses – bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt wird. Das Einwirken persönlicher Inter-
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Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG, Vor § 52, Rn. 1. Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG, § 52, Rn. 2. Ule, VerwArch 76 (1985), 129 (157). Kirchhof , VerwArch 66 (1975), 370 (376). Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, S. 180.
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essen in die Entscheidungsfindung liefe damit dem vom Gesetzgeber intendierten Zweck seiner Regelung entgegen. Gleiches gilt im Rahmen des Verfahrens unmittelbar für den Grundsatz der Unbefangenheit. Aus dem Demokratieprinzip und der parlamentarischen Repräsentation des Volkes folgt die Forderung nach einer inneren Distanzwahrung zwischen dem Entscheidenden und dem Entscheidungsgegenstand. Insofern ist die Unbefangenheit der Verwaltungsentscheidung eine Bedingung materieller Demokratie 75. Damit handelt es sich bei den Befangenheitsregelungen auch um eine verfahrensmäßige Abbildung sachlich-inhaltlicher demokratischer Legitimation, da sich der Wille des Souveräns und nicht jener des Amtswalters in der Entscheidung wiederfindet. Zugleich sind die Regelungen der §§ 20, 21 VwVfG vor dem Hintergrund der personellen demokratischen Legitimation zu sehen 76. Eine solche Legitimation als Ausfluß der Volkssouveränität und dem daraus als Herrschaftsmodell denkbaren und in Art. 20 Abs. 1 u. 2 GG manifestierten Demokratieprinzip ist für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme unabdingbar. Über die Amtsstellung und den dazugehörigen Einsetzungsakt des jeweilig Handelnden wird personelle Legitimation vermittelt. Die dafür notwendigen Rahmenbedingungen durch eine Ämterorganisation und den begleitenden verwaltungsrechtlichen Befangenheitsvorschriften bieten die Gewähr einer distanzierten und uneigennützigen Amtsführung im Dienste des Allgemeinwohls in Übereinstimmung mit dem Grundsatz der personellen Legitimation nach dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip. Denn das Distanzgebot eines demokratisch geformten Gemeinwesens gebietet als Ausdruck des Gemeinwohls die Distanz gegenüber Sonderinteressen 77. Der Verlust dieser inneren Distanz bedeutet zugleich einen Verstoß gegen das Gebot der (reinen) Umsetzung des vom Volk abgeleiteten gesetzgeberischen Willens. (4) Das Rechtsstaatsprinzip als Grundlage Gemäß Art. 20 Abs. 3 GG ist die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden. Dieser Teil des Rechtsstaatsprinzips umfaßt bei seiner zwingenden Bindungsanordnung sowohl formelle als auch materielle Bestandteile 78. Eine Gewichtung hin zur stärkeren Berücksichtigung der materiell-rechtlichen unter Zurücksetzung der formellen Vorgaben wurde nicht statuiert. Daraus ergibt sich, daß die formellen Voraussetzungen für ein rechtsstaatliches Verfahren nicht weniger zu beachten sind als die materiell-rechtlichen Normierungen für ein gesetzmäßiges Ergebnis. 75
Kirchhof , VerwArch 66 (1975), 370 (376). Vgl. Böckenförde in: HdbdStR, Bd. II, § 24; zur verfassungsrechtlichen Betrachtung des Demokratiegrundsatzes vgl. Kapitel 3, § 8 sowie zur Kollisionsproblematik Kapitel 4, §§ 12, 13. 77 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 40, 85. 78 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 40. 76
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Kap. 2: Der befangene Bundesminister im Verwaltungsverfahren
Daß auch das Verwaltungsverfahren selbst und nicht erst die gerichtliche Kontrolle der getroffenen Entscheidung rechtsstaatlichen Anforderungen genügen muß, wurde nicht zu allen Zeiten unumstritten unterstützt. Eine Dekade nach Inkrafttreten des Grundgesetzes und seines Bekenntnisses zum Rechtsstaatsprinzip schrieb Karl August Bettermann gegen eine „Prozessualisierung des Verwaltungsverfahrens“ an 79. Mit der verfassungsrechtlich verankerten Entscheidung zugunsten des Rechtswegstaates sei kein Raum mehr für einen Ausbau des Verwaltungsverfahrens. Diese Prozessualisierung des Verwaltungsverfahrens diene überwiegend dem Schutz des Bürgers. Dieser angestrebte Schutz werde aber bereits vollauf ausreichend, wenn nicht sogar schon im Übermaß, durch die Verwaltungs- und Verfassungsgerichte gewährleistet. Für Bettermann galt die Gleichung, daß je mehr und je bessere Verwaltungsgerichtsbarkeit gegeben sei, desto weniger Justizförmigkeit der Verwaltung sei notwendig 80. Dem ist jedoch entgegenzutreten. Bereits unter dem Aspekt der Arbeitsüberlastung der Gerichte kann eine Verlagerung des Rechtsschutzes in dieses Stadium nicht befürwortet werden. Gewichtiger noch ist die Tatsache, daß die Möglichkeit nachträglicher „Störungsbeseitigung“ durch gerichtliche Aufhebung sachfremd motivierter Verwaltungsentscheidungen keineswegs von der Verpflichtung enthebt, schon auf einer früheren Stufe Regeln zur Abwehr entsprechender Gefahren vorzusehen und zu beachten. So wird wohl niemand ernsthaft die Auffassung vertreten wollen, das Kind solle ruhig in den Brunnen fallen, weil es daraus ja wieder gerettet werden könne 81. Zu kritisieren ist zudem die mangelnde Auseinandersetzung dieser Ansicht mit der Geltung des Rechtsstaatsprinzips auch für die Verwaltung, wie von Art. 20 Abs. 3 GG gefordert 82. Jedenfalls fordert der Rechtsstaat nicht nur den Rechtsschutz durch unabhängige Verwaltungsgerichte, sondern auch schon ein an seinen Grundsätzen orientiertes Verwaltungsverfahren 83 und würde der Verwaltung allzu großes Vertrauen entgegengebracht, wollte man ihr völlige Freiheit einräumen, wie sie ihr Verfahren einrichtet 84. Zudem ist zu beachten, daß der Richter nur ein Garant des Rechtsstaates ist, nicht jedoch sein alleiniger. Der Rechtsstaat bedarf schon auf der untersten Stufe der Verwaltung der Bewährung; er beginnt nicht erst beim
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Bettermann, VVDStRL 17 (1959), 118 (168). Bettermann, VVDStRL 17 (1959), 118 (168). 81 Scheuing, NVwZ 1982, 487 (488). 82 Ule, VerwArch 76 (1985), 129 (138). 83 Ule, DVBl. 1957, 597 (601); Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9, Rn. 67. 84 Wimmer, MDR 1962, 11 (12). 80
§ 4 Unbefangenheit im Verwaltungsverfahren als Verfassungsgebot
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Richter 85. Das Verwaltungsverfahren selbst ist bereits in vollem Umfang ein rechtliches Verfahren, das lediglich nochmaliger Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Richter zugänglich gemacht wird. So wird in neuerer Zeit die Unparteilichkeit der Amtsträger im Verwaltungsverfahren als Bestandteil und Wesenselement des Rechtsstaatsprinzips schlechthin angesehen 86 – einer besonderen Hervorhebung bedürfe es insoweit nicht mehr 87. Gerade diese Selbstverständlichkeit in der Behandlung verdeutlicht die außerordentliche Bedeutung und enge verfassungsrechtliche Anbindung einer unabhängigen und rein sachlich orientierten Entscheidung. Bildhaft ausgedrückt ist der Kampf gegen die persönliche Motivation verfassungsgeschichtlich ein Kampf um die Durchsetzung des Rechtsstaates. Die Gesetzesbindung sichert die Unparteilichkeit der vollziehenden Gewalt, soweit ein Gesetzesbefehl strikte Verbindlichkeiten schafft 88. Nichts anderes ergibt sich bei Berücksichtigung des Grundsatzes des fairen Verfahrens, der zwar zunächst für das Prozeßrecht entwickelt wurde, sich aber als direkte Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip nicht auf das gerichtliche Verfahren beschränken läßt, sondern für jegliches rechtsstaatliche Verfahren Geltung beansprucht 89. Nur über den Weg des gesetzmäßigen Handelns der Verwaltung kann Rechtsklarheit und damit einhergehend Rechtssicherheit für die Bürger geschaffen werden. Ein rechtsstaatlich geordnetes Verwaltungsverfahren, das in diesem Sinne von vornherein größtmögliche Garantien für die Richtigkeit und Gerechtigkeit des Verwaltungshandelns bietet, stellt deshalb eine notwendige Voraussetzung der staatsbürgerlichen Freiheit dar 90. Das Rechtsstaatsprinzip, wie es in Art. 20 Abs. 3 GG seine Ausformung gefunden hat, beinhaltet unmittelbar die Gewährleistung einer Entscheidung durch einen unbefangenen Amtsträger – erst damit genügt das Verfahren den Anfor-
85 Mayer, BayVBl. 1960, 332 (338); Gesetzesbegründung zu § 17 VwVfG, die den Grundsatz der Unparteilichkeit und Unbefangenheit als wesentlichen Bestandteil eines rechtsstaatlichen Verfahrens bezeichnet, BT-Drs. 7/910, S. 47. 86 Ossenbühl, NVwZ 1982, 465 (467). 87 Vgl. nur Schmidt-Aßmann, Jura 1979, 505 (507); Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, § 20, Rn. 1. 88 Kirchhof , VerwArch 66 (1975), 370 (371); Ule, DVBl. 1957, 597, 602 sieht die Ablehnung einer Amtsperson wegen Besorgnis der Befangenheit als besonderes Mitwirkungsrecht, welches Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips sei. 89 BVerwGE, NVwZ 1987, 578 (582); Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9, Rn. 60; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 6; Di Fabio, in: Maunz/Dürig/ Herzog, GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 72 f. 90 Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, S. 57, 88.
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Kap. 2: Der befangene Bundesminister im Verwaltungsverfahren
derungen der Rechtsstaatlichkeit 91. Somit kann der Ausspruch Jherings, daß die Form die geschworene Feindin der Willkür und die Zwillingsschwester der Freiheit ist, auch heute noch volle Gültigkeit für sich beanspruchen 92.
§ 5 Die Rechtsfolgen der §§ 20, 21 VwVfG I. Rechtsfolgen für den befangenen Amtsträger Ist eine Verwaltungsentscheidung – in unterschiedlicher gradueller Schattierung – das Produkt reiner Gesetzessubsumtion, so müssen sich zwangsläufig andere Gewichtungen hinsichtlich der Beurteilung von aufgetretenen Unbefangenheitsmängeln ergeben als bei relativ autonomen Entscheidungen im Rahmen des Verwaltungsermessens. Eine sog. gebundene Amtshandlung steht mehr oder weniger im vorhinein fest, so daß der Einwirkung der Befangenheit kaum Raum gelassen wird. Das bedeutet, daß das Hauptanwendungsgebiet des Unbefangenheitsprinzips die Ermessensbetätigung ist, da sie in einer gewissen Autonomie erfolgt, in der die sachfremde Motivation stärker Wirkung entfalten kann 93. Gerade durch den bereits oben beschriebenen Wandel der Verwaltung von rein reaktiver, die Unordnung beseitigender Tätigkeit hin zu zukunftsorientierter Planung und Gestaltung, hat die Zahl der Entscheidungen zugenommen, deren Ergebnis nicht mehr nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen vom Gesetz determiniert ist. Verwalten bedeutet nurmehr nicht lediglich den Vollzug eines Gesetzesbefehls, sondern Verwalten ist in erster Linie Entscheidungsbildung, der das Gesetz einen Entscheidungsrahmen vorgibt, die sich im übrigen aber nur auf die Ziele des jeweiligen Gesetzes und des Verfassungsstaates ausrichtet. Die Wirkungsweise des Unbefangenheitsgebots in diesem Zusammenhang läßt sich mit folgenden Worten sehr plastisch beschreiben: „Die Ordnungsmäßigkeit des Rechtsvollzugs kann durch verwaltungsinterne Aufsicht gewährleistet werden; das Unbefangenheitsprinzip vermeidet deswegen weniger die bewußte Mißachtung richtig erkannten Rechts, sondern eher die subjektive Verfremdung rechtsorientierter Entscheidungen im Freiraum rechtlicher Entscheidungsgewalt.“ 94 Das kreierende Handeln der Verwaltung beinhaltet Aufgaben, deren Erfüllung von zahlreichen externen, vom Staat nur begrenzt kontrollierbaren Faktoren abhängt. Aufgrund der aufgezeigten Komplexität der Entscheidungsfindung und Berücksichtigung mannigfaltiger Umstände, die das vormals relativ einfache zweipolige Schema von Ordnung 91 Laubinger, VerwArch 73 (1982), 60 (80); Ule, VerwArch 76 (1985), 129 (141 ff.); Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 6; VGH München, NVwZ 1982, 510 (512); Streinz, in: ders., EUV/EGV, Art. 41 GR-Charta, Rn. 4. 92 Jhering, Geist des römischen Rechts, 2. Teil, S. 471. 93 Dagtoglou, in: FG Forsthoff, 1967, S. 65 (77); Wimmer, MDR 1962, 11. 94 Kirchhof , VerwArch 66 (1975), 370 (372, Fn. 13).
§ 5 Die Rechtsfolgen der §§ 20, 21 VwVfG
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und Unordnung sprengt, läßt sich das Ergebnis gedanklich nicht vollständig abstrakt vorwegnehmen und folglich auch nicht mehr generell nach Tatbestand und Rechtsfolgen normieren 95. Als Konsequenz daraus folgt, daß durch die geringere Determinierung des Ergebnisses ein um so größeres Gewicht dem Entscheidungsverfahren selbst zu Teil wird. In solchen Fällen muß das Verfahrensrecht das materiell-rechtliche Defizit an Richtigkeitsgewähr kompensieren. Verfahrensrichtigkeit wird zur Sachrichtigkeit 96. Trotz der allgemeinen Anerkennung der Relevanz der Verfahrensrichtigkeit – gerade im Bereich der Ermessensentscheidungen – und im Hinblick auf die Erheblichkeit der Entscheidung für die Beteiligten, wurde ein subjektives Ablehnungsrecht für die Beteiligten nicht in das Gesetz aufgenommen. Man befürchtete eine mißbräuchliche Ausnutzung dieses Rechts und eine daraus resultierende Verfahrensverschleppung 97. Aber auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verwaltungseffizienz ist fraglich, ob diese Befürchtungen wirklich den Ausschluß eines Ablehnungsrechts rechtfertigen oder ob nicht die Belange der Beteiligten stärkere Beachtung finden müssen. Der am Verfahren Beteiligte ist der am unmittelbarsten von einer Befangenheit Betroffene. Zugleich hat er die meisten Erkenntnismöglichkeiten über potentielle unsachliche Faktoren, die auf den Amtsträger einwirken könnten. Dem hat auch § 71 Abs. 3 S. 1 VwVfG Rechnung getragen, wenn er in einem förmlichen Verfahren ein subjektives Ablehnungsrecht statuiert. Aber auch für das nichtförmliche Verfahren muß ein solches Ablehnungsrecht gegenüber dem magistratus suspectus gelten, denn der Interessenschutz der Beteiligten darf hier nicht weniger scharf verfolgt werden 98. Dabei wird nicht übersehen, daß der Beteiligte selbst in reinster Form „befangen“ ist hinsichtlich seines eigenen Begehrens. Der Einwand der naheliegenden Mißbrauchsmöglichkeit eines solchen Instruments, um eine befürchtete negative Entscheidung zu verhindern oder zumindest zu verzögern, ist nicht von der Hand zu weisen. Indes ist die Reaktion auf diese Gefahr durch den völligen Ausschluß eines Ablehnungsrechts übertrieben und unangemessen. Bei einem Fall des Mißbrauchs ist das Vorbringen des Beteiligten ohne weiteres zurückzuweisen, wie dies auch für die prozessualen Regelungen des Ablehnungsrechts seit jeher anerkannt ist 99. Wie sich aus der Begründung zum Gesetzesentwurf 1973 selbst ergibt, begegnet die Annahme eines solchen Ablehnungsrechts keinen grundsätzlichen Bedenken. Einzig die Sorge um die Zügigkeit des Verfahrens veranlaßte den Gesetzgeber, die Regelung eines Ablehnungsrechts zu unterlassen. Wie gezeigt, kann jedoch der Mißbrauchsgefahr im Wege der Mißbrauchskontrolle wirkungsvoll begegnet werden. Auf diese Weise würde die Verfahrenseffizienz nicht leiden und zugleich wäre eine signifikante Verbesserung der Stellung der Beteiligten im Verfahren erreicht. Im Hinblick auf den Begriff der Effizienz läßt sich auch nicht gegen ein Ablehnungsrecht anführen, daß der gerichtliche Rechtsschutz ausreichend Gelegenheit biete, eine Überprüfung der Befangenheit vorzunehmen. Erstens ist der
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Grimm, NVwZ 1985, 865 (866). Ossenbühl, NVwZ 1982, 465 (466). 97 Gesetzesbegründung zu § 17 VwVfG, BT-Drs. 7/910, S. 47. 98 Dagtoglou, in: FG Forsthoff, 1967, S. 65 (83). 99 Meyer-Ladewig, SGG, § 60, Rn. 10; Thomas/Putzo, ZPO, § 42, Rn. 5; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, § 54, Rn. 20; Kopp/Schenke, VwGO, § 54, Rn. 16. 96
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Prüfungsmaßstab im Gerichtsverfahren ein anderer, so daß nicht sämtliche Umstände in gleicher Weise gewürdigt werden können, 100 und zweitens ist der Fokus der Effizienz nicht zu eng zu fassen. Mit dem Hinweis auf die Existenz der Verwaltungsgerichtsbarkeit findet damit lediglich eine Verlagerung der Geltendmachung durch den Beteiligten statt. Das bedeutet, daß aus einer Frage, die in einem konkreten Verwaltungsverfahren zu klären ist, ein umfassend neues Gerichtsverfahren entsteht, mit allen dazu gehörenden Anhörungen, Beweisaufnahmen, Verhandlungen etc. Das führt zu dem Ergebnis, daß die zu treffende Entscheidung bis zu ihrer endgültigen Fassung ein erneutes Verfahren durchlaufen und sowohl Zeit als auch Geldmittel in nicht unerheblichem Umfang verschlungen hat 101. Bezieht man die Forderung nach Effizienz auf die in der Sache zu treffende Entscheidung und nicht nur auf das Verwaltungsverfahren selbst, so zeigt sich, daß ein Ablehnungsrecht für diese nur förderlich ist. Der anderenfalls geltende Grundsatz „Dulde und fechte (später) an“ 102 steht dem Begriff der Effizienz insoweit diametral gegenüber. Unterstützend für diese Sichtweise kann die verbreitete Auffassung herangezogen werden, daß ein Beteiligter, der die nach seiner Meinung gegebene Befangenheit nicht zumutbar schnell rügt, den Anspruch auf Aufhebung der Entscheidung aus diesem Grund verwirkt 103. Dieser aus § 26 Abs. 2 VwVfG entnommenen Mitwirkungspflicht, die bezugnehmend auf die geschilderte Situation auch „Mitwirkungslast“ 104 genannt werden kann, muß folglich ein Ablehnungsrecht korrespondieren 105.
Neben diesem zu fordernden Ablehnungsrecht ist fraglich, welche konkreten Rechtsfolgen die festgestellte Zugehörigkeit des Amtsträgers zum ausgeschlossenen Personenkreis des § 20 VwVfG oder die negative Anordnung des Behördenleiters nach § 21 VwVfG für den Amtsträger zeitigen. § 20 Abs. 1 S. 1 VwVfG ordnet an, daß der Betroffene „in einem Verwaltungsverfahren ( . . . ) nicht für eine Behörde tätig werden (darf) . . . “ und § 21 VwVfG verpflichtet den Amtswalter, sich „der Mitwirkung (im Verwaltungsverfahren) zu enthalten.“ Bei einer solchen Weite in der Begrifflichkeit des Tätigkeits- und Mitwirkungsverbots ist es verständlich, daß sich ein breites Spektrum verschiedener Konkretisierungsansätze und Einzelfallbetrachtungen in Literatur und Rechtspre100
V. Mutius, in: FS Menger, 1985, S. 575 (586), unter Hinweis auf Begrenzung der Überprüfung auf rechtliche Ermessensgrenzen und Entscheidungsprärogativen der öffentlichen Verwaltung. 101 So auch Scheuing, NVwZ 1982, 487 (489) und Engelhardt, in: Obermayer/Fritz, VwVfG, § 21, Rn. 18: „Obstruktion und Verschleppung sind überholte Sorgen aus der Zeit der Entstehung des VwVfG und ohne Zügigkeitsverlust verfahrensrechtlich lösbare Probleme.“ 102 So noch Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, Vor § 20, Rn. 9. 103 Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 12, Rn. 29; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 21, Rn. 4. 104 Kopp, BayVBl. 1994, 109. 105 Ule, DVBl. 1957, 587 (602); zustimmend Kirchhof , VerwArch 66 (1975), 379 (382), unter Hinweis auf die Unschärfe des Befangenheitsbegriffs; Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, S. 176 f., 223, als Forderung aus dem Gleichheitsgebot und der Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit der Verwaltung.
§ 5 Die Rechtsfolgen der §§ 20, 21 VwVfG
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chung herausgebildet hat. Allen am Wortlaut orientierten Auslegungs- und damit zugleich Begrenzungsversuchen steht jedoch gerade die Formulierung der §§ 20, 21 VwVfG entgegen, so daß sich wohl als einziges, scheinbar perplexes Ergebnis einer grammatikalischen Auslegung die Feststellung treffen läßt, daß das Tätigkeits- und Mitwirkungsverbot unbeschränkt gilt. Daraus wird ersichtlich, daß verwertbare Aussagen über die Reichweite des Verbots nur über die Betrachtung des Prismas der ratio hinsichtlich der in Rede stehenden und ihnen verwandte Vorschriften zu erhalten sind. Die verschwommen normierten Rechtswirkungen der §§ 20, 21 VwVfG lassen sich unter Ziel- und Zweckgesichtspunkten in ihre Bestandteile auffächern und können nur so singuläre und klare Aussagen über die Ausgestaltung und Reichweite des Tätigkeitsund Mitwirkungsverbots liefern. Unstrittig können zur Auslegung der Reichweite sowohl die Literatur als auch die Rechtsprechung zu den Parallelvorschriften der §§ 16, 17 SGB X und §§ 82, 83 AO 1977 herangezogen werden 106. Bei allen Bestimmungen handelt es sich um gleichgerichtete und überwiegend wortgleiche Vorschriften ein Verwaltungsverfahren betreffend. Insbesondere die §§ 82, 83 AO 1977 standen als Vorbild bei der Schaffung der §§ 20, 21 VwVfG Pate 107. Wie sich aus der bewußt allgemein gehaltenen Fassung des § 20 Abs. 1 VwVfG ergibt, werden auch vorbereitende Tätigkeiten wie z.B. die Ermittlung des Sachverhalts durch die Vernehmung von Zeugen vom Tätigkeitsverbot erfaßt 108. Auch bei diesem Tun, das nicht unmittelbar in der Entscheidung mündet, ist dessen langfristiger Einfluß auf den Verfahrensgang und dessen Ergebnis nicht zu unterschätzen. Eine Entscheidung kann nur so gesetzmäßig und sachlich richtig sein, wie es der ihr zugrunde liegende Sachverhalt zuläßt. Ist dieser bereits durch subjektive (auch unterbewußte) Einflußnahme verfärbt, muß das Bemühen um eine richtige Entscheidung scheitern. Daher gelten die Ausschlußgründe nicht nur für die das Verfahren leitenden Amtsträger, sondern auch für alle sonstigen Personen, durch die das Ergebnis aufgrund ihrer Mitwirkung beeinflußt werden kann. Der so betroffene Personenkreis ist weit zu fassen, um dem Ziel der §§ 20, 21 VwVfG nicht entgegen zu wirken. So fallen auch Protokollführer, Sachverständige 109 und Dolmetscher darunter, aber auch Mitwirkungshandlungen anderer Behörden sind unter diesem Blickwinkel 106 Clausen, in: Knack, VwVfG, § 20, Rn. 1; v. Wulffen, SGB X, § 16, Rn. 1 f.; Brockmeyer, in: Klein, AO, § 82, Rn 1; Ule, VerwArch 76 (1985), 129 (144). 107 BVerwG, NVwZ 1984, 718 (720); Innenausschuß des Bundestages, zitiert nach Eichler/Oestreicher, VwVfG, § 20, 6. 108 Gesetzesbegründung, BT-Drs. 7/910, S. 45. 109 Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung im Verwaltungsrecht, S. 128 f.; Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 20, Rn. 24, wollen auf den Einzelfall abstellen; für eine analoge Anwendung der §§ 20, 21 VwVfG auf Sachverständi-
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kritisch zu betrachten und dem Geltungsbereich der Unbefangenheitsregeln in dem Verfahren zu unterwerfen 110. Erst recht muß daher das aktive Weisungsrecht des befangenen Amtsträgers ausscheiden 111. Aber auch umgekehrt ist grundsätzlich ein Handeln des Befangenen auf eine Weisung hin ausgeschlossen. Nur wenn die Weisung so klar bestimmt ist, daß keinerlei eigene Ausfüllungsmöglichkeiten mehr bestehen und so die Ausführung der Weisung zu rein mechanischen Tätigkeit mutiert, die der Botenschaft näher steht als einer eigenverantwortlichen Handlung, kann eine unzulässige Manipulation mit Sicherheit vermieden werden. Aber auch hier ist zu beachten, daß eine eingehende Untersuchung der Weisung durch den Befangenen auf ihre Klarheit und Vorbestimmtheit hin zu unternehmen ist. Dies begegnet seinerseits wiederum nicht unerheblichen Bedenken. Erstens wird durch diese Abwägung erneut (Rechts-)Unsicherheit in das Verfahren getragen, die gerade zu vermeiden eines der Ziele der §§ 20, 21 VwVfG ist. Zweitens wird der Befangene im Zweifel eher zu einer Zulassung der Handlung durch sich gelangen, wodurch die Selbst-Prüfung zu einem Zirkelschluß gerät und eine Einflußnahmemöglichkeit wiederum – wenn auch nur in Randbereichen – gegeben ist. Man wird das Handeln auf Weisung daher auf den Bereich begrenzen müssen, in dem der (unbefangene) Weisungsgeber um die (mögliche) Befangenheit des Empfängers weiß und die Weisung daher so erteilt, daß sie sich gewissermaßen als Automatismus im Verfahren verwirklicht 112. Das grundlegende telos der Unbefangenheitsregeln wird auch in § 20 Abs. 4 VwVfG für die Ausschußarbeit verdeutlicht. Dort wird normiert, daß bei Zweifeln über die Befangenheit eines Mitgliedes der Ausschuß ohne Mitwirkung des Betroffenen (S. 3) über dessen Ausschluß entscheidet. Satz 4 bestimmt als Rechtsfolge im Falle eines Ausschlusses, daß das befangene Mitglied bei der weiteren Beratung und Beschlußfassung nicht zugegen sein darf. Auch wenn überlegenswert erscheint, ob man anhand des differenzierten Wortlauts in Satz 3 („ohne Mitwirkung“) und 4 („nicht zugegen sein“) ein Anwesenheitsrecht des Betroffenen bei der Beratung und Beschlußfassung über seinen Ausschluß wenigstens im Zuhörerraum bejaht 113, so läßt doch zumindest der Wortlaut des Satzes 4 ge im nicht förmlichen atomrechtlichen Aufsichtsverfahren OVG Lüneburg, NVwZ 1996, 607 (609). 110 Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 11 ff.; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 12, Rn. 5; Scheuing, NVwZ 1982, 487 (490). 111 BVerwG, NVwZ 1984, 718 (720). 112 Weitgehende Übereinstimmung ist hingegen zu recht zu der Frage erzielt worden, ob auch Tätigkeiten, die lediglich ausführenden Charakter ohne die geringste Möglichkeit eigener Einflußnahme haben, zum Tätigwerden i.S.d. §§ 20, 21 VwVfG zählen. Diese „neutralen“ Verrichtungen sind z.B. Boten-, Zusteller-, Fahrer- und Schreibtätigkeiten, die bereits denklogisch keinerlei Wirkung auf die zu treffende Entscheidung haben können, sind auch dem Befangenen gestattet, vgl. Clausen, in: Knack, VwVfG, § 20, Rn. 7; Engelhardt, in: Obermayer/Fritz, VwVfG, § 20, Rn. 30; Kühn/Hofmann, AO 1977, § 82, Nr. 7.
§ 5 Die Rechtsfolgen der §§ 20, 21 VwVfG
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keinen Zweifel daran, daß nach der Ausschlußentscheidung nur die vollständige räumliche und zeitliche Abwesenheit des Betroffenen die gesetzlich bestimmte Folge ist 114. Diese gesetzliche Anordnung entspricht der Bedeutung und verfassungsrechtlich vorgegebenen Zielrichtung des Unbefangenheitsprinzips der Verwaltung in zu begrüßender Klarheit und Konsequenz. Die Verhinderung einer Unterwanderung der Entscheidung durch subjektive Willenslenkung eines Ausschußmitglieds kann nur durch die gänzliche Abwesenheit garantiert werden. Die Vorstellung, daß ein Ausschuß unter den Argusaugen des Ausgeschlossen, der im Zuhörerraum sitzt, vollkommen unbeeinträchtigt diskutiert und entscheidet, zeugt von nicht nachvollziehbarer Realitätsferne. Wer ein persönliches Interesse am Ausgang eines Verfahrens in einer bestimmten Weise hat, hat dies auch vorher kundgetan oder wissen die Ausschußkollegen durch die Vertrautheit untereinander, welches Ergebnis für den Befangenen wünschens- und erstrebenswert ist. Wie leicht kann durch die reine Beobachtung der Entscheidungsfindung und insbesondere Abstimmung aus einer Enthaltung eine Zustimmung resp. Ablehnung entstehen. Richtigerweise ist somit sowohl die Teilnahme an der Beratung als auch die Beobachtung dem befangenen Ausschußmitglied untersagt 115. Nicht anders stellt sich die Situation für Gemeinderatsentscheidung auf kommunaler Ebene dar 116.
113 So Clausen, in: Knack, VwVfG, § 20, Rn. 22; dagegen u.a. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 51. 114 Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 20, Rn. 53; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 51; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 20, Rn. 22; anders nur Engelhardt, in: Obermayer/Fritz, VwVfG, § 20, Rn. 106, jedoch ohne Begründung. 115 Foerster, VR 1987, 111 (112); Kirchhof , VerwArch 66 (1975), 370 (381). 116 Die Gemeindeordnungen und Kommunalverfassungen der Länder normieren diesen Bereich in mehr oder weniger offener Formulierung mit der Anordnung, die Sitzung sei zu verlassen (so § 18 Abs. 5 BaWüGO, § 22 Abs. 4 SchlHGO), die Abstimmung sei verboten (Art. 49 Abs. 3 BayGO) oder bei öffentlicher Sitzung sei der Zuhörerraum aufzusuchen und bei nicht öffentlicher Sitzung der Raum gänzlich zu verlassen (§ 28 Abs. 4 BrBGO, § 26 Abs. 5 NGO; § 31 Abs. 5 GOLSA). § 25 Abs. 4 HGO ordnet in Kürze und Klarheit an, daß der Betroffene den „Beratungsraum“ zu verlassen habe. Wie oben erläutert, kommt nur dieser Befehl der optimalen Durchsetzung des Unbefangenheitsgebots nach und vermeidet den „bösen Schein“. Bereits in seinem Urteil vom 09.02.1971 erkannte der HessVGH dies für Recht. Dem ist zuzustimmen. Gerade auch unter Bezugnahme auf die unterschiedlichen länderspezifischen Regelungen rekurriert der HessVGH auf § 25 Abs. 3 DGO, der bestimmte, daß den Beratungsraum verlassen muß, wer an der Beratung nicht teilnehmen darf und somit den einheitlichen Gedanken der verschiedenen Rechtsvorschriften zum Ausdruck bringt. Der Beratungsraum umfaßt dabei den gesamten Sitzungsraum, mithin auch den Zuschauerraum, ebenso wie die Räume, in welche die Sitzung mittels optischer und akustischer Anlagen übertragen wird. Eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und nichtöffentlicher Sitzung, um den Ausgeschlossenen einem interessierten Bürger gleichzustellen, erscheint daher verfehlt. Wie dargelegt und durch den HessVGH unterstrichen, kann die Abwesenheit des Befangenen der Objektivität des Gremiums nur förderlich sein. Zu Recht weist von Mutius (VerwArch 65 (1974), 429 (439)) darauf hin, daß das Ratsmitglied
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Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, wenn von der überwiegenden Literatur in unreflektierter Zitierung der Rechtsprechung des BVerwG ein „passives Verhalten“ nicht unter den Ausschlußbereich der §§ 20, 21 VwVfG gefaßt wird 117. Danach sollen „bloße Kontaktaufnahmen, Informationen und Kenntnisnahmen, sofern daraus nicht im Einzelfall entscheidungsbezogene Aktivitäten betreffend den Verlauf des Verwaltungsverfahrens hervorgehen“ 118, möglich sein. Zum einen wird dabei übersehen, daß sich das BVerwG gerade und nur im Hinblick auf ein von ihm behauptetes besonderes Informationsinteresse in dem ihm vorliegenden Fall von einer weiten Auslegung des Begriffs der „Mitwirkung in einem behördlichen Verfahren“ entfernt. Unter diesem Blickwinkel erscheint die in der Literatur vorgenommene Verallgemeinerung höchst fragwürdig. Zum anderen entspricht diese Auffassung dem oben beschriebenen Zweck des Unbefangenheitsgebots in keiner Weise. Auch durch „Kontaktaufnahme“ – wie auch immer diese gestaltet sein soll – und Informationsbesprechungen erhält der Betroffene die Gelegenheit, wenn auch subtil, in das Geschehen einzugreifen. Eine Rechtsprechung, nach der ein Ausschuß- bzw. Ratsmitglied von jeglicher Informationsaufnahme abgeschnitten sein soll durch Abwesenheit auch aus dem Zuhörerraum, kann nicht dadurch konterkariert werden, daß man für den monokratischen Amtsträger ein solches „bloß passives“ Informationsrecht zuläßt 119. Der in einem Gespräch Informierende weiß binnen kürzester Zeit, welche Ansicht sein Gegenüber vertritt. Der Einflußnahme wäre somit Tür und Tor geöffnet 120. Auch unter einem weiteren
– anders als der normale interessierte Bürger – in der Lage ist, außerhalb der Plenumsdiskussion, z.B. in Fraktionssitzungen, das Beratungsergebnis wirksam zu beeinflussen. Unterstützend kann ein Urteil des OVG Lüneburg herangezogen werden, in dem zutreffend darauf hingewiesen wird, daß das Gemeinderatsmitglied in einer besonderen Pflichtbindung steht, die es nicht nur gebietet, jeden Verdacht einer privaten Interessensverfolgung von sich abzuwenden, sondern gleiches auch im Interesse der Allgemeinheit durch Vermeidung der Erregung von Argwohn gegenüber der Vertretungskörperschaft als solcher, vgl. OVG Lüneburg, Urteil v. 19.09.1972, Nds. GemBl. 1973, 126 (127). Es ist daher ein gänzliches Verlassen des Sitzungssaales ein unabdingbares Erfordernis eines rechtsstaatlich geformten Verfahrens und dessen Akzeptanz durch Verwirklichung des Unbefangenheitsgebots, vgl. Molitor, Die Befangenheit von Gemeinderatsmitgliedern: eine Untersuchung anhand Art. 49 BayGO mit Bezug auf die Kommunalverfassungen aller Bundesländer, S. 125 ff., der eine Aufnahme einer solchen ausdrücklichen Regelung in die BayGO fordert; v. Mutius, VerwArch 65 (1974), 429 (438 f.); Kazele, Interessenkollisionen und Befangenheit im Verwaltungsrecht, S. 350 ff. 117 BVerwG, NVwZ 1984, 718 (720); Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 13; Engelhardt, in: Obermayer/Fritz, VwVfG, § 20, Rn. 27; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 20, Rn. 7; Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 20, Rn. 24; Wolfram, NZBau 2000, 545 (548). 118 BVerwG, NVwZ 1984, 718 (720). 119 So aber Kazele, Interessenkollisionen und Befangenheit im Verwaltungsrecht, S. 346, eingeschränkt für Minister S. 347. 120 Gleiches muß für die Abzeichnung als „gesehen“ gelten, vgl. Foerster, VR 1987, 111 (112).
§ 5 Die Rechtsfolgen der §§ 20, 21 VwVfG
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Aspekt begegnet diese Auffassung durchgreifenden Bedenken. Manche Äußerungen wollen unter den vom Ausschluß erfaßten Mitwirkungshandlungen insbesondere „evtl vorausgehende Beratungen und Abstimmungen“ sehen 121, gleichzeitig aber eine „Teilnahme an einer Besprechung allein zur eigenen dienstlichen Information“ problemlos zulassen 122. Dort die Grenze zwischen erlaubter „eigener dienstlichen Information“ und verbotener „Beratung“ herauszufinden ist für interne Stellen wohl schwerlich möglich. Für den externen Verfahrensbeteiligten und dessen „Empfängerhorizont“ ist es unmöglich. Diese wiederum im Problemkreis der Beweislast umherirrende Ansicht ist somit strikt abzulehnen und im Sinne der Rechtssicherheit und des Ansehens der Verwaltung ein konsequenter vollständiger Ausschluß des magistratus suspectus aus dem Verfahren zu fordern. Die Grundlage einer funktionierenden Verwaltung – das Vertrauen und die Akzeptanz ihrer Entscheidungen im Staatsvolk – sind als Rechtsgut nicht zu überschätzen. Eine nach außen weithin sichtbare Verfolgung des Unbefangenheitsprinzips durch die Verwaltung ist daher unerläßlich, wie dies bereits Lord Gordon Hewart in seinem auch heute noch gültigen Ausspruch zum Ausdruck brachte: „Justice should not only be done, but should manifestly and undoubtedly be seen to be done.“ 123
II. Rechtsfolgen für die vorgenommene Handlung bei Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot Der Verstoß gegen die Verfahrensnormen der §§ 20, 21 VwVfG führt zu einem Verfahrensfehler. Die Rechtsfolgen eines solchen Verstoßes gegen das Mitwirkungsverbot sind für die Handlungsform des Verwaltungsaktes in den §§ 44 ff. VwVfG geregelt. Danach kommen sowohl Nichtigkeit und Aufhebbarkeit des betreffenden Verwaltungsaktes, aber auch Heilung des Mangels in Betracht. § 44 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG schließt eine Nichtigkeit für die Fälle des § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bis 6 VwVfG aus. Hat dagegen ein selbst Beteiligter im Sinne des § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VwVfG am Verwaltungsverfahren mitgewirkt, so führt dies stets zur Nichtigkeit, auch wenn es sich um eine Entscheidung handelt, die anders nicht hätte getroffen werden dürfen. Ein Abstellen auf das zusätzliche Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 in § 44 VwVfG beachtet den Rückschluß aus der Nicht-Nennung der Nr. 1 in § 44 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG nicht in ausreichendem Maße 124. Dort wird lediglich eine Aussage darüber getroffen, daß die bezeichneten
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Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 12. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 13. 123 Chief Justice of England (1922-1940), Lord Hewart, in: R.v. Sussex Justices, ex parte McCarthy, 1924, King’s Bench, Band I, 256 (259). 124 So aber Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 44, Rn. 175. 122
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Verstöße nicht direkt zur Nichtigkeit führen, sondern noch zusätzliche nötig sind, um eine Nichtigkeit zu begründen. Demnach kann auch ein Verstoß gegen § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bis 6 VwVfG in besonderen Fällen zur Nichtigkeit führen. Daraus ist seinerseits der Schluß zu ziehen, daß es bei Vorliegen der Situation des § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VwVfG unmittelbar zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes kommt, ohne daß besondere weitere Verfahrensmängel vorliegen müssen 125. Ob es bei einem Verstoß gegen das Handlungsverbot des § 21 VwVfG zur Nichtigkeit nach § 44 VwVfG kommen kann oder nicht, ist umstritten. Einerseits läßt sich anführen, daß ein Erst-Recht-Schluß zu den Einschränkungen des § 44 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG gezogen werden kann 126, andererseits kann es in Extremfällen unverständlich sein, daß offensichtlich vorliegende Befangenheit nicht zu einer Nichtigkeit des Verwaltungsaktes führen soll. Deshalb ist für den Bereich des § 21 VwVfG je nach Einzelfall zu unterscheiden, ob eine Nichtigkeit in Betracht kommt oder es lediglich bei Aufhebbarkeit verbleibt 127. Eine Verletzung einer Verfahrensvorschrift, die nicht zu einer Nichtigkeit des Verwaltungsaktes nach § 44 VwVfG führt, kann keinen Anspruch auf Aufhebung generieren, wenn offensichtlich ist, daß die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflußt hat, § 46 VwVfG. Diese Fassung, die erst im Jahre 1996 durch das GenBeschlG eingefügt wurde, erweitert ihrem Wortlaut nach den Anwendungsbereich des § 46 VwVfG nicht unerheblich auf Verfahrensentscheidungen mit Ermessensspielräumen. Doch auch bereits während der Geltung der vormaligen Fassung, die einen Aufhebungsanspruch versagte, „wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können“ und demzufolge nicht auf Ermessensentscheidungen anwendbar war, gab es vielfach grundlegende Kritik an dieser Regelung. Im Hinblick auf die oben ausgeführte verfassungsrechtlich geforderte Beachtung der Unbefangenheitsbestimmungen im Verwaltungsverfahren wirkt es paradox, bei einem Verstoß hiergegen sogar die Aufhebbarkeit des rechtswidrigen Verwaltungsaktes einzuschränken und somit eine erhebliche Entwertung der Verfahrensgarantien herbeizuführen. Zum Teil wurde aufgrund dieser Bedenken sogar die Nicht-Aufnahme einer solchen Regelung in das Verwaltungsverfahrensgesetz gefordert 128 und bezeichnet Erichsen § 46 VwVfG als „Selbstmordversuch des Gesetzes“ 129. Aber auch heute noch wird die Vorschrift nicht nur als rechtspolitisch verfehlt, sondern als zumindest „verfassungsrechtlich nicht unbedenklich“ angesehen 130. Auch und gerade durch die Ausdehnung des An-
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Engelhardt, in: Obermayer/Fritz, VwVfG, § 20, Rn. 142. Clausen, in: Knack, VwVfG, § 21, Rn. 12; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 12, Rn. 33. 127 Engelhardt, in: Obermayer/Fritz, VwVfG, § 21, Rn. 57; Bonk/Schmitz, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 44, Rn. 176; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 44, Rn. 54. 128 Ule, VerwArch 76 (1985), 129 (140 f.). 129 Erichsen, DVBl. 1978, 569 (577). 126
§ 5 Die Rechtsfolgen der §§ 20, 21 VwVfG
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wendungsbereichs auf Ermessensentscheidungen durch das GenBeschlG wurden diese Bedenken wieder aktualisiert 131. Um diesen verfassungsrechtlichen Bedenken auszuweichen, ist – insbesondere im Hinblick auf die Grundrechtsgefährdung – eine verfassungskonforme Auslegung des § 46 VwVfG notwendig. Eine solche verfassungskonforme Auslegung läßt sich nach überwiegender Ansicht vor allem durch ein konsequent strenges Anwenden des Offensichtlichkeitserfordernisses erreichen 132. Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern bei rechtlicher Alternativlosigkeit gilt auch nach der Neufassung fort. Dieser Bereich umfaßt die Sphäre der gebundenen Entscheidungen aber auch den der Ermessensreduzierung auf Null. Wie oben erläutert, strebte die Neufassung des § 46 VwVfG eine Erweiterung des Anwendungsbereiches auf Ermessensentscheidungen an. Im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung ist indessen davon auszugehen, daß Verfahrensverstöße grundsätzlich relevant sind, da nicht auszuschließen ist, daß in der Sache eine andere Entscheidung hätte getroffen werden können 133. Nur wenn „offensichtlich“ ist, daß die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflußt hat, führt der Verstoß zwar zur Rechtswidrigkeit, nicht aber zur Aufhebbarkeit. Eine solche Offensichtlichkeit ist aber nur gegeben, wenn mit Hilfe von Schriftstücken oder sonstigen Beweismitteln eindeutig die Nicht-Beeinflussung nachzuweisen ist 134. Die Beweislast obliegt insoweit der handelnden Behörde. Soweit auch nur der geringste Zweifel daran bestehen bleibt, daß es ohne die Verletzung zur identischen Entscheidung gekommen wäre, fehlt die geforderte Offensichtlichkeit. Durch diese strengen Anforderungen verbleibt im Sinne der Verfassungskonformität nur ein sehr geringer tatsächlicher Erweiterungsbereich der Neufassung des § 46 VwVfG 135.
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Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 46, Rn. 5. Meyer, in: Knack, VwVfG, § 46, Rn. 10; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 46, Rn. 5 ff. 132 Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 46, Rn. 5; Meyer, in: Knack, VwVfG, § 46, Rn. 11; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 46, Rn. 8. 133 Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 46, Rn. 32. 134 Meyer, in: Knack, VwVfG, § 46, Rn. 28. 135 Verfassungsrechtlich unbedenklich und im Hinblick auf die Verfahrenseffizienz geradezu geboten ist eine Heilungsmöglichkeit des aufgetretenen Verfahrensfehlers im laufenden Verfahren. Wenn während des Verfahrens ein Verstoß gegen §§ 20, 21 VwVfG registriert wird, kann die Behörde unter Einsatz eines nicht befangenen Amtsträgers das Verfahren insoweit wiederholen oder die Entscheidung bestätigen. Das Verfahren muß also nicht etwa abgebrochen und neu begonnen werden, vgl. BVerwGE 75, 227, NVwZ 1987, 578 (586); Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 67. Nach Abschluß des Verfahrens kann eine Fehlerheilung nur noch im Rahmen des Widerspruchsverfahrens durch die Widerspruchsbehörde stattfinden, wenn an dieser Stelle eine vollständige und umfassende Nachprüfung der von dem Befangenen getroffenen Entscheidung vorgenommen wird, vgl. Engelhardt, in: Obermayer/Fritz, VwVfG, § 20, Rn. 138. 131
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Abschließend ist somit festzuhalten, daß es bezüglich der jeweiligen Fehlerfolge auf den konkreten Verfahrensverstoß ankommt. Eine nicht bemerkte Mitwirkung wird, von schwerwiegenden nichtigkeitsbegründenden Ausnahmefällen abgesehen, auch nach der Neufassung des § 46 VwVfG grundsätzlich die Aufhebbarkeit des Verwaltungsaktes zur Folge haben.
§ 6 Die Voraussetzungen und Folgen der §§ 20, 21 VwVfG sowie ihre Geltung im Falle des befangenen Bundesministers I. Voraussetzungen des Mitwirkungsverbots 1. Tätigwerden in einem Verwaltungsverfahren Übergeordnet muß es sich bei der Tätigkeit des Amtsträgers um eine öffentlichrechtliche Verwaltungstätigkeit einer Behörde handeln, denn nur für diesen Bereich ist die Anwendbarkeit des VwVfG gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG eröffnet. In § 9 VwVfG findet sich weitergehend eine Legaldefinition für den Begriff des Verwaltungsverfahrens: „Das Verwaltungsverfahren im Sinne dieses Gesetzes ist die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlaß eines Verwaltungsaktes ( . . . ) gerichtet ist; . . . “, also beispielsweise nicht Handlungen, die auf den Erlaß einer Rechtsverordnung oder Satzung gerichtet sind 136. Wie sich aber bereits aus der Formulierung der „Vorbereitung . . . eines Verwaltungsaktes“ ergibt, ist das Erfordernis der „nach außen wirkenden Tätigkeit“ nicht im Sinne einer unmittelbaren Außenwirkung zu verstehen, sondern weit zu fassen. So gehören auch all diejenigen Maßnahmen und Verfahrenshandlungen zum Verwaltungsverfahren, die die Entscheidung, auf die das Verfahren gerichtet ist, beeinflussen können. Dies gilt unabhängig davon, ob die Maßnahme ihrerseits unmittelbar nach außen wirkt oder nur einen internen Vorgang betrifft, z.B. die Weisung einer übergeordneten Behörde als mittelbare Außenwirkung 137. In temporaler Hinsicht muß die zu einem Mitwirkungsverbot führende persönliche Eigenschaft dabei grundsätzlich in einem Verwaltungsverfahren vorgelegen haben. Dies bedeutet, daß der Amtsträger während des Verfahrens, also nach Beginn und vor Abschluß betroffen sein muß. Aus diesem Grunde ist für die Festlegung des zeitlichen Rahmens von Interesse, ab wann ein Verwaltungsverfahren beginnt (vgl. § 22 VwVfG) und mit welcher Handlung resp. zu welchem 136
Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 20, Rn. 21. Schmidt-Aßmann, Jura 1979, 505 (513); ihm folgend Held, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, S. 24. 137
§ 6 Die Voraussetzungen und Folgen der §§ 20, 21 VwVfG
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Zeitpunkt es abgeschlossen ist 138. Jedenfalls ist ein Beginn des Verfahrens festzustellen, wenn beispielsweise eine Antragstellung an den betreffenden Amtswalter bereits stattgefunden hat, wie sie etwa im Bereich des Ministererlaubnisverfahrens nach § 42 GWB notwendig ist. 2. Handeln für eine Behörde – Adressatenkreis der §§ 20, 21 VwVfG Der Auszuschließende muß für eine Behörde tätig werden. Der Begriff der Behörde ist in § 1 Abs. 4 VwVfG legaldefiniert als „jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt.“ Konkretisierend wurden diverse weitere Definitionsbemühungen unternommen, von denen an dieser Stelle nur eine genannt werden soll. Danach sind Behörden „örtlich, sachlich und instanziell zuständige, organisatorisch mindestens teilverselbständigte und mit Außenbefugnissen ausgestatte Stellen, denen die Durchführung von Verwaltungsverfahren zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben obliegt“ 139. Wie aus diesem Definitionsversuch ersichtlich wird, ist eine gewinnbringende und weiterführende Definition ein problematisches Unterfangen und ist daher die Frage, ob eine Behörde im Verfahren handelt, anhand des Einzelfalles zu untersuchen. Dabei ist der ausgeschlossene Personenkreis verhältnismäßig weit zu fassen, da eine entscheidungsbezogene Mitwirkung i.S.d. §§ 20, 21 VwVfG unabhängig davon ist, ob die handelnde Person Amtsträger oder besonders Verpflichtete sind. Unabhängig von ihrem förmlichen Status als Beamte, Angestellte oder Arbeiter bei der Behörde oder sonstige Dienstverpflichtete sind alle Personen „für eine Behörde“ tätig, die – sei es durch die Behörde oder von Gesetzes wegen – zur Mitwirkung auf Seiten der Behörde aufgefordert sind. Einzig Anlaß zu weiteren Überlegungen an dieser Stelle hinsichtlich der Anwendbarkeit der Befangenheitsnormen im Auslöserfall könnte die außergewöhnliche Situation sein, daß es sich bei dem nach § 42 GWB Entscheidenden um einen Bundesminister handelt. Ob für einen solchen Fall etwa andere – vielleicht sogar verfassungsrechtlich gebotene – Ausnahme- bzw. Kollisionsregelungen greifen bzw. ein solcher Vorrang in verfassungskonformer Auslegung statuiert werden müßte, soll an dieser Stelle nicht vertieft werden.
138 Umstritten ist insbes. der Zeitpunkt des Abschlusses des Verfahrens. Nach Kopp/ Ramsauer, VwVfG, § 9, Rn. 30, und Clausen, in: Knack, VwVfG, § 9, Rn. 31, ist dies der Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes; nach Ule/Laubinger, VwVfG, § 53, Rn. 2, ist es der Zeitpunkt, in dem der Verwaltungsakt die Behörde verläßt, während Stelkens/Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9, Rn. 182, auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe abstellen. 139 V. Mutius, in: FS Menger, 1985, S. 580.
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Abstrahiert betrachtet, losgelöst von Gedanken im Raum und damit evtl. entgegenstehender Verfassungsprinzipien, ist aber aus dem Ausgeführten ersichtlich, daß grundsätzlich in Verwaltungsverfahren alle Entscheider – und damit auch die Behördenspitze – einen Verfahrensablauf zu praktizieren haben, der eine Entscheidung frei von persönlichen Eigeninteressen garantiert. Neben eindeutig in den Geltungsbereich des Unbefangenheitsprinzips fallenden Personen wie Staatssekretäre, Behördenleiter, Abteilungsleiter und weitere hierarchisch unterstellte Personen 140 ist lediglich ein Grenzbereich umstritten 141, so beispielsweise, ob auch Schriftführer oder Dolmetscher von den Ausschlußregelungen erfaßt sein sollen. Für einen (Bundes-)Minister als Amtsträger der Exekutive ist es dagegen konsequente und einhellige Ansicht, daß die Befangenheitsregeln auf diesen – grundsätzlich – Anwendung finden 142. Als funktionell berufener Entscheider im speziellen Verwaltungsverfahren der Ministererlaubnis nach § 42 GWB muß sich folglich auch der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit prinzipiell dem Normenregime der §§ 20, 21 VwVfG unterwerfen 143. 140 Engelhardt, in: Obermayer/Fritz, VwVfG, § 20, Rn. 32; Bonk/Schmitz, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 20, Rn. 26; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 20, Rn. 8. Vgl. dazu auch das Verhandlungsprotokoll der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 5. September 2002 (unveröffentlicht), in dem Staatssekretär Dr. Gerlach einen Befangenheitsantrag gegen den damals für entscheidungszuständig gehaltenen Staatssekretär Dr. Tacke als gem. § 21 VwVfG für zulässig erklärt, S. 6. 141 Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 11; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, Vor § 20, Rn. 5; Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 20, Rn. 25. 142 BVerwG, NVwZ 1984, 718; BVerwG, NVwZ 1988, 527 (530); Simmat, Die fusionsrechtliche Ministererlaubnis und die Industriebeteiligungen des Bundes, S. 89 ff.; Engelhardt, in: Obermayer/Fritz, VwVfG, § 20, Rn. 32; Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 20, Rn. 26; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 20, Rn. 8; auch unter Hinweis auf eine „Wichtigkeit“ der Entscheidung kann sich kein anderes Ergebnis rechtfertigen lassen. Zur Verdeutlichung mag der Verweis auf die Ausschlußmöglichkeit sogar für Richter des Bundesverfassungsgerichts sachdienlich sein, §§ 18, 19 BVerfGG. Danach sind Richter wegen (Besorgnis der) Befangenheit vom Verfahren ausgeschlossen, obwohl zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fast ausschließlich grundlegende Fragen gelangen und von „den Richtern eines Gerichts mit dem Rang des BVerfG . . . die innere Unabhängigkeit“ erwartet wird, Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 74. Nicht einmal ein strengerer Maßstab soll im verfassungsgerichtlichen Verfahren anzuwenden sein, vgl. nur von Bergen, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 18, Rn. 12, § 19, Rn. 11; auch Klein weist in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 19, Anm. 3 zutreffend darauf hin, daß es sich zwar oftmals um „Staatsprozesse“ handele, aber die „Bedeutung des Gerichts . . . (nicht) vor den Gefahren der Befangenheit schützt . . . “. 143 Hermes/Wieland, ZNER 2002, 267 (268 f.); Bunte, Rechtswissenschaftliches Gutachten im Auftrag der Firma E.ON AG in dem Zusammenschlussvorhaben E.ON/Gelsenberg/Bergemann zum Antrag auf Ministererlaubnis gemäß § 42 GWB, S. 20; Kirchhof/ Puhl, Gutachten zur Zuständigkeit für die Entscheidung zur Genehmigung des E.ON/ Ruhrgas-Zusammenschlusses gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB, S. 12 f.; Orth, WRP 2003, 54 (55).
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3. Das Kausalitätserfordernis Unabhängig von der konkreten Tätigkeit im Einzelfall stellt sich die Frage, inwieweit – wenn überhaupt – ein Tätigwerden des Amtswalters das Verfahrensergebnis beeinflussen können muß. Dem Sinn und Zweck der Unbefangenheitsregelungen, die Verwaltung von unsachlichen Einflüssen freizuhalten, wird kein Abbruch getan, wenn man für ein Tätigwerden i.S.v. §§ 20, 21 VwVfG überhaupt eine Einflußmöglichkeit auf die Entscheidung fordert. Insoweit darf nicht übersehen werden, daß, wie oben gezeigt, die Verwaltung auch unter der Prämisse der Effizienz und Handlungsfähigkeit agieren muß. Hier ausschließlich auf das Vorliegen der Befangenheitsgründe per se abzustellen, wäre ein kontraproduktiver Formalismus. Als unhaltbarer Gegenpunkt ist die vereinzelt und ohne nennenswerte Gefolgschaft gebliebene Entscheidung des 8. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18.12.1981 zu erwähnen 144. In diesem Beschluß zum RheinMain-Donau-Kanal postuliert das Gericht so hohe Anforderungen an das Kausalitätserfordernis, daß dieses praktisch nicht mehr zu erfüllen ist: „‚Tätigwerden‘ setzt ( . . . ) voraus, daß der Ausgeschlossene in der Sache Einfluß auf das Verwaltungsverfahren und die dessen Abschluß bildende Entscheidung der Behörde genommen hat. Dies kann durch Weisungen, Anregungen oder sonstige ‚Zeichen‘ geschehen. Es kommt maßgeblich darauf an, daß ‚Weichenstellungen‘ auf ein Tätigwerden der ausgeschlossenen Amtsperson zurückzuführen sind.“ Der Nachweis einer tatsächlichen Einflußnahme auf den Ausgang des Verfahrens wird ein Beteiligter üblicherweise nicht führen können. Eine solche Auslegung des Kausalitätserfordernisses stellt somit eine unzulässige Unterminierung und geradezu Konterkarierung des Unbefangenheitsprinzips, wie es in den §§ 20, 21 VwVfG normiert ist, dar. Die Wertlosigkeit eines Rechtsinstituts, das tatsächlich nicht zur Geltung gebracht werden kann, liegt auf der Hand. Eine dahingehende Einschränkung wie sie das Gericht in dieser Entscheidung getroffen hat, ist somit uneingeschränkt abzulehnen. Ebenfalls an einer unrichtigen Beweislastverteilung krankt die zeitlich kurz vorhergehende Entscheidung des 20. Senats des BayVGH vom 16.4.1981 145. Im Bemühen um eine vermittelnde Lösung zwischen uferloser Weite und nicht führbarem Nachweis der Kausalität sind für das Gericht solche Handlungen möglicherweise ursächlich, die nach ihrem allgemeinen Charakter und ihrer Thematik und unter Berücksichtigung der in der Verwaltung üblichen Abläufe auf das Ergebnis eingewirkt haben können, bei denen eine solche Einwirkung also typischerweise möglich ist. Die damit verknüpfte besondere Beweislast soll dazu führen, daß sich
144 145
BayVGH, NVwZ 1982, 508 ff. BayVGH, NVwZ 1982, 510 ff.
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die Behörde darauf berufen kann, eine nach typischen Gesichtspunkten vorliegende Kausalität habe in Wirklichkeit nicht vorgelegen. Der Beweis hierzu ist an ihr. Andererseits soll auch der Betroffene die Möglichkeit haben, die tatsächliche Einwirkung der Handlung trotz Abweichung vom typischen Muster nachweisen zu können. Auch er hat den Beweis hierfür zu erbringen. Dabei übersieht das Gericht jedoch, wie das BVerwG zu Recht rügt 146, daß die Regeln des Anscheinsbeweises dann nicht anwendbar sind, wenn es auf das bewußte individuelle Verhalten von Menschen ankommen kann. Wenn nach erfolgter Beweisaufnahme eine konkrete – und auch beabsichtigte – Einflußnahme auf das Verfahren oder den Inhalt der zu treffenden Sachentscheidung nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen sei, könne ein Ausschluß nicht stattfinden. Auch dies würde das verfassungsrechtlich geforderte und abgesicherte Unbefangenheitsprinzip unzulässig aushöhlen und ist somit auch das Kriterium der „typischen Einwirkung“ untauglich für die nähere Bestimmung des Tätigkeitsverbots. Näher an den wahren Aussagegehalt der §§ 20, 21 VwVfG kommt das BVerwG selbst in seinem soeben genannten Urteil. Danach soll der Kausalzusammenhang zu bejahen sein, wenn nach den Umständen des jeweiligen Falles die konkrete Möglichkeit besteht, daß ohne den angenommenen Verfahrensmangel die Entscheidung anders ausgefallen wäre 147. Doch auch diese Aussage wird der Bedeutung des Unbefangenheitsprinzips nicht in letzter Konsequenz gerecht. Wie bereits die Entscheidungen des BayVGH verdeutlicht haben, muß trennscharf zwischen der Tatbestands- und der Rechtsfolgenebene unterschieden werden. Die Tätigkeiten, von denen sich der Amtsträger fernzuhalten hat und die Folgen bei Nichtbeachtung dieses Gebots sind getrennt zu betrachten und infolgedessen auch getrennt zu bewerten. Nicht jeder Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot muß zwangsläufig zur Aufhebung der Verwaltungsentscheidung führen 148. Jedoch ist es unangebracht, den jeweiligen Amtswalter mit der Abwägung zu belasten, ob seine Handlung konkret die Möglichkeit eröffnet, den Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sind für die Beteiligten wie auch für die Verwaltung selbst von höchster Wichtigkeit. Die nötige Klarheit und auch Strenge erhält das Unbefangenheitsgebot indes nur bei einer weitergefaßten Auslegung des Kausalitätserfordernisses. Daraus ergibt sich, daß dem Zweck der §§ 20, 21 VwVfG, bereits den „bösen Schein“ der Befangenheit zu vermeiden, am besten Genüge getan wird, wenn der
146
BVerwG, NVwZ 1984, 718 (720); zust. Clausen, in: Knack, VwVfG, § 20, Rn. 7. BVerwG, NVwZ 1984, 718 (721); ihm folgend OLG Brandenburg, NVwZ 1999, 1142 (1146 f.); sowie Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 20, Rn. 24. 148 Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 21, Rn. 13 f. 147
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Amtswalter jegliches Tätigwerden unterläßt, dessen mögliche Ursächlichkeit für das Verfahrensergebnis nicht von vorneherein völlig auszuschließen ist 149. 4. Das Verhältnis von § 20 zu § 21 VwVfG Bei der strengeren Regelung des § 20 VwVfG genügt im Gegensatz zu § 21 VwVfG bereits die abstrakte Zugehörigkeit zu den darin genannten Personenkreisen für einen Ausschluß vom Verfahren, welcher automatisch kraft Gesetzes eintritt. Dagegen greift § 21 VwVfG erst bei einer konkret gegebenen Besorgnis der Befangenheit ein. Liegt der Tatbestand eines Ausschlußgrundes nach § 20 VwVfG nicht vor, müssen für die Annahme eines Grundes der Besorgnis der Befangenheit nach § 21 VwVfG zusätzliche und besondere Umstände hinzutreten 150. Im Verhältnis zu § 21 VwVfG ist § 20 VwVfG damit lex specialis. Gründe, die für einen Ausschluß nach § 20 VwVfG nicht ausreichen, können demgegenüber nach § 21 VwVfG geltend gemacht werden. 5. Überblick über die Regelungen der §§ 20, 21 VwVfG im einzelnen § 20 Abs. 1 VwVfG enthält einen Katalog einzelner Fallgruppen, bei denen die Befangenheit (abstrakt) gesetzlich unwiderleglich vermutet wird. Der Ausschluß des Bediensteten findet unabhängig davon statt, ob dieser objektiv im Einzelfall befangen ist oder nicht. Es genügt für einen Ausschluß vom Verfahren bereits die formale Zugehörigkeit zu dem in § 20 Abs. 1 und 5 VwVfG aufgezählten Personenkreis und dem dadurch unwiderleglich vermuteten „bösen Schein“ möglicher Parteilichkeit 151. In Satz 1 knüpft § 20 Abs. 1 VwVfG in seiner Aufzählung rein formal an bestimmte persönliche Eigenschaften im Verhältnis zu einem Beteiligten (Nr. 1 bis 5) oder zum Verfahrensgegenstand (Nr. 6) an, die ein – zum Interessenkonflikt mit dem Amt führendes – persönliches Interesse am Verfahrensausgang vermuten lassen 152. Nach Nr. 1 darf in einem Verwaltungsverfahren nicht für eine Behörde tätig werden, wer selbst Beteiligter ist. Der in Nr. 2 formulierte Ausschlußgrund, nach dem auch die Angehörigen von Beteiligten sich einer Mitwirkung im Verfahren zu enthalten haben, folgt dem gleichen Gedanken, daß zu enge Bindungen zu
149 Scheuing, NVwZ 1982, 487 (490); Kopp, WiVerw. 1983, 226 (239); Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 14; Kazele, Interessenkollisionen und Befangenheit im Verwaltungsrecht, S. 344 f. 150 Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 20, Rn. 9. 151 Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 20, Rn. 10. 152 Engelhardt, in: Obermayer/Fritz, VwVfG, § 20, Rn. 43.
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Kap. 2: Der befangene Bundesminister im Verwaltungsverfahren
den Beteiligten bestehen und eine bewußte oder unbewußte Beeinflussung nicht auszuschließen ist, die sich im Ergebnis widerspiegeln könnte. Auch die vom direkten Bezugspunkt der Verwandtschaft zu einem Verfahrensbeteiligten etwas weiter entfernte Alternative der Nr. 4, daß ein Angehöriger eines Vertreters eines am Verfahren Beteiligten nicht mehr handeln darf, geht auf diese Befürchtung zurück. Wenn selbst ein Angehöriger eines Vertreters eines Beteiligten nach Nr. 4 von einer Verfahrensbeteiligung ausgeschlossen sein muß, so ist einsichtig, daß dies erst recht für die in noch engerer Beziehung stehende Person des direkten Vertreters eines Beteiligten im Verfahren gelten muß, wie dies in Nr. 3 vorgesehen ist. § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VwVfG erfaßt die Fälle, in denen der Amtsträger bei einem Beteiligten entweder gegen Entgelt beschäftigt oder Mitglied eines Organs desselben ist und aufgrund dieser Doppelstellung der äußere Anschein einer sachwidrigen Verflechtung von privaten und öffentlichen Interessen entsteht 153. Eine Ausnahme ist nur für die Situation vorgesehen, in der die Anstellungskörperschaft selbst Beteiligte ist. Die erste Alternative meint dabei Personen, auch des öffentlichen Dienstes, in entgeltlich abhängiger 154, nicht notwendig weisungsgebundener Tätigkeit. Diese Tätigkeit umfaßt jedes Arbeitsverhältnis, jede Nebentätigkeit oder sonstige dienstvertragliche Beziehung, dem Normzweck nach sogar ein freiberufliches, z.B. beratendes Verhältnis, wenn die wirtschaftliche Bindung so stark ausgeprägt ist, daß sich eine faktische Abhängigkeit ergibt 155. Die in der zweiten Alternative beschriebene Organtätigkeit betrifft leitende und kontrollierende Funktionen von Amtswaltern im Vorstand, Aufsichtsrat oder funktional gleichwertigen Organen. Dies gilt auch für den institutionellen Amtskonflikt eines Ministers, der die Aufsicht über die Planfeststellungsbehörde innehat und zugleich in seiner amtlichen Eigenschaft Aufsichtsrat bei der Antragstellerin ist; ein Tätigwerden in dem Verwaltungsverfahren ist für den Minister nicht mehr möglich 156. Mit Aufgabe der Organtätigkeit entfällt das Hindernis nach § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VwVfG. Nr. 6 schließlich betrifft die Sachlage, daß der Amtsträger in der Angelegenheit außerhalb seiner amtlichen Eigenschaft gutachterlich oder sonst tätig geworden ist. Der Zeitpunkt der Handlungen kann vor oder in dem betreffenden Verfahren liegen. Die Norm bezweckt den zeitlich unbegrenzten Ausschluß und erfaßt auch Fälle der „Nachwirkung“ ehemaliger Betätigung, insbesondere Tätigkeiten nach Nr. 5, die inzwischen beendet sind 157. Die gutachterliche oder sonstige Tätigkeit
153
Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 20, Rn. 35. Strittig, dafür Clausen, in: Knack, VwVfG, § 20, Rn. 17; dagegen Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 20, Rn. 35. 155 Engelhardt, in: Obermayer/Fritz, VwVfG, § 20, Rn. 62. 156 Clausen, in: Knack, VwVfG, § 20, Rn. 17. 157 Gesetzesbegründung, BT-Drs. 7/910, S. 46. 154
§ 6 Die Voraussetzungen und Folgen der §§ 20, 21 VwVfG
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muß sich auf die konkrete, jetzt wieder im Verwaltungsverfahren aktualisierte Angelegenheit beziehen. Zumindest ist zu fordern, daß die Behandlung im Rahmen einer amtlichen zu klärenden Vorfrage steht, die so eng mit der nichtamtlichen Vorbefassung in Zusammenhang steht, daß eine subjektive Entscheidungsbeeinflussung nicht fern liegt. Satz 2 des Absatzes 1 stellt denjenigen einem Beteiligten gleich, der durch die Tätigkeit oder durch die Entscheidung einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen kann. Hiervon wiederum ausgenommen sind die Vor- oder Nachteile, die die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufs- und Bevölkerungsgruppe auslösen 158. § 21 VwVfG ergänzt die Kodifizierung des Unbefangenheitsgebots des § 20 VwVfG durch eine Regelung zur Fernhaltung bzw. Herausnahme möglicherweise befangener Amtsträger aus dem Verwaltungsverfahren 159. Beide sind als Teile des Instrumentariums der Selbstreinigung der Verwaltung konzipiert. Liegt danach ein Grund vor, der geeignet ist, Mißtrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung des Amtswalters zu rechtfertigen, oder wird von einem Beteiligten das Vorliegen eines solchen Grundes behauptet, muß der Betroffene den zuständigen Behördenleiter informieren und dessen Beurteilung der Sachlage abwarten. Ist der Behördenleiter selbst Subjekt der Befangenheitsbesorgnis, hat er die Wahl, ob er sich selbst unmittelbar einer Mitwirkung enthält oder ob er die Aufsichtsbehörde informiert und seinerseits deren Anordnung abwartet. In Diskrepanz zu § 20 VwVfG gebietet es § 21 VwVfG, die Verhaltensumstände festzustellen, die konkret die Besorgnis der Befangenheit bzw. den Ausschluß rechtfertigen. Durch das Genügenlassen der bloßen Besorgnis der Befangenheit dehnt § 21 VwVfG den Schutz vor Befangenheit aus. Ausweislich der Gesetzesbegründung verlangt der Ausschließungsgrund der Besorgnis der Befangenheit einen gegenständlichen vernünftigen Grund, der die Beteiligten von ihrem Standpunkt aus befürchten lassen kann, daß der Amtsträger nicht unparteiisch sachlich entscheiden werde 160. Fälle dieser Art können z.B. eine bestehende Freundschaft oder Feindschaft zwischen dem Amtsträger und einem der Beteiligten, die Berührung wirtschaftlicher oder sonstiger persönlicher Belange des Amtsträgers, unsachliche Äußerungen zu Anträgen eines Beteiligten, vorzeitige Festlegung in einer bestimmten Rechtsauffassung, offenbare Voreingenommenheit u.ä. sein. 158 Vorteil und Nachteil werden umschrieben mit jeder denkbaren rechtlichen, wirtschaftlichen oder immateriellen Besser- resp. Schlechterstellung. Das Kriterium der Unmittelbarkeit wird von der überwiegenden Auffassung unter Zuhilfenahme des Begriffs des individuellen Sonderinteresses bestimmt. Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 20, Rn. 14. Im einzelnen sind die Voraussetzungen und Begrifflichkeiten umstritten, jedoch ist von einer vertiefenden Betrachtung in dieser Arbeit mangels Relevanz für den weiteren Verlauf abzusehen. 159 Engelhardt, in: Obermayer/Fritz, VwVfG, § 21, Rn. 1. 160 Gesetzesbegründung, BT-Drs. 7/910, S. 47.
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Kap. 2: Der befangene Bundesminister im Verwaltungsverfahren
Die Befangenheitsprüfung erfolgt entweder von Amts wegen oder kann auf Betreiben eines Beteiligten durchgeführt werden, der einen Grund substantiiert geltend macht 161. Der Vorgesetzte des betreffenden Amtsträgers muß den sich aufdrängenden Anhaltspunkten von Amts wegen aktiv nachgehen. Auch der Amtsträger selbst ist stets verpflichtet, die Prüfung einzuleiten, unabhängig davon, ob er den Grund für gegeben oder abwegig hält 162.
II. Das Ministererlaubnisverfahren gem. § 42 GWB als Verwaltungsverfahren und die Anwendbarkeit der §§ 20, 21 VwVfG Bei dem Kartellverwaltungsverfahrensrecht nach dem GWB handelt es sich um eine gesetzlich geregelte Spezialmaterie des Verwaltungsrechts 163. Das Anwendungsverhältnis von Spezialmaterie und allgemeinen Vorschriften kennzeichnet sich gerade durch Anwendungsvorrang und Subsidiarität. Aber auch in diesem scheinbar klaren Verhältnis lassen sich weitere Abstufungen differenzieren. Denkbar erschiene, stets eine Anwendbarkeit des Bundesverwaltungsverfahrensgesetzes anzunehmen, wann immer darin Rechtsfragen geregelt sind, die nicht oder aber lediglich lückenhaft in der Spezialmaterie enthalten sind 164. Eine solche Betrachtungsweise würde indes übersehen, daß es nicht unbedingt einer ausdrücklichen Regelung bedarf, sondern vielmehr anhand Auslegung entlang des Sinns und Zwecks der einzelnen Spezialnorm zu entnehmen ist, ob sie eine abschließende Problemlösung darstellt oder einer ergänzenden Anwendung zugänglich ist 165. Das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht ist prinzipiell geeignete Grundlage für eine ergänzende Behandlung im GWB nicht geregelter Fragen, da es sich beim Kartellverfahrensrecht, wie erwähnt, um eine Materie des Verwaltungsrechts handelt. Aber auch das hier im Fokus der Betrachtung stehende Ministererlaubnisverfahren nach § 42 GWB im speziellen ist ein Verwaltungsverfahren und wird nach den Vorschriften der §§ 54 ff. GWB als „Verfahren vor den Kartellbehörden“ behandelt 166. Im Falle der Erteilung der Erlaubnis durch den funktionell zuständigen Bundesminister ergeht durch diesen ein begünstigender Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG) an den Antragsteller 167. Damit gelten nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG
161
Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 12, Rn. 29. Engelhardt, in: Obermayer/Fritz, VwVfG, § 21, Rn. 32. 163 Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor § 54, Rn. 9. 164 Angedeutet bei Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 1, Rn. 208 a.E., wo „im Zweifel“ von einer Anwendbarkeit des VwVfG ausgegangen wird. 165 So zu Recht OLG Düsseldorf, NJOZ 2003, 546 (558); Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 1, Rn. 35. 166 Allg. Meinung, vgl. nur Hermes/Wieland, ZNER 2002, 267 (268); Bechtold, BB 2003, 1021 (1022); Richter, in: Wiedemann, HdbKartellR, § 21, Rn. 123. 162
§ 6 Die Voraussetzungen und Folgen der §§ 20, 21 VwVfG
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die Regeln des VwVfG auch hier, „soweit nicht Rechtsvorschriften des Bundes inhaltsgleiche oder entgegenstehende Bestimmungen enthalten“. Zur Problematik eines befangenen Amtswalters im Kartellverfahren nach §§ 54 ff. GWB enthält das Gesetz keine besondere Regelung. Wie dargelegt, kann jedoch nicht unmittelbar von einer quasi-automatischen Geltung der subsidiären Befangenheitsregeln des VwVfG an dieser Stelle ausgegangen werden. Vielmehr bedarf es einer – hier freilich keine vertieften Probleme aufwerfenden – Einzelfallbetrachtung. Das Kartellverwaltungsverfahren ist im Rahmen des hoheitlichen Handelns ein Tätigwerden des Staates und muß dieses Handeln in rechtsstaatlich gesicherten Bahnen kanalisiert werden. Zum Kernbereich dieser rechtsstaatlichen Bahnen zählt auch die Garantie, daß grundsätzlich nur persönlich nicht in das Verfahren involvierte Personen zu Entscheidern gemacht werden dürfen. Dem Sinn und Zweck der §§ 54 ff. GWB ist nicht zu entnehmen, daß diese Regelungen bewußt eine Behandlung durch befangene Amtswalter dulden und einen Rekurs auf allgemeine Verwaltungsverfahrensregeln verhindern wollen. Damit aber steht fest, daß die (Un-)Befangenheits-regeln der §§ 20, 21 VwVfG im Kartellverwaltungsverfahren des GWB grundsätzlich ergänzend herangezogen werden können.
III. Ausschluß des Bundesministers Dr. Müller im Ministererlaubnisverfahren E.ON/Ruhrgas aufgrund Befangenheit bzw. Besorgnis der Befangenheit Lautet der Einleitungssatz des Tenors der Ministererlaubnisverfügung vom 05.07.2002, daß „der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie“ „in dem Verwaltungsverfahren 1. E.ON AG . . . entschieden“ habe, „ . . . vertreten durch Staatssekretär Dr. Alfred Tacke“ 168, so bedarf es des klärenden Hinweises, daß die Entscheidung über die Erteilung der Erlaubnis ausschließlich durch die Person des Staatssekretärs Dr. Tacke gefällt wurde und eine Beteiligung des Bundesministers selbst an der Entscheidung vollständig 169 unterblieb.
167 Mestmäcker/Veelken, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 42, Rn. 41; Meessen, WuW 2002, 927; Kirchhof/Puhl, Gutachten zur Zuständigkeit für die Entscheidung zur Genehmigung des E.ON/Ruhrgas-Zusammenschlusses gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB, S. 5. 168 Ministererlaubnis v. 5.7.2002, WuW 2002, 751. 169 Müller im Focus-Interview v. 25.02.2002, S. 27: „Ich bin schon seit langem entschlossen, mich für den Fall des Antrags völlig aus dem Verfahren rauszuhalten.“; Müller im Welt am Sonntag-Interview v. 14.04.2002, S. 51: „Ich habe dem Bundeskanzler und meinem Staatssekretär Alfred Tacke zeitgleich mitgeteilt, dass ich mich aus diesem Verfahren in jeder Weise heraushalte. Ich bekomme daher auch keine Vermerke und Eingaben zu Gesicht. Den Fortschritt der Dinge entnehme ich schlicht der Tagespresse. . . . Bei mir wird jede eingehende Post von meinem Büro geöffnet, ob da jetzt „persönlich“ draufsteht oder
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1. Bedenken gegen die unbefangene Entscheidung in der Person des Bundeswirtschaftsministers Gegen die Person des Bundeswirtschaftsministers Dr. Werner Müller als für die Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 1 GWB zuständigen Sachentscheider wurden in dreifacher Hinsicht Bedenken vorgebracht. Zum einen wurde auf seine berufliche Vergangenheit in der Energiebranche verwiesen, zum anderen wurden Spekulationen geäußert, eine Rückkehr dorthin nach seiner Zeit als Wirtschaftsminister betreffend. Drittens wurde öffentlich über eine eventuelle Vorbefaßtheit mit der Thematik der Ministererlaubnis im Fall E.ON berichtet, in der der Minister bereits im Vorfeld seine Zustimmung resp. Unterstützung für den Zusammenschluß (u.a. in „Geheimgesprächen“) signalisiert haben soll. Vor seiner Zeit als Bundesminister für Wirtschaft und Technologie in der 14. Legislaturperiode 1998 - 2002 arbeitete Dr. Müller zwischen 1979 und 1992 bei der damaligen VEBA AG, bei der er 1990 zum Generalbevollmächtigten aufstieg. Die VEBA AG fusionierte, wie dargestellt, im Jahr 2000 mit der VIAG AG zur E.ON AG. In der Zeit von 1992 bis zum 31.10.1997 war Dr. Müller Mitglied des Vorstands der Veba Kraftwerke Ruhr AG 170. Aus diesen beiden, insgesamt 18 Jahre umfassenden, Arbeitsabschnitten stehen Dr. Müller Pensionsansprüche zu – nunmehr (ebenso bereits während seiner Amtszeit als Bundeswirtschaftsminister) gegen die E.ON AG als Rechtsnachfolgerin der VEBA AG 171. Die Ministererlaubnis wurde im Juli 2002 erteilt und damit etwa drei Monate vor Ende der 14. Legislaturperiode. Bereits Ende 2001 bestand Unsicherheit über eine Kandidatur Müllers zum 15. Bundestag und seine Bereitschaft als Bundeswirtschaftsminister im Kabinett zur Verfügung zu stehen 172. Damit war die Frage nach seiner Zukunftsplanung für eine etwaige Zeit nach jener als Bundeswirtschaftsminister aufgeworfen. Müller selbst äußerte sich Anfang des Jahres 2002 noch unentschlossen bzw. vollkommen offen hinsichtlich neuer Aufgabenberei-
nicht. Und sollte überhaupt noch etwas darunter sein, was die Ministererlaubnis angeht, wird es vom Büro direkt weitergegeben an Herrn Tacke.“ 170 www.rag.de/indexd.htm. 171 Vgl. Der Spiegel v. 09.02.2002, S. 89; Dr. Müller im Focus-Interview v. 25.02.2002, S. 27; Bestätigung des damaligen E.ON-Vorstandsvorsitzenden Hartmann, Berliner Zeitung v. 28.01.2002, S. 37. Wie im Nachhinein bekannt wurde, bezog Dr. Müller bereits seit Anfang 2002 monatliche Pensionszahlungen von der E.ON AG über 8.000,- Euro. „Nur zwölf Monate später bedankte sich die Industrie artig bei ihrem ehemaligen Mitarbeiter. Müller wurde Chef der mächtigen Ruhrkohle AG (RAG).“, Spiegel online v. 18.01.2005, www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,337319,00.html: „8000 Euro monatlich für den E.ONMinister“. 172 Siehe dazu bspw. das Arbeitspapier Nr. 50, Bundestagswahlen 2002 - Kandidatenentwicklung und Personalwechsel, www.kas.de/db_files/dokumente/arbeitspapiere/7_dokument_dok_pdf_5_1.pdf.
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che jenseits der Regierungstätigkeit 173. In der Presse wurde dabei bereits über eine Rückkehr in die Wirtschaft – und dort speziell die Energiebranche – spekuliert 174. Sind Unternehmensfusionen Gegenstand mehrmonatiger bis -jähriger Planung, erscheint es denkbar, daß eine – wenn auch informelle – Vorabbesprechung für die Unternehmenslenker angezeigt erscheint, um die Erfolgsaussichten im Vorhinein kalkulieren zu können. Geht es bei einer Fusion um eine solche mit gesamtwirtschaftlicher Bedeutung, erscheint es ebenso denkbar, sich eines gewissen politischen Rückhaltes für die Unternehmung zu vergewissern, insbesondere im Hinblick auf die Existenz des Instruments der Ministererlaubnis nach § 42 GWB, sollte ein erforderliche Genehmigung des Bundeskartellamtes ausbleiben. Die dritte Phalanx der Bedenken gegen die Unbefangenheit des Bundeswirtschaftsministers rührte aus einer solchen – in der Presse behaupteten – Vergewisserung her. Danach sollen sowohl Bundeskanzler Schröder als auch Bundeswirtschaftsminister Dr. Müller in „Geheimgesprächen“ bereits „Grünes Licht“ für den Zusammenschluß gegeben haben 175. 173
Vgl. Müller im Focus-Interview v. 25.02.2002, S. 27: „ . . . möchte ich in der Entscheidung über meine künftige Tätigkeit in jeder Beziehung frei sein. Möglich ist unter bestimmten Bedingungen eine zweite Minister-Amtszeit, möglich ist eine Rückkehr in die Wirtschaft. Die Entscheidung will ich frei fällen können.“ 174 Vgl. SZ v. 24.01.2002, S. 23: „Der Minister hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er gerne in die Energiebranche zurückkehren möchte.“ Tagesspiegel v. 23.01.2002, S. 8: „Und wenn er (Anm.: Müller) in ein paar Monaten nicht mehr Wirtschaftsminister ist, will er wohl wieder in die Wirtschaft gehen.“ Der Spiegel v. 28.01.2002, S. 51: „ . . . allerlei Gerüchte, nach denen er (Anm.: Müller) nach seiner politischen Karriere als Manager in eines der beiden Unternehmen (Anm.: RWE bzw. E.ON) zurückkehren will.“ FAZ v. 19.01.2002, S. 15: „ . . . auch wegen seiner (Anm.: Müllers) beruflichen Zukunft . . . bekommen Gerüchte Nahrung, daß Müller im Herbst dem ausscheidenden RWE-Konzernchef Dietmar Kuhnt nachfolgen könnte.“ U.v.m. Dr. Müller wurde am 01.06.2003 Vorstandsvorsitzender bei RAG Aktiengesellschaft, an welcher die E.ON AG über ihre 100%-Tochter E.ON RAG-Beteiligungsgesellschaft mbH 39,2% hält und damit größte Aktionärin ist. Die E.ON AG stellt drei Aufsichtsratsmitglieder bei der RAG Aktiengesellschaft. 175 Vgl. nur Redebeitrag des Abgeordneten Grill, Plenar-Prot. 15/40, S. 3293: „Lange bevor der Antrag beim Bundeswirtschaftsminister und beim Bundeskartellamt eingegangen war, hat der Bundeskanzler auf einer Betriebsräteversammlung im Oktober 2001 öffentlich gesagt, er sei für eine Fusion von Eon und Ruhrgas.“ FAZ v. 01.02.2003, S. 14: „November 2001: Wirtschaftsminister Müller deutet erstmals die Möglichkeit einer Ministererlaubnis an.“ FAZ v. 06.07.2002, S. 18, heißt es bzgl. der erfolgten Erteilung der Ministererlaubnis: „ . . . und (Anm.: hat Tacke) damit dem früher öffentlich geäußerten Wunsch von Kanzler und Wirtschaftsminister entsprochen.“ FAZ v. 18.02.2002, S. 15: „Bereits im November – noch während das Kartellamt prüfte – hatten Müller und Bundeskanzler Gerhard Schröder ihre Sympathie für ein starkes deutsches Energieunternehmen bekundet.“ Berliner Zeitung v. 16.11.2001, S. 32: „Geheimtreffen im Kanzleramt . . . weit gehende Rückendeckung der rot-grünen Bundesregierung . . . Darauf verständigten sich . . . Schröder, . . . Müller, EonChef Ulrich Hartmann . . . bei einem vertraulichen Treffen im Kanzleramt, das bereits am 18. Oktober stattfand. Dabei wurde auch eine Ministererlaubnis in Betracht gezogen, um einen möglichen Einspruch des Bundeskartellamtes notfalls zu überstimmen.“ Han-
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2. Rechtliche Bewertung der geäußerten Vorwürfe und Rechtsfolge Wie in der Erläuterung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 20, 21 VwVfG dargelegt, darf für eine Behörde nicht tätig werden, wer bei einem Beteiligten gegen Entgelt beschäftigt ist oder bei ihm als Mitglied des Vorstandes u.a. tätig ist, § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 HS. 1 VwVfG. Zwar war der damalige Bundeswirtschaftsminister sowohl gegen Entgelt bei einem Vorgängerunternehmen der Beteiligten als auch bei einer ihrer Töchter als Vorstand aktiv. Die Regelung stellt jedoch ersichtlich auf ein während des Verfahrens aktuell bestehendes Rechtsverhältnis der genannten Art ab. Ein solches war zum Zeitpunkt der Entscheidung in den Jahren 2001 und 2002 allerdings nicht gegeben, sondern vielmehr im Jahre 1997 beendet. Der Ausschlußgrund nach § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 HS. 1 VwVfG scheidet damit aus. Auch eventuell noch bestehende Pensionszusagen vermögen ein derartiges Verhältnis nicht zu begründen oder zu fingieren. Da die Anwendung damit zumindest an dem zeitlichen Auseinanderfallen der Tätigkeiten scheitert, wäre des weiteren an den Ausschlußgrund des § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 VwVfG zu denken. Bei diesem ist auch und gerade eine Anknüpfung an zeitlich vorhergehende und bereits abgeschlossene Handlungen möglich, wie oben dargelegt. Dr. Müller wäre bei dem Erlaubnisverfahren als Bundeswirtschaftsminister Amtsträger gewesen und ist auch für die Unternehmen „sonst tätig geworden“. Zu beachten ist jedoch, daß sich die gutachterliche oder sonstige Tätigkeit auf die konkrete, nun wieder im Verwaltungsverfahren aktualisierte Angelegenheit beziehen muß. Daran aber scheitert die Einschlägigkeit des § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 VwVfG, da der Minister vier bis fünf Jahre zuvor während seiner Tätigkeit für die betreffenden Unternehmen nicht mit der Ministererlaubnis in diesem Fusionsverfahren beschäftigt war. Ein Verfahrensausschluß im Rahmen des § 20 VwVfG wäre schließlich noch auf der Grundlage des Abs. 1 S. 2 denkbar. Danach wird einem Beteiligten gleichgestellt, wer durch die Tätigkeit oder durch die Entscheidung einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen kann. Wie dargelegt, hätte für das Eingreifen dieses Tatbestandes für Dr. Müller als Sachentscheider die Möglichkeit bestehen müssen, einen unmittelbaren Sondervorteil durch die Entscheidung zu erlangen. Inwiefern eine Erlaubniserteilung aus der damaligen Perspektive positive Auswirkungen auf die Ertragslage der E.ON AG hätte haben sollen, ist nicht bekannt, ebensowenig wie die einzelnen rechtlichen Ausgestaltungen der Pensionszusagen zwischen Dr. Müller und der VEBA AG hinsichtlich einer Partizipation an einer positiven Ertragsentwicklung des Unternehmens. Aber selbst wenn man eine
delsblatt v. 18.02.2002, S. 1: „Ausnahmegenehmigung für umstrittene Fusion offenbar seit Monaten abgesprochen“. U.v.m.
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solche Bindung unterstellen wollte 176, so wird doch ersichtlich, daß es sowohl an einer Gegenwärtigkeit als auch einer inhaltlichen Verbindung im Sinne des Unmittelbarkeitskriteriums gefehlt hätte. Damit war Dr. Müller auch nicht gemäß § 20 Abs. 1 S. 2 VwVfG an einem Tätigwerden in dem Erlaubnisverfahren nach § 42 Abs. 1 GWB gehindert. Gemäß § 21 Abs. 1 VwVfG kann auch derjenige vom Verfahren ausgeschlossen werden, gegenüber welchem ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen. Betrifft eine solche Besorgnis einen Behördenleiter, kann dieser sich direkt unter Bezugnahme auf diese bestehende Besorgnis der Mitwirkung am Verfahren enthalten. Bezugnehmend auf diese Bestimmung hat sich der damalige Bundeswirtschaftsminister Dr. Müller der Mitwirkung am Verfahren der Erteilung der Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 1 GWB enthalten 177. Zu beachten ist dabei, daß die alleinige Nicht-Mitwirkung am Verfahren noch nicht eine Besorgnis der Befangenheit begründet. Eine solche Annahme würde einen Zirkelschluß bedeuten. Vielmehr war, wie oben dargelegt, zu fordern, daß ein gegenständlicher vernünftiger Grund für eine Besorgnis der Befangenheit vorlag, der die Beteiligten von ihrem Standpunkt aus befürchten lassen konnte, daß der Minister nicht unparteiisch entscheiden werde. Andererseits wird daraus ersichtlich, daß es gerade nicht auf ein tatsächliches Vorliegen einer Befangenheit ankommt. Auch ein nicht befangener Amtsträger kann von der Mitwirkung ausgeschlossen sein, wenn aus vernünftigen Gründen eine unparteiische Amtsführung als nicht mehr gewährleistet angesehen werden muß. Inwieweit alleinig die Spekulationen zum damaligen Zeitpunkt über ein mögliches zukünftiges Engagement Dr. Müllers in der Energiewirtschaft bereits einen solchen gegenständlichen und vernünftigen Grund darstellen bzw. ob gleiches bereits – isoliert betrachtet – für die anderen Behauptungen und Vorwürfe gilt, kann dahinstehen. Einigkeit herrscht insoweit darüber, daß aufgrund der Gesamtschau der öffentlichen und breiten Personaldiskussionen der „böse Schein“ der Befangenheit bei Wirtschaftsminister Dr. Müller gegeben war. Es lagen zusammenfassend gesehen ausreichend vernünftige Gründe für die beteiligten Unternehmen vor, Befürchtungen hinsichtlich einer unparteiischen Entscheidung zu hegen 178. Damit aber lag objektiv eine 176 Was nicht sehr wahrscheinlich sein dürfte, nach einer Aussage von Dr. Müller im Focus-Interview v. 25.02.2002, S. 27: „Der seit 1982 bestehende Rentenanspruch ändert sich durch die Entscheidung nicht.“ 177 Ministererlaubnis v. 5.7.2002, WuW 2002, 751 (758): „Da die Besorgnis der Befangenheit Bundesminister Dr. Müller in seiner Funktion als Leiter einer obersten Bundesbehörde betraf, der keine Aufsichtsbehörde mehr übergeordnet war, hat sich der Minister im Einklang mit § 21 Abs. 1 S. 2 VwVfG selbst der Mitwirkung enthalten . . . “. 178 Ministererlaubnis v. 5.7.2002 Nr. 90, WuW 2002, 751, (758), nach der die Besorgnis der Befangenheit „jedenfalls daraus“ folgte, „dass die Gesamtumstände bei den Bet. und in der Öffentlichkeit offensichtlich zu Mißverständnissen geführt haben und den Eindruck ha-
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Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 21 Abs. 1 VwVfG vor und mußte sich der Minister der Mitwirkung am Erlaubnisverfahren nach § 42 Abs. 1 GWB enthalten. An anderer Stelle wurde bereits klargestellt, daß die Entscheidung über die Erteilung oder Versagung der Erlaubnis von der Abwägung übergeordneter, großräumiger und weitreichender wirtschaftlicher Interessen geprägt ist, die unter Umständen nationale Bedeutungsweite erlangen können. Im Hinblick auf den Rechtscharakter der Entscheidung selbst ist erneut festzuhalten, daß es sich bei ihr um einen gebunden Verwaltungsakt handelt, bei welchem dem Minister kein Ermessen zusteht, sollten die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 S. 1 GWB erfüllt sein. Andererseits aber – und dieser Tatsache kommt im Fall der Ministererlaubnis die entscheidende Bedeutung zu – hat der Minister bei der Vorfrage hinsichtlich der Beurteilung des Vorliegens der gesamtwirtschaftlichen Vorteile und des überragenden Interesses der Allgemeinheit dagegen einen weiten Beurteilungsspielraum, den er vollständig ausschöpfen kann. Unter Bezugnahme auf die oben dargestellten Fallgestaltungen und Ausschlußkategorien wird ersichtlich, daß das Mitwirkungsverbot, das den Minister trifft, absolut sein muß. Im Rahmen hochsensibler und -politischer Abwägungsentscheidungen muß die objektiv vorliegende Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem ursprünglich zuständigen Amtswalter zu einem völligen Ausschluß der Einflußnahme sowie bereits der Möglichkeit hierzu führen. Die Entscheidung selbst darf nicht durch ihn gefällt werden und sind folgerichtig Weisungen an den „Vertreter“ ebensowenig zulässig. Aber auch dem mehr informellen Bereich zuzuordnende Tätigkeiten wie interne Berichte oder gar „Informationsgespräche“ können im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens, das einen für notwendig erachteten Ausschluß vom Verfahren nicht konterkarieren soll, keinesfalls geduldet werden. Wenn Verfahrensrichtigkeit zur Sachrichtigkeit führen soll, kann nur dieser Weg beschritten werden.
ben entstehen lassen, die positive Entscheidung über eine Ministererlaubnis sei praktisch bereits gefallen bzw. der Minister werde nicht mit der gebotenen Unvoreingenommenheit entscheiden.“ In diesem Sinne auch Bunte, Rechtswissenschaftliches Gutachten im Auftrag der Firma E.ON AG in dem Zusammenschlussvorhaben E.ON/Gelsenberg/Bergemann zum Antrag auf Ministererlaubnis gemäß § 42 GWB, S. 22, der davon spricht, daß „sicherlich“ eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 21 VwVfG vorgelegen habe. Ebenso Hermes/Wieland, ZNER 2002, 267 (270). Vgl. auch Müller im Focus-Interview v. 25.02.2002, S. 27, der seinen Rückzug begründet: „Ich bin nicht befangen – aber ich möchte die unerfreulichen Diskussionen darüber beenden. . . . Je öfter in den Zeitungen der Anschein der Befangenheit erweckt würde, desto eher könnte im Sinne des Gesetzes die Besorgnis der Befangenheit entstehen, also ein eventueller Klagegrund.“
§ 7 Zusammenfassung
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§ 7 Zusammenfassung Das Verlangen nach einer unbeeinflußten und unabhängigen Entscheidungsfindung durch die Verwaltung ist ein hohes gemeinsames Gut innerhalb der Europäischen Union und wird, wie gezeigt, in absehbarer Zeit endgültig Eingang in das Primärrecht finden. Übergreifend und lediglich in Nuancen differierend beansprucht das aus der rechtsprechenden Gewalt entstammende Prinzip des „nemo iudex in re sua“ auch im Verwaltungsverfahren Geltung, zuerst wieder aufgegriffen in den Kommunalverfassungen Deutschlands und später staatenweit vereinheitlicht. In Deutschland wurde die Entwicklung insbesondere durch die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vorangetrieben, das das Fernhalten von persönlich interessierten Amtsträgern aus Verfahren zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählte und somit die Fehlerhaftigkeit einer diesen Grundsatz verletzender Entscheidung attestierte. Grundlegende Bedeutung kam dem Erlaß des Verwaltungsverfahrensgesetzes 1976 zu, das nach 20 Jahren der intensiven Beratung und Diskussion den Ausschluß von befangenen Amtsträgern aus Verwaltungsverfahren anordnet und dies konsequent auch bei bloßer Besorgnis der Befangenheit gelten läßt, um den „bösen Schein“ zu vermeiden, die Verwaltung ließe sich von anderen als rein sachlichen Erwägungen leiten. Waren die Grundrechte und verfassungsrechtlichen Gebote vor Erlaß des VwVfG essentiell für die Begründung der Geltung der Unbefangenheitsvorschriften im Verwaltungsverfahren, so dienen sie danach immer noch als Basis des „konkretisierten Verfassungsrechts“. Die einfachgesetzlichen Normen des VwVfG sind immer vor dem Hintergrund der Wertungen des Grundgesetzes auszulegen. Über ihre in Art. 1 Abs. 3 GG statuierte Bindung verlangen sowohl die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 u. 2, Art. 12, Art. 14, Art. 16 GG als auch unabhängig voneinander das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1, 2 u. 3 GG, von der Verwaltung ein rein objektives und am Allgemeinwohl orientiertes Handeln. Insbesondere das Rechtsstaatsprinzip erfordert dabei die Sicherstellung eines Verfahrens, bei welchem für die Beteiligten gewährleistet ist, daß einzig das Gesetz zur Anwendung gelangt, ohne daß die Entscheidung außerhalb der Rechtsordnung gefällt wird. Die Verwaltung hat für ihre eigene Reinhaltung Sorge zu tragen und hat daher eine Mitwirkung eines betroffenen Amtsträgers in jedem Stadium des Verfahrens zu unterbleiben. Neben der weit zu fassenden temporalen Geltung liegt der Schwerpunkt des Handlungsverbots auf inhaltlicher Ebene. Dem befangenen Amtswalter ist jegliche Tätigkeit verboten, die nicht lediglich eine rein mechanische ohne Verhaltensalternative und Einflußnahmemöglichkeit darstellt, mithin nahezu jede Tätigkeit in dem Verfahren überhaupt. Jeder Verstoß hiergegen muß zur Rechtsfehlerhaftigkeit des Ergebnisses führen. Außer in seltenen Sonderkonstellationen folgt dieser Rechtsfehlerhaftigkeit zudem die Nichtigkeit bzw. Aufhebbarkeit der Entscheidung.
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Kap. 2: Der befangene Bundesminister im Verwaltungsverfahren
Bei festgestellter oder berechtigter Besorgnis der Befangenheit kann eine Amtshandlung also nur dann verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und damit rechtmäßig sein, wenn der totale Ausschluß des Befangenen gewährleistet ist. Ein solcher Ausschluß vom Verfahren traf auch den Bundeswirtschaftsminister in dem diese Untersuchung auslösenden Fall. Wie dargelegt, stellt das Ministererlaubnisverfahren nach § 42 GWB trotz seiner Besonderheiten ein Verwaltungsverfahren dar, auf welches die Normen des VwVfG, und dort insbesondere die §§ 20, 21 VwVfG, Anwendung finden. Auch die Tatsache, daß es sich in der Person des konkreten Sachentscheiders einerseits nicht um einen Beamten handelt, andererseits um den Leiter einer obersten Bundesbehörde selbst, vermögen die Anwendung und die Rechtsfolge dieser Gesetzesanwendung nicht zu verhindern. Aufgrund der gegebenen Besorgnis der Befangenheit in seiner Person war der Bundeswirtschaftsminister sowohl von der Entscheidung selbst als auch von jeglicher Möglichkeit der Ingerenz auszuschließen. Inwieweit dieses strenge und nach dem derzeitigen Stand der Untersuchung unumgängliche Mitwirkungsverbot Auswirkungen auch auf eine Verantwortungszuweisung des betroffenen Amtsträgers hat, wird im Fortgang der Arbeit noch intensiver Untersuchung unterliegen. Zielsetzung des Kapitels 2 war es zunächst, das Wesen und die Bedeutung des Unbefangenheitsgrundsatzes im deutschen Verwaltungsverfahrensrecht vor seinem verfassungsrechtlichen Hintergrund im Rahmen der gegebenen Fragestellung umfassend zu begutachten.
Kapitel 3
Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit im parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland § 8 Demokratische Legitimation als Verfassungsforderung Die vom Volk als Souverän vollumfassend ausgehende Staatsgewalt wird in einer als Volksherrschaft manifestierten Staatsform auch durch dieses selbst ausgeübt. Neben der Niederlegung dieses Grundsatzes in Art. 20 Abs. 2 GG bestimmt dessen Satz 2 weiter, daß die Staatsgewalt zwar nicht weiterer Quellen ihrer Speisung, hingegen aber hinzutretender Organe ihrer Ausübung bedarf. Dies sind die „besonderen Organe“ der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung. Die so vorgenommene Institutionalisierung der drei Gewalten unter damit zugleich einhergehender Trennung ihrer Organisationen und Funktionen zählt zu den tragenden Organisationsprinzipien des Grundgesetzes 1. Über die bloße Einrichtung und damit Existenzrechtfertigung sowie Berechtigung zur Ausübung der Staatsgewalt hinausgehend besagt diese Bestimmung indes nichts. Insbesondere die Frage nach der Übertragung und Rückbindung der auszuübenden Staatsgewalt durch bzw. an den Souverän wird nicht beantwortet. Die fehlende Antwort hierauf muß deshalb Überlegungen zur Folge haben, inwieweit die Ausübung der Staatsgewalt durch die grundgesetzlich institutionalisierten Organe der demokratischen Legitimation bedarf und wenn ja, wie eine solche ausgestaltet sein müßte. Im Rahmen dieser Ausgestaltung ist dabei auf die verschiedenen Organisationsformen und auch Zielrichtungen der einzelnen Formen der Gewaltausübung Rücksicht zu nehmen. Für die Ausübung der gesetzgebenden Gewalt ist die demokratische Legitimation augenfällig, welche ihr durch unmittelbare Wahl seitens des Volkes vermittelt wird. Problematischer gestaltet sich dies für die exekutive und judikative Gewalt, die der unmittelbaren Einwirkung durch das Volk entzogen sind.
1
BVerfGE 3, 225 (247).
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
Damit ist der Rahmen der Untersuchung abgesteckt. Die Frage nach der Notwendigkeit der über die Einrichtung der Gewalten hinausgehenden demokratischen Legitimation ist zu stellen und nach Darstellung und Würdigung verschiedener Modelle und Ansatzpunkte die dem weiteren Verlauf der Arbeit zugrunde zu legende Antwort aus dem Grundgesetz zu entwickeln. Besonderes Augenmerk soll hierbei im Hinblick auf die Thematik ministerieller Befangenheit bei Eigenhandeln auf die demokratische Legitimation der exekutiven Gewalt gelegt werden. Dies insbesondere vor dem Hintergrund eines eventuell bestehenden Legitimationsdefizits bei der Vertretung eines befangenen Bundesministers durch einen beamteten Staatssekretär. Die Ausübung der hoheitlichen Gewalt in der staats-, genauer: bundesunmittelbaren Verwaltung und ihre Stellung als weisungsunterworfener Steuerungsapparat finden ebenso Beachtung wie die spezielle Inaugenscheinnahme möglicher Ausnahmen aufgrund verfassungsrechtlicher Überlegungen.
