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German Pages 412 Year 2011
Birgit Klostermeier Das unternehmerische Selbst der Kirche
Praktische Theologie im Wissenschaftsdiskurs Practical Theology in the Discourse of the Humanities
Herausgegeben von Bernhard Dressler · Maureen Junker-Kenny Thomas Klie · Martina Kumlehn · Ralph Kunz Band 10
De Gruyter
Birgit Klostermeier
Das unternehmerische Selbst der Kirche Eine Diskursanalyse
De Gruyter
ISBN 978-3-11-025952-0 e-ISBN 978-3-11-025953-7 ISSN 1865-1658 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Klostermeier, Birgit. Das unternehmerische Selbst der Kirche : eine Diskursanalyse / Birgit Klostermeier. p. cm. - (Praktische Theologie im Wissenschaftsdiskurs, ISSN 18651658 ; Bd. 10 = Practical theology in the discourse of the humanities) Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-025952-0 (hardcover : alk. paper) 1. Christian sociology - Evangelische Kirche in Deutschland - History 21st century. 2. Evangelische Kirche in Deutschland - History 21th century. 3. Christian sociology - Evangelische Kirche in Deutschland - History - 20th century. 4. Evangelische Kirche in Deutschland - History - 20th century. I. Title. BX4844.6.A4K62 2011 262.008812804094309051-dc22 2011009750
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH und Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2010/11 von der Theologischen Fakultt der Universit Basel auf Antrag von Prof. Dr. Albrecht Grçzinger und Prof. Dr. Georg Pfleiderer als Dissertation angenommen. Die Vorarbeiten zu dieser Studie begannen 2002 mit dem Kontakt zur Wissenschaftsforschung/Wissenschaftssoziologie an der Universitt Basel. Prof. Dr. Sabine Maasen ermçglichte mir als „Satellit“ die Partizipation an theoretischen und methodischen Fragestellungen der Gouvernementalittsforschung und der Diskursanalyse. Mit profunder Kenntnis und Kritik untersttzte sie mich in der „harten Arbeit am Diskurs“ und der wissenschaftlichen Distanznahme, wofr ich ihr ausdrcklich danke. Barbara Sutter danke ich, dass sie sich in der ihr eigenen Ruhe gewissenhaft immer wieder auf von mir neu erstellte Texte einließ. Herzlich danke ich Dr. Stefanie Duttweiler fr ihre interdiskursiven, kenntnisreichen Anregungen, in der Wifo und in Basler Balkongesprchen, und ihre unerschtterliche Ermutigungshaltung mir gegenber; sie haben mir geholfen, meinen Faden zu halten. Reiz und Tragik aktueller Diskursanalysen ist es, den Einschreibungsprozessen hinterherzuschreiben. Was zu Beginn meiner Analysearbeiten sich einem Gewitter gleich noch als Abenteuer eines aufziehenden Szenarios abzeichnete und dessen Art der Entladung methodisch lustvoll prognostiziert werden wollte, erwies sich am Ende der Dissertationszeit zunehmend als selbstverstndliche Normalitt, die den Reiz des Neuen und Aufregenden lngst hinter sich gelassen hat. Diesen Reiz trotzdem wach zu halten und die Normalitt in ihrem kontingenten Gewordensein zu beschreiben, war mir Anliegen wie Anspruch. Diskursanlyse nach Foucault ist interessiert an dem Wie des Diskurses, nicht so sehr an seinen Gegenstnden, gar nicht an Personen und schon gar nicht an Namen. Trotzdem lassen sich Namensnennungen und die Nennung von Autorenschaft nicht vermeiden, sollen Diskurse als historische Materialisierungen sichtbar werden. Ich habe mich trotz und wegen methodisch notwendiger Ironismen bemht, meinen ehrlichen Respekt vor den Personen im Stil der Abfassung sichtbar zu halten.
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Vorwort
Den ehemaligen Kolleginnen und Kollegen aus der Konferenz der Pastoralkollegsleiterinnen und -leiter auf EKD-Ebene, die meine ersten Promotionsschritte mitbegleitet haben, verdanke ich viel Ermunterung, dem Team im Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD, dem ich whrend meiner letzten Arbeitsphase angehçrte, kollegiale und frçhliche Erkundungen zu dem nicht immer spannungsfreien Verhltnis von Soziologie und Theologie. Prof. Dr. Albrecht Grçzinger hat die Arbeit zuletzt mit so großer Gelassenheit wie prziser Fragestellung betreut. Seinem Optimismus und seiner wissenschaftlichen Neugier verdanke ich es, dass ich sie im praktischtheologischen Kontext einbetten und fertigstellen konnte. Dr. Jrgen Rinderspacher hat das Korrekturlesen bernommen, ihm danke ich fr die Ermutigung auf den allerletzten Metern. Den Herausgeberinnen und Herausgebern sei dafr gedankt, diese Studie in der Reihe „Praktische Theologie im Wissenschaftlichen Diskurs“ verçffentlichen zu kçnnen. Der Dissertationenfonds der Universitt Basel hat durch einen Kostenzuschuss die Drucklegung ermçglicht. Dank sage ich meinen Sçhnen, die unseren gemeinsamen Alltag verstndnis- und liebevoll auch mit dieser Arbeit teilten. Dank sage ich meinem Mann, der großzgig und widerstndig mein Gegenber im Leben ist. Die Arbeit ist geschrieben in Erinnerung an Irmgard Hermelink, gewidmet ist sie meiner Mutter Marianne Klostermeier. Wunstorf/Berlin, Sommer 2011
Inhalt Verwendete Abkrzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .XVII Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Warum dieser Ansatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kritik: Die „Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“ . . . Kritik als praktisch-theologische Haltung . . . . . . . . . . . . . . 4. Theorie und Methode – die Anlage der Arbeit . . . . . . . . . . Gouvernementalitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kirchlich-theologischer Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Fokus der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 3 3 5 7 8 9 10 12
Teil 1: Theoretische, methodologische und methodische Grundlinien 1. Foucaults Macht/Wissen-Komplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Foucault im Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Subjekt und Subjektivierung – ein kritisches Forschungsprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Macht und Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Macht und Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Das Forschungsprogramm – Methodologie des Macht/Wissen – Komplexes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das paradoxal verfasste Subjekt – ein kritisches Forschungsprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 15 18 18 19 20 22 23 24 26 28
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Inhalt
2. Das Konzept der Gouvernementalitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Gouvernementalitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Technologien des Regierens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Pastoralmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Regierung der Seelen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die konomie der Verfehlungen und Verdienste . . . . . . . . Techniken und Praktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Pastoralmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verallgemeinerung der Pastoralmacht . . . . . . . . . . . . . Reformation als Katalysator der Skularisierung . . . . . . . . . 2.3. Fremd- und Selbsttechnologie und die Genealogie der Subjektivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Technologien, Strategien und Praktiken – ein kleines Glossar Analytik der Regierung und der Subjektivierung . . . . . . . . 3. Die Gouvernementalitt der Gegenwart – Die neue Pastoralmacht 3.1. Gegenwrtige Gouvernementalitt als neoliberale Gouvernementalitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gouvernementalittsstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rationalisierung der Lebensfhrung – Weber und Foucault 3.2. Das neoliberale Selbst, der Markt und das Versprechen der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Subjektivierung von individuellen und kollektiven Akteuren 3.4. Die neue Pastoralmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tribunal und Arena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auf dem Weg zur Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Anschlussfhigkeit: Eine Frage der Methodologie und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das beobachtende Forschungssubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . Das beobachtete Forschungssubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Realfiktionen – Subjekt im Gerundivum . . . . . . . . . . . . . . Individualisierung – Beispiel fr Anschluss an Systemtheorie Aufsteigende Analyse – Anschluss an sozialwissenschaftliche Hermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Soziale Akteure und Subjekte – Wissenssoziologischer Anschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32 32 34 36 36 38 39 41 44 45 47 47 49 51 52 53 56 57 60 61 61 62 64 65 65 66 67 68 70 71
Inhalt
5. Das unternehmerische Selbst der Kirche – Das eigene Forschungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Diskurs- und Dispositivanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Spezialdiskurs – allgemeiner Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Das Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswahl der Materialbasis und Zeitraum . . . . . . . . . . . . . . Das Deutsche Pfarrerblatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau des Blattes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . berblick ber die Themenstrnge . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskursive Orte/Sprecherpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4. Darstellungsform des empirischen Teils . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 2. Das unternehmerische Selbst der Kirche – Diskursanalytische Rekonstruktion einer Subjektivierung 1. Die Anrufung: Sich als wettbewerbs- und zukunftsfhig zu gestaltendes Subjekt problematisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sich der Zukunft als Herausforderung annehmen . . . . . . . Allgemeiner Diskurs: Zukunftswissen . . . . . . . . . . . . . . . . Spezialdiskurs: Die Zukunft der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Selbstfhrung durch Expertenwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . Tribunal des Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gericht Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Selbstfhrung durch Selbst- und Fremdbeobachtung: Monitoring und Accounting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeiner Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezialdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . Kirchensteuerprognosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wort Gottes-Prognosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtung der Anderen und sich messen . . . . . . . . . . . . 1.3. Selbstfhrung durch Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1. Allgemeiner Diskurs: Consulting und Coaching . . . 1.3.1.1. Consulting – die Fhrung der Fhrung des kollektiven Selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beratungsmarkt und Anlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vernderung und Umdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . Autonomie und Heteronomie – abhngig unabhngig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91 93 94 96 97 98 103 107 107 110 110 113 115 117 122 122 123 123 125 126
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Inhalt
1.3.1.2. Coaching – die Fhrung der individuellen Selbstfhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Coaching-Markt und Anlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vernderung und Umdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2. Spezialdiskurs: Kirche lsst sich beraten . . . . . . . . . Mnchener Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Sich als wollendes Subjekt projektieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Wille als Regulativ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wachsen wollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das willentliche Selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sich fokussieren – Responsibilisierungs- und Subjektivierungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
143 144 145 145
3. Sich als leitendes kollektives Subjekt herstellen . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Allgemeiner Diskurs: Fokussierende und authentisierende Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Neue Steuerungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitbildentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Spezialdiskurs: Verwaltungsmodernisierung und Leitbilder . 3.2.1. Das Auftauchen von Leitbildpapieren . . . . . . . . . . . Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Sich leiten lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fremdfhrung zur Selbstfhrung: Prozesse initiieren und koordinieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sich kompetent machen: lernen, andere zur Selbstfhrung zu fhren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beraten und Begleiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konsens erzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3. Die Leitbildpapiere: Selbstkonstruktionen: Wer wir sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pluriform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Alleinstellungsmerkmal: Religiçs . . . . . . . . . . . Das individuelle Alleinstellungsmerkmal . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4. Selbststimulation: Was wir wollen . . . . . . . . . . . . . . Wie es zum Handeln kommen soll: Zielbindung . .
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Inhalt
Problematisierung: Wollen mssen . . . . . . . . . . . . . Spielart: Auftrag statt Leitbild . . . . . . . . . . . . . . . . . Spielart: Verbundene Addition – Glaubend wollen . Spielart: Eingeschrnkt wollen . . . . . . . . . . . . . . . . Das Ziel sichern: Sich locken . . . . . . . . . . . . . . . . . Sich berprfen und verbessern . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenkommentar: Organisation, Mythos, Fiktion und Religiositt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Allgemeiner Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organisationstheoretische Erkundungen: Mythos . . Organisationstheoretische Erkundungen: Fiktion und Institution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Religions-)Soziologische Erkundungen: Bekenntnis und Bewhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Spezialdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weber: Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Foucault: Neue und alte Pastoralmacht . . . . . . . . . . Ein kirchliches Als-Ob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sich als wettbewerbs- und zukunftsfhig zu gestaltendes individuelles Selbst problematisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Allgemeiner Diskurs: Subjektivierung der Arbeit und der Unternehmer seiner selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Spezialdiskurs: Die Problematisierung des Pfarrers . . . . . . . 5.2.1. Die Profession als Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1.1. Die Problematisierung des Pfarrers als Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seitenblick: Wettbewerb von Haupt- und Ehrenamtlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seitenblick: Die neuen Ehrenamtlichen . . . . . . . . . Die neue Problematisierung: Der demotivierte Pfarrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1.2. Die Etablierung des „Pfarrers als Profession“ Profession als Alleinstellungsmerkmal . . . . . . . . . . . Profession als Bootstrapping . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1.3. Der Pfarrer als Profession: Funktionszuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . Funktion: Die USP reprsentieren . . . . . . . . . . . . .
XI 181 181 183 185 186 187 190 190 191 193 195 198 198 199 200 201 201 208 211 213 214 215 218 220 220 221 223 223
XII
Inhalt
Funktion: Ungewissheit bewltigen . . . . . . . . . . . . . Funktion: Vertrauen bilden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktion: Auf dem Markt sein . . . . . . . . . . . . . . . . Seitenblick: Die Gemeinde als Kundschaft . . . . . . . Funktion: Kundenorientierung gewhrleisten . . . . . Funktion: Ressourcen erweitern und nutzen . . . . . . Funktion: Sicherstellung von Produkt- und Zielorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktion: das Produkt und das Unternehmen reprsentieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1.4. Die Lçsung des Problems . . . . . . . . . . . . . Verantwortlich sein: Der Pfarrer als Profession als unabhngiger Selbstunternehmer . . . . . . . . . . . . . . . Verantwortlich machen: Der Pfarrer als Profession als abhngiger Selbstunternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . Vereinbarungen: Fhrung zur Selbstfhrung . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1.5. Kritik und Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2. Spielarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.1. Religiçs-spirituell: Priesterlich fhren . . . . 5.2.2.2. Christlich-intellektuell: Mit hermeneutischer Expertise fhren . . . . . . . 5.2.2.3. Protestantisch-individualistisch: Mit dem Amt fhren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.4. Organisational-kybernetisch: Unternehmerisch leiten . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3. Einarbeitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
225 226 227 229 230 230 232 234 236 236 239 240 242 243 246 247 249 250 252 253
6. Die Freiheit Gottes und Wollen drfen: Spielarten . . . . . . . . . . 256 7. Sich als leitendes individuelles Subjekt herstellen . . . . . . . . . . . . 7.1. Allgemeiner Diskurs: Kompetenzen, Bildung, Lernen . . . . 7.2. Spezialdiskurs: Sich Qualifizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1. Sich fokussierend und authentisierend weiterentwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der abhngige Selbstunternehmer . . . . . . . . . . . . . . Ziel der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Willkommen im Club – mçglichst umfassende Information durch Experten . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Angeleitete) Introspektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
260 260 262 266 266 268 269 271
Inhalt
Exkurs: Exerzitien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sammeln und fokussieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Externalisierte Introspektion: Der Andere . . . . . . . . Herausforderung: Selbstfokussierung als zukunftsfhiges Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inkorporieren – Erinnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beurteilendes Feedback . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Erfolg verlocken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2. Interkollegiale Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prsenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicht-Prsenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Der Gottesdienst als Gegenstand und Instrument der Selbst- und Fremdfhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1. Die Entdeckung der gottesdienstlichen Krise: Den Gottesdienst problematisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zahlen als Ausdruck der gottesdienstlichen Krise . . Die subjektiv zugestandene Relevanz des Gottesdienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die çffentliche Arena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die protestantische berzeugung als Problem . . . . . Lçsung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2. Gottesdienst Zentrum der Kirche: Vom Ursprungsgeschehen zum projektierten Ziel . . . . . . . . . . . . Ursprungsgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung und Funktion fr das kollektive Subjekt . Wirkung und Funktion fr das individuelle Subjekt Wirkung erzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Gottesdienst als Dispositiv . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3. Gottesdienst als Dispositiv kollektiver und individueller Fremd- und Selbstfhrung unter dem Steigerungsimperativ des Wachstums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1. Das Dispositiv des Gottesdienstes als Selbstfhrung des kollektiven Akteurs: Kollektive Rume besser fllen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sich fhren durch die Entwicklung neuer Gottesdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sich fhren durch die Adressierung des unternehmerischen Subjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sich fhren durch kompetentes Entscheiden . . . . . .
XIII 272 278 279 282 285 288 291 292 293 295 298 298 298 300 302 303 305 306 306 307 310 311 313 313 313 313 314 315
XIV
Inhalt
Sich fhren durch Zielgruppenorientierung . . . . . . Sich fhren durch Erschließung neuer Rume . . . . Sich stimulieren durch partizipatorisches Aktivieren: Das Ganze anvisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sich stimulieren durch partizipatorisches Aktivieren: Die Vielfalt anvisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sich steuern durch Evaluieren: Wirkung in Zahlen und Aktivierungsgrad messen . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2. Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theologisches Skalpell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klamauk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entdecken, was da ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3. Das Dispositiv des Gottesdienstes als Fhrung der Selbstfhrung des individuellen Akteurs: Individuelle Rume besser fllen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die alten Gottesdienste als „Erfahrungsraum“ erçffnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fhren mit dem Raum: sinnliche Eindrcke erzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tribunal: Das Risiko minimieren . . . . . . . . . . . . . . Fhren durch Spezifizieren: Entscheidungsrume erçffnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fhren durch Stimulation des Kçrpers: Wahrnehmungsressourcen aktivieren . . . . . . . . . . . . Fhren durch die eigene Person: Vorstellungen erzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu einem Ergebnis fhren: Individuelles und nachhaltiges Wachstum als Alleinstellungsmerkmal . Sich selbst durch Fhrung zur Selbstfhrung zu einem Ergebnis fhren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Das unternehmerische Selbst der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theoretische und methodische Grundlinien . . . . . . 9.1. Der Kampf der Subjektivierung – Ein Vexierbild . . . . . . . . Angebot als Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1. Brche und die Majuskel im „AnGebot“ . . . . . . . . . 9.1.2. Diskursive Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
316 317 318 322 323 325 326 326 327 329 329 330 332 334 334 336 338 340 341 341 344 344 346 346 348 350
Inhalt
Bruch: Das Eigene kennzeichnen und das Andere beherrschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anschlsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrenzen, Hierarchiserungen, Ausschlsse . . . . Ein Vexierbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2. Die doppelte Tribunalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . quivalentsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahren und Praktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3. Die doppelte Subjektivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Risiko braucht Mythen/Religion . . . . . . . . . . . . . . . konomie der Verfehlungen und Verdienste . . . . . . Weber: Foucault auf der berholspur . . . . . . . . . . . 9.4. Die kleine Geste im Flanieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XV 350 351 352 353 353 353 355 356 359 360 363 363
Anhang 1. Verzeichnis der Texte aus dem Deutschen Pfarrerblatt und zur Leitbildentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Deutsches Pfarrerblatt (DTPF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Leitbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Leitbildprozesse/-entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
367 367 370 371
2. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
Verwendete Abkrzungen BK EGB DTPF EKD KG KK KMU NPM USP
Birgit Klostermeier Evangelisches Gottesdienstbuch Deutsches Pfarrerblatt Evangelische Kirchen in Deutschland Kirchengemeinde Kirchenkreis Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung New Public Management Unique Selling Proposition
Einleitung 1. Ausgangssituation Seit Anfang der 1990er Jahre lassen sich in den institutionell verfassten evangelischen Landeskirchen der Bundesrepublik grundlegende Strukturvernderungen ausmachen: Stellenreduktion, Regionalisierung, Zusammenlegung von Gemeinden und Kirchenkreisen sind evidente Zeichen dieser Vernderung. Begleitet wird dieser institutionelle „Umbau“ von einer breiten Debatte um die „Krise“ bzw. die „Zukunft“ der Kirche: Evangelische Akademien und Fortbildungseinrichtungen, Synoden, Kirchenkreistage und -konferenzen, Kirchenvorstnde, Pfarr- und Diakonen-Konferenzen debattieren ber Ursachen und Lçsungen dieser Krise, als deren Auslçser u. a. zurckgehende Kirchensteuereinnahmen, demographische Entwicklung und „Traditionsabbruch“ genannt werden. In Fachzeitschriften und kirchlichen Publikationen wird gestritten und ungewohnte Beteiligungsformen werden erprobt. So initiiert die evangelische Wochenzeitung „Das Allgemeine Sonntagsblatt“ 1997 im Hamburger Radisson Hotel den „Kongress: Unternehmen Kirche“, der in der kircheninternen ffentlichkeit neugierig, spçttisch, abwehrend, begeistert – zumindest als „unblich“ zur Kenntnis genommen wird. Kircheninterne und vor allem externe Organisations- und Unternehmensberatungen bekommen in den einzelnen Landeskirchen vielfltige Bettigungsfelder: Die Unternehmensberatung McKinsey erzielt mit der Entwicklung des „Evangelischen Mnchen-Programms“ ber kirchliche Publikationen hinaus grçßere ffentlichkeitswirkung. Landeskirchen und Kirchenkreise initiieren „Leitbildprozesse“ und „Konsultationsverfahren“, deren Ergebnisse als „Profilpapiere“, „Programme“ oder „Leitlinien“ als meist vielfarbige Hochglanzbroschren verçffentlicht werden. Synoden klagen ber die geringe Flexibilitt und Unfhigkeit im „Pfarrerstand“, „Burnout-Phnomene“ unter Pfarrern erfahren praktisch (in konkreten Rekreationsangeboten) und theoretisch (als Dissertationsthemen) Aufmerksamkeit. Zeitgleich werden in einigen Landeskirchen (Zufriedenheits-)Umfragen unter den Pfarrern und Pfarrerinnen durchgefhrt, Arbeitszeitmodelle fr das Pfarramt diskutiert und teilweise verbindlich festgelegt sowie „Personalentwicklungs-“ oder „Jahresgesprche“ eingefhrt. Aus- und Fortbildungsreformen werden eingeleitet; die Kontroverse um die europapolitisch initiierte Reform des Universittsstudiums, mit dem
2
Einleitung
Stichwort „Bolognaprozess“ verknpft, erfhrt in diesem Zusammenhang eine besondere Dynamik. Gleichzeitig wird in Synoden ber die Ordination Ehrenamtlicher nachgedacht und die „Ntzlichkeit“ des Pfarramtes sowie die „Praxisrelevanz“ des Theologiestudiums befragt. Zeitgleich – und, verfolgt man den theologisch-kirchlichen Diskurs, wirkt es ber weite Strecken wie ein Parallelstrang, hlt ein Wort und mit ihm ein diskursives Feld Einzug in die kirchlichen und theologischen Debatten, Fortbildungskalender und Profilpapiere: Spiritualitt. Eine „evangelische“ Spiritualitt wird „neu entdeckt“, Klçster als „spirituelle Orte“ wenn nicht neu gegrndet, so doch zum Leben wiedererweckt, und Exerzitien und Pilgerwege deklarieren sich als „protestantische Formen gelebter Spiritualitt“. Der von der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) initiierte Zukunftskongress „Kirche der Freiheit“, vom Diktum des „Mentalittswandels“ geprgt, erwgt 2007, angehenden Pfarrern und Pfarrerinnen zur Ausbildung ihrer „spirituellen Kompetenz“ eine studiumsbegleitende „geistliche Begleitung“ verbindlich zu verordnen. „Krise“, „Paradigmenwechsel“ oder „Mentalittswandel“ – Vernderung wird behauptet. Von „Umbau“ ist die Rede. Doch was genau verndert sich hier? Und wie geschieht Vernderung? Die an „marktwirtschaftlichen Notwendigkeiten“ orientierten Strukturvernderungen in den institutionell verfassten Landeskirchen lassen sich am ehesten unter dem soziologischen Begriff der „konomisierung des Sozialen“ beschreiben. Wie auch andere çffentliche Organisationen (Schulen, Kommunen, Bahn etc.) transformieren die organisationalen Verfahren von brokratischen zu unternehmerischen. Dabei wird der çkonomischen Rationalitt des Messbaren nicht nur in der Einrichtung neuer Steuerungs- und Leitungsverfahren (die zum Teil neben den berkommenen implementiert werden) nachgegangen, sondern ebenso in einer Verantwortungsverlagerung innerhalb der Gesamtorganisation und Verselbstndigung einzelner Organisationseinheiten: Gemeinde-, Kirchenkreis- und Landeskirchengrenzen stehen zur Disposition wie auch die an die jeweiligen Einheiten gebundenen Verantwortungskompetenzen. Gleichzeitig erfolgt in der Kirche wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen unter dem Stichwort der Professionalisierung eine Individualisierung organisatorischer Interessen: Die einzelne Person und die Frage, wie und mit welchen Kompetenzen sie ihren Beruf ausbt, wird zum Fokus des Leitungsinteresses und zahlreicher Reformbemhungen in Aus- und Fortbildung.
2. Vorgehen
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Wie lsst sich der Grad der Vernderung durch diese Prozesse der konomisierung und Professionalisierung bestimmen? Wie tiefgreifend ist der Wandel? Zwei Kennzeichen sind zunchst augenfllig: Die Vernderung geschieht flchendeckend, es gibt keinen organisatorischen Bereich in den Landeskirchen, der davon nicht betroffen ist, und sie vollzieht sich mit hoher zeitlich exponentieller Dynamik. Die Vernderungen werden im theologischen Diskurs selbst als „grundlegend“ kommentiert und zugleich mit hoher Widerstndigkeit belegt. Wie verhalten sich diese Phnomene zueinander?
2. Vorgehen Hier setzt die Fragestellung dieser Arbeit an, nmlich mithilfe wissenssoziologischer Diskursanalyse diesen Prozess des „Umbaus“ oder „Wandels“ als einen Prozess der sozialen Konstruktion und Legitimation von Deutungs- und Handlungsstrukturen zu rekonstruieren. In meiner Analyse beziehe ich mich auf die wissenschaftlichen Ausarbeitungen der auf Michel Foucault zurckgehenden Gouvernementalittsstudien zur „Fhrung der Lebensfhrung“, die einen grundstzlichen Zusammenhang zwischen Herrschafts- und Selbsttechnologien konstruieren und auf diese Weise Machtmechanismen in ihrer Mikrooptik untersuchen. Warum dieser Ansatz? „Was mich betrifft, so kam ich mir wie ein Fisch vor, der aus dem Wasser hochspringt und auf der Oberflche eine kleine, kurze Schaumspur hinterlsst und der glauben lsst oder glauben machen will oder glauben mçchte oder tatschlich selbst glaubt, dass er weiter unten, dort wo man ihn nicht mehr sieht, wo er von niemandem bemerkt oder kontrolliert wird, einer tieferen, kohrenteren, vernnftigeren Bahn folgt.“ Michel Foucault (1978)
Die Entscheidung, die gegenwrtigen Vernderungen von Kirche in Anlehnung an die Gouvernementalittsstudien zu untersuchen, verdankt sich der aus der kirchlichen Berufs- und Fortbildungspraxis erwachsenen Be-
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Einleitung
obachtung eines Phnomens, dass Vernderung wie oben beschrieben „passiert“. „Es passiert“ ist eine lapidare Beschreibung, die, wenn sie nicht fatalistisch sein will, nach Mechanismen fragen lsst, die erklren, was „es“ warum wie „passieren“ lsst. „An Versuchen, die Gegenwart auf einen Begriff zu bringen, herrscht kein Mangel: Sie wurde und wird beschrieben als Risiko-, Erlebnis-, Multioptions-, Kontroll- oder Netzwerkgesellschaft, als reflexive Moderne, Post- oder Postpostmoderne, als ra des Postfordismus, Neoliberalismus oder des Empire, um nur einige der gngigen Signaturen anzufhren. In jedem dieser Label steckt die Absicht, die Gegenwart von einer wie auch immer bestimmbaren Vergangenheit abzugrenzen, ihre spezifischen Merkmale herauszuarbeiten und sie vor allem auf ein dominantes Prinzip zurckzufhren“ (Brçckling/ Krasmann/Lemke 2004, 9).
Diese Studie begibt sich im Gefolge der Gouvernementalittsstudien in ein gedankliches Fahrwasser, dem es nicht um einlinige Kausalerklrungen, Aufdecken von Ursprngen und die Rekursion auf ein dominantes Prinzip geht, sondern eher um die Sichtbarmachung von Herknften1 und das Nachverfolgen von Spuren. Die vorliegende Arbeit will das „wie“ in den Blick nehmen und Konstellationen nachzeichnen, aus denen Ordnungen sich zusammensetzen. Wie passieren Vernderungen, wie vollziehen sich Ordnungswechsel, und auf die Kirche bezogen: Wie vollziehen sich die Anpassungsprozesse der Kirche als gesellschaftlicher Akteur? Allerdings soll dieser Akteur dabei auf eine spezifische Weise in den Mittelpunkt gerckt werden, indem er gerade nicht in der Zentralperspektive steht. Der Blick geht das Subjekt dezentrierend auf die Mechanismen und Verfahren, die den Akteur erst als Subjekt erkennbar machen. Insofern gilt auch fr diese Studie, was Brçckling/Krasmann/Lemke fr das „Glossar der Gegenwart“ beschreiben. Es „richtet den Blick nicht auf die Gesellschaft, um deren Bewegungsgesetze und Ordnungsprinzipien aufzudecken, sondern untersucht jene Rationalitten und Technologien, die Gesellschaft als Einheit berhaupt erst denkbar machen und praktisch herstellen. Statt die Ordnungen des Sozialen aus einer Zentralperspektive zu (re)konstruieren, zeichnet es Konstellationen nach, aus denen jene Ordnungen sich zusammensetzen (…). Die Gesellschaft bildet dabei das Resultat, nicht den Ausgangspunkt“ (ebd., 9, Hervorhebung im Text).
So wie „die Gesellschaft“ soll in dieser Studie auch „die Kirche“ in ihren sozialen Konfigurationen „Organisation“, „Institution“, Gemeinschaft etc. 1
In Anlehnung an Nietzsche begreift Foucault (2002) seine Genealogie als „Analyse der Herkunft“ (ebd.).
3. Kritik: Die „Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“
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als Resultante und Effekt eines Aushandlungsprozesses begriffen werden. Diese Studie will damit nicht eine weitere dominante Perspektive im Sinne einer neuen Theorie zugrunde legen, auch keine Alternative zu bisherigen Praktiken oder Problemlçsungen aufzeigen, obwohl genau dies das im kirchlichen Spezialdiskurs im Moment, wie noch zu zeigen ist, Gebotene und Erwartete scheint. Vielmehr will sie die bestehenden praktisch-theologischen Studien und Arbeiten ber die Reformprozesse der Kirche2 um eine Perspektive ergnzen, erweitern oder verfremden mit dem Ziel eines weiteren Erkenntnisgewinns. Mit Foucault gesprochen, sollen die Kulissen umgestellt werden (Foucault 1978, 177), um andere Entdeckungen machen zu kçnnen.
3. Kritik: Die „Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“3 „Alle Auseinandersetzungen um die Pastoral in der zweiten Hlfte des Mittelalters haben die Reformation vorbereitet und waren sozusagen die geschichtliche Schwelle, auf der sich jene kritische Haltung entwickelt hat.“ (Foucault 1992)
Wenn nun von Erkenntnissen und Entdeckungen die Rede ist, so ist damit die Fhrte gelegt zu dem Selbstverstndnis dieser Studie, die sich, in aller gebotenen Achtung vor dem Begriff, als ein kritisches Projekt verstehen mçchte. Als ein kritisches Projekt kann sie sich guten Gewissens als ein theologisches verstehen, wenn, wiederum und sogar mit Foucault, sich die Kritik als abendlndisches Aufklrungsprojekt „in einem betrchtlichen Teil im Verhltnis zur Heiligen Schrift entwickelt hat“ (Foucault 1992, 13) und sie „historisch gesehen biblisch“ ist. In seiner kleinen Schrift „Was ist Kritik?“ und dem daraus weiter entwickelten Essay „Was ist Aufklrung?“ legt Foucault dar, was er unter einem philosophischen Ethos verstehen will, und rekurriert dazu auf das christliche Pastoral oder die christliche Kirche. Diese hat „insofern sie eben eine spezifisch pastorale Aktivitt entfaltete, (…) die einzigartige und der antiken Kultur wohl gnzlich fremde Idee entwickelt, dass jedes Individuum unabhngig von seinem Alter, von seiner Stellung sein ganzes Leben hindurch (…) regiert werden msse“ (1992, 9). 2 3
Siehe dazu im berblick: Hermelink (2010), Karle (2009), Beckmann (2007). Foucault (1992), 52.
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Mit dieser „Regierung“ oder Lenkung zum Seelenheil und in der Folge der historischen Bewegung der „Regierbarmachung der Gesellschaft“4 sieht Foucault als Gegenpart, Widersacherin und Partnerin eine Kulturform, „eine moralische und politische Haltung, eine Denkungsart“ entstehen. Es ist die Kritik. Er definiert sie als „Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“ und findet ihren ersten historischen Ausdruck in den „frhesten Wurzeln“ (1992, 21) der Reformation. Kritik ist danach die Bewegung, „in welcher sich das Subjekt das Recht herausnimmt, die Wahrheit auf ihre Machteffekte hin zu befragen und die Wahrheit auf ihre Machtdiskurse hin“ (ebd., 15). Foucault verfolgt die Bewegung der Kritik bis zur Aufklrung und ihrer Entfaltung im 19. Jahrhundert und sieht das philosophische Ethos der Gegenwart am ehesten getroffen in der Baudelaireschen Haltung der Moderne. Fr sie ist „der hohe Wert der Gegenwart nicht von der verzweifelten Anstrengung zu trennen, sie sich vorzustellen, sie sich anders vorzustellen als sie ist, und sie zu transformieren, nicht durch Zerstçrung, sondern durch ein Erfassen dessen, was sie ist. Baudelairesche Modernitt ist eine bung, in der die hçchste Aufmerksamkeit dem Wirklichen gegenber mit der Praxis einer Freiheit konfrontiert wird, die dieses Wirkliche gleichzeitig respektiert und verletzt“ (Foucault 1990, 44).
Das Wirkliche als das, was ist, gleichzeitig zu respektieren und zu verletzen, das ist die Form der kritischen Haltung, die das Wirkliche darauf abtastet, was das Subjekt als ein erzwungenes und willkrlich bedingtes erkennen lsst. Ging es bei Kant um die Frage, welche Grenzen der Erkenntnis nicht berschritten werden drfen – was nicht erkannt werden kann – , so dreht das nachaufklrerische Projekt die Frage um und sucht in der Kontingenz, „die uns zu dem gemacht hat, was wir sind“, die Mçglichkeit, „nicht lnger das zu sein, zu tun oder zu denken, was wir sind, tun oder denken“ (1990, 49). Weil es eine kritische Haltung aber nicht als eine nicht-historische geben kann und sie immer geformt und berformt ist durch das, was ist, kann ihr Ort nicht außerhalb sein. Das philosophische Ethos ist von Foucault daher als „Grenzhaltung“ charakterisiert. Kritik wird „nicht lnger als Suche nach formalen Strukturen mit universaler Geltung gebt (…), sondern eher als historische Untersuchung der Ereignisse, die uns dazu gefhrt haben, uns als Subjekte dessen, was wir tun, denken und sagen, zu konstituieren und anzuerkennen“ (Foucault 1990, 49). 4
Die „Regierbarmachung“ wird spter mit dem Begriff der Gouvernementalitt bezeichnet.
3. Kritik: Die „Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“
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Kritik als praktisch-theologische Haltung So von Foucault in doppelter Weise prominent eingefhrt, liefert das Christliche Ansatzpunkte zu beidem: In der Behauptung, zur Seelenfhrung anzuleiten, ist es in seinen konkreten sozialen Ausgestaltungen Anschauung einer spezifischen Gouvernementalitt. Und in der von ihm mitgelieferten gleichzeitigen Behauptung eines Extra Nos, eines richtenden und befreienden Gottes, bestreitet das Christliche die Legitimitt jeder sich materialisierenden Form von Regierung und Herrschaft als alleingltiger. Der Blick in die biblischen Schriften und auf durch prophetisch-herrschaftskritische Bewegungen entfachte Kmpfe und Brche in der Kirchen- und Geistesgeschichte besttigt beides. Auch scheint Theologie in der Auseinandersetzung mit dem Kreuzestod Jesu kaum anders vorstellbar als eine, die die Frage nach Macht, Herrschaft und Unterwerfung in sich, wie die „Unruhe“ in einer mechanischen Uhr (Kierkegaard)5, lebendig hlt. Der Protestantismus weiß sich einer kritischen Haltung sich selbst gegenber verpflichtet und trgt die Herrschafts- und Institutionenkritik in sich, genauso wie er Anhaltspunkte ihrer legitimierenden Besttigung findet. „Am Rande des Diskurses“ scheint aus den dargelegten Grnden nun auch ein guter Ort fr praktisch-theologisches Forschen zu sein, so wie die als philosophisches Ethos charakterisierte „Grenzhaltung“ ein angemessener Modus ist, im Blick auf die Kirche und ihr Handeln wahrzunehmen, „was zu einer gegebenen Zeit an einem gegebenen Ort gedacht, gesagt, getan werden kann, und die Mçglichkeiten zur berschreitung dieser Ordnung“ (Maasen 2003, 124) zu erkunden. Die kritische Haltung muss in der berschreitung neuer Mçglichkeiten eine experimentelle sein, weil es Arbeit an den „Grenzen unserer selbst ist“ und sie nicht beanspruchen kann, global oder radikal zu sein (Foucault 1990, 49), so wie sie sich von dem Anspruch dispensieren muss, richtige oder wahre Antworten vorgeben zu sollen. „Die Schreibmaschine der Gouvernementalitt kann von einem ,besser’ oder ,schlechter’ nur schwer sprechen, weil derartige Urteile von epistemischen fundierten Bedingungen abhngen, die sie selbst archologisch abtastet. Statt dem ,besser’ oder ,schlechter’ widmet sie sich bevorzugt den Ausprgungen des 5
Kierkegaard (1992), 136: „Furcht und Zittern (vgl. Phil 2,12.) sind nicht der primus motor des christlichen Lebens, denn das ist die Liebe, aber sie sind es, was die Unruhe in der Uhr ist – sie sind die Unruhe des christlichen Lebens“ (Tagebuch 16. 2. 1839).
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Einleitung
,anders’. Wollte man daraus eine praktisch-politische Haltung ableiten, grndete sie auf der Ansicht, dass die Verhltnisse niemals ,bçse’, sondern immer gefhrlich sind. Diese Einschtzung fhrt, wie Foucault betonte, zu einem pessimistischen Aktivismus, der der Gegenwart in gleichem Maße verpflichtet ist, wie er sie durch ein Erfassen dessen, was ist, transformieren mçchte: ,Weder zur Furcht noch zur Hoffnung besteht Grund, sondern nur dazu, neue Waffen zu suchen‘ (Deleuze)“ (Opitz 2004, 190).
Zwar nicht in dieser Weise martialisch, soll der „pessimistische Aktivismus“ mit diesem Forschungsprojekt doch als ein „protestantischer Aktivismus“ verstanden werden. Dieser versucht das empirisch auffindliche „Sein unter den Bedingungen der Existenz“ (Tillich) zumindest in einer auf dialektische Prozesse konzentrierten Aufmerksamkeit zu erfassen und zu beschreiben. Die kritische Haltung stellt Erkenntnis her in der Form des Blicks, den sie erzeugt. Die Transformation soll passieren im Aufzeigen dessen, was ist. Es ist dieses Element der pastoralen Beichtpraxis – zu sagen, was ist – , das Foucault als ein zentrales Element in sein eigenes Aufklrungsprojekt integriert hat. Wobei es ihm jedoch gerade nicht um die Erforschung einer „inneren Wahrheit“ ging, sondern um das Auffindigmachen der ußerlichkeiten und Positivitten. In diesem Sinne ist es eine Art Aufklrung, die durch eine kleine Geste sichtbar macht, was bereits sichtbar ist. (Foucault 1978 nach: Maaschelein et. al. 2004, 25)
4. Theorie und Methode – die Anlage der Arbeit Eine Grenzhaltung ist nur dann eine Grenzhaltung, wenn sich zugleich mit ihr eine Distanz gegenber dem, was ist, herstellt. Sie hat einen Blick, der be- und verfremdet und Vertrautes anders perspektiviert. Der Blick dieser Studie wird deshalb gefhrt und angeleitet durch wissenssoziologische Methoden und Forschungsergebnisse. Gegenstand der Beobachtung und damit das empirische Material ist der theologische und kirchliche Diskurs. In der Haltung der Kritik als die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden, fragt die Studie nach den kirchlichen Subjekten und den Bedingungen ihres Entstehens. Kulissen sollen umgestellt werden in der Identifizierung von Mechanismen, die Vernderung „passieren lassen“. Der „Respekt“ der Baudelaireschen Haltung ist ein Respekt vor dem, was ist. Die „Verletzung“ besteht in dem Aufzeigen dessen, wie es wurde, was es ist, nmlich kontingent und als ein Produkt von Macht- und Wissensbeziehungen.
4. Theorie und Methode – die Anlage der Arbeit
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Gouvernementalitt Die seit einigen Jahren beobachtbaren kirchlichen Vernderungsprozesse werden perspektiviert als gesellschaftlich geforderte und erzeugte Anpassungsprozesse eines kollektiven Akteurs. Dabei wird sozialkonstruktivistisch ausgegangen von dem Foucaultschen Theorem der Gouvernementalitt der Gegenwart, wonach sich gesellschaftliche Vernderung derzeit vollzieht ber eine an Effizienzrationalitt orientierte Subjektivierungsund Responsibilisierungsstrategie. Die Kirche als kollektiver Akteur kann sich, so wird vorausgesetzt, so wenig wie jeder andere Akteur diesem gouvernementalen Appell entziehen, sich als „unternehmerisches Selbst“ (Rose 1996, Brçckling 2007) zu entwerfen, und genau wie andere gesellschaftliche Akteure tut sie dies auf eine spezifische Weise. Die spezifische Unterwerfung, Subjektivierung wird paradox verstanden als Akt sowohl der Unterwerfung als auch der Bemchtigung, ist orientiert an dem, was bisher als das Subjekt kennzeichnend fr wahr gegolten hat. Wissenssoziologisch betrachtet werden in diesem Unterwerfungsprozess als einem Akt der Aushandlung von Deutungs- und Handlungsmustern diskurseigene Wissensbestnde aktiviert, verworfen, als Abwehrstrategie oder als Anpassungsressource genutzt. Die neoliberale Gouvernementalitt zeichnet sich dadurch aus, dass Selbstbestimmung, Wahlfreiheit und Verantwortung nicht die Grenzen des Regierungshandelns bestimmen, sondern – im Gegenteil – dessen Instrumente sind und alle Bereiche des Lebens umfassen. Die auf Subjektivierung und Responsibilisierung ausgerichteten Selbstmodellierungstechniken zielen auf die Individualisierung von Akteuren, wobei kollektive Subjekte wie Organisationen eingeschlossen sind. Die Gouvernementalitt der Gegenwart als das „Regime der Selbstfhrung“ trifft mit der Kirche auf einen Akteur, zu dessen Selbstverstndnis und Subjektkonstitution es gehçrt, sich im Feld der Selbstfhrung auszukennen. Folgt man der „Protestantischen Ethik“ Max Webers, msste die Protestantische Kirche mit der Gouvernementalitt einer strategie- und effizienzorientierten und an Ntzlichkeitskriterien ausgerichteten Logik auf ihre eigenen Skularisate treffen. Folgt man den genealogischen Ausfhrungen Foucaults, mssten die christlichen Kirchen des Abendlandes in den Sozial- und Selbstpraktiken der auf das einzelne Subjekt konzentrierten angeleiteten Selbstfhrung ebenso Formen eigener, nun skularisierter Pastoralmacht begegnen. Dies gibt Anlass zur Vermutung, dass in den Aushandlungsprozessen Anpassungsressourcen aktiviert werden. Andererseits kann davon ausgegangen werden, dass die effizienzorientierte,
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Einleitung
neoliberale Ratio in den Wissensbestnden der Kirche auf die biblische Gouvernementalitt einer sich Großzgigkeit und dem Respekt vor dem Unverfgbaren verpflichtenden Ratio trifft. Dies lsst auf mçgliche Abwehrstrategien schließen. Das Motto der Fastenaktion der Evangelischen Kirche in Deutschland 2008 „Verschwendung – sieben Wochen ohne Geiz“ kann dann beispielsweise als Produkt eines solchen komplexen Aushandlungsprozesses vermutet werden. Diskursanalytisch soll sich mit der Studie nachvollziehen lassen, wie die Kirche dem responsiblisierenden und subjektivierenden Imperativ folgend das „unternehmerische Selbst“ bersetzt. Der Begriff „bersetzung“ drckt aus, dass es sich um eine quivalentsetzung und, diskursanalytisch gesprochen, um denselben an Formationsregeln erkennbaren Diskurs handelt, der unterschiedliche Effekte erzeugt. Gezeigt werden soll, dass die oben beschriebenen unterschiedlichen und sich zum Teil widersprchlich zueinander verhaltenden Phnomene kirchlichen „Umbaus“ Auswirkungen ein- und derselben gouvernementalen Einarbeitungspraxis neoliberaler Strategien sind: Es geht um Selbstmodellierung der Organisation und Person durch Strategien der Selbst- und Fremdfhrung. Kirchlich-theologischer Diskurs Der kirchlich-theologische Diskurs6 greift in seiner Reaktion auf die Aufforderung zur Selbstmodellierung des kollektiven wie des individuellen Selbst weit in sein archiviertes Wissen hinein, das auf je unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichem Erfolg herangezogen wird: Die Hufigkeit des Rckgriffs auf die reformatorischen Bekenntnisschriften der evangelischen Kirche in den letzten fnfzehn Jahren indiziert beispielsweise den hohen Grad der Verunsicherung und die behauptete Fragilitt bestehender landeskirchlicher institutionell verfasster Strukturen. Von einer neuen Reformation ist die Rede, man will „evangelisch aus gutem Grund“ sein, so das Motto einer Imagekampagne – und muss sich fragen lassen, ob es denn vorher keine oder nur schlechte Grnde gab bzw. warum es berhaupt welcher bedarf.
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Der theologische Diskurs meint hier in dieser Studie den akademischen und kirchlichen und in sich interdiskursiv angelegten in den Verçffentlichungen des Deutschen Pfarrerblattes und in Selbstprsentationen auf kirchlichen Internetseiten (siehe Teil 1, 5.2.).
4. Theorie und Methode – die Anlage der Arbeit
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Der Rckgriff auf vorreformatorische Traditionen, beispielsweise auf ignatianische Exerzitien oder die Regeln Benedikts, lassen den Gestaltungswillen vermuten, ber die Fhrung des Einzelnen die Kirche als christliche Kirche zu profilieren – die erschreckte Rede von der „Katholisierung“ der evangelischen Kirche macht die Runde genauso wie die irritierte Frage, ob man denn ohne Exerzitien nicht fromm genug sei. Der Rckgriff auf religionsphilosophische, anthropologische Grundlinien (Frage aus einer anderen Imagekampagne der EKD: „Was ist fr Sie Glck?“) soll helfen, sich als Organisation mit religiçser oder im weitesten Sinne lebensdienlicher Kompetenz im skularisierten Gefge bekannt zu machen – der indignierte Vorwurf der Banalisierung und Profillosigkeit folgt auf dem Fuße. Protestantisch, christlich, religiçs – die zur Verfgung stehende Klaviatur kirchlichen Wissens wird dabei bespielt, ohne allerdings alle Tasten zu gebrauchen. Denn nicht alle scheinen sich gleichermaßen anschlussfhig zu erweisen. Auch diese exkludierenden Effekte sollen sichtbar gemacht werden als Teil eines Anpassungsprozess des kirchlichen Akteurs, der sich als Produktionsprozess vollzieht. Das „kirchlich-unternehmerische Selbst“ wird in Diskursen, Verfahren und Praktiken erst hergestellt. Umgekehrt trgt die Wahrnehmung dieser Praktiken zur Konstruktion von Bedingungen bei, die die konomisierung des Sozialen weiter fortschreiben. Neoliberale Strategien operieren mit dem Grundversprechen der Gewinnung autonomer Freiheit. Damit muss sich der theologische Diskurs, der diese Mçglichkeit als Mçglichkeit wesentlich bestreitet –, erst das macht ihn zum theologischen Diskurs – auseinandersetzen, und es ist die Frage, in welchem Maße er davon tangiert wird. Handelt es sich um Transformationen oder Mutationen? Bleibt die Kirche die, die sie immer war, und durchluft gegenwrtig nur einen weiteren Anpassungsprozess? Verndert sie sich in ihrer Essenz und hçrt sie damit auf, Kirche zu sein? Diese Fragen zu stellen, scheint obsolet, weil diese sich einem inzwischen ohnehin postmodern transformierten und damit berholten Identittsdiskurs verdanken. Diese Fragen trotzdem zu stellen, heißt aber auch, die Subjektposition dieser wissenssoziologischen Studie zwar als am „Rande des Diskurses“, doch gleichzeitig als praktisch-theologisch motivierte Studie als Teil des Diskurses zu beschreiben. Denn das Interesse an einem kohrenten Selbst ist nur eine weitere Runde der Fortschreibung des beobachteten Diskurses. Dem Bemhen um Aufklrung bleibt die Mhe nicht erspart, den Bus versuchen anzuschieben und gleichzeitig in ihm zu sitzen (Reichertz 2006a).
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Einleitung
Der Fokus der Arbeit In praktisch-theologischer Hinsicht mçchte diese Studie einen wissenssoziologisch basierten Beitrag leisten zu den Forschungsprozessen um die Sozialgestalt von Kirche und der hierauf bezogenen Funktion wissenschaftlicher Theologie. In einem ersten Teil wird die theoretische, methodologische und methodische Grundlegung vorgenommen, in einem zweiten Teil schließen sich die Ergebnisse der empirischen Untersuchung an. Auch wenn die Arbeit eine Arbeit an Texten ist, versteht sie sich als empirische Arbeit, weil sie eine methodisch geleitete Beobachtung von Diskursen ist, die als soziale Gegenstnde begriffen werden. Die Untersuchung bezieht sich auf die evangelischen Landeskirchen in Deutschland, die Materialgrundlage sind Verçffentlichungen des Deutschen Pfarrerblattes (1995 – 2005), Internetprsentationen (2004 – 2007) und kirchliche Programmschriften. Die Arbeit geht in der Konstruktion ihrer Hypothesenbildung von der soziologischen Perspektive auf die Gegenwart aus, d. h. sie untersucht an ausgewhlten Beispielen und fragmentarisch, wie sich der allgemeine gesellschaftliche Diskurs im kirchlich-theologischen Spezialdiskurs verfngt und unterschiedliche Effekte erzeugt.
Teil 1: Theoretische, methodologische und methodische Grundlinien
1. Foucaults Macht/Wissen-Komplex 1.1. Foucault im Interesse Das Interesse an den Forschungen des Philosophen und Psychologen Michel Foucault (1926 – 1984) ist nach einer ersten großen Rezeptionswelle in den 1960er Jahren, die ihn sowohl als „Star der franzçsischen Intellektuellenszene“ als auch als philosophisches „enfant terrible des Collge de France“ stilisierte, in den letzten Jahren fast eruptiv neu entfacht.1 Vor allem die sozialwissenschaftliche Diskursforschung und die Gouvernementalittsstudien sind der „Werkzeugkiste Foucaults“ (Foucault 1989, 45) entnommen und werden in unterschiedlichen Wissensgebieten als „Anregungspotenzial“ (Keller 2008a, 122ff ) genutzt. Philosophische und geschichtswissenschaftliche Forschung, feministische Theoriebildung und Geschlechterforschung, Science, Culture und Postcolonials Studies, Pdagogik, Politikwissenschaft und Soziologie, Rechtswissenschaften und auch vor allem die katholische Theologie2 sind Bereiche, in denen auf Foucault rekurriert wird. „Foucaults enormer Erfolg rhrt gerade aus dem, was ihm die Kritiker vorwerfen. Ein schwer zu fassender Querdenker zu sein, der sich wenig um geglaubte Wahrheiten, disziplinre Zustndigkeiten und Rituale, konsistente Theorien und allseitige methodische Absicherung seiner Aussagen bemhe – und dies mit einem provokativen Gestus, der die Detailanalyse mit ,großformatigen’ Fragestellungen verbinde. Es ist die von ihm verkçrperte und mit seinen Denkwerkzeugen verbundene ,Lust und Wut des Denkens‘, die nach wie vor dazu anstachelt, auf der Grundlage empirischer Beobachtungen neue Denkexperimente einzugehen, Evidenzen des Sozialen aufzubrechen und andere Lesarten zu entwerfen“ (Keller 2008b, 128).
Dass mit der Ausbildung einer Forschungsrichtung und der Methodisierung die von Rainer Keller zitierte „Lust und Wut des Denkens“ inzwischen
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Ein ausfhrlicher berblick bis 2007 findet sich bei Lemke (2007b), Einleitung, S.11 – 21, und Lemke (2007a), S. 47 – 64. Steinkamp (1999), Bauer/Hçlzl (2003), Kolf-van Melis (2003), Schper (2006); im Bereich der evangelischen Theologie und Religionsforschung: Manzeschke (2007), Dçbert (2009).
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1. Foucaults Macht/Wissen-Komplex
einer Disziplinierung Foucaults gewichen sein kçnnte3, und das Faktum seiner Rezeption4 wren Anlass genug, selbst zum Gegenstand wissenssoziologischer Reflektion5 zu werden, und dies zeigt, wie weit der Einfluss Foucaults reicht. Fr das Verfertigen einer wissenschaftlichen Studie liegen die mit der umfangreichen Literaturlage gegebenen Vor- und Nachteile auf der Hand: Einen umfassenden und aktuellen berblick ber die Literaturlage zu bekommen und zu vermitteln, bedarf bei fast monatlichen Neuerscheinungen einer sich dem Flexibilittsgestus verpflichtenden Dauerrecherche6, die doch nie sicher sein kann, wirklich alles erfasst zu haben. Zum anderen, und das ist der Vorteil, erscheinen in gleichem Maße Einfhrungen7 in Werk und Biografie und zahlreiche Monografien und Aufsatzsammlungen, die sich bemhen, den neuesten Stand der Forschung zu dokumentieren und auf die deshalb in diesem Zusammenhang verwiesen werden kann. Diese Studie wird sich hier konzentrieren auf das die Nachvollziehbarkeit der empirischen Arbeit ermçglichende nçtige Wissen im Blick auf Theorie, Methodologie und Methode. Eine der Schwierigkeiten, mit Foucaults Texten umzugehen, besteht darin, dass seine Arbeiten sich einer Klassifizierung verweigern, wie beispielsweise der Frage, ob er dem Strukturalismus, Poststrukturalismus oder dem Konstruktivismus zuzuordnen sei. Eine weitere damit zusammenhngende Problematik ist, dass sich seine Eigensemantik nicht ohne weiteres an gngige wissenschaftliche Diskurse anschließt und anschließen lsst8. Nicht ohne Grund entstehen Glossare zum Methodischen (z. B. Keller 2004, 64 f ) oder ein Lexikon zum theoretischen Denken Foucaults (Rouff 2007). Hinzukommt, dass er in kreativer Freiheit operiert, die die Konsistenz seiner Arbeiten nicht erkennen lsst:
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Diese Frage stellt sich ein angesichts des an Foucaults Schriften angelegten panoptischen Blicks von Michael Ruoffs 2007 vorgelegtem „Foucault-Lexikon“. Annette Treibel (2006), 73, bezeichnet Foucault sogar schon als „kanonisiert“ im Blick auf eine Studie in den USA, der zufolge er zu den „meistzitierten Autoren“ zhlt. Beispielsweise Pongratz et al. (2004), Sarasin (2005) , Keller (2008a), Reichertz (2006), Kocyba (2006), Gehring (2007). Allein der VS-Verlag verzeichnet unter dem Stichwort „Diskursanalyse“ innerhalb eines Jahres 35 Neuerscheinungen bzw. Neuauflagen – Zugriff vom 20.03. 2010 auf www.vs-verlag.de. Keller (2008b), Sarasin (2005), Kleiner (2001), Fink-Eitel (1997). Dies ist ein Grund fr die vielfache Verwendung wçrtlicher Zitate in der Sekundrliteratur, so auch in dieser Arbeit.
1.1. Foucault im Interesse
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„Glauben Sie, dass ich whrend all dieser Jahre so viel gearbeitet habe, um dasselbe zu sagen und nicht verwandelt zu werden!“ (Foucault 2005, 654),
oder – wie man ihm unterstellen kann – sie nicht ohne Intention verschleiert (siehe dazu 1.3.). Wenn nun versucht werden soll, eine Art Foucault-Kurzexegese der empirischen Arbeit voranzustellen, so geht dies nicht, ohne zu gewichten, wo die Darstellung ansetzen soll: bei dem Subjektbegriff, womit der Werkgeschichte und auch dem Fokus Foucaults gefolgt werden wrde, oder bei dem Foucault eigenen Machtverstndnis, was gerade die letzten Arbeiten konturiert und sein gesamtes Werk in ein politisches Konzept bettet, „Nicht die Macht, sondern das Subjekt ist (…) das eigentliche Thema meiner Forschung. Aber die Analyse der Macht ist selbstverstndlich unumgnglich. Denn wenn das menschliche Subjekt innerhalb von Produktions- und Sinnverhltnissen steht, dann steht es zugleich auch in sehr komplexen Machtverhltnissen“ (Foucault 1987, 243),
oder bei dem sehr eigenen und fr alle Arbeiten zentralen Diskursbegriff. Foucaults Diskurskonstruktivismus lsst sich mit Keller beschreiben als ein „Konstruktivismus ohne Konstrukteur“ (Keller 2008a, 128). Diskurse werden von Foucault verstanden als „faits sociaux“, als soziale Gegenstnde. „Ihn interessieren Regelstrukturen von Diskursen und Praktiken als emergente Strukturierungsmuster von sprachlichen ußerungen und Handlungsweisen, als soziale Erzeugnisse, die nicht auf die Intentionalitt erzeugender Subjekte zurckgefhrt werden kçnnen. Sie entstehen als nicht kontrollierte Struktureffekte, die den Spielraum des Sagbaren regulieren“ (Keller 2008a, 128).
Gesellschaftsentwicklungen lassen sich vor diesem Hintergrund nicht mit wissenschaftlichen Großtheorien zusammenbringen, sie sind eine Abfolge von Strukturierungsweisen, die erscheinen und vergehen. Das Subjekt erscheint entsprechend als kontingentes Produkt von Strukturierungsweisen, die wiederum als Ausdruck von Machtverhltnissen verstanden werden. Weil dieser Subjektbegriff in verschiedener Hinsicht provoziert, befremdet und zum Widerspruch reizt, soll die Darstellung hiermit beginnen; die anderen Aspekte werden der Subjektproblematik zugeordnet.
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1. Foucaults Macht/Wissen-Komplex
1.2. Subjekt und Subjektivierung – ein kritisches Forschungsprojekt Subjekt Foucaults unvollstndig und fragmentarisch gebliebenes Forschungsprogramm und seine grundstzliche Weigerung einer konsistenten und kohrenten Theoriekonstruktion haben dazu gefhrt, dass nicht nur im Rahmen der governmentality studies viele Anstze weiterentwickelt wurden, sondern die Foucaultrezeption sich zu metatheoretischen Problematisierungen aufgefordert sah. Dies gilt in besonderer Weise fr den von Foucault verwendeten und seinen Arbeiten zugrunde liegenden Subjektbegriff.9 „Subjekt“ fasst Foucault in seinem zweifachen Sinn „vermittels Kontrolle und Abhngigkeit jemandem unterworfen sein und durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis seiner eigenen Identitt verhaftet sein. Beide Bedeutungen unterstellen eine Form von Macht, die einen unterwirft und zu jemandes Subjekt macht“ (Foucault 1987, 246 f )10.
Foucault beschreibt den Vorgang der Subjektivierung entsprechend nicht als einen Prozess, in dem Menschen durch selbstbestimmte Handlungen zu Subjekten werden, sie werden dazu entschieden, weil sie begehren zu sein11. Macht ist das, was „Subjekte allererst bildet und formt und was dem Subjekt seine Daseinsberechtigung und die Richtung seines Begehrens gibt“12.
9 Siehe dazu im berblick Keller (2008), 122 ff., Reckwitz (2008) und (2006). 10 Im ursprnglichen Sinn des Wortes sujet – unterwerfen. 11 Foucault (1989b), 12 f: „Nach dem Studium der Wahrheitsspiele in ihrem Verhltnis zueinander – am Beispiel einiger empirischer Wissenschaften im 17. und 18. Jahrhundert und nach dem Studium der Wahrheitsmechanismen im Verhltnis zu den Machtbeziehungen – am Beispiel der Strafpraktiken – schien sich mir eine andere Arbeit aufzudrngen: das Studium der Wahrheitsspiele im Verhltnis seiner selbst zu sich und der Konstitution seiner selbst als Subjekt – im Einzugsbereich und Untersuchungsfeld dessen, was man die ,Geschichte des Begehrensmenschen‘ nennen kçnnte.“ Foucault hat dieses Vorhaben jedoch nicht weiter verfolgt bzw. nicht zur Verçffentlichung frei gegeben. 12 Brçckling (2007), 32.
1.2. Subjekt und Subjektivierung – ein kritisches Forschungsprojekt
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Macht und Diskurs Macht ist nach Foucault ein „Zwischen“, eine Immanenz, die sich ausdrckt in dem „Wie“ der Einflussnahme auf andere. Gerade nicht eine Metaphysik oder Ontologie der Macht steht im Fokus des Interesses, Macht wird weder personalisiert gedacht noch kann sie „gehabt“ werden, denn sich darauf zu konzentrieren hieße, ein „Ensemble sehr komplexer Realitten“ verpassen zu kçnnen13. Macht soll gedacht werden als „die Vielfltigkeit von Kraftverhltnissen, die ein Gebiet bevçlkern und organisieren; das Spiel, das in unaufhçrlichen Kmpfen und Auseinandersetzungen diese Kraftverhltnisse verwandelt (…) und schließlich die Strategien, in denen sie zur Wirkung gelangen und deren große Linien und institutionellen Kristallisierungen sich in den Staatsapparaten, in der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien verkçrpern (…). Die Macht ist der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt (…). Die Machtbeziehungen verhalten sich zu anderen Typen von Verhltnissen (çkonomischen Prozessen, Erkenntnisrelationen, sexuelle Beziehungen) nicht als etwas ußeres, sondern sind ihnen immanent“ (Foucault 1989a, 113 ff ).
Machtverhltnisse wurzeln tief im gesellschaftlichen Nexus und bilden keine zustzliche Struktur, deshalb kann eine Gesellschaft ohne Machtverhltnisse „nur eine Abstraktion“ sein. Wer die Macht analysiert, analysiert Modalitten: Machtausbung ist die Weise, „das Feld mçglichen Handelns der anderen zu strukturieren“ (Foucault 1999, 195)14. Machtanalytik muss sich demzufolge konzentrieren auf verschiedene Aspekte, so auf das System der Differenzierungen, das zugleich Bedingung und Wirkung von Machtverhltnissen ist: juridische, traditionelle, çkonomische 13 Foucault, Wie wird Macht ausgebt? In: Foucault (1999), 187. Foucault (1987), 255: „Die Machtausbung ist ein Ensemble von Handlungen in Hinsicht auf mçgliche Handlungen; sie operiert auf dem Mçglichkeitsfeld, in das sich das Verhalten der handelnden Subjekte eingeschrieben hat: sie stachelt an, lenkt ein, gibt ab, erleichtert oder erschwert, erweitert oder begrenzt, macht mehr oder weniger wahrscheinlich; im Grenzfall nçtigt oder verhindert sie vollstndig; aber stets handelt es sich um eine Weise des Einwirkens auf ein oder mehrere handelnde Subjekte, und dies sofern sie handeln oder zum Handeln fhig sind. Ein Handeln auf Handlungen.“ 14 Saar (2007, 31): „Man kçnnte die Pointe der Foucault’schen Theorie des Politischen der gesamten 70er Jahre ganz allgemein so zusammenfassen, dass sie potenziell alles politisiert. (…) Der mehr als semantische Wechsel der Rede von Macht als Besitz zur Macht als generellem strukturierendem Element des Sozialen ist folgenreich darin, dass er jede institutionelle Ordnung als nur temporres Produkt eines dynamischen Machtgeschehens durchsichtig macht“.
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1. Foucaults Macht/Wissen-Komplex
Unterschiede, Unterschiede in der Stellung innerhalb des Produktionsprozesses, sprachliche, kulturelle Unterschiede, Unterschiede im Kçnnen und in den Kompetenzen etc. Als weitere Aspekte nennt Foucault die „Typen von Zielen, die von jenen verfolgt werden, die auf das Handeln anderer einwirken“, die instrumentellen Modalitten, ob durch Waffen oder durch Worte, die Formen der Institutionalisierung und die Grade der Rationalisierung (ebd.,196 f ). Dieses Ensemble von Praktiken und Diskursen bezeichnet Foucault auch als „Dispositive“ der Macht (siehe zu Dispositive: 1.3.). Macht und Wissen In diesem Verstndnis der Macht, das Feld mçglichen Handelns anderer durch Praktiken zu strukturieren, ist eine andere Komponente epistemologisch konstitutiv mitgegeben, nmlich der Zusammenhang von Macht und Wissen. Wissen wird verstanden nicht als „Summe von Erkenntnissen“ (Ruoff 2007, 236) sondern als „unumgnglich kontingentes Ergebnis von Krfteverhltnissen und in sich selbst machthaltiger Zugriff auf die Welt“ (Keller 2008b, 84). „Eher ist wohl anzunehmen (…), dass Macht und Wissen einander unmittelbar einschließen; dass es keine Machtbeziehung gibt, ohne dass sich ein bestimmtes Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert (…) Vielmehr ist in Betracht zu ziehen, dass das erkennende Subjekt, das zu erkennende Objekt und die Erkenntnisweisen jeweils Effekte jener fundamentalen Macht/Wissen-Komplexe und ihrer historischen Transformation bilden“15.
ber diese Verknpfung von Macht (als Kçnnen im Sinne einer Mçglichkeit, eines materialen Handlungsvermçgens) und Wissen (als Kçnnen im Sinne einer Fhigkeit)16 lenkt Foucault den Blick auf das Wissen nicht als eine Ressource, sondern als die Form der Macht. Handlungsvermçgen wird durch Bedeutungszuweisung konstituiert. „Von diskursiv prozessiertem Wissen gehen Strukturierungseffekte des Realen aus, die spezifische Ordnungen des Wirklichen zulassen, andere im Kontrast dazu eher ausschließen“ (Keller 2008a, 128). Oder anders ausgedrckt: Was wie gewusst, fr richtig und fr plausibel gehalten wird, und was nicht gewusst, 15 Foucault (1976) zitiert nach Keller (2008b), 84, Ruoff (2007), 237. 16 Im Hintergrund steht die Unterscheidung in der franzçsischen Bedeutung von savoire faire und pouvoire faire, Keller (2008a), 140.
1.2. Subjekt und Subjektivierung – ein kritisches Forschungsprojekt
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fr falsch und fr nicht plausibel gehalten wird, ist Bedingung und Wirkung von Machtverhltnissen. Dies gilt auch fr das, was fr wahr gehalten wird: „Die Wahrheit ist von dieser Welt; in der Welt wird sie aufgrund vielfltiger Zwnge produziert, verfgt sie ber geregelte Machtwirkungen. Jede Gesellschaft hat ihre eigene Ordnung der Wahrheit, ihre ,allgemeine Politik‘ der Wahrheit: d. h. sie akzeptiert bestimmte Diskurse, die sie als wahre Diskurse funktionieren lsst; es gibt Mechanismen und Instanzen, die eine Unterscheidung von wahren und falschen Aussagen ermçglichen und den Modus festlegen, in dem die einen oder anderen sanktioniert werden; es gibt einen Status fr jene, die darber zu befinden haben, was wahr ist und was nicht“ (Foucault 1978, 51).
„Wahrheit“ ist keine irgendwie „richtige“ Abbildung von Realitt, noch eine substanzielle Qualitt von Aussagen, sondern ein historisch kontingentes Ergebnis von Wissenspolitiken (Keller 2008a, 139). Es geht dabei nicht um eine Geschichte des Wahren oder eine Geschichte des Falschen, sondern um Prozesse der Veridiktion: „Wir sind der Produktion der Wahrheit durch die Macht unterworfen und kçnnen die Macht nur ber die Produktion der Wahrheit ausben“ (Foucault 1978, 76).
Die Suchbewegung fragt danach, warum etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt als wahr bzw. als falsch erscheint, oder warum bestimmte Handlungen als vernnftig, selbstverstndlich oder evident gelten. Ziel der Foucaultschen Analyse ist der empirische Nachweis der Kontingenz menschlicher Lebensweisen und des jeweils als „wahr geltenden Wissens“ als Folge eines historischen Prozesses, der aus einer Vielzahl von Mçglichkeiten nur sehr begrenzte, eingeschrnkte und einschrnkende Formen verfestigt und durchgesetzt hat. Diese „Verknappung des Diskurses“ ist Ausweis der jeweils spezifischen Form der Macht. Der Macht/Wissen – Komplex betrifft unmittelbar das Wissen des Menschen von sich selbst. „Nicht zu einer Geschichte dessen, was es Wahres in den Erkenntnissen geben mag, sondern zu einer Analyse der ,Wahrheitsspiele’, der Spiele des Wahren und des Falschen, in denen sich das Sein historisch als Erfahrung konstituiert, das heißt als eines, das gedacht werden kann und muss. Anhand welcher Wahrheitsspiele gibt sich der Mensch sein eigenes Sein zu denken, wenn er sich als Irren wahrnimmt, wenn er sich als Kranken betrachtet, wenn er sich als lebendes, sprechendes und arbeitendes Wesen reflektiert, wenn er sich als Kriminellen beurteilt und bestraft? Anhand welcher Wahrheitsspiele hat sich das Menschenwesen als Begehrensmensch erkannt und anerkannt?“ (Foucault 1989b, 13).
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1. Foucaults Macht/Wissen-Komplex
Das Selbstverhltnis des Menschen, als transitives wie intransitives, erscheint in dem Licht Foucaultscher Suchheuristik als ein ebenfalls kontingent historisch gestaltetes und durch Wissenspolitiken produziertes. Dies ist nicht deterministisch gedacht, im Gegenteil gilt Foucault die Freiheit als Existenzbedingung von Macht. „Macht wird nur auf ,freie Subjekte‘ ausgebt und nur insofern diese ,frei‘ sind. Hierunter wollen wir individuelle oder kollektive Subjekte verstehen, vor denen ein Feld von Mçglichkeiten liegt, in dem mehrere ,Benehmen‘, mehrere Reaktionen und verschiedene Verhaltensweisen statthaben kçnnen“ (Foucault 1999, 194).
Das Machtverhltnis und das Aufbegehren der Freiheit bedingen einander in einem „komplexen Spiel“ und sind gerade nicht zu trennen17. Die „Widerspenstigkeit des Wollens“ und die „Intransitivitt der Freiheit“ „provozieren“ die Machtbeziehung und konstellieren ein agonisches Verhltnis (Foucault 1999, 194). Der sich der Einwirkung widersetzende Wille findet unterschiedliche Ausdrucksmçglichkeiten und schreibt so Machtausbung fort: Sie verwandelt sich und organisiert sich. Macht ist so verstanden nicht normativ und in ihrer jeweiligen Materialitt als notwendig gekennzeichnet, sondern im Gegenteil ist die Analyse und die „Herausarbeitung, die Infragestellung der Machtverhltnisse und des ,Agonismus“’ zwischen Machtverhltnissen und der Intransitivitt der Freiheit eine bestndige politische Aufgabe (…), die jeglicher gesellschaftlichen Existenz innewohnt“ (Foucault 1999, 196).
1.3. Das Forschungsprogramm – Methodologie des Macht/Wissen – Komplexes Der Kampf, die Agonie, dieser „fortwhrenden Provokation“ ist fr Foucaults Forschungsprogramm konstitutiv, weil er sich in beobachtbaren Widerstnden manifestiert und diese hilfreiche Einstiegspunkte fr die Analyse von Machtmechanismen bieten. Diese Widerstnde zeigen sich in den von Foucault so bezeichneten diskursiven „Problematisierungen“, es sind „Bruchstellen der historischen Entwicklungen (…), in denen gesellschaftliche Routinen des Denkens und 17 Dies entgegen dem Foucault vielfach gemachten Vorwurf eines machttheoretischen Reduktionismus, so z. B. Habermas (1995) oder Honneth (1985). – Zur Diskussion zu den Einwnden siehe die Zusammenfassungen und Positionen bei Kessl (2007), 203 – 225.
1.3. Das Forschungsprogramm – Methodologie des Macht/Wissen – Komplexes
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Handelns aufgrund unterschiedlichster Faktoren aufgebrochen“ sind (Keller 2008b, 60) und durch andere Formen ersetzt werden. Eine bestimmte Verhaltensweise wird vor dem Hintergrund einer Normalittsfolie als „abweichend“ und „problematisch“ bezeichnet und zum Gegenstand von Interventionen gemacht. Nicht-diskursive, d. h. institutionell organisatorische Praktiken und diskursive Praktiken gehen dabei zusammen. Foucault untersucht diesen Zusammenhang anhand z. B. der Strafpraktiken und Strafverfolgung Ende des 18. Jahrhunderts oder in der Geschichte des Wahnsinns und der „Geburt der Klinik“. Diese verschiedenen Studien und Reflexionen18 rekonstruieren gesellschaftliche Transformationen von Wissensordnungen methodisch in einer spezifischen Weise, der Diskursanalyse19. Diskurs20 Diskurs bezeichnet im Franzçsischen den Zusammenhang von Sprache und Denken21. Foucaults Diskursverstndnis steht in der Tradition des franzçsischen Strukturalismus und Poststrukturalismus, die Diskurse als Tiefenstruktur menschlicher Rede- und damit auch Denk- und Wahrnehmungsweisen bestimmen. Protagonisten wie Roland Barthes, Jacques Lacan, Jacques Derrida wie auch Michel Foucault entwickelten in diesem Kontext ein Diskurskonzept, das „Kommunikation sowie die Entstehung, Zirkulation und Distribution von Wissen“ als kontingente Effekte „berindividueller, sozial strukturierter Praktiken begreift“ (Keller et al. 2005, 8).
18 z. B. Die Geburt der Klinik (1973), berwachen und Strafen (1976), Sexualitt und Wahrheit (1989a und b), Die Archologie des Wissens (1981), Die Ordnung der Dinge (1971). 19 Nicht weiter differenziert werden soll die Unterscheidung von Foucaults „frher und spter Diskursanalyse“, wobei die sptere als Dispositivanalyse nicht mehr ausschließlich Texte wie noch in der „Archologie des Wissens“ sondern auch Praktiken zum Gegenstand hat. 20 Auf die Diskursforschung insbesondere auf den „Diskurs um die Diskurse“ wird hier nicht nher eingegangen, siehe dazu u. a.: Bublitz (1999), Angermller et al. (2001), Keller (2008a), Bhrmann (2008), Gebhart/Schrçter (2007) und das Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, 2 Bnde (Keller /Hirseland /Schneider /Viehçver 2001und 2005). 21 Verwiesen sei speziell auf die Traditionslinie von Gaston Bachelard und Georges Canguilhem, zu der sich Foucault selbst rechnete (Ruoff 2007, 91).
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1. Foucaults Macht/Wissen-Komplex
Anders als z. B. Derrida gesteht Foucault Aussagen als wesentlichem Element von Diskursen einen material-empirischen Gehalt zu. Sie bilden „systematisch die Gegenstnde (…), von denen sie sprechen“ (Foucault 1981, 74). Die Phnomene des konkreten Gebrauchs der Sprache sind daher Ausdruck der Konstruktion von Wirklichkeit und des Aufbaus der Erfahrungswelt. Das Diskursverstndnis Foucaults, wie er es vor allem in „Die Ordnung der Dinge“ (1971) und „Archologie des Wissens“ (1981) systematisiert hat, zielt nicht auf die Face-to-Face-Kommunikation mit ihren interaktiv hergestellten Abfolgemustern, sondern als „berindividuelle Strukturierung“ auf geregelte und „auf Dauer gestellte Aussagepraktiken“ (Bhrmann/Schneider 2008, 24ff ). Aussagen Diskurse bestehen aus einer Menge von an unterschiedlichen Stellen erscheinenden, verstreuten Aussagen, die nach demselben Muster oder Regelsystem gebildet worden sind. Sie sind als solche erkennbar und begrenzbar an der Regelmßigkeit ihrer Formen und Inhalte. „Die Aussage“ als typische Wissensfigur oder -behauptung (Foucault 1981, 128ff ) ist daher die entscheidende Analysekategorie. Demgegenber sind „ußerungen“ jeweils sprachliche Materialisierungen und nur insofern relevant, sofern sie Trger einer „Aussage“ sind. „ußerungen“ sind zeitlich-rumlich spezifische Aussage-Ereignisse, die einmalig und nicht wiederholbar sind. Der Begriff der „Aussage“ bezeichnet nicht, wie allgemein oder beispielsweise in der Linguistik blich, eine Proposition, einen Satz, einen Sprechakt oder einen bestimmten Inhalt, sondern beschreibt eine Funktion, die im Gegensatz zur „ußerung“ wiederholbar ist, da sie „im Diskurs in der Form sprachlicher Zeichen etwas zu etwas anderem in Beziehung setzt“ (ebd.,115ff ). „Aussagen“ sind die konstitutiv systematischen Bestandteile der diskursiven Formationen, weil sie regelmßige wiederkehrende, serielle zeichenhafte Verkettungen von Bedeutungsrelationen sind und in dieser Funktion zugleich den Diskurs auf eine bestimmte Weise ordnen. Diese Regelungen und Ordnungen bestimmen ber die Veridiktion, weil sie darber entscheiden, worber und in welcher Weise gesprochen wird, was als wahr anerkannt und als falsch verworfen wird. Ziel der Diskursanalyse ist es nun, diese Ordnung und Regelstrukturen, das Strukturierte und das Strukturierende der Struktur (Keller 2008a, 132) offen zu legen. Dazu bedarf es, wie Foucault anmerkt, „einer bestimmten Wendung des Blicks und der Haltung“, denn Aussagen sind,
1.3. Das Forschungsprogramm – Methodologie des Macht/Wissen – Komplexes
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auch wenn sie nicht verborgen sind, „nicht deshalb bereits sichtbar“ (Foucault 1981, 161). Verschiedene ußerungen kçnnen durchaus die gleiche Aussage formulieren, auch wenn sie von unterschiedlichen Personen in unterschiedlichen Formaten – als Buch, Statistik, Tabelle, Gedicht – hervorgebracht wurden. Die Aussage ist „eingehllt“ in ußerungen und gehorcht deren Gesetzen (Keller 2008b, 75). Deshalb muss die Analyse zur Identifizierung einzelner Diskurse zunchst aus der Vielfalt der archivierten ußerungen auswhlen (Foucault 1981, 74) und kann sich dann nur tastend fortbewegen, heuristisch an bestimmten Themen orientiert und zugleich bereit, ihre Suchkriterien zu verwerfen und zu modifizieren. Die tatschlich vollzogenen Sprachhandlungen, die „diskursiven Praktiken“ des Redens, Schreibens und Protokollierens interessieren Foucault also nicht in sprachwissenschaftlicher oder inhaltlicher Hinsicht, beispielsweise mit Blick darauf, welchen Wahrheitsgehalt sie haben, sondern nur insofern sie „Wissen“ und damit „Gegenstnde“ oder „Phnomene“ konstituieren (Keller 2008b, 75). Dieses „Mehr“ der Sprache als nur „Gesamtheit von Zeichen“, Bedeutungstrgern und Reprsentationen ist Ziel der Analyse und muss ans Licht gebracht und beschrieben werden (Foucault 1981, 74). Foucault grenzt seine „Analyse des diskursiven Feldes“ deshalb dezidiert von der „Analyse des Denkens“ ab: „Die von der Sprachanalyse hinsichtlich eines beliebigen diskursiven Faktums gestellte Frage ist stets: gemß welchen Regeln ist eine bestimmte Aussage konstruiert worden und folglich gemß welchen Regeln kçnnten andere hnliche Aussagen konstruiert werden? Die Beschreibung der diskursiven Ereignisse stellt eine vçllig andere Frage: wie kommt es, dass eine bestimmte Aussage erschienen ist und keine andere an ihrer Stelle?“ (ebd., 42).
Whrend die Analyse des Denkens in einem allegorischen Verhltnis zum Diskurs steht – sie fragt, was „wirklich“ gesagt wurde und versucht den dahinter liegenden Sinn zu entschlsseln –, sucht die Analyse des diskursiven Feldes die Aussage in der „Enge und Besonderheit ihres Ereignisses zu erfassen; die Bedingungen ihrer Existenz zu bestimmen (…), ihre Korrelationen mit den anderen Aussagen aufzustellen, die mit ihm verbunden sein kçnnen, zu zeigen, welche anderen Formen der ußerung sie ausschließt“ (ebd., 43)22. Nicht nur die Ordnung des Diskurses kann mit 22 Ebd.,159: „Die Aussageanalyse ist also eine historische Analyse, die sich aber außerhalb jeder Interpretation hlt: Sie fragt die gesagten Dinge nicht nach dem, was sie verbergen, was in ihnen und trotz ihnen gesagt wurde, nach dem NichtGesagten, das sie verbergen, dem Gewimmel von Gedanken, Bildern und Phantasmen, die sie bewohnen. Sondern umgekehrt, auf welche Weise sie exis-
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1. Foucaults Macht/Wissen-Komplex
Hilfe der Analyse erfasst werden, sondern auch die Existenz der die Regel erst besttigenden Unberechenbarkeiten, das berraschende, die Bewegungen und Transformationen, Verwerfungen und Vernderungen. Der Diskurs-Begriff umfasst in seiner Gesamtheit daher ein grundlegendes „Sowohl-Als-Auch“: „Einschrnkung und unvorhergesehenes Ereignis, Grenze und berschreitung, Verbot und bertretung“23. Die „Formationsregeln“, die Foucault in der „Archologie“ Gegenstand der Analyse waren, werden von ihm in den spteren genealogischen Arbeiten als Machtmechanismen begriffen, welche die Aussagemçglichkeiten in einer Gesellschaft nicht nur strukturieren, sondern auch verknappen (Keller 2008b, 80). „Machtspiele“ lassen sich auf diese Weise als „Wahrheitsspiele“ sichtbar und beschreibbar machen24. Datenanalyse Ausgangspunkt der Analyse sind natrliche Daten, d. h. „empirische Formate“, die in der Geschichte materiale Spuren hinterlassen haben. Dazu gehçren Texte aus Verwaltungs- und Organisationsarchiven (wie Protokolle und Berichte ber Verhçre, Straferlasse, Beschwerdebriefe, Tabellen, Listen, Statistiken, Anordnungen und Reglements, Gebudeskizzen, Tagesordnungen, Anweisungen fr Mitarbeiter etc.) sowie naturwissenschaftliche, philosophische und literarische Schriften. Wissenschaftliche Texte werden in diesem Verstndnis also als Primrdaten und nicht als Sekundrquellen aufgefasst. Die „beobachtbaren Widerstnde“ als Einstiegspunkte der Analyse machen sich fest an „Problematisierungen“ und ihren Lçsungen bzw. den Verbindungen, die ihre Lçsung erst mçglich machen. Weil es Foucault um tieren, was es fr sie heißt, manifestiert worden zu sein, Spuren hinterlassen zu haben und vielleicht fr eine eventuelle Wiederverwendung zu verbleiben; was es fr sie heißt, erschienen zu sein – und dass keine andere an ihrer Stelle erschienen ist. Von diesem Gesichtspunkt her kennt man keine verbogene Aussage: denn das, woran man sich wendet, ist die Evidenz der effektiven Sprache.“ 23 Bhrmann/Schneider (2008) 27 f, Bublitz et al. (1999), Lders (2004), SchwabTrapp (2001). 24 Den Beitrag der Foucaultschen Diskursanalyse zur gegenwrtigen kommunikativ gewendeten Wissenssoziologie sieht Knoblauch darin, dass der Diskursbegriff in der Einbeziehung der Machtthematik, der methodologischen Großflchigkeit und historischen Sinngenese als ein „ntzliches Pendant zu dem verstanden werden kann, was Luckmann als ,kommunikativen Haushalt‘ bezeichnet“ Knoblauch (2001), 213 ff.
1.3. Das Forschungsprogramm – Methodologie des Macht/Wissen – Komplexes
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die Untersuchung eines Problems geht, zielen seine Ausarbeitungen nicht auf eine detaillierte oder vollstndige Fallanalyse, sondern auf die bewusste Auswahl des Materials nach typisierbaren Mustern und Strukturen. Seine „Analyse der Oberflche“ versucht gerade nicht, Tiefgrndiges oder einen „geheimen Sinn“ zu erfassen, sondern die Brche, Problematiken und Lçsungen entlang der sprachlichen Regelmßigkeiten, Implikationen, Unterscheidungen und Effekte deutlich zu machen. Dazu werden Texte zergliedert, sortiert, kommentiert, kontrastiert und im Hinblick auf Muster innerhalb eines Feldes von verstreuten Praktiken zusammengefhrt. Es ist eine Rekonstruktions- und keine Dekonstruktionsarbeit, die Elemente von Strukturalismus und philosophischer Hermeneutik aufgreift und zugleich negiert bzw. darber hinausgeht25. Folgt man Hannelore Bublitz, geht es dem diskursanalytischen Verfahren darum, in der beschreibenden Rekonstruktion der Positivitt der Aussagen das Unsichtbare sichtbar zu machen. „Das Unsichtbare sind die Regeln, nach denen die bipolaren Strukturen (der Gesellschaft) auf der Ebene von Diskursen soziale Gegenstnde als soziale Tatsachen und Kulturfaktoren bilden. Den gesellschaftlichen Ordnungsstrukturen und -polen entsprechen auf der Ebene von Diskursen und Diskursformationen diskurstragende Kategorien als semantische Komplexe, Regelhaftigkeiten, Diskurspole und Oppositionsmuster sowie Machtwirkungen, die in der Analyse freigesetzt werden“ (Bublitz 2001, 248 f ).
Die den Diskursen inhrenten Denkschemata und Wissenstypen werden analysiert, indem die strukturellen Regeln der Aussagen rekonstruiert werden. In seinen spteren Arbeiten zum Macht/Wissen – Zusammenhang ergnzt Foucault die „Analyse des Sagbaren“ um die „Analyse der Sichtbarkeiten“, zusammengefasst in dem im Franzçsischen gelufigen Begriff des „Dispositivs“. Es bezeichnet ein heterogenes Ensemble aus „Diskursen, Institutionen, architektonischen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen, philosophischen, moralischen, philanthropischen Lehrstzen, Gesagtes ebenso wie Ungesagtes, das sind die Elementes des 25 Foucault 1978, 28 f: „(…) dann kann ich mir niemanden vorstellen, der mehr Antistrukturalist wre als ich.“ (…) „Auf was man sich meiner Meinung nach beziehen muss, ist nicht das große Modell der Sprache und der Zeichen, sondern das des Krieges und der Schlacht; sie gehçrt nicht zur Ordnung der Sprache. Machtverhltnis, nicht Sinnverhltnis. Die Geschichte hat keinen ,Sinn‘, was nicht heißen soll, dass sie absurd oder inhrent ist. Im Gegenteil, sie ist intelligibel und muss bis in ihr allerkleinstes Detail hinein analysierbar sein: Jedoch entsprechend der Intelligibilitt der Kmpfe, der Strategien und der Taktiken“.
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1. Foucaults Macht/Wissen-Komplex
Dispositivs. Das Dispositiv ist das Netz, das man zwischen den Elementen herstellen kann“ (Foucault 2003, 392).
Genauer msste dann nicht mehr ausschließlich von Diskurs-, sondern weiter gefasst von Dispositivanalyse26 die Rede sein, wie diese Studie sie auch vornimmt, insofern sie den Zusammenhang von Texten und konkreten Praktiken in den Blick nimmt. Das paradoxal verfasste Subjekt – ein kritisches Forschungsprojekt „Subjektivation“, so stellt sich der Zusammenhang nun dar, besteht in der grundlegenden Abhngigkeit von einem Diskurs, den man sich nicht aussucht, der jedoch paradoxerweise erst die eigene Handlungsfhigkeit ermçglicht und erhlt. Es ist ein Prozess des Unterworfenwerdens durch Macht und zugleich ein aktivischer Prozess der Unterwerfung27. Vor allem diese paradoxale Konstruktion gibt Anlass, den Subjektbegriff entweder als unbrauchbar zu diagnostizieren, weil er Subjekte zu Objekten macht28, oder im Hinblick auf seine innere Konstruktion nher zu befragen. Diese engagiert gefhrten philosophischen und soziologischen metatheoretischen Auseinandersetzungen um den „heillosen Subjektivismus“ (Habermas 1985) oder die vermeintliche „Voraussetzungslosigkeit“ Foucaultschen Denkens (Fraser 1994), um die theoretischen und normativen Defizite seiner Machtanalytik (Lemke 2007c, 24) und um die Differenzierungen zwischen dem „frhen“ und dem „spten“ Foucault sollen an dieser Stelle nicht weiter entfaltet werden29. Stattdessen folgt diese Studie in dieser Frage den Ausarbeitungen von Thomas Schfer (1995). Schfer rekonstruiert die Konsistenz der Foucaultschen Argumentation in dessen konsequenter Ablehnung des Universalismus und Normativis26 Bhrmann/Schneider (2008), Junge (2008). 27 Nach Judith Butler (2001) ist in Fortfhrung von und Auseinandersetzung mit Foucault Subjektivierung ohne die „leidenschaftliche“ Bindung des Subjekts an die Macht nicht denkbar. Macht wre danach nicht ausschließlich die Mçglichkeitsbedingung, sondern ist auch verantwortlich fr die Einsetzung eines Subjekts, „das zwar um seine begrenzte Abhngigkeit, aber auch um seine ebenso begrenzte Freiheit und Autonomie weiß.“(…)“Die das Subjekt einsetzende Macht ,erzwingt‘ die performative Selbsterzeugung und -gestaltung des Subjekts, das nun nicht mehr als souvernes, sondern als fragiles und fehlbares Subjekt skizziert werden kann“ (Bublitz 2006, 115). 28 Opitz (2004), 80ff, Reckwitz (2006) und (2008). 29 berblick ber die Debatten bei Keller 2008a, 142 ff.
1.3. Das Forschungsprogramm – Methodologie des Macht/Wissen – Komplexes
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mus als neues „Kritik-Paradigma“, in dem sich nachmetaphysisches und antitotalitres Denken verwirklicht30. Foucaults Programmatik einer „empirischen Analyse der Historizitt der Subjektgenese“ versteht sich als Alternative zum philosophischen Subjektverstndnis (Keller 2008a, 210). „Wenn es aber einen Weg gibt, den ich ablehne, dann ist es der (man kçnnte ihn ganz allgemein gesagt, den phnomenologischen nennen), der dem beobachtenden Subjekt absolute Prioritt einrumt, der einem Handeln eine grundlegende Rolle zuschreibt, der seinen eigenen Standpunkt an den Ursprung aller Historizitt stellt – kurz, der zu einem transzendentalen Bewusstsein fhrt. Mir scheint, dass die historische Analyse des wissenschaftlichen Diskurses letzten Endes Gegenstand nicht einer Theorie des wissenden Subjekts, sondern vielmehr einer Theorie diskursiver Praxis ist“ (Foucault 1971, 15).
Diese radikale Relativierung des Subjekts verdankt sich, so weist Schfer nach, einem „philosophischen Ethos“, in dem Foucault seine Arbeiten verstanden hat, einer „Askese“ gleich, „die dazu diene, ,sich von sich selber zu lçsen‘ und ,anders zu denken‘“. Oder noch genauer: Die Arbeit an einer kritischen Ontologie ist eine „Arbeit von uns selbst an uns selbst“ (Schfer 1995, 61). Schfer bettet Foucaults Kritikprojekt in dessen Subjektmodell ein und zeigt so, dass diese philosophische Arbeit eine Arbeit fr den Typus der „anarchischen Subjektivitt“ ist. Mit Hinweis auf Pierre Klossowskis Nietzsche-Interpretation, von der Foucault stark beeinflusst wurde, wre dieses „anarchische Subjekt“ eine „Art von negativem Selbstverstndnis“, dessen Teleologie dadurch definiert sei, „keiner bestimmten Form von Denken, Sprache und Lebensfhrung verhaftet oder ,verfallen‘ sein zu wollen“ (ebd.,61). Der Teil, den dieses Subjekt an sich problematisiert, ist die „ethische Substanz“ (ebd.), also die jeweiligen aktuellen Formen des Denkens, Sprechens oder Handelns und die damit verbundenen Weisen des Subjektseins. Foucaults „Ontologie der Gegenwart“ kann in dieser Hinsicht, so Schfer, als „ethische Arbeit“ (ebd.62) angesehen werden, die der moralischen Maxime folgt, keine Gegenwart, kein gegebenes Denk-, Sprach- oder Handlungssystem als selbstverstndlich, als „an sich“ ver30 Foucaults Bezug auf Nietzsche – „ ,(…) der Historische Sinn, wie ihn Nietzsche versteht, weiß, dass er perspektivisch ist, und lehnt das System seiner eigenen Ungerechtigkeit nicht ab.‘ (Foucault, Von der Subversion des Wissens 1978)“ – nimmt Schfer zum Ausgangspunkt seiner eigenen rekonstruierenden Arbeit des Foucaultschen Werks, die zeigen soll, dass „ dieses Wissen um die eigene Perspektivitt und Kontingenz aber kein Ausdruck von ,Zynismus‘ ist, sondern die Konsequenz aus der Einsicht in die prinzipielle ,Ungerechtigkeit‘ jeden Wissens“ (Schfer 1995), 19 f..
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1. Foucaults Macht/Wissen-Komplex
nnftig, endgltig oder universell gltig anzuerkennen (ebd., 62). Es ist eine Art von Selbstbeziehung, die impliziert, dass „keine Seinsweise als dem Menschen wahrhaft angemessen zu betrachten sei“ (ebd., 63). Schfer betont, dass Foucault fr diese These keinen „sei es auch nur impliziten“ Wahrheitsanspruch erhebt. Sie fungiert ausschließlich als „bloße (methodologische) Hypothese“, was fr die Frage der Normativitt von Foucaults Kritik bedeutet, dass der Geltungsanspruch der „Ontologie der Gegenwart“ und ihres gesamten kritischen Impulses nicht prskriptiv, sondern hypothetisch zu verstehen sei (ebd., 63). Foucaults Aufklrungsprojekt zielt darauf, Gegenwart neu zu beschreiben und „die Kulissen umzustellen“, um sie unter verndertem Gesichtspunkt „neu wahrnehmbar zu machen“ (Foucault 1978, 177). Es ist eine „interessengeleitete Verschiebung der Perspektive“, um, wie Foucault nicht ohne Pathos bemerkt, der „unbestimmten Arbeit der Freiheit einen neuen Impuls zu geben“ und „in der Kontingenz, die uns zu dem gemacht hat, was wir sind, die Mçglichkeiten auf(zu)finden, nicht lnger das zu sein, zu tun oder zu denken, was wir sind, tun oder denken“.31 Diesem Kritikprojekt haftet, so Schfer, notwendigerweise eine bestimmte Rhetorik an, weil es gerade nicht begrnden und im Sinne einer konsistenten Argumentation berzeugen will, wenn es verhindern will, in den vermeintlichen Dienst einer „Befreiung“ gestellt zu werden. „Wir wissen sehr gut, dass jene Programme (fr bessere Gesellschaften) auch die 31 Foucault (1990), 48, Brçckling (2007), 44, dazu: „Die Genealogie der Subjektivierung weiß nicht, ob es ein Jenseits der Regierungen des Selbst gibt, aber sie insistiert darauf, die Zumutungen sichtbar zu machen, welche die Subjektivierungsregime den Einzelnen abverlangen.“ – Vor allem in der 1982 von Foucault gehaltenen Vorlesung zur „Hermeneutik des Subjekts“ finden sich Anstze dazu, eine Ethik des Selbst zu begrnden, zu der es fr Foucault einer Form der Spiritualitt bedarf. „Spiritualitt wird man also die Gesamtheit der Untersuchungen, Praktiken und Erfahrungen nennen, die Purifizierungen, Askesen, Verzichtleistungen, Umkehrungen des Blicks, Existenzvernderungen sein mssen usw. und die nicht fr die Erkenntnis, sondern fr das Subjekt der fr den Zugang zur Wahrheit zu entrichtende Preis sind“ (Foucault 1993b, 34). Foucault beschftigt mit Kierkegard, der laut Sarasin fr ihn „von ebenso entscheidender wie geheimer Bedeutung war“ (Sarasin 2005, Anm. 102) fr die Frage der Konversion des Subjekts. Und auch, wenn ihm die Mçglichkeit einer Epimeleia seautou, einer Sorge um sich selbst, letztlich zweifelhaft bleibt, scheint sie doch nçtig. Es wre „eine dringende, grundlegende und politisch unabdingbare Aufgabe, eine Ethik des Selbst zu begrnden, wenn es denn wahr ist, dass es keinen anderen, ersten und letzten Punkt des Widerstandes gegen die politische Macht gibt als die Beziehung seiner zu sich selbst“ (Foucault, Hermeneutik des Subjekts, zitiert nach Sarasin 2005, 195).
1.3. Das Forschungsprogramm – Methodologie des Macht/Wissen – Komplexes
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mit den besten Absichten, ein Instrument der Unterdrckung werden“ (zitiert nach Schfer 1995, 73). Foucaults Rhetorik, die sich in den spteren Gouvernementalittsstudien auch wieder findet und konstitutives Element der analytischen Arbeit ist32, steht nach Schfer in Zusammenhang mit diesem intendierten anarchischen Subjektivittstypus: Die genealogische Diskreditierung von vermeintlichen Evidenzen „beunruhigt, was man fr unbeweglich hielt“ (Foucault, nach Schfer, 84). Die Darstellung bestehender sozialer Verhltnisse als Machtverhltnisse scheint in dieser Perspektive absichtlich dramatisierend zu sein, um Aufmerksamkeit zu wecken (ebd.). Die Verwendung eines konstruktivistischen Vokabulars („Subjektivierung“) unterminiert die scheinbare Festigkeit, die substantivische Formulierungen suggerieren, und der Gebrauch von nicht-subjektzentrierten Satzformen („die Macht erzeugt etwas“) untergrbt subjektphilosophische Metaphern. So soll durch die Darstellungsweise nicht „berzeugt“, sondern „Erfahrung“ hergestellt werden (Schfer 1995, 85). Dieses auch von vielen Gouvernementalittsstudien bernommene philosophische Ethos soll am Ende der Studie als begrndeter Ausgangspunkt plausibilisiert werden.