I. Das Böckenförde-Modell Die vorliegende Darstellung konzentriert sich auf die Konzeption Böckenfördes hinsichtlich verfassungsrechtlicher Anforderungen an demokratisch legitimierte Ausübung von Staatsgewalt 2. Zwar haben auch andere Vorläufer dieser Konzeption, die entwicklungstechnisch zu der Systematik in der hier darzustellenden Form beigetragen haben, durch ihre Ansätze und Ergebnisse Anteil an der Festigung des demokratietheoretischen Modells insgesamt 3. Der Name Böckenfördes sowie seiner Werke „Verfassungsfragen der Richterwahl“ und „Demokratie als Verfassungsprinzip“ ist jedoch so untrennbar mit der Problematik der demokratischen Legitimation der öffentlichen Gewalt verbunden, daß er auch heute noch als maßgeblicher Repräsentant für sie zu gelten hat. Insbesondere das Bundesverfassungsgericht ist unter ausdrücklicher Berufung auf diese Verfassungskonzeption zum Demokratiemodell zu der Überzeugung gelangt, daß diese Lesart – grundsätzlich – vom Grundgesetz gefordert werde 4.
2 Böckenförde, in: HdbdStR, Bd. II, § 24, Demokratie als Verfassungsprinzip; ders., Verfassungsfragen der Richterwahl, S. 71 ff. Die nachfolgenden Ausführungen zu diesem Modell sind Wiedergaben aus Böckenfördes Beitrag im HdbdStR, Bd. II, § 24, so daß auf einzelne Zitierungsnachweise verzichtet werden konnte. 3 Vgl. zu den ähnlichen und vorgehenden Ansätzen Ossenbühls, Brohms, Krieles und Herzogs den Überblick bei Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 68 ff. 4 Z.B. ausdrücklich in BVerfGE 49, 89 (125); 83, 60 (72); 93, 37 (72).
§ 8 Demokratische Legitimation als Verfassungsforderung
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1. Der Grundsatz Aus der in Art. 20 Abs. 2 GG festgelegten Garantie, daß das Volk Träger und Inhaber aller staatlichen Gewalt ist, folgt nach Böckenförde, daß sich die Innehabung und Ausübung konkret vom Volk herleiten müsse. Das Gebot der demokratischen Legitimation stelle nicht den Schutz des Bürgers vor Eingriffen in seine Freiheit in den Mittelpunkt, sondern darüber hinausgehend die Innehabung und Steuerung der staatlichen Herrschaft und deren inhaltliche Bestimmung und Kontrolle. Damit bedürfe die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und die Ausübung staatlicher Befugnisse einer Legitimation, die über eine „ununterbrochene Legitimationskette“ auf das Volk selbst zurückführt werde bzw. von diesem ausgehe. Zugleich sei darauf zu achten, daß kein Zustand der Autonomie hinsichtlich der einmal legitimierten Ausübung der Staatsgewalt eintrete, sondern eine Rückführbarkeit auf den Volkswillen stets möglich sein müsse, ebenso wie die Ausübung vor dem Volk zu verantworten sei. Erst wenn diese Prämissen erfüllt seien, könne von einem verfassungsgemäßen Zustand der Staatsorganisation, insbesondere von einem wirklichen Ausgehen der Staatsgewalt vom Volk und ihrer Ausübung durch „besondere Organe“ gesprochen werden. 2. Formen der demokratischen Legitimation Die Formen der herauszuarbeitenden demokratischen Legitimation seien anhand des zu erreichenden Zieles zu typisieren. Das Ziel müsse sein, einen effektiven Einfluß des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt zu bewirken und sicherzustellen. Böckenförde unterscheidet zwischen drei verschiedenen Formen demokratischer Legitimation, um das genannte Ziel zu erreichen. Erstens die sog. funktionelle und institutionelle Legitimation, sodann die organisatorisch-personelle und schließlich die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation. Aus der Aufspaltung in differenzierte Legitimationsarten dürfe jedoch nicht der Eindruck gewonnen werden, daß diese unabhängig nebeneinander stünden. Vielmehr seien sie alle Bestandteil der verfassungsrechtlich in Art. 20 Abs. 2 GG geforderten effektiven demokratischen Legitimation. Es gebe ein Nebeneinander der unterschiedlichen Legitimationsformen, ebenso wie sie sich als Komponenten eines Bauwerks ergänzen und zum Teil sogar substituieren könnten. Wichtig sei vor allem der Gehalt der demokratischen Legitimation, sekundär dagegen die konkrete Ausformung dieses Gehalts. a) Funktionelle und institutionelle demokratische Legitimation Die Verfassung ordnet in Art. 20 Abs. 2 GG an, daß die Staatsgewalt außer durch das Volk auch durch „besondere Organe“ ausgeübt wird. Dabei werden die
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drei Gewalten, die zu dieser Ausübung berechtigt sein sollen, in Form der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung benannt. Durch diese verfassungsrechtliche Konstituierung daselbst, werde diesen Gewalten in ihren Funktionen und Organen funktionelle und institutionelle demokratische Legitimation zuteil. Ihre Existenz und mit ihr einhergehend die im wesentlichen unveräußerlichen Rechte und Pflichten der Ausübung der ihnen zugewiesenen Staatsgewalt, machen ein vollständiges Eindringen der einen Gewalt in den Bereich der anderen unmöglich. Die demokratische Legitimation der Institutionen an sich trifft indes noch keine Aussage über die demokratische Legitimation der für sie handelnden Amtswalter, weder über ihre konkrete Amtsausführung, noch über die Person. Um demzufolge zu verhindern, daß die – per se demokratisch legitimierten – Gewalten in ihrer personellen Besetzung oder ihren Tätigkeiten einer Verselbständigung unterliegen, bedürfe es, kumulativ, dem Hinzutreten der organisatorisch-personellen und sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation 5. b) Organisatorisch-personelle demokratische Legitimation Der erste ergänzende Baustein der organisatorisch-personellen demokratischen Legitimation besteht nach dem hier darzustellenden Modell in einer ununterbrochenen, auf das Volk zurückführenden Legitimationskette für die mit der Wahrnehmung staatlicher Angelegenheiten betrauten Amtswalter. Durch diese Legitimationskette werden zugleich die staatlichen Organe legitimiert, in denen und für welche die Amtswalter handelten. Damit von einer echten demokratischen Legitimation gesprochen werden könne, genüge eine lediglich abstrakte Legitimation, die die Berufung der Amtswalter nur generell regele, nicht. Vielmehr sei eine konkrete, auf den einzelnen Amtswalter individuell bezogene Legitimation zwingend erforderlich. Diese individuelle Legitimation müsse freilich nicht unmittelbar vom Volk herrühren. In der Regierungsform der parlamentarischen Demokratie sei eine mittelbare Berufung gleichermaßen zulässig. Ob dabei eine „höhere demokratische Dignität“ durch die unmittelbare Einsetzung der Amtswalter vermittelt wird, wird für möglich gehalten, jedoch nicht endgültig beantwortet. Dies sei auch nicht das maßgebliche Kriterium. Maßgeblich sei, daß die Legitimationskette nicht durch das Dazwischentreten eines nicht oder nicht hinreichend legitimierten Organs bzw. Amtswalters unterbrochen werde. Die Kette individueller Berufungsakte vom einzelnen Amtswalter bis hin zum Volk als Inhaber der Staatsgewalt müsse lückenlos sein. Entweder sei das Parlament selbst Legitimationsspender oder aber zumindest Legitimationsmittler wie im Fall der Beamtenernennung durch den demokratisch-parlamentarisch legitimierten und verantwortlichen Minister. Eine Form der Legitimation – außerhalb der unmittel5
Böckenförde, in: HdbdStR, Bd. II, § 24, Rn. 14.
§ 8 Demokratische Legitimation als Verfassungsforderung
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baren Volkswahl –, die am Parlament vorbeilaufe, gebe es nicht. Eine überragende Bedeutung komme der Personalauswahl im Bereich der Richterwahl zu, da die Verfassung den Richtern die weisungsfreie Ausübung der Rechtsprechung zuweise. Ohne das Mittel der kontrollierenden oder korrigierenden Weisungen aber bleibe als demokratische Rückbindung nur die Ableitung demokratischer Legitimation im Rahmen der Legitimationskette 6. Diese Entscheidung für die genannten Organisations- und Legitimationsstrukturen wirft insbesondere zwei Problemkreise auf 7. Einmal die Frage, ob sämtliche Entscheider oder aber nur die Entscheidung selbst von der demokratischen Legitimation getragen sein muß, was vor allem bei entscheidungsbefugten Kollegialorganen von Bedeutung ist. Und zum zweiten die Frage der Beteiligung von Gruppen oder Organen an der Ausübung von hoheitlicher Gewalt, die nicht über die notwendige oder gar keine demokratische Legitimation verfügen. Die Beantwortung der ersten Frage fällt dahingehend aus, daß – soweit ein ausreichender Einfluß der demokratisch legitimierten Mitglieder des Kollegialorgans auf die Entscheidung gesichert sei – auch der Weg über die gemischte Zusammensetzung dieser Organe gangbar sei. Konkret zu bestimmen sei jedoch, da durch die organisatorisch-personelle demokratische Legitimation auch die Legitimation staatlichen Handelns bewirkt werden solle, wie genau die Einflußmöglichkeiten der demokratisch legitimierten Amtswalter ausgestaltet sein müßten. Klar sei zum einen, daß eine reine Vetoposition nicht ausreiche, sondern die demokratisch legitimierten Mitglieder auch selbständig die Möglichkeit zur Entscheidungsdurchsetzung haben müßten. Weitergehend als die daraus resultierende Forderung der Mehrheitsbesetzung – bei einfacher Mehrheit – ist die der sog. doppelten Mehrheit 8. Danach solle jede Entscheidung mit mindestens der Mehrheit der demokratisch legitimierten Amtswalter gefällt werden. Finde sich eine solcher Mehrheit nicht, so komme die Entscheidung – trotz möglicherweise gegebener faktischer Mehrheit – nicht zustande. Auch die damit verwandte zweite Frage wird in diesem Sinne beantwortet. Bei Entscheidungen eines organisatorisch-personell demokratisch legitimierten Organs, für welche Vorschlags-, Beratungs-, Zustimmungs- oder Vetorechte oder gar selbständige Mitentscheidungsbefugnisse demokratisch nicht legitimierter Instanzen bestehen, müsse für den Konfliktfall auf jeden Fall sichergestellt sein, daß sich das demokratisch legitimierte Organ durchzusetzen in der Lage sei. Dies sei dann nicht mehr der Fall, wenn die Entscheidung von dem Votum einer nicht demokratisch legitimierten Stelle rechtlich abhängig sei 9.
6 7 8 9
Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, S. 72 f. Böckenförde, in: HdbdStR, Bd. II, § 24, Rn. 17 ff. Böckenförde, in: HdbdStR, Bd. II, § 24, Rn. 19. Böckenförde, in: HdbdStR, Bd. II, § 24, Rn. 20.
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c) Sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation Die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation ist die dritte Form der Legitimationstrias und tritt insbesondere zur organisatorisch-personellen demokratischen Legitimation hinzu. Sie sei dazu bestimmt, die Ausübung der Staatsgewalt ihrem Inhalt nach vom Volk herzuleiten bzw. mit dem Volkswillen zu vermitteln und auf diese Weise die Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk sicherzustellen. Die Herstellung dieses Zustandes sei auf zwei Wegen möglich. Zum einen durch das verfassungsrechtlich institutionalisierte Gesetzgebungsrecht des Bundestages als dem durch unmittelbaren Wahlakt legitimierten Repräsentationsorgan des Volkes. An die durch ihn beschlossenen Gesetze seien gemäß Art. 20 Abs. 3 GG alle anderen Gewalten gebunden, so daß zumindest der Rahmen jeglicher Entscheidung der Exekutive oder Judikative demokratisch legitimiert vorgegeben sei. Der andere Weg knüpft an den zentralen Begriff der Verantwortung an. Aufgrund der Durchdringung mit sanktionierter demokratischer Verantwortlichkeit, einschließlich der dazu gehörigen Kontrolle für die Art der Wahrnehmung der eingeräumten Aufgaben, sei die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation verwirklicht. Verantwortlichkeit bedeutet für das Parlament, daß es sich in den periodisch wiederkehrenden Wahlen dem Votum des Volkes stellen und damit sowohl über die Regierungsarbeit wie auch über die Oppositionsarbeit Rechenschaft ablegen und folglich Verantwortlichkeit zeigen müsse. Aufgrund des repräsentativen Systems bestehe die Verantwortlichkeit der Regierung und der einzelnen Minister in erster Linie gegenüber dem Parlament. Die Minister müssten sich dabei sowohl für ihr eigenes Handeln als auch mittelbar für das Handeln der ihnen untergeordneten und weisungsabhängigen Behörden rechtfertigen. Das Weisungsrecht diene demnach nicht lediglich zur „Vereinheitlichung“ der Entscheidungen, sondern auch direkt dazu, eine präzise Zuweisung von Verantwortungszusammenhängen zu erreichen. Zugleich könne auf diese Weise durch die Sanktionsmöglichkeiten ein Handeln der Exekutive im Sinne des Parlaments sichergestellt werden. Bereiche, auf die weder das Erfordernis der strengen Gesetzesbindung noch das Erfordernis der mit Sanktionen bewehrten Verantwortlichkeit zutreffe, seien grundsätzlich verfassungswidrig und könnten nur ganz ausnahmsweise verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn sich eine solche Herauslösung aus der Legitimationssystematik der Verfassung selbst ergebe. Solche Räume könnten jedenfalls nicht durch den einfachen Gesetzgeber oder die Exekutive selbst geschaffen werden. d) Verhältnis von organisatorisch-personeller und sachlich-inhaltlicher demokratischer Legitimation Wie dargestellt, ist grundsätzlich von einem Nebeneinander und gleichzeitigen Vorhandensein aller drei Arten demokratischer Legitimation auszugehen, um die vollständige und notwendige Anbindung und Rückführbarkeit staatlichen Han-
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delns an das Volk zu erreichen. Unter grundsätzlicher Voraussetzung der funktionellen, institutionellen demokratischen Legitimation ist das Verhältnis zwischen organisatorisch-personeller und sachlich-inhaltlicher demokratischer Legitimation näher zu beleuchten. Dieses Verhältnis ist unter Bezugnahme auf die Ziel- und Zwecksetzung beider Legitimationsformen zu betrachten. Die organisatorisch-personelle Legitimation bewirke zwar, daß die Personen, die Staatsgewalt ausübten, durch ihre Einsetzung vom Volk her legitimiert seien; das lasse aber noch keine Sicherstellung der Verwirklichung des Volkswillens zu, da – bestünde nur diese Legitimationsart – die Volksvertreter ihren eigenen Willen bis zur nächsten Wahl als relevanten Handlungsmaßstab definieren und danach ohne Einfluß des Souveräns handeln könnten. Zum Zwecke der Verhinderung eben dieses Szenarios bedürfe es der sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation, die durch die strenge Bindung an Gesetze des unmittelbar gewählten Parlaments einerseits und der institutionellen Verantwortlichkeitsstränge andererseits hergestellt werde. Das hinter allen drei Variationen der Legitimation durchscheinende Ziel, eine effektive demokratische Legitimation staatlichen Handelns zu gewährleisten, ermögliche es, von einer Substituierung in gewissem Umfang zu sprechen, ohne jedoch zu einer vollständigen Ersetzbarkeit zu gelangen. Auch eine Substituierbarkeit könne allerdings stets nur so lange angenommen werden, wie die von Art. 20 Abs. 2 GG geforderte Effektivität demokratischer Legitimation dies zulasse. Entscheidend sei, daß das Legitimationsniveau nie unter ein verfassungsrechtlich gefordertes Mindestmaß absinke. Als Ausgleich in der oben bezeichneten Art sei es möglich, eine Auffüllung einer unter Umständen fehlenden sachlichen Abhängigkeit durch strenge Gesetzesbindung und konsequente organisatorisch-personelle Legitimation anzusehen, ebenso wie die Mitentscheidung gesellschaftlicher, nicht demokratisch legitimierter Gruppen bei Personalentscheidungen durch strikte sachlich-inhaltliche Legitimation nivelliert werden könne.
II. Widerhall des Modells in der Rechtsprechung Bereits früh hat sich das Bundesverfassungsgericht zum Gedanken der erforderlichen demokratischen Legitimation und der Rückführbarkeit der Ausübung der Staatsgewalt auf das Volk bekannt 10. Die im folgenden dargestellten zehn exemplarischen Entscheidungen befassen sich sowohl mit dem Demokratieprinzip und der demokratischen Legitimation im allgemeinen, als auch mit dem Sonderfall des Erfordernisses der demokratischen Legitimation im Bereich der kommunalen und funktionalen Selbstverwaltung. Dieser Teil soll vorliegend ebenso dargestellt werden, auch wenn zu betonen ist,
10
BVerfGE 38, 258 (271).
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daß dies lediglich der Veranschaulichung und Vollständigkeit dienen soll, ohne in concreto überwirkende Aussagekraft für den hier im Mittelpunkt stehenden Bereich der staatsunmittelbaren Verwaltung zu besitzen. Für die anschließende Untersuchung des Demokratiegehalts des Art. 20 Abs. 2 GG auf konkrete Forderungen im Hinblick auf die demokratische Legitimation von Amtsträgern erscheint es jedoch zielführend, auch diesen speziellen Bereich mit eingebunden zu haben, insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, daß das Bundesverfassungsgericht sich im Rahmen einer jüngeren Entscheidung zur funktionalen Selbstverwaltung dezidiert mit dem Komplex der demokratischen Legitimation auseinandergesetzt hat. 1. BVerfGE vom 10.12.1974 – Gemeindeordnung Schleswig-Holstein In seinem Urteil vom 10.12.1974 hatte das Bundesverfassungsgericht über die Vereinbarkeit der Änderung der Gemeindeordnung Schleswig-Holsteins mit der Landessatzung für Schleswig-Holstein zu entscheiden 11. Die Änderungen betrafen die Wahl der hauptamtlichen Magistratsmitglieder in Städten mit Magistratsverfassung. Die vorige Fassung sah eine Wahl der Magistratsmitglieder durch die Stadtvertretung vor; jedes Mitglied der Stadtvertretung konnte hierzu Wahlvorschläge unterbreiten. Durch die Änderung der Gemeindeordnung durfte dagegen nur jede Partei Vorschläge machen und diese mußten im Verhältnis ihrer Sitze Berücksichtigung finden. Eine Wahl sollte damit nicht mehr stattfinden. Der Stadtvertretung blieb lediglich noch die Möglichkeit, einen Vorschlag zurückzuweisen, wenn sich hierfür eine Zwei-Drittel-Mehrheit fand. Die Kommunalaufsichtsbehörde durfte der Wahl nur widersprechen, wenn die Person nicht die für das Amt erforderliche Eignung besaß. Diese Regelung war laut Bundesverfassungsgericht mit Artikel 2 Abs. 2 S. 2 der Landessatzung für Schleswig-Holstein 12 unvereinbar und daher nichtig. Durch ihren Artikel 2 Abs. 1 bekenne sich die Landessatzung zum Grundsatz der Volkssouveränität und sei gemäß Absatz 2 eine repräsentativ-demokratische Struktur auch für die Verfassung der Gemeinden und Gemeindeverbände vorgeschrieben. Die Maßnahmen der Gemeinden als Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts seien Ausfluß von öffentlicher Gewalt und damit von Staatsgewalt im weiteren Sinne. Der Magistrat übe eine wesentliche Funktion aus, da unter anderem unter seiner Leitung die Masse der Geschäfte der laufenden Verwaltung 11
BVerfGE 38, 258. Art. 2 LS Schl.-H. „(1) Alle Gewalt geht vom Volke aus. (2) Das Volk bekundet seinen Willen durch Wahlen. Es handelt durch seine gewählten Vertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden. (3) Die Verwaltung wird durch die gesetzlich bestellten Organe, die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte ausgeübt.“ 12
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erledigt würden. Zudem bereite er die Beschlüsse der Stadtvertretung inhaltlich vor und nehme so wesentlichen Einfluß auf die spätere Beschlußfassung. Für solch ein wichtiges Gemeindeorgan müsse es indessen eine demokratische Legitimation geben, die sich auf die Gesamtheit der Bürger der Gemeinde als dem Volk, von dem alle Gewalt ausgehe, zurückführen lasse 13. Da es aber eine unmittelbare Wahl von Magistratsmitgliedern durch das Volk nicht gebe, könne die notwendige demokratische Legitimation nur durch das Repräsentationsorgan der Stadtvertretung verschafft werden. Diesem Erfordernis werde die neue Regelung aber keineswegs gerecht, da es zu keiner Wahl mehr komme, sondern auf Benennungsrechte der Fraktionen im Verhältnis ihrer Stärke abgestellt werde. Durch die fehlende Wahlmöglichkeit des Repräsentationsorgans Stadtvertretung werde somit ein Teil ihrer Mitglieder an der Auswahl überhaupt nicht mehr beteiligt, so daß die Wahl der Stadtvertretung ihr auch nicht in ihrer Gesamtheit zugerechnet werden könne. Eine Fraktion, die ein Magistratsmitglied benenne, könne als lediglich Teil des Ganzen den Akt der demokratischen Legitimation, der nach Artikel 2 Abs. 2 S. 2 der Landessatzung notwendig sei, nicht leisten. Der Stadtvertretung in ihrer Gesamtheit, als dem Organ, das in der Gemeinde den Volkswillen repräsentiere, dürfe die Entscheidung über die personelle Besetzung des Magistrats, der ebenfalls einer demokratischen Legitimation bedürfe, nicht entzogen werden. Das Bundesverfassungsgericht stellte sodann – soweit ersichtlich – erstmalig fest, daß die erforderliche Legitimationskette nicht geschlossen sei 14. Daraus ergebe sich die Unvereinbarkeit der erstrebten Regelung mit der Landesverfassung und ihre Nichtigkeit. 2. BVerfGE vom 15.02.1978 – Bildung von Bezirksvertretungen in Nordrhein-Westfalen Auch die nächste hinsichtlich der Thematik der demokratischen Legitimation relevante Entscheidung des Gerichts vom 15.02.1978 befaßte sich mit Wahlbestimmungen auf kommunaler Ebene 15. Die Wahlvorschriften der Bezirksverfassung der kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfalen wurden wegen eines behaupteten Verstoßes gegen das demokratische Prinzip des Grundgesetzes angegriffen. Die in Rede stehende Gemeindeordnung sah die Bildung von Bezirksvertretungen für die einzelnen Stadtbezirke vor. Die Bildung dieser Bezirksvertretungen fand parallel zur Ratswahl statt. Das Ergebnis der Ratswahl wurde später auf die Bezirksvertretungen und die hierfür vorher eingereichten Listenwahlvorschläge übertragen. Für den Fall des Ausscheidens eines Mitglieds aus der Bezirksvertretung war vorgesehen, daß der Nachfolger aus der Parteiliste kommen sollte, 13 14 15
BVerfGE 38, 258 (271). BVerfGE 38, 258 (274 f.), Hervorhebung durch den Verfasser. BVerfGE 47, 253.
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die jedoch jederzeit und frei änderbar war, so daß die zuständige Stelle in der jeweiligen Partei die Reihenfolge der Sitzverteilung festlegen konnte. Das Bundesverfassungsgericht stellte in Fortführung seiner soeben zitierten Rechtsprechung einen Verstoß dieser Bestimmung (u.a.) gegen Art. 20 Abs. 2 GG und damit ihre Nichtigkeit fest. Gemäß des Tenors der Entscheidung schreibe das Grundgesetz „für die Gemeinden die demokratische Organisation der Staatsgewalt vor. Auch ihre Organe und Vertretungen bedürfen, soweit sie Staatsgewalt ausüben, einer Legitimation, die sich auch die Gesamtheit der Bürger als dem Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht, zurückführen läßt“ (Nr. 1) und erfordere die „verfassungsrechtlich notwendige demokratische Legitimation . . . eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern“ (Nr. 2). In Erläuterung des Prinzips der Volkssouveränität und der Geltung der demokratischen Legitimationsnotwendigkeit auch auf Landesebene 16 stellte das Gericht anhand einer Aufzählung und Wertung der Befugnisse und Rechte der Bezirksvertretungen dar, daß auch diese Hoheitsbefugnisse wahrnehmen und damit staatliche Gewalt ausübten 17. Schließlich führte das Gericht die in der Essenz des zweiten Leitsatzes genannte Problematik hinsichtlich der demokratischen Legitimation aus. Dabei komme es unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten zu einer Verwerfung der Regelung der Gemeindeordnung. Zum einen sei es zwar verfassungsrechtlich möglich, entweder eine unmittelbare Volkswahl für die Bezirksvertretung einzuführen oder aber einen abgeleiteten, mittelbaren Legitimationszusammenhang zu schaffen, etwa durch Bestimmung seitens des Rates. Der durch das Land Nordrhein-Westfalen gewählte „mittlere Weg durch ein besonderes Wahlverfahren“ indes sei nicht gangbar, da er den Bezirksvertretungen nicht die erforderliche demokratische Legitimation verschaffe 18. Aber auch aus einem weiteren Grund verstoße die Regelung gegen das Demokratieprinzip in Verbindung mit Grundsätzen der Unmittelbarkeit der Wahl. Durch die frei wählbare Besetzung der Nachrückerlisten bei Ausscheiden eines Mitgliedes der Bezirksvertretungen durch von der für die Aufstellung der Liste zuständigen Stelle der Partei werde die Legitimationskette von den Bürgern zu der Bezirksvertretung unterbrochen 19.
16 17 18 19
BVerfGE 47, 253 (272). BVerfGE 47, 253 (273). BVerfGE 47, 253 (275). BVerfGE 47, 253 (280).
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3. BVerfGE vom 08.08.1978 – Kalkar Nur am Rande – aber inhaltlich dezidiert – äußert sich das Bundesverfassungsgericht auch in der sog. Kalkar-Entscheidung 20, wo es feststellt, daß die Organe der gesetzgebenden, der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt ihre institutionelle und funktionelle demokratische Legitimation aus der in Art. 20 Abs. 2 GG getroffenen Entscheidung des Verfassungsgebers bezögen. Zusätzlich zu der Schaffung der Exekutive in Art. 20 Abs. 2 und 3 GG als verfassungsunmittelbare Institution und Funktion, verliehen ihr die Verfahren zur Bestellung der Regierung eine mittelbare personelle demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG 21. 4. VGH NRW vom 15.09.1986 – Arbeitnehmer-Mitbestimmung Im Anschluß an die Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts erklärte der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen das Gesetz zur Arbeitnehmer-Mitbestimmung in öffentlich-rechtlichen Unternehmen, das die Mitbestimmung in das Landessparkassengesetz einführte, wegen Verstoßes gegen das Demokratieprinzip für nichtig 22. Durch das Änderungsgesetz wurde das Sparkassengesetz dahingehend geändert, daß der Verwaltungsrat der Sparkasse nicht mehr durch die Vertretung des Gewährträgers, sondern durch die Dienstkräfte der Sparkasse unmittelbar gewählt werden sollte. Die Sparkassen seien dem verfassungsrechtlich vorgegebenen Demokratieprinzip unterworfen, da die Gemeinden und Gemeindeverbände durch die Errichtung und Betrieb von Sparkassen öffentliche Verwaltung wahrnähmen. Somit seien sie aufgrund ihres besonderen Status der mittelbaren Kommunalverwaltung zuzuordnen. Unter Bezugnahme auf die gefestigten Ergebnisse hinsichtlich der mittelbaren und repräsentativen Demokratie sowie der Notwendigkeit demokratischer Legitimation zur Ausübung von Staatsgewalt stellt der Verfassungsgerichtshof eine nicht ausreichende demokratische Legitimation bei einer Wahl durch Gruppenoder Bedienstetenvertretungen fest, da diese weder „Volk“ noch „Teilvolk“ noch eine vom Volk legitimierte Vertretung darstellten. Diese Legitimation werde den Mitgliedern der Personalversammlung auch nicht dadurch zuteil, daß der Vorstand der Sparkasse sie angestellt habe. Die Anstellung der Dienstkräfte erfolge mit der ausschließlichen Zweckrichtung geeigneter Sachaufgabenerfüllung; und darin erschöpfe sie sich 23. Entbehre das Wahlorgan – wenn auch nur zum Teil – der demokratischen Legitimation, so besitze keines der von ihm gewählten Mitglie20 21 22 23
BVerfGE 49, 89. BVerfGE 49, 89 (125). VGH NRW, NVwZ 1987, 211. VGH NRW, NVwZ 1987, 211 (213).
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der die für die Berufung gebotene individuelle Legitimation. Die Forderung nach der individuellen demokratischen Legitimation jedes einzelnen Wahlberechtigten wurde zwar später zugunsten der sog. doppelten Mehrheit modifiziert 24, jedoch blieb das Prinzip der Notwendigkeit auf das Volk rückführbarer Staatsgewalt bestehen. Angesprochen wurde in diesem Zusammenhang auch erstmals eine mögliche Rechtfertigung einer Unterbrechung der demokratischen Legitimations- und Verantwortungsstränge durch entgegenstehendes Verfassungsrecht, was jedoch im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip abgelehnt wurde. 25 5. BVerfGE vom 01.10.1987 – Besetzung von Untersuchungsausschüssen Geklärt hat das Bundesverfassungsgericht auch die Vereinbarkeit der Bestellung von Mitgliedern des Bundestagsuntersuchungsausschusses durch die einzelnen Fraktionen 26. Denn obwohl parlamentarische Untersuchungsausschüsse öffentliche Gewalt ausübten, blieben sie doch – wie die Ausschüsse insgesamt – lediglich Hilfsorgan des Bundestages. Die Volksvertreter, die ihre erforderliche demokratische Legitimation unmittelbar durch die Bundestagswahl erhielten, übten das Untersuchungsrecht, das dem Bundestag gemäß Art. 44 GG zustehe, jeweils durch von ihnen eingesetzte Untersuchungsausschüsse, aus. Damit besitze der Untersuchungsausschuß nicht die Stellung eines selbständigen, unabhängig von der vorhandenen demokratischen Legitimation des Bundestages und seiner Mitglieder erst eigens demokratisch zu legitimierenden Organs. Demzufolge genüge die personelle Besetzung des Untersuchungsausschusses durch die Fraktionen. Grundlegend anders sei dies jedoch bei der Bestellung der Mitglieder eines nicht der Volksvertretung zugeordneten, selbständigen, mit eigenen Befugnissen ausgestatten Organs eine juristischen Person des öffentlichen Rechts, das innerhalb des ihm durch Gesetz oder Satzung zugewiesenen eigenen Aufgabenbereichs öffentliche Gewalt ausübe. Ein solches Organ bedürfe einer demokratischen Legitimation, die sich auf die Gesamtheit der jeweils wahlberechtigten Bürger zurückführen lasse 27. Die Volksvertretung könne diese Legitimation nur durch einen Akt vermitteln, der ihr in ihrer Gesamtheit zuzurechnen sei. Eine Benennung der Organmitglieder durch die Fraktionen reiche dort nicht aus.
24 25 26 27
Vgl. BVerfGE 93, 37 (72), dazu sogleich. VGH NRW, NVwZ 1987, 211 (212). BVerfGE 77, 1 (39). BVerfGE 77, 39 (41).
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6. BVerfGE vom 31.10.1990 – Ausländerwahlrecht zu Bezirksversammlungen In seinem zentralen Urteil über das Hamburgische Gesetz zur Einführung des Wahlrechts für Ausländer zu den Bezirksversammlungen diagnostizierte das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 GG und erklärte daher das Gesetz für nichtig 28. Nach der Neufassung des Wahlrechts war es Ausländern – nicht begrenzt auf EU-Ausländer – erlaubt, an den Wahlen zu den Bezirksversammlungen teilzunehmen, wenn sie verschiedene Voraussetzungen erfüllten, wie etwa einen mindestens achtjährigen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes und eine Aufenthaltserlaubnis. Gemäß Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG seien die Grundentscheidung des Art. 20 Abs. 2 GG für die Volkssouveränität und die daraus folgenden Grundsätze der demokratischen Organisation und Legitimation von Staatsgewalt auch für die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern verbindlich. Volk im Sinne des Grundgesetzes sei die Gesamtheit der in dem jeweiligen Wahlgebiet ansässigen Deutschen (Art. 116 Abs. 1 GG). Mit der Stimmabgabe der Wahlen betätige sich der Bürger als Glied des Staatsorgans Volk im status activus. Neben diesen Ausführungen in Bestätigung der bisherigen Linie finden sich in der Entscheidung aber auch zwei besonders hervorzuhebende Neuerungen; zum einen die Notwendigkeit der Gewährleistung eines effektiven Einflusses des Volkes und zum anderen der Begriff des Legitimationsniveaus. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG gestalte den Grundsatz der Volkssouveränität aus, indem er festlege, daß das Volk die Staatsgewalt, deren Träger es sei, außer in Wahlen und Abstimmungen durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausübe. Das setze voraus, daß das Volk einen effektiven Einfluß auf die Ausübung der Staatsgewalt durch diese Organe habe 29. Deren Akte müßten sich daher auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden. Bezüglich der verschiedenen Ausformungen der Legitimationsstränge hätten diese nicht Bedeutung je für sich, sondern nur in ihrem Zusammenwirken. Damit sei aber aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns entscheidend, sondern deren Effektivität; notwendig sei ein bestimmtes Legitimationsniveau 30. Dieses könne bei den verschiedenen Erscheinungsformen von Staatsgewalt im allgemeinen und der vollziehenden Gewalt im besonderen unterschiedlich ausgestaltet sein.
28 29 30
BVerfGE 83, 60. BVerfGE 83, 60 (71 f.). BVerfGE 83, 60 (72).
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In Erweiterung seiner bisherigen Rechtsprechung stellte das Bundesverfassungsgericht des weiteren heraus, daß sich als Ausübung von Staatsgewalt jedenfalls alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter darstelle 31. Entscheidungen steuerten die staatliche Herrschaft und müßten sich daher vom Volk herleiten. Dies gelte gleichermaßen für Entscheidungen, die unmittelbar nach außen wirken, wie für solche, die durch einen anderen Verwaltungsträger umgesetzt werden müßten, sofern dieser dazu rechtlich verpflichtet sei. 7. BVerfGE vom 24.05.1995 – Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein Der vorläufige Höhepunkt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Thematik der demokratischen Legitimation in der Verwaltung wurde durch das Urteil über das Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holsteins erreicht 32. Das Gesetz strebte im Hinblick auf alle innerdienstlichen Belange der Beschäftigten eine gleichrangige Partnerschaft an, in deren Rahmen Dienststelle und Personalrat bei ihren Entscheidungen unter anderem das gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Umfeld zu berücksichtigen hatten. Zu diesem Zweck sah es eine umfassende Mitbestimmung der Personalräte mit weitreichenden Zustimmungs- und Antragsrechten vor. Die Mitbestimmung bezog sich grundsätzlich auf alle personellen, sozialen, organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Maßnahmen, die die Beschäftigten der Dienststelle insgesamt, Gruppen von ihnen oder einzelne Beschäftigte betrafen oder sich auf sie auswirkten. Kam eine Einigung nicht zustande, so sollte eine weisungsunabhängige Einigungsstelle verbindlich entscheiden. Zudem erhielt der Personalrat ein eigenes Initiativrecht in den genannten Angelegenheiten. Das Bundesverfassungsgericht stellte die Unvereinbarkeit dieser Regelungen mit Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 GG fest 33. Unter Bezugnahme auf BVerfGE 83, 60 wird an die dortigen Ausführungen über den legitimatorischen Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft, institutioneller, funktioneller, sachlich-inhaltlicher und personeller Legitimation sowie die zentrale Stellung der Wahrung eines bestimmten Legitimationsniveaus zur Aufrechterhaltung des effektiven Einflusses des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt angeknüpft. Eine ausreichende sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation setze voraus, daß die Amtsträger im Auftrag und nach Weisung der Regierung – ohne Bindung an die Willensentschließung einer außerhalb parlamentarischer Verantwortung stehenden Stelle – handeln könnten
31 32 33
BVerfGE 83, 60 (73). BVerfGE 93, 37. BVerfGE 93, 37 (66).
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und die Regierung damit in die Lage versetzten, die Sachverantwortung gegenüber Volk und Parlament zu übernehmen 34. Bestehe ein Bestellungsgremium aus zum Teil nicht personell demokratisch Legitimierten, könne der zu bestellende Amtsträger die volle demokratische Legitimation nur dadurch erhalten, daß die die Entscheidung tragende Mehrheit sich ihrerseits aus einer Mehrheit unbeschränkt demokratisch legitimierter Mitglieder des Kreationsorgans ergebe. Bezüglich der Qualifizierung der Mitwirkung des Personalrates an Personalentscheidungen bejahte das Bundesverfassungsgericht die Ausübung von Staatsgewalt, da die Mitbestimmung weit über den Bereich hinausgreife, der den Amtsauftrag typischerweise nicht nur unerheblich berühre 35. Dabei sei indes zu beachten, daß das Grundgesetz durchaus Raum für eine Personalratsbeteiligung lasse 36. Solche Beteiligungen seien mit dem Demokratieprinzip vereinbar, solange sie nicht den Grundsatz berührten, daß alle der Staatsgewalt Unterworfenen den gleichen Einfluß auf die Ausübung von Staatsgewalt haben müßten und deshalb Bürgern (Bediensteten), die von einer bestimmten Ausübung von Staatsgewalt individuell betroffen seien, keine besonderen Mitentscheidungsbefugnisse eingeräumt werden dürften. Neben diesem Spielraum des Gesetzgebers gebe es aber auch Grenzen, die ihm durch das Erfordernis hinreichender demokratischer Legitimation gesetzt würden. Eine „Autonomie“ des öffentlichen Dienstes – wenn auch nur im internen Dienstbetrieb – könne es nicht geben. Unter Würdigung der Besonderheiten des Einzelfalles und der konkret betroffenen Interessen seien jedenfalls zwei Grenzen zu benennen. Die Mitbestimmung dürfe sich einerseits nur auf innerdienstliche Maßnahmen erstrecken und nur so weit gehen, als die spezifischen in dem Beschäftigungsverhältnis angelegten Interessen der Angehörigen der Dienststelle sie rechtfertigten (Schutzzweckgrenze). Andererseits verlange das Demokratieprinzip für die Ausübung von Staatsgewalt bei Entscheidungen von Bedeutung für die Erfüllung des Amtsauftrages jedenfalls, daß die Letztentscheidung eines dem Parlament verantwortlichen Verwaltungsträgers gesichert sei (Verantwortungsgrenze) 37. Innerhalb dieses Rahmens sei Flexibilität je nach Gewichtung der Amtsaufgabe möglich. 8. StGH Bremen vom 15.01.2002 – Bremer Beleihungsgesetz Für vereinbar mit der Landesverfassung befand der Bremer Staatsgerichtshof das Bremer Beleihungsgesetz in seinem Urteil vom 15.01.2002 38. Das Gesetz 34 35 36 37 38
BVerfGE 93, 37 (67). BVerfGE 93, 37 (77). BVerfGE 93, 37 (69). BVerfGE 93, 37 (70). StGH Bremen, NVwZ 2003, 81.
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regelt die Übertragung von Aufgaben staatlicher Förderung auf juristische Personen des privaten Rechts. Auf der Grundlage dieses Gesetzes wurden verschiedene öffentlich-rechtliche Verträge zwischen einzelnen senatorischen Ressorts und privaten Gesellschaften mit beschränkter Haftung geschlossen, durch die Letzteren die Befugnis verliehen wurde, im eigenen Namen und in den Handlungsformen des öffentlichen Rechts speziell aufgezählte Aufgaben wahrzunehmen, die bisherig in behördlicher Kompetenz wahrgenommen worden waren. Die durch das Beleihungsgesetz ermöglichte Übertragung umfangreicher Bereiche der Förderverwaltung auf Beliehene sei mit der Landesverfassung vereinbar, soweit die demokratische Legitimation des Verwaltungshandelns der Beliehenen, die inhaltliche Steuerung und Kontrolle durch die Exekutive sowie die Bürgerschaft gewährleistet sei. Es handele sich bei der Übertragung nicht um eine materielle Privatisierung von Staatsaufgaben, sondern lediglich um eine Aufspaltung zwischen fortbestehender staatlicher Aufgabenzuständigkeit und Aufgabenverantwortung einerseits und Aufgabenerfüllung durch Private andererseits. Eine derartige funktionelle Privatisierung begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken 39. Das demokratische Prinzip der Landesverfassung verlange, daß die Befugnis zur Ausübung öffentlicher Gewalt unmittelbar oder mittelbar auf die Wahl durch das Volk zurückgehe und daß, zusätzlich zu dieser personellen Legitimation, die sachlich-inhaltliche Legitimation in Gestalt der Bindung der hoheitlich handelnden Amtsträger an den Willen und die Weisungen einer parlamentarisch verantwortlichen Regierung stattfinde 40. Die Legitimationskette sei zum einen durch den Beleihungsakt, der durch den demokratisch legitimierten Senator vorgenommen werde, geschlossen und zum anderen sei die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation gegeben, da die Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt durch die Beliehenen der Aufsicht eines – parlamentarisch verantwortlichen – Mitglieds des Senats unterliege 41. Die funktionelle Privatisierung von Verwaltungsaufgaben dürfe nicht zur Entstehung kontrollfreier Räume öffentlicher Verwaltung führen 42. Deshalb sei es unerläßlich, eine effektive Fachaufsicht zu gewährleisten und diese durch institutionelle Vorkehrungen sicherzustellen, damit es zu keiner Minderung der rechtsstaatlich-demokratischen Qualität der erbrachten öffentlichen Leistungen komme. Die staatliche Überwachung müsse sich durchsetzen. So beispielsweise im Falle der Kollision von Interessen der Gesellschaft und der staatlichen Gemeinwohlorientierung. Wenn Informationsbegehren oder Weisungen der Behörde unter Hinweis auf das gesellschaftsrechtlich geschützte Interesse an der Geheimhaltung bestimmter Vorgänge oder auf entgegenstehende Gesellschaftsinteressen oder Ab39 40 41 42
StGH Bremen, NVwZ 2003, 81 (83). StGH Bremen, NVwZ 2003, 81 (83). StGH Bremen, NVwZ 2003, 81 (83). StGH Bremen, NVwZ 2003, 81 (84).
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stimmungsergebnisse verweigert werden könnten, hinge die Erfüllung öffentlicher Aufgaben nicht von den Entscheidungen staatlicher Amtswalter, sondern von der Willensbildung in den Organen der Gesellschaft ab. Eine solche Situation wäre mit dem Gebot demokratischer Legitimation der Erfüllung öffentlicher Aufgaben nicht vereinbar 43. Instrumente zur Sicherung der Gemeinwohlbindung seien neben den verschiedenen Varianten der Aufsicht zum Beispiel das Erfordernis doppelter Mehrheit, Stimmrechtsbindungsverträge, aufgabenspezifische Kooperationsverträge zwischen dem Staat und dem beliehenen Unternehmen oder die Schaffung von Kooperationsorganen. 9. BVerwGE vom 17.12.1997 – Lippeverbandsgesetz und Emschergenossenschaftsgesetz Besondere Aufmerksamkeit verdienen zwei Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1997 für den speziellen Bereich der funktionalen Selbstverwaltung. Hierin beschäftigte sich das Gericht mit dem Lippeverbandsgesetz (LippeVG) 44 und dem Emschergenossenschaftsgesetz (EmscherGG) 45 unter dem Aspekt der demokratischen Legitimation bei Wasserverbänden. Beide Beschlüsse ergingen in nahezu vollkommener Parallelität, so daß an dieser Stelle die exemplarische Darstellung des Beschlusses über das EmscherGG genügt, der ebenso wie der gleichgelagerte Fall des LippeVG eine Aussetzung des Verfahrens nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 u. 2 GG und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung zum Inhalt hatte. Das EmscherGG sah vor, daß die Genossenschaft einen Großteil der wesentlichen wasserwirtschaftlichen Aufgaben für das Einzugsgebiet der Emscher, somit für den größten Teil des Ruhrgebiets, erfüllte. Darunter fielen Wasser- und Hochwasserabflußregelung, Unterhaltung und Renaturierung oberirdischer Gewässer, Abwasserbeseitigung und Pflege des Grundwassers. Mitglieder der Genossenschaft waren die ganz oder teilweise im Genossenschaftsgebiet liegenden Städte, Gemeinden und Kreise, die jeweiligen Eigentümer der ganz oder teilweise im Genossenschaftsgebiet liegenden Bergwerke sowie gewerbliche Unternehmen und die jeweiligen Eigentümer von Grundstücken, Verkehrsanlagen und sonstigen Anlagen, die Unternehmen der Genossenschaft verursachten oder erschwerten oder Vorteile von ihnen hatten. Organe der sich selbst verwaltenden Genossenschaft waren die Genossenschaftsversammlung, der Genossenschaftsrat und der Vorstand.
43 44 45
StGH Bremen, NVwZ 2003, 81 (84). BVerwG, Beschluß v. 17.12.1997 – 6 C 1/97; NVwZ 1999, 870. BVerwG, Beschluß v. 17.12.1997 – 6 C 2/97; BVerwGE 106, 64.
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Organisatorisch war die Genossenschaft – vereinfacht dargestellt – so aufgebaut, daß die Genossenschaftsversammlung den Genossenschaftsrat wählte, dieser wiederum den Vorstand. Die Genossenschaftsversammlung bestand im Jahre 1990 aus einer Zahl von 148 Delegierten der Genossen. Diese Anzahl wurde anhand der Beitragshöhen jedes Mitgliedes verteilt. Von den Städten und Gemeinden befanden sich 50, von den anderen, z.B. Bergwerken und gewerblichen Unternehmen 98 Personen in diesem Gremium. Die öffentlich-rechtlichen Körperschaften befanden sich demnach deutlich in der Unterzahl. Auch im Genossenschaftsrat, der aus 15 Mitgliedern bestand, bot sich ein ähnliches Bild: Fünf Mitglieder wurden durch die Städte und Gemeinden entsandt, fünf durch u.a. die Bergwerke und gewerblichen Unternehmer, sowie fünf weitere durch Vertreter der Arbeitnehmer, die ihrerseits vom Personalrat gewählt wurden. Der Vorstand schließlich bestand aus fünf Personen. Der Vorstand erledigte die laufenden Geschäfte sowie die Aufgaben, die keinem anderen Gremium oblagen. Der Genossenschaftsrat entschied u.a. über außer- und überplanmäßige Ausgaben und die Geschäftsordnung der Genossenschaftsverwaltung sowie außergewöhnlich bedeutenden oder umfangreichen Projekte. Die Genossenschaftsversammlung war für die Beschlußfassung über die Satzung, die Veranlagungsgrundsätze und weitere Angelegenheiten, wie etwa des Haushaltsplans zuständig. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gesetze dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vor, da es der Überzeugung war, daß die genannten Ausformungen des EmscherGG nicht mit den Grundsätzen des in den Art. 20 Abs. 2, 28 Abs. 1 S. 1 GG niedergelegten Demokratieprinzips vereinbar waren. Es ergebe sich nämlich, daß die drei Staatsgewalt ausübenden Organe der Emscher Genossenschaft mehrheitlich oder insgesamt aus Amtswaltern bestünden, die nicht in ununterbrochener Legitimationskette auf das (Staats-)Volk im Sinne der Art. 20 Abs. 2, 28 Abs. 1 S. 1 GG zurückgeführt werden könnten 46. Dieses Defizit der organisatorisch-personellen demokratischen Legitimation könne auch nicht etwa durch eine starke sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation ausgeglichen werden, da es sich um das überragend wichtige Gemeinschaftsgut „Wasser“ handele; eine Substitution sei nicht möglich 47. Nach umfassender Zitierung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die insbesondere für die hierarchisch organisierte Bundes- und Landesverwaltung und für die Verwaltung in den von Verfassungs wegen durch Besonderheiten gekennzeichneten kommunalen Gebietskörperschaften entwickelt worden sei, wird auf den speziellen Fall der vorliegenden funktionalen Selbstverwaltung eingegangen. Das Gericht erklärte die vom Bundesverfassungsgericht
46 47
BVerwGE 106, 64 (68). BVerwGE 106, 64 (68).
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entwickelten Grundsätze jedenfalls dann auf die funktionale Selbstverwaltungskörperschaften für anwendbar, wenn diese nicht nur Angelegenheiten ihrer Mitglieder wahrnähmen, sondern auch überragende Gemeinwohlbelange und Angelegenheiten Dritter, in diesem Fall lebenswichtige Aufgaben der Daseinsvorsorge für weite Bevölkerungskreise, wahrzunehmen hätten. Dabei hebt das Gericht die grundsätzliche verfassungsrechtliche Anerkennung der funktionalen Selbstverwaltung hervor, betont aber zugleich, daß eine bestimmte Ausgestaltung nicht umfassend garantiert sei 48. Eine organisatorisch-personelle demokratische Legitimation sei unter keinen Umständen gegeben, wie sich insbesondere aus der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebe 49. Dies sei u.a. gerade eine Besonderheit funktionaler Selbstverwaltung. Auch der Gedanke, die Genossen als „Teilvolk“ zu qualifizieren, müsse fehlschlagen. „Volk“ meine ausschließlich die Grundgesamtheit der (Staats-)Bürger. Gesellschaftliche Gruppen, die allein nach funktionsund interessenbestimmten Merkmalen abgegrenzt seien, seien mindestens dann kein „Teilvolk“ im Sinne eines Legitimationssubjekts, wenn die Selbstverwaltungseinrichtung nicht ausschließlich oder ganz überwiegend eigene Belange der Mitglieder regele, sondern ihr wesentlicher Zweck die Wahrung von Gemeinwohlbelangen sei, die den Interessenkreis der Betroffenen nach Umfang und Gewicht eindeutig überschritten 50. Da aber bereits, wie ersichtlich, die Genossenschaftsversammlung keine bzw. keine hinreichende organisatorisch-personelle demokratische Legitimation innehätte, könne sie erst recht nicht durch die Wahl des Rates eine solche vermitteln; gleiches gelte für die Wahl des Vorstandes durch den Rat. Diese fehlende Legitimation könne auch nicht durch eine – eventuell vorhandene – strenge sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation in Form von Fachaufsicht ausgeglichen werden, um ein ausreichendes Legitimationsniveau zu schaffen 51. Die überragend wichtige Aufgabe der Daseinvorsorge in Bezug auf Wasser erlaube eine Errichtung einer Selbstverwaltungskörperschaft nicht, in der sich private Interessen gegen öffentliche Interessen durchsetzen könnten. Zentrale Aussage ist, daß es sich bei Erhalt und Schutz des Wassers für eine ganze Region um die Wahrung von derart bedeutsamen Gemeinwohlbelangen handele, daß eine solche lebensnotwendig Aufgabe eine letztlich nicht „privatisierbare“ Staatsaufgabe darstelle. Derart originäre und essentielle Staatsaufgaben seien einem umfassenden Ausgleich organisatorisch-personeller demokratischer Legitimationsdefizits nicht in dieser Form zugänglich. Der Staat dürfe sich in diesem Bereich nicht zurückziehen und müsse den beherrschenden Einfluß wahren. Das spräche nicht für eine völlige Ausschließung nicht demokratisch legitimierter Elemente. Blie-
48 49 50 51
BVerwGE 106, 64 (77, 83). BVerwGE 106, 64 (81). BVerwGE 106, 64 (77). BVerwGE 106, 64 (81 f.).
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
ben beispielsweise die Arbeitnehmervertreter stets in der Minderheit und ohne maßgeblichen Einfluß, so würde dies das von Verfassungs wegen erforderliche Legitimationsniveau im Regelfall nicht beeinträchtigen 52. In der vorgegebenen Konzeption indes sei das EmscherGG verfassungswidrig, da es nicht demokratisch legitimierten Organen einer funktionalen Selbstverwaltungskörperschaft das Recht zur Ausübung von Staatsgewalt übertrage. Darin liege ein Verstoß gegen das grundgesetzliche Demokratieprinzip 53. 10. BVerfGE vom 05.12.2002 – Lippeverbandsgesetz und Emschergenossenschaftsgesetz Entgegen der klaren, unzweideutigen Stellungnahme des Bundesverwaltungsgerichts sah das Bundesverfassungsgericht sowohl das LippeVG als auch das EmscherGG Ende 2002 als mit dem Grundgesetz vereinbar an 54. Wiederholend und bekräftigend stellte das Gericht zunächst dar, daß seine bisherig entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze bezüglich demokratischer Legitimation in der Verwaltung für die unmittelbare Staatsverwaltung und die kommunale Selbstverwaltung nach wie vor Geltung beanspruchten 55. Ob sich diese Frage im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung anders stelle, habe der Senat bisher offengelassen. Auch in der Literatur werde für diesen besonderen Bereich eine Einschränkung bei der personellen Legitimationskette für möglich gehalten. Da die Betroffenen kein Teilvolk darstellten, die Legitimation vermitteln könnten und somit lediglich Formen sachlich-inhaltlicher Legitimation vorhanden seien, sei funktionale Selbstverwaltung verfassungsrechtlich nur beschränkt zulässig 56. In einem kurzen geschichtlichen Abriß verdeutlichte das Gericht, daß Wasserverbände dieser Art zu einem historisch gewachsenen und von der Verfassung grundsätzlich anerkannten Bereich nicht-kommunaler Selbstverwaltung gehörten. Der Begriff der Selbstverwaltung werde nur an wenigen Stellen im Grundgesetz erwähnt; jener der funktionalen Selbstverwaltung überhaupt nicht. Unter Bezugnahme auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1959, in dem ein als Selbstverwaltungskörperschaft organisierter Wasserverband Gegenstand des Urteils war, führt das Gericht aus, daß solche Organisationsformen seit jeher als
52
BVerwGE 106, 64 (72). BVerwGE 106, 64 (83). 54 BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98, www.bverfg.de/entscheidungen/ls20021205_2bvl 000598.html. Die Verfahren 2 BvL 5/98 u. 2 BvL 6/98 wurden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden. 55 BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98, Absätze Nr. 155-159. 56 BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98, Absatz Nr. 161. 53
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selbstverständlich und verfassungsrechtlich unproblematisch angesehen worden seien 57. Es sei Sache des gesetzgeberischen Ermessens, zu entscheiden, welche Aufgaben der Staat nicht durch seine Behörden, sondern durch eigens gegründete öffentlich-rechtliche Anstalten oder Körperschaften erfülle. Der Senat habe damals um die Relevanz und Lebensnotwendigkeit der Wasserversorgung gewußt und dabei die Erfüllung wasserwirtschaftlicher Aufgaben durch öffentlichrechtliche Verbände als herkömmlich und bewährt bezeichnet. Das Gericht führt hinsichtlich der Problematik der demokratischen Legitimation aus, daß Art. 20 Abs. 2 GG eine Staatszielbestimmung und ein Verfassungsprinzip enthalte. Aufgrund dieses Prinzipiencharakters sei Art. 20 Abs. 2 GG entwicklungsoffen 58. Das „Ausgehen der Staatsgewalt“ vom Volk müsse für das Volk wie auch die Staatsorgane jeweils konkret erfahrbar und praktisch wirksam sein. Bei veränderten Verhältnissen könnten Anpassungen notwendig werden 59. Außerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung und der gemeindlichen Selbstverwaltung sei das Demokratiegebot offen für andere, insbesondere vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation aller Entscheidungsbefugten abweichende Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt. Eine solche Interpretation des Art. 20 Abs. 2 GG ermögliche es zudem, die im demokratischen Prinzip wurzelnden Grundsätze der Selbstverwaltung und der Autonomie angemessen zur Geltung zu bringen 60. Im Rahmen der repräsentativ verfaßten Volksherrschaft erlaube das Grundgesetz auch besondere Formen der Beteiligung von Betroffenen bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben. Die funktionale Selbstverwaltung ergänze und verstärke insofern das demokratische Prinzip 61. Sie könne als Ausprägung dieses Prinzips verstanden werden, soweit sie der Verwirklichung des übergeordneten Ziels der freien Selbstbestimmung aller diene. Das demokratische Prinzip des Art. 20 Abs. 2 GG erlaube, durch Gesetz – also durch einen Akt des vom Volk gewählten und daher klassisch demokratisch legitimierten parlamentarischen Gesetzgebers – für abgegrenzte Bereiche der Erledigung öffentlicher Aufgaben besondere Organisationsformen der Selbstverwaltung zu schaffen. Dadurch dürfe ein wirksames Mitspracherecht der Betroffenen geschaffen werden 62. Gelinge es, die eigenverantwortliche Wahrnehmung eine öffentlichen Aufgabe mit privater Interessenwahrung zu verbinden, so steigere dies die Wirksamkeit des parlamentarischen Gesetzes. Der Gesetzgeber müsse zwar institutionelle Vorkehrungen dafür schaffen, daß die betroffenen Interessen angemessen berücksichtigt und nicht einzelne Interes57 58 59 60 61 62
BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98, Absatz Nr. 164. BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98, Absatz Nr. 167. BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98, Absatz Nr. 167. BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98, Absatz Nr. 167. BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98, Absatz Nr. 168. BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98, Absatz Nr. 168.
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sen bevorzugt würden. Die Auswahl der auf Organisationseinheiten der Selbstverwaltung zu übertragenden Aufgaben und die Regelung der Strukturen und Entscheidungsprozesse, in denen diese bewältigt würden, stünden jedoch weitgehend im Ermessen des Gesetzgebers. Es werde sich überwiegend um überschaubare Aufgabenbereiche handeln, bei denen die Erledigung durch Organisationseinheiten der Selbstverwaltung historisch überkommen sei und sich traditionell bewährt habe 63. Von einer Übertragung ausgeschlossen seien hingegen diejenigen öffentlichen Aufgaben, die der Staat selbst durch seine eigenen Behörden als Staatsaufgaben im engeren Sinne wahrnehmen müsse. Art. 20 Abs. 2 GG lasse sich nicht entnehmen, daß der Bereich der Daseinsvorsorge zu diesem nicht übertragbaren Bereich gehöre 64. Dies zeige sich zudem durch den Vergleich mit ähnlich wichtigen Aufgaben wie der Abfallwirtschaft und der Energieversorgung, die in weitem Umfang in privater Rechtsform wahrgenommen würden, ohne daß hiergegen unter dem Gesichtspunkt des Art. 20 Abs. 2 GG verfassungsrechtliche Zweifel angemeldet worden wären. Die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit erlaube es, den Selbstverwaltungsträger in begrenztem Umfang zu verbindlichem Handeln gegenüber Dritten, also Nichtmitgliedern, zu ermächtigen. Dieses Handeln sei den Organen von Trägern der funktionalen Selbstverwaltung aus verfassungsrechtlicher Sicht aber nur gestattet, weil und soweit das Volk auch insoweit sein Selbstbestimmungsrecht wahre, indem es maßgeblichen Einfluß auf dieses Handeln behalte. Das erfordere, daß die Aufgaben und Handlungsbefugnisse der Organe in einem von der Volksvertretung beschlossenen Gesetz ausreichend vorherbestimmt seien und ihre Wahrnehmung der Aufsicht personell demokratisch legitimierter Amtswalter unterliege 65. Diese Voraussetzungen würden aber durch das LippeVG und das EmscherGG ausreichend erfüllt. Neben der Rechtsaufsicht gebe es auch Ansätze der Fachaufsicht und sei die Arbeitnehmermitbestimmung durch Berufung von Arbeitnehmervertretern in Leitungsorgane der jeweiligen Körperschaft im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung zur Steigerung ihrer Wirksamkeit zulässig. Zudem sei einer Durchsetzung von bestimmten Partikularinteressen im Genossenschaftsrat wirksam dadurch begegnet, daß die fünf Arbeitnehmervertreter bei 15 Mitgliedern für sich genommen nie eine Mehrheit bilden würden. Gemessen an diesen Auslegungskriterien und der Interpretation des Demokratieprinzips nach Art. 20 Abs. 2 GG seien beide Gesetze verfassungsgemäß.
63 64 65
BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98, Absatz Nr. 170. BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98, Absatz Nr. 171. BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98, Absatz Nr. 172.
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III. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Böckenförde-Modell und seinem Widerhall in der Rechtsprechung durch die Literatur Die konsequente Anwendung und Weiterentwicklung des aufgezeigten Systems zur Realisierung der demokratischen Legitimation im Staat hat in der Literatur bis in die jüngste Zeit hinein Kritik erfahren. Zum einen grundsätzlich hinsichtlich des Legitimationsprinzips in der Ausformung über die sich ergänzenden und teilweise substituierenden Legitimationsarten und zum anderen insbesondere hinsichtlich der Anwendung dieser Prinzipien auf die Ausübung von Staatsgewalt in der Form der Selbstverwaltung. Letztere dürfte in Folge des genannten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zum LippeVG und EmscherGG in Zukunft wohl verstummen. Dagegen steht zu erwarten, daß die grundsätzliche Kritik an dem vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Prinzip fortgesetzt wird. In der Grundaussage, daß sich aus der in Art. 20 Abs. 2 GG festgelegten Garantie, daß das Volk Träger und Inhaber aller staatlichen Gewalt ist, die Innehabung und Ausübung konkret vom Volk herleiten müsse, besteht übergreifende Einigkeit 66. Allein die Sicherstellung und die verfassungsmäßigen Anforderungen und Grenzen der Herleitung sind umstritten. Die bisher geübte Kritik ist weit gespannt. Sie reicht vom Vorwurf der Schaffung anti-pluralistischer Effekte, der Hierarchie als Selbstzweck, Legitimationskettenfetischismus 67, über Fundamentalismus, vordergründige Plausibilität dieser Lesart des Demokratieprinzips, die lediglich gebetsmühlenartig wiederholt werde und lediglich metaphorische Beteuerungen darstelle, Ungenauigkeit, Qualität eines delphischen Orakels bis hin zur Gefährlichkeit aufgrund Weltfremdheit und Schlichtheit, die nur noch als Fessel der Demokratie bezeichnet werden könne 68. Weitere Vorwürfe weisen in die gleiche Richtung, wenn von äußerst rigider Zementierung des Hierarchieprinzips 69 und von einem „zum Verfassungsdogma“ erstarrten Modell 70 die Rede ist und als Folge der Rechtsprechung, bei der es sich nicht um verfassungsrechtliche Deduktion, sondern um rechtsetzende Dezision handele, die praktische Abschaffung der Mitwirkung nichtlegitimierter Personalratsvertreter gesehen wird 71.
66 Stein, in: AK, GG, Art. 20, Rn. 13; Rinken, KritV 79 (1996), 282 (299); Fisahn, KritV 79 (1996), 267 (277); Blanke KritJ 31 (1998), 452 (456); Emde, Demokratische Legitimation, S. 42. 67 Bryde, StWuStP 5 (1994), 305 (315, 316, 324). 68 Blanke, KritJ 31 (1998), 452 (452, 455, 461, 462, 467, 470). 69 Rinken, KritV 79 (1996), 282 (299). 70 Blanke, KritJ 31 (1998), 452 (455).
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
Dabei ist erneut darauf hinzuweisen, daß die Bereiche der Selbstverwaltungsangelegenheiten nicht im Fokus dieser Arbeit liegen und diese Betrachtungen nur dem Zwecke der Abrundung und Vertiefung des Verständnisses dienen sollen. Es soll der Versuch unternommen werden, anhand der Aufnahme dieser Spezialproblematik Erkenntnisse für die Kritik zu gewinnen, um diese für eine abschließende Bewertung fruchtbar machen zu können. 1. Die Kritik Kleins Kurz voranzustellen ist in diesem Zusammenhang die sog. Verzichtstheorie 72. Nach ihr soll es – in einem zum Teil eingeschränkten Rahmen – dem Parlament möglich sein, auf Kontroll- und Einwirkungsrechte gegenüber der Verwaltung zu verzichten, ohne das Prinzip der demokratischen Legitimation zu verletzen. Dies müsse deshalb möglich sein, da es sich bei der Kontrolle um ein Recht des Parlaments handele und auf dieses Recht müsse der Träger auch in eigener Entscheidung verzichten können. Über den Versuch einer Herleitung einer fiktiven Einheit von Volk und Parlament gelangt diese Ansicht zur Berechtigung dieses Verzichts, ohne dem Volk ein ihm originäres Recht willkürlich zu beschneiden. Das Mittel, einen wirksamen Verzicht zu erklären, sei das einfache Gesetz. 2. Die Kritik Brydes Der Ansatz des Bundesverfassungsgerichts unter starker Anlehnung an das u.a. von Böckenförde entwickelte Modell der Legitimationsketten, hat vielerlei Bezeichnungen erfahren. Brun-Otto Bryde nennt dieses Konzept der Demokratie „volksdemokratisch“, da der Volksbegriff zum Kern des Demokratiebegriffs werde und dabei dieses Kollektiv des „deutschen Volkes“, auf das sich die Legitimation zurückbeziehen müsse, nicht identisch sei mit der Gesellschaft 73. Dieses volksdemokratische Demokratieverständnis des Bundesverfassungsgerichts versperre die Lösung genau der drei Problemfelder, auf denen Demokratie in diesen Tagen besonders herausgefordert sei. Dies sei zum einen die Aufgabe, die Demokratie trotz zunehmender Internationalisierung funktionstüchtig zu halten, zum anderen die Demokratie in zunehmend inhomogenen, „multikulturellen“ Gesellschaften zu ermöglichen, sowie drittens Demokratie an der Basis trotz zunehmender Regelungsunfähigkeit des (National-)Staates zu organisieren 74.
71
Battis/Kersten, DÖV 1996, 584 (590, 592). Dazu zuletzt Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 190 ff. 73 Bryde, StWuStP 5 (1994), 305. 74 Bryde, StWuStP 5 (1994), 305 (306). Die erste These werde durch Beispiele wie die Umweltkatastrophe Tschernobyl gestützt, die Zeichen dafür sei, daß nationalstaatliche 72
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Im weiteren wird ausgeführt, Homogenität dürfe nicht so zur Voraussetzung für Demokratie gemacht werden, wie es das Bundesverfassungsgericht in völliger Realitätsverweigerung in den Rang einer Demokratietheorie erhebe. Dem folgend wird die Forderung nach Öffnung des demokratischen Systems für Ausländer mit der Überwindung einer Situation gleichgestellt, in der „verunsicherte Menschen sich in postmoderner Ungewißheit an nationale Identitäten und Tribalismen klammern“ 75. Die Schlußfolgerung liegt für Bryde auf der Hand. Es sei überhaupt nicht zweifelhaft, daß Demokratie ohne ein kollektives Staatsoberhaupt namens „Volk“ und sogar ohne Staatsangehörigkeit gedacht werden könne. Echte demokratisch legitimierte Partizipation bedeute, als zentraler Begriff seiner Ansicht, daß die von autonomen Verwaltungseinheiten ausgeübte Staatsgewalt und vom Parlament verliehenen Mitwirkungsrechte als durch Vermittlung des Parlaments „vom Volk ausgehend“ zu verstehen sei 76. Die überkommene Auffassung von der demokratischen Legitimation führe aber dazu, daß Hierarchie zum im Grunde einzig zulässigen Organisationsprinzip von Demokratie werde. Durch den ministerialhierarchischen Verwaltungsaufbau des volksdemokratischen Ansatzes werde weder der demokratische Staatsaufbau gewährleistet noch eine praktikable Erledigung öffentlicher Aufgaben gefördert 77. Dem Urteil des Verfassungsgerichts bezüglich des hamburgischen Ausländerwahlrechts zu den Bezirksversammlungen wird dementsprechend vorgeworfen, „ziemlich extreme Anforderungen an die ‚demokratische Legitimation‘ ziemlich unbedeutender Stadtteilparlamente“ zu stellen 78. Der von Bryde als „h.L.“ bezeichneten Auslegung liege ein parteilich einseitiges, deutsch-nationales und hierarchisch-etatistisches Demokratieverständnis zugrunde, welches die offenen Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes durch verfassungsrichterliche Verfassungstheologie ersetze. Einer auf den Wahlakt reduzierten Teilnahme der Bürgerinnen an der staatlichen Willensbildung sei eine Absage zu erteilen und das herrschende Hierarchiemodell sei nicht nur dysfunktional für eine moderne Verwaltung, sondern die Exekutive verselbständige sich gegenüber dem Parlament in der Weise, daß sich ein Legitimationszusammenhang als nur noch formal erweise 79.
Autarkie ein Mythos sei, da sich kein gesellschaftliches Problem mehr in den Grenzen des Nationalstaates lösen lasse. Die Verflechtung der Länder der Welt untereinander sei so stark, daß größere Ereignisse in einem Land die anderen nicht unberührt ließen. Angesichts dieser Tatsachen bedeute die Bindung von „Demokratie“ an ein nationalstaatlich definiertes „Volk“ den Verzicht auf demokratische Zukunftsgestaltung. 75 Bryde, StWuStP 5 (1994), 305 (312). 76 Bryde, StWuStP 5 (1994), 305 (315). 77 Bryde, StWuStP 5 (1994), 305 (315). 78 Bryde, StWuStP 5 (1994), 305 (316 f.). 79 Bryde, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes als Optimierungsaufgabe, in: Demokratie und Grundgesetz, S. 59 (69 f.).
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
3. Die Kritik Rinkens Eine andere Bezeichnung erfährt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter dem Etikett des „staatszentrierten“ Denkens oder kurz „Staatsdenkens“, dem als Alternative das „Verfassungsdenken“ gegenübergestellt wird 80. Die Unterscheidung zwischen beiden setzt bei den Voraussetzungen der Denkmodelle an. Während ersteres den Staat als souveräne Friedens-, Entscheidungsund Machteinheit voraussetze und sein Ausgangs- und Fixpunkt die Vorstellung von der Einheit der Staatsgewalt als nicht weiter abgeleiteter Willensmacht und zentraler Letztentscheidungsgewalt sei, setze letzteres die Pluralität des Volkes als Bürgergesellschaft in das Zentrum seines Aufbaus. Modell und Idealtyp sei dabei der „Vertrag“ im Sinne der gegenseitigen Verständigung der Bürger über die Art und Weise ihres Zusammenlebens. „Staatlichkeit“ sei damit lediglich Teilergebnis des Prozesses politischer Einheitsbildung und nicht etwa dessen Voraussetzung, so daß gerade kein monistischer Volksbegriff Geltung beanspruchen könne, da die Bürger als zur Selbstbestimmung berufene Individuen angesehen würden. Dies folge aus der Fundamentalnorm des Art. 1 Abs. 1 GG, die im weiteren Verlauf der Diskussion dazu herangezogen wird, Mitbestimmung am Arbeitsplatz als ein Mittel zum Abbau von Fremdbestimmung zu bezeichnen 81. Die Ministerialverwaltung sei zwar unbestrittenermaßen ein maßgebendes Modell demokratischer Legitimation, jedoch nicht die einzig denkbare Möglichkeit, um die Steuerung und Kontrolle der Verwaltung zu gewährleisten. Der überkommene Gedanke des Maschinenmodells Max Webers, das sich durch den Zweiakt von (exaktem) Befehl und Gehorsam auszeichnet, könne nicht mehr auf die komplexe Realität angewandt werden, sondern bedürfe einer Anpassung an die moderne Umwelt 82. Diese Anpassung könne beispielsweise im öffentlichen Dienst durch den Weg der Mitbestimmung von statten gehen, solange das Letztentscheidungsrecht bei der Exekutivspitze verbliebe.
80
Rinken, KritV 79 (1996), 282 (291). Rinken, KritV 79 (1996), 282 (295); unter intensiver Bezugnahme auf die Grundrechte als Gegengewichte zum „Demokratieprinzip als Organisationsnorm“ auch Nagel, ZNER 2002, 78 ff. (insbes. 83) und Sterzel, Die Einheit von Grundrechtsidee und Demokratieprinzip des Grundgesetzes, in: Demokratie und Grundgesetz, S. 156 ff. (158 f.): „Er (Anm.: der 2. Senat des BVerfG) wird damit dem emanzipatorischen Anspruch des Grundgesetzes als einer Staat und Gesellschaft umfassenden Gesamtverfassung nicht gerecht und läßt infolge seines verkürzten Verfassungsverständnisses das im Selbstbestimmungsgedanken des Demokratieprinzips mitenthaltene Gebot der Grundrechtsoptimierung außer Acht.“ Im Fortgang (S. 162) spricht er auch von einer „ausgesprochen grundrechtsfeindlichen Dimension“ der Entscheidungen und gerate das „zwischen Demokratie und Grundrechten bestehende synallagmatische Verhältnis bei solchem Verfassungsverständnis aus dem Gleichgewicht.“ 82 Rinken, KritV 79 (1996), 282 (296). 81
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Nur von dem Staatsdenken aus, das eine Zementierung des Hierarchieprinzips darstelle, ließe sich die oben erwähnte Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts nachvollziehen. Diese Rechtsprechung stelle eine über das Gebot der Rechtsanwendung hinausgehende Rechtsetzung dar, die die Gestaltungsfreiheit des parlamentarischen Gesetzgebers in gravierender Weise beschränke 83. Denn es lasse sich eben nicht aus dem Grundgesetz, sondern nur aus dieser Rechtsprechung entnehmen, daß die Legitimationskette unterbrochen sein solle, wenn der Hoheitsgewalt Ausübende nicht vom Parlament gewählt oder von einem gewählten Minister ernannt worden ist, sondern dadurch in sein Amt komme, daß das vom Volk gewählte und legitimierte Parlament einen anderen Kreationsmechanismus vorschreibe 84. 4. Die Kritik Battis/Kerstens Zum Ergebnis der Kompetenzüberschreitung des Bundesverfassungsgerichts kommen Battis/Kersten in ihrer Besprechung des Urteils bezüglich des Mitbestimmungsgesetzes Schleswig-Holstein 85. Insbesondere das Prinzip der doppelten Mehrheit stufe die Mitbestimmung der Beschäftigtenvertreter auf ein Mitwirkungsrecht herab. Ihre Stimmabgabe werde zur Makulatur, da sie zwar die Mehrheit der demokratisch legitimierten Vertreter zur absoluten Mehrheit ergänzen oder die Minderheit der demokratisch Legitimierten bei der Verhinderung eines Beschlusses unterstützen könnten, nicht indes positive Beschließungsmacht hätten. Damit aber sei die Mitwirkung nichtlegitimierter Personalratsvertreter praktisch abgeschafft 86. Durch die Erklärung dieses Prinzips zu geltendem Recht zusammen mit detaillierten Subsumtionsvorgaben würden dem Gesetzgeber breite rechtsgestaltende Variationsmöglichkeiten abgeschnitten. Dem Bundesverfassungsgericht wird schließlich vorgeworfen, rechtssetzende Dezision zu betreiben, indem nicht das verfassungsrechtlich geforderte Minimum an demokratischer Legitimation erkannt werde, sondern ein darüber hinaus gehender Beitrag dem Gesetzgeber abverlangt werde, insbesondere im Hinblick auf das Erfordernis der doppelten Mehrheit 87.
83
Rinken, KritV 79 (1996), 282 (307). Rinken, KritV 79 (1996), 282 (307). 85 Battis/Kersten, DÖV 1996, 584 (593). 86 Battis/Kersten, DÖV 1996, 584 (590). 87 Battis/Kersten, DÖV 1996, 584 (592); der Kritik einer „Rechtssetzung“ durch das Bundesverfassungsgericht schließt sich Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, S. 499, an. 84
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5. Die Kritik Fisahns Einen grundsätzlicheren Angriff gegen das System der demokratischen Legitimation wählt Andreas Fisahn, wenn er behauptet, das Grundgesetz widerspreche ausdrücklich der Ableitungskette in Form von Personalentscheidungen, die ihre Quelle in den Entscheidungen der Regierung habe und sich bis zum „geringsten“ Amtsträger fortsetze 88. Denn da die Ernennung der Bundesbeamten gemäß Art. 60 GG durch den Bundespräsidenten erfolge, sei die personelle Ableitung der Legitimation an dieser Stelle wenn nicht durchbrochen, so doch zumindest modifiziert. Insgesamt beruhe das „hierarchische Demokratiemodell“ auf einem „spätabsolutistischen Staatsverständnis“, und diene – „im schlechten Sinne“ – lediglich der abstrakten Staatsrechtfertigung, nicht aber Zustimmung und Akzeptanz 89. Weiter wird ausgeführt, daß auch vor dem Hintergrund der Regierungsverantwortung gegenüber dem Parlament die Legitimationsanforderungen nicht gerechtfertigt werden könnten. Die Kontrollbefugnisse des Parlaments seien derartig schwach ausgeprägt, daß man kaum von einer wirklichen Verantwortung sprechen könne, sondern diese Kontrolle vielmehr Sache der Gerichte sei 90. Aber auch unter einem weiteren Gesichtspunkt könne von einer Realisierung von Verantwortung nicht ausgegangen werden. Denn der Zurechnungszusammenhang zwischen Bundeskanzler und Sachbearbeiter sei zu lang und wirke folglich wie seine eigene Karikatur und werde bei Vorgängen, die öffentliches Interesse erregten, regelmäßig versucht, die Verantwortlichkeit der konkreten Entscheidungsträger zu klären, ohne eine Verantwortlichkeit der Regierungsspitze zu konstruieren 91. Weitergehend wird insbesondere die personelle demokratische Legitimation mit dem Argument angegriffen, die Kriterien zur Personalauswahl seien durch Art. 33 GG so stark determiniert, daß es übertrieben erscheine, aus der folgenden beschränkten Verantwortung der Regierung für die Personalauswahl ein Prinzip personeller Legitimation zu konstruieren. So sei nicht ersichtlich, warum die Beteiligung von Personalräten zu einem geringeren Legitimationsniveau führen solle, da auch diese an die Auswahlvorgaben des Grundgesetzes gebunden seien 92. Des weiteren wirft Fisahn dem Modell vor, daß durch die Besetzung der Ämter mit „politisch genehmen“ Beamten die Chance der Opposition, Mehrheit zu wer-
88
Fisahn, KritV 79 (1996), 267 (270). Fisahn, Demokratie: Aufhebung der Besonderung des Staates, in: Demokratie und Grundgesetz, S. 71 (81 f.). 90 Fisahn, KritV 79 (1996), 267 (272). 91 Fisahn, KritV 79 (1996), 267 (275 f.). 92 Fisahn, KritV 79 (1996), 267 (273 f.). 89
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den – was das zentrale Element der Demokratie sei – und ihre Politik tatsächlich umzusetzen, konterkariert werde 93. Unter Darstellung der Vermittlung von demokratischer Legitimation durch das Wahlvolk auf Landes-, Kreis- und Gemeindeebene wird dieses Prinzip im weiteren auf Entscheidungsgremien von Personalkörperschaften übertragen, die nur Regelungen hinsichtlich der autonomen Angelegenheiten der Körperschaft aufstellen. Die Ausübung von Staatsgewalt durch diese Gremien könne aber grundsätzlich nicht weiter reichen, als die Angelegenheiten der Körperschaft betroffen seien 94. Nichtrepräsentierte, die nicht am Willensbildungsprozeß beteiligt seien, dürften dagegen von den Entscheidungen nicht tangiert werden. Daraus ergebe sich die Forderung, die Mitwirkungsrechte der Personalvertretung dort besonders stark auszugestalten, wo es ausschließlich um die Angelegenheiten der Beschäftigten ginge, diese Mitwirkungsrechte aber schwächer zu gestalten, wo die rechtliche Bindung der Verwaltung besonders intensiv sei oder es um regierungsverantwortliches Handeln gehe 95. 6. Die Kritik Blankes Scharfe Kritik kommt von Seiten Thomas Blankes, der dem Bundesverfassungsgericht eine Lähmung der Entwicklung durch die Dogmatisierung des „Böckenförde-Konzepts“ vorwirft 96. Nach eigener Aussage zielt die Kritik am Demokratiemodell des Bundesverfassungsgerichts darauf, das konstitutionelle Rangverhältnis zwischen dem parlamentarischen Gesetzgeber und der Verwaltung wieder ins demokratische Lot zu rücken. Aus dem Demokratiegebot des Grundgesetzes folge nicht etwa eine zwingende Struktur der Verwaltungsorganisation, die dem Gesetzgeber vorgegeben sei. Ziel sei demnach, demokratische Gestaltungsspielräume des Parlaments zurückzugewinnen, was aber gerade nicht bedeute, daß die Verfassung ein alter-
93
Fisahn, KritV 79 (1996), 267 (275 f.). Fisahn, KritV 79 (1996), 267 (278). 95 Fisahn, KritV 79 (1996), 267 (280). 96 Blanke, KritJ 31 (1998), 452 ff., spricht von einem immer gleichen Vorwurf der Rechtsprechung an den sozialdemokratischen Gesetzgeber, daß dieser das Demokratieprinzip verkenne. Das „Böckenförde-Modell“ enthalte nur eine vordergründige Plausibilität, die sich aus der gebetsmühlenartigen Wiederholung einprägsamer Formeln herleite und handele es sich bei dem Begriff des „effektiven Einflusses“ lediglich um metaphorische Beteuerungen, die Machtfragen mit Legitimationsfragen verwechselten. Schließlich gehe die Lesart des Demokratieprinzips wie sie der Zweite Senat verstehe nicht zufällig auf die kollektiv-identitätstheoretische Staatstheorie von Carl Schmitt aus der Weimarer Zeit zurück, die sich unschwer dem NS-System und seinem rassistischen Legitimationskonzept habe anverwandeln können. Die gleichen Vorwürfe erhebt Blanke erneut, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip, in: Demokratie und Grundgesetz, S. 32 (38 ff.). 94
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natives Organisationsmodell der Verwaltung vorschreibe 97. Ausgehend von dem Gedanken der Identität von Regierenden und Regierten 98 und Zentralisierung der Menschenwürde als Basis der Demokratie wird die Forderung nach effektivem Einfluß des Volkes auf das Handeln der staatlichen Organe als empirisch nicht nachweisbare Fiktion angegriffen. So sei es nicht möglich, einzelne Handlungen der Verwaltung auf den Volkswillen zurückzuführen und genüge für diese Rückführbarkeit auch keinesfalls der Wahlakt. Durch die Dominanz der Parteien komme der einzelne Wille des Bürgers nicht mehr zum Ausdruck, ebensowenig wie von dem Gesetz als Maßstab der vollziehenden Gewalt gesprochen werden könne, wie die Existenz von weisungs- und unterrichtungsfreien Räumen bewiesen 99. Entgegen der selbst getroffenen Aussage von der Offenheit und Freiheit des demokratischen Prinzips des Grundgesetzes gegenüber verschiedenen Anwendungsund Auslegungsmöglichkeiten (s.o.) postuliert Blanke darauf die These, daß das Demokratiekonzept des Bundesverfassungsgerichts dem selbstverwaltungsfreundlichen und partizipativen Demokratieverständnis des Grundgesetzes widerspreche. Das Grundgesetz habe der Idee einer allein auf den parlamentarischen Wahlakt fixierten Demokratiekonzeption eine deutliche Absage erteilt, wie sich aus der Existenz verschiedener politischer Grundrechte (z.B. Art. 8, 9 GG) sowie Presse- und Rundfunkfreiheit, Wissenschafts- und Forschungsfreiheit und besonderer Stellung der politischen Parteien ergebe 100. Im weiteren wird ausgeführt, sei eine hierarchische Ordnung der verschiedenen Legitimationsquellen notwendig, da der unpräzise Ausdruck des „Legitimationsniveaus“ jedes Ergebnis trage 101. 7. Die Kritik Emdes Ausgehend von der Annahme, daß „Volk“ im grundgesetzlichen System im Sinne von „Staatsvolk“ zu verstehen sei, wird von Ernst Thomas Emde der Versuch unternommen, der funktionalen Selbstverwaltung demokratische Legitimation zukommen zu lassen 102. Da die Ministerialverwaltung im Bereich der Selbstverwaltung insbesondere bei Personalangelegenheiten zurückgedrängt werde, falle die über Parlament und Regierung vermittelte konkret-individuelle Legitimation durch das Volk weg. Der so entstehende – verfassungsrechtlich nicht erlaubte – defi-
97
Blanke, KritJ 31 (1998), 452 (456). Blanke, KritJ 31 (1998), 452 (457). 99 Blanke, KritJ 31 (1998), 452 (458). 100 Blanke, KritJ 31 (1998), 452 (459). 101 Blanke, KritJ 31 (1998), 452 (461). 102 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung. 98
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zitäre Raum werde indes durch autonome Legitimationsstrukturen gefüllt. Das Verbandsvolk – das nicht als Teilvolk angesehen werden dürfe – rücke an die Stelle des Staatsvolkes 103. Schließlich stellt Emde die These auf, dem Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG sei nicht zu entnehmen, daß der Inhalt jeder staatlichen Entscheidung auf den Willensakt eines parlamentarisch verantwortlichen Organs zurückführbar sein müsse 104. 8. Die Kritik Kluths Für den Bereich der funktionalen Selbstverwaltung wird jedenfalls das Prinzip der Ministerialverwaltung von Winfried Kluth als zu eng und verfassungsrechtlich nicht gefordert angesehen. Demokratie nach dem Grundgesetz sei ein gestaltungsoffenes Prinzip, das sich einer Verkürzung auf ein starres Schema entziehe 105. In Anwendung des Böckenförde-Modells gelange man indes nicht zu einem ausreichenden Legitimationsniveau, da die fehlende personelle demokratische Legitimation nicht durch eine starke sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation ausgeglichen werden könne, weil auch diese naturgemäß bei Selbstverwaltung wegen der Gestaltungsfreiheit und somit Freiheit von Bindungen nur schwach ausgeprägt sei 106. Demgegenüber soll eine andere – ebenfalls verfassungsrechtlich zulässige – Sichtweise die gewünschte notwendige personelle demokratische Legitimation erbringen. Denn durch die Gründung eines Trägers funktionaler Selbstverwaltung erhielten zugleich die Mitglieder kollektive personelle demokratische Legitimation, mit der Folge, daß durch den Gründungsakt eine vom parlamentarischen Gesetzgeber abgeleitete Legitimationsbasis geschaffen werde, an die die weiteren Bestimmungsakte in den Trägern funktionaler Selbstverwaltung anknüpfen könnten. Somit entfalle die individuelle demokratische Legitimation zugunsten einer kollektiven, was aber problemlos möglich sei, wie sich etwa bei der Listenwahl zu den Vertretungskörperschaften auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zeige 107.
103 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung S. 50 u. passim. 104 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 329. 105 Kluth, Die Verwaltung 2002, 349 (359). 106 Kluth, Die Verwaltung 2002, 349 (361). 107 Kluth, Die Verwaltung 2002, 349 (361).
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IV. Das Erfordernis demokratischer Legitimation im Grundgesetz Das Modell demokratischer Legitimation, wie es Böckenförde entworfen und die Rechtsprechung zum wesentlichen Teil übernommen hat, muß sich dem Lichte des Grundgesetzes aussetzen lassen, ohne daß Friktionen oder Lücken sichtbar werden. Nur in diesem Falle ist es möglich, das Modell als Ausformulierung der verfassungsrechtlichen Wertungen zu akzeptieren und für den Bereich der staatsunmittelbaren Verwaltung als Forderung des Demokratieprinzips zu erfassen und gegen die vorgebrachte Kritik zu verteidigen. Dazu ist es notwendig, das Verfassungsprinzip der Demokratie, wie es seinen Niederschlag im Grundgesetz gefunden hat, selbst zu untersuchen. Bei der Erforschung der Legitimationsanforderungen im hoheitlichen Wirkungsbereich muß sowohl das Prinzip der Volkssouveränität als auch das parlamentarische Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland in seiner Entstehung und heutigen Deutung berücksichtigt werden, auch und gerade mit Blick auf die nachfolgende Untersuchung bezüglich der hierarchischer Gliederung und Verantwortlichkeit im Staatsapparat. 1. Das Prinzip der Volkssouveränität im Grundgesetz Ohne den Begriff selbst zu verwenden, bekennt sich das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2 S. 1 durch die Wendung, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, unmittelbar zum Prinzip der Volkssouveränität 108 und war bereits an exponierter Stelle – in Art. 1 Abs. 2 – Bestandteil der Weimarer Reichsverfassung von 1918. Das Volk ist Ursprung der Herrschaftsgewalt und Träger der verfassungsgebenden Gewalt (pouvoir constituant) und somit Inhaber unabgeleiteter 109 Befugnisse. Über eine bestimmte Modalität der Ausübung dieser Gewalt, zum Beispiel durch Wahlen und Repräsentanz, eine spezielle Herrschaftsform oder gar ein Organisationsprinzip besagt dies indes noch nichts, sondern bedarf es erst verfassungsrechtlicher Konkretisierung. Entwicklungsgeschichtlich betrachtet, war bereits das Hoch- und Spätmittelalter von der sog. Volkssouveränitätslehre durchdrungen 110. Das Aufbrechen der überkommenen 108 Der Begriff des „Volkes“ wird später noch genauer zu definieren sein, unabhängig von seiner prima facie vorgegebenen Eindeutigkeit. „Souverän“ (Adj.; lat.-mlat.-fr.) bedeutet übersetzt „darüber befindlich; überlegen“ und wird heute mit „die staatlichen Hoheitsrechte unumschränkt ausübend“ beschrieben, so daß die „Souveränität“ „die höchste Herrschaftsgewalt eines Staates, Hoheitsgewalt“ darstellt, Duden, Das Fremdwörterbuch; das Adjektiv wurde im 17. Jh. aus gleichbed. frz. „souverain“ entlehnt, das seinerseits ein mlat. Adjektiv „superanus“ fortsetzt. Zugrunde liegt lat. „super“ (Adverb und Präposition) „oben, auf, über“, Duden, Etymologisches Wörterbuch; Stern verwendet auch den Begriff der suprema potestas als höchste politische Gewalt, Staatsrecht, Bd. 2, § 25, II. 2. b) (S. 21). 109 Umbach/Clemens, GG, Art. 20, Rn. 21. 110 Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 48 ff., 208 f., sowie zum folgenden.
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Strukturen hatte verschiedene Ursachen. Die bis dahin nicht hinterfragte Grundüberzeugung, daß die Herrschaftsmacht und unbeschränkte Autorität des Monarchen durch Gott an einen besonderen Menschen, resp. an dessen besonderes Geschlecht, verliehen wurde, fand erste Kritiker. Das Gottesgnadentum war damit noch nicht überwunden, indes die ersten irreversiblen Schritte vollzogen. Aber auch der Herrscher selbst wurde, auch und gerade in Zeiten der Überwerfung mit dem Papsttum, in die Lage versetzt, eine Legitimationsbasis unabhängig von dem kirchlichen Oberhaupt zu behaupten und somit nicht mehr zwingend den politischen und unter Umständen auch weltlichen Machtbestrebungen des Pontifex unterworfen zu sein. Die Idee der Übertragung der Herrschaftsbefugnisse durch das Volk auf den Herrscher besaß demnach zunächst lediglich theoretischen Gehalt. Das Wie oder Warum der Übertragung, das später über lange Zeit die verfassungs- und gesellschaftstheoretischen Diskussionen etwa in Form der Theorien zu den Herrschafts- und Gesellschafsverträgen beherrschen sollte, stand noch nicht im Fokus der Betrachtungen. Der Gedanke an sich war jedoch bereits die entscheidende Novität. Ob dieser Übertragungsakt – unabhängig von seiner sozialen und rechtlichen Struktur – widerruflich war oder nicht, führte zu der Anerkennung eines Widerstandsrechts oder aber zum Gedanken der absoluten Monarchie 111. Die Verwirklichung des Prinzips der Volkssouveränität ist also auch durch einen einmaligen, unwiderruflichen Übertragungsakt der Herrschaftsgewalt durch das Volk an einen einzelnen Herrscher möglich 112. Das Volk als Quelle der absoluten Machtbefugnis entschließt sich dabei, diese Macht dauerhaft zu übertragen und hat somit seine Herrschaftsgewalt „unumschränkt ausgeübt“. Damit ginge die Staatsgewalt zwar „vom Volke aus“, aber nicht in dem Sinne der aktiven Teilnahme an der Gestaltung des Staates und seiner allzeitlichen Machtexerzierung. Als Beispiel mag hierfür die Anerkennung der Volkssouveränität in der französischen Verfassung von 1791 dienen, in der zugleich dem König die exekutive Gewalt übertragen und seine Bestimmung als Repräsentant der Nation vorgenommen wurde 113.
Wohl wichtigste Erkenntnis hieraus ist, daß ein unzweideutiges Bekenntnis des Grundgesetzes zur Volkssouveränität keineswegs einen Staat in unserer heutigen – demokratischen – Ausformung sichert. Volkssouveränität kann in der Staatsform der Demokratie realisiert werden, so daß sie als ihre Bedingung angesehen werden kann. Ohne weitergehende verfassungsrechtliche Bestimmungen hinsichtlich der Statuierung der Demokratie als Regierungsprinzip ist ihre Implementierung nicht wahrscheinlicher als die Zuwendung zu einer anderen Staatsform oder gar zwingend. 2. Demokratie als Staatsform nach dem Grundgesetz Eben diese notwendige Verfassungsbestimmung mit der Entscheidung der Ausformung der Volkssouveränität als Demokratie findet sich in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG. Während Art. 20 Abs. 1 GG apodiktisch statuiert, daß die Bundesrepu111 112 113
Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 20, Rn 35. Böckenförde, in: HdbdStR, Bd. II, § 24, Rn. 6. Böckenförde, in: HdbdStR, Bd. II, § 24, Rn. 6.
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blik Deutschland ein demokratischer Bundesstaat ist, führt Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG aus, daß die Staatsgewalt „vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe ( . . . )“ ausgeübt wird. Damit geht die Demokratie als Staats- und Regierungsform über die reine Inhaberschaft der verfassungsgebenden Gewalt durch das Volk hinaus. Die Entscheidung für das Demokratieprinzip untersteht ebenso wie die Volkssouveränität der „Ewigkeitsgarantie“ des Art. 79 Abs. 3 GG. Der Begriff der Demokratie als Strukturprinzip und Ausgangspunkt organisationsrechtlicher Überlegungen bedarf dabei weiterer Untersuchung, um zu verhindern, daß Mißbildungen an der Wurzel im feinen Geäst der Legitimationsnachweise und -erfordernisse schädliche Auswirkungen in potenzierter Größe nach sich ziehen. „Demokratie“ aus dem griechischen Ursprung ins Deutsche übersetzt, bedeutet wohlbekanntlich „Herrschaft des Volkes“ 114. Bereits anhand der Begrifflichkeit wird deutlich, daß die ersten Gedanken, Theorien, aber auch ihre Umsetzungen in staatliche Realität von dem attischen Hegemonialstaat ihren Ausgang genommen haben. Die ersten demokratisch organisierten Polisstaaten werden auf den Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. datiert. Der Gedanke der Selbstherrschaft, der sich damit in den einzelnen Stadtstaaten durchgesetzt hatte, war bereits der antike Vorläufer der uns heute als westliche Demokratien bekannte Staatsbegriff 115. Lediglich „Vorläufer“ auch deshalb, weil die damalige Ausgestaltung der „demokratischen“ Struktur mit unserem heutigen Bild bezüglich der Teilnahmemöglichkeit an der Herrschaft nicht übereinstimmt. War die engagierte Beteiligung am politischen Wesen des Staates nicht nur ein Recht, sondern eine staatsbürgerliche und moralische Pflicht, so darf doch nicht übersehen werden, daß zu den aktiv und passiv wahlberechtigten Bürgern nur die wehrfähigen und über Grundeigentum verfügenden Männer zählten, so daß u.a. Frauen, Sklaven und Metöken (zunächst) von jeglicher Einflußnahmemöglichkeit ausgeschlossen waren. Letztendlich dürfte es durch diese enge Definition des „Volkes“ zu einer Minderheitsherrschaft gekommen sein, die jedoch in sich nicht durch Abstammung oder Vermögen perpetuiert wurde, sondern durch freie Wahlen zu politischen Ämtern. Dadurch kann diese Herrschaft ihrer Form nach – unter Beachtung des damaligen Menschenbildes – bereits als echte Volkherrschaft bezeichnet werden, die Sinnbild für Freiheit und erstrebenswerte Selbstbestimmung war 116. Das frühmittelalterliche Europa war von einigen eng begrenzten Konzepten des Kommunalismus und legitimationstheoretischen Unterfütterungsversuchen für den absoluten Herrschaftsanspruch des Monarchen abgesehen, von dem antiken Vorbild der Demokratie weit entfernt. Der weltliche Herrscher ließ sich nicht wählen, sondern wurde durch göttliche Vorherbestimmung bzw. erbliche Inthronisation Staatslenker 117.
114
Demos = Volk; kratein = herrschen. Maihofer, in: HdbdVerfR, § 12, Rn. 6 f. Dazu und zum folgenden ausführlich Dreier, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 1 ff. 116 Vgl. den bei Dreier, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 1, Fn. 3 überlieferten Satz von Thomas Paine: „What Athens was in miniature, America will be in magnitude“. 117 Vgl. zur Trägerschaft der Staatsgewalt und ihrer Legitimation, insbesondere auch unter entwicklungsgeschichtlichen Aspekten, ausführlich Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 197 ff. 115
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War die staatliche Herrschaft im monarchischen System zementiert, so fand gerade im sonst streng hierarchisch und von oben herab bestimmten Nachfolgesystem der Kirche 118 ein zwischenzeitlicher Wandel mit der „theologischen Radikalisierung und Politisierung“ 119 des reformierten Gemeindegedankens statt. Die grundlegenden Ansichten des Calvinismus, „Versammlung der Gemeindemitglieder als maßgebliche Grundeinheit der Kirchenverfassung, Prinzip der Freiwilligkeit, keine Hierarchie, unmittelbare Beziehung jedes Gläubigen zu Gott, weder ständische noch korporative, sondern individuelle Vertretung jedes Einzelnen in der Gemeinde“ führten 1647 zur Errichtung von Gemeinwesen im neuen Amerika, die von ihren aus Glaubensgründen geflohenen Gründern als „demokraticall“ bezeichnet wurden 120. In der Tradition der griechischen Demokratietheorie formte auch Rousseau sein Modell der Volksherrschaft als Versammlungsdemokratie aus. Die Beschlüsse des Volkes sind danach als Gesetze nur durch das Volk selbst zu treffen und können nicht durch gewählte Repräsentanten bestimmt werden 121. Eine derartige Vertretung würde zur Herrschaft der Vertreter führen und somit die Organisationsform der Demokratie konterkarieren. So rein diese Theorie der echten Volksherrschaft sein mag, sie mußte Utopie bleiben. Selbst in den strukturell kleinen und gering bevölkerten Polisstaaten wurde das beschließende „demos“, wie gezeigt, auf ein Minimum begrenzt, so daß eine gesetzgeberische Lähmung aus organisatorischen Gründen weitgehend vermieden wurde. Eine Versammlung von gleichen und freien Bürgern zum Zwecke der Gesetzgebung ist in einem Flächenstaat nicht durchführbar. Folgerichtig war die Verfassung nach der Französischen Revolution 1791 – obwohl basierend auf den Gedanken Rousseaus – durch ein repräsentatives System gekennzeichnet 122. Auch die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und das Wahlrecht in Großbritannien sahen eine Repräsentantenwahl vor. Die besondere deutsche Organisations- und Regierungsform der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts basierte auf der Herrschaft des Monarchen, dem das repräsentativ gewählte Parlament nach und nach mehr Mitwirkungsrechte abrang, wie beispielsweise das Budgetrecht, aber erst 1918 durch die Weimarer Reichsverfassung die Monarchie beendet wurde 123.
Die reale Existenz einer Demokratie im nicht lediglich organisatorisch-theoretischen Sinne kann wohl für alle frühen „Vorbilddemokratien“ verneint werden. Allein durch den Ausschluß von 50% der Bevölkerung durch die Verweigerung des Frauenwahlrechts, eingeführt in England und Deutschland 1918, den Vereinigten Staaten von Amerika 1920, Frankreich 1944 sowie der Schweiz 1971, kann von einer echten „Volksherrschaft“ im heutigen Sinne nicht gesprochen werden. Weitere Restriktionen wie gegenüber Farbigen, Sklaven, Bettlern oder sozial niederen Schichten führten beispielsweise in Großbritannien dazu, daß 1867 der Anteil der Wahlberechtigten an der Gesamtbevölkerung unter zehn Pro-
118 119 120 121 122 123
Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 189. Dreier, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 6. Dreier, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 6. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 128 ff. Dreier, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 10. Dreier, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 16 f.
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zent blieb 124. In Abgrenzung zu anderen Staatsformen war die Demokratie zwar als Staatsform implementiert, allein die schrittweise Entwicklung führte erst nach und nach zur Perfektionierung des Systems unter Bezugnahme auf „das Volk“ als solches und der gleichen, freien und allgemeinen Wahl. 3. Mittelbare Demokratie und repräsentative Demokratie im parlamentarischen Regierungssystem a) Das parlamentarische Regierungssystem Die Entstehung des parlamentarischen Regierungssystems geht vor allem auf Entwicklungen in England und Frankreich zurück. Wenn auch zunächst – in evolutionärer Bewegung – als kleiner Zirkel von Adeligen oder hohen Beamten gebildet, gewann die Idee über die Jahrhunderte hinweg immer mehr Einfluß und Kontrolle über die Herrschaftstätigkeit des Souveräns. Nach anfänglich lediglich beratenden und rechnungsprüfenden Funktionen wurde mit der Zeit noch die der Gesetzgebung hinzugefügt und erhielt erstmalig die Bezeichnung „Parlament“ 125. In der „Bill of Rights“ von 1689 wurden dem „Parlament“ echte staatsgestaltende Rechte zuerkannt: Das Recht zur Gesetzgebung sowie das Recht zu verstärkter Kontrolle. In Deutschland hingegen blieb es beim scheinbar ehernen Prinzip der Monarchie, wenn auch konstitutionell reformiert; auch die Revolution von 1848 und die Reichsverfassung von 1871 konnten diesem System nichts anhaben. Erst mit Ende des Ersten Weltkrieges und der ausgelösten Erschütterung der Machtverhältnisse in Deutschland wurde eine politische Kontroll- und Verantwortungsübernahme des Parlaments gegenüber der Regierung eingefordert, in deren Folge Art. 17 der Reichsverfassung dahingehend geändert wurde, daß der Reichskanzler des Vertrauens des Reichstages bedurfte und diesem gegenüber verantwortlich war 126. In der Weimarer Reichsverfassung wurde diese Regelung in den Art. 50 ff. WRV konkretisiert und verstärkt, so daß spätestens zu diesem Zeitpunkt der Grundstein für ein parlamentarisches Regierungssystem gelegt war. In dieser Ausprägung kann sogar davon gesprochen werden, daß das parlamentarische Regierungssystem den Vorrang des Parlaments sichert und insofern als eine „Konsequenz der Volkssouveränität“ aufzufassen ist 127.
124 Dreier, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 16; vgl. zur Entwicklung des Wahlrechts sowie soziologischen und historischen Hintergründen Kriele, VVDStRL 29 (1971), 46 (61 ff.). 125 Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 22, I. 1. a) (S. 946); in England seit 1246 sowie in Frankreich ebenfalls seit dem 13. Jahrhundert. 126 Änderungsgesetz vom 28.10.1918; RGBl. S. 1273 (1275). 127 Badura, in: FS Michaelis, 1972, S. 15.