32 Siehe Maasen (2003), 125.
2. Das Konzept der Gouvernementalitt 2.1. Gouvernementalitt Im Rahmen der Vorlesungen von 1978 und 1979 am Collge de France stellt Foucault erstmals sein Konzept der Gouvernementalitt vor (Foucault 2006a und 2006b). Es ist eine Korrektur und Weiterfhrung der in seinen vorherigen Arbeiten33 entwickelten Vorstellungen des Macht/Wissen–Komplexes. Nicht mehr lokale Praktiken und spezifische Institutionen wie das Gefngnis oder das Krankenhaus stehen im Vordergrund, sondern der Staat selbst wird nun als Resultante gesellschaftlicher Krfteverhltnisse begriffen. Im Zentrum dieser „Genealogie des modernen Staates“ steht der Begriff der Regierung, der in einer „Scharnierfunktion“ mehrfaches leistet: Mit ihm ist es mçglich, strategische Machtbeziehungen und Herrschaftszustnde gedanklich zu verbinden, zwischen Macht und Subjektivitt zu vermitteln und zu untersuchen, wie Herrschaftstechniken sich mit „Technologien des Selbst“ verknpfen. Vor allem aber ist es mçglich, Subjektivierung und Staatsformierung unter einheitlicher Perspektive zu untersuchen. Die Forschungen gehen dabei nicht von der Annahme einer einheitlichen Entwicklungslogik aus, sondern von der Analyse heterogener und diskontinuierlicher „Regierungsknste“, wie z. B. der Pastoralmacht (s. u.). Regierung meint daher neben der ausschließlich politischen Form (Foucault 2006a, 136) ganz allgemein Handlungsformen und Praxisfelder, die auf die Lenkung, Kontrolle, Leitung von Individuen und Kollektiven zielen und gleichermaßen Formen der Selbstfhrung wie Techniken der Fremd-Fhrung einschließen. „Fhrung“ ist also zugleich die Ttigkeit des Anfhrens anderer als auch die „Weise des Sich-Verhaltens in einem mehr oder weniger offenen Feld von Mçglichkeiten“ (Foucault 1987, 255). Dieser Regierungs-Begriff dient als Analyseinstrument und wird von Foucault mit dem Terminus der Gouvernementalitt 34 vermittelt und zunchst dreifach besetzt: 33 Siehe dazu Lemke (2001) und (2007a). 34 Das Wort ist abgeleitet vom frz. „gouvernemental“, nicht wie irrtmlich von Lemke angenommen als Zusammenziehung aus den Begriffen „gouvernement“ und „mentalit“: Sennelart, Nachwort zu Foucault (2006a), Anmerkung 125; Der Begriff wurde auch schon gebraucht von Roland Barthes (1964), Mythen des
2.1. Gouvernementalitt
33
„Unter Gouvernementalitt verstehe ich die Gesamtheit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken, die es gestatten, die recht spezifische und doch komplexe Form der Macht auszuben, die als Hauptzielscheibe die Bevçlkerung, als Hauptwissensform die politische konomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat. Zweitens verstehe ich unter ,Gouvernementalitt’ die Tendenz oder die Kraftlinie, die im gesamten Abendland unablssig und seit sehr langer Zeit zur Vorrangstellung dieses Machttypus, den man als ,Regierung’ bezeichnen kann, gegenber allen anderen – Souvernitt, Disziplin – gefhrt und die Entwicklung einer ganzen Reihe spezifischer Regierungsapparate einerseits und einer ganzen Reihe von Wissensformen andererseits zur Folge gehabt hat. Schließlich glaube ich, dass man unter Gouvernementalitt den Vorgang oder eher das Ergebnis des Vorgangs verstehen sollte, durch den der Gerechtigkeitsstaat des Mittelalters, der im 15. und 16. Jahrhundert zum Verwaltungsstaat geworden ist, sich Schritt fr Schritt ,gouvernementalisiert‘ hat“35.
Die zunchst ereignishafte und regionale Eigenschaft des Begriffs, in einem noch przise und historisch zu bestimmenden Sinn auf das im 18. Jahrhundert installierte Machtsystem bezogen, verschiebt sich im Laufe der Vorlesungsreihe und bezeichnet nicht mehr die fr ein spezielles Machtsystem konstitutiven Praktiken, sondern nun grundstzlich „die Art und Weise, mit der man das Verhalten der Menschen steuert“, und dient als „Analyseraster fr die Machtverhltnisse“ im allgemeinen36. Foucaults Interesse zielt dann folgerichtig darauf, die spezifischen Rationalitten der Regierung zu identifizieren, die es ihr ermçglichen, ihre unterschiedlichen Gegenstandsbereiche zu ordnen und sie an verschiedenen Zweckbestimmungen auszurichten. Dem Begriff der konomie weist Foucault aufgrund seiner historischen Analysen eine besondere Bedeutung zu. Die Kunst des Regierens sei die Kunst, die Macht in der Form und nach dem Muster der konomie auszufhren (Foucault 2006a, 144). „konomie“ ist zunchst in einem vormodernen Sinn gemeint als „mustergltige Verwaltung der Individuen, der Gter und der Reichtmer“ (ebd., 14) oder als „richtige Anordnung der Dinge zu einem vorteilhaften Ziel“ (ebd., 145). Sie ndert ihre Bedeutung zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert. Sie ist nun nicht mehr nur Alltags, 114, der mit diesem „barbarischen, aber unvermeidlichen Neologismus (…) die von der Massenpresse als Essenz der Wirksamkeit aufgefasste Regierung“ bezeichnet. 35 Foucault (2000), 64 f., auch in anderer bersetzung: (2006a), 162 f. 36 Foucault (2006b), 261; Nachwort von Sennelart in: Foucault (2006a), 565, Lemke (2007b), 47 ff.
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2. Das Konzept der Gouvernementalitt
Regierungsform, sondern bildet komplexer ein eigenes Realittsniveau und Interventionsfeld aus, das sich durch spezifische Gesetzmßigkeiten auszeichnet und mit der Politischen konomie eine neue Wissensform entwickelt (ebd., 145; 159). Beschrieben ist damit die Ablçsung von einem Regime, das durch die Strukturen der Souvernitt beherrscht ist (Kunst der Regierung), hin zu einem Regime, das durch die Techniken des Regierens beherrscht ist (politische Wissenschaft) (ebd., 159)37. Technologien des Regierens Foucault untersucht drei Formen von Regierung, die Staatsrson, die Policy und den Liberalismus. Dabei interessieren ihn vor allem die Differenzen und Diskontinuitten unterschiedlicher Technologien der Macht wie Recht, Disziplin und Sicherheitstechniken, die die Entwicklung des mittelalterlichen Staates zum modernen Verwaltungsstaat als Effekt haben. Die Idee der Herrschaft eines Souverns ber ein Territorium wird ersetzt durch die Konzeption eines anonymen Staates, der einer eigenen Rationalitt – der Staatsrson – bedarf. Zur Fçrderung seines eigenen Wohles sttzt der Staat sich auf die Kontrolle und Umhegung der Bevçlkerung. ber die institutionelle Gestalt eines Sicherheitsdispositivs wird das demografische und statistische Wissen generiert, mit dem die Bevçlkerung zu leiten ist. „Der Souvern richtet sich auf die Grenzen eines Territoriums, die Disziplin richtet sich auf die Kçrper der Individuen und die Sicherheit schließlich richtet sich auf die Gesamtheit einer Bevçlkerung“38 (Foucault 2006a, 27).
Die liberale Gouvernementalitt ab dem 18. Jahrhundert bricht mit der Staatsrson und zielt gesttzt durch das Wissen der politischen konomie, den internen Regeln maximaler konomie gehorchend, auf die Begrenzung der Staatsttigkeit. Als Prinzip und Methode der Rationalisierung der Regierungsausbung stellt der Liberalismus die Notwendigkeit des Regierens als Selbstzweck in Frage, indem er zugleich mit der Gesellschaft ein neues Gegenber zum Staat konstruiert. 37 Konstitutiv fr diesen Prozess ist die Bildung des neuen Subjekts der Bevçlkerung. „Nun durch die Erfassung dieses durchgehenden und vielfltigen Geflechts zwischen Bevçlkerung und Territorium, Reichtum wird sich sowohl eine Wissenschaft bilden, die man die ,politische konomie‘ nennt, als auch zugleich ein fr das Regieren charakteristischer Interventionstyp, nmlich die Intervention auf dem Feld der konomie und der Bevçlkerung“ (ebd. 159). 38 Keller (2008b), 119.
2.1. Gouvernementalitt
35
„Die Idee der Gesellschaft ermçglicht es, eine Technologie der Regierung zu entwickeln, die von dem Prinzip ausgeht, dass man sich stets fragen kann und muss, ob sie notwendig ist und wozu sie ntzlich ist „ (Foucault 2006b, 437 f ). Die Schematisierung der Unterscheidung von Staat und Zivilgesellschaft ist die den Liberalismus auszeichnende „spezifische Technologie der Regierung“ (ebd., 438). Als Korrelat dieser Gouvernementalitt erscheint – und damit greift die Arbeit den Aspekt der mit der Gouvernementalisierung des Staates mitlaufenden Geschichte der Subjektivierung auf – mit dem homo oeconomicus eine neue Vorstellung des natrlichen Menschen: Er akzeptiert die Wirklichkeit, er gehorcht seinem Interesse, was zudem spontan konvergiert mit dem Interesse anderer, er reagiert auf die Variablen der Umgebung. Vom Standpunkt einer Theorie der Regierung aus gesehen, ist er „derjenige Mensch, den man nicht anrhren soll. Man lsst den Homo oeconomicus handeln“ (ebd., 371). So konstituiert ist der homo oeconomicus als Subjekt und Objekt des Laissez-Faire handhabbar, da er „systematisch auf systematische Variationen reagieren wird, die man auf knstliche Weise in die Umgebung einfhrt. Der Homo oeconomicus ist der Mensch, der in eminenter Weise regierbar ist“ (ebd.). In Kapitel 3 wird darauf zurckgekommen werden. Der Staat wird von Foucault in der „Geschichte der Gouvernementalitt“ in erster Linie nicht konzeptualisiert als eine institutionell-administrative Struktur, sondern als eine „verwickelte Kombination von Individualisierungstechniken und Totalisierungsverfahren“ (Foucault 1989c, 248). Im Begriff Gouvernementalitt materialisiert sich Foucaults These einer wechselseitigen Konstitution von Machttechniken und Wissensformen. Gouvernementalisierung beschreibt die Geschichte eines Denkens, das sich mit bestimmten Formen des Regierens verbindet. Es ist als vielschichtiger Prozess zu verstehen, der unterschiedliche Rationalittsformen des Staates zum Ausdruck bringt (Ruoff 2007, 134.). Anders gesagt definiert Regierung ein diskursives Feld, innerhalb dessen die Ausbung der Macht durch Bearbeitung von Begriffen und Konzepten, durch die Bereitstellung von Argumenten und Begrndungen und anderes mehr rationalisiert wird (Lemke 2007b). An diese intellektuelle Bearbeitung schließen sich politische Technologien an, die erlauben sollen, Subjekte und Objekte entsprechend dieser Rationalitt zu regieren: Apparate, Verfahren, Institutionen, Rechtsformen usw. Fr den Ansatz dieser Arbeit ist aufschlussreich, dass die der „Genealogie des modernen Staates“ zugrunde liegende historische These ist, dass der moderne Staat das Ergebnis einer komplexen Verbindung „poli-
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2. Das Konzept der Gouvernementalitt
tischer“ und „pastoraler“ Machttechniken ist. Die Anfnge dieser Entwicklung sieht Foucault in den innerhalb des Christentums entwickelten Fhrungstechniken der Pastoralmacht. Weil dieses Theorem der „Pastoralmacht“ fr die empirische Untersuchung dieser Arbeit instruktiv ist, soll es im Folgenden ausfhrlich dargestellt werden.
2.2. Pastoralmacht39 Daran interessiert, das Verhltnis von Macht und Wissen als eines ber Praktiken hergestelltes beschreiben zu kçnnen, rekonstruiert Foucault anhand von historischen Texten40, das, was er spter „Pastoralmacht“ nennt. „Ich kam nun auf den Gedanken, ein recht sonderbares Projekt in Angriff zu nehmen (…) Ich fragte: Auf welche Weise zwang man das Subjekt, sich selbst im Hinblick auf das Verbotene zu entziffern? Diese Frage zielt auf das Verhltnis von Askese und Wahrheit. Max Weber hatte gefragt: Wenn man sich rational verhalten und das eigene Handeln an Prinzipien der Wahrheit ausrichten mçchte, auf welchen Teil des Selbst muss man dann verzichten? Worin besteht der asketische Preis der Vernunft? Welcher Art von Askese sollte man sich zuwenden? Ich habe die gegenteilige Frage gestellt: Was muss man ber sich selbst wissen, wenn man bereit sein soll, auf irgendetwas zu verzichten? So gelangte ich zur Hermeneutik der Selbsttechniken in der heidnischen und frhchristlichen Praxis“ (1993a, 25).
Die Regierung der Seelen Unter Pastoralmacht versteht Foucault eine im 3. Jahrhundert nach Christus sich entwickelnde christlich-religiçse Konzeption der Beziehung zwischen Hirte und Herde, in deren Mittelpunkt die „Regierung der Seelen“ steht. Sie steht im Gegensatz zu der griechischen Vorstellung des Regierens, fr die Foucault das Bild des Schiffslotsen und Kapitns gebraucht: 39 Im Folgenden Vorlesungen 5 – 8,1978 in: Foucault (2006a),173 – 330, Foucault (1987), Foucault (2000), 41 ff. 40 Foucault bezieht sich in der Verfolgung des Hirtenmotivs auf alt- und neutestamentliche Bibelstellen, auf Gregor, die Regula pastoralis, auf Chrysostomus, Cyprian, Ambrosius, Hieronymus, im Blick auf die klçsterliche Praxis auf Schriften Cassians und Benedikts.
2.2. Pastoralmacht
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„Der Gegenstand der Regierung, das, worauf der Akt des Regierens genauer abzielt, sind nicht die Individuen. Der Kapitn oder der Lotse des Schiffes steuert nicht die Seeleute, er steuert das Schiff. Auf die gleiche Weise regiert der Kçnig die Stadt, aber nicht die Menschen der Stadt. (…) Die Menschen selbst werden nur indirekt regiert, in dem Maße, wie sie auch selbst an Bord des Schiffes sind. Und durch die Vermittlung, durch dieses Relais dieses Eingeschifftseins, werden die Menschen regiert“ (Foucault 2006a, 184.).
Den Ursprung der Vorstellung einer direkten Regierung von Menschen sieht Foucault im vorchristlichen und spteren christlichen Orient und zwar in der Organisation einer Macht des pastoralen Typus und in der Gestaltung der Gewissensleitung (ebd., 185). Anders als die griechische Vorstellung orientiert sich die orientalische bzw. hebrische Gottesvorstellung an einem beweglichen und nicht auf ein Territorium begrenzten Gott, der die Individuen und die Herde begleitet. Anders als die griechische oder rçmische Vorstellung ist es hier die eines nicht fr sich, sondern fr einen anderen sorgenden Gottes. Die pastorale Macht ist eine Macht der Sorge (ebd., 189). Der Hirte lenkt die Herde und sorgt fr ihr Heil als ganze, indem er ihre Subsistenz sichert. Er tut alles fr das Heil der Gesamtheit der Herde, darin konstatiert Foucault eine Nhe zur lex suprema des Souverns (ebd., 189), der fr das Heil des Volkes zu sorgen hat. Aber gleichzeitig – und dies ist das die Pastoralmacht auszeichnende Merkmal – tut der Hirte alles fr jedes einzelne Schaf der Herde. Dies tut er auch um den Preis, sich selbst dafr opfern zu mssen. Foucault spricht hier vom „berhmten Paradox vom Hirten“, der zwei Gestalten annimmt. Denn der Hirte muss „ein wachsames Auge auf alles und jedes haben, omnes et singulatim“ (ebd., 191 f ). Dieses Paradox, das Wohl der Herde und des einzelnen Schafs zu sichern, kann in den Konflikt fhren, als Hirte die Opferung des einen zugunsten des anderen hinzunehmen, was die Bereitschaft, sich selbst als Hirte zu opfern, impliziert. Dieses Paradox des Hirten, Opfer des Einen fr das Ganze und Opfer des Ganzen fr das Eine, steht im Mittelpunkt des Pastorats und wird identifiziert als „das große Problem sowohl der Machttechniken im christlichen Pastorat als auch der (…) modernen Machttechniken“ (ebd., 192). In dem sich ab dem 3. Jahrhundert institutionalisierenden christlichen Pastorat sieht Foucault eine entscheidende Transformation der orientalischen bzw. hebrischen Vorstellung der Hirte-Herde-Relation: „Man hat oft gesagt, das Christentum habe einen ethischen Code hervorgebracht, der sich von dem der antiken Welt grundlegend unterschied. Was man weniger betont, ist, dass das Christentum der gesamten antiken Welt neue Machtverhltnisse beschert hat. Das Christentum ist die einzige Religion, die
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2. Das Konzept der Gouvernementalitt
sich als Kirche organisiert hat. Als solche vertritt das Christentum prinzipiell, dass einige Individuen kraft ihrer religiçsen Eigenart befhigt seien, anderen zu dienen, und zwar nicht als Frsten, Richter, Propheten, Wahrsager, Wohltter oder Erzieher usw., sondern als Pastoren (Hirten)“ (Foucault 1987, 249).
Die Verschiebung vom gçttlichen auf einen menschlichen Hirten, den Pastor, evoziert eine Transformation des politischen und sozialen Regimes hin zu einem straffen institutionellen Geflecht, das den Anspruch erhebt, fr die „ganze Kirche koextensibel“ zu sein und sich auf die gesamte Gemeinschaft des Christentums zugleich ausstreckt (Foucault 2006a, 241). Die konomie der Verfehlungen und Verdienste Whrend das hebrische Pastorat, die Vorstellung vom guten Hirten, zunchst ganz allgemein gekennzeichnet ist durch sein Verhltnis zu den Instanzen des Heils, des Gesetzes und der Wahrheit (ebd., 244), unterscheidet sich das sich institutionalisierende christliche Pastorat darin, dass es, wie Foucault an der Analyse der Kirchenvter zeigt, vier Prinzipien hinzufgt: Der christliche Pastor und seine Schafe41 sind durch eine Verantwortungsbeziehung von „ußerster Feinheit und Komplexitt“ verbunden. Ihre Merkmale sind 1. eine analytische Verantwortlichkeit des Pastors, der „am Ende der Welt“ gegenber Gott in einer Berichtspflicht ist und Auskunft geben muss sowohl ber alle Schafe (numerische und individuelle Distribution) als auch ber die Taten eines jeden einzelnen Schafes (qualitative Distribution)42. Der Pastor ist fr jeden verantwortlich, und dies in der Form, als sei es 2. sein eigenes Verdienst oder Versagen. Foucault spricht vom „Prinzip des erschçpfenden und unverzglichen Transfers von Verdiensten und Verfehlungen des Schafes auf den Pastor“ (ebd., 249). Mit dem 3. Prinzip der Inversion der Opferung riskiert der Pastor sein eigenes Leben oder sein Seelenheil fr die Rettung der Schafe. Jedes Beichtbekenntnis eines seiner Schafe kçnnte ihn selbst der Versuchung aussetzen. Umgekehrt liegt 4. dem Prinzip der alternierenden Korrespondenz eine bertragung der Verdienste der Herde auf den Pastor 41 Foucault bleibt bei der Beschreibung der Pastoralmacht sehr konsequent bei der Formulierung vom „Pastor und Schaf“. Das mag ironisiert wirken und mçglicherweise auch so gemeint sein. Zugleich wird der Begriff des „Pastors“ erst auf diese Weise in seiner Metaphorik erkennbar. Der ironisierende Stil ist vermutlich Teil der auf Verfremdung zielenden Methodik (siehe Einleitung und Teil 1, 1.3). 42 Foucault bezieht sich hier auf Benedikt und Cyprian (2006a), 248.
2.2. Pastoralmacht
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vor. Hier gibt es eine wechselseitige Abhngigkeit, die sich auch darin ausdrcken kann, dass der Pastor im Eingestndnis seiner Unfhigkeit aufrichtig und demtig Reue zeigt und auf diese Weise zur Erbauung seiner Gemeinde beitrgt (ebd., 251). Dieses in sich komplexe und eine Reihe von Transfermechanismen und Untersttzungsfunktionen voraussetzende Verhltnis zwischen Pastor und Schafen bezeichnet Foucault als „konomie der Verfehlungen und Verdienste“. Allerdings, und dies als Hinweis auf die „neue Pastoralmacht“ (s. u.), ist diese vom Pastor zu verwaltende konomie eine, „ber die schließlich Gott entscheiden wird“ (ebd., 252 f ), sie entzieht sich der Herstellung des Heils. Der Pastor hat „ohne letzte Gewissheit“ zu handeln. Techniken und Praktiken Der Unterschied zwischen der hebrischen Hirten-Vorstellung, die von dem gçttlichen Hirten ausgeht, und dem durch die Verschiebung auf den menschlichen Hirten veranlassten institutionalisierten christlichen Pastorat ab dem 3. Jahrhundert, besteht darin, dass nun Techniken und Praktiken hervorgebracht werden, die als solche das Verhltnis zwischen Individuen konstituieren. „Man bewegt sich stndig im Horizont des Heils, jedoch mit einer vçllig anderen Handlungsweise, einem ganz anderen Typus von Interventionen, anderen Arten etwas zu tun, anderen Stilen, anderen pastoralen Techniken, als denjenigen, welche die Gesamtheit der Herde in das Gelobte Land fhren wrden“ (Foucault 2006a, 252).
Wenn das Pastorat grundstzlich konstituiert ist durch die Parameter Heil, Gesetz und Wahrheit, so besteht das besondere des christlichen institutionalisierten Pastorats eben darin, dass es die Heilsfrage in eine konomie der Verdienste transformiert. Auch Gesetz und Wahrheit erhalten in diesem spezifischen Verhltnis eine andere Zuordnung. In der Beziehung zum Gesetz wird die Achtung gegenber dem Abstraktum des Gesetzes abgelçst vom Gehorsam gegenber einem Individuum, dem Pastor43. „Der Christ 43 Foucault (ebd., 255ff ) konstelliert die Genese von der jdischen zur christlichen Religion auf folgende Weise: Das Christentum ist keine Gesetzesreligion, es „ist eine Religion des Willens Gottes, eine Religion der Willensußerungen Gottes fr jeden Einzelnen“. Zwar ist der Pastor nicht Reprsentant des Gesetzes, doch wird von ihm erwartet, dass er die Willensußerungen Gottes, „die fr alle Menschen gelten“, zum Ausdruck bringen kann. „Er wird die Entscheidungen der Kirche oder
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2. Das Konzept der Gouvernementalitt
legt sein Schicksal (…) in die Hand seines Pastors“ (ebd., 256). Diese entstehende „Beziehung integraler Abhngigkeit“ ist eine „Unterwerfungsbeziehung“, weil sie die Anerkenntnis des zu Leitenden fordert. Mit Rcksicht auf sein Seelenheil unterstellt der Christ sich als Individuum einem anderen Individuum. Diese „Unterwerfungsbeziehung“ zwischen Individuen ist das konstitutive Element des christlichen Gehorsams und findet seinen strksten Ausdruck in der monastischen Tradition, der Unterwerfung des Mçnchs unter den Abt. Weiterhin ist diese Beziehung dadurch bestimmt, dass sie gerade kein Ziel verfolgt außer dem, im Gehorsam zu bleiben. Gehorsam ist nicht wie beispielsweise beim Arzt notwendiger bergang, um eine Genesung zu erreichen, sondern Ziel, d. h. einen Zustand der Demut zu erreichen: „Das Ziel des Gehorsams ist die Demtigung seines Willens, das heißt zu bewirken, dass sein Wille als eigener Wille tot ist, das heißt, zu bewirken, dass es keinen anderen Willen gibt als den, keinen Willen zu haben“ (Foucault 2006a, 259)44.
Das Pathos, das durch diese Gehorsamspraktiken beschworen wird, ist ein Wille, der niemals aufhçrt, sich selbst zu entsagen. Das gilt auch fr den Pastor, den Abt oder den Bischof, „der selbstverstndlich nicht befehlen darf, um zu befehlen, sondern er muss einzig deshalb befehlen, weil ihm die Weisung gegeben wurde zu befehlen“45. Foucault sieht darin ein „Gehorsamsfeld“ ausgebreitet, das als ußerung individualisierter Abhngigkeit in ihrer steten Vernderung nie Allgemeingltigkeit hat, sie gewhrt so wenig Freiheit wie sie zu keinerlei Herrschaft weder ber sich noch ber andere fhrt (ebd., 261). Zur integrativen Abhngigkeit der Beziehung von „Hirt und Schaf“ gehçrt weiterhin, dass der Pastor die Unterrichtung der Wahrheit zur der Gemeinschaft zum Ausdruck zu bringen haben, die fr alle Mitglieder dieser Gemeinschaft gelten. Doch ich denke, dass sich die Handlungsweise des christlichen Pastorats individualisiert hat“ (255). Dafr geben die biblischen Texte Anhaltspunkte, nach denen der Pastor sich individuell und gesondert und auf unterschiedliche Weise jedem einzelnen Schaf zuwendet (255). 44 „All dies msste offensichtlich erforscht werden, denn es ist letztendlich in der Ideengeschichte sehr wichtig sowohl fr die christliche Moral als auch fr die Praxis, die Institutionalisierung des christlichen Pastorats selbst, ebenso fr all die Probleme, die man das ,Fleisch‘ des Christentums nennt“ (ebd., 259). 45 „Doch in dem Maß, wie seine Ablehnung die Affirmation eines eigentmlichen Willens wre, muss er freilich seiner Ablehnung entsagen, muss er gehorchen und befehlen“ (ebd., 261).
2.2. Pastoralmacht
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Aufgabe hat, auch dies nicht in allgemeinen Prinzipien, sondern in der tglichen Modulation bezogen auf das Leben jedes Einzelnen. „Doch dieser Unterricht muss auch eine Beobachtung, eine berwachung, eine jeden Augenblick ausgebte und mçglichst kontinuierliche Lenkung des vollstndigen und totalen Verhaltens der Schafe umfassen“ (ebd., 263). Der Pastor muss, um das alltgliche Leben der Menschen lenken zu kçnnen, durch Beobachtung ein bleibendes Wissen schaffen, „nmlich das Wissen vom Benehmen der Leute und ihres Verhaltens“ (ebd.). Lenkung geschieht jedoch nicht ausschließlich durch Formen der Unterrichtung, sondern auch durch spezifische Formen der Gewissensleitung und -erforschung, wie sie sich in der spteren Beichtpraxis institutionalisiert haben. „Jeder hat die Pflicht zu erkennen, wer er ist, das heißt, er soll ergrnden, was in ihm vorgeht , er muss versuchen, Fehler, Versuchungen und Begierden in sich selbst ausfindig zu machen, und jedermann ist gehalten, diese Dinge entweder vor Gott oder vor den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft zu enthllen, also çffentlich oder privat gegen sich auszusagen“ (Foucault 1993a, 52).
Die durch das Pastorat umgesetzte Gewissenserforschung geschieht anders als bei der der Antike nicht punktuell und von Umstnden abhngig, sondern permanent. Sie dient nicht dazu, dem Individuum die Herrschaft ber sich selbst zu ermçglichen und mçgliche Anhngigkeitsverhltnisse auszugleichen, sondern Gewissenserforschung geschieht, um das Verhltnis zum Pastor eben dadurch zu stabilisieren und die Abhngigkeit zu sichern (Foucault 2006a, 266). „Durch die Gewissenserforschung gestaltet man also in jedem Augenblick einen bestimmten Wahrheitsdiskurs ber sich. Von sich selbst ausgehend gewinnt und fçrdert man eine bestimmte Wahrheit, ber die man mit demjenigen verbunden ist, der (unser) Gewissen leitet“ (ebd., 266).
Die Pastoralmacht Indem das christliche Pastorat die Heilsfrage an sich bindet, bildet es eine neue Machtform aus46, die als „ganze Zirkulations-, Transfer-, Inversi46 Foucault (2006a), 295ff, sieht im Mittelalter fnf verschiedene Dimensionen des „Gegenverhaltens im Pastorat“ sich entwickeln. Als Themen dieser im Christentum wurzelnden, aber im Gegensatz zum Pastorat stehenden Bewegungen nennt er „das Thema der Eschatologie, das Thema der Heiligen Schrift, das Thema der Mystik, das Thema der Gemeinschaft und dasjenige der Askese“ (311). Die
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2. Das Konzept der Gouvernementalitt
onsçkonomie und -technik“ (ebd., 266) der Verdienste und Verfehlungen zur Verfgung steht, die „geheime Wahrheit der Innerlichkeit“ (ebd., 267) zu erforschen. Die in der Antike anzutreffende Praxis der „Sorge um sich“, die epimeleia seautou, tritt unter dem Einfluss des christlichen Pastorats zurck hinter eine Praxis der Selbsterforschung und Selbsterkenntnis im Hinblick auf eine im Inneren verborgene Wahrheit. Die christliche Hermeneutik des Selbst setzt hier mit der „Entzifferung innerer Prozesse an. Sie unterstellt, dass da etwas in uns verborgen ist und dass wir in Selbsttuschung befangen sind, die das Geheimnis schtzt“(Foucault 1993, 61). Die Vorstellung dieser pastoralen Macht sieht Foucault ber das Relais der christlichen Kirche in die abendlndische Welt eingefhrt, die „diese Themen Pastoraler Macht in przisen Mechanismen und bestimmten Institutionen koaguliert, sie hat wirklich eine zugleich spezifische und autonome pastorale Macht organisiert, sie hat deren Dispositive ins Innere des Rçmischen Reichs implantiert und mitten im Rçmischen Reich einen Typus der Macht organisiert, der, denke ich, keiner anderen Zivilisation bekannt war“ (Foucault 2006a,193 f ).47
Pastoralmacht, so lsst sich zusammenfassen, ist eine Form von Macht, deren Endziel es ist, individuelles Seelenheil in der anderen Welt zu sichern. Sie ist eine Macht, die befiehlt und zugleich die Bereitschaft voraussetzt, sich selbst zu opfern. Sie ist geprgt von dem Prinzip des omnes et singulatim, kmmert sich um das Ganze und um jeden Einzelnen. Die Auseschatologischen Bewegungen im Anschluss an Joachim von Fiore, die reformatorischen Bewegungen, die mittelalterliche Mystik und die Devotio moderna stehen dabei im Hintergrund seiner Analyse. Sie widersetzen sich dem Pastorat, indem sie die Vorherrschaft, die Mittlerfunktion des Priesters und die prinzipielle Trennung von „Hirt und Schaf“ nicht anerkennen. Es sind Themen, die Foucault zwar zum Christentum gehçrend jedoch als „Grenzelemente“ beschreibt, und die „unablssig“ von der Kirche wieder aufgenommen wurden, „(…) bis wir die große Trennung vor uns haben, die große Spaltung zwischen den protestantischen Kirchen, die im Grunde eine gewisse Art der Reimplantierung dieser Gegenverhaltensformen whlen werden. „ (311 f ). 47 Ebd., 194: „Dies ist dennoch ein Paradoxon (…), dass nmlich von allen Zivilisationen diejenige des christlichen Abendlandes ohne Zweifel die zugleich kreativste, eroberungslustigste, arroganteste und zweifellos eine der blutbeflecktesten gewesen ist (…). Doch gleichzeitig hat der abendlndische Mensch in Jahrtausenden gelernt, (…) sich als Schaf unter Schafen zu betrachten. Er hat in Jahrtausenden gelernt, sein Heil von einem Pastor zu erbitten, der sich fr ihn opfert. (…) Diese fr das Abendland so charakteristische, in der ganzen Geschichte der Zivilisationen so einzigartige Machtform wurde im Hirtenstall geboren, oder hat ihn zumindest als Modell genommen, also im Vorgriff auf eine als Angelegenheit des Hirtenstalls betrachtete Politik“.
2.2. Pastoralmacht
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bung der Macht ist angewiesen auf das Wissen von und ber die Menschen, die sie regiert. Man kann sie nicht fhren, ohne zu „wissen, was in den Kçpfen der Leute vor sich geht, ohne ihre Seelen zu erforschen, ohne sie zu veranlassen, ihre innersten Geheimnisse zu offenbaren. Dies impliziert eine Kenntnis des Gewissens und eine Fhigkeit, es zu steuern“ (Foucault 1987, 248). Der konstitutive Unterschied zu der von Foucault beschriebenen griechischen oder rçmischen Form der Regierung liegt im Bild gesprochen darin, dass die Fhrung des Schiffs (der Herde) sich ber die Fhrung der Individuen vollzieht. Die Vorstellung der Pastoralmacht zielt auf eine Multiplizitt und nicht auf ein Territorium. Sie meint alle und jeden in ihrer paradoxalen quivalenz. Sie ist eine Macht, die zu einem Zweck hinfhrt und als Vermittlung dieses Zwecks dient (Foucault 2006a, 192). Ihre Fhrung liegt darin, den Einzelnen anzuleiten, sich selbst zu fhren. Die Eigenart des christlichen Pastorats liegt in der Entwicklung von Analysemethoden, Reflexions- und Fhrungstechniken, die die Kenntnis der „inneren Wahrheit“ der Individuen und ihre Formierung zu Subjekten sicherstellen sollen. Mit der Institutionalisierung der Beichte, des Gestndnisses und der Etablierung einer Instanz des Gehorsams sieht Foucault Praktiken umgesetzt, die die „gesamte Geschichte der menschlichen Individualisierungsprozeduren im Abendland“, und damit die „Geschichte des Subjekts“ (ebd., 268) erçffnen. Subjektivierung ist daher in einem doppelten Sinn zu verstehen als die Affirmation des Ichs durch seine gleichzeitige Destruktion (ebd., 262).48 Die Pastoralmacht konstituiert ber diesen Prozess der Subjektivierung das Individuum. ber die Analyse der Verdienste, die Unterwerfung unter die Beziehung zu einem anderen Individuum und die diese Beziehung konstituierende Praxis der Gewissenserforschung und des Gestndnisses (ebd., 266 und 268) vollzieht sich Individualisierung nicht im Verhltnis zu einer anerkannten Wahrheit, sondern durch Erzeugung einer inneren Wahrheit. Die Pastoralmacht konstituiert hierdurch das moderne abendlndische Subjekt, was durch die ihm auferlegte Gewinnung der Wahrheit ber sich selbst ein „subjektiviertes Subjekt“ ist. Mit „Pastoralmacht“ ist nun nicht mehr nur eine spezifisch kirchliche Praxis bezeichnet, sondern „Pastoralmacht“ wird zu einem Strukturbegriff der Moderne (Voigt 2007, 246). 48 Wie beispielsweise die Zurckdrngung von Egoismen – Subjektivation geschieht immer unter Ausschluss von etwas, was das Ich auch ausmacht.
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2. Das Konzept der Gouvernementalitt
Die Verallgemeinerung der Pastoralmacht Im 16. und 17. Jahrhundert erfahren, so sei die weitere Argumentationslinie Foucaults kurz skizziert, die innerhalb des Christentums entwickelten Fhrungstechniken eine Ausweitung und Skularisierung. Die allmhliche Auflçsung feudal-stndischer Strukturen und der Aufbau großer Territorial- und Kolonialreiche fhrt ebenso wie die reformatorischen und gegenreformatorischen Bewegungen49 zu einer Verallgemeinerung der Pastoralmacht ber ihren kirchlich-religiçsen Zusammenhang hinaus. „Im Verlauf des 16. Jahrhunderts erlebt man durchaus nicht das Verschwinden des Pastorats (…). Tatschlich erlebt man ein viel komplexeres Phnomen (…): Einerseits kann man sagen, dass es eine Intensivierung des religiçsen Pastorats gibt, (…) in seinen spirituellen Formen, doch ebenfalls in seiner Ausdehnung und seiner zeitlichen Effizienz. Sowohl die Reformation als auch die Gegenreformation haben dem religiçsen Pastorat eine Kontrolle gegeben, einen viel grçßeren Einfluss auf das spirituelle Leben der Individuen als frher: Steigerung der Verhaltensformen von Frçmmigkeit, Steigerung der spirituellen Kontrollen, Intensivierung der Beziehung zwischen den Individuen und ihren Fhrern“ (334). „Andererseits erlebt man im 16. Jahrhundert auch eine Entwicklung der Leitung der Menschen sogar außerhalb der kirchlichen Autoritt (…): Wie sich verhalten (conduire)? Wie sich selbst fhren (conduire soi-mÞme)? Wie seine Kinder fhren? Wie seine Familie fhren?“ (334 f.) „Mit dem 16. Jahrhundert treten wir in das Zeitalter der Verhaltensfhrungen, in das Zeitalter der Fhrungen, wenn Sie wollen, in das Zeitalter der Regierungen ein“ (Foucault 2006a, 336).
Die Fhrung der Seelen wird zur Fhrung der Menschen. Damit einher geht auch eine Ablçsung des transzendentalen Subjekts hin zum historischen Subjekt (Keller 2008b, 97) und eine teleologische Verschiebung: Ehemals religiçs bestimmte Ziele werden im Rahmen der „politischen Problematik des Staates“ als skularisierte neu artikuliert. Das Ziel ist nicht mehr, zur Erlçsung in der anderen Welt zu fhren, sondern das Heil in dieser Welt zu sichern. Heil kann nun Gesundheit, Wohlergehen (Lebensstandard), Sicherheit und Schutz gegen Unflle bedeuten (Foucault 1987, 249). Auch die Verwaltung der Pastoralmacht verstrkt sich und weitet sich aus z. B. auf Institutionen der Staatsmacht wie die Polizei oder Frsorgeeinrichtungen (ebd., 249). Die Vervielfachung der Ziele und Agenten der Pastoralmacht fhrt dazu, dass sich das Wissen ber den Menschen nach zwei Polen entwickelt; der eine globale und quantitative, betrifft die Bevçlkerung, der andere, analytische, das Individuum (ebd., 249). Whrend vorher pasto49 Foucault (2006a), 278 ff.
2.2. Pastoralmacht
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rale und politische Macht als zwei rivalisierende Institutionen aufeinandertreffen, durchdringt die Pastoralmacht als individualisierende „Taktik“ nun den gesamten Gesellschaftskçrper und kann sich auf eine Vielzahl von Institutionen sttzen (ebd., 250), wie die Familie, die Medizin, die Psychiatrie, die Erziehung, den Arbeitgeber. Das skularisierte Heilsinteresse zielt als Biomacht sowohl auf das „Leben“ des Einzelnen als auch in ihren Formen der Erfassung, der Reproduktion und des Verfalls auf das der Bevçlkerung.50 Der moderne Staat fungiert als „Individualisierungmatrix“ oder als „neue Pastoralmacht“ (ebd., 249). Das Paradox des Hirten „omnes et singulatim“ findet im modernen Staat in einer gleichzeitigen Totalisierungs- und Individualisierungstendenz seinen Niederschlag51. „Das Interesse als Bewusstsein jedes einzelnen Individuums, das mit den brigen die Bevçlkerung bildet, und das Interesse der Bevçlkerung – ganz gleich, was die individuellen Interessen und Bestrebungen derer, aus denen sie sich zusammensetzt, sein mçgen – sind Zielscheibe und das Hauptinstrument der Regierung der Bevçlkerung“ (Foucault 2006a, 158 f ).
Reformation als Katalysator der Skularisierung Wie sich diese Entwicklung im Hinblick auf den Protestantismus en detail und dessen Bedeutung fr die sich ausweitende Skularisierung ausnimmt, dazu finden sich bei Foucault nur wenige verçffentlichte Bemerkungen52. So beschreibt Foucault die Reformation als eine „in ihren frhesten Wurzeln (…) erste kritische Bewegung, als Kunst, sich nicht regieren zu lassen“ (Foucault 1992, 21), und zugleich als eine, die das Pastorat auf andere Weise individualisierend etabliert hat. Hier lassen sich Querverbindungen herstellen zu Max Webers „Protestantischer Ethik“, die methodisch hnlich genealogisch arbeitet, und von hier ließen sich weitere Linien ziehen zu neueren soziologischen Untersuchungen, die die Skularisierungsthese in engem Zusammenhang mit der reformatorischen Bewegung diskutieren (Beck 2008). 50 Expliziert vor allem in Foucault (2006b), Die Geburt der Biopolitik. 51 Eine entscheidende Differenz in der Analyse Foucaults zu anderen Analysen der gesellschaftlichen Entwicklung des Abendlandes ist, dass sie die Bedeutung des Christentums nicht auf die Individualisierungslinie begrenzt, sondern den Zusammenhang von Totalisierung und Individualisierung herstellt als einer Synopse von Mikro- und Makromechanismen; siehe auch Sarasin (2005), Voigt (2007). 52 Foucault 1992, 2006a, 331 ff.
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2. Das Konzept der Gouvernementalitt
Das aus praktisch-theologischer Perspektive Interessante der Foucaultschen Analysen ist, dass der Fokus nicht auf der Geschichte der Glaubensinhalte (Rechtfertigungslehre), sondern auf der bislang wenig beachteten Geschichte der Praktiken des Protestantismus liegt (Foucault 1993, 25).53 Die die empirische Arbeit dieser Studie begleitende Frage ist daher auch, inwieweit mit dem Foucaultschen Theorem die Praktiken des Protestantismus zu beschreiben sind als solche, die Skularisierung voranbringen bzw. inwieweit umgekehrt die gegenwrtigen Praktiken der „neuen Pastoralmacht“ in ihrem Effekt als Formen der „Resakralisierung“ und „Katholisierung“ der evangelischen Kirche zu identifizieren sind. Auch wenn das Theorem der Pastoralmacht als spezifische Machtform sich einer historischen Rekonstruktion verdankt und durch die fehlende Analyse politischer Texte als nicht ausreichend abgedeckt kritisiert werden kann (Su rez Mller 2004), dient es im Rahmen dieser Studie als ein der Werkzeugkiste Foucaults entnommenes analytisches Instrument, mit dem es gelingen soll, Bewegungen und Brche im kirchlichen Spezialdiskurs als Teil, Effekt oder Resultante gesellschaftlicher Bewegungen und Brche zu distinguieren und beschreibbar zu machen54.
53 „(…) bei meinen Nachforschungen stieß ich auf zahlreiche Schwierigkeiten, denn diese Praktiken sind wenig bekannt.“ Es „hat das Christentum sich stets mehr fr die Geschichte seiner Glaubensinhalte interessiert als fr die Geschichte realer Praktiken“ (ebd., 25). 54 Foucault hat diese Weisen der modernen Zurichtung des Selbst, der Subjektkonstitution in seinen Studien herausgearbeitet: Die Fremdkonstitution des Selbst in der Unterscheidung von Wahnsinn und Vernunft (Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft), die Herstellung des gesunden Kçrpers (Die Geburt der Klinik), die Disziplinierung der Kçrper (berwachen und Strafe, Die Geburt des Gefngnisses), die Konstituierung des ,endlichen“ Menschen als Leitmodell der neuen Humanwissenschaften (Die Ordnung der Dinge), die „richtige“ Sexualitt“ (Sexualitt und Wahrheit) und die Formen des Regierens (Geschichte der Gouvernementalitt). Seine letzten Studien sind historische Analysen zur Selbstkonstitution oder Selbstzurichtung der Subjekte (Der Gebrauch der Lste, Die Sorge um sich), die die Fhigkeit zur Selbstfhrung in einem an Techniken der Selbstreflexion gegrndetem Wissen beschreiben. Subjektivierung vollzieht sich also in der doppelten Weise der Zurichtung durch Fremd- und durch Selbsttechnologien, jeweils generiert durch ein Wissen ber den Menschen.
2.3. Fremd- und Selbsttechnologie und die Genealogie der Subjektivierung
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2.3. Fremd- und Selbsttechnologie und die Genealogie der Subjektivierung Technologien, Strategien und Praktiken – ein kleines Glossar Eine entscheidende analytische Funktion hat die Einfhrung des Begriffs der Technik bzw. der Technologie, weil sie erlaubt, das Verhltnis zwischen Herrschaft und Selbst, die Materialitt des Macht/Wissen-Komplexes sowohl in der Mikro- als auch Makrooptik zu beschreiben, bzw. noch vor die Unterscheidung von Mikro- und Makrooptik zurckzugehen. Entgegen dem an Aristoteles angelehnten Sprachgebrauch verwenden Foucault und die sich an ihn anschließende Literatur die Begriffe Technik und Technologie synonym.55 Die auf Aristoteles zurckgehende Trennung der Begriffe ist in einem systemischen Sinne aufgehoben. Technik als Fertigkeit, Handlungsschema und Produkt wird in Anlehnung an Aristoteles unterschieden von der Technologie, die neben der materialen Lçsung auch die Rationalitt umfasst. Sie versieht bestimmte technische Verfahren mit Plausibilittskriterien und ermisst die Angemessenheit der technischen Mittel im Hinblick auf den gewnschten Zweck. Die Rationalitt umfasst die handlungswirksamen Strategien, die sich um „technische Apparaturen herum bilden, nmlich Legitimationsstrategien (z. B. Akzeptanzbeschaffung), Durchsetzungsstrategien (z. B. Gesetzgebungsverfahren) und Befhigungsstrategien (z. B. Bedienungsanleitungen und Ausbildungsvorschriften)“ (Maasen/Merz 2006, 14). Techniken, Technologien, Strategien und auch Praktiken 56 sind als Begriffe innerhalb der Forschungsarbeit Foucaults nicht konsistent getrennt, sondern beschreiben das den Praxisverhltnissen der Regierung inhrente Wissen, wobei Regierung im oben beschriebenen Sinne als „Einwirken auf Subjekte“, als „Ensemble von Handlungen in Hinsicht auf mçgliche Handlungen“ gemeint ist (Foucault 1987, 255). Foucault differenziert zwischen verschiedenen Typen von „Technologien“, die jeweils eine eigene „Matrix praktischer Vernunft“ bilden:
55 Mçglicherweise ist dies auch ein durch bersetzungen mit verstrktes Problem, weil im Englischen hier begrifflich nicht unterschieden wird. 56 „(…) wobei Praktiken als Ort der Verknpfung betrachtet werden zwischen dem, was man sagt und dem,was man tut, den Regeln, die man sich auferlegt, und den Grnden, die man gibt, den Projekten und den Evidenzen.“ Foucault, Zitat bei Keller (2008b), 54.
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2. Das Konzept der Gouvernementalitt
„1.Technologien der Produktion, die es uns ermçglichen, Dinge zu produzieren, zu verndern oder auf sonstige Weise zu manipulieren; 2. Technologien von Zeichensystemen, die es uns gestatten, mit Zeichen, Bedeutungen, Symbolen oder Sinn umzugehen; 3. Technologien der Macht, die das Verhalten von Individuen prgen und sie bestimmten Zwecken oder einer Herrschaft unterwerfen, die das Subjekt zum Objekt machen; 4. Technologien des Selbst, die es dem Einzelnen ermçglichen, aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer eine Reihe von Operationen an seinem Kçper oder an seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner Existenzweise vorzunehmen, mit dem Ziel, sich so zu verndern, dass er einen gewissen Zustand des Glcks, der Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der Unsterblichkeit erlangt“ (Foucault 1993a, 26).
Diese Technologien sind, obwohl jede mit einer spezifischen Form von Herrschaft verbunden ist, in ihrem Funktionieren nicht zu trennen. Im Kontext der Gouvernementalittsstudien gilt das Interesse dem Wechselverhltnis von Technologien der Macht und Technologien des Selbst. „Man muss die Punkte analysieren, an denen die Herrschaftstechniken ber Individuen sich der Prozesse bedienen, in denen das Individuum auf sich selbst einwirkt. Und umgekehrt muss man jene Punkte betrachten, in denen die Selbsttechnologien in Zwangs- oder Herrschaftsstrukturen integriert werden. (…) Der Kontrapunkt, an dem die Form der Lenkung der Individuen durch andere mit der Weise ihrer Selbstfhrung verknpft ist, kann nach meiner Auffassung Regierung genannt werden. In der weiten Bedeutung des Wortes ist Regierung nicht eine Weise, Menschen zu zwingen, das zu tun, was der Regierende will; vielmehr ist sie immer ein bewegliches Gleichgewicht mit Ergnzungen und Konflikten zwischen Techniken, die Zwang sicherstellen, und Prozessen, durch die das Selbst durch sich selbst konstruiert und modifiziert wird.“57
Die Begrifflichkeiten von Technologien und Strategien erlauben das Mçglichkeitsfeld zu erfassen, in dem die gouvernementale „Fhrung der Fhrung“58 operiert als in einem Feld, das durch Zwang und Freiheit konstelliert ist. Denn keineswegs kann Fhrung sicher sein, ihr Ziel zu erreichen, sie muss mit Widerstndigkeit und Eigensinn der Individuen rechnen, sie erfolgt auf „Wahrscheinlichkeit hin“ (Foucault 1987, 255). Technologien sind in dieser Hinsicht Elemente einer „Genealogie der Subjektivierung“ (Rose 1996, 51), die als Analyse der Praktiken zeigt, wie 57 Foucault (1993): „About the beginning of the Hermeneutics of the Self“, Zitat bei Brçckling/Krasmann/Lemke 2000, 29. 58 Foucault (1987), 255: „,Fhrung der Fhrungen‘ beschreibt in der Doppelbedeutung des (se) conduire die ,Ttigkeit des ,Anfhrens‘ anderer (vermçge mehr oder weniger strikter Zwangsmechanismen) und die Weise des Sich-Verhaltens in einem mehr oder weniger offenen Feld von Mçglichkeiten“.
2.3. Fremd- und Selbsttechnologie und die Genealogie der Subjektivierung
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sich das Subjekt entwickelt. Ausgehend von dem Einzelnen hieße das, den analytischen Blick darauf zu richten, was dem Selbstverhltnis Form und Richtung aufprgt (Brçckling 2007, 32; Foucault 1987, 255). Als Bezugsfeld dienen dabei „weder die Vorstellungen, die Menschen von sich selbst haben, noch die Bedingungen, von denen sie ohne ihr Wissen bestimmt sind, sondern eher, was sie tun und wie sie es tun. Das heißt die Realittsformen, die ihre Weise zu handeln organisieren (dies kçnnte der technologische Aspekt genannt werden), und die Freiheit, mit der sie innerhalb dieser praktischen Systeme handeln, darauf reagieren, was andere tun, und bis zu einem gewissen Punkt die Spielregeln modifizieren (dies kçnnte die strategische Seite dieser Praktiken genannt werden)“ (Foucault 1990, 51).
Strategien bezeichnen demnach die eigensinnige und widerstndige Form der Umsetzung der Praktiken. Analytik der Regierung und der Subjektivierung Das theoretische Profil von Foucaults Analytik der Regierung macht sich daran fest, dass das Dispositiv als Ensemble materieller, symbolischer und technologischer Verfahren in seiner Realitt konstituierenden Bedeutung beschrieben und sowohl auf den Staat als auch auf die Subjektivierung bezogen wird. Insgesamt zielt das Interesse Foucaults auf den Nachweis einer Ko-Formierung von modernem souvernem Staat und modernem autonomen Subjekt (Lemke 2007d; 2007a, 55). Die Analytik der Regierung sucht „die Machtbeziehungen hinsichtlich der Institution freizulegen, um sie unter dem Gesichtspunkt der Technologien zu analysieren, sie ebenso hinsichtlich der Funktion freizulegen, um sie in einer strategischen Analyse wieder aufzunehmen, und sie hinsichtlich des Privilegs des Objekts flexibel zu machen, um zu versuchen, sie vom Standpunkt der Konstituierung der Felder, Bereiche und Wissensgegenstnde zu positionieren“ (Foucault 2006a, 177).
Praktiken statt Objekt, Strategien statt Funktion und Technologien statt Institution – so lsst sich die analytische Bewegung einer Dezentrierung59 dieser nominalistischen Perspektive beschreiben. Hierin liegt fr Foucault 59 Einig in der Ablehnung positivistischer Staatskonzepte sieht Foucault anders als Luhmann, der es ablehnt, aufgrund der enormen Komplexitt und Heterogenitt ber „den Staat“ zu sprechen, genau darin den Schlssel zum Verstndnis des Staates, in dem er auf die zentrale Bedeutung „politischen Wissens“ verweist, Lemke (2007a), 53.
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2. Das Konzept der Gouvernementalitt
der Unterschied zur phnomenologischen Sichtweise, die die Objekte zentriert. „Es handelt sich im Gegenteil darum, die Bewegung zu erfassen, mit deren Hilfe, durch diese sich bewegenden Technologien hindurch, sich ein Wahrheitsfeld mitsamt der Wissensgegenstnde bildete. Man kann zweifellos sagen, dass der Wahnsinn ,nicht existiert’, doch das heißt nicht, dass er nichts sei. Es handelte sich im Ganzen genommen darum, das Gegenteil dessen zu tun, was uns die Phnomenologie zu sagen und zu denken gelehrt hat, die Phnomenologie, die ungefhr sagte: Der Wahnsinn existiert, was nicht bedeutet, dass er etwas sei“ (Foucault 2006a, 177).
Von hier aus ist deutlich, dass Foucault nicht einem radikal-konstruktivistischen Ansatz zuzurechnen ist, weil er die Dispositive als Materialitten beschreibt. Letztlich gesehen ist es eine politisch dimensionierte Theorie (Lemke 1997), weil sie von der Annahme der Kontingenz erscheinender Aussagen ihre Nicht-Kontingenz als Effekte von Verknappungsprozeduren machtanalytisch nachzuzeichnen sucht, und das Regelwerk und die Gesetzmßigkeiten als spezifische Rationalitt untersucht. „Die Beschreibung der diskursiven Ereignisse stellt (im Ggs. zur Sprachanalyse, BK) eine vçllig andere Frage: wie kommt es, dass eine bestimmte Aussage erschienen ist und keine andere an ihrer Stelle? (…) es handelt sich darum, die Aussage in der Enge und Besonderheit ihres Ereignisses zu erfassen; die Bedingungen ihrer Existenz zu bestimmen, auf das Genaueste ihre Grenzen zu fixieren, ihre Korrelationen mit den anderen Aussagen aufzustellen, die mit ihm verbunden sein kçnnen, zu zeigen, welche andere Form der ußerung sie ausschließen“ (Foucault 1981, 43).
3. Die Gouvernementalitt der Gegenwart – Die neue Pastoralmacht Foucaults Ausarbeitungen des Konzeptes der Gouvernementalitt fr die zeitgençssischen Regierungspraktiken sind fragmentarisch geblieben. Hier setzen die Governmentality Studies an, deren Bezeichnung schon die Bewegung vom frankophonen Raum zum anglo-amerikanischen Raum deutlich machen60 (Burchell/Gordon/Miller 1991). Seit den Verçffentlichungen der Sammelbnde von Lemke, Krasmann und Brçckling (2000 und 2004) und der Publikation der bis dahin nur ber Tonbandprotokolle zugnglichen beiden Vorlesungsreihen (2004) Sicherheit, Territorium und Bevçlkerung aus dem Jahr 1978 und Die Geburt der Biopolitik aus dem Jahr 1979 intensiviert sich auch im deutschsprachigen Raum die Rezeption Foucaults und seiner Machtanalytik unter dem Blickwinkel der Gouvernementalitt.61 Die gemeinsame Basis ist dabei die Auseinandersetzung mit der neoliberalen Gouvernementalitt als der gegenwrtigen Gouvernementalitt.
60 Die Umbrche machen sich u.a fest an der Regierungszeit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher, in deren Umfeld ab Mitte der 70er Jahre eine umfassende enterprise culture ausgerufen wird: „Enterprise culture is defined as the full set of conditions that promote high and rising levels of achievement in a country’s economic activity, politics and government, arts and sciences, and as distinctively private lives of the inhabitants“ (Center of Policy Studies/ Institute of Policy Research, zitiert nach Morris 1991, 23). – Ein kritischer berblick der Governmentality Studies findet sich bei Lemke (2007d). Osborne (2004), bevorzugt die Formulierung „studies of governmentality“, um einer Ontologisierung und Soziologisierung dieser Forschungsperspektive vorzubeugen (nach Lemke 2007d, 49, Anmerkung 2). 61 Die Auseinandersetzung erfolgt in einem solchen Maße, dass Weber (2005), 27, sogar eine „(unverzichtbare!) Wissenschaftsmode“ ausmacht, nach der Macht zu fragen. Zur kritischen Rezeption auch: Purtschert et al. (2008), 7 – 17.
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3. Die Gouvernementalitt der Gegenwart – Die neue Pastoralmacht
3.1. Gegenwrtige Gouvernementalitt als neoliberale Gouvernementalitt Foucaults Ausarbeitungen zum Neoliberalismus62 markieren vor allem zwei Differenzen zwischen den frhliberalen und den spteren neoliberalen Konzeptionen. Zum einen besteht der Unterschied in einer Neudefinition des Verhltnisses von Staat und konomie. Das Prinzip des die konomie berwachenden und sie ußerlich begrenzenden Staates wird ersetzt durch das nun umgekehrt den Staat und die Gesellschaft formende regulatorische und innere Organisationsprinzip des Marktes. Der zweite Unterschied besteht in der Grundlage des Regierens, dass sich eine konstitutive Subjektivierungsform verndert, die Vorstellung des natrlichen Menschen als homo oeconomicus. War die klassische liberale Vorstellung des homo oeconomicus durch eine Theorie des Nutzens auf der Grundlage der Bedrfnisse und durch die Idee des „Tauschpartners“ bestimmt, erscheint der homo oeconomicus im Neoliberalismus als „Unternehmer seiner selbst“, der fr sich selbst sein eigenes Kapital ist, sein eigener Produzent, seine eigene Einkommensquelle (Foucault 2006b, 314). Die „natrliche Freiheit“ des Individuums in der Vorstellung des frhen Liberalismus weicht im Neoliberalismus einer „knstlich arrangierten Freiheit, dem unternehmerischen Verhalten çkonomisch-rationaler Individuen“ (Brçckling et al. 2000,15). Diese Entwicklung erklrt sich fr Foucault daraus, dass die Freiheit des Handelns im Liberalismus als existent und zu respektierend vorausgesetzt ist und in gleichem Maße als nicht zu kalkulierendes Risiko fr das Allgemeinwohl gelten muss. Der Staat kann nicht eingreifen, ohne zugleich seine eigene Existenzgrundlage zu gefhrden. Diese „Produktionskosten der Freiheit“ zu kalkulieren erfordert ein Sicherheitskalkl, das, so Foucault, in der Weiterentwicklung zum Neoliberalismus eine Lçsungsstrategie braucht und diese in den zwei ganz verschiedenen Formen der bundesdeutschen Variante mit der sozialen Marktwirtschaft der Ordoliberalen und der US-amerikanischen Variante mit der konsequenten Ausweitung des konomischen auf das Soziale findet. Die Operationalisierung der US-amerikanischen Variante setzt dabei eine epistemologische Verschiebung voraus, die den Gegenstands62 Foucaults Analyse konzentriert sich auf den deutschen Nachkriegsliberalismus und den US-amerikanischen Liberalismus der Chicagoer Schule – Brçckling et al. 2000, 15, Gertenbach (2007) – im kirchlichen und theologischen Bereich haben Schper (2006) und Manzeschke (2007) weiterfhrend mit dem Gouvernementalittsansatz gearbeitet.
3.1. Gegenwrtige Gouvernementalitt als neoliberale Gouvernementalitt
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bereich des konomischen umfassend erweitert: „Die konomie besteht nicht mehr als ein gesellschaftlicher Bereich mit spezifischer Rationalitt, Gesetzen und Instrumenten, sie besteht vielmehr aus der Gesamtheit menschlichen Handelns (….)“ (Brçckling et al. 2000, 16). Die Generalisierung der çkonomischen Form erfllt damit zugleich zwei Funktionen: Als Analyseprinzip untersucht sie nicht-çkonomische Bereiche mittels çkonomischer Kategorien und als Programmatik erlaubt sie eine kritische Bewertung von Regierungspraktiken anhand von Marktbegriffen. „Whrend der klassische Liberalismus die Regierung anhielt, die Form des Marktes zu respektieren, ist der Markt in dieser Konzeption nicht mehr das Prinzip der Selbstbegrenzung der Regierung, sondern das Prinzip, das sich gegen sie kehrt: eine Art permanentes çkonomisches Tribunal“ (ebd. 17; Foucault 2006b, 342). Diese neue Subjektivierungsweise verdichtet sich in einer Gesellschaft, die „der Dynamik des Wettbewerbs untersteht. Keine Gesellschaft von Supermrkten, sondern eine Unternehmergesellschaft. Der homo oeconomicus, den man wiederherstellen will, ist nicht der Mensch des Tausches, nicht der Mensch des Konsums, sondern der Mensch des Unternehmens und der Produktion“ (Foucault 2006b, 208).
Gouvernementalittsstudien Das Forschungskonzept wird im Anschluss an Foucault entlang des Gouvernementalittstheorems weiterentwickelt und fr die Analyse zeitgençssischer Regierung genutzt63. „Neoliberalismus wird dabei nicht allein als ideologische Rhetorik oder als polit-çkonomische Realitt aufgefasst, sondern vor allem als ein politisches Projekt, das darauf zielt, eine soziale Realitt herzustellen, die es zugleich als existierend voraussetzt“ (Brçckling et al. 2000, 9).
Die Gouvernementalittsstudien kçnnen nicht als abgeschlossenes Forschungsprogramm gelten und weisen zudem in sich eine Reihe von Defiziten und Problemen auf, die sich nicht zuletzt auch aus der mangelnden theoretischen Przisierung des Regierungsbegriffs bei Foucault selbst ergeben. Das Konzept der Gouvernementalitt hat dennoch einen starken methodischen Vorzug, weshalb es auch in dieser Arbeit zugrunde gelegt 63 Zur Literaturlage in diesen frhen Gouvernementalittsstudien : Brçckling et al. (2000), 19 f.
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3. Die Gouvernementalitt der Gegenwart – Die neue Pastoralmacht
wird. Die Vorstellung der Regierung als Form der „Problematisierung“, die einen politisch-epistemologischen Raum oder ein „Mçglichkeitsfeld“ definiert, erlaubt ber çkonomistische und ideologiekritische Verkrzungen der Analyse des Neoliberalismus hinauszugehen (Brçckling et al. 2000, 19). Diese theoretische Verschiebung ermçglicht in ihrer nominalistischen Perspektive zweierlei: Zunchst denaturalisiert sie die Reprsentationen des Sozialen und verweist auf den reifizierenden Gebrauch von Kategorien, indem sie vertraute Denkschemata in Frage stellt. Zum anderen legt sie die Sicht frei auf ein historisch-spezifisches Netz von Krfteverhltnissen, Strategien und Interessen.64 Methodisch kann vor Unterscheidungen wie Gesellschaft und Staat, Privat und ffentlich zurckgegangen werden (Lemke 2007d, 53ff ). Dabei liegt der Fokus auf dem Krfte- und Kampffeld, das Regierungsstrategien in ihrem Aufeinandertreffen bilden. Es geht nicht um Programme und die Frage, ob sich deren reine oder ideale Realisierung vollzieht, sondern um das Sichtbarmachen dieses Kraftfeldes, das „Zwischen“ von Programmen und Realisierung, um die unintendierten Effekte. „Brche gibt es nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb von Rationalitten und Technologien, und zwar als Bedingung ihres Funktionierens – nicht als Signum ihres Scheiterns“ (Brçckling et al. 2000, 23).
Dies bedeutet fr die analytische Arbeit, den Akzent auf die Pluralitt und Heterogenitt der Effekte zu legen. Inhaltlich avancieren innerhalb der Gouvernementalittsstudien Begriffe wie Risiko oder Sicherheit zu entscheidenden Katalysatoren65. Anders als Ulrich Beck in seinem Konzept der Risikogesellschaft (Beck 2006), sind Risiken nicht gesellschaftliche, durch die industriell-kapitalistische Modernisierung erzeugte Realitten, sondern Resultat politischer Rationalitten und Technologien. Pointiert gesagt geht es den Gouvernementalittsstudien nicht um die Macht der Technologien, sondern um die Technologien der Macht66. Die neoliberale Strategie wird sichtbar in dem 64 Brçckling et al. (2000), 21: „Dieser Nominalismus schreibt sich insofern in ein materialistisches Theorieprogramm ein, als es dabei gegen einen sozialwissenschaftlichen Realismus um die ,Objektivierung der Objektivierungen‘ (…) geht“. 65 Purtschert et al. (2008), Gouvernementalitt und Sicherheit. Die dort versammelten Beitrge begreifen Sicherheit als konstitutiv fr den gouvernementalen Staat. Die Analyse der Sicherheitsgesellschaft ist Ausgangspunkt fr eine kritische Relektre Foucaults und die Revision seiner Machtanalytik von Souvernitt, Disziplin und Regierung – in Abgrenzung zu den sich auf die Lenkung von Individuen konzentrierenden Gouvernementalittsstudien. 66 Lemke (2007d), 51 in Bezug auf Francois Ewald (1993), Der Vorsorgestaat.
3.1. Gegenwrtige Gouvernementalitt als neoliberale Gouvernementalitt
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Umcodieren der Sicherheitspolitik von dem Modell einer sozialen Versicherung zu einer Privatisierung und Individualisierung gesellschaftlicher Risiken. Die Verantwortung fr gesellschaftliche Risiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Armut etc. und das (ber-)Leben in der Gesellschaft wird in den Zustndigkeitsbereich von kollektiven und individuellen Subjekten (Individuen, Familien, Vereinen etc.) und in ein Problem der Selbstsorge transformiert. Damit zeichnet sich die neoliberale Regierungsform aus durch indirekte Techniken der Einflussnahme, neben den Interventionen durch autorisierte und spezialisierte Staatsapparate. „Das Spezifikum der neoliberalen Rationalitt liegt in der anvisierten Kongruenz zwischen einem verantwortlich-moralischen und einem rational-kalkulierenden Subjekt. Sie zielt auf die Konstruktion verantwortlicher Subjekte, deren moralische Qualitt sich darber bestimmt, dass sie die Kosten und Nutzen eines bestimmten Handelns in Abgrenzung zu mçglichen Handlungsalternativen rational kalkulieren“ (Lemke 2007d, 55).
In der Gouvernementalittsperspektive wird der neoliberale „Rckzug des Staates“ als Regierungstechnik dechiffriert, der Verlust staatlicher Regierungs- und Steuerungskompetenzen stellt sich als Umorganisation oder Restrukturierung der Regierungstechniken dar. Objekt des Regierens ist das Subjekt, das sich selbst zum Gegenstand und Mittel der Regierungspraxis macht (Rose/Miller 1992). Dies ist Ansatzpunkt fr zahlreiche Gouvernementalittsstudien, die Umorganisation durch Responsibilisierung fr spezifische Felder wie Gesundheitswesen, Soziale Vorsorge, Bildung etc. mit unterschiedlicher Akzentsetzung empirisch zu untersuchen.67 Diese Ausarbeitungen gegen67 Schper (2006), Kessl (2005) Weber/Maurer (2006a), Duttweiler (2007a), Anhorn/Bettinger/Stehr (2007), Graefe (2007), Pongratz et al. (2004) – ganz anders Sarasin (2005, 180), der den Gouvernementalittsstudien vorwirft, an Foucaults Text der Vorlesungen von 1979 vorbeizugehen: „Und wie wenn Foucault vor den Fallstricken der heutigen ,Gouvernementalittstheorie‘ warnen wollte, schreibt er: ,Die neue Regierungskunst stellt sich also als Manager der Freiheit dar, und zwar nicht in dem Sinne des Imperativs: ,Sei frei‘, was den unmittelbaren Widerspruch zur Folge htte, den dieser Imperativ in sich trgt. Es ist nicht das ,sei frei‘, was der Liberalismus fordert, sondern einfach Folgendes: ,ich werde dir die Mçglichkeit zur Freiheit bereitstellen. Ich werde es so einrichten, dass du frei bist, frei zu sein‘“. Sarasin geht es in der Bewertung darum, die liberale Freiheit der Zuweisung als „listiges selbst-technologisches Strategem der ,Sicherheits‘-Mchte“ zu entreißen, konzediert aber selbst, dass die „Freiheit“ durch die liberale Gouvernementalitt erst hergestellt und gesichert wird. Diese Freiheit als hergestellte und darin reglementierte, zumal in Weiterentwicklung zum Neo-Liberalismus der 80er und 90er Jahre, ist Gegenstand der kritischen an Foucault orientierten Auseinander-
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3. Die Gouvernementalitt der Gegenwart – Die neue Pastoralmacht
wrtiger Gouvernementalitt bilden den Bezugsrahmen dieser Arbeit, die sich zum Ziel genommen hat, ausgehend von diesen Rekonstruktionen gesellschaftlicher Wirklichkeit die Rekonstruktion kirchlicher Wirklichkeit zu plausibilisieren. Rationalisierung der Lebensfhrung – Weber und Foucault Aus dem bislang Dargelegten erschließt sich die Nhe und der Unterschied zu der von Max Weber vorgenommenen Untersuchung der Protestantischen Ethik.68 Die Nhe liegt darin, Rationalisierungsformen der Moderne zu identifizieren und sie im Hinblick auf ihre Wirkung fr die Individuen zu untersuchen. Dem von Weber ausgemachten Paradox der rationalisierten Lebensfhrung, das sich in der Steigerung von Autonomie und (selbstproduzierter) Heteronomie ausdrckt, gehen auch die Arbeiten Foucaults nach, wenn auch mit einer anderen Vorstellung von Subjekt und Herrschaft. Ging Weber von einem autonomen willentlichen Subjekt und einer von diesem durch den Legitimittsglauben anerkannten Herrschaft aus, so konzentriert sich Foucaults Interesse darauf, die Bedingungen dieses Anerkenntnisses zu untersuchen. „Welche Rationalitt liegt dem Konsens zugrunde und welche Techniken gewhrleisten, dass Machtbeziehungen akzeptiert werden? Durch welche Verfahren wird der Legitimittsglaube generiert und stabilisiert?“ (Lemke 2007c, 39).
Rationalitt bezieht sich nicht wie bei Weber auf transzendentale Vernunft oder einen ursprnglichen Willen, es geht ihm nicht um die Frage nach dem Verhltnis von Praktiken und Rationalitt als einer vernnftigen Entsprechung. Im Interesse steht die Rekonstruktion der Transformation von Rationalitten, deshalb liegt der Schwerpunkt darauf zu fragen, auf welchen Typ von Rationalitt sich Praktiken beziehen (Lemke 2007c, 40). Der Begriff der Rationalitt hat in diesem Sinne keine normative, sondern eine relationale Bedeutung (Lemke 2007c, 41). „Ich glaube, man muss dieses Wort auf eine instrumentelle und relative Bedeutung beschrnken. Die Zeremonie der çffentlichen Hinrichtungen ist fr sich genommen nicht irrationaler als die Inhaftierung in einer Zelle, aber sie ist irrational im Verhltnis zu einem Typ des Strafens, der eine neue Art und setzung der Gouvernementalittsstudien. Sarasins Polemik trifft hier also nur zu einem Teil. 68 Dazu: Lemke (2007c), Jurczyk/Voss (1995).
3.2. Das neoliberale Selbst, der Markt und das Versprechen der Freiheit
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Weise zum Vorschein bringt, ber die Strafe bestimmte Effekte anzustreben, ihre Ntzlichkeit zu kalkulieren, sie zu rechtfertigen und abzustufen usw. Es handelt sich sozusagen nicht darum, die Praktiken an der Elle einer Rationalitt zu messen, durch die man sie als mehr oder weniger perfekte Formen der Rationalitt bewerten wrde, sondern eher darum, zu sehen, wie diese Formen der Rationalitt sich in Praktiken oder Systemen von Praktiken niederschlagen, und welche Rolle sie in diesen spielen. Denn es gibt in der Tat keine ,Praktiken‘ ohne ein bestimmtes Regime der Rationalitt“ (Foucault 2005, zitiert nach Lemke 2007c, 41).
Im Fokus des analytischen Blickes steht daher der Unterschied von Rationalitten in ihren jeweiligen Steigerungs- und Abgrenzungsformen; konkret auf diese Studie bezogen heißt dies zu fragen, wie beispielsweise sich eine im çkonomischen Diskurs vorfindliche, an Effizienzkriterien orientierende Rationalitt in einer gottesdienstlichen Praktik und der ihr eigenen Rationalitt wiederfindet.
3.2. Das neoliberale Selbst, der Markt und das Versprechen der Freiheit Der „konomisierung des Sozialen“ korreliert eine spezifische Subjektivierungsform, die am prgnantesten mit dem Begriff des „unternehmerischen Selbst“ (Rose 1996, Brçckling 2007) wiedergegeben wird. Die Ratio des unternehmerischen Handelns wird dabei auf das kollektive wie auf das individuelle Selbst bertragen. Ulrich Brçckling macht mit Verweis auf die Nationalçkonomen Ludwig von Mises und Joseph A. Schumpeter vier Grundfunktionen aus: „Unternehmer sind erstens Neuerer, zweitens findige Nutzer von Gewinnchancen, sie bernehmen drittens die Unsicherheiten des çkonomischen Prozesses und organisieren schließlich viertens die Ablufe von Produktion und Vermarktung“ (Brçckling 2004, 272). Der Unternehmer oder Entrepreneur ist fr das Unternehmen das, was der Souvern fr den Staat ist, er bernimmt das Risiko und die Verantwortung. Mit der Lehre von den Unternehmerfunktionen, so Brçckling, liefert die Nationalçkonomie nicht nur ein theoretisches Modell zur Erklrung des Markterfolges. „Indem sie den wirtschaftlichen Erfolg auf spezifische Handlungstypen zurckfhrt, prsentiert sie zugleich ein normatives Modell der Lebensfhrung. Die Analytik unternehmerischen Handelns ist nicht zu trennen von der zumindest ebenso impliziten Aufforderung, das eigene Tun und Lassen so auszurichten, dass es diesem Typus mçglichst nahe kommt. Entrepreneurship,
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3. Die Gouvernementalitt der Gegenwart – Die neue Pastoralmacht
ließe sich Kant abwandelnd sagen, ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unproduktivitt“ (Brçckling 2004, 274).
konomischer Erfolg und persçnliche Selbstverwirklichung sind in der neoliberalen Rationalitt ber die Selbstverantwortung des Individuums aufs engste aneinander gekoppelt69. Diese Kopplung vollzieht sich nicht durch Instrumente der Disziplinierung, denen der Makel der Fremdbestimmung anhaftet, sondern indem Selbstverantwortung der Glanz einer ethischen Haltung, eines „Ethos“ verliehen wird, das eine Befreiung und eine Autonomisierung des Subjekts verspricht. „Die Subjektivierungsprogramme der neoliberalen Gouvernementalitt suggerieren die Anerkennung der Individualitt, die Befhigung des Einzelnen, sein Leben selbst zu bestimmen, unabhngig von gesellschaftlichen Zwngen, mit denen zuvorderst staatliche Repressionen gemeint sind“ (Junge 2008, 294).
Daher bezieht sich das „Begehren“ als Element der Subjektivation nicht wie noch beim homo oeconomicus der liberalen Schule auf den çkonomischen Erfolg, sondern auf sich selbst: Es ist selbst das „Begehrens-Subjekt“ (Bhrmann 2007, 67) und konstituiert den Unternehmer seiner selbst, der sich mit diesem „Selbst“ auf dem Markt prsentiert. Selbstbestimmung, Wahlfreiheit und Verantwortung bestimmen nicht die Grenzen des Regierungshandelns, sondern sind im Gegenteil dessen Instrumente und umfassen alle Bereiche des Lebens. „Government is any more or less calculated and rational activity, undertaken by a multiplicity of authorities and agencies, employing a variety of technics and forms of knowledge, that seeks to shape conduct by working through our desires, aspirations, interests and beliefs, for definite but shifting ends and with a diverse set of relatively unpredictable consequences, effects and outcomes“ (Dean 1999, 11).
Die auf Subjektivierung und Responsibilierung ausgerichteten Selbstmodellierungstechniken („Inventing Our Selves“, Rose 1996) zielen auf die Individualisierung von Akteuren, wobei kollektive Subjekte wie Organisationen eingeschlossen sind. Diese Techniken tragen ein unspezifiziertes Heilsversprechen in sich, das sich erst in praxi spezifisch und daher unterschiedlich ausformuliert. Bezogen auf „individuelle Selbste“ lautet die vereinfachte Botschaft: Wenn du gengend an dir arbeitest, wirst du glcklich, gesund, erfllt, stirbst du besser, gebrst du besser, rettest du deine Beziehung oder kannst dich endlich trennen, bekommst oder be69 Siehe dazu v. a. Rose (1996) und Miller/Rose (1994).
3.2. Das neoliberale Selbst, der Markt und das Versprechen der Freiheit
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hltst du deinen Job, fçrderst du deine Kinder“ etc.70. Genauso mssen kollektive „Selbste“ an ihrer „Erkennbarkeit“, „Glaubwrdigkeit“, „Effizienz“, „Flexibilitt“ arbeiten, wenn sie „erfolgreich“ sein, etwas bewirken, wahrgenommen und sich auf dem gesellschaftlichen Markt behaupten wollen. Zugespitzt: Wenn sie berhaupt sein wollen, mssen sie werden, d. h. sich permanent als ein gefordertes und anerkanntes „Selbst“ entwerfen71. Die an çkonomischen Effizienzkriterien und unternehmerischem Kalkl orientierten Strategien erweisen sich in ihrer Implementierung in andere Lebensbereiche hinein als Instrumentarien mit dem Ziel der Berechenbarkeit und Schaffung von Wahrscheinlichkeit. Das individuelle oder kollektive Selbst wird dabei in seinen Verantwortungsinstanzen auf seine „Fhrungsfunktion“ angesprochen: Es muss sich selbst fhren im inneren und ußeren Management. Das unternehmerische Selbst steht, so wieder Brçckling, unter dem Diktat des Komparativs, denn unternehmerisch handelt man nur, solange man „innovativer, findiger, wagemutiger, selbstverantwortlicher und fhrungsbewusster ist als die anderen“ (Brçckling 2004, 276). Es ist eine paradoxe Mobilisierung, weil jeder unternehmerisch sein soll. „Es ist diese Kombination von allgemeinen Mçglichkeiten und ihrer selektiven Realisierung, welche die çkonomische Bestimmung unternehmerischen Handelns zum Fluchtpunkt individueller Optimierungsstrategien macht und zugleich jenen, die im tglichen survival of the fittest unterliegen, die alleinige Verantwortung fr ihr Scheitern aufbrdet“ (ebd., 275).
So geht es um die temporr und situativ begrenzte Realisierung, allerdings immer im Vorsprung gegenber den Konkurrenten; die Qualitten der unternehmerischen Fhigkeiten werden erst in der Relation zum Mitbewerber, im Wettbewerb, erkennbar. Dieser Wettkampf suggeriert, dass jeder seine Position verbessern kann, auch wenn die Aufstiegschancen ungleich verteilt sind. Eben genau deshalb, weil der Abstieg, die Niederlage gegenber der Konkurrenz mitgedacht ist, ist das unternehmerische Selbst nicht nur Leit-, sondern auch Schreckbild. Brçckling mutmaßt daher: „Was alle werden sollen, ist zugleich das, was allen droht. – Womit am Ende doch der Entrepreneur wieder zum undertaker werden und der Unternehmer sich als Totengrber jener spontanen Ordnung des Marktes entpuppen 70 Siehe dazu Duttweiler (2007a) und Graefe (2007). 71 So auch Giddens (1997), 120 f: „Das Individuum kann sich nicht zufrieden geben mit einer Identitt, die bloß bernommen oder ererbt wird, bzw. auf einem traditionsbestimmten Status aufbaut. Die Identitt der Person muss weitgehend entdeckt, konstruiert und aktiv aufrecht erhalten werden.“ Auch: Hahn (2006).
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3. Die Gouvernementalitt der Gegenwart – Die neue Pastoralmacht
kçnnte, deren Siegeszug seine Mobilmachung doch einluten sollte“ (Brçckling 2004, 276).
3.3. Subjektivierung von individuellen und kollektiven Akteuren Die neoliberale Responsibilisierungsstrategie, das wurde schon angedeutet, richtet sich nicht nur auf empirische Einzelne, sondern zielt auch auf kollektive Subjekte wie Unternehmen, Behçrden und Vereine (Brçckling et al. 2000, 13). Prozesse der Individualisierung wie Prozesse der Institutionalisierung oder Organisierung werden als Regierungstechniken beschrieben. Oder umgekehrt gedacht: Den Bezugspunkt der Analyse bilden Technologien, die den Institutionen und Individuen als Subjekten erst Sinn und Stabilitt verleihen (Lemke 2007a, 56). So kann analytisch nach strukturellen Homologien und Differenzen in der Konstitution individueller und kollektiver Kçrper gefragt werden, in der „nicht nur der individuelle, sondern auch kollektive Kçrper wie çffentliche Verwaltungen, Universitten, Unternehmen und Staaten ,schlank‘ und ,fit‘, ,flexibel‘ und ,autonom‘ sein mssen“ (Brçckling et al. 2000, 32). Die Ko-Formierung von modernem souvernem Staat und modernem autonomem Subjekt als bertragung von Unternehmensformen auf „private“ Wahlentscheidungen von Individuen haben beispielsweise Peter Miller/Nikolas Rose (1992) oder Rose (1996), Opitz (2004), ausgearbeitet oder Brçckling in der Vorstellung eines „unternehmerischen Selbst“ (Brçckling 2007), an die diese Studie in ihrer Titelformulierung anknpft. Fr den kollektiven Akteur kann in seinem organisationalen InnenVerhltnis zu den individuellen Akteuren in hnlicher Weise gelten, was Lemke im Blick auf den Staat beschreibt: Er ist nicht nur Effekt, sondern auch selbst Instrument und Feld strategischen Handelns. „Er dient als Instrument von Strategien, die ein Grenzregime etablieren, das durch die Unterscheidung von innen und außen, staatlich und nicht staatlich gekennzeichnet ist“ (Lemke 2007a, 57). Die Verschiebung von formellen zu informellen Formen der Regierung ist an dieser Stelle zu beobachten, wo sich die Wechselwirkung von Herrschafts- und Selbsttechniken ereignet und sich die „Techniken der Herrschaft ber Individuen der Prozesse bedienen, in denen das Individuum auf sich selbst einwirkt“ (Foucault 1993, zitiert nach Brçckling et al. 2000, 29). Mit der Frage der Subjektivierung des kollektiven Akteurs Kirche ist in der Analyse daher eine doppelte Aufmerksamkeit verbunden, nmlich
3.4. Die neue Pastoralmacht
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Kirche als Effekt und zugleich als Instrument und Feld strategischen Handelns zu begreifen.
3.4. Die neue Pastoralmacht Die Regierung der „neuen Pastoralmacht“ vollzieht sich ber die Erfindung, Fçrderung und Anwendung von Selbsttechnologien, die es dem individuellen bzw. kollektiven Akteur ermçglichen, Wahrheit ber sich selbst zu produzieren und auf sich einzuwirken. Die historische Transformation von der alten zur neuen Pastoralmacht, und diese Unterscheidung ist fr die Beobachtung des allgemeinen und kirchlichen Diskurses instruktiv, macht sich fest an drei Indikatoren. Zunchst in der teleologischen Verschiebung, das heißt dem Versprechen individueller Freiheit, und dann zweitens in dem Modus, wie das Selbstverhltnis hergestellt wird. Dieses geschieht z. B. nicht ber die Instanz eines externalisierten Hirten, sondern ber die des impliziten Hirten: Jeder und jede ist fr sich selbst verantwortlich. Die neuen an neoliberaler Rationalitt orientierten Technologien helfen sich selbst zu beobachten, zu messen und zu kontrollieren und zielen im Letzten darauf, dem Imperativ des unabschließbaren Wachstums durch Aktivierung von Selbststeuerungspotenzialen zu folgen. Tribunal und Arena Drittens unterscheiden sie sich von den Verfahren der alten Pastoralmacht in der kriteriologischen Instanz, der sie sich verpflichtet fhlen und die das Verfahren der Selbstzurichtung beurteilt, das Tribunal des Marktes im Unterschied zum Tribunal Gottes. Die „konomie der Verdienste“ ist hier berprf- und sichtbar. Was damit gemeint ist, wird nachvollziehbar, wenn man den von Armin Nassehi (2009, 33) zentral fr die Gesellschaft verwendeten Arena-Begriff zu Hilfe nimmt. In der Arena treffen Sprecher auf Publika und Publika auf Sprecher. Es ist „jener virtuelle Raum , in dem sich das Ganze der Gesellschaft als ,Gesellschaft‘ inszenieren lsst, als Sphre, die als ffentlichkeit offenkundig nicht fr das Ganze steht, aber fr das Ganze gehalten wird“ (ebd., 33). In dieser virtuellen Arena werden „empirische Geistergesprche“ gefhrt, Voraussetzung dafr ist die mediale Herstellung der Gleichzeitigkeit und die damit erçffnete Mçglichkeit, dass alle alle beobachten. Die gesellschaftliche Arena wacht als Panoptikum so ber die sie konstituierenden Akteure. Damit ergibt sich eine Anknpfung
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3. Die Gouvernementalitt der Gegenwart – Die neue Pastoralmacht
an Foucault, nach dem das Panoptikum ein System der verallgemeinerten Kontrolle und damit als politische Technologie ein demokratisches Prinzip von Macht ist (Sarasin, 139 f ). Eines der die Arena beherrschenden Programme ist nach Nassehi der Markt. Er „pluralisiert und vereinheitlicht zugleich, und seine disziplinierende Form ist zugleich eine Form, die wechselseitige Beobachtbarkeit und Aufmerksamkeit erzeugt“ (Nassehi 2009, 39). Der Markt ist ein Beobachtungsprojekt, „in dem potentielle Feinde an derselben Sache wirken“ (ebd., 40)72. Fr die Analyse des kirchlich-theologischen Diskurses wird von besonderem Interesse sein, welches Tribunal oder welche in der Arena herrschenden Prinzipien den Diskurs bestimmen. Praktiken Die Palette der genutzten und angewandten Techniken und Praktiken erweitert sich permanent: Ein berblick lsst sich im Glossar der Gegenwart erkennen, das Leitbegriffe in den Blick nimmt, um die herum sich Technologien organisieren (Brçckling et al. 2004, 13ff ): Es sind bezogen auf kollektive Systeme z. B. außer- oder quasi-juridische Regulierungsweisen, die Rechtsmechanismen ergnzen oder teilweise ersetzen wie Governance oder Kontrakt, Mediation oder Verfahren der Anrufung der Community oder der Zivilgesellschaft. Auch Großgruppenverfahren wie Leitbildentwicklung, Open-Space oder Zukunftswerksttten sind Ausdruck des neuen Regimes, des „Regierens durch Verfahren“ (Weber 2005, 26 ff.). Auf Individuen bezogen begegnen Technologien des Empowerments und der Aktivierung, Verfahren des Monitoring und des Tests. Hirte seiner selbst zu sein bedeutet, unablssig Wahrheit ber sich selbst zu produzieren, und jede Technik, jedes methodische Wissen kommt gelegen, die dies fçrdert. Individuen sollen Macht ber sich selbst, Selbstwertgefhl und Gesundheit ebenso maximieren wie ihre Arbeitsleistung und ihren Wohlstand, dazu gehçrt auch, professionelle Hilfe wie Supervision, Beratung und Coaching zu suchen, wenn sie den Eindruck haben, sich auf diese Weise zu fçrdern.
72 Zur Frage der Subjektivation im Zusammenhang mit der Orientierung auf çffentliche Anerkennung siehe auch: Honneth (Hg.) (2002), Hahn (2006 und 2000), Herger (2006).
3.4. Die neue Pastoralmacht
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„So gegenstzlich das Ethos unternehmerischen Handelns und die Werte der Therapiekultur, wie sie sich insbesondere in den Konzepten der humanistischen Psychologie finden, auf den ersten Blick zu sein scheinen, sie treffen sich in einem Regime des Selbst, das den Einzelnen antreibt, ,an sich zu arbeiten‘ und die Verantwortung fr sein Leben zu bernehmen“ (Brçckling 2007, 61).
Soll im Fokus dieser Arbeit die kirchliche Subjektivierung stehen, muss zunchst weiter przisiert werden, was unter Subjektivierung zu verstehen ist.
4. Auf dem Weg zur Analyse Die Werkzeugkiste Foucaults soll weiter geçffnet werden, um deren Instrumente fr das Denkexperiment zur analytischen Beschreibung kirchlicher Wirklichkeit zu nutzen. Foucault bedient sich, so Brçckling, in seinen Analysen des methodischen Kniffs eines „als ob“. Er geht davon aus, als ob Subjekte unendlich bearbeitbar seien. So reizvoll sein Ansatz im Blick auf das aufklrerische Potential73 ist, nmlich „unsichtbare Mechanismen“ sichtbar zu machen (Bublitz) oder letztgltige Wahrheiten als zu relativierende ihrer Absolutheit zu entkleiden, so kompliziert ist es, wenn es um die Frage geht, wie dieser Ansatz als empirische Arbeit zu operationalisieren ist. So ergeben sich methodologische und methodische Fragen hinsichtlich der Anschlussfhigkeit dieses Programms an andere sich empirisch verstehende wissenschaftliche Forschungsprogramme. Diese Schwierigkeiten sollen zumindest benannt werden. Nicht ohne Grund konstatiert Lemke, dass „die Abgrenzungspositionen innerhalb der Gouvernementalittsliteratur zu berwiegen scheinen und in der Regel eine Art theoretischer Isolationismus praktiziert wird“74. Auch Keller (2008a) greift die Metapher vom „Planeten Foucault“ auf und bemht sich, ihn fr die wissenssoziologische Diskursanalyse anschlussfhig zu machen. Fr wissenschaftliche Anschlussfhigkeit sind die oben skizzierten Ausarbeitungen Schfers instruktiv, denn sie ermçglichen, die „ethische Substanz“ als das sozial geformte Subjekt zu begreifen. 73 „Ich habe mir vorgenommen – dieser Ausdruck ist gewiss allzu pathetisch –, den Menschen zu zeigen, dass sie weit freier sind, als sie meinen; dass sie Dinge als wahr und evident akzeptieren, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte hervorgebracht worden sind, und dass man diese so genannte Evidenz kritisieren und zerstçren kann. Etwas in den Kçpfen der Menschen zu verndern – das ist die Aufgabe des Intellektuellen.“ Foucault zitiert nach Keller (2008b), 55. 74 Lemke (2007d), 64: Mindestens ebenso problematisch sei es, die theoretische und methodologische Originalitt Foucaults „so zu berhçhen, dass die historiographische, philosophische und soziologische Tradition, an die er anknpft, unterschlagen wird. Wieviel etwa Foucaults analytisches Instrumentarium der AnnalesSchule, dem franzçsischen Strukturalismus, dem Marxismus Althussers und den Arbeiten von Marx, Durkheim und Weber verdankt, kann auf diese Weise nicht mehr thematisiert werden“.
4.1. Anschlussfhigkeit: Eine Frage der Methodologie und Methode
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4.1. Anschlussfhigkeit: Eine Frage der Methodologie und Methode Die Frage der Anschlussfhigkeit entzndet sich daran, wie ausgehend von der paradoxalen Konstruktion des Subjektes die empirische Erfassung von Prozessen der Subjektivierung operationalisierbar ist. Sie fragt dabei nach der methodologischen und methodischen Kohrenz von Gouvernementalittstheorem und Diskursanalyse. Dabei geht es, wie Reckwitz grundstzlich fr die kulturwissenschaftliche Subjektanalyse aus dem poststrukturalistischen Umfeld anmerkt, bei dieser Paradoxalitt nicht um die Polaritt zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen personaler und gesellschaftlicher Identitt, zwischen „agency“ und „structure“, wie sie die Kategorie des durch Rollenerwartung bestimmte „homo sociologicus“ meint. Das reflexive Subjekt ist nicht nur ein „gesellschaftlich geprgtes“, sondern ein „gesellschaftlich produziertes“ Subjekt und kann als Forschungssubjekt und als Forschungsobjekt hypothetisch nicht vorausgesetzt werden (Reckwitz 2008, 14ff ). „Es ist die kulturelle Form, die das ,Individuum‘, der ,Einzelne‘ selber in einem bestimmten historischen Kontext wie selbstverstndlich erhlt, welche nun ins Zentrum des Blicks rckt. Es geht nicht um die Konfrontation des Individuums mit sozialen Erwartungen, sondern darum, wie sich dieses ,Individuum‘ in seinen scheinbar gegebenen, gewissermaßen vorkulturellen kçrperlichen und psychischen Eigenschaften, die ihm vermeintlich Autonomie sichern, aus hochspezifischen kulturellen Schemata zusammensetzt“ (Reckwitz 2008, 16).
Dreh- und Angelpunkt der empirischen Subjektanalyse ist daher die Frage nach der „Beobachterposition“ und ihrem Verhltnis zum Beobachtungsgegenstand, also die Frage nach dem beobachtenden und dem beobachteten Subjekt. Wie Diskursanalyse im Foucaultschen Sinne mit diesem Paradoxon umgeht, ist Gegenstand der nchsten beiden Abschnitte. Das beobachtende Forschungssubjekt Foucault lçst das Problem in der methodologischen Verhltnisbestimmung von Methode und Material. Nicht das Material wird der Methode unterworfen, sondern die Methode folgt ihrem Material, insofern sie auf Festlegungen und diskurstheoretisch abgeleitete Prmissen zur Operationalisierbarkeit verzichtet. Das Material wird als stummer, „kontextloser
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4. Auf dem Weg zur Analyse
Gegenstand“, als Monument gedacht (Foucault 1981, 15), das seinen Sinn erst durch die Rekonstruktion, durch eine „immanente Beschreibung“ erhlt, die sich dabei nicht auf vorstrukturiertes Wissen sttzt. Auf diese Weise soll die Distanzierung von scheinbaren Selbstverstndlichkeiten, Notwendigkeiten, Unvernderlichkeiten oder Naturwchsigkeiten ermçglicht werden. Mit der Systemtheorie verbindet Foucault das Wissen, dass die Suspendierung des Selbstverstndlichen niemals vollstndig sein kann (ebd.,41), die „reine Beschreibung der Ereignisse“ kann immer nur als „Horizont“ erscheinen (ebd., 41), die Diskursanalyse selbst ist ein Diskurs ber Diskurse oder, wie Knoblauch anmerkt, ihr Ergebnis ein Konstrukt 2. Ordnung (Knoblauch 2001, 214). Die wissenschaftlichen Beobachtungen der Gesellschaft sind auch hier wie bei Luhmann Beobachtungen in der Gesellschaft. Der der Selbstreflexion nicht zugngliche „blinde Fleck“ kann zwar in einer dritten Beobachterperspektive als fr sie konstitutiv einbezogen werden, diese „reflektierte Autologie“ (Luhmann 1998, 1128)75 hebt die Autologie an sich jedoch nicht auf 76. Das beobachtende Subjekt ist immer zugleich in der Foucaultschen Terminologie subjektiviertes Subjekt, das heißt Effekt und Instrument von Machtprozessen. Das beobachtete Forschungssubjekt Zum Zweiten findet die paradoxale Konstruktion des Subjekts im Macht/ Wissen-Komplex ihren Niederschlag in der Foucaultschen Diskurskonstruktion: Der Diskurs gilt als ein eigenstndiger Gegenstands- und Wirklichkeitsbereich, der ber die Positivitt des Gesagten und Sagbaren bestimmt ist. Die Regeln des Diskurses sind fr Subjekte nicht verfgbar und lassen sich nicht einer Intentionalitt von Subjekten zuordnen (Gebhard/Schrçter 2007). Mit dieser Diskurskonstruktion ist eine Ablehnung einer handlungs-, akteurs- oder subjekttheoretischen Perspektive impliziert.77 Deshalb muss dieses auf Verfremdung zielende und mit spezifischer Semantik (s. o.) versehene analytische Verfahren wissen75 Gebhard/Schrçter (2007), Gebhard et al. (2006). 76 Das von Schfer – anhand von und mit Foucault – herausgearbeitete „ethische Subjekt“ findet, so muss Foucault intentional unterstellt werden, strategisch keinen Niederschlag in Foucaults methodologischer Konzeption. 77 Schwab-Trapp (2001), 266, schlgt vor, Diskursanalyse als „eine spezifische Form politischer Soziologie“ zu begreifen.
4.2. Realfiktionen – Subjekt im Gerundivum
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schaftsmethodologische Anschlussprobleme evozieren.78 Diese Studie kann auch hier nur die Problematik benennen79, sie keinesfalls auflçsen, stattdessen auf die umfangreichen Debatten in diesem Feld verweisen80. Diese Studie selbst orientiert sich in ihrer eigenen Anlage an zwei diskursanalytischen Konzepten, die sich um Anschlussfhigkeit bemhen: Ulrich Brçckling ermçglicht mit seinem Forschungsansatz der Realfiktion des „Subjekts im Gerundividum“ den Anschluss an die Systemtheorie und die Sozialwissenschaftliche Hermeneutik (4.2.) und Reiner Keller erweitert das Foucaultsche Instrumentarium fr eine „Wissenssoziologische Diskursanalyse“ (4.3.).
4.2. Realfiktionen – Subjekt im Gerundivum Brçcklings „Genealogie der Subjektivierung“ (2007) konzentriert sich auf die „Programme der Subjektivierung“, die „Subjektformen“ (Reckwitz 2008, 10), und analysiert, wie die Logik einer bestimmten Form der 78 Dazu auch die entsprechenden Passagen bei Keller (2008a), 325ff, unter dem Abschnitt „Foucault vergessen?“: So urteile Fox: Foucaults „erkenntnistheoretische Position, die sich auf Verfremdung, die Mçglichkeit eines ,Blickes von außen‘ auf die eigene Kultur, auf Diskontinuitten, Brche, den Verzicht auf Zusammenhangsinterpretationen ausrichte, sei, bei aller Anregung, die von seinem Werk ausgehe, letztlich fr soziologische Fragestellungen unbrauchbar“. Krasmann (2002, 79 f ) wendet dagegen ein, dass Foucault „zu Recht“ „jede Form des soziologischen Realismus“ hinter sich gelassen habe ( Keller 2008a, 144, Anm. 227). 79 Wie beispielsweise auch auf den nicht ausgearbeiteten Zusammenhang von Diskursanalyse und Gouvernementalittsforschung. Der Ankndigungstext fr die Konferenz „Diskursanalyse meets Gouvernementalittsforschung. Methodischmethodologische Perspektiven zum Verhltnis von Subjekt, Sprache, Macht und Wissen“ vom 12.06.09 bis 13.06.09 in Jena beschreibt das Problem folgendermaßen: „Whrend die Diskursanalyse die realittskonstituierenden Regelstrukturen symbolischer Praxis in den Blick nimmt, fragen die Gouvernementalittsstudien nach Krfteverhltnissen, Interessen und Strategien, die Selbstverstndlichkeiten und Evidenzen hervorbringen. Bei allen Unterschieden eint beide Forschungsperspektiven nicht nur die gemeinsame Referenz auf Michel Foucault, sondern auch das Interesse an der kritischen Reflexion von Subjektivitt und Agency. In der Forschungspraxis stehen beide Anstze nichtsdestotrotz weitgehend unverbunden nebeneinander.“ Diskursnalyse.net 06.05.09. – Dazu und zum „Dauerbrenner“, der Frage nach dem (handlungsfhigen) Subjekt, siehe auch die nach Beendigung dieser Studie verçffentlichte Dokumentation, Angermller/ van Dyk (2010). 80 So beispielsweise im Forum Qualitative Sozialforschung: www.qualitative-research.net.
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4. Auf dem Weg zur Analyse
Subjektivierung funktioniert, indem er die Regierungs- und Selbstpraktiken in den Mittelpunkt stellt. “ (…) man untersucht eine bestimmte Konfiguration und seziert die Krfteverhltnisse, aus deren Konfrontation sie entsteht, die Wissensbestnde und Technologien, auf die sie zurckgreift, die Ratio, der sie ihre Akzeptabilitt verdankt, schließlich die Widerstnde, die sie provoziert und von denen sie provoziert wird“ (Brçckling 2007, 45).
Dieses zu „problematisierende Subjekt“ bezieht sich auf die jeweiligen aktuellen Formen des Denkens, Sprechens oder Handelns und die damit verbundenen Weisen des Subjektseins. Dieses Subjekt ist nur erkenn- und ableitbar anhand historischer Semantiken und Wissenskomplexe und Selbst- und Sozialtechnologien, „die zu seiner theoretischen Bestimmung und praktischen Formung aufgerufen wurden und werden“ (ebd., 22 f ). Im Hinblick auf die Gouvernementalitt der Gegenwart konstatiert Brçckling weiter: „Das Subjekt der Subjektivierung existiert nur im Gerundivum: als wissenschaftlich zu erkundendes, pdagogisch zu fçrderndes, therapeutisch zu sttzendes und aufzuklrendes, rechtlich zu sanktionierendes, sthetisch zu inszenierendes, politisch zu verwaltendes, çkonomisch produktiv zu machendes“ (ebd., 22)81.
Die Genealogie der Subjektivierung fragt nicht, was das Subjekt ist, „sondern welches Wissen zur Beantwortung dieser Frage mobilisiert und welche Verfahren in Anschlag gebracht wurden, um es entsprechend zu modellieren“ (ebd., 25). Mit diesem Ansatz dispensiert Brçckling sich von der methodologischen Frage nach dem Standort. „Die Genealogie der Subjektivierung weiß nicht, ob es ein Jenseits der Regierungen des Selbst gibt, aber sie insistiert darauf, die Zumutungen sichtbar zu machen, welche die Subjektivierungsregime den Einzelnen abverlangen“ (ebd., 44). Nach Brçckling lassen sich auf diese Weise sowohl systemtheoretische als auch sozialhermeneutische Anschlsse herstellen. Individualisierung – Beispiel fr Anschluss an Systemtheorie Am Beispiel des Individualisierungsparadigmas lsst sich ein Zusammenhang zur Systemtheorie Luhmanns zeigen. 81 Ebd., 22 (Anm. 13): Simmel habe diese Gerundivform des Subjekts historisch verortet und sie als die in der Aufklrung mit ihrem „Perfektibilisierungsideal“ hervortretende dominante Subjektivierungsform identifiziert.
4.2. Realfiktionen – Subjekt im Gerundivum
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„Individualisierung“ kann, dem Forschungsprogramm Foucaults folgend, als ein historisch kontingenter und in sich selbst wiederum historischen Transformationen unterliegender Modus der Subjektivierung dechiffriert werden, „bei dem der Einzelne sich in Selbstbeobachtung und -beschreibung durch das identifiziert, was ihn von allen unterscheidet“82. Der von der Soziologie hergestellte Zusammenhang von Vergesellschaftung und Individualisierung wird differenzierungstheoretisch von Luhmann so beschrieben, dass fr den Einzelnen die „Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit seiner (zur) Prmisse des sozialen Umgangs mit ihm“ wird. Der Einzelne „wird in fast allen Kontexten zwar typisiert (…), aber immer doch so, dass in der Typisierung ein Individuum gemeint ist und der Typus nur regelt, wie weit dessen Individualitt konkret erforscht und als Prmisse weiteren Verhaltens aktualisiert werden muss“83. Brçckling sieht den Zusammenhang von Luhmanns Rekonstruktion der historischen Semantik zur Foucaultschen Genealogie der Subjektivierung, als diese den Blick auf die Begrifflichkeiten und Wissenskomplexe richtet, mit denen Individuen typisiert und durch die sie angehalten werden, ihrer Individualisierungspflicht nachzukommen. Auch der methodische Nominalismus verbindet die Anstze, denn „statt vorauszusetzen, dass es so etwas wie Individualisierung gibt, zeichnet sie Wissensdispositive und Praktiken nach, die es Menschen ermçglicht und die sie gençtigt haben, sich als autonome Persçnlichkeiten zu begreifen, die eine unverwechselbare Identitt besitzen und dieser in ihren Lebensußerungen einen authentischen Ausdruck zu verleihen suchen, kurzum: die sie dazu gebracht haben, sich als Individuen zu sehen und zu verhalten“ (Brçckling 2007, 25).
Das Individualisierungsparadigma wird nicht aufgehoben oder relativiert, sondern anders perspektiviert, nmlich im Hinblick auf die Praktiken und die Frage, wie Individualisierung hergestellt wird oder anders ausgedrckt, wie unter dem Regime des Selbst die Selbstfhrung aussieht. Dabei handelt es sich um „Realfiktionen“, um „hçchst praktische Anforderungsprofile“, die genau beschreiben, wie „Menschen als Personen zu begreifen und wie sie zu handeln haben“84. Die Genealogie der Sub82 Ebd., 23, auch Rose (1996). 83 Luhmann, „Individuum, Individualitt, Individualismus“ nach Brçckling (2007), 24. 84 Brçckling bezieht sich hier auf die systemtheoretische Ausarbeitung von Michel Hutter und Gunther Teubner, zum „homo juridicus“ und „homo oeconomicus“ als „kommunikationserhaltende Fiktion“, mit Hilfe derer das Rechts- bzw. Wirt-
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4. Auf dem Weg zur Analyse
jektivierung interessiert dabei jedoch nicht, ob Programme wirken, sondern welche Wirklichkeit sie schaffen. Statt Ursachenforschung oder Wirkungsforschung zu betreiben, beschreibt sie Funktionsweise und Ratio von Subjektivierungsregimen. „Nicht warum oder wozu, sondern wie ist ihre Leitfrage“ (ebd., 36). Die Lcke zwischen dem, was Programme des Regierens versprechen und dem, was sie tatschlich leisten, ist konstitutives Element ihres Funktionierens, sie bilden Kraftfelder, entwickeln einen Sog, der bestimmte Verhaltensweisen wahrscheinlicher machen soll als andere (ebd., 38). Aufsteigende Analyse – Anschluss an sozialwissenschaftliche Hermeneutik Brçckling folgt Foucaults Prinzip der „aufsteigenden Analyse“. Man muss „von den unendlich kleinen Mechanismen ausgehen, die ihre eigene Geschichte, ihren eigenen Weg, ihre eigene Technik und Taktik haben, um dann (zu) erforschen, wie diese Machtmechanismen, die ihre Stabilitt und in gewisser Weise ihre eigene Technologie haben, von immer allgemeineren Mechanismen und globaleren Herrschaftsformen besetzt, kolonialisiert, verwendet, umgebogen, transformiert, verlagert und ausgedehnt wurden und immer noch werden“85.
Er sieht darin eine komplementre Ausrichtung zum Forschungsprogramm einer sozialwissenschaftlichen Hermeneutik. „Whrend diese die gesellschaftliche Konstruktion des Selbst beschreibt, indem sie soziale Akteure beobachtet, befragt oder ihre Selbstdeutungen und Handlungsmuster in anderer Weise erhebt und aus den so gewonnen Daten interpretierend Sinnwelten und lebensweltliche Hintergrundorientierungen erschließt, analysiert die Genealogie der Subjektivierung die vielfltigen (Selbst-)Steuerungsmechanismen, die das Selbstverstndnis und Handeln der sozialen Akteure regulieren. Dabei verfhrt sie ebenfalls interpretierend, verschiebt aber die Perspektive weg von den Akteuren hin zu den Anstrengungen, deren Verhalten zu lenken. Was sie auslegt, sind in Praktiken, Texten, Bildern und in anderen Artefakten niedergelegte Regierungsprogramme – Sinndeutungen, die Sinndeutungen, Handlungen, die Handlungen zu beeinflussen suchen“ (Brçckling 2007, 43).
schaftssystem seine fr seine Operationen erforderlichen Akteure konstruiert. (ebd., 36). 85 Foucault, Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen 1999; zitiert nach Brçckling 2007, 42.
4.3. Soziale Akteure und Subjekte – Wissenssoziologischer Anschluss
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Eine Genealogie der Subjektivierung untersuche als empirische Forschung daher auch nicht Regelmßigkeiten, Wahrscheinlichkeiten oder die unkalkulierbaren Momente individuellen Verhaltens, sondern die Versuche, auf dieses Verhalten einzuwirken. „Um im Bild zu bleiben: Sie fragt nicht, was ein Schler tut oder lsst, sondern welche Institutionen und Personen (die des Schlers eingeschlossen) ihn auf welche Weise und mit welcher Intention dazu zu bringen versuchen, etwas Bestimmtes zu tun und anderes zu unterlassen“ (ebd., 43).
Dieser Ansatz eines „Subjekts im Gerundivum“ ist fr diese Studie weiterfhrend, weil es darber gelingt, Leitbildpapiere, Fortbildungskonzepte etc. im Blick auf ihr Subjektivierungswissen als diskursanalytisches Material zu nutzen. Dieses Material bildet eine Ebene sozialer Praktiken ab, die auf den Einfluss bestimmter Logiken in diesen Konzepten verweisen. Dieser auf das „Subjekt im Gerundivum“ bezogene begrenzte Horizont der Programmanalyse wird in dieser Studie an einigen Stellen verlassen, wenn sich ber das Material Einblicke in Dispositive und konkrete Praktiken als Einschreibungsprozeduren nachvollziehen lassen. So lsst sich ber die Dokumentation eines Leitbildprozesses oder darber, wie Pfarrer sich in Leserbriefen zu Wort melden, beobachten, welche Rationalitten das Feld konkreter Praktiken bestimmen.86 Dafr ist es notwendig, das begriffliche Instrumentarium zu erweitern.
4.3. Soziale Akteure und Subjekte – Wissenssoziologischer Anschluss Die in Foucaults Studien als zentral veranschlagte Rolle des impliziten Wissens einer Gesellschaft ist Grund dafr, seine Arbeiten als „genuin soziologische“, genauer als wissenssoziologische zu verorten.87 Exemplarisch fr weiterfhrende Bemhungen, Foucaults Arbeiten fr die in der Tradition von Berger und Luckmann stehende wissenssoziologische Analyse fruchtbar zu machen, sei auf die Arbeiten Reiner Kellers verwiesen.88 Er
86 Zum Vorwurf eines programmanalytischen Reduktionismus des Gouvernementalittsansatzes siehe Kessl (2007), 219 f. 87 Maasen (1999), 30ff ; Gebhard/Schrçter (2007), Bublitz (2001), 35ff, Knoblauch (2003). 88 Keller (2008a).
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4. Auf dem Weg zur Analyse
schlgt vor, sozialen Wandel als „soziokulturellen Transformationsprozess zu begreifen, der durch Diskurse vermittelt wird“ (Keller 2005, 173).89 „Um die Wissens-Ordnung von Gesellschaft als permanenten Prozess verstehen zu kçnnen, mssen die Praktiken, Akteure und institutionellen Felder untersucht werden, die solche Ordnungen erzeugen und stabilisieren“ (Keller 2005, 172).
Keller erweitert das Foucaultsche Forschungsprogramm, indem er das Begriffrepertoire auffchert und von Akteuren und Adressaten von Wissensbestnden ausgeht – was mit dem paradoxalen Subjektbegriff zusammengeht – und zugleich methodologisch auch an dem selbstreflexiven Subjekt als analytischer Kategorie festhlt, und damit das freiheitliche Subjekt, das bei Foucault absichtlich nicht kategorisiert ist, expliziert. „Die wissenssoziologische Diskursanalyse zielt (…) auf die Analyse und Erklrung der diskursiven Konstruktion gesellschaftlicher Wissensbestnde einschließlich derjenigen Elemente, die sich auf Sprecherpositionen, Selbsttechnologien und Subjektpositionen im Sinne diskursiv adressierter Subjekte richten. Sie verwechselt jedoch nicht vorschnell die diskursiv vorgestellten Subjektpositionen mit den tatschlichen Deutungs- und Handlungs-Praktiken der Akteure des Alltags. Soziale Akteure sind Adressaten von Wissensbestnden und darin eingelassenen Wertungen, aber auch nach Maßgabe der soziohistorischen und situativen Bedingungen selbstreflexive Subjekte, die in ihrer alltglichen Be-Deutungsleistung soziale Wissensbestnde als Regelbestnde mehr oder weniger eigen-sinnig interpretieren“ (Keller 2008, 221 Hervorhebung im Text).
Die „Eigen-Sinnigkeit“, die bei Foucault mit dem Terminus der Strategie abgedeckt ist, wird bei Keller gesondert fokussiert und zentriert. Kritisch gegenber Keller einzuwenden ist, dass die von Foucault intendierte dezentrierende Perspektive damit von ihm aufgehoben oder zumindest unterminiert wird, so dass dem Aufklrungsprojekt seine wichtige kritische 89 „Dies betrifft nicht nur die mit dem Konzept der Wissensgesellschaft meist angesprochenen Transformationen des Verhltnisses von Sozialstruktur, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, sondern auch bspw. Identittspolitiken und lebensstilbezogenen Kmpfe um Anerkennung, also diejenigen Prozesse, die Giddens (1991) unter dem Begriff der ,life politics‘ zusammenfasst. Dazu gehçrt auch die Ablçsung nationalstaatlich organisierter Diskurs- und Wissensordnungen, das was man als Wissensnation bezeichnen kçnnte – durch entsprechende transnationale Formationen und ffentlichkeiten, der Wandel von çkonomischen Leitbildern (Boltanski/Ciapello 1999), die Vernderungen der Relationierung von Natur und Kultur in den gegenwrtigen Biopolitiken oder die Herausforderung an etablierte Wissensregime, die von den sozialen Bewegungen ausgegangen sind und noch ausgehen“ (Keller 2005, 173).
4.3. Soziale Akteure und Subjekte – Wissenssoziologischer Anschluss
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Spitze genommen wird90. Andererseits ermçglichen die Kategorien der Sprecher- und Subjektpositionen (im Diskurs konstituierte Subjektvorstellungen) zustzliche analytische Differenzierungen und handlungstheoretische Anschlsse. „Als soziologische Analyseperspektive fokussiert sie soziale Akteure, Prozesse, Grundlagen und Folgen der diskursiven Konstruktion der Wirklichkeit. Sie kann durch die Beibehaltung der Unterscheidung zwischen sozialen Akteuren und Sprecher- bzw. Subjektpositionen auch die Spielrume der Einbindung in und Auseinandersetzungen mit Diskursen und Praktiken zum Thema machen – im Gegensatz zur Foucaultschen oder anderen diskurstheoretischen Positionen, bei denen diese Momente in eins fallen“ (Keller 2008a, 221).
Die methodologischen Unterscheidungen erlauben den wissenssoziologischen Anschluss. Diese Studie nutzt diese Anschlussfhigkeit, weil sie die Einschreibungsprozeduren verfolgen will und nach spezifischen Vernderungen fragt. Fr diese Arbeit ist die von Keller vorgenommene analytische Unterscheidung hilfreich, um nicht „vorschnell“ die diskursiv vorgestellten Subjektpositionen mit den tatschlichen Deutungs- und Handlungspraktiken der Akteure im Alltag zu verwechseln. Im Sinne der Genealogie hilft sie, die Einarbeitungsprozeduren eines bestimmten Akteurs beschreiben zu kçnnen. Die Studie kann so von „der Kirche“ als gesellschaftlichem Akteur sprechen, und sie kann so zugleich (diskursanalytisch) nicht wissen, was „die Kirche“ als gegenwrtiges Subjekt ist, weil es erst das ist, was sie erforschen will.
90 Zum „Irritationspotential“ der Foucaultschen Analyse siehe Gebhard/Schrçter (2007); auch Schfer (1995) in dieser Arbeit Teil 1, 1.3.
5. Das unternehmerische Selbst der Kirche – Das eigene Forschungsprogramm Die aktuelle Subjektivierung des kollektiven Subjekts der evangelischen Kirche in Deutschland ist Gegenstand dieser Studie. Dazu wird ausgehend von der Gouvernementalitt der Gegenwart die Hypothese einer berformung aller gesellschaftlichen Bereiche durch den çkonomischen Diskurs zugrunde gelegt. Rekonstruiert werden soll, wie sich der çkonomische Diskurs im kirchlichen Spezialdiskurs verfngt, ihn berformt, transformiert und welche Effekte er erzeugt. Diese Studie greift dabei auf die sich auf andere gesellschaftliche Bereiche beziehenden Gouvernementalittsstudien zurck und nutzt diese heuristisch fr die eigene Recherche und zugleich kontrastierend, um den kirchlichen „Eigen-Sinn“ herausarbeiten und darstellen zu kçnnen. Wenn im Folgenden vom „Subjekt“ oder vom „Selbst“ die Rede sein wird, ist dies gemeint im Sinne der oben von Schfer so beschriebenen „ethischen Substanz“ (siehe Teil 1,1.3.). Um diese ethische Substanz an Grenzen, Brchen und Eigensinnigkeiten erst als „Subjekt“ erkenn- und beschreibbar machen zu kçnnen, geht auch diese Studie in einem heuristischen Interesse hypothetisch davon aus, es wre auch das kirchliche Subjekt unendlich bearbeitbar. Wie bersetzt die Kirche dem responsiblisierenden und subjektivierenden Imperativ folgend das „unternehmerische Selbst“? Mit dem Begriff „bersetzung“ soll ausgedrckt werden, dass es sich um eine quivalentsetzung und, diskursanalytisch gesprochen, um denselben an Formationsregeln erkennbaren Diskurs handelt, der unterschiedliche Effekte erzeugt. „In dem Maße, in dem die Widerstnde gegen die Zurichtung des Selbst sich selbst rationalisieren und ein Subjektivierungsregime durch subversive Strategien und Taktiken zu konterkarieren versuchen, etablieren sie selbst eine andere Form des Regierens und Sich-selbst-Regierens – ein Gegenregime, dessen Funktionsweise und Ratio wiederum in der gleichen Weise zu untersuchen wre, wie das bekmpfte. Methodisch folgt daraus die Aufgabe der perspektivischen Vielfalt: Statt ausschließlich die Formen des Zugriffs auf den Einzelnen zu analysieren oder sich darauf zu beschrnken, subjektive Widerstandspotenziale zu identifizieren, sind die Konstellationen nachzuzeich-
5.1. Diskurs- und Dispositivanalyse
75
nen, die sich aus dem Zusammentreffen beider ergeben“ (Brçckling 2008a, 40 f ).
5.1. Diskurs- und Dispositivanalyse Prozesse der Veridiktion und den Zusammenhang von Macht und Wissen zu rekonstruieren, bedarf verschiedener Verfahren, die auf die Texte anzuwenden sind, wie sie schon in Kapitel 1.3. beschreiben wurden91. Um die Regeln, Formen und Inhalte der (Bedeutungs-)Produktion auf ihre diskursive Formation hin analysieren zu kçnnen, Aussagen und serielle Folgen erkennen zu kçnnen, sind nach Foucault vier Grundfragen zu verfolgen (Foucault 1981, 48ff, hier zitiert nach Keller 2008, 134). • Formation der Gegenstnde: Nach welchen Regeln werden die Gegenstnde gebildet, von denen die Diskurse sprechen? Welche wissenschaftlichen Disziplinen sind daran beteiligt? Welche Klassifikationsmuster kommen dabei zum Einsatz? • Formation der ußerungsmodalitten (…): Wer ist legitimer Sprecher bzw. von welchen institutionellen Orten und Subjektpositionen aus wird ber einen Diskursgegenstand gesprochen? Wie hngen unterschiedliche ußerungsformen – Statistik, Erzhlung, Experiment – zusammen? • Die Formation der Begriffe bezieht sich auf die Regeln, die den jeweiligen Aussagen zugrunde liegen: Wie werden z. B. Textelemente miteinander verbunden? Welche rhetorischen Schemata werden eingesetzt? Wie werden Argumente aufgebaut? Wie ist die Aussage im Gefge anderer Texte – z. B. durch Zitierweise – verortet? Wie werden quantitative in qualitative Aussagen bersetzt? • Die Formation der Strategien richtet sich auf die Außenbezge eines Diskurses: Was sind die Themen und Theorien des Diskurses? Wie beziehen sie sich auf andere Diskurse? Inwieweit geben sie vor, bessere Problemlçsungen zu sein als jene? Was ist die Funktion eines Diskurses in nicht-diskursiven Praktiken? Die Analyse umfasst auch die Dispositive und erweitert damit den Bereich des Sagbaren um den des Sichtbaren. Dieser Bereich ist nicht auf semiotische Aussagegehalte beschrnkt, sondern auf performative Praktiken und materielle Anordnungen bezogen. Die Selbst- und Fremdtechnologien 91 Ausfhrlich dazu: Keller (2008a); zur Dispositivanalyse: Bhrmann/ Schneider (2008), Junge (2008).
76 5. Das unternehmerische Selbst der Kirche – Das eigene Forschungsprogramm bezeichnen einen Komplex von praktischen Verfahren, Instrumenten, Programmen, Kalkulationen, Maßnahmen und Apparaten, die es ermçglichen, „Handlungsformen, Prferenzstrukturen und Entscheidungsprmissen von Akteuren im Hinblick auf bestimmte Ziele zu formen und zu steuern“92. Teil des Konzeptes der Dispositivanalyse ist die Analyse der „Problematisierungen“, auf die ein Dispositiv antwortet (Junge 2008, 100ff ). Um diese Bruchstellen identifizieren zu kçnnen, ist eine die empirische Arbeit leitende Frage daher: Welche Probleme werden erzeugt, um sie auf eine bestimmte Weise lçsen zu kçnnen? Die Formierung von Dispositiven kann dabei auch die Deformierung anderer Dispositive bedeuten, als „Riss-Spalt, aber auch Bruchlinien“ (Deleuze 2004). In der sozialen Praxis existieren immer Risse und unterschiedliche Aneignungs- und Umdeutungsmçglichkeiten, weshalb Dispositive in sich heterogen und heteronom verfasst sind. Dispositive bringen nicht nur materiale Vergegenstndlichungen und Objektivationen diskursiver Prozesse hervor, sondern „auch und vor allem bestimmte Subjektivittsformen bzw. -typen“ (Bhrmann 2008, 54), deshalb gilt hier die Aufmerksamkeit vor allem den Bereichen, die nicht mehr oder noch nicht Gegenstand von Diskursen sind, die beispielsweise schon Evidenz beanspruchen oder zuknftig beanspruchen werden93. 92 Lemke (2007a), 55 f, mit Bezug auf Rose/Miller (1992). Dazu zhlen Methoden der Evaluation, der Untersuchung, des Berichts, der Aufzhlung, der Buchhaltung, Routinen fr die zeitliche und rumliche Anordnung von Handlungen in konkreten Rumen, Prsentationsformen wie Abbildungen, Grafiken und Schaubilder, Anleitungen fr die Arbeitsplanung, die Einbung von Gewohnheiten, pdagogische und therapeutische Techniken der Bildung und Heilung, architektonische Plne, çkonomische Instrumente und rechtliche Verordnungen. 93 Zur Subjektkonstitution weisen Bhrmann/Schneider (2008), 100 f darauf hin, dass es sinnvoll erscheint, „generell davon auszugehen, dass nicht-diskursive Praktiken – zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt – insbesondere nicht mehr Gegenstand diskursiver (Konstruktions-)Prozesse sind. In solchen Praktiken haben sich Diskurse bzw. die entsprechenden Wissenselemente mçglicherweise soweit sedimentiert, dass als unhinterfragbare Selbstverstndlichkeiten nichts mehr expliziert zu werden braucht und /oder als ein habitualisiertes, ,in Fleisch und Blut‘ bergegangenes ,Know How To Do‘ nicht (mehr) expliziert werden kann und gerade darin deren Subjektivations-/Subjektivierungseffekt liegt.“ Diese „Blickrichtung auf nicht-diskursive Praktiken, die nicht mehr Gegenstand von Diskursen sind, bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass analytisch umso spannender jene nicht-diskursive Praktiken sein kçnnten, die erkennbar noch nicht Gegenstand diskursiver Formierung sind, um deren materiale dispositive Hervorbringung, ihre Funktion(en) und Folgen fr das Selbst der Akteure auszuleuchten“.
5.2. Spezialdiskurs – allgemeiner Diskurs
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5.2. Spezialdiskurs – allgemeiner Diskurs Wenn in der Analyse nun danach gefragt wird, wie ein Diskurs (in diesem Fall der kirchlich-theologische) durch den anderen (in diesem Fall der çkonomische) transformiert wird, so muss zunchst geklrt werden, wodurch sich Diskurse voneinander abgrenzen lassen. Diskurse, so Kocyba in der Tradition von Foucault, unterscheiden sich in der Weise ihres jeweiligen Wahrheitsbezugs (Kocyba 2006, 141). „Im Zentrum steht das Funktionieren diskursiver Praktiken. Ziel ist es nicht, Wahrheiten zu begrnden oder Wahrheitsansprche zu bewerten, sondern den jeweils in Anspruch genommenen Wahrheitshorizont zu explizieren. Foucault rekonstruiert das historische Apriori spezifischer Wissensformationen und damit das Zusammenspiel von sprachlichen, perzeptiven, technischen und sozialen Praktiken. Der interne Wahrheitsbezug von Wissen meint dabei nicht, dass das behauptete Wissen wahr ist, sondern dass es wahr sein will, also einen Anspruch verkçrpert, an dem es zu messen ist und an dem es sich selbst abarbeitet“ (ebd.).
Der theologisch/kirchliche Diskurs kann im diskursanalytischen Sinne als Spezialdiskurs aufgefasst werden, konstituiert nach den gesellschaftlichen Feldern und Institutionen, wie Recht, Wissenschaft und Medizin auch als Spezialdiskurse zu begreifen sind. Spezialdiskurse haben spezifizierbare Formationsregeln, die „die Diskurse vor ihrer wechselseitigen Verschmelzung oder Auflçsung“ (Keller 2008a, 228) bewahren, dazu zhlen Gegenstnde, ußerungsmodalitten, Begriffe und die thematische Wahl. Diese Studie nimmt diese Unterscheidung zunchst formal und aus strukturierenden Grnden auf, indem sie vom theologisch-kirchlichen Diskurs redet, der sich als solcher ber seine Themen (Zukunft der Kirche etc.) und Sprecherposition (kirchliche Publikationen) definiert. So kann er als institutioneller Spezialdiskurs semantisch unterschieden werden vom „gesellschaftlichen Gesamtdiskurs“, der sowohl andere Spezialdiskurse als auch den „çffentlichen Diskurs“ meint (ebd., 232). Allerdings muss diese Klassifizierung sofort wieder aus doppeltem Grund differenziert und eingeschrnkt werden: War die Foucaultsche Diskursanalyse interessiert an der Spezifizierung des Wissens im Hinblick auf Ausformungen von Spezialdiskursen im Macht/Wissen-Komplex (mit dem analytischen Interesse: wie kommt es dazu, dass sich Spezialdiskurse ausbilden?), so scheint diese Betrachtungsweise in einer „Wissensgesellschaft“, in der eine Diffundierung von spezialisiertem Wissen in den Alltag hinein zu beobachten ist, zu eng gefasst (Link 1999, 155).
78 5. Das unternehmerische Selbst der Kirche – Das eigene Forschungsprogramm „Offensichtlich kçnnen moderne differenziert-spezialistische Kulturen sich nicht ausschließlich auf spezielle Wissensbereiche beschrnken, sondern bençtigen zu ihrer Reproduktion zustzlich umgekehrt als eine Art Korrelat bzw. Kompensation immer auch reintegrierende Wissensbereiche, die zwischen den Spezialitten vermitteln und ,Brcken schlagen‘“ (Link 2005, 87)94.
Sprach Foucault im Blick auf die Verzahnung der Spezialdiskurse untereinander von „interdiskursiven Konfigurationen“ (Foucault 1981, 226), so mssten diese Konfigurationen um eine weitere Dimension ausgeweitet werden. Link fhrt daher neben der Kategorie des Spezialdiskurses die des Interdiskurses ein. Whrend Spezialdiskurse zu Denotation und Eindeutigkeit neigen, wie z. B. klare Definitionen oder Interesse an Operationalisierbarkeit, bernehmen Interdiskurse integrative und berbrckende Funktion und sind an Subjektapplikationen gekoppelt, mit der Folge von Konnotationen und Mehrdeutigkeit (Link 1999, 155). Der zweite Grund der Einschrnkung bezieht sich auf den theologischkirchlichen Diskurs, der nicht ausschließlich als Spezialdiskurs zu fassen ist, weil er beide eben beschriebenen Charakteristika aufnimmt: Als theologisch-wissenschaftlicher Spezialdiskurs war und ist er als moderner Diskurs (nach der Ausdifferenzierung der Wissenschaften) eine interdiskursive Konfiguration, indem er unterschiedliche Formen von Wissen (sprachwissenschaftlich, historisch, philosophisch, pdagogisch, juristisch, etc.) notwendig und zugleich spezifisch inkludiert, und genau in dieser Spezifitt als Spezialdiskurs95 gekennzeichnet ist. Der kirchliche Diskurs ist in hohem Maße ein Interdiskurs, der den wissenschaftlichen Spezialdiskurs (und dabei wiederum nicht ausschließlich den theologischen) mit dem „çffentlichen Diskurs“ konfiguriert, was u. a. mit den unterschiedlichen Sprecherpositionen zusammenhngt (Gemeindeglieder als Brger, Berufsttige, Kirchenvorsteher etc.). Der „çffentliche Diskurs“ soll hier mit Keller im Sinne des symbolischen Interaktionismus verstanden werden „als politisch-argumentative Auseinandersetzungen ber gesellschaftliche Problemfelder, an denen sich, vermittelt ber die Massenmedien und diverse andere çffentliche Arenen, die zivilgesellschaftliche ffentlichkeit beteiligt“ (Keller 2008a, 229). Nicht einher geht diese Art der Klassifizierung mit der von Luhmann systemtheoretisch vorgenommen Unterscheidung verschiedener Codes, beispielsweise „Transzendenz und Immanenz“ als Kennzeichen der religiçsen Kommunikation. Weil sich diese Unterscheidung nicht auf Akteure 94 Auch: Waldschmidt et al. (2009), 63. 95 Vgl. Tanner (2004).
5.2. Spezialdiskurs – allgemeiner Diskurs
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bezieht – der kirchlich-theologische Spezialdiskurs beinhaltet wie auch andere Diskurse Formen der religiçsen Kommunikation – ,fhrt sie hier nicht weiter. Soll die systemtheoretische Perspektive fr den Diskursbegriff fruchtbar gemacht werden, liegt hier die Vorstellung nher, die Kirche als „intersystemische Organisation“ zu verstehen (Tacke 2001; Bode/Brose 2001), die ber die strukturelle Kopplung konfrontiert ist mit der Kommunikation des Wissenschafts- und Rechtssystems, des sozialen und politischen Systems (Bora 2001). Der kirchlich-theologische Diskurs ist – in summa – als solcher an seinen Formationsregeln zu erkennen, um der zu sein, der er ist, nmlich ein interdiskursiver institutionalisierter Spezialdiskurs. Er ist von anderen unterschieden in seinen spezifischen Gegenstnden, ußerungsmodalitten, Sprecherpositionen, Begriffen und der thematischen Wahl. Der aktuelle kirchlich-theologische Diskurs wird erst in der Analyse als solcher in seiner spezifischen Eigensinnigkeit erkennbar sein. So leitet die Frage, was der theologisch-kirchliche Diskurs sei, zugleich das Vorhaben. Die vorab vorgenommene analytische Eingrenzung bezieht sich auf Akteure in diesem diskursiven Feld als teilçffentlicher Arena (theologisches, kirchliches und gemeindliches Publikum) bzw. als çffentlicher Arena (Internetprsentationen, Leitbildpapiere), in der „verschiedene Diskurse um die Konstitution eines Phnomens wetteifern“ (Keller 2005, 64): Das Deutsche Pfarrerblatt und Internetprsentationen und Programmpapiere problematisieren die „Zukunft der Kirche“. Zusammenfassend wird noch einmal rekapituliert: Diskurse und Dispositive sollen im weitesten Sinne gefasst werden als sprachliche und sichtbare Seite der „diskursiven Praxis“. Darunter wird das gesamte Ensemble einer speziellen Wissensproduktion verstanden, bestehend aus Institutionen, Verfahren der Wissenssammlung und -verarbeitung, autoritativen Sprechern bzw. Autoren, Regelungen der Versprachlichung, Verschriftlichung und Medialisierung (Jger 2004, 125). Die Frage der Studie bezogen auf die Diskursproduktion ist: Aus welchen Positivitten (Foucault) oder „besonderen Wissensbereichen oder Spezialdiskursen“ stammen die als wahr akzeptierten Aussagen? Welche dieser Positivitten werden gekoppelt und gelten als kompatibel und welche nicht, wie werden sie berformt, integriert und ausgegrenzt? Lassen sich umgekehrt Positivitten ausfindig machen, die konkurrieren? Fr den theologisch-kirchlichen Diskurs scheint diachron96 zu gelten, dass unterschiedliche Wissensformen vertreten sind und eine Hybridisierung von 96 Keller (2008a), 228 mit Hinweis auf Foucault (1971).
80 5. Das unternehmerische Selbst der Kirche – Das eigene Forschungsprogramm Wissensformen generell als Spezifikum dieses Diskurses angelegt ist97. Die Frage ist die nach der gegenwrtigen Ordnung dieses Wissens oder schlicht gesagt: Welches Wissen regiert? Die hier verfolgte These ist, dass sich synchrone diskursive Formationen ausbilden, die unter der Dominanz des betriebswirtschaftlich-çkonomischen Wissens, namentlich in Form einer neo-liberalen Gouvernementalitt, stehen. Welche Effekte dies auf die diskursive Produktivitt innerhalb der diskursiven Arena hat, wird zu zeigen sein.
5.3. Das Material Als Material der empirischen Untersuchung lag zunchst das Deutsche Pfarrerblatt (1995 – 2005) zugrunde, whrend der analytischen Arbeit wurde die Datenbasis ausgeweitet, um Diskurse und Dispositive weiter verschrnken zu kçnnen. So kamen Internetprsentationen von kirchlichen Leitbildern hinzu, kirchliche Programmschriften und im Pfarrerblatt erwhnte wissenschaftliche Literatur bzw. Handbcher zur Praxisanleitung. Die als Analysematerial verwandten Texte und Prsentationen und die zur Nachzeichnung des Diskurses genutzte theologische Literatur sind im Anhang gesondert vermerkt. Auswahl der Materialbasis und Zeitraum Die empirische Basis, die Grundlage fr eine Diskursanalyse sein kann, war nur mit Mhe einzugrenzen: Sie htte reichen kçnnen vom lokalen Gemeindebrief ber Fortbildungskalender, Fachzeitschriften und Dissertationen bis zu Strategiepapieren, Sonntagspredigten und der in der ARD ber zwçlf Jahre ausgestrahlten Talkshow des Fernsehpfarrers „Fliege“. Die dieser Studie zugrunde liegende Materialbasis sind Verçffentlichungen des 97 Duttweiler (2007), 143ff verwendet den Begriff „Hybridisierung von Wissensformen“ im Hinblick auf „Glcksratgeber“ und Weisheitswissen in dem Sinne, dass hier verschiedene auch heterogene und widersprchliche Wissensformen engagiert werden und zu neuem Wissen gebunden werden. „Dazu lçsen die Autoren vorhandene Wissensbestnde aus ihren Entstehungskontexten, sortieren und selektieren sie nach ihrer Brauchbarkeit und entscheiden, wann welches Wissen zu welchem Zweck eingesetzt werden kann“ (144). Das Konzept der Hybriditt sei erstmals von den post-colonials-studies in kritischer Absicht aufgenommen worden (ebd., Anm. 182).
5.3. Das Material
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Deutschen Pfarrerblattes in dem Zeitraum 1995 – 2005. Anhaltspunkte fr die Bemessung des Zeitraumes waren der von der kirchlichen Zeitung „Das Allgemeine Sonntagsblatt“ 1997 initiierte „Kongress: Unternehmen Kirche“ und das von der EKD im Jahr 2006 herausgebrachte Impulspapier „Kirche der Freiheit“. Beides sind als Dispositive diskursive Aufflligkeiten, die als Effekte Einarbeitungsprozesse indizieren. Das Deutsche Pfarrerblatt Herausgegeben wird das Deutsche Pfarrerblatt als Zeitschrift fr Pfarrerinnen und Pfarrer vom „Verband der Vereine evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V.“, es erscheint seit Grndung der ersten Pfarrvereine 1890, seit 1897 als Verbandsorgan. Die gegenwrtig etwa 18.000 Abonnenten sind in der Regel Vereinsmitglieder, darber hinaus geht das Pfarrerblatt an landeskirchliche Leitungsgremien, kirchliche und universitre Bibliotheken. Insgesamt sind ca. 20.000 evangelische Pfarrerrinnen und Pfarrern im Verband organisiert.98 Die Pfarrvereine agieren in der Regel in dienstrechtlichen Belangen und verstehen sich als berufsstndische Interessensvertretung gegenber den landeskirchlichen Leitungen. Das Deutsche Pfarrerblatt erscheint monatlich, seit 1998 ist es mit eigener Homepage im Internet vertreten (www.deutsches-pfarrerblatt.de). Im DIN-A4-Format hat es einen Umfang von ca. 50 Seiten mit dreispaltigem engzeiligem Druckbild. Auf dem Titelblatt erscheint der Schriftzug „Deutsches Pfarrerblatt“ und die laufende Nummer in der jeweiligen Jahrgangsfarbe, 4 – 5 Schlagzeilen in schwarz machen auf den Inhalt aufmerksam. Das Papier entspricht in Strke und Farbe dem von Tageszeitungen. Das Selbstverstndnis des Blattes dokumentiert sich am ehesten durch ußerungen der Redaktionsmitglieder: „Das Deutsche Pfarrerblatt ermçglicht es Pfarrerinnen und Pfarrern, an der aktuellen theologischen und kirchlichen Diskussion und an wichtigen standespolitischen Fragen und Entwicklungen teilzunehmen“ (DTPF Grtner 1999, 437).
98 Laut Internetprsenz www.deutsches-pfarrerblatt.de, 17. 02. 2010; diese Zahl ist nicht aufgeschlsselt nach aktiven und im Ruhestand befindlichen Pfarrern. Laut EKD-Statistik von 2004 befinden sich in der EKD ca . 22.400 „Theologinnen und Theologen im aktiven Dienst“.
82 5. Das unternehmerische Selbst der Kirche – Das eigene Forschungsprogramm „Die Vielfalt der Meinungen, aber auch wesentliche Linien und Leitziele mssen zum Ausdruck gebracht werden“ (DTPF Schnabel 1999, 508). Entscheidend sei vor allem, die „Theologie in den çffentlichen Diskurs der Gesellschaft einzubringen“. Das Pfarrerblatt sei in diesem Sinne eine „außerordentlich geeignete Plattform“, die auf die Mitbeteiligung der Leser setze, darber hinaus eine „Schnittstelle zwischen universitrer Theologie und gemeindlicher Praxis“ (DTPF Schuck 1999, 568).
Neben den programmatischen Grundstzen der Redaktionsmitglieder lassen sich am Rande kontrovers gefhrter Debatten vor allem in der Leserbrief-Rubrik, die hier „Echo und Aussprache“ heißt, Meinungen und Erwartungen der Redaktion bzw. der Leserschaft zur Aufgabe der Zeitschrift einfangen: So zog die Verçffentlichung eines Artikels eine große Anzahl von Leserbriefen, IDEA-Meldungen99 und Anfragen von TV-Redaktionen nach sich100 : „Lieber Bruder Sunnus, wieder einmal prostituiert sich evangelische Theologie in dem Bestreben, den Zeitgeist voll zu befriedigen“ (DTPF 1998, 296). Im Editorial (DTPF 1998, 254) verteidigt Schriftleiter Siegfried Sunnus die Entscheidung der Redaktion: „Wenn gefragt wird „wieso das DEUTSCHE PFARRERBLATT solchen Gedanken so viel Raum zur Verfgung stellt, dann lautet die schlichte Antwort des Schriftleiters: Damit der Freiheit des Geistes nicht gewehrt wird! Wo sonst, wenn nicht in unserer Fachzeitschrift, kçnnen den Schwestern und Brdern Gedanken zur Diskussion gestellt werden? Eine Diskussion, die in der BILD-Zeitung gewiss nicht gefhrt werden kann…“.
Diese kurze Sequenz macht deutlich, dass die Verçffentlichungen des Pfarrerblattes einen exklusiven, ab- und ausgrenzenden Charakter besitzen („Bruder“ und „nicht die Bild-Zeitung“), der Diskurs innerhalb dieser Grenze jedoch in grçßtmçglicher Entgrenzung („Freiheit des Geistes“ – Ausrufezeichen) laufen soll. Dieser Stil von Verwerfungs-Attitden und polemischen Kommentaren prgt die Debatten im Deutschen Pfarrerblatt und ließ im Vorfeld vermuten, dass hier die Materialbasis fr eine Untersuchung unter der beschriebenen Fragestellung ergiebig sein kçnnte. Verschiebungen in der Ordnung des Diskurses lassen sich mit hçherer Wahrscheinlichkeit dort feststellen, wo die Krfte des Bewahrenden am ehesten zu erwarten sind. 99 IDEA – Informationsdienst der Evangelischen Allianz. 100 In diesem Artikel, DTPF 1998, Heft 3: „Marie, die reine Magd. Pldoyer eines Seelsorgers fr die jungfruliche Unschuld eines sexuell missbrauchten Mdchens“, entwickelt Helmut Schulz die These, Maria kçnne mçglicherweise das Opfer einer Vergewaltigung und Jesus das daraus hervorgegangene Kind sein.
5.3. Das Material
83
Als Organ der Standes- und Interessenvertretung genießt diese FachZeitschrift einen solchen Ruf. Auf diesem Hintergrund waren zwei Beobachtungen entscheidend fr die Auswahl dieser Materialbasis: Relativ großen Raum nimmt in den Jahren 1999 – 2001 die vom Verband der Vereine Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrern initiierte Erarbeitung eines „Leitbildes fr Pfarrer und Pfarrerinnen in der Gemeinde“ ein. Dieser in drei Forums-Tagungen entwickelte Prozess wird im Pfarrerblatt dokumentiert und kommentiert, das Ergebnis entsprechend dort und darber hinaus in einer 15-seitigen Hochglanzbroschre 2002 verçffentlicht (Leitbild Pfarrerinnen und Pfarrer). „Leitbilder kçnnen Orientierung geben und Wege in die Zukunft weisen. Ein Leitbild strkt die Identitt und zeigt das Profil eines Berufsstandes. Mit dem vorgelegten Leitbild hoffen wir, den Auftrag unserer Arbeit unter den gegenwrtigen gesellschaftlichen Bedingungen treffend zu formulieren und zu einer eigenen Standortbestimmung anzuregen“ (Klaus Weber, Verbandsvorsitzender, im Vorwort).
Bezeichnenderweise wird mit diesem Prozess ein aus dem çkonomischen Sektor entnommenes Instrument angewendet und nicht wie dort auf das Gesamtsystem, sondern auf die Person bezogen. Dieser Umstand macht neugierig, denn immerhin handelt es sich hier um eine als traditionsverbunden und berufsstndisch geltende Zeitschrift, die sich wie verschiedene Beispiele zeigen, „konomisierungstendenzen“ gegenber als misstrauisch zeigt. Etwa gleichzeitig erreicht die Verçffentlichung zweier Beitrge der Praktischen Theologin Isolde Karle Popularitt, die sich in daran anschließenden Vortragsttigkeiten vor Pfarrkonventen und in zahlreichen Rezeptionen ußert. Der sich auf die soziologische Professionstheorie nach Stichweh und Luhmann beziehende Ansatz vom „Pfarrberuf als Profession“ scheint in hohem Maße anschlussfhig zu sein, wird er von Kirchenleitungen und Pfarrvereinen bei unterschiedlicher Interessenlage doch gleichermaßen in Anschlag gebracht. Diese hohe Popularitt ist Anlass, nach den Regeln und Plausibilittsstrukturen zu fragen, die diesem diskursiven Ereignis der Professionsdebatte zugrunde liegen, zumal diese sich programmatisch gegen eine berformung von Kirche durch çkonomisch initiierte Rationalitten richtet. In dem untersuchten Zeitraum beschftigen sich etwa 55 Prozent der Beitrge mit Themen, die sich in expliziter Weise zum Gesamtkomplex „Krise“ und „Zukunft“ der Kirche und des Pfarramtes verhalten. Neben den thematisch eindeutig zuzuordnenden Beitrgen finden sich auch in
84 5. Das unternehmerische Selbst der Kirche – Das eigene Forschungsprogramm scheinbaren Randthemen Anmerkungen und Einfgungen zur „gegenwrtigen Situation von Kirche“. Gesellschaftsbezogen aktuell veranlasste Themen (Kosovo-Krieg, Jahrtausendwende, BSE-Skandal, Attentat vom 11. 9. 2001) ziehen eine Reihe von Verçffentlichungen nach sich. Aufbau des Blattes Der Aufbau war innerhalb des berschaubaren Teils (seit den 1970er Jahren) mit kleinen Vernderungsnuancen verlsslich: Nach einem Vorwort des Schriftleiters (spter „Editorial“) folgen 4 – 5 Artikel (jeweils 2 – 5seitig). Ab 1998 – mit dem Wechsel des Schriftleiters und des Redaktionsausschusses – wirken die Artikel thematisch strker aufeinander abgestimmt, die Autoren und Autorinnen erhalten auf der ersten Seite ihres Artikels eine kleine Rubrik zur Beschreibung des beruflichen Werdegangs. Am Ende des Artikels findet sich Raum fr Anmerkungen. Die darauf folgenden Rubriken sind jeweils in stilisierte Klammern gerahmt: „Aus Pfarrvereinen“: Berichte aus den einzelnen Vereinen, Mitgliederversammlungs-Protokolle, thematische Artikel etc. „Aus der Werkstatt“: Gottesdienst- oder Gemeindeleitungsmodelle, Glossen etc. „Predigthilfen“: zu den Sonntagen des darauf folgenden Monats nach der von der Liturgischen Konferenz vorgegebenen Predigtordnung – verschiedene und wechselnde Autorinnen und Autoren (4 Seiten in der Heftmitte – offenbar zum Heraustrennen gedacht – so dass der durchlaufende Fließtext der anderen Rubriken unterbrochen wird und der Leser der angegebenen Seitenzahl folgen muss) „Forum“: Artikel, die als Leserbrief eingesandt wurden; Positionspapiere aus den Landeskirchen mit der Aufforderung zur Diskussion, Tagungsberichte – thematisch im Heft singulr „Echo und Aussprache“: Leserbriefe (Krzungen werden, da nicht kenntlich gemacht, mçglicherweise nicht vorgenommen) „Nachrichten“: Darin die Rubriken: Aus der kumene / Aus der Rçmischen Kirche / Aus den Landeskirchen / Personalia / – wird fast ausnahmslos dem epd (Evangelischer Pressedienst) entnommen „Hinweise“ (Arbeitsmaterialien, Fortbildungsankndigungen, Ausstellungen) „Notiert“ (Lehrstuhlbesetzungen / Jubilen / Tagungsberichte) – „Am Rande“: Glosse oder Satire zu pastoralen oder kirchenpolitischen Themen
5.3. Das Material
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„Ganz schçn Link“ (seit 1999): Hinweise auf Internetprsenzen „Eingesandt“ oder „Reingehçrt“: u. a. CD-Rezension „Bcher“: Buchhinweise und Rezensionen („Kirchenkrimi“ – nicht in jeder Ausgabe, Buchhinweis)
Werbeanzeigen befinden sich im letzten Drittel des Heftes und nehmen ca. 10 – 15 % der Druckflche ein. Geworben wird fr: Studien- und Erholungsreisen, liturgische und gemeindliche Gebrauchsgegenstnde (Akustikanlagen, Orgeln, Lampen, Einrichtungen, Großkaffeeanlagen, Abendmahlsgeschirr etc.), liturgische Kleidung (Talare, Schuhe), theologiewissenschaftliche Verçffentlichungen und Gemeindepraxishilfen, Kreditinstitute, Pensionen und Tagungshuser. Stellenanzeigen fr Pastorinnen und Pastoren sind zwischen den Werbeannoncen eingeordnet und ußerlich nicht abgegrenzt, also nicht sofort als solche zu erkennen: Gemeindepfarramt, Referenten- oder Leitungsttigkeit in EKD oder Diakonie etc. Das Blatt ist bis auf die Werbeeinlagen und -anzeigen nicht bebildert, die wenigen Karikaturen sind die Ausnahme. berblick ber die Themenstrnge Lediglich um einen berblick zu ermçglichen, lassen sich einzelne Diskursstrnge thematisch/inhaltlich folgendermaßen konstruieren (inhaltliche Diskursordnung) Kirche/Gesellschaft – Analysen der Krise (Postmoderne/Erlebnis- und Optionsgesellschaft, Globalisierung) Christentum/Religiositt – Analysen und Perspektiven ( Sinn/Mystik/Glaube ohne Kirche) Theologisch-ekklesiologischer Zusammenhang (Institution/Gemeinschaft der Heiligen, Konflikt/Einheit der Kirche, Rechtfertigung/Geld, Abschied) Biblisch-theologisch-hermeneutischer Zusammenhang (Shnetodvorstellung, Auferstehungsvorstellung, Allmacht/Ewigkeit Gottes) Kirchenstruktur (Protestantismus/Reformation/Priestertum aller Glubigen/ Verkndigungsamt/Ehrenamt/Kirchenvorstand, Parochie/Gemeinde/Volkskirche/Gemeindehaus, Kirchendistanzierte/Mitglieder/Ressourcenkonzentration) Kirchenreform/Marketing (Unternehmen/Gemeinde, Unternehmensberatung/ Marketing/ffentlichkeitsarbeit/Kapitalismuskritik/Diakonie/Leitbild/Planungsprozesse)
86 5. Das unternehmerische Selbst der Kirche – Das eigene Forschungsprogramm Kirche/Markt (Kapitalismuskritik/Arbeitsmarktpolitik/Menschenwrde/ Wirtschaftsethik) Kirche/Pfarrer (Amt/Person, Reprsentant/Mitglieder, Erreichbarkeit/ Erwartung) Amt/Person (Lebensform/Rolle, Leitbild, Pfarrer/Pfarrerin, Hirte/Seelsorger/ Spiritual/Manager, Kollegialitt/Eitelkeit, Image/Neurosen, Christenmensch, Spiritualitt/Authentizitt, Identitt/Krise, Selbstorganisation/Kernkompetenz) Profession/Beruf (Zukunft/Nutzen, Profil/Aufgabe, Ethos/Burnout, Zumutung/Vorbild, Ausbildung/Beratung, Eignung/Kompetenz, Personalfhrung/ Leistung, Spiritualitt/Lebensbegleiter) Pfarrstellen (Besoldung/Arbeitslosigkeit/Nachwuchsmangel/Nebenttigkeit/ Teilzeit/Mobbing/Arbeitszeitmodelle/Finanzierungsmodelle) Pfarrerin/Seelsorger (Notfallseelsorge) Pfarrerin/Predigt (Zweck/Ziel, Veranstaltung/Dienst am Wort) Gottesdienst (Nutzen/Ziel, Sondergottesdienste/neue Rituale) Leitung Trauung Bestattung Kirchenmusik Protestantismus/Demokratie (Nationalsozialismus/Sozialismus/Europische Union) Kirche/Schule (Marketing/religiçse Bildung, Christentum/Andersglubige) Kirche /Religionen (jdisch/islamisch/interreligiçser Dialog) Kirche/kumene (Rechtfertigungslehre/Einheit/Trennung) Gewalt (Dekade des çkumenischen Rates/Mission/Intoleranz) Frieden/Krieg EKD/Landeskirchen Ethik (Gentechnik/Sterbehilfe, Umwelt/kologie)
Diskursive Orte/Sprecherpositionen Die Autorinnen und Autoren der Schwerpunktartikel sind neben Personen aus den Kirchenleitungen in berwiegender Zahl dem wissenschaftlichuniversitren Bereich zuzuordnen, nicht selten paraphrasieren die Artikel Ergebnisse eines Dissertations- oder Habilitationsprojektes, oder die
5.4. Darstellungsform des empirischen Teils
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Verfasser weisen sich laut Autorenrubrik fr eine spezifische Thematik als fachlich qualifiziert aus: So finden sich neben den theologischen Beitrgen solche aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Medizin, Biologie, Psychologie, Soziologie. In den Rubriken des hinteren Heftteils melden sich Pfarrer und in deutlich geringerer Zahl Pfarrerinnen zu Wort, selten Vertreter anderer kirchlicher Berufsgruppen. Der berblick ber den Aufbau, die Themenstrnge und diskursiven Orte zeigt, dass sich mit dem Deutschen Pfarrerblatt ein breites materiales Feld bot, das sich sowohl im Blick auf Debatten und Diskussionen als auch im Blick auf konkrete Praktiken als ergiebig erwies. Auch zeigte sich fr den Untersuchungszeitraum, dass die Themen der kirchlichen Landschaft, wie sie sich auch in anderen Publikationen und der kirchlichen ffentlichkeit zeigen, verlsslich abgebildet wurden, wobei diese im Pfarrerblatt interessegeleitet und auf den Pfarrberuf fokussiert quantitativ spezifisch gewichtet wurden. Dieser Umstand machte es nçtig, den in den Kleinrubriken wie „Meldungen aus den Pfarrvereinen“ oder Rezensionen gelegten Spuren im Laufe der Analyse weiter zu folgen und die Materialbasis verschiedentlich auszuweiten. Im Anhang werden die dem Pfarrerblatt entnommenen und hier zitierten Texte sowie die dem Internet entnommenen Leitbilddokumente als Datenmaterial gesondert gekennzeichnet. Die darber hinausgehende in die Diskursanalyse einbezogene Literatur aus dem kirchlich-theologischen Diskurs ist der besseren bersicht halber in das Gesamtliteraturverzeichnis eingeordnet.
5.4. Darstellungsform des empirischen Teils Die Darstellung der diskursanalytischen Ergebnisse wird ber weite Strecken in Form der immanenten Beschreibung versucht. Dieses gemeinsame Flanieren im Diskurs gestattet den gemeinsamen Blick auf die Ein- und berschreibungen, die Bewegungen und Brche, die Herstellung und Ablçsung von Evidenzen. Ergebnisse der Gouvernementalittsstudien aus anderen gesellschaftlichen Bereichen werden referiert und erlauben die Kontrastierung. Es wird die Perspektive in den ersten Kapiteln von „außen“, als dem gesellschaftlichen Bereich, kommend nach „innen“, als dem kirchlichen Bereich, gelenkt. Theoriebezogene Einheiten helfen die Distanznahme herzustellen,
88 5. Das unternehmerische Selbst der Kirche – Das eigene Forschungsprogramm so dass darber der Ort am Rande des Diskurses, falls er droht verlassen zu werden, wiedergefunden werden kann101.
101 Maasen (2003), 125: „Mit diesen vier methodologischen Imperativen: Grenzhaltung, Kritik, konstruktivistische Methodik und ironischem Stil bietet Foucault Positionen, Verfahren und vor allem eine Haltung an, die es erlauben, uns zwar nicht außerhalb, jedoch gleichsam an den Rand des Diskurses zu mançvrieren, den wir untersuchen wollen, um von dort aus den Prozess der Herstellung seiner Evidenz zu beobachten“.
Teil 2. Das unternehmerische Selbst der Kirche – Diskursanalytische Rekonstruktion einer Subjektivierung
1. Die Anrufung: Sich als wettbewerbs- und zukunftsfhig zu gestaltendes Subjekt problematisieren Die Paradoxie von Unterwerfung und Ermchtigung oder von gesellschaftlicher Erzeugung und Selbstkonstitution des Subjekts hat Louis Althusser im Zusammenhang seiner Lehre von der Interpellation in dem Begriff der „Anrufung“ gefasst (Althusser 1977, 140 – 145). In seiner vielfach zitierten Szene ruft ein Polizist einem Passanten auf der Strasse nach: „He, Sie da“! Das so angerufene Individuum dreht sich um in dem Glauben oder dem Wissen, es sei gemeint. Durch die physische Wendung wird es zum Subjekt, weil es damit anerkennt, dass der Ruf nur ihm gegolten haben kann.1 Judith Butler macht darauf aufmerksam, dass Foucault in seiner paradoxalen Subjektkonstruktion an Althusser anknpft. „Ins Leben gerufen wird das Subjekt, sei es mittels Anrufung oder Interpellation im Sinne Althussers oder mittels diskursiver Produktivitt im Sinne Foucaults, durch eine ursprngliche Unterwerfung unter die Macht“ (Butler 2001, 8). Sie sieht in dieser allegorischen Szene der Anrufung die unauflçsliche Verschrnkung des Verlangens nach Unterwerfung und des Verlangens nach Existenz (Butler 2001,101ff ). „Das Subjekt wendet sich um und akzeptiert die Begriffe, mit denen es angerufen wird, und erhlt somit als Effekt der Anrufung seinen Subjektstatus. Das Subjekt entsteht durch die Annahme einer Konformittsforderung, zu der das Subjekt nur unter grçßter Anstrengung ein kritisches Verhltnis einnehmen kann, weil es auf ihr beruht. Ein konstitutiver Mangel an Sein und daraus resultierendes Verlangen nach einer sozialen Existenz machen das Subjekt ausbeutbar. Es besteht eine Anflligkeit fr den Ruf des Gesetzes, dessen Regeln nicht nur befolgt, sondern im Tun verkçrpert werden. Das Sich-Erkennen im Ruf setzt eine Einwilligung zur Subjektivation voraus, und deutet zugleich daraufhin, dass die Szene immer schon vor der Szene stattgefunden hat“.2
1 2
Brçckling (2007), 28; auch Opitz (2004), 82 f. Opitz (2004), 82 mit Hinweis auf Butler (2001).
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1. Die Anrufung
Ohne an dieser Stelle darauf einzugehen, ob Althussers Subjektivationsvorstellung ohne die Metaphorik der religiçsen Autoritt denkbar scheint,3 soll die Anrufungsszene fr den nun folgenden Abschnitt als allegorische Konstruktion illustrativ Geltung haben, denn mit ihr lsst sich anschaulich machen, wie sich Einarbeitungsprozesse vollziehen und sich Subjektivation durch diskursive Produktivitt entfaltet. Wenn die auch fr diese Studie geltende zentrale Forschungsfrage lautet: „Welche Codes, Kçrperroutinen und Wunschstrukturen muss sich der Einzelne in einem jeweiligen historisch-kulturellen Kontext einverleiben, um zum zurechenbaren, vor sich selber und anderen anerkannten ,Subjekt‘ zu werden?“ (Reckwitz 2008, 14)4, dann wird es in der Prsentation der empirischen Ergebnisse zunchst um die textlich produzierten diskursiven Entdeckungen und Appellationen gehen, die den Regimewechsel zur neoliberalen Rationalitt markieren. In diesem ersten Kapitel sollen daher ausgewhlte Beispiele aus dem empirischen Material als diskursiv produzierte Szenen der Anrufung nachvollzogen werden. „Anrufung“ im wissenssoziologischen Sinne heißt zu fragen: Welches Wissen ist schon in den Diskurs eingegangen und auf welches wird reagiert? Insofern kann nicht an den „Anfang einer Szene“ zurck, sondern immer nur „in die Szene hinein“ gegangen werden – Anrufung und Antwort sind in diesem Zusammenhang analytische Kategorien.
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4
Butler (2001),104 ff. – Nach Butler strukturiert die gçttliche Macht der Bennennung (Mose, Petrus, Taufe) „die Theorie der Anrufung, mit der die ideologische Konstitution des Subjekts erklrt wird“. – Auch die leichtgngige Kompatibilitt einer hnlich konstruierten Anrufungsszene in der theologischen Rezeption bei Manfred Josuttis (2004), 17, der diese auf Konversionswirkungen bezieht, spricht fr die These von Butler. Brçckling (2007), 30 f, weist auf den Unterschied der Geneaologie der Subjektivierung gegenber der Anerkennungstheorie hin, wie sie z. B. Axel Honneth (1994), Kampf um Anerkennung, vertritt. „Anders als diese sucht die Geneaologe der Subjektivierung nicht nach normativen Grundlagen, von denen aus missachtende, unterdrckende und ausbeutende Verhltnisse zu kritisieren wren, und sie verfgt entsprechend auch ber kein Ideal gelingender Anerkennung. Sie kehrt vielmehr die Problemstellung um und fragt, welche Mechanismen Menschen veranlassen, ihre Subjektivierungsanstrengungen auf der Folie eines Kampfes um Anerkennung zu begreifen, welche Arenen sie fr diesen Kampf auswhlen und welche Strategien sie dabei auswhlen. Anders ausgedrckt: Sie fragt nicht, welche Normen Anerkennung gewhrleisten, sondern wie Anerkennung selbst zu einer Norm werden kann und welche Praktiken und Diskurse die Akzeptabilitt dieser Norm sichern“.
1. Die Anrufung
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Sich der Zukunft als Herausforderung annehmen Die Kirche von morgen oder wie der Pfarrberuf zuknftig aussehen wird, wie die Kirchenmitgliedschaften in den nchsten Jahren wird, das Interesse an der Zukunft formt sich in den neunziger Jahren ungebremst aus. In den Jahren 1998 und 1999 finden sich im Pfarrerblatt folgende Artikelberschriften: Minderheit mit Zukunft. Signale einer Kirche im Umbruch (1/98), Kindergartengottesdienst – ein Stoff aus dem die Zukunft ist (4/98), Kirche der Zukunft (5/98), Mystik – Zukunft des Christentums? (6/98), Kirche in der Zukunft (11/98), Die Rolle der Kirchen in der Gesellschaft der Zukunft (2/99), ber die Zukunft der Kirche im Zeitalter der Globalisierung (6/99), Lokale Agenda 21 – Zukunft ohne Kirche (8/99). Die Zukunft ist nicht einfach eine zu erwartende Zukunft, sie gilt als Herausforderung, als Aufgabe, als etwas, das zu erbringen ist oder auf das man, wenn man an ihr teilhaben will, sich in entsprechender Weise einstellen muss. Aber wie? Und welches Wissen wird bençtigt, sich darauf einzustellen? Wissen fasst Foucault im Zusammenhang der Subjektivierung „nicht als Summe von Erkenntnissen“, sondern als „Gesamtheit von Elementen (Gegenstnden, Formulierungstypen, Begriffen und theoretischen Entscheidungen) (…), die aus ein und derselben Positivitt heraus im Feld einer einheitlichen diskursiven Formation gebildet sind“5. „Mit Wissen ziele ich auf einen Prozess, der das Subjekt einer Vernderung unterwirft, gerade indem es erkennt oder vielmehr bei der Arbeit des Erkennens. Es ist dieser Prozess, der es gestattet, das Subjekt zu verndern und gleichzeitig das Objekt zu konstruieren“6.
Es soll nun dargestellt werden, welches „Wissen als Form der Macht“ hinsichtlich der Zukunft erzeugt und abgerufen wird und wie sich der Prozess der Subjektivation, der Unterwerfung unter die Vernderung, vollzieht.
5 6
Foucault (2002),Dits et Ecrits, Band 1, Nr. 59; zitiert nach Ruoff, 236. Foucault (2008), 1604: „Erkenntnis ist die Arbeit, die es erlaubt, die erkennbaren Objekte zu vermehren, ihre Erkennbarkeit zu entwickeln, ihre Rationalitt zu verstehen, bei der jedoch das forschende Subjekt fest und unvernderlich bleibt“.
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1. Die Anrufung
Allgemeiner Diskurs: Zukunftswissen Ein Blick auf die wissenssoziologische Einschtzung zeigt, dass das Interesse am Zukunftswissen in gesamtgesellschaftlichen Kontext anzutreffen ist und auf unterschiedliche Weise erzeugt wird. Hubert Knoblauch und Bernt Schnettler stellen in ihrem Aufsatz „Prophetie und Prognose“ (2005) fest, dass Wissen ber die Zukunft grundstzlich in verschiedenen Formen auftreten kann. Alltagsweltlich lassen sich mehrere Formen des Wissens ber die Zukunft unterscheiden. „(1),Zukunftswissen‘: Ceteris paribus – Wissen, das auf Typisierung und Konstanzannahme beruht (das gilt auch fr kausales Wissen: morgen geht die Sonne auf, der Ball fllt auf den Boden (…), (2) ,zuknftiges Wissen‘. Also Erfahrungen, die wir in der Zukunft haben werden; hier handelt es sich um phantastische Extrapolationen, die Erfahrungen variieren, sowie (3) ,Wissen ber die Zukunft‘, also Wissen ber den zuknftigen Zustand der Welt (als Erfahrungsraum); hier handelt es sich im Wesentlichen um kognitive Konstruktionen, die auf den anderen Formen aufbauen. Hinzu kommen (4) die nichtalltglichen Formen. Das sind zum einen Prophetien, deren Zukunftswissen Transzendenzerfahrungen zugrundeliegen, sowie Prognosen als dasjenige Zukunftswissen, das mit dem Anspruch wissenschaftlicher Methodik auftritt“ (Knoblauch/Schnettler 2005, 32 f ).
Auch wenn der Begriff „Vision“ gegenwrtig eine hohe Prominenz verzeichne, sei gleichzeitig ein Mangel an kollektiv verbindlichen, grçßeren Zukunftsentwrfen festzustellen. Diese These vom ,Zukunftsverlust‘ erklren Knoblauch/Schnettler wissenssoziologisch damit, dass der kollektive Grund fr geteilte Zukunftsvorstellungen in dem Maße schwinde, wie sich die gesellschaftlichen Wissensbestnde ausdifferenzierten. Die Prophetie im religiçsen Bereich habe an Relevanz verloren,7 stattdessen htten Zukunftsvisionen in anderen Bereichen Platz gegriffen. Neben die Soziologen als „Deuter der Gesellschaft“ seien spezialisierte Professionen wie Trendforscher, Sozialstatistiker, Demographen getreten. „Fr die wissenschaftliche Zukunftsvoraussage existiert inzwischen eine unberschaubare Flle ausgefeilter Verfahren. Diese lassen sich in einzelne Formen, Typen und Gattungen unterscheiden, wie Prognosen, Sekundranalysen, Szenarien, Delphi-Studien, Extrapolationen, Expertenbefragungen, Trendforschungen, Innovationsforschung“, etc. Fr diese wissenschaftlichen Prognosen gilt, dass sie „beanspruchen, Zukunft methodisch kontrolliert vorauszusagen“ (Knoblauch/Schnettler 2005, 39 f, Hervorhebung im Text). 7
Anders dagegen in den USA, wo Knoblauch/Schnettler (2005), 39, Anm. 17, eine große Lebendigkeit prophetischer Tradition ausmachen.
1. Die Anrufung
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Der gegenwrtige Visionsbegriff wird anders als seine Vorlufer auf solche Zukunftsprognosen angewandt, die der Machbarkeit unterliegen, mit ihm verbinden sich Begriffe wie „Nachhaltige Entwicklung“ oder „Innovation“. „Mit ,Vision’ ist hier ein intentional hergestellter, gedanklicher, kommunizierbarer Inhalt angesprochen, der durch das menschliche Handeln in der Zukunft verwirklicht werden soll“ (Knoblauch/Schnettler 2005, 40). Dieser pragmatisch angewandte Begriff der Vision rckt damit in die Nhe der Begriffe „Plan“, „Vorstellung“ oder „Vorhaben“. Anders als bei den religiçs oder sthetisch ausgezeichneten Visionen fehle ein Rekurs auf eine besondere Erfahrung als Quelle und Motiv. „Ihre Autoritt gewinnt die Skularvision nicht aus Erfahrung oder Berufung, sondern aus persçnlicher Kompetenz oder institutioneller Position. ,Visionre‘ in diesem Sinne sind Personen, die eine bestimmte Funktion innerhalb einer Institution ausben“ (ebd., 40). Diese Visionen sind „machbar“, „herstellbar“ und „verkaufbar“. Sie sind besondere (intellektuelle) Produkte. „Um den Prognosen grçßere Legitimitt zu verleihen, werden dann ausgefeilte Verfahren ersonnen. Das zieht eine Technisierung und Rationalisierung der Prognose nach sich. Voraussetzung jeder prognostischen Vorhersage ist somit eine gewisse Rationalisierung der Zukunft“ (ebd., 40 f ).
Knoblauch/Schnettler merken an, dass es fr die Unkontrollierbarkeit des Wissens ber die Zukunft8 entscheidend sei, „dass es trotz aller Rationalittsversuche auf dem Funken an Irrationalitt gebaut ist, den wir phnomenologisch Phantasie oder religiçs Charisma nennen“ (ebd., 41). Sie vermuten, dass der inflationre Gebrauch des Visions-Begriffs, und zwar in einer Reihe von gesellschaftlichen Bereichen außerhalb der Religion, „einer symbolischen Aufladung rationaler Handlungsplanung gleichkommt, die selbst im rationalistischen Fall (Club of Rome) transzendente Quellen beanspruchen muss“ (ebd., 41). Beide Soziologen versumen nicht, auf dieses selbstindizierte Erbe der Soziologie hinzuweisen, dass nmlich „die Soziologie – seit Comtes ,voir pour prvoir‘ – entscheidend am Mythos der Vorhersagbarkeit einer von ihr selbst mitgestalteten, linearen zeitlichen Entwicklung mitgewirkt hat“, resmieren jedoch mit Weber und Bourdieu, dass, wer von der Soziologie „Visionen“ erwarte, „lieber ins Kino gehen“ solle (ebd., 41). Als Rekonstruktion der gesellschaftlichen Konstruktionen und der Konstruktions8
“ (…) von der Unkontrollierbarkeit der wirklichen Zukunft ganz zu schweigen“ (ebd., 41).
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1. Die Anrufung
bedingungen von Wirklichkeit sei Soziologie vielmehr „rckwrtsgewandte Prophetie“ (ebd., 41 f ). Spezialdiskurs: Die Zukunft der Kirche Die Aufmerksamkeit nun dem kirchlichen Diskurs zugewandt, fllt auf, dass das Interesse an Prognosen und Visionen optimistischer oder pessimistischer Couleur prgend ist und sich tatschlich weder dezidiert noch ausschließlich der christlich-religiçsen Vision verschreibt. Der Zukunftsforscher Matthias Horx, als solcher und damit als Experte fr Zukunftsfragen auf dem „Kongress Unternehmen Kirche“ als Vortragsredner eingeladen, weiß vorausschauend Handlungsempfehlungen auszusprechen. „Meine Damen und Herren, lernen Sie von McDonald & Co, was konsequente Markenfhrung bedeutet, dann prophezeie ich Ihrem Traditionsprodukt eine glorreiche Zukunft“ (Matthias Horx, Kongress Unternehmen Kirche 13./14. 3. 1997).
Die Verheißung einer „glorreichen Zukunft“ empfiehlt Formen der Selbstzurichtung, in diesem Fall die an Marktnotwendigkeiten orientierte Strategie der konsequenten Markenfhrung. Weit weniger vollmundig findet sich die zumal dstere Zukunftsprognose des EKD-Ratsvorsitzenden Huber im Vorwort zum Impulspapier „Kirche der Freiheit“. „Die evangelische Kirche steht vor großen Herausforderungen: Demographische Umbrche, finanzielle Einbußen, die Sptfolgen zurckliegender Austrittswellen, hohe Arbeitslosigkeit, globalisierter Wettbewerb sind gesellschaftliche Entwicklungen, von denen die Kirche entscheidend betroffen ist. Sie nçtigen zu einem Wandel der kirchlichen Strukturen, der sehr viel Kraft und Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Die Sorge um die Zukunft der Kirche und um die Arbeitspltze im kirchlichen Bereich greift um sich (…). Wenn die heute erkennbaren Trends einfach fortgeschrieben werden mssten, so wrde nach manchen Einschtzungen die evangelische Kirche im Jahre 2030 ein Drittel weniger Mitglieder und nur noch die Hlfte der heutigen Finanzkraft haben. Eine eigenstndige Antwort auf solche Prognosen kann nur darin bestehen, gegen den Trend wachsen zu wollen“ (Kirchenamt der EKD 2006, 7).
Auch diese Zukunftsprognose leitet ber in eine zumal kompromisslose Handlungsempfehlung: „Eine eigenstndige Antwort“ heißt „wachsen zu wollen“. Ob vollmundig optimistisch oder pessimistisch, Zukunftsprognosen eignen sich dazu, Handlungen zu orientieren. Die Zukunft muss bewltigt und erarbeitet werden, ehe sie da ist. In der Foucaultschen Be-
1.1. Selbstfhrung durch Expertenwissen
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grifflichkeit gert die Schaffung eines handlungsleitenden Orientierungswissens zu einem Element der Regierungstechnologie. Prognosen setzen die Rationalitt der Machbarkeit und Steuerungsmçglichkeit voraus und aus sich heraus. Nach Prognosen wird gefragt, weil man weiß, dass man die Zukunft bewltigen muss. Als dann erzeugtes Wissen strukturieren Prognosen den Diskurs auf Entscheidung hin. Zu Prognosen ber sich selbst kann sich das Subjekt nicht nicht verhalten. Drei Modi der Selbstleitung durch Zukunftswissen werden im Folgenden vorgestellt, und es soll gezeigt werden, wie sich der kirchliche Eigensinn in der Antwort auf die Anrufung entfaltet. Zunchst wird der Experte (eingebrachtes Fremdwissen) vorgestellt, dann Monitoringverfahren (ber gezielte Selbst- und Fremdbeobachtung erzeugtes Wissen ber sich selbst) und anschließend, gewissermaßen als Kombination von Expertenwissen und Monitoring, die Beratung (das in begleitender Beobachtung erzeugte Wissen).
1.1. Selbstfhrung durch Expertenwissen Unter Expertenwissen soll das Wissen verstanden werden, „ber das zu verfgen jemand glaubhaft zu machen versteht, der jemandem anderen gegenber als Experte gilt“ (Hitzler/Honer/Maeder 1994, 6). Das Wissen des Experten, ob unterstellt oder beansprucht, umfasst typischerweise „nicht-selbstverstndliche Kenntnisse“, die erforderlich sind, um auf einem Gebiet kompetent handeln zu kçnnen. Der Experte bietet prinzipielle Problemlçsungen an und verfgt „anscheinend ber einen ausgesonderten Wissensbestand, der dem NichtExperten (…) nicht (ohne weiteres) zugnglich ist, der von diesem aber nachgefragt wird, auf den sich dieser im Hinblick auf bestimmte (und symptomatischerweise: auf immer mehr) lebenspraktisch relevante Fragen ver- und angewiesen sieht (…)“ (Hitzler et al.1994, 26).
Der Experte wird in der Regel vom Laien konsultiert und nicht umgekehrt. Dieses „Mehr-Wissen“, das vom anderen konkret abzufragen und zu beanspruchen ist, und das Verfgen ber eine kaum (bzw. un-)kontrollierbare Rat- und Hilfekompetenz verschafft dem Wissenden eine relative Autonomie und macht ihn in diesem Sinne zum Experten. „Experten glauben an und/oder bekunden die Existenz von ihnen gewusster objektiver Kriterien des Erstellens und Beurteilens von Expertisen“ (ebd., 26 f, Hervorhebung im Text). Auch im Pfarrerblatt kommen Experten zu Wort, und system-
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1. Die Anrufung
theoretisch stellt sich hier die Frage der strukturellen Kopplung9 zwischen unterschiedlichen Wissenssystemen. Diskursanalytisch geht der Blick dahin, wie die „bersetzung“ geleistet wird und darber Ordnung hergestellt wird. Welche Hierarchisierungen sind erkennbar oder anders gesagt: Welches Wissen konkurriert, welches Wissen setzt sich durch? Tribunal des Marktes Im Deutschen Pfarrerblatt erscheint in Ausgabe 12/1995 ein Artikel von Dieter Becker unter dem Titel „Die Herausforderung der Zukunft. Anregungen fr eine marktwirtschaftliche Kirchenstruktur“. In Ausgabe 3/ 1996 antwortet der Gemeindepfarrer Albrecht Hußler in einem Leserbrief darauf. Dieter Becker ist im Pfarrerblatt ausgewiesen als Theologe, „auf eigenen Wunsch vom Pfarrdienst zurckgestellt“, und Inhaber einer „Agentur fr innovatives Management“, die „Organisationsplanung, Kommunikationsstrukturen und Trendsetzung fr Wirtschaftsunternehmen erstellt und realisiert“. Der Artikel, so wird in der Autorennotiz zustzlich bemerkt, „entspringt Erfahrungen aus kirchlichen und unternehmerischen Bereichen“. Diese Informationen kndigen den zweifachen Experten an, nmlich als mit theologischem und wirtschaftlich-manageriellem Wissen versehen, was in dieser Kopplung als „nicht-selbstverstndlich“ (s. o.) gelten kann. Aus diskursanalytischer Sicht weckt dieser Umstand Neugier im Hinblick auf die Frage, wie hier die theologischen und çkonomischen Diskurse aneinander angeschlossen werden. Becker vertritt die Dringlichkeit einer grundlegenden Strukturvernderung. Gleich zu Beginn wird deutlich gemacht, dass „wer sich heute mit der Organisationsentwicklung der ev. Kirchen beschftigt“, mit „Widerstnden“ zu kmpfen hat. „1. Es gibt eine Vielzahl von Nein-Sagern zu Reformen in den ev. Kirchen, die mit schein-theologischen Argumenten versuchen, den organisatorischen ,status quo‘ zu rechtfertigen. 2. Reformen bedeuten Machtverschiebungen. Und nichts scheint schlimmer zu sein, als der Verlust von Macht. Auch und gerade die heutigen Kirchen haben mit internen Machtfragen zu kmpfen. Seit den Jngerstreitigkeiten ber die persçnliche Machtfrage (Mt 20, 20ff par) ist dies eine gute kirchliche Tradition“ ( Becker 1995, 647). 9
Siehe dazu Bora (2001), Bode/Brose (2001).
1.1. Selbstfhrung durch Expertenwissen
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Die Debatte markiert also keineswegs den Anfang. Die diskursanalytische Beobachtung schaltet sich einfach in die schon begonnene Szene ein. Die Szene hat immer schon vor der Szene stattgefunden. Es scheinen schon Erfahrungen mit reformkritischen „Nein-Sagern“ vorzuliegen, die ihrerseits meinen, einen „organisatorischen ,status quo‘“ rechtfertigen zu mssen. Dies indiziert die Macht einer neuen, anderen, fremden Rationalitt, die auf ihre Weise Wahrheit beansprucht und, was bisher galt, in seinem Geltungsanspruch zumindest so verunsichert, dass Widerstnde evoziert werden. Diese beziehen sich nach Becker auf die Vernderung der Organisation der Kirche und werden vom Autor als „schein-theologische Argumente“ identifiziert. Becker gibt damit einen Einblick in die Ordnung dieses Diskurses, dass nmlich theologische Argumente organisationale Strukturen rechtfertigen und legitimieren kçnnen oder sie zumindest in diesem Zusammenhang aufgerufen und in Auseinandersetzung gebracht werden mssen. Der theologische/kirchliche Diskurs erfordert, so wird in dieser kurzen Sequenz schon deutlich, eine theologische Stellungnahme und Legitimation. Strukturvernderungen bzw. Beibehaltung von Strukturen mssen nicht nur, so ist zu erfahren, sie kçnnen auch theologisch legitimiert werden. Allerdings scheint noch offen zu sein, wie diese Argumente aussehen mssten. Die von den Reformgegnern in die Debatte eingefhrten Argumente sind es wohl nicht, denn sie werden von Becker nun nicht als falsch oder richtig oder als weniger und mehr berzeugend gewichtet, sondern als „schein-theologische“ Argumente. Sie gelten ihm gar nicht als theologische Argumente und kçnnen mit dieser Entscheidung gemß der Ordnung dieses Diskurses vernachlssigt werden, es bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung mit ihnen. Der Autor fhrt fort, indem er die wahrgenommene Lage als Konflikt von Machtfragen analysiert und mit dem Hinweis auf den biblischen Jngerstreit in eine historische Kontinuitt setzt. Das biblische Zitat und die Angabe der abgekrzten Bibelstelle setzt dieser Spezialdiskurs als Allgemeinwissen voraus. Eben in dieser vorauszusetzenden Bekanntheit erfllt das Zitat als „Kommentar“10 die Funktion einer Richtungsweisung. Der 10 Foucault (2001) fasst biblische Texte oder religiçse Formeln mit z. B. juristischen oder literarischen Texten zur Gruppe des Kommentars. „In allen Gesellschaften lsst sich eine Art Geflle zwischen den Diskursen vermuten. Zwischen den Diskursen, die im Auf und Ab des Alltags geußert werden und mit dem Akt ihres Ausgesprochenwerdens vergehen, und den Diskursen, die am Ursprung anderer Sprechakte stehen, die sie wieder aufnehmen, transformieren oder besprechen – also jenen Diskursen, die ber ihr Ausgesprochenwerden gesagt sind, gesagt bleiben, und noch zu sagen sind“ (ebd., 18). Diese Diskurssammlungen, „Dinge, die man
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1. Die Anrufung
Kommentar gehçrt zu den Prozeduren, mit denen ein Diskurs sich selbst kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert (Foucault 2001, 10 f ). Der Diskurs wird durch das biblische Zitat – nachdem er durch die Abwehr der theologischen Argumente gefhrdet schien – wieder gebndigt, er kennzeichnet sich durch das biblische Zitat als theologischer Diskurs. Das erlaubt den nchsten Schritt, nmlich das Versprechen einer Subjektkohrenz. Mit „Subjektkohrenz“ wird nun ein Begriff eingefhrt, der den Identittskonzepten (u. a. Keupp 1994, 1997) entliehen ist, hier aber in einer eigenen Bedeutung verwendet wird. Er soll in dieser wissenssoziologischen Perspektive den Vorgang beschreiben, der den positiven Anschluss an als bisher geltendes, bekanntes, aber auch zwar vergessenes doch erinnerbares Wissen des eigenen Diskurses herstellt. Es ist ein deskriptiver Begriff, der die Strategie mit dem Ziel der Selbst-Stabilisierung und Legitimisierung ber die Aktivierung von Wissensressourcen des eigenen Diskurses bezeichnet. Dass in der Kirche um Macht gestritten wird, ist keineswegs, wie auch denkbar wre, verwerflich, unethisch oder rgerlich, im Gegenteil, es ist eine „gute kirchliche Tradition“. Der Kommentar und seine zustzlich wertende berschreibung konstituiert das Phnomen als Kontinuum kirchlicher Eigenart. Mit diesem Ausblick auf die Subjektkohrenz ist fr den Autor das an dieser Stelle theologisch Notwendige zumindest soweit anschlussfhig gesagt, dass er darauf verweisen kann, die Priorittensetzung aus Dringlichkeitsgrnden nun anders setzen zu mssen: „Es geht um organisatorische Fragen und Anregungen zu bestehenden Kirchenstrukturen in Deutschland. Theologisch-ekklesiologische Aspekte stelle ich hinten an. Dies hat einfache Grnde. M.E. muss eine vçllig neue ekklesiologische Konzeption fr die Zukunft der Kirchen in Deutschland vorgelegt werden. Ich kann und will dies hier nicht tun. Die Beschrnkung auf Anregungen zur zuknftigen Kirchenstruktur entspringt aus der aktuellen Situaaufbewahrt, weil man in ihnen ein Geheimnis oder einen Reichtum vermutet“, gehçren zu den diskursinternen Ausschließungsprozeduren, die den Diskurs regeln und Ereignis und Zufall bndigen. Im Kommentar sind Primrtext und Sekundrtext in eine abstufige Relation geordnet. „Der Kommentar bannt den Zufall des Diskurses, indem er ihm gewisse Zugestndnisse macht: er erlaubt zwar, etwas anderes als den Text selbst zu sagen, aber unter der Voraussetzung, dass der Text selbst gesagt und in gewisser Weise vollendet werde. Die offene Vielfalt und das Wagnis des Zufalls werden durch das Prinzip des Kommentars von dem, was gesagt zu werden droht, auf die Zahl, die Form, die Maske, die Umstnde der Wiederholung bertragen. Das neue ist nicht in dem, was gesagt wird, sondern im Ereignis seiner Wiederkehr“ (ebd., 20).
1.1. Selbstfhrung durch Expertenwissen
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tion. Die finanzielle Basis der Kirchen bricht weg. Neue Organisationsformen werden umgehend nçtig. Die theologische Diskussion mçchte ich parallel oder im Anschluss gefhrt wissen“ (Becker 1995, 647 f ).
Die Totalitt des Subjektwechsels oder der „Anrufung“ wird nun offenbar. Eine „vçllig neue ekklesiologische Konzeption“ muss vorgelegt werden und „neue Organisationsformen werden umgehend nçtig“. Was bisher galt, so wird nahe gelegt, kann nun nicht mehr gelten. Allein die Abkrzung „M.E.“ erlaubt eine leichte Relativierung, ohne dass sie allerdings expliziert wird, und kann als Zugestndnis an den theologischen Diskurs gewertet werden. Auf die Kirche sieht der Autor also zwei grçßere Aufgaben der Selbstproblematisierung zukommen. Sie muss sich damit beschftigen, wie sie sich organisiert und wie sie dies theologisch begrndet tun will, dazu muss sie sogar eine „Konzeption“ „vorlegen“. Nun kçnnen diese grçßeren Aufgaben allerdings entkoppelt werden. Keineswegs mssen strukturelle Entscheidungen theologisch legitimierbar sein, sie kçnnen hinten an gestellt werden, weil anderes umgehend nçtig ist. Anstelle der Legitimation durch theologische Parametern steht der Appell und die Dringlichkeitsmahnung. Der Anschluss an den theologischen Diskurs verluft hier ber den Hinweis auf die Notwendigkeit der ekklesiologischen Diskussion zu diesen Fragen, der Anschluss an den çkonomischen Diskurs zugleich in dem expliziten Verzicht des Autors darauf, die theologische Diskussion selbst zu fhren. Diese zur Dringlichkeit mahnende Expertise ist durch den besonderen Wissensbestand qualifiziert, der aus der Kenntnis beider Bereiche des Theologen und des Inhabers einer Beratungsagentur rekrutiert wird. So will der Autor seine Anmerkungen auch im Sinne einer „Beratung“ verstehen, es soll um „Ideen“ und „Anregungen“ gehen. Auch ist an ein „Forum der ev. Kirchen“ gedacht, das „neue Visionen erarbeitet, glaubhaft diskutiert“ und „umsetzt“. Es wird deutlich, dass die „Herausforderungen der Zukunft“ der Kirche die Mhe abverlangen werden, sich in unterschiedlichen Verfahrensmodi mit sich selbst zu beschftigen, um zu richtigen Entscheidungen und Umsetzungen kommen zu kçnnen. Dabei erscheint die vom Autor als „Anregung“ angebotene Lçsung marktwirtschaftlicher Strukturen der Kirche allerdings als die einzig mçgliche Lçsung. Die dramatisierende Wendung deutet bereits an, dass die Wahl keine Wahl ist: „Die ev. Kirchen sind ein Anbieter in der Branche Religion. Ihre Ware, ihre Produkte und ihre Dienstleistungen sind religiçsen Ursprungs“ (…). „Die marktwirtschaftliche Prognose ist einfach: Die Kirchen mit ihren bestehenden Strukturen sind ein sterbender Marktriese in der Branche Religion, der durch
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1. Die Anrufung
das Instrument der Kirchensteuer noch, aber stetig abnehmend, am Leben erhalten wird“ (ebd., 648).
Die dramatische Lage wird nun vollends klar. Die Kirche als ein Konzern in der Dienstleistungsbranche Religion muss handeln, denn es geht um nichts weniger als um ihr Leben und ihren Tod. Die „marktwirtschaftliche Prognose“ ordnet den Diskurs auf Entscheidung hin. Die fr den Fortgang der Argumentation entscheidende Figur passt sich ein in die neue Subjektivierungs-Diktion: Die Kirche wird ausschließlich marktwirtschaftlich beschrieben und der Markt als das ber Leben und Tod entscheidende Tribunal angerufen. Der Artikel geht davon aus, dass der çkonomische Diskurs im kirchlichen schon ausreichend vorbereitet ist, so dass das Vokabular (Ware, Produkte, Dienstleistungen) durch eine quivalentsetzung angeschlossen („…sind religiçsen Ursprungs“) werden kann. Vor dem Hintergrund dieser Konstruktion kçnnen die Lçsungsstrategien nun prsentiert werden, die explizieren, welchen Verfahren der Selbstzurichtung sich die Kirche unterwerfen muss11, um den „Herausforderungen der Zukunft“ gewachsen zu sein. Der Artikel schließt, nicht ohne noch einmal eine dringliche Aufforderung auszusprechen. „Fatal ist es, wenn Kirche Marktwirtschaft oder Kapitalismus dmonisiert, whrend sie gleichzeitig vom kapitalistischen Wohlstand durch die Kirchensteuer lebt. Es liegt in den Hnden der kirchlichen Vertreter und auch der Mitglieder neue Wege zu wagen. Rckzugsgefechte bringen die ev. Kirchen nicht weiter. Gefordert sind Visionen und aktives Tun: auch im marktwirtschaftlichen Sektor“ (Becker 1995, 649).
Die Abwehr der Kritiker erfolgt nochmals, indem gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen mit dem Argument der Subjektkohrenz plausibilisiert werden. Diesmal erfolgt die Plausibilisierung nicht durch einen biblischen, sondern einen organisationalen Rckbezug. Die gngige Praxis der Kirchensteuer fungiert als Dispositiv dabei als das organisationale Scharnier, was die Bedeutungszuschreibungen einer Subjektkohrenz 11 Die zuknftige kirchliche Unternehmensform kçnne als „Franchising“ prospektiert werden. Der Rat geht dahin, „Expansionen“ vorzunehmen und „offene Angebote in den Markt“ zu bringen. – Die berufliche Zukunft des Pfarrers und der Pfarrerin wird als Teilzeit- oder nebenberufliche Ttigkeit anvisiert. „Sinnvoll erscheint der Versuch einer Verknpfung der pfarramtlichen mit einer wirtschaftlichen Ttigkeit (…)“. „Controlling gilt es fr die ganze Amtszeit zu gewhrleisten“. Um den Zusammenhang von Spiritualitt und Lebenswandel zu verdeutlichen, wird die Grndung neuer Orden vorgeschlagen (ebd., 649).
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erhlt. Marktwirtschaft und Kapitalismus einerseits und die Kirchensteuer andererseits werden als jeweils unhinterfragte und die Kirche auszeichnende Konstante symmetrisiert und konstruieren ein Legitimationsmuster, mit Hilfe dessen sowohl Kritiker abgewehrt als auch Verantwortliche angerufen werden kçnnen. Verantwortlich sind nicht wenige, denn nicht nur kirchlich Verantwortliche, die „Vertreter“, sondern alle, nmlich die „Mitglieder“ sind aufgefordert, „neue Wege zu wagen“. Der Regimewechsel, die Anrufung, erweist sich damit als eine in jeder Hinsicht umfassende Sache, dessen Wagnis sich niemand entziehen kann. Mit der Metapher der Anrufungsszene lsst sich hier zusammenfassen: Das Angesprochensein, der Appell wird gehçrt in der pekuniren Bedrohung. Die nderungserfordernisse werden befçrdert durch die Behauptung der Kohrenz durch den biblischen Verweis auf Machtstreitigkeiten und die als Dispositiv etablierte Kirchensteuer. Die Notwendigkeit, ekklesiologisch zu argumentieren, besttigt und ermçglicht so den Anschluss an den kirchlich-theologischen Diskurs. Zugleich wird aber eine Exklusion dadurch vorgenommen, dass diese als notwendig markierte ekklesiologische Grundlegung an anderer Stelle (Zeitfaktor) und von Anderen (Expertenfaktor) vorgenommen werden soll. Der mit doppelter Expertise ausgestattete Autor favorisiert selber eine andere Lçsung und ordnet das eigene Wissen als Expertenwissen auf bestimmte und spezifische Weise an, indem er dem betriebswirtschaftlichen Wissen die entscheidende handlungsstrukturierende Relevanz zuschreibt. Gericht Gottes Der Appell verhallt nicht ungehçrt. Der Gemeindepfarrer Albrecht Hußler (1996) reagiert mit einem Leserbrief, mit dem er mit „Gedankensplittern“ und „Eindrcken“ zu einer „erwnschten Diskussion“ beisteuern mçchte. „Den oben genannten Artikel habe ich mit großer Aufmerksamkeit und Dankbarkeit gelesen. Mittels einer klaren Sprache und Wortwahl erhellte sich die dramatische Sachlage der Kirche, wie ich sie selbst (als Pfarrer) erlebe. (…) Die sachliche Analyse unter wirtschaftlichem Blickwinkel finde ich fr die sehr weltliche Kçrperschaft Kirche sehr angemessen. Sie deckt die problematische Struktur dieser Kçrperschaft, wie sie auch mir erscheint, gnadenlos auf“ (Hußler, 1996, 133).
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1. Die Anrufung
Dem Organisationswissen des Beratungsexperten wird nun ein anderes Wissen gegenbergestellt, das sich durch die Person („ich selbst“) und die in Klammern hervorgehobene Berufsbezeichnung ausweist, das Authentizitt beanspruchende und sich darber legitimierende Erfahrungswissen des Pfarrers. Dieser interpretiert als beruflicher Experte nun seinerseits die Lage und bringt das Deutungsangebot Beckers mit der eigenen Wahrnehmung als „sehr angemessen“ in eine quivalenz. Denn anders als die von Becker erwhnten widerstndigen Reformgegner kann Hußler der Forderung nach Strukturvernderung viel abgewinnen, weil er in der von Becker skizzierten Lage zudem Gott selbst „am Werk“ sieht, „nicht in seiner Geduld und Gnade, sondern in seinem Richten“. „Bei dieser Herangehensweise aus sachlicher Perspektive geht es nicht um die Vergçttlichung marktwirtschaftlicher Strukturen, sondern darum, dass die Wirklichkeit ihr Urteil darber spricht, dass Kirche in berlebten Strukturen verharrt. In dieser Hinsicht gewinnen die schwer verdaulichen Aspekte der Zwei-Reiche-Lehre neue Bedeutung, die sagen, dass der gndige Gott auch mit weltlichen Mitteln, d. h. durch die Schrfe des ,Schwertes‘ und hier durch den Entzug der wirtschaftlichen Basis, seine Menschen zur Umkehr und in sein Reich fhren will“ (Hußler 1996, 133).
Hußler besttigt das von Becker beschworene Tribunal des Marktes und lçst, wie es den Eindruck hat, zugleich dessen Problem der theologischen Legitimierbarkeit. Dabei dient das theologische Theorem der Zwei-Reiche-Lehre als Mçglichkeit, die Gesetzmßigkeiten des Marktes als „weltliche Seite“ unter die der Herrschaft Gottes zu subordinieren. Eine „Vergçttlichung des Marktes“ (ebd.) kann abgewehrt werden, indem sie allerdings zugleich als „weltliche Seite“ und als „Mittel Gottes“ doch auch wieder divinisiert oder zumindest theologisch legitimiert wird: In ihnen ist ein Wille Gottes erkennbar. Das Tribunal des Marktes ist das Tribunal Gottes. Der „Sachlichkeit“ und „Nchternheit“ der Analyse Beckers sei es zu verdanken, die Kirche als „problematische Kçrperschaft“ und als in ihren Strukturen dem „weltlichen“ Reich zugehçrig erkennbar zu machen. Die „Sachlichkeit“ sieht Hußler darin, dass „keine dogmatischen Filter“ eingebaut seien, die den „Ausfhrungen ihre Schrfe nehmen“ (ebd.). Es ist gerade die von Becker vorgenommene nicht-theologische Perspektive, die hier gewrdigt wird. Das organisationale Expertenwissen verhilft in dieser Hinsicht dem systematisch-theologischen zur eigentlichen Anwendung und erçffnet erst den Blick auf den „Ernst der Lage“. Das organisationale/ betriebswirtschaftliche Expertenwissen ist das Wissen, das der Kirche erst
1.1. Selbstfhrung durch Expertenwissen
105
diese Form der theologisch geforderten Erkenntnis ber sich selbst ermçglicht und insofern der eigenen Wahrheitsfindung („Wirklichkeit“) dient. Die Selbsterkenntnis besteht nun darin, dass es „die Strukturen“ sind, die die Menschen „keinen Schritt der Kirche nher bringen“. „Die kirchliche Arbeit orientiert sich an denen, die von sich aus in ,traditioneller Hçrigkeit’ kommen, die damit eine andere Kultur als die aus der industriellen Arbeitswelt herausgebildete reprsentieren. Fr den Umgang mit traditionell anders geprgten Menschen bleibt Ratlosigkeit – oder die achselzuckende Bemerkung eines Oberkirchenrates mir gegenber, als ich ihn auf den Traditionsabbruch bei den durch Braunkohleabbau umgesiedelten Menschen ansprach: dann sei eben deren Glaube nicht stark genug gewesen…“ (ebd.,134).
Das von Becker vor Augen gefhrte Untergangsszenario, „die finanzielle Basis der Kirche bricht weg“, findet bei Hußler ein hnlich bedrohlich konnotiertes Pendant, wenn vom „Traditionsabbruch“ die Rede ist oder davon, dass die „Fhigkeit, mit diesem (entwurzelten) Personenkreis, der die Masse der Bevçlkerung ausmacht, neue Formen der Kirche zu finden, (…) bis heute gleich null geblieben“ ist (ebd., 134).
Nicht die pekunire Masse wie bei Becker, sondern die der Kirche fernbleibende Menschenmasse bildet hier den an Quantitten interessierten Referenzrahmen, der denselben Anlass zur Neuorientierung gibt, nmlich den, dass die Existenz der Kirche („gleich null“) auf dem Spiel zu stehen scheint. Nun gibt es zur Frage, wie mit dem Problem des Traditionsabbruchs umgegangen werden kann, neben dem Lçsungsmodell der kirchlichen Struktur noch eine Alternative. Sie findet sich in der Antwort des Oberkirchenrates, dass der „Glaube nicht stark genug gewesen“ sei. Doch diese Lçsung findet als alternative Logik keine Akzeptanz und weitere Aufnahme in den Diskurs. Dass dies so ist, verwundert, denn dieses Argument htte als theologisches Spezialwissen, als der zweite Teil der Zwei-Reiche-Lehre durchaus konsequent Einzug finden kçnnen, als das durch den Glauben regierte Reich Gottes. Darber hinaus htte es als ein durch eine kirchliche Leitungsposition (der Oberkirchenrat) autorisiertes Orientierungswissen durchschlagende Bercksichtigung finden kçnnen. Doch die Argumentation verluft hier anders, diese Alternative wird benannt, damit sie im nchsten Schritt abgewehrt werden kann. „Ich mçchte mich mit solchen Antworten nicht zufrieden geben und finde deshalb den Anstoß von Herrn Becker so wichtig. Es geht mir darum, in einen
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1. Die Anrufung
Lernprozess einzusteigen, der vermittelt, wie man Menschen im Industriezeitalter bzw. in der diesem nun folgenden Zeit kirchlicherseits gerecht wird“ (ebd., 134).
Nun wird deutlich, dass es nicht ausreicht, sich mit einem schwachen Glauben der anderen zu begngen und es auch nicht ausreicht, die ußerung einer kirchenleitenden Person als das das eigene Handeln orientierende Wissen zu adaptieren. Man muss selbst initiativ werden – und zwar in seiner personalen Verantwortung als Pfarrer. Wie schon Becker sieht auch Hußler die Notwendigkeit, aktiv zu werden. Was Becker von der Kirche im Allgemeinen sagt – sie msse sich ndern, Strukturvernderungen seien nçtig –, entdeckt der Gemeindepfarrer auf seine Person bezogen. Vor der Handlung kommt die Handlung an sich selber, nmlich in „einen Lernprozess einzusteigen“. Die Koformierung (Brçckling) kollektiver und individueller Subjektivierung deutet sich hier an. Was bisher bekannt und gewusst wurde, reicht nicht mehr, weder fr die Kirche noch fr den Pfarrer, auch ein Pfarrer muss sich auf eine Zukunft hin handlungsfhig machen. Bereits der Umstand, in einen Lernprozess einzusteigen, erçffnet neue Mçglichkeiten und beginnt schon damit, „sich anregen“ und „sich çffnen“ zu lassen. „Auch wenn in dem Beckerschen Artikel nur eine Seite von Kirche, nmlich ihre weltliche Verfasstheit beleuchtet wird, hat er doch sehr angeregt, sich den Erfahrungen der Wirtschaft unter dem Gesichtspunkt einer kritischen Lernbereitschaft zu çffnen“ (ebd., 134).