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b) Die mittelbare Demokratie Neben die Festlegung der Demokratie als Regierungsform in Art. 20 Abs. 1 GG tritt die Konkretisierungsnorm des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, der die Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung vorsieht. Das bedeutet, daß der Träger der Staatsgewalt nicht permanent an der Ausübung der Staatsgewalt im Alltag beteiligt ist, sondern diese Aufgabe seinen von ihm gewählten Staatsorganen überläßt, die „Herrschaft braucht nicht vom Volk ausgeübt zu werden, sie muß nur durch dieses gerechtfertigt sein“ 128. Das System der mittelbaren Demokratie – im Gegensatz zur Rousseau’schen Unmittelbarkeitsutopie – paßt sich dem Zwang des Tatsächlichen der flächen- und einwohnerstarken Staaten an, um ein maximales Maß an Demokratie „in einer pluralistischen und konfliktreichen Gesellschaft“ 129 zu gewährleisten. Im Grundgesetz findet sich nur für die eng begrenzte Thematik der Neugliederung des Bundesgebietes in Art. 29 GG ein Mosaik der direkten Demokratie als Volksentscheid über eine Sachfrage und für die Ersetzung des Gemeinderats durch die Gemeindeversammlung in Art. 28 Abs. 1 S. 4 GG. Das bedeutet, daß sämtliche staatswesentlichen Entscheidungen in Form von Wahlen, mithin Personalentscheidungen, getroffen werden, durch die die grund- und einfachgesetzlich vorgesehenen Institutionen besetzt werden. Die Einführung von Volksgesetzgebungsakten ist zwar nicht prinzipiell ausgeschlossen, bedürfte jedoch einer Verfassungsänderung, da die Bundesgesetze nach geltendem Recht ausschließlich durch den Bundestag beschlossen werden und nur durch ein Zusammenwirken „besonderer“ Verfassungsorgane zustande kommen, wie es Art. 78 GG vorsieht 130. Wie aus der Verwirklichung des Mehrheitsprinzips und der Ausgestaltung der Demokratie als mittelbare sichtbar wird, trifft die häufig zitierte Formel von der Identität von Regierenden und Regierten nicht zu 131. Die Regierung wurde zwar gewählt, ist jedoch nicht – kann sie nicht sein – personen- oder vollkommen
128
Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 18, I. 4. b) (S. 593). Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 25, II. 2. b) (S. 23). 130 Dreier, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 101. 131 Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 30, spricht zu Recht davon, daß eine solche Identität theoretisch auf eine herrschaftsaufhebende Paradoxie hinausläuft, da nicht mehr von „Regierung“ gesprochen werden kann, wenn alle regieren; Herzog, in: Maunz/ Dürig/Herzog, GG, Art. 20, Rn. 20; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 20, Rn. 137; Emde, Demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 40; Kröger, Ministerverantwortlichkeit in der BRD spricht in diesem Zusammenhang von „schwärmerischen Elementen“, S. 3; Stern bejaht die Identität für die unmittelbare Demokratie, Staatsrecht, Bd. 1, § 18 I. 4. a) (S. 592 f.), weist die Idee für die grundgesetzliche Demokratie jedoch als realitätsfern zurück, Bd. 1, § 18, II. 3. (S. 602); Sachs sieht in „gewissem Sinne“ eine solche Identität, GG, Art. 20, Rn. 16; a.A. Stein, in: AK GG, Art. 20, Rn. 10, da das Volk zugleich Subjekt und Objekt der Staatsgewalt sei, bestehe die Identi129
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ideenidentisch mit dem wählenden Staatsvolk, so daß auch die hoheitlichen Entscheidungen nicht unmittelbar durch das Volk als Regiertem, sondern durch einen auf Zeit eingesetzten und legitimierten Machtapparat getroffen werden. c) Die repräsentative Demokratie Die soeben dargelegte Distanz zwischen Regierten und Regierenden wird auch durch das System der repräsentativen Demokratie deutlich, das von dem der mittelbaren Demokratie unterschieden werden kann. Während die verfassungsrechtlich festgelegte Mittelbarkeit die Existenz bestimmter Staatsorgane garantiert, wird durch die Repräsentation auf das Verhältnis zwischen dem Staatsvolk und seinen gewählten Vertretern Bezug genommen 132. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG spricht den Abgeordneten des Deutschen Bundestages Auftrags- und Weisungsfreiheit zu und unterwirft ihr Handeln lediglich den Befehlen ihres Gewissens im Gegensatz zum imperativen Mandat der Vertreter in einer Rätedemokratie. Damit „repräsentieren“ die „Volksvertreter“, ohne jedoch auch nur auf mittelbarem Wege in Einzelfragen Entscheidungsvorgaben zu erhalten, wobei nicht übersehen wird, daß durch die Parteizugehörigkeit der Abgeordneten unterschiedliche politische Ansichten und deren Durchsetzung von den Bürgern gewählt werden. Repräsentieren bedeutet in diesem Zusammenhang zu entscheiden und zu handeln „für andere, anstelle anderer“ 133. Im übertragenen Sprachgebrauch – ohne materiell-rechtliche Parallelen zu ziehen – wird der Vertreter zum Geschäftsherrn, zwar handelt er ausschließlich zum Gemeinwohl und nicht zum Eigennutz, jedoch ist er keinen Aufträgen oder Weisungen unterworfen. Als Reaktion auf die faktische Undurchführbarkeit und als Vorteil des repräsentativen Regierungssystems zugleich kann die Möglichkeit einer langfristigen Planung und ihrer Umsetzung durch die Repräsentanten angesehen werden. Komplexe Entscheidungen wie z.B. solche über außenpolitische Beziehungen, wirtschaftliche und energiepolitische Zukunftsperspektiven, Finanz- und Gesundheitsplanung und Bildungspolitik müssen durch ein hohes Maß an Voraussicht und Detailkenntnis geprägt sein. Dies kann das Volk als Gesamtheit nicht leisten 134. Persönliche Egoismen müssen unberücksichtigt bleiben, auch und gerade im Hinblick auf z.B. unpopuläre Einschnitte in die Sozialsysteme, die bei einer Abstimmung mit großer Wahrscheinlichkeit
tät von Regierten und Regierenden; ausführlich zu Herkunft und Kritik dieses identitärunmittelbaren Demokratiekonzepts Böckenförde, FS Eichenberger, 1982, S. 301 (303 ff.). 132 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 20, Rn. 62; Badura, in HdbdStR, Bd. II, § 25, Rn. 4, 34 ff.; vgl. dazu auch Böckenförde, Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion, in: Staat, Verfassung, Demokratie, S. 379 ff. 133 Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 22, II. 5. a) (S. 961); vgl. auch Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 38, Rn. 27 ff. 134 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 20, Rn. 41, der eine Sprengung des „intellektuellen Rahmens“ annimmt.
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keine Mehrheit erhielten, für den Bestand sozialer Sicherungssysteme indes als essentiell zu gelten haben. Das Repräsentativorgan und mit ihm die Regierung kann knapp vier Jahre seine politischen Vorstellungen umsetzen und dabei sowohl nach innen als auch nach außen Konsequenz und Kontinuität beweisen. Die Teilnahme des Staatsvolkes an der staatlichen Willensbildung wird durch das System der mittelbaren, repräsentativen Demokratie überwiegend auf den periodischen Wahlakt beschränkt 135. Bei der durch Volkswahl bestimmten Repräsentation lassen sich zwei unterschiedliche Facetten unterscheiden. Einmal bestimmen die Wähler formal durch ihre Stimmabgabe die personelle Zusammensetzung des Parlaments und haben so Anteil an der politischen Willensbildung. Zum anderen soll inhaltlich erreicht werden, daß die Bürger sich in dem Handeln der Repräsentativorgane wiederfinden und dadurch ein hoher Grad an Identifikation 136 gewährleistet wird, was essentiell ist, um die Demokratie am Leben zu erhalten 137. Durch die Form der repräsentativen Demokratie wird dem bereits römisch-rechtlichen Erfordernis des audiatur et altera pars Geltung verschafft, da dies der organisatorische Weg ist, die Meinung aller Beteiligungsberechtigten und -willigen zu hören 138. 4. Legitimationsobjekt Der Begriff der nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG durch das Volk auszuübenden Staatsgewalt ist in der Verfassung selbst nicht definiert und muß somit anhand von dogmatisch-systematischen und teleologischen Überlegungen eingegrenzt werden. Zu Recht herrscht indessen Einigkeit darüber, daß die Gewalt des Staates nicht auf hoheitliches oder gar grundrechtsberührendes Handeln beschränkt ist 139. Vielmehr fallen „alle Arten der Ausübung von Staatsgewalt“ 140 darunter, mit oder ohne Außenwirkung 141. Das bedeutet, daß sowohl exekutive, als auch le135
Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 25, II. 3. (S. 25). Böckenförde, in: FS Eichenberger, 1982, S. 301 (319); Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 22, II. 5. a) (S. 960). 137 Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 22, II. 5. a) (S. 962), spricht in diesem Zusammenhang davon, daß der moderne Staat ohne Repräsentation weder erklärbar noch handlungsfähig ist. So für den „modernen Massen- und Flächenstaat“ auch Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 189. 138 Kriele, VVDStRL 29 (1971), 46 (52), dort ebenfalls zu der deutschrechtlichen Entsprechung: „Eenes Mannes Rede ist keenes Mannes Rede, man muß sie hören alle beede.“ 139 Vgl. nur Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 355; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 247 ff., der eine Gleichsetzung von „Ausübung von Staatsgewalt“ und „Wahrnehmung einer Staatsaufgabe“ vornimmt. Zweifelhaft erscheint insoweit höchstens die Übertragung des Gedankens der Verfassungszulässigkeit als Voraussetzung für den Begriff der Staatsgewalt, S. 250. 140 BVerfGE 47, 253 (273). 136
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gislative und judikative Tätigkeiten erfaßt werden. Gleichgültig ist auch, ob diese Tätigkeiten durch Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts ausgeführt werden. Aber auch jenseits der juristischen Personen des öffentlichen Rechts werden Handlungen erfaßt, wenn sie trotz privatrechtsförmiger Verwaltung eine Zurechnung an den Staat erfordern bzw. zulassen 142. Ebenso zählt zur Ausübung der (deutschen 143) Staatsgewalt schlicht hoheitliches Handeln oder Elemente der Leistungsverwaltung 144. 5. Legitimationssubjekt Wenn an anderer Stelle davon die Rede war, daß Demokratie als Herrschaftsform im heutigen Sinne evolutionär entstanden ist und erst seit relativ kurzer Zeit von einer echten Realisierung mittels des allgemeinen und gleichen Wahlrechts gesprochen werden kann, so soll dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich tatsächlich nicht um eine „Volksherrschaft“ in dem Sinne handelt, daß der Wille aller durch die Handlungen der Staatsorgane verwirklicht wird. Überspitzt ausgedrückt bedeutet Demokratie Herrschaft der Mehrheit 145 und gehört als solche zu den „fundamentalen Prinzipien der Demokratie“ 146. Der wahre Kern dieser Behauptung enthüllt sich bei näherer Betrachtung des Lackmustests in der Staatspraxis. Ebenso wie der Gedanke von der direkten Demokratie Utopie bleiben muß und der Flächenstaat Repräsentation erforderlich macht, zwingt Sachnotwendigkeit dazu, den unter Umständen wünschenswertesten Zustand der vollständigen
141
Sachs, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 29. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 79; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (342 ff.). 143 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (339 f.), weist auf die Notwendigkeit der Zugehörigkeit zur deutschen Staatsgewalt hin und zu damit notwendigen Einschränkungen bei Übertragungen von Hoheitsrechten auf nicht ausschließlich deutsche Institutionen. 144 Inwieweit die Annahme eines „Bagatellvorbehaltes“ im Hinblick auf den Begriff der Staatsgewalt gerechtfertigt ist, wonach nur Aufgaben, die „nicht ( . . . ) unwichtig“ (BVerfGE 47, 253 (274)) sind, hierunter zu subsumieren sein sollen, darf mit guten Gründen – allein schon wegen der Willküranfälligkeit dieses Ausdrucks – bezweifelt werden, vgl. Jarass/ Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 4; dazu auch Emde, Demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 306, mit dem richtigen Argument, alle Staatsgewalt müsse vom Volk hergeleitet werden, da das Grundgesetz den Staat als Funktionseinheit konzipiere und ein Dispens von den Anforderungen des demokratischen Prinzips somit nicht gewährt werden könne; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (367). 145 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 20, Rn. 14; Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 9 (16); a.A. ohne nähere Begründung Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 18, II. 5. c) (S. 611). 146 BVerfGE 29, 154 (165); Badura, in: HdbdStR, Bd. II, § 25, Rn. 31, stellt das Mehrheitsprinzip zu recht als die unmittelbarste Konsequenz der Gleichheit aller in den Vordergrund. 142
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Übereinstimmung der Wahlberechtigten zugunsten des Mehrheitsprinzips aufzugeben. Ob auch das eher staatstheoretische Argument verfängt, daß es bei einer Einigkeit aller keiner Durchsetzung mittels staatlicher Gewalt mehr bedürfe 147, kann wohl in Zweifel gezogen werden; die Komplexität der Sachfragen und Anzahl der Bürger sprechen vermutlich dafür, daß es, unabhängig von der materiellen Übereinstimmung, einer Durchführung durch besondere Organe bedarf, die auch mittels hoheitlicher Gewalt das einverständlich Beschlossene organisieren und in Rechtstatsächlichkeit umsetzen. Zu berücksichtigen bleibt bei der Begrifflichkeit der Herrschaft der Mehrheit, daß es freilich möglich ist, die Mehrheit jenseits der einfachen Mehrheit zu gestalten und so eine Annäherung an das Einstimmigkeitsprinzip zu erreichen. Die Festlegung des Begriffs des Staatsvolkes spielt sowohl im Rahmen der klassischen Drei-Elementen-Lehre eine Rolle, die den Staat definiert bzw. Anhaltspunkt dafür ist, ab wann ein Staat als solcher existiert, als auch für die Bestimmung des Trägers der verfassungsgebenden Gewalt. Das Legitimationssubjekt in der Diktion des Grundgesetzes bezeichnet dabei nicht etwa die in Deutschland lebenden Menschen, sondern meint das Staatsvolk als Rechtsbegriff in Abgrenzung zu anderen Nationen und ihrem Staatsvolk. Der Begriff des Staates macht eine Demonstration der einheitlichen Staatswillensbildung nach außen unentbehrlich 148. Aus der Zusammenschau mit der Präambel, nach deren Satz 1 sich „das Deutsche Volk“ das Grundgesetz gegeben hat sowie Art. 1 Abs. 2 GG, demgemäß sich „das Deutsche Volk“ zu den Menschenrechten bekennt und Art. 146 GG, der bestimmt, daß das Grundgesetz für das gesamte (wiedervereinigte) „deutsche Volk“ gilt 149, wird ersichtlich, daß Träger der Souveränität das deutsche Volk ist. Denn Ausgangspunkt aller Staatsgewalt nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG kann nur sein, wer das Grundgesetz geschaffen hat. Damit gehören zum deutschen Staatsvolk und dadurch zum maßgeblichen Legitimationssubjekt alle Deutschen und ihnen gleichgestellte Personen gemäß Art. 116 Abs. 1 GG 150, das heißt die Gesamtheit der in dem jeweiligen Wahlgebiet ansässigen Deutschen 151. Eine Mitbestimmung durch ausländische Staatsbürger liefe auf eine (teilweise) Fremdbestimmung hinaus. Der Aufenthaltsort als Anknüpfungspunkt kann ein bundesrechtliches Wahlrecht nicht vermitteln 152, da der Eintritt in die Solidarge-
147
Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 20, Rn. 14. Umbach/Clemens, GG, Art. 20, Rn. 163. 149 Vgl. dazu auch Art. 33, 56, 64 Abs. 2 GG; Böckenförde, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes – Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts, S. 90 (97 f.), in: Staat, Verfassung, Demokratie. 150 BVerfGE 83, 37 (51); Dreier, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 83; Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 25, II. 2. a) (S. 19 f.); Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 128, spricht vom „deutschen Volk“ als dem „genuinen Souveränitätsträger“. 151 BVerfGE 83, 60 (71). 148
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meinschaft mit Rechten, Pflichten und Mitverantwortung erst durch die Verleihung der Staatsangehörigkeit vollzogen wird 153. Eine Veränderung des Staatsangehörigkeitsrechts nach Art. 116 Abs. 1 GG steht dem Bundesgesetzgeber jedoch frei, so daß er über diesen Weg eine Erweiterung des Kreises des deutschen Volkes erreichen kann, sollte dies erforderlich oder erwünscht sein. Deutlich wird durch die Festlegung des Legitimationssubjektes auch zugleich die räumliche Begrenzung, die der Ausübung der Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland innewohnt. Das Grundgesetz erteilt keinen Auftrag im Sinne einer Demokratisierung der Gesellschaft auf universeller Ebene 154. Das Grundgesetz normiert nur für seinen Geltungsbereich das Bekenntnis zur Volkssouveränität und der Regierungs- und Organisationsform der Demokratie. Zusammenfassend läßt sich konstatieren, daß drei wesentliche Merkmale zur Volksbegriffsbestimmung dienen 155: Zum einen eine Verfaßtheit als Personenge-
152
A.A. Bryde, JZ 1989, 257 ff., der als Kernfrage vorbestimmend danach fragt, ob „unsere Demokratie auf Dauer einen erheblichen Teil ihrer Wohnbevölkerung von demokratischer Partizipation ausschließen kann“. Bryde wendet sich gegen eine Verkennung dieser Diktion als „Betroffenendemokratie“, postuliert jedoch zwei Absätze später genau dies, wenn er behauptet, daß die Demokratie nicht nur die menschenwürdigste Staatsform sei, sondern auch die Organisation der staatlichen Willensbildung, von der sich das GG die größte „Richtigkeit“ der Gemeinwohlentscheidungen erwarte, weil an diesem Prozeß diejenigen, die von der Entscheidung betroffen seien, beteiligt seien, S. 258. In StWStP 5 (1994), 305 ff. führt Bryde weiter aus, eine solch („volksdemokratisch“) nationalstaatlich verengte Demokratie gebe sich selbst auf und es sei „überhaupt nicht zweifelhaft“, daß Demokratie ohne ein kollektives Staatsoberhaupt namens „Volk“ und sogar ohne Staatsangehörigkeit gedacht werden könne. Es finde eine „Verbannung des tatsächlichen Volkes in seiner pluralistischen Vielfalt“ statt. Dagegen zu recht BVerfGE 83, 37 (50), unter Hinweis darauf, daß ein demokratischer Staat nicht ohne die Personengesamtheit gedacht werden könne, die Träger und Subjekt der in ihr und durch ihre Organe ausgeübten Staatsgewalt sei. Auch die Neufassung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, wonach Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft für Kreis- und Gemeindewahlen wahlberechtigt und wählbar sind, und der in Absicherung des Art. 19 EG gefaßt wurde, vermag die landes- oder bundesrechtliche Situation nicht zu verändern. Huber führt zu recht aus, daß es sich hierbei zwar um eine Einschränkung des Demokratieprinzips sowie des Grundsatzes der Volkssouveränität handele, diese jedoch wegen der besonderen verfassungsrechtlichen Legitimation der europäischen Integration im Hinblick auf Art. 79 Abs. 3 GG hinnehmbar sei. Für eine Beteiligung ausländischer Unionsbürger auch an staatlichen Wahlen gelte dies dagegen nicht. Würde die demokratische Legitimation nicht mehr ausschließlich vom deutschen Volk herrühren, so könnte von einer möglichst weitgehenden Schonung des Verfassungsprinzips kaum noch gesprochen werden, in: Recht der Europäischen Integration, § 4, Rn. 49 f. Auch gegen Brydes Ansatz als nicht haltbar: Böckenförde, in: HdbdStR, Bd. II, § 24, Rn. 27, 36. 153 Vgl. ausführlich Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20, Rn. 144; Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 8, I. 4. (S. 256 f.); Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (351), spricht insoweit von Symmetrie zwischen bürgerschaftlichen Lasten und Berechtigungen. 154 Böckenförde, in: HdbdStR, Bd. II, § 24, Rn. 8.
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meinschaft, zum anderen ihre Allgemeinheit und schließlich die Staatsangehörigkeit. Erstere steht in bewußtem Gegensatz zum Kreis der von staatlicher Gewalt Betroffenen, auch wenn die „Betroffenenbeteiligung den ideellen Schichten der Strukturentscheidung für die Demokratie“ angehört 156. Das Bundesverfassungsgericht verdeutlicht durch das Merkmal der unbestimmten Allgemeinheit, daß die Zugehörigkeit sich nicht nach gruppenspezifischen Kriterien, insbesondere „Eigenschaften, Funktionen oder Interessen“ richtet. Die Personengesamtheit ist somit „offen und in diesem Sinne unbestimmte Allgemeinheit“ 157. Der Staatsangehörigkeitsbegriff schließlich als formal konturierter Anknüpfungspunkt sorgt für eine Gleichordnung und Balance zwischen Rechten und Pflichten der Verbandsangehörigen. Einzig taugliches Legitimationssubjekt für die Ausübung staatlicher Gewalt zumindest auf Bundesebene ist somit das deutsche Volk 158. Nur von ihm kann sich demokratische Legitimation in ihrer Gesamtheit herleiten und wird es zum relevanten Ausgangs- und Endpunkt staatlicher Gewaltausübung und ihrer Kontrolle. 6. Die Legitimationsnotwendigkeit Durch die oben dargestellten Prinzipien der Volkssouveränität und ihre Ausformungen in Art. 20 GG als mittelbare und repräsentative Demokratie kommt es zu einer erheblichen Konkretisierung dieser Staatsfundamentalnorm als demokratische Volkssouveränität in der Ausübung durch demokratisch legitimierte Staatsorgane 159. Diese Legitimation der Herrschaft durch das Volk stellt das Herzstück der parlamentarischen Demokratie dar. Die Ausübung der Staatsgewalt durch die Handlungen der Repräsentanten als Vertreter des Souveräns muß stets rückführbar sein auf den Willen des Volkes, so daß Bundestag und Volk stets durch ein Band der Legitimation verbunden sind. Die Beteiligung des Volkes ist durch Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG auf bestimmte organisatorisch-institutionelle Formen fixiert. „Wahlen und Abstimmungen“ sind die Instrumente, um bei der Verwirklichung des demo-
155
BVerfGE 83, 37 (50 ff.); vgl. auch Überblick bei Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (348 ff.). 156 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (349); Hervorhebungen im Original. 157 BVerfGE 83, 37 (55). 158 Zur anerkannten demokratischen Legitimation durch das „Teilvolk“ (oder besser: „Volksteil“) im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung und strittigen Legitimation im Bereich sonstiger Selbstverwaltung vgl. die folgenden Ausführungen; insgesamt dazu auch Jestaedt, Die Verwaltung 2002, 293 ff. (insbes. 307-312) mit überzeugender Analyse der zu differenzierenden Betroffenheiten. 159 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 20, Rn. 3.
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kratischen Prinzips einerseits die staatsbestimmende Äußerung des Wahlvolkes zur Geltung zu bringen, andererseits aber die Stimmen der Bevölkerung (mittels bestimmter Parteien und Zeitpunkte) so zu kanalisieren, daß ein Abgleiten in einen nicht mehr regierbaren Zustand verhindert wird. Gleichfalls gehört zur Realisierung des volksbestimmenden Prinzips die Formalisierung des Prozesses. Nur die Garantie von allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen, wie sie in Art. 38 Abs. 1 GG gegeben wird, kann eine starke und unanfechtbare legitimatorische Rückbindung der Entscheidungen an das Staatsvolk bewirken. Zugleich ist dieser Prozeß Lieferant für die Akzeptanz des Systems, ohne deren Vorhandensein sich die Staats- und Regierungsform in eine leere Hülle verwandeln und mit der Zeit in sich zusammenfallen würde. Zur Formalisierung zählt auch die Ablösung des alten Parlaments und Verleihung neuer Legitimation in regelmäßigen, vorher festgelegten Zeitabständen 160. Demokratisch vermittelte Herrschaft ist Herrschaft auf Zeit. Im Gegensatz zum mittelalterlichen Gottesgnadentum oder der monarchischen (dynastischen) Machtvollkommenheit, üben die Regierenden die Staatsgewalt in der Demokratie nicht kraft eigenen Rechts, sondern durch Rechtsübertragung seitens des Souveräns aus. Bei Fokussierung auf die entscheidende Beteiligung des Volkes durch den Wahlakt ist zu konstatieren, daß – obwohl „alle Staatsgewalt“ vom Volke ausgeht – einzig das Verfassungsorgan des Bundestages direkt gewählt wird. Wie jedoch bereits an anderer Stelle erläutert wurde, ist der Begriff der Staatsgewalt breit gefächert und umfaßt zumindest auch die Entscheidungs- und Handlungsformen der Exekutive und Judikative. Daraus wird unmittelbar ersichtlich, daß auch diese Ausübung der Staatsgewalt vom Volk ausgeht, ja ausgehen muß. Da dies jedoch nicht wie bei den Parlamentswahlen unmittelbar geschieht, muß es einen anderen Wege geben, eine – verfassungsrechtlich geforderte – vollwertige demokratische Legitimation für diese Gewalten zu belegen. Bedeutung und Eindeutigkeit des Demokratieprinzips machen eine vollständige, allumfassende Rückführbarkeit sämtlicher Ausübung der Staatsgewalt zur zwingenden Bedingung ihrer Verfassungsmäßigkeit. Das Parlament vermittelt auf verschiedenen Ebenen Legitimation an die anderen Gewalten; die Regierungsbildung wird nach der Wahl des Bundeskanzlers durch das Parlament vollzogen, die Regierung steht unter ständiger Beobachtung und Kontrolle desselben und mündet schließlich in eine Abhängigkeit ihrer konkreten Existenz vom Vertrauen der Volksvertre-
160 BVerfGE 18, 151 (154); nach Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 9 (34), verleiht die Verankerung der potestas im Parlament, die jede Regierung haben muß, die erforderliche auctoritas. Zugleich diene es in besonderem Maße der Sicherung der Freiheit, daß die Regierung immer unter der Kontrolle einer in kurzen Intervallen gewählten Volksvertretung bleibe.
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tung. Der so hergestellte Verantwortlichkeitszusammenhang findet Verästelungen durch den gesamten Staatsapparat hindurch. Durch das beschriebene Bekenntnis des Grundgesetzes zur Regierungsform der Demokratie wird das Prinzip der Volkssouveränität so organisiert, daß sich die Übertragung der Staatsgewalt und ihre Ausübung stets vom Willen des Volkes herleiten bzw. auf ihn zurückführen lassen 161. Das Volk ist Träger der Souveränität und kürt die Regierenden, die nicht in Identität mit ihm stehen. Das bedeutet – eine politisch gewollte – Herrschaft von Menschen über Menschen wird institutionalisiert; die Entscheidung für dieses System ist grundlegend, die es ausfüllenden Personen erhalten diese Herrschaft indes nur auf Zeit und müssen sich durch periodische Wahlen immer wieder ihrer Legitimation vergewissern, ebenso wie das Volk seinerseits vor Augen geführt bekommt, daß es Träger der Staatsgewalt ist und über die Verteilung von Legitimation bestimmt. Die Amtsträger werden individuell berufen und ist die Personalpolitik Teil des Gestaltungsinstruments Staat. Die erste Berufungsebene ist dabei die Wahl der Parlamentarier, die ihrerseits individuelle Berufungen vornehmen, so daß sich als Gesamtbild eine stabile Kette von Berufungen als Vertrauensentscheidungen ergibt 162. 7. Auseinandersetzung mit der an dem Legitimationsmodell geübten Kritik Haben sich die meisten von der Literatur vorgebrachten Kritikpunkte an dem Modell bereits im Rahmen der obigen Betrachtungen zum Prinzip demokratischer Legitimation als unhaltbar herausgestellt, soll an dieser Stelle noch auf einzelne herauszuhebende Argumente eingegangen werden. Je nach Ausführlichkeit und Intensität der Auseinandersetzung mit dem herausgearbeiteten Legitimationsmodell war auch eine entsprechende Bewertung der Kritik vorzunehmen. Die „Möglichkeit“, nach der Klein’schen „Verzichtstheorie“ kontrollfreie Räume zu schaffen, ist zurückzuweisen. Bei der Kontrolle der Exekutive durch das Parlament handelt es sich nicht um ein subjektives Recht, über das die Volksvertretung beliebig verfügen kann, sondern um einen Ausdruck des Demokratieund Gewaltenteilungsprinzips. Dies beinhaltet eine objektive Pflicht, auf die nicht verzichtet werden kann. Jede Veränderung dieses Systems hätte verfassungsändernden Charakter, der auch als solcher wahrzunehmen ist. Zudem hat sich eine eingeschränkte Fiktion der Einheit von Parlament und Volk, erdacht zum Zweck der Rechtfertigung, bereits im Verlaufe der Auseinandersetzung als verfassungs-
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Böckenförde, in: HdbdStR, Bd. II, § 24, Rn. 1. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 211 ff.; ders., in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 20, Rn. 46 ff. 162
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widrige Utopie erwiesen. Zu Recht ist dem Ansatz der Verzichtstheorie daher umfassend widersprochen worden 163. Die von Bryde skizzierten Aufgaben, denen sich der moderne Staat zu stellen habe, sind nach seiner dargelegten Auffassung, unter Geltung der herrschenden Demokratielehre nicht erfüllbar. Diese Aufgaben seien, die Demokratie trotz zunehmender Internationalisierung funktionstüchtig zu halten, die Demokratie in zunehmend inhomogenen, „multikulturellen“ Gesellschaften zu ermöglichen, sowie Demokratie an der Basis trotz zunehmender Regelungsunfähigkeit des (National-)- Staates zu organisieren. Nicht ersichtlich aus den Argumentationsbemühungen wird indes, warum ein vom staatsbürgerlichen Begriff her zu erfassendes Volk nicht in der Lage sein soll, die Herausforderungen der Zukunft, der Internationalisierung und zwischenstaatlichen Interaktion zu erkennen und – gegebenenfalls in Abstimmung mit übergeordneten politischen Institutionen – danach zu handeln. Bestes Beispiel, gerade aus der Gegenwart und näheren Zukunft, ist die enge Bindung und Erweiterung der Europäischen Union sowie die Ausbildung des Konvents. Resultiert ein hoher Grad an Akzeptanz so getroffener Entscheidungen nicht gerade auf der ehrlichen Freiwilligkeit des Zusammenschlusses und würde eine tatsächliche und gefühlte Fremdbestimmung nicht Ablehnung und gesteigerte Nationalstaatlichkeit fördern? Warum zur Lösung internationaler Probleme eine Ausdehnung des Volksbegriffes von Nöten sein soll, bleibt hier völlig offen. Gerade umgekehrt stellt es sich so dar, daß Menschen, welche in Deutschland nicht das Wahlrecht besitzen, ihren Beitrag auf internationaler Ebene in demokratischer Hinsicht leisten können, indem sie in ihrem Heimatland das ihnen zustehende Wahlrecht ausüben. Eine solche Argumentation wäre – wenn überhaupt – nur vor einem rein nationalstaatlichen Interesse ansatzweise verständlich. Der Souverän ist Träger der Staatsgewalt und muß zwingend, um der Existenz des demokratischen Staates Willen, unzweideutig identifiziert werden können. Für diese Identifizierung gibt das Grundgesetz klare Anweisungen. Zudem ist festzuhalten, daß der Anknüpfungspunkt des Aufenthalts (oder überhaupt noch Aufenthalts?) Legitimationsmacht nicht zu vermitteln vermag. Rechte und Pflichten sowie ein zusätzlich durchscheinendes bestimmtes Bekenntnis zu einem Staat können nicht durch bloße physische Präsenz ersetzt werden. Des
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Dieser kurze Überblick kann genügen, da die These als unhaltbar und weitgehend überholt gelten kann. So erwähnt Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, diesen Ansatz als nicht ernsthaft, völlig ausgeschlossen und ergänzt im Hinblick auf die Weisungsrechte: „Der Bundestag kann offensichtlich nicht auf Verfassungsrechte der Regierung verzichten.“ Ausführlich (mit ablehnender Stellungnahme) Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 347 ff.; Di Fabio, VerwArch 81 (1990), 193 (220); Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 25 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 41, IV. 10. b) (S. 790); Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (329); Loening, DVBl. 69 (1954), 173 (176).
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weiteren ist in diesem Zusammenhang fraglich, ob eine einseitige Regelung eines Staates einen positiven Nachahmungseffekt in anderen Ländern hätte, so daß auch deutschen „Ausländern“ das dortige nationalstaatliche Wahlrecht zugesprochen würde. Unter einem dann zu fordernden „internationalen Gleichbehandlungsgebot“ wäre dies als weitere Bedingung im staatsrechtlichen Sinne für ein allgemeines Ausländerwahlrecht zu nennen. Als Beispiel hierzu kann das Kommunalwahlrecht für Bürger der Europäischen Union herangezogen werden. Einer zentralen Forderung nach der Ermöglichung vielfältiger Partizipation in einem demokratischen und pluralistischen Verwaltungsaufbau, die durch das Recht des parlamentarischen Gesetzgebers, Autonomie zu begründen, anerkannt werden sollte, kam die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum EmscherGG in großem Umfang entgegen. Im weiteren geht Bryde offensichtlich davon aus, daß sämtliche „multikulturellen“ Aspekte unserer Gesellschaft von Nicht-Staatsangehörigen kommen. Dem ist zu widersprechen – kulturelle Einflüsse und ihre Einwirkungen in offene Gesellschaften sind keine Frage der Staatsangehörigkeit. Zur weitergehenden ablehnenden Haltung bezüglich des hamburgischen Ausländerwahlrechtsurteils ist folgendes zu bemerken: Auch wenn – sicherlich in allgemeiner Übereinstimmung – zu fordern ist, daß ein demokratietheoretisches Prinzip auch in der Praxis seine Tauglichkeit unter Beweis stellen muß, so darf dieses Prinzip doch nicht unter Hinweis auf eine „ziemliche“ Bedeutungslosigkeit eines Trägers von Staatsgewalt, über Bord geworfen werden 164. Vielmehr ist nach praktikablen Wegen zu suchen, dem verfassungsmäßigen Modell auch in der Staatswirklichkeit gerecht zu werden. Diese Angriffe auf das Demokratiemodell in der Ausformung, wie es sich aus der Verfassung ergibt, finden keine Stütze im Gehalt des Grundgesetzes. Die dargestellte Demokratietheorie muß keinen Einschränkungen oder Modifizierungen aufgrund der so geäußerten Kritik unterworfen werden.
164 Vgl. bereits zur grundsätzlichen Problematik von partizipatorischen Elementen bei der Ausübung von Hoheitsgewalt, Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 72: „Der Wille des Ganzen – so wie er in der zentralen Legislative zum Ausdruck kommt – droht durch den Willen des Teils – in den einzelnen Selbstverwaltungskörperschaften – paralysiert zu werden.“ Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (264): „Die öffentliche Verwaltung ist dort, wo hoheitlich entschieden wird, grundsätzlich freizuhalten von autonomen gesellschaftlichen Partikularkräften; . . . ”; Loschelder, in: HdbdStR, Bd. III, § 68, Rn. 21: „Vielmehr unterstreicht gerade die demokratische Maxime die Notwendigkeit, die Zentralität der Exekutive und damit ihre Fähigkeit, Instrument des gesamtdemokratischen Willens zu sein, grundsätzlich zu wahren.“ Instruktiv Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 22, II. 5. d) (S. 966 ff.); Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (350, 368 ff.), der zu Recht von einer möglichen Beeinträchtigung demokratisch verfaßter Entscheidungsprozesse durch Sonderinteressen spricht und ein „Störungsverbot“ für nicht auf das Volk rückführbare Einflüsse aufstellt.
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Zuzugeben ist der Kritik Brydes sicherlich, daß das erläuterte Demokratiemodell zu einer Festlegung und damit konzeptionellen Einengung des in der Verfassung niedergelegten Demokratieprinzips führt. Entgegen anderslautender und heftig vorgebrachter Kritik daran ist dies indes nicht etwa eine unzulässige Begrenzung der „offenen Verfassungsprinzipien“, sondern gerade umgekehrt existentiell notwendige Staatsorganisation. Mag auch das zunächst nach Einsicht klingende Zugeständnis, daß die Gegner der „monistischen Theorie“ selbst keine ähnlich einheitliche Demokratietheorie entgegensetzen könnten, versöhnlich stimmen, bringt der Hinweis, daß es ja gerade ihr Hauptanliegen sei, die „Offenheit des Demokratieprinzips wiederherzustellen“ Ernüchterung. Konstruktive Kritik an bestehenden Systemen mag zu wünschenswerten Verbesserungen führen, polemische Angriffe ohne konstruktiven Gehalt indes führen zur Nichtbeachtung, mag diese später auch Verwunderung hervorrufen 165. Gegen den Vorwurf der Praktizierung eines Legitimations(ketten)fetischismus 166 führt Böckenförde selbst zu recht aus, daß ein solcher gerade nicht gegeben sei, sondern es um den Bestand und Erhalt eines strukturellen Rahmens für staatlich-amtliches Handeln gehe, der eine effektive Rückführbarkeit auf den Willen des Volkes ermögliche 167. Rinken kritisiert die in seinen Augen unnötig rigide Festschreibung des Demokratiemodells im Sinne des „Staatsdenkens“ durch das Bundesverfassungsgericht. Durch diesen Schritt werde eine anderweitige Verfassungsauslegung unmöglich gemacht und erweitere das Bundesverfassungsgericht hiermit seine Letztentscheidungskompetenz. In der Bewertung, daß die Auslegung, wie sie durch das Gericht vorgenommen werde, nicht die richtige, sondern vielmehr das Verfassungsdenken der korrekte Maßstab sei, geht er jedoch fehl. Wie oben dargestellt, entscheidet sich die Verfassung konkret für das System der Legitimationsketten und gerade gegen eine grundsätzliche „partizipationsfreundliche Interpretation“ 168 des Demokratieprinzips – jedenfalls für den Bereich der staatsunmittelbaren Verwaltung. Hier kann auch das vom Volk gewählte Parlament nicht durch Gesetz ein dieses Verfassungsprinzip umgehendes Procedere wählen 169. Die Vorwürfe an die verfassungsrechtliche Auslegung in der Lesart Böckenfördes und des Bundesverfassungsgerichts können diese nicht erschüttern und bieten keine Veranlassung,
165 Bryde, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes als Optimierungsaufgabe, in: Demokratie und Grundgesetz, S. 59 ff. passim. 166 Bryde, StWuStP 5 (1994), 305 (315, 316, 324). 167 Böckenförde, in: HdbdStR, Bd. II, § 24, Rn. 23; vgl. dazu auch Badura, in: FS Michaelis, 1972, S. 9 (10): „ . . . entzieht der partizipatorische Demokratismus durch identitäre und genossenschaftliche Forderungen und Verheißungen der staatlichen Form des politischen Prozesses, und besonders der „technokratischen“ Verwaltungsstaatlichkeit wohlfahrtsstaatlicher Herrschaft, die Legitimität.“ 168 Rinken, KritV 79 (1996), 282 (308). 169 Dieser Gedanke erinnert zudem gefährlich an die – wie oben gezeigt, verfassungswidrige – Ansicht Kleins, das Parlament könne beliebig gestalten resp. verzichten.
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einen alternativen „Kreationsmechanismus“ im Bereich der bundesunmittelbaren Verwaltung zuzulassen. Die Entwicklung eines eigenständigen, konkreten Konzeptes bleibt Rinken im übrigen ebenso schuldig. Die in den Vorwürfen Battis/Kerstens liegende Behauptung, eine so konkrete Ausformung des Legitimationsprinzips wie sie im Urteil zum Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein gesehen werde, ergäbe sich keineswegs aus der Verfassung, ist ebenso zurückzuweisen. Zwar mag es sein, daß bestimmte Bereiche der Mitbestimmung zurückgedrängt werden und hier die Mitbestimmung zur Beratung wird. Diese Aussage für sich kann es jedoch nicht rechtfertigen, eine konsequente und effektive Umsetzung des Demokratiegebots aufzuweichen und Entscheidungsteilnahme von nicht legitimierten Stellen zuzulassen. Wie oben dargelegt, wird auch nicht die Mitbestimmung an sich angegriffen, sondern lediglich die beherrschende Stellung und ihre Wirkung auf andere als den unmittelbaren Betroffenenkreis im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Gewalt 170. Gerade umgekehrt ist zu statuieren, daß durch dieses Konzept ein Maximum an verfassungsrechtlich zulässiger Mitbestimmung gewährleistet wird. Dem Demokratiegebot wäre auch genügt, wenn eine Mitbestimmung überhaupt nicht zugelassen würde. Durch die grundsätzliche Anerkennung der Mitbestimmung nicht-legitimierter Stellen wird versucht, dem Bedürfnis nach Beteiligung entgegenzukommen, ohne daß die verfassungsrechtlich vorgegebenen Strukturen in Mitleidenschaft gezogen werden. Insbesondere aus der Betrachtung der empirischen Fakten den Umfang der Mitbestimmungsrechte betreffend, kann keinesfalls der Rückschluß gezogen werden, daß eine Reduzierung dieser Rechte nicht mehr das von der Verfassung geforderte Minimum an demokratischer Legitimation umfasse, sondern darüber hinaus gehe 171. Sobald eine Entscheidungsmehrheit oder auch Verhinderungsmehrheit von nicht demokratisch legitimierten Stellen denkbar ist, ist ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip festzustellen, da die Rückführbarkeit und Verantwortlichkeitskontrolle aus der Hand gegeben ist. Somit mag die Darstellung der Fakten korrekt sein – die rechtliche Würdigung hingegen steht nicht im Einklang mit den Wertungen des Grundgesetzes. Auch der von Fisahn – in vielschichtiger Weise vorgetragenen – Kritik kann nicht gefolgt werden. Die zu Beginn aufgestellte Behauptung, die Vermittlung demokratischer Legitimation werde durch den Ernennungsvorgang durch den Bundespräsidenten zumindest modifiziert, geht fehl. Auch unter Außerachtlassung der faktischen – und grundsätzlich ebenfalls rechtlichen – Bindung des Vorschlags der Bundesregierung für den Bundespräsidenten erhält dieser selbst 170
Vgl. zu dieser Problematik auch Hebeler, DÖV 2002, 936 (942), der aufgrund fehlender demokratischer Legitimation trotz Rechtsetzung für „nicht-Betroffene“ die Verfassungsmäßigkeit des Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen verneint. 171 Battis/Kersten, DÖV 1996, 584 (592).
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seine volle demokratische Legitimation durch die Wahl seitens der Bundesversammlung, wie sie sich aus Art. 54 GG ergibt, so daß er durch die Ernennung der Beamten seinerseits volle demokratische Legitimation vermittelt 172. Neben diese eigene Vermittlung demokratischer Legitimation durch den Bundespräsidenten tritt durch die Gegenzeichnungspflicht auch im Falle des Art. 60 Abs. 1 GG die klare Übertragung demokratischer Legitimation durch den jeweils zuständigen Bundesminister 173. Das Beispiel der Beamtenernennung trägt mithin keinesfalls die Kritik. Auch die pauschale Aussage über eine lediglich schwache Ausprägung parlamentarischer Kontrollrechte kann keine Richtigkeit für sich beanspruchen. Wie im weiteren Verlauf ausführlich zu zeigen sein wird, verfügt das Parlament durchaus über durchsetzungsfähige Handlungsmöglichkeiten, die Regierung – öffentlichkeits- und rechtswirksam – zur Verantwortung zu ziehen, worauf insbesondere die Opposition dringen wird. Da es sich insbesondere um eine in höchstem Maße politische Verantwortung handelt, haben gerade die Gerichte an der Realisierung dieser Verantwortlichkeit einen eher geringen Anteil. Das Parlament ist es, das Rechenschaft einfordern kann und dies im parlamentarischen Alltag auch tut. Daran anschließend ist der Vorwurf zu entkräften, die Legitimationsketten seien so lang, daß sie nur noch eine Karikatur ihrer Idealvorstellung seien. Hierzu ist unter Verweisung auf die obigen Ausführungen zu bemerken, daß die Länge einer durchgängigen Legitimationskette keine Schwächung zur Folge hat. Durch eine stetige demokratische Legitimationsvermittlung wird immer das gleiche, hohe Niveau demokratischer Legitimation gewahrt 174. Und daß die Verantwortlichen an der Regierungsspitze selbst gesucht werden, entgegen dem anderslautenden Vorwurf, kann den noch folgenden Ausführungen zu den verschiedenen Ministerrücktritten der 14. Legislaturperiode entnommen werden. Bei der ausschnittsweisen Betrachtung Fisahns bezüglich der Auswahlmöglichkeiten im Rahmen der Beamtenernennung verkennt dieser, daß die Anknüpfung an Eignung, Befähigung und fachliche Leistung nur einen großen, ausfüllungsbedürftigen Rahmen darstellt, in dem Begabung, Allgemeinwissen, Lebenserfahrung, Fachwissen sowie sonstige geistige und körperliche, seelische und charakterliche Eigenschaften zu berücksichtigen sind 175. Damit ist auf den ersten 172 So auch Emde, Die Demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 45, Fn. 68; Sachs, in: ders. GG, Art. 20, Rn. 39, der zu Recht von der durch die Wahl der Bundesversammlung vermittelten eigenständigen demokratischen Legitimation des Bundespräsidenten spricht. 173 Vgl. nur Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 58, Rn. 36. 174 Vgl. auch Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (360), der hierzu bemerkt: „Die Einsetzungskette ist, zumal in der staatsunmittelbaren Verwaltung, regelmäßig mehrgliedrig. Daß die kürzere Kette eine höhere demokratische Dignität verleihe, ist ein politisches Werturteil, das in der rechtlichen Dogmatik keine Entsprechung findet.“ 175 Jarass/Pieroth, GG, Art. 33, Rn. 10.
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Blick ersichtlich, daß dem Auswählenden ein weiter Beurteilungsspielraum zur Verfügung steht. In der konkreten Ausgestaltung dieses Spielraumes liegt ein starker Anknüpfungspunkt für direkte Verantwortung. Von einer beschränkten Verantwortung der Regierung bei der Personalauswahl kann daher unter keinem Gesichtspunkt gesprochen werden. Hinzu kommt, daß durch eine eingeschränkte Bindung nach dieser Ansicht das Fehlen der personellen demokratischen Legitimation vollständig ausgeglichen werden müßte. Auch unter Bezugnahme auf ein Demokratiekonzept, in dem sich ein teilweiser Ausgleich widerspruchsfrei herstellen läßt, um eine optimale und zugleich verfassungsrechtlich zulässige Flexibilisierung des Systems zu erreichen, ist festzuhalten, daß eine gänzliche Substitution sich nicht mehr innerhalb des grundgesetzlich gezogenen Rahmens hält. Ebenso ist der Einwand, daß gerade dieses Modell eine Ämterbesetzung mit politisch genehmen Beamten erleichtere, nicht nachvollziehbar. Zum einen kann die neue Regierung ihrerseits Beamte ernennen und zum anderen hat jede Partei, die Regierungspartei wird, mit dem selben Problem – eine fragliche Verhinderungshaltung der Beamten vorausgesetzt – zu kämpfen, so daß eine Bevorzugung der Regierung nicht gegeben ist. Eine Verhinderung der „neuen“ Regierungspolitik durch die überwirkende „alte“ Ämterbesetzung ist folglich einerseits realitätsfern und andererseits kann eine durchgängige Aufrechterhaltung der Staatstätigkeit nur durch personelle Kontinuität im Beamtenapparat gewährleistet werden, so daß – erneut unter der Prämisse des tatsächlichen (vor allem beamtenrechtlich rechtswidrigen) Destruktionsverhaltens – höchst unwahrscheinlich auftretende Friktionen durch die unbestreitbar vorhandene Sachnotwendigkeit der Konstanz aufgewogen wird. Wie dargelegt, fordert Fisahn, die Mitwirkungsrechte der Personalvertretung dort besonders stark auszugestalten, wo es ausschließlich um die Angelegenheiten der Beschäftigten ginge, diese Mitwirkungsrechte aber schwächer zu gestalten, wo die rechtliche Bindung der Verwaltung besonders intensiv sei oder es um regierungsverantwortliches Handeln gehe. So richtig der erste Ansatz mit seiner Folgerung sein mag, der Bruch in der Argumentation ist deutlich. Folgt man der Idee der Mitbestimmung bei Angelegenheiten, die nur die Beschäftigten betreffen und erkennt an, daß Nichtbetroffene von den Entscheidungen nicht tangiert werden dürfen, stellt sich unweigerlich die Frage, warum an dieser Stelle die Mitwirkungsrechte nur „schwächer“ ausgestaltet sein sollen. Das Fehlen einer Existenzberechtigung der Mitbestimmung außerhalb der Selbstbetroffenheit wird durch den Autor selbst bewiesen, eine Rechtfertigung nicht erbracht. Damit ist – aus diesem Blickwinkel heraus – eine derartige Mitbestimmung gänzlich abzulehnen. Blanke unterstellt in seinen Ausführungen dem Demokratieprinzip eine konkrete Ausformung und Forderung nach Selbstverwaltung und Partizipation. Diese Unterstellung widerspricht zum einen der eigenen Aussage von der Freiheit des
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Gesetzgebers in der Ausgestaltung der Verwaltung, da er nicht durch das Grundgesetz zu einer speziellen Festlegung gezwungen sei. Des weiteren ist gegen diese Argumentation einzuwenden, daß sie eine Begründung für die Unterstellung gerade dieser Unterlegung des Demokratieprinzips missen läßt. Einzig die Gewährung von Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, die sowohl jeder einzelne Bürger für sich in Anspruch nehmen kann oder auch als kollektive Einwirkungsmöglichkeit auf den öffentlichen Willensbildungsprozeß angesehen werden kann, stellt keine Rechtfertigung für eine Hinwendung der Demokratie zur direkter Partizipation bei der Ausübung staatlicher Gewalt dar. Auch die Behauptung, das entwickelte Demokratiemodell mit der Begrifflichkeit des „Legitimationsniveaus“ trage jedes Ergebnis, übersieht, daß es sich gerade bei dem Zusammenwirken der unterschiedlichen Legitimationsarten bezogen auf den Einzelfall um einen Ausgleich möglicher Ausdünnung bei einer der Legitimationsstränge handelt 176. Eine vorherige abstrakte Gewichtung, wie sie gefordert wird, würde dem telos des Systems zuwiderlaufen, das gerade auf eine flexible Anwendbarkeit und Reaktionsmöglichkeit bezüglich komplexer Sachverhalte innerhalb des modernen Staates ausgerichtet ist. Blanke vermag mit seinen Thesen nicht zu überzeugen. Behauptungen unter Ablehnung des Böckenförde-Modells werden aneinandergereiht, ohne jedoch ein eigenes verfassungsrechtlich tragfähiges Prinzip zu entwickeln oder auch nur nachvollziehbare Angriffspunkte als Basis für eine konzeptionelle Überarbeitung des angegriffenen Systems zu bieten. Überlegenswert erscheint dagegen Emdes Erwägung, daß das Verbandsvolk an die Stelle des Staatsvolkes rücke, dadurch, in positiver Abhebung von anderen Modellen autonomer Legitimation, daß der Einwirkungsbereich dieser funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften explizit auf die Mitglieder als alleinige Adressaten der Selbstverwaltungsentscheidungen begrenzt wird 177. Ein Geltungsanspruch solcher Beschlüsse und Handlungen für außerhalb dieser Binnenorganisation Stehende wird weder postuliert noch auch nur angedacht, was die Selbstverständlichkeit des Ausschlusses dieses Gedankens deutlich macht.
176 BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002 2, BvL 5/98, Rn. 156 f., www.bverfg.de/entscheidungen/ls2002 1205_2bvl 000598.html. 177 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 387; so auch Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 90 ff., der postuliert, daß, sobald die Entscheidungen Auswirkungen auf Dritte haben könnten, deren Interessen wiederum durch eine „umfassend demokratisch legitimierte Vorentscheidung“ abzusichern seien. Insoweit wirkt der Demokratiegedanke gerade autonomiebegrenzend und verdient dieser Ansatz Zustimmung. Die Stärke der Begrenzung äußert sich in der darauffolgenden, resignativ anmutenden Äußerung, daß es wohl kaum Entscheidungen gebe, die in modernen Industriegesellschaften nicht letztlich Auswirkungen auf alle hätten. Für Gremiumsentscheidungen fügt er hinzu, daß bei einer solchen denkbar sei, daß eine Stimme entscheide, so daß jede Stimme auf diese Weise volle Entscheidungsgewalt verkörpere.
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Problematisch ist jedoch, daß eine Hoheitsgewalt ausübende öffentlich-rechtliche Körperschaft nicht ohne Bruch der Verfassung mit den in der Verfassung vorgesehenen Körperschaften und ihrer demokratischen Legitimation gleichgesetzt werden kann. Übersehen wird nämlich, daß die funktionale Selbstverwaltungskörperschaft – gedanklich – über lange, gewundene Wege zu einer kommunalen Selbstverwaltungskörperschaft transformiert wird. Das (Staats-)Volk wird – wie auch Emde anerkennt – als Legitimationssubjekt durch die Verfassung inthronisiert. Dabei kann das Staatsvolk als originäres Legitimationssubjekt aber nur in den durch die Verfassung ausdrücklich vorgezeichneten Bereichen tätig werden. Dies sind die Ebenen des Bundes, des Landes sowie der Kreise und Gemeinden. Eine weitergreifende Qualifizierung des Verbandsvolkes als originär-demokratisches Legitimationssubjekt überdehnt die Interpretationsmöglichkeiten des Demokratieprinzips 178. Im weiteren wird ausgeführt, dem Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG sei nicht zu entnehmen, daß der Inhalt jeder staatlichen Entscheidung auf den Willensakt eines parlamentarisch verantwortlichen Organs zurückführbar sein müsse. Wenn die Formulierung des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG davon spricht, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, bedarf es aber gerade umgekehrt eines außergewöhnlichen und wohl kaum darzustellenden Begründungsaufwandes – den Emde im übrigen nicht leistet –, darzulegen, daß die Staatsgewalt nicht in jeglicher, allumfassender Hinsicht, somit sowohl organisatorisch-personell als auch sachlich-inhaltlich auf ein parlamentarisch verantwortliches Organ rückführbar sein muß. Diese Behauptung vermag damit nicht zu überzeugen und steht vielmehr Wortlaut und telos des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG entgegen. Die Bemühung, über die Anerkennung der Ministerialverwaltung als Regeltypus der grundgesetzlichen Verwaltungssystematik die funktionale Selbstverwaltung als außenstehenden, autonom zu legitimierenden und damit verfassungsmäßigen Sonderbereich zu verifizieren, muß somit scheitern. Eine binnenorganisatorische Legitimation widerspricht dem Demokratieprinzip, wie es im Grundgesetz niedergelegt ist 179. Eine von Kluth vertretene kollektive Legitimation im Selbstverwaltungsbereich ist nicht möglich, wie sich aus den obigen Ausführungen über die stets individuelle Legitimationsnotwendigkeit ergibt. Er wechselt an dieser Stelle die – im System durchaus vorgesehene – Legitimationsart der funktionalen und institutionellen Legitimation mit der organisatorisch-personellen demokratischen Legitimation aus. Diese muß sich aber immer auf den individuellen Amtsträger 178 Kluth, Die Verwaltung 2002, 349 (360); Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 33, Fn. 39. 179 Anders für den Bereich funktionaler Selbstverwaltung bei Wasserverbänden jetzt: BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98, www.bverfg.de/entscheidungen/ ls20021205_2bvl000598.html.
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beziehen und darf nicht einfach als mit der Schaffung der Körperschaft per se erfüllt angesehen werden. Unter Befolgung dieser Betrachtungsweise entfiele der organisatorisch-personelle Legitimationsstrang, ohne einen adäquaten Ersatz im Gleichgewichtssystem zu erhalten. Die Idee der kollektiven Legitimation erweist sich somit lediglich als ersatzlose Reduzierung des Legitimationsniveaus in den Bereich unterhalb des verfassungsrechtlich zulässigen Schwellenwertes 180. Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05.12.2002 zum EmscherGG und LippeVG, im Bereich funktionaler Selbstverwaltung die Mitwirkung Betroffener, demokratisch nicht Legitimierter zuzulassen, unter Abweichung vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation, ist nicht zuzustimmen. Einen ausgedehnten Teil des Begründungsaufwandes bringt das Gericht damit zu, auf die lange geschichtliche Tradition der Selbstverwaltung der Wasserwirtschaft hinzuweisen 181. Zudem stellt es die Behauptung auf, daß „Wasserverbände der hier zu beurteilenden Art . . . zu einem historisch gewachsenen und von der Verfassung grundsätzlich anerkannten Bereich nicht-kommunaler Selbstverwaltung“ gehörten. Außerdem werde es sich, wie oben zitiert, überwiegend um überschaubare Aufgabenbereiche handeln, bei denen die Erledigung durch Organisationseinheiten der Selbstverwaltung historisch überkommen sei und sich traditionell bewährt habe 182. Außer der apodiktisch anmutenden Feststellung, daß das Demokratiegebot offen sei für abweichende Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt und dem Hinweis, daß es bei dieser Interpretation des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG möglich sei, die im demokratischen Prinzip wurzelnden Grundsätze der Selbstverwaltung und der Autonomie angemessen zur Geltung zu bringen 183, lassen sich rein rechtsbezogene Ausführungen vermissen 184. Eine Entwicklung der für richtig erkannten Ergebnisse aus der Verfassung findet nicht statt und wirkt daher nicht 180 Auch hier schimmert erneut die Idee des parlamentarischen Selbstverzichts hindurch, wie sie bereits von Klein formuliert wurde. Wie oben dargelegt, sind bestimmte Bereiche indes auch der Gestaltungsfreiheit des Parlaments entzogen. 181 BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98: vgl. die Ausführungen zur preußischen Geschichte, Absätze 2 ff.; in Würdigung der BVerfGE 10, 89 ff. führt es aus (Abs. 164): „Das Gericht hat die Existenz von Organisationseinheiten der mittelbaren Staatsverwaltung und die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch sie in der Form der Selbstverwaltung als selbstverständlich vorausgesetzt und als verfassungsrechtlich unproblematisch angesehen: . . . “. 182 BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98, Absatz Nr. 170. 183 BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98, Absatz Nr. 167. 184 So auch Jestaedt, Jahrbuch des Kammerrechts 2003, 9 ff. zu recht, wenn er auf die „enttäuschende und unzulängliche Begründung“ des Gerichts hinweist (S. 17) und die entscheidenden Fragen, die die Entscheidung ihrerseits aufwirft, stellt, z.B. „Woraus etwa ergibt sich, dass das Demokratiegebot des Grundgesetzes „entwicklungsoffen“ ist?“ oder „Mit welchem Recht hält das Verfassungsgericht Außenseiter-Regelungen durch Selbst-
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überzeugend, sondern wie eine Gegenreaktion zur bisher konsequenten Linie demokratischer Legitimationserfordernisse. Insbesondere die im weiteren Verlauf ausgesprochene Ermächtigung für Selbstverwaltungsträger, auch gegenüber Dritten, also Nicht-Betroffenen, verbindliches Handeln mit Entscheidungscharakter auszuüben, „allerdings in begrenztem Umfang“, ist mit geltendem Verfassungsrecht nicht in Einklang zu bringen. Das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 2 GG, wie es oben konsequent entwickelt worden ist, gestattet es nicht, daß demokratisch nicht legitimierte Verwaltungsträger Hoheitsgewalt über das Volk (mit-) ausüben. So richtig die grundsätzlichen Ausführungen des Gerichts zum Prinzip demokratischer Legitimation in der unmittelbaren Staatsverwaltung und der gemeindlichen Selbstverwaltung sind, so erstaunlicher sind die verfassungsrechtlich nicht erfaßten Ausbrüche aus diesem System für das Gebiet der funktionalen Selbstverwaltung aus historischen und effektivitätstheoretischen Gedankengängen heraus. Abschließend läßt sich mit Jestaedt auf den von den Kritikern nicht gesehenen Unterschied zwischen demokratietheoretischer Kritik und verfassungsdogmatischem Konzept des Bundesverfassungsgerichts hinweisen. Maßstab dieser Kritik sei gerade nicht – im Gegensatz zur konkreten Verfassungsanwendung – die kontingente (Verfassungs-)Rechtsnorm. Genau an diesem Punkt aber ermangelt es den Kritikern an stichhaltigen Argumenten. Der bloße Hinweis auf die Offenheit des von ihnen vertretenen Systems und seine nicht-Fixierbarkeit sind Kategorien der Verfassungstheorie – ohne sich aber „in die ‚Niederungen‘ der Verfassungsdogmatik zu begeben, gelingt es ihnen nicht, dem Bundesverfassungsgericht eine Unhaltbarkeit seines Ansatzes nachzuweisen“ 185. Ihre Gedanken und Kritikpunkte verbleiben im Destrukiven. Statt konkreter – durchaus auch am Einzelfall zu entwickelnder – Gestaltungsvorschläge bewegen sie sich „in den luftigen, normfreien Höhen der Demokratietheorie“ 186 .
verwaltungsträger für verfassungsverträglich, und woher nimmt es die Rechtfertigung für Bestand und Umfang von Grenzen?“ (S. 22). 185 Jestaedt, Die Verwaltung 2002, 293 (313). 186 Jestaedt, Die Verwaltung 2002, 293 (314); statt vieler, Groß, Grundlinien einer pluralistischen Interpretation des Demokratieprinzips, in: Demokratie und Grundgesetz, S. 93 (97f.): „Dagegen steht in der pluralistischen Interpretation ein prozedurales Verständnis, das sich nicht für theoretische Referenzbeziehungen, sondern für praktische Mechanismen der effektiven Rückführung konkreter Ausübung von Staatsgewalt auf das Volk interessiert. . . . Deshalb bedarf es komplementärer Steuerungsmechanismen, die neben die Möglichkeit inhaltlicher Vorgaben durch Gesetzes- und Weisungsbindung treten. . . . Das pluralistische Demokratiekonzept setzt an dieser Fragestellung der Effektivität der Steuerung staatlicher Einheiten an, löst sich aber von der Fixierung auf die zentrale nationalstaatliche Exekutive. Es nimmt vielmehr die konkrete Betroffenheit einer Gruppe von Menschen durch die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe zum Ausgangspunkt. . . . Die pluralistische Interpretation des Demokratieprinzips kann verschiedene Gestaltungsformen der politischen Willensbildung als Mechanismen zur Erweiterung in-
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8. Zwischenergebnis zur Frage des Böckenförde-Modells als Ausfluß des Demokratieprinzips im verfassungsrechtlichen System Die Ab- und Durchleitung demokratischer Legitimation in die Kapillaren sämtlicher Hoheitsgewalt ausübender Stellen ist eine Forderung des Demokratieprinzips. Aufgrund des klaren Verfassungsbefehls in Art. 20 Abs. 2 GG, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und diese darauf folgend sowohl vom Volk selbst als auch durch besondere Organe ausgeübt wird, ist es grundsätzlich nicht zulässig, Bereiche von der Rückführbarkeit auf den Volkswillen auszunehmen. Der Staat und die für ihn Handelnden müssen personell-individuell demokratisch legitimiert sein. Die Verbindungselemente über die dies im parlamentarischen Regierungssystem geschieht, sind zum einen das Parlament und zum anderen die Regierung mit ihren Ministern. Das Modell demokratischer Legitimation, wie es Böckenförde formuliert hat, erweist sich somit als Ausfluß des verfassungsrechtlich normierten Demokratieprinzips. Mit Blick auf die Existenz des geordneten Staates in der Regierungsform der Demokratie, ist es unabdingbare Voraussetzung, daß der Souverän auch im System mittelbarer und repräsentativer Demokratie effektiven Einfluß auf die Ausübung der Staatsgewalt besitzt. Die Umsetzung des Prinzips der Volkssouveränität in der mittelbaren und repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes erfordert daher eine grundsätzlich lückenlose Legitimationskette vom Souverän bis in die unterste hierarchische Handlungsebene 187. Das Fehlen demokratischer Legitimation bedeutet einen Bruch des Systems, der nur unter besonderen Bedingungen ausgeglichen werden kann – falls dies überhaupt der Fall sein sollte. Denn im Grunde bietet das mehrteilige System der organisa-
dividueller Selbstbestimmung durch Mitwirkung begreifen, die dem Grundanliegen der Partizipation zur Wirksamkeit verhelfen . . . “. 187 Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 43: „Damit dem Grundsatz personeller Wahllegitimation genügt ist, bedarf es grundsätzlich einer ununterbrochenen Legitimationskette von der Exekutivspitze bis in alle Verästelungen öffentlicher Gewaltausübung hinein. Das Grundgesetz zwingt damit die Ausübung von Staatsgewalt in eine Legitimationshierarchie, die beim Volk, von dem die Staatsgewalt ausgeht, beginnt, und die beim konkreten Amtswalter endet (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG).“ Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (263 f.); Schulze, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes, S. 298: „Darum kann es auch im konstitutionellen Staate kein Gebiet der vollziehenden Gewalt geben, welches nicht unmittelbar oder mittelbar unter einem Minister stände, weil sonst eine Lücke in der Verantwortlichkeit entstehen würde.“; Dahlgrün, Demokratie und Verwaltung 1972, 317 (326): „In Deutschland besteht die Neigung, die Unabhängigkeit von der Regierung und die damit gegebene Freiheit von parlamentarischer Kontrolle etwas überzubewerten. Man bekennt sich zum parlamentarischen System, schafft aber gleichzeitig kontrollfreie Räume. Das ist wenig konsequent und bedeutet letzten Endes ein Stückchen Mißtrauen gegen das eigene frei gewählte Staatssystem.“; Fehlig, Die Rechtsstellung des Staatssekretärs im deutschen Staatsrecht, S. 75.
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torisch-personellen, institutionell-funktionellen und sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimationsebenen einen umfassenden und geschlossenen Ansatz, durch den die Notwendigkeit gänzlich außerhalb dieses Systems liegender Bereiche entfällt. Die von Böckenförde angesprochene Möglichkeit, einen an einer Stelle ausgedünnten Legitimationsstrang durch die Verstärkung eines komplementären zu kompensieren, bietet ein flexibles Modell, das den Anforderungen der Staatswirklichkeit gerecht wird. Zumindest für den Bereich staatsunmittelbarer Verwaltung ist daher festzuhalten, daß das System der sich zu einem einheitlichen Niveau ergänzenden Legitimationsstränge, ausgehend von einer grundsätzlich strikten Beachtung der durchgehenden, ununterbrochenen Legitimationskette, unbeschränkt Geltung beansprucht und zur Grundlage weiterer Überlegungen dieser Arbeit zu machen ist.
§ 9 Die Ministerverantwortlichkeit im Spiegel des Demokratiegebots In der als Demokratie verfaßten Bundesrepublik Deutschland ist es eine Verfassungsforderung, daß die demokratische Legitimation bis in die verzweigtesten Wurzeln des staatlichen Systems hineinreicht. Unmittelbarster und an exponiertester Stelle staatlicher Repräsentation stehender Adressat dieser Forderung ist die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit und ihre Mitglieder als Teil der Staatsleitung. Bedürfen diese selbst uneingeschränkter demokratischer Legitimation, kann das System des demokratiedurchsetzten Staates vor einer Vermittlung und gleichzeitiger Rückbindung dieser Legitimationserfordernisse in gleicher Intensität nicht Halt machen. Ob diese Vermittlung in organisationsrechtlich ausreichenden Dimensionen vorgenommen wird, muß in der Betrachtung über das hierarchische Steuerungsmodell an erster Stelle untersucht werden. Im Anschluß an die Suche nach der Typisierung des verfassungsrechtlich vorgesehenen Organisationsmodells, sind die Modalitäten dieses Systems und insbesondere die Beziehungen der obersten Exekutivorgane untereinander innerhalb dieses Systems zu fixieren. Das Wissen um den organisatorischen Aufbau von Regierung und Ministerien ist im Weiteren Vorbedingung für die grundlegende Bestimmung des Verhältnisses von Bundesministern zum Parlament. An der Nahtstelle zwischen oberster exekutiver Leitung und Repräsentanz des Volkes offenbart sich das zweistufige Modell verfassungsrechtlicher Legitimationsübertragung. Die Verfassung begnügt sich nicht mit einer einmaligen Legitimationsvermittlung auf die Exekutivspitze, einer „Quasi-Inthronisierung“ mit folgender Handlungsallmacht, sondern verfügt über ein in Weite und Tiefe außer-
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gewöhnlich breit gefächertes Spektrum an Möglichkeiten für die Volksvertretung, die Arbeit eines Bundesministers einer Überprüfung zu unterziehen. Überprüfung bedeutet indes Kontrolle. Kontrolle ihrerseits dient auf verfassungsrechtlicher Ebene dem Zweck der Offenlegung von Verantwortlichkeit. Damit ist der zentrale, das Verhältnis von Parlament und Bundesminister bestimmende, Begriff bezeichnet. Zu untersuchen wird im folgenden sein, welcher Verantwortlichkeitsschuldner welchem Verantwortlichkeitsgläubiger gegenüber zur Rechenschaft verpflichtet ist und ob überhaupt von einem geschlossenen und umfassenden System gesprochen werden kann. Zu diesem Zweck sind die einzelnen Ausprägungen des verfassungsrechtlichen Arsenals differenzierter Kontrollinstrumente konkret zu beleuchten und auch ihr Einsatz in der Rechtswirklichkeit zu überprüfen. Besteht eine Ministerverantwortlichkeit im grundgesetzlichen System, so ist unmittelbar im Anschluß nach ihrer Reichweite zu fragen und ob sich Ausnahmen von ihr rechtfertigen lassen. Steht der Begriff der Verantwortlichkeit im Zentrum, so ist ersichtlich, daß die Frage der Ausgestaltung nicht ohne die Festlegung des komplexen Zusammenhanges zwischen Handlungsbefugnis auf der einen und Rechenschaftsablegung auf der anderen Seite erfolgen kann oder auch nur erfolgen darf. Bedingt die Verfassung stets eine Korrelation von eigener Handlungs- resp. Weisungsbefugnis als Voraussetzung einer etwaigen parlamentarischen Verantwortlichkeit oder ist nicht vielmehr ein abstraktes System zur Sichtbarmachung von Verantwortlichkeit oberster Exekutivorgane vorgesehen? Das System demokratischer Legitimation erzwingt die organisationsrechtlich zu gewährleistende Rückführbarkeit von Entscheidungen zur Volksvertretung – der Weg, der zur Umsetzung dieses Gebots beschritten wurde, ist in Art und Weise und seinen strukturellen Konsequenzen detaillierter Analyse zuzuführen. Diese Analyse muß sich dabei auf den gesteckten Rahmen der Arbeit fokussieren. Das Handeln des Bundeswirtschaftsministers bzw. sein Nicht-Handeln in eigener Person durch Übertragung einer Einzelentscheidung auf einen ihm im Behördenaufbau nachgeordneten „Stellvertreter“ und die dadurch hervorgerufene Frage nach der Notwendigkeit eines Verantwortungsadressaten sind als Ausgangsbasis der dogmatischen Betrachtung nicht aus den Augen zu verlieren 188.
188 Daher war es angezeigt, die Untersuchung an dieser Stelle auf das grundsätzliche Verhältnis gerade von Bundesminister und Parlament zu begrenzen und erst im weiteren Verlauf der Arbeit an geeigneter Stelle das (unter Umständen bestehende) Verhältnis eines Ministerialbeamten als „Stellvertreter“ des Bundesministers zum Bundestag zu beleuchten.
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I. Hierarchische Struktur der Staatsorganisation Die Leitung des Staates bedarf einer organisatorischen Fundierung, die sicherstellt, daß die Aufgaben, die dem Staat zugewiesen sind, erfüllt werden. Ist die Erfüllung grundsätzlich sichergestellt, muß es weiteres Ziel eines modernen Staates sein, daß die von hoheitlicher Stelle wahrgenommenen Aufgaben im Einklang mit dem Demokratiegebot effizient erfüllt werden. Unterstellt man die grundsätzliche Wahlfreiheit des Staates bei der Bestimmung seiner organisatorischen Verfaßtheit, ist zu untersuchen, wie die konkrete Staatsorganisation ausgestaltet ist und ob dieser Organisation ein eventuell zwingender Charakter im Hinblick auf denkbare Alternativen zukommt. Neben der Feststellung der allgemeinen staatlichen Organisationsstruktur ist diese auch und gerade im Rahmen der Themenstellung für den Bereich der Bundesregierung und einzelne Bundesministerien darzustellen. Von besonderem Interesse ist dabei das System hierarchischer Verwaltung. 1. Hierarchie als verfassungsrechtlicher Grundtyp der Ministerialverwaltung Das hierarchische Prinzip durchdringt den gesamten Staatsaufbau sowohl in Deutschland als auch in anderen europäischen Staaten 189. Der Grund hierfür kann sowohl auf rechtlicher als auch auf tatsächlicher Ebene gesucht werden. Inwiefern das Recht hierbei lediglich das faktisch Notwendige nachvollzieht, kann dabei außer Betracht gelassen werden, da an dieser Stelle eine Darstellung des existierenden, verfassungsrechtlich statuierten Zustandes im Fokus steht. Und in der Tat läßt sich feststellen, daß sich ein Staat in den Ausmaßen und der strukturellen Komplexität der Bundesrepublik Deutschland ohne ein hierarchisches System nicht politisch lenken und verwalten läßt, was indes zur Aufrechterhaltung des Gemeinwesens unabdingbar ist. Auch wenn das Grundgesetz die Begrifflichkeit der hierarchischen Gliederung nicht ausdrücklich erwähnt, so ergibt sich dieses Prinzip unter anderem aus der Zusammenschau der einzelnen organisationsrechtlichen Normierungen wie Art. 83 ff. GG und Art. 33 GG 190. Die Verfassung sieht die hierarchisch gegliederte Ministerialverwaltung als Regeltypus der deutschen Verwaltung an 191.
189 Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 189; Loschelder, in: HdbdStR, Bd. III, § 68, Rn. 3, 71, bezeichnet Hierarchie als notwendiges und zentrales Bauelement organisierter Staatlichkeit überhaupt. 190 Vgl. zu den Weisungs- und Aufsichtsrechten u.a. Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 84, Rn. 35 ff., Art. 85, Rn. 13 ff.; Hermes, in: Dreier, GG, Art. 84, Rn. 56 ff., Art. 85, Rn. 27 ff.; sowie statt vieler Battis, in: Sachs, GG, Art. 33, Rn. 70, zu Gehorsamsund Verantwortungspflichten als hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums. 191 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 337; Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 71, 73; Jestaedt, Demokratieprinzip und
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Hierarchie bedeutet in diesem Zusammenhang ein Struktur- und Organisationsprinzip, das die korrespondierenden Elemente von Befehl und Gehorsam, Weisung und Ausführung, Über- und Unterordnung sowie Eigen- und Fremdverantwortlichkeit enthält. Unter Weisung wird hier die für den Weisungsempfänger verbindliche Äußerung einer vorgesetzten Stelle verstanden, einen konkreten oder abstrakten Sachverhalt in einer bestimmten Weise zu behandeln. Die Verbindlichkeit wird auch als Imperativ bezeichnet, dessen telos die Sicherstellung der Verwaltungsfunktion ist 192. Die klare Konturierung im Rahmen der Weisungsstränge bezogen auf Aufgabe und Verantwortung läßt trotz des arbeitsteiligen Zusammenwirkens effektive Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten zu. Die inhärente pyramidale Gliederung mit einer breiten Basis und einer zumeist bis auf eine Person verengten Spitze, bewirkt eine Weisungs- und Verantwortungsklarheit wie kein anderes System 193. Jede Hierarchiestufe besitzt innerhalb ihres Kompetenzbereiches Weisungsrechte gegenüber der ihr untergeordneten Stufe, hat Eingriffsund Kontrollrechte sowie eventuell Gegenzeichnungspflichten, mit welchen ihrerseits eine klare Verantwortungsübernahme für diese Handlungen parallel läuft. Die Rechte, die sie selbst auszuüben im Stande ist, können andererseits ihr gegenüber desgleichen ausgeübt werden, so daß ihr Handlungsspielraum eingeengt wird; unter Umständen wird im Wege der Statuierung von Berichtspflichten eine Kontrolle ihrer Vorbereitungen oder Entscheidungen durchgeführt. Für die Frage der Verantwortlichkeit bedeutet dies eine „Höherstufung“ auf die einflußnehmende Stelle resp. auf die Stelle, die hierzu berechtigt und in der Lage gewesen wäre. Dieses System zeichnet sich durch den entscheidenden Vorteil aus, im konkreten kritischen Fall aufgrund des Weisungsrechts und der Gehorsamspflicht effektiv und zielgenau eine Lösung herbeizuführen, auf der anderen Seite aber den Sachverstand der einzelnen Ebenen so miteinander zu verknüpfen, daß zuerst die sachnächste Einheit entscheidet, die mit der Problematik am engsten vertraut ist. Zu Recht wird gefordert, daß der Staat diejenige Struktur wählen muß, die die präziseste, schnellste und vollständige Erledigung verbürgt 194. Die Verwaltung soll in dieser Hinsicht ohne Eigeninteresse handeln und den in Recht und
Kondominialverwaltung, S. 322; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, S. 203. 192 Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 44; Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 4, führt sieben verschiedene Funktionen der Weisungsbindung an, u.a. die Harmonisierungs-, Koordinierungs-, Umsetzungs- und Korrekturfunktion. 193 Eine solche ist für das Funktionieren des geordneten Rechtsstaates fraglos erforderlich; gerade bei Beteiligung mehrerer Akteure, ist es „für den Bürger, nicht selten aber auch für den Fachmann ( . . . ) schwierig geworden, die politische Verantwortlichkeit für einzelne Entscheidungen zutreffend zuzuordnen“, so Papier, „Überholte Verfassung?“ in: FAZ v. 27.11.2003, S. 8. 194 Loschelder, in: HdbdStR, Bd. III, § 68, Rn. 10; Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 67.
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Weisungen gegossenen politischen Vorstellungen der regierungsbildenden Parlamentsmehrheit zur reibungslosen Umsetzung verhelfen. Das „absolutistische Maschinenmodell“ kann auch in einem demokratisch verfaßten Rechtsstaat am Horizont immer noch schemenhaft auszumachen sein. Durch die strenge Bindung an vorgegebene Zwecke, Gesetze und Weisungen kann in einer Übersteigerung sogar von einer „Fremdbestimmtheit“ der Verwaltung gesprochen werden 195. Diese Fremdbestimmtheit sichert die Durchführung der vom Mehrheitswillen getragenen Entscheidungen und läßt – jenseits des Ermessens – keinen Raum mehr für persönlich motivierte Entscheidungen der Amtsträger, so daß das Demokratieprinzip auf diese Weise bis in die Spitzen der Exekutive transportiert wird. Das hierarchische Prinzip wird strukturell durch die Treue- und Gehorsamspflicht der Beamten 196, aber auch durch die vorgängige personalpolitisch geprägte Einsetzung der Amtsträger umgesetzt. Somit bilden Weisungsrecht und (grundsätzlich 197) freie Befugnis der Ernennung und Entlassung der Bediensteten die zwei Hauptsäulen der Gewährleistung von hierarchisch organisierter Exekutive 198. Wie gezeigt, ist diese Organisation der Verwaltung Konsequenz des Demokratieprinzips. Durch die Beamtenernennung seitens des Ministers, welche die organisatorisch-personelle demokratische Legitimation vermittelt und die Gesetzesund Weisungsunterworfenheit, welche die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation herbeiführt, ist die Rückführbarkeit der hoheitlichen Handlungen auf das Volk gesichert. 2. Organisation und Hierarchie innerhalb der Regierung Unter der Überschrift „Die Bundesregierung“ normieren die an Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung angelehnten 199 Art. 62 bis 69 GG die Organisation des Organs „Bundesregierung“ im Hinblick auf Entstehung, Zusammensetzung, 195 Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S. 114; später freilich eingeschränkt um den Faktor demokratisierender Elemente; ders., S. 125 ff., weist auf die die Demokratie ausfüllende und stützende Funktion der klaren hierarchischen Gliederung hin: „Nur als Vollzugsautomat erweist sich die Verwaltung als demokratiedienlich . . . “, S. 128, wobei auch dieses Idealprinzip Abstriche aufgrund faktischer und rechtlicher Vorbehalte hinnehmen muß. 196 Vgl. § 55 BBG; § 37 BRRG. 197 Nur grundsätzlich, da auf der anderen Seite z.B. Kündigungsschutz und die Beamtenstellung auf Lebenszeit zu berücksichtigen sind. 198 Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 191 f. 199 Die maßgeblichen Artikel der Weimarer Reichsverfassung lauteten: Art. 55: „Der Reichskanzler führt den Vorsitz in der Reichsregierung und leitet ihre Geschäfte nach einer Geschäftsordnung, die von der Reichsregierung beschlossen und vom Reichspräsidenten genehmigt wird.“ Art. 56: „Der Reichskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür gegenüber dem Reichstag die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Reichsmi-
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innere Organisation, Stellvertretung und vorzeitige Beendigung der Regierungstätigkeit. Dabei kann nicht davon gesprochen werden – entgegen der angedeuteten Utopie der Identität –, die Regierung sei im Rahmen des parlamentarischen Systems lediglich ein „Ausschuß des Parlaments“. Die Regierung wird zwar grundsätzlich vom Vertrauen des Bundestages (jedenfalls von dessen Mehrheit) getragen, ist für sich jedoch ein eigenes und selbständiges Verfassungsorgan 200, das unabhängig initiiert, beschließt und exekutiert bzw. hierzu Anweisungen erteilt. Der Bundesregierung als oberstes Gremium der Exekutive kommt staatsleitende Funktion zu 201. Zentrale Stellung für die Verdeutlichung der Machtverteilung innerhalb der Regierung besitzen dabei die Art. 64 und 65 GG. In Art. 65 GG haben die drei grundlegenden Prinzipien des obersten Exekutivorgans ihren Niederschlag gefunden: Das Kanzler-, Ressort- und Kollegialprinzip. Gemäß Art. 64 Abs. 1 GG werden die Bundesminister auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen (materielles Kabinettsbildungsrecht), wobei dieser – bis auf den Ausnahmefall schwerwiegendster Bedenken das Staatswohl betreffend – dem Vorschlag Folge zu leisten hat 202. Der Bundespräsident erhält die notwendige demokratische Legitimation durch seine Wahl durch die Bundesversammlung gemäß Art. 54 GG 203. Der Kanzler selbst muß sich in ständiger Gewißheit über seinen parlamentarischen Rückhalt befinden – dies schließt auch nister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Reichstag.“ Art. 57: „Die Reichsminister haben der Reichsregierung alle Gesetzesentwürfe, ferner Angelegenheiten, für welche Verfassung oder Gesetz dies vorschreiben, sowie Meinungsverschiedenheiten über Fragen, die den Geschäftsbereich mehrerer Reichsminister berühren, zur Beratung und Beschlußfassung zu unterbreiten.“ 200 Vgl. BVerfGE 9, 268 (281), in der es heißt: „Die selbständige politische Entscheidungsgewalt der Regierung, ihre Funktionsfähigkeit zur Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben, . . . sind zwingende Gebote der demokratischen rechtsstaatlichen Verfassung.“ 201 Schambeck, Die Ministerverantwortlichkeit, S. 15, führt zum Verhältnis Regierung und Verwaltung aus, daß die Verwaltung einen durchführenden Aufgabenbereich habe und der Konkretisierung der Gesetze diene, während Aufgabe der Regierung die Ermöglichung einer einheitlichen Staatsgewalt und die Vertretung des Staatsganzen sei und so der Integration und Repräsentation des Staates diene. Damit diene die Regierung zugleich der Verfassungskonkretisierung. 202 Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 30, III. 4.d) (S. 248 f.) u. § 31, III. 2. (S. 291); jenseits rechtlicher Beschränkungen ergeben sich indes faktische Bindungen an parteiinterne Vereinbarungen resp. bei einer Koalitionsregierung an die Koalitionsvereinbarungen; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 631; a.A. Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 140, Fn. 5, der dem Kanzler zwar das materielle Kabinettsbildungsrecht zugesteht, dem Bundespräsidenten jedoch ein scheinbar weitreichenderes Ablehnungsrecht auch bei persönlichen oder sachlichen Einwendungen gegen einzelne Ministerkandidaten zugesteht, das er freilich nicht auch auf grundsätzlich-organisatorische Bedenken ausweitet; Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 32, entschieden strenger, spricht dem Bundespräsidenten grundsätzlich überhaupt kein Ablehnungsrecht zu.
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ein, daß er sich für seine Personalpolitik parlamentarisch verantworten muß. Das Amt des Ministers steht daher ständig unter der vorzeitigen Beendigungsmöglichkeit durch den Bundeskanzler, Art. 64 Abs. 1 GG, § 9 Abs. 2 BMinG. Ebenso endet das insoweit abhängige Amt als Minister, wenn sich der Bundeskanzler zu einem „Rücktritt“ entschließt, wie sich aus Art. 69 Abs. 2 GG ergibt. Das bedeutet, daß die Bundesminister unmittelbar vom Vertrauen und der Duldung des Bundeskanzlers abhängig sind, sowohl im Hinblick auf die Erlangung der Stellung als Regierungsmitglied als auch was die (vorzeitige) Beendigung ihrer Amtszeit betrifft. Übergeordnet ist dem hinzuzufügen, kann der Bundeskanzler die Zahl der Bundesminister und ihre Geschäftsbereiche bestimmen 204. Dabei schließt dieses Recht auch die verfassungsrechtlich immanente Bestimmung ein, daß jeder staatlich tätige Amtsträger einem verantwortlichen Minister unterstellt werden muß. Ministerialfreie Räume durch Nicht-Eingliederung in dieses System könnten zu einer willkürlichen, verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Aushöhlung der Parlamentsrechte führen, wie im weiteren noch zu untersuchen sein wird 205. Die Freiheit des Bundeskanzlers, eine grundsätzlich beliebige Anzahl von Ministerien zu schaffen, findet indes im parlamentarischen Regierungssystem ihre Grenze. Ebenso wie einerseits eine unüberschaubare Zahl von Ministerien eine effektive Regierungsarbeit unterminiert, muß andererseits ein bestimmtes Mindestmaß an personeller und kompetenzieller Aufgliederung gewährleistet sein. Erst nach der Festlegung der Ministerien, die Ausdruck der allgemeinen Organisationsgewalt des Kanzlers ist 206, hat er des weiteren die Macht, über die personelle Besetzung zu verfügen. Aber auch nach seiner Ernennung zum Bundesminister und damit einhergehend zum Regierungsmitglied, kann der Ernannte nicht vollständig frei das ihm zugewiesenes Ressort politisch lenken und leiten. Die Selbständigkeit der Leitung wird stets begrenzt durch die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers als Teil des Kanzlerprinzips nach Art. 65 S. 1 u. 2 GG 207.
203 Schlaich, in: HdbdStR, Bd. II, § 47, Rn. 2, spricht weitergehend von „breite(r), originäre(r), Legitimation durch die Bundesversammlung“. 204 Zu berücksichtigen ist die Grenze der Organisationsgewalt des Bundeskanzlers bei der verfassungsrechtlich garantierten Mindestexistenz der Minister in den Bereichen: Finanzen (Art. 108 Abs. 3, 112, 114 Abs. 1 GG), Verteidigung (Art. 65a GG), Justiz (Art. 96 Abs. 2 S. 4 GG), sowie der Benennung eines Stellvertreters (Art. 69 Abs. 1 GG). 205 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 339; Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 181, 197; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 317; Dahlgrün, Demokratie und Verwaltung 50 (1972), S. 317. 206 Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, II. 4. c) (S. 284); ausführlich dazu Kaja, AöR 89 (1964), 381 ff. 207 Vgl. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 24 ff., zur verfassungsrechtlichen Herleitung der Leitungsbefugnis der Regierung aus Art. 65 GG und zur Widerlegung der abweichenden Ansicht. Der damit einhergehenden
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Als Zwischenergebnis läßt sich festhalten, daß die Regierung, die sich ausschließlich aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern zusammensetzt, Art. 62 GG, sowohl hinsichtlich der personellen Zusammensetzung und der politischen Rahmenvorgaben ausschließlich und umfassend vom Willen des Bundeskanzlers abhängig ist. Damit ist der Bundeskanzler, auch wenn Teil des Kollegialorgans, nicht lediglich primus inter pares, sondern steht den Bundesministern, in modifizierter Diktion, hierarchisch übergeordnet gegenüber 208 und kann somit als „führendes Mitglied der Bundesregierung“ bezeichnet werden 209. Die Bundesminister ihrerseits sind Leiter ihrer Geschäftsbereiche nach Art. 65 S. 2 GG und somit hierarchisch oberstes Glied der Weisungs- und Verantwortungskette innerhalb ihres Ministeriums. Auch bei Ausführung von Bundesgesetzen durch Länderverwaltungen besteht eine, wenn auch zum Teil abgestufte, Weisungs- und Aufsichtsbefugnis des Bundes und damit der zuständigen Minister, Art. 84, 85 GG 210. Die Befugnisnorm des Art. 86 GG stellt dagegen für den Bereich der Bundesverwaltung klar, daß es sich um einen einheitlichen Komplex handelt, für den die Bundesregierung sowohl im Bereich der bundesunmittelbaren als auch bundesmittelbaren Verwaltung Einfluß durch den Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften nehmen kann 211. Innerhalb von Behörden findet das – der Natur der Sache entsprechend vorgefundene –
Frage einer etwaigen Verlagerung resp. Teilung der Verantwortung wird im weiteren Verlauf noch nachzugehen sein. 208 Dies wird verdeutlich durch Regelungen der GOBReg, z.B. das Informationsrecht nach § 3; die Durchsetzung der Einheitlichkeit der Geschäftsführung nach § 2; die Festlegung der Grundzüge der Geschäftsbereiche der Bundesminister nach § 9; Vertretung der Bundesregierung nach außen nach § 30 Abs. 2 und müssen Äußerungen eines Bundesministers mit den Richtlinien des Kanzlers im Einklang stehen gemäß § 12. 209 Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, II. 4. a) (S. 279); ders. spricht im Fortgang, § 31, III. 3. c) (S. 291), sogar von einer deutlichen Abhängigkeit, in die die Bundesminister in diesem System gebracht würden. Ähnlich auch Achterberg, in: HdbdStR, Bd. II, § 52, Rn. 26: „leitendes Organ in der Regierung“. Oebbecke weist zu Recht darauf hin, daß es sich jedoch trotz allem um Rahmenregelungen handelt, die einer Ausfüllung durch die Minister zugänglich sein müssen, in: Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 41. 210 Auf die differenzierten und zum Teil vielfältigen Einwirkungsmöglichkeiten soll an dieser Stelle mangels Zielführung nicht eingegangen werden; vgl. nur Kölble, DÖV 1969, 25 (26, 34); Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 226, zum Verhältnis Einzelweisung zu Verwaltungsvorschrift in diesem Bereich; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 652 ff. 211 Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 416 f. Unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte im Zuständigkeitsausschuß konkretisiert Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 130 ff., diese Behauptung dahin, daß es sich bei Art. 86 GG – entgegen der systematisch unrichtigen Plazierung – um eine Regelung der Organisationsgewalt im Bund als ganzes handelt. Zum Inhaber dieser Organisationsgewalt hat der Verfassungsgeber die Bundesregierung bestimmt, wie Art. 86 S. 2 GG zeige, S. 137.
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Hierarchieprinzip seine Absicherung in den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums, die über Art. 33 Abs. 5 GG zu unmittelbar geltendem Recht erhoben werden. Für Amtswalter im Angestelltenverhältnis ergeben sich diese Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis. Zu den als „hergebrachte Grundsätze“ anerkannten Bindungen gehören u.a. die Gehorsamspflicht 212, Treuepflicht 213 und die Personalentscheidung allein durch die vorgesetzte Dienstbehörde 214. Gerade diese Treue- und Gehorsamspflicht der „unpolitischen“ Beamten in den mittleren und unteren Verwaltungsstufen ist es, die ein kontinuierliches Wirken des Staates trotz und während eines Regierungswechsels ermöglicht und damit eine Grundvoraussetzung für das reibungslose und dauerhafte Funktionieren des Staates bildet. 3. Organisation und Hierarchie innerhalb der Ministerien Die Wurzeln eines exekutiven Ministerialsystems reichen bis in die napoleonische Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts zurück. In der post-revolutionären Wirrung und Organisationslosigkeit stieß die Implementierung eines Ressortsystems mit „büromäßiger Verwaltung“ auf wenig Gegenwehr und wurden Selbstverwaltungsträger beseitigt und Gremien auf Beratungsfunktion reduziert 215. Der strenge hierarchische Aufbau zeichnete sich durch Weisungsrechte in Befehlsqualität aus und wurde vor allem unter dem Gesichtspunkt der effektiven Politikdurchsetzung entwickelt. Von dieser Reformwelle wurden auch die Staaten auf deutschem Gebiet erfaßt, die durch innere Umwälzungen und Gebietsveränderungen ebenfalls einer neuen Verwaltungsstruktur bedurften. In Anlehnung an das französische Vorbild entstanden auch hier ministeriell gesteuerte Verwaltungseinheiten, wenn auch nicht alle Formen der Selbstverwaltung eliminiert wurden. In der Zeit der konstitutionellen Monarchie wurde nicht nur die Verantwortung nach außen für politische Entscheidungen auf den Minister (Staatssekretär) übertragen, sondern er hatte im gleichen Rahmen auch die Befugnisse, diese Entscheidungen zu fällen. Freilich übte er damit nicht unbedingt parlamentarisch übertragene Rechte aus, sondern solche, die dem Monarchen zustanden; andererseits aber war der Monarch jedenfalls an die Mitwirkung eines Ministers gebunden. Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurde das Ministerialsystem, nun parlamentarisch angebunden, fortgeführt, ohne daß es zu einer besonderen Niederlegung in der Weima-
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BVerfGE 9, 268 (286). BVerfGE 9, 268 (286); 61, 43 (56); 71, 39 (60). 214 BVerfGE 9, 268 (287). 215 Vgl. hierzu und zum folgenden Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (302), m.w.N.; Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, II. 4., (S. 277 ff.). Unter Ressort wird hierbei in Anlehnung an Schröder, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 65, Rn. 27, eine Aufgliederung der Aufgaben der Regierung nach Sachgebieten und die Zusammenfassung verwandter Materien zu Geschäftsbereichen verstanden. 213
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rer Reichsverfassung kam. Dieses System war jedoch keineswegs lückenlos, wie beispielsweise die Unabhängigkeit von diversen Prüfstellen und Kommissionen belegen 216. Die Ministerien im Geltungsbereich des Grundgesetzes sind als oberste Bundesbehörden ihre Leitung betreffend monokratisch organisiert 217. Der Minister selbst ist gemäß § 1 BMinG kein Beamter, sondern steht in einem besonderen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis zum Bund, auch wenn einige beamtenrechtliche Pflichten und Rechte auf ihn Anwendung finden 218. Er ist selbst „Spitzenbehörde“ und somit keiner weiteren hierarchischen Instanz mehr unterstellt 219. Art. 65 S. 2 GG überträgt die Geschäftsbereiche der selbständigen und eigenverantwortlichen Leitung der Minister. Die Selbständigkeit des Ministers als Ressortleiter darf in einzelnen Sachfragen grundsätzlich weder von Seiten des Bundeskanzlers noch der Bundesregierung als Kollegialorgan beschnitten werden 220. Auch eine unmittelbare Einflußnahme des Bundeskanzlers auf die Beamten des Ministeriums etwa in Form von Weisungen oder Forderung nach Berichterstattung ist grundsätzlich unzulässig. Insbesondere können auch die Richtlinien der Politik des Bundeskanzlers grundsätzlich nicht so detailliert bezeichnet sein, daß sie einer Einzelweisung gleichkommen. Die Betrachtung der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers ist dabei im Hinblick auf eine denkbare „Stellvertreterposition“ des Bundeskanzlers selbst im Falle eines verhinderten Bundesministers von Interesse 221. Um den Grad der Selbständigkeit des Ministers bei der Ausfüllung seines Amtes in dem verfassungsrechtlich vorgesehenen Umfang zu erfassen, bedarf es daher einer Klärung des Verhältnisses von Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers zum eigenverantwortlichen Handeln des Ministers. Zuförderst ist dabei hervorzuheben, daß der Minister unabdingbar an die Richtlinien gebunden ist, wie sich
216 Z.B. Filmprüfstellen, Rechnungshof, Verwaltungsabbaukommission; s. Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (306). 217 Kölble, DÖV 1969, 25 (27); Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, II. 4. (S. 285), definiert Ministerium als eine „Zusammenfassung eines Organisationskomplexes aus Behörden, juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowie der in ihm tätigen Behörden“ und als „Organisationseinheit für sachlich-gegenständlich zusammengehörige Verwaltungsangelegenheiten auf der obersten Verwaltungsstufe“ (S. 287). 218 Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, II. 3. a) (S. 276), sowie zu den einzelnen übertragbaren Pflichten und Rechten; Bundesminister als Beamte im haftungs- und strafrechtlichen Sinne. 219 Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 144. 220 Badura, Staatsrecht, E 90 (S. 510). 221 Auf dieses Sonderkonstellation wird vertieft unter dem Stichwort der Auskristallisierung der Richtlinienkompetenz in Kapitel 4, § 13 einzugehen sein.
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auch aus § 1 Abs. 1 S. 2 GOBReg 222 ergibt. Ein Ausbrechen aus diesem System kann es nicht geben. Tiefgreifende und unüberwindbare Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt dieser Richtlinien können nur durch eine Aufhebung der Mitgliedschaft in der Regierung des Ministers gelöst werden. Gerade diese weitreichenden Konsequenzen verdeutlichen die wichtige Bedeutung der Festlegung des Umfangs und seiner intensivsten Ausgestaltungsmöglichkeit von Seiten des Bundeskanzlers. Ein Eckpfeiler der Auslegung ergibt sich bereits aus Art. 65 S. 1 GG selbst. Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien „der Politik“. Das bedeutet, die Richtlinien müssen stets das Politische zum Gegenstand haben. „Richtlinien sind etwas Allgemeines, sowohl in dem Sinne, daß es sich um allgemeine Regeln handelt, wie in dem Sinne, daß diese Regeln nur die Richtung, das Prinzipielle, nicht schon die einzelne Sachentscheidung und den konkreten Fall betreffen.“ 223 Maßstab dafür, ob der zulässige Bereich bereits überschritten wurde, ist jener der Ausfüllungsnotwendigkeit. Sind die Richtlinien derart konkret, daß sie nur noch der direkten Umsetzung, schlichten Ausführung und mechanischen Anwendung bedürfen, so ist ein Raum für selbständige und eigenverantwortliche Leitung des Geschäftsbereichs für die Minister nicht mehr vorhanden. Die große Linie, die durch den Bundeskanzler vorgegeben wird, muß durch eigenständige Ideen, Entscheidungen und Maßnahmen des Bundesministers umgesetzt werden 224. Aus dem Gesagten wird deutlich, daß dem Bundeskanzler grundsätzlich keinerlei Eingriff in die Ressortleitung des Ministers zukommt. Sachlich-inhaltlich muß dieser die alleinige und allumfassende Kompetenz zur Leitung des Ministeriums innehaben 225. Die Leitung durch den Minister umfaßt dabei nach nahezu einhelligem Verständnis die Entscheidungsbefugnis über die Inhalte der Aufgabenerfüllung (Sachentscheidungszuständigkeit), Regelung der internen Organisation (Organisationsgewalt), Entscheidungen in Personalangelegenheiten (Personalgewalt) und die Haushalts- und Stellenplanung (Finanzgewalt) 226. Der Streit, ob sich diese Befugnisse
222 § 1 Abs. 1 S. 2 GOBReg: „Diese (die Richtlinien) sind für die Bundesminister verbindlich . . . “. Vgl. dazu auch § 1 Abs. 2 GOBReg: „Der Bundeskanzler hat das Recht und die Pflicht, auf die Durchführung der Richtlinien zu achten.“ 223 Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 206 f., wo er freilich auch darauf hinweist, daß in Ausnahmefällen das Prinzipielle in einer speziellen Sachfrage kulminieren kann, so daß Richtlinienkompetenz und einzelne Sachentscheidung zusammenfallen. Diese extremen Sonderfälle sollen an dieser Stelle aber für die erste und grundsätzliche Annäherung an den Begriff der Richtlinienkompetenz außer Betracht bleiben. 224 Vgl. dazu auch § 1 Abs. 1 S. 2 GOBReg: „Diese (die Richtlinien) sind . . . von ihnen in ihrem Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung zu verwirklichen.“ 225 Junker, Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, S. 81; Meyn, in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 65, Rn. 14 f.; Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 31; Schröder, in: Sachs, GG, Art. 65, Rn. 26 f., 30; Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, IV. 3. a) (S. 309).
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
unter dem Oberbegriff der Leitung direkt aus Art. 65 S. 2 GG ergeben, oder, wie Kritiker dieser Auffassung meinen, von Art. 65 GG vorausgesetzt werden, kann an dieser Stelle dahinstehen 227. Festzuhalten ist, daß Einigkeit über die grundsätzlich umfassenden Einwirkungsmöglichkeiten des Ministers besteht 228, auch und gerade vor dem Hintergrund der parlamentarischen Verantwortlichkeit, wie im weiteren Verlauf noch darzulegen ist. Die Personalgewalt konkretisiert sich in der Freiheit des Ministers, Personaleinstellungen, -beförderungen und -versetzungen grundsätzlich in selbständiger Entscheidung vorzunehmen. Die Personalgewalt als umfassende Kompetenz des Bundesministers ist auch aus der Betrachtung der Art. 58 S. 1 GG und Art. 60 Abs. 1 GG unmittelbar zu schließen. Danach ernennt der Bundespräsident u.a. die Bundesbeamten. Zu einer verfassungsrechtlichen Wirksamkeit dieser Ernennung bedarf das Staatsoberhaupt jedoch stets der Gegenzeichnung des jeweiligen Bundesministers. Hinzu kommt, wie bereits oben angedeutet, daß der Bundespräsident grundsätzlich an den Personalvorschlag des Ministers gebunden ist 229. Damit kann weder ohne noch gegen den Willen des Ministers ein ihm Weisungsunterworfener in ein Amt eingeführt werden. Durch den Ernennungsakt wird die zwischen dem Parlament und den Ministerialbehörden existierende Legitimationslücke überwun-
226 Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 36 f.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 333, mit jeweils weiteren Nachweisen. 227 Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (321, 326), behauptet, Art. 65 S. 2 GG bestimme nur die innere Struktur der Regierung, nicht aber den Umfang der Leitungsbefugnisse der Minister. Begründet wird dies u.a. damit, daß einige Landesverfassungen eine Trennung zwischen lückenlosem Ministerialsystem und interner Kompetenzverteilung in der Regierung vornehmen würden. Diese Behauptung wird indes treffend von Oebbecke, Weisungsund unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 26 f., durch den Nachweis widerlegt, daß die landesverfassungsrechtlichen Regelungen über die des Art. 65 GG hinausgehen. Des weiteren ist verfassungssystematisch bereits der gewählte Ansatz von Fichtmüller fraglich, da er nicht aufzeigt, warum das Grundgesetz anhand von Rückschlüssen aus den Landesverfassungen – zumal einzelnen – in diesem Sinne auszulegen ist. Im hier vertretenen Sinne auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 345. 228 Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der Verfassungsordnung der BRD, S. 77; Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, IV. 3. a) (S. 309); Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 344; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 644; vgl. für die Länderebene insoweit parallelgehend Dauster, Die Stellung des Ministers zwischen Regierungschef, Parlament und Regierung nach dem Verfassungsrecht der Länder, S. 306 ff. 229 Vgl. nur Jarass/Pieroth, GG, Art. 60, Rn. 1; Art. 58, Rn. 5.
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den 230. An dieser Stelle wirken Personalhoheit und Sachentscheidungskompetenz des demokratisch legitimierten Bundesministers zusammen. Die Beamten und Mitarbeiter der Referate und Abteilungen sind dem Minister allgemein weisungsunterworfen, können jedoch auch einzelne Anweisungen innerhalb ihres Sachbereiches erhalten 231. Ebenso ist es dem Minister grundsätzlich möglich, konkrete Vorgänge an sich zu ziehen oder an andere Stellen abzugeben. Aufgrund der allgemeinen Leitungsfunktion des Ministers besteht seine Hauptaufgabe im Koordinieren, Delegieren und Festlegen übergeordneter politischer Linien. Es liegt auf der Hand, daß ein – theoretisch mögliches – Ansichziehen von Aufgaben und Vorgängen selten ist und sich zumeist auf politisch gewichtige bzw. öffentlichkeitswirksame Fälle beschränkt. Andererseits gibt es neben dem Ministerium als oberster Bundesbehörde auch Aufgaben, die dem Minister funktionell unmittelbar zugewiesen sind, wie dies etwa, wie dargestellt, bei der Erteilung der Ministererlaubnis nach § 42 GWB der Fall ist. Innerhalb des Ministeriums untergliedern sich die zuständigen Stellen in Geschäftsbereiche, Abteilungen, Unterabteilungen und Referate. Diese mikro-hierarchische, bürokratische Struktur 232 versinnbildlicht in erhellender Weise den Aufbau der Ministerialverwaltung im Ganzen. Ebenso klar auf der Hand liegt damit die Tatsache, daß die bereits oben angesprochene arbeitsteilige Wirkungsweise dieser Struktur vorausgesetzt wird. Nur der kleinteilig verfaßte und spezialisierte Sachverstand kann zu im Einzelfall sachgerechten Lösungen führen. Dabei ist zum einen an eigenständige Entscheidungen und zum anderen an vorbereitendes Handeln zu denken 233. Sowohl die Zusammenarbeit untereinander als auch mit der 230 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionellen Selbstverwaltung, S. 352; Hohmann-Dennhardt, Schranken des Demokratieprinzips, in: Demokratie und Grundgesetz, S. 102 (108), gibt im Hinblick auf die Legitimationsketten den lapidaren „Hinweis“, daß aufgrund der Größe der Ministerien jene ihre Funktion nicht erfüllen könnten. Delegation von Entscheidungskompetenz sei ein notwendiges Leitungsinstrument innerhalb der hierarchischen Verwaltung. Inwieweit dies jedoch einer klaren Verantwortungszuweisung im Rahmen der legitimatorischen Ableitung abträglich sein soll, bleibt offen. 231 Das Einzelweisungsrecht des Ministers war im Entwurf von Herrenchiemsee noch ausdrücklich enthalten, wurde aber später bei der Beratung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates wegen seiner Selbstverständlichkeit weggelassen. Siehe dazu den Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee v. 10. bis 23. August 1948, S. 78 (Art. 112) sowie die Aufzeichnungen über die Verhandlungen des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates 1948/1949, S. 190 (zu Art. 112), Nachweis bei Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (322, Fn. 153 f.). 232 Vgl. hierzu nur das Organigramm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit, z.B. unter www.bmwi.de/Redaktion/Inhalte/Downloads/Organisationsplan-BMWA,templateId=download.pdf; Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 212; Kriele spricht insofern auch von einer besseren Zweckerfüllung des Ministeriums, wenn es nicht demokratisch, sondern bürokratisch organisiert ist, VVDStRL 29 (1971), 46 (76). 233 Kölble, DÖV 1969, 25 (28).