Noch einmal wird die Zwei-Reiche-Lehre als erkenntnisleitendes Paradigma aufgerufen, jedoch nur in relativer Gltigkeit und gleichzeitiger Unterminierung, indem auf die eine, die „weltliche“ Seite verwiesen wird. Die Argumentation subordiniert an dieser Stelle eine zweite Seite der Kirche, indem sie indirekt zwar benannt, aber nicht weiterverfolgt wird. Der Leserbrief schließt, indem die Dringlichkeit der Neuorientierung ber das von außerhalb des Diskurses eingebrachte Wissen nun auch noch einmal biblisch abgesichert wird. „Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klger als die Kinder des Lichts“ (ebd., 134).
Das biblische Zitat schließt den theologisch-kirchlichen Diskurs an, um ihn zugleich zu berformen und ihm eine neue Richtung zu geben. Mit diesem Votum abzuschließen, heißt der Beckerschen Analyse auch theologisch legitimiert recht zu geben. Es gilt etwas zu lernen und sich zu verndern.
1.2 Selbstfhrung durch Selbst- und Fremdbeobachtung
107
Abschließend lsst sich feststellen, dass der Appell ber eine andere Bedrohung vermittelt wird, nicht das Geld, sondern der Glauben nehme ab, doch trotz dieser Differenz gestaltet sich der Anschluss passgenau. Geld und Glauben werden als funktionale quivalente angeschlossen. Hußler leistet den von Becker noch ausstehenden theologischen Anschluss darin, dass ber die „Zwei-Reiche-Lehre“ Gott selbst als Subjekt des Geschehens markiert wird. Das betriebswirtschaftlich-managerielle Wissen wird als das theologisch geforderte Wissen identifiziert, was die tatschliche Wahrheit ber die Wirklichkeit der Kirche ans Tageslicht bringt. So wird es als dominant gesetzt und gert zum entscheidenden und die Handlung strukturierenden Wissen. Das theologische Postulat, sich selbst ungeschçnt erkennen zu sollen – hier grndet der Diskurs auf Vorstellungen von Snde, Beichte und Buße –, bedient sich eines durch markt- und betriebswirtschaftliche Logiken informierten Blickes. Dem Selbstverhltnis wird damit eine spezifische Form und Richtung aufprgt (Brçckling 2007, 32). So weit vorbereitet, luft die Lçsung darauf zu, sich dieses fremde Expertenwissen als das die persçnliche Handlung leitende anzueignen. Die Subjektivation schreibt sich darber weiter in den kirchlich-theologischen Diskurs ein.
1.2. Selbstfhrung durch Selbst- und Fremdbeobachtung: Monitoring und Accounting Allgemeiner Diskurs Susanne Krasmann legt im „Glossar der Gegenwart“ (Krasmann 2004) dar, dass, „was sich heute Social Monitoring nennt“, auf Verfahren beruht, die bis in die Kameralistik des 17. Jahrhunderts und die Sozialstatistik des 19. Jahrhunderts zurckgreifen. Monitoring als Beobachtungsverfahren wird in seiner Ergebniserzeugung und -dokumentation oftmals kombiniert mit kalkulativen Praktiken des Accounting (Miller 2007). Die mit diesen wissenschaftlichen, insbesondere statistischen Methoden des Rechnungswesens generierte Zukunftsprognostik erzeugt als eine Technik der Selbstbeobachtung eine mathematisch, an Quantitten orientierte Wahrheit ber sich selbst. Die Kalkulation, so zeigen Rose und Miller (nach Miller 2007, 36), sei einer der
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1. Die Anrufung
„eminentesten Modi, durch die Programme bersetzt und betriebsfhig gemacht werden kçnnen“. „Die alleinstehende Finanzzahl verleiht Dingen und Aktivitten nicht nur Objektivitt und Neutralitt, sondern macht diese Aktivitten auch dann vergleichbar, wenn sie sonst eher wenig miteinander gemein haben. Die alleinstehende Finanzzahl, so wie sie von den kalkulativen Routinen des Accounting produziert wird, vermag es, Akteure und Aktivitten in einen funktionierenden kalkulativen und programmatischen Gesamtzusammenhang einzubinden“ (Miller 2007, 36).
Die Wirklichkeit konstituierende Bedeutung solcher aus Beobachtung und Kalkulation kombinierter Verfahren wird deutlich an Phnomenen der Krankheit oder Kriminalitt, die im Licht der frhen Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung erstmals nicht mehr als individuelle Pathologien, sondern als „soziale Tatsachen“ (Durkheim) erscheinen. „Die Einsicht in ihre gesellschaftliche Regelmßigkeit erlaubte es, sie als Fragen der Bevçlkerungspolitik und der gesellschaftlichen Hygiene zu traktieren“ (Krasmann 2004, 168). „Monitoring“ steht im deutschen Sprachgebrauch nicht einfach als modisches Synonym fr Beobachtung, berwachung, berprfung oder Kontrolle, sondern kennzeichnet spezifische Programme, um Probleme zu regulieren und Menschen zu fhren. „Wie das Controlling, als Instrument der Kontrolle zur vorausschauenden Optimierung der Produktion in Unternehmen, ist auch das Monitoring, als ein Modus der vorwegnehmenden Sicherung, auf die Zukunft orientiert“ (ebd., 168). Monitoring ist mehr als nur das Zusammenstellen von Daten, ihm haftet „etwas Fiktives“ an. „Unter dem Imperativ, Fehlentwicklungen rechtzeitig zu identifizieren, wird die Gegenwart permanent mit zuknftigen Erwartungen, mit Spekulationen konfrontiert“ (ebd., 168). Mit Frhwarndiagnosen und Zukunftsszenarien versuchen Unternehmen, Risiken abzuschtzen und Krisen vorzubeugen12, mit Bildschirmberwachung wird „seit den 1990er Jahren nahezu flchendeckend in den semi-çffentlichen Rumen von Einkaufspassagen oder Transportsystemen“ (ebd., 169) eine hnlich vorwegnehmende Kontrolle installiert13. Monitoring setzt immer schon eine Ordnung voraus. 12 Vor diesem Hintergrund der vorauslaufenden Prognostik gestaltet sich 2009 auch der analytische Diskurs um die Finanzkrise: was alles im Vorfeld htte getan werden mssen und was unterlassen wurde, um sie zu verhindern und was deshalb zuknftig zu verhindern sei. 13 Krasmann (2004), 169 f: Wie beim Panopticum „signalisieren auch Videokameras eine ubiquitre Sichtbarkeit, die vom Potenzial lebt: Der Beobachter hinter der
1.2 Selbstfhrung durch Selbst- und Fremdbeobachtung
109
„Deshalb ist auch das Instrument der Meinungsumfrage als ein zentrales gesellschaftliches Steuerungsinstrument der Gegenwart so prekr. Es kommt demokratisch daher, indem die Bevçlkerung befragt wird zu ihrem Lieblingspolitiker, zu ihrer Lieblingssendung oder auch zu ihrem Lieblingsgetrnk. Das Ergebnis jeder Umfrage ist ein Meinungsbild und dies zugleich eine Form der Darstellung der Gesellschaft, die sich in diesem Instrument des Meinungsmonitorings selbst zhlbar, ausrechenbar und steuerbar macht. Die Demokratie gleicht einer Mediokratie, und die Gesellschaft wird zur Einheit eines souvernen Volkes synthetisiert, das sich in der Simulation der Meinungen reprsentiert sieht. (…) Politik wird ersetzt durch die Quote“ (ebd., 171).
Monitoring ist eine flexible wie flexibilisierende Technologie, denn sie erlaubt variable und vage Normvorgaben, die durch stndige Rckkopplungen immer wieder modifiziert werden kçnnen. Das Programm der Selbstoptimierung wird durch diese Technologie zu einer stndig wiederkehrenden Anforderung. Monitoring schafft keine Ordnung, sie steuert Unordnung und evoziert einen unaufhçrlichen Regulierungsbedarf. „Es ist auf die Abweichung fixiert, die es erkennen muss, um sie zu beherrschen“ (ebd., 171). Die ber diese Verfahren als objektiv und neutral erscheinend erzeugte Wahrheit kann im Zusammenhang von Selbstproblematisierung die Funktion einer Selbststimulation einnehmen. Um die dstere Prognose abwenden zu kçnnen, und dass dieses mçglich ist, luft als Versprechen immer mit, gibt es Lçsungen, beispielsweise wenn das schon erwhnte Impulspapier der EKD empfiehlt, „wachsen zu wollen“. Wissenschaftliche statistische Methoden sind nicht per se Selbsttechnologie, sie werden erst in der diskursiven Produktion durch die Verknpfung mit einer bestimmten Programmatik dazu.14 Im Folgenden soll Kamera bleibt ebenso unsichtbar wie seine Prsenz und auch die tatschliche Zahl der installierten Kameras ungewiss sind“. Es geht darum, „eine Ordnung auf ihre Kohrenz hin zu scannen. Auffllig wird so, wer diese Ordnung stçrt, die zu dechiffrieren indes jedem selbst berlassen bleibt“. Das angepasste Individuum wird nicht erst erzeugt, sondern schon vorausgesetzt. – Ausfhrlicher zu den Sicherheitsund berwachungstechnologien : Hempel/Krasmann/Brçckling (2011), Sichtbarkeitsregime. 14 Miller (2007), 37, bezogen auf den Stand der soziologischen Forschung zum Phnomen der kalkulativen Praktiken: „Zunehmend wird akzeptiert, dass wirtschaftliche Kalkulationen soziale Beziehungen gestalten sowie unsere Sicht auf uns selbst und andere beeinflussen. Jedoch ist die Wichtigkeit einer Analyse der Verbindungen zwischen Ideen und Praktiken der Kalkulation, zwischen Programmen und Technologien der Kalkulation, weitaus weniger fest etabliert. Das Zusammenspiel von Ideen und Praktiken, Programmen und Technologien er-
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1. Die Anrufung
gezeigt werden, wie Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen und Kirchensteuerkalkulationen zu Verfahren der Selbstfhrung werden. Spezialdiskurs Es ist nicht nur der externe oder fremde Experte, der den gesellschaftlichen Anschluss an den kirchlichen Diskurs herstellt. Auch der kircheneigene Experte macht den kirchlichen Diskurs zu einem Interdiskurs. Dies kçnnen Funktionspfarrer oder auch Kirchenvorsteherinnen sein, ber die Spezialwissen aus anderen diskursiven Feldern eingebracht wird.15 Auch der çffentliche Diskurs, hier verstanden „als politisch-argumentative Auseinandersetzungen ber gesellschaftliche Problemfelder, an denen sich, vermittelt ber die Massenmedien und diverse andere çffentliche Arenen die zivilgesellschaftliche ffentlichkeit beteiligt“ (Keller 2008a, 229), bestimmt diesen Diskurs. Das nun folgende Beispiel bezieht sich auf eine interdiskursive Produktion von Handlungsorientierung mit Hilfe von Zukunftswissen. Was sich hier zeigt, ist die durch und in der Presse sichtbar gemachte çffentliche diskursive Arena,16 die sich nicht nur mit der Frage beschftigt, wie Organisationen existieren, sondern auch ob sie zuknftig existieren werden. Die „Anrufung“ wird hier illustrativ kenntlich, denn in dieser Arena wird verhandelt, wer Zukunftschancen hat und wer zum „zurechenbaren Subjekt“ (Reckwitz) gerechnet werden kann. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen In der Januarausgabe des DTPF 1997 referiert Rdiger Schloz, Oberkirchenrat im Kirchenamt der EKD, seine Gedanken zu „Zukunftsperspektiven des Pfarramts“. Warum das Interesse an der Zukunft so ungeheuer entfacht ist, wird nicht expliziert, es kann allgemeine Plausibilitt mçglicht es jedoch erst, die Funktion verschiedener kalkulativer Praktiken fr die Regierung und Steuerung çkonomischen Lebens zu verstehen, und ist von zentraler Wichtigkeit fr eine Soziologie des Accounting, wenn sie denn berkommene Begriffe des Kontexts berwinden und eine Sicht auf kalkulative Praktiken als Selbstlufer vermeiden will“. 15 Zur „Sprecherposition“ siehe unter Teil 1, 5.2. und 5.3. „Allgemeiner Diskurs und Spezialdiskurs“. 16 Arenatheorie s. ebd.
1.2 Selbstfhrung durch Selbst- und Fremdbeobachtung
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beanspruchen. Die Zukunft steht bereits seit einigen Jahren im Mittelpunkt von Schloz’ berlegungen, denn schon 1995 und 1996 wurde dieser Vortrag vor dem Pfarrverband und einem Pfarrertag gehalten. Die Aufmerksamkeit fr die Zukunft findet sich also nicht nur bei Kirchenleitungen, sondern auch bei Pfarrkonventen. Außer hauptamtliche Theologen beschftigt die Frage eines mçglichen Endes der Kirche, des Glaubens oder der Religion seit langem auch die Printmedien, was im Pfarrerblatt in folgender Weise reflektiert wird: „Wohin treibt die Kirche? Kommt das Ende der Volkskirche in Sicht? Blickt man auf die Wellen, die der Pressesturm schlgt, so sieht man das Kirchenschiff vor seinem geistigen Auge schon kentern. Die Bundesrepublik sei dabei, zu einem ,heidnischen Land mit christlichen Restbestnden zu werden‘, resmiert der Spiegel das Ergebnis seiner so genannten ,Glaubensumfrage’. ,Lçst sich in Deutschland der Christenglaube auf ?‘, fragt die Sddeutsche Zeitung. Selbst die sonst so nachdenkliche ZEIT strickt mit am Krisenszenario fr die Volkskirche: Unter der berschrift ,Die Kathedralen sind leer, die Kassen voll. Der Konzern ist groß, der Glaube klein‘ wird das sattsam bekannte Leitmotiv variiert, der Kirche liefen die Mitglieder in Scharen davon, und was brig bliebe, sei ein brokratischer ,Wasserkopf‘, der reglosen Mitgliedern religiçse Dienstleistung erbrchte“ (Schloz 1997, 12).
Als zurechenbares und zukunftsfhiges Subjekt, so ist ber den Handel in der diskursiven Arena zu erfahren, zhlt eine Kirche, die mindestens zwei Kriterien erfllt. Sie muss zahlreiche und zugleich aktive Mitglieder haben. Kriterium fr die Erkennbarkeit eines aktiven Mitglieds ist, dass es als Kirchenbesucher sichtbar ist. Den zitierten Presseberichten zufolge liefert dieses Kriterium zugleich Ausknfte ber den Glauben des Kirchenmitglieds. Kirchenmitgliedschaft, aktive Mitgliedschaft, Kirchenbesuch und Glaube werden hier dergestalt in eine Abhngigkeit gebracht, dass sich Beobacht- und Beurteilbarkeit von Glauben an sicht- und messbaren Gottesdienstbesuch bindet. Die quantifizierbare, messbare Prsenz wird als Indiz fr qualifizierende Aussagen genommen. Die Erwhnung von Umfragen und messbaren Daten besttigt die Bedeutung dieser Beobachtungsinstrumentarien fr die Beschreibung einer çffentlich anerkannten Wirklichkeit. „Numbers are a part of techniques of objectivity“ (Rose 1999, 199). Die objektivierenden Techniken mathematischer Rationalitt werden in diesem Zusammenhang zugleich zu Techniken der Bemessung von gesellschaftlicher Wirkmchtigkeit des kollektiven Akteurs. Diese medial çffentlich dargestellte Meinung ber die Kirche wird nun kirchlicherseits zur Herausforderung. Die Kritik des Autors bezieht sich nicht auf den Umstand, dass so gemessene Ergebnisse gleichzeitig Aussagen ber Glaubensinhalte zu
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1. Die Anrufung
rechtfertigen scheinen. Im Gegenteil, den in den Pressemitteilungen referierten Ergebnissen gibt Schloz zunchst Recht, indem er von diesen Zahlen eine „Dauerfrustration“ innerhalb der Kirche ausgelçst sieht. Doch so fragt er: „Rechtfertigen diese Tatsachen wirklich die Stimmung eines rapiden Niedergangs?“ (Schloz 1997, 12). Zur Beantwortung lautet die Botschaft: Die Kirche wird nicht nur von anderen beobachtet, befragt und ausgewertet, sondern auch von sich selbst, und dies nicht nur in subjektiver Einschtzung von „Alltagserfahrungen“, sondern auch mittels objektivierender Techniken. „Die Evangelische Kirche in Deutschland hat seit 1972 jeweils im Abstand von 10 Jahren drei große Untersuchungen ber Kirchenmitgliedschaft durchfhren lassen, die letzte im Herbst 1992“ (ebd., 12).
Kirchensoziologische Erhebungen, so wird aufgeklrt, „haben auch den Zweck, unsere eigene Wahrnehmung von der Wirklichkeit zu berprfen und ggf zu korrigieren. Es kçnnte ja sein, dass sich auch in unseren Kçpfen Bilder festgesetzt haben, die gar nicht zutreffen“ (ebd.).
Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen erhalten in diesem Zusammenhang eine neue und unerwartet prominente Stellung. Sie konkurrieren nun mit anderen nicht-kirchlichen Untersuchungen um die „richtige“ Wirklichkeitsbeschreibung, kçnnen als Ausweis dieser objektiven Wahrheit in den çffentlichen Diskurs ber die Kirche eingebracht werden und so korrigierend und beruhigend auf den „Pressesturm“ einwirken. „Die Ergebnisse der Reprsentativerhebung 1992 haben einige berraschung ausgelçst. Auch wir standen ja unter dem Eindruck der aufgeheizten çffentlichen Diskussionen ber Kirchenaustritte und Kirchensteuer, unter dem Eindruck der Untergangspropheten und hatten erwartet, dass sich diese (…) Stimmungslage in den Ergebnissen der Umfrage niederschlagen werde. Dies ist nicht der Fall. Im Gegenteil. Insgesamt, so muss man sagen, ist die Stimmung der Mitglieder ihrer Kirche gegenber freundlicher als erwartet, ja, ist die Zustimmung zur Kirche im Verlauf der letzten zwanzig Jahre in manchen Bereichen eher gewachsen. (…) Nur 1 % – vier Prozentpunkte weniger als vor zehn Jahren – geben an, sobald wie mçglich austreten zu wollen. Fr 5 % ist der Austritt nur noch eine Frage der Zeit – dieser Anteil ist fast gleich geblieben. (…) Von einer lawinenartig sich vergrçßernden Austrittsbereitschaft kann also nicht die Rede sein. (…) Es gibt also eine durchaus freundliche Grundstimmung der Kirche gegenber; die allermeisten denken nicht daran, der Kirche den Rcken zu kehren“ (ebd. ,12 f ).
Das Instrument der Kirchenmitgliedschaftsbefragungen erzielt andere Ergebnisse und der Hinweis, dass es dies „berraschend“ tut, kann geradezu als Ausweis seiner Objektivitt gelesen werden. Dabei ist die unausge-
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sprochene bereinkunft mit den brigen im gesellschaftlichen Diskurs vertretenen Presseberichten, dass die ber quantifizierende Aussagen zu erfassende Wirklichkeit diejenige ist, die andere Wahrnehmungen von Wirklichkeit „korrigieren“ kann und insofern prioritr zu deuten ist. Zahlen vermitteln den Eindruck von richtiger, maßgeblicher Wirklichkeit. Die Auswertungen der KMU parieren auf Augenhçhe mit anderen in der diskursiven Arena ausgetauschten Zahlenspielen und prsentieren eine fr die Kirche positive Botschaft. Das in der medialen ffentlichkeit hergestellte Untergangsszenario, dass „der Kirche in Scharen Mitglieder weglaufen“, kann durch eigene Analysen – 1 Prozent – widerlegt werden. Kirchensteuerprognosen Nun kçnnte erwartet werden, dass mit dieser rationalittskonformen Replik die weitere Argumentation in ruhigen Bahnen verlaufen kçnnte, schließlich prsentiert sich die Kirche mit ihren Mitgliedern als keineswegs erfolgloser Agent. Doch es gibt keinen Grund zur Beruhigung. Die Argumentation nimmt eine andere Wendung. „Nach der demoskopischen Sicht auf die Meinung der Leute nehmen wir nun das Fernglas zur Hand und blicken, so weit das geht, in die Zukunft der Kirche“ (Schloz 1997, 13).
Zukunft kann nicht prophezeit werden, sie muss statistisch und mithilfe demografischer Daten vorausberechnet werden: „Solche vorausschauenden berlegungen werden auch von intelligenten Leuten lustvoll entwertet und durch den Kakao gezogen, weil Prognosen doch schon so oft geirrt htten. Diese Schçnredner halte ich fr frivol, denn verantwortliches Planen und Haushalten muss sich trotz aller Unwgbarkeiten, Unvorhersehbarkeit und Irrtumsanflligkeit auf die jetzt absehbare Entwicklung einstellen. ber Wunder wird man gegebenenfalls entzckt sein, aber man darf nicht mit ihnen rechnen“ (ebd., 14).
Auch hier wird wie schon bei Becker in vorauseilender Wachsamkeit mit Kritikern und Gegnern gerechnet. Wer in der Kirche Prognosen aufstellt, muss verteidigen, dass er sie macht. Die kircheninterne Kritik richtet sich nach dieser Auskunft darauf, dass Prognosen nicht die Wirklichkeit abbilden, die sie vorgeben abzubilden. Ihr Wahrheitsanspruch wird ganz offenbar angezweifelt. Doch es geht hier, so ist zu erfahren, um etwas anderes, nmlich um „verantwortliches Planen und Haushalten“. Dies erfordere ein anderes
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1. Die Anrufung
Wirklichkeitsverstndnis als Schçnredner und Wunderglubige es haben, es gehe um ein spezifisches Wirklichkeitsverstndnis, nmlich „die jetzt absehbare Entwicklung“. Galt es bisher als Zeichen ausschließlich çkonomischer Bereiche, dass nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft verantwortlich und rational geplant werden soll, so wird diese Rationalitt nun auch hier als eine fr die Kirche notwendige vorausgesetzt. Unter dem Aspekt der Veridiktion ist aufschlussreich, dass nicht nur die Planung und Planbarkeit als notwendig anerkannt, sondern die Unverfgbarkeit als Element dieses Planungsprozesses eingefgt wird. Gerade obwohl und weil die Zukunft unverfgbar ist, muss sie geplant werden. Geplant werden soll geradezu in dem Bewusstsein, dass es keine Zuverlssigkeiten gibt. Das ist das eigentliche Risiko, das es auf sich zu nehmen gilt. Denn es steht viel auf dem Spiel. Was auf dem Spiel steht, nmlich die absehbare Entwicklung, muss mit Prognosen allerdings erst hergestellt werden17. Auf den Seiten des Pfarrerblattes (Schloz 1997, 14 f ) finden sich nun drei Skalengrafiken großflchig angeordnet. Fr das Pfarrerblatt ist es ein eher unbliches Layoutverfahren, Zahlenskalen in den Text aufzunehmen und sie das Erscheinungsbild bestimmen zu lassen. Bevçlkerungsvorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes und landeskirchliche Statistiken ber Mitgliedschaften von 1992 bis 2040 und die Zahlen der Mitarbeiter/innen der verfassten Kirche werden aufgelistet. Die Bevçlkerungsentwicklung und die zu erwartende Kirchenmitgliedschaft werden in einer Tabelle dokumentiert. Eine weitere Tabelle listet die Zahl der Kirchenmitglieder, Kirchengemeinden, Kirchenmitglieder pro Gemeinde und die Kirchenmitglieder pro „TheologIn im aktiven Dienst (Pfarrerdichte)“ (ebd., 15) auf. Die Zahlengrafiken stellen darin eine eigene, von ihrem diskursiven Kontext unabhngige abgeschlossene Aussage dar, die darin besteht, dass hier Objektivitt reprsentiert wird. Der Umstand, dass drei oder vier Faktoren quantifizier-, codier- und miteinander in einer spezifischen Ordnung kombinierbar sind, ist dabei die entscheidende Aussage.18 Diese Ordnung beansprucht als wissenschaftli17 Knoblauch/Schnettler (2005), 34: „Sofern es sich nicht um Fortschreibungen auf der Grundlage von Konstanzannahmen handelt, kçnnte man vermuten, dass Prognosen nur dann prognostisch sind, wenn sie die Kommunikation sowohl entscheidend leiten wie auch auf der schon laufenden Kommunikation aufbauen. Prognosen htten dann eine Grundstruktur, die der von self-full-filling prophecies (Merton 1995) hnelt“. 18 Vormbusch (2007), 57ff: spricht in diesem Zusammenhang von Verfahren des „Rechenschreibens“ und stellt fest, dass vor dem „Hintergrund der Steuerungs-
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ches, methodisches und durch Experten und Autoritten (Statistisches Bundesamt) legitimiertes Wissen objektive Gltigkeit. Gleichwohl bedarf es noch einer handlungsleitenden Orientierung. „So ist pauschal damit zu rechnen, dass in einer Generation, d. h. im Jahre 2030, deutlich weniger als die Hlfte derjenigen, die heute die Finanzierung der Kirche tragen, dafr in Frage kommen. Ein Pfarrer oder eine Pfarrerin kostet die Kirche nach heutigem Geldwert von der Beamtung bis zum Ende der Versorgungspflichten rein rechnerisch im Schnitt rund sechs Millionen Mark. So kann man sich leicht abfingern, was die beschriebene Entwicklung in 30, 40 oder 50 Jahren finanziell bedeutet“ (ebd., 14).
Nun erweist sich, dass die Zahlen als Garanten von Objektivitt ein Wissen ber Wirklichkeit vermitteln, das eine dstere Zukunftslandschaft verkndet. Der Pfarrer wird aufgerufen, selber „ab(zu)fingern“ und kann sich selbst als Kostenfaktor der Kirche errechnen und das Rechenergebnis als Auskunft ber seine zuknftige Existenz deuten. Er hat damit teil an diesem allgemein gltigen mathematischen Wissen19 und kann sich selbst und seinem Resmee berlassen werden, weil erwartet werden kann, dass er die richtigen Schlsse zieht. Er kann damit selbst entscheiden, ob diese Wahrheit Relevanz und, wenn ja, welche sie fr ihn hat. Damit kçnnte die Argumentation jetzt schließen. Doch sie tut es nicht, weil nicht sicher erwartet werden kann, dass der Pfarrer die richtigen Schlsse zieht. Wort Gottes-Prognosen Eine weitere Argumentationskette schließt sich an und weitet den Blick in die Zukunft noch einmal neu. „Wechseln wir nun die Brennweite der Linsen, durch die wir blicken, vom Fernglas sozusagen zur Nahbrille fr das Kleingedruckte: auf den Alltag des Pfarrers und der Pfarrerin mit seinen Nçten, ngsten, Ratlosigkeiten, aber auch Freuden, Befriedigungen und Bedrckungen“ (ebd., 14).
anforderungen moderner kapitalistischer Gesellschaften eine gesellschaftliche Verallgemeinerung dieser Formen des Rechenschreibens in Gestalt soziokalkulativer Praktiken“ zu beobachten ist. Solche „soziokalkulativen Praktiken“ sind auf der Ebene der Kulturtechniken auf die Verbreitung „kalkulativer Lesefhigkeiten“ angewiesen. – Zur Funktion von bildlichen Elementen im diskursiven Zusammenhang: Maasen/Mayerhauser/Renggli (2006) und darin: Link (2006a, 53ff ) und Mayerhauser (2006), vgl. auch Link (2006b). 19 Mennicke/Vollmer (2007), Vormbusch (2005).
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1. Die Anrufung
Es ist nmlich, wie sich herausstellen wird, nicht nur der durch den Kostenfaktor konstellierte Pfarrer bedroht. Es geht um weit mehr. Um dies zu verdeutlichen, gehen die Ausfhrungen des Vortrages nun dazu ber, die im Pfarralltag beobachtbaren Phnomene wie „berforderung“ durch widersprchliche und „plurale Anforderungen“ in einem lngeren geschichtlich-hermeneutischen Passus als Ergebnisse einer historischen „Machtverschiebung“ zu analysieren. „Die Kirche war im landesherrlichen Kirchenregiment eine Hoheitsmacht wie der Staat, die Pfarrer zhlten zu den Honoratioren, verfgten ber Autoritt, das ist verdolmetscht: Vollmacht. An die Stelle der Hoheitsmacht und der Vollmacht sind jedoch andere Mchte getreten: Zunchst Medien, insbesondere das Fernsehen, und die durch sie erhçhten Mchte Pop und Sport, sodann die Emanzipationsprozesse durch die Bildungsexplosion, die Demokratisierung und die zunehmende Gleichstellung der Frauen, schließlich die Pluralisierung und Individualisierung im Zuge der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Gesellschaft und Emanzipation“ (ebd., 15).
Diese „Machtverschiebung“ erklre viele Erfahrungen, die „wir alle machen kçnnen“, und sie habe nicht nur Bedeutung fr den Beruf des Pfarrers, sondern auch fr das „Wort Gottes“. Diese nchste Steigerungsstufe zu beschreiben, bedarf es des Rckgriffs auf die systematisch-theologische Expertise.20 Danach wirke vor dem Hintergrund der „Unterhaltungsexplosion“ das Wort Gottes auf „viele einfach langweilig“ und vor dem Hintergrund der „Bildungsexplosion“ als „berholt“. „Schließlich erleben wir vor dem Hintergrund der Emanzipation die Schwierigkeit, als Pfarrer/innen fr das Wort Gottes einzustehen, in dessen zentraler Funktion zu binden und zu lçsen. (…) Das biblische (…) Ethos bildet nur noch schwach und latent ein Rckgrat unserer demokratischen, sozialen Rechtsstaatlichkeit (…)“ (ebd., 15).
Nun wird deutlich, dass es nicht nur um die pekunire Bedrohung des Pfarrberufs geht, sondern um die Bedrohung der „zentralen Funktion“ des Berufes, noch mehr, auch die Bedeutung des biblischen Ethos fr die demokratische Rechtsstaatlichkeit erodiert. Das umfassende diachrone Monitoring ber Statistiken, in denen Vergangenheit und Gegenwart zusammengefhrt werden und der Blick in die Zukunft „abgefingert“ werden kann, wiederholt sich hier in der sozial- und kirchengeschichtlichhermeneutischen Expertise. Die Untergangssemantik von Schwche, Latenz und Wirkungslosigkeit stellt ein Pendant zu den Sulengrafiken in der Relation Gesamtbe20 Mit Bezug auf Ausarbeitungen von Michael Welker (ebd., 15).
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vçlkerung/Kirchenmitglieder dar. Dort wie auch hier, so wird ber die Text-Grafik-Komposition bedeutet, geht es um „objektive Wahrheit“. Die mathematische und theologische Expertise, diese ebenfalls zustzlich legitimiert durch eine weitere wissenschaftliche Expertise, bilden so eine machtvolle Problematisierungsleistung, vor der nun die Lçsung gefunden werden kann. Sie besteht, wie noch in spteren Kapiteln zu zeigen sein wird, in dem „Pfarrer von morgen“, der sich mit theologischer, missionarischer, kybernetischer Kompetenz in der Marktsituation, „in der man konkurrieren, berzeugen und sich behaupten muss“, bewegt zwischen „dem Archaischen und dem religiçsen Abenteuer“ (ebd., 17). Zusammenfassend ergibt sich folgender Befund: Zahlen einschlgiger Statistiken einerseits und die Wirkung des Wortes Gottes andererseits werden symmetrisiert in ihrem defizitren Charakter. ber die Symmetrisierung von Schwche und Latenz im diachronen Zahlenspiel und theologisch-hermeneutischer Rekonstruktion wird der interdiskursive Anschluss hergestellt. Die Antwort auf die Anrufung durch die Arena wird so eigensinnig vollzogen und ihr in ihrem Resultat Recht gegeben, nmlich der Quantifizierbarkeit qualitativer Sachverhalte. Die monitorierenden und kalkulativen Verfahren erweisen sich in der programmatischen Verknpfung als Verfahren der Selbstfhrung, indem sie den Ruf nach neuen Lçsungen evozieren und damit die Subjektivation vollziehen. Die Lçsung des so konstruierten Problems besteht hier in der Neuentwicklung des Berufsbildes des Pfarrers. Beobachtung der Anderen und sich messen Szenen der Anrufung oder Subjektivationsprozesse werden in unterschiedlichen Differenzierungsgraden vollzogen, der Prozess der Veridiktion verluft nicht zeitlich linear, sondern eher zufllig. Whrend in den vorherigen Beispielen der Schwerpunkt darauf lag zu zeigen, wie Zukunftswissen ber sich selbst rekrutiert wird und wie sich dieses als das eigene Handeln leitende plausibilisiert, wird mit dem nchsten Beispiel ein anderer Einarbeitungsgrad deutlich. Auch hier ist es Expertenwissen, das als Zukunftswissen auf spezifische Weise eingebracht wird. In seinen „Thesen zu den Herausforderungen der Kirche in der religiçsen Landschaft“ (Nchtern 1997) sieht Michael Nchtern von der Evangelischen Zentralstelle fr Weltanschauungsfragen die Notwendigkeit von Klrungsprozessen ber ein neues kirchliches Selbstverstndnis schon nicht mehr in Frage gestellt. Im Gegenteil macht er darauf aufmerksam,
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dass zu einem gelingenden Prozess eine bestimmte Form der Wissensgenerierung gehçrt. „In allen Landeskirchen gibt es intensive Spar- und Strukturdiskussionen. Es gengt jedoch nicht, neue Leitbilder aus den Traditionen oder den Idealen bestimmter kirchlicher Gruppen zu aktivieren. Der Klrungsprozess ber ein neues kirchliches Selbstverstndnis muss eine fundierte Analyse der religiçsen Großwetterlage einbeziehen“ (ebd., 494).
Nicht nur die Selbstbeobachtung durch beispielsweise die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen ist erforderlich, sondern auch die Beobachtung der Umwelt. Warum eine solche Analyse berhaupt notwendig ist, darber gibt die nur scheinbare Alternative Auskunft. „Will die Kirche nicht nur Opfer anonymer gesellschaftlicher Entwicklungen, sondern aktive, strategisch denkende Mitspielerin sein, muss sie auf die großen Krfte achten, die die religiçse Landschaft verndern“ (ebd.)
Die Alternative, die sich auftut, ist die zwischen Opfer und Mitspieler und erweist sich eher als rhetorische Figur denn als echte Alternative. Es geht darum, Einfluss zu nehmen auf die „großen gesellschaftlichen Entwicklungen“, und es wird zugleich davon ausgegangen, dass dies auch geht, unter der Voraussetzung, dass sich die Kirche als „aktive, strategisch denkende“ Mitspielerin konstituiert. Zu diesem Spiel, und ein Spiel assoziiert Freiwilligkeit und die Chance zu gewinnen, gehçrt die Beobachtung der Mitspieler. Wer Einfluss nehmen will, muss beobachten. Die „religiçse Großwetterlage“ kann mit dem auf Beobachtungen beruhenden Expertenwissen nun demonstriert werden. „Vor allem im Bereich der (alternativen) Therapie und der Lebensbewltigungshilfen hat sich ein Markt entwickelt, in dem Religiçses eine Rolle spielt. Spiritualitt wird als Mittel der Lebensbewltigung und Lebenssteigerung, Buddhismus zum besseren Business angeboten, Esoterik ist in jeder Buchhandlung eine Wachstumsabteilung. 18 Milliarden DM – mehr als die Kirchensteuereinnahmen der evangelischen und katholischen Kirche zusammen – sollen in diesem Bereich pro Jahr umgesetzt werden“ (ebd.).
Nun wird deutlich, dass die Argumentation sich im marktorientierten Denken befindet und das Spiel das Spiel des Marktes und des Wettbewerbes ist. Die Symmetrisierung von „Kirchensteuereinnahmen“ und „Umsatzquoten“ durch den Zusammenschluss in einem Vergleich konstituiert die Kirche mit den Buchangeboten zu gleichrangigen Mitspielern auf dem Markt. Mit dem Vergleich wird erst die Vergleichbarkeit als eine unter Marktteilnehmern erzeugt und erst damit die Problematik als eine Problematik konstruiert, die es zu lçsen gilt.
1.2 Selbstfhrung durch Selbst- und Fremdbeobachtung
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„Die entscheidende Frage ist, wie sich die Kirchen zu diesen elementaren religiçsen Sehnschten verhalten sollen. Wenn sie sie nicht wahrnehmen, werden sie sich zu partikularen, vorwiegend ethisch orientierten Gemeinschaften entwickeln. Wenn sie sich ausschließlich und naiv an ihnen orientieren, werden sie zu einer der mçglicherweise problematischen Gruppen auf dem Markt, die religiçse Sehnschte fr ein bestimmtes Milieu erfllen“ (ebd., 495).
Der Markt entscheidet ber die zuknftige Existenz der Kirche. Mit der Prognostik wird zugleich das Tribunal heraufbeschworen, denn sie konstelliert eine Wahlmçglichkeit, die so oder so ber eine Form der Zukunft entscheidet, die bedrohlich erscheint, weil sie in jedem Fall eine nur partikular wirkende Organisation zur Folge htte. Die Partikularitt ist eine doppelte, in ihrer inhaltlichen Ausrichtung („ethisch orientiert“ bzw. „religiçse Sehnschte“) und in ihrer gesellschaftlichen Segmentierung („Gemeinschaften“ bzw. „bestimmtes Milieu“). Warum eine nur partikular wirkende Kirche jedoch bedrohlich ist und abgewendet werden muss, bedarf in diesem Kontext keiner weiteren Plausibilisierung, im Gegenteil wird dies – im Sinne eines unsichtbaren Dialogs21 – als evident vorausgesetzt. Wie sieht nun die Lçsung aus? Die Kirche muss sich nicht nur, sondern, und dies ist die gute Botschaft, sie kann sich auch als aktiver Mitspieler einbringen. Zu dieser Lçsung gelangen die Ausfhrungen Nchterns, weil sie ein anderes kalkulatives Verfahren des Monitoring diskursiv programmatisch verknpfen, die vergleichende Messung, wie sie beispielsweise im Benchmarking als prognostizierende Methode der Marktregulierung oder in der SWOT-Analyse22 begegnet. „Gerade wenn man sich mit so genannten Sekten und neuen religiçsen Bewegungen befasst, werden Strken großer kirchlicher Organisationen sichtbar. Diese Strken liegen in der Organisation mit geregelten Ablufen, in der Rechenschaft ber Finanzen, in der Mçglichkeit von Beschwerden, in der Mitbestimmung und in der Transparenz von Entscheidungen“ (ebd., 495).
In einer Strken-Schwchen-Analyse wird die Kirche einem Monitoring unterzogen. Dabei wird marktwirtschaftlich-betriebswirtschaftliches Wissen als zentral gesetzt, indem es die Kirche in spezifischer Weise ana21 Foucault (1981): Aussagen beziehen sich damit auf ein darunter liegendes Aussageniveau; Nassehi (2009) spricht von den „empirischen Geistergesprchen“ in der Arena. 22 Die SWOT-Analyse gilt betriebswirtschaftlich als Instrument des strategischen Managements; das Akronym steht fr: Strengths (Strken), Weaknesses (Schwchen), Opportunities (Chancen) und Threats (Gefahren).
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lysiert, nmlich als Organisation auf ihre Wettbewerbstauglichkeit hin. Die Bilanz fllt positiv aus. Der Vergleich konstruiert wieder die Konkurrenzsituation, jetzt aber in der Weise, dass die Kirche als starker Mitspieler hervorgeht, indem die Grçße ihrer Organisation und die „Strke ihrer Botschaft“ sie als eine „verlockende Adresse“ (495) und damit als adquaten und potenten Marktmitbewerber zeichnet, zudem noch als einen, der aufgrund seiner Grçße einen Wettbewerbsvorteil hat. Weil die Kirche sich aber nicht auf die Subjektvorstellung einer Organisation reduzieren lassen kann, muss sich das Monitoring auch auf andere Programmatiken beziehen lassen. „Die Strke der Volkskirche ist die Flle der Begabung, die Vermittlung von Distanz und Nhe, von Religion und gesellschaftlicher Verantwortung“ (ebd., 495).
Diese andere Subjektvorstellung wird mit dem Stichwort der „Volkskirche“ markiert, das sich nur schwer mit dem Akteur in der marktorientierten Arena vermitteln lsst, wonach die Strke der Kirche gerade nicht in ihrer Konkurrenz- und Wettbewerbsfhigkeit, sondern in der Koexistenz von mçglichen Widersprchen besteht. Weil die Kirche aber nicht nur Volkskirche ist, sondern eine Botschaft hat, wird auch diese, das Evangelium, in einer Strken-Schwchen-Analyse einer Prfung unterzogen. „Ihre Strke ist die Botschaft des Evangeliums, mit der sie gegenber den so genannten Sekten an das Recht der Verbindlichkeiten dieses Lebens und gegenber der religiçsen Aufladung des Innerweltlichen (also gegenber dem vermeintlichen Himmel auf Erden) an ein Heil erinnert, das Gabe und Geschenk, und damit nicht Anstrengung und Zwang bewirkt, sondern echte Gelassenheit“ (ebd., 495).
Die mit dem Hinweis auf das Evangelium vermittelte Logik msste sich jeglichem Wettbewerbs- und Konkurrenzdenken gegenber widerstndig zeigen, wenn sie auf ein Heil rekurriert, das als Geschenk und Gabe einer menschlichen Verfgbarkeit entzogen ist und menschliches Handeln dispensiert von der grundstzlichen Mçglich- und Notwendigkeit, eigenes Heil herstellen zu mssen bzw. zu kçnnen. Der Kampf der Logiken in ihrer Gleichzeitigkeit ist hier zu beobachten, genauso wie allerdings auch seine gleichzeitige Domestizierung in der Unterordnung unter die marktwirtschaftliche Logik, die das Gesamtmonitoring im Blick auf die Wettbewerbsfhigkeit steuert. Die unterschiedlichen programmatischen Logiken werden in dem Messverfahren vereinheitlicht und prgen damit dem Subjekt Form und Richtung auf. Das
1.2 Selbstfhrung durch Selbst- und Fremdbeobachtung
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Analyseverfahren erweist sich damit als Verfahren der Selbstfhrung, die nun weitere Handlungserfordernisse evoziert. „Unternehmerisch heißt: Wo Kirche in Konkurrenz steht, wird die Qualitt der Dienste auf allen Ebenen wichtig. Wo Kirchenmitgliedschaft nicht mehr selbstverstndlich ist, wird projekt- und zielorientiertes Handeln unumgnglich“ (ebd., 495).
Das Bild einer zuknftigen Organisation wird ausgemalt, das es zu erreichen gilt und das es lohnt, erreicht zu werden. „Eine Kirche, die die religiçsen Fragen und Bedrfnisse auf die eigene Tradition bezieht und so zu deren Kultivierung beitrgt, wird spirituell, vielfaltsfreundlich und unternehmerisch (oder çffentlich ausstrahlungswillig und -fhig)“ (ebd., 495).
Das Beobachtungswissen erhlt die Qualitt von Zukunftswissen, das so vor Augen gestellt mit der unternehmerischen Kirche eine neue Subjektvorstellung konstituiert. Die Herausforderung ist auch hier wie schon in den vorherigen Beispielen eine zwingende – sie ist „unumgnglich“, umfassend, bewegt sich „auf allen Ebenen“. Die Kirche von morgen muss sich wie der „Pfarrer von morgen“ neu entwickeln.
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1. Die Anrufung
1.3. Selbstfhrung durch Beratung „Ein wie gçttliches, heilsames Werk ist es, die Pfarreien und christlichen Gemeinden durch verstndige, geeignete Leute zu besuchen. (…) Denn eigentlich heißt ein Bischof ein Aufseher oder Visitator (…). Dieses kostbare Werk ist ganz dahingefallen. Wie man lehren, glauben, lieben, wie man christlich leben solle, wie die Armen versorgt werden, wie man die Schwachen trçstet, die Zgellosen straft und was sonst noch zu diesem Amt gehçrt, dessen ist nie gedacht worden“ (Luther 1528 „Vorrede zum Unterricht der Visitatoren“ – zitiert von Gert Scobel, SZ 20.03.02).
1.3.1. Allgemeiner Diskurs: Consulting und Coaching Besondere Aufmerksamkeit verdient die Beratung als ein spezifischer Modus der Selbstfhrung. Sie berhrt laut Duttweiler den Kern der „Fhrung der Fhrungen“, weil sie die Mçglichkeit bietet, die Verschrnkungen der Fhrung anderer und der Fhrung des Selbst zu analysieren (Duttweiler 2007b, 263). Als „Ort der Subjektivierung“ leistet sie den Ausbau und die Fçrderung individueller Selbstbestimmung als Voraussetzung einer verantwortlichen Fhrung seiner selbst (Duttweiler 2007b und 2004, 24). Als „Mechanismus der Unsicherheitsabsorption“ (Fuchs/Mahler 2000, 355, nach Duttweiler 2004, 23) gibt es den Rat schon seit der Antike. Expertenwissen kombiniert mit einer Monitoringfunktion bilden das beraterische Setting. Idealtypisch wird „in einem wechselseitigen informierenden Aushandlungs- und Verstndigungsprozess das Problem re-organisiert. Der Beratende stellt dazu Verfahrensweisen zur Identifizierung und Operationalisierung von Problemen sowie zur Interpretation von Erfahrungen bereit“ (2004, 25). Was Duttweiler fr die individuell- oder teamorientierte klientenzentrierte Beratung beschreibt, ist kofçrmig auch im Selbstverstndnis von Organisationsberatungen anzutreffen: „Organisationslernen und Organisationsentwicklung sind zu wesentlichen Konzepten fr die Unternehmensberatung geworden. Es geht dabei um die Verbindungen von ,Hardfacts und Softfacts‘. berzeugung ist hier, dass nicht die BeraterIn die Vernderung vollzieht, sondern ,der das Problem hat‘ (…),
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d. h. die Mitglieder der Organisation sollen die Entwicklung vorantreiben“ (Weber 2005,125, Anm. 41).
Ein gestiegener Beratungsbedarf fr Organisationen, Unternehmen und Verwaltungen wird seit den achtziger Jahren ausgemacht, von einer „Beratungsgesellschaft“ (Weber 2005, 123) ist die Rede. Als Grund benennen sozialwissenschaftliche Diagnosen Komplexittssteigerung, funktionale Differenzierung (Luhmann), neue Unbersichtlichkeit (Habermas) oder Beschleunigung (Virilio). „Nicht nur fr große, sondern auch fr kleine Organisationen und solche mittlerer Grçße wird es notwendig, (organisations-) grenzenberschreitend zu denken, Marktdynamiken zu bewltigen und Ungewissheiten zu gestalten“ (Weber 2005, 123). Dieser allgemeine Diskurs der Koformierung (Brçckling, Lemke) des kollektiven und individuellen Selbst wird im Folgenden ausfhrlicher skizziert anhand von empirischem Material aus Internetbeschreibungen von Unternehmensberatungen und Coaching-Handbchern, ehe dann vor dieser kontrastierenden Folie wieder der spezifisch kirchliche Diskurs im Fokus steht. 1.3.1.1. Consulting – die Fhrung der Fhrung des kollektiven Selbst Beratungsmarkt und Anlass Ein Blick auf das Branchenwachstum zeigt, dass mit fortlaufendem Erfolg beraten wird. In den siebziger Jahren wurden laut Auskunft des Bundes deutscher Unternehmensberater (BDU) (Handbuch 2007) in Deutschland 5000 Unternehmensberater in 2000 Beratungsunternehmen gezhlt, 2006 hingegen 73.000 in 14.250 Beratungs-Gesellschaften. Die Aufgaben eines „Betriebsprfers“ in den 1920/30er Jahren erweiterten sich in den 1950er/ 60er Jahren um Bereiche der „Human Relations“, des Marketing und der „Personal- und Organisationsfragen“ und in den 1990er Jahren um die Bereiche der EDV- und Software- sowie der „IT-Beratung“. 1997 – 2001 betrgt der „Umsatzzuwachs gesamt 4,5, Mrd. Euro, das entspricht durchschnittlich ca. 1 Mrd. Euro pro Jahr. Im Weiteren bedeutet das, dass der Umsatz bezogen auf 1997 um mehr als 50 % gestiegen ist. Die Ursachen fr das starke Wachstum Ende der 90er Jahre lagen vor allem an den Umstellungen zur Jahrtausendwende, die in Firmen vorgenommen werden mussten. Aufgrund neuerer Kommunikationstechnologien wie Email wurde verstrkt Beraterbedarf im Bereich Personalschulung notwendig. Auch durch den Internet-Boom und die damit verbundene Umstellung auf neue Software fr E-Business-Aktivitten wurden viele Berater in Anspruch genommen. Die Nachfrage nach HR- und IT-Consulting war in diesen Jahren zunehmend von Bedeutung“ (Pelzel 2005, 22).
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Unternehmensberatungen gehçren zu den wesentlichen wirtschaftlichen Wachstumsbranchen – so lautet 2005 noch die optimistische Auskunft (Pelzel 2005), auch wenn die Branche mit Einbußen zu kmpfen hat. Die „Berateritis“ gert zwar çffentlich in Verdacht, sie kçnne doch mehr schaden als ntzen23, eine zunehmend kritische Einstellung der Klienten zur Unternehmensberatung wird ausgemacht, namhafte Unternehmensberatungen werden gegenber unbekannten auf dem bersttigten Markt bevorzugt und neue Softwareprodukte drohen, den persçnlichen Berater im IT- und HR- (Human Ressource) Bereich kostengnstig24 ersetzen zu kçnnen. Doch eine positive Entwicklung des Beratermarktes in Deutschland scheint noch 2004 durch die fortschreitende konomisierung auch çffentlicher Organisationen garantiert, will man den Selbstbeschreibungen der Unternehmensberatungen glauben. Verselbstndigung und Privatisierung staatlicher und kommunaler Organisationen nach Effizienzkritierien scheint das unhinterfragte Programm, das nach externem Know-How von Fach- und Methodenwissen und unabhngigen Analysen verlangt und so dem Beratungsmarkt eine fortlaufende Wachstumsrate verspricht25. Allerdings scheint die Zukunft nur dann gesichert, und da ist die Branche sich selbst der beste Kunde, wenn es durch Qualittsmanagement und Professionalisierung gelingt, die „schwarzen Schafe“ auf dem Markt durch Qualittsnachweis zu verbannen, und die eigene Flexibilittsleistung fortwhrende Anpassung generiert. „Ausschlaggebend ist, dass Unternehmensberatungen stets am Puls der Zeit sein mssen. Dabei geht es darum, Kundenbedrfnisse frhzeitig zu erkennen und das Angebot an die Nachfrager anzupassen. Wenn das gelingt, wird die Dienstleistung ,Beratung’ auch Gegenstand der Zukunft sein“ (Pelzel 2005, 37). 23 Staute (1996), Steppan (2003), Abele/Scheuerer (2006). 24 so z. B. Professional Service Automation (PSA)-Lçsungen: „Standard und Routinettigkeiten kçnnen automatisiert werden und so die Effizienz und Effektivitt z. B. von Dokumentation sowie Planung, Organisation und Administration deutlich steigern“ (Schiede, 17). 25 Die „Geschftsfelder“ des „Division Management Consulting“ sind nach eigenem Bekunden „ffentlicher Sektor Energiewirtschaft, Finanzdienstleistung, Gesundheitswesen etc.“ (Kienbaumgruppe Management Consulting (Accenture.com 07. 02. 2007).“Arbeit und Soziales“, Steuer, Finanzen, Zoll, Verteidigung, „Biometrie und Innere Sicherheit“ (Accenture). Generell scheint die Fhrung auch der politischen Fhrung durch Beratung gesichert, denn „Accenture begleitet Regierung und çffentliche Verwaltung bei Innovation und Wandel zum modernen Staat“ (ebd.).
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Vernderung und Umdeutung Beratung scheint eine in sich ruhende Plausibilittsgrçße zu haben – solange es „notwendige Vernderungsprozesse“ gibt, die einer „Lçsung und Gestaltung“ bedrfen. Um deren Fortbestand besteht jedoch kein Grund zur Sorge, denn stetiger Wandel und Anpassungsnotwendigkeit bedarf, so das fortlaufende Bekenntnis, der Begleitung durch strategische Planung und deren Umsetzung. Das erforderliche und eingebrachte Fach- und Methodenwissen wirkt angesichts dieser stabilen Beziehungskomponente variabel und je nach Erfordernis aus-, ab- und umbaufhig. Was auch immer sich wie und wohin verndert, Beratung/Consulting wird dafr sorgen, das es sich das zur Anpassung an diesen Wandel notwendige Wissen erschließt und der Organisation – dem zu begleitenden Akteur – zur Verfgung stellt. „Wir kennen das jeweilige Marktumfeld und die spezifischen Rahmenbedingungen unserer Kunden und wissen, welche Herausforderungen sich daraus ergeben und wie man diesen begegnet“ (www.kienbaum.de 2007).
Als „erfolgreich“ gilt eine Beratung dann, wenn sie Vernderungsprozesse irreversibel in Gang gesetzt und Kosten minimiert hat: „Wir lassen uns an unseren Umsetzungserfolgen messen. Kosten sind reduziert, neue Strukturen implementiert und Schlsselprozesse optimiert. Fr uns ist das Ziel erst dann erreicht, wenn der Erfolg sichtbar und messbar und die Vernderung im Unternehmen nicht mehr umkehrbar ist“ (Lischke Consulting 2007).
Sie muss außerdem fr Rationalisierung und Effizienz gesorgt und dabei die Wertschçpfungskette und systemeigene Ressourcen optimal genutzt haben. Zur Konstitution einer erfolgreichen Begegnung von Beratungsunternehmen und zu beratendem Unternehmen gehçrt entsprechend auch das Wissen um den Umgang mit Widerstand gegenber Vernderung: „Sachliche, strukturelle und kulturelle Hindernisse sind die klassischen Erfolgsbremsen in einem Vernderungsprozess. Synergetisch gegen sie vorzugehen, steht im Zentrum unserer Arbeit“ (Lischke Consulting 2007, web.archive.org.).
Das verspricht, Aktivierung initiieren und Verantwortung gezielt delegieren zu kçnnen: „Wir machen ihre Mitarbeiter zum Urheber der Vernderung. Bei uns wirken ihre Mitarbeiter frhzeitig an der Entwicklung von Lçsungen mit und bringen ihre persçnlichen Kenntnisse in das Konzept ein. Oftmals werden sie so zu den
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Initiatoren des Umbruchs und zum Motor des Prozesses“ (Lischke Consulting 2007, web.archive.org.). „Die hohe Akzeptanz unserer Arbeit erzielen wir durch partnerschaftliche und aktive Einbindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Kundenunternehmen“ (www.accenture.com 2007).
Autonomie und Heteronomie – abhngig unabhngig Beratung zeichnet aus, wenn sie als „extern“ und „unabhngig“ erkennbar ist. Beratung will begleiten und zu einer immer neu zu gestaltenden und zu entdeckenden Selbstndigkeit durch Differenzierung und Spezialisierung verhelfen. Allerdings tut sie dies, entgegen ihrer expliziten Intention, indem sie immer zugleich auch fr ihren weiteren Erhalt sorgt, da das dem sich fortwhrend spezialisierenden Akteur zunehmend komplexer werdende Wissen in immer geringerem Umfang zur eigenen Verfgung stehen kann: Dafr bençtigt er Beratung (Duttweiler 2004). Die Freisetzung in die Selbstndigkeit fhrt zu einem hçheren Maß an wechselseitiger Abhngigkeit. In diesem Prozess der Selbstmodellierung gehen Unternehmen bzw. Organisationen mit der Beratungsbegleitung eine inkremental fortschreitende, fast symbiotisch anmutende Verschrnkung ein. Seit 2001 wird weit weniger auf „Prozessbegleitung“ als auf Expertenberatung der Leitungsebenen gesetzt und Geschftsfhrungs- bzw. Managementfunktion von Beratungsunternehmen bernommen. Beratungen entwickeln sich vom „unabhngigen systemfremden Beobachter“ und „externen Experten“ zum partnerschaftlich mitverantwortlichen Leader (www.accenture.com 2007). 1.3.1.2. Coaching – die Fhrung der individuellen Selbstfhrung Einen Sonderfall berufsbezogener Beratung stellt das Coaching dar, das sich seit den 80er Jahren verbreitet und als Instrument der Personalentwicklung im Wirtschafts-, Industrie- und Verwaltungsbereich angeboten wird. Diese Form individueller Begleitung und Untersttzung in Vernderungsprozessen, die „personennahe Spielvariante des klassischen Consulting“ (Mller/Hoffmann 2002), versammelt in sich unterschiedliche personelle Konstellationen und verschiedene Verfahren und Methoden: Einzel- und Teamcoaching, internes und externes Coaching – das Arsenal der Methoden reicht von psychoanalytisch oder systemisch orientierten Methoden ber neurolinguistisches Programmieren (NLP) bis hin zur Einbeziehung spirituell-meditativer Verfahren unter ganzkçrperlichem Einsatz.
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Wer sich coachen lsst, kann mit Anerkennung rechnen. „Externes Einzel-Coaching wird heute unabhngig von der Branche als eine qualitativ hochwertige und hçchst effektive Maßnahme genutzt, um individuell gezielt Entwicklungen zu fçrdern. Es hat einen guten Ruf und transportiert (wegen der hohen Kosten) hufig die Konnotation der besonderen Wertigkeit (weshalb es oftmals als Auszeichnung empfunden wird, einen Coach zu haben)“ (Mahlmann 2005, www.vfb.de).
Lngst wird es nicht mehr hierarchiebezogen ausschließlich fr Fhrungskrfte genutzt, sondern zur kontinuierlichen Begleitung von Vernderungsprozessen generell, fr Vorbereitung auf neue Aufgaben, Begleitung von extremen Anforderungen oder supervisionshnliches Reflektieren des eigenen Verhaltens. Individuelles Coaching hat keine, allerhçchstens finanzielle Grenzen. Anders verhlt es sich mit der Akzeptanz als internem Instrument der Personalplanung. Zwar scheint es aus Unternehmensfhrungssicht als unabweisbar notwendig zu gelten, hinsichtlich seiner Vernderungsqualitt erzeugt es jedoch Skepsis und Widerstand, wie Wilhelm Genazino in seinem Roman aus der Perspektive eines leitenden Angestellten literarisch versichert und auf diese Weise einen Einblick in die Wirkungsfhigkeit von Programmen der Subjektivierung im Gerundivum gibt: „Obwohl ich wegen der dringenden Nachrechnung der Abschlsse keine Zeit habe, zwingt mich der Vorstand, die Angebote einiger Personalberatungsfirmen zu prfen. Es soll (zu Beginn des nchsten Jahres) wieder ein Coaching stattfinden. Ich halte Coaching fr rundweg unnçtig, aber ich kann mich nicht durchsetzen. Coaching kostet viel Geld und bringt kaum etwas ein, im Gegenteil, es hlt die Mitarbeiter von der Arbeit ab. Frau Wecke, die ich jetzt nur noch im Fahrstuhl treffe, wird mir nie sagen, ob sie bei mir irgendwelche Fhrungsdefizite bemerkt hat, und wenn ja, welche. Frau Seidl versteckt sich hinter den großen Blttern eines Gummibaums und ist froh, wenn niemand sie anspricht. Beim Coaching sollte Frau Bredemeyer lernen, ihre eigene zunehmende Vereinsamung im Betrieb beim Namen zu nennen, und außerdem sagen, wie sie sich eine effektivere Arbeitsorganisation vorstellt. Aber Frau Bredemeyer schweigt, eben weil sie einsam ist. Ich weiß, warum sich der Vorstand fr das Coaching einsetzt; es ist nur zur einen Hlfte ein Coaching; zur anderen Hlfte ist es ein verstecktes Assessment, besonders fr die bertariflich bezahlten Fhrungskrfte. Der Vorstand will herausfinden, mit wem es up or out geht, welches die Kick-out-Kandiaten sind. In dieser Hinsicht hat (htte) Herr Honke Grund, sich Sorgen zu machen. Er msste aus sich herausgehen und auf irgendeine Weise zeigen, dass er am Wohl der Firma interessiert ist. Aber Herr Honke gehçrt zu den vielen Kollegen, die unterkomplex denken. Sie kçnnen sich nicht vorstellen, dass sie verdeckt beobachtet und sogar herabgestuft werden kçnnen. Das heißt, sie stellen sich einen mçglichen Abstieg dann und wann vor, aber nicht wirklich. Der physische
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Moment einer Deklassierung dringt de facto nicht in ihr Fhlen ein“ (Genazino 2007, 156 f ).
Coaching-Markt und Anlass Laut Handbuch Coaching wurden 1989 zu 78 % persçnliche Probleme als Anlass fr die Inanspruchnahme von Coaching genannt, 1998 dagegen nur zu 3 %, stattdessen lag der Spitzenwert mit 33 % bei „Fhrung verbessern“ (1989: 15 %). Als erwarteter Nutzen von Coaching galt 1998 zu 25 % „Verhaltensnderung und Ziele werden schneller erreicht“, 1989 waren dies nur 2 % (Rauen 2001, 29 und 183). Ob Erfahrung oder Erwartung: Coaching findet sich in der Plausibilittsstruktur wieder als integraler Bestandteil eines Selbstmodellierungsprozesses im Hinblick auf Optimierung und Anpassungsfhigkeit. Eine Selbstbearbeitung wird vollzogen, nicht weil man unter Problemen leidet, sondern weil man zielorientiert denkt und anzunehmende zuknftige Probleme durch Verhaltensnderung gar nicht erst entstehen lassen will. Der Coaching-Markt gestaltet sich unbersichtlich, zumal auch Unternehmensberater, Trainer, Supervisoren, Therapeuten und ein „hoher Anteil ambitionierter Laien“ (Schiede) als Anbieter fr Coaching-Prozesse fungieren. So wird auch hier nach Professionalisierung und Qualifizierung des Coachs verlangt, dessen Kompetenzenmix in ihm einen „personennahen Consulter“ erkennen lassen: „Der Coach braucht fr seine Arbeit fundiertes Wissen und eine ,Schnittfeldqualifikation’. Dies bedeutet, dass verschiedene Qualifikationen aus den Bereichen Psychologie, Betriebswirtschaft, Consulting, Personalentwicklung, Fhrung und Management in einem Coach vereinigt sein sollten“ (Rauen 2010, www.coaching-report).
Vernderung und Umdeutung Wie auch beim Consulting ist Dreh- und Angelpunkt des Coaching Vernderung, und zwar unabhngig davon, ob der Auslçser selbst- oder fremdintendiert ist. Auch die subjektiv empfundene Unzufriedenheit kann Anlass genug sein, die Ist-Situation zu verndern in Richtung auf einen erstrebenswerteren Zustand. Das Expertenwissen des Coachs kommt an dieser Stelle zum Tragen, wo es darum geht, eine Krise, einen Schicksalsschlag oder eine Niederlage „positiv“ umzudeuten. „Fr diese positive Umdeutung gibt es den Experten: Der Coach befasst sich hauptschlich mit dem Wechsel und bergang zu neuen Formen der Persçnlichkeitsentwicklung. Der Coach begleitet die Persçnlichkeit auf ihrem
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Weg in eine neue Ordnung. Es erstaunt nicht, dass besonders dort, wo die strkste Ballung von Autoritt, Macht und Fhrung zu erwarten ist, auch der grçßte Bedarf an kompetenter Begleitung angemeldet ist“ (Mller/ Hoffmann 2002, 55).
Die neue Pastoral- oder Hirtenmacht findet ihren prgnantesten Ausdruck in dieser Funktion des Coachs, den Kunden oder Klienten in eine neue Ordnung hinein zu begleiten und zugleich als Experte fr Deutungsprozesse zur Verfgung zu stehen. Widerstand Coaching fungiert als Scharnier zwischen Selbst- und Fremdfhrung, was sich beispielsweise darin niederschlgt, dass auch mit Phnomenen einer „Beratungsresistenz“ umgegangen werden muss. Da der Eigensinn der individuellen Akteure sich nicht notwendig mit dem des kollektiven Akteurs decken muss, kann es zu Formen des Widerstandes kommen, auf die das Coaching Richtung verndernd einzuwirken verspricht. „Nicht nur von den Fhrungskrften, sondern auch im mittleren Management wird erwartet, dass man sich auf neue Anforderungen einstellt, innovativ und kreativ mitdenkt, Verantwortung bernimmt und die Wahrnehmung auf das Allgemeinwohl richtet. Dazu gehçrt auch die Entwicklung vorhandener, wenngleich noch nicht aktivierter Potenziale. Vor allem mentale Blockaden, die bislang als unberwindliches Hindernis fr den beruflichen Aufstieg des Kunden galten, werden angegangen, denn ein Unternehmen ist, wie die Bilanz zeigt, angewiesen auf die berzeugung seiner Mitarbeiter, dass sie an etwas mitarbeiten, fr das sich der Einsatz lohnt. Das Syndrom der Selbstbehinderung bis hin zu einem Unbewussten, das stndig Sabotage betreibt, bedeutet den Verlust der wertvollsten Energie, mit dem ein Unternehmen heute wirtschaftet – nmlich der Lust und Motivation der beteiligten Menschen“ (Mller/Hoffmann 2002, 56 f ).
Der Mitarbeiter wird als Unternehmer seiner selbst angesprochen. Die „Entwicklung“ und „Aktivierung“ seiner Ressourcen und Potenziale werden den bis dahin nicht mçglichen beruflichen Aufstieg ganz von selbst aus sich heraussetzen. Die zugrunde liegende Annahme ist, dass dem Unternehmer seiner selbst alles mçglich ist. Er muss nur wollen und entscheiden. Die „Fçrderung der Selbstbestimmung ist gebunden an die Forderung, einen bestimmten Gebrauch von ihr zu machen – die Verantwortung fr gesellschaftliche Risiken in ein Problem der Selbstsorge zu transformieren und in Eigenregie zu managen“ (Duttweiler 2004, 28). „Coaching als lçsungs-, zukunfts- und handlungsorientierte Prozessarbeit bedeutet, dass die Kunden selbst die Experten fr die Lçsung ihrer Probleme sind. Sie sind es, die ihre Ressourcen fr ihre Vernderungen zur Verfgung
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haben, und nur sie kçnnen ber ihre Vernderungen und ihre dazugehçrigen Strategien entscheiden“ (Mller/Hoffmann 2002, 55).
Die „einsame Frau Bredemeyer“ und der „unterkomplexe und kick-outverdchtige Herr Hork“ (Genazino) haben also Grund zur Hoffnung, sofern sie an einen „guten“ und professionellen Coach mit Schnittstellenkompetenz geraten, der ihnen ermçglicht, in ihrem eigenen Interesse das eigene Interesse an sich und damit sich selbst als Experten zu entdecken. Wer kein personennahes Consulting – schon aus Kostengrnden – in Anspruch nehmen will, kann den Ratschlag des „Managerseminars“ beherzigen und sich selbst der implizite Hirte sein: „Besinnen und Gewinnen: warum sie selbst ihr bester Coach sind. Vier bungen zum Selbst-Coaching“ (Managerseminar Heft 58/2002).
Wie das kollektive muss auch das individuelle Selbst den Vernderungs- und Optimierungswillen zuverlssig „implementieren“ – ob als kollektiver Akteur in Form des externen Beratungsunternehmens, dem „Business Innovation Partner“, oder des firmeneigenen Coaching, oder als individueller Akteur im Self-Monitoring mittels zahlreicher personaler oder literarischer Ratgeber. Diese sich selbst beobachtende, „monitorierende“ Instanz wird so selbstentschieden auf Dauerprsenz gestellt und garantiert die Mçglichkeit, als Hirte seiner selbst auf das eigene Verhalten unablssig korrigierend einzuwirken. Diese selbst gewhlte Beobachtungsinstanz in Form des Beraters oder des literarischen Ratgebers ist allerdings ein hçchst fragiles Konstrukt, das nie die Stabilitt einlçst, die es verspricht. „Selbstbestimmung ist Instrument und Effekt, Fluchtpunkt wie konstitutives und strukturierendes Formprinzip von Beratung. Doch sie entfaltete sich erst in und durch die Asymmetrie der Beratungskommunikation und vor dem Hintergrund vorgegebener Verfahren, generalisierter Techniken und objektivierender Deutungsmuster. Beratung erweist sich damit als durch und durch ambivalent: Wirksam wird sie durch die Gleichzeitigkeit von Selbstbestimmung und der Abhngigkeit von Experten(wissen). Sie verspricht Rat und Hilfe, die sie letztlich nicht bietet, whrend sie zugleich verunsichert“ (Duttweiler 2004, 26).
Auch wenn Beratung sich immer nur als „Vorschlag“ prsentiert, ndert dies, so Duttweiler, nichts „an der unabweisbaren Zumutung, permanent an der eigenen Verbesserung zu arbeiten und die Selbstfhrung bei Bedarf nach Maßgabe und mit Untersttzung des Expertenwissens neu zu justieren“ (ebd., 28).
1.3. Selbstfhrung durch Beratung
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1.3.2. Spezialdiskurs: Kirche lsst sich beraten Die Referenzlisten in Selbstdarstellungen der Unternehmensberatungen kçnnen als Ausweis von Normalisierungseffekten26 gelesen werden, wenn im Kundenbereich nicht nur Wirtschaftsunternehmen genannt werden, sondern auch Verwaltungen, Behçrden und kirchliche Organisationen. Der Perspektivwechsel auf die marktorientierte Arena zeigt die Kirche als Kunden von Beratungsfirmen. „Lischke Consulting betreut große Industrieunternehmen aus der Automobilbranche, den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Maschinenbau, Medizintechnik, Telekommunikation sowie der Ver- und Entsorgung, bert Landkreise, Ministerien, Landeskirchen, Diakonische Einrichtungen und Landratsmter“ (www.lischke.com/branchenkompetenz, 22. 02. 2002).
Auch die Kirche kennt seit ihren Anfngen Beratung „per mutuum colloquium et consolatio fratrum“ (Luther 1527), einander aufbauend und trçstend, auf Konzilien und in gegenseitigen Besuchen (wie auf Pfarrertagen), seit der Reformbewegung der 1960er und 70er Jahre auch „prozessbegleitend“ als kircheninterne „Organisationsberatung“ mit dem Auftrag, die Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen darin zu untersttzen, „ihre Zeugnis- und Dienstfhigkeit zu entfalten“ (Schmidt/Berg 1995, 12ff ). Kirche bert sich und andere. Aber lsst sie sich von anderen beraten? Schon diese Frage ist nach nherem Hinsehen nicht so einfach zu beantworten. Als die evangelisch-lutherische Kirche in Mnchen sich von der „international renommierten Unternehmensberatung McKinsey“ (EKDWortlaut, www.ekd.de, 09. 08. 2003) beginnend mit einer Studie 1995 untersttzen lsst, sind die ersten Presseverçffentlichungen mit der Nachricht versehen, dies geschhe „kostenlos“ und „ber das persçnliche Anliegen des evangelischen Christen“ und Mnchener Direktors der Unternehmensberatung Barrenstein initiiert27. Also eine „interne Beratung“? Der kirchliche Interdiskurs macht die Unterscheidung genauso obsolet wie er sie problematisiert, denn die Trennschrfe von innen und außen lsst sich schon deshalb schwer herstellen, weil ber die Ehrenamtlichen die diskursive Produktion mit unterschiedlichen Diskursen und Wissensbestnden angereichert ist. 26 Normalisierung meint in diesem Zusammenhang die zunehmende Herstellung von Selbstevidenz unter Abnahme von Plausibilisierungsnotwendigkeit. 27 Z. B. Mller, Artikel „Profit-Profi auf Abwegen“, Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt Nr. 12/ 21. 03. 1997, 20.
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1. Die Anrufung
Die Unternehmensfirma entwickelt gemeinsam mit ausgewhlten Gemeinden 1995/96 das „Evangelische Mnchen-Programm“ oder auch kurz „eMp“ genannt. Die Studie, so berichtet das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt, „ist die bislang grçßte ihrer Art in Deutschland. Anderthalb Jahre lang arbeiteten vier bis sechs McKinsey-Berater unter Barrensteins Leitung daran, untersuchten exemplarisch zwei Mnchener Gemeinden und eine kirchliche Einrichtung fr Erwachsenenbildung. (…) Natrlich geht es auch darum, die Organisation zu straffen und die Arbeit der Pastoren strker zu kontrollieren. Im Vordergrund aber steht die Verbesserung des Produkts. Und dazu gehçre (…) eine Verengung der kirchlichen Aktivitten auf das Thema Glaube“ (Mller 1997).
Diese Beratungsliaison ist sowohl vom publizistischen Aufmerksamkeitsals auch vom organisationsbezogenen Innovationsgehalt her insofern von herausgehobener Bedeutung, als sich die kirchenreformerische Diskussion, Kirchenkampagnen, Projekte etc. in den folgenden Jahren immer wieder darauf beziehen, anknpfend, abwehrend und/oder bereit, aus den „Ergebnissen“ oder aus dem „Scheitern“ „zu lernen“. Die Sddeutsche Zeitung reagiert 2002 mit einer Serie zum Thema „Kirche und Management“ („Wirtschafts- und Marketingmethoden in der Kirche?“ 2002), und wissenschaftliche und kirchliche Ausarbeitungen kommentieren und reflektieren. Aus diskursanalytischer Sicht interessiert das Dispositiv, dass die evangelischen Kirchen ein professionelles und nicht kirchlich-institutionelles Beratungsunternehmen in Anspruch nehmen und dass diese Tatsache als solche zugleich mit hoher diskursiver Produktivitt verbunden ist, so dass nicht davon auszugehen ist, es handele sich hier um eine interdiskursive „Normalitt“28. Die Veridiktion materialisiert sich hier in Praktiken, den Beratungsprozessen, und ist zugleich mit Widerstndigkeiten diskursiver Art belegt. Die Anrufung zeigt in Handlungen materialisierte Effekte. Im folgenden Abschnitt soll gezeigt werden, wie das durch einen Beratungsprozess erworbene Wissen im kirchlichen Diskurs angeordnet wird und sich als Element von Selbstfhrung diskursiv etabliert. 28 In den Zusammenhang der in der Sddeutschen Zeitung gefhrten Debatte gehçrt auch das eingangs des Kapitels aufgenommene Zitat des Journalisten Gert Scobel. Es kennzeichnet eine der Problematisierungsvarianten, dass nmlich die Kirche selbst ein „Beratungsunternehmen“ sei, das es nicht nçtig haben msste oder sollte, Wirtschaftsberatungsfirmen in Anspruch zu nehmen.
1.3. Selbstfhrung durch Beratung
133
Mnchener Studie Unter der Rubrik „Aus Pfarrvereinen“ erscheint im Deutschen Pfarrerblatt Heft 1,1997 eine Pressemiteilung des Evangelischen Pressedienstes epd vom 15.11.96 unter der berschrift „Braunschweigischer Pfarrverein diskutierte Mnchener Studie (Braunschweigischer Pfarrverein: 1997, 31)“.
Die Pfarrvereine sind eine als Verein gegrndete Interessenvertretung der Pfarrer und Pfarrerinnen in den Landeskirchen. Dass der Pfarrverein sich selbstinitiiert mit der Studie beschftigt und dass der Inhalt dieser Studie in der berschrift nicht weiter expliziert wird, zeigt deren zugestandene Relevanz, zumindest ihre Prominenz an. „Die evangelische Kirche hat erhebliche Schwachstellen in ihrer Struktur, in der Mitarbeiterentwicklung und in ihrem Angebot. Diese Ergebnisse einer Untersuchung in Mnchen stellte der Planungsreferent im bayerischen Landeskirchenamt auf dem Pfarrerinnen- und Pfarrertag der braunschweigischen Landeskirche vor. Ausgehend von der kostenlosen Studie der Unternehmensberatung McKinsey sagte Peetz, die Defizite seien so erheblich, dass ,kosmetische‘ Korrekturen nicht ausreichten. Nçtig seien radikale nderungen“ (ebd., 31).
Das Wissen, was in dieser Studie vor der Pfarrerschaft prsentiert wird, ist ein Wissen ber sich selbst als Kirche. Es ist kein Alltagswissen, sondern eines, das sich einer intensiven Beobachtungsarbeit verdankt. Es ist auch keine Beobachtungsarbeit, die arbeitsteilig ausschließlich von landeskirchlichen Akteuren vorgenommen wurde, es ist ein durch eine Unternehmensberatung mithilfe deren Expertenwissens und ber bestimmte Verfahren initiiertes Wissen, in diesem Fall das des betriebswirtschaftlichmanagerialen Experten. Dessen Reputation ist insoweit bekannt, als er als „Unternehmensberatung“ fr „Unternehmen“ arbeitet. Es scheint wohl diese Analogie zu sein, die verschiedentlich beunruhigt und irritiert fragen lsst: Ist die Kirche ein Unternehmen? Der Hinweis, dass die Studie „kostenlos“ erfolgt, kann in diesem Zusammenhang denn auch wenig anders verstanden werden denn als Ausweis der „Objektivitt“ und „Sachlichkeit“, als Kriterium einer Reputation im kirchlichen Diskurs. Als Aussage grndet sie sich auf ein darunter liegendes Aussageniveau. Sie kann ihrerseits als Hinweis auf mçgliche Kritiker verstanden werden (vorausgegangen waren Debatten ber die Image-Kampagne in Kçln, die „viel Geld frisst und nichts
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1. Die Anrufung
bringt“)29 oder als Qualittshinweis fr berzeugendes, authentisches Engagement (wer fr die Kirche ehrenamtlich etwas tut, dem kann Redlichkeit unterstellt werden, weil die Unterstellung, er tue dies aus finanziellen Grnden, auszuschließen ist). Das Ergebnis des durch die externe Beratung initiierten Expertenblicks stimmt wenig optimistisch. Von „Schwachstellen“ ist die Rede und zwar von „erheblichen“. Dies liegt, so wird mitgeteilt, an Strukturen, Mitarbeiterentwicklung und Angeboten. Dass diese Beobachtungsindikatoren angemessen sind, wird – zumindest im Wortlaut der Pressenotiz – vorausgesetzt, also weder in Frage gestellt noch kommentiert. Die Beobachtungsergebnisse erscheinen daher auch als Faktizitt und werden als unabweisbare Wahrheit behauptet. Die erzeugte Wahrheit ber sich selbst orientiert sich damit an betriebswirtschaftlichem Wissen: Die Kirche hat beobachtbare und bearbeitbare Strukturen, sie hat Mitarbeiter, die „entwickelt“ werden wollen und kçnnen, sie hat Angebote, die angeboten und angenommen und nachgefragt werden. Zustzliche Legitimation erhlt die Auskunft nicht nur dadurch, dass das Landeskirchenamt sie ttigt, sondern ein „Planungsreferent“, der so ausgewiesen als fr Zukunftsfragen zustndig gedeutet werden kann. Die Subjektvorstellung ist sowohl mechanistischer als auch organischer Art. Das Bild einer Ganzheit wird aufgerufen, das in sich systemisch aufeinander abgestimmt sein muss: „Schwachstellen“ impliziert Auswirkungen auf ein systemisches Ganzes. „Defizite“ lassen sich wiederum berechnen und orientieren sich an einem Ideal- oder Sollwert. In jedem Fall ist die Botschaft dramatisch: „Kosmetische Korrekturen“ reichen nicht aus. Das Bild aus dem organischen Bereich lsst erahnen, dass Schlimmes bevorsteht, wenn es nicht abgewendet wird durch die einzig mçgliche Maßnahme, die „radikalen nderungen“. Der Grund der Dramatik ist so grundstzlich wie erwartbar: „Die Kirche erreiche ihre selbstgesteckten Ziele nicht. Die Mitglieder distanzierten sich oder erklrten den Austritt, was wiederum die finanzielle Grundlage der Kirche gefhrde“ (ebd., 31).
Vorausgesetzt wird dabei wiederum, dass die Kirche „selbstgesteckte Ziele“ habe, die sie eben nur nicht erreiche. Damit prsentiert die Kirche sich im Organisationsparadigma und zwar in diesem Zusammenhang als dem allein gltigen, an dem gemessen sie allerdings versagt. Dass Mitglieder sich distanzieren oder austreten, kann in diesem Zusammenhang denn auch 29 Siehe auch: Menne (2004).
1.3. Selbstfhrung durch Beratung
135
wenig anders verstanden werden, als dass ein Zusammenhang hergestellt wird, und der Austritt Effekt einer mangelnden Zielkongruenz der Kirche ist. Hergestellt wird auf diese Weise das Versprechen, ber Zielerreichung seien Mitglieder zu halten und die finanzielle Grundlage zu sichern. Nach der Einsicht in die Bestandsaufnahme folgt die Vernderungsmçglichkeit. Es gibt eine Lçsung, und die bedeutet Arbeit an sich selbst als kollektivem Subjekt, nmlich – wenig berraschend – an Strukturen, den Mitarbeitern und den Angeboten: „Der Mnchener Kirchenrat forderte einfachere Strukturen und bessere Absprachen bei den Veranstaltungsangeboten, die zudem mitgliederorientierter werden mssten“ (ebd.).
Die „Mitgliederorientierung“ ist als Begriff entlang der Logik der Kundenorientierung entwickelt. Die Kirche hat Mitglieder, an denen sie sich orientieren muss. Damit werden auch Kirchenmitglieder unter die Ordnung einer marktfçrmigen Organisation subordiniert. Sie sind die, die ber diese Konstruktion zu Kunden werden und von denen anzunehmen ist, dass sie zwischen Angeboten auswhlen und entscheiden. Darauf gilt es, sich auch als Mitarbeiter einzustellen. „Die Mitarbeiter mssten deutlich ,Ja zum Glauben sagen‘. Derzeit gebe es sehr viel Verzagtheit und wenig Selbstbewusstsein“ (ebd).
Doch die Lage ist nicht hoffnungslos, denn Mitarbeiter kçnnen sich weiterentwickeln. Davon scheint auch das „Ja zum Glauben „ nicht ausgeschlossen zu sein. Eine Reihe von Techniken hilft der Kirche, sich selbst zu fhren und ihre Mitarbeiter zur Selbstfhrung anzuleiten. „Als Ergebnis dieser Analyse werde jetzt in Mnchen unter anderem mit Planungsworkshops und Zielvereinbarungen fr die Gemeindearbeit begonnen. Auf die Mitarbeitersituation werde mit Entwicklungsplanung, Beurteilungs- und Feedback-Gesprchen reagiert“ (ebd.).
Mit diesen Dispositiven der Einfhrung von Instrumentarien hat sich die Veridiktion materialisiert, das Expertenwissen als gltiges Wissen materialiter etabliert. Doch nicht nur fr die Bayerische Landeskirche gilt dies, sondern etwa auch fr die Braunschweigische. Jede Landeskirche ist mit hnlichen Umwerfungsprozessen der Selbstfhrung befasst: „Oberlandeskirchenrat Peter Kollmar wies in der Diskussion darauf hin, dass sich die braunschweigische Landeskirche in einem Reformprozess und teilweise in einer hnlichen Situation wie Bayern befinde“ (ebd.).
Daraus wird gefolgert, dass die Expertise aus Bayern auf hohe Akzeptanz auch in der anderen Landeskirche hoffen kann.
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1. Die Anrufung
„Domprediger Joachim Hempel sagte, es sei ,hçchste Eisenbahn’, auch in Braunschweig Konsequenzen aus den Mnchener Ergebnissen zu ziehen“ (ebd., 31).
Doch nicht nur aus kirchenleitender Sicht trifft die Expertise auf Zustimmung, auch bei der Interessenvertretung der Pfarrer kann sie, wenn auch eingeschrnkt, Geltung fr sich beanspruchen. „Auch der Vorsitzende des Pfarrvereins, Jrgen Frisch, sagte, die Zuhçrer htten in manchen Beschreibungen ihre Situation sehr gut wieder gefunden‘“ (ebd.).
Wie sich diese neue Expertenwissen unter Pfarrern weiter voranschreibt, ist an einer weiteren Pressenotiz im Dezember 2001 zu erkennen. „Hamburger Hauptpastoren fordern umfangreiche Kirchenreformen“ (Hamburger Hauptpastoren, DTPF 2002, 33)30. So setzen die fnf Geistlichen, die ein hnliches Papier bereits 1994 vorgelegt hatten, auf das Prinzip der Freiwilligkeit. Dazu gehçren eine zeitlich begrenzte Mitgliedschaft, ein „freiwilliger Kirchenbeitrag“, der das bisherige Kirchensteuersystem ergnzt, und eine schlankere Organisation. Damit greifen die Hauptpastoren indirekt Vorschlge von Unternehmensberatungen wie Lischke Consulting (Hamburg) und McKinsey (Mnchen) auf. In der so genannten „Freiwilligkeitskirche“ sollten beispielsweise auch jene kirchlich bestattet werden, die aus der Kirche ausgetreten seien. Mçglich wren auch Taufen und Konfirmationen gegen Gebhr. Die evangelische Kirche drfe nicht „allgemeinverbindliche Normen und Weisungen von oben herab“ erlassen, heißt es (ebd.). Die Subjektivationsprozesse sind daran erkennbar, dass nun auch anderes als bisher Geltendes gedacht, gefordert oder zumindest in die Diskussion gebracht werden kann: Die Kirchenmitgliedschaft ist denkbar als eine „zeitlich begrenzte“, die Mitgliedschaft denkbar als eine nicht notwendig an eine Kirchensteuer gebundene, auch Nicht-Mitglieder sind denkbar als solche, die Kasualien in Anspruch nehmen, Kasualien sind denkbar als Handlungen der Kirche, fr die Gebhren gezahlt werden – vieles scheint im Fluss und beansprucht, im Fluss gelassen zu werden, „allgemein verbindliche Normen und Weisungen von oben herab“ drfen 30 Dabei ist es unerheblich, ob der explizite Hinweis auf die Beratungsstudie von den Hauptpastoren selbst erfolgt wie in obiger Pressemitteilung oder erst ber die Presseverarbeitung hergestellt wird. Die Artikel vom 19.12.01 und 21.12.01 weisen diesbezglich eine Diskrepanz auf, die diskursanalytisch nicht auffllig ist, im Gegenteil ist die Nichtunterscheidbarkeit in der Rationalitt bemerkenswert.
1.3. Selbstfhrung durch Beratung
137
nicht gemacht werden. Die Selbstproblematisierung der Kirche nimmt ihren Lauf. Widerstand Keineswegs ist es so, dass die Anrufung durch den Markt und die Notwendigkeit, Organisations- oder Unternehmensberatungen in Anspruch zu nehmen, von allen hnlich beantwortet wird; sie ruft auch engagierte und kritische Abwehr hervor. So will Dietrich Neuhaus, Pfarrer und Studienleiter an der evangelischen Akademie Arnoldshain seine Ausfhrungen im DTPF „Wider den Fundamentalismus der Organisationsberatung in der Kirche“ denn auch als „polemische Analyse“ (Neuhaus 1999, 67) verstanden wissen. Dieser Artikel ist der Nachabdruck eines Artikels im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt, der zu einer Kette von Leserbriefreaktionen fhrt. Die Debatte wird schon bald unter dem Namen „Fundamentalismusdebatte“ (Mertin 1999) stilisiert. Dies kann gewertet werden als Indiz fr den hohen Grad der diskursiven Produktion und die Widerstndigkeit im Subjektivationsprozess. Unter dem in diesem Kapitel interessierenden Aspekt der Subjektunterwerfung unter die Vernderung, der Anrufung, soll hier gezeigt werden, was Brçckling in Anlehnung an Foucault formuliert: „In dem Maße, in dem die Widerstnde gegen die Zurichtung des Selbst sich selbst rationalisieren und ein Subjektivierungsregime durch subversive Strategien und Taktiken zu konterkarieren versuchen, etablieren sie selbst eine andere Form des Regierens und Sich-selbst-Regierens – ein Gegenregime, dessen Funktionsweise und Ratio wiederum in der gleichen Weise zu untersuchen wre wie das bekmpfte“ (Brçckling 2007, 40 f ). Neuhaus sieht sich aufgefordert, die Debatte auf epistemologischer Ebene zu fhren. Er thematisiert den Prozess der Veridiktion selbst, indem er nach den hermeneutischen Kriterien fragt oder anders gesagt: nach den Konstellationsbedingungen der Subjektivierung. „In den evangelischen Kirchen in Deutschland finden zurzeit massive Umstrukturierungen statt. Es herrscht allerdings Uneinigkeit darber, wie sie zu beschreiben, zu verstehen und zu bewerten sind. Dies ist eine gute Gelegenheit, um Deutungsversuche auf ihre Plausibilitt hin Probe laufen zu lassen. Meine These ist: Die Evangelische Kirche wird gerade von einem fundamentalistischen Beben erfasst und durchgerttelt“ (Neuhaus 1997, 67).
Die Anrufungsszene erfhrt in den gewhlten Metaphern eine plastische Anschauung:
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1. Die Anrufung
„Der Fundamentalismus ist in der evangelischen Kirche so schwer zu benennen, weil er in quasi-rationalem und objektivistischem Gewand auftritt, unter dem man nichts Religiçses vermuten wrde: Er spricht im Jargon der Organisationsberatung und -entwicklung und sein Schibboleth heißt ,Kirche als Unternehmen‘. Der aktuelle protestantische Fundamentalismus will diesmal nicht die Prinzipien mathematisch-naturwissenschaftlichen Denkens, sondern Kategorien der Marktçkonomie in die Religion einfhren und diese nach jenen gestalten“ (ebd.).
Das Stichwort des „Fundamentalismus“ dient dazu, abzuwehren. „Alle Grundannahmen und die meisten Beobachtungen in diesem Szenario sind falsch. Die Kirchen mssen sich nicht am Markt behaupten, denn einen religiçsen Markt in Deutschland gibt es nicht. Die Kirchen haben funktionierende Organisationen und Verwaltungsapparate, ein gut ausgebildetes und hochprofessionelles religiçses Personal, eine flchendeckende Infrastruktur, eine gesetzlich privilegierte Sonderstellung in der Gesellschaft, ein dichtes Netz von identifizierbaren Gebuden, einen soliden Traditionsbestand von 2000 Jahren und eine auf Jahrzehnte gesicherte finanzielle Grundlage, – und sie sollen sich ernsthaft bedrngt und in Konkurrenz sehen mit Duftstbchen schwingenden, religiçs dilettierenden Psychogruppen, die ihre Dienste im Kleinanzeigenteil der lokalen Presse anbieten“ (ebd.)?
Die massive Abwehr des Tribunals des Marktes besttigt die Massivitt seines Regimes. Auch hier muss ein Subjekt beschworen werden, diesmal nicht ein neu herzustellendes Subjekt, sondern ein gegenwrtiges und dieses muss sich als zu bewahrendes behaupten. Auch hier werden dieselben Argumente ins Spiel gebracht, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. „Ein weiteres Element in dieser gezielt von oben betriebenen Panikmache ist die Behauptung, der Kirche wrden scharenweise die Mitglieder weglaufen und Schuld daran seien die Pfarrerinnen und Pfarrer mit ihren unbersichtlichen Angeboten“ (ebd., 67). „Ein Blick in die Statistischen Jahrbcher der EKD macht deutlich, dass von einem ,Exodus aus der Kirche’ mitnichten geredet werden kann. (…) Die finanziellen Einbußen der Kirche in den letzten Jahren sind verursacht durch eine staatliche Steuerpolitik, die zu einem regelrechten Absturz des Einkommenssteueraufkommens gefhrt hat. (…) Jede Steuerreform jeder nur denkbaren Partei oder Koalition wird hier nderung bringen und zu einer Verbesserung der finanziellen Lage der Kirche fhren (…)“ (ebd., 68).
Auch das Problem einer zuknftig finanzschwachen Kirche wird als solches bernommen und als lçsungsnotwendig begriffen. Die Konstruktion des Problems wird nicht in Frage gestellt, sondern nur dessen Lçsung. Diese wird von anderen Verantwortlichen erwartet. Die Kirche als verlssliche Institution und der Staat als Garant verlsslicher Finanzpolitik markieren
1.3. Selbstfhrung durch Beratung
139
die Herrschaft des alten Regimes. Allerdings ist dieses so sehr in Frage gestellt, dass nur ein Untergangsszenario die Beschwçrung dieser alten politischen Wahrheit retten kann. „Das Kirchenbild, das die Organisationsberater in die Kirche hineingetragen haben, liegt dabei weit unter CVJM-Niveau. Es musste sich nie vor einem Forum reflexiver Theologie verantworten und ist in seiner bestrzenden Schlichtheit vermutlich auch von keinem theologischen Gedanken je zu erreichen. Und doch ist es praktisch so wirksam, dass nun allberall ,Operative Teams’ – der kircheninterne Begriff fr die ,Death Squads’ der Kirchenverwaltung, die gerade durch alle kirchlichen Handlungsfelder toben – eingesetzt werden, die den vielen schçnen bunten Blumen im Garten eines weltoffenen und liberalen Protestantismus in çffentlicher, das heißt gesellschaftlicher Verantwortung die Kçpfe abschlagen. Zurckbleiben wird eine ziemlich unwirtliche Wste mit ein paar Kakteen“ (ebd., 68).
Die Kirche als Garten eines weltoffenen und liberalen Protestantismus in çffentlicher Verantwortung ist durch die Vereinheitlichungstendenz marktstrategischer Umstrukturierungsprozesse bedroht. Das Bedrohliche und Abzuwehrende ist gekennzeichnet durch Negativkonnotationen, so fehlten theologische Gedanken oder reflexive Theologie. Allerdings – so die berraschende Einsicht „gehçrt ein gewisses Maß an Selbstdestruktivitt, das heißt die Entfaltung einer destruktiven Potenz gegen die Institution Kirche gleichsam zur Urgeschichte des Protestantismus und ist insofern nichts Neues, sondern Teil einer wichtigen Erbmasse“ (ebd., 68).
Die Selbstkohrenz, das Wissen, die Wahrheit ber sich, wird mit historischem Wissen hergestellt. Die evangelische Kirche ist generativ mit destruktiver Potenz ausgestattet und es hat ihr bislang nicht geschadet. Der Blick in das Archiv kirchenhistorischen Wissens sagt auch, warum. „Zu diesen Regelungsmechanismen im Umgang mit der destruktiven Potenz gehçrte zum Beispiel, dass Kirchenleitungen und -verwaltungen ihre primre Aufgabe darin sahen, die Strukturen zu bewahren und pflegen. Die Pfarrerschaft und aktive Basisbewegungen sahen ihre Aufgabe vor allem darin, zu problematisieren, auf Erneuerungen zu drngen und zu verndern. Diese Arbeitsteilung macht guten Sinn, sie ist das Kennzeichen von spezifisch religiçsen, das heißt geistlichen Vernderungsprozessen: Die konkret gelebte Religion passt sich so die Strukturen an, in denen sie sich selbst verwaltet. Alle großen geistlichen Zugewinne, die die evangelische Kirche im Laufe ihrer Geschichte verbuchen konnten, sind nach diesem Muster zustande gekommen“ (ebd., 68).
Der Subjektivationsprozess fordert die Stellungnahme, die Anpassung und die Abwehr. Hier wird mit den Stichworten „Regelungsmechanismen“,
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1. Die Anrufung
„Strukturen“, „Arbeitsteilung“ nicht irgendein Erfahrungswissen ber die Kirche eingebracht, sondern: das Erfahrungswissen der Kirche als Organisation. Es muss ein organisationales Kirchenbild aufgerufen werden, um dieses anschlussfhig in die Konkurrenz bringen zu kçnnen. Dieses Kirchenbild unterscheidet sich von dem der Organisationsberater nicht darin, dass es nicht auch Erneuerung mçglich machte. Im Gegenteil, das Verhltnis von Verwaltung und Pfarrerschaft wird mit dem funktionalen Terminus „Arbeitsteilung“ konstruiert und wird beworben als Kennzeichen von Vernderungsprozessen, aber eben: spezifisch geistlichen Vernderungsprozessen. Der Umstand, dass mit dieser Organisationsform, „die konkret gelebte Religion“ sich die Strukturen anpasst, zeichnet sie eben deshalb – im Unterschied zu dem anderen Kirchenbild – als die eine adquate Form kirchlicher Organisation aus. Aber nicht nur das, es ist eine Organisationsform, mit der die Kirche nicht nur Vernderungen bewltigt hat, sondern auch „alle großen geistlichen Zugewinne“ (…) „im Laufe ihrer Geschichte verbuchen“ konnte. Der Wachstums- und berbietungsrhetorik des Marktes wird hier ein fast imperialistisches, zumindest konkurrenzloses Organisationsideal entgegengestellt. Es garantiert Dauer und essentielle Totalitt. Ein Ideal, das, weil als so erfahrungsgesttigt erfolgreich beschrieben, schon deshalb so plausibel sein msste, dass es eigentlich keiner Verteidigung bedrfte. Doch die Argumentation folgt schon einer anderen Strategie. „Irritierend an der gegenwrtigen Lage ist also nicht, dass berhaupt Vernderung geschieht, sondern dass die Akteure die Rollen vertauscht haben. Die gegenwrtige Umstrukturierung ist eine Revolte von oben gegen die Basis und die Pfarrerschaft, sie wird von den Kirchenverwaltungen initiiert und gesteuert. Da sie nicht von gelebter Religion ausgeht, keine geistlichen Motive, kein geistliches Profil und keine religiçs relevante Trgergruppe hat (denn das sind Verwaltungsbeamte mit einem professionell abstrakten Verhltnis zur Religion per definitionem nicht), wird diese Umstrukturierung scheitern“(ebd., 68).
Verwaltungen, die bisher „pflegten und bewahrten“, „initiieren und steuern“ nun. Der Regimewechsel hat sich im „Rollenwechsel“ in konkreten Verhaltensstrategien schon materialisiert. Das organisationale Gegenbild, das sich in der Vergangenheit erfolgreich bewhrte, wird aufgerufen, um mit seiner Hilfe ein zuknftiges Scheitern des neuen zu prognostizieren. Auch hier wird, wie auch in anderen Fllen, die Zukunft prognostisch vorweggenommen. Die Fortschreibung des Erfahrungswissens in die Zukunft sieht das Scheitern vorher, nicht weil die Verantwortlichen steuern und initiieren, sondern weil es nicht die dafr Verant-
1.3. Selbstfhrung durch Beratung
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wortlichen sind. Und es muss scheitern, weil die, die steuern und initiieren, dies defizitr tun: nmlich mit fehlendem „geistlichem Profil“, sie sind die nicht „religiçs relevante Trgergruppe“. Die Logik, nach der das Scheitern hier konstruiert wird, ist dabei keine andere als die der Organisationsberater, die Rationalitt ist die der Funktionalitt des Gelingens, wonach die Leitungsfrage, das Profil und die Mitarbeiterressourcen die entscheidenden Faktoren sind. Kirche wird in beiden Fllen konstruiert als eine, die sich als Kirche erkennbar leiten muss. Auch wenn in der Diktion „Religion (schafft) sich ihre Strukturen“ das Subjekt weder individuell noch kollektiv fassbar ist, entbindet diese Behauptung den Autor nicht von der wenngleich hier ausschließlich impliziten Stellungnahme, dann doch wieder Verantwortliche kenntlich zu machen, nmlich die „religiçs relevante Trgergruppe“. In der Negation verbirgt sich die Position, ohne sich zu explizieren. Diese Aussage basiert auf dem Niveau neoliberaler Responsibilisierungslogik. Sie teilt die Aufforderung der Anrufung, sich als Kirche neu entwerfen und gestalten zu mssen, indem sie sagt, wie es nicht geht. Sie teilt die Aufforderung der Anrufung, ein Scheitern begrnden zu mssen. Die Subjektivierung schreibt sich weiter voran, indem bestimmte Aspekte als essentielle Notwendigkeiten konstruiert werden: gelebte Religion, geistliche Motive, geistliches Profil, religiçs relevante Trgergruppe. Die Verwerfungsattitde gibt Einblick darin, dass das Bestehende schon nicht mehr nur das Bestehende und Geltende, sondern zur Alternative geworden ist, die nun als neue Mçglichkeit vorgestellt, begrndet, verteidigt und gewhlt werden muss. Ob sie gewhlt wird und gewhlt werden muss, das beantwortet der Artikel lediglich mit einer impliziten Aufforderung. „Es ist dennoch ein interessanter Testfall, wie stabil eine in fnfzig Jahren gewachsene, offene, liberale und pluralistische Volkskirche in unserem Land denn nun wirklich ist und ob es noch gengend Menschen gibt, die diese fundamentalistische Attacke von oben abwehren“ (ebd., 68).