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übergeordneten Stelle ist dabei oftmals Bedingung, um diesen Sachverstand zu bündeln, zu koordinieren und in ein einheitliches Gefüge zu ordnen, unabhängig von etwaigen konkreten Verpflichtungen oder Usancen, die vorgesetzte Behörde zu beteiligen 234.
II. Die Ministerverantwortlichkeit 1. Der Bundesminister in seiner Beziehung zum Parlament a) Demokratische Legitimation der Bundesminister In Anknüpfung an die hierarchische Gliederung und Darstellung der Einwirkungsmöglichkeiten des Bundesministers auf den ihm zugeordneten Verwaltungsunterbau stellt sich die Frage nach der demokratischen Legitimation des Ministers selbst. Nur wenn der Minister seinerseits über ein ausreichendes demokratisches Fundament verfügt, kann es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein, ihm die alleinige Leitung eines Ministeriums anzuvertrauen und so die Ausübung von Staatsgewalt an exponierter Stelle und in potenzierter Form zu ermöglichen, ja sogar die Ausübung von ihm zu verlangen. Die personelle demokratische Legitimation entstammt der Ernennung zum Bundesminister durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundeskanzlers. Damit wird der Bundesminister zwar nicht unmittelbar vom Parlament gewählt und erhält somit auch keine unmittelbar parlamentsvermittelte Legitimation. Jedoch ist klar ersichtlich, daß der Minister auf diesem Wege an der Legitimation teilhat, die ihm durch den Bundeskanzler und den Bundespräsidenten zukommt. Der Minister führt als oberster Leiter seine Behörde „selbständig und unter eigener Verantwortung“, Art. 65 S. 2 GG. Angesichts dieser auf den ersten Blick klaren und rigiden Absage an eine parlamentarische Einflußnahmemöglichkeit liegt der Gedanke nahe, das Vorliegen einer sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation für den Bundesminister zu verneinen. Bei einer solchen Annahme bliebe aber die grundsätzliche und selbstverständliche Bindung der Minister an die vom Bundestag erlassenen Gesetze außer Betracht. Alle Handlungen und Anordnungen des Ministers und seines Verwaltungsapparates müssen sich im Rahmen dieser Normierungen bewegen und diese Handlungen sind – wie zu zeigen sein
234 Verpflichtungen der genannten Art finden sich beispielsweise in dem die Zeichnungsbefugnis regelnden § 17 Abs. 1 GGO: „(1) Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeichnen die von ihnen verfassten Schriftstücke grundsätzlich selbst. Vorgesetzte zeichnen, soweit dies in Rechts- und Verwaltungsvorschriften vorgeschrieben ist, es sich aus der Bedeutung der Sache ergibt oder soweit sie sich die Zeichnung in besonderen Fällen vorbehalten haben. (2) . . . “.
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wird – intensiver Kontrolle durch das Parlament unterworfen 235. Ein Ausbrechen aus diesem Rahmen unter Hinweis auf die „Selbständigkeit“ des Ministers gemäß der Verfassung ist nicht tolerabel. Zuzugeben ist dabei, daß eine große Eigenständigkeit des Kabinetts und der einzelnen Bundesminister existiert, innerhalb dieser Gesetze frei zu bestimmen und keine konkreten Handlungsvorgaben erfüllen zu müssen. Ohne diese Weisungs- und Handlungsfreiheit kann indes eine funktionstaugliche Regierung nicht gedacht werden. In eben dieser (begrenzten) Autonomie drückt sich die Existenzberechtigung einer Regierung, der Staatsleitung schlechthin aus. Ohne diese Trennung und Freiräume würden die Grenzen zwischen Legislative und Gubernative und folgend auch der Administrative verschwimmen. Das bedeutet, im Konzept des Grundgesetzes ist eine ausreichende sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation der Bundesminister durch die Gesetzesbindung verwirklicht. Im Anschluß an eine Äußerung von Friesenhahn kann man auch überspitzt davon sprechen, daß ein Staat zwar ohne Parlament, nicht jedoch ohne Regierung existieren kann 236. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß auch die Bundesminister durch die konkrete Einrichtung und Ausformung der Regierung in den Art. 62 ff. GG als Spitze der vollziehenden Gewalt wie sie in Art. 20 Abs. 2 GG garantiert ist, an der Legitimation teilnehmen. Das Grundgesetz garantiert die Existenz der vollziehenden Gewalt und ihre Ausübung durch „besondere Organe“. Damit aber wird der Regierung und ihren Mitgliedern funktionelle und institutionelle demokratische Legitimation zuteil. Diese Legitimation wird grundlegend ergänzt durch die vorgängig aufgezeigten Wege der organisatorisch-personellen und sachlichinhaltlichen demokratischen Legitimation. b) Die Grundsätze der Ministerverantwortlichkeit aa) Historische Wurzeln der Ministerverantwortlichkeit – Entwicklung in Großbritannien und Frankreich und Ableitungen daraus für Deutschland Der Gedanke einer verantwortlichen Regierung als eigenständiges Subjekt und zugleich Zusammenfassung einzelner dem Parlament gegenüber verantwortlicher Minister ist keine systembezogene Neuerung des demokratischen Rechtsstaates, sondern Fortentwicklung eines Instituts, das sich bereits im konstitutionellen Staat 235 Emde, Die demokratische Legitimation in der funktionalen Selbstverwaltung, S. 342, weist zu recht darauf hin, daß die Kontrollrechte des Parlaments demokratische Legitimation vermitteln. Danach stellt die Verantwortlichkeit der Bundesminister aus der Perspektive des Gebots demokratischer Legitimation das Pendant zu ihren Leitungsrechten dar und bildet den Schlußstein ihrer eigenen sowie der Legitimation der ihnen nachgeordneten Funktionsträger. 236 Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 9 (12).
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
ausgebildet hatte und dessen Wurzeln sogar in die vorkonstitutionelle Zeit zurückreichen. Bereits im 19. Jahrhundert wurde die rechtliche und rechtspolitische Frage nach der Verantwortungsübernahme für hoheitliches Handeln gestellt 237. Dabei sind – wie in den meisten politischen und staatsrechtlichen Bereichen dieser Zeit – gravierende Impulse auch für das Deutsche Reich von den geographisch und politisch stärker geeinten Staaten England und Frankreich ausgegangen. In diesen im Vergleich bereits sehr früh zentralistisch regierten Ländern konnte sich schon bald ein Gegengewicht zum alleinigen Herrscher etablieren und auch im Wege der (drohenden) Verantwortlichkeit Kontrolle ausüben. In England entwickelte sich eine Form der „Verantwortlichkeit“ zunächst aus dem Recht des Parlaments, die Räte des Königs wegen Verfehlungen anzuzeigen und nachfolgend im Großen Rat im Beisein des Königs Rede und Antwort stehen zu lassen. Aus diesem Anfang des 12. Jahrhunderts begonnenen Verfahren wurde im Laufe der Zeit eine gefestigte Institution, die zur formellen Anklage königlicher Räte und Beamten, dem sog. impeachment, wurde. In den Verfahren, die durchaus nicht nur rechtstheoretischen Charakter besaßen, sondern auch in der Staatswirklichkeit umfassend genutzt wurden, vertrat das Unterhaus die Anklage, während das Oberhaus (zunächst im Zusammenwirken mit dem König) die Gerichtsfunktion exerzierte 238. Zu beachten gilt dabei, daß es sich bei diesen frühen Formen der Rechenschaftsablegung nicht um eine parlamentarische Kontrolle mit lediglich mahnenden oder rein politischen Folgen handelte, sondern der Urteilsspruch immer ein Strafurteil enthielt. Dieses konnte vom reinen Verlust des Amtes über die Verbannung bis hin zur Todesstrafe reichen. Um im Einzelfall zum gewünschten Ergebnis einer Verurteilung zu gelangen, wurde neben einer extensiven Auslegung bestehender Normierungen und Rechtsprechungsgrundsätze zuweilen sogar das Mittel der nachträglichen Gesetzeskreation ergriffen. In diesen Gesetzen wurde das konkret zu beurteilende Verhalten als strafbares im Sinne des Common Law festgeschrieben. Im Fluß dieser Entwicklung wurde auch der Grundsatz statuiert, daß ein Minister nicht lediglich für die Gesetzmäßigkeit seiner eigenen Handlungen resp. derer seiner Untergebenen, sondern auch für die Zweckmäßigkeit diesbezüglich einzustehen habe. Durch diesen Grundsatz trat neben die Möglichkeit der extensiven Auslegung auch die Option, Verantwortlichkeit aufgrund (vermeintlicher) politischer Verfehlungen rechtswirksam geltend zu machen. Aufgrund der Unfehlbarkeit, zumindest aber Unantastbarkeit, des Königs mußten die hohen Beamten und Minister nicht nur für ihr eigenes Handeln und Wirken sowie für das der ihnen unterstellten Exekutive, sondern auch für solches des Königs einstehen 239. Sofern gewagt wurde, Weisungen oder Handlungen des Königs anzugreifen, mußte nach einem anklagbaren Einwirken eines Ministers gesucht werden, um zu einer Verurteilung desselben zu gelangen.
237 Greve, Die Ministerverantwortlichkeit im konstitutionellen Staat, S. 30; vgl. zum folgenden auch Schambeck, Die Ministerverantwortlichkeit; Popp, Ministerverantwortlichkeit und Ministeranklage im Spannungsfeld von Verfassungsgebung und Verfassungswirklichkeit; Dauster, Die Stellung des Ministers zwischen Regierungschef, Parlament und Regierung nach dem Verfassungsrecht der Länder. 238 Vgl. Greve, Die Ministerverantwortlichkeit im konstitutionellen Staat, S. 32, mit verschiedenen Beispielen über Gerichtsverfahren, ab dem Jahre 1376. 239 Greve, Die Ministerverantwortlichkeit im konstitutionellen Staat, S. 33, unter Zitierung des Ausdrucks „the king can do no wrong“.
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Auch in Frankreich war Ausgangspunkt der historischen Entwicklung einer möglichen Ministerverantwortlichkeit die beherrschende, unantastbare und über den Gesetzen stehende Person des Königs 240. In gezwungener Anerkennung der höchsten und unberührbaren Autorität des Königs verlangte das gesteigerte Selbstverständnis des Bürgertums und des Parlaments zumindest an anderer Stelle nach einer verantwortlichen und erreichbaren Personifizierung der ausführenden und lenkenden Staatsgewalt. Bestand diese Verantwortlichkeit zunächst auch nur symbolisch gegenüber dem König selbst, so sah die nachrevolutionäre Verfassung von 1791 das Recht des Parlaments zur Ministeranklage ausdrücklich vor. Auch diese Anklage hatte – in Parallele zu der englischen Rechtslage – rein strafrechtlichen Charakter 241. Abweichend hiervon statuierte indes die folgende Verfassung aus dem Jahre 1799 die Zuweisung der Geltendmachung der Ministerverantwortlichkeit im Klageweg an die ordentliche Gerichtsbarkeit, unabhängig von strafrechtlichen Gesichtspunkten, die auch weiterhin getrennt geltend gemacht werden konnten.
Bereits im Mittelalter eingeführtes Symbol der durch den Minister übernommenen Verantwortung war die Gegenzeichnung der Gesetze, welche zuvor durch den König unterzeichnet worden waren. Entstanden war diese Visualisierung der Verantwortungsübernahme aus der Aufbewahrung und Nutzung des königlichen Siegels durch den Kanzler. Der Minister hatte zwar ein förmliches Widerspruchsrecht gegenüber dem König. Dessen ungeachtet konnte der König den Kanzler resp. Minister anweisen, das Gesetz gegenzuzeichnen. Bemerkenswert dabei ist jedoch, daß der Kanzler durch die Äußerung des Protests aus der Verantwortung entlassen wurde 242. Für jede freiwillige Gegenzeichnung übernahm der Kanzler somit bewußt und rechtlich verbindlich die Verantwortung, die infolgedessen durch das Parlament ihm gegenüber aktualisiert werden konnte. Im vorkonstitutionellen deutschen Kaiserreich bestand übergeordnet und entgegen der politischen und geographischen Zersplitterung und Eigenständigkeit der Fürstentümer nach Reichsrecht die Möglichkeit, die Landesherren vor den Reichsgerichten anzuklagen. Berechtigte Kläger waren die damaligen Landstände, die im Falle der Anklage ihres Landesherren eine Verletzung ihrer ständischen Rechte durch rechtswidrige Überschreitung seiner Regierungsgewalt geltend machen mußten. Bei einer Klage wegen rechtswidrigen Verhaltens des Landesherren selbst, mußte unmittelbar das Reichsgericht angerufen werden, während es bei einer Klage wegen Fehlverhaltens eines Ministers oder sonstigen Beamten zuerst zu einem Verfahren vor dem Landesherren kam. Erst wenn dieser ein Verfahren ablehnte oder eine Verletzung für nicht gegeben hielt, konnten die Landstände ein Reichsgericht anrufen. Besonderheit dabei war, daß Klagegegner bei diesem zweistufigen System vor dem Reichsgericht nicht mehr der konkrete Minister oder
240
Greve, Die Ministerverantwortlichkeit im konstitutionellen Staat, S. 33 ff. Greve, Die Ministerverantwortlichkeit im konstitutionellen Staat, S. 35. 242 Schambeck, Die Ministerverantwortlichkeit, S. 17, mit Verweis auf die bereits im römischen Kaiserreich bestehende Wirksamkeitsvoraussetzung der Unterzeichnung kaiserlicher Befehle durch den Quästor. 241
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
Beamte des Ausgangsverfahrens, sondern vielmehr der Landesherr selbst war, da dieser durch seine negative Bescheidung auf die Beschwerde der Landstände hin die Verantwortung für das von ihm gebilligte Verhalten seiner Untergebenen übernahm. Ohne daß es sich bei den Landesherren um Minister des Kaisers handelte, ist – unabhängig von der konkreten Ministerverantwortlichkeit – zu erkennen, daß bereits im vorkonstitutionellen Deutschland der Drang nach einer sichtbaren, einklagbaren Verantwortlichkeit für politisches Handeln ausgeprägt bestand. Dieser Drang brach sich im Konstitutionalismus weiter Bahn, als auch im Deutschen Reich an die Verantwortlichkeitsregelungen Frankreichs und Englands angeknüpft wurde. Vor dem geschichtlichen Hintergrund und der zum Teil erheblichen Autarkie der deutschen Einzelstaaten ist indes nachvollziehbar, daß die Schaffung und Ausformung der Ministerverantwortlichkeit zeitlich versetzt und auch inhaltlich differenziert vor sich ging. So wurde im Königreich Westfalen am 15. November 1807 und damit bereits vor dem Wiener Kongreß eine Verfassung erlassen, die eine Ministerverantwortlichkeit in Form der Verantwortlichkeit der Minister gegenüber dem König vorsah 243. Gleiches gilt für die Bayerische Verfassung vom 1. Mai 1808 244. Nach dem Abschluß der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongreß war die Verfassung des Staates Sachsen-Weimar-Eisenach vom 5. Mai 1816 die erste, die eine Ministerverantwortlichkeit in der Weise vorsah, daß die Landstände den Minister direkt und ohne späteren Übergang auf den Landesherren zur Verantwortung ziehen konnten. Durch Einrichtung dieser Klagemöglichkeit vor einem ordentlichen Gericht war erstmalig eine direkte Ministeranklage auf deutschem Boden verfassungsrechtlich vorgesehen. Sowohl in den frühen Verfassungen als auch in den nachfolgend erlassenen, war das Institut der Ministerverantwortlichkeit bzw. der Ministeranklage parallel zum britischen System grundsätzlich strafrechtlich orientiert. Auch wenn das Urteil auf Verlust des Amtes lauten konnte, folgten politische Konsequenzen überwiegend dem Strafspruch, ohne durch das Gericht selbst neben dem Strafausspruch festgelegt zu werden. 243 Aufgrund der Verantwortlichkeit vor dem König (Art. 20) und nicht vor einem Parlament will Greve diesen Zustand nicht als gesetzliche Festlegung der „Ministerverantwortlichkeit“ anerkennen; vgl. Die Ministerverantwortlichkeit im konstitutionellen Staat, S. 37. Diese Sicht stellt sich jedoch als zu eng dar, da auch eine Rechenschaft, die vor dem König zu leisten ist, eine politische Verantwortungsübernahme kennzeichnet, vgl. Schambeck, Die Ministerverantwortlichkeit, S. 18. Zudem geht es um die Entwicklungsstufen der Ministerverantwortlichkeit, zu welchen die konkrete Verantwortlichkeit, festgelegt in einer Verfassung, fraglos zählt. Greve bezeichnet seine Definition der Ministerverantwortlichkeit im Fortgang konsequent, wenn auch indirekt, als „Ministerverantwortlichkeit im engeren Sinne“, S. 38. 244 Titel III, § 1 S. 5 BayVerf vom 1. Mai 1808: „Die Minister sind für die genaue Vollziehung der königlichen Befehle sowohl als für jede Verletzung der Constitution, welche auf ihre Veranlassung oder ihre Mitwirkung stattfindet, dem Könige verantwortlich.“
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Erst 1831 wurde die Amtsenthebung der Minister in § 100 S. 2 der Verfassung des Kurfürstentums Hessen für den Fall eines gerichtlich festgestellten Verfassungsverstoßes vorgesehen und damit eine Verlagerung des Fokus der Ministerverantwortlichkeit auf den politischen Aspekt vorgenommen 245. Wie oben bereits angeklungen, entstand das Geflecht von Herrscherwillen resp. dessen Durchsetzung und der dafür zu tragenden Verantwortung aus der Gegenüberstellung der Unangreifbarkeit des Herrschers („the King can do no wrong“) und der ihm abgetrotzten Einfluß- bzw. Kontrollmöglichkeit der Stände bzw. des Parlaments. Die Prämisse der Unangreifbarkeit des Staatsoberhaupts wurzelt, so wurde angenommen, in der Herrschaftslegitimation des Gottesgnadentums 246. Ein von Gott direkt eingesetzter Herrscher mußte ohne Fehler sein, war seine Herrschaft als Gesamtschau aller Einzelentscheidungen fehlerlos. Aber auch andere Sichtweisen für die Begründung der Nicht-Verantwortlichkeit wurden vertreten, wie etwa die Stärkung der Integrations- und Regierungsfähigkeit des Herrschers, oder die schlichte herrschaftliche „moralische Unfähigkeit“, Schlechtes für sein Volk zu wollen oder aber das Fehlen von Ingerenzmöglichkeiten aufgrund Zuweisung bloßer Repräsentationsaufgaben 247. Unabhängig davon, welcher Theorie man hierbei folgen mag, ist jedenfalls festzustellen, daß die Nicht-Verantwortlichkeit des Herrschers allgemein anerkanntes Gut und selbstverständlich vorausgesetzte Prämisse für die Entwicklung der Ministerverantwortlichkeit war. Ein politisches System aber, in dem Herrscher und Parlament zusammengebunden sind, den Staat zum Wohle des Volkes zu lenken und zu organisieren, kann die Exekutive nicht gänzlich von Kontrolle freistellen. Ein Unterschied zur absoluten Herrschaft des Souveräns wäre nicht mehr zu erkennen und die Staatsform der konstitutionellen Monarchie lediglich eine leere Hülle, da der konstitutionelle Teil seine ihm zugewiesene Aufgabe nicht wahrnehmen könnte. Da der Herrscher als Spitze der Exekutive nicht erreichbar ist, muß dieses System auf die erste und höchste Stelle als Adressat der Kontrolle zurückgreifen, der die Verfassung keine Unangreifbarkeit zubilligt. Diese Stelle aber ist die der Ministerriege. Dabei geht es um die eigene Verantwortung der Minister für ihre eigenen Handlungen resp. Unterlassungen, nicht etwa um solche des Monarchen 248. In bezug auf das Verhältnis zum Herrscher wurde dieser in seinen Rechten durch das Instrument
245 Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung u.a. Monz, Die parlamentarische Verantwortlichkeit im deutschen Staatsrecht einst und heute, S. 15 ff. 246 Greve, Die Ministerverantwortlichkeit im konstitutionellen Staat, S. 43. 247 Zu den einzelnen Denkansätzen vgl. Greve, Die Ministerverantwortlichkeit im konstitutionellen Staat, S. 43 f.; ausführlich auch Popp, Ministerverantwortlichkeit und Ministeranklage im Spannungsfeld von Verfassungsgebung und Verfassungswirklichkeit, S. 21 ff. 248 Greve, Die Ministerverantwortlichkeit im konstitutionellen Staat, S. 45 f.
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
der Gegenzeichnung derart beschnitten, daß dies den primären staatsrechtlichen Anknüpfungspunkt für eine Verantwortungsübernahme bildet. Sieht sich der Minister aus rechtlichen Gründen nicht in der Lage, einen Akt des Herrschers zu unterzeichnen, so wird dieser nicht wirksam. Zwar kann der Monarch sodann einen zeichnungswilligen Minister installieren, dieser übernimmt durch die Gegenzeichnung aber die volle Verantwortung für diesen Hoheitsakt und unterwirft sich der Kontrolle durch das Parlament. Da die Unterschrift unabdingbare Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit der monarchischen Handlung ist, erscheint die Verantwortungsübernahme als adäquates Korrelat der Exekutivmacht der Minister. Mit der Unterschrift erkennt der Minister den Akt als rechtmäßig an und nimmt den Inhalt in seinen Willen auf. Damit entstammt der Hoheitsakt der Zurechnungsebene des Ministers und bietet damit die Basis für die parlamentarische Kontrolle 249. Eine so verstandene Ministerverantwortlichkeit bildete den „Schlußstein des Konstitutionalismus“ 250. Der langwierig und schmerzvoll errungene Anteil an der Staatsmacht, wie er in der Verfassung niedergelegt war, sollte durch das Instrument der Ministerverantwortlichkeit geschützt werden. Jeder Verstoß gegen Gesetz oder die Verfassung mußte aus diesem Grund durch das Repräsentativorgan des Volkes geahndet werden können. Der neben dem unangreifbaren Monarchen mit-leitende Minister mußte als wesentlicher Teil der Exekutive stets rechtlich erreichbar sein, um so die „juristisch widersinnige Stellung des obersten Staatsorgans“ 251 – wenigstens teilweise – zu kompensieren. Für die in seiner amtlichen und politischen Funktion vorgenommen Handlungen mußte sich der Minister rechtsverbindlich gegenüber dem Parlament und gegebenenfalls auch vor dem Staatsgerichtshof verantworten. Dem Parlament standen zum einen das Fragerecht, Petitionsrecht und das Recht zur Ministerzitierung, zum anderen das Recht, dem Minister das Mißtrauen auszusprechen, zur Verfügung. Letztere Option gab dem Parlament ein scharfes Schwert der Kontrolle in die Hand.
249
Greve, Die Ministerverantwortlichkeit im konstitutionellen Staat, S. 47. Dallinger, Die Ministeranklage in der Geschichte des bayerischern Verfassungsrechts, S. 59; v. Frisch, Die Verantwortlichkeit der Monarchen und höchsten Magistrate, S. 104; Maurer, Die Ministerverantwortlichkeit in konstitutionellen Monarchien, S. 6; Passow, Das Wesen der Ministerverantwortlichkeit in Deutschland, S. 40 f.; Putzrath, Die Ministerverantwortlichkeit nach früherem und heutigem Reichs- und Landesstaatsrecht, S. 39; Badura, ZParl. 11 (1980), 573 (575): „Durch die Ministerverantwortlichkeit wurde die Monarchie zu einer konstitutionellen Staatsform, wurde das Ministeramt zu einer staatsrechtlichen Institution. Der Minister erlangte dadurch eine selbständige, in der Verfassungsordnung begründete und der Garantie der verfassungsmäßigen Regierung dienende Stellung.“; dazu auch Hoffmann, Monarchisches Prinzip und Ministerverantwortlichkeit, S. 54 ff. 251 V. Frisch, Die Verantwortlichkeit des Monarchen und höchsten Magistrate, S. 183. 250
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Die Ministeranklagen vor dem Staatsgerichtshof hatten, wie erläutert, überwiegend strafrechtlichen Charakter, konnten jedoch auch direkt auf das politische Wirken des Ministers Einfluß nehmen, indem sie zu einer Änderung der Politik zwangen oder zum Verlust des Amtes führten. In der Entwicklung zum modernen Staat gewann das Politische, vor allem im Sinne der parlamentarischen Verantwortlichkeit, immer mehr an Bedeutung. Ging es doch um den Schutz der Verfassung und Gesetze vor Verstößen von höchster Stelle, mußte in erster Linie die klare politische Zuordnung vorhanden sein und gegebenenfalls strikt sanktioniert werden. bb) Die Ministerverantwortung im parlamentarischen Regierungssystem grundgesetzlicher Prägung Der Gedanke der Kontrolle spielt bei dem Gegenstand der Staatswillensbildung eine wesentliche Rolle. Ziel und Zweck der Einrichtung eines Kontrollorgans ist zum einen, den Mißbrauch der staatlich verliehenen hoheitlichen Gewalt mit größtmöglicher Sicherheit zu verhindern. Zum anderen aber steht hinter der Kontrolle nicht nur der Schutz vor Mißbrauch, sondern auch das Bemühen, durch Überprüfung in eine bestimmte Richtung entscheidungslenkend tätig zu werden und somit Fehler zu erkennen, zu korrigieren und für die Zukunft zu vermeiden 252. Das hier zu betrachtende Verhältnis spielt zwischen den Institutionen Regierung und Parlament; damit handelt es sich um eine Inter-Organ-Kontrolle 253 und nicht um eine intra-organschaftliche Beziehung, wie dies etwa der Fall wäre, wenn ein Minister durch einen Kabinettsauschuß zur Rechenschaft gezogen würde. Dabei ist die parlamentarische Kontrolle, ebenso wie die gerichtliche, eine repressive. Unter der Geltung des Grundgesetzes sind die Bundesminister zum einen Mitglieder des Kollegialorgans Bundesregierung und tragen folglich auch für die in diesem Gremium getroffenen Entscheidungen die Verantwortung. Zum anderen sind sie aber auch, wie erläutert, zur selbständigen Leitung ihres Ressorts unter eigener Verantwortung berechtigt und verpflichtet. Damit bringt Art. 65 S. 2 GG die Ressortverantwortung des Ministers unmißverständlich zum Ausdruck. Im Fokus der nachfolgenden Untersuchung soll dabei nicht die Verantwortung des Ministers als Teil des Kollegialorgans Bundesregierung stehen, auch wenn diese zum Teil zur Abgrenzung benötigt wird, sondern die konkrete Verantwortlichkeit für die Stellung als Ressortchef, da es bei Befangenheit und Stellvertretung eventuell zu Friktionen im Bereich der demokratischen Legitimation unter dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit kommen kann. Diese möglichen Friktionen stehen indes im Zentrum des Interesses der vorliegenden Arbeit.
252 253
Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 350. Vgl. zu dieser Terminologie Loewenstein, Verfassungslehre, S. 167 ff.
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
Die Rückbindung der Minister an das Parlament ist die Ausformung des demokratischen Prinzips, indem es durchweg eine zumindest mittelbare Abhängigkeit in organisatorischer, personeller und budgetmäßiger Weise schafft und die rechtliche und politische Kontrolle umfassend gewährleistet 254. Der Regierung insgesamt und den Ministern als Leiter der Ministerien im einzelnen stehen bei der Bestimmung der politischen Linien große Freiräume zur Verfügung. Konkrete Befehle für die Minister bezüglich ihrer ministeriellen Organisation und Amtsführung gibt die Verfassung nicht. Eine solche Aufgabe kann die Verfassung bereits nicht leisten. Die Fülle und Komplexität der mosaiksteinartigen Einzelaufgaben, die sich zum großen Bild der Staatsleitung zusammenfügen, liegen weit außerhalb normativer Erreichbarkeit. Neben diesen Zustand der faktischen Unmöglichkeit, die Amtsführung detailliert vorherzubestimmen, tritt gleichbedeutend der Umstand, daß eine solche Regelungsfülle keineswegs erstrebenswert ist. Die Freiheit, politische Entscheidungen zu treffen und diese durch den untergeordneten Exekutivapparat umsetzen zu lassen, ist zentraler Bestandteil der ministeriellen Leitungsbefugnis. Die Visionen der Spitze, sowohl parteipolitisch als auch personell geprägt, bringen mit jeder Neubesetzung des Ministeramtes die Gelegenheit für Entwicklung und Verbesserung. Konkrete Bindungen durch die Verfassung würden auf dieser Ebene innovationshemmend und damit im Endeffekt staatswohlreduzierend wirken 255. Die Exekutivspitze ist daher richtungsbestimmend lediglich an die Staatszielbestimmungen und übergeordneten Staatszwecke gebunden. Vor diesem Hintergrund erscheint es berechtigt, davon zu sprechen, daß die Verwaltung der Gesetzeskonkretisierung und die Regierung der Verfassungskonkretisierung dient 256. Damit ersetzt die Ministerverantwortlichkeit als besondere parlamentarische Verantwortlichkeit auch die disziplinarische Verantwortlichkeit, wie sie für alle Exekutivbeteiligten gilt, nicht aber für die Ressortleiter. In diese Verantwortlichkeit fallen sowohl Verfassungs- und Gesetzesverletzungen als auch politische Fehlentwicklungen, die auf Entscheidungen des individuellen Ministers beruhen 257. Parlamentarische Verantwortung meint in diesem Zusammenhang nicht nur die Pflicht, Rechenschaft leisten zu müssen, sondern weitergehend auch das Einstehenmüssen für die Amtsführung mit unter Umständen gravierenden personellen Konsequenzen bei Fehlern oder Fehlentwicklungen. Ob die Konsequenzen aus
254 Kriele, VVDStRL 29 (1971), 46 (63); vgl. zum ganzen auch Leibholz, Die Kontrollfunktion des Parlaments, S. 295 ff., in: ders.: Strukturprobleme der modernen Demokratie. 255 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 626 weist zu recht darauf hin, daß die Knappheit der verfassungsrechtlichen Normierungen jene Elastizität und Dynamik ermöglicht, die gerade die Funktion der Regierung kennzeichnet. 256 Schambeck, Die Ministerverantwortlichkeit, S. 15. 257 Schambeck, Die Ministerverantwortlichkeit, S. 24 f.
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freiem Entschluß, aus ehrlichen und moralischen oder parteitaktischen Gründen gezogen werden, spielt für die Beurteilung der Wirksamkeit des Systems keine wesentliche Rolle. Denn auch wenn der Minister durch z.B. den Bundeskanzler zum Rücktritt bewegt wird, spiegelt sich darin nicht unbedingt die eigene moralische Überzeugung des Kanzlers wider sondern vielmehr die Angst der Ausstrahlung des untragbaren Ministers auf das gesamte Kabinett, was zu einer Regierungskrise und schlußendlich zu einem Mißtrauensvotum führen könnte. Auch wenn – wie weiter unten zu zeigen sein wird – die Zahl der Mißtrauensvoten extrem gering ist, so sorgt doch oftmals bereits die Furcht vor der Ausübungsmöglichkeit des Parlaments für eine interne Regelung über das Ausscheiden des betreffenden Ministers „aus freien Stücken“, so daß sich das Zwangsmittel des parlamentarischen Einstehenmüssens mittelbar verwirklicht hat. Die Verantwortlichkeit im parlamentarischen Regierungssystem ist mehr als die bloß konkrete Einwirkung der Volksvertretung auf Bundeskanzler und Bundesminister. Parlamentarische Verantwortlichkeit ist ein Grundprinzip des parlamentarischen Regierungssystems, welches bei sämtlichen Fragen der Regierungstätigkeit und Staatsleitung unabdingbare Berücksichtigung verlangt. Die parlamentarische Kontrolle ist damit die Korrespondierende zur Ministerverantwortlichkeit 258. cc) Das Parlament als kontrollierender Widerpart des Bundesministers Die Überprüfung der Bundesregierung und der Bundesminister im einzelnen kommt in der Bundesrepublik Deutschland dem Parlament als oberstem Kontrollorgan zu 259. Unabhängig von Parlamentsmehrheiten und deren Widerspiegelung in der Regierungsbesetzung besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der Regierung und diesem Kontrollorgan. Die Regierung steht als Spitze der Exekutive zugleich dem Parlament, also der Opposition und der Mehrheit, gegenüber 260. Der Bundestag wählt den Bundeskanzler und vermittelt diesem somit auf direktem Wege demokratische Legitimation. Durch die Wahl wird der Bundeskanzler seinerseits zum legitimen Träger und Medium demokratischer Legitimation, die er durch Vorschlag zur Ernennung seiner Minister an diese weiterreicht. Er reicht Legitimation weiter, ohne dabei eigene einzubüßen.
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Schambeck, Die Ministerverantwortlichkeit, S. 15. Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 25, spricht auch von einem Gegenüber von kontrollierendem Organ und „Verantwortungsschuldner“. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 96, spricht parallel vom Parlament als „Verantwortungsgläubiger“; Böckenförde, in: FS Eichenberger, 1982, S. 301 (314 f.). 260 BVerfGE 10, 4 (17, 19); Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 28, spricht von einer kritischen Distanz zwischen Kontrollierenden und Kontrollierten. 259
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
Die so legitimierte, parlamentarische Regierung 261 unterliegt der politischen Kontrolle durch das Parlament, das die Richtungsvorgaben und politischen Leitideale angreifen kann. Eine gerichtliche Kontrolle der konkreten Verantwortlichkeit ist auf Bundesebene nicht vorgesehen. Ebenso kann hinsichtlich eventueller Informations- oder Kontrollrechte des Bundesrates wie beispielsweise die Rechnungslegung nach Art. 114 Abs. 1 GG oder das Anwesenheitsverlangen von Regierungsmitgliedern nach Art. 53 S. 1 GG in Bezug auf dieses Verfassungsorgan nicht von einer parlamentarischen Ministerverantwortlichkeit gesprochen werden. Der Bundesrat als Ländervertretung ist nicht Parlament und handelt es sich deshalb bei den genannten Rechten ausschließlich um Informationsrechte, die aus dem Bundesstaatsprinzip herrühren 262. Das bedeutet, daß trotz der Möglichkeit der Geltendmachung verfassungsrechtlicher Zugriffsrechte gegenüber der Regierung durch dieses oberste Bundesorgan, nicht von einer parlamentarischen Verantwortlichkeit der Minister gesprochen werden kann. Dieser Bereich ist dem Bundestag vorbehalten. Die Ministerverantwortlichkeit wird durch das Parlament geltend gemacht. Dies aber bedeutet gleichzeitig auch, daß dies vor dem Parlament als Vertreter des Volkes, der Öffentlichkeit, geschieht. Parallel zu dieser Vertretung ist das Parlament aber auch physisch offen für interessierte Bürger sowie die Medien als Multiplikator. Darin spiegelt sich ein wesentliches Element der Ministerverantwortlichkeit wider: Darstellung der Handlungen, Unterlassungen und Akte des Ministers und seiner Verwaltung vor den Augen der Öffentlichkeit. Zwar können die Kontrollrechte selbst nur durch die gewählten Repräsentanten des Volkes geltend gemacht werden, aber die öffentliche Information über die Vorgänge innerhalb der Regierung und die Reaktion des Parlaments, insbesondere der Oppositionsfraktionen, sind elementarer Bestandteil der Demokratie. Die Staatsleitung verliert ihre Distanz zugunsten von Transparenz. Nur so können mitunter weitreichende Entscheidungen umfassend dargestellt werden, die bei einer einseitigen Information durch beispielsweise Presseerklärungen der Bundesregierung nicht die adäquate Resonanz in der Bevölkerung finden würden. Gerade auch im Hinblick auf die Wahrnehmung der Grundrechte der Meinungsfreiheit und des Versammlungs- und Demonstrationsrechts ist es in einem demokratisch verfaßten Staat unabdingbar, den Bürgern eine breite Basis für ihre Meinungsbildung zu liefern 263. Unter Umständen vermag eine Stimmungsmessung in der Bevölkerung, ob durch Meinungsumfragen oder Massende-
261 Badura, ZParl 11 (1980), 573, definiert den Begriff der parlamentarischen Regierung als Staatsleitung durch eine vom Vertrauen der Parlamentsmehrheit getragene und dem Parlament verantwortliche Regierung. 262 Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 53, Rn. 6; Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 11; Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 27. 263 Vgl. nur BVerfGE 62, 230 (247); 71, 206 (219 f.); 76, 197 (208 f.).
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monstrationen, mehr zu bewirken als ein von der Opposition geforderter Politikwechsel 264. Die Ministerverantwortlichkeit – und dabei vor allem die Institute ihrer Geltendmachung vor den Augen der Öffentlichkeit – bieten der Opposition ein Podium, ihre abweichenden Vorschläge auf breiter Basis zu präsentieren und (vermeintliche) Fehlentwicklungen zu monieren bzw. Verbesserungen vorzuschlagen.
Neben der Information der Öffentlichkeit steht der Gedanke, daß durch die ständige Rechtfertigung und Überprüfung der Handlungen der Minister (und damit komplementär betrachtet des Großteils der Regierung) eine Rückbindung an das Parlament geschaffen wird, die ihrerseits einen grundsätzlichen Konsens ins Sachfragen realisiert, sofern das Verhalten des Ministers nicht angegriffen oder nachvollziehbar gerechtfertigt wird. Der Kontakt zum und die Abhängigkeit vom Parlament verhindert damit eine zu große Entfernung vom Willen der Volksvertretung 265. dd) Der Bundesminister als kontrollierter Widerpart des Parlaments im Sinne einer parlamentarischen Ministerverantwortlichkeit? Daß das Parlament bzw. ein jeweils relevantes Antragsquorum als oberstes Kontrollorgan durch das Grundgesetz eingesetzt ist, wurde ausführlich dargetan und herrscht aufgrund der klaren Gesetzeslage auch Einigkeit über diesen Zustand. Fraglich ist dagegen, ob die in dieser Arbeit bereits verschiedentlich verwandte Bezeichnung von der parlamentarischen Ministerverantwortlichkeit eine verfassungsrechtliche Berechtigung besitzt. Dies wird von einigen Autoren bestritten 266. Nach ihnen soll ausschließlich der Bundeskanzler dem Parlament gegenüber verantwortlich sein, nicht aber die Bundesminister. Insoweit wird auch von einem „Verantwortlichkeitsmonopol“ des Bundeskanzlers gesprochen 267. Anknüpfungs-
264 Vgl. zu dieser offensichtlich bereits früh verbreiteten Erkenntnis, Hoffmann, Monarchisches Prinzip und Ministerverantwortlichkeit (1911), S. 69 f.: „Die Anerkennung dieser Verpflichtung tritt uns heute mehr als je entgegen durch die Tatsache, daß die Minister auf Angriffe im Parlament viel öfter schweigen als auf Angriffe in der Presse. Diese illegitime Rivalin des Parlaments hat zur Zeit das größere Ansehen, und sicherlich kann ein Minister, der die öffentliche Meinung außerhalb des Parlaments für sich gewinnt, sich aller Sorgen um einen Dissens mit dem Parlament entschlagen.“ 265 Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 389, spricht zu recht von Demokratie und Kontrolle als den wesentlichen Bezugspunkten, zwischen welchen verfassungsrechtlich eine Verknüpfung bestehen müsse. 266 Meder, in: BK, GG, Art. 65, II. 6.; Bayer, DÖV 1965, 753 (755); Schunk, in: Giese/ Schunk, GG, Art. 65, II. 5.; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 65, Rn. 8; Eschenburg, DÖV 1954, 193 (199); Meyn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 65, Rn. 2 f., 15; Monz, Die parlamentarische Verantwortlichkeit im deutschen Staatsrecht einst und heute, S. 42, 54; vgl. dazu auch den Antrag des Abg. Dr. Dehler, die Worte „ . . . und unter eigener Verantwortung . . . “ zu streichen, in v. Doemming-Füsslein-Matz: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR n.F. Bd. 1, 1951, 1, (438) zu Art. 65 GG.
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punkt für diese Ansicht ist der Wortlaut des Art. 65 GG sowie der Vergleich der Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung mit dem Fehlen einer dem Art. 67 GG äquivalenten Vorschrift über ein Mißtrauensvotum gegen die Bundesminister selbst. Da die Bundesminister lediglich „innerhalb der Richtlinien“ handelten, die durch den Bundeskanzler vorgegeben sind und für die dieser unstrittig die parlamentarische Verantwortung übernimmt, wird gefolgert, die Bundesminister seien nur dem Bundeskanzler gegenüber verantwortlich, nicht aber auch gegenüber dem Parlament. In dieser Bedeutung seien auch die Worte „unter eigener Verantwortung“ in Art. 65 S. 2 GG zu verstehen 268. Zudem sah Art. 56 WRV ausdrücklich vor, daß die Verantwortung „vor dem Reichstag“ bestand, sowohl auf den Reichskanzler (S. 1) als auch auf die Reichsminister (S. 2) bezogen. Durch das Fehlen einer entsprechenden Bestimmung im Grundgesetz wurde die Verantwortlichkeit deshalb nur als zwischen den Ministern und dem Bundeskanzler bestehend angesehen. Kernstück aber der eine eigene parlamentarische Verantwortlichkeit der Minister ablehnenden Meinung ist das Fehlen einer dem Art. 67 GG entsprechenden Regelung hinsichtlich der Bundesminister. Art. 67 Abs. 1 GG bestimmt: „Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. Der Bundespräsident muß dem Ersuchen entsprechen und den Gewählten ernennen.“ Im Unterschied hierzu sah Art. 54 WRV vor: „Der Reichskanzler und die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstags. Jeder von ihnen muß zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß sein Vertrauen entzieht.“ Damit war klargestellt, daß nicht nur der Reichskanzler, sondern gerade auch die einzelnen Minister einem Mißtrauensvotums des Reichstags unterlagen. Da eine entsprechende Vorschrift hinsichtlich der Abberufung einzelner Minister nicht in das Grundgesetz aufgenommen wurde, auch im Gegensatz zu vielen Bundesländern, soll von einer parlamentarischen Verantwortlichkeit der Minister nicht gesprochen werden können 269.
267 Bayer, Die Aufhebung völkerrechtlicher Verträge im deutschen parlamentarischen Regierungssystem, S. 156. 268 Schambeck, Die Ministerverantwortlichkeit, S. 34; Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 65, Rn. 65 f., spricht davon, daß es keinem vernünftigen Zweifel unterliegen könne, daß von einer zentralen Verantwortung der Minister gegenüber dem Regierungschef und einer lediglich abgeschwächten gegenüber dem Bundestag auszugehen sei. 269 Badura, Staatsrecht, E 90 (S. 511) sowie ders. ZParl 11 (1980), 573 (577), der aus diesem Grund eine „parlamentarische Verantwortlichkeit im vollen und umfassenden Sinn“ für die Bundesminister ablehnt. Indes spricht auch Badura, Staatsrecht, E 108 (S. 521), davon, daß sich „die parlamentarische Verantwortlichkeit auch der einzelnen Bundesminister“ an verschiedenen Stellen äußere. Ebenso spricht er in HdbdStR, Bd. II, § 25, Rn. 16,
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Diese Ansicht ist indes verfehlt. Zum einen ist eine solch enge Auslegung des Art. 65 GG weder zwingend, noch liegt sie auch nur erhöht nahe. Wenn das Grundgesetz davon spricht, daß die Bundesminister ihr Ressort „unter eigener Verantwortung“ leiten, soll dies gerade ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Kanzler statuieren, nicht aber umgekehrt ihre Verantwortlichkeit nur innerhalb der Richtlinien verdeutlichen. Die eigene Verantwortlichkeit stellt die Minister dem Parlament als verantwortliche Rechenschaftsschuldner gegenüber. Zum anderen wird mit dem Mißtrauensvotum eine Möglichkeit der Aktualisierung der ministeriellen Verantwortlichkeit, wenngleich die rechtlich stärkste, mit der parlamentarischen Verantwortlichkeit schlechthin gleichgesetzt. Dabei wird übersehen, daß dem Parlament noch zahlreiche weitere Mittel zur Verfügung stehen, das Tun des Ministers einer gründlichen Kontrolle zu unterziehen. Als Beispiele seien hier nur die Zitierungs- und Interpellationsrechte nach Art. 43, 44 GG sowie die Entlassungsvoten genannt. Zu recht wird des weiteren darauf hingewiesen, daß die Bundesminister zu bloßen Staatssekretären degradiert würden, wären sie nicht dem Bundestag gegenüber verantwortlich 270. Zudem ist sich vor Augen zu halten, daß der Bundeskanzler gerade keinen Einfluß auf die konkrete Ausfüllung der ministeriellen Aufgaben und Ressortleitung hat. Bestritte man sodann die eigene parlamentarische Verantwortlichkeit der Minister, wäre die Folge, daß der Bundeskanzler auch für Vorgänge parlamentarisch zur Rechenschaft gezogen würde, auf die er rechtlich keinen Einfluß nehmen kann. Eine solche abstrakte Verantwortung ist für den Bundeskanzler nicht vorgesehen. Wohl muß er für seine Richtlinien der Politik einstehen und auch für die Koordinierung der Regierungstätigkeit, nicht jedoch für von ihm rechtlich unkontrollierbare Bereiche der Ministerien 271. Damit ist zu schließen, daß die Begrifflichkeit der parlamentarischen Ministerverantwortlichkeit untermauert wird und die existierende konkrete Rechenschaftspflicht des Bundesministers gegenüber dem Bundestag von Verfassungs wegen statuiert ist 272.
ohne Attribute von einer parlamentarischen Verantwortlichkeit der Bundesminister, soweit ihre Ressortverantwortlichkeit reiche. 270 Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 9 (58, Fn. 145). 271 Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, IV. 4. c) (S. 310). 272 Wie hier: Becker, Demokratie und Verwaltung 50 (1972), 497 (505); Thieme, ZBR 1980, 101 (102); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 637; Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 145, 207; Schröder, in: Sachs, GG, Art. 65, Rn. 48; Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 36, dort auch in Fn. 77 zur unterstützenden Entstehungsgeschichte der Norm; v. Wick DÖV 1956, 113 (114); Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 5 f.; Hermes, in: Dreier, GG, Art. 65, Rn. 40; Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, IV. 3. c) (S. 310); Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 320.
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
Dabei stellt die parlamentarische Verantwortlichkeit die Kehrseite der rechtlichen Selbständigkeit der Regierung und der Minister dar 273. Wie oben dargelegt, wird dem Bundesminister – freilich im Rahmen der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers – eine vollständige Autonomie von Verfassungs wegen zugebilligt. Diese Unabhängigkeit ist mit dem System der parlamentarischen Demokratie aber nur zu vereinbaren, wenn und solange die Minister dem Parlament gegenüber für ihre Handlungen verantwortlich sind 274. Gleiches muß aber auch für den Umkehrschluß gelten: Einzig für den Fall, daß der Bundesminister Entscheidungsfreiräume hat, die er unbeeinträchtigt und in eigener Willensentscheidung ausfüllen kann, ist es gerechtfertigt, ihm die volle politische Verantwortlichkeit für die Vorgänge in seinem Wirkungsbereich aufzuerlegen. Unter diesem Gesichtspunkt beansprucht der Gedanke: „Es liegt in der Dialektik der Ministerverantwortlichkeit, daß diese den Minister nicht nur abhängiger, sondern zugleich unabhängiger macht“ 275, nach wie vor Gültigkeit. Der Wirkungsbereich des Ministers ist in erster Linie sein Ressort und wird seine Verantwortlichkeit demnach auch überwiegend über den Inhalt des ihm zugewiesenen Geschäftsbereichs definiert. Innerhalb der aus der Zuweisung des Ressorts erwachsenden Zuständigkeiten ist die Verantwortlichkeit umfassend und sind Freiräume nicht zulässig 276. Die Zuständigkeiten des Ministers werden vor allem auch durch den hierarchischen Behördenaufbau und die darin realisierte Weisungs- und Letztentscheidungskompetenz umgesetzt. Gerade das Recht, mittels Weisungen in beliebigen Einzelfällen die eigene Überzeugung von Rechtund Zweckmäßigkeit durchzusetzen, ermöglicht parlamentarische Kontrolle. Ohne das Instrument der Einzelweisung läuft darum die Aufgabe des Kontrollorgans Bundestag leer 277.
273 Mit Blick auf die Selbständigkeit der Regierung weist Badura zu Recht auf den Ausdruck des parlamentarischen Regierungssystems als Vorkehrung gegen Parlamentsabsolutismus und Versammlungsdemokratie hin, in: HdbdStR, Bd. II, § 25, Rn. 11. 274 Kriele, VVDStRL 29 (1971), 46 (60): „Entscheidungskompetenz bedeutet Entscheidungsverantwortung.“; Leibholz, Regierung und Parlament, S. 160 (161 f.), in: ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie; Badura, ZParl 11 (1980), 573 (574); Dauster, Die Stellung des Ministers zwischen Regierungschef, Parlament und Regierung nach dem Verfassungsrecht der Länder, S. 38. 275 U.M., AöR 76 (1950/51), 338, (342). 276 Dauster, Die Stellung des Ministers zwischen Regierungschef, Parlament und Regierung nach dem Verfassungsrecht der Länder, S. 171; Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, IV. 5. c) (S. 319); Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 139. 277 Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 48; so im Begründungsfluß auch Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 445 f., der jedoch zu dem Ergebnis kommt, daß die Weisungsfreiheit zum Teil notwendig ist und daraus seinerseits resultiert, daß der Minister insoweit von seiner parlamentarischen Verantwortlichkeit entlastet wird. Dies sei nur die Kehrseite mangelnder Weisungsbefugnis.
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Unter der gegebenen und anerkannten Situation der Ministerverantwortlichkeit werden aber für besondere Fallgestaltungen Einschränkungen resp. Umwege für möglich gehalten. So soll es beispielsweise ausreichen, wenn unter Umständen ein weisungsfrei gestellter Ausschuß entscheidet. Der Minister kann jedoch nach dieser Meinung bei Verstößen der Entscheidungen gegen zulässige ministerielle Weisungen oder Rechtsnormen jene kassieren und eine eigene Entscheidung fällen 278. Führt man sich indes vor Augen, daß die parlamentarische Kontrolle eine umfassende ist, so wird sogleich deutlich, daß dieser Weg nicht die Einzelweisungsbefugnis substituieren kann. Denn nach dem genannten Vorschlag würde der alleinverantwortliche Minister auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt, statt seine Zweckmäßigkeitsvorstellungen zur Geltung bringen zu können. Gleiches muß für die angedachte Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung gesagt werden. Bei einem Insichprozeß 279 stünde erneut lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit zur Debatte, die der Zweckmäßigkeit müßte wiederum ausgespart bleiben. Aber selbst wenn man diese Problematik durch die Einführung eines sog. Beanstandungsrechts, das zudem die Zweckmäßigkeit zum Inhalt hätte, zu lösen versuchte, bleibt doch ersichtlich, daß auch hier ein volles Äquivalent zur Einzelweisung nicht geschaffen wird. Beanstandung bedeutet Überprüfung und damit lediglich zeitlich nachgeordnete Reaktion. Weisung hingegen kann sowohl eine erkannte Fehlentwicklung beseitigen, als auch selbständig und zu einem frei gewählten Zeitpunkt erfolgen. Sie ist somit Gestaltungsmittel und ermöglicht die aktive Durchsetzung der politischen Erwägungen, statt lediglich reaktive Begutachtung zu sein. Aus diesen gegenüberstellenden und ergänzenden Überlegungen wird deutlich, daß ein Verzicht auf die Weisungsbefugnis unter der Ägide der vollumfänglichen ministeriellen Verantwortlichkeit verfassungsrechtlich nicht möglich ist. Wie aus dem aufgezeigten Wechselspiel zwischen Eigenständigkeit, Unabhängigkeit und demgegenüber Verantwortlichkeit deutlich wird, hat eine Mitwirkung von dritter Seite, außerhalb der vom Minister erwünschten Teilnahme, eine Verzerrung der Verantwortlichkeitsbilder zur Folge. Dieser Zustand betrifft indes nicht nur eine Mitwirkung an den ministeriellen Entscheidungen durch nicht selbst demokratisch legitimierte Institute, sondern vielmehr auch solche, die eine demokratische Legitimation aufzuweisen haben. In besonders starkem Maße muß dies daher für den Bundestag gelten. Der Bundestag ist das verfassungsmäßig institutionalisierte Kontrollorgan der Bundesregierung und ihrer Mitglieder. Wenn aber das die nachträgliche Überwachung ausübende Organ selbst an der nachzuprüfenden Entscheidung mitgewirkt hat – zumeist durch seine Ausschüsse –, muß die
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Haas, VerwArch 49 (1958), 14 (27, 30). Dafür aber Evers, Der Staat 3 (1964), 41 ff.; Seebode, DVBl. 1968, 177 (178).
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
politische Verantwortung des Ministers zwangsläufig entfallen 280. Durch die Mitwirkung übernimmt das Kontrollorgan die Regierungsverantwortung mit, wodurch das vom Bundesverfassungsgericht festgestellte notwendige Spannungsverhältnis zwischen Kontrolliertem und Kontrollierendem aufgehoben wird. Daran anschließend ist festzuhalten, daß der auch in Deutschland bereits über 130 Jahre alte Gedanke von der Korrespondenz zwischen Verantwortung und rechtlicher Einwirkungsbefugnis auch heute noch zu Recht das bestimmende Element der Ministerverantwortlichkeit ist 281.
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Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 28, 92 f., 103 f., mit dem Beispiel des Verteidigungsausschusses bzgl. Ankauf von Kampfflugzeugen und der Feststellung, daß die Regierung durch die Mitwirkung dieser Ausschüsse in ihren verfassungsmäßigen, für das parlamentarische Regierungssystem unverzichtbaren Leitungs- und Entscheidungsbefugnissen beeinträchtigt wird. Lichterfeld, Der Wandel der Haushaltsfunktion von Bundeslegislative und Bundesexekutive, S. 211 ff.; Scheuner, in: FS Müller, 1970, S. 379 (402). Dagegen Dauster, Die Stellung des Ministers zwischen Regierungschef, Parlament und Regierung nach dem Verfassungsrecht der Länder, S. 36 f. mit dem Argument, ein vorhandener Wirkverlust parlamentarischer Kontrolle in einigen Teilbereichen lasse die Suche nach einem Ausgleich als verständlich und sachgerecht erscheinen. Der Grundsatz der repräsentativen Demokratie gebiete es grundsätzlich nur, daß das Parlament keine seiner Zuständigkeiten durch einfaches Gesetz oder Geschäftsordnung seinen Ausschüssen endgültig übertrage. Das parlamentarische Regierungsprinzip sage aber nicht eindeutig, welche Bereiche der Regierung vorbehalten bleiben müßten. Daher müsse für jede einzelne Regierungsfunktion untersucht werden, ob und inwieweit sie im Einzelfall mitentscheidender parlamentarischer Kontrolle offenstehe. Hier generiert Dauster jedoch einen Widerspruch, wenn er auf S. 43 f. aaO, postuliert, daß die parlamentarische Regierung immer verantwortliche Regierung sei und es zwingend zwei sich gegenüber stehende Instanzen bräuchte. Zum einen die Regierung, die die Verantwortung trage und zum anderen das Parlament, demgegenüber die Verantwortung bestehe. Dafür reiche aber die bloß organisatorische Selbständigkeit der Regierung nicht aus; die Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament verlange nach einem funktionell eigenständigen Entscheidungsbereich der Regierung. Ohne diesen eigenständigen Entscheidungsbereich gerate das System in Begründungsschwierigkeiten, vor allem dann, wenn es darum gehe, den Kreis der Verantwortlichen zu bestimmen. DiesichaufdrängendeFragelautetdeshalb:WiekanndieRegierungimmer verantwortlich sein, wenn die Entscheidungen durch das Parlament mitgefällt werden können, zugleich aber immer ein klar abgrenzbarer Kreis von Verantwortlichen identifizierbar sein muß? 281 V. Stein, Die vollziehende Gewalt, Teil 1, Abteilung 1, S. 259 f.; Schulze, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes, S. 298: „Kurz, ihre Verantwortlichkeit (der Minister) reicht soweit wie ihre Amtsbefugnisse.“ G. Jellinek, Die Entwickelung des Ministeriums in der konstitutionellen Monarchie, S. 319 f., in: W. Jellinek, Ausgewählte Schriften und Reden, erkennt zwar die Notwendigkeit einer einheitlichen Verwaltung an, führt die Verantwortlichkeit jedoch nicht auf die Notwendigkeit der Lückenlosigkeit zurück, sondern auf die Gefahr der Schwächung der Regierung durch ein unabhängiges Glied der Verwaltung. An dieser Stelle ist auf eine Behauptung Friesenhahns hinzuweisen, VVDStRL 16 (1958), 9 (40, Fn. 75): „Nun ist es aber eine petitio principii, wenn daraus, daß die Fachminister für die Entscheidungen, die sie oder die ihnen nachgeordneten Dienststellen im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit treffen, dem Parlament verantwortlich sind, gefolgert wird, daß durch Gesetz nicht einer Instanz Entscheidungsbefugnisse übertragen
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ee) Ministerverantwortlichkeit und Verschuldensprinzip In diesem Zusammenhang ist des weiteren auf das Verhältnis von Verantwortlichkeit und individuellem Verschulden einzugehen, da es sich hierbei um eine der Prämissen für die Geltendmachung der konkreten Kontrollinstrumente handelt. Zu überlegen ist, dezidiert ein Verschulden des konkreten Ministers zu verlangen, um zu einer Handlungsverantwortung zu gelangen 282. Danach soll die Verantwortlichkeit nur aktualisiert werden dürfen, wenn der Minister tatsächlich Einfluß auf die Entscheidung genommen hat oder, bei einem „Geschehenlassen“, Kenntnis hatte oder bei einer sachgerechten Struktur hätte haben müssen. Denn schließlich könne mehr als eine als pflichtgemäße Amtsführung von einem Minister schwerlich verlangt werden. Rechtstheoretische Überlegungen, die in der Praxis nicht bedeutungslos werden wollten, müßten beachten, daß es einem Minister unmöglich sei, mehr als einen Bruchteil der Entscheidungen seines Ministeriums „zu beeinflussen, zur Kenntnis zu nehmen oder auch nur den zugrunde liegenden Sachverhalt wahrzunehmen.“ 283 Zudem bestehe an einer Sanktionierung eines pflichtgemäßen Verhaltens kein Interesse. Diese Schlußfolgerung wird zuletzt noch dem Hierarchieprinzip selbst und der Forderung von der Korrelation von Verantwortlichkeit und Einflußnahmemöglichkeit entnommen. Diese – grundsätzlich zustimmungswürdige – Aussage wird allerdings sofort wieder revidiert, indem dabei auf die faktische Einflußnahmemöglichkeiten als Bezugspunkt rekurriert wird. Solange nicht aus besonderen Gründen ein Verschulden des Mi-
werden können, die nicht ministerieller Leitung unterstellt wird.“ Damit statuiert Friesenhahn eine Verantwortlichkeit ohne konkrete Einwirkungsmöglichkeit, spricht aber immer noch von Zuständigkeit. Wie im Gang der Untersuchung aber aufgezeigt wird, kann es ein Auseinanderfallen von Zuständigkeit und Einflußnahmemöglichkeit aber grundsätzlich nicht geben. Friesenhahn versucht seine These sodann auch mit Hinweis darauf zu stützen, daß das deutsche Verwaltungsrecht „seit jeher“ unabhängig entscheidende Ausschüsse kenne. Mit dem Hinweis auf tatsächliche Gegebenheiten ist in der verfassungsrechtlichen Diskussion indes nicht viel gewonnen. Mithin stellt es, wie oben dargelegt, gerade keine petitio principii dar, eine Korrespondenz zwischen rechtlicher Ingerenzmöglichkeit und Verantwortlichkeit zu fordern. 282 Mehde, DVBl. 2001, 13 ff. 283 Mehde, DVBl. 2001, 13 (17); ders., Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, S. 580, spricht auch davon, daß sich der Minister unter Hinweis auf eine völlig korrekte Organisationsarbeit „exkulpieren“ könne; für eine Einschränkung auf „individuelles Versagen“ angesichts der Größe ministerieller Apparate wohl auch Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, IV. 5. c) (S. 320); in diese Richtung auch Marschall v. Bieberstein, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 1, § 45, III. B. 1. b) (S. 527); vgl. dazu auch Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 65, Rn. 95, der eine verfassungsmäßige Vollverantwortung sieht, diese aber nicht für „der Weisheit letzter Schluß“ hält. Mehde hält ein System, das die mögliche Unkenntnis der Exekutivleitung nicht würdige für naiv und werde es ohne faktische Einflußnahmemöglichkeit lediglich in seinem vordergründigen Sinn aufrechterhalten, in: Die empirischen Prämissen des Hierarchiegebots, in: Demokratie und Grundgesetz, S. 111 ff.
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
nisters festgestellt werden könne, beschränke sich seine Verantwortlichkeit auf eine informationelle Funktion. Auch an anderer Stelle finden sich gleichgelagerte und zum Teil in sich widersprüchliche Aussagen 284. So ist es zwar richtig, daß der Minister für die Vornahme und das Unterlassen eigener Maßnahmen verantwortlich ist. Daneben soll es aber nur zu einer Verantwortungsübernahme kommen, wenn der Minister Handlungen oder Unterlassungen der in seinem Auftrag Handelnden billigt bzw. diese gewähren läßt 285. Aus diesen Betrachtungen wird im weiteren die zusammenfassende Aussage abgeleitet, daß so kein „‚verantwortungsfreier‘ Raum“ entstehen könne. Der entscheidende Trugschluß dieser Ansichten liegt darin, allein auf die faktische Ingerenzmöglichkeit abzustellen und diese nicht von einer rechtlichen Einflußnahmemöglichkeit abzugrenzen. Es spielt gerade keine Rolle, ob der Minister konkrete Kenntnis von einzelnen Vorgängen hatte oder ein Geschehenlassen auf unverschuldeter Unkenntnis beruht – dies wird insbesondere verkannt, wenn „Billigung“ oder ein „Gewährenlassen“ verlangt wird, denn dies setzt stets Kenntnis voraus. In diesem Zusammenhang erscheint es verfassungsrechtlich höchst bedenklich, bei einem Bundesminister von einer „Exkulpationsmöglichkeit“ auszugehen. Die Stellung des Ministers als Ressortchef und Leiter einer obersten Bundesbehörde ermächtigt ihn, in ausdrücklich eigener Verantwortung, sein Ministerium zu organisieren und eröffnet ihm die Möglichkeit, bei allen Entscheidungen mitzuwirken oder sich informieren zu lassen oder aber er setzt fachlich qualifizierte Mitarbeiter ein, die sein Vertrauen genießen bzw. beläßt sie in ihren Positionen. Durch die allumfassende rechtliche Ingerenzmöglichkeit und Bestimmung solcher wesentlicher Entscheidungen, die er als Minister selbst zu fällen wünscht, ist der Minister stets der verfassungsrechtlich vorgesehene Ansprechpartner im Bezug auf den Terminus der parlamentarischen Verantwortlichkeit. Es ist festzuhalten, daß „in Organisation Zurechenbarkeit über Zuständigkeit“ hergestellt wird 286. „Weil organisationsrechtliche Zurechenbarkeit mit Zuständigkeit zusammenfällt, ist der Minister nicht nur für eigenes Handeln und für eigenes Geschehenlassen, Nichthandeln trotz Kenntnis oder Kennenkönnen der Handlungsmöglichkeit, sondern auch für Handeln seiner Untergebenen, das er nicht kennen konnte, verantwortlich.“ 287 Einen außerverantwortlichen Bereich, in dem Fehlentscheidungen oder -entwicklungen stattfanden, von denen der Minister 284
Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 223. Dies ergibt sich insbesondere aus der Behauptung, daß die Verantwortlichkeit für den Staatssekretär „auch inhaltlich umfangreicher“ sei als für die übrigen Beamten des Ministeriums, da der Minister ja auch mehr konkrete Einwirkungsmöglichkeiten bei diesem habe, Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 269. 286 Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 100. 287 Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 100; vgl. zur Korrespondenz der Begriffe Zuständigkeit und Verantwortung auch Eichenberger, in: FS Huber, 1961, S. 109. 285
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nichts wissen konnte – und damit einen Bereich „schuldloser“ Mißstände –, kann es im Ministerialsystem des Grundgesetzes nicht geben 288. 2. Ausgestaltung der Ministerverantwortlichkeit – Kontrollmöglichkeiten des Parlaments a) Überblick über die Kontrollrechte Aus dem in erster Linie bestehenden Zweck der parlamentarischen Kontrolle – nämlich der Sichtbarmachung und Aktualisierung von Verantwortlichkeit – wird deutlich, daß es sich nicht immer um rechtsförmliche Mittel und folgende Sanktionen handeln muß, um von Geltendmachung von Verantwortlichkeit zu sprechen 289. Im einzelnen handelt es sich bei den parlamentarischen Kontrollrechten gegenüber den Bundesministern unmittelbar oder mittelbar neben der Grundnorm des Art. 65 S. 2 GG um Art. 43 Abs.1 GG, Art. 44 Abs. 1 GG iVm PUAG, Art. 45a Abs. 1 u. 2 GG, Art. 45b GG, Art. 45c iVm Art. 17 GG iVm PetAG u. § 108 ff 288 Neben diesen dogmatischen Argumenten stellt sich die rein praktische Frage der Abgrenzung von „wissen können“ und „wissen müssen“. Wo soll der Verschuldensmaßstab angesetzt werden, wer legt die Einzelheiten fest? Denkbar erscheint, sogar so weit gehen, zu verlangen, daß das Parlament als Kontrollorgan den Beweis des Verschuldens beizubringen habe. Zudem müsste dabei die Verfahrensdauer einbezogen werden, wenn danach geforscht werden soll, ob ein Bundesminister von einer Information z.B. der vierten Entscheidungsebene hätte wissen müssen oder nicht. Hinzu kommt die Tatsache, daß die Regierungsparteien dem Minister wohl eher eine unverschuldete Unkenntnis attestieren als die Opposition. Es ist bei selbst klar zugewiesener Verantwortlichkeit eine andere Sache, daraus auch politische Konsequenzen durchzusetzen. Damit käme es durch eine „Voruntersuchung“ bzgl. eines Verschuldens zu noch mehr bürokratischen und langwierigen Komplikationen, die dem verfassungsrechtlichen Kontrollauftrag des Bundestages nicht sachdienlich wären, sondern kontraproduktiv wirken würden. Im Ergebnis ebenso Badura, ZParl 11 (1980), 573 (580); ders., Staatsrecht, E 108 (S. 521); Schröder, in: Sachs, GG, Art. 65, Rn. 51; Hermes, in: Dreier, GG, Art. 65, Rn. 39; Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 19, 22, mit dem zutreffenden Hinweis, daß die Vorstellung, der Minister könne für seine zahllosen Untergebenen nur dann zur Rede gestellt werden, wenn er ihr Verhalten wenigstens billigend geschehen ließe, in strafrechtlichen Vorstellungen stecken bliebe. Dauster, in: GS Geck, 1989, S. 123 (128). 289 Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der BRD, trennt in seiner Terminologie zwischen Rechenschaftspflicht und Prästationspflicht. Die Rechenschaftspflicht umfaßt dabei den Teil des Verantwortungsvorgangs, welcher auf die Ermittlung des Adressaten, das heißt des jeweils zuständigen Mitglieds der Bundesregierung, und auf die Feststellung von Gegenstand und Umfang der Verantwortlichkeit im konkreten Fall gerichtet ist. Die Prästationspflicht erstreckt sich demgegenüber auf die Beurteilung des Verhaltens eines Regierungsmitgliedes nach politischen Maßstäben, S. 6, 24; Hervorhebungen im Original. Dieser Terminologie soll hier nicht gefolgt werden, da sie eine künstliche Aufspaltung des zumeist einheitlichen Vorgangs der Suche und Geltendmachung von Verantwortlichkeit bedeutet.
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
GOBT, Art. 67 Abs. 1 GG iVm Art. 69 Abs. 2 GG; Art. 68 Abs. 1 GG iVm Art. 69 Abs. 2 GG; Art. 110, 114 GG, §§ 100-106 GOBT sowie um Tadels- und Mißbilligungsbeschlüsse und Entlassungsvoten. b) Verantwortung als Anspruch Betrachtet man die Rechte des Parlaments im einzelnen, wie z.B. die Anwesenheitspflichten der Minister, die verschiedenen Formen der „Anfragen“ sowie die Untersuchungsausschüsse, so wird deutlich, daß ein großer Teil der Kontrollvorgänge zwischen Regierung und Parlament aus Fragen und Antworten, direkter und intellektueller Auseinandersetzung, mithin Kommunikation besteht. Dies ist nicht verwunderlich, bedeutete doch das Verb „verantworten“ sprachgeschichtlich (mhd. „verantwürten“) zunächst verstärkt „antworten“, in der weiteren Entwicklung „vor Gericht antworten, eine Frage beantworten“ und im folgenden „für etwas einstehen, etwas vertreten“ sowie „sich rechtfertigen“. Das dazugehörige Adjektiv „verantwortlich“ fügte sich in die Wortgruppe mit seiner Bedeutung „für etwas die Verantwortung tragend, Rechenschaft schuldend“ ein 290. Bis auf die gerichtliche Ausfüllung des Wortsinns ist der Bedeutungsgehalt heute noch von unverkennbarer Ähnlichkeit. Der Minister soll seine Handlungen als Ausdruck seiner Politik in Antworten erklären und sowohl für die große Linie als auch für einzelne Vorgänge vor dem Parlament resp. dessen Ausschüssen Rechenschaft ablegen. Richtigerweise ist gesagt worden, daß Verantwortung Antwort geben auf einen Anspruch bedeutet und dies zur Folge hat, daß die Verantwortung der Regierung stets Antwort auf den Herrschaftsanspruch des Volkes und seiner Vertreter ist 291. c) Aktualisierung der Ministerverantwortlichkeit vor einem „Staatsgerichtshof“? Auch wenn die strafrechtliche Sanktionierung von Verfehlungen, wie dargelegt, den historischen Hintergrund für die Entwicklung einer ministeriellen Verantwortlichkeit bildet, so fällt sie doch heute nicht mehr in den Bereich der parlamentarischen Kontrollrechte. Eine individuelle Verantwortlichkeit des Ministers vor einem Gericht in Form der Ministeranklage besteht nach dem Grundgesetz nicht – im Gegensatz zu vielen Bundesländern, in denen sie Eingang in die Verfassung gefunden hat 292. Bei diesem Institut ist indes auf die außerordentliche Kluft zwischen ihren theoretischen 290
Duden, Etymologisches Wörterbuch. Schambeck, Die Ministerverantwortlichkeit, S. 16. 292 Vgl. z.B. Art. 57 BadWürttVerf; Art. 59, 61 BayVerf, Art. 115 HessVerf; Art. 63 NRWVerf; Art. 131 RhPfVerf; Art. 94 SaarVerf. 291
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Möglichkeiten und ihrer Realisierung hinzuweisen. Mag es im Konstitutionalismus noch Raum für diese Art der Geltendmachung ministerieller Verfehlungen gegeben haben, so ist doch für die heutige Verfassungswirklichkeit festzustellen, daß sie in vollkommener Bedeutungslosigkeit versunken ist. Im Freistaat Bayern beispielsweise hat es unter der Geltung der Verfassung vom 2. Dezember 1946, die eine Ministeranklage vorsieht, noch nicht einen Fall ihrer Geltendmachung gegeben. Untersuchungen über erhobene Ministeranklagen sind einzig Bestandteil rechtsgeschichtlicher Wissenschaft 293, nicht jedoch Gegenstand aktueller Diskussion und Rechtspraxis. Insbesondere fehlt der heutigen Ministeranklage die strafrechtliche Funktion ihrer historischen Vorfahren. Der Minister ist strafrechtlich dem Gesetz unterworfen wie jeder andere Bürger auch; zudem treffen ihn die besonderen Strafvorschriften der Straftaten im Amt nach §§ 331 ff. StGB. Eines besonderen „Ministerstrafrechts“ bedarf es daher nicht 294. So ist festzustellen, daß, auch wenn es formal betrachtet ein Minus an Durchsetzungsmöglichkeit der ministeriellen Verantwortung im weiteren Sinne auf Bundesebene im Verhältnis zu einigen Ländern gibt, eine materielle Lücke durch das Fehlen der Ministeranklage im Grundgesetz nicht vorhanden ist. d) Die Sichtbarmachung von Verantwortlichkeit durch die Kontrollmöglichkeiten des Parlaments im einzelnen Zur Verdeutlichung der Bandbreite der dem Parlament zur Verfügung stehenden Instrumentarien ist an dieser Stelle eine Aufgliederung der bisher lediglich überblicksartig gebotenen Kontrollmöglichkeiten vorzunehmen. Dabei müssen sich die Ausführungen im Rahmen dieser Arbeit auf die Untersuchung solcher Regelungen beschränken, die einen Zusammenhang zwischen Kontrollrechten des Parlaments und Verantwortlichkeit der Bundesminister aufweisen.
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Vgl. etwa Popp, Ministerverantwortlichkeit und Ministeranklage im Spannungsfeld von Verfassungsgebung und Verfassungswirklichkeit: Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte des Kurfürstentums Hessen; Greve, Die Ministerverantwortlichkeit im konstitutionellen Staat. 294 Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 161, spricht sogar von einer Existenz des Instituts der Ministeranklage auf Landesebene aufgrund von „Gedankenlosigkeit“. Vgl. dort auch zu weiteren Nachweisen über die Häufigkeit von erhobenen Ministeranklagen; es sollen lediglich zehn Verfahren in ganz Deutschland durchgeführt worden sein, von welchen keines zu einer Verurteilung geführt hätte. Vgl. zur allgemeinen strafrechtlichen Verantwortlichkeit etwa die staatsanwaltlichen und gerichtlichen Ermittlungen und Verurteilungen gegen die Spitzenpolitiker Reinhard Klimmt und Dr. Helmut Kohl. Bundesminister Klimmt wurde zur Zahlung von insgesamt ca. 27.000 DM verurteilt, www.das-parlament.de/2000/49/Inland/ 2000_49_038_3763.html, und Alt-Bundeskanzler Kohl zur Zahlung von 300.000 DM (als Voraussetzung zur Einstellung des Verfahrens) durch Beschluß des Landgerichts Bonn v. 28.02.2001, Az: 27 AR 2/01.
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Durch die Betrachtung und Analyse der (verfassungs-)rechtlichen Kontrollmöglichkeiten soll ein geschlossener Eindruck ihrer Intensität und Ausprägung ermöglicht werden. Dies auch und insbesondere vor dem Hintergrund, daß dem System ein Mangel an parlamentarischen Kontrollrechten vorgeworfen wird, mit weitreichenden Konsequenzen für die Demokratietheorie 295. aa) Art. 67 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 69 Abs. 2 GG Das wohl am schwersten zu führende, aber mit der schärfsten parlamentarischen Klinge versehene Schwert ist das des konstruktiven Mißtrauensvotums nach Art. 67 Abs. 1 GG. Obwohl nicht gegen einzelne Minister einsetzbar, zerschneidet es bei seinem erfolgreichen Einsatz gemäß Art. 69 Abs. 2 GG auch die Mitgliedschafts- und Regierungsfäden aller Bundesminister. Die wohl schwerste und demzufolge durchschnittlich nur einmal im Vierteljahrhundert 296 eingesetzte Waffe ist es deshalb, da es im Gegensatz zu der Verfassung der Weimarer Zeit nicht nur der (Regierungs-) Mehrheit zur Abwahl des amtierenden Kanzlers bedarf 297, sondern der Bundestag zugleich einen Nachfolger wählen muß. Des weiteren stellt sich diese Maßnahme gewissermaßen als ultima ratio aller Kontrollmittel des Parlaments dar. Sollten alle Untersuchungen, Kommissionen, Mißbilligungsbeschlüsse und Tadelsanträge fruchtlos verlaufen sein und der Bundeskanzler sich beispielsweise nicht mit der Entlassung eines Ministers einverstanden erklären, ist das Parlament bzw. seine Mehrheit gezwungen, eine essentielle Abwägung zu treffen, ob es die Kanzlerfrage stellen und folgend den letzten Hebel in Bewegung setzen will. Nach erfolgreicher Wahl des neuen Bundeskanzlers ist der Bundespräsident gemäß Art. 67 Abs. 1 S.2 GG verpflichtet, diesen zu ernennen. Daß dieses Instrument derart selten zur Anwendung gebracht wird, gerade auch als Reaktion auf politisch untragbare Minister, liegt dabei nicht nur an der verfahrenstechnischen Komplexität und der Schwierigkeit, eine Regierungsmehrheit auseinander zu dividieren. Grund ist vielmehr auch, daß der Bundeskanzler präventiv auf eine sich ernsthaft anbahnende Krise reagieren und den betreffenden Minister entlassen bzw. diesen zu einem „freiwilligen“ Rücktritt veranlassen wird. Damit aber ist der Anlaß für ein Mißtrauensvotum nach Art. 67 Abs. 1 GG beseitigt und ein Standhalten der Regierungsmehrheit zu erwarten. Daraus wird
295 Vgl. dazu insbesondere die Kritik Fisahns, wie sie in Kapitel 3, § 8, dargestellt wurde. 296 In der Geschichte der Bundesrepublik gab es bisher lediglich zwei Mißtrauensanträge, zum einen 1972 gegen Willy Brandt (gescheitert) und zum anderen 1982 gegen Helmut Schmidt (erfolgreich); Schambeck, in: GS Imboden, 1972, S. 293 (301 f.) sprach dagegen noch davon – durch die Zeit widerlegt –, daß diese Waffe gänzlich ungenutzt bleiben müßte aufgrund ihrer Ausgestaltung als reines Mehrheitsrecht. 297 Art. 54 S. 2 WRV „Jeder von ihnen (Reichskanzler, Reichsminister) muß zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß sein Vertrauen entzieht.“
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deutlich, daß der seltene Gebrauch des konstruktiven Mißtrauensvotums nicht auf eine Wirkungslosigkeit schließen läßt. Dieses Schwert wirkt durch Existenz, nicht erst durch Verwendung. bb) Art. 68 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 69 Abs. 2 GG Nach Art. 68 Abs. 1 GG kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers den Bundestag auflösen, wenn diesem nicht von der Mehrheit des Bundestages auf seinen Antrag hin das Vertrauen ausgesprochen wird. Mutet es auf den ersten Blick ungewöhnlich an, die Vertrauensfrage als Rückversicherung des Bundeskanzlers über seine Mehrheit im Bundestag als ein Kontrollmittel des Bundestages zu kategorisieren, so ist dem zuzustimmen 298. Nicht übersehen werden darf dabei jedoch die durchaus vorhandene Sichtbarmachung von Verantwortlichkeit durch das Parlament. Verweigert es mehrheitlich die Gewährung seines Vertrauens, so kann damit auch der Kanzler für politische Fehlentscheidungen, wie z.B. Festhalten an einem Minister, zur Rechenschaft gezogen werden. Dies trifft wegen Art. 69 Abs. 2 GG damit mittelbar die Bundesminister. Die in Bezug auf Art. 68 Abs. 1 GG zu erörternde Frage bezüglich der Geltendmachung von Verantwortlichkeit dreht sich indes nicht um die konkrete Auslegung der Vertrauensfrage als Kontrollinstrument, sondern um die Vorfrage der Zulässigkeit eines Parlamentsvotums, in welchem dem Bundeskanzler die Aufforderung angetragen wird, von seiner Seite die Vertrauensfrage an das Parlament zu richten, sog. Vertrauensfrage-Ersuchen 299. Von Interesse ist eine solche Option an dieser Stelle, da auch bei der daraufhin möglichen Auflösung des Bundestages das Amt der Bundesminister endet. Die wohl stärkste Überlegung zugunsten der Zulässigkeit eines solchen Instituts ist die Nähe zu den rechtmäßigen Mißbilligungsbeschlüssen, wie sie im folgenden noch näher zu untersuchen sind, die keinen Zwang zum Rücktritt beinhalten; dementsprechend ist auch das Vertrauensfrage-Ersuchen grundsätzlich (rechts-) folgenlos.
298 Z.T. wird die Vertrauensfrage auch als „Waffe“ gegen ein Parlament bezeichnet, daß nicht mehr zur Kooperation bereit oder fähig ist, vgl. Hermes, in: Dreier, GG, Art. 68, Rn. 7; am 16.11.2001 stellte Bundeskanzler Gerhard Schröder im Bundestag die Vertrauensfrage, die er mit der Zustimmung des Bundestages zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan verknüpfte, BT-Drs. 14/7296, 14/7440, 14/7447, 14/7513; Plenar-Prot. 14/202. Insgesamt wurde in der Geschichte des Bundestages nur vier Mal die Vertrauensfrage gestellt. 299 Das Institut eines Vertrauensfrage-Ersuchens ist weder im Grundgesetz noch in der Geschäftsordnung des Bundestages geregelt. Aus dem Fehlen einer solchen Regelung kann indessen nicht per se ihre Unzulässigkeit gefolgert werden, sondern ist ihre Zulässigkeit anhand einer Auslegung der Verfassung zu überprüfen.
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Auch wenn diese Problemstellung zu unter Umständen schwierigen Abgrenzungsfragen hinsichtlich zulässiger Mißtrauensvoten des Bundestages nach Art. 67 Abs. 1 GG führt, wird die Zulässigkeit einer solchen Aufforderung im Ergebnis wohl trotzdem zu verneinen sein. Für einen entstandenen und erheblichen Vertrauensverlust des Kanzlers und seiner Regierung gegenüber dem Parlament sieht das Grundgesetz die Möglichkeit des konstruktiven Mißtrauensvotums vor. Dieses ist, wie oben gezeigt, an verschiedene Voraussetzungen geknüpft, die es zu überwinden kaum gelingen wird. Gerade die Einigung auf einen neuen Kanzler, das konstruktive Element, das in Abkehr von den Verhältnissen der Weimarer Republik eingeführt wurde, um eine stabile Regierung zu gewährleisten 300, stellt eine nicht zu unterschätzende Hürde dar. Sich darauf zu einigen, daß ein Kanzler in der Amtsführung versagt hat, ist eine Sache. Sich entgegen der politischen Differenzen auf einen neuen Kandidaten zu verständigen, eine andere 301. Art. 67 GG ist insoweit als abschließend zu betrachten und stellt ein Vertrauensfrage-Ersuchen damit einen verfassungswidrigen Akt dar 302. cc) Art. 43 Abs. 1 GG Gemäß Art. 43 Abs. 1 GG können der Bundestag (vgl. § 42 GOBT) und seine Ausschüsse die Anwesenheit jedes Mitgliedes der Bundesregierung verlangen und 300 Der umfassende wissenschaftliche Streitstand zu der Frage, ob diese Zielsetzung sinnvoll war bzw. inwiefern das Fehlen eines solchen konstruktiven Elements zum Niedergang der Weimarer Republik beigetragen hat, braucht an dieser Stelle nicht behandelt werden; vgl. zu dieser Problematik nur Epping, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 67, Rn. 1 ff. 301 Auch der Hinweis auf die theoretisch bestehenden verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten des Bundeskanzlers wie z.B. unveränderte Fortführung der Regierung, Veränderung des Kabinetts, Rücktritt oder Vorschlag an den Bundespräsidenten zur Auflösung des Bundestages, vermag die tatsächliche Bedeutung einer negativ beantworteten Vertrauensfrage nicht zu überdecken. So aber Küchenhoff , DÖV 1967, 116 (121), zudem mit dem Argument, schließlich könne auch die die Regierung stützende Parlamentsmehrheit diese Aufforderung abgeben, um die Unterstützung für den Bundeskanzler darzustellen. Beachtlich erscheint insoweit die Tatsache, daß von den zwei in der Geschichte des Bundestages eingereichten Vertrauensfrage-Ersuchen beide von der oppositionellen Parlamentsminderheit eingereicht wurden. Feldkamp, ZParl 34 (2003), 5 (20), in den letzten fünf Legislaturperioden wurde nur ein Vertrauensfrage-Ersuchen an den Bundeskanzler adressiert. Eine Regierung ohne die Unterstützung der parlamentarischen Mehrheit ist jedoch zur Handlungsunfähigkeit verdammt und soll der Zustand der staatlichen Agonie bewußt und ausdrücklich durch das konstruktive Mißtrauensvotum verhindert werden. 302 Sattler, DÖV 1967, 765 (767); Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 155 f.; Oldiges, in: Sachs, GG, Art. 67, Rn. 29a; Brockmeyer in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein, GG, Art. 67, Rn. 3; Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 22, III. 3. b) (S. 993). Dieses Ergebnis wird zudem durch die Regelung des § 97 GOBT gestützt, die festschreibt, daß Anträge in anderer Form als die der Mißtrauensanträge nicht in die Tagesordnung aufgenommen werden.
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dient dieses Recht damit der parlamentarischen Kontrolle 303. Als Subjekt dieses Zitierrechts kommen damit auch grundsätzlich alle Ausschüsse in Betracht 304. Objekt des Verlangens kann jedes Mitglied der Bundesregierung sein. Nicht zwingend erforderlich, aber wohl meistens erfüllt ist die Tatsache, daß der betreffende Beratungsgegenstand in den Zuständigkeitsbereich des befragten Regierungsmitgliedes fällt 305. Durch die ausdrückliche Nennung der Mitglieder der Bundesregierung ist eine Vertretung vor dem Parlament oder den Ausschüssen unzulässig 306.
303 Magiera, in: Sachs, GG, Art. 43, Rn. 1; Schröder, in: BK, GG, Art. 43, Rn. 21; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 43, Rn. 1, dort auch zur geschichtlichen Entwicklung der Vorschrift; unter Rn. 8 wird dieses Recht ausdrücklich als Instrument der Realisierung parlamentarischer Verantwortlichkeit sowie als Ausdruck der Ministerverantwortlichkeit bezeichnet. In diesem Sinne auch Kröger, Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 18, Zitierrecht diene der „Realisierung der parlamentarischen Rechenschaftspflicht“; Feldkamp, ZParl 34 (2003), 5 (20), in der 14. Wahlperiode wurden 14 Anträge auf Herbeirufung von Regierungsmitgliedern zu Plenarsitzungen gestellt. 304 Davon zu unterscheiden sind jedoch die Enquête-Kommissionen nach § 56 GOBT. Bei ihnen handelt es sich nicht etwa um eine Fortentwicklung des parlamentarischen Untersuchungsrechts, sondern um einen Ausschuß, der nicht nur nicht ausschließlich mit Mitgliedern des Bundestages besetzt ist, sondern bei dem die nicht-demokratisch legitimierten Teilnehmer sogar in der Überzahl sein können; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 43, Rn. 9; Troßmann, GOBT, § 74a a.F., Rn. 15; so aber Jarass/Pieroth, GG, Art. 43, Rn. 1; Schröder in: BK, GG, Art. 43, Rn. 30; Magiera in: Sachs, GG, Art. 43, Rn. 3. Eine formelle Kontrolle der Bundesregierung durch nicht demokratisch legitimierte Stellen kann es aber im parlamentarischen Regierungssystem nicht geben. Hinzuzufügen ist dem, daß es Zweck der Enquête-Kommissionen ist, externen Sachverstand für die Regierungs- und Parlamentsarbeit fruchtbar zu machen, nicht aber die Regierung zu kontrollieren. Ein Zitierrecht ist diesem „Ausschuß“ daher nicht zuzubilligen. Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 26, II. 3. a) (S. 53), mit dem weiteren Hinweis, daß durch die gemischte Besetzung der Kommission nicht mehr von dem Bundestag und „seinen Ausschüssen“ gesprochen werden könne; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 43, Rn. 22; dort auch im einzelnen zu hier nicht untersuchten weiteren Ausschüssen, wie bspw. Vermittlungsausschuß oder Gemeinsamer Ausschuß. 305 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 43, Rn. 27; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 43, Rn. 6c; Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 22, III. 3. d) (S. 999); Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 43, Rn. 9, der jedoch zugleich meint, Art. 43 Abs. 1 GG könne nicht als Beweis einer Ministerverantwortlichkeit angesehen werden wegen fehlender rechtlicher Sanktionierung; a.A. Versteyl, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 43, Rn. 23, der jeden anderen Minister als „unzuständig“ bezeichnet und dessen Befragung als unzulässige Rechtsausübung kennzeichnen will. Dies überzeugt nicht. Es muß dem Ermessen des Kontrollorgans überlassen bleiben, wen es zu hören wünscht. 306 Vgl. nur Magiera, in: Sachs, GG, Art. 43, Rn. 4; Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 69, Rn. 25; soweit ersichtlich einzig a.A. Wahl, Der Staat 8 (1969), 327 (346), der eine Vertretung durch den Parlamentarischen Staatssekretär zulassen will, was jedoch klar abzulehnen ist. Zu beachten ist indes der besondere Kontext dieser Stellungnahme, da Wahl von einem Recht des Bundestages spricht, die Anwesenheit des Parlamentarischen Staatssekretärs zu verlangen.
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Erörterungsbedürftig im Hinblick auf die Eruierung der Kontrollmacht ist die Frage der Antwortpflicht des befragten Regierungsmitglieds. Auch wenn wohl zu recht gesagt wird, daß sich die Praxisrelevanz des Zitierrechts in geringen Ausmaßen bewegt, da es nicht als Minderheitsrecht ausgestaltet ist und damit durch die zumeist die Regierung tragende Mehrheit ausgeübt werden muß, so gehört es doch zu den verfassungsmäßig vorgesehen Kontrollmitteln. Außerdem liegt es in der Natur der Sache, daß solch formelle Vorschriften erst und gerade in Zeiten eines gespannten Verhältnisses zwischen Parlament und Regierung ihre politische Bedeutung entfalten 307. Die Beantwortung der Frage wird aus der Gegenüberstellung der beiden denkbaren Lösungsmöglichkeiten erhellt. Zum einen erscheint es denkbar, lediglich die körperliche Anwesenheit des Bundesministers zu verlangen und ein Fragerecht zu statuieren, auf das der Gefragte nur antworten kann, nicht aber muß. Damit wäre ein grundsätzlicher Freiwilligkeitsvorbehalt geschaffen, der zumindest eine Zwangsinformierung über den Diskussionsstand des Parlaments oder des Ausschusses per Anwesenheit des Ministers bewirken würde und im Falle einer Auskunft durch den Minister auf der anderen Seite eine Informierung des fragenden Organs. Die andere Möglichkeit stellt sich als erzwungene Anwesenheit des Ministers dar und zudem als verbindliche und umfassende Beantwortungspflicht des Befragten. Freilich kann das Fragerecht – und dem korrespondierend die Antwortpflicht – nur im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen ausgeübt werden, so daß es Randbereiche kollidierenden Verfassungsrechts geben mag, in denen der befragte Minister sich seiner Antwortpflicht entziehen darf oder klarer formuliert, in denen die Antwortpflicht des Ministers erlischt. Als Beispiel für einen solchen Fall kann die Preisgabe von Staatsgeheimnissen angeführt werden. Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich, daß nur die zweite Alternative dem telos des Fragerechts entspricht. Die kontrollierende Wirkung einer bloßen Anwesenheitspflicht und einer Beantwortung der Fragen nach Belieben des Ministers, gerät zu einer Farce, das Parlament muß um Antworten ersuchen in der bangen Hoffnung, über die ministerielle Tätigkeit informiert zu werden. Das aber entspricht weder dem Informationsrecht des Bundestages noch dem Gedanken,
Zum gleichen Ergebnis führt auch ein Rückschluß im Hinblick auf die ausdrückliche Erwähnung der Vertretung durch Beauftragte in Art. 43 Abs. 2 GG, die in Absatz 1 fehlt. 307 Versteyl, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 43, Rn. 1, 34, mit statistischen Nachweisen über die Ausübung des Zitierrechts, wonach das Zitierrecht seit Bestehen des Bundestages bis Anfang 2000 nur 54 mal beantragt worden ist; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 43, Rn. 13, spricht insofern von einer „Reservefunktion“.
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daß sich das Parlament oder ein Ausschuß für die Zitierung des Bundesministers entschieden hat 308. Bis zur Grenze des kollidierenden Verfassungsrechts sind die Mitglieder der Bundesregierung danach gehalten, auf alle Fragen des berechtigten Organs materiell richtig zu antworten 309. Nach der Korrespondenztheorie ergibt sich dieses Ergebnis bereits aus dem Schluß, daß den Mitgliedern der Bundesregierung in Art. 43 Abs. 2 GG ein unbedingtes Anwesenheits- und Rederecht eingeräumt wird. Diesem muß aber auch ein Fragerecht mit Antwortpflicht auf Seiten des Bundestages korrespondieren 310. Das Zitierrecht nach Art. 43 Abs. 1 GG ist damit eines der grundlegenden in der Verfassung vorgesehenen Kontrollmittel, um die Verantwortung der Regierung sichtbar zu machen 311.
308 Dies muß um so mehr gelten, als es sich, wie oben dargelegt, nicht um ein Minderheitsrecht handelt, sondern sich die Mehrheit der Volksvertreter bzw. ihrer Repräsentanten in den Ausschüssen für die Notwendigkeit einer Zitierung ausgesprochen hat. Zwar ist das Zitierrecht selbst nicht gerichtlich durchsetzbar, jedoch kann im Wege der Organklage nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG iVm §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG erreicht werden, daß das Bundesverfassungsgericht die Mißachtung des Zitierrechts aus Art. 43 Abs. 1 GG feststellt. Versteyl, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 43, Rn. 27, will aus dem Fehlen der gerichtlichen Durchsetzbarkeit des Zitierrechts selbst ein Fehlen von Ministerverantwortlichkeit schließen. Die Festmachung der Ministerverantwortlichkeit an einer rechtlichen Sanktionsmöglichkeit gegenüber dem Bundesminister greift aber viel zu kurz, wie oben dargestellt. 309 BVerwGE 73, 9 (10); BVerfGE 67, 100 (129 f.); 77, 1 (48); Jarass/Pieroth, GG, Art. 43, Rn. 3; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 43, Rn. 22; Roll, GOBT, Vor §§ 100105, Rn. 3; Vogelsang, ZRP 1988, 5 (7); Bodenheim, ZParl. 11 (1980), 38 (52); Weis, DVBl. 1988, 268 (270 f.); differenzierend bzgl. etwaiger Berichtspflichten Linck DÖV 1979, 116 (119); a.A. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 108, der eine Antwortpflicht mit der Behauptung ablehnt, eine solche sei nicht nachweisbar und entstünde dem Minister bei einem Schweigen ohne triftigen Grund ohnehin ein schwerer politischer Schaden; ebenso Schröder, in: BK, GG, Art. 43, Rn. 5 ff., trotzdem stellt nach seiner Meinung das Zitierrecht einen Ausschnitt der Ministerverantwortlichkeit dar, ebd., Rn. 22. 310 Eine Befragung zu Bundesbank und Bundesrechnungshof ist konsequenterweise nicht zulässig, da diese aufgrund ihrer Unabhängigkeit nicht in den Verantwortungsbereich der Bundesregierung fallen, Ritzel/Bücker/Schreiner, GOBT, vor §§ 100-106 II.3.l. 311 Daneben gilt dieses Recht z.B. auch für den Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53a GG, obwohl dieser kein Ausschuß, sondern oberstes Bundesorgan ist. Das Zitierrecht steht neben dem auch in Friedenszeiten zu gewährenden Informationsanspruch. Seine eigentliche Bedeutung entfaltet der Gemeinsame Ausschuß erst im Verteidigungsfall, Art. 115a ff. GG, insbesondere wenn er an die Stelle des Bundestages und Bundesrates nach Art. 115e GG tritt.
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dd) Art. 44 Abs. 1 GG i.V.m. PUAG Das in Art. 44 GG normierte Enquêterecht des Bundestages gehört zu den wichtigsten und ältesten Mitteln der Information und Kontrolle im parlamentarischen Regierungssystem 312. Stets muß ein konkreter Untersuchungsgegenstand benannt werden, der, einmal festgelegt, nicht wieder geändert werden kann, §§ 3, 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (PUAG) 313, es sei denn, die Änderung ist zur Erfüllung des Untersuchungsauftrages zwingend erforderlich. In diesem Fall kann der Änderungsantrag sogar von der Minderheit durchgesetzt werden 314. Der Untersuchungsgegenstand muß sich innerhalb der Grenzen halten, die auch für den Zuständigkeitsbereich des Bundestages gelten, § 1 Abs. 3 PUAG 315. Als explizites Minderheitsrecht und damit wirksames Kampfmittel der Opposition 316, sind zumeist solche Vorgänge Gegenstand der Untersuchungsausschüsse, die ein vermutetes Fehlverhalten der Regierung oder einzelner Mitglieder von höchster politischer Brisanz ans Licht zu bringen versprechen, sog. Mißstandsenquête. Dieses Kontrollmittel, das häufig von einem starken Medien- und damit öffentlichen
312 BVerfGE 49, 70 (85 f.); bis Ende 2002 sind 33 Untersuchungsausschüsse eingesetzt worden, s. Feldkamp, ZParl 34 (2003), 5 (14); BVerwGE 109, 258 (262), beschreibt die parlamentarische Kontrolle von Regierung und Verwaltung als Kernbereich der parlamentarischen Untersuchungskompetenz. Insbesondere gelte das für die Aufklärung solcher in den Verantwortungsbereich fallender Vorgänge, die auf Mängel oder Mißstände hinweisen. Vgl. zur Reichweite und Auslegung des Untersuchungsrechts auch Di Fabio, Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, S. 19 ff. Vgl. hierzu auch schon Schulze, Das Preussische Staatsrecht, 1888, S. 614: „Da nach geschichtlich begründeter deutscher Rechtsauffassung der Volksvertretung die ebenso schwierige als wichtige Pflicht obliegt, das verfassungsmässige Recht des Landes, wie der Einzelnen, auch gegen die Eingriffe der Staatsregierung zu schützen, so müssen ihr auch ausreichende Mittel gewährt werden, in solchen Fällen den Thatbestand gewissenhaft, unabhängig und nach allen Seiten hin zu untersuchen.“ 313 Untersuchungsausschußgesetz v. 19. Juni 2001, BGBl. 2001 Teil I, Nr. 28, S. 1142 ff.; vgl. zum Ablauf nach dem PUAG im einzelnen Klein, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 44, Rn. 168-227. 314 BVerfGE 83, 175 (179 f.). 315 Der „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“ ist der Untersuchung entzogen, Scholz, AöR 105 (1980), 564 (598); BVerfGE 67, 100 (139). Dieser Kernbereich umfaßt einen Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich, so daß sich das parlamentarische Untersuchungsrecht grundsätzlich auf bereits abgeschlossene Vorgänge bezieht, Magiera, in: Sachs, GG, Art. 44, Rn. 9; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 44, Rn. 21. 316 Enquête-Kommission Verfassungsreform, Schlußbericht, BT-Drs. 7/5924, S. 50: Die Opposition „muß daher auch durch institutionelle Hilfen in den Stand gesetzt werden, aus ihrer Minderheitsposition die Kontrollaufgaben wahrzunehmen, zu deren Ausübung das Gesamtparlament politisch . . . weniger geneigt sein dürfte.“ Schneider, in: HdbdVerfR, § 13, Rn. 92; Schambeck, in: GS Imboden, 1972, S. 293 (296), spricht davon, daß die Kontrollrechte des Parlamentes fast ausschließlich zu Kontrollrechten des parlamentarischen Minderheit geworden seien.
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Interesse begleitet wird 317, kann Basis für eine Sezierung von Regierungsfehlern sein, unterstützt durch die starken rechtlichen Handhaben (dazu unten) und effektheischenden Arbeitstitel der Ausschüsse 318. Das Verfahren über die Beweiserhebung findet grundsätzlich vor der Öffentlichkeit statt, § 13 Abs. 1 S. 1 PUAG und kann die Öffentlichkeit nur durch einen Mehrheitsbeschluß von der Anwesenheit bei der Beweisaufnahme ausgeschlossen werden, insbesondere zu den in § 14 PUAG benannten Zwecken wie Geheimhaltung besonders schutzwürdiger Daten und aus Staatsschutzgründen. Neben der Beweisaufnahme bildet der schriftliche Abschlußbericht an den Bundestag das zentrale Vehikel der Opposition, ihre Angriffspunkte öffentlichkeitswirksam vorzubringen. Da der Untersuchungsausschuß zumeist auf Antrag der Parlamentsminderheit hin eingerichtet wird und sich dies auch in der Besetzung des Ausschusses widerspiegelt, wird der Standpunkt der Opposition in von dem Abschlußbericht der Ausschußmehrheit abweichenden Sondervotum niedergelegt, § 33 Abs. 2 PUAG. Für den Untersuchungsausschuß kommen durch die Verweisung in Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG alle Beweismittel des Strafprozesses in Betracht und sind Gerichte und Verwaltungsbehörden zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet. Dem Untersuchungsausschuß müssen dabei auch Beweise zur Verfügung gestellt werden, die als Verschlußsache (VS-Vertraulich) eingestuft worden sind, § 16 Abs. 1 PUAG. Nach § 27 Abs. 2 und § 29 Abs. 3 PUAG stehen Zwangsmaßnahmen zwar unter Richtervorbehalt, sind aber durch den Ausschuß beantragbar und besitzt dieser hiermit valide Druckmittel zur Erlangung der geforderten Informationen 319. Die Qualifizierung der Einrichtung von Untersuchungsausschüssen als Minderheitsrecht drückt sich auch und insbesondere in § 17 Abs. 2 PUAG aus, der statuiert, daß Beweise zu erheben sind, wenn dies von mindestens einem Viertel der Ausschußmitglieder beantragt wird. Auch aus Art. 44 Abs. 1 GG selbst ergibt
317 Vgl. dazu nur den sog. Spenden-Untersuchungsausschuß gegen Alt-Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl im Jahre 2000/2001; BVerwGE 109, 258 (263): „Das Recht zur öffentlichen Kontrolle der Regierung und ihrer Exekutivorgane steht im Interesse des demokratischen Staates dem gewählten Parlament für die Dauer der Wahlperiode zu.“ Scheuner, in: FS Müller, 1970, S. 379 (393), stellt fest, daß die Öffentlichkeit als Lebenselement demokratischen Verfassungslebens zur politischen Verantwortung gehöre und bereits die Aufdeckung politischer Fehlhandlungen alleine schon eine wichtige Sanktion darstelle. 318 Vgl. dazu z.B. den sog. „Lügenausschuß“, beantragt am 02.12.2002 von der CDU/ CSU-Minderheit im Parlament, um angeblich während des Wahlkampfes 2002 geheimgehaltenes Wissen der Bundesregierung hinsichtlich der (ungünstigen) Finanzlage des Bundes aufzudecken, BT-Drs. 15/125. 319 Vgl. die Androhung von Beugehaft gegen ehemaligen Bundeskanzler Kohl im Spendenuntersuchungsausschuß rhein-zeitung.de/on/99/12/19/topnews/kohl1.html: „Beugehaft für Helmut Kohl?“
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sich neben dieser einfachgesetzlichen Normierung eine Ableitung eines formellen Beweisantrags- und Beweisbestimmungsrechts für die Minderheit 320. Die Untersuchungen der Ausschüsse treten insbesondere dann ins Scheinwerferlicht der Berichterstattung und damit der öffentlichen Meinungsbildung, wenn hochrangige politische Persönlichkeiten als Zeugen gehört werden 321. An ihren Aussagen vor dem Untersuchungsausschuß wird vermehrt ihre Glaubwürdigkeit gemessen und können widersprüchliche bzw. später als Unwahrheiten nachgewiesene Angaben von Politikern ihre politische Karriere erheblich beeinflussen 322 . Dies um so mehr, als die Zeugen auch durch den Untersuchungsausschuß vereidigt werden können 323.
320 In diese Richtung wohl auch Magiera, in: Sachs, GG, Art. 44, Rn. 21. Dagegen Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44, Rn. 166 f.; sowie ausführlich Seidel, BayVBl. 2002, 97 (106). Probleme ergeben sich hierbei dann, wenn die regierungsfreundliche Ausschußmehrheit Beweisanträge der Minderheit ablehnt oder auf einen späteren – womöglich unbestimmten – Zeitpunkt hinausschiebt. Letzterer Fall ist für das Ausschußergebnis insbesondere im Hinblick auf den Diskontinuitätsgrundsatz gefährlich. Insbesondere unter Hinweis auf Art. 34 Abs. 1 S. 2 WRV wird vorgetragen, daß ein formelles Antragsrecht für die Ausschußminderheit der grundgesetzlichen Regelung wohl nicht zu entnehmen sei. Art. 34 Abs. 1 S. 2 WRV sah ausdrücklich vor, daß die Ausschüsse in öffentlicher Verhandlung alle diejenigen Beweise erheben mußten, die sie oder die Antragsteller (also auch und gerade die Minderheit) für erforderlich erachteten. Ob dieser Hinweis als Begründung für einen Ausschluß eines formellen Antragsrechts auszureichen vermag, erscheint zweifelhaft. Die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses kann durch mindestens ein Viertel der Mitglieder des Bundestages erzwungen werden, Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG. Die Mehrheit ist durch keine Handhabe in der Lage diesen Vorgang zu verhindern, zu verzögern oder zu verschleiern. Die Verfassung ist an dieser Stelle eindeutig und einer anderweitigen Auslegung nicht zugänglich. Was für ein Schwert aber wird der Parlamentsminderheit durch die Verfassung in die Hand gegeben, wenn ihr zugleich das einzig wahrlich effektive Mittel der Beweiserhebung zur Verifizierung ihrer Vorwürfe vorenthalten wird? Deshalb muß die Stoßrichtung der verfassungsrechtlichen Fragestellung nicht lauten: War die Ablehnung des Beweisantrags durch die Ausschußmehrheit rechtswidrig?, sondern: War der Beweisantrag der Minderheit rechtswidrig? Auf diese Weise ist es der Opposition möglich, ihren Kontrollauftrag zu erfüllen und ist Rechtsklarheit gewonnen. Die verfassungsrechtlich berechtigte Einsetzungsminderheit kann nicht für die Rechtmäßigkeit ihrer Anträge beweispflichtig sein. Es ist Aufgabe der entgegenwirkenden Kräfte, die Rechtswidrigkeit der Anträge darzulegen. 321 Z.B. Anhörung des ehemaligen Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl vor dem Spendenuntersuchungsausschuß 2000/2001; Anhörung von Bundeskanzler Gerhard Schröder am 03.07.2003 vor dem „Lügenausschuß“; unabhängig hiervon steht dem Untersuchungsausschuß freilich auch das Zitierrecht nach Art. 43 Abs. 1 GG zu, vgl. Versteyl, in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 43, Rn. 8. 322 Vgl. Spendenuntersuchungsausschuß 2000/2001 bzgl. der „schwarzen Kassen“ der CDU und die widersprüchlichen Aussagen Dr. Schäubles und der ehemaligen CDU-Bundesschatzmeisterin Baumeister; Minderheitsvotum der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag zum 1. Untersuchungsausschuß der 14. Wahlperiode, dort insbes. S. 45 ff.; www.cducsu.de/kommunikation/download/EE80AB848 40E52669D07DA45F6D57C0811445-zqsmrpbh.pdf.
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ee) Art. 45 GG und Art. 45a GG Sowohl der Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union nach Art. 45 GG als auch die Ausschüsse für auswärtige Angelegenheiten und für Verteidigung gemäß Art. 45a GG besitzen grundsätzlich die gleiche Rechtsstellung wie die anderen Ausschüsse 324. Sie sind Ausdruck des ausgeprägten Systems parlamentarischer Kontrolle und dienen vordringlich diesem Zweck, auch wenn sie zugleich unterstützende und vorbereitende Funktionen für den Bundestag innehaben 325. Ihnen steht das Zitierrecht nach Art. 43 Abs. 1 GG uneingeschränkt zu 326. ff) Art. 45b GG i.V.m. WBeauftrG, §§ 113 ff. GOBT Art. 45b GG nimmt schon im Hinblick auf seinen Wortlaut eine Sonderstellung ein. In der am 19. März 1956 in das Grundgesetz eingefügten Vorschrift ist als einzige Stelle in der Verfassung von einer „parlamentarischen Kontrolle“ die Rede. Damit erhält diese Norm jenseits ihrer konkreten Ausgestaltung bezüglich der Berufung eines Wehrbeauftragten eine verfassungsrechtliche Bedeutung durch formelle Anerkennung der parlamentarischen Kontrolle als Grundstein des parlamentarischen Regierungssystems. Inhaltlich sollte durch die Einrichtung eines Wehrbeauftragten die Machtbalance zwischen Regierung und Parlament gewahrt bzw. wiederhergestellt werden 327. Die Aufgabe des Wehrbeauftragten besteht als Hilfsorgan des Bundestages in der Ausübung parlamentarischer Kontrolle und dem Schutz der Grundrech-
323 Die erforderliche Aussagegenehmigung für Amtsträger, §§ 6 Abs. 2, 7 Abs. 1 BMinG, § 54 Abs. 2 StPO, ist von der Bundesregierung nach § 23 Abs. 2 PUAG zu erteilen. Zwar handelt es sich bei § 7 Abs. 1 BMinG um eine Soll-Vorschrift, jedoch entsteht durch diese Formulierung grundsätzlich kein Ermessen, sondern muß vielmehr die Aussagegenehmigung erteilt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Vorschrift des § 7 Abs. 1 BMinG dem Interesse an der Wahrheitsfindung grundsätzlich den Vorrang gegenüber dem Interesse an der Geheimhaltung einräumt, BVerwGE 109, 258 (265). Die Bundesregierung sowie u.a. Bundesbehörden sind auf Ersuchen verpflichtet, sächliche Beweismittel, insbesondere Akten an den Ausschuß herauszugeben. Sollte dies unter Hinweis auf verfassungsrechtliche Bedenken verweigert werden, kann bereits ein Viertel der Ausschußmitglieder eine Überprüfung dieser Entscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht erreichen, § 18 Abs. 1, 3 PUAG. 324 Vgl. hierzu nur Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 40. 325 Magiera, in: Sachs, GG, Art. 45a, Rn. 1, 5. 326 Versteyl, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 43, Rn. 4. 327 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 45b, Rn. 2; im Fortgang (Rn. 4) benennt er es als aus der deutschen Verfassungswirklichkeit nicht mehr hinwegzudenkendes Instrument parlamentarischer Kontrolle über die deutsche Bundeswehr.
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te der Soldaten. Als Hilfsorgan des Bundestages ist er von diesem sowie dem Verteidigungsausschuß abhängig 328. Nach § 3 Nr. 1 WBeauftrG kann der Wehrbeauftragte vom Bundesminister der Verteidigung und allen diesem unterstellten Dienststellen und Personen Auskunft und Akteneinsicht verlangen 329. Die Bedeutung der Kontrollinstanz „Wehrbeauftragter“ wird durch einen Blick in die Entstehungsgeschichte erhellt. Ursprünglich hatte die SPD bei der Diskussion über eine Wehrverfassung gefordert, ein ausdrückliches parlamentarisches Mißtrauensvotum bezüglich der Person des Bundesverteidigungsministers einzuführen. Aufgrund der Einführung des Wehrbeauftragten als Kontrollinstitution konnte die SPD jedoch davon überzeugt werden, auf ein solches Mißtrauensvotumsrecht zu verzichten 330. Die Arbeit des Wehrbeauftragten wurde somit als adäquater Ersatz für ein Amtsenthebungsverlangen gegenüber dem Verteidigungsminister akzeptiert und spiegelt sich darin die außergewöhnliche Rechtsstellung des Beauftragten wider. gg) Art. 45c GG i.V.m. Art. 17 GG i.V.m. PetAG u. §§ 108 ff. GOBT Ein weiterer Pflichtausschuß ist der Petitionsausschuß nach Art. 45c GG. Zweck der Einrichtung dieses Ausschusses ist, dem Parlament Kenntnisse über Verfehlungen oder Mißstände im staatlichen Bereich zu vermitteln und somit die Regierung zu kontrollieren 331. Dieser Ausschuß behandelt Bitten und Beschwerden, die an den Bundestag gemäß Art. 17 GG gerichtet werden. Die Rechte des Petitionsausschusses erstrecken sich auf Aktenvorlage, Auskunft und Zutritt zu Einrichtungen der Behörden, § 110 Abs. 2 GOBT, §§ 1, 2 PetAG. In Ausübung der Auskunftsrechte hat der Petitionsausschuß das zuständige Mitglied der Bundesregierung zu verständigen. Diese Mitteilungspflicht ist Folge der alleinigen politischen Verantwortung des zuständigen Bundesmini328
Die Wahl des Beauftragten und Rechte des Verteidigungsausschusses sowie des Bundestages sind näher in §§ 113 ff. GOBT normiert. Die Amtsstellung und -Ausführung des Wehrbeauftragten ist abschließend im Wehrbeauftragtengesetz geregelt. 329 Eine Verweigerung ist nur ausnahmsweise aus Gründen der zwingenden Geheimhaltung möglich. Zudem steht ihm u.a. das Recht zu, vom Bundesminister der Verteidigung zusammenfassende Berichte über die Ausübung der Disziplinargewalt in den Streitkräften und von den zuständigen Bundes- und Landesbehörden statistische Berichte über die Ausübung der Strafrechtspflege anzufordern, soweit dadurch die Streitkräfte oder ihre Soldaten berührt werden, § 3 Nr. 5 WBeauftrG. Nach § 4 WBeauftrG sind ihm Gerichte und Verwaltungsbehörden verpflichtet, Amtshilfe zu leisten. 330 Schäfer, Der Bundestag, S. 246; Heun, in: Dreier, GG, Art. 45b, Rn. 1. 331 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 45c, Rn. 1; dort auch unter Fn. 7 der Hinweis auf die Bezeichnung als „parlamentarisches Kontrollorgan“ in den Gesetzesentwürfen; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 45c, Rn. 5; Feldkamp, ZParl 34 (2003), 5 (21), in der 14. Wahlperiode wurden 69.421 Petitionen und zusätzlich 203.579 Masseneingaben eingereicht.
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sters 332. Auch diesem Ausschuß sind die Gerichte und Verwaltungsbehörden zu Amtshilfe verpflichtet, § 7 PetAG. Dem Petitionsausschuß steht wie den anderen Ausschüssen das Zitierrecht nach Art. 43 Abs. 1 GG zu 333. hh) Kontrolle der Finanzplanung, Art. 110, 114 Abs. 1 GG Das Budgetrecht des Parlaments, das in Art. 110 GG seinen Niederschlag gefunden hat, dient zwar in erster Linie der sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation des Regierungshandelns 334. Durch die genaue Untersuchung des Regierungsvorschlags zum Haushaltsgesetz nach Art. 110 Abs. 3 GG kommt es jedoch zu einer tatsächlichen und vor öffentlichem Forum geführten Diskussion über den angelegten Haushalt der Regierung. Damit wird auch diese Form der Beobachtung zu einem der „wesentlichen Instrumente der parlamentarischen Regierungskontrolle, die die rechtsstaatliche Demokratie entscheidend prägt“ 335 und erfüllt „Kontroll- und Legitimationsfunktion“ 336. Gemäß Art. 110 GG ist die Regierung vor Beginn des ersten Haushaltsjahres verpflichtet, den Haushaltsplan aufzustellen und diesen in Form des Haushaltsgesetzes verabschieden zu lassen. In diesen Haushaltsplan sind alle Einnahmen und Ausgaben ohne Ausnahme und in Form hinreichend überprüfbarer Angaben einzustellen. Das Bundesverfassungsgericht hat jedem Abgeordneten ein „eigenes Recht auf Beurteilung des Haushaltsentwurfs“ 337 zugebilligt, was den kontrollierenden Charakter der Haushaltsdebatten zusätzlich untermauert, da mit diesem Recht ein umfassendes von der Regierung zu stillendes Informationsbedürfnis einhergeht 338.
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Ritzel/Bücker/Schreiner, § 110 GOBT, II. Versteyl, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 43, Rn. 4. Durch die Erweiterung seiner Rechte ist der Petitionsausschuß bereits einem Untersuchungsausschuß angenähert, ohne jedoch ein solcher zu sein, Achterberg/Schulte, in: v .Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 45c, Rn. 10. 334 Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 110, Rn. 19, 83. 335 BVerfGE 70, 324 (356); Heun, in: Dreier, GG, Art. 110, Rn. 6. 336 BVerfGE 79, 311 (344); jedoch ist mit Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 34, V. 4. (S. 454), darauf hinzuweisen, daß die Beschlußfassung über den Haushaltsplan nicht eigentlich „Kontrolle“ im ursprünglichen Sinne einer „nachträgliche Überprüfung“ ist. Vgl. dazu aber auch ders., Staatsrecht, Bd. 1, § 22, II. 5. e) (S. 974 f.), wo das Budgetrecht nach Art. 110 GG als wesentliches Institut parlamentarischer Kontrolle bezeichnet wird. 337 BVerfGE 70, 324 (356). 338 Insbesondere die Opposition nutzt die weithin beachtete Haushaltsdebatte, um auf aus ihrer Sicht gravierende Mängel hinzuweisen. Gute Angriffspunkte bieten sich in der Tat bei diesem Anlaß, denn die Regierung muß alle ihre Regierungstätigkeiten mit einem Haushaltsposten versehen, so daß sowohl die Tätigkeitsfelder als solche als auch die Gewichtungen absolut und relativ zu ersehen sind. Verkürzt gesprochen, kann der Haushaltsplan als „Regierungspolitik in Zahlen“ bezeichnet werden, BVerfGE 79, 311 (329). 333
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Nach Art. 114 Abs. 1 GG hat der Bundesfinanzminister dem Bundestag und dem Bundesrat über alle Einnahmen und Ausgaben sowie über das Vermögen und die Schulden im Laufe des nächsten Rechnungsjahres zur Entlastung der Bundesregierung Rechnung zu legen. Diese Rechnungslegung und auch die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung wird nach der Bestimmung des Art. 114 Abs. 2 GG durch den Bundesrechnungshof überprüft. Zur Wahrnehmung seiner Aufgabe steht dem Bundesrechnungshof auch das Recht zu, bezugnehmende Informationen, im Zweifel auch durch unangemeldete Besuche, zu erlangen 339. Aus diesem Vorgehen wird die Zweiteilung des Verfahrens deutlich, in dem der Bundesrechnungshof als Hilfsorgan der Legislative die rein rechnerische, unpolitische Kontrolle vornimmt, während der Bundestag zwar auch rechnerische Kontrolle ausüben kann, sich aber überwiegend auf die politische Bewertung der Ergebnisse kapriziert 340. Der eigentliche Akt der Entlastungsabstimmung im Bundestag ist der Schlußpunkt der parlamentarischen Rechnungsprüfung, der nach Übersendung des Berichts des Rechnungshofes stattfindet. Entgegen des ersten Eindrucks, der durch den Verfassungstext vermittelt wird, zeitigt die Verweigerung der Entlastung jedoch keine Rechtswirkungen. Andererseits schließt aber auch die Vornahme der Entlastung die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht aus 341.
Entgegen der rechtlichen Folgenlosigkeit ist die Verweigerung der Entlastung indes ein an das Volk gerichtetes politisches Signal, das über eine verfehlte Haushaltsführung und politisches Mißmanagement Zeugnis ablegen soll. Insbesondere ist es möglich, auch nach erteilter (Gesamt-)Entlastung, über einzelne Punkte der Rechnungslegung die Regierung anzugreifen 342. Die Verweigerung der Entlastung kann Überlegungen auf Seiten der Exekutivspitze zur Folge haben, inwieweit das gegenseitige Vertrauen soweit geschwunden ist, daß ein Rücktritt der Regierung geboten erscheint, oder zumindest eine Entfernung des Bundesfinanzministers aus dem Kabinett. Art. 114 Abs. 1 GG ist damit eine besondere Ausformung der generellen Rechenschaftspflicht der Exekutive und der Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament als solchem 343.
339
Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 114, Rn. 38. Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 114, Rn. 28; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein, GG, Art. 114, Rn. 17; Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 114, Rn. 1, 40 ff., spricht hier auch von einer speziellen politischen Verantwortung der Bundesregierung gegenüber dem Parlament sowie im weiteren Verlauf, Rn. 4, davon, daß die Rechnungslegung in erster Linie als Rechtfertigung der vom Volk abgeleiteten Finanzgewalt sei. 341 Jarass/Pieroth, GG, Art. 114, Rn. 3. 342 Kisker, in: HdbdStR, Bd. IV, § 89, Rn. 94; Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 114, Rn. 37; Heun, in: Dreier, GG, Art. 114, Rn. 33. 343 Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 114, Rn. 6. 340
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ii) Geschäftsordnungsmäßige Fragerechte Das Recht des Parlaments und der einzelnen Abgeordneten, sowie aus ihnen gebildeter Gruppen, auf Antworten und Informationen, sog. Interpellationsrecht, ist ergänzend zu den weiter oben erläuterten Möglichkeiten in der Geschäftsordnung des Bundestages (GOBT) verwirklicht. Der Begriff des Interpellationsrechts bezeichnet die Befugnis, „parlamentarische Anfragen, deren nähere Ausgestaltung in der Geschäftsordnung des Bundestages geregelt ist, an die Regierung zu richten.“ 344 Unabhängig von der Streitfrage, ob diese Interpellationsbefugnisse über Art. 38 Abs. 1 GG 345 oder Art. 43 Abs. 1 GG 346 an der verfassungsrechtlichen Garantie teilhaben, herrscht Einigkeit darüber, daß es sich bei ihnen um einen wesentlichen Aspekt legislativer Kontrolltätigkeit handelt. Diese Statusrechte 347 der Abgeordneten finden ihre nähere Niederlegung und Ausgestaltung in den §§ 100 ff. GOBT. Zweck der verschiedenen Fragerechte ist es, den Abgeordneten die für die Ausübung des Mandats erforderlichen Informationen rasch und zuverlässig zu verschaffen 348. Das Fragerecht in seinen zu erläuternden Ausformungen im Bundestag ist parlamentarisches Kontrollmittel gegenüber der Bundesregierung 349. Bei der Auslegung und Prüfung der Zulässigkeit der Fragen gilt der ungeschriebene Grundsatz: „Im Zweifel für den Fragesteller“ 350. Große Anfragen nach § 100 GOBT sind selbständige Vorlagen i.S.v. § 75 Abs. 1 lit. f) GOBT und können daher auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt werden. Berechtigt, Große Anfragen einzureichen, sind gemäß § 76 Abs. 1 GOBT Fraktionen oder eine Gruppe von mindestens fünf Prozent der Bundestagsmitglieder. Eine Grenze für die Anzahl der Fragen und ihre Detailliertheit besteht erst unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmißbrauchs 351.
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Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 26, II. 3. b) (S. 55). Hölscheidt, DÖV 1993, 593 (595); Jarass/Pieroth, GG, Art. 38, Rn. 34; Magiera, in: Sachs, GG, Art. 43, Rn. 2 u. Art. 38, Rn. 41; so wohl auch Klein, in: HdbdStR, Bd. II, § 41, Rn. 32; Ritzel/Bücker/Schreiner, GOBT, Vor §§ 100-106, II.2.; BVerfGE 13, 123 (125); 70, 324 (355); 80, 188 (217 f.). 346 Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 43, Rn. 6a; Maunz, in: Maunz/ Dürig/Herzog, GG, Art. 43, Rn. 1, 8; Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 26, II. 3. b) (S. 55). 347 BVerfGE 80, 188 (219); LVerfG MV, DVBl. 2003, 415, stellt fest, daß die Pflicht, „Fragen einzelner Abgeordneter nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig zu beantworten, in einem unlösbaren Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip (steht) . . . Mit jeder gewollten Unvollständigkeit einer Antwort . . . drängt die LReg. das für das Wesen des Parlaments zentrale Kontrollrecht zurück. Für diesen Ausnahmefall bedarf es ausnahmslos einer besonderen Rechtfertigung.“ 348 BVerfGE 57, 1 (5). 349 Ritzel/Bücker/Schreiner, GOBT, vor §§ 100-106 II.3. 350 Ritzel/Bücker/Schreiner, GOBT, vor §§ 100-106 II.3.b). 351 In der 8. Legislaturperiode wurden Anfragen mit bis zu 90 Einzelfragen gestellt, ohne daß Rechtsmißbrauch attestiert wurde, vgl. Troßmann/Roll, GOBT Erg.Bd., § 100, Rn. 2; mit der zeitlichen Entwicklung ging auch die Expansion der Fragen einher: In der 345
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Durch die zumeist intendierte Entscheidung der Anfragenden, auch eine Behandlung im Bundestag und damit vor den Augen der Öffentlichkeit zu erwirken, ist es nachvollziehbar, daß das Mittel der Großen Anfragen zu den wichtigsten Kontrollinstrumenten gegenüber der Regierung gezählt wird 352. Die zunächst verwunderliche Aufforderung des Bundestagspräsidenten an die Regierung in § 101 S. 1 GOBT, sich darüber zu erklären, ob sie antworten werde, ist entgegen dem ersten Anschein kein Hinweis auf ein grundsätzliches Verweigerungsrecht der Regierung. Die Formulierung, die fast unverändert seit 1848 in den Geschäftsordnungen der Legislativorgane zu finden ist, muß verfassungskonform unter Beachtung der oben herausgestellten Antwortpflicht der Regierung im Falle der Ausübung der Interpellation ausgelegt werden 353. Bei dieser Auslegung ist das „ob“ in § 101 GOBT vielmehr auf die zu beachtenden verfassungsmäßigen Grenzen zu beziehen, die eine Antwortpflicht entfallen lassen, wenn die Regierung dadurch verfassungsrechtliche Vorgaben verletzen würde, wie etwa das Gebot der Geheimhaltung bestimmter Tatsachen für das Staatswohl. Damit wird die Formulierung zum deklaratorischen Hinweis und kann nicht als ein das Verweigerungsrecht stützendes Argument verwandt werden. Auch die sog. Kleinen Anfragen nach § 104 GOBT gehören zu den Interpellationsrechten. Der Unterschied zwischen den Kleinen und Großen Anfragen ist nicht etwa ihr formeller oder materieller Umfang 354, sondern die Behandlung im Bundestag. Ist es möglich, die Großen Anfragen auf die Tagesordnung zu setzen, so besteht diese Option für die Kleinen Anfragen nicht 355. Auch diese Art des Interpellationsrechts ermöglicht es dem
14. Legislaturperiode wurde eine Große Anfrage mit 253 Einzelfragen eingereicht, BTDrs. 14/7435. 352 Troßmann, GOBT, § 105 a.F., Rn. 1; Feldkamp, ZParl 34 (2003), 5 (18), in der 14. Wahlperiode wurden 101 Große Anfragen gestellt; während der 10. Wahlperiode betrug die Anzahl sogar 175 (13. Wahlperiode: 156). Sollte es die Bundesregierung für die folgenden drei Wochen oder überhaupt ablehnen, auf die Frage zu antworten, kann der Bundestag sie auf die Tagesordnung setzen lassen und muß dies erfolgen, wenn dies eine Fraktion oder eine Gruppe von mindestens fünf Prozent der Abgeordneten verlangen, § 102 GOBT. 353 Ritzel/Bücker/Schreiner, GOBT, § 101, 1.c). Gleiches muß für die Bestimmung des § 102 S. 1 GOBT gelten, der eine Äußerungsablehnung der Regierung zum Inhalt hat. 354 Roll, GOBT, § 104, Rn. 2; a.A. Troßmann, GOBT, § 110 a.F., Rn. 1. 355 Demnach ist es ein schriftliches Verfahren, in dem das fragende Quorum, das ebenfalls aus einer Fraktion oder mindestens fünf Prozent der Abgeordneten bestehen muß, über bestimmt bezeichnete Bereiche von der Bundesregierung Auskunft verlangen kann. Entgegen einem Vorschlag des Geschäftsordnungsausschusses wurde das Fragerecht nicht auf Bereiche beschränkt, „für die die Bundesregierung unmittelbar oder mittelbar die Verantwortung trägt“, BT-Drs. 8/3460, § 104, S. 47. Durch die offene Formulierung der „Bereiche“ sollte zum Ausdruck kommen, daß auch Gegenstände, die nur der indirekten Einflußnahmen der Regierung unterlägen, durch das Parlament zu kontrollieren seien. Nur diese Regelung entspreche der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundestages, BTDrs. 8/4127, „Zu § 104“, S. 41. Gemäß § 104 GOBT fordert der Präsident die Bundesregierung auf, innerhalb von 14 Tagen schriftlich zu antworten. Die Kleine Anfrage wird daher häufig dazu eingesetzt, zügig an Informationen zu gelangen, während die Aufgabe der Großen Anfrage überwiegend in der öffentlichen Diskussion gesehen wird, vgl. Ritzel/Bücker/Schreiner, GOBT,
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Parlament, der Bundesregierung ihre Fragen aufzuzwingen und eine verbindliche Antwort abzuringen 356. § 105 S. 1 GOBT sieht vor, daß jedes Mitglied des Bundestags berechtigt ist, kurze Einzelfragen zur mündlichen oder schriftlichen Beantwortung an die Bundesregierung zu richten 357. Diese Fragen müssen von der Bundesregierung innerhalb einer Woche beantwortet werden und werden als Drucksache veröffentlicht, Richtlinie IV. 14. Die in § 106 Abs. 1 GOBT normierte Aktuelle Stunde ist als Aussprache über ein bestimmt bezeichnetes Thema von allgemeinem aktuellen Interesse in Kurzbeiträgen definiert 358. Gemäß § 106 Abs. 2 GOBT findet in Sitzungswochen eine Befragung der Bundesregierung statt, bei der die Mitglieder des Bundestages Fragen von aktuellem Interesse an die Bundesregierung im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit, vorrangig jedoch zur vorangegangenen Sitzung der Bundesregierung, stellen können. Ebenso wie die Aktuelle Stunde kann auch die Befragung der Bundesregierung als Minderheitsrecht nicht durch die Parlamentsmehrheit abgelehnt werden 359.
§ 104 I.1.b); Dauster, Die Stellung des Ministers zwischen Regierungschef, Parlament und Regierung, S. 231, zitiert die Kleine Anfrage als „punktuelle Regierungskontrolle“. Feldkamp, ZParl 34 (2003), 5 (18), in der 14. Wahlperiode gab es 1.813 Kleine Anfragen. Ihre Zahl betrug eine Wahlperiode zuvor (13.) sogar 2.070. 356 Vgl. hierzu etwa die Kleine Anfrage der FDP vom 04.06.2003 bezüglich der Übernahme des Vorstandsvorsitzes der Ruhrkohle AG durch den ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Müller, BT-Drs. 15/1152, auf die noch zurückzukommen sein wird. Ebenso die Kleine Anfrage der FDP vom 09.09.2004 bzgl. des Wechsels von Staatssekretär Dr. Tacke zur Steag AG, BT-Drs. 15/3695. 357 Das Nähere hierzu ist in Richtlinien geregelt. Danach ist es jedem Abgeordneten erlaubt, pro Sitzungswoche zwei Fragen zur mündlichen Beantwortung an die Regierung zu stellen. Für die gebündelte Beantwortung findet eine sog. Fragestunde in jeder Sitzungswoche im Parlament statt. Die Fragen selbst müssen kurz sein und keine unsachlichen Feststellungen oder Wertungen enthalten. Bei der Beantwortung muß der Fragesteller persönlich anwesend sein; ist er es nicht, so wird seine Frage schriftlich beantwortet, wenn er dies vorher beantragt hat. Bis zu vier schriftliche Fragen dürfen durch jeden Abgeordneten pro Monat gestellt werden. 358 Vgl. die Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP, BT-Plenar Prot. 15/ 40 mit dem Thema: Haltung der Bundesregierung zur Berufung des früheren Bundeswirtschaftsministers Werner Müller zum Vorstandsvorsitzenden des RAG-Konzerns. Ritzel/ Bücker/Schreiner, GOBT, § 106 I.b); Feldkamp, ZParl 34 (2003), 5 (18), 141 Aktuelle Stunden wurden in der 14. Wahlperiode abgehalten. Das Stattfinden der Aktuellen Stunde kann entweder vom Ältestenrat vereinbart oder durch eine Fraktion oder fünf Prozent der Abgeordneten verbindlich gefordert werden. Die Thematik muß sich als ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung im Rahmen der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundestages halten und allgemeine aktuelle Interessen berühren. Zum Kriterium der Aktualität als Zulässigkeitsvoraussetzung vgl. Troßmann/Roll, Erg.Bd. § 106, Rn. 2.2; BT-Drs. 8/3460, Anlage 5 S. 121; Ritzel/Bücker/Schreiner, GOBT, § 106 I.d)dd). 359 Die Befragung dauert gemäß Nr. 5 der Richtlinie in der Regel 30 Minuten. Die Bundesregierung ist berechtigt, durch einen fünfminütigen Redebeitrag die Diskussion zu eröffnen, Nr. 6. Die Fragen werden mündlich gestellt und unmittelbar folgend auch
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
Wichtige Normierung für das Herantreten an den Geschäftsbereich und die Person des Ministers ist Nr. 7 der dazu erlassenen Richtlinie, nach der grundsätzlich die angesprochenen Mitglieder der Bundesregierung zu antworten verpflichtet sind. Das „Rede-undAntwort-Stehen“ kommt darin unmittelbar zum Ausdruck und kann sich dem ein Minister nur mit Begründungsaufwand und potentiellem Gesichtsverlust entziehen. Die direkte persönliche Konfrontation auf Sachebene ist wirksames Mittel, seine eigene Position darzustellen und die Regierung durch geschicktes Vorbringen in Bedrängnis zu bringen, zumal aktuelle Themen von allgemeinem Interesse auch ein dementsprechendes Medienecho hervorzurufen in der Lage sind.
jj) Tadels- und Mißbilligungsbeschlüsse Ohne das die amtierende Regierung in ihrem gesamte Bestand entmachtende Mittel des Mißtrauensvotums nutzen zu müssen, besteht nach nahezu einhelliger Meinung die Möglichkeit für das Parlament, Tadels- oder Mißbilligungsbeschlüsse gegen einzelne Minister und ihr Verhalten zu fassen 360. Dabei wird es sich zumeist um Verfehlungen auf singulärer Basis handeln. Konkrete Rechtsfolgen erwachsen für den Minister oder den Kanzler hieraus nicht 361.
mündlich beantwortet. Feldkamp, ZParl 34 (2003), 5 (18), in der 14. Wahlperiode wurden 68 Fragestunden gezählt (10. Wahlperiode 142). 360 Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 29; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 637; Scheuner, Die Kontrolle der Staatsmacht im demokratischen Staat, S. 23 ff.; Küchenhoff , DÖV 1967, 116 (118); Oldiges, in: Sachs, GG, Art. 67, Rn. 30; a.A. Sattler, DÖV 1967, 765 (770 f.); Feldkamp, ZParl 34 (2003), 5 (20), Mißbilligungs- und Tadelsanträge gegen die Bundesminister Oskar Lafontaine und Jürgen Trittin, BT-Drs. 14/549, Plenar-Prot. 14/27, BT-Drs. 14/5573. 361 Aus der rein politischen und Signalwirkung ausstrahlenden Bedeutung dieses gesetzlich nicht niedergelegten Elements parlamentarischer Sichtbarmachung von Überwachung kann gefolgert werden, daß ein Beschluß über die Streichung eines Ministergehalts nicht hinnehmbar ist, vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 22, III. 3. c) (S. 997); Dauster, Die Stellung des Ministers zwischen Regierungschef, Parlament und Regierung, S. 282; Troßmann, JöR 28 (1979), 1 (52); ausführlich Epping, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 67, Rn. 32 ff.; a.A. Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 156 f., der in dieser Frage nicht nachvollziehbar zwischen der Unzulässigkeit dieser Maßnahme bei dem Bundeskanzler und der Zulässigkeit bei einem Bundesminister ausgeht; Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Bundesregierung, S. 315, will hier danach trennen, ob sich die Streichung des Ministergehalts gegen die Ministerstelle an sich oder den konkreten Minister richtet. Nur im ersten Falle soll eine Streichung zulässig sein. Dies erscheint im Hinblick auf die notwendige Trennschärfe in diesem Bereich allerdings nicht unbedenklich. Ein solcher Beschluß würde für den Minister nicht nur öffentliche Diskussion über seine Person und seine Amtsführung bedeuten, die auch dem Bundeskanzler nicht gleichgültig sein kann, sondern ihm würde eine konkrete Rechtsposition (§ 11 BMinG) entzogen, die ihn zudem noch in seinem existentiellen Bereich der finanziellen Sicherung träfe. Damit ist die Grenze der zwar politischen Bedeutsamkeit, aber rechtlichen Unverbindlichkeit in unzulässiger Weise überschritten. Tadel und Mißbilligung sind als Zeichen der Unzufriedenheit der Beschlußfassenden öffentlichkeitswirksam und können so eine Ver-
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kk) Entlassungsvoten Von den Mißbilligungsbeschlüssen zu unterscheiden sind die sog. Entlassungsvoten 362. Diese haben nicht nur die Form eines mahnenden Zeigefingers im Hinblick auf einzelne Akte oder Äußerungen eines Ministers, sondern stellen die konkrete Aufforderung an den Bundeskanzler dar, einen Minister zu entlassen – der Hintergrund für diese Forderung spielt auch hier wie im allgemeinen beim politischen Kontrollrecht des Parlaments nur eine untergeordnete Rolle. Unter Hinweis auf Art. 67 GG, in dem die Entscheidung getroffen worden sei, daß nur der Bundeskanzler über die Mitgliedschaft einzelner Minister in seinem Kabinett bestimmen könne, wird argumentiert, daß diese förmlichen Ersuchen des Parlaments lediglich einen Umweg darstellten, die Amtsenthebung eines Ministers zu erreichen. Damit aber hätten sie die gleiche Zielrichtung wie ein verfassungsrechtlich nicht vorgesehenes Mißtrauensvotum und seien daher unzulässig 363. Eine Intention des Bundestages bei dieser Beschlußfassung dahingehend, den Bundesminister seines Amtes zu entheben, ist dem Beschluß selbst inhärent und bedarf es darüber keiner Diskussion. Übersehen wird von der ablehnenden Ansicht indes, daß es sich auch bei einem solchen „förmlichen“ Beschluß lediglich um einen rechtlich unverbindlichen Akt handelt, der höchstens mittelbar und auf rein politischem Wege über den Druck auf den Kanzler zur Amtsenthebung führen kann. Auf andere Zulässigkeitskriterien als die der unmittelbaren Herbeiführung von Rechtswirkungen – hier des Amtsverlustes als Folge eines solchen Beschlusses – abzustellen, hieße, den Kern der parlamentarischen Verantwortlichkeit verkennen. Beschlüsse, die die unmittelbare, rechtlich verbindliche Amtsenthebung eines Ministers zur Folge haben, sind nach geltendem Verfassungsrecht nicht zulässig. Ein rechtlich nicht bindendes Entlassungsvotum des Bundestages als Ausdruck der gesteigerten Mißbilligung einer Person eines Bundesministers muß dagegen zulässiges Mittel zur Sichtbarmachung parlamentarischer Verantwortlichkeit sein 364.
haltensänderung herbeiführen. Einen faktischen Zwang, sein Amt aufzugeben, darf dieses Kontrollinstrument dagegen nicht beigelegt erhalten. 362 In der 14. Wahlperiode wurden (erfolglos) zwei Entlassungsanträge gegen zwei Bundesminister gestellt, BT-Drs. 14/5573 und BT-Drs. 14/8954, Plenar-Prot. 14/236. Vgl. zur weiteren historischen Entwicklung und parteipolitischen Diskussion Wengst, ZParl 1984, 539 ff. 363 Junker, Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, S. 81; Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 158; v. Beyme, Ministerverantwortlichkeit und Regierungsstabilität, S. 124 (130), in: Parlamentarismus ohne Transparenz. 364 U.M., AöR 76 (1950/51), 338 (341 f.); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 637; Oldiges, in: Sachs, GG, Art. 67, Rn. 31; Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 9 (69); vgl. dazu auch v. Doemming-Füsslein-Matz: Entstehungsgeschichte der Artikel des
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e) Kontrollrechte als Ausdruck rechtlicher Verantwortlichkeit? Bei all den genannten und erläuterten Mitteln der Aktualisierung der Ministerverantwortlichkeit handelt es sich trotz ihrer zumeist verfassungsrechtlichen und satzungsmäßigen Niederlegung nicht um eine rein rechtliche, sondern in allen Bereichen um eine politische Verantwortlichkeit 365. Auch wenn der Maßstab für den Kontrollgegenstand rechtlicher Natur sein kann, so liegt der Geltendmachung doch stets eine politische Entscheidung zugrunde, ob, wann und in welcher Form ein Verfahren durchgeführt werden soll. Allein die Gesetzesbindung würde dem System der parlamentarischen Regierung nicht entsprechen, da es in diesem Bereich enge Grenzen der gesetzlichen Normierbarkeit gibt. Die politische Opportunität legt die Details der Rechtsausübung durch die Volksvertretung fest; ob rechtliche oder rein politische Akzente die Diskussion beherrschen, liegt allein in ihrem Ermessen. Insbesondere sind hiervon die zivil-, straf- und verwaltungsrechtlichen Verantwortlichkeiten abzusondern 366. f) Wirkungslosigkeit der Kontrollmöglichkeiten? Mit einer Distinguierung zwischen rechtlicher und politischer Kontrolle ist indes nicht gesagt, daß diese Kontrolle wirkungslos wäre 367. Ganz im Gegenteil ist
Grundgesetzes, JöR n.F. Bd. 1, 1951, 1 (434 f.), danach herrschte im Herrenchiemseer Verfassungskonvent Einigkeit darüber, daß die Initiative zur Entlassung eines Bundesministers auch vom Bundestag ausgehen könne. Es wurde weit darüber hinaus gehend sogar eine darauffolgende Entlassungspflicht des Bundeskanzlers diskutiert und später festgelegt, daß der Bundeskanzler „auch ohne Antrag“ die Entlassung eines Ministers vorschlagen konnte. Daraus ergibt sich indes, daß der Bundestag nach der Intention des Verfassungsgebers erst recht ein Entlassungsvotum beschließen durfte. Diese im damaligen Abs. 3 vorgesehene Vorschrift wurde gestrichen, da sie als „überflüssig“ angesehen wurde, da sie bereits in Abs. 1 enthalten sei. 365 Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 100; Schambeck, Die Ministerverantwortlichkeit, S. 22, spricht von einer Ministerverantwortlichkeit „im engeren Sinne“; Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 14; Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 41 f.; Dauster, Die Stellung des Ministers zwischen Regierungschef, Parlament und Regierung, S. 17. 366 Für die z.T. vorgefundene Terminologie der „staatsrechtlichen“ Verantwortung ist anzumerken, daß dieser Begriff hier nicht verwendet wird, da er sich im Gebrauch entweder mit dem der parlamentarischen Verantwortlichkeit deckt oder soweit die „staatsgerichtliche“ Geltendmachung von Verantwortlichkeit gemeint ist, keinen Anwendungsbereich auf Bundesebene mehr besitzt. In diesem Zusammenhang bezeichnet es Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 15, zu recht als falsch, bei der parlamentarischen Verantwortlichkeit von einer disziplinarrechtlichen zu sprechen. Vgl. zu einem aktuellen Fall der Prüfung (zivilrechtlicher) ministerieller Regreßpflichtigkeit: Battis, in: FS Bemmann, 1997, S. 7 (12). 367 So aber z.B. Rausch, ZfPol 15 (1968), 494, der postuliert, die Ministerverantwortlichkeit bestehe nur noch „de jure, aber nicht mehr de facto“; Hirsch, PVS 8 (1967), 88
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zu statuieren, daß die Option, rechtsförmliche Sanktionen auszusprechen, nicht notwendige Voraussetzung für die parlamentarische Verantwortlichkeit ist (auch wenn solche Optionen sogar hinsichtlich des Mißtrauensvotums und Aussageerzwingungsrechten des Parlaments bestehen). Allein die Existenz der Kontrollmöglichkeiten rein politischer Art schafft einen nicht zu verkennenden Disziplinierungseffekt. Da die Öffentlichkeit, wie oben gezeigt, durch den Einsatz der Massenmedien sowie deren Konkurrenz untereinander um die zeitnaheste und Aufsehen erregenste Berichterstattung in großem Ausmaß an der politischen Entscheidungsfindung und -überprüfung teilnimmt, wirkt bereits die Möglichkeit der Einrichtung einer „Skandalkommission“ oder der Zitierung vor den Bundestag abschreckend 368. Die Verhaltensmöglichkeiten für den betroffenen Minister sind nicht politisch agierend und seine Politik geplant und routiniert an die Öffentlichkeit tragend, sondern reagierender und kurzfristiger Natur. Die Agenda der Kontrolle wird durch seine Gegner bestimmt. Auch wenn naturgemäß nicht jeder Skandal aufgedeckt wird und sich die Kontrolltätigkeiten auf besondere Auffälligkeiten bzw. besonders breitenwirksame Themen beschränken, ja beschränken müssen aufgrund limitierter Ressourcen 369, so kann doch aus dieser gewissen Zufälligkeit der Überwachung nicht auf ihre Ineffizienz geschlossen werden 370. Die Irrationalität und Unberechenbarkeit des Zufälligen mag manches vorbeiziehen lassen, in Sicherheit wiegen kann sich indes kein Minister, zu keinem Zeitpunkt. Es kann sogar die Behauptung aufgestellt werden, daß aufgrund der Sanktionierungsmöglichkeiten der politischen Kontrolle eine gewisse Verhaltensantizipation erreicht wird 371. Festhalten läßt sich jedenfalls, daß die Kontrolle einen lebendigen Teil der heutigen Verfassungswirklichkeit darstellt und das Institut der Ministerverantwortlichkeit für Transparenz und gegen Verfilzung steht. Das demokratische und parlamentarische Regierungssystem steht für die Kontrolle der Exekutive, deren wichtigster Teil die Geltendmachung und Publizierung von Auffälligkeiten bzw. Fehlentwicklungen insbesondere der Staatsleitung ist. Allein aus der obig dargestellten intensiven Nutzung der parlamentarischen Kontrollrechte ist ohne weiteres ersichtlich, daß es
(95) spricht von einer Fiktion; Ellwein/Görlitz/Schröder, Parlament und Verwaltung 1. Teil, S. 45 sind der Meinung, daß sie „fast gänzlich sinnentleert“ sei. 368 Nicht übersehen wird dabei freilich, daß die „vierte Gewalt“ nicht mit „gleicher verfassungsrechtlicher Substanz“ an der Gewaltenteilung und -kontrolle teilnimmt, auch wenn sie („außenstehende gesellschaftliche Kräfte“) „über Einfluß und wirtschaftliche Macht beträchtlichen Umfangs verfügen mögen“, Di Fabio, in: HdbdStR, Bd. II, § 27, Rn. 14. 369 Scheuner, in: FS Müller, 1970, S. 379 (398). 370 Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 98, 101, 124; Eichenberger, in: FS Huber, 1961, S. 130 gegen die Wirkungslosigkeit politischer Verantwortlichkeit. 371 Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 9 (36; Fn. 70).
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sich bei der grundgesetzlichen Fixierung der Ministerverantwortlichkeit nicht um tote Buchstaben vergangener Zeiten handelt, sondern um ein das Einstehenmüssen ständig aktualisierendes Wesensmerkmal der deutschen Verfassung. Damit aber steht dem Parlament Macht und Befugnis zu, so daß Verantwortung vor ihm nicht lediglich Rhetorik bleibt 372. 3. Exemplarischer Überblick über das Ausscheiden von Bundesministern aus der Regierungstätigkeit im Laufe der 14. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages als Indiz für die Existenz der Ministerverantwortlichkeit in der politischen Wirklichkeit Gerade auch im Hinblick auf die Gegenüberstellung von Verfassungstheorie und -wirklichkeit ist ein exemplarischer Blick auf ausgeübte Kontrollmaßnahmen während der 14. Legislaturperiode zu werfen, um bewerten zu können, ob auf den aufgezeigten Wegen, tatsächlich parlamentarische Verantwortung sichtbar gemacht werden kann. Gründe, aus seinem Beruf – im Bereich des Politischen unter Umständen seiner Berufung – auszuscheiden, gibt es mannigfaltige. So endigt das Amt eines Bundesministers selbstverständlich mit dessen Tod und kann er, der sich für eine Legislaturperiode dem Kabinett als Minister zur Verfügung gestellt hat, auch vorher um seine Entlassung ersuchen, wenn ihn gesundheitliche oder persönliche Gründe hierzu zwingen oder bewegen. Liegen solche Gründe nicht vor, bleibt der einmal ernannte Minister die gesamte Legislaturperiode in seiner Position und ist dies auch wünschenswert und sinnvoll, um sein Ministerium, „sein Haus“, durch und durch kennen zu lernen und der Politik seines Zuständigkeitsbereiches seinen individuellen Stempel aufzudrücken und für eine effektive und zielführende Umsetzung seiner Ideen Sorge zu tragen. Der Bundesminister ist Spitzenpolitiker, Teil der Staatsleitung und trägt ein Höchstmaß an gesamtstaatlicher Verantwortung für das Organisieren, Funktionieren und Entwickeln des Staates, mithin des friedlichen und prosperierenden Zusammenlebens der Bundesbürger insgesamt, soweit dies von staatlicher Seite beeinflußbar ist. Deshalb erscheint es unentbehrlich, im System der verfassungsrechtlich manifestierten Herrschaft auf Zeit, diese knapp bemessene Zeit nicht durch Personen- und Systemwechsel zu belasten. Der Minister programmiert, leitet und lenkt die ihm unterstehende exekutive Gewalt während der gesamten Legislaturperiode. Soweit das Idealbild und theoretische Einfassung der Staatsleitung. Die Wirklichkeit zeichnet häufig ein anderes, dunkleres Bild vom Zustand der politischen und staatswohlfördernden Auswahl der Minister und ihrer Amtsbeen-
372 Vgl. Di Fabio, Ein großes Wort – Verantwortung als Verfassungsprinzip, FAZ 02.05.2002, S. 10.
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digung. Wenn an dieser Stelle von „dunkler“ gesprochen wird, ist dies im Hinblick auf das Verhältnis zur idealiter zu wünschenden Situation zu beziehen. Denn eine Beendigung des Ministeramtes auf andere Art und Weise als die soeben bezeichnete, kann andererseits ein freundliches und helles Licht auf ein lebendiges und effektives System parlamentarischer Kontrolle werfen und auch auf Tatsachenebene die Kritiker dieses Systems widerlegen. Der Weg zu einem (freiwilligen) Ministerrücktritt oder gar seiner (unfreiwilligen) Entlassung ist zumeist lang und beschwerlich. Die Ereignisse sind oftmals unzählig und die Amtsbeendigung nur der Schlußakt einer langen Phase von Vorwürfen, Rechtfertigungen, Untersuchungen, öffentlichen Meinungsbildungen und ihrer Verdichtung zum Protest. Die genaue Zuordnung von Ursache und Wirkung bzw. Nachweisbarkeit des kausalen Zurechnungszusammenhangs der Amtsbeendigung zu exakt bestimmbaren Handlungen des Parlaments ist nicht darstellbar. Vielmehr kann aus dem vielschichtigen und komplexen Entwicklungsgefüge nur das parlamentarische Wechselspiel aufgezeigt werden, welches der Amtsaufgabe bzw. dem Amtsentzug voranging. Aus dem politischen Alltag und dem Zwang zur Schein- und Gesichtswahrung auf Seiten der Regierung und der sie tragenden Parlamentsmehrheit heraus ist ohne weiteres ersichtlich, daß es ungleich häufiger zu „freiwilligen“ Entlassungsgesuchen der Minister selbst als zu Entlassungen durch den Bundeskanzler kommt. Zu Recht wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß weder das konkret auslösende Moment, noch die Frage, von welcher Seite (Regierungsparteien oder Opposition) dieses kam, unbedingt eine Rolle spielt. Denn auch im Falle der Rücktrittsforderungen aus der eigenen Partei besteht ein Zusammenhang mit der parlamentarischen Verantwortlichkeit, da eine verantwortliche Amtsführung ohne Vertrauen der Mehrheit auf Dauer nicht vorstellbar ist und infolgedessen der Entzug dieses Vertrauens die Weiterführung der Amtsgeschäfte unmöglich macht 373. Im folgenden soll daher ein kurzer chronologischer und bewußt exemplarisch gehaltener Überblick über die aus der Regierung in der zuletzt abgeschlossenen 14. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages ausgeschiedenen Minister gegeben werden: Dem Kabinett gehörten zu Beginn der 14. Legislaturperiode 15 Bundesminister an, darunter 14 Ressortminister und ein Kanzleramtsminister. Zwischen dem 18. März 1999 und dem 19. Juli 2002 schieden aus der Bundesregierung insgesamt sieben der 15 Bundesminister in der folgenden Reihenfolge vorzeitig aus 374: Der Bundesminister der Finanzen am 18. März 1999; der Kanzleramtsminister am 31. Juli 1999; der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen am 17. September 1999; der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen am 20. November 2000; die Bundesministerin für Gesundheit
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Schröder, in: HdbdStR, Bd. II, § 51, Rn. 57. Vgl. hierzu die Entlassungen verbunden mit Neuernennungen im Parlament in den Plenarprotokollen des Bundestages: 14/32; 14/61; 14/135; 14/143; 14/143; 14/250; www.stuttgarter-nachrichten. de/stn/page/detail.php/67086. 374
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am 12. Januar 2001; der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten am 12. Januar 2001 sowie der Bundesminister für Verteidigung am 19. Juli 2002. Der Bundestag resp. seine Fraktionen oder einzelne Abgeordnete nahmen dabei insbesondere im Hinblick auf besondere Vorwürfe und Affären einzelner ausgeschiedener Minister ihre parlamentarischen Rechte wahr. In den meisten übrigen Fällen führte der Druck durch die Öffentlichkeit und die Rücktrittsforderungen von Seiten der Opposition zu einer vorzeitigen Amtsbeendigung und kam hinzu, daß die Zeitspanne zwischen den Ereignissen und der Ergreifung parlamentarischer Mittel oftmals nicht ausreichend gewesen sein mag. So könnte es beispielsweise im Falle des ehemaligen Bundesverkehrsministers gewesen sein, gegen den am 13. November 2000 Strafbefehl wegen Beihilfe zur Untreue erlassen wurde, woraufhin der Minister drei Tage später seinen Rücktritt erklärte und vier weitere Tage später bereits durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundeskanzlers aus seinem Amt entlassen wurde 375. Nach Bekanntwerden des Erlasses des Strafbefehls wurde öffentlich und sofortig die Entlassung des Ministers verlangt 376. Auch die wegen der BSE-Krise und ihrem diesbezüglichen Handeln in die Kritik geratenen Gesundheits- und Landwirtschaftsminister wurden öffentlich und mehrfach zum Rücktritt aufgefordert 377. Bezüglich der drei oben genannten Bundesminister, gegen die Maßnahmen durchgeführt wurden, läßt sich ein kurzer Überblick über die parlamentarische Auseinandersetzung nachzeichnen. So stellten verschiedene Abgeordnete und eine Oppositionsfraktion einen Tag vor der offiziellen Entlassung des ehemaligen Bundesfinanzministers einen Antrag, mit dem der Bundestag aufgefordert wurde, die „Mißbilligung des Verhaltens des Bundesfinanzministers . . . “ zu beschließen 378. Tags darauf fand im Bundestag eine Aktuelle Stunde den Rücktritt des Bundesfinanzministers betreffend statt, in der es zu heftigen Wortgefechten über das Verhalten und angeblich verantwortungslose Handeln des Ministers kam 379. Eine Kleine Anfrage wurde ca. sechs Wochen vor Entlassung des Kanzleramtsministers und seiner Berufung als Balkanbeauftragten der EU durch Abgeordnete und eine Oppositionsfraktion initiiert 380. In ihr ging es um die „Hausbauangelegenheiten“ des Ministers und 375
www.phoenix.de/old/themen/topt/112000/01162/. Vgl. z.B. www.phoenix.de/old/themen/topt/112000/01156/ und www.fdp-saarpfalz.de/presse _view.php4?i=178 zu diesbezüglichen Forderungen der Opposition; www.welt.de/daten/2000/11/15/ 1115de202628.htx zu einer Kommentarübersicht von neun, z.T. überregionalen Zeitungen wie z.B. Süddeutsche Zeitung und Berliner Zeitung, die ohne Ausnahme den Rücktritt/ die Entlassung fordern; zu Rücktrittsforderungen von Seiten der SPD und DIE GRÜNEN www.welt.de/daten/2000/11/15/ 1115de202631.htx; zur Rücktrittsforderungen durch SPD, www.spdrat.de/presse/pressemitteilungen/ texte%20bis%20november%202000/pr001115.htm. 377 Z.B. durch den Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion, Hans-Peter Repnik (CDU) vgl. www.sozial.de/default.htm?archiv/a2925.php3; sowie die FDP, archiv.tagesspiegel.de/ archiv /21.12. 2000/ak-po-2.html. 378 BT-Drs. 14/549. 379 BT Plenar-Prot. 14/27. 380 BT-Drs. 14/955 (vgl. hierzu die Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 14/1071). 376
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„diesbezügliche Kenntnis des Bundeskanzlers“, wobei langanhaltenden Presseberichten zufolge ein Wirtschaftsunternehmen den Hausbau des Ministers mit erheblichen finanziellen Mitteln gefördert haben sollte. An diese Anfrage anschließend wurde eine weitere Kleine Anfrage zu diesem Thema seitens einer Oppositionsfraktion gestellt, die noch detaillierter auf Entwicklungen in der Justiz und Presse einging 381. Da der Wechsel des Ministers in die Position des EU-Balkanbeaufragten zwischenzeitlich bereits vollzogen war, richtete sich die Anfrage konkret gegen die Tragfähigkeit dieses hochrangigen Politikers nicht mehr als Bundesminister, sondern als Repräsentant und Verantwortungsträger auf EU-Ebene, der nicht nur in seiner Funktion, sondern auch als Vertreter Deutschlands in der EU gesehen wird. Die Höhepunkte der Personaldebatten und ihrer parlamentarischen Behandlung stellen sicherlich die beiden Anträge auf Entlassung von Bundesministern während der 14. Legislaturperiode dar. Dem Entlassungsantrag gegen den Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 382 folgte keine Amtsaufgabe bzw. -enthebung. Anders stellt sich die Situation bezüglich des zweiten Entlassungsantrags zur Entlassung des Bundesministers der Verteidigung Anfang Mai 2002 383 dar und kam es zu einer vorzeitigen Amtsbeendigung am 19. Juli 2002 384. Die Behandlung des Antrags im Parlament geriet zu einer kontroversen Debatte über Leistungen und Fehlleistungen des Bundesministers und seine politischen Verantwortlichkeit. In der anschließenden namentlichen Abstimmung wurde der Antrag mit der Koalitionsmehrheit abgelehnt. Überwiegender Inhalt der Debatte war das allgemeinpolitische und -repräsentative Verhalten des Ministers, seine Reformvorhaben sowie in concreto die Bestellung von 73 Transportflugzeugen, deren Bezahlung, so lautete der Vorwurf, gegen das Haushaltsgesetz 2002 verstoßen habe. Zweieinhalb Monate und zahlreiche weitere Presseberichte und Vorwürfe später wurde der Verteidigungsminister aus seinem Amt entlassen.
Wie bereits angesprochen, soll und kann dieser Überblick keinen letzten Nachweis dafür erbringen, daß Amtsbeendigungen von Ministern auf parlamentarischen Druck hin statt fanden. Gerade die Wechselwirkung zwischen Medien, Öffentlichkeit und parlamentarischen Untersuchungen ist nicht mit letzter Sicherheit festzulegen und ist die Aufdeckung von Skandalen sicherlich auch in hohem Maße investigativem Journalismus zu verdanken. Deutlich wird durch diese Aufstellung indes, daß die Nutzung der parlamentarischen Untersuchungsrechte den Druck auf die Regierung, sich zu äußern, zu rechtfertigen und gegebenenfalls zu handeln, erheblich erhöht. Insbesondere dem politischen Gegner sind Mittel an die Hand gegeben, die eine Kontrolle der Staatsleitung ermöglichen und durch ihre Nutzung aktualisiert werden. In dieser Hinsicht kann der Aussage Krögers,
381 BT-Drs. 14/1793, in der es unter 7. heißt: „Warum hält es die Bundesregierung es für die EU für zumutbar, dass . . . in seinem Amt als EU-Balkanbeauftragter verbleibt, obwohl er selbst seine Ämter in der . . . (Partei) ruhen lässt, weil kein Schatten auf die . . . (Partei) fallen soll?“ (vgl. hierzu die Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 14/1951). 382 BT-Drs. 14/5573. 383 BT-Drs. 14/8954. 384 BT Plenar-Prot. 14/250.
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die Realisierbarkeit der parlamentarischen Ministerverantwortlichkeit sei „fragwürdiger denn je“ 385, nicht gefolgt werden. Der Austausch von fast der Hälfte aller Minister der Bundesregierung während einer Legislaturperiode deutet zwar einerseits auf ein etwaiges Versagen auf politischer Ebene, andererseits aber auf ein funktionierendes System parlamentarischer Selbstreinigungskraft hin.
§ 10 Verfassungsrechtlich gerechtfertigte Sonderkonstellationen im Hinblick auf das Erfordernis demokratischer Legitimation und parlamentarische Ministerverantwortlichkeit Die Untersuchung der verfassungsmäßigen Zulässigkeit ministerialfreier Räume als Ausnahme des dargelegten Demokratiemodells und seinem Erfordernis ununterbrochener Legitimationsketten und parlamentarischer Ministerverantwortlichkeit ist im Rahmen dieser Arbeit von Relevanz, um eine eventuell vorzufindende Legitimationslücke im ministeriellen Leitungsbereich abschließend bewerten zu können. Insbesondere im Hinblick darauf, ob jede Lücke sofort das Verdikt der Verfassungswidrigkeit trifft oder ob es Rechtfertigungen hierfür geben kann, die diese Lücke als von der Verfassung gedeckt erscheinen lassen, ist es notwendig, einzelne weisungsfreie Gebiete herauszugreifen und auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit hin zu überprüfen. Zu Beginn (1.) soll die Behandlung der Judikative stehen, deren Sonderstellung im ministerialgelenkten demokratischen Regierungssystem aufgrund kollidierender Verfassungsprinzipien unter Umständen einer klareren Lösung zuzuführen sein wird, als andere Bereiche. Als ein solcher, begründungsintensiverer, kann die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien für den Bereich der unmittelbaren Bundesverwaltung (2.) gelten. Zum Abschluß wird die Stellung des Bundeskartellamtes als weisungsfreie Bundesoberbehörde untersucht (3.) 386.
385
Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 162. Aus der Auswahl wird ersichtlich, daß die umstrittenen Komplexe der Selbstverwaltung bei der Betrachtung außen vor bleiben. Die unmittelbare Staatsverwaltung steht im Zentrum der Untersuchung und sind die Ergebnisse hierzu im weiteren Verlauf der Arbeit als Grundlage für eine kritische Auseinandersetzung mit der geltenden Rechtslage heranzuziehen. 386
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I. Die Rechtsprechung als Ausnahme und ihre Rechtfertigung 1. Die Weisungsfreiheit der Rechtsprechung Das demokratische Prinzip mit seinem verfassungsrechtlichen Erfordernis verschiedener, kumulativ notwendiger Legitimationsstränge wird im Hinblick auf die dritte Gewalt nicht – jedenfalls nicht in seiner Reinform – erfüllt. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ordnet die Teilung der Staatsgewalt an, die danach durch Organe der Gesetzgebung, vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird. Der neunte Abschnitt des Grundgesetzes, der die Rechtsprechung behandelt, wird in Art. 92 1. Hs. GG mit den Worten „Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; ( . . . )“ eingeleitet und „begründet ein Rechtsprechungsmonopol der Richter und Gerichte“ 387. Organisatorisch-personell demokratisch legitimiert sind Richter über ihre Wahl bzw. Ernennung 388. Die Durchbrechung des klassischen, mehrgliedrigen demokratischen Legitimationssystems wird in Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG offenbar. Danach sind die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. In eben dieser Unabhängigkeit manifestiert sich die ausnahmsweise Abkehr vom System der Vermittlung demokratischer Legitimation über Weisungsgebundenheit. Die im Grundgesetz als originärer Teil der Staatsgewalt bezeichnete Rechtsprechung unterliegt soweit sie Recht spricht, keinen Weisungen, weder abstrakt noch konkret auf den zu entscheidenden Einzelfall bezogen. Diese Weisungsfreiheit zeitigt zum einen die Wirkung, daß die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation auf diesem Weg entfällt und zum anderen, daß eine Verantwortlichkeitsrückführung für Gerichtsentscheidungen an den „zuständigen“ Minister nicht möglich ist. Der Richter handelt gemäß Art. 92 Hs. 1 GG selbständig und eigenverantwortlich 389, mit der Folge, daß eine Einwirkungsmöglichkeit von anderen Stellen verfassungsrechtlich unzulässig ist. Eine exekutivisch gestaltete Hierarchie fehlt daher gänzlich und ist es grundsätzlich nur im Wege der weiteren Rechtsverfolgung im Instanzenzug möglich, sich gegen das gefällte Urteil zur Wehr zu setzen. Ein direktes Eingreifen in die Entscheidungsfindung des Richters als Mittel zur Korrektur ist nicht nur verfassungsrechtlich nicht vorgesehen, sondern auch zwingend verboten, wie sich aus der Gesetzes387
Bettermann, in: HdbdStR, Bd. III, § 73, Rn. 4. Vgl. zu den einzelnen Berufungsarten, Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 43, II. 5. a) (S. 914 f.); grundlegend Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl. Auf strittige Punkte im Rahmen der Richterberufungen durch Richterwahlausschüsse soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden, da das Augenmerk auf der verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Rechtsprechung als Begründung für ihre Weisungsfreiheit liegt. 389 Barbey, in: HdbdStR, Bd. III, § 74, Rn. 30; Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem, S. 95, spricht in diesem Zusammenhang von „Unabhängigkeit kraft Bindung“; BVerfGE 3, 213 (224), spricht von „sachlicher Unabhängigkeit“ (Hervorhebung im Original); BVerfGE 31, 137 (140). 388
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bindung und -unterwerfung des Richters nach Art. 97 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG ergibt. Maßstab für die Rechtsfindung ist einzig das Gesetz. 2. Rechtfertigung aufgrund Art. 97 Abs. 1, 92 GG Freilich ist nicht zu übersehen, daß durch die strikte Gesetzesbindung sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation vermittelt wird 390. Daraus könnte gefolgert werden, daß durch die Strenge der Verfassungsforderung der fehlende Teil der demokratischen Legitimation gleichsam kompensiert wird. Einer solchen Überlegung ist indes entgegenzuhalten, daß auch für die vollziehende Gewalt in Art. 20 Abs. 3 GG strenge Gesetzesbindung angeordnet wird 391. Bei dieser findet sich jedoch kumulativ zu der Gesetzesbindung noch das hierarchisch gegliederte System der Ministerialverwaltung, das zur Rückführbarkeit und Verantwortungszuweisung im Rahmen der Exekutive führt und als solches auch grundsätzlich erforderlich ist. In diesem Ordnungsprinzip kristallisiert sich die Verfassungsforderung der umfassenden demokratischen Legitimation. Obigen Bedenken ist zwar nicht jede Berechtigung zu versagen; jedoch bleibt unbeachtet, daß die gesonderte Verfassungsnorm des Art. 97 Abs. 1 GG, die das Anvertrautsein der rechtsprechenden Gewalt an die Richter in Art. 92 GG konkretisiert, eine Unterwerfung „nur“ (!) unter die Gesetze (und Recht 392) bestimmt 393. Eine vergleichbare Normierung entbehrt die Staatsgewalt der Exekutive. Das zu statuierende legitimatorische Demokratiedefizit wird somit durch einen unmittelbaren Verfassungsbefehl gerechtfertigt 394. Im übrigen entspricht nur die Weisungsfreiheit der rechtsprechenden Gewalt dem Gewaltenteilungsgrundsatz, wie er sich aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ergibt.
390
Hillgruber, JZ 1996, 118. So auch Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 39 f. 392 Barbey, in: HdbdStR, Bd. III, § 74, Rn. 32. 393 Den eigenständigen Wert dieser Grundgesetzbestimmung verkennt Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 39, wenn er behauptet, damit werde lediglich auf die Natur der Sache abgestellt. Im Ergebnis zutreffend sieht er jedoch die Unabhängigkeit der Rechtsprechung als verfassungsrechtlich aus dem Zusammenhang von Art. 92 und 20 Abs. 2 S. 2 GG gerechtfertigt an. 394 Kriele, VVDStRL 29 (1971), 46 (64), bezeichnet die Unterworfenheit des Richters unter das Gesetz als demokratisch unerläßliches Korrelat seiner Unabhängigkeit. Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (319), hingegen sieht die Unabhängigkeit als Forderung aus der „Natur der Rechtsprechungstätigkeit“. Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung im Verwaltungsrecht, S. 43, Fn. 25; Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, S. 72; Dreier, in: ders.: GG, Art. 38, Rn. 41 u. Art. 20, Rn. 132, der auch der funktionell-institutionellen Komponente größere Bedeutung in diesem Fall zuspricht. 391
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Damit ist die sachliche Unabhängigkeit der Richter und ihrer Rechtsprechung ein Beispiel für ministerial- und weisungsfreie Ausübung von Staatsgewalt, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
II. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien als Ausnahme und ihre Rechtfertigung 1. Die Weisungsfreiheit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien Die auf der Kompetenzgrundlage des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG errichtete Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien entscheidet gemäß § 17 JuSchG über die Aufnahme in die und die Streichung von Titeln aus der Liste für jugendgefährdende Medien. § 19 Abs. 1 JuSchG bestimmt, daß die Bundesprüfstelle aus einer oder einem von dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ernannten Vorsitzenden, je einer oder einem von jeder Landesregierung zu ernennenden Beisitzerin oder Beisitzer und weiteren von diesem Bundesministerium zu ernennenden Beisitzerinnen oder Beisitzern besteht. Die Auswahl der Beisitzer findet aus verschiedenen vorgeschlagenen Persönlichkeiten mehrerer zu beteiligender Kreise wie z.B. Kirchen, Lehrerschaft, Kunst, Literatur und Buchhandel statt. Die personelle demokratische Legitimation wird damit durch die jeweilige Ernennung entweder durch das Bundesministerium oder die Landesregierung gewährleistet. Die Mitglieder des zwölfköpfigen Gremiums sind jedoch bei ihren Entscheidungen gemäß § 19 Abs. 4 JuSchG an Weisungen nicht gebunden. Bei dieser Normierung handelt es sich um die wort- und bedeutungsgleiche Übernahme der Vorschrift des zuvor geltenden § 10 GjS. Nach, soweit ersichtlich, einhelliger Meinung schließt diese Formulierung sogar die mittelbare Einflußnahme durch den Erlaß allgemeiner Richtlinien aus 395, so daß lediglich eine Bindung an die Gesetze Maßstab für die Entscheidung sein darf. Fraglich ist damit im Hinblick auf die ausdrücklich bestimmte Weisungsfreiheit die Rechtfertigung für die Reduzierung der sachlich-inhaltlichen demokratische Legitimation der Mitglieder der Bundesprüfstelle sowie die fehlende Leitungsbefugnis des zuständigen Bundesministers.
395 Vgl. statt vieler Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 80; Füsslein, Ministerialfreie Verwaltung, S. 233.
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2. Rechtfertigung aufgrund Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG Aus dem Wortlaut des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG als Kompetenzgrundlage 396 („ . . . können für Angelegenheiten, für die dem Bunde die Gesetzgebung zusteht, selbständige Bundesoberbehörden . . . durch Bundesgesetz errichtet werden“), wird zum Teil gefolgert, daß sie eine verfassungsrechtliche Sonderbestimmung für die bundesgesetzliche Errichtung weisungsfreier Räume darstellt. Denn konkret auf den Wortlaut bezogen wird argumentiert, daß gerade das Grundgesetz an dieser Stelle ausdrücklich „selbständige“ Bundesoberbehörden ermögliche. Dieses Kriterium der Selbständigkeit bedeute dabei, „daß die Bundesoberbehörden aus den Ministerien ausgegliedert und in bestimmtem, allerdings unterschiedlichem Maß weisungsfrei gestellt“ werden könnten 397. Dieser Deutung des Gesetzestextes ist jedoch entgegenzuhalten, daß es sich bei Art. 87 GG grundsätzlich um eine reine Kompetenzvorschrift handelt. Als solche vermag sie keine materielle Berechtigung zu schaffen, weisungsfreie Räume im Rahmen der bundesunmittelbaren Verwaltung errichten zu können. Die vorgenommene anderweitige Auslegung erscheint zwar prima facie plausibel. Bei näherer, kontextorientierter Betrachtung wird jedoch deutlich, daß es sich um eine organisationsrechtliche Bestimmung handelt, die neben den Art. 83 ff. GG, insbesondere Art. 86 GG, lediglich die Verteilung der formalen Ausgestaltungsrechte regelt 398. Auch eine extensivere Sichtweise, die dieser Art der Kompetenzvorschriften die Möglichkeit eines sogenannten Sekundärgehaltes im Sinne einer Legitimationsfunktion zubilligt 399, gelangt zu dem Ergebnis, daß diese Funktion höchstens für die in Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG angesprochenen „bundesunmittelbaren Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts“, nicht aber auf die „selbständigen Bundesoberbehörden“ gelten kann 400. Damit läßt sich feststellen, daß durch die zunächst zweideutig erscheinende Formulierung des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG jedenfalls keine verfassungsrechtliche Sonderbestimmung für die Schaffung ministerialfreier Räume besteht. Die Wei396
Vgl. Müller, JuS 1985, 497 (501). Hermes, in: Dreier, GG, Art. 86, Rn. 27. 398 Sachs, in: ders., GG, Art. 87, Rn. 66; so auch schon Loening, DVBl. 69 (1954), 173 (179), der jedoch ohne Prüfung weiterer Rechtfertigungsmöglichkeiten zu dem Ergebnis gelangt, daß gegen die „Einrichtung allerdings die allergrößten Bedenken bestehen.“ Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 140 f., der die Weisungsfreiheit im Rahmen der – wie oben dargelegt – abzulehnenden Verzichtstheorie begründet. 399 Zum ganzen umfassend Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 441-489 (S. 449). 400 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 465 ff., 476, 489; Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 252 f. 397
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sungsfreiheit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien kann daraus nicht gerechtfertigt werden. 3. Rechtfertigung aufgrund Art. 5 GG Ein kontrastierender Ansatzpunkt zur obig angestellten kompetenzrechtlichen Betrachtung könnte sich aus Überlegungen zum Grundrechtsschutz ergeben. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert Medien, von welchen sie der Meinung ist, daß diese die seelisch-geistige Entwicklung Heranwachsender gefährden könnten. Die Indizierung und die darauf folgenden Verbreitungserschwernisse resp. -verbote bedeuten zum einen eine Konkretisierung der in Art. 5 Abs. 2 GG vorgesehenen Schranke der Meinungs- und Pressefreiheit, wie sie sich aus Art. 5 Abs. 1 GG ergibt 401. Zum anderen wird auch die in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG grundsätzlich vorbehalt- und schrankenlos gewährleistete Freiheit der Kunst Einschränkungen unterworfen, da der Jugendschutz ein kollidierendes Rechtsgut von Verfassungsrang bedeuten kann, hinter dem die Kunstfreiheit im Einzelfall zurücktreten muß 402. Die Freiheit von ministerieller Einflußnahme auf Entscheidungen durch Weisungen könnte sich daher aus dem Erfordernis des schonendsten Eingriffs in die Grundrechte ergeben. So ist festzustellen, daß der Ausschluß der Weisungsmöglichkeit zugleich den Ausschluß direkter staatlicher Ingerenzen bedeutet. Durch die Einrichtung eines gruppenpluralistisch organisierten Entscheidungsgremiums wie im Falle der Bundesprüfstelle, durch das die größtmögliche Beteiligung verschiedener Interessengruppen gewährleistet wird, wird der klare Verfassungsauftrag, die Jugend vor ihre Entwicklung schädigenden Einflüssen freizuhalten, staatsfern aber umfassend erfüllt. Schreyer sieht diesen grundrechtlichen Rechtfertigungsansatz als Essenz der Feststellung der „Grundrechte als Elemente objektiver Ordnung“ 403, während Oebbecke unabhängig von der objektivierenden Sicht auf die Verhältnismäßigkeit der Einrichtung dieser Institution im weiteren Sinne abstellt und bejaht 404. Das Bundesverfassungsgericht zieht sich bei der konkreten Frage nach der Zulässigkeit der Weisungsfreiheit der Bundesprüfstelle auf seine früh herausgearbeitete Position zurück und konstatiert schlicht, daß die politische Tragweite der Aufgaben der Bundesprüfstelle nicht von solchem Ausmaße seien, daß ihrer Ausgestaltung Bedenken im Hinblick auf den Gesichtspunkt des ministerialfreien Raumes entgegenstünden 405. Bei weiterer Betrachtung fällt indes auf, daß auch 401
Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 176. BVerfGE 30, 336 (347 f.); 83, 130 (139 f.). 403 Schreyer, Pluralistische Entscheidungsgremien im Bereich sozialer und kultureller Staatsaufgaben, S. 118 ff., 173. 404 Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 178 ff. 402
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das Bundesverfassungsgericht den Gedanken des Grundrechtsschutzes für die Rechtfertigung des weisungsfreien Raumes fruchtbar macht. Danach nehme die staatliche Verwaltung nicht in Anspruch, „die Wertmaßstäbe für die Indizierungsentscheidung mit dem eigenen, monokratisch strukturierten Beamtenapparat zu bestimmen“, sondern soll die Beteiligung von Gruppenvertretern „gerade im Interesse der Kunstfreiheit sicherstellen, daß alle für die Indizierungsentscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte gesammelt . . . werden“ 406. Der außergewöhnlichen Lage, daß Grundrechtsschutz um seiner Optimierung Willen von staatlicher Ingerenz freizuhalten ist, ist nach überzeugender Ansicht bei der Untersuchung des Art. 5 GG in diesem Zusammenhang Rechnung zu tragen 407. Der Schutz des Inhaltsbereichs des Art. 5 GG, dort insbesondere die grundsätzlich schrankenlos gewährte Kunstfreiheit, erfordern eine Weisungsfreistellung der indizierenden Institution. Somit läßt sich für den Bereich der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien das Vorliegen einer die Weisungsfreiheit rechtfertigenden verfassungsrechtlichen und damit gleichrangigen Kollisionsnorm festhalten. Die reduzierte sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation und die damit zusammenhängende fehlende Rückbindung an den ressortzuständigen Bundesminister ist damit verfassungsrechtlich gerechtfertigt und stellt eine zulässige Ausnahme zum entwickelten demokratischen Legitimationsprinzip dar 408.
405
BVerfGE 83, 130 (150). BVerfGE 83 130 (150), Hervorhebung durch den Verfasser. 407 A.A. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 559 ff., der bereits die Möglichkeit der grundrechtlichen Kompensation demokratischer Legitimationsdefizite verneint. 408 Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 179 f., der hier anscheinend noch die erhöhte Akzeptanz der Entscheidung durch die Gruppenbeteiligung als Rechtfertigungsgrund hinzufügt – dem ist aufgrund fehlender verfassungsrechtsrelevanter Qualität allerdings die Zustimmung zu versagen; Schreyer, Pluralistische Entscheidungsgremien im Bereich sozialer und kultureller Staatsaufgaben, S. 173; Müller, JuS 1985, 497 (503); i.E. ebenso Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 186, der die Weisungsfreiheit als durch das Rechtsstaatsgebot gerechtfertigt ansieht. Füsslein, Ministerialfreie Verwaltung, S. 332; i.E. zustimmend auch Obermayer, in: Maunz/Obermayer/Berg/Knemeyer, Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, der allerdings bereits die besondere Sachkunde der Ausschüsse als Rechtfertigung ausreichen lassen will, was m.E. aber in dieser Pauschalität der notwendigen Qualität als Verfassungsrechtsargument entbehrt. 406
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III. Das Bundeskartellamt als Ausnahme und ihre Rechtfertigung 1. Die Weisungsfreiheit des Bundeskartellamtes Die Organisationsstruktur des Bundeskartellamtes ist unter Demokratiegesichtspunkten nur dann rechtfertigungsbedürftig, wenn eine Abweichung vom Prinzip der weisungsvermittelten demokratischen Legitimation und Leitungsbefugnis zu konstatieren ist. § 51 Abs. 2 S. 1 GWB bestimmt, daß die Entscheidungen des Bundeskartellamts von Beschlußabteilungen getroffen werden, die nach Bestimmung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie gebildet werden. Vorsitzende und Beisitzende der Beschlußabteilungen müssen Beamte auf Lebenszeit sein und die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst haben, § 51 Abs. 4 GWB. Die so gebildeten Beschlußabteilungen unterstehen allgemeinen Weisungen, wie § 52 GWB indirekt, aber dennoch unzweideutig, bestimmt: „Soweit das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie dem Bundeskartellamt allgemeine Weisungen für den Erlaß oder die Unterlassung von Verfügungen nach diesem Gesetz erteilt, sind diese Weisungen im Bundesanzeiger zu veröffentlichen.“ Die Befugnis des Bundesministers, allgemeine Weisungen zu erteilen, ist daher unbestritten, zumal die Veröffentlichungspflicht der allgemeinen Weisungen auch für den Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes gemäß § 53 Abs. 1 S. 2 GWB wiederholt wird. Eine generelle Weisungsfreiheit steht damit nicht mehr zur Diskussion und kann nur noch die Frage nach der (Un-)Zulässigkeit von Einzelweisungen im Verhältnis von Bundesminister zum Bundeskartellamt eine legitimatorische Lücke offenbaren. Für eine direkte Einwirkungsbefugnis des Ministers mittels Einzelweisung wird vorgebracht, daß nur so die politische Entscheidung bei der verantwortlichen Stelle verbleiben könne 409. Bei dieser Überlegung handelt es sich jedoch um eine petitio principii, da sie das erst herzuleitende Ergebnis zugleich zu seiner Begründung zu benutzen sucht, so daß ihr Argumentationscharakter entfällt. Auch die weiter vorgebrachte Stellungnahme, daß sich aus der unstrittigen Zulässigkeit allgemeiner Weisungen erst recht die Einzelweisungsbefugnis ergebe 410, kann nicht überzeugen. Vielmehr läßt sich aus der im Gesetz ausdrücklich postulierten Zulässigkeit allgemeiner Weisungen ein argumentum e contrario hinsichtlich 409 Füsslein, Ministerialfreie Verwaltung, S. 180.; Vorbrugg, Unabhängige Organe der Bundesverwaltung, S. 158 ff. 410 Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 77.
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konkreter Weisungen schließen. Wenn schon allgemeine Weisungen einer doppelten Publikationspflicht unterliegen, §§ 52, 53 Abs. 1 S. 2 GWB, so müßte dies erst recht für konkrete Eingriffe in die Entscheidungsbefugnis der Beschlußabteilungen gelten – wenn diese zulässig wären. Schließlich kann es sich bei den Entscheidungen um solche von wirtschaftspolitischer Bedeutung handeln, deren ministerielle Lenkung im Einzelfall der Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden dürfte. Auch eine kontextorientierte Auslegung kommt zu keinem anderen Ergebnis. Es wäre eine widersinnige und überflüssige Bestimmung, daß beispielsweise § 42 GWB dem Bundesminister das Sonderrecht erteilt, Zusammenschlüsse zu genehmigen, die das Bundeskartellamt zuvor untersagt hatte. Sähe das Gesetz bereits eine generelle Einzelweisungsbefugnis vor, könnte der Bundesminister direkt in das Verfahren eingreifen, ohne vorab die negative Entscheidung des Bundeskartellamtes abwarten zu müssen. Aus dem Angeführten ergibt sich, daß die besseren Argumente für eine Freiheit der Beschlußabteilungen von der ministeriellen Einzelweisungsbefugnis sprechen 411. Damit schließt sich jedoch das Folgeproblem des – begrenzten – ministerialfreien Raumes und seiner Rechtfertigung unter demokratisch-legitimatorischen Gesichtspunkten an. 2. Rechtfertigung aufgrund Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG Die erste Organisationsvorschrift, die die nähere Ausgestaltung des Bundeskartellamtes regelt, § 51 Abs. 1 S. 1 GWB, legt fest, daß das Amt eine selbständige Bundesoberbehörde ist. Aufgrund dieser Tatsache wird auch hier vorgetragen, daß es sich um eine aus Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG zu rechtfertigende Weisungsfreiheit handelt, da Selbständigkeit im Sinne des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG Weisungsfreiheit bedeute 412. Daß Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG als bloße Kompetenz- und Organisationsvorschrift die erforderliche demokratische Legitimation nicht zu vermitteln vermag, wurde unter Bezug auf die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien bereits dargelegt. Unter Verweis auf diese Ausführungen ist dieser Rechtfertigungsansatz auch für das Bundeskartellamt abzulehnen.
411 Jarass/Pieroth, GG, Art. 86, Rn. 3, 4; Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 247; Müller, JuS 1985, 497 (501, 503); Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (311); v. Wallenberg, Kartellrecht, Rn. 18; Schultz, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 51, Rn. 5; Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 14, Rn. 46 f.; wohl auch Emmerich, Kartellrecht, § 34, 1. (S. 362); differenzierend Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 48, Rn. 11 ff., mit Nennungen zur abweichenden Auffassung. 412 Hermes, in: Dreier, GG, Art. 86, Rn. 27.
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3. Rechtfertigung in Anlehnung an Art. 97 Abs. 1, 92 GG Wie dargestellt, rechtfertigt sich die Weisungsfreiheit der Rechtsprechung aus ihrer besonderen Stellung als eigenständige Gewalt im staatlichen Organisationsgefüge und sieht die Verfassung mit den Art. 97 Abs. 1, 92 GG ihre Unabhängigkeit von exekutiven Einflüssen, insbesondere ministeriellen Weisungen, vor. Dabei wurde auch festgestellt, daß sich dieses Ergebnis aufgrund der klaren Verfassungsaussage treffen läßt und grundsätzlich nur für den streng gesetzesgebundenen Richter gilt. Daß das Bundeskartellamt keine unmittelbar richterliche Tätigkeit ausübt, ist unbestritten. Fraglich ist in diesem Zusammenhang jedoch, ob ein Entscheidungsfindungsprozeß, der ähnlich dem der rechtsprechenden Gewalt ausgeformt ist, genügt, um zu einer vergleichbaren und damit ausreichenden verfassungsrechtlichen Rechtfertigungssituation zu gelangen wie sie in Art. 97 Abs. 1, 92 GG für die Rechtsprechung vorgesehen ist. Die Absätze 2 bis 4 des § 51 GWB bestimmen, daß die Entscheidungen des Bundeskartellamts von den Beschlußabteilungen getroffen werden, welche in der Besetzung mit einem oder einer Vorsitzenden und zwei Beisitzenden entscheiden, die Beamte auf Lebenszeit sind und die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst haben. Das Verfahren der Beschlußfassung ist in den §§ 54 bis 62 GWB ausführlich geregelt. Neben der Bestimmung, daß die Verfahren sowohl von Amts wegen als auch Antrag durchgeführt werden, finden sich solche, die Anhörungsrechte und -pflichten sowie das Recht zur Stellungnahme Betroffener regeln. Weitere Normierungen betreffen die Erhebung von Zeugenbeweisen unter Verweis auf die Regelungen der Zivilprozeßordnung, Stellungnahmen von Sachverständigen, Beschlagnahmerechte ohne vorherigen Gerichtsbeschluß, Auskunftsverlangen und ihre Durchsetzung, Befugnis zum Erlaß einstweiliger Anordnungen, Begründungszwang für die Verfügungen, ihre Zustellung und Rechtsmittelbelehrung. Sowohl aus der Zusammensetzung der Beschlußabteilungen als auch der verfahrensmäßigen Ausgestaltung ist ersichtlich, daß zu recht und, soweit ersichtlich, einheitlich von einer quasi-judiziellen Weise der Entscheidungsfindung gesprochen wird 413. Kern des Problems und nicht unumstritten ist dagegen, ob diese quasi-judizielle Weise ausreicht, eine Anlehnung an die Regelungen über die Weisungsfreiheit der Rechtsprechung, Art. 97 Abs. 1, 92 GG und damit ihre Weisungsfreiheit selbst zu rechtfertigen. 413 Vgl. nur Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 280; Vorbrugg, Unabhängige Organe der Bundesverwaltung, S. 158.
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Dagegen wird im Zusammenhang mit justizförmigen Verfahren vorgetragen, daß der Begriff der Rechtsprechung so unkonturiert sei, daß er als Abgrenzungsund Differenzierungsmerkmal nicht zu gebrauchen sei. Zwar gebe es durchaus Strukturähnlichkeiten zu dem Bereich der Rechtsprechung, jedoch aufgrund der Vagheit sei es nicht möglich, bestimmte Fälle zu Rechtfertigungszwecken daraus abzusondern 414. Gegen diese Auffassung ist einzuwenden, daß die Funktionen und Inhaltsbestimmungen der dritten Gewalt im grundgesetzlichen System der Gewaltenteilung und seiner Ausprägung durchaus definierbar sind. Einzig aus dem Fehlen einer Definition des Begriffes in der Verfassung selbst kann nicht auf seine Unbestimmtheit geschlossen werden und ist die Tragweite dieser Behauptung kaum zu überblicken. Konsequent fortgeführt bedeutete dieser Gedanke, daß sich das Wesen der Rechtsprechung bis heute nicht klären ließe und maximal ein Kernbereich als rechtsprechende Gewalt anerkannt werden könnte. Dabei ist es in der Tat die Rechtsprechung, die ein geschlossenes und definiertes System darstellt 415; gerade in Abgrenzung zu ihr wurde und wird der Begriff der Exekutive definiert, da in ihr eine Begrenzung, eine statische Größe erkannt wird 416. Das Argument, die Übertragbarkeit der Rechtfertigungstatbestände der richterlichen Weisungsfreiheit scheitere an der fehlenden Abgrenzungsfähigkeit, kann somit nicht überzeugen. Auch der allgemeine Einwand einer nicht vorhandenen Einbindung in ein instanzenförmiges Kontrollsystem sowie einer nicht vergleichbaren Statussicherheit judikativer und administrativer Organe 417 verfängt im Hinblick auf das Bundeskartellamt nicht. Die Entscheidung der Kartellbehörde unterliegt einer vollumfänglichen Überprüfung durch das Oberlandesgericht im Beschwerdeverfahren gemäß §§ 63 ff. GWB 418. Des weiteren bestehen die Beschlußabteilungen aus Beamten auf Lebenszeit, die zudem die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst oder zum Richteramt besitzen, § 51 Abs. 4 GWB.
414 Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 154 ff., hier konkret in Bezug auf die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (jetzt: Medien). 415 Vgl. zur Definition Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 92, Rn. 7; nicht übersehen wird freilich, daß es durchaus verschiedene Ansätze und damit verbundene Schwierigkeiten einer Definition gibt. Daß die Definition der Rechtsprechung jedoch kein taugliches Abgrenzungskriterium bildet, wird deutlich bestritten. 416 Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 41, I. 3. c) (S. 738) entwickelt eine zweipolige Definition, bestehend aus einem positiven und einem negativen Teil, welcher auszugsweise lautet: „Verwaltung kann zunächst negativ bestimmt werden als alle nicht . . . zur Rechtsprechung gehörende Aufgabenerfüllung . . . “. 417 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 419 f. 418 Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 71, Rn. 37 f.
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Ernstzunehmendes und zugleich schwerwiegendstes Argument für eine Unzulässigkeit einer „Legitimations-‚Anleihe‘“ ist der grundsätzliche Unterschied in der Gesetzesbindung 419. Während die Rechtsprechung einzig Gesetz und Recht verpflichtet ist und hierbei keine rechtspolitischen Bewertungen eigener Provenienz einfließen dürfen, ist die Exekutive in der Lage, im Rahmen der Rechtmäßigkeit zweckmäßige Gestaltungen zu schaffen und dabei Freiräume zu nutzen. Diese Argumentation beansprucht naturgemäß insbesondere für gruppenpluralistisch besetzte Entscheidungsgremien Geltung. Gerade auch unter Berücksichtigung des Bemühens, ein möglichst breit gefächertes Expertenwissen aus möglichst weiten Kreisen der Gesellschaft in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, wird deutlich, daß hier jede Art von Weisungsunterworfenheit dem Sinn ihrer Schaffung konträr entgegenliefe. Die vollständige Weisungsfreiheit ist die Folge – rechtmäßigerweise freilich nur dort, wo eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieses Defizit abdeckt. Umfassend anders stellt sich die Situation für das Bundeskartellamt dar. Hier entscheiden, wie oben dargelegt, auf Lebenszeit ernannte Beamte in einem justizförmigen Verfahren über Anträge und unterliegen diese Entscheidungen vollumfänglich der Nachprüfung durch das zuständige Oberlandesgericht als Beschwerdegericht. Wichtigster Unterschied zu den sonst in diesem Zusammenhang genannten Gremien aber ist die gesetzlich festgelegte und unbestrittene Weisungsunterworfenheit des Bundeskartellamtes unter allgemeine Weisungen des Ministers. Über diese ist der Chef der obersten Bundesbehörde in der Lage, gesetzeskonkretisierend, vereinheitlichend und in gewisser Weise entscheidungspräjudizierend auf die Behörde einzuwirken. Folglich verbleibt als nicht gänzlich bedenkenfreier Teil nur der restliche Entscheidungsfreiraum, der bei vollständiger Einstellung des Bundeskartellamtes unter die ministerielle Leitungsbefugnis durch konkrete Einzelweisungen ausgefüllt würde. Aus der Gegenüberstellung der Geringfügigkeit dieses Entscheidungsspielraums mit der beim Bundeskartellamt und seinen Beschlußabteilungen außergewöhnlich stark ausgeprägten Justizförmigkeit ist ersichtlich, daß in diesem besonderen Fall eine Anlehnung die Rechtsprechungsfunktion näher liegt als ihre Ablehnung. Damit gilt auch für das Bundeskartellamt, daß sein verbleibender, weisungsfreier, nicht der ministeriellen Leitungsbefugnis unterstehender und damit demokratielegitimatorisch defizitär ausgestalteter Entscheidungsbereich über die Anwendung der Normierungen der Art. 97 Abs. 1, 92 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist 420. 419
Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 420 f. Im Ergebnis ebenso Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (310 f.); Vorbrugg, Unabhängige Organe der Bundesverwaltung, S. 183, bzgl. der Bundesprüfstelle „als Organ materieller Rechtsprechung“, was aufgrund der Ausführungen im Text erst recht für das Bundeskartellamt gelten muß. Eine Äußerung Vorbruggs zur Rechtfertigungsthematik bzgl. des Bundeskartellamtes findet sich nicht, da er bereits die Weisungsunabhängigkeit des Amtes verneint. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 280 f. mit Verweis auf die 420
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§ 11 Schlußbetrachtung Erster Gegenstand dieses Kapitels war es, das grundgesetzliche System auf seine konkreten Aussagen bezüglich der Ausgestaltung der legitimatorischen Anforderungen des Demokratieprinzips zu untersuchen. Insbesondere die Frage nach der notwendigen demokratischen Legitimation und ihrer Vermittlung im Bereich der bundesunmittelbaren Verwaltung mußte analysiert und einer Antwort zugeführt werden. Zum Ausgangspunkt wurde dabei das grundlegende und weitbeachtete Legitimationskonzept Böckenfördes gemacht, das der Verfassung die Forderung nach einem einheitlichen Legitimationsniveau entnimmt, welches durch das sich ergänzende Zusammenspiel verschiedener Legitimationsarten demokratischer Natur gewährleistet wird. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu der Thematik demokratischer Legitimation mehrfach geäußert und in konsequenter Weise das System sich ergänzender Legitimationsstränge in seine Rechtsprechung eingebettet. Blinde Gefolgschaft entstand daraus indes nicht, wie das jüngste Urteil zum Problembereich der demokratischen Legitimation im Rahmen der funktionalen Selbstverwaltung deutlich erkennen läßt, insbesondere im Hinblick auf das konträre Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Ein grundlegendes und folgenreiches Konzept, das ein staatswesentliches Prinzip wie jenes der verfassungsrechtlichen Demokratie konkretisiert, mußte großen Widerhall in der literarischen Auseinandersetzung erzeugen. Für die Untersuchung der tatsächlichen Erfordernisse, die das Grundgesetz einer demokratischen Legitimation abverlangt, war damit insbesondere die ablehnende Kritik und ihre Argumentation näher zu beleuchten. Schließlich mußte die eigene Analyse und Bewertung des demokratischen Systems und seiner Ausgestaltung im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zur Klärung der zu Beginn gestellten Frage folgen. Aufgrund der hier gefundenen Ergebnisse war es möglich, sich kritisch mit den in Rechtsprechung und Literatur vorgebrachten Ansichten und Stellungnahmen auseinanderzusetzen und schließlich eine Modellentscheidung zu treffen. Als Ergebnis läßt sich danach feststellen, daß das Legitimationskonzept der sich zu einem einheitlichen Legitimationsniveau ergänzenden Legitimationsstränge konsequente Folge des Demokratieprinzips des Grundgesetzes ist.
„Distanzierungsfunktion“ der Weisungsfreistellung; ähnlich auch Müller, JuS 1985, 497 (503), der den „Objektivierungszweck“ in den Vordergrund rückt; Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 187, zur Bundesprüfstelle, deren Weisungsfreiheit ihre Rechtfertigung in der Fernhaltung von politischer „Opportunität“ und damit im Rechtsstaatsgebot finde.
§ 11 Schlußbetrachtung
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Weder in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes noch in der Literatur lassen sich überzeugende Gründe dafür finden, daß das Grundgesetz ganze Bereiche von dem System der demokratischen Legitimation vorbehaltlos freistellen will. Auch und gerade die mannigfachen Versuche in der akademischen Auseinandersetzung, Freiräume außerhalb der hierarchischen Ministerialverwaltung zu schaffen bzw. die vorhandenen Stellen dogmatisch zu untermauern, schlagen in ihrer Abstraktheit fehl. Das Konzept sich ergänzender Legitimationsstränge, die Ausdünnungen auf dem Weg zur Erreichung des notwendigen Legitimationsniveaus kompensieren können, bietet außergewöhnliche Flexibilität und wird damit auch den hoch komplexen Anforderungen des Verfassungsalltags gerecht 421. Zwingendes Gebot des demokratischen Prinzips, wie es seinen Niederschlag im Grundgesetz gefunden hat, ist, daß über ununterbrochene Legitimationsketten die notwendige Legitimation an die nächste Hoheitsgewalt ausübende Ebene vermittelt wird. Teil der Vermittlung demokratischer Legitimation und zugleich Rückkoppelungselement an das Volk ist das Mittel der ministeriellen Weisungsbefugnis. Diese muß stets rechtlich möglich sein, um einen mit der Verfassung nicht zu vereinbarenden Einbruch des Systems zu verhindern. Auch das Bundesverfassungsgericht, das in seiner jüngsten Entscheidung zum Modell demokratischer Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung weitgehende Modifizierungsrechte an die Hand gibt, betont für den Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung: „Die verfassungsrechtlich notwendige demokratische Legitimation erfordert eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern. . . . Die Ausübung von Staatsgewalt ist dann demokratisch legitimiert, wenn sich die Bestellung der Amtsträger – personelle Legitimation vermittelnd – auf das Staatsvolk zurückführen läßt und das Handeln der Amtsträger selbst eine ausreichende sachlichinhaltliche Legitimation erfährt, d.h. die Amtsträger im Auftrag und nach Weisung der Regierung handeln und die Regierung damit in die Lage versetzen, die Sachverantwortung gegenüber Volk und Parlament zu übernehmen.“ 422 Im demokratischen, parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik sind die Minister die zentralen Transmissionsriemen der demokratischen Legitimation in die Exekutive und muß die Politik der Regierung im Ganzen durch das Parlament gestützt werden. Die auf die Minister selbst übertragene demokratische Legitimation geben diese u.a. organisatorisch-personell durch Ernennungen und sachlich-inhaltlich durch Weisungen und Richtlinien weiter; das hierarchisch aufgebaute und pyramidal strukturierte System der Ministerien ist nicht nur ef-
421
Sommermann, in: v. Mangold/Klein/Starck, GG, Art. 20, Rn. 183; Battis/Kersten, DÖV 1996, 584 (589). 422 BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, BvL 5/98, www.bverfg.de/entscheidungen/ ls20021205_2bvl00 0598.html, Absatz 156 f.; Hervorhebung durch den Verfasser.
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
fektiv, sondern verwirklicht auch und in erster Linie das Verfassungsgebot der Demokratiedurchsetzung allen staatlichen Handelns. Nach der Auswahl und Einsetzung der Minister in ihr Amt durch den Bundeskanzler muß sich das Parlament nur bedingt dem Willen des Regierungschefs beugen. Unterläßt dieser es, trotz einer sich abzeichnenden Regierungskrise aufgrund von Fehlbesetzungen im Kabinett, die Schwachstellen auszutauschen, riskiert er den Verlust seines Amtes. Es liegt in seiner Verantwortung, fähige und mehrheitsfähige Behördenleiter einzusetzen bzw. zu erkennen, wann es an der Zeit ist, diese aus ihrem Amt zu entfernen. Die zweite Gewalt, wie sie durch die Bundesminister als Leiter der obersten Bundesbehörden vertreten wird, unterliegt indes nicht nur hinsichtlich ihrer Zusammensetzung dem Druck des Parlaments. Auch bezüglich der bundesministeriellen Handlungen resp. Unterlassungen fehlt es nicht an einer Rückbindung an den Volkswillen und ihrer Überprüfung 423, wie der zweite Gegenstand dieses Kapitels gezeigt hat. Das Parlament und seine Abgeordneten haben ein großes und differenziert abgestuftes Arsenal von Kontrollmöglichkeiten gegenüber den einzelnen Bundesministern. Ultima ratio dieser Mittel ist der Vertrauensentzug gegenüber der einen und Vertrauensausspruch gegenüber einer neuen Regierung, durch die auch das Amt des mißliebigen Ministers vorzeitig endigt. Gerade im Bereich der persönlich zu verantwortenden Handlungen und Unterlassungen wurde im Verlaufe der Darlegung nachgewiesen, daß sich der Minister nicht lediglich auf den höchstpersönlichen Wissens- und Informationsbereich beschränken darf. Seine Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament reicht vielmehr bis in den letzten Winkel der unter seiner Ägide stehenden Verwaltung. Bei einer Untersuchung des Begriffs Verantwortlichkeit sowie seiner Bedeutung, die ihm nach dem Grundgesetz zukommt, kann einzig eine dogmatische und rechtssystematische Durchleuchtung zur Erhellung führen. Die rechtliche Einflußnahmemöglichkeit mußte demnach bestimmend sein für das Kriterium der persönlichen Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament als Repräsentant des Volkes und Kontrollorgan der Exekutive. Nur ein so weit gefaßter Rahmen ist in der Lage, dem demokratischen Geist, der alles staatliche Handeln durchdringt, gerecht zu werden. Ist der Rahmen auf der einen Seite abgesteckt und zudem in maximaler Weite definiert, so gelangt man unweigerlich zu der Frage der Korrelation von Verantwortlichkeit und Leitungsbefugnis. Anders gewendet: Handelt es sich bei Gegenüberstellung von Weisungs-/Letztentscheidungsbefugnis und parlamentarischer 423 Schambeck, in: GS Imboden, 1972, S. 293 (312), führt zu Recht aus: „Mit der Mehrung der Zuständigkeiten des Staates ist die Verantwortung der Regierung gestiegen und damit die Kontrolle des Parlamentes notwendiger geworden. Die Weiterentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Regierung ist daher ein Gebot der Demokratie und des in ihrem Auftrag stehenden Rechtsstaates.“
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Verantwortlichkeit um eine Gleichung? Sind jene conditio sine qua non für die Verantwortlichkeit? Die Antwort, die die Verfassung hierauf gibt, lautet: Ja, Verantwortung und Einwirkungsbefugnis müssen einander entsprechen! 424 Der Minister muß sich für alles, was in seinem Hause geschieht, verantworten. Diese Weite stellt zugleich ihre Grenze dar. Als unter ministerieller Leitung geschehend kann damit nur das definiert werden, was der Minister, zumindest rechtlich, beeinflussen kann 425. Die Verfassung unterwirft ihn strikten und wirksamen Kontrollen, kann aber ihre Kontrollbefugnisse nicht auf Räume erstrecken, die außerhalb des ministeriellen Machtbereiches liegen. Es gilt: Der nicht entscheidungsbefugte Minister ist dem Parlament nicht verantwortlich 426. 424 Dies hat das Bundesverfassungsgericht explizit bereits in einer frühen Entscheidung zum Bremer Personalvertretungsgesetz festgestellt, BVerfGE 9, 268 ff. Nach diesem Personalvertretungsgesetz bedurften die Dienststellenleiter zu allen Maßnahmen in sozialen und personellen Angelegenheiten der Angehörigen des öffentlichen Dienstes der Zustimmung des Personalrats als Vertretung der Bediensteten. Insbesondere unter dem Aspekt der Korrelation von Regierungsbefugnissen und Verantwortung als Forderung des demokratischen Rechtsstaats konnte die Mitbestimmung in diesem Maße nicht gebilligt werden. Durch die Mitbestimmung fielen Entscheidungsgewalt und Verantwortung unzulässigerweise auseinander, so daß das Gesetz für verfassungswidrig zu erklären war. 425 Vgl. dazu auch Di Fabio, Ein großes Wort – Verantwortung als Verfassungsprinzip, FAZ 02.05.2002, S. 10: „Politiker und Staatsbedienstete genießen ein Äquivalent für Freiheit, sie können Verantwortung nur tragen, wenn sie über rechtliche Kompetenzen und tatsächliche Möglichkeiten des Handelns verfügen. Das Grundgesetz verwendet denn auch die Begriffe Verantwortung und Entscheidungsfreiheit synonym, die „eigene Verantwortung“ etwa des Bundesministers für seinen Geschäftsbereich steht zunächst für die eigene Handlungsbefugnis, wobei dann auch in eigener Person oder durch die Körperschaft Konsequenzen zu tragen sind, zu haften ist.“ 426 Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 446; Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung im Verwaltungsrecht, S. 46; Herzog, in: Maunz/ Dürig/Herzog, GG, Art. 65, Rn. 94, 96; Schröder, in: HdbdStR, Bd. II, § 51, Rn. 49; Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (321 f.): „Verantwortung und Leitungsbefugnis . . . können nicht auseinanderfallen.“; Schambeck, Die Ministerverantwortlichkeit, S. 7 f., 28; Füsslein, Ministerialfreie Verwaltung, S. 309; Scheuner, in: FS Müller, 1970, S. 379 (391); Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 96 f., 145 f.: „Denn da nur der Minister gegenüber der Volksvertretung verantwortlich ist, nicht aber eine nachgeordnete Behörde oder ein einzelner Beamter, reicht diese Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeit der Volksvertretung nur so weit, als sich die unmittelbare Leitungs- und Aufsichtsgewalt des Ministers erstreckt.“; Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 4, 20, 82 f.; Battis, BBG, § 55, Rn. 3: „Ohne die Weisungsgebundenheit der Beamten gäbe es keine parlamentarische Verantwortlichkeit des Ministers für sein Ressort.“; Sommermann, in: v. Mangold/Klein/Starck, GG, Art. 20, Rn. 161; Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 127: „Politische Steuerung und parlamentarische Verantwortung setzen aber letztlich hierarchische Kontrolle und Konsistenz der öffentlichen Gewaltausübung voraus; . . . “; Lorse, ZBR 2003, 185 (194); Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 47 f.; Klein, DÖV 1974, 590 (592); Stern, Staatsrecht, Bd. 2,
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Kap. 3: Demokratische Legitimation und Ministerverantwortlichkeit
Aus den umfassenden Untersuchungen die ersten beiden Gegenstände dieses Kapitels betreffend, kristallisierte sich die klare Verfassungsvorgabe heraus, daß es grundsätzlich keine echten, systemfremden 427 und „grundsätzlich bedenkliche(n)“ 428, Ausnahmen von der ministeriellen Leitungsbefugnis und der umfassenden demokratischen Legitimation geben darf. Nicht damit gesagt war allerdings, daß die Verfassung selbst nicht die Entscheidung treffen könne, bestimmte Bereiche von der ministeriellen Weisungsbefugnis auszunehmen und stellt sie, wie dargelegt, für verschiedene Hoheitsträger unmittelbar oder mittelbar Rechtfertigungen für ihre Ministerialfreiheit zur Verfügung, die der einfache Gesetzgeber in diesem zulässigen Rahmen nutzen kann. Für den im Rahmen dieser Arbeit relevanten Bereich der staatsunmittelbaren Verwaltung konnte nachgewiesen werden, daß eine Ausnahme vom dargelegten Prinzip demokratischer Legitimation nur dort zulässig sein kann, wo ein zumindest gleichwertiges Gut mit Verfassungsrang dies gebietet oder zumindest rechtfertigt 429. Jeglicher Bereich fehlender ministerieller Weisungs- und Leitungsbefugnis kann dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit im Hinblick auf Art. 20 Abs. 2 GG nur unter der Bedingung seiner Rechtfertigung durch ein aus der Verfassung selbst zu entnehmendes Gebot entgehen.