Damit gibt sich die „polemische Analyse“ noch einmal widerstndig und indem sie das tut, antwortet sie auf die „Anrufung“. Sie ist widerstndig, weil sie auf die explizite Handlungsaufforderung verzichtet, sie responsibilisiert und aktiviert gerade nicht. Sie antwortet jedoch auf die Anrufung, indem sie das Negativszenario der Verwstung vor Augen fhrt und so eine allein mçgliche Form des richtigen Handelns favorisiert und die Selbstinitiative und -steuerung von „noch gengend Menschen“ erhofft. Die
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1. Die Anrufung
Polemik zeichnet den Regimewechsel als Kampf totalitrer Regime31, die jeweils nur sich ausschließende Wahrheiten kennen. Die Widerstndigkeit gegenber der Anrufung des Marktes erweist sich genau darin als eine weitere von mehreren mçglichen eigensinnigen Formen, auf die Anrufung zu reagieren. „Foucault fasst den Widerstand als Effekt eben der Macht, gegen die er sich richten soll. Das Beharren auf der doppelten Mçglichkeit, sowohl durch das Gesetz konstituiert zu sein wie ein Effekt des Widerstandes gegen das Gesetz zu sein“ (Butler 2001, 94), ist konstitutiv fr Foucaults Verstndnis von Macht als einem Feld produktiver reglementierender und zugleich widerstreitender Beziehungen.
31 Und mçglicherweise religiçser Regime – siehe Kapitel 4.
2. Sich als wollendes Subjekt projektieren „Eine eigenstndige Antwort kann nur heißen, gegen den Trend wachsen zu wollen.“ (Huber 2006, 7: Vorwort „Kirche der Freiheit.“)
Im Zusammenhang der Anrufungsszenen begegnet uns wiederholt eine argumentative Figur, die, wie im Folgenden zum Beispiel der Gemeindepfarrer und Volkswirt Werner Bçck, die Situation der vom neoliberalen Appell getroffenen Kirche als ein Dilemma beschreibt und als ein Aufeinandertreffen unterschiedlicher und nicht zu vereinbarender Rationalitten. „Kirche als çkonomisch handelnde ,irdische’ Institution, die der Beschrnktheit der Ressourcen unterliegt, kann nicht alle Wnsche befriedigen, da sie gleichzeitig ihrem ,himmlischen’ Auftrag verpflichtet ist “ (Bçck 1998, 76 f ).
Eine Diastase von geistlich und weltlich, himmlisch und irdisch, gçttlich und menschlich, Verkndigungsauftrag und Mitgliederwnschen wird ausgemacht. Sie lsst sich meist dadurch berraschenderweise auflçsen, dass eine andere Ebene betreten und eine um die Verfahrensfrage zentrierte Entscheidungssituation konstelliert wird, die bewltigt werden kann. „Aber sie kann diesen himmlischen Auftrag sicherlich besser oder schlechter in unserer Welt umsetzen“ (Bçck 1998, 76 f ).
Dabei reicht das Aufzeigen einer schlichten Alternative von „gut“ oder „schlecht“ nicht aus, die Problematisierung des „besser“ setzt mit dem Komparativ zugleich den Steigerungsimperativs aus sich heraus. Den „himmlischen Auftrag besser in der Welt umsetzen“ fungiert als Problematisierungschiffre, die die Entscheidung ermçglicht und zugleich das Entscheidungserfordernis erst herstellt und auch das Ergebnis schon vorbereitet. Die Antwort auf die Frage, wie dies „besser“ geschehen kann, heißt, sich selbst durch ein spezifisches, und in diesem Fall das çkonomische Wissen leiten zu lassen und sich zu managen. Der Appell richtet sich dabei an eine Organisation oder ein Individuum, wobei dem „Willen“ eine prominente Stellung zukommt.
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2. Sich als wollendes Subjekt projektieren
Der Wille als Regulativ Ausgehend von der Genealogie des Subjekts ist Regierung nicht die Weise, Menschen zu zwingen, was der Regierende will; vielmehr „ist dies immer ein bewegliches Gleichgewicht von Ergnzungen und Konflikten zwischen Techniken, die Zwang herstellen und Prozessen, durch die das Selbst durch sich selbst konstruiert und modifiziert wird“ (Foucault, nach: Brçckling et al. 2000, 29). Maasen/Sutter/Duttweiler beschreiben in diesem Zusammenhang den Willen als zweifaches Regulativ. Er ist individualisierend, indem „der Wille“ zur „Entwicklung von Selbsten“ beitrgt. „Dies geschieht nicht nur auf der Ebene einer regulativen Idee, sondern mit Hilfe konkreter Praktiken und Techniken, z. B. des Willenstrainings und des Selbstmanagements. Diese Praktiken nutzen unterschiedliche Wissensformen (v. a. Wissenschaft, Religion, Esoterik, Medizin), um die Selbstfhrung anzuleiten; das zentrale Steuerungsprinzip ist die Entscheidung. Mit diesem Bezug lsst sich das eigene Verhalten unter dem Aspekt der entschiedenen Handlung identifizieren und zugleich sozial steuern“ (Maasen/Sutter/Duttweiler 2008, 164).
Der Konnex von Willen, Entscheidung und Entscheidungszurechnung ist dabei fr die Responsibilisierungsstrategie konstitutiv. Der Wille tritt als „individualisierendes Regulativ“ in seiner gouvernementalen Funktion nun auch als „politisches Regulativ“ in den Vordergrund, weil ber die Techniken und Praktiken der „autonomen Selbstfhrung“ zugleich soziale Ordnung hergestellt wird (ebd., 165). Der Wille fungiert in diesem doppelten Sinne als „Vehikel der Selbst- und Fremdfhrung“. „Die Frage nach dem willentlich handelnden Selbst ist in gesellschaftlichen Diskursen von enormer Bedeutung und lsst sich durch Verlustmeldungen auf neurophysiologischer Ebene (,Ende der Willensfreiheit‘) kaum irritieren (…). Unsere Befunde deuten jedoch daraufhin, dass die normativ-praktische und gesellschaftliche Integrationswirkung durch den Bezug auf willentlich handelnde Selbste unaufgebbar ist. In salopper Weise ließe sich aus wissenssoziologischer Perspektive sagen: Wenn es den Willen nicht schon gbe, msste er erfunden werden!“ (ebd., 168 f ).
Deshalb interessiert diese Studie in diesem Zusammenhang nicht die ontologische Frage, ob es einen freien Willen gibt oder nicht. Vielmehr wird danach gefragt, welche Rolle „der Wille“, die Anrufung eines freien Willens und die Unterstellung, dass Handlungen willentlich vollzogene Akte seien, im Veridiktionsprozess spielt.
2. Sich als wollendes Subjekt projektieren
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Wachsen wollen Die Kombination der beiden Verben „wachsen“ und „wollen“ in dem einleitenden Zitat indiziert die Veridiktion in der Verschiebung von Zustndigkeiten. Wre diese Kombination noch vor einiger Zeit als „unsinnig“ erschienen, weil man wachsen zwar wollen, aber nur mßig beeinflussen kann, hier also zwei unterschiedliche Subjekte den jeweiligen Verben zugeordnet werden mssten (der wachsende Kçrper oder in der Metaphorik des Organismus auch das wachsende Unternehmen und daneben der willentliche Mensch/Mitarbeiter) und die Lçsung htte geheißen: „wir mssen gegen den Trend wachsen“, wird in der Kombination – man muss wachsen wollen – nun zugleich konnotiert, dass die entscheidende Komponente dieses Prozesses der Wille sei. Der Wirkungsradius des Willens wird damit erweitert auch auf Bereiche, die bislang dieser Sphre entzogen waren. Die Adressierung eines wollenden Subjekts verlagert die Grnde fr das Gelingen bzw. Scheitern des Wachsens in den Verantwortungsbereich des Subjekts und mutet diesem wiederum zu, sich in entsprechender Weise dazu zu verhalten. Das willentliche Selbst Die Anrufung des willentlichen Subjekts kann als Teil des Responsibilisierungsprogrammes verstanden werden. Die Regierungsform schafft individuelle und kollektive Subjekte als freie, aktive und handlungsfhige Akteure, indem sie sie als solche anspricht. Staatliche Steuerung und politische Regierung stellen auf „Aktivierung und Ermçglichung“ um und regulieren und sichern den Rahmen fr eine Beteiligung unterschiedlichster Akteure. „Gleichzeitig bedarf es bestimmter Regierungstechniken – z. B. Techniken der Agency und Performanz –, durch die die AkteurInnen ihre Handlungsfhigkeit selbst herstellen, vermitteln, vergleichen und effektivieren“ (Raitelhuber 2006, 176). Das neoliberale Programm verfolgt mit seiner Aufforderung, sich zu managen, eine Zurichtung des Selbst ber den Willen nach gesonderten Kriterien wie der Effektivitt, der Konkurrenz, es zielt auf das sich gegenber dem Tribunal eines Marktes zu verantwortende Subjekt. Dabei wird sowohl das individuelle als auch das kollektive Subjekt auf einen eigenen Willen hin adressiert und das kollektive Subjekt, mit diesem Merkmal konstituiert, individualisiert. Begleitet und untersttzt wird dieser Vorgang von Vorstellungen der Verkçrperung (Bauman 2005), worauf auch die Metaphorik hindeutet, wenn
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2. Sich als wollendes Subjekt projektieren
sich die Regierungsformen des Sozialen als „Corporate governance“ beschreiben oder die Rede davon ist, auch Unternehmen und Organisationen schlank, fit und beweglich machen zu wollen. Es ist daher nicht von ungefhr, dass viele dieser Selbstfhrungstechniken eine sportliche Haltung heraufbeschwçren – das individuelle wie kollektive Selbst kann wie der Kçrper trainiert, bearbeitet, auf Ressourcen hin berprft, in seinen funktionalen Leistungen aller seiner Teile gemessen und gesteigert werden. Eben deshalb ist es auch im Bereich des Vorstellbaren, „wachsen zu wollen“, weil der Wille auch hier als das diese kçrperlichen Vorgnge abstimmende und sie beeinflussende und in die richtige Richtung bewegende Regulativ behauptet wird32. Sich fokussieren – Responsibilisierungs- und Subjektivierungstechniken Die Techniken, die zur Herstellung dieser Selbstfhrung anleiten, werden in der Studie unter dem Begriff des Sich-Fokussierens gefasst. Der Begriff Fokussieren ist der Optik entnommen, der hier die Scharfeinstellung eines Bildes unter Einberechnung der Entfernung beschreibt. Mit dieser Reflexiv-Konstruktion „sich fokussieren“ sollen unterschiedliche Subjektivierungs- und Responsibilisierungstechniken gebndelt werden, die darauf hinauslaufen, sich im Hinblick auf ein Ziel oder eine Zukunft zu konzentrieren und auszurichten. Wer durch den Fotoapparat das Bildobjekt fixiert und scharf stellt, schließt das Umfeld in seiner Unschrfe aus. „Fokussieren“ steht fr Techniken, die darauf zielen, die Optionenvielfalt zu reduzieren, Kontingenzen einzudmmen und sich unter das Gesetz der Entscheidung zu stellen, mit dem Effekt der Exklusion – und dies im Hinblick auf einen eigenen Selbstentwurf. In der Selbstkonstruktion wird eine Schnittstelle zwischen innen und außen projektiert, denn nur so ist es mçglich, Vorkehrungen zu treffen, wo und in welcher Weise man auf sich selbst einwirkt. Wer „sich selbst in die Hand nehmen“ will, muss wissen, was er in die Hand nimmt. Dies alles geschieht unter Einberechnung von Entfernung, nmlich angenommener Zukunft. Es sind Bearbeitungstechniken, deren Herkunft sich einem Mix aus betriebswirtschaftlichem, psychologischem, soziologischem, biologischem, physikalischem und re32 Hier laufen mehrere Vorstellungen zusammen, die Foucault und die Gouvernementalittsstudien unter dem Begriff der Biopolitik fassen als Beherrschung und Bearbeitung des Kçrpers und des Lebens: Foucault (2006b), Rose (1998), u. a. Duttweiler (2003).
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ligiçsem Wissen verdankt. Sie prsentieren sich als lineare (Leitbildprozesse) oder zirkulre Anstze (systemisch: „Der Kopf ist rund, damit die Gedanken die Richtung wechseln kçnnen“), in Großgruppenprozessen (Zukunftswerkstatt, Zukunftskonferenz, Open Space, World Cafe), in Teams oder in Einzelberatungen. Es gibt sie in Buchform als illustrierte Ratgeber, sie werden ber externe Experten eingebracht und in vieler Hinsicht haben sie sich schlicht in das Alltagswissen eingearbeitet. Die gemeinsame Botschaft ist immer eine subjektivierende, weil das kollektive oder individuelle Selbst in die Verantwortung genommen wird: Wenn du Einfluss haben willst auf deine Zukunft, so musst du heute damit beginnen. Wer sich nicht fhrt, wird von anderen gefhrt. Deshalb schließen diese Fokussierungsprozesse mit dem ersten Schritt, den konkreten Handlungsaufgaben, die am besten namentlich gekennzeichnet sind (eine Person oder die Nennung der Abteilung). Die in diesem Zusammenhang begegnende Rhetorik ist leicht erkennbar, weil sie auf den Eindruck von Schrfung und Distinktion abhebt: Profil, Marke, Kernaufgabe, Kerngeschft, Schlsselrolle, Alleinstellungsmerkmal (USP). Sich in dieser Weise auf einen Fokus hin zu modellieren und damit erkennbar und glaubwrdig zu werden, wird empfohlen, weil der Abgrund in Rufweite ist: Unordnung, Chaos, Sinnlosigkeit, Erfolglosigkeit drohen, Energien, Finanzen und Menschen werden durch mangelnde Selbstkongruenz unnçtig verbraucht. Um sich selbst fr die Zukunft zu etablieren, ist es wichtig, so empfehlen die literarischen und persçnlichen Ratgeber, Zukunft oder das Ideal, die Vision zu antizipieren („Unsere Firma im Jahr 2015“), um die Handlungsstrategie darauf ausrichten zu kçnnen. In den folgenden Kapiteln soll gezeigt werden, wie sich die evangelischen Kirchen, Gemeinden, Kirchenmitglieder, Kirchenvorstnde, Pastorinnen und Mitarbeiter als wollendes und verantwortliches Subjekt und als ein unter dem Regime der neoliberalen Gouvernementalitt stehendes unternehmerisches Selbst diskursiv in Texten und Praktiken produzieren. Dabei gehçrt die Aufmerksamkeit zunchst dem kollektiven Subjekt, der Kirche.
3. Sich als leitendes kollektives Subjekt herstellen 3.1. Allgemeiner Diskurs: Fokussierende und authentisierende Techniken Wurde in dem vorherigen Kapitel mit dem Hinweis auf Unternehmensberatung das Feld der Unternehmensentwicklungsstrategien akzentuiert, wird der Einblick in den allgemeinen Diskurs hier auf ein anderes Feld begrenzt. Den Gouvernementalittsstudien und der konomisierungsthese folgend wird mit dem „Neuen Steuerungsmodell“ ein Bereich in den Blick genommen, der als Beispiel fr die fortgeschrittene „Kolonialisierung der Lebenswelten“ (Habermas 1981) und die berformung anderer gesellschaftlicher Bereiche durch die çkonomische Rationalitt steht, der Staat. An den Vernderungen innerhalb der staatlichen Behçrdenstruktur lsst sich anschaulich nachvollziehen, wie sich marktwirtschaftliche Rationalitt ber Praktiken der Selbstfhrung als organisationale Vernderung materialisiert und die organisationale Behçrde zur unternehmerischen Organisation transformiert. Das Neue Steuerungsmodell Als „Neues Steuerungsmodell“ oder in der angloamerikanischen Variante das „New Public Management“ (NPM) werden seit den neunziger Jahren Verwaltungsreformen in çffentlichen Verwaltungen in den USA und Europa, u. a. in Deutschland und der Schweiz durchgefhrt. Das „NSM“ (in Deutschland) oder die „WoV“ (in der Schweiz: Wirkungsorientierte Verwaltungsfhrung) – wie so viele Techniken belegt mit der Vorliebe zur verschlankenden Bezeichnung durch Akronyme – verdankt seine Prinzipien, Konzepte und Instrumente Erkenntnissen der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, namentlich Organisations- und Managementstudien33. Diese „Corporate-Governance-Konzepte“ (Schewe 2005) zielen dabei auf Transparenz und Deliberation, Motivationsbildung und Kohrenz. NPM kann als Teil der politischen Strategie begriffen werden, die sich 33 Kommunale Gemeinschaftsstelle fr Verwaltungsvereinfachung (1993); Schedler/ Proeller (2006), Schwarting (2005).
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mit dem Stichwort des „aktivierenden Staates“ verbindet und mit der politische Programme den Staat als managerielles Konzept begreifen. Die Vertreter des NPM stellen, wie Christoph Maeder in seiner wissenssoziologischen Untersuchung zur „Gouvernementalitt des New Public Management“ (Maeder 2004) bemerkt, prinzipiell die Vorteile der Konkurrenz und Flexibilitt von Mrkten dem starren institutionellen Rahmen der Politik gegenber, um „unausweichlich zur immer wieder geußerten Warnung zu kommen, (…) generell jeder moderne Wohlfahrtsstaat erstarre aufgrund der Rigiditt im politischen Bereich auch in der Wirtschaft“ (ebd., 69). Maeder fasst das New Public Management als ein „kulturelles Modell“, als „Bndelung von Wissensbestnden von Akteuren, die zu vorausgesetzten, benutzten und geteilten Vorstellungen ber einen relevanten Wirklichkeitsausschnitt verbunden werden (…). Darin eingelagerte kleinere Wissensfragmente, sogenannte Doxa, formen (…) die gemeinsam verwendete Interpretations- und Begrndungslogik innerhalb einer Diskursgemeinschaft, hier das NPM“ (ebd., 70 f ). Doxa sieht Maeder beispielsweise in dem Ausgangspunkt aller Ausfhrungen zum NPM, die çffentlichen Finanzen wrden „grundstzlich nicht effizient und effektiv genug verwendet“, obwohl der Befund in dieser Allgemeinheit kaum belegbar sei. So bescheinigt Maeder dem NPM auch eine Empirieresistenz. „Die Abwesenheit von solider sozialwissenschaftlicher Empirie im Verbund mit den generellen Ineffizienz- und Ineffektivittsunterstellungen, die ja verdeckt auch ein ,mehr ist mit weniger machbar‘ enthalten, begrnden ein zentrales Deutungsmuster fr die empfohlenen Eingriffe in die Verwaltung“ (ebd., 71). Eine weitere doxische Kategorie im NPM ist der Begriff des Kunden. „Brger mit ihren Rechten und Pflichten gegenber dem Staat, der sich in der Verwaltung als ein Herrschaftssystem konkretisiert, werden in der NPM-Literatur grundstzlich zu Kunden beschçnigt. Diesen gilt es in der Folge ,brgernah‘ und mit ,Dienstleistungsorientierung‘ zu begegnen“. Dies sei unproblematisch, so lange es nicht um „hoheitliche Aufgaben mit klarer Herrschaftsfunktion“ gehe (ebd., 72). Brger entschieden „kaum je ernsthaft und keinesfalls situativ-individuell“, ob sie eine konkrete staatliche Leistung, z. B. die Schulbildung ihrer Kinder nun wirklich kaufen wollten34. „Die Kundenmetapher stçßt schnell an Grenzen und kann
34 Das gegenwrtige Dispositiv der „Selbstndigen Schulen“ zeigt die weitere Einarbeitung – es ist inzwischen durchaus denkbar, so zu denken, genau so wie das
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3. Sich als leitendes kollektives Subjekt herstellen
problemlos bis ins Groteske demontiert werden – man denke an die Kunden der Polizei, doch sie erçffnet einen direkten und kommunikativ sehr anschlussfhigen Zugang zum Alltagswissen der betroffenen Verwaltungen und der Bevçlkerung“ (ebd., 72). Ein anderes mit der Kundenorientierung einhergehendes Prinzip des NPM ist die Flexibilisierung von Arbeitsanstellungen mit dem Effekt, die Verbeamtung des Personals im Staatsdienst zu reduzieren (ebd., 73). Zentral fr das NPM ist die Steuerungs- und Steuerbarkeitsidee im Hinblick auf das, „was unter der Etikette Effizienz verhandelt wird“ (ebd., 73). Zur Steuerung dieses Verhltnisses von Nutzen (einer Behçrde, einer Institution, einer Maßnahme) und den dafr aufgewendeten Mitteln werde eine Vielzahl auch sich widersprechender Prozeduren und Indikatoren entwickelt, wie z. B. Evaluierungsverfahren. Die Durchsetzung und Verbesserung dieser Verfahren schlage sich nieder in einem permanenten Beratungsbedarf von Behçrden „und in einer nicht enden wollenden Mission zur berzeugung, Ausgrenzung und Disziplinierung Uneinsichtiger“ (ebd., 74). In dieser Zusammensicht „emergiert beim NPM ein kulturelles Modell, welches in der Wirtschaft wirksame und vernnftige Prozeduren auf den Staat bertragen will“ (ebd., 75). Was Maeder hier noch kritisch anmerkt, die Auswirkungen des NPM auf die politische Regierung und demokratische Mitwirkung, wird 2006 schon wissenschaftlich untersucht worden sein.35 Auch die Befremdung ber die Kundenmetapher in Behçrden und Schulen stellt sich gegenwrtig schon nicht mehr ein und kann als Indiz fr Normalisierung und fortschreitende Subjektivation gewertet werden, genauso wie der zu vermutende Umstand, dass die „Disziplinierung Uneinsichtiger“ sich in weitere Formen der Einarbeitung transformiert hat. Die Prozeduren der „Verschlankung“ von Verwaltung und Organisation und deren „Entbrokratisierung“ orientieren sich an ganzheitlichen Verfahren wie die Entwicklung eines Produkt-Markt-Konzeptes, Strategische Ausrichtung an Zielen, Dienstleistung mit Ergebnisorientierung. Statt einer ausgeprgten Hierarchisierung wird „Kontraktmanagement verselbstndigter Organisationseinheiten“ empfohlen, statt einer „Trennung von Fach- und Ressourcenorientierung“ wird „Gesamtverantwortung“ bernommen. Der gegenwrtig schon vertraute „Newspeak“ heißt Mitte Qualittsmanagement an berufsbildenden Schulen oder Universitten Schler und Studierende selbstverstndlich als Kunden anspricht. 35 Lienhard et al. (2006), Bogumil et al. (2007).
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der neunziger Jahre: Kunden/Brgerorientierung, Wandel als Chance, Kontrolliertes Risiko, Vision und Leitbild. Statt zu analysieren gilt es zu experimentieren, statt neue Ideen mit Skepsis zu blockieren, gilt es sie zu untersttzen. Das Zustndigkeitsdenken weicht der Problemlçsungs- oder Ergebnisorientierung (NSM/WoV/NPM 2007). Das neue Steuerungsmodell kann insofern als Sozialtechnologie begriffen werden, als es ber die Auflockerung von Hierarchien, die Einrichtung von Arbeits- und Projektgruppen sowie die regelmßige Durchfhrung von Leistungs- und Erfolgskontrollen spezifische Effekte freisetzt. „Erstens etabliert es neue Formen von Selbstfhrungstechniken der Beschftigten durch die spezifische Organisation des Arbeitsprozesses. Zweitens konfrontiert NPM die ,Verwalteten‘ mit Anforderungen, die eine methodische Bearbeitung der eigenen Ansprche verlangen: Sie richten sich an den ,aufgeklrten Kunden‘, der seinen Bedarf an die Verwaltung kompetent artikulieren kann. Drittens verndert sich auch die Struktur und Identitt der Organisation maßgeblich: Durch NPM wird die Verwaltung dynamisiert; sie wird eine ,lernende Organisation‘. All dies ermçglicht ein Paradigma, das Verwaltungsstrukturen, die auf Steuerung durch Selbstmanagement der Mitarbeiter ebenso wie der Kunden beruhen, als eine systematisierte Form der Effektivierung nutzt“ (Maasen/Merz 2006, 51).
Leitbildentwicklung Eine Technik aus dem Arsenal managerialer Selbst- und Fremdfhrungstechniken der „Corporate-Governance-Konzepte“, zu denen auch das NPM zhlt, ist die der „Leitbildentwicklung“. Welch zentraler Stellenwert einem Leitbild zugemessen wird, beantwortet ein Blick in das OnlineLexikon „Verwaltung“. „Eine wichtige Funktion eines Leitbildes ist es, den gesellschaftlichen Auftrag herauszuarbeiten, der die Existenz einer çffentlichen Einrichtung rechtfertigt, das Bewusstsein dafr zu strken und den Auftrag zum zentralen Bezugspunkt des Handelns zu machen“ (Leitbild 2007).
Um nichts weniger als die Existenzrechtfertigung geht es, wenn dieses zur Selbstreflexion anleitende Verfahren empfohlen wird. Mit der Erforschung und Explikation der eigenen Innerlichkeit scheint sich zugleich die Zukunft sichern zu lassen, wie die Internetprsentationen von Beratungsfirmen verheißen.
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3. Sich als leitendes kollektives Subjekt herstellen
„Im Wandel der Zeit muss es Ziel eines jeden Unternehmers sein, den ber den Zeiten bestehenden Unternehmenszweck (Mission) zu klren. Jedem Unternehmenswandel oder einer unternehmerischen Neuausrichtung geht die Frage nach der Mission – nach dem Kern – des Unternehmens voraus. Erst danach kçnnen konkrete Konzepte erarbeitet werden. Damit stellen Sie sicher, dass in ihrem Unternehmen Mission und unternehmerisches Handeln bereinstimmen. Als Konsequenz arbeitet ihr Unternehmen effizienter, dynamischer, zukunftsorientierter – kurz: es gewinnt die Zukunft“ (MissionLab 2007).
Die Vorstellung ist die eines Selbst, das grçßtmçgliche Effizienz deshalb erzielt, weil es eine bereinstimmung von Auftrag und Handeln hat und Ressourcen funktional optimal eingesetzt werden. Wie dominierend die Vorstellung eines an einem Leitbild orientierten funktional-rationalen Ganzen ist, zeigt das Beispiel des NPM im çffentlichen Verwaltungsbereich: „Alle Elemente sind in Verfassung und Gesetz eingebettet. Aus dem Leitbild ergeben sich die bergeordneten Visionen fr das Gemeinwesen, die im Idealfall im Schwerpunktprogramm der Regierung, im integrierten Aufgabenund Finanzplan und in den Produktgruppenbudgets ihren Niederschlag finden“ (Schedler/Proeller 2006, 154 f ).
Hier ist das Verhltnis von Leitbild, Verfassung, Gesetz und Regierungsprogramm als Gesamtensemble unter Einschluss der Operationalisierungsebenen idealiter so gedacht, dass auch der Bereich der Politik dem Leitbild zuarbeitet. Die Leitbildentwicklung bndelt unterschiedliche Subjektivierungsund Responsiblisierungstechniken, die darauf hinauslaufen, sich im Hinblick auf ein Ziel oder eine Zukunft zu konzentrieren oder zu verknappen. Dabei geschieht die Fokussierung ber eine Reprsentationsbindung, indem eine Form von Selbstkongruenz von Identitt und Ideal (Ist und Soll), Gegenwart und Zukunft antizipiert wird. In dem Prozess soll weiterhin Unterscheidbarkeit hergestellt werden, nmlich im Hinblick auf eine am Markt gemessene Wettbewerbsfhigkeit (Alleinstellungsmerkmal oder „USP“, die „unique selling proposition“) und Wiedererkennbarkeit („corporate image“). Genau geht es darum, einen einheitlichen Willen ber innere Konsensbildung („corporate identity“) und eine emotionale Bindung ber ein „Wir-Gefhl“ zu erzeugen. „Ein Leitbild wirkt nach außen und innen! Es stellt oft das ideelle Alleinstellungsmerkmal dar. Das ist fr Menschen, die das Unternehmen wahrnehmen sozusagen die erkennbare persçnliche Komponente, neben den materiellen Alleinstellungsmerkmalen (USP)“ (Streuverluste 2007).
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Weil diese erkennbare persçnliche Komponente des kollektiven Subjekts im Leitbildprozess hergestellt werden soll, kann dieser Prozess beschrieben werden mit einem aus der EDVentliehenen Begriff: Man authentisiert sich mit einem Passwort und wird dann vom System authentifiziert. Leitbildprozesse sind insofern Praktiken des „Sich Authentisierens“, wobei die neue Identitt auf Anerkenntnis eines spezifischen Außen angelegt ist, es geht um die Authentifizierung als Wettbewerbsteilnehmer. Auf diese Weise ist es mçglich, in der Arena vorstellig zu werden als ein erkennbarer Akteur unter mehreren, zwischen denen auzuwhlen ist. Kollektive Subjekte haben auf dem Weg dahin, ein willentlich handelndes Subjekt zu werden, umfangreiche Arbeiten zu leisten. Leitbildprozesse sind langfristig und aufwndig, da die Authentisierung als Herstellung von innerer Kohrenz eine Aktivierung aller am Unternehmen, an der Behçrde, der Kommmune oder der Institution Mitarbeitenden oder Beteiligten36 verlangt. Deshalb gehen Leitbildprozesse oft mit Großgruppenverfahren als Verfahren des kollektiven und organisationalen Lernens einher. Diese seit Mitte der 1990er Jahre im deutschen Sprachraum bekannter werdenden Formen wie Open Space, Zukunftswerkstatt, -konferenz „setzen an der Analyse der zu bestimmenden Gegenwart an und entwerfen im Prozess eine zu bestimmende Zukunft. Als didaktische Arrangements in komplexen Settings gehen sie von Ungewissheit und offener Transformation fr die Ausgangssituation wie auch fr die Zielvorstellung aus. Sie lassen sich also als vernetzte Lern- und Veranstaltungsformen im Sinne der reflexivtransformatorischen Perspektive verstehen“ (Weber 2005, 16). Diese „Rituale der Transformation“ (Weber) zielen wie die Techniken des NPM auf Ressourcen- und Lçsungsorientierung, fokussieren dabei die partizipative Gestaltung und dialogische Generierung neuer Lçsungen. All das kennzeichnet die Techniken als solche der „neuen Pastoralmacht“, weil sie dazu anleiten, eine Wahrheit ber sich selbst mittels Prozeduren zu erzeugen, sie zuallererst herzustellen. Mit dem zwanglosen Zwang zur Selbstmodulation, als htte es bis dahin keinen Akteur und kein Handlungssubjekt gegeben, scheint es nun notwendig zu werden, sich anderen und einander vorzustellen, als ein sich selbst aktivierendes Subjekt in der Selbstkongruenz: Die Realfiktion ist die einer Identitt von Handeln, Auftrag und Ziel. Als Techniken der neoli36 Im kommunalen Bereich lsst sich dieser Vorgang der Herstellung des „brgerschaftlichen Willens“ beispielhaft verfolgen an dem ber Verfahren der Partizipation hergestellten Modell der Brgerkonferenz (Junge 2008, 189ff ).
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3. Sich als leitendes kollektives Subjekt herstellen
beralen Pastoralmacht geben sie sich zu erkennen an ihrer Ausrichtung, der spezifischen, auf die Realitt eines Marktes bezogenen Rationalitt. Die Kriterien der Kohrenz von Auftrag und Handeln orientieren sich an dem, was das kollektive Subjekt nun als „Bedarf“ eruieren muss. Die Leitbildtechnik setzt deshalb eine Reihe von Folgeprozeduren voraus und in Gang, wie Monitoring und Erforschung des Marktes oder berprfungsverfahren wie Evaluationen. Denn der Selbstentwurf antizipiert immer schon das Tribunal des Marktes, wie es sich in der Kundenorientierung und dem erzielten Erfolg ausweist. Die Binnenorientierung und -zurichtung bedarf ebenfalls der Anleitung durch Verfahren, die helfen, den Marktanforderungen Rechnung zu tragen. Dazu gehçren Technologien der Agency und der Performanz. „Als Agency-Technologien kçnnen generell jene Techniken bezeichnet werden, die darauf zielen, die Kapazitten und Mçglichkeiten zum Handeln zu steigern, so dass Individuen und Organisationen partizipieren und Entscheidungen zustimmen kçnnen. Mit Performanz-Technologien lassen sich jene Elemente des Regierens bezeichnen, die Fhigkeiten vergleichbar und kalkulierbar machen“ (Raitelhuber 2006, 175). Diese Folgeprozeduren, wie sie sich beispielsweise in Personal- und Qualittsmanagementverfahren ausdrcken, denen in den weiteren Kapiteln nachgegangen wird, korrespondieren zunchst mit Vorstellungen des Lean Managements und werden in der weiteren Einschreibung ab den neunziger Jahren mit den Selbstvorstellungen der „lernenden Organisation“37 eingeholt. Denn auch wenn Zukunft vorweggenommen werden soll, ist doch eindeutig, dass sie nicht eindeutig ist. Auch fr Techniken und Strategien der Selbstfhrung gilt, was auch fr das Subjekt gilt, sie mssen auf ihre Effizienz und Zukunftsfhigkeit hin jeweils neu berprft werden. Wer Leitbildprozesse macht, wird feststellen, dass sie zeitaufwndig und wenig effizient sind, und daher berlegen, mit welchen anderen Methoden hier zu optimieren ist. Wer heute in seinem Leitbild sagt, wer er ist, wird dies bermorgen womçglich in ganz anderer Weise tun mssen. Und wer gestern noch feststellte, dass man ein ganzes Unternehmen auf ein einzelnes Ziel, auf einen alles dominierenden Zweck ausrichten kann, wird heute festgestellt haben, dass er einem „Selbstbetrug“ erlag. Das „Mangement-by-irgendwas“ (Khl 2000, 48) wird sich erledigt haben zugunsten der Vorstellung einer „lernenden Organisation“. Denn jede Vorstellung von „optimalen Organisationsstrukturen“, so Khl, kommt nur zustande, wo der „Anschein von Rationalitt und berle37 Maßgeblich fr das Konzept der „Lernenden Organisation“: Peter. M. Senge (1990), Die fnfte Disziplin, vgl. Khl (2000).
3.2. Spezialdiskurs: Verwaltungsmodernisierung und Leitbilder
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genheit“ entsteht – und zwar dadurch, dass mçgliche Verunsicherungen des Modells systematisch ausgeblendet werden. Aus dem „einfachen KVP“ (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess) wird der „potenzierte KVP2“ bzw. „KVP hoch drei“. Der Wechsel von einer rationalen Organisationsstruktur zur nchsten ist damit vorprogrammiert (ebd., 39). Die „lernende Organisation“, das „intelligente Unternehmen“, wird schon bald als favorisierte Organisationsform gelten, weil sie am besten „proaktiv auf die wechselnden Umweltbedingungen einzugehen vermag“. Sie fçrdere das stndige „Lernen und die Entwicklung individueller Fhigkeiten zur flexiblen Anpassung des einzelnen Mitarbeiters und des Gesamtunternehmens“ (ebd., 17), sie garantiere den plan- und steuerbaren Wandel. Das Erfolgsrezept der „lernenden Organisation“, wie sie von Unternehmen, Verwaltungen und Behçrden favorisiert wird, lautet: „Offene Kommunikation, Selbstorganisation, Partizipation, Mitarbeiter als zentrale Ressource, kurze Lernzyklen, spontaner Arbeitsstil und eine vertrauensbasierte Unternehmenskultur“.38 Doch wer die „lernende Organisation“ als Selbstvorstellung empfiehlt, wird sie schon kurz darauf gegen den Verdacht des „Aberglaubens“ (ebd.) behaupten mssen.
3.2. Spezialdiskurs: Verwaltungsmodernisierung und Leitbilder Zeitgleich zu den Bestrebungen çffentlicher Verwaltungen, ein „çffentliches Dienstleistungsunternehmen“39 zu werden, findet sich ein hnliches Vorhaben im kirchlichen Raum unter dem Stichwort der „Verwaltungsmodernisierung in der Kirche“. So kann Steffen Rupp in einer 2004 verçffentlichten Arbeit zu diesem Thema bereits auf Erfahrungen der badischen Landeskirche mit dem Neuen Steuerungsmodell rekurrieren. 38 Khl 2000, 17 f: In „einem ,virtuosen Methoden-Mix’, so die Vertreter dieses Konzepts, werden bisher vereinzelt eingesetzte Instrumente des Change Managements wie Benchmarking, Kontinuierlicher Verbesserungsprozess, Qualittszirkel, Gruppenarbeit, Balanced Scorecard oder Vernetzung neu kombiniert und systematisch zu einer umfassenden Lernorganisation ausgebaut. Die lernende Organisation schafft – glaubt man ihren Verfechtern – die Quadratur des Kreises: Sie ist in ihrer Ausrichtung auf Organisationswandel gleichzeitig kunden-, innovations-, mitarbeiter-, prozess- und produktorientiert. Es entstnden ,Win-WinSituationen’, in denen gleichermaßen die Bedrfnisse der Kunden, der Geschftsfhrung, der Eigentmer und der Mitarbeiter befriedigt werden“. 39 KGSt (Kommunale Gemeinschaftsstelle fr Verwaltungsvereinfachung) Bericht 5/ 1993.
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3. Sich als leitendes kollektives Subjekt herstellen
Rupp weist als eine seiner Folgerungen aus, dass das „Menschenbild des neuen Steuerungsmodells“ mit dem „christlichen Menschenbild“ theologisch zu vereinbaren sei, womit zugleich indiziert ist, dass dieses im vorhinein als umstritten galt. Er bescheinigt der Einfhrung des NPM kirchliche Subjektkohrenz: „Wenn die kirchliche Organisation die kooperativen Organisationselemente eines Kontraktmanagements fr sich einsetzt, so ist ein weiterer erheblicher Schritt in Richtung auf eine Kirche getan, deren Ordnung ihrem Bekenntnis entspricht“ (Rupp 2004, 277).
Vorausgesetzt wird, die Ordnung der Kirche habe in einer Entsprechung zu deren Bekenntnis zu sein. Zugleich wird davon ausgegangen, dass dieser Zustand gegenwrtig nicht bestehe, jedoch erreichbar sei. „Eine Reorganisation des kirchlichen Managements (…) kçnnte einen Beitrag zur wirksameren Verkndigung des Gottesreiches, der Seelsorge und der Diakonie leisten, indem sie die kirchliche Verwaltungsorganisation insgesamt leistungsfhiger und fr kirchenleitende Entscheidungen beweglicher macht“ (ebd., 278).
Das NPM scheint also durchaus dazu angetan, dem eigenen, kirchlichen Auftrag unter dem Steigerungsimperativ nachzukommen. Auch im Deutschen Pfarrerblatt tauchen in Texten, Leserbriefen, verschiedenen Meldungen aus der Praxis, wie den Berichten aus den Pfarrvereinen und Landeskirchen, Hinweise zu neuen Dispositiven der Steuerung auf: So ist die Rede von flexiblen Anstellungsformen wie dem Junior-Seniormodell, auch von Arbeitszeitmessung, Budgetierung, Zielorientierung und Jahresgesprchen, von Straffung, Kooperationen und Fusionen. Prioritten und Posterioritten mssten benannt werden40. Zugleich fallen die vielen Foren, Tagungen und Großgruppenverfahren ins Auge, die sich um die Zukunft der Kirche bemhen. Artikel berichten von und werben fr Formen der prozessorientierten Selbstfhrung, so empfiehlt beispielsweise Herbert Lindner den Leitbildprozess in der Metaphorik des zu fassenden Edelsteins („Der Edelstein ist nicht gefasst“). „Der Weg zu einer Lçsung fhrt ber die Entwicklung eines Leitbildes. Nur ein solches integrierendes Bild kann die große Aufgabe einer umgreifenden Vernderung auftragsgemß und situationsgerecht steuern“ (Lindner 2000, 541).
Auch die Kirche entdeckt die Leitbildentwicklung als eine Mçglichkeit der Zukunftssicherung. Im folgenden Kapitel soll gezeigt werden, welche 40 U. a. DTPF 1997, 555 und 589; 1996, 456 f und 673.
3.2. Spezialdiskurs: Verwaltungsmodernisierung und Leitbilder
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Spielarten der Umgang mit der Realfiktion dieses kongruenten, funktional-rationalen Selbst in den landeskirchlichen Organisationen hervorbringt. Die Materialbasis der Diskursanalyse sind im Internet verçffentlichte Ergebnisse von Leitbildprozessen und Kommentare zur Abfassung und Einbringung dieser Papiere. Damit bezieht die Studie nun Dispositive als Indikatoren der gouvernementalen Einarbeitung ein. Die Veridiktion erhlt hier ihren materialisierten Niederschlag in der Form konkreter Praktiken und deren Ergebnisse. Leitbildpapiere sind zwar Programmpapiere und ihre Ergebnisse entsprechen dem „Subjekt im Gerundivum“ (siehe Teil 1), sie sind aber zugleich diskursive Produktionen von kommunikativen Prozessen, die ihrerseits wiederum diskursive Praktiken sind. Zusammengenommen sind sie Effekte von gouvernementaler Einschreibung und zugleich Ausgangspunkte weiterer Einschreibungen. 3.2.1. Das Auftauchen von Leitbildpapieren „Auf die Suche nach neuen Einheiten kçnnen sich nur diejenigen wirklich begeben, die wissen, wer sie sind. Und damit beschreiben kçnnen, was bleiben muss, wenn sich Strukturen verndern“ (Kirchenkreis Clausthal-Zellerfeld).
Seit Beginn der 1990er Jahre erscheinen im kirchlichen Feld in progressiver Tendenz Leitbild-, Perspektiv-, Zukunfts-, Reform- Positions- oder Impulspapiere. Sie erscheinen in Gemeindebriefen, als Internetprsentation, als Flyer und als geheftete mehrseitige Broschren unterschiedlicher DINFormate und geben Auskunft ber Handlungssubjekte, Funktionen oder Rollen („Leitbild Pfarrer und Pfarrerinnen in der Gemeinde“). Dies allein ist schon ein Indikator dafr, dass sich die berzeugung durchgesetzt hat, es verstnde sich keinesfalls mehr von selbst, wer die Kirche ist – weder einer gemeindlichen noch einer nichtgemeindlichen ffentlichkeit gegenber. Es msse gesagt werden, wofr die Kirche steht, was sie will und fr wen sie zustndig ist. In der Produktion von Leitbildprozessen wird damit zugleich ein Gegenber imaginiert und dadurch erst hergestellt, das sich dazu verhalten soll und kann. Wer bis dahin Kirche „irgendwie“ kannte, dem wird sie nun noch einmal und womçglich ganz anders neu vorgestellt. Darber wird er sich freuen oder wundern, sich in jedem Fall aber dazu neu in Beziehung setzen.
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3. Sich als leitendes kollektives Subjekt herstellen
Es gibt Leitbilder von Landeskirchen, Kirchenkreisen und Dekanaten, Regionen, Kirchengemeinden, Kirchenkreismtern, von „Diensten“ und „Werken“, von den Landeskirchen angeschlossenen Verbnden und Vereinen, von evangelischen Kindertagessttten, Altersheimen, Krankenhusern41, von Klinik- oder Notfallseelsorgern, Diakoniestationen und Beratungsstellen. Das Auftauchen der Papiere gleicht einer zuflligen Streuung. Nicht jede Landeskirche, nicht jeder Kirchenkreis, nicht jede Kirchengemeinde sieht sich aufgefordert, sich in dieser Weise selbstvergewissernd und zukunftsprognostisch zu ußern und dies zu verçffentlichen. Andererseits: Nicht nur Verwaltungseinheiten, die in Anlehnung an kommunale Verwaltungsreformen Elemente des NPM eingefhrt haben (Rupp 2004), nicht nur Einrichtungen, die, weil sie durch kommunale oder staatliche Gelder finanziert, deshalb entsprechende Auflagen gemacht bekommen haben (wie beispielsweise Kindertagessttten), auch Kirchenkreise und Kirchengemeinden entwickeln Zukunfts-, Leit- und Strategiepapiere. Vereinzelt finden sich Hinweise darauf, dass auf Vorgabe durch die jeweils hçhere Entscheidungsebene (Rheinland, Baden42, Pommern, KK Leine-Solling, Kindertagessttten etc.) Leitbildprozesse durchgefhrt wurden. Fehlende oder anders lautende Hinweise lassen die Selbstinitiative der einzelnen Akteure vermuten oder schließen diese zumindest nicht aus. Dieser erste berblick verweist in der Zuflligkeit und Disparatheit der Akteure auf den deregulativen Charakter der Prozesse. – Diese Beobachtung wird durch eine zweite verstrkt: Die Leitbildpapiere sind oft versehen mit einer Kennzeichnung, wann sie von wem verfasst, beschlossen oder verabschiedet wurden. Meistens sind dies die jeweiligen institutionalisierten Leitungsorgane wie Presbyterien, Kirchenvorstnde, Kreissynoden, Vorstnde. Es sind aber auch von diesen damit delegierte Steuerungs-, Perspektiv-, Projektgruppen oder Gemeindeentwicklungsausschsse. Leitung, so kann festgehalten werden, beschrnkt sich nicht mehr nur auf funktional bisher damit beauftragte Leitungs41 Die Leitbildentwicklungen in diakonischen Einrichtungen finden frher statt, z. T. ber von Geldgebern zur Auflage gemachte Qualittsmanagementprozesse, siehe auch Schper (2006). 42 Rupp (2004), 221 zur badischen Landeskirche: „Die Kirchenleitung hat sich entschlossen, nicht nur die Landessynode und die anderen Leitungsorgane der Landeskirche, sondern mçglichst alle Gliederungen der Kirche, Kirchenkreise und Gemeinden in den Leitbildprozess einzubeziehen. In der Evangelischen Kirche in Deutschland ist das badische Beispiel des Bottom-up-Prozesses bislang in dieser Hinsicht konkurrenzlos“.
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gremien, sondern wird ber Partizipation ausgeweitet. Wenn es keinen gibt, der beauftragt, beauftragt man sich selbst: haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einigen sich auf ein gemeinsames Leitbild und auch Personen geben Auskunft darber, welche Leitbilder ihr Tun, ihre Arbeit in der Kirche und im Leben 43 bestimmen. Von der EKD, dem Zusammenschluss der Landeskirchen bis hin zum Individuum, der Person – jeder Akteur kann sich berufen fhlen, sich des Fhrungsinstrumentes zu bedienen, und damit zu erkennen geben, was er tut: sich leiten. Schedler/Proeller machen im Verwaltungsbereich auf den Zusammenhang von Autonomie und Strategiebildung aufmerksam: „Auch wenn die Verwaltungseinheiten als ,operative Ebene’ bezeichnet werden, geht mit der Ausgestaltung als Verantwortungszentren die Strkung der Managementfunktion in diesen Organisationseinheiten einher. Je selbstndiger eine Verwaltungseinheit ist, umso wichtiger wird es fr sie, sich eine eigene Strategie zu geben (vgl. die Mission Statements in den USA oder aber die weite Verbreitung von Leitbildern im deutschsprachigen Raum), wie sie ihren Leistungsauftrag erfllen kann“ (Schedler/Proeller 2006, 109).
In den landeskirchlichen Verfassungen ist die Selbststndigkeit der einzelnen Kirchengemeinden gegenber der Landeskirche gesetzlich unterschiedlich geregelt44, dies scheint aber kein Indiz fr das Auftauchen der gemeindlichen Leitbildbildpapiere zu sein, da hier keine sich daraus ableitende Regulierung erkennbar ist. Die Notwendigkeit und Dringlichkeit kçnnte mit Susanne Weber als „gefhlte“ Autonomie erklrt werden45 und damit als ein Zeichen, dass hier der Entscheidungsprozess des einzelnen Akteurs maßgeblich zum Tragen kommt. Der gouvernementalen Responsibilisierungsstrategie wird, wie auch in der zuflligen Streuung erkennbar, ganz unterschiedlich pariert, was wiederum ihre Wirkmchtigkeit indiziert: Wer 43 Leitbild Pommern arbeitet mit persçnlichen Interviews; siehe auch persçnliche Web-Sites von Pfarrern. 44 Hier sei insbesondere auf die Unterschiede zwischen der Vereinigten EvangelischLutherischen Kirche (VELKD) und der Union Evangelischer Kirchen hingewiesen. 45 Susanne Weber (1998) entwickelt ausgehend von der politischen Praxis der Frauenbewegung genealogisch die Wissensfiguren „Autonomie“, „Gruppe“ und „Entwicklung des Selbst“ und zeigt, wie diese als strategisches Handlungswissen zu „Techniken der Freiheit“ transformieren und in Frauenfçrderung und Organisationsentwicklung eingehen. „Autonomie“ wird als politische Kategorie begriffen. Diese „wendet sich explizit gegen hierarchische Strukturen und mndet in Separatismus, Dezentralitt und Selbstorganisation als Organisationsform“(41ff ).
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sich verantwortlich fhlt, gibt sich genau darin zu erkennen, dass er sich ein Leitbild gibt. Legitimation So selbstverstndlich es wirkt, so selbstverstndlich scheint es doch nicht zu sein: Im Umfeld der Papiere, als Einfhrung oder Erluterung bei der Einbringung in Landes- oder Kreissynoden, als Vorwort, Prambel, Epitaph oder Nachsatz in Gemeindebriefen oder auf der Website wird erklrt, warum und wozu die Verfertigung, Abstimmung, die Entwicklung, der Beschluss des jeweiligen Papiers vorgenommen wurde. Dabei findet sich die Bandbreite von knappen und der Wirkmchtigkeit des Instruments gegenber zurckhaltenden und weitere Optionen offen haltenden ußerungen, „Leitbild – was ist das? Es ist der Versuch festzuhalten, was unsere Aufgabe, was unser Selbstverstndnis ist „ (Gemeinde Heide-Butendiek 1999),
bis hin zu weit ausholenden problematisierenden Situationsanalysen, die darauf hinweisen, dass es sich um ein in vielen gesellschaftlichen Feldern bliches Verfahren handelt. „Schaut man in Unternehmen wie in soziale Organisationen, hçrt man landauf und landab von Leitbildern“ (Kirchenkreis Leine-Solling).
Auch wird vorausgeschickt, es entsprche dem Zeitgeist, es sei eine Mode, der die Kirche sich selbstverstndlich anschließe. „Der moderne Mensch will wissen, wo es lang geht. Also sind auch wir herausgefordert, den kirchlichen Katalog mit den ,Reisezielen’ fr das Leben voranzustellen“ (Landeskirche Baden Leitstze).
Leitbilder seien eigentlich immer implizit mit im Spiel. „Allen Planungen und Entscheidungen im privaten wie çffentlichen Bereich liegen bestimmte Leitbilder zugrunde. Vielfach sind diese Leitbilder unbewusst und bilden unausgesprochen den Hintergrund wichtiger Entscheidungen“ (Kirchengemeinde Wermelskirchen-Leitbild, 1998 abgeschlossen).
Und zu der Pluriformitt von schon existierenden Leitbildern, „Auch im Blick auf Gestalt und Auftrag der Kirche gibt es sehr viele und sehr unterschiedliche Leitbilder „ (ebd.),
gelte es, nur noch das eigene Leitbild zu erstellen.
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„…auf der Ebene der Ortsgemeinde als der kleinsten und konkretesten Form, in der sich die Kirche darstellt“ (ebd.).
Dass die Kirche Leitbilder entwirft und entwickelt, versteht sich nicht von selbst und muss erklrt werden. Die Notwendigkeit, zu erlutern und zu plausibilisieren, ist Zeichen des Veridikationsprozesses. Ein Beispiel aus dem vielfltigen Feld der eigensinnigen Strategien ist die Legitimation des Leitbildes der Kirchengemeinde Wermelskirchen: Auf der Homepage wird zunchst darauf hingewiesen, dass das Leitbild vom „Presbyrterium nach langer Vorarbeit auf unterschiedlichen Ebenen der Gemeinde“ (ebd.)
verabschiedet wurde. Der doppelte Verweis auf umfngliche Zeit und Beteiligung der Erarbeitung identifiziert das Leitbild als Ausdruck eines mhsam und wertvoll erarbeiteten Wissens, das schon allein dadurch Gltigkeit und Autoritt beanspruchen kann und nicht zu leichtfertig in Zweifel zu ziehen ist. Notwendig wurde die Leitbilderstellung, weil „Aufgaben und Funktion der Kirche“ nicht mehr selbstverstndlich erscheinen: „Die Zeiten, in denen Aufgaben und Funktion der Kirche in breiten Kreisen der Bevçlkerung selbstverstndlich waren und kaum hinterfragt wurden, sind vorbei“ (ebd.).
Eine neue Zeit wird annonciert auch denen gegenber, die dies bisher noch nicht wussten. Die Kirchengemeinde beschreibt sich selbst unter organisationaler Fragestellung (Aufgaben und Funktion) und als solche, die in ihrer Existenzberechtigung angefragt wird durch eine unsichtbare çffentliche Arena, der auf eine spezifische Weise geantwortet werden muss. „Unterschiedlichste Vorstellungen und Erwartungen werden an die Gemeinde herangetragen. Viele Menschen suchen nach einer glaubwrdigen Sinngebung fr ihr Leben, doch ist das traditionelle kirchliche Monopol in dieser Frage durchbrochen. Die Erlebnisgesellschaft bietet viele Mçglichkeiten fr religiçse Erfahrungen oder ersetzt diese durch Aktivitten, Grenzerfahrungen und die scheinbar unendliche Erçffnung neuer Mçglichkeiten. In diesem Rahmen steht auch die Kirche mit ihrer Botschaft und ihrem Angebot. Zurckgehende Teilnehmerzahlen bei kirchlichen Angeboten und die Zahl der Kirchenaustritte verweisen auf deutliche Vermittlungsprobleme der Kirchengemeinden in diesem Umfeld. Die wirtschaftliche Entwicklung und der Rckgang der direkten Steuern fhren, wie in den meisten çffentlichen Kassen, so auch in den Kirchengemeinden zu einer Verringerung der finanziellen Mçglichkeiten“ (ebd.).
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Das Selbstbild konstelliert sich fast idealtypisch, wie es die Realfiktion des unternehmerischen Selbst vorsieht: Menschen als aktive Lebensgestalter suchen und whlen auf dem Markt der religiçsen Angebote („Erlebnisgesellschaft“). In der kompromiss- und alternativlosen Verortung „in diesem Rahmen“ wird die Kirche auf spezifische Weise subjektiviert. Der Hinweis auf die „zurckgehenden Teilnehmerzahlen“ und die Zahl der Kirchenaustritte ist Ausweis und Effekt dieser Argumentation. Die kirchengemeindliche Ebene erhlt eine funktionale Zuordnung als Operationalisierungsebene, indem das Verhltnis „Gemeinde/Gemeindeglieder“ ber den Konnex „Angebot und Nachfrage“ neu figuriert wird. Die Analyse drngt sich nun auf, dass hier ein Versagen, ein Defizit vorherrscht: „Deutliche Vermittlungsprobleme“ werden ausgemacht, fr die es Verantwortliche, nmlich die Kirchengemeinden gibt. Das Problem wird konstelliert, um es zu lçsen. „Auf dem Hintergrund dieser Entwicklungen ist es fr die einzelne Kirchengemeinde wichtiger geworden, sich ber ihre Ziele und Aufgaben klar zu werden und einen breit mitgetragenen gemeinsamen Zielrahmen zu finden“ (ebd.).
Die Lçsung des Problems liegt in der Selbstzurichtung auf Ziele und Aufgaben hin. Der kollektive Akteur muss innerhalb des Aktivierungsprogramms dabei einerseits dafr Sorge tragen, dass „mçglichst viele“ an der Entwicklung partizipieren, um auf diese Weise zugleich diese „vielen“ zu regulieren. „Das Leitbild braucht die Zustimmung mçglichst vieler Menschen in der Evangelischen Kirchengemeinde, insbesondere auch der Mitarbeitenden, damit es seine Funktion erfllen kann. Es ist Orientierungshilfe fr Gemeindeglieder und Mitarbeitende und soll die gemeinsame Entscheidungsbildung zu vielen konkreten Fragen der Gemeindearbeit fçrdern“ (ebd.).
Die „gemeinsame Entscheidungsbildung“ als Ausdruck einer gemeinsamen Willensbildung fungiert als Scharnier von Fremd- und Selbsttechnologie und materialisiert sich in dem Leitbildtext. So willentlich in die Verantwortung genommen, kann die Zukunft nun erarbeitet werden: „Es dient als Richtlinie fr die lngerfristige Entwicklung der Evangelischen Kirchengemeinde. Es enthlt Grundstze und Zielvorstellungen, an denen sich die Planungsarbeit und die Entscheidungsfindung im Presbyterium und in den Ausschssen orientiert“ (ebd.).
Zugleich gibt sich das nun so erzeugte willentliche Subjekt nach außen zu erkennen,
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„Es zeigt auch nach außen, wofr die Evangelische Kirchengemeinde Wermelskirchen einsteht“ (ebd.),
und ermçglicht die Orientierung auf dem Markt der Erlebnisgesellschaft und die Inanspruchnahme fr das Gelingen und Scheitern der angekndigten Vorhaben. 3.2.2. Sich leiten lernen Nun ist es keinesfalls so, dass man Leitbildprozesse den unmittelbar Betroffenen selbst berlassen kann, sie bençtigen Anleitung. Dazu stehen literarische Ratgeber oder Organisationsberatungen bereit. Und noch ehe man herausfinden kann, wer man ist und was man will, muss man sich entscheiden, dies berhaupt zu wollen. In welcher Weise sich der Leitbildprozess hier als Scharnier von Fremd- und Selbstfhrung gestaltet, soll mit einem Blick auf den Pommerschen Leitbildprozess gezeigt werden. Fremdfhrung zur Selbstfhrung: Prozesse initiieren und koordinieren Einblicke in den Leitbildprozess gibt beispielhaft der abschließende Bericht des Geschftsfhrers der „Koordinierungsgruppe Leitbildprozess“ der Pommerschen Landeskirche (2002 – 2005).46 So ist zu erfahren, dass der Leitbildprozess, initiiert und beschlossen durch die Synode von der Hoffnung auf umfassende Beteiligung begleitet ist: „Die Kirche Jesu Christi lebt und bedarf immer wieder der Vernderung und Erneuerung. Das gilt auch fr die Pommersche Evangelische Kirche. (…) Um auf (…) gegenwrtige und zuknftige Herausforderungen flexibler antworten zu kçnnen, setzt die Pommersche Evangelische Kirche einen Leitbildprozess in 46 Zum Leitbildprozess in Pommern siehe folgende Quellen: Leitbildprozess-Dokumentation Pommern, Springborn (2002) und (2005), Handreichung, Ahrenshagen: www.kirche-ahrenshagen.de. Zum Leitbildprozess in der Landeskirche in Baden: Hier wird nach dem ersten „Leitsatz-Prozess“ 1996 – 2000 ein erneuter Leitbildprozess angestoßen und zwar durch die ehrenamtlichen Mitglieder der Synode; dieser Vorgang gibt Einblick in das Funktionieren des kirchlichen Interdiskurses. Bischof Fischer (Fischer 26. 4. 2006): „Ich erinnere: Es waren Mitglieder der Synode, die anlsslich der Haushaltsberatungen immer wieder danach fragten, von welchen ,Kirchenbildern’ wir uns in unserer Planungsarbeit leiten lassen. Als dann bei der Arbeit im Landeskirchenrat deutlich wurde, dass ein Kommunikations- und Planungsprozess fr unsere Landeskirche nicht mçglich sein wrde ohne ,Visionen’der Kirche, entstand der Auftrag, Leitbilder fr die Zukunft der Evangelischen Landeskirche in Baden zu formulieren.“
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Gang. Sie will sich eine realistische Vorstellung davon machen, was fr eine Kirche sie heute ist und was fr eine Kirche sie in 10 Jahren sein mçchte. Sie tut dies auf biblisch-reformatorischer Grundlage und mit einem klaren Blick auf ihre Situation. Sie bittet alle Gemeinden, die Kirchenkreise, die landeskirchliche Ebene, Dienste und Einrichtungen, sich an – dem Gesprch ber ein Leitbild – der Formulierung entsprechender Ziele und – der Auswahl geeigneter Projekte, mit deren Hilfe diese Ziele erreicht werden sollen, zu beteiligen“ (Springborn 2005).
Die Technik verspricht auch hier, eine Wahrheit ber sich selbst zu entdecken, die die eigentliche ist. Man will eine „realistische Vorstellung“ von sich selbst bekommen und hofft, dass anhand derer die Zukunft plan- und umsetzbar wird. Die „biblisch-reformatorische Grundlage“ wird aufgerufen genau wie die Erinnerung daran, dass auch die eigene Kirche die „Kirche Jesu Christi“ ist. Darin wird Subjektkohrenz signalisiert, allerdings nicht expliziert, worin diese besteht. Sie scheint einer Leitbildentwicklung nicht im Wege stehen, sondern sie geradezu erforderlich zu machen, denn diese Kirche Jesu Christi „bedarf immer wieder der Vernderung“ (ebd.). Diese Vernderung wiederum bedarf nun der Mitarbeit aller und auf allen Ebenen. Die Subjektivierung des kollektiven Subjekts, in diesem Fall der landeskirchliche Akteur, vollzieht sich ber die Aktivierung der individuellen Akteure, hier also smtlicher Mitarbeiter. Um aber genau das zu ermçglichen, bedarf es wiederum einer Reihe von Neuerungen, denn das kollektive Subjekt kann sich nicht auf die bisherige Weise leiten. „Es wurde dann eine Koordinierungsgruppe Leitbildprozess eingesetzt. Sie bestand aus 15 Personen, 2 aus jedem Kirchenkreis, 2 von der landeskirchlichen Ebene, 1 aus dem Konsistorium, 1 aus der Synode, 1 aus der Kirchenleitung, 1 von der Theologischen Fakultt und dem Bischof, der auch den Vorsitz fhrte. Die meisten von ihnen waren gleichzeitig Mitglieder der Synode“ (Springborn 2005).
Prozesse wollen nicht nur angestoßen oder initiiert werden, sie mssen koordiniert und gemanagt werden. Die herkçmmlichen Instrumente oder Gremien der Leitung sind nicht auf diese Funktion ausgelegt, sie bedrfen anderer Kompetenzen und zeitlicher Ressourcen, weshalb eine Gruppe mit Koordinierungsfunktion eingerichtet wird. So entstehen hier wie auch woanders Leitungs-, Steuerungs- oder Planungsgruppen. Die eigensinnige Lçsung ist hier, dass alle Ebenen der Landeskirche nach einem bestimmten Zahlenmodus Bercksichtigung finden und dass fast alle Mitglieder der Synode angehçren und damit dem demokratisch gewhlten Gremium. Die Neuerung ist somit eine „gezhmte“, weil sie sich in der Zusammensetzung
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der neuen Gruppe an der bisherigen brokratischen und demokratischen Leitungsstruktur orientiert. „Fr die Koordinierungsgruppe war die Arbeit mitunter dadurch erschwert, dass es parallel zu ihr andere Arbeitsgruppen zu Struktur-, Personal- und Finanzfragen gab. So wurden wir gefragt, ob nicht das Leitbild in dem Moment, wo es da ist, auch schon wieder berholt ist“ (ebd.).
Die Anwesenheit von Parallelstrukturen zeigt die Gleichzeitigkeit und Gleichrangigkeit unterschiedlicher Regierungsprogramme (Foucault) an, die sich gegenseitig auf ihre Plausibilitt hin anfragen. „Unsere Antwort darauf ist: Der Auftrag der Synode lautet, ein Leitbild und einen Perspektivplan fr die Pommersche Evangelische Kirche zu entwickeln. Und: Je besser wir wissen, wer wir sind und was wir wollen, umso besser ist unsere Position“ (ebd.).
Die Gleichwertigkeit der beiden Regierungsformen fllt im Dispositiv des Synodenbeschlusses zusammen und ermçglicht wiederum die Herstellung von Plausibilitt. Allerdings noch nicht ausreichend. Das weitere Argument verweist auf zuknftige, noch ungewisse Herausforderungen. Auch fr die ist es gut zu wissen, wer man ist und was man will. Das aber eben muss erst herausgefunden werden. Sich kompetent machen: lernen, andere zur Selbstfhrung zu fhren Leitbildprozesse sind nicht mit herkçmmlichem Wissen durchfhrbar. Sie zu initiieren und durchzufhren braucht ein bestimmtes pdagogisches und organisatorisches, manageriales Wissen. Wer sich daher am Leitbildprozess beteiligen will, muss dazu befhigt werden, es auch zu kçnnen: Das gilt auch fr die Koordinierungsgruppe selbst. „Bei ihrer Arbeit hat die Koordinierungsgruppe sich von außen durch (…), Geschftsfhrer in der Diçzese Passau zur Entwicklung des Passauer Pastoralplanes, intensiv beraten lassen“ (Springborn 2005).
Mit der Wahl eines externen Beraters aus dem katholischen Umfeld ist ein weiterer Grad der Einschreibung indiziert. Zum einen gibt es inzwischen kirchliches Expertenwissen, das abgerufen und angefragt werden kann, d. h. manageriales ist als kirchliches Wissen aufbereitet und bersetzungsarbeit schon geleistet worden. Zum anderen wird entschieden, dieses Wissen eher abzurufen als nicht-kirchliches Wissen. Dies kçnnte indizieren, dass hier – trotz der Anleihe beim katholischen Konkurrenten – grçßere Plausibilitt vermutet wird.
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Die so instruierte Koordinierungsgruppe ist nun ihrerseits befhigt, fr die Gemeinden und Kirchenkreise eine Reihe von Untersttzungsformen zu liefern, die helfen, den Prozess durchzufhren. „Sie hat als erstes eine Handreichung (grnes Heft) fr die Durchfhrung des Leitbildprozesses und einen Vorschlag fr die Arbeit mit Bibeltexten (blaues Heft) in diesem Prozess und zu einem etwas spteren Zeitpunkt den Vortrag des Bischofs auf der Herbstsynode 2002 (violettes Heft) herausgegeben“ (ebd.).
Die eigensinnige Strategie wird sichtbar: Es reicht nicht aus, sich ausschließlich auf die Anleitung zum Leitbildprozess zu konzentrieren, dieser Prozess muss in einer spezifischen Weise gesteuert werden. Gemeinden sollen, so die Vorstellung, auch angeregt werden, sich in diesem Zusammenhang mit biblischen Texten zu befassen. Auch ein Vortrag des Bischofs kann orientierende Wirkung haben. Das freie Spiel der Krfte wird hier in spezifischer Weise reguliert: durch den Verweis auf biblische Stellen auf die christliche Orientierung, durch das Vorwort des Bischofs auch auf die institutionelle landeskirchliche Orientierung. Umgekehrt lehrt der Blick in die jeweiligen Handreichungen, dass diese Regulierung wiederum durch das Postulat der Selbststeuerung begrenzt ist und eine regulierte Deregulierung vorsieht: „Es gibt unterschiedliche Wege und Methoden, ein Leitbild zu entwickeln. Einige Vorschlge finden Sie dazu in diesem Heft. Suchen Sie sich fr Ihre Situation den richtigen aus. Vielleicht finden Sie ja aber auch einen eigenen anderen“ (Handreichung Heft 1). „Sie kçnnen Ihren Leitbildprozess auf viele verschiedene Weisen gestalten. Sie kçnnen sich selbst einen Weg ausdenken. Sie kçnnen aber auch auf eine Mçglichkeit aus der folgenden Liste zurckgreifen“ (ebd.).
Die Fhrung der Selbstfhrung macht Vorschlge, sie regt an und prsentiert die Vielfalt der Mçglichkeiten, um so zu einem Entscheidungsprozess anzuleiten. Dies gilt auch fr die Beschftigung mit biblischen Texten. „Dieses kleine Arbeitsheft bietet Gesprchsanstçße fr Gemeindekirchenrte und andere Leitungsgremien unserer Kirche. Die Koordinierungsgruppe fr den Leitbildprozess in der Pommerschen Evangelischen Kirche schlgt Ihnen vor, die nchsten 7 Gemeindekirchenratssitzungen mit der gemeinsamen Betrachtung eines Bibeltextes zu beginnen“ (Leitbildheft 2, Vorwort des Bischofs).
Gesprchsanstçße und Vorschlge werden an die Gremien weitergereicht. Die autoritative Geste eines Bischofs, die Sprecherposition, luft mit dem
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Genus des Vorwortes mit, gleichzeitig wird sie mit dem Verweis auf die Koordinierungsgruppe und durch den Charakter eines „Vorschlages“ gemildert. Hier leiten viele. Die mitlaufende Vorstellung ist die der freien Entscheidung, der Appell richtet sich an das willentliche Subjekt. Doch die freie Entscheidung ist wiederum so frei nicht, denn es geht darum, an der Zukunft teilzuhaben oder eben auch nicht: „Mit dem Leitbild werden wir uns selbst darber klar, wer wir sind, was wir tun und warum wir es tun. Es dient zur eigenen Orientierung. Es zeigt unser Profil auf. Es weist uns den Weg in die Zukunft“ (Handreichung 1, 6).
Die Fhrung zur Selbstfhrung muss, wenn sie nicht nur vordergrndige, sondern engagierte Mitarbeit fordert, statt zu reglementieren motivieren. „Zukunft haben“ ist dabei eine Problematisierungsformel des sanften Zwanges, weil sie die Wahl als immer schon einseitig zu entscheidende Wahl vorbereitet. Damit aber andere ein Leitbild von sich entwickeln kçnnen, mssen sie darber aufgeklrt werden, was dies ist. Die Vorgabe, was unter einem Leitbild zu verstehen ist, ist so przise wie vielfltig deutbar: „Wo Kirche drauf steht, muss auch Kirche drin sein. Das Leitbild hilft dazu, dass dies geschieht“ (Handreichung 1, 6).
Die Vorstellung der Selbstkongruenz, der bereinstimmung von „Innen und Außen“ wird in der Verfremdung eines als bekannt vorausgesetzten Werbespots in Marketinglogik verdichtet. Die „Marke“ ist hier der komprimierte und kommunikativ wirkungsvolle Ausdruck der Selbstkongruenz eines Subjekts in Bezug auf seine Leistung. Die Kirche, so wird damit vorgegeben, lsst sich denken wie ehemals „Nutella“ und wie seitdem viele andere daraufhin kopierte Produkte und auch Organisationen47. Die Selbstkonstruktion vollzieht sich – ber die Logik der Vermarktung vermittelt – vor einer unsichtbaren diskursiven Arena, der zuverlssig vermittelt werden muss, dass die Kirche das, was sie zu sein verspricht, auch ist. In diesem Konnex manifestiert sich der zwanglose Zwang, sich selbst zu fhren. Dazu wird es zunchst notwendig zu entscheiden, was die Kirche ist. Vorausgesetzt wird dabei, dass darber zu entscheiden auch mçglich ist. 47 „Wo Schweiz draufsteht, muss auch Schweiz drin sein“, lautete der Slogan um die Auseinandersetzung darum, dass das Schweizer Kreuz nur auf Produkten erscheinen darf, die nachweislich in der Schweiz hergestellt wurden. Der Bundesrat besttigt dies im Mrz 2009.
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Beraten und Begleiten Damit dies mçglich wird, gilt es weitere Untersttzungsformen anzubieten. So hat die Koordinierungsgruppe „…die Ausbildung von Moderatoren veranlasst, die fr die Entwicklung von Leitbildern etwa in Gemeinden zur Verfgung standen“ (Springborn 2005).
Nicht nur die Koordinierungsgruppe lsst sich durch Beratung untersttzen, auch jede Gemeinde kann sich von nun eigens dafr ausgebildeten Moderatoren untersttzen lassen. Die Fhrung zur Selbstfhrung ist begleitet von Weiterbildungen und Kompetenzentwicklungen der eigenen Mitarbeiter. Die Kompetenz, bislang durch externe Moderatoren sichergestellt, wird nun selbst erzeugt und perpetuiert unter Haupt- und Ehrenamtlichen. „Beim Training fr Gemeinde-Entwicklungs-Teams wird ein Kerntrio (zwei Ehrenamtliche/ein Hauptamtlicher) durch ein Trainingswochenende dazu befhigt, mit einem Gemeindeentwicklungsteam (8 – 12 Personen) zu arbeiten und die Ergebnisse konkret umzusetzen“ (Handreichung 1).
Das manageriale-organisatorische Wissen wird auf diese Weise weiter eingeschrieben. Die Begleitung des Prozesses sieht auch die Sicherung der Ergebnisse vor und deren weitere Kommunikation. Dieses neu erzeugte Wissen ber sich selbst muss weiter verarbeitet werden und zwar unter und mit allen Beteiligten. Erst die permanente Aktivierung aller individuellen Akteure kann sicherstellen, dass das Leitbild mitgetragen wird. Umgekehrt ermçglicht erst eine breite Kommunikation eine individuelle Einflussnahme. Die nchste Schnittstelle von Fremd- und Selbstfhrung wird erforderlich, um die Allaktivierung steuernd zu ermçglichen. So hat die Koordinationsgruppe „in jedem Kirchenkreis eine Leitbildkonferenz durchgefhrt. Dort wurden die bis dahin entstandenen Leitbilder vorgestellt, ber den Stand des Prozesses informiert und eine Gewichtung der Hauptthemen vorgenommen“ (Springborn 2005).
Keiner scheint im Prinzip ausgeschlossen, sogar Nicht-Mitglieder werden gezielt in Prozesse ber Fragebogenaktionen und Interviews einbezogen. „Sie hat mit Hilfe einer Gruppe Ehrenamtlicher ca. 60 Interviews mit Menschen aus unterschiedlichen Verantwortungsbereichen in Kirche, Wirtschaft, Bildung, Sport, Kultur, Politik und Verwaltung, ja auch mit einigen, die nicht der Kirche angehçren, durchgefhrt“ (ebd.).
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„Es ist dabei sicher hilfreich, Menschen mit einzubeziehen, die noch am Rande der Gemeinde und Kirche stehen“ (Handreichung 1, 3). „Das Leitbild will entwickelt werden. Je mehr sich daran beteiligen, umso mehr machen es zu ihrer Sache. Wer heute nicht ausgegrenzt wird, muss morgen nicht integriert werden“ (Handreichung 1, 6).
Wenn es darum geht, Wissen ber sich auch aus der Fremdperspektive zu erzeugen, sind der Erforschung der innerlichen Wahrheit keine Grenzen gesetzt; gerade der distanzierte, fremde Blick mag noch einiges offenbaren, was dem eigenen Auge nicht zugnglich ist. Schwieriger wird es fr den kirchlichen kollektiven Akteur, zu sagen, wer denn einen kirchlichen Leitbildprozess mitgestalten sollte und wer nicht und nach welchen Kriterien dies entschieden wird. Hier zeigen die eigensinnigen Strategien unterschiedliche Lçsungen, worauf noch zurckzukommen ist. Nicht nur Kirchenmitglieder, auch Nichtkirchenmitglieder, die ffentlichkeit allgemein wird ber das informiert, was erarbeitet wird. „Der Gruppe war bei allem eine mçglichst große ffentlichkeit und Transparenz wichtig. Deshalb gab es von fast jeder Sitzung eine Pressemeldung“ (Springborn 2005).
Das Stichwort der Transparenz liefert innerhalb der Responsibilisierungsstrategie die Vorstellung davon, dass nur, wenn alles erkennbar ist, sich jeder individuell und selbststndig orientieren kann. Erst die ungehinderte Teilhabe an aller Information ermçglicht die bernahme von eigener Verantwortung. Die Pressemeldung adressiert das Tribunal, denn der kollektive Akteur gibt sich schon damit, dass er sich als „auf dem Weg“ zum unternehmerischen Selbst begreift, als fr die Arena akzeptabel zu erkennen. Konsens erzeugen Damit ein einheitlicher Wille erzeugt und Entscheidungen gemeinsam getragen werden kçnnen, und das Leitbild tatschlich eine motivationale Wirkung erzeugen kann, mssen aufwendige Konsensverfahren durchlaufen werden. Dies fhrt, wie hier am Beispiel der Kirchengemeinde Rhede, ber das Partner-Interview, Tischgruppen hin zum Plenum, wobei die jeweiligen Ergebnisse zusammengefasst und neu ins Gesprch gebracht werden. Dabei dient jeweils eine neue Frage als fokussierender Impuls, zunchst im Partnerinterview eine individuelle Innensicht vorzunehmen. „Partner-Interviews (je Person 15 min., dann Wechsel)
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1. Frage: Was war Ihr bestes Erlebnis mit der Gemeinde? Wer war dabei wichtig? Wie wirkt das Erlebnis bei Ihnen nach? 2. Frage: Belebende Krfte: Welche Krfte verleihen unserer Gemeinde so viel Lebendigkeit, dass Erlebnisse wie Ihres mçglich werden? 3. Frage: Am Morgen des Wunders: Stellen Sie sich vor: Ihre Wnsche fr die Zukunft der Gemeinde sind ber Nacht erfllt. Alles passt. Die Gemeinde ist in ihrer bestmçglichen Verfassung. Was gibt es jetzt, was vorher nicht da war? Nennen Sie drei auffllige Merkmale des neuen Zustandes!“ (Rhede Zukunftswerkstatt).
Dabei geht es nicht nur um Wahrnehmen, sondern um persçnliche Einschtzungen der gemachten Erfahrung. Zum Schluss wird die Zukunft mit der „Wunderfrage“ perspektiviert, um den Soll-Zustand imaginiert vorwegzunehmen. Das, was sich abbildet und heute noch nicht sichtbar ist, ist es, was es herzustellen gilt. Allerdings nhert man sich dem Ziel wiederum fokussierend in der Benennung dreier Merkmale. „Tischgruppen von ca. 6 Personen Vorstellen der Interviews (…) Welches Ereignis ist signifikant fr die Gemeinde? (Eins auswhlen!)“ (ebd.).
Die Methode setzt sich iterativ fort in der Herstellung eines jeweils neuen kollektiven Subjekts (6 Personen) und endet auch wieder mit der fokussierenden Entscheidung. In einem weiteren Schritt kçnnen biblische Hoffungsbilder im Plenum als die fr die eigene Gemeinde passenden ausgewhlt werden. „Plenum: Hoffnungsbilder“ „Welche Hoffnungsbilder (fr Gemeinde) der Bibel kennen wir und sind uns auch fr unsere Hoffnung von Gemeinde wichtig? • • • • • •
Salz + Licht Weinberg Weinstock + Reben Der gute Hirte Der barmherzige Samariter Sturmstillung + Schiff“ (ebd.).
In einem nchsten Tischgesprch wird wiederum fokussierend debattiert, welches dieser biblischen Bilder aus dem Verhandlungsprozess als der Favorit hervorgeht: „In den Tischgruppen (…): Welche Krfte sind uns an der Gemeinde wichtig? Zu welchen unserer Hoffnungsbilder passen sie?“ Die Tischgruppen sollen „ein gemeinsames Bild fr ihr Hoffnungsbild von Gemeinde finden. Ziel: Einigung auf ein gemeinsames Bild (…). Dabei soll keiner mit seinen Vorstellungen zu kurz kommen!“ (ebd.).
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Abschließend wird das Gemeinsame aller Favoriten bilanziert: „Im Plenum: Welche Gemeinsamkeiten verbinden die verschiedenen Hoffnungsbilder der Tischgruppen? Welche tauchen nur bei einzelnen auf ? (Stichworte werden von Moderatoren gesammelt)“ (ebd.).
Dies geschieht, nicht ohne auch die Abweichungen zu erwhnen und zu archivieren, weil jede Information und jedes Wissen des Einzelnen als fr den Gesamtprozess wichtig gewrdigt werden will. „Bestimmung von 3 – 4 Personen, die die Aufgabe bekommen, am nchsten Morgen aus den Stichworten wenige Leitstze zu bilden, an denen die am nchsten Morgen entwickelten Maßnahmen zu messen sind“ (Rhede Zukunftswerkstatt).
Die nochmalige Fokussierung auf Leitstze soll die berprfbarkeit der Operationalisierung gewhrleisten, denn ohne die Sicherstellung, dass die nchsten Handlungsmaßnahmen sich auf das angestrebte Ziel, Bild oder Ideal hinbewegen, ist der Leitbildprozess unvollstndig und in seiner Logik verfehlt. Wie in der Kirchengemeinde Rhede oder in der Landeskirche Pommern, so sind auch in anderen Landeskirchen und Gemeinden haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter in Lenkungs- und Steuerungsausschssen damit beschftigt, den Leitbildprozess vorzubereiten, anzuleiten, durchzufhren und auszuwerten. Gemeinden, Kirchenkreise beantworten Fragebçgen, treffen und besuchen sich untereinander, bilden Foren, Kongresse, Tagungen, entwickeln ganz von selbst eigene Ideen und Projekte. Vorlufige Leitbilder oder Leitstze werden formuliert, diskutiert und umformuliert. Leitbildprozesse entwickeln sich dabei zu zeitaufwndigen Verfahren, je nachdem, als wie quantitativ umfangreich sich das jeweilige kollektive Subjekt begreift. Die Lnge eines solchen Prozesses in der badischen Landeskirche ist Anlass zur Kommentierung in einer Wirtschaftszeitung, in der ein Interview mit dem Landesbischof Fischer der Badischen Kirche wiedergegeben wird. Der Artikel, „Die ,frçhliche Anarchie‘ der Kirche“48, gewhrt in diesem Zusammenhang einen Zwischenblick aus der Perspektive eines anderen Akteurs, der zeigt, dass die diskursive Arena reagiert 48 Personalfhrung 8/2002, 88: „Die traditionell in der evangelischen Kirche verbreitete ,frçhliche Anarchie’ werde nicht unmaßgeblich von den Pfarrern geprgt. Deren Berufswahl wird normalerweise weder durch Verdienst – noch durch Karriereabsichten geprgt, sondern beruht auf dem Glauben an das Evangelium. (…) Aus den Ausfhrungen des Bischofs wurde deutlich, dass die Besprechungsund Kommunikationskultur an der Basis gelegentlich alles andere als zielfhrend ist.“
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und dass sie in dem, wie sie reagiert, die Eigensinnigkeit der Kirche in der diskursiven Produktion spiegelt. „Zeitgemße Fhrungskonzepte, Instrumente wie ,Personalgesprche‘, Kostenbewusstsein oder Leitbildentwicklung halten auch in der Kirche Einzug. Doch wie werden derartige Anstze verndert, wenn sie in einer Institution mit einer ausgeprgt anderen Kultur und anderem Selbstverstndnis zum Einsatz kommen“ (ebd.)?
So fragt der Artikel und trifft damit auch eine der Fragen dieser Studie. „Erstaunt ußerte sich Moderator Zygmunt Mierdorf darber, dass sich die evangelische Kirche vier, fnf Jahre Zeit lasse, um an einem Leitbild zu arbeiten. Fischer gab unumwunden zu, dass die Kirche bei diesem Prozess zwei Jahre einen Holzweg eingeschlagen habe. Dennoch sei der Leitbildprozess, der von einer Unternehmensberatung begleitet wird, keineswegs besonders schwierig, da es in der evangelischen Kirche einen gemeinsamen Wertekonsens gebe. Jeder in der Landeskirche konnte sich an diesem Prozess beteiligen, 5000 Rckmeldungen mussten verarbeitet werden“ (ebd.).
Die eigensinnige Fhrung im Umgang mit Selbststeuerungstechniken wird hier expliziert an der Dauer des Prozesses, die „erstaunt“ zur Kenntnis genommen wird im Blick auf die in wirtschaftlicher und çkonomischer Rationalitt als dringlich markierten Prozesse. Die Antwort des Bischofs, „jeder in der Landeskirche konnte sich an diesem Prozess beteiligen“, verweist auf die eigensinnige Logik des kirchlichen Akteurs. Der zeitliche und organisatorische Aufwand wird in den meisten Einbringungspapieren zwar eindrcklich durch Zeitangaben (Im Jahre 2000 haben wir Sie das erste Mal ber den Leitbildprozess informiert) und Beteiligungszahlen (nach vorsichtigen Schtzungen 350 Personen) dokumentiert und damit als ber Zahlen objektivierbar relevant ausgewiesen. Zugleich scheint die Frage, wer an einem kirchlichen Leitbildprozess mitwirken kann, prinzipiell offen, und wer zum kollektiven Subjekt gehçrt, keineswegs eindeutig zu sein. Das von Foucault beschriebene Paradox des Hirten, „omnes et singulatim“, scheint sich hier insoweit zu bewahrheiten, als keiner prinzipiell ausgeschlossen wird und werden kann. Gleichzeitig ist zu fragen, inwieweit das Steuerungsinstrument als solches eigensinnig genutzt, respektive in seiner ihm eigenen Anwendungslogik verndert wird. Ehe darauf anhand der Leitbildtexte detaillierter eingegangen wird, gehçrt ein Blick dem Widerstand.
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Widerstand Leitbildprozesse sind nicht nur Selbstfhrungs-, sondern im Hinblick auf das Verhltnis von organisationaler Leitungsfunktion auch Mitarbeiter zur Selbstfhrung anleitende Fremdfhrungsprozessse und evozieren, wenn sie als solche und vor allem als solche erkennbar sind, Widerstndigkeiten. Als ein dem Unternehmenskontext entliehenes, „top-down“ verordnetes Management-Verfahren erfhrt die Leitbildentwicklung vor allem im Blick auf den in der Rolle des Prozessinitiators bisher weniger bekannten landeskirchlichen Akteur misstrauische Reaktionen. Keineswegs ist es so, dass die Initiierung von Leitbildprozessen berall und in gleicher Weise auf Resonanz und Zustimmung stçßt. „Willkommen beim Kampf um das Leitbild“ (www.kirche-ahrenshagen.de),
kommentiert beispielsweise eine Kirchengemeinde den Leitbildprozess der Pommerschen Landeskirche, allerdings in der Weise, dass sie dazu aufruft, aktiv und kritisch mitzumachen und bessere Alternativen zu entwickeln – und sich gerade so im Sinne der neoliberalen Strategie selbstverantwortet in den Prozess einzubringen. Auch die Berichte aus Landessynoden und Kreissynoden verweisen auf Widerstndigkeiten. Die folgenden Stimmen aus dem Pommerschen Leitbildprozess, von der Leitbildkommission gesammelt und vor der Synode im Zwischenbericht vorgetragen, markieren gerade in ihrer inhaltlichen Differenz die Wirkmchtigkeit des Diskurses, der zur Plausibilisierung in die eine oder andere Richtung zwingt und polare Konstellationen hervorruft. Nicht die Notwendigkeit, ein Leitbild zu haben, wird bestritten, wohl aber die Notwendigkeit, erst eines herstellen zu mssen: So gbe es schon lngst ein Leitbild, das sich an theologisch-inhaltlichen Aspekten orientiert. „Jesus ist doch unser Leitbild. Etwas anderes brauchen wir nicht“ (Springborn 2005).
Doch auch dieser Widerstand erweist sich nicht als wirklicher Widerstand, bewahrt er nicht davor, dieses schon vorhandene Leitbild wieder zu Tage bringen, erinnern und beschreiben zu mssen. Andererseits wird aus unterschiedlichen Grnden abgewehrt, ein Leitbild brauchen zu mssen, weil man sich als nicht angesprochen sieht. „Auf dem Dorf ist sowieso alles anders“ (ebd.). „Ist die Kirche nun ein Wirtschaftsunternehmen geworden?“ (ebd.).
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3. Sich als leitendes kollektives Subjekt herstellen
Wer die Notwendigkeit eines Leitbildes, ob neu zu entwerfend oder zu erinnernd, prinzipiell in Frage stellt, tut dies mit Blick auf die Anrufungsszene in der Bestreitung des Umbruchs und einer neuen Zeitansage, „War unsere Arbeit zu DDR-Zeiten umsonst, dass wir jetzt so was machen sollen?“ (ebd.). „Es luft doch alles. Was soll dieser neumodische Kram?“ (ebd.),
oder in der Frage der Zurckweisung der eigenen und Zuweisung der Zustndigkeit anderer Akteure. „Die Kirchenleitung soll die Wahrheit vorgeben und das Geld dazu“ (ebd.). „Der Pastor soll Heiligabend eine ordentliche Predigt halten und ansonsten die Leute in Frieden beerdigen“ (ebd.).
Auch wer sich dem Prozess vollstndig verweigert, sieht sich aufgefordert, dies begrnden zu mssen mit anschlussfhigen Argumenten, die an die funktionale Organisierbarkeit und Ressourcenorientierung appellieren, „Wir sind nur noch ein paar Leute. Wer soll das jetzt auch noch machen?“ (ebd.),
oder bedient sich probater Mittel wie des Rekurses auf fundamental-biblische Grundlagen. „Aufgrund des Bilderverbots beteiligen wir uns nicht an dem Prozess“ (ebd.).
Kennzeichen der gouvernementalen Fhrung zur Selbstfhrung ist, dass Widerstnde – und mçgen sie noch so vielfltig und in sich widersprchlich erscheinen – gehçrt, erbeten und eingearbeitet werden und deshalb, wie auch hier in ihrem dokumentierten Niederschlag, zur konstitutiven Komponente eines ganzheitlichen Leitbildprozesses werden. Die Vorstellung ist, dass Kritik eine produktive Funktion hat, den Prozess fçrdert und dass Widerstnde notwendiger Bestandteil des Vernderungsprozesses sind, getreu dem Motto „Wo kein Widerstand ist, da ist keine Vernderung“. So ist es dem Abschlussbericht wichtig zu erwhnen, dass die Koordinierungsgruppe „gemeinsam mit der Evangelischen Akademie im Frhjahr 2003 ein Forum zum Thema Leitbild durchgefhrt (hat), in dem besonders die Kritiker des Prozesses zu Wort kommen konnten“. (…) „Diese Vorbehalte und Kritik galt und gilt es aufmerksam zu hçren und sich damit auch auseinander zu setzen“ (Springborn 2005).
Zusammenfassend kann zunchst festgehalten werden, dass schon allein mit der Initiierung und Durchfhrung von Leitbildprozessen eine doppelte
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Selbstzurichtung daran erkennbar wird, wie der Konnex von individuellem und kollektivem Subjekt sich ber Verfahren der Selbst- und Fremdfhrung herstellt: Die Selbstfhrung des individuellen Subjekts im Blick auf die Konstituierung eines kollektiven Subjekt zeigt sich in dem konstruktiven oder widerstndigen Engagement der Leitbildprozessteilnehmenden. Diese individuelle Selbstfhrung ist dechiffrierbar als eine durch neue Verfahrensmodi angeleitete Fremdfhrung durch das kollektive Subjekt, was sich eben darin – sich selbst auf diese neue Weise selbstfhrend – als gouvernementales und fremdgefhrtes Subjekt erweist. 3.2.3. Die Leitbildpapiere: Selbstkonstruktionen: Wer wir sind Pluriform Leitbildprozesse fhren kollektive Subjekte dahin, selbstreflektierend Aussagen darber machen zu kçnnen, wer sie sind und wer zu ihnen dazu gehçrt. Bei den Ergebnissen der Leitbildentwicklungsprozesse, den Leitbildpapieren und -formulierungen zeigt sich nicht nur die scheinbare Zuflligkeit in den Personen, die sich am Leitbildprozess beteiligen, sondern es zeigt sich in der Konstruktion der Selbstbeschreibung auch eine hnlich zufllig wirkende Bandbreite und Vielfltigkeit. Der Hinweis auf die landeskirchlichen Institutionen und organisationalen Strukturen, „der evangelischen Kirche in Essen mit ihren Gemeinden, Kirchenkreisen, Fachdiensten und Einrichtungen“ (Essen),
oder auf konfessionelle Gebundenheit (evangelisch, reformiert, lutherisch) kann auftauchen, kann aber auch fehlen. Manchmal kann der Bezug zur landeskirchlichen Institution, der fr die Einordnung und Auswahl des empirischen Material grundlegend ist, erst durch Internetrecherche herausgefunden werden; ob sich eine Gemeinde freikirchlicher, reformierter oder katholischer Herkunft verdankt, ist nicht immer erkennbar und scheint so entweder von keiner oder von selbstverstndlicher Relevanz fr die eigene Subjektvorstellung zu sein. Daneben und stattdessen wird die Zugehçrigkeit zur weltweiten Gemeinschaft der Christen postuliert, man fhlt sich als „eine Gemeinde unter vielen auf der ganzen Welt“ (KG Charlottenburg Nord) oder als „Teil einer grçßeren christlichen Gemeinschaft“ (KG Hamburg-Heimfeld). Gemeinde, Kirche, Gemeinschaft – die Begriffe scheinen in sich variabel und stehen fr regionale Grçße (Großstadt Essen), soziale Grçße (Miteinander), Erlebnisgrçße (erfahren,
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erleben), Raumgrçße (in St. Thomas), Organisation und Institution (evangelische Kirche in Essen). Entsprechend variabel werden die Systemgrenzen beschrieben, wer denn das Leitbildsubjekt ist, auch wenn es sich jeweils um denselben Akteur wie z. B. Kirchengemeinden handelt: Kirchenmitglieder oder solche, die es werden wollen, ehren- und hauptamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, alle, die mitmachen, Einwohner, Christen, Interessierte oder Ratsuchende. Der Selbstfhrungsprozess ber die Techniken der Leitbildentwicklung zeitigt dabei sehr unterschiedliche Effekte. Die eigensinnige kirchliche Strategie besteht in den pluriformen Antworten sowie darin, dass es keine Favorisierung eines spezifischen Kirchenbildes gibt. Der exkludierende Effekt dieser Leitbilder – wer sagt, wer er ist, sagt zugleich auch, wer er nicht ist – besteht daher auch in pluriformen Vorstellungen der Ausgrenzung. Keineswegs ist es so, dass die Kirchenmitgliedschaft oder auch die Taufe, als die im kirchlichen Diskurs zentralen Zuordnungsmerkmale markiert, als dominantes Kriterium aufgerufen werden. Wollte man das Ergebnis dieser Recherche auf das kollektive Subjekt Kirche hin komprimieren, dann in dem eine multiple Persçnlichkeitsstruktur karikierenden Satz: „Ich bin viele und ganz verschiedene“ und: „Wer ich nicht bin, weiß ich nicht so genau“. In welcher organisatorischen oder konfessionellen Bindung man sich in Leitbildern prsentiert, scheint ganz individuell abhngig und unterschiedlich entscheidbar zu sein, aber doch immer mit dem Ziel, sich darin als handelndes Subjekt zu konstellieren: die Evangelische Kirche ist …, wir als christliche Gemeinde wollen …, uns als evangelische Christen ist wichtig dass .., der Kirchenvorstand der St. Johannisgemeinde mçchte …, wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter richten uns aus… Kirchliche Leitbilder zeigen, dass man sich als willentlich-handelndes Subjekt verstehen will und auch als solches angesprochen und zur Verantwortung gezogen werden will. Das Alleinstellungsmerkmal: Religiçs Aber nicht nur als willentlich-handelndes Subjekt, sondern spezifischer als religiçs handelndes Subjekt will man sich zu erkennen geben. Dass die Kirche kein Wirtschaftsunternehmen ist (so z. B. Clausthal-Zellerfeld), sondern sich in ihrer Existenz in einem transzendenten Bezug versteht, soll in Selbstdarstellungen zum Ausdruck kommen. Biblische Texte werden in Leitbildpapiere eingearbeitet und dies meist in einer besonderen, dem brigen Textgefge gegenber distinkten Gestaltform. Als berschrift oder Prambel werden biblische Verse in eine hierarchisierte Position gerckt
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oder legitimierend in Klammern mit Stellenangabe den Leitstzen beigefgt. Biblische Metaphern wie Salz der Erde, Licht der Welt, Herberge, Weg, Erzhlungen oder Passagen eskortieren die Leitstze (Emmausgeschichte) oder werden als solche (Seligpreisungen) umformuliert: „Wir haben sie in unsere heutige Zeit bertragen“ (Heide-Butendiek). Daneben oder stattdessen wird im- oder explizit zitiert aus Bekenntnisschriften der evangelischen Kirchen, dem Apostolischen Glaubensbekenntniss, aus der Confessio Augustana oder der Barmer Theologischen Erklrung49. Trinitarische oder christologische Wendungen, „Wir glauben, dass Jesus Christus seine Kirche baut und erhlt durch sein Wort und Sakrament in der Kraft des Heiligen Geistes“ (Essen),
oder auch religiçs und konfessionell unspezifische Formulierungen, „Gott ist Mittelpunkt und Quelle unseres Handeln und Denkens“ (HamburgHeimfeld),
geben Ausdruck davon, wie man sich versteht und verstanden werden mçchte. So sehr sie sich in ihrem Verhltnis von biblischem als Primrtext und Kommentar als Sekundrtext unterscheiden, indem sie wçrtlich zitieren, eine Auslegung anschließen oder frei paraphrasieren, so einig sind sich alle Selbstkonstruktionen in dem Verfahren, sich des Rckgriffs auf christliche Symbolik oder Metaphorik zu bedienen und diese zu kombinieren mit konfessorisch-subjektivierenden Aussagen: Wir glauben, wir vertrauen auf Gott, uns ist das Evangelium wichtig, dieser Glaube trgt uns, Jesus leitet uns. Selbstfhrungstechniken, indem sie dazu auffordern, sich selbst Rechenschaft abzulegen, wer man ist, rufen bei dem kirchlich kollektiven Subjekt die eigensinnige Strategie hervor, religiçse Bekenntnisse abzugeben. Auch diese sind wiederum vçllig pluriform und auch hier nicht zugunsten einer spezifischen inhaltlichen Aussage hierarchisiert. Das individuelle Alleinstellungsmerkmal Auch wenn sich alle darin einig sind, dass sie sich als religiçs handelnde und als willentliche Subjekte verstehen wollen, und dies durchaus verschieden aussehen kann, es muss auch verschieden aussehen und unverwechselbar sein: Der Kirchturm dieser speziellen Gemeinde, eine Silhouette von Kirchtrmen dieser speziellen Stadt, ein Foto der Mitarbeiterriege oder der 49 V. a. Leitbildpapiere der Landeskirchen.