§ 31, IV. 5. c) (S. 318), § 41, IV. 10. b) (S. 790); Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 344, spricht von direkter Proportionalität; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 314 ff. 427 Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 414, in Anlehnung an Loening, DVBl. 1954, 173 ff. 428 Sachs, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 41; Dauster, Die Ministeranklage im deutschen Landesverfassungsrecht, in: GS Geck, 1989, S. 123 (128), verneint die Zulässigkeit solcher verantwortungsfreier Räume auch jüngst noch gänzlich. 429 Loschelder, in: HdbdStR Bd. III, § 68, Rn. 22, 59, 70; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (369, 374); Dahlgrün, Demokratie und Verwaltung 50 (1972), 317 (320); Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 139; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 314, 364, 366 f.; Dreier, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 116, 123; Morlok, in: Dreier, GG, Art 38, Rn. 36, 41; Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 20, 27 f.; Schreyer, Pluralistische Entscheidungsgremien im Bereich sozialer und kultureller Staatsaufgaben, S. 113.
Kapitel 4
Der befangene Bundesminister im Spannungsfeld zwischen Demokratieprinzip und Rechtsstaatsgebot § 12 Das Spannungsfeld In den vorangegangenen Kapiteln sind die grundlegenden systematischen Fragen, wie sie in der Konstellation des konkreten Ministererlaubnisverfahrens aufgeworfen wurden, gesondert vorgenommen und Antworten zugeführt worden, die in ihrer abstrakten und isolierten Betrachtung abweichenden Interpretationen allgemein nicht zugänglich sind. Allein die kontextorientierte Zusammenführung sämtlicher Resultate offenbart das hier gegebene verfassungsrechtliche Spannungsfeld, in welchem sich der befangene Bundesminister befindet. Das grundsätzlich keinen Ausnahmen zugängliche Prinzip ununterbrochener Legitimationsketten, welches sowohl die Herleitung als auch die Rückführbarkeit aller mit hoheitlicher Gewalt getroffenen Entscheidungen auf das Parlament gebietet, hat in seiner Unabdingbarkeit zur Konsequenz, daß ein Bundesminister für alle unter seiner rechtlichen Einflußnahmemöglichkeit vorgenommenen Handlungen parlamentarisch verantwortlich ist. Die Rigidität und Weite des Systems in dieser Hinsicht zwingt auf der anderen Seite dazu, anzuerkennen, daß Verantwortlichkeit dort ohne Ausnahme nicht bestehen kann, wo rechtliche Einflußnahmemöglichkeit für den Minister nicht besteht. Diese einem Bundesminister gerade als Zeichen seiner Stellung als Exekutivorgan und Leiter einer obersten Bundesbehörde zustehende Weisungs- und Letztentscheidungskompetenz erfährt eine Durchbrechung für den Fall der (Besorgnis der) Befangenheit in seiner Person. Ein so betroffener Bundesminister scheidet aus dem (Verwaltungs-)Verfahren vollständig aus und es bedarf an seiner Stelle eines anderen – parlamentarisch verantwortlichen – Sachentscheiders.
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Kap. 4: Der befangene Bundesminister
I. Gesetzmäßig berufener Vertreter des Bundesministers bei der Entscheidung nach § 42 GWB Wurde herausgearbeitet, daß der Bundesminister als funktionell zuständiger Sachentscheider im Falle des § 42 Abs. 1 GWB tätig wird, ist die Suche nach einem Vertreter im Falle der Verhinderung auf seine Person zu konzentrieren. Zu Beginn erscheint es denkbar, daß der Bundesminister in eigener Person einen Stellvertreter für sich benennt – und benennen kann –, so daß sich eine Suche nach einer gesetzlichen Regelung bereits an dieser Stelle als nicht notwendig erweist. Sollte dies jedoch nicht der Fall sein – entweder allgemein oder speziell für den Fall der ministeriellen Befangenheit – stehen grundsätzlich zwei Normen zur Verfügung, welche eine Verhinderung des zuständigen Bundesministers behandeln. Dabei handelt es sich zum einen um § 14 Abs. 1 GOBReg und zum anderen um § 6 GGO i.V.m. § 14 Abs. 3 GOBReg. Da die genannten Normierungen jedoch voneinander differierende Vertretungszuweisungen vornehmen, bedürfte es einer Entscheidung, welche der beiden im Falle der Ministererlaubnis gem. § 42 Abs. 1 GWB zur Anwendung gelangt. 1. Notwendigkeit der Suche nach einer normierten Vertreterbestimmung – oder Zuständigkeit qua ministerieller Weisung? Aus dem in Art. 65 S. 2 GG niedergelegten Ressortprinzip ergibt sich, daß jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig leitet. Dies bedeutet, wie im Rahmen der Darstellung der ministeriellen Weisungsbefugnis in Kapitel 3 ausführlich dargelegt wurde, daß der Bundesminister Entscheidungen zum einen unmittelbar an sich ziehen, zum anderen aber solche auch grundsätzlich frei an geeignete Mitarbeiter seines Hauses delegieren kann. Einer weiteren (einfach-) gesetzlichen Grundlage bedarf es dafür nicht – Art. 65 S. 2 GG bietet vollumfänglichen Rückhalt für den hierarchischen Aufbau der Ministerialbürokratie und ihrer immanenten Weisungs- und Delegierungsordnung. Der im Falle einer Entscheidungsdelegierung durch den Bundesminister im Rahmen seines Geschäftsbereichs berufene Amtswalter ist damit rechtmäßig legitimiert qua Zuweisung, basierend auf Art. 65 S. 2 GG. Mit Schreiben vom 20.02.2002 hat der damalige Bundesminister für Wirtschaft und Technologie seinem beamteten Staatssekretär die Entscheidung in dem Ministererlaubnisverfahren E.ON/Ruhrgas übertragen 1. Diese Delegierung fand statt, da der Minister bezüglich der in Rede stehenden Entscheidung auf vorgebrachte 1
Ministererlaubnis v. 5.7.2002, Nr. 28, WuW 7 u. 8/2002, 751 (754).
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Befangenheitsvorwürfe gegen seine Person reagierte und es sich um eine „Verwaltungsfrage“ seines Hauses handele 2. In Anwendung der vorerwähnten Grundsätze der Delegierungsbefugnis könnte der Staatssekretär bereits durch diese Entscheidungsübertragung zum rechtmäßigen Vertreter des Bundeswirtschaftsministers geworden sein 3. Bei dieser – grundsätzlich vollkommen zutreffenden – Betrachtungsweise blieben im vorliegenden Fall indes zwei wesentliche Sonderkonstellationen außer Betracht. Wie bereits im Verlauf der Arbeit dargelegt wurde, handelt es sich zum einen bei der Entscheidung im Ministererlaubnisverfahren nach § 42 GWB um eine solche, die dem Minister funktionell ausschließlich zugeordnet ist. Inwieweit dies eine Zuweisung der Entscheidungsbefugnis – sei es qua ministerieller Delegierung oder qua gesetzlicher Bestimmung – an einen (beamteten) Staatssekretär grundsätzlich hindert, ist im Weiteren noch genauer zu untersuchen. Zum anderen aber – und dies läßt eine Entscheidungsbefugnis des Staatssekretärs qua ministerieller Weisung in diesem Fall bereits scheitern – geht es um einen Rückzug des entscheidungszuständigen Bundesministers aus dem Verfahren aufgrund Befangenheit resp. Besorgnis der Befangenheit. Bereits eine gegebene Besorgnis der Befangenheit aber hat gravierende Folgen für den vormals zuständigen Sachentscheider. Rechtsstaatlich geforderte Konsequenz bei Vorliegen von Befangenheit oder einer derartigen Besorgnis ist der vollständige und sofortige Ausschluß des Amtswalters vom Verfahren. Eine darauffolgende Bestimmung eines eigenen Stellvertreters durch den Ausgeschlossenen – zumal noch grundsätzlich weisungsunterworfen und dienstrechtlich abhängig – würde eine Konterkarierung der dargestellten Prinzipien bedeuten. Daraus aber wird ersichtlich, daß, abweichend vom grundgesetzlich vorgesehenen Normalfall, eine Entscheidungszuständigkeit qua ministerieller Weisung in diesem Fall nicht möglich ist. Bestand eine Entscheidungsbefugnis des Staatssekretärs auf diese Weise nicht, so ist demzufolge eine Ermächtigung in (anderen) gesetzlichen Bestimmungen zu suchen.
2
Focus v. 25.02.2002, S. 27, Interview mit Dr. Müller. Davon geht ausdrücklich die Ministererlaubnis aus, wenn es in ihr heißt: „Die Zuständigkeit von Staatssekretär Dr. Tacke als Vertreter von Bundesminister Dr. Müller folgt . . . aus der individuellen Zuständigkeitsanordnung, die im Schreiben von Bundesminister Dr. Müller an Staatssekretär Dr. Tacke vom 21.2.2002 zum Ausdruck kommt.“, Ministererlaubnis v. 5.7.2002, Nr. 89, WuW 2002, 751 (757). 3
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Kap. 4: Der befangene Bundesminister
2. Grundsätzlich anzuwendendes Normenregime im Falle der Ministervertretung bei einer Entscheidung nach § 42 Abs. 1 GWB Die Erteilung der Erlaubnis zu einem vom Bundeskartellamt untersagten Zusammenschluß wird in § 42 Abs. 1 S.1 GWB dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit zugewiesen. Für den Fall der rechtlichen oder tatsächlichen Verhinderung läßt sich weder § 42 GWB selbst noch den übrigen Vorschriften des GWB eine unmittelbare Regelung bezüglich einer Vertretung des Ministers entnehmen. Auf die Aufnahme einer solchen Regelung wurde auch im Rahmen der 7. GWBNovelle in Ansehung der Lage ausdrücklich und bewußt verzichtet, da hinsichtlich der Vertretungsfrage „keine Rechtsunsicherheit“ bestehe 4. Auch das Grundgesetz schweigt zur Frage der Vertretung von Bundesministern. In Fällen, in welchen in speziellen Verwaltungsverfahren, wie etwa im Kartellverwaltungsverfahren des GWB, für relevante Fragen keine Regelungen getroffen worden sind, ist, wie in Kapitel 2, § 6 dargelegt, das VwVfG ergänzend und einzelfallabhängig heranzuziehen. Aber auch dieses regelt zwar die Voraussetzungen eines Ausschlusses aufgrund Befangenheit sowie einer derartigen Besorgnis – einen konkreten Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der Vertretung resp. des Ersatzes leistet es indes ebenso wenig. Unter diesen Umständen ist auf die behördeninternen Vertretungsregelungen zurückzugreifen 5. Solche behördeninternen Vertretungsregelungen finden sich explizit in § 6 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) i.d.F. vom 26.07.2000 sowie in §§ 14, 14a GOBReg. In ihren im Rahmen dieser Untersuchung maßgeblichen Teilen lauten diese Vorschriften wie folgt: GGO i.d.F. vom 26.07.2000: „§ 6 Leitung des Bundesministeriums (1) Die Bundesministerin oder der Bundesminister leitet das Bundesministerium. Die Vertretung erfolgt durch die Staatssekretärin oder den Staatssekretär, bei mehreren Staatssekretärinnen oder Staatssekretären im jeweiligen Zuständigkeitsbereich, soweit nichts anderes geregelt ist. Die §§ 14 Abs. 3, 14a der Geschäftsordnung der Bundesregierung bleiben unberührt. (2) . . . “. 4
Regierungsbegründung zur 7. GWB-Novelle, BT-Drs. 15/3640, S. 41. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 63; so auch die allgemeine Meinung, die jedoch zumeist einer dezidierten Ableitung aus der Normenhierarchie entbehrt. Daß keinesfalls §§ 164 ff. BGB hier – auch nicht von ihrem Rechtsgedanken her – angewandt werden können, ist nur der Vollständigkeit halber zu erwähnen. Ausführlich dazu Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 74 ff., der zutreffend auf die Unterscheidung zwischen Amtshandlungen und von der Privatautonomie getragenen Handlungen differenziert. Nur für jene sind die Regelungen der §§ 164 ff. BGB das adäquate Normenregime. 5
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GOBReg: „§ 14 (1) Ist ein Bundesminister verhindert, so wird er in der Regierung durch den dazu bestimmten Bundesminister vertreten. (2) Für Erklärungen vor dem Bundestag, vor dem Bundesrat und in den Sitzungen der Bundesregierung wird der Bundesminister durch den Parlamentarischen Staatssekretär vertreten. Der Bundesminister kann für Einzelfälle anordnen, daß solche Erklärungen durch den Staatssekretär abgegeben werden. (3) Als Leiter einer Obersten Bundesbehörde wird ein Bundesminister im Falle seiner Verhinderung durch den Staatssekretär und in dem Aufgabenbereich, der dem Parlamentarischen Staatssekretär nach § 14a übertragen worden ist, sowie in den von ihm bestimmten Einzelfällen von diesem vertreten.“ „§ 14a Der Bundesminister bestimmt im einzelnen, welche Aufgaben der Parlamentarische Staatssekretär wahrnehmen soll.“
Da die Verfassung im Hinblick auf die innere Organisation der Verfassungsorgane lediglich rudimentäre Strukturen vorgibt, ermächtigt sie diese zugleich, sich eine Geschäftsordnung zu geben. Für den Bereich des Verfassungsorgans Bundesregierung bestimmt Art. 65 S. 4 GG, daß der Bundeskanzler die Regierungsgeschäfte „nach einer von der Bundesregierung beschlossenen und vom Bundespräsidenten genehmigten Geschäftsordnung“ leitet. Alle Mitglieder der Bundesregierung stimmen dabei als gleichberechtigte Mitglieder des Kollegialorgans ab, einfache Mehrheit genügt für die Beschlußfassung 6. Die Rechtsnatur der Geschäftsordnung der Bundesregierung war lange Zeit umstritten 7. Auch wenn bis heute eine abschließende systematische Einordnung oder gar eine legislatorische Normierung unterblieben ist, so herrscht doch über ihre maßgeblichen Funktionen und rechtstechnische Qualifizierung weitgehend Einigkeit. Die in Art. 65 S. 4 GG ausgesprochene Befugnis zugunsten der Bundesregierung, sich eine Geschäftsordnung zu geben, wird ebenso einheitlich als Geschäftsordnungsautonomie bezeichnet 8, wie im neueren Schrifttum Übereinstimmung darin herrscht, daß es sich bei der Geschäftsordnung der Bundesregierung trotzdem nicht um eine sog. autonome Satzung handelt 9. „Autonom“ erlassen
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Hermes, in: Dreier, GG, Art. 65, Rn. 48. Vgl. dazu nur Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 115 ff. 8 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 65, Rn. 107; Meyn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 65, Rn. 19; Hermes, in: Dreier GG, Art. 65, Rn. 46; Zweifel meldet insofern nur Schröder, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 65, Rn. 39, an, der von einer „Autonomie“ deshalb nicht sprechen will, da das Inkrafttreten der Geschäftsordnung noch von dem anderen Verfassungsorgan Bundespräsident abhängig sei. 7
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Kap. 4: Der befangene Bundesminister
ist die Geschäftsordnung deshalb nicht, da sie mit der Unabhängigkeitsidee, wie sie im Selbstverwaltungsrecht entwickelt wurde, nichts gemein hat. Vielmehr handelt es sich um originär staatliches Recht, das in „Wahrnehmung einer staatlichen Kompetenz“ ausgeübt wird 10. Die verfassungsrechtliche Befugnis, sich eine Geschäftsordnung geben zu können, bedeutet, daß es sich um eine Innenrechtsnorm der Regierung handelt. Unmittelbare Außenwirkung – und sei es nur für andere Verfassungsorgane – kommt der Geschäftsordnung der Bundesregierung dabei nicht zu. Wenn die Verfassung selbst zu den Innenrechtsbeziehungen der Verfassungsorgane schweigt und diesen die Selbstorganisation überläßt, verdeutlicht dies ein Ausstrahlen der verfassungsrechtlichen Bedeutung hinein in die Innenrechtsregelung. Versucht man die so verstandene Geschäftsordnung in die Normenhierarchie zu integrieren resp. ihren Standort im Rahmen eines Rangverhältnisses auszudrücken, so fällt die Systematisierung nicht leicht. Unmittelbarer Teil der Verfassung selbst ist sie einerseits nicht, andererseits auch nicht „einfaches“ Gesetzesrecht. Wesentlich ist dabei zu beachten, daß sie durch ihre Sonderstellung und Nähe zur Verfassung gerade dem Zugriffsrecht des Bundestages entzogen ist 11. Die Kompetenz für diese Regelung ist einzig der Bundesregierung in ihrem Status als unabhängiges Verfassungsorgan zugewiesen. Darf die Regierung dabei zwar kein neues, den verfassungsrechtlichen Vorstellungen entgegenstehendes Recht prägen, so steht ihr auf der anderen Seite ein weiter Gestaltungsspielraum zu, innerhalb dessen sie die von Verfassungs wegen existenten Rechtsbeziehungen gestalten kann. Die in der Verfassung selbst angelegten Rechte und Pflichten werden in der Geschäftsordnung ausgefüllt und konkretisiert 12 und stellen in diesem Sinne lediglich eine „Sichtbarmachung“ der bereits vorhandenen Verfassungsräume dar. Mit dem Erlaß der Geschäftsordnung übt die Bundesregierung die ihr verfassungsrechtlich zugewiesene Organisationsgewalt aus. In normenhierarchischen Termini ausgedrückt, bedeutet dies, daß die Geschäftsordnung der Bundesregierung zu Recht als „sekundäres Verfassungsrecht“ 13, „Verfassungssatzung“ 14, „Verfassungsrecht
9 Achterberg, in: HdbdStR, Bd. II, § 52, Rn. 83; Meyn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 65, Rn. 18; Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 117, 120; anders noch Lechner/Hülshoff , GOBReg, Anm. Nr. 1; Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, IV. 2. b) (S. 307). 10 Ossenbühl, in: HdbdStR, Bd. III, § 66, Rn. 41. 11 Schröder, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 65, Rn.39. 12 Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, IV. 2. b) (S. 306); Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S.123. 13 Oldiges, in: Sachs, GG, Art. 65, Rn. 38; Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 53, IV. 3. a) (S. 1385). 14 Meyn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 65, Rn. 18; Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 123; ablehnend dagegen Achterberg, in: HdbdStR, Bd. II, § 52, Rn. 83.
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im materiellen Sinne“ 15 oder „Verfassungsrecht im weiteren Sinne“ 16 verstanden wird. Hierin geregelte Vertretungsregeln beanspruchen somit allgemein für den Bereich der Regierung Geltung. Wenn die Rede davon ist, daß diese Regeln für den Bereich der Regierung Geltung beanspruchen und Art. 65 S. 4 GG bestimmt, daß der Bundeskanzler die Geschäfte der Regierung nach einer selbstgegebenen Geschäftsordnung leitet, so wird unweigerlich die Frage aufgeworfen, wie weit diese Regelungsbefugnisse reichen. In concreto fällt § 14 Abs. 3 GOBReg ins Auge, welcher die Stellvertretung für den Bundesminister regelt, wenn dieser als Leiter der obersten Bundesbehörde verhindert ist. Wird der Minister als Ressortleiter tätig, handelt er gerade nicht in seiner spezifischen Funktion als Regierungsmitglied (vgl. § 14 Abs. 1 GOBReg). Die Regelung der Stellvertretung in dem ihm gesondert zugewiesenen Aufgabenbereich steht nach dem in Art. 65 S. 1 GG niedergelegten Ressortprinzip jedem Bundesminister selbst zu. Eine Bestimmung seiner Stellvertretung im Verhinderungsfalle nur in der Regierungsgeschäftsordnung könnte eine Überschreitung der Kompetenzen i.R.d. Geschäftsordnungsautonomie darstellen 17. Freilich darf nicht übersehen werden, daß bei Erlaß der Geschäftsordnung mindestens die einfache Mehrheit der Minister dieser Regelung zugestimmt und sie insofern selbst inkorporiert hat. Aber auch hinsichtlich einer eventuell überstimmten Minderheit stellt sich das Problem durch die Existenz der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien nicht als virulent dar. Die GGO, die, wie ihre Bezeichnung bereits aussagt, durch eine einverständliche, freiwillige Übereinkunft der einzelnen Bundesminister entsteht und aus der jeder Bundesminister jederzeit und ohne Begründung ausscheren kann, regelt in ihrem § 6 (s.o.) die Stellvertretung des Ministers selbst. In Satz 2 der Norm findet sich eine Verweisung auf § 14 Abs. 3 GOBReg. Durch diese Inbezugnahme indes manifestiert jeder Bundesminister gerade für den ihm alleinig zustehenden Ressortbereich, daß er die von der Bundesregierung in ihrer Geschäftsordnung niedergelegten Vertretungsregelung akzeptiert und für sich als rechtsverbindlich ansieht. Als Konsequenz ergibt sich, daß sich die Bestimmung eines Stellvertreters dann nach § 14 Abs. 1 GOBReg richtet, wenn ein Minister „in der Regierung“ verhindert ist. Ist er dagegen bei der Ausübung seiner Aufgaben „als Leiter der obersten Bundesbehörde“ verhindert, muß für die Eruierung des rechtmäßigen
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Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, IV. 2. b) Fn. 193 (S. 307). Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 100. Als „ergänzendes Verfassungsrecht“ versteht sie Bernau, Die verfassungsrechtliche Bedeutung von Geschäftsordnungen oberster Staatsorgane für das Verfassungsleben, S. 100 f. 17 Diese Frage wirft auch Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 124, Fn. 36 auf. 16
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Stellvertreters die Regelung des § 6 Abs. 1 GGO i.V.m. §§ 14 Abs. 3, 14a GOBReg herangezogen werden. Welche Norm für die Festlegung der rechtmäßigen Stellvertretung des Bundesministers bei Erteilung der Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 1 GWB grundsätzlich eingreift, bestimmt sich somit danach, ob es sich bei ihr um eine Aufgabe des Ministers „in der Regierung“ handelt oder ob er als „Leiter der obersten Bundesbehörde“ tätig wird. Diese entscheidende Frage ist damit unter grundsätzlichen Gesichtspunkten zu klären – noch vor Berücksichtigung einer eventuell modifizierend einwirkenden Interferenz widerstreitender Verfassungsprinzipien. 3. Die Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 1 GWB in grundsätzlicher Analyse als Handlung des Bundesministers „in der Regierung“ oder als „Leiter einer obersten Bundesbehörde“ i.S.d. § 14 GOBReg Zwar wurde festgestellt, daß der Bundesminister bei der Erteilung der Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 1 GWB funktionell als der zuständige Sachentscheider handelt, im Rahmen des sachlich zuständigen Bundesministeriums. Eine abschließende Aussage über die rechtliche Qualifizierung dieses Handelns als „in der Regierung“ oder als „Leiter der obersten Bundesbehörde“ läßt sich dieser Feststellung noch nicht entnehmen. So stellte etwa auch das seinerzeit mit der Entscheidung dieses Falles beschäftigte Oberlandesgericht Düsseldorf fest, daß es zwar von der soeben beschriebenen Zuständigkeitsaufteilung zwischen Minister und Ministerium ausginge 18, wiederholte aber, daß es trotzdem für den Fortgang des Verfahrens nur von der vorläufigen „Hypothese“ ausgehen könne, daß der beamtete Staatssekretär der rechtmäßig berufene Vertreter in der Entscheidung gewesen sei 19. a) Wortlautargument aus der Überschrift des § 42 GWB? Im Hinblick auf den Wortlaut der Überschrift des § 42 GWB, nämlich „Ministererlaubnis“ und nicht „Ministeriumserlaubnis“ wird vorgebracht, daß sich bereits hieraus eine Übertragung der Entscheidungszuständigkeit auf einen Staatssekretär verbiete. Es sei offensichtlich, daß hier nur durch einen Minister entschieden werden könne 20. Damit käme es auf eine Auseinandersetzung mit der
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OLG Düsseldorf, Beschluß v. 11.07.2002, Rn. 29; www.olg-duesseldorf.de/. OLG Düsseldorf, Beschluß v. 11.07.2002, Rn. 9, www.olg-duesseldorf.de/; Beschluß v. 25.07.2002, WuW 2002, 980 (987). 20 So die als Gegner der Ministererlaubnis beigeladenen Unternehmen, Fortum Finnland, Fortum Deutschland, Trianel und InterGen, vgl. Ministererlaubnis v. 05.07.2002, Nr. 29; so auch Orth, WRP, 2003, 54 (58) und Schlecht, FAZ v. 22.08.2002, S. 9. 19
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Begrifflichkeit des Handelns „in der Regierung“ oder „als Leiter einer obersten Bundesbehörde“ gar nicht mehr an. Ein Eingreifen der Vertretungsregelung des § 6 Abs. 1 GGO i.V.m. § 14 Abs. 3 GOBReg schiede mithin unmittelbar aus, da hierdurch die Vertretung des Ministers einem beamteten Staatssekretär zugewiesen wird. Diese Ansicht verkennt jedoch zum einen die gesetzlich vorgezeichnete Ausdifferenzierung der Zuständigkeit in eine sachliche und eine funktionelle Ebene 21. Ist der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit verhindert, kann er sich daher grundsätzlich vertreten lassen, auch durch einen Staatssekretär. Die Verantwortung für die gefällte Entscheidung verbleibt grundsätzlich unstreitig bei ihm. Auf den Wortlaut fixiert hieße dies zum anderen, daß eine andere Möglichkeit als eine Vertretung des verhinderten Minister durch einen Ministerkollegen unter keinen Umständen möglich wäre. Diese Annahme führt aber zu weit über das intendierte Ziel, die parlamentarische Verantwortlichkeit zu wahren, hinaus. So könnten sich Konstellationen denken lassen – unter Umständen de lege ferenda – in welchen ein Nicht-Minister die Ministererlaubnis erteilt und hierfür alleinig parlamentarisch verantwortlich wäre, etwa durch die Erweiterung des Kreises der parlamentarisch Verantwortlichen im Vertretungsfall um zusätzliche Personen. Diese Personen müßten indes nicht zwingend einen formalen Ministerstatus bzw. -titel innehaben. Auf einen solchen Lösungsansatz soll im weiteren Verlauf noch zurückgekommen werden. Für den Augenblick genügt es, aufzuzeigen, daß die reine Wortlautausrichtung hinsichtlich des Wortteiles „Minister-“ in der Überschrift des § 42 GWB prima facie plausibel klingen mag, einer dogmatischen Überprüfung indes nicht stand hält. b) Die Doppelstellung des Bundesministers bei der Vornahme von Amtshandlungen und ihre maßgeblichen Abgrenzungskriterien Als Bundesminister ist jeder Minister Mitglied des Kollegialorgans Bundesregierung, Art. 62 GG. Durch diese Zugehörigkeit nimmt er unmittelbar an der politischen Führung des Staates teil und bestimmt innerhalb dieses Verfassungsorgans gleichberechtigt mit. Prominentes Beispiel verfassungsrechtlich ausdrücklich zugewiesener Kompetenz des Kollegialorgans Bundesregierung ist das Initiativrecht nach Art. 76 Abs. 1 GG. Danach wird die Bundesregierung ermächtigt, Gesetzesvorlagen in den Bundestag einzubringen. Bei der Beratung und Abstimmung über eine solche Gesetzesvorlage und ihre (mögliche) Einbringung in den Bundestag handelt jeder Bundesminister unzweifelhaft in seiner Funktion als Regierungsmitglied und damit „in der Regierung“. 21 Ministererlaubnis v. 05.07.2002, WuW 2002, 751 (757), Nr. 89, in der auch darauf verwiesen wird, daß eine solche Auslegung sich auch nicht aus einer historisch-teleologischen Betrachtung des § 42 Abs. 1 GWB ergebe; so auch Bunte, BB 2002, 2393 (2395).
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Das sogenannten Kabinetts- oder Kollegialprinzip ist im weiteren Art. 65 S. 3 GG zu entnehmen, demgemäß „die Bundesregierung“ über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern entscheidet. Fällt bei näherer Betrachtung auf, daß eine umfangreiche Zuweisung spezieller Regierungskompetenzen im Grundgesetz nicht erfolgt ist, so wird zugleich deutlich, daß es sich bei den genannten Aufgaben nicht um eine abschließende Aufzählung handelt 22. Diesen Zustand mag man als „Normierungsdefizit“ 23 bezeichnen – erklärbar ist er jedenfalls aus der Natur der Regierungstätigkeit. Diese erschöpft sich nicht in ihrer Funktion als Exekutive, als Spitze der (gesetzes-)ausführenden Gewalt i.S.v. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, sondern wird auch und zu weiten Teilen durch einen planenden, zukunftsgerichteten und visionären Charakter geprägt, welcher sich jedoch einer normativen Fixierung gerade entzieht. So sind es genau diese Merkmale der funktionellen Staatsleitung, die den Schwerpunkt der Regierungsarbeit in den politischen Bereich verlagern 24. Als – freilich von der Bundesregierung selbst – formulierte Idee vom Umfang der Regierungskompetenzen mag § 15 GOBReg dienen, der in seinem Abs. 1 bestimmt, daß der „Bundesregierung ( . . . ) zur Beratung und Beschlußfassung ( . . . ) alle Angelegenheiten von allgemeiner innen- oder außenpolitischer, wirtschaftlicher, sozialer, finanzieller oder kultureller Bedeutung“ zu unterbreiten sind. Im folgenden wird sodann eine Auflistung entsprechender Angelegenheiten vorgenommen, welche indes ausdrücklich nicht als abschließend verstanden werden soll. Wichtig zu beachten ist bei dieser Regelung, daß nicht primäres und sekundäres Verfassungsrecht undurchsichtig miteinander verwoben werden: § 15 GOBReg hat gerade keine kompetenzbegründende Wirkung 25, und können folglich nur Entscheidungen zu beispielsweise „Angelegenheiten allgemeiner wirtschaftlicher Bedeutung“ und damit in den Entscheidungsbereich des Kollegialorgans Bundesregierung gehören, die nicht einem anderen Organ von Verfassungs wegen bereits zugewiesen sind. Ist eine Frage dem Kabinett als Regierungskollegium zugewiesen, besitzt dieses – und nur dieses – die Sachentscheidungskompetenz 26. Aufbereitung der 22 Vgl. zum ganzen Schröder, in: HdbdStR, Bd. II, § 50, sowie ders., in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 65, Rn. 32 ff. 23 Oldiges, in: Sachs, GG, Art. 62, Rn. 23; Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 171, spricht in diesem Zusammenhang davon, daß dem Kollegium auch materiell die „Substanz“ fehle aufgrund der prärogativen Stellung des Bundeskanzlers auf der einen und der Ressortselbständigkeit der Minister auf der anderen Seite. 24 Vgl. BVerfGE 55, 349 (365), in der – namentlich im außenpolitischen Bereich – der Bundesregierung, aber auch allen anderen insoweit zum politischen Handeln berufenen staatlichen Organen allgemein ein breiter Raum politischen Ermessens eingeräumt wird. 25 Schröder, in: HdbdStR, Bd. II, § 50, Rn. 24. 26 Oldiges, in: Sachs, GG, Art. 65, Rn. 32; BVerfGE 11, 77 (85), führt aus, daß der Terminus „Bundesregierung“ im Zweifel das kollegial gebildete Verfassungsorgan, dem
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Schlüsselprobleme im Vorfeld durch das sachnächste Ministerium ist zulässig, darf jedoch nicht zu einer Vorentscheidung führen, da ansonsten eine unzulässige Kompetenzüberschreitung gegeben wäre. Eine Kompetenzüberschreitung in umgekehrter Richtung wäre es andererseits, dem Kollegialorgan Bundesregierung eine Entscheidungszuständigkeit zuzusprechen, die einem Bundesminister im Rahmen des Ressortprinzips gerade singulär und exklusiv zugewiesen ist. Denn nach Art. 65 S. 2 GG leitet jeder Bundesminister „seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung“. In seinem Ressort ist der Minister Herr des Verfahrens und Herr der Entscheidung. Auf die Herkunft, Bedeutung und Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Ressortprinzips sowie seine rechtlichen Konsequenzen wurde in Kapitel 3, § 9 ausführlich eingegangen und soll hier eine Verweisung deshalb ausreichend sein. Aus diesem kurzen Überblick wird ersichtlich, daß die Bundesminister im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland eine verfassungsrechtliche Doppelstellung innehaben 27: Zum einen sind sie selbständige Mitglieder des Verfassungsorgans Bundesregierung, zum anderen sind sie eigenverantwortliche Ressortchefs und damit Leiter oberster Bundesbehörden. Nach dieser zweipoligen Funktionsausrichtung müssen sich folglich auch die Regeln über die Stellvertretung des Ministers richten. aa) Übertragbarkeit von anerkannten Einzelfällen? Da es an einer konkreten gesetzlichen Definition fehlt, muß auf anderem Wege versucht werden, die beiden Handlungsbereiche voneinander abzugrenzen. Für besondere Einzelbereiche wie etwa die Gegenzeichnung von Gesetzen oder Verordnungen herrscht weitgehend Einigkeit über ein Handeln des Ministers „in der Regierung“ mit der Folge einer zulässigen Vertretung lediglich durch einen anderen Ministerkollegen 28. Die Betrachtung der anerkannten Einzelbeispiele bringt indes weder systematisch noch im konkreten Fall einen Gewinn, da die Einigkeit sich auf Teilbereiche beschränkt, die keinen verallgemeinerungsfähigen Rückschluß zulassen und zum anderen die genannten Fälle nicht mit dem Fall der Ministererlaubnis vergleichbar sind.
die Staatsleitung obliegt, meine. BVerfGE 91, 148 (166), stellt knapp fest, daß für den Fall der Übertragung einer Normsetzungsbefugnis an die Bundesregierung, diese als Kollegium zu entscheiden habe. 27 Vgl. nur Hermes, in: Dreier, GG, Art. 65, Rn. 28. 28 Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 213; Oldiges, in: Sachs, GG, Art. 62, Rn. 36; Achterberg, in: HdbdStR, Bd. II, § 52, Rn. 47, der hierunter u.a. auch noch die Fälle des Anwesenheitsverlangens des Bundestages gegenüber einem Minister faßt.
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Somit ist nach einer übergreifenden Definitionshilfe Ausschau zu halten bzw. ein valider, möglichst trennscharfer Kriterienkatalog für mindestens einen der beiden Bereiche herauszuarbeiten. Für (nur) mindestens einen Bereich deshalb, da der Minister, wie oben dargelegt, eine Doppelstellung innehat, so daß es ausreichen kann – und unter Umständen muß –, wenn über eine Negativabgrenzung zumindest klar die Zugehörigkeit zu einem der beiden Funktionen ausgeschlossen werden kann, mit der Folge, daß die Entscheidung dem anderen Bereich zuzuweisen ist. Kann eine Systematisierung nicht anhand von Einzelbeispielen vorgenommen werden, wird andererseits ersichtlich, daß es für eine Abgrenzung ebenso wenig hilfreich ist, eine pauschale Zuweisung aller gesetzlich oder auch geschäftsordnungsmäßig dem Minister zugewiesenen Tätigkeiten zum Handeln „in der Regierung“ zu zählen 29. Eine solche Betrachtung würde die bereits herausgearbeitete zwingende Unterscheidung zwischen sachlicher und funktioneller Entscheidungszuständigkeit konterkarieren. Danach wurde gezeigt, daß in Normierungen zwar vom Terminus des „Ministers“ gesprochen werden kann, sich indes gerade erst im Anschluß daran die Frage stellt, welcher Art diese Handlungszuweisung ist. Damit aber verbliebe man bei einer prima-facie-Betrachtung, ohne auf den materiell-rechtlichen Kern des Handelns Rücksicht zu nehmen. Ein Bundesminister kann auch als Leiter der obersten Bundesbehörde angesprochen sein. Die genannte Pauschalisierung hilft bei dem Versuch einer Begriffsabgrenzung somit nicht weiter 30. bb) Die „institutionelle Sichtweise“ als maßgeblicher Definitionsansatz? Zumindest ein – zwar in sich wiederum ausfüllungsbedürftiges, aber doch griffiges – Definitionskonzept bietet die sog. institutionelle Sichtweise 31. Danach soll für zwei Arten ministerieller Handlungen ein Tätigwerden „in der Regierung“ vorliegen: Zum einen bei Teilnahme an einer Kabinettsentscheidung und zum anderen bei „Wahrnehmung der parlamentarischen Verantwortung“ 32. Für den Fall der Abstimmung im Kreis des Kollegialorgans Bundesregierung besteht – soweit ersichtlich – Übereinstimmung in der Akzeptanz dieses Handeln als „in der Regierung“ i.S.v. § 14 Abs. 1 GOBReg 33. Anders kann es von Verfassungs wegen 29
So aber Loosch, DÖV 1961, 206 (208). So auch Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 211; Honnacker/Grimm, GOBReg, § 14 (a.F.), Nr. 3a a.E.; Fehlig, Die Rechtsstellung des Staatssekretärs im deutschen Staatsrecht, S. 85. 31 Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 65a, Rn. 35 f.; Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 211 ff. 32 Mager, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 69 Rn. 13 f.; Honnacker/Grimm, GOBReg, § 14 (a.F.), Nr. 3; Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 213, Fn. 15. 33 Vgl. dazu nur Epping, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 69, Rn. 14 ff. 30
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auch nicht sein, da, wie oben gezeigt, nur die Bundesminister und der Bundeskanzler Mitglieder der Regierung sind und nur diese im Kabinett stimmberechtigt sind. Dieses grundsätzlich als verhältnismäßig klares Abgrenzungsmerkmal formuliertes Vehikel vermag vorliegend indes nur insoweit hilfreich zu sein, daß klar festzustellen ist, daß die Ministererlaubnis nach § 42 GWB nicht in den Bereich der Kollegialzuständigkeit gehört. Ohne daß über den umgekehrten Weg der Festlegung jeglicher Kabinettszuständigkeiten zu gehen notwendig ist, kann an dieser Stelle auf die obigen Ausführungen hinsichtlich der Festlegung des Sachentscheiders verwiesen werden. Im Rahmen von § 42 Abs. 1 GWB entscheidet – welche konkrete Funktion man ihm auch zusprechen mag – alleine der Bundesminister; eine Kabinettszuständigkeit wird nicht begründet und wird eine solche Auffassung – soweit ersichtlich – auch von keiner Stelle vertreten. Ebenfalls zugute halten kann man der institutionellen Sichtweise ihre relative Eindeutigkeit hinsichtlich ihrer zweiten Definitionskomponente. Danach soll als Handeln „in der Regierung“ angesehen werden können bzw. müssen, zum einen jegliche Handlungen, die konkrete, aktive Verantwortungsübernahme dem Parlament gegenüber bedeuten, wie beispielsweise das Antworten auf parlamentarische Anfragen, zum anderen aber auch all jene Handlungen, die generell in der ministeriellen Verantwortlichkeit vor dem Parlament wahrgenommen werden. Daß die Erteilung der Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 1 GWB kein Handeln gegenüber dem Parlament ist, ist klar ersichtlich. Der ergehende Verwaltungsakt hat keinen Bezug zum Parlament, weder als Adressat noch als Beteiligte. Anders könnte sich die Situation hinsichtlich der Frage nach einem Handeln in parlamentarischer Verantwortlichkeit darstellen. Voraussetzung für die Notwendigkeit der Beantwortung dieser Frage ist allerdings, daß dieses Kriterium tatsächlich geeignet ist, die Qualifizierung eines Handelns als „in der Regierung“ zu ermöglichen. Diese Eignung ist jedoch nicht vorhanden. Wie in Kapitel 3, § 9 ausführlich dargelegt, ist der Minister ausnahmslos und umfassend für jedes in seinem Ressort vorgenommene Handeln, das seiner Kontroll- und Einflußmöglichkeit unterliegt, parlamentarisch verantwortlich. Denkt man den genannten Definitionsansatz daher konsequent zu Ende, bestünde eine Vertretung als Ressortleiter fortan nicht mehr, da jegliches Handeln eines Ministers als „in der Regierung“ anzusehen wäre. Nicht nur liefe damit die in § 14 Abs. 3 GOBReg getroffene Stellvertretungsregelung für den Staatssekretär leer, sondern würde auch das in Art. 65 S. 2 GG normierte Ressortprinzip vollständig entwertet, wonach es dem Minister grundsätzlich auch freisteht, seinen Stellvertreter im Falle der Verhinderung zu bestimmen, wie dies in § 6 GGO geschehen ist. Eine solche Annahme würde daher den Sinn der Einrichtung eines Kabinetts mit selbständigen Bundesministern im Rahmen des parlamentarischen Regierungssystems verkennen. Die Bundesminister stellen die vollständig verantwortliche Gelenkstelle zwischen Verwaltung und Parlament dar. Aus der Institution der parlamentarischen Verantwortlichkeit ein „Handeln in der Regierung“ abzuleiten, ist verfassungs-
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rechtlich nicht zulässig. Zugespitzt formuliert, entbehrt dieser Definitionsversuch gerade des einer Definition Wesenseigenen, nämlich der Ab- und Eingrenzung gegenüber anderen Begrifflichkeiten – ein Handeln des Ministers außerhalb der Regierung wäre nicht mehr möglich. cc) Der Begriff des „Politischen“ als maßgebliches Abgrenzungskriterium? Wie im Rahmen der Erörterung über den zuständigen Entscheider i.S.d. § 42 Abs. 1 GWB dargelegt, waren die (wenigen) Fallkonstellationen, in denen eine Ministererlaubnis beantragt wurde, von zumindest wirtschaftlich bedeutendem Umfang. Zur Rechtfertigung einer Erteilung der Erlaubnis entgegen des Votums des Bundeskartellamtes hat der Minister bei der Beurteilung des Vorliegens der gesamtwirtschaftlichen Vorteile und des überragenden Interesses der Allgemeinheit gründliche Untersuchungen anzustellen. Über die rein wirtschaftliche Bedeutung hinaus geht es immer auch um eine Vielzahl von Arbeitsplätzen, innerdeutschen und europäischen Wettbewerb und übergeordnete nationalstaatliche Interessen. Das daraus folgende breite Spektrum betroffener und interessierter Bürger sowie die dem sowohl folgende als auch vorgreifende Berichterstattung in den Medien machen die Entscheidung zum Politikum. Der Bereich des Politischen ist es schließlich auch, der als wesentliches Element bei der Abgrenzung zwischen einem Handeln des Ministers „in der Regierung“ oder als „Leiter einer obersten Bundesbehörde“ fungieren soll 34. Mag das Kriterium der politischen Bedeutsamkeit auf den ersten Blick als zu unbestimmt, ausufernd, weit und schwammig erscheinen, ist es doch das beherrschende in der um § 42 GWB geführten Vertretungsdiskussion. Daß jede Entscheidung im Rahmen der Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 1 GWB einen – unter Umständen sogar erheblichen – politischen Charakter hat, kann und soll dabei nicht in Frage gestellt werden. Auch nicht übersehen werden darf in diesem Zusammenhang, daß an anderer Stelle bereits davon gesprochen wurde, daß die Natur der Regierungstätigkeit als in weiten Teilen durch einen planenden, zukunftsgerichteten und visionären Charakter geprägt beschrieben wurde. Genau diese Merkmale der funktionellen Staatsleitung seien es, die den Schwerpunkt der Regierungsarbeit in den originär politischen Bereich verlagerten.
34 Lechner/Hülshoff , GOBReg, § 14, Nr. 3, die eine Vertretung durch einen Ministerkollegen nach Abs. 1 annehmen „bei Ausübung verfassungsrechtlicher Zuständigkeiten . . . staatspolitischer Art . . . “; Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 109 f.; Honnacker/Grimm, GOBReg, § 14 (a.F.), Nr. 3a; Quaritsch, VVDStRL 26 (1968), 207 (243).
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Auf der anderen Seite ist auf den Kontext dieser Äußerung zu verweisen. Denn diese wurde gerade im Hinblick auf die Festlegung der Entscheidungszuweisung der Regierung als Kollegialorgan getätigt. Die kollegialiter entscheidende Regierung, für die denkbar sein könnte, daß Akte von staatspolitischer Bedeutung ihrer Kompetenz zugewiesen sind, ist, wie dargelegt, jedenfalls nicht Sachentscheider im Hinblick auf die Erteilung der Ministererlaubnis nach § 42 GWB. Sollte über § 15 Abs. 1 GOBReg die Entscheidungskompetenz für die Regierung in Angelegenheiten „von allgemeiner . . . innenpolitischer, wirtschaftlicher . . . Bedeutung“ begründet werden, so wäre diese Vorschrift verfassungswidrig 35. Die Satzungsautonomie der Bundesregierung vermag nicht geltendes Verfassungsrecht – hier insbesondere die Ressortkompetenz – außer Kraft zu setzen oder zu überlagern. Gleiches müßte für einen derartigen Interpretationsansatz für die Regelung des § 14 Abs. 1 GOBReg gelten. Ist es somit nicht einmal normiertem sekundären Verfassungsrecht möglich, eine Kompetenzfixierung über die Zuweisung aller Entscheidungen von „innenpolitischer . . . Bedeutung“ an die Regierung zu erreichen, erscheint es damit nicht nur legitim, sondern schlechthin notwendig, nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit zu fragen, das Merkmal der politischen Bedeutsamkeit als – entscheidendes – Abgrenzungskriterium im Rahmen des rein ministeriellen Handelns anzunehmen. Dies um so mehr, als die Verfassung ein solches Merkmal weder ausdrücklich nennt, noch diese Entscheidung prima facie aus ihr herausgelesen werden kann oder eine unterverfassungsrechtliche Norm eine Zuständigkeitsallokation vornimmt. Im Rahmen der Diskussion wird als Gegenbegriff zur „staatspolitischen“ oder „genuin politischen“ Entscheidung der der Verwaltungs- oder auch „fachlich-administrativen“ Entscheidung verwandt 36. Soll mit dem Terminus der politischen Bedeutsamkeit ein valides Abgrenzungskriterium geboten werden, bedürfte es nach dem Gesagten eines nicht unerheblichen Begründungsaufwandes. Bevor folglich in eine vergleichende, wertende Abwägung zwischen der Ministererlaubnis als „politisch“ einerseits oder „administrativ“ andererseits eingetreten werden kann bzw. muß, bedarf es einer Untersuchung über die verfassungsrechtliche Maßgeblichkeit dieses Kriteriums.
35 Hermes, in: Dreier, GG, Art. 65, Rn. 36; Schröder, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 65, Rn. 36; Oldiges, in: Sachs, GG, Art. 65, Rn. 30 f. 36 Hermes/Wieland, ZNER 2002, 267; Möschel, BB 2002, 2077 (2078); Droege, WuW 2002, 930 (941); Honnacker/Grimm, GOBReg, § 14 (a.F.), Nr. 3a, wonach zur Tätigkeit in der Regierung alle den „Rahmen der laufenden Verwaltung sprengenden Akte“ gezählt werden sollen.
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Ein apodiktischer Hinweis auf eine tatsächliche politische Wichtigkeit der Ministererlaubnis kann diesem Erfordernis ersichtlich nicht Genüge tun 37. Als verfassungsrechtliche Fundierung für die Zulässigkeit dieses Kriteriums wird übereinstimmend – und soweit ersichtlich ausschließlich – angeboten, daß die Entscheidung dem Bundesminister und damit einer parlamentarisch unmittelbar verantwortlichen Stelle zugewiesen sei 38. Hinzu komme, daß der Minister im Rahmen dieser Entscheidung die „gesamtwirtschaftlichen Vorteile“ und „überragenden Interessen der Allgemeinheit“ (§ 42 Abs. 1 S. 1 GWB) bewerten müsse. Damit aber gehe es um „allgemeinpolitische Wertungen“, habe die Entscheidung „(wirtschafts-)politische Dimensionen“ 39, sei der Minister „politische Entscheidungsinstanz“, die Erlaubnis eine „materiell . . . genuin politische“ und „politische Abwägungsentscheidung“ 40 und handele es sich um ein „gubernatives Leitungsgeschäft“ 41. Die Ministererlaubnisentscheidung ist funktionell unmittelbar dem Bundesminister und damit einem unmittelbar parlamentarisch verantwortlichen Verfassungsorgan zugewiesen. Inwieweit diese Zuweisung an den Minister als Verantwortungsadressaten gerade ein Handeln „in der Regierung“ begründen soll, bleibt dabei unklar. Wie umfassend dargestellt, hat der Minister grundsätzlich das Recht, Entscheidungszuständigkeiten im Rahmen seiner Ressortkompetenz zu delegieren. Nicht unterbrochen wird durch diese Delegierung aber seine parlamentarische Verantwortlichkeit. Da die Verantwortung auch im Falle der Vertretung durch einen Ressortangehörigen grundsätzlich bestehen bleibt, kann dieser Umstand nicht für ein Handeln des Ministers „in der Regierung“ ins Feld geführt werden 42. Nach dieser Abschichtung verbleibt als „Kriterium“ somit die Behauptung der politischen Wesentlichkeit als ausreichender Zuweisungsgehalt für eine Zuordnung der Entscheidung als „Handeln in der Regierung“. Wie angedeutet, erfährt diese Behauptung keine substantielle materiell-rechtliche Unterfütterung und muß sich daher verstärkt an den ihr zuerst nur prima facie gegenüber geäußerten Bedenken nunmehr nachhaltig messen lassen. Die Bedenken gegen das Zuweisungskriterium des „Staatspolitischen“ als maßgebliches in Ansehung der
37 Vgl. nur Möschel, BB 2002, 2077 (2078), der mehrfach von „der politischen Funktion einer Ministererlaubnis“ und dem damit zusammenhängenden „genuin politischen Bereich“ spricht. Einer Erläuterung bedarf es für ihn insoweit nicht. 38 Vgl. statt aller (der bejahenden Ansicht Folgenden) Lenz, NJW 2002, 2370 (2371). 39 Monopolkommission, Hauptgutachten 14, Nr. 131 ff. (S. 80). 40 Droege, WuW 2002, 930 (932, 939, 938). 41 Hermes/Wieland, ZNER 2002, 267 (273). 42 In diese Richtung auch Bunte, BB 2002, 2393 (2395).
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Doppelstellung eines Bundesministers liegen auf der Hand 43: Der Begriff gewährleistet durch seine Unbestimmtheit und Weite keine Rechtssicherheit und darf eine Ausgliederung jeglicher staatspolitisch bedeutsamen Entscheidungen aus der Ressortkompetenz des Bundesministers nach Art. 65 S. 2 GG derselben keinen Schaden zufügen. Die erste Barriere stellt es folglich bereits dar, den Entscheidungscharakter als einen „politischen“ festzustellen. Sollte dies gelingen, steht indes die – von keiner Seite näher ausgeführte und in dieser Abstraktheit unüberwindbare – Hürde der Gewichtung des Politischen in der konkreten Entscheidung im Raum. Ist sie wichtig, sehr wichtig, überragend wichtig, stellt sie eine schlechthin staatspolitische Entscheidung dar? Gibt es ein graduelles Ansteigen der politischen Bedeutung einer Entscheidung, welches sind die Maßeinheiten und ab welcher Stufe findet eine Allokation zu dem Handlungsbereich „in der Regierung“ statt? Freilich nicht unberücksichtigt gelassen wird dabei die Einsicht, daß es im Bereich des Politischen Unsicherheiten und streitige Randkorrekturen gibt und geben wird. Die in Rede stehende Festlegung von Vertretungskompetenzen ist jedoch nicht lediglich mit Rest-Unsicherheiten belastet oder bedarf nur noch einer Ausdifferenzierung im Einzelfall. Vielmehr fehlt es an einem grundsätzlichen Gerüst für eine solche verbindliche Zuweisung. Eine solche grundlegende Unsicherheit steht jedoch im unauflösbaren Kontrast zum Erfordernis „der Festigkeit und Berechenbarkeit“ von Zuständigkeitsgrenzen 44. Diese Unsicherheit aber verhindert die Anerkennung von Zuweisungsbegriffen wie „(wirtschafts-)politische Dimensionen“ oder „staatspolitische Akte“ als relevant für die Definition eines Handelns „in der Regierung“. Die oben in der Untersuchung der Kabinettszuständigkeit aufgezeigten Eingrenzungsversuche bezüglich des Begriffes „Regierung“ als zuständiges Organ für planende, dirigierende und visionäre Aufgaben machen deutlich, daß es ein Monopol dieser Tätigkeiten für die Regierung im parlamentarischen Regierungssystem bundesdeutscher Ausprägung nicht geben kann. Einem Widerstreit und einer Ergänzung der in Art. 65 S. 2 GG vorgesehenen Prinzipien der Kabinettsund Ressortunterscheidung wäre der Boden entzogen, würde man ein Handeln „in der Regierung“ in dieser uferlosen Weite zementieren. Dem Bundesminister wäre untersagt, in der ihm verfassungsrechtlich zugewiesenen Position als Ressortleiter, planende, dirigierende und politisch bedeutsame Entscheidungen zu fällen. Als „Leiter einer obersten Bundesbehörde“ handelt ein Bundesminister aber auch und gerade in politisch sensiblen Bereichen, sind die in dieser Funktion zu erfüllenden Aufgaben fast ausschließlich solche, die sich nicht in einer 43 Vgl. Kirchhof/Puhl, Gutachten zur Zuständigkeit für die Entscheidung zur Genehmigung des E.ON/Ruhrgas-Zusammenschlusses gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB, S. 20 ff.; dagegen auch bereits Böckenförde, in: Stellvertretung im Oberbefehl, S. 44. 44 BVerfGE 61, 149 (175).
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einfachen, rein rechtlich orientierten Entscheidung erschöpfen 45. Mit der Weite dieses Definitionsansatzes würde seine Stellung als selbständiger Ressortleiter mit gesichertem Eigenzuständigkeitsbereich i.S.v. Art. 65 S. 2 GG verletzt und wäre eine Unterscheidung zwischen Handeln „in der Regierung“ und „als Leiter einer obersten Bundesbehörde“ hinfällig 46. Im Ergebnis läßt sich somit statuieren, daß die Entscheidung über die Erteilung der Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 1 GWB funktionell durch den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, sachlich durch das Bundeswirtschaftsministerium als oberste Bundesbehörde getroffen wird. Eine Zuweisung dieser im Verwaltungsverfahren getroffenen Entscheidung über die Hervorhebung der politischen Bedeutung in den Bereich des Handelns „in der Regierung“ gelingt nicht. Weder stellt das Kriterium der „staatsleitenden Akte“ (o.ä.) ein zulässiges Abgrenzungsvehikel dar, noch macht eine Charakterisierung einer Entscheidung als „politisch“ sie zu einer solchen „in der Regierung“. Die Ministererlaubnis ist eine (hoch-) politische Entscheidung – der Nachweis, daß sie „genuin“ politisch sei, wird nicht erbracht. Vielmehr trifft der Bundesminister als Ressortchef und Behördenleiter die Entscheidung über den Erlaß des Verwaltungsaktes und scheidet eine Stellvertretung nach § 14 Abs. 1 GOBReg daher aus. Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit ist im Falle seiner Verhinderung bei der Erteilung der Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 1 GWB grundsätzlich durch den (beamteten) Staatssekretär gem. § 6 Abs. 1 GGO i.V.m. § 14 Abs. 3 GOBReg zu vertreten 47.
45 Staebe, WuW 2003, 714 (717); Schröder, in: HdbdStR, Bd. III, § 67, Rn. 30, der ausdrücklich davon spricht, daß Entscheidungen der Verwaltung im Einzelfall durchaus eine staatsleitenden Akten vergleichbare Tragweite haben können. Herzog, in:Maunz/ Dürig/Herzog, GG, Art. 69, Rn. 33; Bunte, BB 2002, 2393 (2395). 46 Epping, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 69, Rn. 14; gegen das Kriterium der politischen Wichtigkeit auch Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 65a, Rn. 35. 47 Ministererlaubnis v. 5.7.2002, Nr. 89, WuW 2002, 751 (757); Ministererlaubnis v. 18.9.2002, Nr. 53, WuW 2002, 1095 (1098), Müller, Focus-Interview v. 25.2.2002, S. 27; Meessen, WuW 2002, 927; Bunte, Rechtswissenschaftliches Gutachten im Auftrag der Firma E.ON AG in dem Zusammenschlussvorhaben E.ON/Gelsenberg/Bergemann zum Antrag auf Ministererlaubnis gemäß § 42 GWB, S. 26; ders., BB 2002, 2393 (2395); Staebe, WuW 2003, 714 (717); Kirchhof/Puhl, Gutachten zur Zuständigkeit für die Entscheidung zur Genehmigung des E.ON/Ruhrgas-Zusammenschlusses gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB, S. 52; ebenfalls gegen eine Entscheidung „in der Regierung“: Lenz, NJW 2002, 2370.
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II. Verfassungsrechtliche (Un-)Zulässigkeit der Vertretung des befangenen Bundesministers im Falle des § 42 Abs. 1 GWB durch den beamteten Staatssekretär gem. § 6 GGO i.V.m. § 14 Abs. 3 GOBReg Handelt der Bundeswirtschaftsminister bei der Entscheidung über die Erteilung oder Versagung der Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 1 GWB wie gesehen als Leiter einer obersten Bundesbehörde und als Ressortchef, ist er bei seiner Verhinderung durch den beamteten Staatssekretär gem. § 6 Abs. 1 GGO i.V.m. § 14 Abs. 3 GOBReg zu vertreten. Ein durch den Bundesminister bestimmter Aufgabenbereich des Parlamentarischen Staatssekretärs gem. § 6 Abs. 1 S. 2 GGO i.V.m. §§ 14 Abs. 3, 14a GOBReg lag und liegt für eine solche Entscheidung nicht vor 48. Wie aufgezeigt, ist ein befangener Bundesminister aufgrund einfachgesetzlich umgesetzter Forderungen des Rechtsstaatsprinzips an jeglicher Mitwirkung bei der Entscheidung gehindert und kann eine aus dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes abzuleitende notwendige parlamentarische Verantwortungsübernahme daher grundsätzlich nicht von ihm verlangt werden. Eine sich aus dieser Kollision womöglich ergebende verfassungswidrige Lücke in der parlamentarischen Rückbindung hoheitlicher Entscheidungen, könnte durch die Person des beamteten Staatssekretärs als geschäftsordnungsmäßig bestimmten Vertreter des Bundesministers bei dieser Entscheidung vielleicht vermieden werden. Damit kommt es aber entscheidend auf die Stellung und Ausgestaltung der Position des beamteten Staatssekretärs an. Dies insbesondere im Hinblick auf eine etwaige verfassungsrechtlich-parlamentarische Verankerung einhergehend mit einer eigenen parlamentarischen Verantwortung oder einer Lokalisierung im rein administrativen Bereich. 1. Die Entwicklung der Rechtsstellung des beamteten Staatssekretärs Der Begriff des „Staatssekretärs“ als Vertreter hoher Exekutivämter war bis zum Übergang zum Konstitutionalismus in Deutschland unbekannt 49. Als statusrechtliche Vorläufer wurden unter Friedrich Wilhelm I. in Preußen den jeweiligen Fachministern sog. ständige Sekretäre beigegeben. Die weitere Entwicklung, die in ihrem Gang zur verstärkten bürokratischen Ausdifferenzierung und Organisa-
48 Ob es in diesem Fall zu einer anderen verfassungsrechtlichen Wertung hinsichtlich der Vertretungszulässigkeit kommen könnte, wird im weiteren Verlauf noch zu untersuchen sein. 49 Vgl. zur Historie Lerche, „Staatssekretär“, in: Staatslexikon, 6. Aufl., S. 619; ihm folgend auch Fehlig, Die Rechtsstellung des Staatssekretärs im deutschen Staatsrecht, S. 5 ff.
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tion der Ministerien führte, schuf das Amt des sog. preußischen Unterstaatssekretärs, der (auch) zur Vertretung des Ministers in Ressortangelegenheiten berufen war. Obschon die Reichsverfassung von 1871 50 den Begriff des Staatssekretärs selbst nicht verwandte, standen Staatssekretäre den Reichsämtern als oberste Staatsbehörden vor, wie z.B. dem Reichs-Kolonialamt 51. In dieser Funktion waren die Staatssekretäre oberste Fachbeamte und unterstanden in der hierarchischen Organisation zwar nur noch und unmittelbar dem Reichskanzler, war dieser jedoch auch zu diesem Zeitpunkt ausschließlich politisch verantwortlich für die Vorgänge innerhalb der Reichsämter. Als Vorgesetzter der Staatssekretäre hatte der Reichskanzler insoweit nicht lediglich die Weisungskompetenz, sondern auch ein direktes Eintrittsrecht für jede Entscheidung 52. Den Staatssekretären waren ihrerseits wiederum Unterstaatssekretäre zur Unterstützung zugeordnet. Eine Änderung der rechtlichen Stellung der Staatssekretäre trat durch das „Gesetz, betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers“ vom 17.03.1878 53 (Stellvertretungsgesetz) ein. Nach § 1 Stellvertretungsgesetz konnte sich der Reichskanzler bei der Gegenzeichnung von Akten des Kaisers oder auch bei anderen „Obliegenheiten“ durch Stellvertreter vertreten lassen, die vom Kaiser auf Antrag des Kanzlers zu ernennen waren. Es konnte ganz allgemein ein Stellvertreter für den Kanzler bestellt werden, aber auch für nur einzelne Teilbereiche seines Aufgabenkreises. Zu seinen Stellvertretern konnten nur die Vorstände der obersten Reichsbehörden ernannt werden, § 2 Stellvertretergesetz, mithin die Staatssekretäre. § 3 Stellvertretungsgesetz bestimmte, daß es dem Reichskanzler vorbehalten blieb, jede Amtshandlung auch während der Dauer einer Stellvertretung selbst vorzunehmen. War ein Stellvertreter durch den Kaiser ernannt worden und handelte jener sodann als Stellvertreter in dem ihm übertragenen Bereich, fand ein Verantwortlichkeitstransfer statt. Nicht mehr der Kanzler war für diese Amtshandlung verantwortlich, sondern der handelnde Staatssekretär 54. Mag dies auf den ersten Blick wie eine Ersetzung wirken, bleibt doch zu beachten, daß das System im Reich nur eine Verantwortung vor dem Kaiser, nicht jedoch vor dem Parlament kannte, Art. 17 Reichsverfassung 1871 55. Damit handelte es sich (lediglich) um
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RGBl., S. 64. Erlaß vom 17.5.1907 (RGBl. S. 239). 52 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., S. 381. 53 RGBl., S. 7. 54 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 3. Aufl., S. 342; vgl. dazu auch Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 171, Fn. 5, der – sicherlich zu weitgehend – von einer „Änderung des ganzen Regierungssystems“ durch das Stellvertretergesetz spricht. 55 Lerche, „Staatssekretär“, in: Staatslexikon, 6. Aufl., S. 619. 51
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eine politische Verantwortung und keinesfalls um eine parlamentarische. Wie § 3 Stellvertretungsgesetz klarstellt, war eine Vertretung zwar in mehr oder minder umfassendem Rahmen möglich, eine Letztentscheidung durch den Kanzler jedoch nach wie vor zulässig. Damit bestand die Chance zur politischen Einbindung der Staatssekretäre zwar, aber eine den späteren Ministern vergleichbare selbständige Stellung war damit noch nicht verbunden. So wurden sie – zwar rechtsterminologisch sicherlich inkorrekt, indes sehr plastisch – als „Unterminister“ 56 bezeichnet. War eine Einrichtung echter Ministerien in der Reichsverfassung 1871 noch unterblieben, änderte sich das mit der Weimarer Reichsverfassung von 1918 57. In ihr fand eine fundamentale Neustrukturierung der obersten Staatsleitung statt. Die vormaligen Staatssekretäre waren nun selbständige Reichsminister, die den aus den Reichsämtern gebildeten Reichsministerien vorstanden. Diesen Reichsministern wurden Staatssekretäre beigegeben, die als leitende Fachbeamte den Minister in der Ressortführung unterstützten. Die Reichsminister wurden vergleichbar dem grundgesetzlichen System vom Reichspräsidenten auf Vorschlag des Reichskanzlers ernannt, bildeten in ihrer Gesamtheit zusammen mit dem Kanzler die Reichsregierung und bedurften individuell – insoweit abweichend vom Grundgesetz – des Vertrauens des Reichstages für ihre Amtsführung, auch im Ressort, Art. 52 bis 56 WRV. Art. 50 WRV bestimmte, daß „alle Anordnungen und Verfügungen des Reichspräsidenten, . . . zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler oder den zuständigen Reichsminister (bedürfen). Durch die Gegenzeichnung wird die Verantwortung übernommen.“ Zwischen der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 und der Weimarer Reichsverfassung von 1918 hatte also eine Aufwertung des Amtes des Staatssekretärs stattgefunden. Aus der unbefriedigenden bipolaren Stellung der Staatssekretäre nach dem Stellvertretungsgesetz, teils als Fachbeamte, teils als politische Amtsträger, wurde ein klares, mehrgliedriges Ministerialsystem, das diese beiden Funktionen trennte. Dem unmittelbar parlamentarisch verantwortlichen Reichsminister waren Staatssekretäre als grundsätzlich reine Fachbeamte untergeordnet. Die innerministerielle Vertretungsregelung blieb dem jeweiligen Minister im Rahmen seiner Ressortleitungskompetenz vorbehalten, § 3 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Reichsministerien. Vertraten die Staatssekretäre die Minister, geschah dies ausschließlich unter Beibehaltung der umfänglichen parlamentarischen Verantwortung der vertretenen Minister. § 16 Abs. 2 GORReg 58 bestimmte ausdrücklich, daß die Gegenzeichnung von Akten, durch welche gerade die Verantwortung übernommen werden sollte, z.B. nicht durch Staatssekretäre vorgenommen werden durfte. Eine Ausnahme war für den
56 Smend, AnnDR 1906, 321 (334); zur Kritik dieser Konstruktion als inkonsequent und undeutlich, Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 62. 57 RGBl. 1919, S. 1383. 58 GORReg v. 03.05.1924, RMBl., S. 173 ff.
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Fall zu verzeichnen, daß der Reichspräsident selbst einen Staatssekretär mit der Wahrnehmung der Geschäfte eines Reichsministers nach § 16 Abs. 3 GORReg beauftragte, mit der Folge, daß dieser Beauftragte wie ein Minister dazu berechtigt war, Akte des Präsidenten gegenzuzeichnen. Durch diese gesonderte Ernennung rückten die Staatssekretäre in diesem Ausnahmefall vollständig in die Position des Ministers ein und hatten dementsprechend auch eigene Verantwortung vor dem Reichstag zu tragen 59. Abgesehen von diesem genannten Ausnahmefall durch außerordentliche Berufung eines Beamten in eine ministerielle Tätigkeit durch das höchste Staatsorgan, verblieb es damit bei der Funktionstrennung zwischen dem Staatssekretär als Fachbeamten und dem Minister als politisch Lenkendem und die parlamentarische Verantwortung Tragendem. 2. Der Staatssekretär als politischer Beamter – Existenz einer eigenen parlamentarischen Verantwortlichkeit? Ein Blick auf die heutige Organisationsstruktur der Bundesverwaltung zeigt, daß das Amt des Staatssekretärs aus der ministeriellen Leitung nicht mehr hinwegzudenken ist. So verfügt zum jetzigen Zeitpunkt jedes Bundesministerium über eine(n) bis drei beamtete(n) Staatssekretär(innen) 60. Damit gibt es auf der einen Seite keinen Ressortchef mehr, der auf diese Unterstützung verzichten will, auf der anderen Seite hält sich die Zahl von zur Zeit 23 Staatssekretär(innen) aber in einem so überschaubaren Umfang, daß klar ersichtlich ist, welch wesentliche und einflußreiche Stellung ihnen als höchste Mitarbeiter und Berater der Minister im hierarchischen Aufbau der Bundesministerien zuteil wird. Um so überraschender ist es, daß das Amt des beamteten Staatssekretärs in der Verfassung mit keinem Wort erwähnt wird und auch eine Umschreibung des Tätigkeitsbereiches wenigstens seiner Art nach vergebens zu suchen ist, auch wenn dies als verfassungsrechtliche Tradition bezeichnet werden kann, wie gesehen. Fast das gleiche erstaunliche Ergebnis läßt sich bei einem Blick in die förmlichen Bundesgesetze konstatieren. Ein „Gesetz über die Rechtsverhältnisse der beamteten Staatssekretäre“, wie es etwa denkbar wäre in Anlehnung an dasjenige über die Parlamentarischen Staatssekretäre, fehlt. Auch die übrigen Bundesgesetze schweigen, insbesondere über Begründung und Inhalt eines solchen Amtsverhältnisses. Einzig in § 8 Abs. 2 S. 1 BBG und § 36 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 BBG finden sich die – im Hinblick auf eine fehlende Normierung bezüglich der Begründung des Verhältnisses kurios anmutenden – Regelungen, zum ersten, daß eine Pflicht zur Stellenausschreibung nicht für die Stellen der Staatssekretäre gilt und zum zweiten, daß der Bundespräsident Staatssekretäre jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzen kann, soweit sie Beamte auf Lebenszeit sind 61. Eine nähere 59 60
Vgl. Fehlig, Die Rechtsstellung des Staatssekretärs im deutschen Staatsrecht, S. 31. www.bundesregierung.de/Bundesregierung/-,422/Bundesministerien.htm.
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Zuweisung von Aufgaben sowie Art der Rechte und Pflichten der Staatssekretäre bezüglich dieser Aufgaben finden sich ausschließlich in den Geschäftsordnungen der Bundesregierung und Ministerien. Daß sich weitere, speziell auf das Amt des Staatssekretärs beziehende Regelungen nicht finden lassen, hat seinen Grund in der naheliegenden Tatsache, daß Staatssekretäre in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis zum Bund stehen und damit unmittelbare Bundesbeamte sind, § 2 BBG. Damit findet grundsätzlich das Bundesbeamtengesetz auf sie Anwendung, § 1 BBG, so etwa auch für die Begründung des Dienstverhältnisses. Lediglich vom durchschnittlichen Dienstverhältnis abweichende Bestimmungen mußten daher getroffen werden, wie die erwähnte Regelung über Stellenausschreibung und Versetzung in den einstweiligen Ruhestand. Auch das in § 24 BBG vorgesehene Verbot der Sprungbeförderung gilt für beamtete Staatssekretäre als Angehörige der Besoldungsgruppe B nicht 62. Diese beamtenförmige Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses ist keineswegs eine rechtliche Konstruktion des modernen Gesetzgebers. Bereits im Deutschen Reich fand das Reichsbeamtengesetz vom 31.03.1873 63 auf die Staatssekretäre Anwendung. Gleiches gilt für die Einordnung des Amtes als hochpolitisch. So konnten die Staatssekretäre gemäß § 25 RBG jederzeit durch kaiserliche Verfügung in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden, sie waren „disponible Beamte“ 64. In Übereinstimmung mit der heutigen Regelung des § 31 BRRG wurde diese Disponibilität für notwendig erachtet, um eine „fortdauernde Übereinstimmung in prinzipiellen Ansichten mit der leitenden Autorität“ 65 zu gewährleisten. Eine solche Übereinstimmung im Verhältnis zur exekutiven Leitungselite herzustellen resp. zu bewahren, hatte in staatsrechtlicher Sicht solche Priorität, daß ihr auch das eherne beamtenrechtliche Prinzip der Lebenszeitbestellung geopfert wurde. Für das Amt des Staatssekretärs wird diese Disponibilität nicht in Frage gestellt. Sie gehören zu dem engen Kreis der Beamten, die eine „wirkliche Schlüsselstellung(en) mit hoher Bedeutung für die ‚Transformation‘ zwischen politischer Führung und Verwaltung“ 66 inne haben. Von ihnen wird zudem gefordert, daß sie jenseits der ohnehin geforderten beamtenrechtlichen Treuepflicht die Politik der Regierung aktiv und wirksam unterstützen 67.
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Die Zuordnung der beamteten Staatssekretäre zur Besoldungsgruppe B 11 findet sich in der BBesO als Anlage zum BBesG. 62 Vgl. § 24 S. 3 BBG i.V.m. § 12 Abs. 3 S. 2 BLV. 63 RGBl., S. 61 ff., geändert durch Gesetz v. 18.05.1907, RGBl., S. 245 ff. 64 Wacke, AöR 91 (1966), 441 (448). 65 Zorn, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, S. 335. 66 Plog/Wiedow/Beck/Lemhöfer, BBG, § 36, Rn. 3. 67 BVerwGE 19, 332 (336).
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Staatssekretäre haben die faktische und rechtliche Möglichkeit, politischen Einfluß zu nehmen, und dies wird von ihrer Amtsausführung auch erwartet. Für eine Qualifizierung als politische Beamte bedarf es zusätzlich noch einer gesetzlichen Herausstellung des Amtes, wie in § 36 BBG geschehen. In dieser herausgehobenen Stellung sind Staatssekretäre „politische Beamte“ 68. Sie sind zur Rechtsanwendung berufen, können aber – soweit hierfür Raum ist und grundsätzlich nach den Weisungen „ihres Ministers“ – entscheiden, ob und wie es anzuwenden ist; sie sind die Repräsentanten in der Zusammenarbeit mit dem politisch leitenden Minister 69. War oben bereits auf die massive Ausweitung der Aufgaben eines Ministeriums und damit auf die Leitungszuständigkeit eines Ministers hingewiesen worden, so wird deutlich, daß diese Aufgaben auf mehrere Schultern weiterverteilt werden müssen. Durch die Entscheidungsbreite und relative Selbständigkeit aufgrund derer vorbereitende Überlegungen und Maßnahmen der Staatssekretäre getroffen werden, wird zugleich ersichtlich, daß diese in einem gewissen Maße präjudizierend für die endgültige Entscheidung des Ministers sind. Das tatsächliche Gewicht ihrer Einflußnahme(-möglichkeit) ist für den staatsleitenden Apparat von nicht unerheblichem Umfang. Eine der Hauptaufgaben des Staatssekretärs ist es, als verbindende Nahtstelle zwischen politischem Leitungsbereich des Ministers und Vorbereitung und Ausführung durch das Ministerium zu fungieren. Die besondere Bedeutung der Staatssekretäre spiegelt sich auch im stellvertretungsrechtlich umstrittenen Bereich der Befehls- und Kommandogewalt in Friedenszeiten wider. Gemäß Art. 65a GG hat der Bundesminister für Verteidigung in Friedenszeiten diese Gewalt inne. Das Bundesverteidigungsministerium ist eines der wenigen Ressorts, die von der Verfassung nicht nur zugelassen werden, sondern von ihr gefordert werden und damit zwingend einzurichten ist. Durch die Machtposition, die mit dieser Befehls- und Kommandogewalt im Staat einhergeht, hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht gefordert, daß dieses Machtpotential nicht allein der Exekutive überlassen werden dürfe, „sondern als ‚Parlamentsheer‘ in die demokratische rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzufügen, d.h. dem Parlament einen rechtserheblichen Einfluß auf Aufbau und Verwendung der Streitkräfte zu sichern“ sei 70. Diese Forderung ist selbstverständlich und ergibt sich bereits aus der allgemeinen bundesrepublikanischen Staatsstruktur als parlamentarische Demokratie. Parlamentsfreie Räume – insbesondere im militärischen 68 Der Übergang von der Terminologie der „disponiblen“ zu den „politischen“ Beamten ging um 1880 vor sich; erste nachweisliche offizielle Benennung in einer Verlautbarung vom 21.12.1881, vgl. Wacke, AöR 91 (1966), 441 (453); Hartung, Staatsbildende Kräfte der Neuzeit, S. 248; für die Existenz eines „unpolitischen Staatssekretärs“ argumentiert Thieme, in: Öffentlicher Dienst und politischer Bereich, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, 37 (1967), 149 (160 f.), der auf diesen § 36 BBG nicht anwenden will. 69 Gerber, DÖV 1953, 70 (71 f.). 70 BVerfGE 90, 286 (382).
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Bereich – kann es in diesem System zulässigerweise nicht geben. Aus dieser allgemeinen Feststellung des Bundesverfassungsgerichts allerdings eine zwingende Stellvertretung des Verteidigungsministers stets durch einen Ministerkollegen herleiten zu wollen, kann offensichtlich nicht gelingen, wird doch die parlamentarische Rückbindung auch bei einer Vertretung des Bundesministers durch seinen beamteten Staatssekretär grundsätzlich gewahrt. Durch Kabinettsbeschluß hat die Bundesregierung festgelegt, daß der Ministerkollege den Verteidigungsminister im Falle dessen Verhinderung „einschließlich der Vertretung in der Befehls- und Kommandogewalt“ vertritt 71. Zur Erhaltung des parlamentarischen Einflusses notwendig war dies freilich nicht, wie gesehen 72. Aber auch unter Geltung des Kabinettsbeschlusses wird der Bundesminister in seinen Aufgaben als Ressortleiter des Ressorts „Verteidigung“ grundsätzlich durch seinen beamteten Staatssekretär vertreten 73. „Der Befehlsgewalt und Vorgesetzteneigenschaft des BMVtdg gegenüber den Streitkräften in Wahrnehmung seiner Funktion als Leiter des Ministeriums als oberster Bundesbehörde entspricht im Falle seiner Verhinderung die Befehlsgewalt des zuständigen Staatssekretärs.“ 74 Bei der Befehls- und Kommandogewalt handelt es sich um die gesteigerte Form der Weisungsbefugnis 75. Stets ist sich in diesem Zusammenhang vor Augen zu führen, daß es sich sicherlich um eine staatspolitisch bedeutsame Stellung und demgemäße Stellvertretung handelt – die parlamentarische Verantwortlichkeit ist indes genauso umfassend gewahrt wie in anderen Bereichen der Ressortverantwortung. Sämtliche dieser Hinweise auf rechtliches und tatsächliches Gewicht der Entscheidungen der Staatssekretäre – sogar im Bereich militärischer Kommandogewalt – sowie ihre von den übrigen Beamten herausgehobene Sonderstellung
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Hernekamp, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 65a, Rn. 17. Daß darüber hinaus auch die Rechtmäßigkeit einer solchen Zuweisung durch Kabinettsbeschluß in Frage steht, zeigt sich bei dem erörterten Parallelproblem des § 15 GOBReg. Angedeutet soll nur die Frage werden, ob durch Kabinettsbeschluß eine Aufgabe aus einem dem Minister von Verfassungs wegen zugewiesenen Ressort herausgelöst werden kann. 73 Gallois, Rechtsstellung und Aufgaben des Parlamentarischen Staatssekretärs, S. 81 f.; Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, II. 4. (S. 286); Oldiges, in: Sachs, GG, Art. 65a, Rn. 21 f.; Fehlig, Die Rechtsstellung des Staatssekretärs im deutschen Staatsrecht, S. 83 f.; Hernekamp, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 65a, Rn. 18 f.; Klein, JuS 1974, 362 (366 f.); Böckenförde, in: Stellvertretung im Oberbefehl, S. 43 (44), wo er freilich eine solche Vertretung als „unangemessen“ betrachtet; Dürig, Aktuelle institutionelle Sorgen zur Spitzengliederung der Bundeswehr, S. 19 (29); a.A. v.d.Heydte, Zur Problematik des Artikels 65a GG, S. 35 (39). 74 Beschluß des BVerwG v. 10.1.1973, NJW 1973, 865 f. 75 Eschenburg, Der Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, S. 14; Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 65a, Rn. 36; Laufer, Der Parlamentarische Staatssekretär, S. 66. 72
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vermögen indes nicht über die im parlamentarischen Regierungssystem gewollte scharfe Trennlinie hinwegzutäuschen: Die politische und verantwortliche Leitung des Ministeriums und diesbezügliche Impulsgebung obliegt einzig und allein dem jeweiligen Minister. Der Staatssekretär ist Spitzenbeamter mit direkter Kommunikation zur politischen Führung, bleibt aber immer und ausschließlich nach Status und Verantwortlichkeit Beamter. Eine Art „Mittelding zwischen den Berufsbeamten und Politikern“ stellt der Staatssekretär nicht dar 76. Wie ausführlich dargelegt, kommt parlamentarische Verantwortung ausschließlich den Mitgliedern der Bundesregierung zu. Mitglieder der Bundesregierung sind aber von Verfassungs wegen nur die Bundesminister und der Bundeskanzler, Art. 62 GG. Staatssekretäre sind daher nicht Mitglieder der Bundesregierung und können dies ohne Verfassungsänderung auch nicht werden. Eine etwaige Aufnahme dieser politischen Beamten in diesen Kreis war nie vorgesehen oder auch nur angedacht worden; im Gegenteil herrschte bei der Schaffung des Grundgesetzes „Einmütigkeit darüber . . . , die Staatssekretäre nicht zu Kabinettsmitgliedern zu machen, . . . “ 77. Ein Bundesminister wird durch die Ernennung seitens des Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundeskanzlers zu einem solchen und damit automatisch zum parlamentarisch verantwortlichen Mitglied der Bundesregierung. Ein Einrücken in diese – unter dem Gesichtspunkt der parlamentarischen Verantwortlichkeit einzigartige – Position ohne dieses Procedere ist verfassungsrechtlich unmöglich. Durch bloße Stellvertretung kann eine solche Positionsüberleitung mit ihren rechtlichen Folgen keinesfalls erfolgen. Eine der gewichtigsten Konsequenzen aus der Trennung der statusrechtlichen Ausgestaltung zwischen Minister und Staatssekretär spiegelt zugleich die vollkommen andere Aufgabenzuweisung wider, wie sie in der gesetzgeberischen Intention zum Ausdruck kommt. Steht der Minister in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis gem. § 1 BMinG und der Staatssekretär trotz einiger Sonderbestimmungen in einem normalen Dienst- und Treueverhältnis gem. § 2 Abs. 1 BBG, so ergeben sich aus dieser Unterscheidung gravierende und aussagekräftige Erkenntnisse im Hinblick auf die Amtsbeendigung. Das Amt der Bundesminister endigt in jedem Falle mit der Erledigung des Amtes des Bundeskanzlers, gleich aus welchem Grund, Art. 69 Abs. 2 GG. Gem. § 9 Abs. 2 BMinG endigt das Amt der Bundesminister zudem dann, wenn sie selbst oder der Bundeskanzler ihre Entlassung verlangen, was jederzeit möglich ist. Wie dargestellt, kann zwar auch der Staatssekretär gem. § 36 Abs. 1 Nr. 1 BBG als politischer Beamter jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Eine anderweitige vorzeitige –
76 Köttgen, Das deutsche Berufsbeamtentum und die parlamentarische Demokratie, S. 257. 77 V. Doemming-Füsslein-Matz: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR n.F. Bd. 1, 1953, 425 (Art. 62).
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etwa an das politische Schicksal „seines“ Bundesministers gekoppelte – Amtsbeendigung kommt indes nicht in Frage. Die Staatssekretäre sollen als Beamte nicht der Periodizität von Wahlen unterworfen sein. Sie sind die oberste Konstante im Verwaltungsapparat des Bundes und Garantie für eine optimale Übergabe resp. Fortführung der Ressortaufgaben vor, während und nach einer Bundestagswahl bzw. einem Ministerwechsel. Die politische Führung muß sich dem Votum der Wähler stellen, gleiches gilt nicht für den Beamtenapparat. Der Staatssekretär erhält auch damit eine eindeutige Zuordnung hin zum Berufsbeamtentum und weg von der politischen Führung. Als nur noch dem Minister unterstellte Spitze des Verwaltungsapparates des Ministeriums ist der Staatssekretär Vorgesetzter aller übrigen Bediensteten darin und Träger umfassensten Sachverstandes. In dieser Position kann der Staatssekretär den Minister – unter Wahrung von dessen Verantwortung – im Ressort vertreten, wie es in § 14 Abs. 3 GOBReg vorgesehen ist. Eine unter eigener Verantwortung des Staatssekretärs ausgeführte Stellvertretung kann es nach den oben vorgezeichneten Grundsätzen dagegen im parlamentarischen Regierungssystem nicht geben. Gefährlich und irreführend ist es unter diesem Gesichtspunkt, aufgrund der Arbeitsüberlastung der Minister von einem Hineinwachsen der Staatssekretäre „in die politischen Funktionen der Minister“ 78 zu sprechen oder unter Hinweis auf § 36 Abs. 1 Nr. 1 BBG auf „evidente Parallelen zur Ministerverantwortlichkeit“ 79 hinzuweisen. Sowohl durch die Darstellung der historischen Entwicklung des Amtes des beamteten Staatssekretärs als auch durch die heutige einfachgesetzliche Ausgestaltung ist die rechtliche Trennung zwischen der parlamentarisch verantwortlichen Stellung des Ministers und der zu ihm notwendigerweise politisch loyalen Stellung des Staatssekretärs augenfällig. Neben dieser Augenfälligkeit läßt aber das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes in seiner heutigen Ausgestaltung lediglich und ausschließlich eine parlamentarische Ministerverantwortlichkeit zu, nicht jedoch eine solche des beamteten Staatssekretärs. Eine Vertretung des Ministers in dessen Verantwortlichkeit durch den beamteten Staatssekretär kann es somit nicht geben, und eine solche Annahme wäre verfassungswidrig 80. 78
Wahl, Der Staat 8 (1969), 327 (329). So aber Thieme, ZBR 1980, 101 (103). 80 Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, IV. 3. c) (S. 310) u. 5. c) (S. 315); Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 9 (58), Fn. 145 m.w.N., der zutreffend darauf hinweist, daß gerade ohne eine dem Bundestag gegenüber bestehende Verantwortlichkeit die Bundesminister zu bloßen Staatssekretären degradiert würden. Meyn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 62, Rn. 13a; Wahl, Der Staat 8 (1969), 327 (332 f.); Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 174; Fehlig, Die Rechtsstellung des Staatssekretärs im deutschen Staatsrecht, S. 80, 95 ff.; Battis, in: FS Bemmann, 1997, S. 7 (10 ff.); für eine „verantwortliche Vertretung“ nur durch einen Minister siehe auch schon Marschall v. Bieberstein, in: Hand79
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III. Zwischenergebnis und Ausblick Nach vorgenommener Darstellung und Analyse der Stellvertretungsproblematik im Falle eines befangenen Bundesministers als Leiter einer obersten Bundesbehörde auf der Grundlage des geltenden Rechts ist es angezeigt, ein kurzes Resümee hinsichtlich der erarbeiteten Ergebnisse zu ziehen. Dies ist Voraussetzung, um einen unverstellten Blick auf mögliche verfassungsgemäße Lösungsansätze zu erhalten. Die Vertretung eines an der Geschäftsführung verhinderten Bundesministers richtet sich als Leiter einer obersten Bundesbehörde grundsätzlich nach § 6 Abs. 1 GGO i.V.m. § 14 Abs. 3 GOBReg und steht diese Regelung, wie dargestellt, im Einklang mit dem Grundgesetz. Damit ist grundsätzlich berechtigter Stellvertreter für diese Aufgaben der beamtete Staatssekretär, solange die Regelung des § 14a GOBReg nicht eingreift und ein parlamentarischer Staatssekretär mit der Aufgabe betraut worden ist. Zu den Aufgaben als Leiter einer obersten Bundesbehörde zählt auch die Entscheidung über die Erteilung der Ministererlaubnis gem. § 42 Abs. 1 GWB. Eine Vertretung bei dieser Entscheidung durch den beamteten Staatssekretär ist daher grundsätzlich rechtlich zulässig. Bei jeder Stellvertretung des Bundesminister nach § 6 Abs. 1 GGO i.V.m. § 14 Abs. 3 GOBReg durch den beamteten Staatssekretär verbleibt die vollständige und ausschließliche parlamentarische Verantwortlichkeit bei dem jeweiligen Bundesminister, wodurch die Rückführbarkeit jeder Entscheidung zum Parlament verfassungskonform gewahrt wird. Verfassungsrechtliche Friktionen ergeben sich allerdings, wie gezeigt, in der Situation, in der der Minister als Leiter einer obersten Bundesbehörde aufgrund rechtlicher Verhinderung als Folge von Befangenheit (oder deren Besorgnis) von Einwirkungsmöglichkeiten ausgeschlossen ist. Der Minister unterliegt einem umfassenden und absoluten Handlungsverbot, mit welchem zwingend der Ausschluß der Verantwortungsübernahme vor dem Parlament einhergeht. Hier ist die Stellvertretung durch den beamteten Staatssekretär rechtlich unzulässig, da es ansonsten zu einer Verletzung des Demokratiegrundsatzes in seiner Ausformung als Prinzip der parlamentarischen Verantwortlichkeit käme. Weder dem Bundesminister noch seinem beamtetem Staatssekretär kann eine parlamentarische Verantwortlichkeit ohne Verfassungsbruch in dieser Konstellation zugewiesen werden. Damit aber ist die Rückführbarkeit der Ressortentscheidung auf das Parlament, wie sie vom Demokratieprinzip unabdingbar gefordert wird, unterbrochen.
buch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 1, § 45, III. A. 1. (S. 525); Klein, DÖV 1974, 590 (591); Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 69, Rn. 58.
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Zu diesem verfassungswidrigen Zustand kommt es, da das geltende Recht einen Ausgleich zwischen den hier kollidierenden Prinzipien des Demokratiegebots auf der einen und des Rechtsstaatsgebots auf der anderen Seite nicht herzustellen vermag. Das sich so offenbarende verfassungsrechtliche Dilemma aufgrund des gesetzesresp. geschäftsordnungsmäßig nicht bedachten Aufeinandertreffens dieser beiden Verfassungsprinzipien muß damit zum Gegenstand der folgenden Überlegungen gemacht werden. Eine endgültige Beurteilung des aufgezeigten Zustandes als verfassungswidrig könnte aber in dem Falle vermieden werden, daß ein Ausgleich der kollidierenden Prinzipien gelingen sollte, entweder durch Zuerkennung einer überlagernden Vorrangstellung eines der kollidierenden Prinzipien oder aber im Wege der verfassungskonformen Auslegung der die Stellvertretung regelnden Normierungen. Sollte sich eine solche Lösung dieser Problematik de lege lata dennoch nicht in verfassungsrechtlich zulässiger Weise realisieren lassen, müssen Überlegungen de lege ferenda folgen, um eine den Verfassungsanforderungen genügende Rechtslage zu gewährleisten bzw. herzustellen.
§ 13 Lösungsansätze de lege / de constitutione lata Hat sich zwar im Laufe der bisherigen Betrachtung, ausgehend von dem diese Arbeit (mit-)auslösenden Fall, gezeigt, daß der rechtsdogmatisch als grundsätzlich richtig herausgearbeitete Weg der Vertretung durch den beamteten Staatssekretär aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts nicht gangbar ist, muß dies nicht zwingend sofortig das Verdikt der unauflösbaren Verfassungswidrigkeit der geltenden Rechtslage zur Folge haben. Für die konkrete Erlaubnisentscheidung, die auf dem geschilderten Vertretungswege zustande kam, gilt dies freilich nicht – es sei denn, es gelänge durch eine verfassungskonforme Auslegung der angewandten Bestimmungen, den notwendigen Ausgleich der widerstreitenden Verfassungsprinzipien herzustellen. Ein solcher Ausgleich muß stets vorrangiges Ziel vor einer konstruktiven Neugestaltung sein. Aber selbst für den Fall, daß sich die konkret gewählte Stellvertretungsfolge auch auf interpretatorischem Wege nicht als verfassungsmäßig bewahren läßt, hat dies zwar die Unrechtmäßigkeit der Entscheidung, nicht jedoch zwingend der gesamten Rechtslage zur Folge. Aufgrund der im Falle eines befangenen Bundesministers als Leiter einer obersten Bundesbehörde gegebenen widerstreitenden Verfassungsprinzipien, lassen sich diese unter Umständen als Anknüpfungspunkte einer anderweitigen verfassungskonformen Interpretation verwenden. Als zu untersuchende weitere Stellvertretungsmodelle auf Basis des geltenden (Verfassungs-)Rechts kommen dabei insbesondere solche in Betracht, die eine Vertretung durch andere im obersten exekutiven Leitungsbereich angesiedelte
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Hoheitsträger vorsehen. Als solche sind Ministerkollegen, der Bundeskanzler sowie die Bundesregierung als Kollegialorgan zu nennen, aber auch die Stellung des Parlamentarischen Staatssekretärs ist in diesem Zusammenhang auf seine Vertretertauglichkeit hin zu untersuchen. Und schließlich – um das erklärte Ziel der Aufrechterhaltung der geltenden Rechtslage als verfassungsmäßig zu erreichen – ist an die im Rahmen der Erläuterungen des der Verfassung zugrunde liegenden Demokratiemodells gemachten Ausführungen über etwaige gerechtfertigte Ausnahmebereiche hiervon anzuknüpfen. Diese als durchaus vielgestaltig und eine breite Interpretationsbasis liefernd zu bezeichnende Ausgangsposition sollte es ermöglichen, die geltende Rechtslage vor dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit zu bewahren 81.
I. Aufrechterhaltung der parlamentarischen Verantwortlichkeit des vertretenen Bundesministers Bedarf es für das Vorliegen eines verfassungsgemäßen Zustandes im Hinblick auf das Demokratieprinzip der Entscheidungsrückführbarkeit auf das Parlament durch den Minister als Verbindungselement, liegt es nahe, an dieser Stelle mit der Problemanalyse zu beginnen. Wäre es möglich, den Minister im skizzierten Vertretungsfalle als Adressaten der parlamentarischen Verantwortlichkeit weiterhin ansprechen zu können, bliebe für das Urteil der Verfassungswidrigkeit aufgrund eines Verstoßes gegen das Demokratieprinzip kein Raum. Für eine solche Auslegung bieten sich zwei verschiedene denkbare Ansatzpunkte, die jedoch übereinstimmend auf einer verfassungsrechtlichen Vorrangstellung des Demokratieprinzips vor dem Rechtsstaatsprinzip basieren. Sollte eine solche Präponderanz festzustellen sein, bedürfte es eines „Ausgleichs“ der widerstreitenden Prinzipien mithin nicht mehr – die Verfassung selbst hielte einen Ausweg bereit.
81 Übereinstimmend wird von den Autoren und Institutionen, welche sich ansatzweise mit der gestellten Problematik befassen, der geltenden Rechtslage eine (z.T. auf verfassungsinterpretatorischem Wege zu erreichende) Verfassungsmäßigkeit attestiert. Allenfalls eine „Klarstellung“ der ohnehin rechtmäßigen Situation sei evtl. wünschenswert. Überraschend wirkt in diesem Zusammenhang jedoch, daß sich die geäußerten Meinungen zum einen zu einer klaren Rechtmäßigkeit der Stellvertretung durch den (beamteten) Staatssekretär bekennen, s. Regierungsbegründung zur 7. GWB-Novelle, S. 41, BT-Drs. 15/3640, so auch Staebe, WuW 2003, 714 (717). Zum anderen glauben sie jedoch als eindeutiges Ergebnis einer verfassungsrechtlichen Betrachtung der Rechtslage eine angeordnete Stellvertretung durch einen Ministerkollegen zu finden, s. 14. Hauptgutachten der Monopolkommission 2000/2001, S. 80 Nr. 133 und Droege, WuW 2002, 930 (944). Inwieweit eine dieser beiden „klaren“ Verfassungs- und Normauslegungsergebnisse einer verfassungsrechtlichen Überprüfung Stand hält, wird im weiteren Verlauf Gegenstand der Untersuchung sein.
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1. Korrigierende Interpretation der Befangenheits- und Vertretungsbestimmungen vor dem Hintergrund des Demokratiegebots Eine Auslegung der Befangenheits- und Vertretungsbestimmungen unter besonderer Berücksichtigung des Demokratieprinzips könnte an drei Voraussetzungen anknüpfen, die die parlamentarische Verantwortlichkeit des Ministers ausschließen. Zum ersten könnte die grundsätzliche Anwendbarkeit der Befangenheitsregeln der §§ 20, 21 VwVfG auf den Bundesminister in Frage zu stellen sein. Zu der gleichen Rechtsfolgenannahme wie bei einer allgemeinen Nichtanwendung der Befangenheitsregeln ist über den Weg zu gelangen, einen befangenen Bundesminister nicht als „verhindert“ i.S.v. § 14 Abs. 3 GOBReg zu qualifizieren. Bei diesem Vorgehen würde zwar das Vorliegen der Besorgnis der Befangenheit selbst akzeptiert, eine daraus resultierende Stellvertretungsnotwendigkeit jedoch abgelehnt mit der Folge der vollen Handlungsfähigkeit des Ministers. Denkbar wäre etwa, in korrigierender Auslegung, lediglich rein faktische, nicht aber rechtliche Entscheidungshemmnisse unter den Begriff der „Verhinderung“ zu subsumieren. Damit eng zusammenhängend könnte zum zweiten zu überlegen sein, die Ausnahmeregelung des § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 HS. 2 VwVfG, der den Ausschluß eines in amtlicher Eigenschaft „Befangenen“ verhindert, von seinem Rechtsgedanken auf den gegebenen Fall anzuwenden 82. Zuletzt erscheint es denkbar, auch bei einer sowohl allgemein als auch konkret zu bejahenden Anwendbarkeit der Befangenheitsvorschriften auf den Bundesminister, die sonst angeordnete Rechtsfolge des Handlungsverbots abzulehnen. Ob die Möglichkeit einer Auslegung in Richtung der verschiedenen Denkansätze besteht oder nicht, ist anhand der anerkannten Auslegungsmethoden zu prüfen. Danach sind für die Erforschung des Inhalts und der Bedeutung einer Rechtsnorm die Kriterien des Wortsinns, des Bedeutungszusammenhangs, der Entstehungsgeschichte sowie des Sinns und Zwecks der Norm entscheidend. Eine isolierte Betrachtung eines gefundenen Auslegungsergebnisses kann schon aufgrund der Vielfalt der Kategorien nicht statthaft sein 83. Die für die Inhaltsbestimmung der Norm maßgebliche Interpretation hat sich in einer Gesamtschau aller methodischen Überlegungen zu bewähren. Nicht zwingend bedeutet diese Aussage jedoch, daß jeglicher Auslegungsmethode gleiches Gewicht in dieser
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Zu den Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VwVfG s. Kapitel 2, § 6. Vgl. hierzu und zum folgenden aus der mannigfaltigen Literatur nur Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 42 ff.; Rüthers, Rechtstheorie, insbes. S. 392 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 133 ff.; Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 205 ff.; Müller, Juristische Methodik, 3. Aufl., S. 210 ff. 83
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Betrachtung zukommen muß 84. So kann unter Umständen der Blick auf die Entstehungsgeschichte hinter eine entgegenstehende ratio legis zurückzutreten haben. Geht es wie vorliegend um eine im verfassungsrechtlichen Kontext angesiedelte Norminterpretation, so bedarf es im Rahmen der systematischen Auslegung besonderen Augenmerks im Hinblick auf die Grundsätze der verfassungskonformen Auslegung sowie den Grundsätzen der Verfassungsinterpretation selbst 85. Im Rahmen der Wortsinnanalyse ist als Grenze vor allem die Deutung zu verwerfen, die nicht mehr im Bereich eines möglichen Wortsinns liegt 86. Durch dieses zumeist grobe Raster werden mithin nicht allzu viele Möglichkeiten ausgeschlossen, handelt es sich andererseits aber auch nur um einen ersten Schritt der Annäherung an die Wortbedeutung. Eine weitere und eigenständige Auslegungshilfe, die jedoch eng mit der Wortsinnanalyse verknüpft ist, stellt die kontextorientierte Betrachtung dar. Ein Rechtssatz steht in zumeist unmittelbarem (formalem und materiellem) Regelungszusammenhang mit verwandten Vorschriften und steht in letzter Konsequenz zumindest im Gefüge der Gesamtrechtsordnung als „geordnetes Normengefüge widerspruchsfreier normativer Wertmaßstäbe“ 87. Aus diesem – engeren oder weiteren – Gefüge heraus ist der Regelungsinhalt zu betrachten. Das telos der Norm ist schließlich – aber nicht nur – von wesentlicher Bedeutung, falls bei vorausgegangener Betrachtung mehrere Interpretationsansätze nach der Wortlautgrenze rechtlich zulässig und damit an sich anwendbar sind. Diese verschiedenen Möglichkeiten sind danach unter Beachtung der erkennbaren Zwecke und dem Grundgedanken der Regelung zu betrachten und dabei diejenige als „richtig“ auszuwählen, die mit dem gefundenen Ergebnis übereinstimmt bzw. diesem am nächsten kommt 88. Die Festlegung des telos ist in erster Linie nach objektiven Kriterien durchzuführen, auch wenn die Vorstellungswelt des historischen Gesetzgebers dabei unter Umständen hilfreich zu sein vermag 89. Davon zu trennen ist jedoch der Fall, daß der Gesetzgeber eine etwa im Gesetzgebungs-
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Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 62 f. Grundlegend hierzu Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der BRD, S. 20 ff.; Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, S. 19 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 4, II. (S. 113 ff.), § 4, III. (S. 123 ff.); Starck, in: HdbdStR, Bd. VII, § 164; Dawin, Dombert, u.a., in: Die Einwirkung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auf die Gesetzesauslegung, S. 9 ff., S. 19 ff. 86 BVerfGE 87, (209) 224; 71, 109 (115). 87 Rüthers, Rechtstheorie, S. 416. 88 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 153; Rüthers, Rechtstheorie, S. 407, ordnet die Reihenfolge demgegenüber so an, daß die Mittel der Auslegung einzig dazu dienen, den Normzweck zu erfassen. 89 Vgl. dazu BVerfGE 11, 126 (130), sowie den Rekurs auf die Gesetzgebungsmaterialien in BVerfGE 51, 97 (108 f.); 57, 250 (263); zur Kritik an den „objektiv-teleologischen“ Kriterien Rüthers, Rechtstheorie, S. 446 ff.; vgl. auch den Hinweis auf die reale Bedeutung der Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte einer Norm in der Rechtsprechung des BVerfG Sachs, in: ders., GG, Einführung, Rn. 41. 85
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verfahren einmal angedachte Normierung bewußt verworfen hat. Darin lediglich eine teleologische Randerwägung zu sehen, liefe auf die Verkennung der Tatsache hinaus, daß die Bedeutung einer bewußten Nicht-Schaffung einer Norm – bei einer durchzuführenden Auslegung – einen gleichen, zumindest aber ähnlichen Stellenwert wie die tatsächliche Schaffung derselben haben muß 90. Tritt trotz oder auch gerade wegen der erfolgten Auslegung eine Regelungslücke in der gesetzlichen Normierung zu Tage, ist zu erforschen, ob und gegebenenfalls wie eine solche auszufüllen ist. Das Ob der Lückenausfüllung bezieht sich dabei auf die Möglichkeit, einen an sich nicht geregelten Sachverhalt einer sachgerechten, bereits gesetzlich festgelegten Lösung zuzuführen, ohne hierbei den Boden der anerkannten Auslegungsmaßstäbe zu verlassen. Dabei ist freilich auch zu beachten, daß Überlegungen, die zur Statuierung geführt haben, daß eine Regelungslücke vorliege, auch bereits – zumindest zum Teil – die teleologischen Erwägungen berücksichtigen, die im Rahmen einer Lückenfüllung angewendet werden müssen 91. Gerade für den Fall einer Regelungslücke ist dabei zu beachten, daß es – auch nach extensiver Anwendung aller Auslegungshilfen – zu einer Feststellung einer Lücke als „unausfüllbar“ kommen kann 92. Bevor indes eine Unausfüllbarkeit angenommen werden darf resp. muß, sind die kollidierenden Rechtssätze oder -prinzipien unter größtmöglichen Anstrengungen in einen Ausgleich zu bringen. Sollte ein unmittelbarer Ausgleich nicht möglich sein, muß in letzter Konsequenz über ein Zurücktreten eines der Prinzipien hinter das andere nachgedacht und damit versucht werden, den Rechtsfrieden wiederherzustellen 93. Eine gesetzliche Normierung ist und bleibt in Geltung, wenn sie im Einklang mit der Verfassung steht – sei dies auch nach erfolgter Auslegung 94. Diese Auslegung eines etwa mehrdeutigen oder unbestimmten Gesetzesinhaltes kann auch durch Inhalte der Verfassung bestimmt werden 95. Bei der Normauslegung sind sowohl die Wertentscheidungen des Grundgesetzes zu berücksichtigen, wie sie etwa in den Grundrechten ihren Niederschlag gefunden haben, als auch die da-
90 Rüthers, Rechtstheorie, S. 464, spricht von einem Gesetzesverstoß bei einer vermeintlichen „Lückenausfüllung“ im Falle eines solchen „beredten Schweigens“. 91 Vgl. nur Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 220, mit differenzierendem Hinweis für die von ihnen sog. Normlücke. 92 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 221. 93 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 223. 94 BVerfGE 48, 40 (45 f.); 64, 229 (241 f.); 90, 263 (274 f.). 95 BVerfGE 41, 65 (86); 59, 336 (350 ff.); vgl. dazu auch Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, S. 22, der diesen Vorgang als „vorgezogene Normenkontrolle“ bezeichnen will. Die Auslegung frage nicht nach „der richtigsten, weil normgetreuesten Auslegung“; dies ist m.E. so nicht haltbar, ist doch bei mehreren verfassungsgemäßen Auslegungsalternativen gerade der dem Verfassungsinhalt am nächsten kommenden Auslegung der Vorzug zu geben. Dagegen auch Dawin, Ungereimtheiten bei der verfassungskonformen Auslegung, S. 13.
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neben festgeschriebenen Prinzipien in Ausprägung etwa des Rechtsstaatsgedankens und der parlamentarischen Demokratie 96. Wichtig zu vermerken ist dabei freilich, daß auch unter Berufung auf Verfassungsprinzipien die Grenzen der genannten Auslegungsmethoden zu beachten sind. Die Verfassungsprinzipien sind eine die inhaltliche Richtung der Auslegung (mit-)bestimmende Komponente – ein zwingend gebotenes Auslegungsergebnis nachträglich außer Kraft zu setzen vermögen sie indessen nicht. Die verfassungskonforme Auslegung muß die Grenzen des Wortsinns, des Bedeutungszusammenhangs und des telos wahren 97. Das Bundesverfassungsgericht führt in ständiger Rechtsprechung aus, daß eine verfassungskonforme Auslegung immer dort ausscheide, „wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde“ 98. Jede verfassungskonforme Auslegung einer Norm bedeutet auch eine Untersuchung über den Inhalt der Verfassung selbst. Ohne den verbindlichen Inhalt dieser festgestellt zu haben, ist eine Auslegung untergeordneter Normen „in ihrem Lichte“ nicht möglich 99. Geht es um einen Ausgleich verschiedener Verfassungsprinzipien, die (auch) über den Weg ihrer Einwirkung im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung Geltung beanspruchen, ist insbesondere danach zu fragen, ob hier unter Umständen Prinzipien unterschiedlichen Ranges aufeinandertreffen, so daß es zu einer „echten Konkurrenz“ am Ende gar nicht kommt. Daß nicht alle Sätze der Verfassung gleichen Rang beanspruchen können, ergibt sich bereits aus Art. 79 Abs. 3 GG 100. Die inhaltliche Interpretation einer Verfassungsnorm als Gesetz hat dabei grundsätzlich den oben geschilderten Auslegungsmaßstäben zu entsprechen und zu genügen 101, wobei der Verfassungsauslegung in der juristischen Hermeneutik ein besonderes Gewicht zukommt 102. Für das konkretisierende Verfahren der Auslegung gilt bei dessen Anwendung auf die Verfassung in gesteigerten Maße die Anforderung, daß leitende Gesichtspunkte in einem normativ gelenktem und begrenzten Vorgehen gefunden werden müssen, wobei insbesondere auf die Einheit der Verfassung Bezug zu nehmen ist 103. Das bedeutet zugleich, daß alle Verfassungsnormen so zu interpretieren sind, daß Widersprüche zu anderen Verfassungsnormen vermieden werden. Als 96
Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 160. BVerfGE 8, 28 (34); 18, 97 (111); 63, 131 (147 f.); 34, 165 (199 f.); 42, 176 (189 f.). 98 BVerfGE 90, 263 (275). 99 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der BRD, Rn. 85. 100 Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 4, II. 1. (S. 113). 101 So überzeugend Starck, in: HdbdStR, Bd. VII, § 164, Rn. 16 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 180 ff. (183), dort mit ausführlichem Überblick über alternative Ansätze; ebenso Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 4, III. 1. (S. 123, 127); Sachs, in: ders., GG, Einführung, Rn. 38. 102 Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 4, III. 1. (S. 123). 103 Hierzu sowie zu den folgenden Ausführungen maßgebend Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der BRD, Rn. 66 ff.; zur Einheit der Verfassung und kontextorientierten 97
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entscheidend und weithin anerkannt bei der Begutachtung von (zusammen- resp. entgegenwirkenden) Verfassungsnormen zu verwirklichen ist das Prinzip der praktischen Konkordanz. Dieses Prinzip verlangt, daß „verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter . . . in der Problemlösung einander so zugeordnet werden, daß jedes von ihnen Wirklichkeit gewinnt. Wo Kollisionen entstehen, darf nicht in vorschneller „Güterabwägung“ oder gar abstrakter „Wertabwägung“ eines auf Kosten des anderen realisiert werden“ 104. Die verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien wie sie sich etwa im Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaat finden, stehen unter sich in einem solchen Zusammenhang, der „jede isolierte Interpretation verbietet“ 105. Eine rücksichtslose Ausdehnung oder Überlagerung eines der Prinzipien kann aufgrund der Staatswesentlichkeit auch des anderen verfassungsrechtliche Billigung nicht erfahren. Um jeden Preis einen solchen Ausgleich herbeizuführen, verstieße seinerseits gegen die Regeln der zulässigen Rechtsauslegung 106. Widerstreitende verfassungsrechtlich geschützte Belange sind „nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems zu lösen“ 107. Eine Auslegung, die danach zwar zu einem Ausgleich der widerstreitenden Prinzipien führt, darf jedoch keinesfalls im Wege der Postulierung eines Ergebnisses vor sich gehen, das contra legem oder contra constitutionem
Auslegung schon BVerfGE 1, 14 (32); kritisch zur Sicherung der Normativität durch eine Grenzziehung am Verfassungstext Starck, in: HdbdStR, Bd. VII, § 164, Rn. 24. 104 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der BRD, Rn. 72, der diesen Begriff freilich in den konkreten Einzelzusammenhängen grundsätzlich bei einer Kollision von Grundrechten zur Anwendung bringt, vgl. etwa Rn. 332, sowie spez. bzgl. Freiheitsrechten Rn. 317. Dort auch Hinweis auf verwandte Begrifflichkeiten anderer Autoren wie „Auslegungsprinzip der ‚Harmonisierung‘“ und „Gedanken des nach beiden Seiten hin schonendsten Ausgleichs“. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 4, III. 8. b) (S. 133) führt zu Recht aus, daß nicht vorschnell Rangunterschiede für Normen gleicher Ebene postuliert werden dürfen und bedürfe es einer Gesamtbetrachtung, um Harmonie zwischen kollidierenden Normen zu suchen. 105 Starck, in: HdbdStR, Bd. VII, § 164, Rn. 51. 106 So zu recht auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der BRD, Rn. 83, für den Fall, daß die verfassungskonforme Auslegung ein „aliud gegenüber dem ursprünglichen Gesetzesinhalt enthält.“ In seinem grundsätzlichen Aussagegehalt begrenzt zuzustimmen ist daher auch dem 2. Schlußappell Bettermanns, Die verfassungskonforme Auslegung, S. 55: „Laßt dem Gesetzgeber die Freiheit, wie er auf die Verwerfung seines Werkes reagiert: vergewaltigt ihn nicht durch verfassungskonforme Auslegung!“ Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 4, III. 1. d) (S. 137) äußert sich – wenn auch vorsichtig – in der gleichen Richtung, wenn er feststellt: „Tendenziell könnte es sich empfehlen, Zurückhaltung zu üben und eher zu einer (partiellen) Nichtigkeit des Gesetzes zu gelangen, als gekünstelt eine Norm aufrechtzuerhalten.“ Für eine „restriktive Verwendung“ auch Sachs, in: ders., GG, Einführung, Rn. 55, der zugleich auf die Gefahr des Gerichts als „(nachbesserndem) Gesetzgeber“ hinweist. 107 BVerfGE 49, 24 (56).
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zustande käme 108. Vor diesem besonderen Hintergrund und durch die Einhaltung der von der allgemeinen Auslegungsmethodik gesetzten Schranken ist zu verhindern, daß es zu einer „Verfassungsänderung oder ihre Durchbrechung durch Interpretation“ 109 kommen kann. Stehen dem als eindeutig befundene gesetzliche oder verfassungsrechtliche Wertungen entgegen, sind diese zu respektieren und die Normlücke auf anderem Wege einer Schließung zuzuführen 110. Ein solches Ergebnis nicht zu akzeptieren, hieße einen Prinzipienvorrang zu konstruieren, wo ein solcher durch die Verfassung unter Umständen nicht vorgegeben und auch in zulässigem Wege nicht abzuleiten ist. Eine Untersuchung der eingangs angesprochenen Ansatzpunkte mit dem Ziel einer Aufrechterhaltung der ministeriellen Handlungsbefugnis und damit zusammenhängender Verantwortungsübernahme muß sich damit an den soeben skizzierten Auslegungsprinzipien orientieren. Hinsichtlich des grundsätzlichen Inhalts sowie der detaillierten Ausgestaltung des Gebots der Sachentscheidung durch unbefangene Amtswalter ist auf die ausführlichen Darstellungen in Kapitel 2 der Arbeit zu verweisen. Neben dem vom Wortlaut und Wortsinn her bereits eng eingegrenzten Tatbestand der §§ 20, 21 VwVfG, die anordnen, daß Amtsträger „nicht tätig werden“ dürfen bzw. sich „der Mitwirkung zu enthalten“ haben, wenn (die Besorgnis der) Befangenheit in ihrer Person vorliegt, kann danach auch insbesondere eine teleologische Auslegung nicht zum Ausschluß des Eingreifens der Rechtsfolgen für den Minister führen. Eine derartige Interpretation der §§ 20, 21 VwVfG bedeutete ein willkürliches, die Grenzen verfassungskonformer Auslegung überschreitendes Ergebnis. Der umfassend dargestellte Sinn und Zweck gerade der verfassungsrechtlich hergeleiteten Befangenheitsvorschriften würde in sein Gegenteil verkehrt, würde man den Minister als Amtsträger von den Befangenheitsvorschriften ausnehmen oder die gesetzlich angeordneten Rechtsfolgen für ihn ablehnen. Wie dargestellt ist auch und gerade ein (Bundes-)Minister Adressat der Handlungsverbote. Diese reichen sogar so weit, daß nicht einmal ein passives Informationsrecht über ein laufendes Verfahren zugelassen werden kann 111. 108
Rüthers, Rechtstheorie, S. 426. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der BRD, Rn. 77. 110 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 247, weisen dabei zu Recht auf den verfassungsrechtlichen Zusammenhang hin, wenn sie darlegen, daß in dem „Erfordernis einer besonderen Legitimationsgrundlage für eine Rechtsfortbildung . . . die Funktion des Grundsatzes vom „Vorbehalt“ des Gesetzes . . . “ liegt. Zustimmend und mit weiterer Ausführung Rüthers, Rechtstheorie, S. 398: „Methodenfragen sind Verfassungsfragen. Sie betreffen die Gewaltentrennung zwischen Legislative und Judikative.“ 111 Vgl. Kapitel 2.; Kazele, Interessenkollisionen und Befangenheit im Verwaltungsrecht, S. 346 ff., insbes. S. 349, wo auch darauf hingewiesen wird, daß nicht eine parlamentarische Verantwortlichkeit ein Abrücken von der restriktiven Auslegung rechtferti109
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Bezüglich des interpretatorischen Ansatzpunktes am Begriff der „Verhinderung“ ist einerseits zu beachten, ob eine Interpretation einer Geschäftsordnungsnorm der Bundesregierung zulässigerweise zu einer Umgehung der genannten Rechtsfolge, wie sie sich aus einem Bundesgesetz ergibt, führen kann. Einer genaueren Betrachtung dessen bedarf es indes nicht. Der Begriff des „Nicht-Ausüben-Könnens“ 112 ist in seinen Tatbestandsvoraussetzungen deutlich von dem des „Nicht-Ausüben-Dürfens“ zu unterscheiden. Eine Aufspaltung der Rechtsfolgen hingegen kann aus den erläuterten Gründen, insbesondere unter teleologischen Gesichtspunkten nicht gelingen. Bedarf es einer Vertretung im Falle der Krankheit des Ministers aus Gründen der Aufrechterhaltung der Regierungsund Ressorttätigkeit insgesamt, so geht es bei der Vertretung aufgrund rechtlicher Verhinderung gerade um die Aufrechterhaltung des rechtsstaatlichen Verfahrens bei konkreten Entscheidungen. Ein vernachlässigbares Minus stellt der Fall der rechtlichen Verhinderung nicht dar. Eher vermag die Annahme des Gegenteils für diese Konstellation zu überzeugen. Der Bundesminister als Amtsträger in einem Verwaltungsverfahren innerhalb seines Ressorts ist sowohl klarer Adressat der Befangenheitsvorschriften als auch „verhindert“, wenn die Besorgnis der Befangenheit in seiner Person gegeben ist. Auf diesen Wegen zu einer verbleibenden Entscheidungsbefugnis des Ministers zu kommen, schlägt somit fehl. Der zweite Ansatzpunkt beschäftigt sich mit der Exzeptionsregelung des 2. Halbsatzes von § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VwVfG. Dieser toleriert Interessenskollisionen, um antragsgebundene Verwaltungsverfahren sonst lahmgelegter (kommunaler) Behörden zur Erfüllung staatlicher Aufgaben wie Ordnungsverfügungen, Baugenehmigungen etc. gegenüber der Kommune als Anstellungskörperschaft des Amtswalters zu ermöglichen. Unter ausdrücklichem Rekurs auf die „politische Verantwortung . . . der Minister“ will Kopp im Wege der verfassungskonformen Auslegung aufgrund eines „Vorrang(s) der Ministerverantwortung“ die Verfahrensbeeinflussung durch einen danach an sich ausgeschlossenen Minister zulassen, da die „Mitwirkung im Aufsichtsrat usw. einer Gesellschaft allein dem Zweck der Wahrung und Durchsetzung öffentlicher Interessen“ diene und § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VwVfG bei wörtlicher Anwendung nicht gerecht werde 113. Dieser Gedanke könnte sich bei erweiterter Anwendung auch für Fälle der allgemeinen Verhinderung aufgrund Befangenheit fruchtbar machen lassen. Algen kann; sowie ders., S. 173, in bezug auf einen befangenen Minister als Amtsträger: „Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip fordern hier ebenso wie ein effektiver Grundrechtsschutz im Verfahren den Ausschluß des solchermaßen befangenen Amtsträgers.“ 112 Vgl. Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 30 ff.; Lechner/Hülshoff , GOBReg, § 14, Anm. 2.; Honnacker/Grimm, GOBReg, § 14 a.F., Anm. 2 i.V.m. § 8, Anm. 3. Sämtliche genannten Quellen unterlassen eine Trennung gänzlich. 113 Kopp, WiVerw 1983, 226 (236f.); ders., AgrarR 1984, 145 (147).
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lerdings ist zu beachten, daß die notwendige Voraussetzung einer planwidrigen Regelungslücke für eine analoge Heranziehung schon nicht gegeben ist. Ausweislich der Entstehungsgeschichte des VwVfG sah ein Entwurf im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gerade vor, daß das Betätigungsverbot nicht gelten sollte, sofern der Amtsträger dem Organ (z.B. Aufsichtsrat) in amtlicher Eigenschaft angehöre. Im weiteren Verfahren wurde diese Formulierung jedoch bewußt aufgegeben 114. Als Folge bedeutet dies, daß die Gesetz gewordene Formulierung einer dahingehenden Auslegung nicht zugänglich ist, nicht einmal für den Fall des institutionellen Amtskonflikts 115. Zusätzlich zu dem Fehlen der Analogievoraussetzungen scheitert der dargestellte Auslegungsvorschlag aber auch an der abweichenden Sachlage. Denn auch Kopp selbst fordert eine auslegende Betrachtung ausschließlich und erklärtermaßen nur für die Fälle eines vorliegenden Amts konfliktes. Fälle, die ein „Vorliegen von Gründen privater Art“ für die Befangenheit des Amtsträgers betreffen, nimmt er dagegen von seiner Auslegungsempfehlung aus, da diese „nicht nur graduell, sondern wesensmäßig“ anders zu beurteilen seien 116. Bei ihnen sei eine Vertretung sinnvoll und notwendig. Eine Aufrechterhaltung der ministeriellen Handlungsfähigkeit auf diesem Wege kann damit nicht erreicht werden. Wie dargestellt, ist eine solche Auslegung allgemein bereits nicht zulässig und scheitert eine Übertragung auf den konkreten Fall sogar des weiteren an den „Gründen privater Natur“, die zum Vorliegen der Besorgnis der Befangenheit führen. Abschließend läßt sich damit für die Analyse der Kollisionsproblematik unter den dargestellten Auslegungsbemühungen feststellen, daß das telos nicht nur der Befangenheitsvorschriften sondern auch der für die Verhinderung geschaffenen Vertretungsregelungen geradezu konterkariert würde bei dem Versuch, einen der Besorgnis der Befangenheit unterliegenden Bundesminister hiervon freizustellen. 2. (Fort-)Bestehen der parlamentarischen Verantwortlichkeit des befangenen Bundesministers Ein anderer Weg, um zu einer Aufrechterhaltung der parlamentarischen Verantwortlichkeit des befangenen Bundesministers zu gelangen, könnte jener zu sein, sowohl die Anwendbarkeit der Befangenheitsvorschriften als auch den daraus folgenden Mitwirkungsausschluß bezüglich des Verwaltungsverfahrens zu akzeptieren, trotzdem indes eine parlamentarischen Verantwortlichkeit des solchermaßen ausgeschlossenen Bundesministers anzunehmen 117. Findet sich bei den Vertretern
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Leonhardt, in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, 2. Aufl., § 20, Rn. 1. BVerwGE 69, 256 (263); Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rdn 30. 116 Kopp, WiVerw 1983, 226 (245ff.); ders., AgrarR 1984, 145 (148). 117 So Bunte, Rechtswissenschaftliches Gutachten im Auftrag der Firma E.ON AG in dem Zusammenschlussvorhaben E.ON/Gelsenberg/Bergemann zum Antrag auf Mi115
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einer solchen Postulation auch keine Begründung für ihre Annahme, soll im weiteren doch eine kurze Untersuchung auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit unternommen werden. Im Ergebnis bedeutet die dargelegte Annahme eine Statuierung eines Vorrangs der parlamentarischen Verantwortung vor dem Prinzip der Korrelation von Einwirkungsmöglichkeit und Verantwortung. „Begründet“ wird dieses Ergebnis mit gänzlich richtigen – und zu recht als allgemeine Auffassung dargestellten – Aussagen aus der wissenschaftlichen Literatur, die sich mit dem Thema der Ministerverantwortlichkeit beschäftigen: „Die Bundesminister tragen Verantwortlichkeit für ihre Ressortleitung . . . Auch hier läßt sich die Verantwortlichkeit auf die gesamte Amtsführung des Ministers erstrecken. Wo er zuständig ist, ist er auch verantwortlich, gleichgültig ob es sich um Regierungs- oder Administrativgeschäfte handelt. Die Verantwortlichkeit wird weder durch das Handeln eines ministeriellen Vertreters noch des vertretenden Staatssekretärs abbedungen“ 118. „Für die Ressortpolitik verantwortlich bleibt auch im Falle seiner Verhinderung primär der Minister selbst (Art. 65 Satz 2).“ 119 „Die parlamentarische Verantwortlichkeit für die Handlungen des Staatssekretärs trägt in derselben Weise der Minister, wie er generell für alle Beamten seines Ressorts verantwortlich ist“ 120.
nistererlaubnis gemäß § 42 GWB, S. 26; ders., BB 2002, 2393 (2395); Kirchhof/Puhl, Gutachten zur Zuständigkeit für die Entscheidung zur Genehmigung des E.ON/RuhrgasZusammenschlusses gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB, S. 37 ff., die zwar mit Kröger eine Rechenschafts- und Einstandspflicht unterscheiden wollen, jedoch final von einer „fortbestehenden Verantwortlichkeit des Bundeswirtschaftsministers“ ausgehen, dabei aber noch eine „Mitverantwortlichkeit“ des Bundeskanzlers annehmen wollen (S. 41); Staebe, WuW 2003, 714 (717); Droege, WuW 2002, 930 (940 f.); Meessen, WuW 2002, 927; BMJ, „Vermerk zur Frage der Vertretungsbefugnis bei der Entscheidung über eine Ministererlaubnis nach § 42 GWB“ vom 21.3.2002, zitiert nach Orth, WRP, 2003, 54 (57, Fn. 46); auf den gutachterlichen Stellungnahmen basierend schließlich die Ministererlaubnis v. 5.7.2002, WuW 2002, 751 (757), Nr. 89. 118 Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, IV. 5. c) (S. 319) (Hervorhebungen im Original); unter ausdrücklicher Zitierung und Berufung darauf: Droege, WuW 2002, 930 (941); Kirchhof/ Puhl, Gutachten zur Zuständigkeit für die Entscheidung zur Genehmigung des E.ON/ Ruhrgas-Zusammenschlusses gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB, S. 37. 119 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 69, Rn. 34 (Hervorhebungen im Original); unter ausdrücklicher Berufung darauf: Bunte, Rechtswissenschaftliches Gutachten im Auftrag der Firma E.ON AG in dem Zusammenschlussvorhaben E.ON/Gelsenberg/ Bergemann zum Antrag auf Ministererlaubnis gemäß § 42 GWB, S. 26; Kirchhof/Puhl, Gutachten zur Zuständigkeit für die Entscheidung zur Genehmigung des E.ON/RuhrgasZusammenschlusses gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB, S. 37. 120 Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 269; unter ausdrücklicher Berufung darauf: Kirchhof/Puhl, Gutachten zur Zuständigkeit für die Entscheidung zur Genehmigung des E.ON/Ruhrgas-Zusammenschlusses gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB, S. 37, und in der weiteren Zitierung des Gutachtens auch Epping, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 69,
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Kap. 4: Der befangene Bundesminister
Diese Analysen sind, wie in Kapitel 3, § 9 umfassend dargestellt, zutreffend und verdienen grundsätzlich ungeteilte Unterstützung. Einzig – eine Berufung auf diese Grundsätze im Rahmen der vorliegend vorzunehmenden kontextorientierten Betrachtung ist nicht möglich. Weder können die genannten Aussagen in dem Fall der Ministerbefangenheit apodiktische Geltung verlangen, noch sprechen ihnen ihre Autoren selbst eine solche uneingeschränkt zu. Der gegenteilige durch die reine Zitierung dieser Aussagen, ohne weiteren Begründungsaufwand erweckte Eindruck, ist demnach zu widerlegen. Soll in einem ersten Schritt dabei die kontexteingebundene, wahre Intention der genannten wissenschaftlichen Betrachtungen herausgearbeitet werden, ist dennoch in einem zweiten Schritt zu überprüfen, ob, unabhängig von der Berufung auf diese Quellen, im Wege der Herbeiführung einer „praktischen Konkordanz“ widerstreitender Verfassungsprinzipien eine parlamentarische Ministerverantwortlichkeit bestehen bleiben kann. Die genannten Autoren wollten nicht von den allgemeinen Grundsätzen der Vertretungslehre, die auf der Zurechnung von Handlung und Rechtsfolge basiert, abweichen. Den Kollisionsfall zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip bei einer „Vertretungs-“Notwendigkeit aufgrund eines aus Befangenheitsgründen resultierenden Nicht-Handeln-Dürfens hatte dabei kein Verfasser im Auge. Im Gegenteil ergibt sich aus der Betrachtung des (zumeist unmittelbaren) Aussagenumfeldes, daß lediglich eine am Normalfall der Stellvertretungsnotwendigkeit orientierte Selbstverständlichkeit ausgesprochen werden sollte. Stern bringt seine Auffassung wenige Zeilen nach der zitierten Passage unmißverständlich zum Ausdruck: „Verantwortung ohne Entscheidungsbefugnis kann es nicht geben.“ 121 Zur Gegenzeichnung durch einen Bundesminister gem. Art. 58 GG führt er aus: „Insofern impliziert Verantwortungsübernahme zugleich ein Stück Prüfungsbefugnis. Wer Verantwortung übernehmen soll, kann nicht blindlings unterzeichnen müssen. Er ist berechtigt und verpflichtet, sich der Rechtmäßigkeit des von ihm zu verantwortenden Handelns zu vergewissern.“ 122 In eben solcher unzweideutigen und präzisen Weise nimmt Herzog zum konkreten Problem der Verantwortungsübernahme Stellung: „Hier läßt sich jedenfalls der allgemeine und aus sich selbst heraus verständliche Grundsatz aufstellen, daß jedes Mitglied der Bundesregierung grundsätzlich für die Tätigkeit aller staatlichen Organe Verantwortung zu tragen hat, auf die es von Rechts wegen steuernd Einfluß zu nehmen vermag, und daß es jedenfalls nicht für die Tätigkeit solcher staatlichen Organe zur Verantwortung gezogen werden kann, auf die es solchen
Rn. 20, welcher sich an dieser Stelle wiederum ausschließlich auf die genannte Zitierung bei Wahl bezieht. 121 Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, IV. 5. c) (S. 319). 122 Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, IV. 6. d) (S. 325).
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Einfluß von Rechts wegen nicht auszuüben vermag. . . . Für solche organisatorischen und sachlichen Bereiche, auf die ihm die Einflußnahme von Rechts wegen vorenthalten ist, braucht kein Minister die Verantwortung gegenüber dem Parlament zu übernehmen und zu tragen.“ 123 Wahl schließlich erklärt sein Verständnis hinsichtlich einer Verantwortungsübernahme im auf die zitierte Passage unmittelbar folgenden Satz so: „Legt man als ihren (Anm.: der Verantwortlichkeit) Maßstab das eigene zurechenbare Handeln und Gewährenlassen des Ministers zugrunde, dann erweist sich jedoch die Verantwortlichkeit für den Staatssekretär auch inhaltlich umfangreicher als hinsichtlich der Handlungen anderer Beamter – der Minister hat ja durch den ständigen Kontakt mit dem Staatssekretär mehr Möglichkeiten, auf dessen Entscheidungen einzuwirken.“ 124 Wie gezeigt, kann keine der zur Unterstützung der Behauptung einer (fort-) -bestehenden Ministerverantwortlichkeit herangezogenen Quellen tatsächlich für den untersuchten Problemfall fruchtbar gemacht werden. Jedenfalls nicht nach der Intention der Verwender – umgekehrt mag dies eher der Fall sein, sprechen sich die genannten z.T. umfassenden Auseinandersetzungen doch jede für sich für eine zwingende (sic!) Ingerenzmöglichkeit als Voraussetzung für die Aufbürdung der parlamentarischen Verantwortlichkeit aus. Unabhängig davon ist in einer um Vollständigkeit bemühten Untersuchung die Frage zu stellen, ob das behauptete Ergebnis der parlamentarischen Verantwortlichkeit trotz eines akzeptierten Mitwirkungsverbots des Ministers nicht doch unter Umständen verfassungsrechtlich tragbar ist. Wurde in Kapitel 3, § 9 die Korrelation von Einflußbefugnis und Verantwortlichkeit als verfassungsrechtliches Prinzip nachgewiesen, könnte eine einschränkende Auslegung dieses Grundsatzes im Hinblick auf ein widerstreitendes Demokratieprinzip in Ausformung des Erfordernisses der parlamentarischen Rückführbarkeit hoheitlicher Entscheidungen geboten sein. Zu beachten gilt es dabei freilich, daß hier, wenn von einer „einschränkenden Auslegung“ gesprochen wird, eine völlige Zurückdrängung resp. Ausschaltung des Prinzips der Verantwortlichkeitszurechnung die Folge wäre. Einen Ausgleich im Sinne einer echten Harmonisierung beider Prinzipien würde eine solche Lösung nicht darstellen. Trotzdem ist zu prüfen, ob sich ein solcher vollständiger (Verdrängungs-)Vorrang nachweisen läßt. Widerstreitende verfassungsrechtlich geschützte Belange sind „nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit 123 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 65, Rn. 94 ff. (Hervorhebungen im Original), der ganz im Gegenteil sogar noch einen Schritt weiter geht und für eine Verantwortungsübernahme neben der rechtlichen darüber hinaus noch eine tatsächliche Einflußmöglichkeit des Ministers verlangen will. 124 Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 269, Hervorhebung durch den Verfasser.
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dieses grundlegenden Wertsystems zu lösen“ 125. In dieser besonderen Kollisionsproblematik treffen zwei Ausprägungen des gleichen, nämlich des Demokratieprinzips, aufeinander. Zum einen in der Form der parlamentarischen Rückbindung der Entscheidung selbst, zum anderen in der Form der als Basis der zu treffenden Entscheidung notwendigen demokratischer Legitimation. Die demokratische Legitimation wird über die Minister im Wege der Ernennung und Weisungsbefugnis in den Beamtenapparat transferiert. Auf gleichem (Rück-)Wege findet Überprüfung und parlamentarische Rückbindung der Entscheidungen statt. Ohne die Weisungsbefugnis fällt indes die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation dieses Handelns gänzlich weg. Ein Ausgleich, etwa über eine Stärkung eines anderen Legitimationsstranges, findet nicht statt. Zwar hat das Demokratieprinzip über die Teilnahme am Schutz des Art. 79 Abs. 3 GG grundsätzlich einen „höheren Rang“ als andere Bestimmungen des Grundgesetzes. Beide Ausprägungen des Prinzips indes beanspruchen eine eigene und substantielle Berücksichtigung in der Verfassungswirklichkeit. Eine für eine vollständige Verdrängung notwendige und insbesondere verfassungsrechtlich geforderte Überlagerung der einen durch die andere Ausformung kann dabei nicht festgestellt werden, sie sind vielmehr einander ergänzende und bedingende Schwestern desselben Prinzips. Und auch der Aspekt der Verfassungsauslegung darf nicht vernachlässigt werden, der fordert, daß Verfassungsprinzipien – und so auch ihre Ausformungen – in einen möglichst schonenden Ausgleich zu bringen sind. Von einem solchen Ausgleich könnte bei Eliminierung eines der Prinzipienausformungen zu recht nicht mehr gesprochen werden. Um dieser Forderung zu genügen, sind daher andere Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Aus den genannten Erwägungen heraus wird auch ersichtlich, daß der Gedanke einer Anknüpfung der Ministerverantwortlichkeit an eine reine „diligentia in eligendo“ zu verwerfen ist. Die einmalige Einsetzung des handelnden Amtsträgers kann nicht die konkrete, auf den Einzelfall bezogene rechtliche Einwirkungsbefugnis ersetzen 126. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich auch diese Konstruktion als schlichte und ersatzlose Verwerfung des Erfordernisses der sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation. Als Ergebnis ist danach festzustellen, daß eine Aufrechterhaltung der parlamentarischen Verantwortlichkeit des befangenen Ministers verfassungsrechtlich nicht möglich ist. Eine darauf gerichtete verfassungskonforme Auslegung der
125
BVerfGE 49, 24 (56). Im Rahmen der „sozialen Vertretung“ angesprochen bei Wolff , Organschaft und juristische Person, Bd. 2, Theorie der Vertretung, S. 10; einer solchen Überlegung scheint Meessen, WuW 2002, 927, jedoch nahezustehen, wenn er davon spricht, daß der Minister dafür „politisch haftet . . . , daß er die richtigen Personen einsetzt, um richtig informiert zu werden.“ 126
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Stellvertretungsregelungen und auch der Verfassungsprinzipien selbst hat sich als verfassungsrechtlich undurchführbar erwiesen. Eine im Ressort eines befangenen Bundesministers gefällte und ihm zugewiesene hoheitliche Entscheidung – und sei es auch durch einen politischen Beamten vom Range eines Staatssekretärs – entbehrt der verfassungsrechtlich notwendigen parlamentarischen Rückbindung für diesen Akt über das Element der parlamentarischen Verantwortlichkeit durch den Minister selbst.
II. „Stellvertretung“ oder „Ersetzung“ des befangenen Amtswalters – materiell-rechtliche Unterscheidbarkeit und terminologische Konsequenz Wenn es wesentliche Zielsetzung dieser Arbeit ist, festzustellen, wer von Rechts wegen der rechtmäßige „Vertreter“ eines Bundesministers bei dessen Befangenheit ist und ob für diesen Fall bereits einfachgesetzliche Normlösungen existieren bzw. sich solche aus der Verfassung ableiten lassen, so wird stillschweigend vorausgesetzt, daß eine solche Vertretung möglich sein müsse. Basis für diese Annahme ist der allgemeine Grundkonsens in dieser Frage, wie er durch (materielle) Gesetze selbst normiert und durch die Wissenschaft nicht in Frage gestellt wird 127. So unpräzise und, wie im weiteren Verlauf noch zu zeigen sein wird, rechtlich angreifbar der Einleitungssatz aus dem „Tenor“ der Ministererlaubnis auch sein mag – er läßt keinen Zweifel an der terminologischen Beziehung zwischen Bundesminister und seinem Staatssekretär: „In dem Verwaltungsverfahren 1. E.ON AG . . . hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, vertreten durch Staatssekretär Dr. Alfred Tacke am 5.7.2002 entschieden . . . “. Vor diesem Hintergrund ist es angezeigt, trotz der dargestellten Einmütigkeit in Bezug auf ein „Vertretenkönnenmüssen“ des Bundesministers, sich der Terminologie der „Vertretung“ anzunähern – mit einem überraschenden Ergebnis im besonderen Fall der Befangenheit des „Vertretenen“. Zum Wesen des funktionstauglichen Staates zählt originär seine Handlungsfähigkeit, gesichert durch gesetzlich in Organisationseinheiten geführte Amtswalter. Eine zur Nichtansprechbarkeit führende temporäre oder lokale Vakanz
127
Vgl. dazu z.B. nur den Wortlaut des § 14 Abs. 1 GOBReg: „Ist ein Bundesminister verhindert, so wird er . . . vertreten.“; im Sinne der Selbstverständlichkeit auch Bunte, Rechtswissenschaftliches Gutachten im Auftrag der Firma E.ON AG in dem Zusammenschlussvorhaben E.ON/Gelsenberg/Bergemann zum Antrag auf Ministererlaubnis gemäß § 42 GWB, S. 20: „Der Bundesminister für Wirtschaft, . . . , muss die Möglichkeit haben, sich bei dieser Entscheidung vertreten zu lassen, wenn er im Sinne von § 20 VwVfG eine ausgeschlossene Person ist oder im Sinne von § 21 VwVfG eine Besorgnis der Befangenheit gegeben ist.“
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im Bereich öffentlicher Gewalt kann es nicht geben. Dieser staatswesentliche und -inhärente Anspruch muß staatsrechtlich auf organisatorischer Ebene abgesichert werden. Einhergehend mit dieser Einsicht wird die wichtigste Funktion der Stellvertretung als Organisationsprinzip richtig wie folgt beschrieben: „ . . . durch Institutionalisierung der Regeln des Zusammenwirkens mehrerer Beteiligter wird das organisatorische Gefüge vom Wechsel der Personen unabhängig. Befugnisse, Teilaufgaben und die Modalitäten der Zusammenarbeit lassen sich formalen Stellen zuschreiben. Das dadurch entstehende abstrakte Gefüge und die generelle Verfahrensordnung brauchen die konkreten Personen mit ihren individuellen Eigenheiten grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Gleichwohl wird aber die Organisation, die natürlich immer auf Personen als die Handelnden angewiesen ist, von deren Wegfall oder ihrer Verhinderung betroffen; sie muß darauf eine Antwort bereithalten.“ 128 Diese Aussage ist grundsätzlich zustimmungsfähig – einzig fraglich ist, ob es sich bei der bereitzuhaltenden Antwort immer um die der „Vertretung“ handeln muß. Hatte das römische Recht eine unmittelbare Stellvertretung überhaupt nicht gekannt, so wurde nach häufig vertretener Ansicht aus dem Vertretergeschäft nur der Vertreter selbst berechtigt und verpflichtet und war es wiederum an diesem, mittels des bestehenden Innenverhältnisses diese Bindung an den eigentlich „Vertretenen“ zu übertragen 129. Die Entwicklung im deutschen Recht nahm ihren Weg aus den als naturgesetzlich erkannten Wurzeln mit mystischer und „magischer Abbildung“ von der Repräsentation zur Organschaft hin zur echten Stellvertretung, auch wenn ihm das Prinzip der „freien Stellvertretung“ ursprünglich fremd gewesen und die Form der „unfingierten“ Stellvertretung erst im 13. Jahrhundert aufgekommen ist 130. Jenseits der ursprünglichen, „magischen und irrationalen“ „Identitätsetzung“ zweier Personen verlagerte sich der intellektuelle Diskurs auf die Erforschung des wahren Charakters der Beziehung zwischen Vertreter und Vertretenem. Damit war der Rahmen für die zentrale Fragestellung abgesteckt: Wie – wenn es als rechtlich möglich angesehen wurde – konnte das Verhalten des Vertreters dem Vertretenen zugerechnet werden? Ihre Lösung fand die Diskussion im Institut der Vertretungsmacht 131. Diese auf dem Boden des Zivilrechts begonnene Untersuchung hatte aber auch für alle anderen Rechtsbereiche – freilich ohne den Terminus der Vertretungsmacht – die zentrale Frage nach der Zurechnung von Handlungen und ihren Rechtsfolgen an eine andere Person aufgeworfen. Nicht mit diesem Problemkreis verwechselt werden darf in diesem Kontext jedoch ein Han-
128
Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 23 f. Nachweise bei Wolff , Organschaft und juristische Person, Bd. 2, Theorie der Vertretung, S. 132, dort auch zur Kritik an dieser These. 130 Wolff , Organschaft und juristische Person, Bd. 2, Theorie der Vertretung, S. 10, 11, 116, hier freilich noch im Kontext der „sozialen Vertretung“. 131 Wolff , Organschaft und juristische Person, Bd. 2, Theorie der Vertretung, S. 107 ff. 129
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deln „in Stellvertretung für eine Behörde“. Eine Zurechnung an diese im Rahmen einer Vertretung bei ordnungsgemäßer Bestellung bereitet im allgemeinen keine Probleme. Für den Bereich der subjektiven Zurechnung aber, in dem es gerade auf eine Person und deren konkrete Verantwortlichkeit für die ausgeführten Handlungen und deren Rechtsfolgen ankommt, bedarf es einer uneingeschränkten Rechtsgrundlage 132 – auch und gerade für den in dieser Arbeit zu untersuchenden Bereich der unmittelbaren Bundesverwaltung. Mit Wolff läßt sich festhalten: „Für die Rechtstheorie der Vertretung wichtig ist . . . , daß der Vertretene Träger („Eigner“, Inhaber, Rechtszuständiger, Zurechnungssubjekt) oder, falls es nur ein rechtstechnisches Subjekt ist, Titulär der vom Vertretenen wahrgenommenen Interessen, Geschäfte, subjektiven Rechte, Verpflichtungen usw. ist. . . . Vertretung liegt erst vor, wenn eine Zurechnung des Vertreterverhaltens zum Vertretenen mindestens intendiert ist.“ 133 Betrachtet man unter diesen Prämissen das Handeln einer Person an Stelle einer anderen – nun aber im speziellen Kontext einer Verhinderung aufgrund Befangenheit – könnte auch hier von „Vertretung“ zu sprechen sein. Aufmerksamkeit erregt dabei eine terminologisch auf den ersten Blick unscheinbare Nuance, die sich bei näherer Betrachtung jedoch als bedeutungsvolle Unterscheidung erweist. Nachdem ein Amtsträger gemäß § 20 VwVfG vom Verfahren ausgeschlossen wurde, muß „Ersatz für den Ausgeschlossenen“, resp. müssen Rechtsquellen gesucht werden, wie ein solch Betroffener „zu ersetzen ist“ 134. Wurde als Dreh- und Angelpunkt der Stellvertretung gerade die subjektive Zurechnung herausgearbeitet, kann von Stellvertretung im technischen Sinne im Falle der Befangenheit damit nur sprechen, wer eine solche Zurechenbarkeit an den nicht Handelnden auch unter diesen Umständen annimmt 135.
132 Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 26, der auch von einem „organisatorischen Minimalbestand rechtlicher Organisation“ und einem zwingenden Bedürfnis für eine „institutionelle Vorkehrung zur Sicherung der Leitungsfunktion“ spricht. 133 Wolff , Organschaft und juristische Person, Bd. 2, Theorie der Vertretung, S. 353 f. Unter dem Aspekt der Zurechnung und damit einhergehenden Verantwortlichkeitsverlagerung, kann der These Wahls, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 85, unter keinen Umständen zugestimmt werden, sondern stellt sie sich vielmehr als grundsätzlich systemwidrig dar: „Würde einem weisungsgebundenen Vertreter eine eigene Verantwortlichkeit auferlegt, dann wäre dieser praktisch zum Rücktritt gezwungen, wenn der Vertretene den Erlaß eines Aktes anordnet, den der Vertreter nicht billigt; in sich widersprüchlich wäre diese Gestaltung nicht.“ 134 Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 63; Kazele, Interessenkollisionen und Befangenheit im Verwaltungsrecht, S. 362. 135 So, wie gezeigt, bspw. konsequent Kirchhof/Puhl und Bunte in ihren Rechtsgutachten zum Fall E.ON/Ruhrgas.
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Sollte es im Umkehrschluß an einer solchen Zurechenbarkeit aber fehlen, kann auch nicht von Vertretung im technischen Sinne gesprochen werden, da sie ansonsten ihres wesentlichen Inhalts entkleidet würde. Für den Fall des Handelns eines anderen für oder genauer: an Stelle eines Dritten ohne Zurechenbarkeit ist daher auf den Begriff der „Ersetzung“ zurückzugreifen 136. Damit aber stehen sich die Begrifflichkeiten der Zurechenbarkeit und Ersetzung diametral gegenüber. Voraussetzung für eine Ersetzung resp. Ersetzbarkeit ist eine Gleichwertigkeit der Handelnden bezüglich der jeweils rechtlich relevanten Merkmale und Handlungsmaßstäbe – freilich erst im Rahmen gleicher Kompetenz. Im Falle der Ministervertretung ist dies etwa die Kategorie der parlamentarischen Verantwortlichkeit. Damit ist offengelegt, daß auch die Terminologie eine Möglichkeit der Differenzierung bietet, je nach systematischer Entscheidung im Bereich der Ministerbefangenheit und ihrer Rechtsfolgen 137. Für den Fall des befangenen Bundesministers in seiner Funktion als Leiter einer obersten Bundesbehörde ist herausgearbeitet worden, daß – auch im Wege einer verfassungskonformen Auslegung – eine Aufrechtherhaltung seiner parlamentarischen Verantwortlichkeit verfassungsrechtlich nicht möglich ist. Der korrekte und eine wünschenswerte Klarheit hervorbringende terminus technicus für diesen Fall müßte demnach jener der „Ersetzung“ sein 138.
136
Grundlegend Wolff , Organschaft und juristische Person, Bd. 2, Theorie der Vertretung, S. 6 ff., vgl. auch die folgenden Ausführungen; ihm folgend auch Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, z.B. S. 32, wobei auf dessen weiterer Unterscheidung zwischen „Ersatzvertretung“ und „Nebenvertretung“ mangels Erkenntnisgewinns nicht eingegangen werden soll. 137 Nicht übersehen wird im Rahmen dieser sprachlichen Differenzierung, daß auch unter den Begriff des „Vertreters“ subsumierte Handelnde im jeweiligen Sinnzusammenhang auf ihre genaue Qualifizierung als „Ersetzender“ oder „Vertreter“ zu untersuchen sind. So sprechen auch Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 20, Rn. 63, und ihnen folgend Kazele, Interessenkollisionen und Befangenheit im Verwaltungsrecht, S. 362, direkt im Anschluß an den Terminus der „Ersetzbarkeit“ von „Vertretung“ im gleichen Kontext. 138 Im Folgenden wird der Begriff der „(Stell-)Vertretung“ daher nur noch vor dem Hintergrund der soeben vorgebrachten terminologischen Erläuterung gebraucht und jener der „Ersetzung“ vermehrt verwandt. Hinsichtlich verschiedener, notwendiger korrigierender bzw. ergänzender Änderungsvorschläge für das Grundgesetz, formelle Gesetze und die GOBReg indes muß es bei der – ungenauen – aber als vollkommen unangefochten zu bezeichnenden Terminologie der „(Stell-)Vertretung“ bleiben.
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III. „Stellvertretung“ des befangenen Bundesministers als Leiter einer obersten Bundesbehörde durch Zuweisung an den Parlamentarischen Staatssekretär gem. § 6 Abs. 1 S. 2 GGO i.V.m. §§ 14 Abs. 3, 14a GOBReg? Die Stellvertretung des verhinderten Bundesministers in Ressortangelegenheiten wird durch den beamteten Staatssekretär gem. § 6 Abs. 1 GGO i.V.m. § 14 Abs. 3 GOBReg wahrgenommen. Dies gilt jedenfalls solange diese Aufgabe nicht dem Parlamentarischen Staatssekretär gem. § 6 Abs. 1 S. 2 GGO i.V.m. §§ 14 Abs. 3, 14a GOBReg gesondert durch den Bundesminister zugewiesen wurde. Bestand eine Aufgabenzuweisung an den (vorhandenen) Parlamentarischen Staatssekretär im konkreten Fusionsfall zwar nicht, so erscheint es dennoch überlegenswert, inwieweit nicht die aufgezeigte verfassungsrechtliche Kollisionsproblematik durch eine Vertretung des befangenen Ministers durch den Parlamentarischen Staatssekretär allgemein zu verhindern sein könnte. In diesem Zusammenhang sind Stellung und Ausgestaltung des Amtes des Parlamentarischen Staatssekretärs zu untersuchen, insbesondere hinsichtlich des Elementes einer eventuell vorhandenen parlamentarischen Rückbindung, die zur Auflösung der geschilderten Problemlage führen könnte. Besteht keine Zuweisung bezüglich des jeweils betroffenen Aufgabenbereiches an den Parlamentarischen Staatssekretär, so ist erste Hürde, wie eine Übertragung der Stellvertretungszuständigkeit (im nachhinein) von dem beamteten Staatssekretär hin zum Parlamentarischen Staatssekretär vollzogen werden kann. Überlegungen zu diesem Problembereich sind indes nur unter der Voraussetzung fruchtbar, daß die genannte Übertragung tatsächlich zur Ausgleichung der konfligierenden Verfassungsprinzipien führen würde. 1. Der entwicklungsgeschichtliche Hintergrund Zwar findet sich im Grundgesetz selbst, ebenso wie hinsichtlich der Position des beamteten Staatssekretärs, keine Erwähnung der Parlamentarischen Staatssekretäre, jedoch hat der Gesetzgeber in dem Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre 1967 und später 1974 (ParlStG) ihre Anerkennung und rechtsförmliche Ausgestaltung niedergelegt. Bei der Schaffung des ParlStG orientierte sich der Gesetzgeber stark an dem britischen Vorbild, auch wenn anerkannt wurde, daß aufgrund der Systemdifferenzen „ausländische Vorbilder . . . nicht ohne weiteres auf unser Parlaments- und Regierungssystem übertragen“ werden können 139. Im britischen Regierungssystem untersteht bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts jedem Ressortminister mindestens ein Parlamentarischer Staatssekre-
139
BT-Drs. 5/1556, Bericht des Innenausschusses des Bundestages, S. 2.
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tär (Parliamentary Secretary) 140. Neben diesem Amt existieren zusätzlich Parlamentarische Privatsekretäre, beamtete Staatssekretäre sowie Staatsminister. Die Parlamentarischen Staatssekretäre müssen entweder Mitglieder des Oberhauses oder des Unterhauses sein. Ihre Ernennung erfolgt nach Absprache zwischen Premierminister und dem jeweiligen Ressortminister und besteht ihre Aufgabe in der Leistung politischer Hilfe für ihren Minister, z.B. durch Beantwortung parlamentarischer Anfragen und vor allem in der Aufrechterhaltung des ständigen Kommunikationsflusses zwischen Parlament und Minister. Sie sind weder leitende Fachbeamte (dies sind die beamteten Staatssekretäre), noch sind sie Regierungsmitglieder. Neben der jederzeit auf Verlangen ihres Ministers möglichen Entlassung endigt ihr Amt automatisch mit dem des Ministers. Vertreter des Ministers ist der Parlamentarische Staatssekretär in Großbritannien nur auf dessen Weisung und aufgrund seiner Vollmacht. Ein eigenes, originäres Weisungsrecht kommt ihm hingegen nicht zu und hat der Minister ein unumschränktes Selbsteintrittsrecht, so daß er Entscheidungen des Parlamentarischen Staatssekretärs nach Belieben ändern oder aufheben kann. Aufgrund dieser Konstellation trägt der anweisende Minister stets die parlamentarische Verantwortung für das Handeln seines Parlamentarischen Staatssekretärs; eine eigene Verantwortlichkeit besteht für diesen nicht. Um möglichst flexibel und als nach dem Willen des Ministers steuerbares Amt Wirkung zu entfalten, sind die gesetzlichen Normierungen für das Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs bewußt rudimentär gehalten worden. 2. Die heutige rechtliche Stellung der Parlamentarischen Staatssekretäre Diese rudimentär gehaltene Ausgestaltung der Normierungen die Rechtsstellung der Parlamentarischen Staatssekretäre betreffend fand und findet sich ebenso – bewußt –sowohl im deutschen ParlStG 1967 (acht Paragraphen) als auch im heute geltenden ParlStG 1974 (13 Paragraphen). Dem „neuen Institut“ sollte lediglich ein Rahmen gegeben werden, der nur die „notwendigsten Vorschriften“ zum Inhalt hat und damit „genügend Spielraum für die Besonderheiten . . . und die Entwicklung“ lassen sollte 141. Zwar wurde bereits im Rahmen der Beratungen des Parlamentarischen Rates 1948 über die Verankerung von „parlamentarischen“ Staatssekretären und eine etwaige Stellung im Kabinett debattiert. Die Aufnahme
140 Vgl. zum folgenden Wieser, Der Staatssekretär, S. 10 ff.; Laufer, Der Parlamentarische Staatssekretär, S. 10 ff.; Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 232 ff.; Fehlig, Die Rechtsstellung des Staatssekretärs im deutschen Staatsrecht, S. 154 ff.; Nuscheler, ZParl 1970, 83 ff. 141 Regierungsbegründung zum ParlStG 1967, BT-Drs. 5/1402, S. 3; vgl. zum Begriff der Parlamentarischen Staatssekretäre bereits in Preußen, Schneider, in: FS Scheuner, 1973, 563 ff., dort auch inbsbes. zur Forderung, daß Minister und Parlamentarischer Staatssekretär der selben Partei entstammen müßten.
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einer derartigen Bestimmung unterblieb jedoch, da Zweifel über die Zweckmäßigkeit aufkamen und die rechtliche Ausgestaltung eines solchen Amtes als noch zu ungenau empfunden wurde 142. Nach immer wieder aufflammenden Diskussionen über Zweck und Notwendigkeit der Einrichtung von Parlamentarischen Staatssekretären wurde 1967 ein entsprechendes Gesetz erlassen 143. Ausweislich der Regierungsbegründung war die Einführung dieser Institution von Nöten, um der dauerhaft anhaltenden Überlastung der Bundesminister wirksam zu begegnen. Ebenso wie sein britisches Vorbild sollte der deutsche Parlamentarische Staatssekretär seinen Minister „von Verpflichtungen, insbesondere repräsentativer Art . . . entlasten und die Verbindung zu den Fraktionen, Parteien und Bundestagsausschüssen . . . pflegen“ 144. Dieser Zweck blieb sowohl nach der Neufassung 1974 145 als auch nach der Gesetzesänderung aus dem Jahre 1999 beibehalten und findet seinen Niederschlag in § 1 Abs. 2 ParlStG: „Die Parlamentarischen Staatssekretäre unterstützen die Mitglieder der Bundesregierung, denen sie beigegeben sind, bei der Erfüllung ihrer Regierungsaufgaben.“ Auch materiell-rechtlich sind die Parallelen zum britischen Vorbild nicht zu verkennen. Die Parlamentarischen Staatssekretäre werden vom Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundeskanzlers und im Einvernehmen mit dem betreffenden Bundesminister ernannt; sie stehen in einem besonderen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis, § 1 Abs. 3 u. § 2 ParlStG. In gleichem Wege wie jener ihrer Ernennung, können sie jederzeit entlassen werden. Die Parlamentarischen Staatssekretäre müssen grundsätzlich Mitglieder des Bundestages sein, § 1 Abs. 1 ParlStG 146. Entfällt diese Eigenschaft, endet auch das Amt als Parlamentarischer Staatssekretär unmittelbar, § 4 ParlStG. Zeigt sich bereits bei der Ernennung des Parlamentarischen Staatssekretärs die enge Bindung an den Minister, ohne dessen Placet eine Ernennung nicht vorgenommen wird, so wird die Zuordnung noch dadurch deutlicher, daß er seine Amtsstellung auch dann automatisch verliert, wenn der Minister sein Amt aufgibt oder aus anderen Gründen verliert.
142 V. Doemming-Füsslein-Matz: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR n.F. Bd. 1, 1953, 425 (Art. 62); Fromme, ZParl 1970, 53 (55). 143 BGBl. 1967, S. 396. 144 Regierungsbegründung zum ParlStG 1967, BT-Drs. 5/1402, S. 3; vgl. dazu auch die Hausanordnungen der Ministerien, z.B. Hausanordnung des Bundesministers des Innern betreffend Parlamentarischer Staatssekretär, abgedruckt bei Laufer, Der Parlamentarische Staatssekretär, S. 107 ff., wo es zu Beginn heißt „Der Parlamentarische Staatssekretär (PSt) unterstützt mich bei der Erfüllung meiner politischen Aufgaben im Bundestag und Bundesrat, in deren Ausschüssen, in den Fraktionen und in deren Arbeitskreisen.“ 145 BGBl. 1974, S. 1538. 146 Durch die Änderung des § 1 Abs. 1 ParlStG im Jahre 1999 („Lex Naumann“) kann von diesem Erfordernis bei dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundeskanzler abgesehen werden; kritisch dazu Neumann, ZRP 2002, 203 ff.
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Im übrigen werden u.a. Amtsbezüge, Hinterbliebenenversorgung, Inkompatibilität und Verschwiegenheitspflicht der Parlamentarischen Staatssekretäre unter entsprechender Anwendbarerklärung der Regeln des BMinG normiert, §§ 5 ff. ParlStG. Die Stellung der Parlamentarischen Staatssekretäre ist demnach eine doppelte: Zum einen sind sie gewählte Vertreter des Volkes und als solche Mitglieder der Legislative, des Parlaments, welches seinerseits, wie dargelegt, weitreichende verfassungsrechtliche Rechte, aber auch Pflichten hat, die Regierung in ihrer Tätigkeit zu kontrollieren. Zum anderen ist der Parlamentarische Staatssekretär selbst aber auch weisungsunterworfenes Mitglied der Exekutive, ausgestattet mit eigenen vom Minister als Spitze der Exekutive unmittelbar abgeleiteten Weisungsund Vertretungsrechten. Aufgrund dieser Zwitterstellung wurden zu Anfang der Einführung des Instituts des Parlamentarischen Staatssekretärs Bedenken bezüglich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit laut. Zum einen handele es sich um die Schaffung neuer „Verfassungsorgane“, was ohne eine Verfassungsänderung nicht möglich sei 147 und zum anderen werde durch sie der Gewaltenteilungsgrundsatz nach Art. 20 Abs. 2 GG verletzt 148. Beide Bedenken mögen indes nicht zu überzeugen und ist das Amt der Parlamentarischen Staatssekretäre heute zu recht wohl einhellig als verfassungsgemäß anerkannt. Die vereinzelt gebliebene Ansicht von der Schaffung neuer „Verfassungsorgane“ stellt bereits die Begrifflichkeit des Verfassungsorgans auf den Kopf, denn bei ihm handelt es sich gerade um ein Organ, welches seinen Ursprung gerade in der Verfassung selbst hat. Unbestritten ist der Parlamentarische Staatssekretär weder in der Verfassung vorgesehen noch gefordert. Er ist eine politische Hilfseinrichtung für überlastete Bundesminister, unter deren Weisungen und Aufsicht sie ihren Wirkungskreis finden. Auch die Bedenken wegen eines Verstoßes gegen das Gewaltenteilungsprinzip, wie sie auch schon gegen das britische Vorbild geltend gemacht worden sind 149, verfangen nicht. Eine gefürchtete Parlamentarisierung der Regierung durch die Parlamentarischen Staatssekretäre wirkt insoweit bereits fraglich, als die Ressortspitzen, nämlich die Minister selbst, dem Parlament entstammen und die Regierung von der Parlamentsmehrheit getragen wird. Ein unzulässiges Eindringen der einen in die andere Gewalt kann darin freilich nicht gesehen werden. Auch und gerade handelt der Parlamentarische Staatssekretär des weiteren stets unter der Ägide des Ministers, so daß er in dieser Funktion „als Parlamentarier“ den Gewaltenteilungsgrundsatz nicht durchbrechen kann 150.
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Knöpfle, Diskussionsbeitrag, in: Stellvertretung im Oberbefehl, S. 77 ff. Schäfer, DÖV 1969, 38 (43 ff.); ders., Aussprache zu dem Vortrag von Volkmar Hopf, in: Öffentlicher Dienst und politischer Bereich, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, 37 (1967), S. 141 f. 149 Nuscheler, ZParl 1970, 83 (88). 148
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Waren mit der Einführung des neuen Amtes große Hoffnungen auf eine spürbare Entlastung der Minister in ihren politischen und repräsentativen Aufgabengebieten verknüpft worden, ist an dieser Stelle der Frage nach dem Ausmaß der Vertretungsrechte der Parlamentarischen Staatssekretäre nachzugehen. Da es sich bei dem ParlStG mehr oder minder um ein reines Statusgesetz handelt, sind die Aufgabenzuweisungen aus anderen Rechtsgrundlagen herauszufiltern. Insbesondere handelt es sich bei der Verleihung des Titels „Staatsminister“ gem. § 8 ParlStG an einen Parlamentarischen Staatssekretär nicht um eine Inhaltsbestimmung oder um eine Aufgabenerweiterung, sondern wird eine solche Verleihung nur dort vorgenommen, wo sie internationalen Standards entspricht und Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe ermöglichen soll 151. Rechte der Parlamentarischen Staatssekretäre finden sich zum einen in der GOBReg. Dort bestimmt § 23 Abs. 1 GOBReg, daß der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundeskanzler regelmäßig an den Sitzungen der Bundesregierung teilnimmt und sieht Absatz 2 Satz 1 vor, daß ein an der Sitzungsteilnahme verhinderter Bundesminister durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär vertreten wird. Diesen Grundsatz legt auch § 14 Abs. 2 S. 1 GOBReg fest, mit der Erweiterung, daß der Minister auch bei Erklärungen vor Bundestag und Bundesrat durch den Parlamentarischen Staatssekretär vertreten werden kann. § 14 Abs. 3 GOBReg normiert zum einen speziell, daß der Bundesminister von seinem Parlamentarischen Staatssekretär in von ihm bestimmten Einzelfällen vertreten werden kann und zum anderen i.V.m. § 14a GOBReg, daß eine solche Vertretung generell für alle ihm übertragenen Aufgabenbereiche gilt. Bezüglich der Vertretung des verhinderten Ministers im Kabinett bleibt indes festzuhalten, daß dem Parlamentarischen Staatssekretär unbestritten kein Stimmrecht zukommt 152. Als ebenso unstreitig kann heute gelten, daß der Parlamentarische Staatssekretär, wenn ihm ein besonderer Aufgabenbereich im Ressort zur Erfüllung durch den Minister übertragen wird, Weisungsrechte in das Ressort hinein besitzt 153. Ebenfalls entlastet wird der Bundesminister durch die Tatsache, daß der Parlamentarische Staatssekretär als „Beauftragter“ i.S.v. Art. 43 150
Gegen die vorgebrachten Bedenken und für die Verfassungsmäßigkeit des ParlStG, vgl. nur Laufer, Der Parlamentarische Staatssekretär, S. 22 ff.; Fehlig, Die Rechtsstellung des Staatssekretärs im deutschen Staatsrecht, S. 189 ff.; Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 233; Fromme, ZParl 1970, 53 (66); Arndt, Der Staat 9 (1970), 501 (506); für die politischen Staatssekretäre in BaWü auch StGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.2.1973, DÖV 1973, 673 (677). 151 Vgl. nur Wieser, Der Staatssekretär, S. 30. 152 Laufer, Der Parlamentarische Staatssekretär, S. 70; Fromme, ZRP 1973, 153 (155); Fehlig, Die Rechtsstellung des Staatssekretärs im deutschen Staatsrecht, S. 175; Oldiges, in: Sachs, GG, Art. 62, Rn. 29. 153 Diese Frage war lange Zeit umstritten, für ein Weisungsrecht Herzog, in: Maunz/ Dürig/Herzog, GG, Art. 62, Rn. 48, 50; Laufer, Der Parlamentarische Staatssekretär, S. 55; Honnacker/Grimm, Ergänzung der Kommentierung der GOBReg, § 14 n.F., S. 16; Staff , Die Rechtsstellung der Parlamentarischen Staatssekretäre, S. 20; Hopf , in: Öffentlicher Dienst und politischer Bereich, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, 37 (1967), S. 129
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Abs. 2 GG vor dem Bundestag für ihn auftreten und sprechen kann. Gleiches gilt für eine Vertretung vor dem Bundesrat gem. Art. 53 GG i.V.m. § 18 Abs. 1 u. 2 GOBR. Anfragen des Bundestages bzw. eines Quorums, die gem. §§ 100 ff. GOBT an die Regierung gestellt werden und z.T. zur Beantwortung an die Ministerien weitergeleitet werden, werden ebenfalls in großem Umfang durch die Parlamentarischen Staatssekretäre beantwortet 154. Damit wird deutlich, daß der Parlamentarische Staatssekretär sowohl in seiner formell-rechtlichen Rechtsstellung stark an die Position des Ministers angenähert ist und auch materiell-rechtlich als engster politischer Mitarbeiter erheblichen Einfluß auf den Minister hat und diesen in ansonsten ihm selbst zugewiesenen Aufgabenbereichen vertritt. Im Hinblick auf das so ausgestaltete „ministerähnliche Amtsverhältnis“ 155 liegt die Erwägung nahe, ob der Parlamentarische Staatssekretär nicht über die notwendige parlamentarische Rückbindung verfügt, um einen rechtlich verhinderten Bundesminister in verfassungsrechtlich zulässiger Weise vertreten zu können. Indessen darf nicht der gesetzgeberische Kontext übersehen werden, der ihn zum Parlamentarischen Staatssekretär macht. Denn diese Bezeichnung macht lediglich die Forderung des § 1 Abs. 1 ParlStG sichtbar, nach dem die so zu bestimmenden Hilfsorgane Mitglieder des Bundestages sein müssen. Wie ausführlich dargelegt, trifft eine parlamentarische Verantwortlichkeit ausschließlich die Mitglieder der Bundesregierung, wie sie in Art. 62 GG aufgezählt sind, mithin Bundeskanzler und Bundesminister. Darüber aber, daß die Parlamentarischen Staatssekretäre nicht Mitglieder der Bundesregierung sein sollten – anders als etwa in Bayern –, waren sich bereits die Teilnehmer des Parlamentarischen Rates einig 156 und bestand diese Einigkeit ebenso bei Erlaß des ParlStG 1967 157. Trotz ihrer Zuordnung in und Entstammung aus dem originär politischen Bereich und Aufgabe als Hilfsorgane gerade für den Bereich der Regierungsaufgaben (§ 1 Abs. 2 ParlStG) können die Parlamentarischen Staatssekretäre keine parlamentarische Verantwortung übernehmen. Sie unterstehen vollumfänglich den Weisungen „ihres“ Bundesministers, und dieser übernimmt in gleicher Weise wie für alle
(138); so auch bereits die Ausschußempfehlung 1967, BT-Drs. 5/1556, S. 2; a.A. noch Kröger, DÖV 1974, 585 ff. 154 Bereits kurz nach Einführung des Amtes wurden etwa die mündlichen Anfragen zu über 50% von den Parlamentarischen Staatssekretären beantwortet, vgl. Laufer, Der Parlamentarische Staatssekretär, S. 78; Fromme, ZParl 1970, 53 (60, 77 f.). 155 Stettner, Staatssekretär, in: Staatslexikon (7. Aufl.), S. 225. 156 V .Doemming-Füsslein-Matz: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR n.F. Bd. 1, 1953, 425 (Art. 62). 157 Regierungsbegründung zum ParlStG 1967, BT-Drs. 5/1402, S. 3.
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ihm zugeordneten Behörden und sonstigen Einrichtungen die ausschließliche und unabdingbare parlamentarische Verantwortung 158. „Zu ‚verdeckten Ministern‘ haben es Parlamentarische Staatssekretäre nicht gebracht.“ 159 Unter dem Vorwurf, daß das Argument der ausdrücklichen und abschließenden Regelung der Kabinettsmitgliedschaft in Art. 62 GG und mit ihr einhergehend der parlamentarischen Verantwortung zur „allseits verwendungsfähigen, aber unbelegten und unbelegbaren Behauptung“ würde, hat Wahl 1969 und 1971 versucht, eine „Stellvertretung in der Verantwortlichkeit“ für den Parlamentarischen Staatssekretär nachzuweisen 160. Erhellend wirkt in diesem Zusammenhang insbesondere ein Blick auf die von ihm gesetzte Prämisse. Danach soll in Anlehnung an Marschall von Bieberstein der Minister nur für diejenigen Handlungen und Akte parlamentarisch verantwortlich sein, welche aufgrund seiner Billigung und seines eigenen „Geschehenlassens“ in Kraft gesetzt wurden. Die typische Vertretungswirkung im Sinne einer Zurechenbarkeit solle gerade nicht möglich sein 161. Das Parlament würde einen Minister für ein solches „fiktiv-eigenes“ Handeln faktisch nicht in der gleichen Weise zur Rechenschaft ziehen, wie für sein „wirkliches eigenes“ Verhalten. Damit aber könnte sich in der Praxis die Vertretungswirkung nicht entfalten 162. Unter Berufung auf das Stellvertretungsgesetz von 1878 und den Gedanken, daß den Vertreter dieselben Pflichten treffen sollten wie den Vertretenen, ohne daß dieser selbst von irgendwelchen Pflichten entlastet wäre, stellt er die für seine Arbeit zentrale Forderung auf: „Die Verantwortlichkeit des Parl.StS, die ihn genau so wie den Vertretenen treffen muß, tritt demnach zu der fortbestehenden und unberührt bleibenden des Ministers hinzu.“ 163 Ungewöhnlich sei eine solche Konstruktion nicht, da das gleiche Phänomen bereits im Verhältnis von Bundeskanzler zu den Bundesministern bestehe. Auch hier handele es sich um ein Nebeneinander von Verantwortlichkeiten, die sich überlagerten und nicht lediglich ergänzten 164. Verfassungsrechtlich sei dieses System unproblematisch
158 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 69, Rn. 40 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, II. 5. (S. 289) u. IV. 5. c) (S. 315); Fehlig, Die Rechtsstellung des Staatssekretärs im deutschen Staatsrecht, S. 187 f.; Laufer, Der Parlamentarische Staatssekretär, S. 48 f.; Staff , Die Rechtsstellung der Parlamentarischen Staatssekretäre, S. 21; Gallois, Rechtsstellung und Aufgaben des Parlamentarischen Staatssekretärs, S. 92; Meyn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 62, Rn. 13a; Hermes, in: Dreier, GG, Art. 62, Rn. 21; Klein, DVBl. 1965, 862 (863 f.). 159 König, in: FS Morsey, 1992, S. 109 (125). 160 Vgl. hierzu und zum folgenden Wahl, Der Staat 8 (1969), 327 ff.; ders., Stellvertretung im Verfassungsrecht, dort insbes. S. 245 ff. 161 Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 246. 162 Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 246. 163 Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 248. 164 Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 248.
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und könnte die aufgezeigte Weiterentwicklung des Amtes des Parlamentarischen Staatssekretärs daher auch ohne weiteres im Wege einer Gesetzesänderung oder auch bloßen Änderung der Geschäftsordnung vollzogen werden, freilich unter der Prämisse, daß die eigene Verantwortung des Parlamentarischen Staatssekretärs zu jener des Ministers ergänzend hinzutrete und sie nicht ersetze oder mindere 165. Nicht finden lassen sich in Wahls Ausführungen Gedanken oder auch nur Hinweise auf die Art und Weise der Ausgestaltung einer eigenen Verantwortlichkeit des Parlamentarischen Staatssekretärs. In seiner abstrakten Konstruktion von einer „Vertretung in der Verantwortlichkeit“ spricht er lediglich von „gleichen Pflichten“ und einem Nebeneinander von Verantwortlichkeiten. Bedeutet das etwa, daß gegen den Parlamentarischen Staatssekretär Entlassungsvoten gefaßt werden können und er dem Katalog parlamentarischer Kontrollrechte in gleicher Weise unterliegen soll wie sein Bundesminister? Auch hierüber läßt Wahl den Leser im Unklaren. Die Idee einer „Stellvertretung in der Verantwortlichkeit“ ist auf der Basis der heutigen Verfassung rechtlich nicht zulässig. Der Gedanke selbst beruht auf der, wie ausführlich dargelegt, verfassungsrechtlich unhaltbaren Prämisse, daß parlamentarische Verantwortlichkeit des Bundesministers nur bei Kenntnis und Duldung resp. einem Kennenmüssen der Handlungen in seinem Ressort geltend gemacht werden kann. Auf das Element des persönlichen Verschuldens kommt es dagegen gerade nicht an 166. Zwar erkennt Wahl selbst, daß es unter geltendem Recht eine solche Verantwortlichkeitszuweisung an den Parlamentarischen Staatssekretär nicht geben könne. Aber auch eine Normänderung im subverfassungsrechtlichen Bereich könnte diesen Zustand nicht herbeiführen. Unter dem semantischen Deckmantel der „Weiterentwicklung“ des Amtes des Parlamentarischen Staatssekretärs soll eine strukturverändernde Anpassung der Verantwortlichkeitszuweisung, wie sie im Grundgesetz abschließend getroffen wurde, vorgenommen werden. Dies ist jedoch nur de constitutione ferenda möglich 167. Eine beliebige, durch Gesetzes- oder Geschäftsordnungsänderung zu vollziehende, Erweiterung des Adressatenkreises parlamentarischer Verantwortlichkeit kann vor dem Hintergrund der Bestimmung des Art. 62 GG nicht zulässig sein 168. Damit aber führt die von Wahl vorgeschlagene Ausgestaltung resp. Veränderung des Amtes des Parlamentarischen Staatssekretärs weder de lege lata noch de lege ferenda
165
Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 249. Eingehend dazu Kapitel 3, § 9. 167 Klein, JuS 1974, 362 (365); Fromme, ZRP 1973, 153 ff. 168 Staff , Die Rechtsstellung der Parlamentarischen Staatssekretäre, S. 25 ff.; Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 37 f.; Gallois, Rechtsstellung und Aufgaben des Parlamentarischen Staatssekretärs, S. 93 f.; Fromme, ZParl 1970, 53 (65 f., Fn. 65). Die Möglichkeit einer Verfassungsänderung soll freilich nicht generell verworfen werden, sondern ist auf sie im weiteren noch einzugehen. 166
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zu einer Auflösung der vorgezeichneten verfassungsrechtlichen Kollisionsproblematik. Denn selbst wenn eine – wie auch immer geartete – „Nebenverantwortlichkeit“ des Parlamentarischen Staatssekretärs geschaffen werden sollte, würde dieser stets seine Amtsbefugnisse und Rechtsstellung von jener des Ministers ableiten und bestünde seine Verantwortung nur neben diesem, jedoch nie an Stelle dessen. Damit wäre auch unter der nachgezeichneten Konstruktion kein Gewinn auf dem Weg zu einem verfassungsrechtlichen Ausgleich der konfligierenden Verfassungsprinzipien zu verzeichnen. Damit aber läßt sich die Ausgangsfrage dahingehend klären, daß Überlegungen zu einer nachträglichen Übertragbarkeit von einer einem beamteten Staatssekretär nach § 14 Abs. 3 GOBReg zugewiesenen Stellvertretung auf einen Parlamentarischen Staatssekretär zu unterbleiben haben. Selbst eine erfolgreiche Zuweisung der Stellvertretungszuständigkeit an einen Parlamentarischen Staatssekretär könnte die verfassungsrechtliche Konfliktlage wie sie oben dargestellt wurde, nicht verhindern. Ohne eine Verfassungsänderung, die den Parlamentarischen Staatssekretär zum Regierungsmitglied machen würde, besteht eine parlamentarische Verantwortlichkeit in seiner Person nicht, so daß dem Parlament im Falle der Vertretung des befangenen Bundesministers durch den Parlamentarischen Staatssekretär kein Verantwortungsadressat zur Verfügung steht und das Demokratieprinzip auch in diesem Falle verletzt würde.
IV. Stellvertretung durch die Bundesregierung oder einzelne ihrer Mitglieder? 1. Stellvertretung durch einen Ministerkollegen? a) Vertretungsregelung in § 42 GWB? Ein weiterer interpretativer Ansatzpunkt könnte noch dem Wortlaut der Überschrift des § 42 GWB entnommen werden, in dem Versuch, de lege lata zu einer Entscheidungszuständigkeit einer parlamentarisch verantwortlichen Stelle zu gelangen. Unter Anerkennung der grundsätzlichen Entscheidungszuweisung an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit im Ministererlaubnisverfahren und dessen Ausschluß bei Vorliegen von (einer Besorgnis der) Befangenheit bliebe zu untersuchen, ob sich der Normierung des § 42 GWB selbst nicht eine gegenüber den Vertretungsregeln der GOBReg speziellere und daher vorrangige Vertretungsregelung entnehmen ließe. Die Folge wäre, daß ein „Rückgriff“ auf die Vertretungsregelungen der GGO und der GOBReg unnötig, ja sogar unzulässig, wäre. „Zumindest mittelbar“ ergebe sich aus der Regelung des § 42 GWB, daß im Falle der Verhinderung nicht der Staatssekretär, sondern ein Ministerkollege der rechtmäßige Vertreter sei 169. Begründet wird diese Vorgehensweise zum einen damit, daß bereits die Überschrift des § 42 GWB auf eine Ministererlaubnis
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abstelle und diese Formulierung zum zweiten auch vom Gesetzgeber bewußt so gewählt worden sei 170. Schließlich wird zur Unterstützung die Zweistufigkeit des Verfahrens herangezogen. Da der Bundesminister für die Entscheidungen des Bundeskartellamtes auf der ersten Stufe nur mittelbar verantwortlich sei und diese Mittelbarkeit sich auch bei einem Handeln des Staatssekretärs anstelle des Ministers wiederfinde, werde dem Erfordernis der Entscheidung durch eine unmittelbar politisch verantwortliche Instanz im zweiten Verfahrensschritt nicht genügt 171. Sowohl die Überschrift als auch die Gesetzesbegründung zu § 42 GWB bestätigen die Ansicht, daß der Minister als Sachentscheider im Ministererlaubnisverfahren angesprochen wird. 169 170 171 Dies wurde in Kapitel 2, § 6 ausführlich dargelegt und bejaht. Ebenso ausführlich wurde jedoch dargelegt, daß mit dieser Feststellung nicht das Ergebnis der Fragestellung erreicht wurde, sondern vielmehr lediglich der Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen fixiert werden konnte. Aus der vom Gesetz differenziert verwendeten Zuweisungen bezüglich der Zuständigkeiten für einzelne Verfahrensschritte und ihrer Aufteilung zwischen Minister und Ministerium wurde das System der sachlichen Zuständigkeit des Ministeriums und der funktionalen Zuständigkeit des Ministers innerhalb des Ministeriums für diese Entscheidung herausgearbeitet. Damit aber bleibt der genannte Auslegungsansatz an der Oberfläche und widerspricht im Ergebnis der Systematik des Gesetzes selbst, wie sie dargelegt wurde. Auch eine Berufung auf den Wortlaut der Gesetzesbegründung bezüglich der persönlichen Verantwortung „des Ministers“ hilft gerade nicht weiter, da damit die unmittelbare Zuweisung an den Bundeswirtschaftsminister um so klarer hervortritt, und gerade nicht die Zuweisung an „einen Minister“ aus dieser Formulierung herausgelesen werden kann. Was schließlich die Behauptung betrifft, der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit sei allgemein lediglich mittelbar für Entscheidungen verantwortlich, die in seinem Ressort und den zugehörigen Behörden getroffen würden, verkennt, daß die parlamentarische Verantwortlichkeit selbst immer eine umfassende und unmittelbare ist. Weder läßt sich eine Abschwächung noch eine Zwischenschaltung anderer Instanzen bei der Sichtbar-
169 Orth, WRP 2003, 54 (58); daß § 42 GWB keine ausdrückliche Regelung über die Vertretung enthält, wird dabei auch von ihm selbst anerkannt. Dazu auch schon oben Kapitel 4, § 12, III., 3.; eine knappe wiederholende Behandlung dieses Ansatzpunktes an der systematischen Stelle der Auslegung de lege lata als Problemlösung war indes angezeigt. 170 BT-Drs. 13/9720, S. 61, wo es heißt, daß der Gesetzgeber dadurch die „persönliche politische Verantwortung des Ministers“ habe unterstreichen wollen; in diese Richtung auch Schlecht, FAZ v. 22.08.2002, S. 9. 171 Orth, WRP 2003, 54 (58).
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machung der Verantwortlichkeit feststellen. Einen Widerspruch zur behaupteten Systematik des zweistufigen Erlaubnisverfahrens gibt es demzufolge nicht. Läßt sich aber weder aus dem Wortlaut noch aus den untersuchten systematischen Erwägungen eine „mittelbare“ Stellvertretungsregelung aus § 42 GWB selbst entnehmen, verbleibt es bei der aufgezeigten Bezugnahme auf die Vertretungsregeln der GGO i.V.m. der GOBReg 172. b) Vertretung gem. § 14 Abs. 1 GOBReg analog? Verbleibt es daher bei der Bestimmung eines rechtmäßigen Vertreters des Ministers bei den Regelungen der GOBReg, dort § 14, so könnte im weiteren versucht werden, für den Befangenheitsfall dessen Abs. 1 „vom Rechtsgedanken her“ anzuwenden 173. Unter Verweisung auf den „genuin politischen Bereich“, den die Entscheidung betreffe, solle in (analoger) Anwendung des § 14 Abs. 1 GOBReg nur der nach Innenrecht vorgesehene Ministerkollege zur Vertretung des befangenen Ministers befugt sein 174. Ob eine solche Auslegung zulässig ist, muß sich erneut an den dargestellten Prinzipien messen lassen. Insbesondere ist zu berücksichtigen, daß „einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden“ 175 darf. Bei der Frage nach der Zuordnung der Entscheidung über eine Ministererlaubnis innerhalb der Begriffe „in der Regierung“ und „Ressortangelegenheit“ wurde die Problematik der Zuweisung über den Bereich des „genuin Politischen“ bereits eingehend erörtert und als für den Fall der Ministererlaubnis unzutreffend abgelehnt. Auch bei einer erneuten Betrachtung dieser Auslegung vor dem Hintergrund der Verwirklichung des Demokratieprinzips durch Anwendung des § 14 Abs. 1 GOBReg vermag sich ein anderes Ergebnis nicht rechtfertigen zu lassen. Die Ministererlaubnis ist eine dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit als Leiter der obersten Bundesbehörde funktional zugewiesene Entscheidung, die in seinem Ministerium sachlich ressortiert. Eine Übertragung der Vertretungsregelung, welche für die Vertretung „in der Regierung“ geschaffen wurde, auf den Bereich „als Leiter einer obersten
172 Gegen den vorgetragenen Ansatz zu Recht auch Bunte, BB 2002, 2393 (2395); ders., Rechtswissenschaftliches Gutachten im Auftrag der Firma E.ON AG in dem Zusammenschlussvorhaben E.ON/Gelsenberg/Bergemann zum Antrag auf Ministererlaubnis gemäß § 42 GWB, S. 20 f.; Kirchhof/Puhl, Gutachten zur Zuständigkeit für die Entscheidung zur Genehmigung des E.ON/Ruhrgas-Zusammenschlusses gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB, S. 12 f.; auch ein rein „internes“ Weisungsrecht eines Ministerkollegen wäre unter diesen Gesichtspunkten widersinnig. 173 Möschel, BB 2002, 2077 (2078). 174 Möschel, BB 2002, 2077 (2078). 175 BVerfGE 71, 81 (105); 8, 71 (78 f.); 90, 263 (276).
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Bundesbehörde“, modifiziert die systematische Trennung nicht lediglich, sondern hebt sie gänzlich auf und verkehrt sie in ihr Gegenteil. Der Norm des § 42 GWB, die zwischen sachlicher und funktionaler Zuständigkeit unterscheidet, würde ein entgegengesetzter Sinn unterlegt. Durch die genannte Umqualifizierung der Entscheidung wäre ihre Herauslösung aus dem Ressort die Folge, mit einer geradezu „höchstpersönlichen“ Entscheidungszuständigkeit des Ministers. Eine solche Wertung widerspricht jedoch sowohl dem Ressortprinzip, welches vor Einmischungen der Ministerkollegen und auch des Bundeskanzlers schützt, als auch der aufgezeigten Systematik des § 42 GWB sowie zuletzt der festgestellten Unbrauchbarkeit des „Politischen“ als taugliches und zulässiges Abgrenzungskriterium im Rahmen von § 14 GOBReg. Damit richtet sich die Vertretung des befangenen Bundesministers bei der Entscheidung gem. § 42 Abs. 1 GWB nach § 6 Abs. 1 GGO i.V.m. § 14 Abs. 3 GOBReg und läßt die Eindeutigkeit der Regelung eine korrigierende Auslegung de lege lata im Sinne einer Vertretung durch einen Ministerkollegen nicht zu. 2. Stellvertretung durch den Bundeskanzler? Seit jeher unbestritten parlamentarisch verantwortlich unter der Geltung des Grundgesetzes ist der Bundeskanzler. Mögen der Stellvertretung eines befangenen Bundesministers in seiner Stellung als Ressortchef durch den Bundeskanzler auch auf den ersten Blick nicht unerhebliche Bedenken begegnen, kann eine grundsätzliche Betrachtung doch nicht außen vor gelassen werden. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, daß eines der 30 dem Ministererlaubnisverfahren beigeladenen Unternehmen in seiner Stellungnahme zur Befangenheitsproblematik eine dahingehende Forderung aufstellte 176. Konnte im Rahmen der Untersuchung zu § 14 Abs. 1 u. 3 GOBReg noch anhand einer Normauslegung einer vorhandenen Stellvertretungsregelung versucht werden, die Entscheidungszuweisung an eine parlamentarisch verantwortliche Stelle zu konstruieren, erweist sich dies im Hinblick auf den Bundeskanzler als komplexeres Unterfangen. Gemäß Art. 69 Abs. 1 GG ernennt der Bundeskanzler einen Bundesminister zu seinem Stellvertreter. Eine Regelung darüber, daß der Bundeskanzler selbst einen anderen Amtsträger zu irgendeinem Zeitpunkt oder irgendeiner Situation vertritt, findet sich nicht. Erneut wird daher auf das Kriterium der politischen Bedeutsamkeit – diesmal in Verbindung mit der allgemeinen Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers – abzustellen sein 177. Auch bei der Annahme der Stellvertretungszuständigkeit des 176
Ministererlaubnis v. 05.07.2002, S. 28, Nr. 29; www.bmwa.bund.de/Redaktion/Inhalte/Pdf/ Homepage_2Fdownload_2Fwirtschaftspolitik_2FEonRuhrgasVfg.pdf,property=pdf.pdf; freilich ohne Begründung der Forderung (zumindest) an dieser Stelle. 177 Kirchhof/Puhl, Gutachten zur Zuständigkeit für die Entscheidung zur Genehmigung des E.ON/Ruhrgas-Zusammenschlusses gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB, S. 41 ff., die freilich gerade nicht von einer Stellvertretungszuständigkeit des Bundeskanzlers ausgehen,
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Bundeskanzlers – ebenso wie bei der eines Ministerkollegen – läge das verfassungsrechtlich begrüßenswerte Ergebnis einer parlamentarischen Rückbindung der Entscheidung unter Wahrung des Demokratieprinzips in dieser Ausformung vor. Wie gleichfalls dargestellt, bedarf es indes für die Verantwortlichkeitsübernahme gegenüber dem Parlament eines Ingerenzrechtes des Verantwortlichkeitsadressaten als Ausfluß des Demokratieprinzips in der schwesterlichen Ausformung. Dieses Ingerenzrecht müßte im Falle der Befangenheit von dem betroffenen Bundesminister auf den Bundeskanzler übergehen. Findet sich wie gezeigt keine Stellvertretungsnorm, an welcher eine Auslegung ansetzen könnte, bedarf es eines weitergehenden Rückgriffs auf grundlegendere Prinzipien. Ein solches könnte in der verfassungsrechtlich in Art. 65 S. 1 GG verankerten Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers zu entdecken sein. Darin heißt es: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung.“ Eine Legaldefinition dieses Begriffes findet sich nicht. Deshalb soll an dieser Stelle an einige Passagen aus der grundsätzlichen Betrachtung über die innere Organisation der Bundesregierung erinnert werden 178. Danach wurde dargelegt, daß der Bundesminister selbst „Spitzenbehörde“ und somit keiner weiteren hierarchischen Instanz mehr unterstellt ist 179. Art. 65 S. 2 GG überträgt im weiteren die Geschäftsbereiche der selbständigen und eigenverantwortlichen Leitung der Minister. Damit stehen Satz 1 und Satz 2 des Art. 65 GG in einem Spannungsverhältnis, dessen genauen Inhalt es zu ermitteln gilt. Dabei ist zu beachten, daß der Minister zwingend an die Richtlinien des Bundeskanzlers gebunden ist, wie sich auch aus § 1 Abs. 1 S. 2 GOBReg 180 ergibt. Aufgrund dieser Bindung wird jedenfalls ersichtlich, daß der Bestimmtheit der Richtlinien ein ausreichend enger Rahmen zu setzen ist, sollen die Minister nicht wie in vorparlamentarischen Zeiten zu bloßen Staatssekretären degradiert werden. Maßstab dafür, ob der zulässige Rahmen noch gewahrt oder bereits überschritten wurde,
sondern von einer rechtmäßigen Zuständigkeit des Staatssekretärs. Aber im Rahmen der Problematisierung des Vorliegens eines ministerialfreien Raumes werden die im folgenden näher zu beleuchtenden Annahmen getätigt, mit dem Ergebnis, daß den Bundeskanzler „ . . . – zusätzlich zur fortbestehenden Verantwortlichkeit des Bundeswirtschaftsministers – für die Entscheidung nach § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB eine besondere Verantwortung“ treffe, S. 47, Hervorhebung durch den Verfasser. Wie die Autoren in diesem Kontext bei befürwortetem Handlungsausschluß des Ministers und befürwortetem Einzelweisungsrecht des Bundeskanzlers überhaupt noch von einer wie auch immer gearteten „fortbestehenden Verantwortlichkeit“ des Ministers zu sprechen vermögen, bleibt unklar. 178 Vgl. dazu Kapitel 3, § 9. 179 Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 144; so auch Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, III. 3. b) (S. 292), der davon spricht, daß die Richtlinienkompetenz keine beamten-ähnliche Hierarchie bewirke. 180 § 1 Abs. 1 S. 2 GOBReg: „Diese (Richtlinien) sind für die Bundesminister verbindlich . . . “. Vgl. dazu auch § 1 Abs. 2 GOBReg: „Der Bundeskanzler hat das Recht und die Pflicht, auf die Durchführung der Richtlinien zu achten.“
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ist der der Ausfüllungsnotwendigkeit bzw. -möglichkeit. Sind die Richtlinien derart konkret, daß sie nur noch der direkten Umsetzung, schlichten Ausführung und mechanischen Anwendung bedürfen, so ist ein Raum für selbständige und eigenverantwortliche Leitung des Geschäftsbereichs für die Minister nicht mehr vorhanden und der Minister Staatssekretär. Aus dem Gesagten wird deutlich, daß dem Bundeskanzler grundsätzlich keinerlei Eingriffsrecht in die Ressortleitung des Ministers zukommt. Sachlich-inhaltlich muß dieser die alleinige und allumfassende Kompetenz zur Leitung des Ministeriums innehaben 181 und darf diese in einzelnen Sachfragen grundsätzlich weder von Seiten des Bundeskanzlers noch der Bundesregierung als Kollegialorgan beschnitten werden 182. Daß die Entscheidung über die Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 1 GWB dem Bundesminister selbst funktional zugewiesen wird und sachlich in seinem Ministerium ressortiert, wurde ausführlich dargelegt. Das Spannungsverhältnis zwischen Richtlinienkompetenz und Ressortkompetenz wird in der konkreten Fragestellung damit aktualisiert und bedarf es einer Entscheidung dieser Frage. Ein Eckpfeiler der näheren inhaltlichen Begriffsbestimmung ergibt sich aus Art. 65 S. 1 GG selbst: Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik. Das bedeutet, die Richtlinien müssen stets das Politische zum Gegenstand haben. Zum zweiten handelt es sich um Richtlinien. Die große Linie, die durch den Bundeskanzler dabei vorgegeben wird, muß durch eigenständige Ideen, Entscheidungen und Maßnahmen des Bundesministers umgesetzt werden 183. Eine Linie ist grundsätzlich kein Punkt. An dieser Stelle ist auf eine weithin beachtete Formulierung Böckenfördes näher einzugehen. Dieser führt aus, daß in „besonderen Fällen, wenn das Prinzipielle seinen Sitz in der konkreten Sachfrage selbst hat, sich darin kristallisiert, . . . Richtlinienkompetenz und einzelne Sachentscheidung zusammenfallen (können).“ 184 Vorausgegangen sind dieser Formulierung allerdings die grundlegenden Erkenntnisse, daß „Richtlinien . . . etwas Allgemeines (sind), sowohl in dem Sinne, daß es sich um allgemeine Regeln handelt, wie in dem Sinne, daß diese
181 Junker, Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, S. 81; Meyn, in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 65, Rn. 14 f.; Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 31; Schröder, in: Sachs, GG, Art. 65, Rn. 26 f., 30; Stern, Staatsrecht, Bd. 2 § 31 IV 3 a) (S. 309); a.A. Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 65, Rn. 10. 182 Badura, Staatsrecht, E 90 (S. 510); als absolutes Prinzip statuiert dies Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der BRD, Rn. 642, wenn er formuliert, daß die Richtlinien der Politik des Bundeskanzlers nicht so detailliert bezeichnet sein dürfen, daß sie die Gestalt einer Einzelweisung annehmen. 183 Vgl. dazu auch § 1 Abs. 1 S. 2 GOBReg: „Diese (Richtlinien) sind . . . von ihnen in ihrem Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung zu verwirklichen.“; Schröder, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 65, Rn. 14, spricht in diesem Zusammenhang von der „Richtlinienbestimmung als Kategorie der Staatsleitung“. 184 Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 207.
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Regeln nur die Richtung, das Prinzipielle, nicht schon die einzelne Sachentscheidung und den konkreten Fall betreffen“ und daß der „Begriff der Richtlinie . . . grundsätzlich die (interne) Einzelweisung (ausschließt).“ 185 Brennpunkt der Fragestellung ist demnach, ob eine konkrete Entscheidung über die Genehmigung oder Verweigerung einer Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 1 GWB eine solche im richtungsweisenden Prinzipiellen wurzelnde Einzelentscheidung darstellen kann. Die eingangs genannte Auffassung bejaht dabei das „Wurzeln“ der Entscheidung „im Prinzipiellen“ für den Fall der (konkreten) Ministererlaubnis unter Verweisung auf „die politische Tragweite der Entscheidung“ 186. Diese Aussage entlarvt zugleich ihre eigene Schwäche. In ihr wird unzweifelhaft die reine politische Bedeutsamkeit einer Einzelentscheidung zur Prinzipienfrage umgedeutet. Daß die Entscheidung überhaupt einen politischen Hintergrund bergen muß, ergibt sich bereits daraus, daß es sich um Richtlinien der Politik handeln muß. Um jedoch als Gegenstand gerade der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers qualifiziert werden zu können, bedarf es einer weitergehenden, als darüber hinaus bedeutungsvoll einzuordnenden Entscheidung, welche Rückschlüsse für zukünftige einzelfallunspezifische Behandlungsmodi aufweisen muß. Nur dann, wenn die Antwort auf eine Frage als Schema, nach dem etwas wirkt, mithin als generelles Prinzip, Geltung beanspruchen kann, wurzelt sie im Prinzipiellen. Um eine solche handelt es sich jedoch gerade nicht, sondern geht es um eine – politisch bedeutsame – Einzelfallentscheidung, die nach umfänglichsten Abwägungen, gutachterlichen und juristischen Auseinandersetzungen gefällt wurde und gefällt zu werden pflegt 187. Eine prinzipielle Frage, wie etwa ob Fusionen überhaupt genehmigt werden können und wenn ja, unter welchen Bedingungen, wird durch eine in gewandelter Form immer wiederkehrende administrative Entscheidung auf Gesetzesgrundlage nicht aufgeworfen 188. Ohne die immer wieder zu betonende wirtschaftliche und politische Erheblichkeit der Entscheidung zu reduzieren, läßt der Blick auf die rechtlichen Vorgänge, nämlich den Erlaß eines gebundenen Verwaltungsaktes, eine Wertung als politische Richtungsentschei-
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Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 206. Kirchhof/Puhl, Gutachten zur Zuständigkeit für die Entscheidung zur Genehmigung des E.ON/Ruhrgas-Zusammenschlusses gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB, S. 46. 187 Wie dies auch und insb. die Genehmigungsverfahren in der Vergangenheit gezeigt haben. 188 Siehe dazu auch die elf Monate nach Beantragung der Ministererlaubnis im Falle E.ON/Ruhrgas beantragte Ministererlaubnis (14.01.2003) der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck zur Übernahme der „Berliner Zeitung“ und die folgenden Kontroversen um die politische Bedeutsamkeit einer solchen Fusion im Hinblick auf den Medienmarkt und die damit im Zusammenhang aufgeflammte Diskussion um die Presse- und Meinungsvielfalt in Deutschland. Vgl. dazu nur FAZ v. 22.04.2003, S. 13. 186
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dung mit allgemeiner Bedeutung für die Gesamtpolitik der Bundesrepublik nicht zu 189. Insbesondere zu beachten bleibt an dieser Stelle die Feststellung, daß es aufgrund der Befangenheit eines Bundesministers und seines daraufhin gebotenen Ausschlusses vom Verfahren nicht zu einer Umdeutung der Entscheidung selbst als „im Prinzipiellen“ wurzelnd kommt. Der Charakter der individuellen Entscheidung, auf den im Rahmen dieser Betrachtung abzustellen ist, wird nicht durch die Verhinderung des eigentlich zur Entscheidung berufenen Amtsträgers geändert. Denn anderenfalls würde man die unter Umständen und ausnahmsweise für den Einzelfall zu bejahende Fokussierung der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers in jedem Fall der ministeriellen Befangenheit anzunehmen haben, losgelöst davon, ob es sich politisch um eine „im Prinzipiellen wurzelnde“ Entscheidung handelte. Als Ergebnis der Frage nach der Zulässigkeit der Ministervertretung durch den Bundeskanzler selbst ist daher zu statuieren, daß eine solche Vertretung auf Basis des geltenden Rechts nicht möglich ist 190. Auch eine unmittelbare Einflußnahme des Bundeskanzlers auf die Beamten des Ministeriums etwa in Form von Weisungen wäre danach unzulässig. 3. Stellvertretung durch die Bundesregierung als Kollegialorgan? Wurden die Mitglieder der Bundesregierung, also Bundesminister und Bundeskanzler, als jeweils (heute) unstreitig parlamentarisch verantwortliche Amtsträger auf ihre Eignung als Stellvertreter des befangenen Bundesministers bei der Entscheidung nach § 42 Abs. 1 GWB untersucht – und abgelehnt –, bleibt noch zu überprüfen, ob nicht die Gesamtheit dieser verantwortlichen Stellen, mithin die Bundesregierung als Kollegialorgan, die Stellvertreterposition einnehmen könnte. Dies könnte – wie in den übrigen Fällen – nur dann der Fall sein, wenn die Bundesregierung als Kollegialorgan einer parlamentarischen Verantwortung unterläge.
189 Als diesen einmaligen Hintergrund aufweisende historische Ereignisse, die eine „im Prinzipiellen“ wurzelnde Einzelentscheidung des Bundeskanzlers zu rechtfertigen mögen, seien die Beispiele der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Israel im Jahre 1965 und die Nichtaufwertung der Deutschen Mark im Jahre 1969 genannt. Beispiele bei Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, IV. 2. a) (S. 303). 190 Für die Ministererlaubnisentscheidung im Fall E.ON/Ruhrgas so auch ausdrücklich und unter Verwerfung eines Analogiegedankens das 14. Hauptgutachten der Monopolkommission 2000/2001, S. 80, Nr. 132.; allgemein hierzu BVerwG, NVwZ 1984, 718 (719), wo es heißt: „Die dem Minister durch verfassungsrechtliche Regelungen eingeräumte „Selbständigkeit“ und seine „eigene Verantwortung“ betreffen seine Stellung gegenüber dem Regierungschef, indem sie ihn vor konkreten Weisungen schützen“; ebenfalls ablehnend gegenüber einer Weisungsbefugnis des Bundeskanzlers im gegebenen Fall, Orth, WRP 2003, 54 (58).
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Ist dies nicht der Fall, bedarf es dagegen keiner weiteren Untersuchung, ob und gegebenenfalls auf welchem Wege eine Entscheidungszuweisung an das Kabinett zustande kommen könnte. Dies deshalb, da der verfassungswidrige Zustand einer nicht-parlamentarisch verantwortlichen Entscheidungsinstanz lediglich umverlagert würde, im Kern jedoch bestehen bliebe. In Art. 65 S. 1 u. 2 GG wird sowohl dem Bundeskanzler als auch den Bundesministern ausdrücklich eigene Verantwortung zugewiesen. Eine Zuweisung von Verantwortung an die Bundesregierung als Adressaten fehlt in dieser Bestimmung. Daß ein Forum, welches sich nur aus parlamentarisch verantwortlichen Mitgliedern zusammensetzt, nicht deshalb und per se parlamentarisch verantwortlich ist, leuchtet unmittelbar ein. Wie im Kapitel über die Untersuchung und Herleitung der Ministerverantwortlichkeit ausführlich dargestellt wurde, bedarf es zur Sichtbarmachung von Verantwortlichkeit parlamentarischer Untersuchungsrechte von verschiedener Quantität und Qualität gerade gegenüber dem Adressaten 191. Für die Existenz einer Kabinettsverantwortlichkeit läßt sich vorbringen, daß im Rahmen der Finanzkontrolle die Bundesregierung gemäß Art. 114 Abs. 1 GG entlastet werden muß und auch die Geschäftsordnung des Bundestages Anfragen an die Bundesregierung zuläßt, §§ 100 ff. GOBT. Dies seien „beachtliche Indizien“ für die parlamentarische Verantwortlichkeit der Bundesregierung 192. Auf der anderen Seite gilt es zu beachten, daß gem. Art. 65 GG der Bundeskanzler die Geschäftsleitungsbefugnis der Bundesregierung innehat und für sie die Richtlinien der Politik bestimmt und hierfür die Verantwortung trägt. Des weiteren richten sich grundsätzlich, wie dargelegt, die parlamentarischen Kontrollrechte an einzelne Adressaten. Vor diesem Hintergrund wird deshalb davon gesprochen, daß nach dem heutigen Verfassungsrecht gerade eine individuelle Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers und der einzelnen Bundesminister bestehe. Diese schließe aber eine kollektive Verantwortlichkeit aus und treffe den Bundeskanzler für Akte des Kabinetts die parlamentarische Verantwortlichkeit 193. Außerdem
191 Vgl. dazu Kapitel 3, § 9 mit zahlreichen Beispielen parlamentarischer Rechte gegenüber den Bundesministern. 192 Schröder, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 65, Rn. 49, welcher jedoch auch davon spricht, daß eine darauf zurückzuführende Verantwortlichkeit „allerdings deutlich schwächer ausgeprägt“ sei, als die des Bundeskanzlers und der Minister. Dem schließt sich Hermes, in: Dreier, GG, Art. 65, Rn. 41, an unter Hinweis auf die Tatsache, daß sich über eine Rechtsgrundlage für eine Verantwortlichkeit der Bundesregierung „noch keine allgemeine Meinung herausgebildet habe“. 193 Kröger, Ministerverantwortlichkeit in der BRD, S. 7, 54 f., Oldiges, in: Sachs, GG, Art. 65, Rn. 35; in diesem Sinne wohl auch Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 65, Rn. 79, der Kanzler müsse im Parlament seinen Kopf für die gesamte Regierungspolitik und auch für die des Kabinetts hinhalten; Kruis, in: FS zum 25-jährigen Bestehen des Bayer. Verfassungsgerichtshofs, 1972, S. 133 (143). Für eine Offenheit des individuel-
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entspreche es dieser Zuordnung von Kanzler-, Ressort- und Kabinettsprinzip, daß das Grundgesetz keine solidarische Verantwortlichkeit des Gesamtkabinetts kenne. Da es an einer – wie in Zeiten der Weimarer Republik vorhandenen – Überordnung des Kabinetts über Bundeskanzler und Minister fehle, ergebe sich eine lückenlos ergänzende Organisationsstruktur der Verantwortlichkeiten im Rahmen des Kanzler- und Ressortprinzips 194. Mögen unter Umständen auch die fundierteren Argumente auf Basis der verfassungsrechtlichen Regierungsorganisation gegen die Existenz einer kollektiven Regierungsverantwortung sprechen, wird jedenfalls deutlich, daß eine endgültige Entscheidung dieser Frage nicht unerheblichen Schwierigkeiten ausgesetzt ist. Daher soll die weitere Betrachtung an dieser Stelle von der Prämisse ausgehen, daß eine kollektive parlamentarische Verantwortung der Regierung besteht. Wenn nun von einem real existierenden Adressaten als Rückbindungsstelle der Entscheidung an das Parlament ausgegangen werden soll, ist im folgenden die Frage nach einer verfassungsrechtlich möglichen Stellung der Regierung als Stellvertreter für den befangenen Minister aufgeworfen. Auch hier stellt sich damit erneut die Problematik der bereits vorgenommenen Entscheidungszuständigkeit, wie sie im Grundsatz schon zu bestimmen war. Danach wurde herausgearbeitet, daß die Ministererlaubnis nach § 42 GWB nicht in den Bereich der Kollegialzuständigkeit gehört. Im Rahmen von § 42 Abs. 1 GWB entscheidet funktional einzig der Bundesminister; eine Kabinettszuständigkeit wird nicht begründet und wird eine solche Auffassung auch nicht dargetan. Denn selbst die Vertreter der nicht zutreffenden Ansicht, daß § 14 Abs. 1 GOBReg als Stellvertretungsnorm eingreife, lassen die Entscheidungskompetenz bei dem Bundesminister selbst und wollen sein Handeln lediglich als „in der Regierung“ ansehen. Mag man sich semantisch über die Zuweisung der Ministererlaubnis an den oder einen Minister streiten können – als Regierungserlaubnis kann die Norm des § 42 GWB nicht verstanden werden. Auch der Weg, über den Hinweis der „allgemeinen Bedeutung“ der Sache i.S.v. § 15 GOBReg ist versperrt, denn, wie erläutert, handelt es sich dabei keinesfalls um eine Kompetenzbegründungsnorm – eine dahingehende Auslegung würde sie verfassungswidrig werden lassen, da Regierungsinnenrecht nicht die Grundsätze des Ressortprinzips zu beeinträchtigen vermag. Verkürzt gilt der Satz, daß das Kabinett „stets ressortfrei zu bleiben“ hat 195. Eine derartige Ausdeutung scheitert auch und insbesondere daran, daß im Gesetzgebungsverfahren zum GWB die Möglichkeit der Entscheidungsbefugnis der Bundesregierung ausdrücklich diskutiert und ebenso ausdrücklich verworfen
len Grundcharakters der Verantwortlichkeit bezüglich einer Erweiterung zu kollegialer Verantwortung, Stern, Staatsrecht, Bd. 2, § 31, IV. 4. c) (S. 312). 194 Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 172 f. 195 Oldiges, in: Sachs, GG, Art. 65, Rn. 29.
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wurde. Man entschied sich statt dessen dafür, daß die Entscheidung durch den „parlamentarisch unmittelbar verantwortlichen“ Bundesminister getroffen werden sollte 196. An anderen Stellen des GWB finden sich dagegen deutliche Befugniszuweisungen an die Bundesregierung, wie etwa in § 45 Abs. 2 S. 1 GWB, der bestimmt, daß die Bundesregierung die Mitglieder der Monopolkommission vorschlägt. Eine Entscheidungszuweisung an den Bundesminister fand danach durch den Gesetzgeber selbst und in Abwägung der in Rede stehenden Alternative der Regierungszuständigkeit statt. Eine gerade entgegengesetzte Auslegung, durch Herausnahme aus dem Ressort des Bundeswirtschaftsministers hin zur kollegialen Regierungszuständigkeit, ist nach den dargestellten Auslegungsmethoden verfassungsrechtlich nicht zulässig 197. Damit scheidet jedoch auch die Bundesregierung in ihrer kollegialen Struktur als Stellvertretungsoption im Falle der Befangenheit eines Bundesministers in seiner Funktion als Ressortleiter aus.