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Gemeindeversammlung – es sind vor allem Gebude, Orte und Personen, mit Hilfe derer man das unverwechselbare Profil in Abgrenzung zu den Leitbildern anderer kirchlicher Organisationseinheiten bildlich und textlich hergestellt wissen will. So sehr die Verbundenheit mit anderen Gemeinden, Kirchen, çkumenisch oder weltweit betont wird, so wichtig scheint auch die Herausstellung des unterscheidenden Merkmals. Der Hinweis von Experten aus dem Marketing- oder Unternehmensbereich trgt seine Frchte50, wenn wie z. B. die Kirchengemeinde Immenstadt („KGI“) aus ihrer Erfahrung anderen Gemeinden weiterempfiehlt: „Einen Alleinstellungswert kann eine Organisation mit ihrem corporate design erreichen, sie unterscheidet sich damit von der Konkurrenz. Die KGI hat deshalb als Logo kein Kreuz gewhlt, auch wenn ein Kreuz im Logo angedeutet ist“ (DTPF 9/1998, 526).
Auch andere Leitbildverfasser heben die Qualitt ihres Papieres hervor, „Der Leitbildentwurf (…) ist unverwechselbar. Er ist nicht (wie viele Leitbilder) abgeschrieben und auch nicht fr andere abschreibbar“ (Kirchenkreis Clausthal-Zellerfeld),
weil es die Merkmale von Originalitt und Unverwechselbarkeit aufzeigt. Zusammenfassung Die Selbstfhrungstechniken, die sich im Leitbildentwicklungsprozess verdichten und in den Papieren diskursiv materialisieren, werfen ein Licht auf die eigensinnige Strategie des kollektiven Akteurs. Die nach außen zur Schau gestellte Antwort auf die nach innen geleitete Frage der Selbsterforschung, „Wer wir sind“, fçrdert ein durch die im kirchlichen Diskurs eingelagerten Wissensbestnde vielfltig modelliertes Potpourri unterschiedlichster Wahrheiten ber sich selbst zu Tage. Es sind Konstruktionen von organisatorisch, konfessionell und religiçs pluriformen und sich zueinander konkurrent verhaltenden Subjekten, die sich wiederum einig darin sind, sich einem status confessionis ausgesetzt zu sehen. Die Bandbreite und Variationsvielfalt der Kollektivsubjekte wie Landeskirchen, Kirchenkreise und Gemeinden in der jeweils eigenen Konstruktion ihres Selbst lsst keine Regelhaftigkeit erkennen, umgekehrt scheint die Pluralitt und Individualitt der jeweiligen Akteure die Regel zu 50 So z. B. Raff (1999) oder Schulz (2001) im DTPF – gut zehn Jahre spter wird von anderen Marketing- Experten empfohlen werden, sich kirchlicherseits von der Vielfalt der Logos zu verabschieden, da dies mehr zur Verwirrung als zur Kenntlichmachung nach außen beitrgt.
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sein. Die durch den Leitbildprozess intendierte Fokussierung fhrt zu einer Segmentierung all und je mçglicher Konstellationen von Selbstverantwortlichkeiten. 3.2.4. Selbststimulation: Was wir wollen „Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Leute zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen; sondern wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ A. de Saint-Exupery, berschrieben: Perspektiven fr die Zukunft der Evangelische Landeskirche in Wrttemberg, DTPF 1998,167.
Wie es zum Handeln kommen soll: Zielbindung Die Techniken der Leitbildentwicklung operieren mit der Visionierung oder Imaginierung von zu realisierenden Selbstbildern. Die Visionierung und in deren Ableitung die Zielbindung haben den Zweck, in die Handlung zu bringen: Bewegen, Motivieren sind die Stichworte fr die sanfte Fhrung zur Selbstfhrung. Das willentlich gesteuerte Handeln braucht, so die zugrunde liegende und durch psychologisches Wissen51 informierte Vorstellung, wiederum diese innere Reprsentation. Kritisch rekurriert Prinz auf die psychologischen Theorien, die das „Erreichen von Zielen (Beschreibung) auf die Wirksamkeit expliziter Reprsentationen eben dieser Ziele zurckfhren (Erklrung) – die also annehmen, dass Personen oder Systeme Ziele kraft der Tatsache erreichen, dass sie explizite Vorstellungen dieser Ziele haben und verfolgen“. Diese Idee der Zielreprsentation sei sowohl in alltagspsychologischen Vorstellungen als auch in wissenschaftlichen Motivations- und Volitionstheorien verankert, msse sich aber daraufhin befragen lassen, ob Beschreibung und Erklrung nicht in tautologischem Zusammenhang stnden. In dem weiteren Verfolgen des Theorems einer „deklarativen Reprsentation“ kommt Prinz zu dem Schluss: „Auf die Frage nach dem Verhltnis von Zielgerichtetheit und Willentlichkeit kçnnen wir jetzt eine einfache Antwort vorschlagen: Willentlichkeit diagnostizieren wir dann, wenn wir auf Handlungen treffen, die durch deklarierte Zielreprsentationen gesteuert werden. Der Wille ist demnach ein Konstrukt, 51 Tillmann Vierkant (2008) Willenshandlungen; zu konkreten Techniken in Verfahren des Total Quality Managements vgl. Brçckling (2000), 159 ff.
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das nicht auf deskriptiver Ebene festgemacht werden kann – etwa an bestimmten Klassen von Verhaltensweisen. Das Konzept des Willens ist vielmehr auf einer theoretischen Idee gegrndet: Die Idee der Handlungssteuerung durch deklarative Zielreprsentationen“ (Prinz 2008, 20).
Die Initiierung von Wandel und Vernderung scheint nicht mçglich, ohne zugleich eine innere Reprsentation als Voraussetzung zu denken52. Die Managementliteratur kennt die Deklination verschiedener Zielebenen und -bedeutungen (operative, taktische, strategische, normative Ziele), die sich durch die Konkretionsdichte unterscheiden und ihre komprimierteste Form in der Formulierung des nchsten und deutlich vorstellbar zu realisierenden Schrittes finden. Die fr jeden Leitbildprozess konstitutive Komponente der Selbstverpflichtung, meist vor einer ffentlichkeit oder schriftlich fixiert, kçnnte von hier aus gedacht werden als eine zustzliche Affektbesetzung der Zielbindung, als „Inszenierung des um Anerkennung bemhten Strebens“53 nach dem Bild, der Vision, dem Ziel.54 Die Selbstverpflichtung, der Kontrakt, Vertrag, die Verabredung mit sich selbst steht am Ende eines jeden Prozesses. Dabei ist „das Vertragssubjekt ein Subjektivierungsmodus, der durch entsprechende Sozial- und Selbsttechnologien angeregt und abgesttzt werden muss (…). Vertrge kann man nur im Hinblick auf etwas abschließen, ber das man verfgt. Konstitutiv fr die implizite Anthropologie des Kontrakts ist deshalb die Vorstellung des Individuums als Eigentmer. Vertragsfhig wird man kraft des Verfgungsrechts – ber materielle Gter, individuelle Kenntnisse und Fhigkeiten, den eigenen Kçrper, seine Organe oder die Lebenszeit“ (Brçckling 2005, 145 f ).
Nach der mhsamen und zeitaufwndigen Erarbeitung der eigenen Selbstbestimmung und beauftragung gibt der „homo contractualis“ (Brçckling 2005, 145 f ) Auskunft darber, was er zu tun und worber er zur Rechenschaft gezogen zu werden, er sich bereit erklrt. Das Subjekt verleiht seiner Mndigkeit Nach- und seinem Willen Ausdruck, indem es als zuverlssiger Vertragspartner seiner selbst auftritt. 52 „Mentalittswandel“ ist das beherrschende Stichwort des von der EKD initiierten Reformprozesses. 53 Matthias Junge (2006), 85, geht in seinem Aufsatz den Sprachspielen von Identitt und Identifikation nach. Er nimmt an, dass der Antrieb zur Entwicklung einer Identifikation die Fhigkeit zur Imagination eines Selbst-Bildes sei, worin er eine Facette der Paradoxie postmoderner Selbst-Bildung erçffnet sieht: „Selbst-Bildung bedeutet, sich mit sich identifizieren zu kçnnen“. 54 Im Folgenden wird nicht unterschieden zwischen Zukunft, Vision, Bild, Ziel – es meint jeweils den zu erreichenden und erstrebenswerten Zustand.
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In dem nchsten Schritt soll nun gezeigt werden, wie die eigensinnige kirchliche handlungsinitiierende Bindung auf die Zukunft aussieht. Problematisierung: Wollen mssen Es gibt kein kirchliches Leitbildpapier, das diesem Thema im Charakter der Selbstverpflichtung nicht den grçßten Raum zugesteht: Wir stehen dafr ein, tragen Sorge, achten darauf, setzen uns ein, bemhen uns um. Wer innerhalb der Kirche der managerialen Vorstellung folgt, Zielsetzung motiviere das Handeln, muss allerdings ein Problem lçsen, das ihm die kirchliche und theologische Programmatik aufgibt, wie nmlich Gott als Movens der Kirche innerhalb dieser Handlungsrationalitt und unter der Anrufung des willentlichen Subjekts zu stehen kommt. So weist der Landesbischof der Kirche in Baden in seinem „Bericht zur Lage“ 2006 auf den Leitsatzprozess 1996 bis 2000 hin: „Damals wurde ein theologischer Fundamentaleinwand gegen ein Leitbild der Kirche formuliert, der etwa so lautete: ,Wir brauchen kein Leitbild, wir haben die biblischen Verheißungen Gottes als Leitbilder kirchlichen Handelns.‘ Dieser Einwand markiert die Grenze kirchlicher Leitbilddiskussion insofern, als er kirchliche Zielsetzungen unter einen theologischen und eschatologischen Vorbehalt stellt, der immer mit zu bedenken ist. Nicht wir Menschen haben die letzten Ziele kirchlichen Handelns festzulegen, sie sind uns durch die biblischen Verheißungen Gottes vielmehr vorgegeben“ (Fischer 2006).
Welche unterschiedlichen Effekte der Einarbeitungsprozess vor diesem Hintergrund erzeugt, soll im Folgenden gezeigt werden. Spielart: Auftrag statt Leitbild Eine Lçsungsstrategie richtet sich danach aus, die innere Reprsentation nicht imaginr zu erzeugen, sondern sie als Auftrag Gottes zu „erinnern“. Martin Hoffmann vom Predigerseminar Bayreuth kritisiert in seinem Beitrag im Vereinsblatt des bayerischen Pfarrvereins (Hoffmann 2005) die auch von kirchlicher Gemeindeberatung angewandten blichen Verfahren, von einer Umwelt-, Gemeinde- und Bedarfsanalyse ausgehend das Leitbild zu entwickeln. „Schließlich ist die Grundannahme zu hinterfragen, dass Gemeinden ein jeweils eigenes, auf ihre Situation zugeschnittenes Leitbild bruchten, um sich angemessen zu entwickeln. Gemeinden stehen nicht am Anfang einer Organisationsentwicklung wie ein neu gegrndetes Unternehmen“ (ebd.,36).
Die „corporate identity“ einer Gemeinde msse gerade nicht jeweils neu erfunden werden, da Gemeinden „eine zweitausendjhrige Christen-
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tumsgeschichte im Rcken“ htten und existierten, „weil sich der Glaube an Gott den Schçpfer, Versçhner und Erlçser immer wieder als tragfhig fr das Leben erwiesen“ habe (ebd.). Die anvisierte Lçsung ist die eines „auftragsorientierten Gemeindeaufbaus“, die unter der Prmisse stattfindet, dem „unverfgbaren Handeln Gottes“ „auch methodisch“ Platz zu lassen (Hoffmann 2005, 36). Diese Lçsung zeigt sich in ihrer nheren Ausfhrung nun aber nicht, wie sie sich selbst versteht, als widerstndig oder gegenstzlich, sondern als weitere eigensinnige Spielart der gouvernementalen Fhrung. „Natrlich mssen solche Grundberzeugungen konkret zugespitzt werden, um sinnvolle Entscheidungen in einer Gemeinde treffen zu kçnnen, aber dann geht es tatschlich um die Rckbesinnung auf Wesen und Auftrag von Gemeinde und die Suche nach seiner Gestaltwerdung in der konkreten Situation“ (ebd.,37).
Begreifte man Gemeindeentwicklung als Organisationsentwicklung, dann sei in erster Linie nicht nach neuen Leitbildern, sondern nach der ursprnglichen Primraufgabe zu fragen, um deren Willen Gemeinden entstanden seien. Gerade „organisations-wissenschaftlich drngt sich also die Frage nach dem kirchlichen Auftrag auf“ (37). Die Erinnerungs- oder Rckbesinnungsarbeit bewahrt, wie ja auch die Leitbildpapiere gezeigt haben, nicht vor der Zumutung, wiederum selbstverantwortet auswhlen, priorisieren und entscheiden zu mssen, was denn die „Primraufgabe“ und der „kirchliche Auftrag“ sind und welche „konkrete Zuspitzung“ dadurch legitimiert die favorisierte sein soll. Die eigensinnige Lçsung besteht hier darin, den „Auftrag Gottes“ als menschliche „Mitwirkung am Schalom“ zu umschreiben und als endzeitliche Vision in eine zeitliche und zuknftige Perspektive zu bersetzen. „Orientierung am Ursprung ist Orientierung am Evangelium. Orientierung am Ziel ist Orientierung am Schalom der Welt“ (38).
Die von Foucault vorgenommene diskursanalytische Differenzierung von Aussage und ußerung hier einbeziehend, unterscheidet sich die Aussage in den ußerungen Hoffmanns hier nicht von der der vermeintlichen Kontrahenten: Das „Leitbild“ der einen und der „Auftrag“ des anderen sind funktionale quivalente, wie auch die jeweils empfohlenen Verfahren beides Verfahren der angeleiteten Selbstreflexion sind. In beiden Fllen geht es darum, einer ber prozedurale Verfahren erzeugten inneren Wahrheit zu folgen und den jeweils erreichten gegenwrtigen Zustand selbstbeurteilend daran zu messen.
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„Inwieweit lassen die vorhandenen Potentiale und Strken der Gemeinde eine Ausrichtung am Reich Gottes (Schalom fr die Welt) erkennen“ (ebd.,39)?
Die Orientierung am gçttlichen Auftrag suspendiert das Subjekt nicht von dem Appell, nun auch „kybernetische Entscheidungen“ treffen zu sollen (ebd.,39) und auf diese Weise fhrend dem Steigerungsimperativ zu folgen. Denn zwar wird postuliert, dass die „Logik des Kreuzes“ sich unterscheide von der „Logik des freien Marktes und des Wettbewerbs um Marktanteile“, dennoch frage sie „primr danach, was am Ort konkret am ehesten Hinweischarakter auf das Reich Gottes haben kann und was Gottes Schalom fr die Welt unter den gegebenen Voraussetzungen am ehesten befçrdert“ (ebd.,39).
So erweist sich diese Lçsung doch wieder gouvernemental in die auf Selbstoptimierung („am ehesten“) zielende Handlungs- und Willensrationalitt einbezogen. Spielart: Verbundene Addition – Glaubend wollen Eine weitere Form, das Problem zu lçsen, ist die der Trennung und die verbundene Addition. Die christliche Programmatik wird in der Prambel des Leitbildpapieres entfaltet. „Unsere Hoffnung, unser Mut zum Leben und unsere Kraft zum Engagement beruhen auf unserem Glauben, dass Gott diese Welt in seinen Hnden hlt und zu seinen Zielen fhrt. Er ist ein Gott des Lebens fr Lebende und Tote“ (Leitbild Kirchenkreis Burgdorf ).
Hier werden Gott, Christus oder der Heilige Geist als Subjekt der Kirche, des Lebens, der Welt behauptet. Die Leitstze und Zielformulierungen schließen sich davon getrennt in einem zweiten Teil des Leitbildes an. „Wir pflegen einen gerechten, fairen und offenen Umgang miteinander. Unsere Leistungen wollen wir bndeln, verbessern und wirkungsvoll nach außen darstellen. Im Sinne eines konstruktiven Wettbewerbs akzeptieren und fçrdern wir die Durchlssigkeit der Gemeindegrenzen“ (Leitbild Kirchengemeinde Burgdorf ).
Der Anschluss erfolgt dabei, ohne dass der direkte Zusammenhang zwischen beiden Teilen inhaltlich plausibilisiert wird. Warum sich aus dem einen (Gott hlt diese Welt in seinen Hnden) ein Sinn, eine Notwendigkeit, eine Orientierung ergibt, genau so, nmlich çkonomisch rational (Leistungen bndeln und verbessern), und nicht anders zu handeln, wird nicht erklrt. Das muss es aber auch nicht, weil sich Plausibilitt vielmehr dadurch herstellt, dass die meisten kirchlichen Leitbildpapiere den anlei-
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tenden Empfehlungen der Leitbildtechnik folgen und in der 1. Person verfasst sind. In beiden Teilen weisen sich, noch einmal genauer hingeschaut, die Leitbildsubjekte als das handelnde Subjekt aus, indem sie das Handeln Gottes possessiv personal binden. So ist die Rede von unserem Auftrag, unserer Aufgabe, unserem Glauben oder die persçnliche berzeugung als Grundlage, Fundament, Ausgangspunkt. „Unser evangelischer Glaube befhigt uns zur Offenheit gegenber aktuellen Herausforderungen“ (Kirchengemeinde Rosdorf ). „Wir leben aus Gottes lebendiger, heilsamer Kraft und schaffen Bedingungen, dass sie unter uns wirksam werden kann“ (Kirchenkreis Clausthal-Zellerfeld).
Ein doppelter Effekt stellt sich ein. Das Leitbildsubjekt konstelliert sich darin als ein Subjekt, zu dessen Konstruktion es einer notwendigen Konstante bedarf, es glaubt. Das Wirken oder der Wille Gottes wird gewissermaßen ber das Vehikel des Glaubens in das Subjekt verlagert, der Glaube wird als persçnliche Fhigkeit oder Leistung, zumindest als subjektbezogene Funktion dechiffriert. „Wer im Medium des Glaubens spricht, setzt sich selbst in eine Position des authentischen Sprechers. Das macht es religiçser Kommunikation wie keiner anderen mçglich, sich indirekt zu ußern, in Bildern und Symbolen zu sprechen, Unbestimmtheit zuzulassen“ (Nassehi 2008b, 21). Diese Konstruktion, nmlich die Unbestimmtheit zuzulassen, ist als „religiçs“ plausibilisiert anschlussfhig und bedarf keiner weiteren Erklrung und Rechtfertigung. Dies scheint dann auch die Fortschreibung des Responsibilisierungsprogramms in eine zielorientierte Handlungsrationalitt zu erlauben. Unproblematisch und unproblematisiert schließen sich Zielvorgaben als uneingeschrnkte Absichtsoder Willenserklrung an. „Wir wollen unsere Vision in der Gegenwart umsetzen“ (Dekanat Wiesbaden). „Wir werden die Gemeinde sichtbar machen.“(…) „Wir werden das Ehrenamt fçrdern“ (Kirchengemeinde Hamburg-Heimfeld). „Wir wollen in einer zweckbestimmten Welt das Heilige erfahren und erfahrbar machen“ (These 1 im Teil III der Leitstze der Badischen Landeskirche). „Wir stehen dafr ein, dass unsere Gottesdienste anregen, berhren und uns mit Gott in Verbindung bringen“ (Kreissynode Tempelhof ). „Wir befhigen Menschen fr ein vom christlichen Glauben geprgtes Leben“ (Kirchenkreis Trier).
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Das Subjekt inszeniert sich auf diese Weise zweifach, zum einen in der Geste des „homo contractualis“ als eines Wesens, das zur Verantwortung gezogen werden will und kann, und zum anderen spezifisch, nmlich als religiçs etikettiert. Weil dies zusammenfllt, kann es sich nicht frei machen von dem Verdacht, es trge Verantwortung dafr, wie Gottes Handeln im Leben und der Welt sich an das eigene individuelle Verhalten bindet und darin erkenn- und ablesbar wird. Denn unabhngig davon, wie die Zielformulierung gefunden wurde, ob als Erinnerungs- oder Visionsarbeit, man tritt in çffentlicher Selbstverpflichtung dafr ein, das erklrte Ziel zu erreichen und zu verwirklichen. Zum „Willen“ als Scharnier der Fremd- und Selbstfhrung gesellt sich so in der kirchlich eigensinnigen Lçsung – ob als funktionales quivalent oder Substitut – zumindest als zur Subjektivation konstitutiv notwendiges Element der „Glaube“. Spielart: Eingeschrnkt wollen Zum interdiskursiven Wissen gehçrt es jedoch auch, dass der Glaube oder das Glauben sich nicht willentlich vereinnahmen lassen. Eine weitere eigensinnige Lçsung in der Selbstkonstruktion des willentlichen Subjekts ist daher, dass auf voluntatitve Aussagen verzichtet wird oder sie in gewisser Achtsamkeit und in Einschrnkung der eigenen individuellen Wirkmchtigkeit gewhlt werden. „Soweit wir es vermçgen, leben wir den Glauben an Jesus Christus in unserer Zeit und sagen ihn weiter“ (KG Wermelskirchen).
Wem dies im Hinblick auf eine werbende und orientierende Wirkung zu einschrnkend oder zu geschwcht erscheint, formuliert selbstbewusster und zeigt sein Verantwortungsbewusstsein, indem er sich als selbstreflexiv und um seine Selbstbegrenzung wissend prsentiert. „Wir wissen, was wir wollen und sagen das auch in einer klaren und allgemein verstndlichen Sprache. Aber wir sagen auch, was wir nicht wissen“ (Leitsatz Baden).
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Das Ziel sichern: Sich locken „Ob diese Kirche von morgen, wie sie in dem von uns entwickelten Leitbild beschrieben wird, Wirklichkeit wird, hngt davon ab, wie wir sie gemeinsam mit Leben fllen“ (Handreichung 1 Pommern, 6.) „Wir nehmen uns vor, das Leitbild in unserem Reden und Handeln als Gemeinde, Kirchenkreis, Landeskirche, Dienst und Einrichtung vorzuleben, es verbindlich und berprfbar zu machen“ (ebd.).
Leitbildanleitungen empfehlen, das zu erreichende Ziel prsentisch zu beschreiben. Die mit dem Gebrauch des Indikativs verbundene Vorstellung ist, dass dieser die Diskrepanz zwischen Ist und Soll, zwischen Jetzt und Zukunft sprachlich aufhebt, um zu motivieren und zu locken. 55 Techniken des NLP (Neurolinguistisches Programmieren) sprechen von einer Zielphysiologie, die das Ziel positiv-affiziert vorwegnimmt, um von hier, aus der Zukunft zurckblickend, mçgliche zu erwartende Hindernisse prospektiv ausschalten zu kçnnen. Die Kommentierung oder Berichterstattung von kirchlichen Leitbildprozessen zeigt, dass diese nicht frei sind von hoher Skrupulositt, wenn es darum geht, den Aufforderungen der Ratgeber im Blick auf die Indikativ-Formulierung zu folgen. Beispielhaft ist der Einblick in den Prozess der Evangelischen Kirche von Westfalen, den der Vorsitzende der Projektgruppe Hans Werner Schneider in seinem Vortrag vor der Synode 2003 anlsslich der Einfhrung der Positionspapiere56 schildert. „In der Sprachgestalt haben wir uns am Sprachstil von Leitstzen orientiert, die im Indikativ formulieren, was Ziel unseres Handelns ist. Wir haben uns dabei çfter gefragt und sind auch gefragt worden, ob wir hier nicht zu vollmundig reden. Machen wir uns auf den Weg zu den Menschen und sind wirklich offen und einladend? Feiern wir lebendige Gottesdienste und bieten Orientierung, machen Mut zum Glauben und laden zu aktiver Mitgestaltung und Beteiligung ein usw.?“ (Schneider 2007).
55 Brçckling (2007). 56 Evangelische Kirche von Westfalen (2004a), Unser Leben – Unser Glaube – Unser Handeln, und: Unsere Geschichte – Unser Selbstverstndnis.
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Doch der programmatische Vorbehalt, nmlich die Begrenztheit menschlichen Handelns, fhrt nun gerade nicht dazu, eine weniger „vollmundige“ Formulierung zu whlen, sondern ganz im Gegenteil. Die Leitbildtechnik entpuppt sich als eine den Vorbehalt geradezu untersttzende Maßnahme. „Aber die Leitstze sind keine Wirklichkeitsbeschreibung, sondern sollen unser Handeln orientieren. Sie sagen, worauf es uns ankommt und wie wir unseren Auftrag zu erfllen versuchen. Sie leiten dazu an, uns selbstkritisch wahrzunehmen, und fordern zur Verbesserung unseres Handelns auf“57.
Die Technik leitet nicht nur dazu an, das erklrte Ziel verbindlich im Blick zu haben, sie motiviert auch zugleich zur Selbstkritik. Sich berprfen und verbessern Die Selbstberprfung, sich selber messen lassen wollen, trifft als manageriale Technik in der Kirche auf ein vertrautes Terrain der eigenen Selbstpraktiken. Danach ist es gut, sich kritisch zu befragen und sich an dem biblischen Ideal vom Menschen zu orientieren. So wie die zehn Gebote oder die Bergpredigt als bewhrte Beichtspiegel helfen, das eigene Leben zu reflektieren, kçnnen nun Leitbilder oder Leitstze helfen, das eigene Verhalten im Hinblick auf die Zukunft der Kirche zu orientieren. Die Evaluations- und Selbstberprfungsverfahren neoliberaler Provenienz, wie sie sich im Konzept der lernenden Organisation als z. B. „Kontinuierlicher Verbesserungsprozess“ wiederfinden, scheinen sich daher mhelos subjektkohrent auch auf das kollektive Subjekt applizieren zu lassen. „Sie fgen sich darum ein in unser Selbstverstndnis als einer stets zu reformierenden Kirche“ (Schneider 2007)
Das Stichwort der „ecclesia semper reformanda“ erfhrt im Zusammenhang der Reformprozesse immer dort Anwendung, wo es um die berprfung des Lernfortschritts geht. „Bereits nach etwa drei Jahren soll das bis dahin Erreichte aufmerksam betrachtet werden“ (Kreissynode Tempelhof, Mrz 2002).
57 Schneider, ebd. – auch Fischer (Einfhrung des Leitbildes Baden durch Bischof Fischer, 26. 4. 2006): „Die Leitbilder sind bewusst prsentisch formuliert, um den knftigen Zustand der Kirche verlockend zu beschreiben und weniger normativ einzufordern. Die Leitbilder sind (…) nicht realittsfern, aber sie beinhalten einen ,berschuss zur Realitt‘“.
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3. Sich als leitendes kollektives Subjekt herstellen
Wie selbstverstndlich ist dabei nun nicht nur von Selbsterkenntnis oder Vernderung des Handelns die Rede, sondern von Verbesserung. Selbstberprfung erfolgt, um das eigene Handeln zu verbessern, zu steigern und nher hin auf das Ziel zu bewegen. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich das eigene Handeln verbessern lsst und man selbst gezielt Einfluss darauf nehmen kann. Wer im Leitbild prsentisch formuliert hat, sich fr gerechte Verhltnisse vor Ort und in der Einen Welt zu engagieren (Hochdahl), die eigenen Kompetenzen leistungsbewusst einzusetzen (Burgdorf ), sich den Ruf von frçhlichen und ernsthaften gottesdienstlichen Gemeinschaften zu erwerben (Pommern), auf Menschen in Krisensituationen zu achten und sich um ihre Bedrfnisse zu kmmern (Rosdorf ),
will sich in seinem Verhalten nun von dieser Zielperspektive motivieren und daran messen lassen. Neu und ungewohnt ist, und in Leitbildprozessen durchaus widerstndig kommentiert wird allerdings, konkrete und vor allem objektiv berprfbare Ziele anzugeben. Hier ist am ehesten die eigensinnige Verweigerungsstrategie abzulesen, weil nach der Willens- und Absichtsußerung dieser nchste fokussierende und in die Rechtfertigung ziehende Schritt in den Leitbildprozessen entweder nicht vollzogen wird oder nicht çffentlich dokumentiert ist. Wenn konkrete Zielgrçßen dokumentiert sind, begngt man sich mit der Angabe von Jahreszahlen und vermeidet in der Regel Zahlenangaben im Hinblick auf personelle oder finanzielle Zuwchse. Wo dies trotzdem erfolgt, Das Impulspapier der EKD empfiehlt eine Steigerung der „Trauquote“ und „Taufquote“ und des durchschnittlichen Gottesdienstbesuchs am Sonntag „von 4 % auf 10 % aller Kirchenmitglieder“ (Kirchenamt der EKD 2006, 52).
wird nach erbetener kritischer Rckmeldung auf dem Zukunftskongress relativierend kommentiert: „Die Zahlenangaben (…) behalten ihren Charakter als an- und aufregende Richtungsangaben (…). Zugleich bleibt die im Impulspapier gestellte Frage nach der Relevanz von quantifizierbaren Ergebnissen kirchlicher Arbeit in ihrem Recht bestehen“ (Kirchenamt der EKD 2007, 9).
Wirtschaftlich, çkonomistisch und oberflchlich sei der Umgang mit Zahlen im Blick auf Gemeindeglieder, sagen die Kritiker. Gleichwohl empfehlen Befrworter, genau dies zu tun, schließlich rate auch die Bibel zu einer klugen Haushalterschaft mit dem Geld und den Menschen (ebd.).
3.2. Spezialdiskurs: Verwaltungsmodernisierung und Leitbilder
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Ob unter Nennung von Zahlen oder nicht, ob mit oder ohne gesteigerte Aufmerksamkeit, schon die Auseinandersetzung darber scheint anregend genug zu sein, dem Steigerungsimperativ zu folgen, denn von Wachstum, Vermehrung, Vergrçßerung, Zunahme der Beteiligung, der Gemeindegrçße, Mitgliederzahlen und der Angebote ist in den Leitbildpapieren genauso die Rede wie von verbessertem, intensiverem und Zielgruppen gerechterem Arbeiten. Denn man will verantwortungsvoll sein und gewissenhafter, genauer, sorgfltiger, glaubwrdiger, berzeugender den Auftrag erfllen: Kirche kann mehr sein. So bieten Leitbildpapiere den Ausblick auf Leitbildsubjekte, die, zwar nicht frei von Skrupeln, sich bemhen und kritisch befragen, fr Kritik und Verbesserungsvorschlge offen, lernbereit und -fhig sind, um ihrem Ziel nher zu kommen. „Im Jahre 2030 haben sich bei den kirchlichen Mitarbeitenden Leistungsfhigkeit und Leistungsbereitschaft signifikant erhçht“ (Kirchenamt der EKD 2006, 63).
Auch kirchliche Leitbildsubjekte binden sich nicht nur an qualitative und quantitative Ziele, sie stehen auch dafr ein, zur Erreichung dieser Ziele an sich selbst zu arbeiten,58 wie die nchsten Kapitel zeigen werden.
58 „Wer danach fragt, wie der Reformprozess nun nach Wittenberg weitergehe, der muss zuerst sich selbst und seine jeweiligen Mçglichkeiten prfen. Das Subjekt der Reformanstrengungen sind nicht die anderen, sondern bin ich selbst“ (Hervorhebung im Text). (…) „Es kommt daher nun alles darauf an, dass sich an vielen Orten und auf vielen Ebenen der evangelischen Kirche ,viele kleine Wittenbergs’ bilden, die jeweils fr ihren Verantwortungsbereich einen gemeinsamen Weg in die Zukunft suchen, der immer auch das spiegelt, was eine evangelische Kirche der Freiheit ist: eine reformfhige, glaubensfeste und zukunftsmutige Gemeinschaft der Christen“ (Kirchenamt der EKD 2007, 11).
4. Zwischenkommentar: Organisation, Mythos, Fiktion und Religiositt An dieser Stelle wird der Gang durch den Diskurs fr einen Zwischenkommentar unterbrochen, weil sich eine Beobachtung aufdrngt, die wenn auch nicht erklrt, doch zumindest differenzierter benannt werden sollte. Die Beobachtung bezieht sich auf die große Geste des Versprechens in den Anrufungsszenen und darauf, dass die manageriale Semantik gerade in den Leitbildanleitungen (Vision, Mission) eine religiçse ist. Vor allem aber fllt die Bekenntnisattitde ins Auge, die hohe Affinitt des kirchlich-theologischen Diskurses zum çkonomischen Diskurs („Wir haben doch schon ein Leitbild“) und das Amalgamieren, Verschmelzen des allgemeinen und kirchlichen-theologischen Diskurses, wenn es beispielsweise um die persçnliche Haftbarmachung und die Bereitschaft zur individuellen Inanspruchnahme geht. Diesem Zusammenhang soll im Sinne einer Problemanzeige nun nachgegangen werden.
4.1. Allgemeiner Diskurs Die wissenssoziologische Literatur zu den Techniken der Selbststeuerung bemerkt, dass in diesen Techniken mit „grossen und hochgradig transzendenten Verweishorizonten und Metaphern operiert“ wird (Maeder 2004, 76). Wie auch schon Knoblauch und Schnettler im Zusammenhang der Zukunftsprognostik auf „den Funken an Rationalitt“ verweisen, der „religiçses Charisma“ genannt wird, so meint Maeder auch im Hinblick auf das NPM nicht ohne Polemik, eine Funktion des Religiçsen ausmachen zu kçnnen. „Die Bedeutungszuladung wird nicht durch Fassbares, Lokales und Praxisbeschreibung, -anleitung oder -evaluation erzielt. Mithin weist die Prsentation dieser Semantik des NPM ganz deutlich die Merkmale einer ,civil religion‘ (Luckmann 1991) auf, in der zu Managern mutierte Priester als Zentralverweis eine Verbindung aus dem Elend des ,Hier und Jetzt‘ hin zu einer als Erlçsung kommunizierten Sphre des NPM-gefhrten Staates versprechen. Wer ihren Vorstellungen und insbesondere den damit verbundenen Praktiken folgt, dem wird der Erfolg desjenigen in Aussicht gestellt, der auf
4.1. Allgemeiner Diskurs
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dem richtigen Weg ist: Mitgliedschaft in der wahrhaftigen Gemeinde. Die religiçse Komposition der Leitsemantiken ist soziologisch gesehen ntzlich: Nur so lassen sich Menschen davon abhalten, das brchige Expertenwissen anhand ihrer eigenen Erfahrung in Frage zu stellen“ (Maeder 2004, 76)59.
Susanne Maria Weber (2005) geht in Anlehnung an organisationstheoretische berlegungen Khls und Kiesers60 davon aus, dass „wir es bei der ersten Phase der Einfhrung der Großgruppenverfahren im deutschen Sprachraum mit ihrer Inszenierung als Heilswissen zu tun haben“ (ebd., 33). Gerade die Gegenberstellung des alten und „neuen Paradigmas“ entspricht dem Kriterium der Mythisierung von neuem Wissen als Heilswissen. „Es wird ein ,altes‘ und unzulngliches gegen ein ,neues‘ und ,gutes‘ Modell kontrastiert und abgewertet bzw. das ,richtige‘ und erfolgversprechende Wissen aufgewertet“ (ebd., 35). Organisationstheoretische Erkundungen: Mythos Weber fragt nach der Rolle des Mythos in den Organisationstheorien Ende der 1980er Jahre, die im Zusammenhang des „Booms des Organisationskulturansatzes“ ein verstrktes Interesse am „Mythos“ erkennen lassen. Neuberger so referiert Weber61, untersucht Mythen der Fhrung und rekurriert dabei auf ein Mythosverstndnis, wonach dieser als ursprnglich tradierte heilige Geschichte „letzte Fragen in anthropomorphisierender Form“ beantwortet. In einem Mythos werde das in einer numinosen Aura betrachtete und verehrte einzelne „Objekt“ als unbegreiflich berwltigend verklrt (Weber 2005, 37). Der Mythos habe sich als Gegenbegriff zum Logos als dem Vertreter der Rationalitt entwickelt und als dessen andere 59 hnlich auch Knoblauch (1994), Vom moralischen Kreuzzug zur Sozialtechnologie. Die Nichtraucherkampagne in Kalifornien. 60 Khl (2000), 40, Das Regenmacher-Phnomen. Widersprche und Aberglaube im Konzept der lernenden Organisation. „Nach Khl besteht das erste Stadium eines Wissens am Markt und im Modus des Produktlebenszyklus in der berhçhung eines neuen Wissens als Heilswissen. Demnach ist der Beginn einer neuen Managementmode durch die Form des Glaubens geprgt. Das neue Wissen erhlt den Status eines skularreligiçsen Heilswissens, das durch Lobpreisung und durch Erfolgsgeschichten abgesichert wird“ zitiert nach Weber (2005), S. 33. 61 Weber( 2005), 36, rekurriert dabei auf Neuberger, Moden und Mythen der Fhrung, in: Kieser et al. (Hg.) (1995), Handwçrterbuch der Fhrung, und auf Kieser (1997), Moden und Mythen des Theoretisierens ber die Organisation, in: Scholz, Christian (Hrsg.), Individualisierung als Paradigma, Stuttgart. Zum Neoinstitutionalismus siehe auch: Walgenbach (2002 und 2006), Hasse/Krcken (1999).
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4. Zwischenkommentar: Organisation, Mythos, Fiktion und Religiositt
Seite das Merkmal des Irrationalen zugewiesen bekommen. In dieser Lesart, so Neubergers These, seien Mythen vor allem „Mythen der Anderen“, die man meint, durch „Aufklrung“ entlarven zu kçnnen. Die dabei zugrunde liegende Unterstellung, es gebe eine „wahre“ oder „rationale Sicht“, stelle allerdings ebenfalls einen Mythos dar. Kieser konstatiere, so Weber weiter, in der Untersuchung von Managementwissen und Organisationstheorien, dass das Feld der Organisationstheorie durch „geringe technische und strategische Interdependenzen und durch eine hohe Aufgabenunsicherheit“ gekennzeichnet sei. Er spreche Mythen, die sich in diesem Kontext in Ritualen, Geschichten und Antimythen konkretisieren, „gleichermaßen die Funktionen der Wirklichkeitsdeutung wie der Legitimation und Identittsstiftung“ (Weber 2005, 37) zu. Auf diese Weise werde Handeln modelliert und Entscheidungen kanalisiert. Mythen wrden so eine neue Art des Sehens bereitstellen. Die „lernende Organisation“, seit Mitte der 1990er Jahre als Modell des Organisierens und organisationalen Lernens breit akzeptiert, reprsentiert nach Khl (2000) in ihrem Ansatz einen „Mythos des Organisierens“, weil die Lçsungsversprechen eines erfolgreichen Organisierens mit bestimmten analysierbaren Weltsichten und -interpretationen einhergingen. Khl sieht daher in den vermeintlichen „Irrationalitten“ eine verdeckte Funktion fr die Konstitution der Gesellschaft wie auch fr Organisationen. „Es gibt keine eindeutigen, objektiven Kriterien fr ,guten’ oder ,falschen’ Organisationswandel. Es bleibt lediglich ein relativ schwacher Wunschtraum. Aber hnlich wie Religiositt, Magie und Kriminalitt in der Gesellschaft erfllt das Konzept der lernenden Organisation eine wichtige, nicht sofort erkennbare Funktion. Sie motiviert zum Ausprobieren neuer Handlungen, auch wenn gar nicht sicher ist, ob diese Handlungen fr die Organisation wirklich besser sind“ (Khl 2000, 163 f ).
Gerade weil die Abschtzung eines mçglichen Erfolges eines Unternehmens immer schwieriger scheint und sich Entscheidungshandeln deshalb eher an Bewhrtem und Bekanntem orientiere, so Khls These, bestehe die Funktion des Modells der lernenden Organisation gerade darin, nichtrationale Formen des Lernens, Wandels und Entscheidens zu initiieren. Es sei eine „intelligente Form des Selbstbetrugs“, die unter Ausblendung des Risikos von Vernderungsmaßnahmen vollzogen werde (Khl 2000,164).
4.1. Allgemeiner Diskurs
193
Organisationstheoretische Erkundungen: Fiktion und Institution In der Organisationstheorie werden diese und hnliche Zusammenhnge nicht ausschließlich mit Hilfe des Mythosbegriffs, sondern auch mit dem der Fiktion oder Institution thematisiert. Gnter Ortmann62 pldiert systemtheoretisch im Anschluss an Luhmann fr eine Wende innerhalb der Organisationstheorie, die das „Als Ob“, die Bedeutung der Fiktion in der Organisation auch in der Theorie zu bercksichtigen habe. Organisationstheorie msse die zirkulren Figuren der Selbstverursachung und Selbstbegrndung nachzeichnen, „mittels derer wir es, und zumal in Organisationen, vom Handeln als-ob zum Handeln um-zu und zum Handeln-weil bringen: vom Handeln, als ob wir hinreichend gute Grnde htten, zum Handeln, weil wir hinreichend gute Grnde haben, und seien es nur gute Grnde, das Spiel des Als Ob zu spielen“ (Ortmann 2004, 12).
Organisationen, so seine These, sind auf Realittsfiktionen gegrndet. „Wenn wir selbst in Organisationen ohne festen Boden unter den Fßen auskommen mssen, weil nicht nur die Zukunft ungewiss ist, sondern auch die Vergangenheit und die Gegenwart und deren Bedeutung, dann mssen wir uns mit Gewissheitsfiktionen und selbstgemachten Grnden behelfen“ (ebd.,12).
„Bootstrapping“ gilt ihm als englische Formel fr den Mnchhauseneffekt, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, und bezeichnet einen Vorgang, sich auf eine Grundlage zu beziehen, die man selbst gelegt hat. In der Herstellung dieser „Bretter ber dem Sumpf“ (Ortmann) erhlt die Dimension des Performativen entscheidende Relevanz, wie Ortmann mit Hinweis auf Luhmann beschreibt. „Auch wenn der Zusammenhang von Entscheidung und Entscheider ein Zurechnungskonstrukt ist, heißt dies keineswegs, dass es nur eine Fiktion sei, die zusammenbricht, wenn man sie durchschaut. Eher kçnnte man von einem ,Eigenwert‘ der Organisation sprechen, der in der rekursiven Praxis des organisierten Entscheidens immer wieder besttigt wird. Das liegt nicht zuletzt daran, dass nicht nur Fremdbeobachter, sondern auch die Entscheider selbst diese Zurechnung vollziehen und auf diese Weise emotionale Bindungen an ,ihre‘ Entscheidungen und an deren Grundstze entwickeln“ (Luhmann 2000, 136).63
62 Ortmann (2004) und (2003). 63 Bei Ortmann (2004, 35).
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4. Zwischenkommentar: Organisation, Mythos, Fiktion und Religiositt
Im Wege fingierender Rck- und Vorgriffe wrden die Grundlagen des Handelns und Entscheidens selbst hervorgebracht (Ortmann 2004, 35). In Erinnerung an Max Weber und „dessen tiefe Einsicht in die unerhçrte Wichtigkeit dessen, was er Legitimitts- und Geltungsglauben genannt hat“, und in Bezug auf die neo-institutionalistische Organisationssoziologie stellt Ortmann fest, dass „diese Art Glaube (…) mitsamt seinen Konnotationen der Beschwçrung, des Performativen und des Fiktionalen berdauert“64 hat (ebd., 100) und Organisationen in ihren Begrndungsprozeduren, ihren Ressourcen und ihrer Macht erheblichen Anteil an dieser Konstitution des Glaubens haben. Als beispielhaft fr wissenschaftliche Studien in diesem Bereich verweist Ortmann auf die Arbeit von John Meyers und Brian Rowans, „Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony“ (1977), deren Ergebnis sei, dass formale Organisationsstrukturen nicht das Resultat optimierender Entscheidung, Anpassung oder Auslese sind, sondern „Reflex rationalisierter institutioneller Regeln“. Diese Institutionen – in diesem Zusammenhang wird der Begriff synonymisiert mit Mythen – haben ausgesprochen hohe Bindewirkung fr Organisationen: Sie „spezifizieren nach Art von Regeln und im Sinne technischer Rationalitt, wie Organisationen ihre sozialen Zielsetzungen verfolgen“ (100). Organisationen mssen sich legitimieren, um die erforderliche Untersttzung mit Ressourcen aller Art aus der Umwelt zu bekommen. Dies kçnnen sie, als Organisationen anders als andere soziale Systeme, nur durch Rationalittsnachweise tun. Dies aber nçtigt sie, den institutionell verankerten Rationalittsmythen ihrer Umwelt gerecht zu werden: „Sie mssen tun, was dort fr rational gehalten wird, tatschliche Effizienz hin oder her. Sie mssen den institutionalisierten Anforderungen der Gesellschaft Genge tun und Verfahren – Regeln – anwenden, genauer: zumindest zum Schein ansetzen, also anwenden-und-unterlaufen, deren Einsatz von ihnen erwartet wird. Sie mssen ihre Modernitt mittels Computertechnik, ihre Kreditwrdigkeit mittels ordnungsgemßer Bilanzen, ihre Soliditt mittels vorschriftsmßigen Rechnungswesens und gegebenenfalls mittels gesetzlich vorgeschriebener Testate vereidigter Wirtschaftsprfer zeigen – im Sinne von ,demonstrieren‘, nicht wirklich ,nachweisen’, zur Not im Sinne von ,so tun als ob‘ (…)“ (Ortmann 2004, 101).
Auch Strategien des NPM wren, folgt man Ortmann, genau wie Techniken „schlanker Produktion“, Prozessmanagement oder Beschreibung 64 Ebd., 100: „ was zu Recht oder Unrecht Skularisierung genannt zu werden pflegt“.
4.1. Allgemeiner Diskurs
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von „Kernkompetenzen“ zu den institutionalisierten Techniken und als Teil des rationalisierten Mythos zu rechnen. Organisationen haben als „kollektive Akteure“ besondere Mçglichkeiten zur Umgehung und Unterminierung dieser institutionalisierten Nçtigungen, weil Effizienz durch Wege informeller und interner Praktiken gewahrt werden kçnnte. Rationalittsfassaden blieben so „zum Schein“ dabei erhalten (Ortmann 2004, 98ff ). Ausgehend von diesen berlegungen zur Funktion des Mythos, der Fiktionen oder Institutionen fr und in Organisationen, des „Glaubens“ im Weberschen Sinne, soll nun noch mal vertiefend die eingangs erwhnte Beobachtung aus der wissenssoziologischen Literatur aufgenommen werden, es handele sich bei diesen Praktiken um „Heilswissen“, Ausdrucksformen einer „civil religion“, kurz um Konnotationen des Religiçsen. (Religions-)Soziologische Erkundungen: Bekenntnis und Bewhrung Die Beobachtung, dass die beschriebenen Technologien in starker Weise mit Bekenntnis-, Bewhrungs- und Erlçsungsvorstellungen einhergehen und dass sich in den diskursiven Verschmelzungsprozessen eine hohe Affinitt des kirchlich-theologischen Diskurses dazu abzeichnet, legt es nahe, diesen Zusammenhang mit dem von Ulrich Oevermann entwickelten Strukturmodell von Religiositt zu beleuchten.65 Es knpft einerseits an die Ausarbeitungen Max Webers an, zugleich ermçglicht es mit seiner Konzentration auf den Strukturbegriff den Anschluss an den Foucaultschen Ansatz. Oevermanns Modell versteht sich vor dem Hintergrund der Skularisierungsdebatte und positioniert sich darin so, dass „Religiositt strukturell durch die Prozesse der Skularisierung nicht aufgelçst wird, und dass es sich bei der Skularisierung um eine konsequente Weiterentwicklung der Religiositt selbst handelt“ (Oevermann 2003, 339). Oevermann bricht mit dem Ansatz der Religionssoziologie, Religiositt ber die Kategorien Bedrfnis und Erlebnis aus der Perspektive religiçser Praxis zu bestimmen, indem er Religiositt als allgemeinen Strukturzusammenhang aus den Konstitutionsbedingungen der Praxis entwickelt (Oevermann 1996, 31). Drei Momente gelten Oevermann fr dieses Strukturmodell als konstitutiv: Die „Nicht-Stillstellbarkeit der Bewh65 Oevermann (1996), Strukturmodell von Religiositt und Oevermann (2003): Strukturelle Religiositt und ihre Ausprgungen unter Bedingungen der vollstndigen Skularisierung des Bewusstseins.
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4. Zwischenkommentar: Organisation, Mythos, Fiktion und Religiositt
rungsproblematik“, der „Zwang zu einem Bewhrungsmythos“ und „der Zwang zu einer Evidenzsicherung“ (ebd., 36). Die Ableitung des Modells66 geht als Entwicklungsmodell zentral von der Kategorie der Endlichkeit aus. ber die „sprachliche Prdikationsfunktion“67 bildet sich ein „Bewusstsein von der Endlichkeit des Lebens“ aus (Oevermann 2003, 341). Das Leben kommt als ein „grundstzlich zukunftsoffenes und insofern krisenhaftes zu Bewusstsein“, so dass diesem Bewusstsein nach Oevermann zwingend das Problem einer nicht stillstellbaren „Bewhrungsdynamik“ folgt (ebd., 342). Das Leben konstituiert sich in seiner Lebenspraxis als Bewhrungsdynamik zwischen Entscheidungszwang und Begrndungsverpflichtung, die allerdings angesichts der Zukunftsoffenheit unabschließbar ist. Zukunftsoffenheit, die bis zum Tode offen bleibt, und Endlichkeit bilden die Polaritt, „in der sich die Nicht-Stillstellbarkeit der Bewhrungsdynamik aufspannt“ (2003, 342). Um diese Bewhrungsdynamik auszuhalten, bedarf es, so Oevermann, eines Bewhrungsmythos. „Er muss den Entwurf einer mçglichen Lçsung des Bewhrungsproblems enthalten, einen – notwendig immer utopischen – Maßstab des mçglichen Gelingens vorgeben und vor allem eine Instanz der Erlçsung und des Heils, dessen Gnade man prinzipiell teilhaftig werden kann, verbrgen“ (Oevermann1996, 35).
Ein solcher Mythos wirkt durch selbstverstndliche und kollektiv verbrgte Evidenz, d. h. durch Vergemeinschaftung. Oevermann sieht sein Strukturmodell als ein universell gltiges darin besttigt, dass sich auch noch die Haltungen und Denkweisen des vollstndig skularisierten Subjekts der Moderne darin abbilden oder entziffern lassen (ebd., 39). Das skularisierte, religiçs nur indifferente Bewusstsein ist demnach nichts anderes „als eine spezifische Stufe in der Transformation des universalen Bewhrungsproblems und der universalen Bewhrungsdynamik“ (ebd., 39). Die Bewhrungsfrage stellt sich in der skularisierten Ausformung „ausschließlich immanent bezogen auf die irdische Lebensleistung und muss gnzlich ohne irgendwelche außerge66 Im Detail: Oevermann 2003. 67 Im bergang von der Natur zur Kultur wird die Sprache zu einer „Symbolorganisation“ von innerartlicher Interaktion und Verstndigung, die den Dualismus von reprsentierendem und bedeutendem Zeichensystem und reprsentierter, bedeuteter Welt aus sich heraussetzt (Oevermann 1996, 31 f ). Das erkennende Subjekt kann „nun jederzeit hypothetisch konstruieren und sich vergegenwrtigen, dass es ein Leben, dessen Form sein eigenes angehçrt, vor seiner Geburt gegeben hat und nach seinem Tode weiter geben wird“ (ebd., 33).
4.1. Allgemeiner Diskurs
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sellschaftlichen Gnadenchancen auskommen. Das heißt: sie verschrft sich außerordentlich, der Bewhrungsmythos kann eine Mçglichkeit der außerirdischen Erlçstheit ebenfalls nicht mehr bieten“ (ebd., 39). Die Evidenzsicherung durch Vergemeinschaftung „scheint in zunehmendem Maße substituiert zu werden durch eine je individuelle oder in die Zustndigkeit kleiner Primrgemeinschaften zerfallene Konstruktion des guten Lebens und Rekonstruktion einer Lebensleistung und -erfllung“68. Mit der Skularisierung, so Oevermann, geht keine Ablçsung, sondern ganz im Gegenteil „eine Zuspitzung einer ursprnglich auch inhaltlich religiçs ausgeformten Bewhrungsdynamik einher“ (ebd., 39). Religion hçrt demnach mit der Skularisierung nicht auf, vielmehr erlaubt das Strukturmodell von Religiositt „die paradoxale Konstellation zu dechiffrieren, in der das Verdampfen religiçser Inhalte und Deutungen vor der wissenschaftlichen und methodischen Rationalitt im Prozess der Skularisierung in sich auf der strukturellen Ebene eine konsequente Fortsetzung der aus dem Strukturmodell von Religiositt ableitbaren Bewhrungsdynamik darstellt“ (ebd., 40). Darin sieht Oevermann die Nhe zu den Ausarbeitungen Max Webers69 und konzediert, dass die „Dialektik von religiçs und skularisiert, von Religion und Rationalitt (…) in unserem Strukturmodell (…) im Hinblick auf die nicht stillbare Bewhrungsdynamik hnlich wie bei Weber wieder zentralthematisch“ ist (ebd., 40). Auch wenn die Ausarbeitungen Oevermanns in mehrfacher Hinsicht einer Relativierung bedrfen70, sind sie in diesem Zusammenhang instruktiv, weil sie Religiositt als Struktur erfassen und so analytisch die Foucaultsche Distinktion von alter und neuer Pastoralmacht noch einmal anders, nmlich religionssoziologisch zu perspektivieren helfen, indem ber dieses theoretische Instrumentarium eine Doppelbewegung bezogen auf die eigensinnige kirchliche Subjektivation beschreibbar wird. 68 Der Bewhrungsmythos kann sich sowohl auf die Gemeinschaft als Ganze als auch auf das eigene Leben beziehen (Oevermann 2003, 342). „Je klarer das Bewhrungsproblem in einem Bewhrungsmythos elaboriert worden ist, umso drngender wird es und umso mehr zieht die Konstruktion des Bewhrungsmythos die Nicht-Stillstellbarkeit bzw. Dynamisierung des Problems nach sich, zu dessen Bewltigung er eine Hoffnung verbrgen soll“ (ebd.). 69 Nmlich darin, dass „der Skularisierungsprozess zumindest im okzidentalen Rationalismus (…) religiçs motiviert und gestiftet ist (Weber 1920/21, zitiert nach Oevermann, ebd.). 70 Was insbesondere, wie Wohlrab-Sahr (2003) bemerkt, die „ubiqiuitre Verwendung und axiomatische Voraussetzung des Bewhrungsproblems“ anbelangt (397).
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4. Zwischenkommentar: Organisation, Mythos, Fiktion und Religiositt
4.2. Spezialdiskurs Zum einen kçnnen nun gouvernementale Techniken wie Leitbildentwicklungsprozesse als Materialisierungen von Herkunfts- und Zukunftsmythen dechiffriert werden. Als Bewhrungsmythen regulieren sie Begrndungsverpflichtung und Entscheidungszwang und liefern das „bootstrapping“ der sich in ihrer Existenz gefhrdet sehenden Organisation. Sie sind wie die „lernende Organisation“ im Oevermannschen Sinne skularisierte Mythen, die „immanent bezogen auf die irdische Lebensleistung“ sind und ohne außergesellschaftliche Gnadenchancen auskommen. Das den gouvernementalen Selbst- und Fremdfhrungstechniken inhrente Versprechen ist das des selbstinduzierten Heils. Diskursanalytisch ausgedrckt: Die Engfhrung des Diskurses erfolgt ber die Aufladung der Unbestimmtheit im Modus des Religiçsen. Dieses Wissen der Praktiken und Techniken wird im Subjektivationsprozess eigensinnig vom kirchlich-theologischen Diskurs verarbeitet. Es wird aufgenommen (der eine Teil der Doppelbewegung), indem z. B. Leitbildprozesse durchgefhrt werden. Und es wird zugleich – der andere Teil – eingearbeitet, indem dieses Wissen subjektkohrent transformiert wird und dazu eigene Ressourcen aktiviert werden (die lernende Organisation als ecclesia semper reformanda, die Allaktivierung der Mitarbeiter einer Organisation mit dem „Priestertum aller Glubigen“). Die Evidenzsicherung (Oevermann 2003, 354) wird ber gemeinschaftsbildende Techniken der Selbstcharismatisierung hergestellt („Wir sind“, „Wir glauben“), die dem bekannten Wissensbestand entnommen sind. Weber: Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus Diese Bewegungen lassen sich mit den Ausarbeitungen Max Webers plausibilisieren, die die Wissensressourcen im evangelischen kirchlichtheologischen Diskurs in Erinnerung rufen. „Die lutherische gratia amissibilis, welche durch bußfertige Reue jederzeit wiedergewonnen werden konnte, enthielt an sich offenbar keinerlei Antrieb zu dem, was fr uns hier als Produkt des asketischen Protestantismus wichtig ist: zu einer systematischen rationalen Gestaltung des ethischen Gesamtlebens. Die lutherische Frçmmigkeit ließ demgemß die unbefangene Vitalitt triebmßigen Handelns und naiven Gefhlslebens ungebrochener: es fehlte jener Antrieb zur konstanten Selbstkontrolle und damit berhaupt zur planmßigen Reglementierung des eigenen Lebens, wie ihn die unheimliche Lehre des Calvinismus enthielt“ (Weber 2006, 115 f ).
4.2. Spezialdiskurs
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„Speziell konnte man, schon aus Scheu die dogmatische Grundlage (sola fide!) zu verlieren, nicht zur asketischen Rationalisierung des Gesamtlebens als sittlicher Aufgabe des einzelnen kommen, denn es fehlte eben ein Antrieb, den Bewhrungs-Gedanken zu einer solchen Bedeutung aufwachsen zu lassen, wie dies im Calvinismus die Gnadenwahllehren bewirken“ (115, Anm. 105,). „Dem Luthertum fehlte eben, und zwar infolge seiner Gnadenlehre, der psychologische Antrieb zum Systematischen in der Lebensfhrung, der ihre methodische Rationalisierung erzwingt“ (ebd., 117).
Die Bruchlinie zwischen lutherischer Bußfertigkeit und calvinistischer Antriebsfeder wird in den Leitbildpapieren eingearbeitet und aufgehoben, indem sich zugleich neue diskursive Friktionen bilden, die sich in der Widersprchlichkeit und Verschiedenheit der im vorherigen Kapitel beschriebenen Spielarten zeigen. Mit der Weberschen Ableitung des Kapitalismus durch den Calvinismus/Puritanismus, d. h. der Bestimmung des Kapitalismus als religiçs bedingtes Gebilde, lassen sich die diskursiven Verschmelzungsprozesse so erklren und plausibilisieren. Es kommt damit allerdings eine Perspektive nicht richtig in den Blick, nmlich die religiçse Aufladung des als skularisiert bezeichneten çkonomischen Diskurses.71 Foucault: Neue und alte Pastoralmacht Das Foucaultsche begriffliche Instrumentarium von neuer und alter Pastoralmacht und die Konzentration auf die pastoralen Techniken bewahrt die Perspektive auf die Religiositt im skularisierten Diskurs und ermçglicht zugleich, eine analytische Unterscheidung ber die Tribunalisierung vorzunehmen; in der Oevermannschen Diktion ist dies die Frage der inner- oder außergesellschaftlichen Gnadenchancen. Dies gestattet auch eine analytische Unterscheidung, wenn das Aufeinandertreffen der beiden Diskurse beschrieben werden soll: Die moderne, skularisierte Pastoralmacht verlangt nicht Gehorsam im Sinne von Regelbefolgung, sondern Selbsterkenntnis und BekenntnisWille (Foucault 2003),72 71 Zum weiteren Kontext und den Rezeptionen und der Wiederentdeckung der Weberschen Protestantischen Ethik siehe u. a.: Pfleiderer/Heit (2008), Baecker (2003), Priddat (2007), Dellwing (2007) und Dellwing (2008); und eine der grundlegenden Weber-Exegesen: Bourdieu (2000), Das religiçse Feld. Walter Benjamin (1921) vermutlich auf Anregung von Weber selbst: „Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, d. h. der Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die so genannten Religionen Antwort gaben“ (15); vgl. auch Boltanski/Chiapello (2003). 72 Foucault (2003), zitiert nach Burkart (2006) , 20.
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4. Zwischenkommentar: Organisation, Mythos, Fiktion und Religiositt
„sie trgt als moderne Gestndnis-, Beicht- und Bekenntniskultur alle Zge einer aufgezwungenen Entlockung ,innerer Wahrheiten‘ des Subjekts und erscheint damit als disziplinarische Gewalt der Selbstkontrolle“ (Bublitz 2006, 118, Anm. 8).
Kirchliche Leitbildprozesse bilden insofern eine Doppelcodierung relativ konsistent ab, weil sie die von außen an sie herangetragene Technik adaptieren als irgendwie bekannte und ihren eigenen Techniken zum Verwechseln hnelnde. Aber anders als das im Gottesdienst zur Selbst-Vergewisserung gesprochene Credo wird das Verfahren nun anders tribunalisiert, indem das Bekenntnis jetzt auch oder sogar ausschließlich vor einem außerkirchlichen Publikum gesprochen wird – als Akt der performativen Selbsthervorbringung innerhalb einer gesellschaftlichen Arena. Ein kirchliches Als-Ob Die nun am Ende dieses Abschnitts zu formulierende und weiterzuverfolgende These lautet daher: Die konomisierung, die neoliberale Gouvernementalitt zwingt die Kirche, frommer, pietistischer, jedenfalls religiçser zu werden. Dabei ist der Zwang nicht erkennbar an bewussten Entscheidungen, sondern am Effekt der diskursiven Produktion. Der sanfte Zwang bringt ein „religiçses Selbst“ hervor, das als solches unternehmerisch, nmlich sichtbar, sprbar, berprfbar ist und Zuwchse macht. Das Tribunal dabei ist jedoch nicht Gott selbst oder das Jngste Gericht, sondern die beobachtende ffentlichkeit. Teil der sichtbaren Effekte dieser diskursiven Einarbeitung sind Leitbildpapiere, die als kirchliches bootstrapping fungieren. Als performativer Sprechakt erzeugt die Kirche darin ihre eigene Grundlage, sich als auf die gesellschaftliche Anerkennung zielender religiçser Akteur selbst herstellen zu kçnnen. Leitbilder, in der Weiterfhrung von Luhmann und Nassehi als religiçse Kommunikation aufgefasst, kommunizieren beobachtbar „das Unbeobachtbare“ und lassen dieses im performativen Akt zugleich Wirklichkeit und Handlung werden: Vom Handeln als-ob zum Handeln um-zu. Wie dies geschieht, das Unsichtbare nun sichtbar machen zu kçnnen, wollen die nchsten Kapitel zeigen, wenn das Flanieren73 durch den Diskurs nun fortgesetzt wird mit der Inaugenscheinnahme des individuellen Subjekts.
73 Siehe Einleitung und Teil 1 und Teil 2, 6.4.
5. Sich als wettbewerbs- und zukunftsfhig zu gestaltendes individuelles Selbst problematisieren Wenn im Folgenden das individuelle Subjekt in den Blick genommen wird, geschieht dies in der doppelten Perspektive auf das Subjekt im allgemeinen und, um den Zusammenhang von Selbst- und Fremdfhrung im beruflichen Feld zu untersuchen, spezifischer auf das im Kontext einer Organisation arbeitende Subjekt.
5.1. Allgemeiner Diskurs: Subjektivierung der Arbeit und der Unternehmer seiner selbst Die zunehmende Subjektivierung der Arbeit wird seit langem von der Arbeits- und Industriesoziologie beobachtet74. Sven Opitz macht als vorrangiges Kennzeichen dieses Prozesses aus, dass nahezu alle Dimensionen der Regulierung von Arbeit auf Selbstregulierung umgestellt werden. Der Einzelne soll entscheiden, wann, wo, woran und mit wem er am effektivsten arbeitet. Weiterbildungs- und Lernbereitschaft, hohe Qualifikation, Teamfhigkeit, Eigenverantwortlichkeit, Flexibilitt, Ergebnisorientierung und Medienkompetenz sind die Grundausstattung des subjektivierten Arbeitnehmers des Postfordismus. (Opitz 2004, 109) Die Bedeutung der beruflich-fachlichen Fhigkeiten rckt hinter die Bedeutung von Formen „reflexiver Fachlichkeit“, weil das Subjekt zunehmend aktiv Beziehungen zwischen abstrakten Kompetenzen und konkreten Aufgaben herstellen muss. Das Einfordern dieser „metafachlichen Kompetenzen“, wie die Fhigkeit zur Eigenmotivation oder Wissen um gesamtbetriebliche Zusammenhnge, zielen auf die eigenverantwortliche Organisation von Arbeitsprozessen. Der Arbeiter und Mitarbeiter befindet sich an der „Nahtstelle mehrerer Funktionen“, verschiedener Teams und Hierarchieebenen. Er muss Schnittstellenproblematiken kommunikativ bewltigen, Wissen interpretieren und er soll sich irritieren lassen, um so 74 Middendorp (2004), Baethge (1991), Opitz (2004), Kleemann/Matuschek/Voß (2002), Modaschl (2002), Mossbrugger (2008), Lohr/Nickel (2009).
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auf Anforderungen des Marktes dynamisch und kreativ reagieren zu kçnnen. Galt im Fordismus eine „Indifferenzzone“, weil es fr den Arbeiter keinen Unterschied machen durfte, welcher Befehl auszufhren war, gilt nach Opitz im Postfordismus die „Differenzzone“. „Nichts darf den Mitarbeiter gleichgltig lassen, alles muss fr ihn zur Information, das heißt zu einem Unterschied, der einen Unterschied macht, werden kçnnen“ (Baecker 1996, 81). Es ist die andere Seite der lernenden Organisation oder des „intelligenten Unternehmens“, die standardisierte Verfahren und Programme zweiter Ordnung zu bestimmen versucht. Nicht mehr das Routineverhalten in Organisationen wird vorgeschrieben, sondern die Programme beschreiben, auf welche Weise neuartige Probleme zu lçsen sind. „Den Mitarbeitern wird nicht vorgegeben, mit welcher Lçsung sie auf Probleme zu reagieren haben, sondern nur welche grundlegenden Verfahren sie zur Lçsung anwenden sollen“ (Khl 2000, 64). Zeitaufwndige und nervenaufreibende Abstimmungsprozesse zwischen „unten“ und „oben“ sollen so verzichtbar sein (ebd., 68), die Probleme dort bearbeitet werden, wo sie anfallen. Die Subjektivierung hat neben diesen kompensatorischen, strukturierenden und innovierenden Dimensionen auch eine affektive, denn auch Begeisterungsfhigkeit, Emotionalitt und soziale Kompetenzen werden als individuelles Vermçgen in das Arbeitsverhltnis integriert. Selbstdarstellungsformen, Techniken der Gesprchsfhrung und der Kleidungsstil werden wichtig, man erwartet die Inszenierung von authentischen Gefhlen im Blick auf die Verfolgung instrumenteller Zwecke (Holtgreve 2002, 200)75. Was auf diese Weise geschieht, ist die Beanspruchung auch der Personbereiche, die bislang von der Arbeitsanforderung ausgeschlossen waren. Opitz beschreibt diese Entwicklung mit Hardt/Negri76 in marxistischer Begrifflichkeit als einen bergang von der formellen zur reellen Subsumtion. Arbeit und Kapital stehen in keinem ußerlichen Verhltnis mehr, das „Humankapital“ soll vollstndig genutzt werden, die Trennung von Arbeitskraft und ihrem individuellem Trger ist aufgehoben77. Sub75 So z. B. beim Verkauf und im Gesprch mit Kunden – Opitz (2004), 111, verweist auf Holtgrewe (2002). 76 Hardt/Negri (2002): Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt/New York 2002, nach Opitz (2004). 77 Nach der Kritik der Politischen konomie bedeutet „formelle Subsumtion“, dass zunchst nicht unter dem Kapitalverhltnis stattfindende Arbeitsttigkeiten diesem untergeordnet werden, ohne die Ttigkeit selbst substantiell zu ndern. Darauf aufbauend verndert die reelle Subsumtion die Arbeitsttigkeit und die Produk-
5.1 Allgemeiner Diskurs
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jektivierung in dieser Logik heißt nicht „Nutzung der Person als Arbeitskraft“, sondern „Nutzung von Arbeitskraft als Person“78. Die wichtigen individuellen Potenziale fr Unternehmenszwecke nutzen zu kçnnen, heißt auf einen kalkulierten Einsatz von Freiheit zu Fhrungszwecken setzen zu mssen. Was Opitz u. a. beschreiben, wre aus gouvernementaler Perspektive unvollstndig, wrde dabei bersehen werden, dass dieser Subjektivationsprozess nur mçglich ist, weil er auf den emanzipatorischen Diskurs zurckgreifen kann79. Das kollektive Begehren nach Autonomie, die Vorstellung von Selbstverwirklichung und nicht entfremdeter Arbeit sind im Blick auf die Entwicklung von Eigensinnigkeit die konstitutiven Elemente dieser Subjektivierungsform. Mitbeteiligung und Mitgestaltung versprechen hçhere Arbeitszufriedenheit, Persçnlichkeitsentwicklung und Lebensverwirklichung80. Die innerbetriebliche oder organisationale Fhrung der Fhrung muss danach eine Aporie bearbeiten, die darin besteht, individuelle Subjekte als autonome und aktive aufzurufen, und gleichzeitig sicherzustellen, dass diese Autonomie nach den Richtlinien des Unternehmens erfolgt (Opitz 2004, 112). tionsmittel so, dass sie den Verwertungsprinzipien des Kapitals entsprechend am besten genutzt werden (Produktion eines relativen Mehrwerts). Die „reelle Subsumtion“ hat einen Disziplinierungsprozess der Arbeit zur Folge, mit dem Effekt, dass „die Regelmßigkeit, Gleichfçrmigkeit, Ordnung, Kontinuitt und Energie der Arbeit wundervoll erhçht“ werde (Marx 1986, 433). 78 Moldaschl (2002), 252: dort finden sich auch Schemata der Grundmodi der Arbeitskraftnutzung und Rationalisierung. 79 Diese Transformation hat Brçckling (2007) z. B. gut nachvollziehbar am Beispiel des „Empowerment“ dargelegt: 180 ff. 80 Brçckling (2007), 58: Der „Arbeitskraftunternehmer“ galt in den siebziger Jahren bei Soziologen (Voß, Pongratz, Beck) als Gegentypus zum fordistischen Massenarbeiter, der durch Eigeninitiatve der Leere fremdbestimmter Arbeit und den Risiken kultureller Arbeitslosigkeit zu entkommen versucht. „Im Rckblick betrachtet erweisen sich die verschiedenen Ausfaltungen der Gegenkultur nach 1968 trotz ihrer antikapitalistischen Stoßrichtung als Labors unternehmerischer Verhaltensorientierung. Die Versçhnung von Leben und Arbeiten, welche die Alternativbewegung proklamiert, realisiert sich fr die neuen Selbstndigen als Ausgreifen der Arbeit in alle Lebensbereiche. Wichtig fr die Genealogie des unternehmerischen Selbst ist der Hinweis auf die gegenkulturellen Wurzeln der neuen Selbststndigkeit insbesondere, weil er repressionstheoretische Erklrungen der unternehmerischen Anrufung unterluft. Als besonders perfide Zurichtung der Individuen im Dienste eines neuen Akkumulationsregimes wre diese Subjektivierungsform grndlich missverstanden.“
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5. Sich als zu gestaltendes individuelles Selbst problematisieren
Die Anrufung der subjektiven Freiheit ist daher zugleich Modus und Risiko des Regierens. Zwar tritt die Fhrung eines Unternehmens, einer Organisation, einer Behçrde zur Seite, jedoch nicht ab. Die Prozeduren des Einwirkens transformieren die Hierarchie in Asymmetrie, weil sie die aktivierenden Techniken in Unselbstndigkeit einbetten. So entsteht der „unselbstndige Selbstndige“ oder „abhngige Unternehmer“. Der grçßtmçgliche Druck, so noch einmal Opitz, wird auf diese Weise mit grçßtmçglichen Freirumen kombiniert. Die managerialen Techniken dieses Regierens – Personalfhrung durch Zielvereinbarung, Controlling, Human Ressource Management, Diversity- und Qualittsmanagement etc. – versuchen hier zu regulieren und das Risiko zu minimieren. Sie kontrollieren mit dem Versprechen der Freiheit oder, wie Gilles Deleuze sagt: „Sie sind „Kontrollformen mit freiheitlichem Aussehen“.81 Was auf den ersten Blick nach Deregulation aussieht, sind Vernderungen im Regulierungsmodus. Das schon in Teil 1, 2.3. aufgenommene Foucault-Zitat erfhrt in diesem Zusammenhang eine konkretisierende Zuspitzung, nmlich im Hinblick auf das Verhltnis von kollektivem und individuellem Akteur. „Man muss die Wechselwirkung zwischen diesen beiden Technikformen (…) untersuchen. Man muss die Punkte analysieren, an denen die Techniken der Herrschaft ber Individuen sich der Prozesse bedienen, in denen das Individuum auf sich selbst einwirkt. Und umgekehrt muss man jene Punkte betrachten, in denen die Selbsttechnologien in Zwangs- und Herrschaftsstrukturen integriert werden. Der Kontrapunkt, an dem die Form der Lenkung der Individuen durch andere mit der Weise ihrer Selbstfhrung verknpft ist, kann nach meiner Auffassung Regierung genannt werden. In der zweiten Bedeutung des Wortes ist Regierung nicht eine Weise Menschen zu zwingen, das zu tun, was der Regierende will, vielmehr ist sie immer ein bewegliches Gleichgewicht mit Ergnzungen und Konflikten zwischen Techniken, die Zwang sicherstellen, und Prozessen, durch die das Selbst durch sich selbst konstruiert und modifiziert wird“ (Foucault 199382, nach Brçckling/Krasmann/Lemke 2000, 29).
Aus Gouvernementalittsperspektive macht die Responsibilisierung nicht am Werk- oder Broausgang halt. Der beschftigt-abhngige Selbstunternehmer ist aufgefordert, sich zugleich auch als der unabhngige Unternehmer seiner Selbst zu sehen, denn es geht darum, das eigene Leben in eben dieser Weise zu managen. Die Fhrung der Selbstfhrung bezieht sich 81 Deleuze (2004): Unterhandlungen 1972 – 1990, Frankfurt/M., 255. 82 Foucault, About the Beginning of the Hermeneutics of the Self. In: Political Theory. Vol.21, No.2, 1993, 198 – 227; auch Lemke (2001).
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auf alle gesellschaftlichen Bereiche und damit auf das individuelle Subjekt in verschiedenen Kontexten. „Wenn Unternehmen ihre Wettbewerbsfhigkeit dadurch zu verbessern suchen, dass sie jeden Mitarbeiter zum Subunternehmer befçrdern, wenn staatliche Behçrden, Bildungseinrichtungen oder Nichtregierungsorganisationen ihre Effizienz dadurch steigern, dass sie sich unternehmensfçrmig organisieren, dann steigert der Einzelne seine Verwertungschancen am besten dadurch, dass er sich die Verhaltensdispositionen aneignet, die es zur Fhrung des individuellen Arbeitskraft-, Beziehungs-, Freizeitunternehmens braucht. Umgekehrt fçrdern gerade die ,humanistischen‘ Postulate autonomer Lebensgestaltung und innerer Balance, wie sie im Idealbild der ,aktiven Persçnlichkeit mit ihren harmonisch zusammenwirkenden Teilen‘ zusammenlaufen, die Herausbildung jener Eigenschaften, die Unternehmen heute von ihren ,Kunden‘, Universitten von ihren Studierenden und Vereine von ihren Ehrenamtlichen erwarten. Persçnliches Wachstum und Akkumulation von Humankapital bedingen einander; die Arbeit an sich selbst und das training on the job fallen zusammen“ (Brçckling 2007, 73).
Brçckling weist anhand der Ratgeberliteratur der 90er Jahre nach, dass konsequent Persçnlichkeitsentwicklung und Unternehmensorganisation parallel gefhrt werden. Die Erfolgs- und Selbstmanagementtraktate vermitteln nicht allein Techniken effizienter Zeitplanung, Arbeitsorganisation oder Stressbewltigung. Sie entwerfen als „zeitgençssische Klugheitslehren und Manuale methodischer Lebensfhrung“ ein umfassendes Subjektivierungsmodell und leiten so an zu permanenter Selbstoptimierung. Die Antreiberfunktion bernimmt dabei die Konkurrenz gegenber dem anderen Mitmenschen, die nicht erlaubt, sich auf dem einmal Erreichten auszuruhen. Der Markt als „Kontingenzraum par excellence“ (Brçckling 2007, 72) ist zugleich Ermçglicher und Tribunal; er ist ein „hçchst fluides Gewirr von Lcken und Nischen, die sich ebenso schnell auftun wie sie wieder verschwinden oder von der Konkurrenz geschlossen werden“ (ebd., 72). Die Empfehlungen an den Einzelnen zielen darauf ab, wie bei jeder Existenzgrndung vorzugehen und sich sowohl als Unternehmen wie als Produkt zu verstehen. „Definieren Sie sich eindeutig als Produkt und stellen Sie dann eine umfassende Marktforschung an (…). Dazu mssen Sie sich als wirtschaftlich unabhngige Einheit betrachten, nicht als Teilstck, das ein Ganzes sucht, um darin zu funktionieren. Deshalb ist es enorm wichtig, dass Sie sich von einem Markt umgeben sehen, selbst wenn Sie Angestellter eines Unternehmens sind“ (Bridges, Ich & Co, 1996, 138, zitiert nach Brçckling 2007, 66).
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Wie das Kollektivsubjekt des Unternehmens, der Behçrde oder der Verwaltung muss auch das individuelle Subjekt, der abhngige oder unabhngige Selbstunternehmer lernen, den Perspektivwechsel zu vollziehen. „In der Kundenorientierung steckt (…) ein neues kommunikatives Verstndnis von Professionalitt, die Fhigkeit zur Perspektivenbernahme. Es gilt, sich in die Sicht der Kunden hineinzudenken, um deren Perspektive zu verstehen und zwischen Organisations- und Kundensicht bersetzungen zu leisten. Stichworte sind hier soziale Kompetenz, Empathie, Kommunikationsfhigkeit. Es ist diese Dimension, die es Beschftigten auch ermçglicht, sich ihrerseits gegen ihre Organisation auf die geforderte ,Kundenorientierung‘ zu berufen (…), wenn sie mit Kunden ein Bndnis herstellen, ihnen mehr Zeit widmen, als die Organisation dem Kunden zugesteht“ (Voswinkel 2004, 148).
Mit der Imagination, sich selbst als Unternehmen zu begreifen, gelingt es auch dem individuellen Akteur, alle Teile seiner selbst in reflexiver Haltung auf ihren Zustand hin zu berprfen und einer Effektivittskontrolle zu unterziehen. Selbstmanagementprogramme und zahlreiche Techniken unterweisen darin, mit der eigenen Physis und Psyche ressourcenorientiert und zugleich zielorientiert umzugehen. Bei all dem gilt unentrinnbar das Diktat der Entscheidungsfreiheit und der Verantwortlichkeit. „So oder so – Sie werden fr Ihr Handeln, ob von Ihrem Unternehmen, Ihrem Partner oder von Ihrem Kçrper, zur Verantwortung gezogen – deshalb, auch wenn es schwer fllt: Tun Sie lieber das, was Sie fr richtig halten. Gehen Sie Ihren Weg – nicht ber ,Leichen‘, aber mit der Gewissheit, sich damit Ihr Leben gemß Ihren Vorstellungen zu gestalten“83.
Der Selbstunternehmer ist in der Lage, sich selbst als Produkt vermarkten zu kçnnen. Es ist vor allem das Wissen von sich als unverwechselbare, besondere und einzigartige Marke, die persçnliche USP, die an die ffentlichkeit zu bringen ist. Da die Persçnlichkeit allerdings unter Umstnden genau das Risiko darstellt, nicht zuverlssig kontinuierlich Leistung zu erbringen, ist eine zentrale Kategorie des personbezogenen Marketing die Herstellung von Vertrauen. Deshalb betritt neben den betriebswirtschaftlichen, psychologischen und pdagogischen Ratgebern mit dem Kommunikations- und Marketingfachmann auch hier ein Experte das Feld der Selbstfhrungskompetenz, der uns schon im Zusammenhang mit Leitbildprozessen begegnet ist. „Den Menschen als Marke zu begreifen, bedeutet, die umfangreichen Erkenntnisse der modernen Markenfhrung zu nutzen, um die Leistung eines 83 Wabner, Selbstmanagement (1997): Werden Sie zum Unternehmer ihres Lebens, zitiert nach Middendorp (2004), 191.
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Menschen bekannt zu machen und das einzigartige Vorstellungsbild (Image) dieser Leistung in den Kçpfen von Fans, Sendern und der Presse aufzubauen und langfristig zu gestalten. Zum Beispiel lsst sich aus dem Dienstleistungsmarketing ableiten, dass die Leistungen von Menschen durch Besonderheiten gekennzeichnet sind, die bei der Vermarktung bercksichtigt werden mssen. Hierzu gehçrt, dass die Art der Leistung wesentlich vom Erbringer abhngt (zum Beispiel ein Haarschnitt), dass die Leistung hufig erklrungsbedrftig ist (zum Beispiel eine neue Software), dass das Ergebnis der Leistung nur schwer vorhersehbar ist (zum Beispiel einer Unternehmensberatung), dass die Leistung vom Zeitpunkt der Leistungserbringung abhngt (Opernsnger singen jeden Abend anders), die Leistung nicht lagerfhig ist (zum Beispiel eine Theaterauffhrung). Diese Besonderheiten erhçhen das wahrgenommene Risiko, von der Leistung enttuscht werden zu kçnnen. Fr die Markenfhrung bedeutet dies, dass das Vertrauen in die Leistung umso wichtiger ist, aber schwerer aufzubauen als im Fall von industriellen Fertigwaren“ (Herbst 2003, 128).
„Vertrauen“ gilt soziologisch mit Georg Simmel als eine „der wichtigsten synthetischen Krfte innerhalb der Gesellschaft“. Es ist eine „Hypothese knftigen Verhaltens, die sicher genug ist, um praktisches Verhalten darauf abzustellen“ (Simmel 1992, 393). Es ermçglicht Akteuren, Austauschbeziehungen auch unter Bedingungen unvollstndigen oder nicht berprfbaren Wissens aufzubauen. Vertrauen kompensiert Nichtwissen. Nach Niklas Luhmann leistet Vertrauen in Zeiten zunehmender Komplexitt und wachsenden Bedarfs an Gegenwarts- und Zukunftsgewissheit Komplexittsreduktion (Luhmann, 2000a). Konstitutiv notwendig dafr ist allerdings, dass Personen, Organisationen, Institutionen und Systeme als vertrauenswrdig gelten. Dies tun sie dann, so Luhmann, wenn sie verlsslich Erwartungen ihrer Bezugsgruppen erfllen und insofern als wiedererkennbar berechenbar sind. Nur dann kommt es zur Entscheidung, die „riskante Vorleistung“, die das Vertrauen darstellt, zu erbringen. Diese soziologischen bzw. systemtheoretischen Bestimmungen des Vertrauens als gesellschaftlicher Grundkategorie dienen den Ratgebern, Marketing- und Kommunikationsprogrammen legitimierend dazu, an die Bedeutung des Vertrauens zu appellieren und den Fokus nun allerdings auch auf die Herstellung des Vertrauens oder genauer auf die Verbesserung der Voraussetzungen zur Entstehung von Vertrauen zu lenken.84 84 So auch Eisenegger (2005, 23ff ). Er untersucht unter Anwendung des Reputationsbegriff die gewachsene „Verletzlichkeit“ des „guten Rufs“ çkonomischer Organisationen. Im Gegensatz zum Image-Begriff, der auch auf Objekte und Sachverhalte angewandt wird, ist der Prestige- und Reputationsbegriff (kollektiven) Subjekten vorbehalten. „Images sind berall dort besonders wichtig, wo
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5.2. Spezialdiskurs: Die Problematisierung des Pfarrers „Wir hatten in der Kirche noch nie so viele Pfarrer und noch nie so viele Austritte“ (Weber 1995, 642).85 Diese beiden zunchst voneinander unabhngigen Variablen erweisen sich in der Debatte um die Zukunft der Kirche als kausale Problemkonstruktion: Die Inkompetenz, Gleichgltigkeit, Starrsinnigkeit und Ignoranz der Pfarrer sind schuld an der Krise der Kirche. Der Arbeitskreis evangelischer Unternehmer konstatiert, „Pfarrer sind fr das schlechte Image der Kirche verantwortlich, weil sie sich nur ,unzureichend’ mit der Kirche identifizieren“ (DTPF 2001, 542), und die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) kommentiert anlsslich einer Umfrage auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag: „Das Interesse an den Pfarrern besttigt die Erhebungen der letzten Kirchenmitgliedschaftsstudien der Kirche, dass trotz des reformatorischen Prinzips eines Priestertums aller Glubigen viel von der Person des Pfarrers abhngt. Umso unverstndlicher ist, dass sich viele Berufstheologen ihrer Rolle als Fhrungselite der Kirche nicht bewusst sind und dadurch Zugnge zur Kirche leichtfertig verspielen“ (Heike Schmoll, FAZ vom 21. 6. 1999)86.
Die im Deutschen Pfarrerblatt ber sieben Jahre von Pfarrvereinen, Synodenmitgliedern, Kirchenleitungen und wissenschaftlichen Experten unterschiedlichster Disziplinen gefhrte Debatte um ein notwendiges, neues „zuknftiges oder zukunftsfhiges Pfarrerbild“, um das Profil des Berufes und seine Kernkompetenzen, wird begleitet von Informationen ber unmittelbare Erfahrung nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen mçglich ist, so etwa bei der Wahrnehmung çffentlicher Personen, bei denen keine unmittelbaren Kontakte aufrechterhalten werden“(23). Reputation ist demgegenber partikularer gefasst und bezeichnet „das çffentliche Ansehen, das eine Person, Institution, Organisation oder allgemeiner ein (Kollektiv-)Subjekt mittel- oder langfristig genießt und das aus der Diffusion von Prestigeinformation an unbekannte Dritte ber den Geltungsbereich persçnlicher Sozialnetze hinaus resultiert“ (25). Es ist vor allem der von Luhmann entwickelte Begriff des Vertrauens einschließlich seiner Implikationen (wie der konstitutiven Grundbestimmung einer Entscheidungsnotwendigkeit), der sich als anschlussfhig erweist und die Theorie zur normativen Handlungsvorgabe nutzen lsst. 85 Bericht des Pfarrvereinsverbandsvorsitzenden Weber auf der Mitgliederversammlung 1995. Zitiert wird hier von ihm „der frhere Bundesminister und bayerische Landessynodale Werner Dollinger (…), der dies ,in letzter Zeit bei verschiedenen Veranstaltungen immer wieder’ feststellte. Er wirft dabei den Pfarrerinnen und Pfarrern keineswegs vor, dass sie faul seien. Er fragt aber nach der Effektivitt ihrer Arbeit. Letztlich ist das eine Frage, die uns alle in unserer Arbeit immer wieder bewegt, manchmal auch umtreibt.“ 86 Im DTPF zitiert unter der Rubrik „Notiert“ 1999, 541.
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strukturelle Vernderungen in den Landeskirchen, insbesondere auch der Arbeitszeit und des Besoldungs- und Anstellungsgefges. Der Subjektivationsprozess des kollektiven Akteurs vollzieht sich in Interdependenz zu dem der individuellen Akteure. „Mit Sorge sehen wir, wie ein Berufsstand mehr und mehr demontiert wird“, lautet die Berichterstattung der Pfarrvereine aus der Synode: „Da war dann die Rede von autoritren, nicht zur Teamarbeit willigen und Ehrenamtliche bevormundenden, der Kommunikation unfhigen Pfarrherren, deren Arbeit im Großen und Ganzen zu wnschen brig lsst. Und weil dem so ist, kann man getrost auch die Gehlter krzen…“ (Weber 1998, 584).
Die oben zitierte Problemkonstellation „Wir hatten in der Kirche noch nie so viele Pfarrer und noch nie so viele Austritte“ ist damit als KausalKonstruktion konnotiert oder auch als ungleiche Gleichung, die in interdependenter Rationalitt nach Anpassung entweder auf der einen oder auf der anderen Seite verlangt. Die Frage der Existenzberechtigung, so wird konstatiert, „liegt sozusagen in der Luft“87. „Erstaunlich nur, dass noch niemand gefragt hat, wofr man eigentlich Pfarrer braucht…“ (Giehl 1998, 719). Auch die lakonische Zusammenfassung eines Pfarrers: „(…), wenn ich so das Deutsche Pfarrerblatt lese, dann bekomme ich immer mehr das Gefhl, dass wir Pfarrerinnen und Pfarrer ein Haufen von unqualifizierten Idiotinnen und Idioten sind. Es gibt kaum einen Bereich, in dem wir nicht versagen, nicht oder zu wenig qualifiziert sind. Ich kann eigentlich niemanden raten, sich im Notfall an unsere Berufsgruppe zu wenden“ (Keip 1999, 356).
signalisiert das vermeintliche Aus einer Berufsgruppe. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in der ausgemachten Problemursache – und in der Interdependenz von Wertigkeiten – nun auch zugleich die Chance zur Umkehr verheißen ist. Die Kompetenz der Pfarrer, ihr Engagement, ihre Flexibilitt, ihre Sensibilitt und Prsenz bedeuten ihre Rettung und die der Kirche: Entsprechend lautet der Titel eines Deutschen Pfarrertages nicht ohne pekunire Anspielung: „Die Pfarrerschaft als Schatz der Kirche“. „Denn es gibt sie, die guten Gemeindepfarrerinnen und -pfarrer. Sie sind es, die in den Augen der Kirchengemeinde wie auch der ffentlichkeit die Kirche und das Christentum reprsentieren“ (Sunnus, Sabine 1999, 643). 87 DTPF Editorial 2000, Heft 10. Zustzlich wird dies verstrkt durch die Sorge um die Zukunft des Berufsstandes: „Luft den Kirchen der Nachwuchs davon?“.
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5. Sich als zu gestaltendes individuelles Selbst problematisieren
Der Pfarrverein macht, was die Schule des NPM in Existenzgefhrdung responsibilisierend empfiehlt, und entwickelt in verschiedenen Foren ein Pfarrer-Leitbild: „Im Sinne Molieres, der sagte: ,Wir sind nicht nur fr das verantwortlich was wir tun, sondern auch fr das was wir nicht tun.‘, bernimmt der Verband der Vereine der evangelischen Pfarrer und Pfarrerinnen in Deutschland Verantwortung fr die Entwicklung des Pfarrer- und Pfarrerinnenbildes. Gemeinsam wird es uns gelingen, den Ort des Pfarrers und der Pfarrerin im Zug der Zukunft zu suchen und zu vereinbaren“ (Grtner 2000, 527).
Nicht nur die Kirche, so lsst sich zunchst festhalten, auch der Pfarrer muss neu entworfen werden. hnlich wie schon bei Fragen um die Zukunft der Kirche, wird ein hohes Maß an Beteiligungsengagement nicht nur beim Pfarrverein, sondern in allen Landeskirchen entwickelt, und dabei werden Techniken des Monitoring und der Aktivierung zu Hilfe genommen: Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen, gesellschaftliche Analysen, Gemeinde- und Besucherbefragungen (wie beim Kirchentag) helfen zu entschlsseln, was gedacht wird. Pfarrkonvente, Kirchenkreistage, Fortbildungen werden in Großgruppenverfahren durchgefhrt – mçglichst viel Informationen und aus mçglichst vielen Perspektiven aus der Sicht der ffentlichkeit und Kirchenmitglieder (Pfarrerleitbild) sollen von mçglichst vielen in die Debatte einbezogen werden, die darum kreist: „Wie ich mir eine Pfarrerin/einen Pfarrer wnsche und wozu ich sie in meinem Leben brauche“ (Forum Pfarrerbild 1999, 646), oder „Wie muss ein Pfarrer sein, damit ich ihn wertschtze?“ – so fragt ein Stand des Deutschen Pfarrerblattes auf dem Kirchentag (Sunnus 1999, 527). Welche Pfarrer braucht die Kirche zuknftig? Oder „welchen Pfarrer braucht die Gesellschaft?“ Der Pfarrer ist somit der çffentlichen, kirchlichen und/oder gemeindlichen Meinung zur Disposition gestellt und die Einladung ausgesprochen, an der „Bau-Anleitung“ mitzuwirken. Es gibt ihn nicht mehr einfach, wie es ihn in der Vergangenheit und bis eben gerade noch gab, er muss nun entwickelt werden in einer Rationalitt, die sich an Ntzlichkeits-, Bedrfnis- und Brauchbarkeitskriterien orientiert. Gleichzeitig ist neben diesen Debatten zu beobachten, dass die Kirche als kollektiver Akteur durch neue Formen der Selbstfhrung regulierend auf sich selbst einwirkt. An der organisationalen Schnittstelle zwischen Kirchenleitungen, Kirchenvorstnden und Synoden einerseits und Pfarrern andererseits werden neue Dispositive der Fremdfhrung sichtbar: Jahresgesprche, Leistungsnachweise, Pfarrerzufriedenheitsfragungen, Assessmentcenter, Arbeitszeitplne, Arbeitsplatzbeschreibungen tauchen ne-
5.2. Spezialdiskurs: Die Problematisierung des Pfarrers
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ben alten Regulierungsformen wie Visitation, Pfarrkonvent und Examen auf. Im Folgenden soll fragmentarisch gezeigt werden, wie sich die Subjektivierung des individuellen Selbst am Beispiel des Pfarrers vollzieht und unterschiedliche Effekte erzeugt. Das Material lsst hier diskursanalytisch verschiedene Spielarten erkennen. Ausgehend von der Frage, welches Problem konstruiert wird, um es wie lçsen zu kçnnen, lassen sich Unterschiede feststellen, wie auf die Anrufung reagiert wird. Neben verschiedenen Lçsungsvorschlgen des „Vermittlungsproblems Pfarrer“ erweist sich einer diskursanalytisch im Hinblick auf seine Rezeption als besonders erfolgreich, deshalb gehçrt ihm hier zunchst Beachtung. 5.2.1. Die Profession als Formel Etwa zeitgleich mit der Entwicklung des Pfarrerleitbildes erscheinen im Zusammenhang mit ihrer Habilitationsschrift drei Aufstze der Praktischen Theologin Isolde Karle, die im Pfarrerblatt verçffentlicht werden: „Was heißt Professionalitt im Pfarrberuf ?“ (1999), „Pfarrerinnen und Pfarrer in der Spannung zwischen Professionalisierung und Professionalitt“ (2003) und „Volkskirche ist Kasualien- und Pastorenkirche!“ (2004). Weitere Verçffentlichungen in anderen Zeitschriften und zahlreiche Vortrge auf Pfarrkonventen schließen sich daran an. Obwohl das von ihr ins diskursive Spiel gebrachte Stichwort „Profession“ innerhalb praktischtheologischer Debatten kein Fremdwort ist,88 erfhrt es infolge dieser Verçffentlichungen eine einmtige Rezeption und zwar sowohl von Vertretern der Pfarrvereine89 als auch von Seiten der Kirchenleitungen, deren 88 Karle selbst bezieht sich auf Dietrich Rçssler (1986), Grundriss der Praktischen Theologie und Wolfgang Steck (1991), Die Privatisierung der Religion und die Professionalisierung des Pfarrberufs; Karle (2001), 31, Anm.1. 89 Informationsbrief 2005 des Pastorenausschusses der ev-luth. Landeskirche Hannovers: „,Volkskirche ist Kasualienkirche und die Kasualienkirche ist engstens an die Pfarrerinnen und Pfarrer als Schlsselfiguren gekoppelt.’ So fasst Professorin Dr. Isolde Karle die Ergebnisse der letzten EKD-Mitgliederumfrage von 2002 zu Recht zusammen und folgert daraus: ,Die Stabilitt und Zukunft der Volkskirche hngt wesentlich von einer professionellen und damit zuverlssigen, seelsorgerlich sensiblen und theologisch kompetenten Begleitung in Krisensituationen, wie sie vor allem die Kasualien reprsentieren, ab (…)’. Grundeinsichten, die Ihnen aus Ihrer pfarramtlichen Praxis gut vertraut sind und die auch unsere Vertretungsarbeit im Jahre 2004 in der verschiedenen Bereichen zur Geltung bringen wollte“.
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5. Sich als zu gestaltendes individuelles Selbst problematisieren
Leitbildpapiere sich sowohl implizit als auch explizit darauf beziehen90. Aber auch Pfarrer und Pfarrerinnen nehmen in Leserbriefen und Artikeln im Deutschen Pfarrerblatt Stellung, wenngleich mit ironisierender Konnotation versehen. „Doch vorweg: Ein Dank an die Autorin. Denn zunchst tut es uns Pastoren/ Pastorinnen auf dem mehr oder minder flachen Lande gut, wieder wichtig genommen zu werden, eine wirkliche Wertschtzung unserer „Kern“-Arbeit zu erfahren und so im Geben und Nehmen eine reale Relevanz unserer Arbeit im Weinberg Gottes und auf dem allzumenschlichen Ackerfeld zu erfahren. Also: Dank vorweg, dass nun wissenschaftliche, kirchenleitende und kirchenbildende Menschen (wieder) erkennen, welche Funktion den Pastor/innen in ihren Grundaufgaben zukommt und welcher Nutzen von ihnen ausgehen kçnnte“ (Blanke 2005, 295).
Weit zçgerlicher meldet sich Verwunderung und Irritation – wie aus der Sicht von Studierenden, die in der theoretischen Grundlegung die Verteidigung eines berkommenen Status Quo vermuten. „Es ist niemandem damit gedient, ein altes ideales Bild des Gemeindepfarramtes zu repristinieren, das den gegenwrtigen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht gerecht wird“ (Stellungnahme 2000, 486).
Michael M. Schçnberg (2005), Gemeindepfarrer und Publizist, fasst die Debatten zusammen und gibt damit einen Hinweis auf die Relevanz dieses diskursiven Ereignisses: „In ihrer professionstheoretischen Darstellung erfhrt der seit Jahren vor allem innerkirchlich arg gescholtene Pfarrberuf eine berraschende Wertschtzung und Aufwertung“ (Schçnberg 2005, 357).
„Wertschtzung“ und „Aufwertung“ als semantische Indikatoren fr Plausibilitt und Anschlussfhigkeit sind Anlass, analytisch nach der Ordnung des Diskurses zu fragen. Die drei oben genannten im Pfarrerblatt erschienenen Artikel Karles sind das Material der Diskursanalyse, deren 90 Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (Hg.)(2001): Das Amt des Pfarrers und der Pfarrerin in der modernen Gesellschaft. Ein Diskussionspapier der Theologischen Kammer der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel, 16: „Im Zusammenhang der Versuche, die Ttigkeit des Pfarrers als Beruf zu bestimmen und diese dann mit anderen Berufen zu vergleichen, ist zu betonen, dass ein Vergleich nur dann sinnvoll ist und dass mçgliche Vergleichskonsequenzen nur dann nicht in die Irre fhren, wenn der Pfarrberuf auf strukturell gleiche Berufe bezogen wird. In ihrem Aufsatz ,Was heißt Professionalitt im Pfarrberuf ’ (…) hat Isolde Karle im Rckgriff auf die Soziologie mit Recht darauf hingewiesen, dass der Pfarrberuf zu einer bestimmten Klasse von Berufen zhlt, die als Profession begriffen und bestimmt werden mssen.“
5.2. Spezialdiskurs: Die Problematisierung des Pfarrers
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Ergebnisse die folgende Darstellung leiten. Die Gleichzeitigkeit verschiedener Bewegungen und Brche im diskursiven Feld soll in Form von Seitenblicken eingefangen werden. Auf diese Weise kann der systemische Zusammenhang nachvollzogen und zugleich die Formation der diskursiven Serien sichtbar werden91, ohne dass sie als Wiederholungen referiert werden mssen. Es soll gezeigt werden, dass sich, so die These, die diskursive Erfolgsgeschichte des Professionsbegriffs dem Umstand verdankt, dass mit ihm in den Ausfhrungen Karles eine Formel etabliert wird, die den Zusammenhang von Pfarrer, Kirche und Kirchenmitgliedern so modelliert, dass sie es gestattet, dem çkonomistischen Diskurs eigensinnig zu folgen, ohne seine Semantik zu nutzen. 5.2.1.1. Die Problematisierung des Pfarrers als Problem Als Ausgangssituation fr ihre berlegungen konstatiert Karle einen Autoritts- oder Vertrauensverslust des Pfarrberufs, und zwar nicht nur außerhalb, sondern vor allem innerhalb der Kirche. „Zu einem ldierten Selbstbewusstsein tragen nicht zuletzt auch innerkirchliche Stimmen bei, die abfllig von der Pastorenkirche sprechen und die Notwendigkeit des Pfarrberufs prinzipiell in Frage stellen“ (Karle 1999, 5).
So wird verwiesen auf von Seiten der Organisation als çkonomisch notwendig legitimierte Professionalisierungs- und Spezialisierungsmaßnahmen und auf einen „Trend in den Synoden, die Pfarrerschaft vor allem als Kostenfaktor zu betrachten“ (2003, 629). Die „stndige Selbstthematisierung des Pfarrberufs und seine vielfach diagnostizierte Reformbedrftigkeit“ (ebd.) und die Verunsicherung der Pfarrerschaft wrden forciert durch die Einfhrung von Managementmethoden (ebd.), die das „kirchliche Amt“ neu interpretieren wollten. „Der Pfarrberuf scheint sich nicht mehr von selbst zu verstehen. Das Amt, wie es ehedem verstanden wurde, das Amt, das die Person des Pfarrers und der Pfarrerin trgt und von der Achtung und dem Vertrauen der Menschen lebt, dieses verstaubt und antiquiert wirkende Amt soll nun professionalisiert und modernisiert werden. Das neue Vokabular, das die entsprechenden Reformpapiere dem Kontext und der Semantik des Wirtschaftssystems entnommen haben, verrt den Trend zu einer solchen Professionalisierung nur allzu 91 So htte der Schwerpunkt der Darstellung auch auf dem unternehmerischen Selbst der Ehrenamtlichen, der Diakone, der Kindergartenleiterin, dem Kirchenvorsteher etc. liegen kçnnen.
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deutlich: Wie in der Managementfhrung von Unternehmen wird nun aller Orten von Personalentwicklung und Personalfhrung geredet“ (2003, 629).
Vernderungen im Besoldungssystem wie Streckung der Dienstaltersstufen, Reduktion der Eingangsgehlter oder Streichung von Zulagen, leisteten dem Trend der Entwertung Vorschub. Daneben werde mit der zunehmenden Wertschtzung des Ehrenamtes und des Priestertums aller Glubigen zugleich die Bedeutung des Pfarrers in Frage gestellt, indem behauptet wrde, das ordinierte Amt verhindere die Ausbreitung des Allgemeinen Priestertums (1999, 7). So verkennten Synoden, „nicht selten kurzschlssig die Zentralitt der hauptamtlichen Pfarrerinnen und Pfarrer“ und deren Bedeutung fr das ehren- und nebenamtliche Engagement (2004, 629). Das Verhltnis zwischen „Professionellen“ und „Laien“ werde zustzlich dadurch belastet, dass der institutionelle Zugriff auf den Professionellen durch den Laien befçrdert werde: „In der Gegenwart spielt die Vernderung der Mentalitten der Menschen und der große Druck, der von der Logik des Wirtschaftssystems ausgeht, aber vermutlich eine noch grçßere Rolle bei dem Wunsch nach strkerem Controlling und intensiverer Personalentwicklung. Nicht nur der Pfarrberuf: Alle Professionen haben damit zu kmpfen, dass viele Professionslaien meinen, viel besser zu wissen, wie zu handeln wre, und dass sie darber hinaus das Prinzip ,der Kunde ist Kçnig’ ganz selbstverstndlich und naiv auf die professionellen Kontexte bertragen“ (2003, 632).
Die Ausfhrungen Karles prsentieren sich als kritischer Gegenentwurf zu den aktuellen kirchenleitenden Verfahren. Zugleich veranschaulichen sie als diskursanalytisches Material, wie sich die fortschreitende Subjektivation in kirchlichem Handeln materialisiert und Widerstand hervorruft. Sie problematisieren die Problematisierungen und suchen eigensinnig nach neuen Lçsungen. Seitenblick: Wettbewerb von Haupt- und Ehrenamtlichen Es erweisen sich nmlich nicht nur die Praktiken der Fhrung zur Selbstfhrung durch die Organisation als rgernis, sondern auch die gleichzeitige Mobilisierung neuer Fhrungsverantwortlichkeiten. Weil sich nicht nur Kirchenmter aufgefordert sehen zu handeln, sondern auch Kirchenvorstnde und Synoden sich in ihrer Funktion als Leitungsorgane der evangelischen Kirche in der Weise angesprochen fhlen, indem sie ihre Verantwortung auch fr Personalfhrung und -entwicklung entdecken, konstelliert sich das Verhltnis der verschiedenen Akteure als Wettbewerb von Zustndigkeiten und Wertigkeiten. Weil sich damit zudem nicht nur
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Hauptamtliche, sondern auch durch die gewhlten Gremien vor allem Ehrenamtliche aufgefordert sehen, ihre jeweils eigenen auch beruflichen Kompetenzen fr die Bewltigung der Herausforderungen an die Kirche zur Verfgung zu stellen, entsteht zudem ein Wettbewerb der Dominanz von Kompetenzen, bei dem es um die Frage geht, wer ber das „bessere“ und eigentliche Handlungswissen verfgt92. Auf der Suche nach dem richtigen und besseren Handlungswissen wird nicht nur die Professionalisierung der Hauptamtlichen unter Optimierungsfragen vorangetrieben, auch die neue Bedeutung, die wichtige Rolle der Ehrenamtlichen, das „neue Ehrenamt“ wird mit zunehmender Einschreibung problematisiert. Seitenblick: Die neuen Ehrenamtlichen Dabei dient das Postulat vom „Priestertum aller Glubigen“ als diskursives Vehikel: Es legitimiert die Allverantwortlichkeit und -aktivierung genauso wie allerdings der eigensinnige Hinweis auf das „kirchliche Amt“ dazu 92 Eindrcklich schildert im DTPF ein Fachhochschullehrer fr Informatik, wie sein fachbezogenes Wissen mit und trotz pastoralem Widerstand als das richtigere und bessere Wissen ber ehrenamtliche Pfade Eingang findet in kirchliche Strukturentscheidungen: „Der Stellenplanungsausschuss des Kirchenkreises Winsen/Luhe hatte sich seit lngerer Zeit mit der Frage befasst, wie die Mittel, die insgesamt fr Personalkosten in den Kirchengemeinden zur Verfgung stehen, mçglichst gerecht auf die einzelnen Gemeinden verteilt werden kçnnen. Ende 1996 legte er sein ,WModell’ vor, das einen Fixkostenanteil von 10 % enthielt. (…) Von diesem Modell erfuhr der Verfasser dieses Berichtes ber seine Frau, die Mitglied im Kirchenvorstand einer der betroffenen Gemeinden ist. Nach damaliger Einschtzung des Verfassers weicht das Modell betrchtlich von der Realitt der Pastorenarbeit ab. Sollte seine Vermutung zutreffen (…), wrden die kleineren Gemeinden bei Anwendung des ,W-Modells’ finanziell benachteiligt, wenn nicht gar ruiniert. Der Verfasser referierte seine Bedenken auf Gemeinde- und Kirchenkreisebene und schlug vor, ber eine Befragung die tatschliche Struktur der Pfarrerttigkeit festzustellen (…). Der Kirchenkreisvorstand folgte dieser Argumentation (…). „ – Nach Durchfhrung der Befragung wird der Bedarf der Pastorenkapazitt mithilfe einer Gleichung (K(m)=0,5287+m(0,00024) „hinreichend genau“ berechnet und ein Modell „W-O“ entwickelt. „Schon die Bekanntgabe der Funktion K(m) (…) fhrte in der Pastorenschaft des Kirchenkreises Winsen/Luhe zu teils heftigen Reaktionen. Das ist menschlich verstndlich (…). Der Kirchenkreisvorstand Winsen/Luhe wird sich bei zuknftigen Stellenbesetzungen an dem mit der Funktion K(m) berechneten Bedarf orientieren. Der berechnete Wert wird als Richtwert begriffen. (…) Vom Kirchenkreistag (…) wurde beschlossen, die in den Gemeinden anfallenden Personalkosten zuknftig nach dem W-O-Modell zu steuern. Der Beschluss erfolgte mit großer Mehrheit, was darin begrndet sein drfte, dass sich das Modell an der IST-Situation des Kirchenkreises orientiert.“ (Oetzmann 1998, 187ff ).
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auffordert, sie einzugrenzen. Auch hier ist eine hohe diskursive Produktivitt zu beobachten93, die den Bruch zwischen Rationalitten indiziert. Dabei wird die Konkurrenzdebatte zustzlich um die rhetorische Figur der Authentizitt konstelliert angeheizt, weil Ehrenamtliche in dem Verdacht stehen, gerade weil sie nicht bezahlt werden, die authentischeren Glaubensvermittler zu sein, und eben deshalb durch Hauptamtliche, Professionelle gefçrdert werden mssten. Vorstellungen von der „Beteiligungskirche“ oder einer „aktiven Mitgliedschaft“ werden immer auch gefhrt als Fragen, die die Konzeptualisierung des kollektiven Subjekts betreffen, wie der Artikel von Heiderose Grtner (2001), Pfarrerin und Dozentin am Predigerseminar, zeigt. In der Figur des „neuen Ehrenamtlichen“ sucht der Unternehmer seiner Selbst nmlich auch in der Kirche sein Bettigungsfeld. „Zunehmend engagieren sich Menschen ehrenamtlich, um etwas ,fr sich‘ zu tun, um ihrem Leben einen Sinn zu geben. Sie wollen persçnlich im Leben ,weiterkommen‘. In Kirche und Diakonie kçnnen wir fragen, was haben wir ihnen zu bieten, wie begleiten wir sie?“ (Grtner 2001, 454)94.
Auch wenn die Orientierung auf den persçnlichen Gewinn hier durch die Anfhrungszeichen noch als irritierend und der Zustimmung bedrftig gekennzeichnet ist, wird eine neue gesellschaftliche Realitt ausgemacht, die es mit der eigenen kirchlichen Subjektivation durch neue Bettigungsrume in der Angebotsstruktur anzuerkennen gilt. Weil es aber so ist,
93 Die Synode der Kirche im Rheinland beschließt 2004 auch die Laienordination („Ordination, Dienst und mter nach Evangelischem Verstndnis“). Im Zusammenhang damit erscheinen im DTPF: Marquard (2003, Heft 8), Einheit und Unterscheidung im Predigtamt; Heckel (2004, Heft 10), 19 Thesen zum Priestertum aller Glubigen, Ehrenamt und Notwendigem Wandel; Hrle (2005, Heft 1), Ordentliche Berufung; Kammer (2005, Heft 4), Leiten und Vorangehen. berlegungen und Thesen zum Verstndnis des Kirchlichen Amtes; Wenz (2005, Heft 2), Rite vocatus/a – Zu einer Empfehlung der Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland VELKD. In zeitlicher Nhe der Verçffentlichung der VELKD-Empfehlung erscheinen mehrere Aufstze bzw. Artikel Im DTPF: u. a. Schtz (2006, Heft 6), Miteinander wirken. Perspektiven zu Pfarr-, Lektoren- und Prdikantendienst in dienstgemeinschaftlicher Verhltnisbestimmung; Ihsen (2006, Heft 8), kumenische Brcke niedergerissen? Zur Problematik der Empfehlung der Bischçfe der VELKD zu Allgemeinem Priestertum, Ordination und Beauftragung, Giehl (2006, Heft 2), Der Kirchenvorstand leitet die Gemeinde. 94 Auch dazu: Lukas Ohly (DTPF 2001, Heft 9), Welche Ehre verdient das Ehrenamt.
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dass Bettigungsrume die Fçrderung und Entwicklung zur Eigenverantwortlichkeit von Ehrenamtlichen ermçglichen kçnnen mssen, „Sie wollen an den Stellen, wo sie sich einbringen, mit Verantwortung tragen“ (Grtner 2001, 455),
mssen sich bisherige Rollen- und Funktionszuschreibungen neu ordnen und auf ihre jeweilige Rationalitt befragen lassen. So wie im allgemeinen Diskurs im Public Government die Responsibilisierungsstrategie den „aktivierenden Staat“ und das „brgerschaftliche Engagement“ unter hoher diskursiver Produktivitt des Politischen hervorbringt, so bedarf sie fr die Figur des „neuen Ehrenamtlichen“ im Kirchlichen Diskurs der Aktivierung der theologischen Expertise, um beispielsweise ber die „Schlsselstellung der Taufe“ als subjektkohrent anerkannt zu werden. „So finden beide, die Haupt- und Ehrenamtlichen ihre eigene Identitt, Wrde und Gottunmittelbarkeit in der Taufe begrndet“ (ebd., 455).
Vice versa evoziert und erfordert die Vorstellung des „neuen Ehrenamtlichen“ auch die einer „neuen Gemeinschaft“, in der Ehrenamtliche und Pfarrer im „allgemeinen Priestertum“ zusammengeschlossen gedacht werden. „Sie bilden zusammen das Volk Gottes, die Kirche. Miteinander sind sie vor Gott verantwortlich fr das Ganze“ (ebd., 455).
Die Responsibilisierung findet im kirchlichen Diskurs Ressourcen in der Betonung des Einzelnen und der Charismenvorstellungen, die sich quivalent zur Kompetenzrhetorik anschließen lsst. Sie prgt eine Eigensinnigkeit aus, indem sie ein anderes Tribunal benennt, denn statt der Verantwortung vor dem Markt gilt es, der Verantwortung vor Gott nachzukommen. So konstelliert sich das Bild einer neuen Gemeinschaft. „In dieser neuen Gemeinschaft wird der Einzelne mit seinen Fhigkeiten und Begabungen gesehen. Der richtige Ort fr ihn wird gesucht. Der Ehrenamtliche wird gefragt, was er einbringen mçchte, er wird danach gefragt und die Gemeinde fragt sich, ob sie diesen Bereich zur Verfgung stellen kann“ (ebd., 455).
Fast eschatologisch anmutende Bilder sind dies von einer Heilsgemeinschaft, in der jede von Gott dem Einzelnen verliehene Gabe sich entfalten kann. Voraussetzung ist allerdings, dass „der richtige Ort“ gefunden wird, wozu es wiederum bestimmter Verfahren der doppelten Selbsterforschung bedarf, wenn sowohl der Einzelne als auch die Gemeinde Auskunft geben kçnnen soll ber ihre jeweiligen Potentiale. Auch wenn das Tribunal Gott
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vorbehalten ist, scheinen die Beurteilungskriterien doch insoweit bekannt, um das „Ganze“, das „Volk Gottes“, fr nach rational-funktionalen, dem Managementdiskurs sich verdankenden Kriterien beobacht- und nach Optimierungsgesichtspunkten bearbeitbar zu halten. „Der Umgang von Hauptamt mit Ehrenamt lsst an vielen Stellen zu wnschen brig. Hier gilt es, vieles zu lernen, z. B. wie werden Hauptamtliche darauf vorbereitet, Ehrenamt zu managen, zu koordinieren, zu begleiten und zu qualifizieren? Wie kann mit der fachlichen Kompetenz Ehrenamtlicher konstruktiv umgegangen werden, um Konkurrenzsituationen zu vermeiden?“ (ebd., 455).
Die Responsibilisierung auf allen Ebenen und bei allen Akteuren, wie sie sich schon in den Leitbildpapieren zeigte, setzt Effekte frei, die nun ihrerseits vielfltig Anlass zur Problematisierung geben. Die neue Problematisierung: Der demotivierte Pfarrer So wird es notwendig, auf die Ausfhrungen Karles zurckkommend, „Sinn und Notwendigkeit des Pfarrberufs“ zu definieren. Denn es reicht nicht mehr, sich darber zu empçren und darauf zu verweisen, dass der Pfarrberuf doch eine in sich ruhende Selbstevidenz besitze und es reicht auch nicht, sich abwehrend darber zu ereifern und autoritativ festzustellen, dass der Nutzengdanken in seiner çkonomistischen Rationalitt vçllig unangebracht und „naiv“ sei. Die Abwehr muss plausibilisiert und in eine praktikable Umsetzungsstrategie berfhrt werden. Die diskursanalytische Aufmerksamkeit gilt auch hier der Frage, wie das Problem – das ein neues ist, weil es auf die schon stattfindenden Problematisierungen antwortet – konstruiert ist, um anschlussfhig lçsbar zu sein. Nicht der Wettbewerb oder dass Pfarrer ihre Privilegien einbßen mssen (1999, 1), wird in den Artikeln als Problem annonciert, auch nicht der Umstand, dass Kirchenleitungen managerielle Verfahren (2003, 629) anwenden und in die Freiheit des Pfarrers eingreifen. Das alles sind – zwar auch nicht gewollte und auch fr schlecht befundene – aber doch Nebeneffekte. Das eigentliche Problem erweist sich als solches darin, dass der doppelte Zugriff durch Kirchenleitung und ehrenamtliches, synodales Engagement eine Wirkung hat, die nicht gewnscht sein kann und sich geradezu kontraproduktiv fr das Ganze der Kirche auswirkt. „Viele Pfarrer und Pfarrerinnen fhlen sich mit ihrem hohen Einsatz nicht gewrdigt, ja, gedemtigt. Manche bereichern sich dann indirekt, andere sind frustriert, nehmen ihr Engagement sprbar zurck und vollziehen im
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schlimmsten Fall die ,innere Kndigung’. Der Beruf verliert an çffentlichem Ansehen, der neue Pfarrermangel ist absehbar, die Einflussmçglichkeiten der Kirche gehen zurck“ (1999, 6).
Derselbe Diskurs zeitigt widersprchliche Effekte, wie an den hier beschriebenen organisatorischen Effekten erkennbar ist. In der Weise, wie Kirchenleitungen Verfahren whlen, die das Ehrenamt durch die Personalentwicklung von Pfarrern befçrdern, indem damit die Hoffnung verbunden ist, zur Teamarbeit zu motivieren und die Arbeitszufriedenheit zu erhçhen, wrden dieselben Verfahren aus Perspektive der Pfarrer als kontrollierend und einschrnkend erlebt und mit Demotivation quittiert. Frustration, Selbstentwertung und Verunsicherung seien Phnomene, die die Arbeitsfhigkeit und Motivation geradezu hemmen: Die Pfarrer ziehen ihr Engagement zurck. Die zur Motivierung anstiftenden Verfahren werden damit in ihrer Wirkung als Motivationsblockade entziffert. Karles Ausfhrungen konfrontieren das kollektive Subjekt, hier reprsentiert durch Kirchenleitungen, mit der Rationalitt seiner eigenen Verfahren und entlarven so die Selbstfhrung des kollektiven Subjekts als nicht funktional im Blick auf das Ganze der Kirche. Denn eine Dramatik gewinnt die kirchliche Bevorzugung der Ehrenamtlichen darin, dass sie sich als Favorisierung der Falschen und als fatale Folge fr das kollektive Subjekt erweisen kçnnte, wenn durch sie verursacht die Kirche an Einfluss verliert. „Die Kirchenleitung, aber auch die Pfarrerschaft selbst, sollte sich berlegen, ob sie diese Entwicklung tatschlich wnscht oder im Hinblick auf mittelfristige Folgewirkungen nicht Alternativen gefunden werden mssen“ (1999, 6).
Das Zukunftsszenario appelliert an die Verantwortung der Leitung und an die Selbstfhrung der Pfarrer, das richtige Instrument zu whlen, um „mittelfristige Folgewirkungen“ beeinflussen zu kçnnen. Die Verantwortung des kollektiven und individuellen Akteurs fr das Gesamtunternehmen wird also gerade nicht abgesprochen, sondern verstrkt. Allerdings bedarf es der Begrndung, warum der Pfarrer berhaupt in herausgehobener und exklusiver Weise fr die Gesamtorganisation von zentraler Bedeutung ist. Dies geschieht in einer wirkmchtigen Argumentationsstrategie, die die Lçsung, wie der Pfarrer tatschlich gefçrdert werden muss, vorbereitet. Diese diskursanalytisch rekonstruierte Strategie folgt den drei Schritten: Etablierung des „Pfarrberufs als Profession“, Zuweisung von Funktionen und Problemlçsung.
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5.2.1.2. Die Etablierung des „Pfarrers als Profession“ Profession als Alleinstellungsmerkmal Der Pfarrer leistet etwas, was alle anderen Gruppen nicht leisten kçnnen. Nicht nur, dass er auf eine spezifische Weise ausgebildet ist durch theologisches Studium und seelsorgerliche Ausbildung, nicht nur, dass er im Gegensatz zu Ehrenamtlichen mit seiner Zeit freigestellt ist fr diese Aufgaben, er unterscheidet sich von allen anderen Berufsgruppen und von den Ehrenamtlichen dadurch, dass er eine „Schlsselrolle“ innehat. Dabei reiht sich die Rede von der „Schlsselrolle“ ein in die schon vertraute fokussierende Semantik wie Kernrolle, Kernaufgabe, Kernkompetenz, Alleinstellungsmerkmal. Karle entwickelt in ihren Ausfhrungen das Alleinstellungsmerkmal des Pfarrers ber eine Melange aus soziologischem und theologischem Wissen und fhrt so soziologische Professionstheorie, hier die von Rudolf Stichweh, und kirchliches Amtsverstndnis zusammen. „Der Pfarrberuf wird professionssoziologisch einer bestimmten Berufsgruppe zugerechnet, der Berufsgruppe der Professionen. Die Berufsgruppen sind durch eine spezielle Typik geprgt, die sie nur partiell mit anderen Berufsgruppen vergleichbar macht. Zu den klassischen Professionen gehçren rzte, Pfarrerinnen und Richter, in gewisser Hinsicht auch Lehrerinnen und Lehrer. Die Professionsberufe zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich an einer zentralen Sachthematik orientieren: Es geht in ihnen um die Vermittlung von Gesundheit, Recht und Seelenheil bzw. Glauben“ (Karle 2003, 629).
Die Einbringung der soziologischen Expertise erlaubt die innerkirchliche Distinktion, den Pfarrberuf im Unterschied zu anderen kirchlichen Berufen zu konstellieren. Neben diese soziologische tritt die theologische Expertise, die an die reformatorische Bestimmung des kirchlichen Amtes erinnert. „Pfarrer sind nach reformatorischem Verstndnis keine Wesen sui generis, Pfarrer sind nicht anders. Ganz im Gegenteil – jeder andere Christ ist in seinem Beruf genauso von Gott berufen wie der Pfarrer. Entscheidend sind funktionale, nicht stndische Gesichtspunkte. (…) besonders gern benutzte er (sc.Luther) den Vergleich mit dem Amt des Brgermeisters. Gegen die rçmische Kirche und ihr sakramentales Weiheverstndnis hat Luther Zeit seines Lebens die Unvergleichbarkeit des Pfarrberufs bestritten und dafr die funktionale Ausrichtung des Pfarramtes als Dienst an der Gemeinde hervorgehoben“ (Karle 1999, 4).
Die Aufnahme der theologischen Expertise ermçglicht in der Abwehr gegenber dem sakramentalen Weiheverstndnis des Katholizismus die
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Distinktion nach außen und zugleich den innerkirchlichen Anschluss an das protestantisch egalisierende Prinzip, dass Pfarrer sich von anderen Christen nicht grundlegend unterscheiden. Das Entscheidende und Weichenstellende in der von Karle entwickelten Konstruktion ist, wie beide Komponenten miteinander vermittelt werden. In der Koalition mit dem Professionsbegriff wird der Amtsbegriff mit dessen Insignien gepaart, „Verbindlichkeit, Sachgerechtheit, Erwartbarkeit und Reprsentanz – diese Verhaltenserwartungen werden im institutionalisierten Amt abgebildet“ (Karle 1999, 4),
so dass sich, auf diese Weise transformiert, das lutherische Amtsverstndnis als eine keineswegs berholte berufliche Konzeptionierung zu erkennen gibt. „Die Reformatoren haben ein Profil des evangelischen Pfarrberufs entwickelt, das sich vor dem Hintergrund moderner, professionssoziologischer berlegungen als erstaunlich wegweisend und aktuell erweist“ (Karle 1999, 4).
Diese spezifische Adaption der Professionstheorie strukturiert, leitet und reguliert den Gedankengang, der mit der sich aufdrngenden Frage nach den Laien, dem Priestertum aller Glubigen und der Frage nach den anderen Berufsgruppen nun auf eine Beantwortung zusteuern und das Alleinstellungsmerkmal des Pfarrers im haupt- und ehrenamtlichen Wettbewerb zur Geltung bringen kann. Profession als Bootstrapping Soziologische Professionstheorien wie die von Stichweh heben die Wirkung von Professionen und deren funktionaler Leistung hervor, wenn sie beispielsweise darauf verweisen, dass Professionen Vertrauen, Erwartungssicherheit und Verbindlichkeit garantieren (Pfadenhauer 2005). Diese abstrahierende und konstruierende Beschreibung in der soziologischen Theorie erfhrt in den Ausfhrungen Karles ber die diskursive Koppelung von theologischer und soziologischer Expertise eine Vernderung. In der berschreibung des Amtverstndnisses durch die Professionstheorie und durch die kontextuelle Einbindung in den Diskurs um die Zukunft der Kirche stellt sich eine reiifizierende und normierende Wendung ein, wenn die Erhaltung des Pfarramtes als Profession nun zu einem die Kirche und den Pfarrer leitenden handlungsorientierenden Programm ausgerichtet wird. Der Hinweis,
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„Der Pfarrberuf wird professionssoziologisch einer bestimmten Berufsgruppe zugerechnet, der Berufsgruppe der Professionen“ (Karle 2003, 629),
wird als durch die soziologische Expertise verifizierte Wirklichkeit nun maßgeblich dafr, die Beibehaltung des Status Quo auch als richtig zu behaupten, wie sich beispielsweise im Blick auf die Beibehaltung des Status der Unabhngigkeit zeigt. „Der Anspruch auf die Unabhngigkeit der Professionen grndet sich auf ihre Sachthematik… (..). Deshalb muss die Predigerin frei und unabhngig sein. Deshalb muss ihre Stellung stark und autonom sein, damit sie den Mut hat, den Leuten nicht nach dem Mund zu reden“ (2003, 632).
Der „Anspruch auf Unabhngigkeit“ wird von der Art der Sachthematik unbeeinflusst aus der Logik der Professionstheorie heraus legitimiert. Die Auslassungs-Pnktchen stehen hier fr ein Zitat Luthers und wren durch andere rechtliche oder medizinische Sachthemen austauschbar, ohne dass sich die Aussage verndern wrde. Diese und hnliche Legitimationsstrategien identifiziert Gnter Ortmann (2004) mit Barnes (1983) als durch performative Sprechakte erzeugtes „bootstrapping“ und bezieht dies auf Institutionen, Status und Professionen. Mit Barnes und Wittgenstein und der Sprechakttheorie von Austin unterscheidet er „N-Types“, Begriffe, die sich auf natrliche Eigenschaften und Gegenstnde beziehen (N wie Natur) von „S-Types“ (S wie speech act), „die sich auf solche Sprechakte beziehen, die wir erst durch selbstreferentielle Sprechakte beziehen“ (Ortmann 2005, 285). Eingestanden, dass sich der Prozess komplizierter ausnimmt, als er dargestellt wird, vollzieht Ortmann nach, wie der performative durch Autoritt vollzogene Sprechakt (im Foucaultschen Sinne ist dies eine Veridiktion) etwas zum Ausdruck bringt, das dadurch erst entsteht. Der Sprechakt „X counts as Y within context C“ oder: „Architekten, rzte, Anwlte zhlen als Professionals in modernen Gesellschaften“ ist ein solcher Sprechakt, der, wenn er von Soziologen gettigt wird, mit dem „Glauben an die Potenz der Wissenschaft“ (286) versehen die Legitimation professionellen Handelns begrndet. Die Soziologie kann nicht in freier Begriffsbildung definieren, was „counts as“ und „als Profession zhlt“. „Sie muss Notiz vom Sprechen und Handeln der lay actors nehmen: von Statusauktionen, peer reviews, von den alltglichen Prozessen der performativen Definition von Professionen und professionellen Standards oder Zugangs- und Ausschlusskriterien“ (ebd.).
Die Selbstreferentialitt oder das Bootstrapping beschreiben den Umstand, dass „eine Profession (…) eine Profession genannt werden (kann), weil wir sie so nennen“. Der Begriff fhrt aus „der Welt der S- in die Welt der Ntype terms“ (287), wenn konkludentes Handeln hinzugefgt wird und die
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Leute sich so verhalten, wie Professionen sich verhalten. Professionen sind nun auch an ihrem Handeln zu erkennen, weil sie handeln, wie Professionen handeln. Professionen werden ber performative Sprechakte und konkludentes Verhalten etabliert. „Wenn sie aber einmal etabliert sind, kçnnen die dadurch gewonnenen Machtressourcen – Reputation, Zugang zu den Medien, Regulationsmacht ber Zugangsbedingungen zur Profession und ber professionelle Standards u.v.a. – genutzt werden, um die Etablierung der Profession und ihrer Organisation zu stabilisieren und auszubauen“ (Ortmann, ebd., 288).
Dass der Pfarrer zur Berufsgruppe der Professionen „zugerechnet wird“, ist der durch die soziologische Expertise als unhintergehbare Wahrheit eingefhrte Ausgangspunkt in Karles berlegungen, die zu ihrer Stabilisierung nun einer weiteren Strategie bedrfen. Die im Folgenden nachzuzeichnende These ist, dass diese diskursive Strategie der gouvernementalen Fhrung folgt. 5.2.1.3. Der Pfarrer als Profession: Funktionszuweisungen Funktion: Die USP reprsentieren Mit der Doppeletablierung des Pfarrberufs ber die Kategorien von Profession und Amt ist, wie oben schon gezeigt, eine zweifache Distinktion geleistet, die nach innen – gegenber den anderen Berufsgruppen, und die nach außen – gegenber der katholischen Kirche. Sie macht noch eine weitere Distinktion deutlich, nmlich den anderen gesellschaftlichen Berufen gegenber sowie gegenber dem Wirtschaftssystem und der unternehmerischen Logik. „Es geht beim Pfarrberuf eben um Fragen des Glaubens, des Lebens und des Sterbens, und nicht um den Verkauf von Nudeln oder Autos. Die Kirche ist kein Unternehmen, sondern folgt aufgrund ihrer Sachorientierung einer ganz anderen, eigenen Logik“ (Karle 2003, 632).
Am Pfarramt als Profession ist ablesbar, dass die evangelische Kirche in verschiedener Hinsicht distinkt und unverwechselbar ist. Darber hinaus hilft die Verschrnkung von Profession und Amtsverstndnis im Subjektivationsprozess, die protestantische Eigensinnigkeit zu garantieren, dies im Blick auf das spezifische Amtsverstndnis, wie es sich im Diktum vom „Allgemeinen Priestertum“ niederschlgt: „(….) Luther selbst wies immer wieder darauf hin, dass Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt unmittelbar zusammen gehçren und kein Ge-
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gensatzpaar bilden: Alle Christen sind in gleicher Weise Priester, ob sie nun Pfarrer oder Nichtpfarrerinnen sind: Alle haben den Auftrag, mit Wort und Tat das Evangelium weiterzugeben(…)“ (Karle 1999, 4).
Gleiches gilt in Bezug auf die bekenntnismßig festgelegte Sicherstellung der Verkndigung: „Wenn aber prinzipiell alle gleiche Rechte bezglich der Evangeliumsverkndigung beanspruchen kçnnen, kann das Allgemeine Priestertum nur dann gefçrdert und geschtzt werden, wenn es sinnvolle und kontrollierbare Regelungen gibt, die individueller, eitler Selbstdarstellung und charismatischmanipulativem Machtmissbrauch soweit wie mçglich entgegenwirken und zugleich mit hoher Verbindlichkeit und Erwartungssicherheit dafr sorgen, dass das Evangelium durch Leute verkndigt wird, die sich dazu die Zeit nehmen kçnnen, also in einem eigens dafr ausdifferenziertem Beruf (…)“ (Karle 1999, 4).
Das Priestertum aller Glubigen wird so aus dem Konkurrenzverhltnis geholt und Pfarramt und Ehrenamt in eine funktionale Ordnung gebracht. Erst durch die sicher gestellte Verkndigung durch das ordinierte Amt kann das allgemeine Priestertum durch kompetente sachbezogene Begleitung gefçrdert und entwickelt werden95. Dieses funktionale Ensemble verspricht dem Steigerungsimperativ zu folgen, „Der Pfarrer wird durch viel ehrenamtliches Engagement eher wichtiger als unwichtiger. Zugleich nimmt die Bedeutung des Engagements von Ehrenamtlichen durch eine sorgfltige professionelle pastorale Arbeit eher zu als ab. 95 „Gerade die dienende und reprsentative Funktion des Amtes fordert Pfarrerinnen und Pfarrer dabei dazu heraus, die Zusammenarbeit mit anderen Gliedern des Leibes Christi zu suchen und die Selbstndigkeit der Einzelnen zu fçrdern. Eine professionell verstandene evangelische Amtsfhrung steht damit keineswegs im Widerspruch zum Allgemeinen Priestertum, sondern dient vielmehr dessen Schutz und Entfaltung“ (Karle 1999). Der Einschtzung einer „starken Stellung“ und prognostizierten „wechselseitigen Steigerung der Aktivitten“ setzt Schçnbergs Kritik (2005) ein „umfassenderes“ reformatorisches Verstndnis entgegen, das eine theologisch legitimierte Differenzierung unterschiedlicher Funktionen innerhalb des allgemeinen Priestertums ausschließt: „Das reformatorische Verstndnis des allgemeinen Priestertums bezeichnet freilich ein sehr viel grçßeres, umfassenderes theologisches Anliegen als die Frage nach der Aktivitt und dem Engagement von Ehrenamtlichen! Die Exklusivitt des Priesteramtes Jesu Christi und seine Prsenz als der eine und einzige Priester schließt die Mçglichkeit von besonderen Priestern in den Reformatorischen Kirchen aus und ein allgemeines Priestertum aller Getauften ein. Alle Christen sind durch den vom Heiligen Geist gewirkten Glauben in den geistlichen Stand versetzt. Alles andere wre nach Luther eine ,unverschmte Vermessenheit (mera impudentia) der Kirche‘“.
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Hier liegt kein Nullsummenspiel vor. Hier ist die wechselseitige Steigerung der Aktivitten die Regel“ (Karle 2004, 627) (Hervorh. im Text),
und erweist sich so als ntzlich fr die Gesamtkirche: „Die Zukunft der Volkskirche hngt mithin nicht zuletzt von einer starken Stellung von Pfarrerinnen und Pfarrern ab, die gleichzeitig die Beteiligungsmçglichkeiten von Ehrenamtlichen freizusetzen und zu fçrdern wissen“ (Karle 2004, 626).
Die Figur des „Pfarrers als Profession“ beantwortet damit also schon viele Probleme, die der kirchliche Diskurs aufgeworfen hat, wie Fragen der Distinktion und der Supportfunktion gegenber den ehrenamtlich engagierten Christen, die ganz im Sinne der Responsibilisierung gefçrdert werden wollen. Die Adaption der Professionstheorie leistet aber noch mehr, denn sie kann plausibel machen, dass die Beibehaltung des Status quo im Blick auf das Pfarramt nicht nur gerechtfertigt, sondern geradezu zwingend notwendig ist. Funktion: Ungewissheit bewltigen Was den Pfarrberuf als Profession nmlich weiterhin auszeichnet, ist seine Generalistenrolle. Dem pfarramtlichen Spezialisten mit Sonderkompetenzen hat die Profession voraus, dass sie gerade nicht in Einzelkompetenzen „dekomponierbar“ ist. Ihr spezifisches Merkmal ist die professionelle Rolle des Generalisten. Damit will Karle dezidiert dem Trend der von Landeskirchen initiierten Professionalisierungsmaßnahmen entgegentreten, der durch Spezialisierung der weiteren Differenzierung Vorschub leiste. Was die Generalistenrolle aber so besonders macht, ist nun nicht, dass sie, wie ja auch denkbar wre, sich generell einer Funktionalisierung verweigert. Im Gegenteil wird sie von Karle mit einer spezifischen organisationalen Funktion belegt: Sie garantiert ber die Kontinuitt der Person in verschiedenen Ttigkeitsfeldern der Gemeinde einen beilufigen Informationsfluss, grçßere Effektivitt und hçhere Flexibilitt im Umgang mit Komplexitt. Die Generalistenrolle entspricht damit einem funktionalem quivalent in der Bau-Anleitung zum unternehmerischen kollektiven Selbst: der dort nçtigen Schnittstellenqualifikation. Es herrscht auch hier wie berall das Regime des Risikos; so wird die Arbeits- und Lebenssituation von Pfarrern und Pfarrerinnen charakterisiert durch Begriffe wie „berkomplexitt“ und Ungewissheit.
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„(…) Gerade der Umgang mit schwer definierbaren, diffusen und berkomplexen Situationen, die noch nicht analytisch zerlegt und verkleinert sind, ist professionstypisch und erfordert Wissen und Charisma“ (Karle 2003, 631).
Der Pfarrer wird auf eine Funktion hin entworfen, die Schnittstellenkompetenz wahrnimmt und sich darin fr das Ganze verantwortlich fhlt. Wie den abhngigen Selbstunternehmer kennzeichnet auch die von Karle entwickelte Generalistenrolle die prinzipielle Offenheit dessen, der sich auf alle Eventualitten, Risiken einzustellen und verschiedenste Informationsflsse auszuwerten hat und mit ihnen umzugehen weiß. Das ber den Professionsgedanken eingebrachte Merkmal des Wissens fungiert hier als notwendige Ressource, das Risiko zu managen und Flexibilitt zu garantieren. Funktion: Vertrauen bilden Professionen zeichnet als typisches Merkmal die persçnliche Begegnung aus, „die vor allem ber Kontinuitt Vertrauen und Erwartungssicherheit schafft“ (Karle 2003, 631). „Vertrauen ist Grundlage und Voraussetzung allen professionellen Handelns“ (Karle 2004, 626).
Wenn Vertrauen erst einmal gewonnen ist, so entsteht im interaktionalen Zusammenhang eine Form der verlsslichen Bindung. „Ist die Hrde zum Hausarzt endlich genommen, vermeidet der Patient in aller Regel die Vertretung durch einen anderen Arzt, um nicht erneut riskante Erstkommunikationen eingehen zu mssen“ (Karle 1999, 5).
Das professionstheoretisch untersttzte Amtsverstndnis gestattet es nun, den „Pfarrer als Profession“ im Ensemble aller Haupt- und Ehrenamtlichen in hervorragender Weise als singulr zu identifizieren. Er steht fr „Vertrauen“, und zwar deshalb, weil er ein Amt inne hat, denn das Amt generalisiert die „Erwartungen an die Kompetenz und Vertrauenswrdigkeit einer Person“ (Karle 2004, 626). Amtsinhaber kçnnen mit einem Vertrauensvorschuss rechnen, auch wenn der sich in der Praxis noch besttigen muss. Sie garantieren erwartungssicher die Ansprechbarkeit in religiçsen Fragen, die Mçglichkeit zu einer verstndlichen und differenzierten Verkndigung und zur seelsorgerlichen Begleitung. Es ist ihm deshalb mçglich etwas zu leisten, das fr den Erhalt der Organisation wichtig ist, er stellt als Amtsinhaber verlsslich Vertrauen nach außen her.
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„Vertrauen wird dem Pfarrer wie dem Arzt zunchst einmal aufgrund seines Berufes entgegengebracht, nicht aufgrund seiner Person. Diesen Vorschuss an Vertrauen kann eine Person im Amt enttuschen oder erhalten und strken. Entscheidend ist: Die Pfarrerin muss nicht alles selbst tragen, selbst jederzeit authentisch vertreten kçnnen oder stndig ihre eigene Subjektivitt darstellen. Sie vertritt ein Amt, eine Sachthematik, die auch unabhngig von ihr Sinn und Bedeutung hat“ (Karle 1999, 7).
Frei von betriebswirtschaftlicher Semantik lautet die Botschaft: Das Amt brgt fr Vertrauen. Oder noch salopper ließe sich formulieren, der Talar labelt Vertrauen; „Pfarrer und Pfarrerinnen symbolisieren das christliche Programm konkret an ihrem Leib. Sie stellen kçrperlich und wahrnehmbar Religion und Kirche dar“ (2003, 626).
und dies tut er stellvertretend fr die Gesamtorganisation. Die Einbringung in den diskursiven Kontext, die Bestimmung des Berufes Pfarrer im organisationalen Kontext des kollektiven Subjekts, berschreibt die Professionstheorie, indem sie deren funktional auf individuelle Interaktion bezogenen Ansatz auf einen organisational-funktionalen Ansatz hin ausrichtet. Das ber den Professionsgedanken angereicherte Amt wird innerhalb der Argumentationsfhrung zum funktionalen quivalent der Marke im Marketingdenken. Vereinfacht gesagt ist die Aussage, wenn Professionen die sind, die Vertrauen verlsslich abbilden, und Pfarrer Professionen sind, und wenn Vertrauen die entscheidende Basis dafr ist, Kunden resp. Mitglieder zu gewinnen, muss die Organisation Kirche Professionen bilden oder alles daran setzen, sie zu erhalten. Diese Funktion, nmlich Vertrauen verlsslich abzubilden, bekommt ein zustzliches Gewicht, wenn sie dort zum Tragen kommt, wo es um Zuwachsmçglichkeiten der Kirche geht, wie beispielsweise bei den Kasualien. Funktion: Auf dem Markt sein Zwar wird daran erinnert, dass der Blick auf die Kirchenmitglieder und eine Orientierung an deren Bedrfnissen zeitgebunden und kontextabhngig und keineswegs theologisch eindeutig legitimierbar sei: „Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass es im Gefolge der dialektisch-theologischen ra eine Zeit gab, in der es geradezu verrufen war, sich an Fragen und Bedrfnissen von Kirchenmitgliedern zu orientieren und auf diese sensibel einzugehen. (…) Im Gefolge der Seelsorgebewegung haben sich wiederum viele Pfarrerinnen und Pfarrer nur an sich selbst, ihren eigenen Gefhlen und Wnschen orientiert“ (Karle 2003, 629).
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Dennoch wird der Perspektivwechsel plausibilisiert, „Auch das hat zu Verwerfungen und Enttuschungen bei den Gemeindegliedern gefhrt. Beide Haltungen stehen in Spannung zu einem Beruf, in dem es viele berechtigte Erwartungen von Seiten der Kirchenmitglieder als auch von Seiten der Kirchenleitung an ihr professionelles Personal gibt“ (Karle 2003, 629),
nmlich so, dass der Pfarrer als „Personal“ gegenber der Kirchenleitung und der Gemeinde in einer Rechenschaftspflicht steht hinsichtlich der an ihn herangetragenen Erwartungen. Deshalb liegt es nahe, nach den Erwartungen Ausschau zu halten. Wie auch in verschiedenen anderen Verçffentlichungen96 werden die Ergebnisse der vierten KMU (2002) genutzt, um daraus Erkenntnisse ber die Wnsche und Erwartungen der Gemeindeglieder abzuleiten. „Wir sehen uns einem paradoxen Befund gegenber. Einerseits ist der Abwrtstrend mit seinen vielfltigen Ursachen unbersehbar, andererseits nehmen die Ansprche und Erwartungen an die Kirche eher zu als ab. Vor allem die hohe Bedeutung von Gottesdienst und Seelsorge, ganz besonders im Zusammenhang der Kasualpraxis, sticht dabei ins Auge“ (Karle 2004, 626).
Die hohe Wertschtzung der Kasualien seitens der Kirchenmitglieder kçnnte zwar interpretatorisch unterschiedlich entfaltet werden, z. B. hinsichtlich der Bedeutung ritualisierter Formen. Karles Ausfhrungen folgen jedoch einem anderen Pfad, indem sie einen Zusammenhang konstruieren, der fragt: „Was bedeutet das fr den Pfarrberuf ? Mit der Wertschtzung der Kasualien und der besonders bedeutsamen Gottesdienste im Kirchenjahr wie vor allem an Weihnachten, am Totensonntag und am Erntedankfest, geht eine hohe Wertschtzung des Pfarrberufs einher. Der Pastor/ Die Pastorin reprsentiert die Kirche. Und die Kirche wird akzeptiert in ihrem Bezug zur persçnlichen Geschichte und zur Geschichte der Familie. Die Kasualien markieren dabei die zentralen Eckpunkte der Biographie und stellen auch in der nachmodernen Gesellschaft die wesentlichen bergangsriten dar. Die Pfarrerinnen und Pfarrer haben deshalb eine Schlsselrolle innerhalb der evangelischen Kirche in Deutschland inne. Sie sind Schlsselfiguren, wie schon die erste Mitgliedschaftsbefragung von 1972 etwas verblfft, aber sachlich richtig feststellte“ (Karle 2004, 626).
In einer quivalentsetzung von Kasualien, Kirche und Pfarrer wird die herausgehobene Stellung des Pfarrberufs in seiner Bedeutung fr die Gesamtorganisation mit dem Blick auf die Analyse der Gemeinde plausibi96 Zum Beispiel: Marhold (1999).
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lisiert. Der Perspektivwechsel der Kundenorientierung wird auf diese Weise leitend und fr die Argumentation in Anspruch genommen, ohne dass er sich als solcher semantisch ausweist. Seitenblick: Die Gemeinde als Kundschaft Hier muss ein weiterer Seitenblick auf den kirchlichen Diskurs eingefangen werden, denn auch die Kirchengemeinde ist nicht mehr einfach die Kirchengemeinde. Sie wird als ein Feld explorativen Erforschens entdeckt, das Auskunft darber gibt, wo sich Potentiale erschließen und Zukunftsfhigkeit entwickeln lassen. Die empirische Erforschung der Kirchenmitglieder ber die KMUs erlaubt nun, als Monitoringprogramm und unter Aspekten der Marktforschung genutzt Einblicke in die Form gegenwrtiger und zu erwartender Kirchenbindung. So differenzieren sich Kirchenmitglieder je nach Kirchenbindung in verschiedene „Zielgruppen“ kirchlichen Handelns, die unterschiedliche Formen der Aufmerksamkeit beanspruchen. Die einen Kirchenmitglieder avancieren im Blick auf den Erhalt der Volkskirche zur geschtzten und zugleich gefrchteten „Zielgruppe“, weil ihre Kirchenbindung als labil, wenig berechenbar und verlsslich eingestuft wird. Andere Kirchenmitglieder gelten in der zielgerichteten Handlungsorientierung als vernachlssigungsfhig, weil sie zur Kerngemeinde gehçren und ihnen eine stabile Kirchenbindung zugeschrieben wird.97 Das Damoklesschwert des potentiellen Kirchenaustritts hngt ber den anderen und den Kirchenvertretern, die mit ihnen zu tun haben. Weil anders als bei „engagierten Gemeindegliedern“ der Kontakt dieser „Distanzierten“ zur Kirche sich oftmals einzig ber Kasualien herstellt, erfhrt diese Schnittstelle in verschiedensten Publikationen besondere Beobachtungsaufmerksamkeit. Dabei ist in dieser Argumentation leitend, dass ausschließlich der sichtbare und berprfbare Kontakt mit Pfarrern oder Kirchengemeinden auch der fr die Kirchenbindung entscheidende Kontakt sei. Was sicht- und berprfbar ist, kann dann auch entsprechenden Verfahren unterworfen und ausgewertet werden.
97 Siehe zur spteren Differenzierung nach Lebensstilen und Milieus: Vçgele et al. (2002), Anhelm (2006), Vçgele (2006), zum allgemeinen Diskurs: Diaz-Bone (2004); auch Kapitel 8.2.
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Funktion: Kundenorientierung gewhrleisten Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch Karle den Fokus ihrer Betrachtung auf die „distanzierten Gemeindeglieder“ legt und sie in ihrem typischen Verhalten und in ihren Bedrfnissen spezifischer kennzeichnet. Denn, auch dies entspricht dem Anspruch der Kundenorientierung, je genauer und je detaillierter die spezifische Erwartungshaltung auszumachen ist, um so mehr Wissen kann generiert werden, wie das eigene Verhalten erwartungsgerecht darauf abgestimmt werden kann. Zum einen werden diese Kirchenmitglieder von Karle ganz im Sinne des aktiven und autonomen Kunden als selbstbestimmt beschrieben, sie wnschen, whlen aus, entscheiden und erwarten, sie reagieren auf „Angebote“ und wollen individuell ernst genommen und professionell begleitet werden. Andererseits wirkten sie vor dem Hintergrund der „Aufgabe des Pfarrberufs“, nmlich „das Evangelium als remedium, als Trost und Halt in einer individualistischen und orientierungsbedrftigen Gesellschaft zu vermitteln“ (1999, 9), anders als die damit vertrauten „Kerngemeindeglieder“, als leicht zu „verwirren“. Ihre „Bedrfnisse“ seien „religiçs diffus“ und bedrften einer „theologischen Entschlsselung“. Sie werden ausgemacht als Menschen an den „Sollbruchstellen des Lebens“, die in existentiellen Situationen religiçs besonders „ansprechbar“ und „kreativ“ seien (2004, 629). Diese von Karle so skizzierte Zielgruppe erscheint damit als eine, deren Mitglieder sich zwar entscheiden wollen, so wie sie sich auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen als willentlich autonome Subjekte vorfinden, die sich jedoch in diesem Kontext – der Kasualie – nicht entscheiden kçnnen, weil ihnen religiçse oder christliche Kenntnisse und Fhigkeiten dazu fehlen. Funktion: Ressourcen erweitern und nutzen Auch der spezielle Anlass, die Kasualie, wird einer berprfung unterzogen. Die Analyse kommt zu dem Schluss, dass das Potential der Kasualpraxis „noch nicht voll ausgeschçpft“ sei. Dabei sollten nicht nur die direkten Adressaten im Blick sein, sondern auch der „beteiligte Interaktionskreis“, Verwandte, Freunde, Familie etc. „Das Potential, das hier verborgen liegt, msste endlich sinnvoller und gezielter genutzt werden, wenn die evangelische Kirche Perspektiven entwickeln und ihre Chance nicht ungentzt verstreichen lassen will“ (2004, 630).
Wenn die Wnsche und Potentiale, die in diesem Feld liegen, in angemessener Weise bercksichtigt werden, ist der Erfolg zugleich mitversprochen, denn distanzierte Kirchenmitglieder
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„wissen dann wieder, warum sie in der Kirche sind und warum sie Kirchensteuern zahlen, obwohl sie die Dienste der Kirche nur selten beanspruchen. Oder sie fangen als Ausgetretene an darber nachzudenken, ob sie ihren Schritt aus der Kirche heraus nicht revidieren sollten oder, was hufiger geschieht, sie suchen nach anderen Formen, die Kirche zu untersttzen“ (ebd.).
Es liegt auf der Hand, dass dieser Zielgruppe und dieser im Blick auf Mitgliedschaftszuwachs viel versprechenden Situation mit Kompetenzen begegnet werden muss, die dem distanzierten Gemeindemitglied Entscheidungsfhigkeit ermçglichen. An diesen „zentralen Eckpunkten der Biographie“ und „menschlicher Lebensfhrung“ sind daher „sensible, umsichtige und professionelle Hilfe und Begleitung“ und „differenzierte Deutungsangebote“ gefragt. Sollten trotz des so konstellierten Zusammenhangs Zweifel darin bestehen, wer das angemessene Verhalten am ehesten und besten garantieren kann, hilft auch hier der Blick auf die Erwartungshaltung der Gemeinde: „Pastorinnen und Pastoren sind nicht zuletzt aufgrund ihrer Unvertretbarkeit bei den Kasualien fr die Mehrzahl der Kirchenmitglieder Schlsselfiguren im Kontakt zur Kirche und genießen als solche ein hohes Ansehen. Nur ca. sechs Prozent haben einen weniger guten oder schlechten Eindruck von ihrem Gemeindepfarrer, dagegen finden deutlich ber neunzig Prozent ihren Pfarrer bzw. ihre Pfarrerin gut oder sehr gut“ (Karle 2004, 627). „Die Kasualien und die Seelsorge, die mit ihr zusammen hngt, sind eine zentrale und undelegierbare Aufgabe der Pfarrerin in der volkskirchlichen Gemeinde. Ein Kirchenmitglied, das eine Taufe, Trauung, Konfirmation oder Bestattung wnscht, will in aller Regel, dass der Pfarrer oder die Pfarrerin das selbst bernimmt und diese Aufgabe nicht an einen Prdikanten oder Jugendkreisleiter delegiert, was prinzipiell mçglich wre. Kirchenmitglieder erwarten in diesen fr sie existentiellen und prekren Ausnahmesituationen und lebensgeschichtlichen bergngen, dass die Pfarrerin sie selbst begleitet und nicht der Diakon oder der Presbyter. Kasualien sind gewissermaßen Chefsache“ (ebd., 627).
Die durch Zahlen zustzlich unterlegte Analyse verstrkt den Gemeindewunsch und kommt zu keinem anderen Schluss, als dass es hier um eine „Chefsache“ geht. Auch wenn die Ausfhrungen Karles dies semantisch nicht indizieren und auf eine gegenteilige Positionierung zielen, folgt die Diskursformation der gouvernementalen Fhrung, ein an marktfçrmiger Rationalitt sich orientierendes organisationales Subjekt zu konstellieren. Sowohl das kollektive als auch das individuelle Subjekt mssen in çkonomistischer Logik den Markt beobachten, Risiken rechtzeitig erkennen und sich darauf mit der eigenen Handlung einstellen. So gibt es auch hier einen Markt, das
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„Potential“ in Kasualien, ein Angebot, „Hilfe und Begleitung“ in einer „prekren existentiellen Situation“. Es gibt Kunden, die solche Zuwchse oder Stabilisierung der Kirchenmitgliedschaft versprechen. Die Lçsung des Problems, nmlich die Zukunft der Kirche in Angriff zu nehmen, ist aufgrund des Monitoring nun zunchst klar in den Blick genommen. „Eine wesentliche ,Missionsstrategie’ ist deshalb schlicht, dass die Kasualpraxis einladend wirkt, zumal bei den Kasualien in aller Regel auch viele Menschen anwesend sind, die aus der Kirche ausgetreten sind und den Kontakt zur Pfarrerin, den sie ber die Kasualie gewonnen haben und die Erfahrung der Kasualie selbst vielleicht zum Anlass nehmen wieder einzutreten“ (Karle 2004, 629).
Der Perspektivwechsel der Kundenorientierung ist ber die Kasualisierung hin so weit vorbereitet worden, dass er sich fast wie von selbst in dem Begriff der „Missionsstrategie“ zu verdichten scheint als der eigensinnigen bersetzung von „Marktstrategie“, wrden die Anfhrungszeichen nicht noch ein Unbehagen vor dieser schnellen Koformierung oder quivalentsetzung von Marketing und Mission signalisieren. Trotz und gerade mit Anfhrungszeichen ist der Zusammenhang konstruiert als strategische Handlungsausrichtung im Blick auf die Zielvorstellung, die Sicherung der Kirchenmitgliedschaft. „Die Stabilitt und die Zukunft der Volkskirche hngt wesentlich von einer professionellen und damit zuverlssigen, seelsorgerlich sensiblen und theologisch kompetenten Begleitung in Krisensituationen, wie sie vor allem die Kasualien reprsentieren, ab“ (Karle 2004, 626).
Funktion: Sicherstellung von Produkt- und Zielorientierung Doch nicht nur die Erwartungen der Gemeindeglieder konstellieren den Pfarrberuf in seiner herausgehobenen und fr die Organisation unverzichtbaren Funktion. Dies wrde vermutlich noch nicht ausreichen, der theologisch prinzipiellen Mçglichkeit der Delegation der Durchfhrung von Kasualien an andere Berufsgruppen oder auch Ehrenamtliche etwas entgegenzustellen. Die besondere Leistung der Profession besteht weiterhin darin, dass Sachthematik und Person in einem distinkten Verhltnis zueinander stehen. Dies gilt auch fr den Pfarrer. Durch die Generalisierung der Erwartungshaltung kann der Pfarrer sich in ein distanziertes Verhltnis zu seinem Amt und der Sachthematik setzen, nach Karle ist dies die Vermittlung des Evangeliums, die die nçtige Prferenz zuweist. „Die Sachthematik selbst steht unverkennbar im Mittelpunkt“ (Karle 1999, 7).
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Der Pfarrberuf als Profession verstanden, ermçglicht damit die Abwehr von Individualisierungstendenzen, die der Person Vorrang vor den Inhalten zu geben scheinen. Er unterscheidet sich von dem Pfarrer, den Karle durch die psychoanalytische Pfarrerausbildung herausgebildet sieht. Formen der Individualisierung und Subjektivierung scheinen verdchtig, weil sie sich ausschließlich an Maßgaben der Person selbst und nicht an der Sachthematik orientieren. So gilt die Abwehr vor allem psychologisch-therapeutischen Diskursformationen „Im Gefolge der Seelsorgebewegung haben sich wiederum viele Pfarrerinnen und Pfarrer nur an sich selbst, ihren eigenen Gefhlen und Wnschen orientiert“ (Karle 2003, 629).
oder einer bestimmten Form individualisierter Religiositt: „Bei einer ganzheitlichen Verschmelzung von Person und Amt steht darber hinaus nicht mehr die Vermittlung der evangelischen Sachthematik im Vordergrund, sondern nur noch die Person selbst und ihre individuelle Religiositt oder Moralitt“ (Karle 1999, 7).
Die professionell verbrgte Orientierung an „Inhalten“ ermçgliche der Person eine reflektierte Distanznahme gegenber der eigenen subjektiven Haltung, gegenber subjektiven Kundenwnschen, aber auch gegenber kirchlichen Erwartungen. So kçnne die „gute und glaubwrdige Pfarrerin“ aufgrund ihrer sachlichen Kompetenz und der ihr zugestandenen Verantwortung selbststndig und angemessen im Einzelfall ber individuelle, auch dem Kirchengesetz ggf widersprechende Taufwnsche entscheiden98. Auch in diesem professionsbezogenen Merkmal wird der Pfarrer analog der Figur des abhngigen Selbstunternehmers oder abstrakter eines organisationalen Subjekts modelliert. Der erbringt sein Engagement fr die 98 „Gute und glaubwrdige Pfarrerinnen und Pfarrer orientieren sich nicht unmittelbar am ,Kunden’, sondern wenden sich individuellen Fragen und Problemen immer auf dem Hintergrund der Inhalte zu, auf die sie verpflichtet sind und die es zu vermitteln gilt. (…) In der Regel geht das Kirchenrecht davon aus, dass ein Kind, das konfessionslose Eltern hat, nicht getauft werden kann. Kommt die Pfarrerin im Seelsorgegesprch aber zu dem Schluss, dass einer Taufe im konkreten Fall keinerlei theologische Grnde im Wege stehen, steht es ihr selbstverstndlich frei, die Taufe vorzunehmen. Sie ist durch ihr Gewissen dann sogar dazu verpflichtet. Niemand wird sie deshalb belangen. Das geht im brigen schon allein deshalb nicht, weil die Pfarrerin unter dem Beichtgeheimnis steht. Sie ist deshalb nicht rechenschaftspflichtig. Sie darf aufgrund des Beichtgeheimnisses nicht einmal ber die Motivlage derjenigen Auskunft geben, mit denen sie in der Seelsorge gesprochen hat. (Karle 2003, 632).
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Unternehmensziele in selbstreflexiver Distanz und in kritischer Aufmerksamkeit gegenber seinem Unternehmenskontext. Weil seine Funktion darin besteht, „Unterschiede, die Unterschiede machen“ (Opitz) zu beobachten, wird ihm zugestanden, in bestimmten Situationen frei, willkrlich und eigenverantwortlich und je nach Fall im Unternehmens- oder im Kundeninteresse zu entscheiden. Zwar sieht Karle in dieser intermediren Funktion des Professionellen, „im Dienst einer Sache zu stehen“, „przise das Profil des evangelischen Pfarrberufs“ getroffen. Weil diese Konstruktion des Professionellen jedoch funktional-rational und nicht inhaltlich spezifiziert ist, kçnnen darber in der diskursiven Verarbeitung verschiedene funktionale quivalentsetzungen angeschlossen werden. „Die Sache“ kann sowohl fr das Evangelium (mit dem Subjekt Pfarrer) als auch fr das Produkt oder das Unternehmensziel (mit dem Subjekt des wirtschaftlichen Unternehmers) stehen. Der Vergleich zum „Bcker“ oder zur „Rathausverwaltung“ muss deshalb auch nicht gescheut werden: „Gesundheit, Recht und Glauben sind sehr persçnliche und komplexe Sachverhalte und deshalb sehr viel schwerer ,herstellbar‘ oder vermittelbar als Brçtchen oder Psse auf dem Rathaus“ (Karle 2003, 630).
„Glauben“ und „Brçtchen“ werden in funktionaler Optik derselben Logik unterworfen und die Distinktion vollzieht sich nicht ber Inhalte, sondern als Varianz innerhalb dieser Logik („schwerer herstellbar“). Der Professionsbegriff erfllt auch hier eine doppelte Funktion. Er ermçglicht den Anschluss zum allgemeinen organisationalen Diskurs und zugleich die Feststellung einer Subjektkohrenz, wenn die „Sachthematik“ als „Evangelium“ identifiziert und die Abhngigkeit des Pfarrers nicht çkonomisch, sondern theologisch qualifiziert wird, in der Sicherstellung der Verkndigung. Funktion: das Produkt und das Unternehmen reprsentieren Auch wenn Karle betont, dass die Vermittlung des Evangeliums unter Absehung der Person geschehen soll, so konzediert sie, dass es doch nur mit der Person geht, denn zum Vertrauen gehçrt, dass es die Person ist, die sich in den Dienst der Sache stellt. Zwar wird dem Pfarrer wie dem Arzt zunchst aufgrund seines Berufes Vertrauen entgegengebracht, doch „das Vertrauen der Menschen zu gewinnen und zu erhalten ist conditio sine qua non fr den Pfarrberuf“ (1999, 5).
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Der Person kommt nun eine tragende Rolle zu, weil das Gegenber, das Gemeindeglied oder der Gesprchspartner an der konkreten Person nachvollziehen und berprfen kçnnen muss, ob und wie der Pfarrer sein Amt ausfllt. Erst durch die Mçglichkeit der berprfung, der selbstndigen Beurteilung wachse Vertrauen und entstnde Glaubwrdigkeit. Deshalb wird in Abgrenzung zur elektronischen Kommunikation wie Chatseelsorge (2003, 630) die kçrperliche Prsenz als wichtiges Merkmal der Profession hervorgehoben, denn hier kçnne nicht „manipuliert werden“ und das Gegenber kçnne sich unmittelbar eine Meinung bilden. „Die Gesprchspartnerin ist in kleinen Interaktionssystemen – im Gottesdienst, im Konfirmandenunterricht und im Seelsorgegesprch – vielmehr direkt kçrperlich greifbar, riechbar, hçrbar und beobachtbar und damit als reale Person identifizierbar. Das macht die interaktive Kommunikation so authentisch, so verletzlich, so komplex und informationsreich und deshalb auch so wertvoll. Interaktive Kommunikation ist authentische Kommunikation. Mit Authentizitt meine ich dabei nicht, dass Gefhle unmittelbar und wahrhaftig kommuniziert wrden, sondern dass die Bedingungen der Kommunikation direkt berprft und wahrgenommen werden kçnnen. Identittsvorschlge, Haltungen und Einstellungen kçnnen bei der Kommunikation unter Anwesenden an leibhaften Personen berprft und abgelesen werden und auf diese Weise die Glaubwrdigkeit der kommunizierten Inhalte verstrken oder umgekehrt auch in Frage stellen“ (2003, 630).
Fr Pfarrer und Pfarrerinnen gilt, dass sie „das christliche Programm konkret an ihrem Leib“ „symbolisieren“. Sie stellen „kçrperlich“ und „wahrnehmbar“ Religion und Kirche dar. Diese interaktive Kommunikation gilt als zentrale Basis fr das Wachstum von Vertrauen (2003, 630) und Vertrauen wiederum sei „wesentlich fr den Erfolg“ (2003, 634)99. Die kçrperliche Prsenz – hier als Merkmal fr professionelles Handeln eingefhrt – wird wiederum mit der unternehmerischen Rationalitt responsibilisierend enggefhrt, indem sie als das Medium identifiziert wird, 99 Karle (2001) 217: „Pfarrerinnen und Pfarrer werden bei der Gestaltung ihres Unterrichts und ihrer Konfirmandenfreizeiten immer im Nachteil sein im Vergleich zu den Extravaganzen und dem Unterhaltungspotential der gegenwrtigen Erlebnis- und Freizeitkultur. Sie sollten auf diesem Gebiet deshalb gar nicht erst die Konkurrenz suchen, sondern vielmehr ihren eigenen Vorteil der interaktionsbasierten Kommunikation gezielt zu nutzen wissen. Insbesondere Jugendliche beobachten sehr przise die soziale Person des- oder derjenigen, die die christliche Religion professionell vertritt und zu vermitteln sucht. (…) Sie prfen vielmehr sehr genau, inwiefern die Pfarrerin selbst eine existenztragende Beziehung zum christlichen Glauben entwickelt hat, ob sie bereit ist, sich konsequent mit ihnen auseinanderzusetzen und ihre Sachthematik gegebenenfalls auch unabhngig von der Resonanz, auf die sie trifft, zu vertreten.“
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das dem Kunden Produktberprfung gestattet und seine Entscheidungsfreiheit ermçglicht, wie auch dem Pastor ermçglicht, sich in der kontingenten Entscheidungssituation besser anpassen zu kçnnen. „Weil sie Leibhaftigkeit voraussetzt, ist interaktive Kommunikation in der Regel eindrcklicher, nachhaltiger und anschaulicher als massenmediale Kommunikation“ (2003, 630).
Das Professionsmerkmal der kçrperlichen Anwesenheit wird, indem es als das effektivere Medium beschrieben wird, in einem Akt der performativen Hervorbringung zugleich als das zentrale und wechselseitig zu nutzende Monitoringinstrument zur jeweils eigenen Selbstfhrung eingefhrt. Kçrperliche Prsenz wird somit zu einem Teil des anvisierten und fr richtig befundenen Verfahrens. Zusammenfassend lsst sich zunchst festhalten, dass die Etablierung des Pfarramtes als Profession strategisch stabilisiert wird, indem der „Pfarrer als Profession“ ber die oben beschriebenen Kennzeichen als die unternehmerische Zentralfunktion der Gesamtorganisation Kirche identifiziert wird. Der „Pfarrer als Profession“, so kann nun geschlossen werden, ist das funktionale quivalent zur „Kirche als Unternehmen“. Der Unterschied zwischen beiden Konzepten besteht lediglich in der Gewichtung der Bedeutung des kollektiven bzw. individuellen Subjekts. Damit haben die Ausfhrungen Karles die Lçsung vorbereitet, die darin besteht, auf eine nur einzig mçgliche Weise zu handeln, sich nmlich als individuelles und als kollektives Subjekt auf spezifische Weise zu fhren. 5.2.1.4. Die Lçsung des Problems Verantwortlich sein: Der Pfarrer als Profession als unabhngiger Selbstunternehmer Ohne dass dies semantisch expliziert wird, steuert der Gedankengang darauf zu, die Professionstheorie handlungsorientierend zu wenden. Wenn die Pfarrerin erfolgreich sein will, so legt der adressatenorientierte Blick in dieser Argumentationsfolge nahe, kommt sie nicht umhin, sich selbst und ihr Verhalten daraufhin abzustellen, dass sie vertrauensbildend wirkt. Da Person und Sachthematik, „Person und Amt weder vçllig miteinander identifiziert werden“ (1999, 9) drfen, noch es mçglich ist, „Beruf und individuelles Leben vçllig berschneidungsfrei zu trennen“ (1999, 6), muss sich die „gute“ Pfarrerin in dieser Spannung zurechtfinden und „verantwortungsvoll“ handeln.
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Die Pfarrerin hat eine Menge zu tun, um in dieser Weise ihrer Profession gerecht zu werden. Ein ganzes Maßnahmenbndel stellt Karle zur Verfgung. Die Bau-Anleitung fr den „Pfarrer als Profession“ konkretisiert sich in dem Verweis auf Kompetenzen und Praktiken des Umgangs mit sich selbst und mit anderen: Sie sollte sich zugunsten der prioritr gesetzten Sachthematik nicht „an eigenen Wnschen und Gefhlen orientieren“, wie es im Gefolge der Seelsorgebewegung geschehen ist (2003, 629), auch nicht an ihrer eigenen individuellen Religiositt oder Moral. Im Hinblick auf den ihr gewhrten Vertrauensvorschuss muss sie die Wirkung ihrer Lebensfhrung auf Außenstehende einberechnen und ihr Umfeld aufmerksam beobachten. „Es ist insofern unrealistisch und folgenreich, wenn die Pfarrerin keine Rcksicht darauf nimmt, was die Gemeinde ber ihre private Lebensfhrung und Engagements außerhalb des Pfarrberufs denkt. Das heißt nicht, dass die Pfarrerin dazu verurteilt wre, sich zum Sklaven der Vorurteile ihrer Gemeinde zu machen. Aber es heißt sehr wohl, nicht nur die persçnliche Innenperspektive, sondern auch die berufliche Außenperspektive auf das eigene Tun und Handeln reflektieren und die verschiedenen Perspektiven sensibel aufeinander abstimmen zu kçnnen“ (1999, 6).
Es gilt auch, Schlsse aus diesen Beobachtungen zu ziehen und das eigene Verhalten in entsprechender Weise darauf auszurichten. „Darber hinaus sind auch diskretes Verhalten und Auftreten zu nennen, Hçflichkeit und Takt, Wertschtzung, Geduld und Umsicht – vor allem im Ungang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – und andere Verhaltensregeln mehr, die als Indizien fr die Vertrauenswrdigkeit eines Pfarrers oder einer Pfarrerin gelten kçnnen“ (1999, 6).
Diese „Bindungen fr die gesamte Lebensfhrung“ und die „Verhaltenszumutungen“ wie Beichtgeheimnis oder Residenzpflicht bestimmen den professionellen Pfarrer und schrnken seine Freizeitmçglichkeiten, Individualittsansprche und Selbstverwirklichungswnsche ein. Das aber sind nicht wirklich Einschrnkungen, sondern im Gegenteil gestatten sie erst den freiheitlichen Umgang als Professioneller. Ein verantwortungsvoller Pfarrer ist deshalb dazu bereit und arbeitet, falls notwendig, „auch deutlich ber das normale Zeitpensum hinaus“ oder hlt eine Beerdigung „ausnahmsweise am freien Tag“ (1999, 6). Er muss seine Autonomie und seine Entscheidungsfreiheit im Hinblick auf einen mçglichen Vertrauensverlust verantwortungsvoll gebrauchen. Dazu bençtigt er subjektive Komponenten wie Intuition, Urteilsfhigkeit, Risikofreude, das Wissen um die Grenzen individueller Steuerungsmçglichkeiten und die Akzeptanz von Mehrdeutigkeiten und Zweifel.
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Das fortwhrende Bemhen des professionellen Pfarrers muss um ußere und innere Distanznahme kreisen. Um hinter die Sachthematik als Person zurcktreten zu kçnnen, „muss man sich von ihr unterscheiden kçnnen“ (1999, 7). Distanz gegenber der Sachthematik ist aber nicht einfach vorhanden, sie muss individuell erarbeitet werden. „Individuelle und berufliche Perspektiven sind zu differenzieren und gleichzeitig reflektiert aufeinander zu beziehen und behutsam miteinander zu vermitteln“ (1999, 9).
Deshalb verwundert es nicht, dass auch die Ausfhrungen Karles nicht darauf verzichten kçnnen, wenn auch in Nebenstzen oder Anmerkungen100, auf Verfahren der Selbstfhrung zu verweisen. Auch hier werden der Pfarrerin untersttzende Instrumente wie Kritik, Coaching (1999, 99) Supervision, Beicht- oder Visitationsgesprche (2003, 633) empfohlen –, und schon die Auflistung zeigt, dass auf Techniken alter und neuer Pastoralmacht zurckgegriffen wird, die die Pfarrerin auf sich selbst anwendet. Wie die Selbstunternehmerin ist auch die Pfarrerin aufgerufen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und selbstreflexiv an ihren Kompetenzen, Ausdrucksweisen und -wirkungen zu feilen, um sich in ihrer Profession als funktional zu erweisen. Wird diese Freiheit zur Selbstgestaltung aber nicht in entsprechender Weise wahrgenommen, wie an Formen von Pfarrherrlichkeit, Bequemlichkeit oder subjektiver Willkr erkennbar (2003, 632), so schrnkt Karle ein, zeigt der Blick auf die Konsequenzen, dass diese Freiheit eine durch Bedingungen hergestellte ist. „Wird die Autonomie im Pfarrberuf nicht verantwortlich wahrgenommen, wird der Ruf laut, strkere Kontrollen einzufhren“ (2003, 632).
Damit rckt zugleich das Tribunal in die Aufmerksamkeit, nmlich das kirchliche Subjekt, das die Freiheit nur als eine durch gelungene Selbstfhrung hergestellte Freiheit gestattet. Damit kommt die andere Seite in den Blick, die Funktion des Pfarrers als Profession gegenber der Kirche. 100 „Das Problem der multiplen Identitt ist zwar durch die Struktur der modernen Gesellschaft induziert, muss aber individuell gelçst wurden (…). Die anspruchsvolle Aufgabe der Integration der multiplen sozialen Selbste kann deshalb auch dem Pfarrer oder der Pfarrerin niemand abnehmen“ (Karle 2001, 324, Anm. 389). „Nur durch eine reflektierte Unterscheidung und Kopplung von individuellen und beruflichen, von innerpsychischen und sozialen Perspektiven und eine umsichtige ethische Orientierung werden Pfarrerinnen und Pfarrer der Komplexitt ihrer Aufgabe gerecht“ (ebd., 326).
5.2. Spezialdiskurs: Die Problematisierung des Pfarrers
239
Verantwortlich machen: Der Pfarrer als Profession als abhngiger Selbstunternehmer So in seinem Alleinstellungsmerkmal konstruiert, muss die Einsicht in die zentrale Bedeutung des Pfarrers fr die Gesamtorganisation Auswirkungen auch auf die Strategien der Kirchenleitungen haben. Vor dem Hintergrund zunehmender kirchenleitender Einflussnahme durch Personalentwicklungsmaßnahmen appelliert Karle nun, als Kirchenleitung die Praktiken ihres Einwirkens auf die Pfarrer genau zu prfen. „Es ist deshalb darauf zu achten, dass die Instrumente der Personalentwicklung, die nun von vielen Kirchenleitungen erprobt werden, die professionelle und sachgemße Autonomie von Pfarrerinnen und Pfarrern nicht gefhrden und damit gleichzeitig die Motivationsbasis auf Seiten der Pfarrerinnen und Pfarrer aushçhlen, den professionsethischen Verhaltenerwartungen gerecht zu werden. Geschhe dies, wrde es sich wiederum negativ auf das Image des Pfarrberufs auswirken“ (2003, 633).
Mit dem „Image des Pfarrberufes“, was durch die Ausfhrungen mhelos mit dem „Image der Kirche“ synonymisiert werden kann, kommt die çffentliche Arena fr das kollektive Subjekt in den Blick und erinnert noch einmal das Risiko, das sich mit einer falschen Wahl der Instrumente verbinden kçnnte. Deshalb kann die Entscheidung nicht wirklich eine Entscheidung sein. Es soll nichts unternommen werden, so lautet der Appell, was die Eigenmotivation im Hinblick auf die professionsethischen Verhaltenserwartungen behindert, umgekehrt soll beibehalten werden, was die Motivation fçrdert. Dazu gehçrt der Alleinstellungsanspruch auf die Kasualien, denn „bei den Kasualien spren und erleben Pastorinnen und Pastoren in der Regel unmittelbarer als sonst, wofr sie da sind. Zugleich haben sie eine hohe Verantwortung und Gestaltungskompetenz. All dies ist aus beruflicher Perspektive betrachtet sehr befriedigend (…). Deshalb schtzen engagierte Pastorinnen und Pastoren die Amtshandlungen und gewinnen berufliche Selbstbesttigung und Gewinn fr ihre pastorale Identitt daraus“ (2004, 628).
Auch die relativ unabhngige Stellung gegenber der ehrenamtlichen Gemeindeleitung soll beibehalten werden: Der Pfarrer drfe nicht zum Funktionr der Gemeinde werden und das Presbyterium nicht zum Aufsichtsrat (2003, 633). Denn die Komplexitt des Arbeitsfeldes und die ungewçhnlich hohe Arbeitsbelastung kçnne der Pfarrer nur bewltigen, wenn er autonom entscheide. Diese hohe Handlungsautonomie wiederum sei Ursache der bislang zu konstatierenden hohen Zufriedenheit der Pfarrerinnen
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5. Sich als zu gestaltendes individuelles Selbst problematisieren
und Pfarrer (ebd., 632), die, und hier schließt sich der Kreis, wiederum grçßtmçgliches Engagement verspreche. Vereinbarungen: Fhrung zur Selbstfhrung Das Bootstrapping ber den Professionsbegriff fhrt ber Etablierung und Stabilisierung hin zur Handlungsanleitung. Der Alternativvorschlag Karles im Konzert der verschiedenen Lçsungsmodelle und Verortungen des Pfarrberufs in der sich verndernden Kirche bezieht sich denn auch darauf, die Praktiken auf der Schnittstelle von Fremd- und Selbstfhrung gerade nicht zu verndern. Diese Schnittstelle, mit dem begrifflichen Inventar des Professionstheorems als „package-deal“ belegt, drfe nicht aus dem Gleichgewicht geraten. Der „package-deal“ bestehe auf Seiten der Pfarrer in der Bereitschaft zur bernahme bestimmter Verhaltenserwartungen wie hohe emotionale Belastung und Verantwortung in hochkomplexen Berufssituationen und Handlungsautonomie. Auf Seiten der Kirchenleitung werde der Pfarrer durch die Bereitstellung von Privilegien angemessen entschdigt sowie durch ein gutes Gehalt. Die Anleihe an das soziologische Theorem erçffnet auch hier die Mçglichkeit, das Verhltnis Pfarrer und Kirchenleitung in Kategorien der Funktionalisierung zu denken, und befçrdert die Vorstellung eines Handels zwischen gleichberechtigten und autonomen und erst durch den Vertrag aufeinander bezogenen Partnern. Der homo contractualis wird damit an- und aufgerufen und in seine jeweilige Verantwortung dem anderen gegenber genommen. Der Abhngigkeit der Gesamtinstitution von der Pfarrerschaft, „Die evangelische Kirche braucht professionelle Pfarrerinnen und Pfarrer, damit sie auch in Zukunft als Volkskirche existieren kann „ (2004, 630),
muss demnach ein kirchliches System korrespondieren, das diese Arbeit am Vertrauenserwerb untersttzt und fçrdert. „Die Pfarrerinnen und Pfarrer wiederum brauchen Synoden und Kirchenleitungen, die begriffen haben, dass die Zukunft der evangelischen Kirche wesentlich von der Prsenz und dem Engagement von Pastorinnen und Pastoren abhngt, von Pastorinnen und Pastoren, die die vielfltigen Mçglichkeiten der Kommunikation des Evangeliums zu nutzen und zu fçrdern wissen“ (2004, 630).
Der „Pfarrer als Profession“ wird auf diese Weise ganz analog dem abhngigen Selbstunternehmer als Realfiktion konstruiert, dessen Autonomie nicht einfach durch Fremd-, sondern durch eine zur Selbstfhrung motivierende Fremdfhrung eingeschrnkt ist, zugleich aber auch durch sie
5.2. Spezialdiskurs: Die Problematisierung des Pfarrers
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besttigt ist. Die durch den kollektiven Akteur Kirche zur Selbstfhrung aktivierende Fremdfhrung besteht danach in der Bereitstellung grçßtmçglicher Entscheidungsbefugnis und einer finanziellen Anerkennung. In dieser Hinsicht ist der „Pfarrer als Profession“ die fast unberbietbare Steigerungsform des abhngigen Selbstunternehmers, weil die Selbstfhrung nicht mehr durch Praktiken der Fremdfhrung fortlaufend animiert und berprft werden muss, sondern als – in der Bindung an das Evangelium – internalisiert vorausgesetzt wird. Anders als die dem Pfarrer in den sechziger Jahren soziologisch angediente „Totalrolle“ erfhrt die Karlesche Konstruktion des Pfarrers durch die Professionstheorie eine berbietung, weil der Pfarrer nicht mehr nur eine Rolle hat, er muss sie auch sein, indem er auf solche Weise auf sich einwirkt, dass die Person nicht die Sachthematik verdrngt. Dreh- und Angelpunkt dieses funktionalen Gesamtensembles ist die berprfbarkeit eines am eigenen Leibe verkçrperten christlichen Programms, weshalb der Pfarrer nun aufgefordert ist, sich auf eine Arenaperspektive hin zu entwerfen wie beispielsweise Kunden, Gemeindeglieder, Distanzierte, Presse oder die Kirchenleitung. In einer Form des Selbstmonitorings und Selbstmanagements mssen nun die Arenaperspektive (der Gesprchspartner) und das Produkt (Sachthematik Evangelium) und die eigene Person (strategische Unterordnung) im Blick auf das konkrete anstehende Verhalten unter dem Vorbehalt des Risikos (willkrliche Entscheidung auch abweichend von der Norm oder von kirchlichen Gesetzen) in bereinstimmung gebracht werden. Die Subjektivation wird mit den Ausfhrungen Karles nicht nur im Blick auf den individuellen, sondern auch auf den kollektiven Akteur fortgeschrieben. Die herkçmmlichen Verfahren der Regulierung des Verhltnisses von Kirchenleitung und Pfarrerschaft – die Dispositive der Pfarrgesetzgebung und Vergtung – werden als professionstheoretischer „package-deal“ in dem Appell an Kirchenleitung und Pfarrer diskursiv als zielorientierte Fhrungsstrategie anempfohlen. Die Beibehaltung des „package-deal“ reguliert dieses so skizzierte Verhltnis von individuellem und kollektivem Akteur im Zeichen des homo contractualis organisational mit dem Versprechen, so die Zukunft der Volkskirche zu garantieren. Einmal, wie in den Ausfhrungen Karles, auf diese Weise als vertragliches Konstrukt zweier Seiten diskursiv in einem Akt der Performativitt etabliert, ist die Mçglichkeit erçffnet, den „package-deal“ auch diskursiv einzuklagen, wie noch gezeigt werden wird (7.2.2.). Der Vertrag ist nicht frei von Risiko, denn der Pfarrer muss sicht- und berprfbar erweisen, dass er den ihm als Amtstrger entgegengebrachten Vertrau-
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ensvorschuss als Person berprfbar ausfllt. So wird er zuknftig nicht frei davon sein, sich unter Beobachtung und Monitoring darin zu beweisen, dass er das „christliche Programm konkret“ sowie glaub- und vertrauenswrdig an seinem Leib symbolisiert, um seine Autonomie als gerechtfertigt besttigt zu bekommen. Zusammenfassung Die Ausfhrungen Karles sind von hoher Widerstndigkeit gegenber dem allgemeinen manageriellen Diskurs gekennzeichnet, zugleich folgt die diskursive Strategie der gouvernementalen Fhrung, indem die Profession mit Kennzeichen des unternehmerischen Selbst strukturell ausgelegt und in dieser Weise modelliert als funktional zentral fr die Gesamtorganisation ausgewiesen wird. Dabei fungiert der Amtsbegriff als Ausweis der Subjektkohrenz, der Professionsbegriff als Scharnier, ber das die Funktionalisierung im Blick auf das kollektive Subjekt herstellt wird. Die Widerstndigkeit bleibt so in der Ambivalenz von Semantik und Struktur stecken, die jeweils eine andere Sprache sprechen. Die ußerungen und die Aussagen, in Foucault‘scher Diktion, gehen teleologisch auseinander. Die ußerungen prsentieren sich als Gegenentwurf zur unternehmerischen Kirche und favorisieren eine Beibehaltung des Status Quo. Die Aussagen als Ordnung des Diskurses lassen die Subjektmodellierung ber Funktionalisierung (Professionstheorie) und Strategie (unternehmerisches organisationales Selbst) erkennen, sie formen den Diskurs nach çkonomistischer und mangerieller Rationalitt, whrend die Semantik sich demgegenber verwahrt. Die Konstruktion von Amt (individuelle Verantwortung gegenber dem Evangelium) und Profession (individuelle Verantwortung gegenber der Organisation und gegenber dem Markt) etablieren ein doppeltes Tribunal. Beides zusammengenommen macht den diskursiven Erfolg aus, weil die Ausfhrungen sowohl zur einen wie zur anderen Seite anschlussfhig sind. Insofern sind sie Anschauung des Bruches und indizieren die Subjektivationsbewegungen. Bilanzierend lsst sich festhalten, dass Karles Ausfhrungen mit dem „Professionsgedanken“ eine Immunisierungs- und Responsibilisierungsformel diskursiv etablieren. Diese Formel immunisiert gegenber Forderungen der Kirchenleitung, Synoden und anderen Berufen, und sie responsibilisiert, weil sie den Pfarrer nun in die Gesamtverantwortung fr das Kollektivsubjekt nimmt. Allerdings liegen in der diskursiven Ordnung die Tribunale nicht auf einer Hçhe. Der Status Quo wird gewahrt, indem er zugleich berformt
5.2. Spezialdiskurs: Die Problematisierung des Pfarrers
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wird. Der neue Pfarrer kann nur um den Preis der alte Pfarrer bleiben, dass er sich der Responsibilisierung verschreibt: Er ist nicht nur Profession, er muss es, um es bleiben zu kçnnen, auch sein. Die individuelle Rechenschaftslegung gegenber dem Evangelium ist auf diese Weise der individuellen Rechenschaftslegung gegenber der Organisation und der Gemeinde untergeordnet. So liegt das letzte Wort bei denen, die ber die Sicht- und berprfbarkeit des christlichen Programms an der pastoralen Person wachen. Die Marke muss sich als Vertrauensmarke beweisen. Damit wird letztlich dann doch das Evangelium durch die Profession nicht mehr „geschtzt“, sondern bleibt der çffentlichen Meinung und damit dem Tribunal des Marktes ausgesetzt. Die teleologische Bindung ist ber die organisationale Funktion der Profession an die Sicherung von Kirchenmitgliedschaft dominant gesetzt. 5.2.1.5. Kritik und Widerstand So anschlussfhig sich die Professionsformel zu erweisen scheint, so provoziert sie neue Fragen gerade von Gemeindepfarrern. Die unternehmerische Ratio der Ausfhrungen, die sich einer semantischen Zuordnung verweigern, gelangt in den Rezensionen und Kritiken an die Oberflche. Die die Denkfigur leitende Orientierung an Kirchenmitgliedern wird hier nicht abgewehrt, macht aber erneut Klrungsnotwendigkeiten deutlich. Eberhard Blanke (2005) zum Beispiel fragt, wie ernst die Kirche die dogmatische und empirische Relevanz der Taufe nehme und wie ernst die Mitgliedschaft. So ließe sich die Frage nach der Bedeutung des Pfarrers fr die Gesamtkirche nicht klren, weil zunchst die Frage der Kirchenmitgliedschaft und der Kundenorientierung zu beantworten sei. „Ist die Kirche die Kommunitt der Getauften? Oder eher die Vereinigung der Steuerzahler? Oder die, vom Pfarramt wie von einer Privat-Agentur, betreute Kundenschar?“ (…) „Wann klren wir die disparate Frage der Kirchenmitgliedschaft, die zwischen Taufrecht und Mitgliedschaft hin- und herpendelt?“ (Blanke 2005, 297).
Auch die Notwendigkeit einer Autonomie des Pfarramtes scheint unter diesen Bedingungen ungeklrter einheitlicher Handlungskriterien nicht einzuleuchten, ganz im Gegenteil fhre die in der Praxis wahrgenommene Autonomie gerade dazu, dass der Konflikt zwischen Amt und Person berindividuell in Erscheinung trete, wenn in Kasualfragen unterschiedlich agiert wrde. „Was der eine Pastor aus Amtsgrnden verweigert, vollzieht der andere unter Einsatz seiner Person. Und er tut das, weil er sein Amt so versteht. D.h., Amt
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und Person kommen zwischen verschiedenen Akteuren in Konflikt, nicht aber bei ein und demselben Handelnden. Dort liegt meines Erachtens nach der Sprengstoff, der zur Zeit in die Organisation Kirche hinein implodiert. Welche Liberalitt (…) wollen wir uns weiterhin erlauben? Liefern wir Dienstleistung auf anderer Leute Kosten?“ (ebd.).
Steht fr Blanke vor allem die Frage des Ganzen und das kollektive Subjekt als prioritr zu klren im Vordergrund (wer gehçrt eigentlich zur Kirche und fr wen ist der Pfarrer zustndig?), beschftigt sich sein Kollege Schçnberg (2005) mit dem Problem, dass sich die Bedeutungszuschreibung des Pfarrberufs anders ableiten msse als beispielsweise aus der Soziologie. Seine „berlegungen zur Forderung nach Profilierung und Konzentration der pastoralen und kirchlichen Arbeit“ zielen darauf, dass Ausgangspunkt zur Bestimmung des Amtes nur die Theologie sein kçnne. Es brauche keine weitere Klrung durch positive Bezugnahme „auf soziologische Erkenntnisse, systemtheoretische Gedankengebude und kirchensoziologische Befragungen“ sowie Gutachten „der einschlgigen Wirtschaftsberatungsunternehmen a la McKinsey“ : „Wird etwa die Kirche vor allem in ihrer empirisch vorfindlichen Funktion in dieser Gesellschaft begriffen und beschrieben, so wird zwangslufig ihr Auftrag und der ihrer Pfarrer bestimmt durch die Bedrfnisse, Herausforderungen und Erfordernisse der Gesellschaft“ (Schçnberg 2005, 358).
Die „Not der Kirche“, so argumentiert er weiter mit Hinweis auf Karl Barth 1931, sei, dass sie „von sich aus nicht die unsichtbare, geglaubte Kirche sichtbar machen oder zur Darstellung bringen“ kçnne, die „zugesagte Verheißung Gottes, welche die Kirche begrndet“, kçnne und msse die Kirche „,nur‘ bezeugen“. Dies gelte entsprechend auch fr das Amt der Verkndigung: „Der Dienst am Wort Gottes ist der allererste und entscheidende Dienst, dessen wir selbst bedrftig sind und den das Wort Gottes uns selbst erwiesen hat, erweist und erweisen wird“ (Schçnberg 2005, 359).
Nicht Reprsentant der Kirche, sondern Zeuge des Wortes – das sei die theologische Bestimmung des Pfarrers. Und im Hinblick auf die von Karle entwickelte Vorstellung vom „Pfarrer als Schlsselrolle“ und als „Reprsentant“ der Kirche“ bleibe zu fragen: „Mssten die evangelischen Pfarrer nicht schamhaft errçten ob dieser ihnen zugewiesenen Rolle als ,Gesicht der Kirche‘?“ (Schçnberg 2005, 356).
Die Bestimmung ihrer empirischen Unableitbarkeit sei das besondere Merkmal der Kirche, das sie allerdings zugleich nicht anpassungsfhig
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macht: Das Evangelium sei so zu verknden, wie es in der Heiligen Schrift gegeben und in den Bekenntnissen bezeugt ist, und „nicht, wie es am besten verstanden wird oder ankommt oder die Herzen bewegt oder der Moderne dient oder ihr ins Gewissen redet“ (ebd., 359). „Nicht erst die konkrete Umsetzung dieser vorrangigen und herausragenden Aufgabe der evangelischen Pfarrer/Pfarrerinnen stellt diese vor gewaltige Probleme, sondern bereits diese Bestimmung des Amtes an sich wird jeden Pfarrer/jede Pfarrerin angesichts der volkskirchlichen, der skulargesellschaftlichen, der neoliberalen, der wie auch immer bestimmten Wirklichkeit in grçßte Verlegenheit strzen“ (ebd., 360).
Eine Lçsung und „mçgliche und intelligente Konkretion“ eines sich diesem Dilemma stellenden Pfarrers zeichnet sich fr Schçnberg in dem „Pfarrer legens“101 ab. „Der Pfarrer als lesender, lehrender und lernender Zeuge des Wortes Gottes wird wohl nicht so modisch und bunt gewandet daherkommen, wie der Pfarrer als Reprsentant der Kirche. Es kann sogar sein, dass der von sich wegund auf IHN hinweisende Zeuge dasteht wie der erste Mensch, nmlich nackt und bloß. Mçge er sich doch seiner Blçße nicht schmen, sondern der Gemeinde und der Welt frçhlich und gelassen mit dem eingangs erwhnten Handtuch zuwinken – in der Gewissheit, dass die nackte Wahrheit allein als gekreuzigte Wahrheit in Jesus Christus unter uns ist“ (ebd., 360).
Doch trotz und in dieser Verlegenheit kommt auch Schçnberg nicht umhin, die Notwendigkeit der konkreten Auslegung des kirchlichen Auftrages und der inhaltlichen Przisierung problematisieren zu mssen. Dies bleibe ein immer neu, stetig und notwendig zu vollziehender Akt, in dem gestritten und gerungen werden msse. Die Aufgabe des Pfarrers sei hier, sich diesem Dilemma „zwischen reformatorischer Bestimmung des Amtes am Dienst am Wort und den dieser Bestimmung so deutlich widersprechenden Erwartungen und Festlegungen in der faktisch vorfindlichen Volkskirche“ zu stellen. Damit er dies in der ihm mit der Ordination „zugesagten und verbindlich zugesicherten Freiheit“ tun kann, gilt es, um Untersttzung durch die Gemeinde- und Kirchenleitung zu werben (Schçnberg, 360). Von „Sprengstoff“, Implosion, „Kampf“102, Verlegenheit und Dilemma ist die Rede und kennzeichnet die Wirkmchtigkeit des anderen 101 Schçnberg bezieht sich auf Alexander Deeg: Pastor legens. Das Rabbinat als Impulsgeber fr ein Leitbild evangelischen Pfarramts, in: PTh 93(2004), 427. 102 Auch Hauschildt (DTPF 2005, 46) Rezension zu Peters/Plagentz/Scherle: Gottes Profis? Revisionen des Pfarramtes, sieht sich gençtigt, auf Metaphern des Kampfes
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fremden Diskurses darin, dass bestimmte Strnge des theologischen Diskurses („die nackte Wahrheit allein als gekreuzigte Wahrheit“) als schwer anzuschließen markiert werden. Lçsungen werden neu und anders gefunden. Ein ganzes Wahrheitsgebude scheint sich neu justieren zu mssen, auch mit dem Risiko, bestimmte Anschlsse zu verlieren. 5.2.2. Spielarten Die Diskursanalyse bringt unterschiedliche Spielarten zu Tage, deren gemeinsame Ordnung daran erkennbar ist, dass sie die Elemente Marktanalyse, Problemkonstruktion, Problemlçsung und Handlungskonsequenzen so kombinieren, dass sie eine Subjekt- und Authentizittsvorstellung fokussierend zum Effekt hat. Die Anrufung zielt hier auf unterschiedliche Aspekte – immer jedoch in responsibilisierender Attitde. Die Unterschiede einzelner Diskursstrnge erklren sich daraus, dass sie jeweils unterschiedliche theologische Wissensbestnde aktivieren und hierachisieren, bzw. gerade nicht aktivieren oder dezidiert ausschließen. Damit hngt auch zusammen, dass das Verhltnis von individuellem und kollektivem Subjekt in der Auswahl ihrer Gegenstnde, Themen und Praktiken jeweils anders akzentuiert und spezifiziert wird. Um diese Spezifika zu verdeutlichen werden die Diskursstrnge im Folgenden als religiçs-spirituell, christlich-intellektuell, protestantisch-individualistisch und kybernetisch-organisational typologisiert. Die folgende Darstellung der diskursanalytischen Ergebnisse referiert die „Spielarten“ im berblick. Die Kursivsetzung weist hin auf die berdurchschnittliche Hufung der Originalzitierungen und Begriffe. zurckzugreifen. „Nun geht unzweifelhaft ein regelrechter Organisationsschub durch die Landeskirchen; das muss auch so sein, wenn man denn aktiv auf den Abbruch an finanziellen Ressourcen in den nchsten Jahrzehnten reagieren will. Der Organisationsschub wirkt sich auch auf das Pfarramt aus, z. B. im Instrument der Personalgesprche und in der Frage der Messbarkeit von Leistung, in Vernderungen im Dienstrecht. (…) Fazit: Es wird nicht beim vom Karle aufzeigten Pfarramt bleiben kçnnen. Dabei steht fr das Pfarramt viel auf dem Spiel, seine Autonomie um der Autonomie geistlicher Kommunikation willen einerseits, seine Dienstlichkeit fr die Aufgaben der Kirche in einer vernderten Gesellschaft andererseits. Als Spannungsverhltnis ist es fortzuentwickeln. Hingegen ist zu verhindern, dass die Organisation ,siegt’ und Pfarrer weitgehend fremdgesteuert arbeiten mssen ebenso wie das Pfarramt ,siegt’ und die Kirche als Organisation sich auf Inseln archaischer geistlicher Individuen zurckzieht.“
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5.2.2.1. Religiçs-spirituell: Priesterlich fhren Der Diskursstrang religiçs-spirituell lenkt den Blick auf den religiçsen Markt und die religiçsen Bedrfnisse – die „Abkehr vom Rationalen“. Fhrer ins Heilige, Priester, geistlicher Begleiter, Spiritual, Mittler, Seelsorger als Heiler sind Stichworte, die hier den Fokus markieren. Prominent ist dieser Diskursstrang vertreten in Vorschlgen des Gçttinger Praktischen Theologen Manfred Josuttis: „Die Grundfrage, die die Menschen gegenwrtig in vielen Formen bewegt, lautet: Wo findet man heilvolle Kraft fr das Leben?“ (Josuttis nach Grethlein 1999, 11) In allen Praxisfeldern soll die Kirche auf das Amt einer priesterlichen Fhrerschaft in die Wirklichkeit und Macht des Heiligen hinfhren. „Seelsorge der Zukunft“ fhrt in den „Einfluss jenes Kraftfeldes“, „das in phnomenologischer Begrifflichkeit das Heilige heißt“. Problematisch sei, dass diese Realitt aber in, mit und unter der kirchlichen Betriebsamkeit so versteckt sei, dass ihre Existenz von manchen Pfarrern grundstzlich bestritten wrde. „Religiositt wird reduziert auf soziale Bezge, und die Fhrungsaufgabe vereinfacht zum Problem der Gemeindeleitung“ (ebd., 11). Traditionelle Handlungen und Praktiken wie „Segnen, Beten, Handauflegen, Fasten, Beichten, Austreiben“ mssten wieder entdeckt und erlernt werden, indem man „bei Mystikern, Priestern und Schamanen in die Schule geht“ (Josuttis nach Gestrich 2000, 350). Die religiçse Tradition der Bibel, die von der Realitt Gottes, des Leibes Christi, des Heiligen Geistes spricht, sei nicht symbolisch oder metaphorisch, sondern wçrtlich zu nehmen als Hinweis auf Realitten.103 Auch wenn die Rezeption bemerkt, dass sich dieser Vorschlag „jenseits der gegenwrtig von çkonomischen berlegungen bestimmten Debatten zu Reformen der Kirche und des Pfarrberufs“ befnde (Grethlein 1999, 11), so ist dies nur der erste Blick, denn die Wettbewerbsfhigkeit ist durchaus mitbedacht: „Energetisch ist eine Seelsorge dann, wenn sie destruktiven Machtfeldern die Geistesgegenwart des Heiligen entgegenzusetzen vermag. Nur so wird sie auf dem großen Markt therapeutischer Angebote den ,Erweis des Geistes und der Kraft‘ (1.Kor. 2,4) anzutreten vermçgen“ (Josuttis nach Gestrich 2000, 352).