V. Verfassungsrechtlich gerechtfertigte Existenz eines ministerialfreien- und parlamentsfreien Raumes? In Kapitel 3 ist nachgewiesen worden, daß dem Grundgesetz das System ununterbrochener Legitimationsketten zugrunde liegt. Teil der Vermittlung demokratischer Legitimation und zugleich Rückkoppelungselement an das Volk ist dabei das Medium der ministeriellen Weisung. Diese muß stets rechtlich möglich sein, um einen mit der Verfassung nicht zu vereinbarenden Einbruch in das System zu verhindern. Parlamentarische Verantwortung kann dem Bundesminister nur dann abverlangt werden, wenn ihm diese Weisungsbefugnis verbleibt. Fehlt diese Befugnis aber, geht damit auch der Verlust eines Verantwortungsadressaten einher und entsteht dabei eine grundsätzlich verfassungswidrige Lücke in der parlamentarischen Legitimation von hoheitlichen Entscheidungen und ihrer Rückführbarkeit auf das Parlament. Nach der Darlegung dieses verfassungsrechtlichen Prinzips wurde jedoch aufgezeigt, daß diese Grundsätze dort eng begrenzten Ausnahmen zugänglich sind, wo solche „ministerialfreien Räume“ von der Verfassung selbst unmittelbar gefordert werden oder sich ihr zumindest mittelbar aus überlagernden Verfassungsprinzipien entnehmen lassen.
196
Gesetzentwurf GWB, Begründung BT-Drs. 1/3462, Anlage 2, S. 62 f. und Bericht des Wirtschaftsausschusses, BT-Drs. 2/1158, Anlage 1, S. 15 (dort zur Parallelvorschrift des § 8 GWB). 197 Bunte, BB, 2002, 2393 (2395); ausdrücklich dazu auch Lorse, ZBR 2003, 185 (189): „In seiner Eigenschaft als Leiter einer obersten Bundesbehörde wird der Bundesminister schließlich durch die Staatssekretäre im jeweiligen Aufgabenbereich vertreten, § 14 Abs. 3 GeschO BReg. Diese Regelungen schließen es aus, auf der Grundlage des Ressortprinzips und in Ausübung der hierauf begründeten Organisationsgewalt diese individuelle Verantwortung in einer ‚kollegialen Verantwortung zur gesamten Hand‘ aufgehen zu lassen.“
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Ist die Herstellung „praktischer Konkordanz“ der widerstreitenden Prinzipien im Wege der Verfassungsauslegung, wie dargestellt, nicht möglich, ist abschließend zu prüfen, inwieweit dieser Zustand von Verfassungs wegen dadurch gerechtfertigt sein könnte, daß die Verfassung selbst die Akzeptanz des beschriebenen Zustandes gebietet. Eine als grundsätzlich verfassungswidrig zu wertende Systemdurchbrechung bei Vorliegen eines weisungsfreien Raumes, könnte sich nach einer Untersuchung in Anlehnung an vergleichbare, verfassungsrechtlich gerechtfertigte weisungsfreie Räume als im Einklang mit der Verfassung stehend erweisen. Sollte die Befangenheit eines Bundesministers in seiner Funktion als Ressortchef einen derartigen weisungsfreier Raum zur Konsequenz haben, müßte dieser Freiraum von Verfassungs wegen zu rechtfertigen sein, um dem finalen Verdikt der Verfassungswidrigkeit zu entgehen. 1. Vorliegen eines „ministerial- und parlamentsfreien“ Raumes im Falle der Befangenheit des Bundesministers in seiner Funktion als Ressortchef Daß der befangene Bundesminister einem Handlungsverbot unterliegt, kann nach den obigen Ausführungen als anerkannt angenommen werden. Unabhängig davon, ob man dem Minister in diesem Fall ein passives Informationsrecht einräumt oder nicht, besteht Einigkeit, daß eine unmittelbare oder auch nur mittelbare aktive Einflußnahme des befangenen Amtswalters auf das Verfahren und die Entscheidung selbst zwingend zu unterbleiben hat. Aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsgebot ergibt sich das Mitwirkungsverbot unmittelbar und ist diese Rechtsfolge auch nicht – etwa im Wege einer anderweitigen Auslegung – abdingbar oder modifizierbar. Das Verbot einer Mitwirkung an der Entscheidungsfindung umfaßt auch das Verbot, Weisungen an den neuen Entscheider zu richten. Wie im Verlaufe der Arbeit dargelegt, besteht weder für einen Ministerkollegen noch für den Bundeskanzler ein solches Weisungsrecht in das Ressort hinein für den Fall, daß sie nicht die von Rechts wegen zuständigen Stellvertreter des befangenen Ministers sind. Ein weisungsfreier Raum liegt danach vor. Damit einher geht nach den weiteren Untersuchungen zugleich die „Parlamentsfreiheit“ dieses weisungsfreien Raumes, entgegen anderweitigen erläuterten und widerlegten Behauptungen 198.
198 So ausdrücklich Staebe, WuW 2003, 714 (717), der ein vollständiges Handlungsverbot des Ministers fordert, zugleich die parlamentarische Verantwortlichkeit des Bundesministers aufrechterhalten sieht und konsequenterweise einen „unzulässigen ‚ministerialfreien Raum‘“ in diesem Fall ablehnt. Diese Ansicht ist nach den obigen Ausführungen verfassungsrechtlich nicht haltbar.
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Damit ist festzuhalten, daß im Falle der Befangenheit des Bundesministers in seiner Funktion als Ressortchef ein „ministerial- und parlamentsfreier“ Raum vorliegt 199. 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Existenz des „ministerialfreien“ Raumes? Mit diesem Befund ist zugleich ausgesagt, daß nach einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung für die aufgezeigte Ministerial- und Parlamentsfreiheit zu suchen ist. Daß die zu treffenden Entscheidungen, die einem Bundesminister als rechtmäßigem Sachentscheider zumindest funktional alleinig zugewiesen sind, nicht von einer „politischen Tragweite“ 200 seien und damit im Falle ihrer Übertragung auf weisungsfreie Stellen kein unzulässiger weisungsfreier Raum entstehe, kann nicht behauptet werden. Weder trifft dies allgemein zu, noch kann für den Fall einer Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 1 GWB eine solche Annahme begründet werden, wie auch und gerade im hier relevanten Kontext der Fusion und ihr folgenden marktbeherrschenden Stellung ausführlich dargelegt wurde 201. Auf eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung kann damit nicht verzichtet werden. Fehlt eine solche, stellt der gegebene Zustand einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip dar und ist er damit de lege / de constitutione lata als verfassungswidrig zu qualifizieren. Unmittelbar fordert die Verfassung die Existenz eines derartigen weisungsund parlamentsfreien Raumes jedenfalls nicht. Normierungen, die wie Art. 92 GG i.V.m. Art. 97 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu einer klaren Weisungsfreiheit der rechtsprechenden Gewalt zwingen 202, finden sich für die Weisungsfreiheit eines ministeriellen Ressorts bei Befangenheit des Behördenleiters nicht. Daß eine unmittelbare Forderung von Verfassungs wegen von dem Erfordernis demokratischer Rückbindung bis zu einem gewissen Grade freistellen kann, wurde mit den Ausführungen zur Weisungsfreiheit der Judikative belegt. Daß hierfür aber auch unter Umständen eine bloß mittelbare Entnahme einer solchen Forderung aus überlagernden Verfassungsprinzipien möglich ist, wurde anhand der – 199
So auch Hermes/Wieland, ZNER 2002, 267 (274); Orth, WRP 2003, 54 (57 f.); dies erkennen grundsätzlich auch Kirchhof/Puhl, Gutachten zur Zuständigkeit für die Entscheidung zur Genehmigung des E.ON/Ruhrgas-Zusammenschlusses gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB, S. 44, die das Problem indes als durch die Weisungsbefugnis des Bundeskanzlers gelöst ansehen. 200 Dazu die grundlegende BVerfGE 9, 268 (278 ff.). 201 Vgl. dazu Kapitel 1, § 1, wo auf die außergewöhnliche (wirtschafts-)politische Bedeutung des Falles hingewiesen wurde. 202 Kapitel 3 § 10, I.
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notwendig umfassenderen – Untersuchung über die (konkrete) Weisungsfreiheit des Bundeskartellamts dargestellt. In Anlehnung an die justizförmig ausgestaltete Entscheidungsfindung im Rahmen des Kartellverfahrens auf erster Stufe war es möglich, die Weisungsfreiheit des Bundeskartellamtes unter Heranziehung der Überlegungen zur Weisungsfreiheit der Rechtsprechung zu rechtfertigen 203. Insbesondere die Zusammensetzung der Beschlußabteilungen sowie die in den §§ 54 ff. GWB vorgesehenen verfahrensrechtlichen Vorgehensweisen unter Verweisung auf die Regelungen der Zivilprozeßordnung unter der Beachtung der allgemeinen Weisungen des zuständigen Bundesministers führten zu dem Ergebnis der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Freiheit von konkreten Weisungen. Ein Vergleich mit einer justizförmigen Ausgestaltung des Verfahrens wie im Falle des Bundeskartellamtes kommt vorliegend im Hinblick auf das Ministererlaubnisverfahren nach § 42 Abs. 1 GWB nicht in Betracht. Weder ist der Staatssekretär (oder ein sonstiger „Vertreter“) auch nur allgemeinen Weisungen des Ministers unterworfen, noch handelt es sich um ein Entscheidungsgremium und ist die Entscheidung Ergebnis eines reinen Verwaltungsverfahrens. Nur am Rande erwähnt sei hier, daß auch eine dahingehend auslegungsfähige Kompetenzvorschrift wie etwa Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG, wie sie als Rechtfertigungsnorm diskutiert wurde, nicht ersichtlich ist. Als letzter Ansatzpunkt bleibt daher, wie bei der Begutachtung der Situation der Weisungsfreiheit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien durchgeführt 204, verfassungsrechtliche Prinzipien und grundrechtliche Normierungen auf ihren Aussagegehalt hinsichtlich einer Rechtfertigung eines „ministerialfreien“ Raumes zu überprüfen. Bei dieser Überprüfung ist auf die Ausführungen zur Herleitung des Unbefangenheitsgebots als verfassungsrechtliches Prinzip Bezug zu nehmen 205. Danach muß sich die folgende Betrachtung auf die Grundrechtsartikel 1 Abs. 1 GG sowie 3 Abs. 1 GG konzentrieren sowie auf das in Art. 20 Abs. 3 GG enthaltene Rechtsstaatsprinzip. Hinsichtlich der Untersuchung des Rechtsstaatsprinzips und dessen Verhältnis zum Demokratieprinzip ist zu beachten, daß sie vorliegend unter einem anderen Blickwinkel durchgeführt wird, als dies zuvor der Fall war. Denn im Verlauf der Arbeit ist das Verhältnis der verschiedenen Ausformungen des Demokratieprinzips zueinander untersucht und auch die Möglichkeit eines Vorrangs des Demokratieprinzips vor dem Rechtsstaatsprinzip betrachtet worden, insbesondere im Hinblick auf die Anwendbarkeit von Befangenheitsvorschriften auf den befangenen Bundesminister und den Eintritt der gesetzlichen Rechtsfolgen auch in seiner Person. Wie dargelegt, ließ sich ein solcher Vorrang des Demokra-
203 204 205
Kapitel 3, § 10, III. Kapitel 3, § 10, II. Kapitel 2, § 4, III.
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tieprinzips vor dem Rechtsstaatsprinzip nicht nachweisen. An dieser Stelle ist nun in umgekehrter Stoßrichtung danach zu fragen, ob sich von Verfassungs wegen ein Vorrang des Rechtsstaatsprinzips vor dem Demokratieprinzip in der Weise postulieren läßt, daß hieraus die Rechtfertigung eines „ministerialfreien“ Raumes erwachsen kann, m.a.W., ob es die unbedingte Beachtung des Unbefangenheitsgebots gebietet, einen weisungsfreien Raum entstehen zu lassen und zulässigerweise zu dulden. Wie dargelegt, ließ sich das Mitwirkungsverbot befangener Entscheidungsträger (zumindest) aus einer Zusammenschau des Rechtsstaatsprinzips und der Art. 1 Abs. 1 u. Art. 3 Abs. 1 GG herleiten. Für die Rechtfertigung der Weisungsfreiheit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien konnte (auch) auf die Wertungen des Art. 5 GG zurückgegriffen werden. Dabei ergab sich die Forderung nach Freiheit von ministerieller Einflußnahme auf Entscheidungen durch Weisungen aus dem Erfordernis des schonendsten Eingriffs in die Grundrechte selbst. Dieser Gedanke kann für die vorliegende Konstellation indes nicht fruchtbar gemacht werden, da es gerade nicht der Verwirklichung der Grundrechte der Menschenwürde und der Gleichbehandlung dienlich ist, wenn ein amtlicher Entscheidungsträger frei von jeder Weisung gestellt wird. Weisungsfrei muß der Amtsträger nur bezüglich des befangenen Ressortleiters gestellt werden. Daß keinerlei Weisungen – etwa von einer nicht befangenen Stelle – ergehen dürfen, um die Grundrechtsverwirklichung optimal zu gewährleisten, kann dagegen nicht behauptet werden und wäre eine solche Behauptung rechtlich unzutreffend. Damit ist aber zugleich und weitergehend die Aussage getroffen, daß sich aus der grundrechtlichen Herleitung des Unbefangenheitsgebots allgemein kein Vorrang im Sinne einer Überlagerung des Demokratieprinzips nachweisen läßt. Zwar werden die genannten Grundrechte nicht nur optimal, sondern überhaupt erst durch den Ausschluß des Befangenen von der Mitwirkung verwirklicht. Dieser Befund hat indes dazu geführt, daß das Unbefangenheitsgebot als ein solches mit verfassungsrechtlicher Rückbindung angesehen werden muß. Erst aufgrund dieses Befundes kam es zu der im weiteren Verlaufe der Arbeit herausgestellten Kollision eben dieser Verfassungsprinzipien. Dem aus den Grundrechten abgeleiteten Gebot der Unbefangenheit von hoheitlichen Entscheidungsträgern eine Vorrangsstellung vor dem verfassungsunmittelbaren Demokratieprinzip einzuräumen, gelingt indes nicht. Aufgrund der in Kapitel 3 angestellten Untersuchungen und Wertungen ist es zu einer Gleichordnung dieser Prinzipien gekommen, nicht jedoch zu einer – in diesem Falle notwendigen – Überlagerung. Anders könnte sich die Situation hinsichtlich des ebenfalls in der Verfassung unmittelbar normierten Rechtsstaatsprinzips darstellen. Wie erläutert, wurde in der bisherigen Betrachtung nur festgehalten, daß jedenfalls kein Vorrang des Demokratieprinzips vor dem Rechtsstaatsprinzip existiert. Aus dem umgekehrten Blickwinkel sind dazu noch keine Aussagen getroffen worden. Wiederholt
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werden kann an dieser Stelle indes, daß sowohl das Rechtsstaats- als auch das Demokratieprinzip über die in Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegte Abänderungssperre gegenüber sonstigem Verfassungsrecht einen höheren Rang einnehmen 206. Beide dieser Staatsstrukturbestimmungen 207 sind demnach – zumindest in ihrem Kerngehalt – unabänderlich. Ein Geltungsvorrang des einen vor dem anderen Prinzip läßt sich daraus noch nicht ableiten. Im Gegenteil wird vielmehr aufgezeigt, daß die Grenzen der gegenseitigen Beeinflussung resp. Ausgleichung eng gesteckt sind. Diskutiert wird, daß Art. 20 Abs. 3 GG eine Befangenheitsregelung tragen könne, die zu einer institutionellen Behördentrennung führe 208. In weiterer Abgrenzung sollen für Bereiche der inneren und äußeren Sicherheit, wenn institutionelle Befangenheit gegeben sei oder befürchtet werde, Entscheidungen weisungsfrei gestellt werden können. Als besondere Bereiche werden in diesem Zusammenhang die Freistellung vom Kriegsdienst mit der Waffe und die Geltendmachung eines Anspruchs auf Asyl genannt 209. Hierzu ist zum einen anzumerken, daß für den Bereich der institutionellen Befangenheit staatliche Interessen in Konflikt kommen oder jedenfalls die Gefahr dahingehend droht. Das bedeutet, daß der Wille, die konkrete Entscheidung vom Staat fernzuhalten, bewußt und mit Ziel im vorhinein geäußert wird. Kann die Behörde als solche nicht mehr unbefangen entscheiden, weil sie Eigeninteressen verfolgt, muß der Grundrechtsschutz bereits an dieser Stelle eingreifen und dafür Sorge tragen, daß den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Verfahren genügt wird. Ob es in diesem Zusammenhang eines Rückgriffs auf das Rechtsstaatsgebot bedarf oder inwieweit dies zulässig oder überzeugend ist, kann hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist die Ausgangsposition eine gänzlich andere als bei dem Fall (der Besorgnis) der Befangenheit aufgrund privater Interessenkollisionen. Es dient gerade nicht dem Schutz des von der Entscheidung Betroffenen, den Entscheidungsträger weisungsfrei zu stellen. Zum anderen wird anerkannt, daß diese versuchte Systematisierung keine trennscharfe Abgrenzung zuläßt und selbst für den Bereich der gebundenen Verwaltungsentscheidung wird eine „weisungsfreie Ausgestaltung“ als lediglich „eher vertretbar (erscheinend)“ im Verhältnis zu Ermessensentscheidungen dargestellt 210. Zuletzt sollen die getroffenen Erwägungen lediglich dazu führen, daß
206 Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 4, II. 1. (S. 113); Jarass/Pieroth, GG, Art. 79, Rn. 6; Dreier, in: ders., GG, Art. 79, Rn. 11. Zwar ist allgemein anerkannt, daß Art. 20 Abs. 3 GG das Rechtsstaatsprinzip enthält, für eine Rechtfertigungsprüfung muß jedoch auf die einzelnen Ausformungen abgestellt werden. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, daß das Rechtsstaatsprinzip sowohl zur Begrenzung der Weisungsfreiheit als auch zu ihrer Rechtfertigung herangezogen wird, vgl. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 128. 207 Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 4, II. 3. h) (S. 121). 208 Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 167. 209 Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 167.
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für den Gesetzgeber im Falle einer „besonderen Befangenheit“ „Möglichkeiten einer weisungsfreien Ausgestaltung“ gegeben seien 211. Nicht behauptet wird, daß existierende weisungsfreie Räume per se durch die dargelegten Argumente gerechtfertigt seien. Hinsichtlich dieser Erwägungen ist festzuhalten, daß weder der methodologische Ansatz zu überzeugen vermag, noch daß die Gedanken auf den Fall einer auf privaten Aspekten beruhenden Besorgnis der Befangenheit übertragen werden können. Zum Vorgenannten hinzu kommt, daß der Gesetzgeber eine Weisungsfreiheit für die Problematik der Befangenheit des Bundesministers als Ressortleiter nicht normiert hat. Schließlich – und dabei handelt es sich um den entscheidenden Gedanken – ist in einer Gesamtbetrachtung danach zu fragen, aus welchem Grunde weisungsfreie Räume überhaupt zugelassen werden, obwohl dies dem grundgesetzlichen System ununterbrochener Legitimationsketten und -rückbindung widerspricht. Der Grund dafür, daß weisungsfreie Räume – in ihren engen Grenzen – verfassungsrechtlich zulässig sind, ist, daß nur auf diese Weise mit dem Demokratieprinzip kollidierende, mindestens gleichrangige Verfassungsprinzipien effektiv oder auch erst überhaupt Wirkung entfalten können. Die Entwicklung und Verbreitung dieser Bereiche ist mithin stets im Auge zu behalten und müssen sie echte Ausnahmen bleiben, um dem System in seiner Gesamtheit nicht die Grundlage zu nehmen. Vorliegend wäre es geradezu eine Konterkarierung dieser Systematik, ließe man zu, daß eine gesetzgeberisch zu behebende Kollision widerstreitender Verfassungsprinzipien ihre (vermeintliche) Auflösung dadurch erhielte, daß ein Prinzip vollständig hinter das andere zurückträte. In den in Kapitel 3, § 10 analysierten von Verfassungs wegen zulässigen weisungsfreien Räumen war ein Ausgleich – gerade auch auf gesetzgeberischem Wege – nicht möglich. Das aber bedeutet, daß nur dort, wo es zu unauflösbaren Konfliktsituationen kommt, einem Prinzip der Vorrang einzuräumen ist und kann das dadurch verdrängte Prinzip in ganz eng begrenzten Ausnahmefällen auch das der demokratischen Legitimation und Rückbindung sein. Abschließend muß damit festgestellt werden, daß weder ein Vorrang des Rechtsstaatsprinzips in der Ausformung des Unbefangenheitsgebots vor dem Demokratieprinzip nachgewiesen werden kann, noch daß die Annahme eines weisungsfreien Raumes im gegebenen Prinzipienwiderstreit der verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Ministerial- und Parlamentsfreiheit entspräche.
210 Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 168. 211 Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 169 f.
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Kap. 4: Der befangene Bundesminister
VI. Zwischenergebnis Nach den bisherigen Untersuchungen hat sich ergeben, daß der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit – zumindest funktionell – ausschließlich zuständig ist für die Entscheidung über die Erlaubniserteilung nach § 42 Abs. 1 GWB. Die Erlaubnisentscheidung fällt der Bundesminister als „Leiter einer obersten Bundesbehörde“ gem. § 14 Abs. 3 GOBReg. Da der Bundesminister im Falle seiner Befangenheit nicht selbst über den nach § 42 Abs. 1 GWB gestellten Antrag entscheiden darf, stellte sich die Frage nach der Bestimmung der rechtmäßigen Vertretung in diesem Fall. In der Funktion als Leiter einer obersten Bundesbehörde wird der Minister grundsätzlich durch seinen beamteten Staatssekretär nach § 6 Abs. 1 GGO i.V.m. § 14 Abs. 3 GOBReg vertreten. Eine Stellvertretung durch den Parlamentarischen Staatssekretär kommt dagegen in Betracht, wenn diesem entweder allgemein oder speziell die Vertretung in dem Bereich oder in diesem Fall durch den Minister übertragen worden ist. Die ausführliche Analyse des Amtes des beamteten Staatssekretärs hat zu dem Ergebnis geführt, daß dieser zur Verantwortungsübernahme gegenüber dem Parlament nach derzeitiger Rechtslage verfassungsrechtlich nicht berufen ist. Da eine solche Verantwortung aber im Falle seiner Befangenheit auch dem Minister nicht zukommt, war nach Möglichkeiten de lege lata zu suchen, wie die geltende Rechtslage in Einklang mit der verfassungsrechtlichen Vorgabe der parlamentarischen Verantwortlichkeit gebracht werden konnte. Sämtliche Versuche, diese „praktische Konkordanz“ herzustellen, haben jedoch nicht zum Erfolg führen können. Weder eine Zuweisung an einen Ministerkollegen oder den Bundeskanzler selbst war konstruierbar, noch konnte ein verfassungsrechtlich zulässiger Weg gefunden werden, der Bundesregierung als Kollegialorgan die Entscheidungsbefugnis zukommen zu lassen. Auch das zur Entlastung des Bundesministers geschaffene Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs konnte für die Position als „Stellvertreter in der Verantwortung“ nicht fruchtbar gemacht werden. Eine parlamentarische Verantwortlichkeit war und ist für die Person des Parlamentarischen Staatssekretärs nicht vorgesehen. Diese Untersuchung der geltenden Rechtslage, nach der auf verfassungsrechtlich zulässige Weise kein Stellvertreter (oder besser: „Ersetzer“) für den befangenen Bundesminister als Sachentscheider gefunden werden konnte, bedeutete, daß de lege lata ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip zu statuieren war. Auch der letzte Versuch, das Verdikt der Verfassungswidrigkeit von der geltenden Rechtslage abzuwenden, schlug fehl. Der hier vorliegende ministerial- und parlamentsfreie Raum wird weder von der Verfassung selbst gefordert, noch läßt er sich mittelbar im Wege der Auslegung der widerstreitenden Verfassungsprinzipien rechtfertigen. In Ansehung der geltenden Rechtslage muß damit statuiert werden, daß ein unzulässiger Verstoß gegen das Demokratieprinzip in seiner Ausformung der lückenlosen Legitimationskette und Entscheidungsrückführbarkeit gegeben ist. De lege / de constitutione lata ist dieser Zustand nicht zu rechtfertigen.
§ 14 Lösungsmöglichkeiten de lege / de constitutione ferenda
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§ 14 Lösungsmöglichkeiten de lege / de constitutione ferenda Bietet die derzeitige Rechtslage keine Möglichkeit, eine verfassungsrechtlich zulässige Ersetzung des befangenen Bundesministers bei einer ihm zugewiesenen Verwaltungsentscheidung als Ressortleiter zu gewährleisten, muß eine solche de lege / de constitutione ferenda geschaffen werden. Der Begriff der Ersetzung setzt voraus, daß die Aufgabe an Stelle des ausgeschlossenen Ministers erledigt wird. Der Kern, den jede zu betrachtende Option damit zwingend enthalten muß, ist jener der eigenständigen parlamentarischen Verantwortung unter Freistellung des Ersetzten hiervon. Wer in eine solche Position einrücken könnte, hat sich bereits im Rahmen der vorhergehenden Auslegungsbemühungen herauskristallisiert und gibt es für solche Konstellationen z.T. auch – (landes-)verfassungsrechtlich normierte – Vorbilder. Zum einen ist dabei an das Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs zu denken und zum anderen an einen Ministerkollegen. Wenn de lege / de constitutione ferenda mehrere Möglichkeiten in Betracht kommen können, ist zugleich eine Empfehlung hinsichtlich der zu bevorzugenden Umsetzung vorzunehmen – bei gleichrangiger verfassungsrechtlicher Zulässigkeit freilich unter Berücksichtigung mehr rechtspolitischer als rechtsdogmatischer Erwägungen.
I. Ersetzung des befangenen Bundesministers durch den parlamentarisch verantwortlichen Parlamentarischen Staatssekretär 1. Verfassungsänderung in Anlehnung an das baden-württembergische und bayerische Modell Zu Beginn ist der Blick auf die von der grundgesetzlichen Regelung differierenden Normierung in der Bayerischen Verfassung (BV) zu richten, um im folgenden eine rechtliche Übertragbarkeit dieses Modells auf das bundesrepublikanische Regierungssystem prüfen und beurteilen zu können. Der Staatssekretär bayerischer Provenienz wird durch den Ministerpräsidenten mit Zustimmung des Landtages berufen und entlassen, Art. 45 BV. Durch die Berufung wird ein öffentlich-rechtliches Amtsverhältnis zum Freistaat Bayern begründet, Art. 1 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Staatsregierung. Die Staatssekretäre sind nicht „parlamentarische“ in dem Sinne, daß sie Mitglieder des Landtages sein müssen; faktisch entstammen sie diesem zumeist, zwingend ist dies jedoch nicht. Mit ihrer Ernennung einher geht die Zuweisung an einen Staatsminister, § 1 Abs. 4 S. 3 der Geschäftsordnung der Bayerischen Staatsregierung (GOBayStReg) und sind sie verpflichtet, den Staatsminister, dem sie zugewiesen sind, zu unterstützen, § 15 Abs. 2 S. 1 GOBayStReg. Bei dieser Unterstützung sind die Staatssekretäre an die Weisungen „ihres“ Staatsministers
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Kap. 4: Der befangene Bundesminister
gebunden, Art. 51 Abs. 2 S. 1 BV. Der bayerische Staatssekretär ist damit ebenso wie sein bundesrechtlicher Kollege weisungsunterworfener Ministergehilfe. Der Staatsminister trägt für sämtliche Vorgänge seines Geschäftsbereichs – so auch für die Tätigkeit des ihm zugewiesenen Staatssekretärs – die volle parlamentarische Verantwortlichkeit 212. Neben dieser „klassischen“ Funktion jedoch offenbart sich die Besonderheit des Verfassungsrechts des Freistaates Bayern. Unter der Überschrift „Die Staatsregierung“ normiert der erste Artikel, Art. 43 BV, in seinem Absatz 2, daß die Staatsregierung neben dem Ministerpräsidenten aus Staatsministern und Staatssekretären besteht. Jeder gem. Art. 45 BV berufene Staatssekretär ist damit für die gesamte Dauer seiner Amtstätigkeit zugleich Mitglied der Staatsregierung. Sie haben als solche Sitz und Stimme in der Staatsregierung, Art. 43 Abs. 2 BV i.V.m. § 15 Abs. 1 GOBayStReg. Damit sind sie ebenso wie die Minister nicht nur zu der Teilnahme an den Ministerratssitzungen verpflichtet, sondern dürfen sich bei Abstimmungen in diesem Gremium auch nicht der Stimme enthalten, § 11 Abs. 5 S. 1, Abs. 7 S. 2 GOBayStReg, Art. 54 S. 4 BV 213. In dieser Funktion sind die Staatssekretäre vollkommen losgelöst und unabhängig von Einflüssen „ihrer“ Minister, deren Weisungen keine Bindungswirkung auf ihre „Kabinettskollegen“ haben, § 11 Abs. 7 S. 4 GOBayStReg. Ebenso unbeeinflußbar ist für den Minister der Bestellungsvorgang des Staatssekretärs. Ein Mitentscheidungsrecht oder auch nur Beratungs- oder Vorschlagsrecht für den Minister kennt die Bayerische Verfassung nicht; der Ministerpräsident kann nach eigenem Belieben (mit Zustimmung des Landtages) dem Staatsminister die Persönlichkeit beigeben, die er für geeignet erachtet, Art. 45 BV. Gleiches gilt auch für die Entlassung des dem Minister beigegebenen – und ihm unter Umständen unliebsamen – Gehilfen. Neben diesen beiden Funktionen des bayerischen Staatssekretärs, zum einen als Regierungsmitglied und zum anderen als weisungsunterworfener Ressortmitarbeiter, ist er schließlich auch Vertreter des verhinderten Staatsministers. Dabei handelt es sich um den entscheidenden Ansatzpunkt für Überlegungen zur etwaigen Übertragbarkeit auf die bundesministerielle Ebene. Für den Fall der Verhinderung des bayerischen Staatsministers an der Ausübung seiner Amtstätigkeit handelt der Staatssekretär „selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Landtag“, Art. 52 Abs. 2 S. 2 BV. Damit rückt der Staatssekretär vollständig in die Position des Ministers ein und kann „seine“ Politik verfolgen – dies
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Vgl. nur Schweiger, in: Nawiasky/Leusser/Schweiger/Zacher, BV, Art. 50, Rn. 10. Zu beachten bleibt, daß den Staatssekretären immer nur eine Stimme zukommt, auch wenn sie den verhinderten Ressortminister zu diesem Zeitpunkt gem. Art. 51 Abs. 2 S. 2 BV vertreten sollten. Vgl. Schweiger, in: Nawiasky/Leusser/Schweiger/Zacher, BV, Art. 54, Rn. 4; Meder, BV, Art. 50, Rn. 2. 213
§ 14 Lösungsmöglichkeiten de lege / de constitutione ferenda
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freilich innerhalb der vom Ministerpräsidenten festgelegten Richtlinien 214. Der Staatssekretär wird zum Ersetzenden. Bereits zur Rechtslage der Weimarer Verfassung von 1919 wurde vorgetragen, daß eine Übernahme der ministerverantwortlichen Tätigkeiten nicht in Betracht komme und höchstens eine zeitlich begrenzte Ernennung des Staatssekretärs zum „Minister“ möglich sei, da es um eine durchgeformte Verantwortlichkeit mit dem Recht zur Kontrasignatur gehe. Als verfassungsrechtlich einwandfrei wurde dies für die bayerische (Verfassungs-)Rechtslage anerkannt 215, die in § 59 Abs. 1 BV 1919 bestimmte: „Die Minister bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Landtages. Das Gleiche gilt für die Staatssekretäre, soweit sie in Vertretung der Minister selbständig handeln.“ Der bayerische Staatssekretär wurde zu Recht als (substituierendes) Staatsorgan gekennzeichnet, der im Falle der Stellvertretung für seine Amtsführung dem Landtag verantwortlich sei 216. Die §§ 53 ff. BV von 1919 sahen vor, daß die Verantwortung parlamentarisch oder gerichtlich geltend gemacht werden könne. Dies beinhaltete zum einen das persönliche Erscheinen zur Rechenschaftsablegung vor dem Landtag sowie die Möglichkeit eines Mißtrauensvotums und zum anderen die Anklage vor dem Staatsgerichtshof. Die gegenüber dem vertretenden Staatssekretär geltend gemachte Verantwortlichkeit traf ausschließlich diesen. Der Minister wurde für diesen Fall aus der Verantwortlichkeit entlassen. Ein Mißtrauensvotum gegen den in eigener Verantwortung handelnden Staatssekretär hatte zwingend zur Folge, daß dieser zurücktreten mußte 217.
Auch nach aktuellem bayerischen Verfassungsrecht ist der Staatssekretär – ebenso wie der Minister – Regierungsorgan. Zu beachten ist im Vertretungsfall, daß der Staatssekretär nicht etwa die Organposition wechselt und zum Minister wird, sondern er bleibt weiterhin seiner Organstellung Staatssekretär verhaftet, jedoch auf der einen Seite ausgestattet mit allen Rechten des Ministers, auf der anderen Seite aber auch den gleichen Pflichten und Verantwortlichkeiten unterworfen. Zu den Rechten des den Minister vertretenden Staatssekretärs gehört nach Art. 24 Abs. 2 BV, daß er zu jeder Zeit und zu allen Sitzungen des Landtages und seiner Ausschüsse unbeschränkten Zutritt hat und dort auf Verlangen auch gehört werden muß. Diesem Recht korrespondiert indes das Mittel der Interpellation in Absatz 1 zur Geltendmachung der parlamentarischen Verantwortlichkeit durch das Parlament 218. Danach kann sowohl der Landtag als auch jeder Ausschuß das Erscheinen jedes Staatssekretärs verlangen. Die Zitierung des Staatssekretärs vor den Landtag kann dabei gem. § 176 Abs. 1 S. 1 GOBayLT von jedem Mitglied
214 Köhler, Der bayerische Staatssekretär nach der Verfassung von 1946, S. 21; Herzog, BayVBl. 1969, 225 (226). 215 Marschall v. Bieberstein, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 1, § 45, III. A. 1. (S. 525, u.a. Fn. 21). 216 Schmelzle, AnnDR 1926, 361 (368). 217 Schmelzle, AnnDR 1926, 361 (376, 381). 218 Daneben besteht nach Art. 25 BV auch das Recht des Landtages, Untersuchungsausschüsse einzurichten, deren Gegenstand auch ein vom Staatssekretär als Ministervertreter durchgeführtes Vorhaben sein kann.
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Kap. 4: Der befangene Bundesminister
des Landtages beantragt werden. „Erscheinen“ i.S.v. Art. 24 Abs. 1 BV meint hierbei freilich nicht lediglich die physische Anwesenheit, sondern ist im Sinne des „Rede- und Anwort-Stehens“ auszulegen 219. Der Inhalt dieses Interpellationsrechtes schließt als Kontrollmittel vollumfänglich die gesamte Amtsführung des Staatssekretärs ein, das heißt sowohl hinsichtlich der Rechtmäßigkeit seiner Handlungen als auch hinsichtlich ihrer Zweckmäßigkeit 220. Durch ein bewußtes Fernbleiben entgegen eines verbindlichen Zitierungsbeschlusses des Landtages würde der angesprochene Staatssekretär die Verfassung verletzen und wäre der Landtag danach berechtigt, ein weiteres Instrument der Verantwortlichkeitssichtbarmachung zur Geltung zu bringen. Dabei handelt es sich um die Anklage vor dem Verfassungsgerichtshof gem. Art. 59, 62 Abs. 2 BV, die bei dem Vorwurf der vorsätzlichen Verletzung der Verfassung oder eines Gesetzes durch den Landtag erhoben werden kann. Im übrigen besteht neben dieser rein staatsrechtlichen Verantwortlichkeit für den gleichen Tatbestand auch die zivil- und strafrechtliche Verantwortlichkeit nach den allgemeinen Gesetzen 221. Ein (konstruktives) Mißtrauensvotum wie auf Bundesebene sieht die Bayerische Verfassung nicht unmittelbar vor. Statt dessen hat der Ministerpräsident zurückzutreten, wenn die politischen Verhältnisse ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten zwischen ihm und dem Landtag unmöglich machen, Art. 44 Abs. 3 S. 2 BV. Dieser Rücktritt hat zugleich den Rücktritt der gesamten Staatsregierung, damit auch der Staatssekretäre zur Folge, Art. 44 Abs. 3 S. 3 BV. Ein formales Mittel des Landtages, einen für untragbar erachteten Staatssekretär aus der Regierung zu drängen, gibt es demnach nicht. Ebenso wie auf Bundesebene ist es dem Landtag jedoch erlaubt gegen die Regierungsmitglieder, konkrete – wenn auch rechtlich unverbindliche – Mißbilligungs- und Entlassungsvoten zu fassen 222. Ebenfalls als Regierungsmitglieder aufgenommen werden können Staatssekretäre in Baden-Württemberg. Nach Art. 45 Abs. 2 S. 2, Art. 46 Abs. 2 S. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg 223 (LV) werden die Staatssekretäre durch den Ministerpräsidenten ernannt und entlassen und bedarf dieser Akt zusätzlich der Zustimmung des Landtages, Art. 46 Abs. 4 LV. Die Zahl der Staats219 Meder, BV, Art. 24, Rn. 1; Schweiger, in: Nawiasky/Leusser/Schweiger/Zacher, BV, Art. 24, Rn. 2; Gollwitzer, in: FS Bengl, 1984, S. 203 (210), der auch schriftliche und mündliche Anfragen hierzu zählt. 220 Schweiger, in: Nawiasky/Leusser/Schweiger/Zacher, BV, Art. 51, Rn. 3; Meder, BV, Art. 51, Rn. 2. 221 Schweiger, in: Nawiasky/Leusser/Schweiger/Zacher, BV, Art. 59, Rn. 2. 222 Schweiger, in: Nawiasky/Leusser/Schweiger/Zacher, BV, Art. 44, Rn. 5; Köhler, Der bayerische Staatssekretär nach der Verfassung 1946, S. 55. 223 GBl. 1953, 173. Die folgenden Ausführungen behandeln ausschließlich die Institution des „Staatssekretärs nach Art. 45 Abs. 2 LV“. Die 1972 geschaffene Institution des „politischen Staatssekretärs“ in Baden-Württemberg ist hier nicht von Interesse, da diesem keine Kabinettsmitgliedschaft zukommt, vgl. dazu Schneider, in: FS Huber, 1973, S. 167 ff.
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sekretäre darf gem. Art. 45 Abs. 2 S. 3 LV ein Drittel der Zahl der Minister nicht übersteigen. Im Unterschied zum Staatssekretär bayerischer Ausprägung bedeutet die Regierungsmitgliedschaft für den Staatssekretär jedoch nicht automatisch ein Stimmrecht in diesem Gremium, sondern muß ihm dieses durch gesonderten Beschluß des Landtages verliehen werden, Art. 45 Abs. 2 S. 4 LV. Diese beiden Normierungen stellen somit eine nicht unerhebliche Abweichung vom bayerischen Modell dar: Zum einen wird – mit dem Ziel, die Zahl der Regierungsmitglieder möglichst gering zu halten 224 – ihre Anzahl stark eingeschränkt und (weit) unterhalb derer der Minister gehalten und zum anderen muß ihnen das wesenseigene Gewicht eines Regierungsmitgliedes als stimmberechtigt zusätzlich verliehen werden, wobei ersichtlich wird, daß auch ein Verzicht hierauf gut vorstellbar ist und sein soll. Die Rechtsstellung der Staatssekretäre ist im wesentlichen durch die umfassende Aufnahme in das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Regierung 225 (Ministergesetz, MinG), i.V.m. Art. 53 Abs. 1 LV, jener der Minister angeglichen. Danach stehen auch die Staatssekretäre in einem öffentlichrechtlichen Amtsverhältnis zum Land, § 1 MinG; Landtagsmitglieder können sie sein, ist dies aber für eine Ernennung zum Staatssekretär nicht erforderlich. Nach § 3 Abs. 2 MinG soll in der Ernennungsurkunde der Staatssekretäre auch der ihnen übertragene Geschäftsbereich bezeichnet werden. Diese Bestimmung läßt den originären Charakter dieses Amtes erkennen. Konzipiert wurde das Amt nicht als Ministerstellvertreter oder -gehilfe, sondern als „Quasi-Minister“, dem ein eigener Geschäftsbereich, unter eigener Verantwortlichkeit, zukommt 226. Die Vertretung der Minister innerhalb der Ministerien ist den beamteten Ministerialdirektoren aufgegeben 227. Die Landesverfassung spricht an keiner Stelle davon, daß einem Minister ein Staatssekretär „beigegeben“ wird oder diesen „unterstützen“ soll. Wird dem Staatssekretär Stimmrecht im Kabinett verliehen, ist er völlig frei von Weisungen bei dessen Ausübung 228. Der Minister, aus dessen Aufgabenbereich die herausgelöste Befugnis entnommen wurde, kann auf das Abstimmungsverhalten keinen Einfluß nehmen und bleibt der Staatssekretär damit nur an die Richtlinien des Ministerpräsidenten innerhalb des Kabinetts gebunden. In seiner Stellung als Regierungsmitglied unterfällt der Staatssekretär vollumfänglich der parlamentarischen Verantwortlichkeit. So können der Landtag und seine Ausschüsse gem. Art. 34 Abs. 1 LV jederzeit die Anwesenheit des Staatssekretärs verlangen, unterliegt er als Mitglied der Regierung ebenso den Fragerech-
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StGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.2.1973, DÖV 1973, 673 (676). GBl. 1976, S. 438, neu bekannt gemacht GBl. 1991, S. 533 (ber. S. 611). 226 Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 233; Spreng/ Birn/Feuchte, LV Ba-Wü, Art. 45, S. 173; Laufer, Der Parlamentarische Staatssekretär, S. 8. 227 Spreng/Birn/Feuchte, LV Ba-Wü, Art. 45, S. 174. 228 StGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.2.1973, DÖV 1973, 673 (675 f.). 225
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ten des Parlaments, §§ 58 ff. GOLT Ba-Wü, und leistet seinen Amtseid vor dem Parlament, Art. 48 LV, § 4 MinG 229. Auch und insbesondere treffen den Staatssekretär dabei die in den übrigen Bundesländern kaum anzutreffenden Instrumente des (destruktiven) Mißtrauensvotums und der Anklage vor dem Staatsgerichtshof: Art. 56 LV bestimmt, daß der Ministerpräsident ein Regierungsmitglied auf Beschluß von zwei Dritteln des Landtages entlassen muß 230 und kann auch der Staatsgerichtshof einem Staatssekretär sein Amt aberkennen, wenn dieser vorsätzlich oder grob fahrlässig die Verfassung oder ein anderes Gesetz verletzt hat, Art. 57 Abs. 1, 3 LV 231. Das Amt des Staatssekretärs nach Art. 45 Abs. 2 LV fügt sich damit weder an die Konstruktion des Parlamentarischen Staatssekretärs auf bundesdeutscher Ebene an, noch ist es wesensgleich mit jener des Freistaates Bayern. Zentral ist indes auch hier, daß der Staatssekretär als Regierungsmitglied der parlamentarischen Verantwortlichkeit unterworfen ist. Der Staatssekretär baden-württembergischer und bayerischer Ausprägung ist wie gesehen dauerhaft vollwertiges Regierungsmitglied und handelt selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Landtag. Nach bayerischem Verfassungsrecht agiert der Staatssekretär zudem als „Stellvertreter“ des verhinderten Ministers und erfüllt auch diese Aufgabe gesondert selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Landtag. Diese Konstruktion erfüllt umfassend die an sie von Seiten des Demokratieprinzips gestellten Anforderungen der parlamentarischen Verantwortlichkeit und Rückführbarkeit der hoheitlichen Entscheidungen. Rechtsdogmatisch läßt sich festhalten, daß es bei Existenz einer solchen Konstruktion auf Bundesebene nicht zu dem dargestellten verfassungswidrigen Zustand gekommen wäre. In Anlehnung an das baden-württembergische und bayerische Modell könnte de constitutione ferenda ein verfassungsgemäßer Zustand im Fall des befangenen Bundesministers wie folgt hergestellt werden 232.
229 Spreng/Birn/Feuchte, LV Ba-Wü, Art. 45, S. 178, die im Eid der Regierungsmitglieder den Ausdruck ihrer Verantwortlichkeit gegenüber dem Landtag sehen. 230 Mißbilligungsvoten bleiben daneben zulässig, vgl. Maurer, in: Bretzinger, Staatsund Verwaltungsrecht für Baden-Württemberg, I. Teil, Rn. 87. 231 Vgl. Spreng/Birn/Feuchte, LV Ba-Wü, Art. 45, S. 194, zu der geringen praktischen Bedeutung, insbesondere vor dem Hintergrund, daß einzelne Minister und Staatssekretäre über Art. 56 LV aus der Regierung entfernt werden können. 232 Vgl. dazu bereits Honnacker/Grimm, GOBReg, Ergänzungsheft, § 14 n.F., S. 17: „Wenn ein Bedürfnis für einen mit allen Kompetenzen ausgestatteten Stellvertreter eines Bundesministers besteht, so sollte dies durch eine entsprechende Ergänzung des Art. 62 GG erfüllt werden. . . . erscheint eine solche, verfassungsrechtlich einwandfreie Lösung durchaus nicht utopisch. Die Bestimmungen der Art. 50 Abs. 2 und Art. 51 Abs. 2 der Bayer. Verfassung könnten hier auch für den Bund als Leitlinie für eine Verfassungsänderung dienen.“
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Neufassung des Art. 62 GG: „Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern. Diesen Regierungsmitgliedern können Parlamentarische Staatssekretäre zu ihrer Unterstützung beigegeben werden; in diesem Falle sind auch die Parlamentarischen Staatssekretäre Mitglieder der Bundesregierung. Ihre Ernennung, Entlassung und Amtsbeendigung unterliegen den gleichen Vorschriften, wie sie für die Bundesminister gelten.“ Neufassung des Art. 65 GG: Die bisherigen Sätze 1-4 werden zu Absatz 1, Einfügung eines neuen Absatzes 2: „(2) Der einem Regierungsmitglied beigegebene Parlamentarische Staatssekretär ist in dieser Funktion an dessen Weisungen gebunden. Stellvertreter eines Bundesministers kann nur ein anderes Regierungsmitglied sein. Wird ein Bundesminister durch den ihm beigegebenen Parlamentarischen Staatssekretär vertreten, handelt dieser selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Bundestag und gelten für ihn in dieser Funktion alle Rechte und Pflichten des Bundesministers.“ Durch die Verankerung des Amtes des Parlamentarischen Staatssekretärs im Grundgesetz in dieser Weise sind dessen Entscheidungen als Stellvertreter des Ministers parlamentarisch rückführbar und genügen damit den dargestellten Erfordernissen des Demokratieprinzips. Neben der verfassungsrechtlichen Normierung bedürfte es folgend weiterer Änderungen von Vorschriften (insbesondere ParlStG und GOBReg), die an dieser Stelle jedoch nur exemplarisch behandelt werden sollen: § 1 Abs. 1 ParlStG müßte ein in folgender Weise gefaßter Satz 2 angefügt werden: „Durch die Ernennung werden die Parlamentarischen Staatssekretäre Mitglieder der Bundesregierung.“ § 14 Abs. 3 GOBReg müßte folgende Fassung erhalten: „Als Leiter einer obersten Bundesbehörde wird ein Bundesminister im Falle seiner Befangenheit durch den ihm beigegebenen Parlamentarischen Staatssekretär vertreten. Im Falle einer sonstigen Verhinderung wird ein Bundesminister durch den Staatssekretär und in dem Aufgabenbereich, der dem Parlamentarischen Staatssekretär nach § 14a übertragen worden ist, sowie in den von ihm bestimmten Einzelfällen von diesem vertreten.“
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a) Kritische Bewertung des baden-württembergischen und bayerischen Modells Mit der Schaffung des Amtes des Staatssekretärs nach bayerischem Verfassungsrecht, „dieser merkwürdigen Institution“ 233, wurden besondere Hoffnungen verbunden. Diese lagen zum größten Teil in der bis dahin ungekannten starken Stellung des Staatssekretärs begründet. Durch einen als Regierungsmitglied in dieser Funktion dem Minister gleichwertigen Amtsinhaber war man insbesondere in der Lage, verschiedene politische Färbungen sowohl von Koalitionspartnern als auch Parteiflügeln im Kabinett einzubinden. Durch die Heraushebung der Stellung des Staatssekretärs als politisches Schwergewicht, im Gegensatz zu anderen bundes- und landesrechtlichen Regelungen, wollte man zum anderen besonders motivierte und leistungsfähige Anwärter gewinnen, auch unter dem Aspekt, daß sich diese in einer Art „Ministerschule“ bewähren konnten. Ob sich diese Hoffnungen erfüllt haben, blieb umstritten 234. Neben diesen Hoffnungen, die sich jedenfalls erfüllen können, bestehen aber auch grundsätzliche rechtspolitische Bedenken gegen die Lösung des bayerischen Verfassungsgebers. Die „Zwitterstellung“ des bayerischen Staatssekretärs zum einen als weisungsunterworfener Ministergehilfe und zum anderen als gleichberechtigtes Kabinettsmitglied, das unabhängig vom Abstimmungsverhalten „seines“ Ministers und damit sogar gegen ihn stimmen kann, ist eine Position, die sich schwerlich mit der Funktion als echter „Gehilfe“ vereinbaren läßt 235. Im Bereich der obersten Staatsleitung sollte so wenig Raum wie möglich für effizienzmindernde Differenzen und politische Friktionen verbleiben. Der Staatssekretär darf nicht zum contre-Minister werden und ist bereits die Gefahr eines solchen Zustandes ein schwerwiegendes Argument gegen die Einrichtung in dieser Ausprägung. Diese Stellung erhält aber auch und gerade der Staatssekretär nach der badenwürttembergischen Konzeption der prinzipiellen Gleichordnung im Kabinett. In
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Herzog, BayVBl. 1969, 225. Herzog, BayVBl. 1969, 225 (229) etwa spricht von einem „wertvollen Durchgangsund Vorbereitungsstadium des Ministernachwuchses“; i.d.S. auch Laufer, Der Parlamentarische Staatssekretär, S. 7; Gallois, Rechtsstellung und Aufgaben des Parlamentarischen Staatssekretärs, S. 142 spricht davon, daß sich die Einrichtung bewährt habe; grds. positiv auch Schweiger, in: Nawiasky/Leusser/Schweiger/Zacher, BV, Art. 50, Rn. 11. 235 Dürig, Aktuelle institutionelle Sorgen zur Spitzengliederung der Bundeswehr, S. 19 ff. (29), in: Stellvertretung im Oberbefehl, spricht von schlechten Erfahrungen und davon, daß diese Doppelstellung „organisatorisch und persönlich nicht auszuhalten“ sei; Fehlig, Die Rechtsstellung des Staatssekretärs im deutschen Staatsrecht, S 245, sieht „schwerwiegende Nachteile“ dieser Regelung; bereits Schmelzle, AnnDR 1926, 361 war der Ansicht, daß es sich um „keine sehr glückliche“ Besonderheit handele; Schäfer, DÖV 1969, 38 (40) beurteilt die bayerische Regelung als Beispiel, „wie es im Bund nicht gemacht werden sollte.“ 234
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die Vertreterrolle soll er danach gar nicht wechseln und ist er als Herr über einen eigenen Geschäftsbereich „Quasi-Minister“. Des weiteren ist die Rechtsentwicklung gerade auch in Bayern zu beachten. In der Bayerischen Verfassung war bis zum Jahre 1998 in Art. 50 Abs. 2 S. 1 bestimmt, daß jedem Minister ein Staatssekretär als Stellvertreter zugewiesen werden mußte. Damit war die Verdoppelung der Staatsregierung zwingend vorgeschrieben. Diese Tatsache stand einer effektiven Regierungstätigkeit derart im Wege, daß durch eine Verfassungsänderung Art. 43 Abs. 2 BV dahingehend geändert wurde, daß neben dem Ministerpräsidenten nur noch insgesamt maximal 17 weitere Staatsminister und Staatssekretäre zum Kabinett gehörten durften. Ziel war die Verkleinerung der Staatsregierung 236. Derzeit sind Mitglieder der Bundesregierung der Bundeskanzler und 13 Bundesminister. Jedem Bundesminister ist mindestens ein Parlamentarischer Staatssekretär zugeordnet. Selbst wenn man lediglich jeweils einen der Parlamentarischen Staatssekretäre jedes Ministeriums zu den Sitzungen des Kabinetts hinzuziehen würde, würde auch hier die (fast) Verdoppelung der Teilnehmer von 14 auf 27 stattfinden. Der Effizienzverlust liegt auf der Hand. Wurde soeben festgehalten, daß es in jedem Ministerium derzeit mindestens einen Parlamentarischen Staatssekretär gibt, muß hinzugefügt werden, daß dies – auch nach der vorgeschlagenen Verfassungsänderung – nicht zwingend der Fall sein muß. Es ist nämlich durchaus denkbar, speziell in kleineren Ministerien, die Stelle des Parlamentarischen Staatssekretärs unbesetzt zu lassen bzw. gar nicht erst zu schaffen. Nach den derzeitigen tatsächlichen Verhältnissen auf bundesdeutscher Ebene besteht – unter Annahme der geänderten Verfassungslage – damit zwar eine verfassungskonforme Lösung der aufgeworfenen Stellvertretungsproblematik im Falle eines befangenen Bundesministers. Indes wäre dieser (grundsätzlich zu begrüßende) Zustand lediglich eine Momentaufnahme. Zum einen stellt sich unmittelbar die Frage nach der positiven Auswirkung der Verfassungsänderung auf die gestellte Problematik für den Fall, daß es bei dem betroffenen Minister keinen Parlamentarischen Staatssekretär gibt. Zum anderen ist auch – wenn die angestrebte Lösung von Sinn und Dauer sein soll – die Anschlußproblematik im Auge zu behalten: Was geschieht, wenn auch gegen den nun parlamentarisch verantwortlich gestellten Parlamentarischen Staatsekretär aufgrund einer (Besorgnis der) Befangenheit Ausschlußgründe geltend gemacht werden? 237 Auf beide Fragen vermag das bayerische Modell ebenso wenig wie
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LT-Drs. 13/9366, S. 1 u. 7. Vgl. dazu nur die Modifizierte Ministererlaubnis v. 18.9.2002, WuW 2002, 1095 (1098), Nr. 53: Von einzelnen Beigeladenen wurden auch gegen den Staatssekretär Dr. Tacke Befangenheitsvorwürfe mit der Forderung nach seinem Verfahrensausschluß geltend gemacht. Dr. Tacke wurde am 01.01.2005 Vorstandsvorsitzender bei der Steag AG. Die Steag AG ist 100%ige Tochter der RAG Aktiengesellschaft. Dr. Müller ist seit dem 237
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das baden-württembergische eine abstrakte Lösung bereit zu halten. In BadenWürttemberg vergegenwärtigt sich die Problematik zudem noch unmittelbarer. Aufgrund des verfassungsrechtlichen Verbots, eine gleich hohe Anzahl Minister und Staatssekretäre in die Regierung aufzunehmen, kann dieser Ansatzpunkt nicht für eine bundesdeutsche Regelung Pate stehen. Wäre damit auch im konkreten Auslöserfall – die erläuterte Verfassungsänderung vorausgesetzt – eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende „Stellvertretung“ möglich gewesen, kann der Ruf nach einer allgemein gültigen Regelung doch nicht überhört werden. Damit aber muß statuiert werden, daß es sich bei dem Lösungsansatz de constitutione ferenda in Anlehnung an das baden-württembergische und bayerische Modell zwar um eine verfassungsrechtlich zulässige, indes rechtspolitisch nicht optimale Option handelt. 2. Verfassungsänderung in Anlehnung an das Modell des österreichischen Verfassungsrechts und § 16 GORReg 1924 Einen anderen Weg hinsichtlich Funktion und Rechtsstellung der Staatssekretäre hat die Verfassung der Republik Österreich (B-VG) 238 beschritten. Grundsätzlich erinnert die Konstruktion an jene des Staatssekretärs auf bundesdeutscher Ebene, sowohl in seiner beamteten als auch parlamentarischen Ausprägung. Art. 78 Abs. 2 B-VG bestimmt, daß den Bundesministern zu ihrer Unterstützung in der Geschäftsführung und zur parlamentarischen Vertretung Staatssekretäre beigegeben werden können. Diese werden auf die gleiche Weise bestellt und scheiden auf gleiche Weise aus dem Amt aus wie die Bundesminister. Das bedeutet, sie werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers durch den Bundespräsidenten, Art. 70 Abs. 1 B-VG, ernannt und entlassen. Bei seinem Vorschlag muß sich der Bundeskanzler nicht dem Wunsch des betreffenden Ministers beugen oder auch nur mit ihm abstimmen. Es obliegt seinem eigenen politischen Kalkül, dem Minister einen Staatssekretär beizugeben 239. Neben der Zuweisung als allgemeiner Ministergehilfe können den Staatssekretären – mit ihrer Zustimmung – auch bestimmte Aufgaben durch den Minister übertragen werden. Sowohl bei Erfüllung dieser Aufgaben als auch im allgemeinen ist der Staatssekretär dem Minister unterstellt und an dessen Weisungen gebunden, Art. 78 Abs. 3 B-VG. Die Staatssekretäre sind verpflichtet, „ihren“
06.06.2003 Vorsitzender des Aufsichtsrats der Steag AG. Dr. Müller warb Dr. Tacke persönlich als Vorstandsvorsitzenden, vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion, BT-Drs. 15/3793. 238 BGBl. Nr. 1/1930 idF BGBl. I Nr. 118/2004. 239 Wieser, Der Staatssekretär, S. 113.
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Minister in der Ressortleitung zu unterstützen und seine Politik in den Beamtenapparat hinein zu tragen und zu konkretisieren. Sämtliche Handlungen, die der Staatssekretär in dieser Funktion vornimmt bzw. anordnet, werden dem Minister zugerechnet, und dieser trägt umfassend und ausschließlich die parlamentarische Verantwortung hierfür 240. Insoweit ähnelt ihre Rechtsstellung jener der beamteten Staatssekretäre in bundesdeutschen Ministerien. Im Unterschied hierzu sind die österreichischen Staatssekretäre indes gerade keine Beamten; sollten sie vor ihrer Ernennung solche gewesen sein, werden sie außer Dienst gestellt, § 19 Abs. 1 Nr. 1 BDG. Des weiteren ist es möglich – und in der Praxis überwiegend der Fall –, daß die Staatssekretäre Mitglieder des Nationalrates sind, Art. 70 Abs. 2 B-VG. Als nicht-beamtetes Mitglied der Volksversammlung ist ihnen somit in dieser Hinsicht die Rechtsstellung der Parlamentarischen Staatssekretäre bundesdeutscher Provenienz zueigen. Im weiteren ist ihnen neben ihren Ressortleitungsaufgaben auch und gerade die Aufgabe zugewiesen, die Regierungsarbeit „ihres“ Ministers zu unterstützen und die Kommunikation mit dem Parlament aufrecht zu erhalten 241. Unter der Überschrift „Die Bundesregierung“ bestimmt Art. 69 Abs. 1 S. 1 BVG, daß mit den obersten Verwaltungsgeschäften des Bundes der Bundeskanzler, der Vizekanzler und die übrigen Bundesminister betraut sind. Satz 2 enthält dabei die verfassungsrechtliche Zentralnorm hinsichtlich der Zusammensetzung der Bundesregierung: Diese besteht aus dem Bundeskanzler, dem Vizekanzler und den übrigen Bundesministern. Hierbei handelt es sich um eine abschließende Aufzählung. Das bedeutet, daß im Gegensatz zum bayerischen und badenwürttembergischen Modell der österreichische Staatssekretär nicht Mitglied der Regierung ist 242. Die darüber hinausgehende, besondere – und verfassungsrechtlich bemerkenswerte – Stellung des österreichischen Staatssekretärs kann sich aus Art. 73 Abs. 1 B-VG ergeben. Dieser bestimmt in seinem Satz 1: „Im Falle der zeitweiligen Verhinderung eines Bundesministers betraut der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers im Einvernehmen mit dem zu vertretenden Bundesminister oder, falls dies nicht möglich ist, im Einvernehmen mit dem Vizekanzler einen der Bundesminister, einen dem verhinderten Bundesminister beigegebenen Staatssekretär oder einen leitenden Beamten des betreffenden Bundesministeriums mit der Vertretung.“ Die Folge einer solchen „Vertretung“ eines verhinderten Ministers durch
240 Adamovich, HdbÖVerfR, S. 243; Wieser, Der Staatssekretär, S. 8; der Staatssekretär unterliegt weder dem Interpellationsrecht nach Art. 52 B-VG, noch der Anklage vor dem Verfassungsgerichtshof gem. Art. 76, 142 B-VG; Schambeck, in: GS Imboden, 1972, S. 293 (301 ff.) zu den einzelnen Kontrollrechten. 241 Wieser, Der Staatssekretär, S. 122. 242 Walter/Mayer, B-VG, IV. Teil, Rn. 677; Adamovich, HdbÖVerfR, S. 244; Wieser, Der Staatssekretär, S. 123 ff.
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den Staatssekretär ist die, daß der Staatssekretär „die gleiche Verantwortungwie ein Bundesminister“ trägt, Art. 73 Abs. 1 S. 2 B-VG. Über diese Schaltstelle wird der Staatssekretär aus seiner Hilfsfunktion herausgehoben und selbst als Ressortleiter installiert, Art. 77 Abs. 3 S. 1 B-VG. Dabei soll nicht übersehen werden, daß der Staatssekretär durch die Ernennung nicht selbst zu einem Bundesminister wird, sondern an die Stelle dessen tritt und damit eine „fremde Organfunktion“ ausübt 243. In der Position dieses Organs ist der vertretende Staatssekretär funktionell Regierungsmitglied und hat als solches Sitz und Stimme im Ministerrat 244. Durch das Einrücken in die funktionelle Rechtsstellung des verhinderten Bundesministers ist der Staatssekretär bei Ausübung dieser Aufgabe selbst keinen Weisungen unterworfen, sondern kann vielmehr selbst nach eigenem Ermessen Weisungen innerhalb des ihm nun untergeordneten Ministeriums erteilen 245. Die hier vorgenommene „Ersetzung“ eines Amtswalters durch einen anderen bedingt den vollständigen Übergang der Stellung als Adressat parlamentarischer Verantwortlichkeit. Für als ernannter „Vertreter“ des verhinderten Ministers vorgenommene Handlungen und Anweisungen ist der Staatssekretär wie vorher der Bundesminister verantwortlich; dieser wird aus der Verantwortung entlassen 246. Damit trifft den Staatssekretär das Interpellationsrecht des Parlaments, Art. 52 B-VG und die Anklagemöglichkeit vor dem Verfassungsgerichtshof gem. Art. 73 Abs. 1 S. 2, 76, 142 B-VG. Schließlich kann der Nationalrat dem Staatssekretär in seiner Vertreterfunktion auch das Vertrauen entziehen, Art. 74 Abs. 1 u. 2, mit der Folge, daß dieser der „Ministerfunktion“ zu entheben und wieder ausschließlich als Staatssekretär Amtswalter ist. Bei Fortfall des Verhinderungsgrundes des Ministers endet die Rechtsstellung des Staatssekretärs als „Vertreter“. War die Ernennung durch den Bundespräsidenten lediglich befristet, endet diese Stellung automatisch durch Zeitablauf; handelte es sich um eine unbefristete Ernennung, bedarf es eines actus contrarius des Bundespräsidenten, der bei Wegfall des Verhinderungsgrundes zu dessen Erlaß verpflichtet ist 247. Zugleich endigt die parlamentarisch verantwortliche Stellung des Staatssekretärs und geht diese wieder auf den vormals verhinderten Bundesminister über. Der Staatssekretär ist wieder reiner Ministergehilfe. Ein historisches Vorbild für diese Konstellation ist auch in § 16 der Geschäftsordnung der (deutschen) Reichsregierung von 1924 248 zu finden. Die Problematik der Ersetzung eines Reichsministers wurde in dessen Absatz 3 wie folgt geregelt: 243
Wieser, Der Staatssekretär, S. 342. Wieser, Der Staatssekretär, S. 374. 245 Mayer, B-VG, Art. 78 Nr. II. 3. 246 Wieser, Der Staatssekretär, S. 349; Walter/Mayer, B-VG, IV. Teil, Rn. 693; Adamovich, HdbÖVerfR, S. 241. 247 Wieser, Der Staatssekretär, S. 353 f. 248 RMBl. 1924, S. 173 ff. 244
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„Wer vom Reichspräsidenten mit der Wahrnehmung der Geschäfte eines Reichsministers beauftragt ist, kann selbst gegenzeichnen.“ Die Systematik der Vorgangs und auch die Rechtsfolgen stimmen – wie auf den ersten Blick ersichtlich wird – mit jener des geltenden österreichischen Verfassungsrechts überein. So bedarf es einer speziellen Beauftragung der substituierenden Person durch das Staatsoberhaupt und rückt diese Person – versinnbildlicht durch den Akt des Gegenzeichnens – in die „gegenüber dem Reichstag“ verantwortliche Position ein, während der jeweilige Reichsminister für den konkreten Vorgang aus eben dieser Verantwortung entlassen wird. Die optionale Doppelstellung des Staatssekretärs nach österreichischem Verfassungsrecht und ehemaligem deutschen Reichsrecht, zum einen als Ministergehilfe und zum anderen als ersetzendes Regierungsmitglied, stellt wie gesehen eine flexible und grundsätzlich die parlamentarische Rückbindung gewährleistende Lösungsmöglichkeit dar. Da es auch diesem Modell gelingt, die widerstreitenden Verfassungsprinzipien im Falle der Verhinderung eines Bundesministers aufgrund Befangenheit in verfassungsrechtlich zulässiger Weise miteinander in Einklang zu bringen, soll eine Übertragung auch dieser Möglichkeit in das bundesdeutsche Verfassungsrecht versucht werden: Neufassung des Art. 65 GG: Die bisherigen Sätze 1-4 werden zu Absatz 1, Einfügung eines neuen Absatzes 2: „(2) Der einem Regierungsmitglied beigegebene Parlamentarische Staatssekretär ist in dieser Funktion an dessen Weisungen gebunden. Im Falle der zeitweiligen Verhinderung eines Bundesministers aufgrund Befangenheit in seiner Funktion als Leiter einer obersten Bundesbehörde ernennt der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers einen dem verhinderten Bundesminister beigegebenen Parlamentarischen Staatssekretär zum Vertreter. Dieser Vertreter trägt die gleiche Verantwortung wie ein Bundesminister.“ Im Anschluß an die Verfassungsänderung müßte auch die GOBReg geändert werden, um insbesondere für den Fall der Befangenheit des Bundesministers in seiner Funktion als Ressortleiter die Vertretungssituation zu klären. § 14 Abs. 3 GOBReg müßte folgende Fassung erhalten: „Als Leiter einer obersten Bundesbehörde wird ein Bundesminister im Falle seiner Befangenheit durch den ihm beigegebenen Parlamentarischen Staatssekretär vertreten. Im Falle einer sonstigen Verhinderung wird ein Bundesminister durch den Staatssekretär und in dem Aufgabenbereich, der dem Parlamentarischen Staatssekretär nach § 14a übertragen worden ist, sowie in den von ihm bestimmten Einzelfällen von diesem vertreten.“
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a) Kritische Bewertung des in Anlehnung an das gegenwärtige österreichische System und § 16 GORReg 1924 entwickelten Lösungsvorschlags Die Rechtslage, wie sie die Verfassung der Republik Österreich für den Fall der Vertretungsnotwendigkeit bei der Verhinderung eines Bundesministers schafft und wie sie im Deutschen Reich 1924 bestand, bietet viele Vorzüge. Neben der Beibehaltung einer geringen und gleichbleibenden Anzahl von Regierungsmitgliedern, die ein effizientes Regieren ermöglicht, fällt insbesondere ein sachtatsächlicher Vorteil ins Auge. Der konkrete Sachentscheider kommt nach den genannten Vorbildern unmittelbar aus dem Ministerium und ist er oberster Repräsentant des Hauses. Die Vertrautheit sowohl mit dem Ministerium selbst (und dessen Organisation), als auch mit der Spezialmaterie machen ihn zum idealen Entscheider für den Fall, daß der Minister selbst die Entscheidung nicht vornehmen kann. Für eine – gerade an rechtspolitischen Erwägungen zu messende – Ausfilterungeiner abschließenden Umgestaltungsempfehlung wird dieses Modell daher zum Ausgangspunkt zu machen sein. Auf der anderen Seite ist zu bemerken, daß auch die in Österreich und im ehemaligen Deutschen Reich verwirklichte Rechtslage nicht gänzlich ohne Einschränkungen übernommen werden kann. Denn ebenso wie dies in Baden-Württemberg und Bayern der Fall ist, stellt sich die Anschlußfrage nach der Stellvertretung und der parlamentarischen Verantwortlichkeit bei eigener Verhinderung des Staatssekretärs oder für den Fall, daß ein solcher im betreffenden Ministerium gar nicht existiert. Für diese Konstellation verbleibt es bei der aufgezeigten verfassungswidrigen Rechtslage, so daß diese Anschlußproblematik in einem endgültigen Änderungsvorschlag zu berücksichtigen sein wird.
II. Ersetzung des befangenen Bundesministers durch einen Ministerkollegen Haben die bisherigen Untersuchungen sich mit der Rechtsstellung des Instituts des (Parlamentarischen) Staatssekretärs und dessen Einrücken in eine parlamentarisch verantwortliche Position beschäftigt, soll zuletzt ein Blick auf die scheinbar naheliegenste Möglichkeit geworfen werden: Die Ersetzung durch einen Ministerkollegen. Dieser ist Regierungsmitglied und als solches auch bereits gem. § 14 Abs. 1 GOBReg als Stellvertreter des „in der Regierung“ verhinderten Kabinettskollegen vorgesehen. Die parlamentarische Verantwortlichkeit in seiner Person ist identisch mit jener des verhinderten Kollegen und besteht eine Notwendigkeit für eine Verfassungsänderung daher nicht. Weder würde ein neues Regierungsmitglied installiert, noch würde ein grundsätzlich regierungsfremder Amtswalter mit Ministeraufgaben betraut. Ein Eingriff in die Ressorthoheit des verhinderten Ministers kann ebenfalls nicht festgestellt werden, da der befangene Minister für die jeweilige Entscheidung, wie ausführlich dargelegt, von jeglichen Mitwir-
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kungsrechten ausgeschlossen ist. Die Vertretung durch den Inhaber eines anderen Ressorts würde damit kein unzulässiges Einwirken in eine dem ursprünglichen Ressortminister vorbehaltene Entscheidung 249 bedeuten – diese wurde gerade von Verfassungs wegen aus der Einflußsphäre des befangenen Kollegen herausgelöst. Aufgrund der Mitgliedschaft des Ministerkollegen im Kabinett und der damit einhergehenden parlamentarischen Verantwortlichkeit, Art. 62 u. Art. 65 S. 2 GG, genügt für die wirksame Einsetzung als Vertreter das Zurückgreifen auf die internen Vertretungsbestimmungen der Regierung. Eines gesonderten Ernennungsaktes – wie es etwa für die Staatssekretäre von Nöten wäre – bedarf es nicht. Auf Basis dieser Erwägungen ist damit folgende Formulierung für eine Ergänzung des § 14 Abs. 3 GOBReg durch einen Satz 2 vorzuschlagen: „Im Falle der Verhinderung aufgrund Befangenheit oder ihrer Besorgnis wird der Bundesminister durch einen Ministerkollegen nach Abs. 1 vertreten.“ 1. Kritische Bewertung des Vorschlags der Vertretung durch einen Ministerkollegen Bei der kritischen Bewertung dieses Normierungsvorschlages fallen unmittelbar und zuerst positive Aspekte ins Auge. Der vorgeschlagene Weg bietet sowohl in der Rechtsanwendung absolute Klarheit, als auch besticht er durch die Einfachheit seiner Umsetzung. Eine Verfassungsänderung wäre nicht nötig, sondern genügte lediglich ein Beschluß der Bundesregierung zur Änderung ihrer Geschäftsordnung unter anschließender Genehmigung durch den Bundespräsidenten. Auch die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien bedürfte durch ihren pauschalen Verweis in § 6 Abs. 1 keiner Anpassung. Dem Parlament stünde damit
249
Eine Zuweisung der Stellvertretungszuständigkeit an die Bundesregierung als solche oder an den Bundeskanzler wäre hingegen zumindest auch unter Rechtmäßigkeitsgesichtspunkten problematisch. Wie dargelegt, kann bereits die eigene parlamentarische Verantwortlichkeit des Bundeskabinetts in Frage gestellt werden und wäre die Installierung des Bundeskanzlers als einzelweisungsbefugter Ressortchef für die konkrete Entscheidung auch nicht unerheblichen Bedenken bezüglich einer – rein geschäftsordnungsmäßig vorgesehenen – „Kristallisierung“ der Richtlinienkompetenz auf den Einzelfall ausgesetzt. Wie ebenfalls ausführlich auseinandergesetzt wurde, handelt es sich zwar bei der Frage nach der Vertretung des befangenen Bundesministers um eine grundsätzliche, nicht jedoch ist die jeweils zu entscheidende Fallgestaltung selbst von eben dieser grundsätzlichen Bedeutung, als daß sie als „im Prinzipiellen wurzelnd“ angesehen werden könnte. Neben diesen Rechtmäßigkeitserwägungen stehen ergänzend noch solche der Zweckmäßigkeit. Die Sinnhaftigkeit der Übertragung des Erlasses eines Verwaltungsaktes auf das gesamte Gremium stellt eine organisatorische Herausforderung dar und bedarf es auf die ohnehin gegebene Arbeitsbe(über-)lastung des Bundeskanzlers keines weiteren Hinweises. Auf diese – auf den ersten Blick – unter Umständen denkbaren Lösungsansätze war daher nicht weiter einzugehen.
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ein vollumfänglich und originär verantwortlicher Adressat zur Geltendmachung seiner Rechte gegenüber, und die Situation der Stellvertretungsnotwendigkeit würde gleichsam geräuschlos erledigt. Des weiteren gilt es zu beachten, daß damit auch solchen Einwänden der Boden entzogen wäre, die eine Entscheidung durch den Staatssekretär als unzulässig erachten, da dieser bereits aufgrund seiner grundsätzlichen Weisungsgebundenheit als Ministergehilfe in jedem Falle selbst als befangen anzusehen sei 250. Damit zusammenhängend ist ein weiterer positiver Aspekt einer „ministeriellen“ Lösung zu erwähnen: Fiele auch der als Vertreter plangemäß vorgesehene Ministerkollege aufgrund Verhinderung als Sachentscheider aus, könnte ohne weiteres auf den ihn vertretenden Kollegen zurückgegriffen werden. Die oben als Anschlußproblematik bezeichnete Frage nach der Vertretung des Vertreters wirft bei dieser Konstruktion keine verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten auf. Für den diese Untersuchung auslösenden Fall der Erlaubnisentscheidung nach § 42 Abs. 1 GWB käme ergänzend hinzu, daß die Stellvertretung durch einen Ministerkollegen der von einigen Stellen als zu beachtend herausgehobenen Bezeichnung der Entscheidung als „Ministererlaubnis“ auch formell Genüge tun würde. Bei der Entscheidung selbst könnte sich der Stellvertreter des Sachverstandes des Ministeriums bedienen und darauf basierend seine Entscheidung fällen. An genau dieser Stelle jedoch gilt es, sich den konkreten Vorgang der Entscheidungsvertretung vor Augen zu führen. Im Falle der Befangenheit des einen Bundesministers als Ressortleiter tritt – nach erfolgter Änderung der Geschäftsordnung – der im Vertretungsplan vorgesehene Ministerkollege in dessen Stellung ein. Der vertretende Kollege findet sich plötzlich in einer Position wieder, in der er in einem fremden Ministerium, mit ihm fremden Mitarbeitern mit einer ihm unbekannten Entscheidungsmaterie konfrontiert wird. Freilich könnte es dem Minister theoretisch gelingen, sich unter besonderem zeitlichen Einsatz derart intensiv in die relevante Materie einzuarbeiten, daß er unter von ihm gesteuerter und organisierter Vor- und Zuarbeit des Ministeriums eine eigenständige Entscheidung zu fällen in der Lage wäre. Führt man sich den Grund für die Schaffung des Amtes des Staatssekretärs und des Parlamentarischen Staatssekretärs vor Augen, wird ersichtlich, wie realitätsfern eine solche (Wunsch-)Vorstellung ist. Die bereits vorhandene Arbeitsüberlastung der Bundesminister ist so groß, daß sie auf umfassende Unterstützung durch Spitzenbeamte resp. -politiker zwingend angewiesen sind. Würde man diese Stützen aus dem System der ministeriellen Organisation entfernen, bräche die Entscheidungsfähigkeit der obersten Bundesbehörde in sich zusammen. Damit aber wird klar, welchen Wert und am Ende
250 So einige beigeladene Unternehmen im Verfahren E.ON/Ruhrgas in Bezug auf die Person des Staatssekretärs Dr. Tacke, s. Modifizierte Ministererlaubnis v. 18.9.2002, WuW 2002, 1095 (1098), Nr. 53.
§ 15 Abschließende Überlegungen
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welchen Einfluß auf die endgültige Entscheidung die Vor- und Zuarbeit der Ministeriumsspitze hat. Setzte man nun einen Ministerkollegen als Vertreter in die Position des Sachentscheiders, wird deutlich, wie wenig tatsächlichen Einfluß der Ministerkollege auf die Entscheidung haben wird. Hat der Minister indes nur einen als sehr gering zu qualifizierenden tatsächlichen Einfluß auf die konkrete Entscheidung und konnte er auch nie Eingriffe in die grundsätzliche Organisation dieses Ministeriums vornehmen, erscheint es rechtspolitisch nicht als optimaler Weg, ihn für diese Entscheidung parlamentarisch zur Verantwortung zu ziehen. Die parlamentarische Verantwortlichkeit ist der Gefahr ausgesetzt, sich in diesem Lichte als zur bloßen Formalität erstarrte Hülle darzustellen 251. Aufgrund der Existenz dieser, wenn auch dem Bereich des rein Faktischen entstammenden, aber rechtspolitisch schwerwiegenden Bedenken ist es geboten, nach einer diesen negativen Aspekt vermeidenden verfassungskonformen Lösung zu suchen.
§ 15 Abschließende Überlegungen und Änderungsvorschlag Ziel dieser sich mit einer verfassungsrechtlichen Thematik auseinandersetzenden Arbeit war es, nach erfolgter Analyse des bestehenden Rechtszustandes, einen verfassungskonformen Zustand für die aufgezeigte Problematik zu schaffen. Die widerstreitenden Prinzipien des Rechtsstaatsgebots und des Demokratieprinzips in ihren dargestellten Ausformungen waren im Wege der „praktischen Konkordanz“ in einen möglichst schonenden Ausgleich zu bringen. Dieser Ausgleich konnte, wie gezeigt, auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Im Rahmen der abschließenden Betrachtung auf der Suche nach einem verfassungsrechtlich zulässigen und zugleich rechtspolitisch (fast) ohne Abstriche zu empfehlenden Normierungsvorschlag sind sich die zu Grunde zu legenden Anforderungen gebündelt vor Augen zu führen. Nur auf dieser Basis kann ein solcher Vorschlag entworfen werden und seinerseits eine Überprüfung der Zielerreichung anhand dieser Kriterien vorgenommen werden. Ist die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der erläuterten Änderungsvorschläge dargetan, ist auf die an verschiedenen Stellen zum Vorschein gekommenen Zweckmäßigkeitserwägungen zurückzukommen. Die Regelungen der beiden Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern, nach denen die Staatssekretäre dauerhaft – mit oder ohne Stimmrecht – Mitglieder
251 Nicht übersehen werden darf dabei freilich, daß es rechtsdogmatisch durchaus ausreicht, wenn dem Minister sämtliche rechtlichen Ingerenzmöglichkeiten zur freien Verfügung stehen.
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der Regierung werden, führt zu einem nicht vernachlässigbaren Effizienzverlust dieses Leitungsgremiums. Die Zahl der Kabinettsmitglieder sollte in diesem Interesse so gering wie möglich gehalten werden und empfiehlt sich dies insbesondere im Hinblick auf die bereits existierende Aufgabenfülle, welche zwangsläufig zu einer hohen Mindestzahl an Ministerien auf Bundesebene führt. Ebenfalls als sicherlich zu bedenkende – und zu vermeidende – Problemlage kann die angesprochene Zwitterstellung der Staatssekretäre in Bayern identifiziert werden. Unangefochtene Weisungskompetenz und unumstrittene, unbedingte Führungsstellung kann für den Bundesminister nur erreicht werden, wenn er nicht ein divergierendes Votum im Kreis der Regierung zu fürchten hat. Der Minister darf sich nicht rückversichern müssen, daß sich sein ihm zur Unterstützung zugewiesener Staatssekretär nicht als contre-Ministergeriert. Im weiteren könnte auch zu berücksichtigen sein, inwieweit ein zu präsentierender Lösungsvorschlag Chancen auf eine Umsetzung durch den (Verfassungs-) Gesetzgeber hat. Eine bloße Änderung der Geschäftsordnung der Bundesregierung ist ersichtlich nicht ansatzweise solchen Prozeduren und (partei-)taktischen Erwägungen resp. Ressentiments ausgesetzt, wie dies bei einer Verfassungsänderung der Fall ist. Auf der anderen Seite kann es nicht ernsthaft zu vertreten sein, aus rein prozeduralen Gründen eine als lediglich suboptimal einzustufende Kodifikationsidee für die dauerhafte Auflösung eines verfassungsrechtlichen Konfliktes anzustreben. Unbedingt zu berücksichtigen ist dagegen die in verschiedenen Modellen aufgeworfene Anschlußfrage nach der „Vertretung des verhinderten Vertreters“. Um nicht eine zu kurzsichtige und ausschließlich einzelfallbezogene Normierung anzubieten, muß diese Fragestellung in einer Weise beantwortet werden, die nicht lediglich die gleiche Problematik auf eine andere Ebene verlagert, sondern die die Ersetzung des befangenen Bundesministers als Sachentscheider abschließend klärt. Ist der betreffende Bundesminister originärer Sachentscheider, stellt sich bei einer zu schaffenden Vertretungsnorm die Frage, welcher der rechtmäßigerweise in Betracht kommenden Amtswalter am Zweckmäßigsten diese Aufgabe erfüllen sollte. Sachnähe und Fachkenntnis der zu beurteilenden Materie in der Person des Entscheiders sind sowohl unter dem Aspekt der reinen Entscheidungsrichtigkeit als auch ihrer Akzeptanz bei dem Betroffenen der Entscheidung durch einen fachfremden Außenstehenden unzweifelhaft vorzuziehen. An diesen Gedanken unmittelbar anschließen muß sich die Frage nach einer sinnvollen Kongruenz von freiwilliger bzw. oktroyierter Entscheidungskompetenz und parlamentarischer Verantwortlichkeit. Daß von Verfassungs wegen ein parlamentarisch verantwortlicher Amtswalter für die jeweilige Sachentscheidung einzustehen hat, wurde ausführlich dargetan. Im Rahmen der Analyse des geltenden (Verfassungs-)Rechts wurde insbesondere versucht, einen sich andeutenden verfassungswidrigen Zustand aufgrund eines ministerialfreien Raumes im Wege
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der Auslegung zu verhindern. Dabei sind auch Möglichkeiten in Betracht gezogen worden, bei welchen es zu einer verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Entscheidungsrückbindung an das Parlament gekommen wäre – allerdings um den Preis einer formalisierten Verantwortungszuweisung. Formalisiert insofern, als von einem sach- und fachfremden Ministerkollegen verlangt würde, für einen faktisch nur mittelbar beeinflußbaren Entscheidungsvorgang politisch „den Kopf hinzuhalten“. Dem ursprünglichen telos parlamentarischer Verantwortlichkeit kann ein solcher Zustand nicht gerecht werden. Unter Berücksichtigung soeben konzentriert dargestellter rechtspolitischer Erwägungen und Überlegungen hinsichtlich der Zweckmäßigkeit der einzelnen gedanklichen Aspekte ist nun abschließend der Normierungsvorschlag zu unterbreiten, welcher das gesetzte Ziel in verfassungsrechtlich und rechtspolitisch optimierter Weise erreicht: Als im Falle der Befangenheit des Bundesministers in seiner Funktion als Leiter der obersten Bundesbehörde in erster Linie anzusprechender, sachnaher Substituent ist danach der Parlamentarische Staatssekretär anzusehen. Sollte dieser – aus welchen Gründen auch immer – selbst an der „Vertretung“ verhindert sein oder ein solcher in dem betreffenden Ministerium nicht existieren, muß ein Bundesminister in diese Stellung eintreten. Der verfassungsrechtlich gegebene Widerstreit zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip im Falle des befangenen Bundesministers in seiner Funktion als Leiter der obersten Bundesbehörde wäre damit de constitutione ferenda nach Meinung des Verfassers auf folgende Weise am besten zu lösen: Art. 65 GG erhält folgende Fassung: Die bisherigen Sätze 1-4 werden zu Absatz 1, Einfügung eines Absatzes 2: „(2) Der einem Regierungsmitglied beigegebene Parlamentarische Staatssekretär ist in dieser Funktion an dessen Weisungen gebunden. Im Falle der zeitweiligen Verhinderung eines Bundesministers aufgrund Befangenheit in seiner Funktion als Leiter einer obersten Bundesbehörde ernennt der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers einen dem verhinderten Bundesminister beigegebenen Parlamentarischen Staatssekretär zum Vertreter. Dieser Vertreter trägt die gleiche Verantwortung wie ein Bundesminister. Ist eine solche Vertretung nicht möglich, wird der befangene Bundesminister durch einen Ministerkollegen vertreten.“ § 14 Abs. 3 GOBReg erhält folgende Fassung: „Als Leiter einer obersten Bundesbehörde wird ein Bundesminister im Falle seiner Befangenheit durch den ihm beigegebenen Parlamentarischen Staatssekretär vertreten. Im Falle einer sonstigen Verhinderung wird ein Bundesminister durch den Staatssekretär und in dem Aufgabenbereich, der dem Parlamentarischen Staatssekretär nach § 14a übertragen worden ist, sowie in den von ihm bestimmten Einzelfällen von diesem vertreten. Ist eine Vertretung durch den Parlamentarischen Staatssekretär nach Satz 1 nicht möglich, wird der Bundesminister durch einen Ministerkollegen nach Abs. 1 vertreten.“
Zusammenfassung der Ergebnisse I. Das Grundgesetz fordert die lückenlose Durchdringung aller hoheitliche Gewalt ausübenden Stellen im Staat mit demokratischer Legitimation. Diese Durchdringung wird durch das System ununterbrochener Legitimationsketten erreicht. II. Das von Ernst-Wolfgang Böckenförde ausformulierte Konzept sich zur Erhaltung eines einheitlichen Legitimationsniveaus ergänzender Legitimationsstränge mittels funktioneller/ institutioneller, organisatorisch-personeller sowie sachlichinhaltlicher demokratischer Legitimation stellt eine flexible und verfassungsrechtlich unangreifbare Konkretisierung des Demokratiegebots dar. Ausnahmen können nur dort unter besonderem Argumentations- und Prüfungsaufwand anerkannt werden, wo die Verfassung selbst einen sog. ministerialfreien Raum fordert resp. zuläßt. III. Im demokratisch verfaßten Staat bedarf es einer steten Rückbindung exekutiver Entscheidungen an das Parlament. Die verstetigte Rückbindung wird über das Instrument der parlamentarischen Kontrolle erreicht, welches in der parlamentarischen Realität intensiv genutzt wird. Kontrolle ist der Zentralbegriff zur Sichtbarmachung von Verantwortung. Die Kontrollrechte der Volksvertretung treffen die Regierungsmitglieder, mithin Bundeskanzler und Bundesminister als Transmissionsriemen politischer Leitung in die Exekutive. IV. Die Verantwortlichkeit der Bundesminister korreliert vollständig mit ihrer Weisungs- resp. Letztentscheidungsbefugnis. Verfassungsrechtlich relevanter Anknüpfungspunkt ist damit die rechtliche Ingerenzmöglichkeit. V. Das Unbefangenheitsgebot ist Konsequenz der auf das Verfahrensrecht Einfluß nehmenden Grundrechte. Stärkste Quelle seiner Speisung ist jedoch das Rechtsstaatsprinzip, das eine Verfahrensdurchführung durch einen unbefangenen Hoheitsträger gebietet. VI. Erste Folge festgestellter oder zu besorgender Befangenheit ist der sofortige, dauerhafte und inhaltlich vollumfassende Ausschluß des betreffenden Amtsträgers vom Verfahren. VII. Aufgrund des Ausscheidens des Befangenen vom Verfahren muß ein unbefangener Amtsträger als Substituent in das Verfahren eintreten. VIII. Das Ministererlaubnisverfahren gem. § 42 GWB ist ein Verwaltungsverfahren i.S.d. Bundesverwaltungsverfahrensgesetzes. Die Ausschlußregelungen
Zusammenfassung der Ergebnisse
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der §§ 20, 21 VwVfG finden auf den Bundesminister im Rahmen dieses Verfahrens Anwendung. IX. Die Entscheidungszuständigkeit für die Ministererlaubnis nach § 42 GWB liegt sachlich beim relevanten Bundesministerium; funktionell ist der Bundesminister selbst zuständig. Bei der Entscheidung handelt der Bundesminister als Leiter einer obersten Bundesbehörde. X. Die (Besorgnis der) Befangenheit ist ein Fall der „Verhinderung“ i.S.v. § 14 GOBReg. XI. Die Vertretung eines an der Verfahrensentscheidung i.S.v. § 42 GWB verhinderten Bundesministers richtet sich grundsätzlich nach § 6 GGO i.V.m. § 14 Abs. 3 GOBReg und wird demgemäß durch den jeweilig zuständigen beamteten Staatssekretär vorgenommen. XII. Im konkreten Fall der Verhinderung des Bundesministers aufgrund (Besorgnis der) Befangenheit erweist sich das grundsätzliche Vertretungsmodell als unzureichend: Aus den jeweils für sich unumschränkte Geltung beanspruchenden Prinzipien der steten demokratischen Rückführbarkeit allen staatlichen Handelns und dem sich (grundlegend) aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Verbot der Entscheidungsfindung durch befangene Amtswalter erwächst eine verfassungsrechtliche Kollisionsproblematik. Durch ein rechtsstaatlich zwingend gebotenes Ausscheiden des Bundesministers als Sachentscheider aus dem Ministererlaubnisverfahren nach § 42 GWB fehlt das demokratisch ebenso zwingend erforderliche Scharnier demokratischer Legitimation im Sinne eines Verantwortlichkeitsadressaten gegenüber dem Parlament. XIII. Der Zustand der widerstreitenden Verfassungsprinzipien ist im Wege einer verfassungskonformen Auslegung dogmatisch nicht zu bewältigen: 1. Der (beamtete) Staatssekretär kann den befangenen Bundesminister nicht als parlamentarisch verantwortlichen Sachentscheider ersetzen. 2. Eine Nicht-Anwendbarkeit der Befangenheitsnormierungen bezüglich der Person des Bundesministers scheitert ebenso wie der Versuch, trotz eines Verfahrensausschlusses eine fortbestehende parlamentarische Verantwortlichkeit des Bundesministers selbst zu konstruieren. 3. Eine Ersetzung durch anderweitige Hoheitsträger wie den Bundeskanzler, einen Ministerkollegen, die Regierung als Kollegialorgan oder einen Parlamentarischen Staatssekretär war de lege / de constitutione lata nicht möglich. 4. In dem gegebenen Konfliktzustand liegt kein verfassungsrechtlich vorgesehener oder zu rechtfertigender ministerialfreier Raum. XIV. De lege / de constitutione ferenda sind verschiedene Lösungsansätze verfassungsrechtlich möglich:
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Zusammenfassung der Ergebnisse
1. In Anlehnung an das Landesverfassungsrecht Baden-Württembergs und Bayerns wird der Parlamentarische Staatssekretär zum Regierungsmitglied, der im Falle der Befangenheit des Bundesministers diesen als eigenständig parlamentarisch verantwortliches Regierungsmitglied ersetzt. 2. In Anlehnung an das österreichische Verfassungsrecht und § 16 GORReg 1924 wird ein Staatssekretär im Einzelfall durch Ernennung als eigenständig parlamentarisch verantwortlicher Ersetzer des befangenen Bundesministers installiert. 3. Änderung des § 14 GOBReg dahingehend, daß für den Fall der Befangenheit des Bundesministers stets ein Ministerkollege dessen Position einnimmt. XV. Verfassungsrechtlich konzipierbar sind alle der de lege / de constitutione ferenda entwickelten Lösungsvorschläge. Da aber auch sie unter rechtspolitischen Aspekten Kritik unterliegen, ist die in der Verfassung enthaltene Kollisionsproblematik abschließend dadurch zu lösen, daß für den Einzelfall eine Ernennung eines Parlamentarischen Staatssekretärs als eigenständig parlamentarisch verantwortlicher Ersetzer vorgenommen wird. Ist ein solcher im betreffenden Ministerium nicht vorhanden oder liegt ein Grund für dessen eigene Verhinderung vor, so findet eine endgültige Auflösung des Widerstreits durch Ersetzung des befangenen Amtswalters durch einen Ministerkollegen statt: Art. 65 GG erhält folgende Fassung: Die bisherigen Sätze 1-4 werden zu Absatz 1, Einfügung eines Absatzes 2: „(2) Der einem Regierungsmitglied beigegebene Parlamentarische Staatssekretär ist in dieser Funktion an dessen Weisungen gebunden. Im Falle der zeitweiligen Verhinderung eines Bundesministers aufgrund Befangenheit in seiner Funktion als Leiter einer obersten Bundesbehörde ernennt der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers einen dem verhinderten Bundesminister beigegebenen Parlamentarischen Staatssekretär zum Vertreter. Dieser Vertreter trägt die gleiche Verantwortung wie ein Bundesminister. Ist eine solche Vertretung nicht möglich, wird der befangene Bundesminister durch einen Ministerkollegen vertreten.“ § 14 Abs. 3 GOBReg erhält folgende Fassung: „Als Leiter einer obersten Bundesbehörde wird ein Bundesminister im Falle seiner Befangenheit durch den ihm beigegebenen Parlamentarischen Staatssekretär vertreten. Im Falle einer sonstigen Verhinderung wird ein Bundesminister durch den Staatssekretär und in dem Aufgabenbereich, der dem Parlamentarischen Staatssekretär nach § 14a übertragen worden ist, sowie in den von ihm bestimmten Einzelfällen von diesem vertreten. Ist eine Vertretung durch den Parlamentarischen Staatssekretär nach Satz 1 nicht möglich, wird der Bundesminister durch einen Ministerkollegen nach Abs. 1 vertreten.“
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Sachregister §§ 20 21 VwVfG 9, 12, 46, 48-51, 57, 59, 62, 65-66, 68-69, 71-77, 80-81, 84, 88, 251, 256, 313 Amtskonflikt
78, 327
Befangen 47, 63, 77, 86, 308, 330 Befangenheit 12, 16, 20, 31, 42, 44-45, 47, 49-50, 54-55, 61-64, 66, 68, 70, 74, 76, 77, 79, 81, 85-86, 87-88, 90, 165, 221-224, 248, 251, 256-258, 263, 265266, 275, 279, 282, 285-287, 290-292, 299, 301, 305, 307-308, 311-314, 317, 319, 321-324, 330 Befehls- und Kommandogewalt 244-245, 316, 321 Bergemann GmbH 27-28, 31-32 Böckenförde 12-14, 59, 90-93, 111-112, 117, 119-121, 126-127, 129-130, 133, 136, 140, 144, 150-152, 154-155, 157, 167, 171, 196, 205-206, 219, 225-227, 230, 237, 240, 245, 247, 268, 271, 279281, 284, 297, 312, 316, 318, 320, 322 Bryde 111-113, 130, 134-136, 317 Bundeskartellamt 15, 19, 25-26, 31, 3536, 38, 83, 211-215, 224 Bundesminister 14, 19, 22, 31-32, 3538, 40, 56, 73-74, 80-82, 85, 138, 146, 150-152, 154-155, 158-159, 165, 167, 169-172, 176-177, 179-181, 185, 190, 196-197, 200-203, 210-212, 218, 221225, 227-229, 231-233, 236-239, 244248, 251, 257-260, 263, 267, 269-272, 274-280, 282-288, 292-293, 299, 301305, 307-308, 310-314, 325, 329 Bundesminister für Wirtschaft 19, 31-32, 35, 37, 74, 81-82, 222, 224, 229, 238, 263, 275-277, 292
Bundespräsident 150-156, 170, 180-181, 225, 242, 303, 305, 311, 314 Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien 15, 204, 207, 209-210, 212, 288-289 Bundesregierung 16, 21, 24, 83, 137, 145, 147, 149, 152, 154, 165, 167, 168, 173, 177, 182-183, 185, 187, 189-190, 192-196, 201-204, 224-227, 229-232, 235, 242-243, 245-246, 250, 257, 260, 269, 271-272, 275, 279-280, 282-284, 292, 299, 301, 303, 307, 310, 315-316, 320, 327, 329 Bundesverfassungsgericht 53, 56, 74, 90, 95-96, 98-103, 105-106, 108, 111, 113, 115, 117, 131, 136, 143, 174, 185, 189, 191, 209, 216-217, 219, 244, 254, 327 Contre-Minister
300, 310
Demokratieprinzip 12, 22, 58-59, 95, 9899, 103, 108, 113-115, 117, 122, 127, 134, 136, 137, 139, 141, 143, 147, 149, 151, 156, 171, 175, 193, 208, 210, 214215, 220-221, 239, 248, 250, 261-262, 275, 287-292, 315-317, 321, 324-325, 328 Demokratische Legitimation 9, 13, 15, 22, 59, 89-100, 102, 103-109, 113-120, 130-134, 137-138, 140-147, 149-151, 156-159, 167, 173, 204-207, 210, 212, 214, 216-217, 220, 262, 285, 290-291, 312-313, 318, 329 Doppelte Mehrheit 93, 100, 115 E.ON AG 11, 19, 21, 24-25, 27, 29-31, 34, 74, 81-84, 86, 238, 258-259, 263, 277, 317
332
Sachregister
Effizienz 49, 63, 75, 319 Emschergenossenschaftsgesetz 108 Fragerecht 329 Funktionale 106, 108, 140, 143, 220, 318
13, 105,
164, 184-185, 193-194, 316, Selbstverwaltung 95, 105110, 118-119, 125, 128, 138, 147, 151, 156, 159, 216-217,
GAZPROM 26 GOBReg 15-16, 20, 24, 152, 155, 222, 224-230, 232-235, 238-239, 245, 247248, 251, 257, 263, 266-267, 271, 275, 277-280, 284, 292, 298-299, 305-307, 311, 313-314 Grundsätze des Berufsbeamtentums 12, 57, 147 Hierarchie 14, 111, 113, 123, 147-149, 153, 205, 279, 326 Ingerenzmöglichkeit 175-176, 261, 312 Interpellationsrecht 193-194 Kartellverfahren 81, 315 Kollegialprinzip 150, 230 Kontrolle 14, 60, 91, 94, 104, 112, 114, 116, 124, 127, 131-133, 144, 146, 148, 159-160, 163-169, 171-174, 177, 183, 186-187, 189, 191-192, 196, 198-199, 201, 203, 218-219, 312, 317-318, 321, 324, 326-327 Kontrollinstrumente 146, 175 Kontrollrechte 14-15, 138, 148, 159, 168, 177-178, 186, 198-199, 274, 283, 312 Korrelation 23, 146, 175, 218-219, 259, 261 Legitimationsdefizit 90, 107 Legitimationskette 91-92, 97-98, 104, 106, 108, 115, 138, 144-145, 217, 292 Legitimationsniveau 101-102, 118, 140, 142, 217, 312
Legitimationsstränge 101, 140, 145, 205, 216, 217, 312 Legitimationssubjekt 14, 128-129, 131, 141 Letztentscheidungsrecht 114 Lippeverbandsgesetz 13, 105, 108 Menschenwürde 12, 53, 54, 118, 289 Ministeranklage 160-164, 178-179, 220, 317, 326 Ministererlaubnis 15, 19-22, 30-37, 39, 74, 81-86, 157, 222-223, 228-229, 231, 233-236, 238-239, 248, 259, 263, 275, 277-278, 280-281, 284, 287, 301, 308, 313, 317, 320-321, 323-324, 328, 330 Ministerialverwaltung 14, 114, 118-119, 141, 147, 157, 206, 217, 322 Ministeriumserlaubnis 37, 228 Ministerverantwortlichkeit 9, 14-15, 23, 125, 145-146, 150, 156, 158-164, 166175, 177-179, 182-183, 185, 196-200, 204, 219, 234, 247, 259-262, 283, 316, 319-320, 322, 324, 326, 329 Mißtrauensvotum 167, 170-171, 180, 182, 190, 197, 295-296 Mitbestimmungsgesetz 13, 102, 137 Mitwirkungsverbot 12, 49, 65, 69, 72, 76, 86, 88, 286, 289 Monopolkommission 19, 25-33, 36, 38, 236, 250, 282, 285 Müller 12, 31, 81-86, 174, 187, 195, 199, 208, 210, 212, 216, 219, 223, 238, 251, 301, 316, 325, 327, 330 Neutralität
47-48
Parlamentarische Staatssekretäre 299, 319, 325 PUAG 14, 177, 186-187, 189
273,
Rechtsstaatlichkeit 53, 62 Rechtsstaatsprinzip 12, 47, 55, 59-61, 87, 250, 257, 260, 288-290, 311-313 Regierungsverantwortung 116, 174, 284
Sachregister Ressortkompetenz 235-237, 280 Ressortprinzip 231, 284-285 Richtlinienkompetenz 151, 154-155, 172, 197, 278-282, 307, 315, 321 Rückbindung 22, 89, 93, 132, 145, 166, 169, 210, 218, 239, 245, 262-263, 267, 272, 279, 287, 289, 291, 305, 312 Ruhrgas 11-12, 19-22, 24-32, 34, 39, 74, 81, 83, 222, 237-238, 259, 265, 277-278, 281-282, 287, 308, 321, 325, 330 RWE 21, 25, 27, 30, 83 Spannungsfeld 10, 15, 51, 160, 163, 179, 221, 326 Staatssekretär 16, 19, 22, 31-33, 74, 81, 90, 153, 176, 183, 195, 222-225, 228229, 233, 238-240, 242, 245-250, 261, 263, 267-275, 280, 288, 292-305, 308, 310-311, 313-314, 318, 320, 322-323, 326-328, 330 Stellvertreter 146, 222, 233, 240, 248, 278, 282, 284, 286, 292, 298-299, 301, 306, 308 Tacke 31, 74, 81, 83, 195, 223, 263, 301, 308 Unbefangenheit im Verwaltungsverfahren 9, 11, 40, 55 Unbefangenheitsprinzip 41-42, 44, 46, 62, 76 Untersuchungsausschuß 100, 187-188, 191, 327
333
Verantwortlichkeit 14-16, 23, 94, 116, 120, 138, 144, 146, 148, 156, 159-179, 181, 183, 192, 195, 197-199, 201, 203, 218-219, 221, 229, 233, 236, 242, 245248, 250-251, 256, 258-259, 261-263, 265-266, 268, 272-276, 279, 283-284, 286, 292, 294-298, 304, 306-307, 309310, 312-313, 315, 318-319, 324-326 Verantwortung 14, 34-35, 37, 94, 102, 116, 138-139, 148-149, 152-153, 155, 158, 161-163, 165-166, 169-171, 174, 176, 178-179, 185, 187, 190-192, 194195, 198, 200, 218-219, 229, 231, 232, 236, 239-241, 246-247, 257, 259-260, 268, 272-273, 275-276, 279-280, 282285, 285, 292-295, 298-299, 303-305, 309, 311-312, 314, 317, 323, 327-329 Verantwortungszuweisung 37, 88, 157, 206, 311 Volkssouveränität 13, 59, 96, 98, 101, 120-121, 124, 130-131, 133, 144 Weisungs-/Letztentscheidungsbefugnis 23, 218 Weisungsbefugnis 146, 172-173, 217, 220, 222, 245, 262, 282, 285, 287, 321 Weisungsfreier Raum 286-287 Weisungsrecht 66, 94, 149, 268, 271, 277, 286 Wettbewerb 26, 29, 234 Zitierrechts 183-185 Zusammenschlußkontrolle 34-35 Zusammenschlußvorhaben 22, 24, 3034, 36