Die çkonomische Relevanz wird auf Nachfrage unprtentiçs ins Spiel gebracht: „Wer wirklich etwas kann in der Religion, der kann auch davon leben“ (Josuttis nach Grethlein 1999, 11). 103 Josuttis, Einfhrung in das Leben, 125f hier zitiert von Gestrich 2000, 350.
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Die organisationale Ein- und Anbindung des Pfarrers interessiert in diesem Diskursstrang wenig. Wenn sie thematisiert wird, dann als stçrende, hinderliche, allenfalls untersttzende Komponente. Ziele pastoralen Handels sind im religiçsen Diskurs Heilung, Bewusstwerdung, Ermçglichung von Gotteserfahrung. Die intersubjektive Konstellation formuliert sich ber Beziehung und konzentriert sich auf den Menschen als anthropologische Grçße; existierende oder anzustrebende Kirchenmitgliedschaft haben handlungsbegleitende aber nicht -leitende Relevanz. Dieser Diskursstrang sieht sich aufgefordert, sich von dem christlichintellektuellen Diskurs abzusetzen. Nicht „Inhalte, sondern Gehalte sollen weitergegeben werden, nicht objektiv Vorgegebenes, sondern das durch das spirituelle Medium Hindurchgegangene und damit das Siegel der Authentizitt Tragende. Plausiblitt wird nicht ber die Sache, sondern ber die Beziehung gewonnen“ (Zumkehr 1998, 464).
So lautet die interdiskursive Kommentierung. Und „weniger der Bibelerklrer“ wird gebraucht, als vielmehr „eine spirituell authentische Persçnlichkeit und damit als Minimalkompromiss zumindest den stolentragenden evangelischen Priester“ (ebd.). Von der „Transformation des Pfarramtes“ ist die Rede und diachrone Abgrenzungen werden interdiskursiv vorgenommen. „Gefragt wird stattdessen heute der existentiell authentische Sinnvermittler, der geistliche Erfahrungen voraus hat, diese weitergibt als Anleiter, als Meister, oder der zumindest die Suche danach als aktuelle religiçse Zentralaufgabe teilt: So wandelt sich der Pfarrer vom Zeugen der 50er und 60er ber den Pdagogen und Therapeuten der 70er und 80er Jahre hin zum spirituellen Begleiter und Mystagogen (M. Josuttis) der 90er“ (Zumkehr 1998, 464 f ).
Der religiçse Diskurs konstelliert seinen Fokus im Wettbewerb zu Therapeuten, anderen Religionen oder religiçsen Attitden. Der Widerstand gegenber der Herrschaft des konomischen als Religion ist hier platziert. Dem Markt kann selbstbewusst begegnet werden104, weil es dort um das falsche, bei der Kirche um das richtige Heil geht. Der Fokus der Au104 Josuttis (DTPF 2006, Heft 12), Volkskirche auf dem Markt: „Ganz deutlich will ich zu Beginn festhalten: Die Volkskirche auf dem Markt braucht vor ihrer neuen Position keine Angst zu haben. Denn die Gemeinde Jesu Christi hat allerfrheste Erfahrungen mit dieser Stellung. Sie hat sich auf dem weltanschaulichen Markt der Antike, der gewiss noch pluralistischer war, durchgesetzt. Sie ist auf dem Markt so stark geworden, dass sie sich an den Rand des Marktes zurckziehen konnte. Diese Zeit ist vorbei. Nun gilt es eigentlich nur, die alte Ursprungspower neu zu entdecken“.
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thentizitt liegt hier auf der persçnlichen Disponiertheit fr das Heilige. Der Pfarrer der Zukunft braucht spirituelle, geistliche Kompetenz und die Kenntnis von religiçsen Praktiken. 5.2.2.2. Christlich-intellektuell: Mit hermeneutischer Expertise fhren Der Diskursstrang christlich-intellektuell bewegt Fragen wie Skularisierung, Individualisierung, „Traditionsabbruch“, Identittskrisen, Postmoderne. Der Pfarrer ist hier Lehrer, Interpret, Erzhler, Vorbild, Reprsentant der Botschaft, hermeneutischer Spezialist und Seelsorger als Lebenshermeneut. Markant ist der Diskursstrang vertreten in z. B. Entwrfen Albrecht Grçzingers, der die „conditio postmoderna“ bestimmt sieht durch die Individualisierung der Lebenswelten, den „Verdacht gegen die großen Erzhlungen“ und den „Zwang zur Erfindung des eigenen Lebens“, wie die Rezeption (Grethlein 1999, 12) zitiert.105 Der „geschichtenbedrftige Mensch“ muss sich auf die Suche begeben nach neuen tragfhigen Geschichten. Auch hier kndet sich die Zeitenwende an: „Theologie und Praxis stehen hier vor einer neuen Aufgabe. Nicht mehr als Vertreter einer Großerzhlung sind Theologie und Kirche heute gefragt, wohl eher als ,Platzhalter‘ des Geschichtenbestandes der biblischen berlieferung und der Erfahrungsgeschichte des Glaubens“ (Grethlein 1999, 12). Die Menschen der Postmoderne suchten im Pfarrer nicht den großen Kommunikator, sondern den Interpreten, die Interpretation der biblischchristlichen Tradition in jeweils bestimmten lebensgeschichtlichen Kontexten. Pfarrerinnen und Pfarrer, so Klaus-Peter Jçrns als ein anderer Vertreter innerhalb dieses Diskursstranges, mssen „ber eine vertiefte Kenntnis der biblisch-christlichen Tradition und der gegenwrtigen Kultur unserer Lebenswelt verfgen“, um „wahrzunehmen, ,was der Geist Gottes heute den Menschen sagt‘ – in einer Sprache, die mit traditioneller religiçser Terminologie kaum noch etwas zu tun hat, aber authentisch spricht“ (Jçrns DTPF 2002, 573). Es ist der Markt der Sinnanbieter, der hier betreten wird. Der Pfarrer ist im organisationalen Kontext in erster Linie der hermeneutische Experte, das Pfarramt kann begriffen werden als explizit intellektuelles und von der Leitungsfunktion entbundenes Amt (Grçzinger 1998). Ziele innerhalb dieses Diskursstranges sind Lebenshilfe und -orientierung, intellektuelle Sinnvermittlung, Kennen lernen der kirchlichen Botschaft, 105 Grethlein bezieht sich auf Grçzinger (1998),134 – 141.
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Mndigkeit im Umgang mit der biblisch-christlichen Tradition, Differenziertheit der Botschaft und Wertevermittlung. Damit grenzt sich dieser Diskursstrang von dem religiçs-spirituellen ab, dem vorgeworfen wird, zu religiçs-indifferent und zu wenig spezifisch christlich zu sein, die religiçse Bedrfnisbefriedigung der Menschen ber den biblischen Auftrag und die damit verbundene auch intellektuelle Verantwortung zu stellen, auch, eine Trivialisierung des Religiçsen voranzutreiben. „Durch Trivialisierung religiçser Symbole behindern die Kirchen Traditionsbildungsprozesse und leisten der gedanklichen Auszehrung des Christlichen Vorschub(…) ,Kuschelgott, komm mir ganz nah (…)‘“ (F.W. Graf in der FAZ vom 17. 8. 2008)106.
Die intersubjektive Konstellation, in deren Fokus der gesellschaftliche Mensch steht, verluft ber Kommunikation, Sprache, Kunst, Kultur. Die Abgrenzung gegenber dem protestantisch-individualistischen Diskursstrang bezieht sich auf den Pfarrer, der in seiner Fokussierung auf die parochial orientierte Volkskirche die Differenziertheit und Komplexitt der Lebenswelten nicht bercksichtigt107. Der Fokus der Authentizitt liegt in der selbststndig durchdachten intellektuellen Aneignung des Evangeliums und dessen glaubwrdiger Vermittlung als sinnstiftende Instanz. Der Pfarrer der Zukunft braucht kommunikative, sprachliche, hermeneutische, interdisziplinre Kompetenz. 5.2.2.3. Protestantisch-individualistisch: Mit dem Amt fhren Der Diskursstrang protestantisch-individualistisch setzt sich im Hinblick auf den Fokus Pfarrer vor allem auseinander mit der Relation Person und Amt, Mensch (im Amt), der ungeteilte Auftrag, der Auftrag zur Verkndigung. Der Pfarrer ist Prediger, Lebensbegleiter, Hausbesucher („das Zweitwichtigste“), Nachbar, Brger, Lebens- und Zeitgenosse, qualifizierter Gesprchspartner in Lebensfragen, er ist Reprsentant der Volkskirche. Fragen nach Ordinationsrecht, reformatorischem Bekenntnis, Kirchenrecht und -verfassung sind hier verortet. 106 Zitiert in: Schmidt-Rost DTPF 2000, 549. 107 Als eine Variante kennt dieser Diskursstrang den Missionar, dessen Ziel Umkehr, berzeugung oder Neubesinnung ist. „Die Menschen sollen spren, dass sie fr Gott und darum fr die Kirche wichtig sind.“ Winkler 2001, 341 bezieht sich hier auf Herbst (2001): Und sie dreht sich doch – Wie sich die Kirche im 21. Jahrhundert ndern kann und muss, und auf Klaus Douglass et al. (2000): Ideen fr die Kirche des neuen Jahrtausends.
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Der Pfarrer lebt und arbeitet in Spannungen, Widersprchlichkeiten, und seine pastorale Existenz ist durch Dialektik gekennzeichnet. Auch der Diskurs selbst ist dialektisch strukturiert: Auf der einen Seite wird die Einheit von Amt und Person heraufbeschworen, „Der Pfarrer bzw. die Pfarrrein ist der/die ErwartungsreprsentantIn fr Kirche und Christentum sowohl der Kerngemeinde, als auch der volkskirchlichen ffentlichkeit, die mit Kirche nur gelegentlich in Berhrung kommt. Er/sie muss fr das Ganze von Kirche und Glaube einstehen, ausschließlich und vollstndig, und – ob er/sie das will oder nicht – die Qualitt einer Symbol- und bertragungsfigur auf sich nehmen. Amt und Person sind eines und drfen nicht getrennt werden (…) ja es gilt: Die Person muss immer mehr das Amt tragen. Diese nicht neue Erkenntnis, die jede/r GemeindepfarrerIn fast tglich machen drfte, hat eine Tradition, die so alt ist wie das evangelische Pfarramt selbst“ (Marhold 1999, 645),
auf der anderen Seite die Auflçsung dieser Einheit als notwendig angemahnt. Einen „dialektischen Spagat“ muss der Pfarrer machen, eine Trennung zwischen Gott und sich ziehen, denn „Macht-ngste und Allmachtsphantasien“ kommen „oft dadurch zustande, dass zwischen den beiden Bereichen, dem geistlichen und sozialen, die notwendige Trennungslinie nicht gezogen wird“, und sich „deshalb (…) ein postmodernes theologisches Theorem von der Ohnmacht Gottes“ entwickelt (Damm 2001, 523).
Bezugspunkt ist das volkskirchliche Gemeindeglied. Die Gesellschaft ist als distinktes Gegenber markiert. Damit steht dieser Diskursstrang in Konkurrenz zum christlich-intellektuellen. In der Abwehr gegenber dem Katholizismus (priesterliches Weiheverstndnis) grenzt er sich zugleich vom religiçsen Diskurs ab. Der Fokus der Authentizitt ist glaubwrdig reflektierte theologische Existenz. Der Pfarrer ist Amtstrger, das Ziel des Pfarramtes ist die zeitlich und rumlich garantierte Reprsentanz von Kirche und Verkndigung. Die Wende zu einer neuen Rationalitt ist hier markiert durch die intentional hergestellte Bewahrung des alten: Bewusst und verantwortungsvoll sollen die Widersprche des Pfarramtes ausgehalten und verarbeitet werden. Einschlgig in diesem Zusammenhang ist das Stichwort von der protestantischen Dauerreflexion. Der Pfarrer kann persçnliche Existenz, seine Fragen, seine Zweifel und seine professionellen Fhigkeiten in Einklang bringen (Leitbild Pfarrerinnen und Pfarrer in der Gemeinde). Der Pfarrer der Zukunft braucht selbst-reflexive Kompetenz. Der protestantisch-individualistische Diskursstrang betont gegenber dem christlich-intellektuellen die Individualitt und persçnliche Verant-
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wortung des Einzelnen, und gegenber dem kybernetisch-organisationalen Diskurs die Begrenztheit persçnlichen Handelns. 5.2.2.4. Organisational-kybernetisch: Unternehmerisch leiten Der Diskursstrang organisational-kybernetisch ist gut erkennbar, weil seine diskursive Formation mit der Semantik zusammenluft. Er kann mhelos die Gemeinden mit den Kunden und den Pfarrer als den Manager identifizieren. Dieser Diskurs ist eng verknpft mit dem Organisationsdiskurs um das kollektive Subjekt Kirche. Schnittstellen sind hier diskursive Praktiken wie Arbeitszeitregelungen, Arbeitszeitmodelle, Teildienste, Pfarramt als unentgeltliches Ehrenamt, berlegungen zur Vernderung des Beamtenstatus von Pfarrern, Personalplanung und -entwicklung, Jahresgesprche. Fokus ist der Manager, Dienstleister, Leiter, Chef, Fçrderer (von Ehrenamtlichen), Fhrungselite, Veranstalter und Anbieter. „Wir befinden uns in einer Marktsituation, in der man konkurrieren, berzeugen und sich behaupten muss“. Der Pfarrer der Zukunft kann „mit den Mitteln der Zeit“ umgehen: zielorientiert, effizient und kontrolliert (Schloz 1997, 17). Er betreibt Management, Mitarbeiterfhrung, Kundenorientierung, er motiviert, integriert und fhrt. Er hat pastorale und persçnliche Leitungsverantwortung und versteht sich als Lernender einer lernenden Organisation (Budde 1998, 14). Er ist, was seine Leistung und Leistungsbereitschaft anbelangt, lernfhig und lernbereit. Er weiß um die Notwendigkeit lebenslangen Lernens, ist auskunftsfhig, qualittsbewusst und flexibel. Er ist risikobewusst, experimentierfreudig und teamfhig, erschließt neue Handlungsrume. Das Ziel des Pfarrers ist identisch mit dem Ziel der Organisation, nmlich dem Erhalt und dem Wachstum der Organisation/der Institution/des Unternehmens. Im Blick ist der schonende und effiziente Umgang mit und die Freisetzung von finanziellen und eigenen und fremden persçnlichen Ressourcen. Die intersubjektive Konstellation formuliert sich ber das gemeinsame Ziel, es gibt Mitarbeiter (es wird nicht unterschieden zwischen ehren- und hauptamtlichen) und Kunden (es wird nicht unterschieden zwischen Kirchenmitgliedern und Nicht-Kirchenmitgliedern, weil beide gleichermaßen beworben werden mssen; die einen, um sie zu halten, die anderen, um sie zu gewinnen). Die Kompetenz des Pfarrers der Zukunft ist in diesem Verstndnis kybernetische Kompetenz. Dieser Diskurs ist stark informiert durch einen betriebswirtschaftlichen Managementdiskurs und tut sich in seiner auch das Irrationale kalkulierenden Rationalitt schwer mit dem protestantisch-individualistischen Insistieren auf der Begrenztheit menschlichen Handelns und der
5.2. Spezialdiskurs: Die Problematisierung des Pfarrers
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christlich-intellektuellen und religiçs-spirituellen Fokussierung des Unberechenbaren und Irrationalen. 5.2.3. Einarbeitungen Die gouvernementale Einarbeitung des neoliberalen Authentisierungsappells aktiviert alle Diskursstrnge, den Organisationsdiskurs prioritr, da hier das Bedrohungsszenario einer Existenzgefhrdung auf den geringsten Widerstand zu treffen scheint. Die anderen Diskursstrnge kçnnen Wissensbestnde mit hohem Widerstandspotential mobilisieren.108 Der religiçs-spirituelle zeigt dabei grçßere Affinitten, sich dem çkonomischen anzuschließen, weil er ber Wissensressourcen im Blick auf Selbstfhrungstechniken verfgt, die von hoher Attraktivitt zu sein scheinen, wie im Folgenden noch dargestellt werden wird. Modelle des „Spirituellen Gemeindemanagements“ (Abromeit et al. 2001) sind nach dieser diskursanalytisch erstellten Typologie kompositorische Effekte aus dem religiçs-spirituellen und dem kybernetisch-organisationalen Diskurs. Der „Pfarrer als Profession“ bildet nach dieser Typologie einen Effekt aus der Einarbeitung des protestantisch-individualistischen mit dem organisational-kybernetischen Diskursstrang ab. Je nach Subjektposition werden unterschiedliche Auswege aus der Krise konstelliert – begriffliche Spielarten dafr sind Amt, Kernrolle, Profession, Professionalitt, Beruf, Berufung, Job –, dabei stehen die jeweiligen Fokussierungen in Konkurrenz und im Wettbewerb zueinander, so dass sich die Divergenz genauso findet, „Worin besteht dann dennoch das Verbindende? Was hlt die Flicken des Talars zusammen? Die eine verbindlich und fr alle gleichermaßen konsensfhige Antwort kann es hier gar nicht mehr geben. Wir mssen uns auf ein Dickicht mit vielen Trampelpfaden einstellen, manchen Weg gar wieder abbrechen und umkehren“ (Schchtele 1996, 538),
wie auch die konvergente und konsensual subjektivierende Empfehlung nicht fehlt: „Begreifen, dass die Wahrheit ber die Person vermittelt wird: the person ist the message – in jedem Medium! Der alte Begriff der ,Glaubwrdigkeit‘, wieder aufgetaucht in der Sehnsucht nach ,authentisch‘ wirkenden Personen, 108 Wenn beispielsweise auf die „Macht des Heiligen“ (Josuttis, a.a.O.) oder die „Geschichte Gottes mit den Menschen“ (Grçzinger DTPF 2000) Bezug genommen wird.
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egal welche Funktion sie ausben, was ist das anderes, als dass Reden und Tun bereinstimmen sollen?“ (Sunnus 2000, 539).
Das Stichwort „Profession“ erweist sich, nun wieder abseits der typologischen Zuordnung betrachtet, als erfolgreiche gouvernementale Responsibilisierungs- und Immunisierungsformel. Sie responsibilisiert, indem sie die Frage nach der Zukunft der Kirche fokussierend mit der Schlsselstellung des Pfarrers beantwortet und in neoliberaler unternehmerischer Rationalitt die Selbstfhrung des Pfarrers als Mçglichkeitsraum erçffnet und zugleich festschreibt. Sie immunisiert, indem sie mit derselben Geste den Fhrungsanspruch der Organisation abwehrt. Profession als Formel fr den anzustrebenden und die Krise bewltigenden Zustand der kçrperlichen Anwesenheit von Vertrauen und Verantwortung setzt innerhalb des gesamten Diskurses die Frage aus sich heraus, wie dieser Zustand erreicht und erkannt, beurteilt oder gemessen werden kann. Der sich seiner Verantwortung bewusste Pfarrer muss sich befragen – und tut dies in der interdiskursiven Einarbeitung der Professionsformel, indem er sich selbst eigensinnig auf die Zukunft hin entwirft. So der Gemeindepfarrer Ralph Thomas Strack in einem Aufruf an seine Kollegen („Kirchenreform als Pastor/innenreform“): „Was also kann ich tun? Ich kann versuchen, Gebet und Meditation als Grundlage geistlicher Existenz neu Ernst zu nehmen(…).Die Kirche alimentiert mich, damit ich ein religiçser Spezialist sein kann – und das braucht lebenslange bung! Was mein eigenes Leben nicht trgt und durchdringt, wird fr andere nicht wertvoll sein kçnnen! Und anders herum: was ich selbst erlebt und erfahren habe – davon kann ich weitersagen“ (…) „Seelsorge im weitesten Sinne muss wieder Teil unserer eigenen Profession werden. Wir drfen die Aufgabe… nicht an Spezialisten abgeben(…).Wir mssen uns selbst soweit qualifizieren, dass wir mit kirchlichen und weltlichen Therapeuten ,konkurrieren‘ kçnnen – und vor allem: Auch wollen! (…)Nicht mehr das Amt wird uns als Amtstrger dauerhaft Reputation verschaffen. Sondern wir werden m. E. zunehmend das Amt buchstblich tragen mssen. (…)Aber anfangen muss jede und jeder bei sich selbst. Mit der persçnlichen Antwort auf die Fragen: Was macht pastorale Eigenart und Kompetenz aus? Wie viel verwirkliche ich davon in meinem Berufsalltag? Was kann ich besser machen? Und dann mssen natrlich Konsequenzen folgen!“ (Strack 2004, 523).
In der Geste der Selbstbefragung begegnet eine Technik der Selbstfhrung, die nun die Rationalitt eines Leitbildprozesses auf die Person anwendet: die Zukunftsvision (religiçser Spezialist und Profession, auf dem Markt konkurrenzfhig) wird bilanzierend gemessen an der vorfindlichen Situation (wie viel verwirkliche ich?), um davon ausgehend Strategien der
5.2. Spezialdiskurs: Die Problematisierung des Pfarrers
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Optimierung (was kann ich besser machen?) mit dem Ziel der Selbstkongruenz zu entwickeln: sich selbst qualifizieren und evaluieren (Konsequenzen mssen folgen). Die Interdependenz der Wertigkeiten (s. o.) ist in der Gleichung çkonomischer Input-Outcome-Rationalitt befriedigend gelçst, wenn die Alimentierung durch die Kirche ber die Metapher Durchdringung des eigenen Lebens als „wertvoll fr andere“ quivalent gesetzt ist. Ehe Pfarrer und Pfarrerinnen sich jedoch qualifizieren und evaluieren kçnnen, muss noch eine Hrde genommen werde.
6. Die Freiheit Gottes und Wollen drfen: Spielarten „Noch eine Bemerkung vorweg“ (Klessmann)
Die Analyse der Leitbildpapiere und der Hinweis auf die Auseinandersetzung um den Indikativ109 haben gezeigt, dass diese Diskursstrnge dem Responsibilisierungsappell interessiert und untersttzend antworten, an entscheidender Stelle jedoch widerstndig reagieren, wenn es darum geht, die Zukunft der Kirche ausschließlich auf den Fokus menschlichen Handelns zu legen. Das fr die Existenz der Kirche konstitutive Handeln Gottes, da ist sich der theologische Diskurs vielstimmig einig, kann nicht geplant, kalkuliert, optimiert werden. Die Freiheit Gottes ist also zumindest in Prozessen der Veridiktion ein Problem. Wie kann zum Handeln motiviert werden, wenn dieser Kardinaleinwand die Maßgeblichkeit des eigenen, entschiedenen und an Selbstoptimierung ausgerichteten Handelns relativiert und in der Behauptung als der einzigen Wahrheit als nicht richtig desavouiert? Die gouvernementale Einarbeitung sucht sich hier diskursiv verschiedene Lçsungskorridore, die Motivation der Mitwirkung des Menschen theologisch zu legitimieren. Eine theologische Figur besteht darin, die Freiheit Gottes, im Besonderen des Heiligen Geistes zu betonen, weshalb dieser weder fr die Mitarbeit noch fr die Nicht-Mitarbeit in Anschlag gebracht werden kann. „Der Heilige Geist bleibt frei, dass die Berufung auf den Heiligen Geist nicht zur eigenen Entschuldigung oder Faulheit fhren darf“ (DTPF Marquardt 2003, 403).
Andererseits ist der Mensch als durch den Heiligen Geist begabt geradezu aufgefordert zu handeln, wie Baschang in der Rezension des Buches von Abromeit/Bçhlemann/Herbst/Strunk (2001) hervorhebt. „Herbst erinnert daran, dass eine Mitwirkung des Menschen am Handeln Gottes im Bereich der Christologie zwar absolut ausgeschlossen ist, im Bereich der Pneumatologie aber geradezu geboten ist. ,Die Freundschaft des Geistes mit den Methoden’ lautet die berschrift ber das entscheidende Kapitel“ (DTPF Baschang 2004, 376). 109 Siehe Teil 2, Kapitel 3.2.4.
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Hufig anzutreffen ist die in reformatorischer Tradition stehende Version einer „dialektischen“ Lçsung in der Logik eines „sowohl als auch“. „Noch eine Bemerkung vorweg: Man kann die Forderung nach personaler Kompetenz im Pfarramt, nach vertiefter Persçnlichkeitsbildung o. . nicht theologisch aushebeln (wie das gelegentlich geschieht) unter Hinweis auf die Rechtfertigung, also die theologische Erkenntnis, dass Gott gerade die Schwachen und Hilfsbedrftigen annimmt und gelten lsst (z. B. 2. Kor. 12, 9). Natrlich steht diese Aussage in Spannung zur Forderung nach mehr personaler Kompetenz. Aber beide Aussagen schließen sich nicht wechselseitig aus, weil es sich um verschiedene Argumentationsebenen handelt. Eine dialektische Betrachtungsweise ist notwendig: Ja wir brauchen personale Kompetenz – aber in dem Wissen, dass durch sie das Heil nicht garantiert werden kann, dass sie nicht das Patentrezept zur Erneuerung der Kirche darstellt. Gottes Geist weht, wo er will, sicher auch jenseits aller personalen Kompetenz – aber sie deswegen gar nicht erst anzustreben, und aus jenem Satz des Paulus gewissermaßen die Geschftsgrundlage des Pfarramtes zu machen, wre strfliche Vernachlssigung“ (Klessmann 2000, 367).
Eine andere reformatorische Argumentationsfigur ist die von der schon in Christus geschehenen Handlung Gottes, auf die der dadurch befreite Mensch antwortend handelt. Die eigensinnige Lçsung besteht in einem funktionalen Nacheinander. Dem Stichwort der „Erinnerung“110 erwchst diskursanalytisch in diesem Zusammenhang grçßere Popularitt. So ist das Impulspapier des Rates der EKD „Kirche der Freiheit“ (Kirchenamt der EKD 2006) durch diese Denkfigur programmatisch informiert, wenn jeder der „Leuchtfeuertexte“ mit der Formulierung beginnt: „Auf Gott vertrauen und das Leben gestalten“. Die einem Mantra nachgestalteten gleichfçrmigen Aufrufe wollen den „Mentalittswandel“ helfen zu initiieren und zum Handeln auffordern. Freiheit wird nicht als Verheißung ausgesprochen, sondern als eine im und durch den Glauben vorausgesetzte Realitt. Hilfreich ist dabei der Rckgriff auf Martin Luther und die Unterscheidung vom „inneren Zeugnis des Wortes Gottes“ und „ußerlichen Wort“ (Kirchenamt der EKD 2006, 32) oder auch von der „unsichtbaren Kirche“ und der „empirisch verfassten Kirche“ (ebd., 33), die den beiden Subjekten unterschiedliche, wenn auch nicht voneinander unabhngige Handlungsdimension zuweist. Dem Handeln des Menschen ist deshalb Freiheit gelassen, weil das Handeln Gottes als unverfgbar apostrophiert dem menschlichen Planungshandeln entzogen ist. „Die Kirche „bleibt auch in allem Versagen und aller Zerbrochenheit, allem Scheitern an Aufgaben und aller Stagnation im Wandel ein fr alle wahr110 Zitt, DTPF 2000, Erinnern als Aufgabe ,132 – 135.
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6. Die Freiheit Gottes und Wollen drfen: Spielarten
nehmbares Zeichen der Zuwendung Gottes, dem eine Kraft zugesprochen ist, die grçßer ist als unsere Mçglichkeiten. Denn Gottes ,Kraft ist in den Schwachen mchtig’ (2.Korinther 12,9), die Gegenwart seines Evangeliums ist nicht gebunden an leuchtende Kirchen oder wirkmchtige Predigten. Dies aber ist ein Satz ber die Freiheit Gottes, nicht ber die Entlastung von der Aufgabe, Kirche nach bestem Wissen und Gewissen einladend zu gestalten. In diesem Kirchenverstndnis ist viel Raum fr die Freiheit zu einer situationsund zeitgemßen Gestaltung der Kirche“ (Kirchenamt der EKD 2006, 33 f ).
Das Responsibilisierungsproblem wird insofern gelçst, als die Freiheit Gottes unangetastet bleibt und das menschliche Handeln davon unabhngig gedacht werden kann, „Die Entstehung von Glauben ist immer an ußere Zeichen, an biblische und kirchliche berlieferungen und damit auch an die Kirche als Institution gebunden“ (ebd., 34),
nmlich als „ußeres Zeichen“. Weil es aber unabhngig von der Freiheit Gottes gedacht werden kann, kann es sich nun auch verbessern lassen. „Christliche Freiheit ist eine Kraft zur Selbstverpflichtung, das Eigene fr Andere und zum Wohl des gemeinsamen Lebens einzubringen. Die evangelischen Kirchen wollen aus dieser Kraft mehr Freiheit wagen und gestalten“ (ebd., 34).
Im Blick auf die eigensinnige Aneignung der Responsibilisierungsstrategie zeigt sich ein diskursives Muster, das wie ein Klappmechanismus unterschiedliche diskursive Weichenstellungen vornimmt. Dieser Mechanismus steuert hçchst kontingent und uneinsehbar die Plausibilittskonstruktionen, durch die die Bestimmung des Subjekts mit ins Spiel kommt: Wer handelt? Gott oder Mensch? Gott und Mensch? Auf die neoliberale Aufforderung zur Selbstmodellierung springt dieser Mechanismus geradezu enerviert und alarmiert an und bringt widersprchliche und nur vordergrndig widerstndige Formationen aus sich heraus. Der auf Subjektivierung zielende Appell muss sich im theologischen Diskurs zwangslufig mit der in das diskursive Feld eingebrachten Behauptung eines freiheitlichen Gott-Subjekts auseinandersetzen und entwickelt darber hohe diskursive Produktivitt. Zusammenfassend ist festzustellen, dass das kirchlich adaptierte „unternehmerische Selbst“ angereichert, durchformt und berformt ist von spezifisch kirchlichen Deutungs- und Handlungsmustern. Es ist risikofreudig, koordinationsfhig, flexibel, authentisch, berzeugend, ressourcen-, ergebnis-, ziel-, wachstumsorientiert etc. – aber durch christlich-biblische Wissensbestnde und -archive informiert. Deshalb „weiß man, dass
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man Glauben nicht wie ein Produkt herstellen kann“, deshalb scheint die „Erlebnisorientierung“ nher zu liegen als die „Ergebnisorientierung“, deshalb will man lieber von „Aufgabenorientierung“ als von „Zielorientierung“ sprechen. Glaube erscheint innerhalb dieser Rationalitt als eine konstitutive Ressource, als deren Grundvoraussetzung jedoch gilt (Bindung an und durch ein absolutes Gegenber), dass sie dieser Rationalitt nicht verfgbar ist. Dass es aber mçglich ist, trotzdem dem Regime des Steigerungsimperativs wie der Zurichtung zu einem unternehmerischen Selbst zu folgen, wollen die nchsten Kapitel zeigen, wenn dargestellt wird, wie sich die Subjektivierung ber die Techniken der Selbstfhrung/ Selbstbearbeitung auf die Herstellung der „ußeren Zeichen“ und die jeweilige Vorbereitung, Prparation, Bewahrung („Rstzeug“) richten, und wie sie auf den Modus zielen. Es darf gewollt werden.
7. Sich als leitendes individuelles Subjekt herstellen 7.1. Allgemeiner Diskurs: Kompetenzen, Bildung, Lernen In seiner Vorlesung zur Geschichte der Gouvernementalitt bezeichnet Foucault Kompetenzen als Teil des Humankapitals111. Infolge der durch den Neoliberalismus eingeleiteten Ausdehnung des konomischen auf das arbeitende Subjekt und dessen Sicht auf sich selbst wird die Vorstellung vom Verkauf der Arbeitskraft um den Preis des Lohns abgelçst von der Vorstellung des Lohns als Vergtung oder Einkommen, das einem bestimmten Kapital, dem Humankapital zugeteilt wird. Dies, bestehend aus angeborenen und erworbenen Elementen, ist im Gegensatz zu anderem Kapital von der Person nicht zu trennen und umfasst Kompetenz, Geschicklichkeit und Wissen. Die erworbenen Fhigkeiten, die „Kompetenzmaschine“ (ebd., 319), wie Foucault es nennt, sind das Ergebnis von Investitionen wie Ernhrung, Erziehung, Ausbildung, Liebe oder Zuwendung. In neoliberaler Perspektive transformiert der abhngig Beschftigte zu einem Unternehmer seiner selbst, der Investitionsentscheidungen trifft und auf die Produktion eines Mehrwerts zielt. Diese Leitfigur der Selbstmanagement-Ratgeber (Opitz 2004) verlangt, das eigene Leben im Sinne betriebswirtschaftlicher Effizienz zu gestalten. Auch der Wille zum Wissen, merkt Brçckling an, ist in dieser Hinsicht eine çkonomische Funktion, nmlich eine Investition ins eigene Humankapital (Brçckling 2007, 95). Die Frage, welche Ressourcenallokation den maximalen Return on Investment gibt, bleibt der Kontingenz des Marktes berlassen. Lernen mssen Individuen daher, ihre Investitionen zu berprfen und gegebenenfalls zu revidieren, vor allem mssen sie lernen, ein homo oeconomicus zu werden, nmlich die Fhigkeit zu nutzenmaximierender Ressourcenallokation zu verbessern (ebd., 95). Das Wissen um und ber sich selbst, ber den eigenen Kçrper, die Gefhle, das Gehirn oder das Unbewusste und das Wissen ber die persçnliche Wirkungsweise auf andere werden nun zum Gegenstand der Eroberung und Erweiterung. Die Fhigkeit, sich dieses Wissen anzueignen, es anzuwenden und sich mit Hilfe dieses Wissens kontrolliert und zielorientiert zu steuern oder zu managen, kulminiert in 111 Foucault (2006a), 315ff, dazu ausfhrlicher: Brçckling (2003a).
7.1. Allgemeiner Diskurs: Kompetenzen, Bildung, Lernen
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dem Begriff der „Kompetenz“112 als einer der zentralen Leitsemantiken dieser gouvernementalen Regierungsweise. „Bildung“ meint in diesem Sinne daher nicht einen persçnlichen Besitz, sondern „eine differenziert messbare individuelle (meist kognitive) ,Disposition‘“ (Lders 2004, 189). Lernen wird in technologischen und kybernetischen Metaphern der Steuerung und Organisation beschrieben,113 der Mensch mutiert zu einer „neuronalen Maschine“ (MeyerDrawe). „Der Neue Adam der Zeit ist eine neuronale Maschine, die ein Leben lang lernt. Dem ebenso komplexen wie fragilen menschlichen Gehirn sollen alle Geheimnisse entrissen werden. Es ist unzhligen Invasionen ausgesetzt. Ihm wird die Anerkennung, aber auch die Brde zuteil, die das traditionelle moderne Subjekt trug. Es scheint allem zugrunde zu liegen. Es lernt, es kommuniziert, es entscheidet, es beobachtet, es bestimmt, es organisiert – vor allem sich selbst. Es ist als cerebraler Agent der Prototyp des flexiblen Menschen“ (Meyer-Drawe 2008, 71).
Die Aktivierung aller Potenziale des Individuums unter Bedingungen der Konkurrenz und des Wettbewerbs ist das Ziel, und „nur wer an seinen ,Kompetenzen‘ feilt, hat die aktive Kontrolle ber sein Leben“ (Opitz 2004, 129). Der „homo competens“ hat keinen Beruf mehr, sondern verfgt ber eine sich aus wechselnden Kontexten seiner Bildungsgnge und seiner beruflichen Erfahrungen „amalgamierende ,Kompetenz-Collage‘“ (Pfadenhauer 2010, 152). Allerdings bedarf es dazu des Experten, „der die Leistungsbeurteilung entwirft, ihre Anwendung anleitet, der die Ergebnisse auswertet und gemeinsam mit den Beurteilten in Aktivitt umsetzt. Indem der Experte seine Hermeneutik der Kompetenz betreibt, welche gleichsam die beredsamen Schatten hinter den sichtbaren Handlungen zeichnet, initiiert er ein pastorales Setting, durch das das Subjekt seine innere Wahrheit erfhrt. Unter seiner Anleitung wird das Subjekt als Wissensobjekt konstituiert, das lernt, sich selbst zu verndern“ (Opitz 2004, 129). 112 Kurtz/Pfadenhauer (2010),7: „Man kann darber streiten, ob mit dem Begriff der Kompetenz wirklich neue Sachverhalte angesprochen werden. (…) Aber die zu beobachtende Konjunktur und geradezu Inflationierung des Kompetenzbegriffs hat etwa die Erwachsenenbildungsforscher John Erpenbeck und Volker Heyse vor 10 Jahren dazu veranlasst, den unzhligen vorhandenen Gesellschaftsbegriffen mit der sogenannten Kompetenzgesellschaft (Erpenbeck/Heyse 1999) einen neuen hinzuzufgen. Insofern wre zu testen, ob wir es hier mit einer weiteren Selbstbeschreibungsformel der Gesellschaft zu tun haben“. 113 Wrana (2006), Weber/Maurer (2006a).
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7. Sich als leitendes individuelles Subjekt herstellen
Das Foucaultsche Theorem der neoliberal gewendeten Pastoralmacht auf die Analyse pastoraler Kompetenzerweiterung angewendet, heißt zu fragen, wie sich der diskursive Anschluss um den kirchlichen (protestantischen) Kardinaleinwand – nicht die Person darf im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen – konstelliert. Die Darstellung trennt im Folgenden nun nicht mehr den allgemeinen Diskurs114 vom Spezialdiskurs, weil dies in der Arbeit ausreichend vorbereitet worden zu sein scheint, sondern vollzieht die strukturelle Koppelung nach, wie sie sich in den Ratgebern bzw. Fortbildungsprogrammen expliziert und konkretisiert, wenn externe Experten Pfarrer fortbilden.
7.2. Spezialdiskurs: Sich Qualifizieren „Kompetenzen als Heilmittel“ 115 „Quantitt ist zu einer Frage der Qualitt und der Qualifizierung geworden oder noch deutlicher: Kirche kann es sich nicht mehr leisten, keine inhaltlichen Leitbilder fr die Professionalitt ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu haben“ (Rammler 2000, 552).
So beschreibt Dieter Rammler im Pfarrerblatt das Programm in Predigerseminaren und Fortbildungseinrichtungen und markiert mit dem Stichwort Qualifizierung den Umsetzungscode fr das, was in den Leitbildund Programmpapieren als Lçsung des Zukunftsproblems avisiert ist: zielgerichtete Professionalisierung. Es gibt viel zu lernen fr die Pfarrerin auf ihrem Weg zur Zukunftsfhigkeit: Spirituelle, geistige, hermeneutische, kommunikative, reflexive, kybernetische Kompetenzen warten darauf, erworben, vertieft und angewendet zu werden. Und da, wie kirchliche Leitbildpapiere vorgeben, der Beruf des Pfarrers „in seinem Wesen verfehlt wird, wenn die professionellen Fhigkeiten nicht in der persçnlichen Existenz verankert sind“,116 gerinnen diese Kernkompetenzen im Diskurs zur Formel der personalen Kompetenz. Die Ausbildungspraxis gert und stellt sich selbst auf den Prfstand, sie erscheint defizitr, gegenber aktuellen kirchlichen Anforderungen verfehlt, zu akademisch, wenig praxisorientiert, vor allem aber bereitet sie den Pfarrer nicht und nicht 114 Siehe dazu die inflationr ansteigende Literatur im Bildungsbereich zur „selbststndigen Schule“ oder dem „Lebensunternehmer Kind“ wie z. B. Donata Elschenbroich (2001). 115 Huth, zitiert nach Rammler (DTPF 2000), 552. 116 Wrzburger Konsultation, nach Rammler ebd.
7.2. Spezialdiskurs: Sich Qualifizieren
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frhzeitig genug darauf vor, „mit seiner ganzen Person fr Kirche“ und anstelle von Kirche zu stehen. „Das alte Modell und Leitbild des Pfarrers als Amtperson gehçrt der Vergangenheit an. Viel mehr wird er als Person gefragt sein. Also nicht: ,Was denkt die Kirche?‘, sondern ,Was denken Sie?‘ Und nicht: ,Was tut die Kirche?‘, sondern ,Was tun Sie hier vor Ort?‘“ (Rammler 2000, 552).
Die organisationale, kollektive Selbstfhrung reagiert auf die gewachsene Bedeutung des Pfarrers fr die Gesamtkirche, indem sie sie zugleich verstrkt. An der Schnittstelle von Fremd- und Selbstfhrung tauchen in einigen Landeskirchen neue, dem Unternehmensfeld entnommene Techniken wie Assessmentcenter 117 und Bewerbungsgesprche auf. Die Verknappung der Stellen und die Zahl der angehenden Pastorinnen machen hier eine Verfahrensreglung erforderlich. Gab es auch bisher selektierende Verfahren wie Wartelisten oder Aus- bzw. Einschluss durch Noten und Sozialpunkte, scheinen diese nun nicht mehr auszureichen. Sie werden durch die neuen Techniken ersetzt oder um sie ergnzt. In standardisierten Verfahren sowie ber die Etablierung von Beobachtungsebenen und unter Zuhilfenahme externer Beobachter setzen diese Techniken auf die Selbstdarstellung der Bewerber und ermçglichen den direkten, zeitnahen Vergleich der Bewerber, auch in ihrem Verhalten unter- und miteinander. Neben und zustzlich zu den theologischen und kirchlichen Examina gestatten diese Techniken nun, die Eignung auf die bernahme in den kirchlichen Dienst mit Blick auf die „bereinstimmung von Leben und Handeln“ und die „berzeugende Vertretung des eigenen Glaubens“ zu prfen.118 Sprach- und Argumentations-, Dialog-, Team, Kooperationsund Integrations-, Konflikt- und Problemlçsungsverhalten sollte die Studentin und Pfarramtsanwrterin neben ihrer Fhigkeit zur Situationsbewltigung und Selbstreflexion zu diesem Anlass berzeugend pr117 Hesse/Schrader (2007); Steinlin/Studer (2003),17 f halten das Assessment Center „fr ein Paradebeispiel eines Verfahrens (…), das Selbsttechniken, in der Form der Selbsterkenntnis und des Selbstmanagements, mit Disziplinartechniken verbindet.“(…)“Dass sich die Bewerberinnen in einem Vorstellungsgesprch gegenber ihren zuknftigen Arbeitgerberinnen mçglichst vorteilhaft prsentieren wollen, ist an sich keine neue Entwicklung. Neu ist hingegen, dass von den Bewerberinnen implizit erwartet wird, dass sie sich nicht nur im bertragenen Sinn mçglichst gut verkaufen, sondern auch auf sich wirklich analoge Konzepte anwenden, wie sie zur Vermarktung eines Wirtschaftsguts entwickelt wurden. Nur wer sich selbst als ein solches Produkt managt, hat Aussicht auf Erfolg“ (ebd.18). 118 Evangelische Kirche von Westfalen, Rheinische Kirche, zitiert nach Klessmann (2000), 366 f.
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7. Sich als leitendes individuelles Subjekt herstellen
sentieren kçnnen.119 Es geht diesen Verfahren der Selbstfhrung des kollektiven Subjekts darum, das Risiko einer verfehlten Stellenbesetzung frhzeitig zu kalkulieren und zu minimieren. So ermçglicht der ber diese Prozeduren gewonnene „Gesamteindruck von der Person“ einer Kommission der Wrttembergischen Kirche, „prospektive Schlsse bezglich der Eignung der Pfarramtsbewerber und -bewerberinnen“ zu ziehen (Klessmann 2000, 366). Allerdings, so zeigt die Folgerung des Praktischen Theologen Klessmann, kann sich die Verantwortung des kollektiven Subjekts nicht auf die Einfhrung dieser Instrumente beschrnken. „Wer personale Kompetenz fordert, muss auch sagen, wo sie herkommen soll und wie sie kontinuierlich weiterentwickelt werden soll“ (Klessmann 2000, 366).
Insofern verwundert nicht, dass sich die Perspektive auch auf die nicht kirchliche, universitre Ausbildung erweitert und sich eine studienbegleitende Beratung zur individuellen „Persçnlichkeitsentwicklung“ als frhzeitige organisationale Personalentwicklungsmaßnahme nahe zu legen scheint (ebd., 366ff ), wie sie in der Rheinischen Kirche verpflichtend eingefhrt wird. Die çkonomische Rationalitt optimaler Ressourcennutzung erfordert auch deren langfristige und nachhaltige Erschließung. So sekundiert die Abwehr mçglicher autorittskritischer Argumente der neoliberalen Logik fremdgefhrter Selbstfhrung, „Diese Form der Beratung dient vorrangig dem Aufspren von Entwicklungsmçglichkeiten der Studierenden, nicht der Auswahl!“ (Klessmann 2000, 369),
wenn sie mit den Techniken der Fremdfhrung zugleich die Fçrderung und Entwicklung des persçnlichen Selbst ber die Erschließung eines neuen Wissen ber sich verheißt, wie auch die Teilnahme am AssessmentVerfahren verspricht, durch Feedback und Strken-Schwchen-Analyse Wahrheiten ber sich zu Tage zu fçrdern (Steinlin/Studer 2003). So weiß der „Vikar einer deutschen Landeskirche“ auch rckblickend von Lernerfolgen im Assessmentcenter zu berichten: „Letzen Endes war ich einer von denen, die eine Stelle angeboten bekamen. Mein Gesamtauftritt hatte die Beobachter wohl berzeugt von meinen Qualitten als Pastor. Allerdings habe ich gemerkt, dass ich doch noch einige Defizite im persçnlichen Bereich habe, an denen ich arbeiten sollte. Insgesamt war es eine gute, fr mich ungemein hilfreiche Erfahrung, auch insofern, als 119 Evangelische Kirche von Westfalen, nach Klessmann (2000), 366.
7.2. Spezialdiskurs: Sich Qualifizieren
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ich lernen musste, mit meiner Nervositt umzugehen“ (Hesse/Schrader 2007, 241).
Dass diese Beratungs- oder Assessmentcenter nicht von allen Landeskirchen und auch nur halbherzig eingefhrt werden, indiziert, dass die Frage, wie die personale Kompetenz zu fçrdern sei, keineswegs einheitlich und ohne widerstndige Ressentiments beantwortbar scheint. Gleichwohl gilt die Empfehlung: „Andere Landeskirchen kçnnten und sollten diesen Schritt der EKiR nachvollziehen“ (Klessmann 2000, 369).
Ob nun schon vor der Indienstnahme oder erst in der kirchlichen Aus- und Fortbildung: Die Person des Pfarrers muss entwickelt werden, so lautet das einhellige Credo im Diskurs um die Zukunft der Kirche. Aber vor allem muss die Person lernen, sich selbst als Ressource zu einem „vielheitsfhigen Menschen“ zu entwickeln, wie Klessmann in Anlehnung an den Diskurs um die postmoderne Identitt formuliert.120 Die Professionalisierung des Pfarrers bezeichnet daher in Aus- und Fortbildungsprogrammen der Landeskirchen die Schnittstelle von Selbst- und Fremdfhrung. Wie der Begriff der „Kompetenz“ avanciert auch der der „Professionalisierung“ im allgemeinen Diskurs zu den Leitsemantiken der Fhrung zur Selbstfhrung. Professionalisierung ist danach zu verstehen als eine Subjektivierungsform spezifiziert hinsichtlich des beruflichen Feldes.121 Der folgende Abschnitt konzentriert sich darauf zu beschreiben, welche Praktiken dem Pfarrer anempfohlen werden, auf sich selbst einzuwirken, um sich zu professionalisieren. Die Beschreibung der Veridiktionsbrche steht weniger im Mittelpunkt, da diese nachzuvollziehen eine andere 120 Klessmann bezieht sich dabei auf den „aktuellen Identittsdiskurs“ wie bei: Zaepfle/ Metzmacher (1996), Postmoderne Identittsbildung und Keupp/ Hçfer (1997), Identittsarbeit heute. 121 Apelt (2006), 134: „Ob in betrieblichen, arbeitsmarktbezogenen oder beruflichen Kontexten: Umstrukturierungen werden von ihren Initiatoren gern als Professionalisierung bezeichnet. Dieser Begriff dient als Label fr staatliche Regulierungs- wie Deregulierungsmaßnahmen, fr Trainee- und Weiterbildungsprogramme und hat Eingang in die Managementliteratur gefunden. Professionalisierung ist zur Kampfvokabel geworden, damit sich betroffene Akteure (…), den ,Professionalisierungsprozessen’ nicht entgegenstellen (…). Andererseits reklamieren Berufsgruppen und ihre Vertreter den Begriff ,Professionalisierung’ aktiv fr sich, um Ausbildungsstandards und Regeln der Berufsausbung durchzusetzen, Ttigkeitsfelder abzugrenzen oder Mrkte fr sich zu sichern. (…) Professionalisierung ist so Zwang von außen und zugleich Prozess durch den ein Subjekt sich selbst konstruiert.“, Pfadenhauer (2003).
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7. Sich als leitendes individuelles Subjekt herstellen
Methode der empirischen Arbeit, wie z. B. die beobachtende Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen, erfordert htte. Anmerkungen aus Leserbriefen oder Erfahrungsberichten versuchen diese Perspektive zumindest anzudeuten. Der Regimewechsel wird daher berwiegend anhand von „Bau-Anleitungen“ eines „kirchlich-unternehmerischen Selbst“ verfolgt, wie sie sich in den Texten darstellen: „Weil das unternehmerische Selbst nur im Gerundivum existiert, lsst es sich kaum irgendwo besser studieren als anhand der Bauanleitungen fr seine Fabrikation. Hier bahnt sich der Sog, die Strçmung, die das unternehmerische Selbst ist, ihr diskursives Bett“ (Brçckling 2007, 73).
Neoliberale Gouvernementalitt ist eine Regierungskunst, die sich auf wissenschaftliche Expertise, systematisches Informationsmanagement und professionelle Beratung sttzt. Der Fokus der Beobachtung liegt daher auf der Frage, welche Expertise eingeholt und wie beraten wird. Als Materialbasis fr die folgende Analyse diskursiver Praktiken lag das DTPF zugrunde, darber hinaus auch Handbcher und Praxisanleitungen122, die im DTPF rezensiert wurden oder fr die geworben wurde. Dabei orientiert sich die Darstellung nicht an den Inhalten oder Berufsfeldern (Gemeindeleitung, Gottesdienst, Seelsorge etc), sondern an den Techniken der auf Kompetenzerweiterung zielenden Selbstfhrung. 7.2.1. Sich fokussierend und authentisierend weiterentwickeln Der abhngige Selbstunternehmer „Wenn ich recht sehe, hat sich hier in den letzten Jahren ein Bewusstseinswandel, ein Paradigmenwechsel in der Theologie vollzogen. Man hat erkannt, dass die Umsetzung, das praktische Arbeiten am Gottesdienst ein wesentlicher Teil der Ausbildung von Pfarrerinnen und Pfarrern sein muss, damit die Kirche wieder gehçrt und gesehen wird“ (Kabel 2002, 22).
Wie hier in dem „Handbuch ,Liturgische Prsenz‘“ von Thomas Kabel steht die Erarbeitung einer der „Kernkompetenzen“ des Pastors im Interesse des individuellen und im Dienst des kollektiven Subjekts. Der allgegenwrtige Abgrund und die Verheißung sind auch hier im Spiel und bereiten
122 Kabel, Thomas (2002), „Handbuch ,Liturgische Prsenz’ Zur praktischen Inszenierung des Gottesdienstes Band 1“, versteht sich als „Essenz“ der aus der Kursarbeit mit Pfarrern gewonnen Erfahrungen (15); Mller-Weißner, Ulrich (2003), Chef sein im Haus des Herrn. Fhren und Leiten in der Kirche – Eine Praxishilfe.
7.2. Spezialdiskurs: Sich Qualifizieren
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darauf vor, dass Vernderungen mçglich sind, aber auch verfehlt werden kçnnen. „Wenn wir nicht lernen, dass Seele und Kçrper in ihrer tiefsten Essenz zusammen wirken, dann wird der Gottesdienst als Form uninteressant werden und wir werden ihn mçglicherweise verlieren (…)“ (Kabel 2002, 24).
Der abhngige Selbstunternehmer wird aufgerufen, in seiner Verantwortung fr das Ganze ttig zu werden und zu lernen. Lernen heißt hier und vor allem zu ben und zu trainieren. Die Semantik verweist, wie schon hingewiesen, auch hier auf den sportlichen Charakter der Selbstfhrungstechniken. Wie sehr sich die Kirche in diesen Formen der individuellen Selbstbearbeitung ganz nah an ihren eigenen Ursprngen erkennt und Vertrautes wiederzuentdecken meint, ist daran abzulesen, dass immer wieder Hinweise auf die Tradition eingearbeitet sind. Dieter Rammler z. B. erkennt in den „Pia Desideria“ von Philipp Jakob Spener (1635 – 1705) eine aktuelle Orientierung im Blick auf die Bedeutung der individuellen Selbstbearbeitung fr die Gesamtkirche. „Das mag man wohl auch nach 300 Jahren noch ein Leitbild nennen: theologia est habitus practicus – die Theologie ist eine praktische Sache und zugleich: eine Sache fr die Praxis. Dabei kann es, Spener folgend, nicht am Gemt, an der Existenz dessen, der diese Theologie betreibt, vorbeigehen. Es sind bungen nçtig, Theologie und Existenz zusammenzubringen. Spener ging es nicht zuerst um ein Frçmmigkeitsideal, sondern darum, dass diese Art bung und Qualifikation eine Auswirkung auf die Kirche hat“ (Rammler 2000, 551).
Wer sich als Pfarrer professionalisieren will, muss sich verschiedenster bungen unterziehen wie beispielsweise der zur Entwicklung des persçnlichen „Spine“ innerhalb der Arbeit an der eigenen persçnlichen „Liturgischen Prsenz“.123 Die folgende Darstellung nimmt diese bung am „persçnlichen Spine“ als strukturierendes Element, weil sie, wie der Leitbildprozess dies im Blick auf das kollektive Subjekt tut, auf eine Fokussierung des indivi123 Kabel (2002),18 f, „Liturgische Prsenz“ meint „im Momentdasein“, „Ganz bei der Sache sein“, „Lebendigkeit im Ausdruck, Lebendigkeit in der Stimme, Lebendigkeit im Kontakt und dabei Natrlichkeit und Wahrhaftigkeit im Ausdruck zu bewahren“, („Hinweise“, DTPF 1997, 472 nach Kabel:) „Ein waches Bei-sichSein, ein professionelles Bei-der-Sache-Sein und ein kommunikatives „Bei-derGemeinde-Sein“.
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duellen Subjekts124 zielt und ganz analog ein Arsenal von Selbstbearbeitungstechniken versammelt, die sich auch in anderen Kompetenzmaßnahmen finden. Die Koformierung des kollektiven und des individuellen Subjekts wird auf diese Weise nachvollzogen. Ziel der Maßnahme „Mçge das Buch Ihnen einen Weg zeigen, Ihre Wnsche, wie Sie als Pfarrerin und als Pfarrer mit der Gemeinde einen Gottesdienst feiern mçchten, zu realisieren“ (Kabel 2002, 24). „Die Spine-bung hat das Ziel, Ihnen klar zu machen, dass, wenn Sie bestimmte Dinge fhlen und wollen, sie durch bertragung auch fr die Gemeinde fhlbar und erlebbar werden“ (Kabel 2002, 239).
Die Ankndigung einer bung, einer Fortbildungmaßnahme, eines Workshops, eines Moduls oder die Einleitung eines Handbuches zur Kompetenzerweiterung spricht den selbstunternehmerischen Bildungsinvestor an. Er erkennt das Ziel und kann entscheiden, ob das erwartete Ergebnis fr ihn gewinnbringend ist. Meist wird ein mechanistischer Konsekutivzusammenhang im Horizont einer Input-Output-Rationalitt konstruiert, verstrkt durch die mitgedachte oder ausgesprochene Negativvision: „Wer sich am Geschriebenen orientiert, um zu sprechen, wird selten verstanden. Abgelesen, blutleer und wenig packend erleben Hçrer solche Reden“.125
Statt Blutleere verheißt „Fçrderung personaler Kompetenz“ Befhigung und Bewltigung der problematischen, unbefriedigenden und unangenehmen Situation und verspricht ein erfolgreiches Investment: „Durch strukturierten Erfahrungsaustausch, konzeptionelle Inputs und kreative Methodik entdecken Fhrungskrfte ihre Ressourcen“.126
Immer wird implizit oder explizit davon ausgegangen, dass Situationen durch den Akteur intentional beeinflussbar, vernderbar und steuerbar sind. Vorausgesetzt, man verfgt ber das entsprechende Wissen, die richtige Technik, das adquate Handwerkszeug – im Umgang mit sich selbst. 124 Kabel (2002), 238ff; Spine als engl. Begriff fr Wirbelsule/Rckgrat. Spine meint hier das persçnliche Leitbild im liturgischen Handeln. 125 Ankndigung von Fortbildungsmaßnahmen im Deutschen Pfarrerblatt: Termine aus dem Burckhardthaus: „Frs Hçren Schreiben“, DTPF 2005, 160. 126 Termine aus dem Burckhardthaus: „Sich als Fhrungskraft positionieren, profilieren, prsentieren“, DTPF 2005, 160.
7.2. Spezialdiskurs: Sich Qualifizieren
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Willkommen im Club – mçglichst umfassende Information durch Experten „An dieser Stelle besteht eine große Scheu fr Theologen und Theologinnen. Sie glauben, es sei eine Hybris, sich mit sich selbst zu beschftigen. Es sei nur wichtig, sich mit der Gemeinde zu beschftigen. Fr mich als Knstler ist es unverzichtbar und hat oberste Prioritt, mich mit meiner Rolle zu beschftigen. Und das gilt auch fr die Rolle als Liturg oder Liturgin“ (Kabel 2002, 239).
Die Einholung wissenschaftlicher oder systemfremder Expertise gehçrt zur gouvernementalen Regierungskunst in der Akkumulation von Wissen. Neben der Einbeziehung publizierten Fachwissens ist die Expertise in kirchlichen Aus- und Fortbildungsseminaren und Konventen in beobachtbar zunehmendem Maße „kçrperlich anwesend“ und hat ihren Preis. „Wenn nicht, wrden Vikare und Vikarinnen dies einfordern, denn deren Aufgeschlossenheit fr kybernetische und konzeptionelle Fragestellungen sowie fr professionelle Arbeits- und Broorganisation ist groß, sicher grçßer als dies in frheren Jahrzehnten der Fall war. Sie lassen sich dies brigens etwas kosten und laden immer wieder, auch auf eigene Rechnung, kompetente Fachleute fr zustzliche Veranstaltungen in die Kursgruppe ein“ (Seifert 1997, 189 f ).
Erst der direkte, persçnliche Kontakt scheint zu garantieren, dass das Expertenwissen unverflscht und ungemindert bermittelt wird. Die Praktiken bedienen das interdiskursive Tableau der Kompetenzanforderungen um die Zukunft der Kirche in umfassender Weise: Schauspieler, Sprecherzieher, Stimmbildner, Schriftsteller, Betriebswirte, Organisationsberater, Personaltrainer, Journalisten, PR-Manager, Psychologen, Fundraiser, Web- und Kostmdesigner, Mçnche, Exerzitien- und Zenmeister stehen zur Verfgung und dies nicht mehr nur als Referenten, sondern als Trainer, Berater, Coach und Anleiter.127 Nicht mehr rezeptives Hçren, sondern Ausprobieren, Experimentieren, Testen, Sich einlassen, Eseinfach-machen ist in zeitçkonomischer und ergebnisorientierter Rationalitt gefragt, denn nur so kann sofort ermessen und beurteilt werden, ob und wie das Wissen persçnlich anwendbar ist, und nur so kann neues Wissen als persçnliche Ressource implementiert werden, ist es verfgbar und abrufbar. Foucaults Differenzierung der alten und neuen Pastoralmacht aufnehmend, kçnnte davon gesprochen werden, dass die (neuen neoliberalen) 127 So in den kirchlichen Fortbildungsprogrammen und Ausbildungsprogramme der Predigerseminare nachzuvollziehen.
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Hirten die (alten pastoralen) Hirten beraten und bilden. Dabei stehen auch die neuen Hirten, die Experten, wie die alten Hirten in der Beweisnot, ihr Wissen als maßgebliches und entscheidendes Wissen an- und einzubringen. Auch sie sind angewiesen darauf, sich dem Klienten, dem Kursteilnehmer als ihrem Kunden zu nhern. So wird die eigene Professionalitt ber den Ausweis des zahlenmßig belegbaren Erfolges hervorgehoben, „Ich war zuletzt 35 bis 40 Wochen im Jahr unterwegs und habe im Ganzen ber 8000 Leute gecoacht“ (Kabel 2002, 17)128,
die Expertise dadurch gesttzt, dass die Beurteilung pastoralen Handelns noch als aus „persçnlicher Kundenperspektive“ eingefangen wird („Ich als Kirchenmitglied will Ihnen eine Beobachtung zur Verfgung stellen, die ich gemacht habe „), oder man das durch eigene Erfahrung bewhrte Wissen als vertrauenswrdiges Angebot prsentiert. „Ja, ich weiß, das gehçrt zu den Dingen, die nicht beweisbar sind, aber Sie kçnnen es mir glauben, Kommunikation funktioniert nun mal so!“ (MllerWeißner 2003, 161).
Vor allem aber sind es Analogieschlsse und zugleich der Mehrwert an Wissen, die den Experten als kompetenten Berater und Coach kennzeichnen. Er kennt die persçnliche Disponiertheit des Kunden und seine Problematik („an dieser Stelle besteht eine große Scheu“) und zugleich – im Unterscheid zu ihm – deren Lçsung. So weiß der Unternehmensberater von der berwindung der Krise seines Unternehmens zu berichten und verrt, wie es gelungen ist, aus der Talsohle herauszukommen. Der ffentlichkeitsexperte vermag anschaulich darzustellen, wie er schon anderen Non-for-Profit-Unternehmen zu mehr Medienwirksamkeit verholfen hat. Der Schauspieler kennt es, seine der persçnlichen Stimmung sich widersetzende Rolle berzeugend darstellen zu mssen, und weiß Rat, wie damit umzugehen ist. „Willkommen im Club“129 ist Kennzeichen und Programm der Wissenscommunity, die ber Vorbilder und Best-Practice-Anschauung die eigene Expertise erweiternd sich fortwhrend Anteil gibt an dem sich stndig akkumulierenden Wissensfluss. So ist der Experte zugleich der, der 128 So werben beispielsweise auch Hesse/Schrader (2007), 240 f fr ihr AssessmentProgramm mit der entsprechenden Referenz durch den kirchlichen Akteur: „Auch die Kirche glaubt an die Kraft des Assessment Centers“. 129 „Willkommen im Club“ ist Zitat eines Journalisten auf dem Theologischen Forum der Landeskirche Hannovers 2006 gegenber den anwesenden kirchlichen Ausund Weiterbildnern im Hinblick auf marktgerechtes Verhalten. – Zur organisationstheoretischen Anbindung, zu intersystemischen Organisationen und zur Multireferentialitt – Junge (2005); Bode/Brose (2001); Bora (2001).
7.2. Spezialdiskurs: Sich Qualifizieren
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angewiesen ist auf die Expertise des anderen, und der Kunde kann zum Experten des Experten werden, der die Zusammenarbeit wiederum mit persçnlichem Lerngewinn bilanziert. „Ich habe in all dieser Zeit sehr viel fr mich persçnlich gelernt in spiritueller sowie auch in sozialer Hinsicht“ (Kabel 2002, 24).
(Angeleitete) Introspektion „Nun schließen Sie die Augen und gehen Sie nach innen. Stellen Sie sich diese Frage: ,Was will ich als Liturg oder Liturgin im Gottesdienst erleben und erfahren?‘ Und lassen Sie eine Antwort aus Ihrem Inneren kommen. Das ist wichtig: Geben Sie keine Antworten, sondern lassen Sie Antworten kommen (…). Fangen Sie keine innere Diskussion an (…). Treffen Sie keine theologische Vorauswahl. (…) Je lnger Sie dabei bleiben, umso tiefere Schichten werden Sie erreichen, umso mehr werden auch der Theologe und der Zensor in den Hintergrund treten“ (Kabel 2002, 240).
Wer sich verndern will im Hinblick auf Erschließung neuer Handlungsoptionen, der wird aufgefordert, sich zu bewegen. Das Diktat der Mobilisierung und Flexibilisierung gilt auch, wenn es heißt, „nach innen“ zu gehen. Whrend Exkursionen, Expeditionen und Experten das gesellschaftlich angereicherte, dem Subjekt noch fremde Wissen als Aneignung ermçglichen, bieten Inkursionen die berschreitung anderer Art: Das speziell dem Individuum unbewusste oder verborgene Wissen kann so erschlossen und ans Tageslicht geholt werden. Den „großen Bereich des Unbewussten“ durch „ein endlos weites Tableau an inneren Persçnlichkeitsanteilen“ (Mller-Weißner 2003,63) zu erforschen, helfen geleitete Fhrungen durch Fragen zur Selbsteinschtzung oder Selbsteinordnung: Welcher Lerntyp bin ich? Wie reagiere ich in Konfliktsituationen? Bin ich die richtige fr diese Aufgabe? Diesen Fragen kann je nachdem, wie genau und differenziert das Ergebnis sein soll, auch mithilfe eines mehrseitigen Fragebogens nachgegangen werden. Weil die Vorstellung ist, dass der Mensch selten rational handelt, ist es umso wichtiger, die eigene Irrationalitt zu ergrnden. Das „Unbewusste“ wird zur interessanten Zielgrçße dieser Art der Bearbeitung seiner selbst130. 130 Vgl. Frankenberger (2007). Die Pdagogin Meyer-Drawe (2008, 73) ber die „neuronale Maschine“ Mensch und in Bezug auf Richard Sennet, Der flexible Mensch: „Gerade die Unlesbarkeit seiner selbst und seiner Gesellschaft stachelt die Suche des flexiblen Menschen nach dem Selbst an, das dadurch zu einer universalen Sprachzauberformel wird. Je mehr es an realer Bedeutung gewinnt, umso mehr soll ich mich danach sehnen und in die Suche nach ihm investieren“.
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7. Sich als leitendes individuelles Subjekt herstellen
Eine methodische und den Prozess fçrdernde Komponente besteht darin, gezielt den Kçrper zu Hilfe zu nehmen und eine bestimmte Haltung einzunehmen – „schließen Sie die Augen, achten Sie auf Ihren Atem“ – oder in der Bewegung sich innerlich bewegen zu lassen, im Work-LifeBalance-Kurs oder Planungsworkshop zum Jahr 2030 tanzend die „inneren Bilder kommen zu lassen“, oder in einem im Modul fest terminierten Spaziergang darauf zu warten, dass der „Einfall“ die Lçsung der zu bearbeitenden Konfliktsituation freilegt. Eine Art jungfrulicher Wissenszustand soll imaginiert werden durch willentliche Einwirkung auf das Denken. „Vergessen Sie alles, was um Sie herum ist…“ oder: „Ich sage es ungern! Aber die Bibelstellen, Assoziationen und Sprachbilder zu Kirche, die Ihnen dabei in den Sinn kommen, die mssen Sie auf den folgenden Seiten einfach mal etwas weiter nach hinten in Ihrem Bewusstsein sortieren“ (Mller-Weissner 2003, 198).
Zeitliche, rumliche oder bewusste Begrenztheiten kçnnen im wçrtlichen Sinne transzendiert werden, hinter sich gelassen oder an die Seite gestellt werden. Was so bislang als wahr, richtig oder maßgeblich angenommen wurde, macht nun als stçrend und hinderlich entlarvt neuen Erkenntnissen Raum. Die Techniken der Introspektion, wie sie schon in Teil 2, Kapitel 3 zur Leitbildentwicklung beschrieben wurden, sind nicht selten begleitet von Vokabeln wie Inspiration, Eingebung, Vision. Der Glaube an die schçpferischen Potenziale des Individuums gert als „Kreativittsregierung“ zur „Zivilreligion des unternehmerischen Selbst“ (Brçckling 2007, 152). Hier wie auch schon bei den Selbstbearbeitungstechniken des kollektiven Selbst haben die diskursiven Praktiken des organisationalen Diskurses eine hohe Affinitt zu denen des religiçsen Diskurses. Aus analytischer Perspektive lsst sich hier eine Art diskursive Hybridisierung ausmachen, oder anders gesagt eine Doppelcodierung alter und neuer Pastoralmacht, wie sie auch schon in den Bekenntnisbildungen der Leitbildpapiere begegnet ist. Dafr beispielhaft im Zusammenhang der Praktiken der individuellen Selbstbearbeitung ist die Rolle, die den „Exerzitien“ zukommt. Exkurs: Exerzitien Im allgemeinen Diskurs werden Ignatius von Loyola, Bernhard von Clairvaux oder Benedikt von Nursia innerhalb der Ratgeberliteratur fr diese Gattung gegenwrtiger Selbsttechnologien der introspizierten Selbster-
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forschung vielfach als Paten aufgerufen131. Zugleich ist ein zunehmendes Interesse an Exerzitien auszumachen. Sie sind nicht nur im katholischen Bereich anzutreffen, sondern auch in Fortbildungsmaßnahmen fr Manager und andere Fhrungskrfte. Im speziellen Diskurs, im Pfarrerblatt, werden Klosterretraiten im Allgemeinen und Exerzitien im Speziellen nun interessant, nicht weil sie als Frçmmigkeitspraktiken Teil des eigenen kirchlichen Wissensbestandes wren, sondern weil sie im Sinne eines Zeitund Selbstmanagements Anregungen versprechen. „Kçnnen auch Pfarrerinnen etwas von einem mittelalterlichen seelsorgerlichen Ratschlag lernen, der fr Manager und Mangerinnen hilfreich zu sein scheint?“ (Hofmann 2005, 405).
So bewirbt ein Pfarrer im Zusammenhang mit Burn-Out-Prophylaxe den Ratschlag des Bernard von Clairvaux „Gçnne dich dir selbst“. Der Umstand, dass Exerzitien zum kirchlichen Wissensbestand gehçren, erleichtert deren evangelische Adaption. Nach einer entsprechenden Fortbildung im katholischen Bereich generieren „Exerzitien im Alltag“ zur „evangelischen Entdeckung“ (Rabus 2001, 597) und mit der Aufnahme in landeskirchliche Aus- und Fortbildungsprogramme (Urach 2001, 550) zu Formen evangelischer Spiritualitt. Der kirchliche, vorreformatorische oder vergessene (Zimmerling 2001) Wissensbestand bezglich dieser Techniken wird ber den allgemeinen Diskurs (Managementfortbildungen) aktiviert und stimuliert, er wird wiederentdeckt, man erinnert sich der verschtteten Traditionen. So tauchen im Pfarrerblatt Erfahrungsberichte von Exerzitientagen auf. Der Erfahrungsbericht ist als Gattung eine bewhrte Form, andere an durchreiftem Wissen teilhaben zu lassen, und markiert die Expertise als eine durch das eigene Erleben qualifizierte. „Der Morgen beginnt mit Wahrnehmungsbungen in der Natur, fr den eigenen Leib, besonders des Atems. Das ben der Wahrnehmung ist der Schlssel fr die Exerzitientage. Wahrnehmen, was ist, bedeutet, auf das Nachdenken, das Zurckerinnern und das Plneschmieden zu verzichten. Wer in der Wahrnehmung ist, befindet sich im „Hier und Jetzt“, ist ganz in der Gegenwart. Dort gilt die Verheißung des Gegenwrtigen: ,KOMMT UND SEHT! (Joh 1,39)’ (Herzfeld 2005, 22)132.
Die Erfahrungsberichte und deren Beschreibungen der einzelnen bungseinheiten lesen sich in der vertrauten Geste vieler gegenwrtiger 131 Duttweiler (2007a), Opitz (2004), Brinkmann (2008). 132 Bericht von Schweigeexerzitien eines Badischen Pfarrkollegs.
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Anleitungen zur Selbsttechnologie, oder vice versa lassen die aktuellen Techniken ihre Verwandtschaft mit den alten erkennen. Eine klare Struktur (Tagzeiten) verhilft, sich selbst kçrperlich und mental zu bearbeiten mit dem Ziel leer, offen, bereit, gegenwrtig zu sein fr das Nichtverfgbare und nicht zu Erschließende. Die „Evangelische Entdeckung“, wie der fr Exerzitien werbende Beitrag von Hans-Frieder Rabus berschrieben ist, „Ignatius redet davon, die Seele fr den Empfang des gçttlichen Willens bereit zu machen, zu ,disponieren‘“ (Rabus 2001, 597)133,
ist daher auch, so die im Folgenden explizierte These, dass sich mit Exerzitien eine kirchlich kohrente Technikform findet, dem Responsibilisierungsappell nun auch in die Problemzone „unhintergehbarer Kontingenz“ (Brçckling 2007) zu folgen. Dabei bleibt die Anleihe beim katholischen Konkurrenten zunchst prekr „Evangelischer Spiritualitt ist dies werkeverdchtig“,
und die Rechtfertigungslehre, die hier als Kennzeichen des Protestantismus eingefhrt ist, stellt sich zunchst als Hindernis dar. Andererseits, so fragt sich Rabus, scheint es ein Element der eigenen „religiçsen Kultur des Protestantismus“ zu sein, trotz „aller gepredigten und geglaubten Rechtfertigungslehre“ (Rabus 2001, 598) „unbewusst“ auf die eigene Leistungsbereitschaft zu setzen. In der Attitde des Fragenden wird der Gedanke aufgerufen, „Doch setzen wir nicht stillschweigend voraus, dass der menschliche Geist „disponiert“ genug sei, das Gottesgeheimnis aufzunehmen, es in Satzwahrheiten sprachlich auszudrcken und in Taten der Liebe umzusetzen?“ (Rabus 2001, 599),
dass es ein Nicht-Genug an persçnlicher Disponiertheit geben kçnnte und das individuelle Handlungspotential noch ausgeschçpft und weiterentwickelt werden kann. Die Erfahrung wird zur Expertise der Problemlçsung, wenn erstaunt die Erkenntnis weitergegeben wird:
133 Ebd.: „Eine Kultur des Innehaltens also, des geistlichen Wartens, das Platz nimmt zwischen dem Hçren und dem daraus resultierenden Tun. Warten kann man nicht einfach, das muss man ben. Ignatius von Loyola ordnet die Erfahrung seiner eigenen geistlichen Suche zu einer Sammlung von sinnvollen Anleitungen zum betrachtenden Beten. Fr den ehemaligen Offizier ist die Notwendigkeit des bens im Hinblick auf die Seele genauso plausibel wie fr den Leib“.
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„Und lerne ich ausgerechnet bei einem Ignatius von Loyola, wie man das ,praktizieren‘ kann, sich auf das rechtfertigende Fundament der Liebe Gottes so einzulassen, dass sich Gottesbilder und Gottesgedanken verflssigen zu einer im Alltag gegenwrtigen Gottesbeziehung?“ (Rabus 2001, 598).
Auch wenn die Frageform im Text indiziert, dass es sich hier um ein theologisch sensibles Feld zu handeln scheint und um Zustimmung mehr geworben werden muss, als dass sie vorausgesetzt werden kann, so ist die Botschaft doch unverkennbar, dass Exerzitien auch und gerade fr den Protestanten etwas leisten, was „wiederentdeckt“ werden sollte und was ohne sie nicht mçglich zu sein scheint. Sie verhelfen der Person dazu, sich auf diese Weise erst auf das „rechtfertigende Fundament“ ein- und von sich selbst abzulassen, so die Rechtfertigungslehre zu „praktizieren“ und dies darber hinaus mit dem Ergebnis, mit einer im Alltag gegenwrtigen Gottesbeziehung rechnen zu drfen. Exerzitien verhelfen, so ließe sich berspitzt formulieren, dem Protestanten erst zu sich selbst, indem er an seine Anfnge, die Gottesbeziehung, zurckkehrt. So wie fr andere berufliche Felder Selbstbearbeitungsformen empfohlen werden, wenn es darum geht, sich kommunikativ zu çffnen und auf das in der Situation Unerwartete vorzubereiten – Es empfiehlt sich „immer ein anstehendes Gesprch im Geist oder durch Anfertigen einiger Notizen vorzubereiten“ (Mller-Weißner, 158) oder sich mit Hilfe von ber 40 Fragen in eine „richtige Haltung“ zu bringen: Ist es der richtige Ort fr ein Gesprch? Bietet er ausreichend Sitzmçglichkeiten? Wie ist meine Einstellung zum/zur Gesprchspartner/in? Mçgen sie ihn/sie? Fhlen Sie sich ber- oder unterlegen? (ebd., 159 f ),
so gibt es nun auch hier ein bewhrtes zur Selbstfhrung anleitendes Wissen zu finden, sich auf den Empfang von Gottes Wort oder die Gottesbegegnung vorzubereiten. „Es geht fr den Anleitenden wie fr den im wartenden Gebet sich benden darum, ,unmittelbar den Schçpfer mit dem Geschçpf wirken zu lassen und das Geschçpf mit seinem Schçpfer und Herrn.‘ Insofern ist betrachtendes Beten Vor-bung. Mit Ignatius gesprochen: ein Sich-Disponieren dafr, dass das in der Bibel begegnende Wort Gottes im Menschen, der sich ihm mit liebevoller Aufmerksamkeit widmet, zu arbeiten beginnt und ihn verndert“ (Rabus 2001, 597).
Exerzitien gestatten dem vom Responsibilisierungsappell getroffenen Pfarrer, in die Zone der „unterhintergehbaren Kontingenz“ zu folgen, und also in den Bereich, der als nicht bearbeitbar und doch zugleich fr die Berufsausbung als konstitutiv gilt.
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„Wenn ich nicht mehr hçrend und schweigend mich, mein ,Herz’ von Gottes Wort anrhren lassen kann, dann verschließe ich mich leicht auch menschlicher Worte. Wenn ich nicht mehr Seelsorge an mir erleben kann, dann kann es zunehmend mhsam werden, anderen als Seelsorger/in beizustehen. Wenn ich Gottes heilendes Handeln an mir selbst nicht mehr erfahren kann, werde ich anflliger, selbst alles Leid der Welt aus eigener Kraft heilen zu wollen“ (Herzfeld 2005, 22).
Exerzitien „kçnnen und wollen nichts erzwingen“ (ebd.) und deshalb sind sie die kongeniale Form der professionellen pastoralen Selbstfhrung im Blick auf die Steigerung geistlicher Fhigkeiten. Sie stellen die fr die Berufsausbung als notwendig vorausgesetzte Gottesbeziehung und Gottesbegegnung durch die vorbereitende Selbstzurichtung in Aussicht. Der Weg zur Ansteuerung des nie erreichbaren, weil nicht zweifelsfrei messbaren „genug“ ist geebnet, und zwar als Praxis einer zielfhrenden Selbstbearbeitung, der „Vertiefung des eigenen geistlichen Lebens“. Die Doppelcodierung von neuer und alter Pastoralmacht ermçglicht die doppelte Etablierung dieser Selbstbearbeitungsform, sie garantiert den Anschluss an den allgemeinen Diskurs und zugleich die Subjektkohrenz, weil es sich um kirchliche Techniken handelt. Wer sich spirituell und geistlich weiterentwickeln will, seiner Sehnsucht nach persçnlicher Gotteserfahrung nachgehen will, muss allerdings auch Risiken eingehen und Sicherheiten hinter sich lassen wollen. Er muss sich entscheiden, welche Form der Selbstbearbeitung die ist, die den richtigen Gewinn verspricht. Wer sich der Imagination und dem inneren Dialog im Beten aussetzt, tut dies mit dem „Risiko“, einer „selbstgemachten Mystifizierung“ (Rabus 2001, 599) zu erliegen, und muss sich zugleich fragen: „Und was verliere ich spirituell, wenn ich dieses Risiko nicht eingehe, sondern den Sicherheiten der historischen Bibelkritik erlaube, den Horizont meines Betrachtens zu bestimmen?“ (ebd., 599).
Es regiert das Risiko, ob „selbstgemachte Mystifizierung“ oder spiritueller Verlust, nmlich sich teleologisch und theologisch mçglicherweise falsch zu entscheiden und so oder so die professionelle Bestimmung zu verfehlen. In jedem Fall ist die persçnliche Entscheidung gefragt. Der ber und mit Exerzitien sich selbst weiterentwickelnde Pfarrer bedient auf paradoxe Weise zwei Logiken. Zum einen erschließt er in çkonomischer Rationalitt verantwortungsvoll seine persçnlichen spirituellen, und in diesem Fall sind das auch die professionellen Ressourcen, und zum anderen verhilft er der Logik des theologischen Nichtmachbar-
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keitseinwandes zur Geltung, denn gelernt wird, gerade nichts zu tun, nichts zu produzieren, zu organisieren, nichts leiten und erreichen zu mssen. Pfarrer fhlen in dem kircheneigenen Exerzitienangebot denn auch ihren „Glauben als Ressource“ ernst genommen (Grtner 2004, 288), sie wissen dieses als „qualifizierte Form der Personalpflege“ (Herzfeld 2005, 22) zu wrdigen, sie empfehlen Exerzitien als „Burn-out-Prophylaxe“ oder als „Selbstfrsorge“ (ebd.) und verweisen auf den funktionalen Zusammenhang zur beruflichen Ttigkeit. „Ich brauche wieder meine eigene geistliche Strkung, sonst werden meine Worte in der Gemeinde hohl“ (Herzfeld 2005, 21 f ).
Durch die teleologische Bindung an den beruflichen Effekt erweist sich die Ausbung von Exerzitien als Ausdrucksform selbstunternehmerischer Verantwortungslogik. Auch Exerzitien oder geistliche bungen katholisch-monastischer oder evangelisch-pietistischer oder mystischer Herkunft sind daher nicht frei von dem Verdacht, in das „Ethos der Produktivitt eingeschrieben“ (Brçckling 2007, 178) zu sein. Was fr Kreativittsfçrderung gilt, kann auch fr Spiritualittsfçrderung gelten, auch und vor allem in einem spirituell-professionellen Kontext: „Um zu verwertbaren Lçsungen zu gelangen, stellt sie Freirume bereit, in denen der Verwertungsdruck temporr suspendiert ist; um die Leistungen zu steigern, setzt sie die Leistungsnormen vorbergehend außer Kraft“ (Brçckling 2007, 178).
Dies gilt in noch viel strkerem Maße fr den Pfarrer, der auch hier noch einmal eine paradoxe Steigerung des Selbstunternehmers darstellt, weil er unter dem Diktat des Glaubwrdigkeitserweises den Verwertungsdruck suspendieren muss, um die Leistung steigern zu kçnnen.134 So finden auch 134 Leistung heißt in diesem Zusammenhang, grçßtmçgliche bereinstimmung von Glauben und Verhalten darzustellen und/oder wirksam zu machen, und wer meint, dies nicht zu kçnnen, zielt zumindest die grçßtmçgliche Minimierung der Widersprchlichkeit an: „Der religiçse Beruf will im Namen einer hçheren Macht auf das Leben anderer Menschen Einfluss ausben. Deshalb mssen die, die diesen Beruf praktizieren, in ihrem Leben von dieser hçheren Macht selber durchdrungen sein. Dabei geht es nicht nur um die bereinstimmung zwischen Lehre und Leben, wie es die theologische Tradition gern formuliert. Es geht auch nicht nur um die Beglaubigung des Redens durch das Handeln, wie eine pietistische Forderung lautet. Und es geht auch nicht nur um die Darstellung der christlichen Ideale, Werte und Normen, wie der Neuprotestantismus dem Amtstrger abverlangt. Heiligung als Lebensgestaltung aus der Kraft des Heiligen ist deswegen unverzichtbar, weil in der Wirkungskraft auf den Lebensvollzug der Wirklichkeitsgehalt
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Exerzitien als Dispositive der Selbstfhrung ihren eigenen neuen Ort im pfarramtlichen Alltag „Wie geht es nun weiter nach diesen Tagen? (…) Einige Teilnehmende versuchen, der Stille im Alltglichen (wieder) einen festen Platz einzurumen. Andere suchen kontinuierliche Geistliche Begleitung. Andere planen Exerzitien in der eigenen Jahresplanung mit ein“ (Herzfeld 2005, 22).
und in Aus- und Fortbildungszusammenhngen als Schnittstelle von organisationaler Fremdfhrung zur Selbstfhrung. „Das Kollegium des Ev. Oberkirchenrates wnscht ausdrcklich, dass Exerzitien jhrlich als Pfarrkolleg im Fort- und Weiterbildungsprogramm angeboten werden“ (Herzfeld 2005, 22).
Sammeln und fokussieren „Dann çffnen Sie die Augen und schreiben ein Stichwort oder einen Satz auf (…). Ziel dieses bungsschrittes ist, so viel wie mçglich zu sammeln. Dann machen Sie eine Priorittenliste. Von Punkt 1 bis Punkt 5. Whlen Sie aus, was in diesem Moment fr Sie das Wichtigste ist“ (Kabel 2002, 241 f ).
Diese Aufforderung wird im Handbuch illustriert mit der Anleitung zu einer Mind-Map, als einer Technik, den Phantasiefluss zu steuern und zu ordnen. Sie markiert mit dem Ende der einen und dem Beginn der neuen Phase die disziplinierende Funktion des Prozesses, an dessen Ende ein Ergebnis stehen soll. Es kommt darauf an zu entscheiden, zu fokussieren und die Optionenvielfalt zu reduzieren. Genauer gesagt: Es kommt auf die Person an, und der Superlativ kndet von der Dringlichkeit der Entscheidung. Hier wiederholt sich auf der Ebene der Person der Prozess des Fokussierens. Es wird der Spine, das Kerngeschft, die Rolle festgelegt: Priorisierung als Objektivierung von konkurrierenden Wertigkeiten. Prozesse des Zeitmanagements offerieren nach der Sammlungsphase („Welche Aufgaben liegen an?“) eine Palette von weiteren Methoden zur Priorisierung, z. B. die Unterscheidung von Dringlichkeit und Wichtigkeit, der Zusammenhang von kçrperlicher Disponiertheit und Arbeitseffizienz. Die Arbeit an personaler Kompetenz, Herstellung von Glaubwrdigkeit und Vertrauen, verweist auf die Erforschung der Innerlichkeit. Zwar helfen der Lebensmacht zu erfahren ist. Das heilige Leben wird total berfordert, wenn man davon einen praktischen Gottesbeweis erwartet. Aber ohne die Kraft zur Lebensgestaltung bleibt die Rede von der Inkarnation des Heiligen reine Behauptung, in der das praktizierte Verhalten das gesprochene Wort permanent widerlegt. In der Heiligung des Lebens kann die Lebendigkeit Gottes leibhaftig erfahren werden“ (Josuttis 1996, 153 f ).
7.2. Spezialdiskurs: Sich Qualifizieren
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Persçnlichkeitstypologien135 fr Leitungs-, Kommunikations-, Darstellungs-, Arbeitsverhalten die Positionierung zu erleichtern und zu objektivieren, doch entlasten sie nicht von der Verantwortung, sich mit der nun neu gewonnenen Selbsterkenntnis auf eine erneute Ebene der Priorisierung zu begeben, und Strken noch besser strken und Schwchen noch besser schwchen zu kçnnen. Die Befreiung und der Zwang zur Subjektivierungsform der Profilbildung sind unhintergehbar. Man muss sein, was man darstellen will (Brçckling 2000, 160), und die entlastende Bemerkung, „Die Auswahl, die Sie jetzt treffen, ist keine Entscheidung frs Leben“ (Kabel 2002, 241),
beschwçrt zugleich das Verhngnis, sich immer neu erforschen zu mssen. Externalisierte Introspektion: Der Andere „Nun kommt Ihr Partner, Ihre Partnerin ins Spiel. Sie sitzen einander gegenber und einigen sich, wer Person A und wer Person B ist. Dann tauschen Sie Ihre Unterlagen aus. (…) Die Grundabsicht des folgenden Gesprches ist es, Person B darin zu untersttzen, dass sie ihre Antworten durcharbeiten, vertiefen und klren kann. (…) Person A liest dazu eine Antwort von Person B vor (…) und fragt Person B: ,Was steht dahinter? Was ist der Grund, dass du diese Antwort aufgeschrieben hast?’ Person B hat nun die Mçglichkeit, ihre Antwort zu begrnden oder etwas von den Erfahrungen und Wnschen zu erzhlen, die mit dieser Antwort zusammenhngen. (…) Fr jede Antwort haben Sie etwa 2 12 Minuten Zeit zur Verfgung, im Ganzen also 12 bis 15 Minuten. Nach dem Durchgehen der 5 Antworten wechseln die Partner ihre Aufgaben. (…) Die Fragen des Partners sollten hilfreich und klrend sein. Er sollte berwiegend zuhçren und nicht kommentieren oder von sich erzhlen“ (Kabel 2002, 242).
Der Weg zur persçnlichen Kompetenz – selbstunternehmerisch gedacht zum persçnlichen Alleinstellungsmerkmal – fhrt ber generalisierte Techniken und standardisierte Verfahren: personal unspezifiziert („A und B“) und zeitlich befristet („12 bis 15 Minuten“). „Nicht auf ein genormtes Ideal von Persçnlichkeitsmerkmalen, sondern auf die Norm der Individualitt sind die Selbstmanagementprogramme geeicht“ (Brçckling 2000, 157). Die Paradoxie findet eine Fortsetzung in der Anlage der Verfahren, dass zur selbstbestimmten Selbstformung die feste Koordinate „des Anderen“ gehçrt, der als Partner, Kollege, als Berater, als Coach oder Trainer sich unter Absehung seiner selbst in den Dienst der Person des Anderen 135 So z. B. Enneagramm, DISG-Persçnlichkeitsprofil, Myers-Briggs-Typenindiaktor oder Archteypen.
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stellt136 – eine ambivalente Konstruktion, die Selbstbestimmung ermçglicht und zugleich negiert137. Die Spielarten dieser Begleitung sind vielfltig und von unterschiedlicher Komplexitt. Dass sich nach Foucault Formen der Pastoralmacht in neoliberalen Techniken der Selbstfhrung in gouvernementaler Ableitung wiederfinden, fllt bei dem oben genannten Beispiel nicht schwer nachzuvollziehen, denn die introspizierende Befragung und das vor dem Ohr des Anderen externalisierte Bekenntnis sind der Beichtpraxis vertraute Muster der Fhrung der Selbstfhrung. Aber anders als in der Beziehung von „Hirt und Schaf“ wird ein Kontrakt geschlossen, der das Subjekt als ein freiheitliches und autonomes und die Inanspruchnahme des Anderen als eine temporre kennzeichnet. Der „homo contractualis“ (Teil 2, Kapitel 3.2.4.) macht auch bei der kirchlichen Form der individuellen Selbst-Zurichtung nicht halt. Das interdiskursive Feld der Praktiken erçffnet den Blick auf unterschiedliche Favorisierungen in der Wahl „neoliberaler Hirten“ als Kontraktpartner und ihres speziellen Expertenwissens. Es wird ein Kontrakt mit dem geistlichen Begleiter oder Spiritual katholischer oder evangelischer Provenienz geschlossen, den ausgewhlt und an den sich gebunden zu haben, „um auf vereinbarte und regelmßige Weise ber eigenes Beten und eigene Unfhigkeit und Unwilligkeit zum Gebet zu reden“, eine „befreiende Erfahrung“ ist (Rabus 2001, 597). Daneben oder stattdessen gibt es den Kontrakt mit dem Supervisor, Psychologen, Coach oder Berater. Freiberuflich oder institutionell gebunden deckt er den „kontinuierlich steigenden Bedarf“ unter Pfarrern ab. „Mçgliche Selbsttuschungen“ kçnnen mit seiner Hilfe durchschaut, und die „Bedeutung der emotionalen oder Beziehungsdimension in allem Verhalten“ kann erlebt werden (Klessmann 2000, 367). Kooperationsprobleme, Konkurrenz mit Kollegen und Kolleginnen und anderen Mitarbeitenden, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Organisationsberatung, Entwicklung von Leitungskompetenz, Zeitmanagement und Qualittssicherung in der Arbeit, Fragen nach beruflicher Zukunft und Auseinandersetzung mit Spiritualitt – die Bearbeitungsfelder schei-
136 Duttweiler (2007), 53: „Das Individuum sieht sich mit einem unhintergehbaren Paradox konfrontiert: Individualitt ist sowohl das Problem als auch zugleich dessen einzig mçgliche Lçsung; Probleme mit der Individualitt kçnnen nur durch eine Steigerung der Reflexion und somit der Individualitt gelçst werden“. 137 Duttweiler (2004), 23.
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nen unbegrenzt – und fr all das wirbt Beratung in der Semantik selbstunternehmerischer Manier als „Lohnende Investition in schwieriger Zeit“ (Menke-Hille 2004, 248 f ).
Die Organisation empfiehlt und untersttzt die Wahrnehmung dieser Angebote finanziell und richtet darber hinaus Supervisionen und spirituelle oder geistliche Begleitung des Einzelnen neben den schon etablierten Gruppensupervisionen als verpflichtende Module, Angebote oder als permanente Begleitung in der Aus- und Fortbildung ein.138 Einer unter Beratung sich entwickelnden „persçnlichkeitsspezifischen Spiritualitt“139 kommt, so der Hinweis Klessmanns im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung von Spiritualitt, gerade dann besondere Aufmerksamkeit zu, wenn eine „Berufungsgewissheit“ bei der angehenden Pastorin nicht vorhanden ist und die Beratung dazu verhelfen kann, dass theologische Rationalitt und religiçse Emotionalitt „zu einer Synthese finden“ (Klessmann 2000, 368). Mit dem Begriff der Berufungsgewissheit wird eine neue Metapher in den psychologisch orientierten Diskurs eingebracht, die einen symmetrisierenden Effekt hat: Berufungsgewissheit (als die irrational verliehene Kompetenz) und persçnlichkeitsspezifische Spiritualitt (als die durch Beratung erworbene Kompetenz) finden sich als gleichwertiges Gegenber. Dass aber Berufungsgewissheit „in vielen Fllen als Basis nicht vorhanden ist“, lsst die Einrichtung einer kontinuierlichen Beratung als dringlich erscheinen. Die Verstetigung von Beratung, so Duttweiler (2004, 26), ist eine von der Beratungslogik selbstindizierte Konsequenz. „Indem Beratung Handlungsoptionen vervielfltigt und zugleich Bewertungen verweigert, bleiben Sinnunsicherheiten bestehen“ und evozieren einen weitergehenden Beratungsbedarf, zumal „einmal getroffene Dezisionen immer nur situativ verbindlich“ sind und die nchste zu bewltigende Lebenssituation wartet. „Selbstbestimmung ist Instrument und Effekt, Fluchtpunkt wie konstitutives und strukturierendes Formprinzip von Beratung. Doch sie entfaltet sich erst in und durch die Asymmetrie der Beratungskommunikation und vor dem Hintergrund vorgegebener Verfahren, generalisierter Techniken und objektivierender Deutungsmuster. Beratung erweist sich damit als durch und durch ambivalent: Wirksam wird sie durch die Gleichzeitigkeit von Selbstbestimmung und der Abhngigkeit von Experten(wissen). Sie verspricht Rat und 138 U. a. Kurhessen, Hannover, Bayern, Baden, Wrttemberg. 139 Klessmann bezieht sich hier auf das von Klaus Winkler entwickelte Konzept des „persçnlichkeitsspezifischen Credos“.
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Hilfe, die sie letztlich nicht bietet, und sie beruhigt, whrend sie zugleich verunsichert“ (Duttweiler 2004, 26).
Insofern bleibt, in der Zurckweisung auf das Subjekt, auch die durch Beratung erworbene Gewissheit hnlich der „Berufungsgewissheit“ der Kontingenz verhaftet, allerdings mit dem sich letztlich nicht aufzulçsenden Vorbehalt, selbst nicht genug getan und sein Humankapital als angehende Pastorin nicht genug entwickelt zu haben. Als Alternative zur Beratung und Begleitung durch ausgewiesene Experten bringt sich die protestantische Tradition der „Gemeinschaft der Ordinierten“ als „consolatio fratrum et sororum“ in Konventen und Pastoralkollegs zwar selbstbewusst und mit Blick auf die „evangelische Freiheit“ widerstndig ins Spiel: „Man braucht sie (die Spiritualitt, BK) persçnlich und man braucht sie gemeinschaftlich als eine evangelische Form dessen, was der katholische Spiritual mit seinen Kollegen einbt. Wenn wir gleich nach solchen Formen fragen, werden wir uns allerdings auf die gemeinschaftlichen beschrnken und die persçnlichen, wie es sich in evangelischer Freiheit gehçrt, dem Einzelnen zu ganz eigener Gestaltung freigeben“ (Maier-Frey 2004, 402).
Die protestantische Tradition kommt in ihrem weiteren Verlauf jedoch auch nicht aus ohne die Information zur Technik einer 50 mintigen nach einen bewhrten Schema entwickelten Kollegialen Beratung, in deren Zentrum wiederum der Fall eines Einzelnen steht. Die Fhrung der Selbstfhrung hngt nicht vorrangig an professionellen, leiblich einzeln oder gemeinschaftlich anwesenden oder publizierten Ratgebern140, sie vollzieht sich ber das technologisierte Wissen, und hier gilt, dass es A und B gibt und jeder dem anderen zum Experten der Selbstbearbeitung werden kann – offen, wertschtzend und nicht urteilend. Herausforderung: Selbstfokussierung als zukunftsfhiges Ergebnis „Nach Abschluss des gegenseitigen Austauschs nimmt jeder sein Konzept zurck und bekommt einen Moment Zeit, um einen Satz zu formulieren, der den persçnlichen Spine zum Ausdruck bringt. Ein Spine sollte so formuliert sein, dass er auch Dinge umfasst, die noch nicht verwirklicht sind, also auch Wnsche, Absichten, Ziele und Bedrfnisse. Wichtig ist, dass dieser Satz eine Herausforderung darstellt. (…) Ich hatte einen Vikar (…), der hat den Satz formuliert: ,Ich will, dass der Himmel aufgeht‘. Metaphern sind an dieser Stelle oft eine sehr gute, ntzliche Sache (…), nehmen Sie sich Zeit und formulieren Sie einen positiven klaren Satz. Bitte keine Negationen“ (Kabel 140 Siehe dazu Duttweiler (2007).
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2002, 242). „In Phasen der Schwche und der Desorientierung will ich einen schnellen Zugriff auf meinen Spine haben, um wieder in Prsenz und Lebendigkeit zurckzukommen“ (ebd., 243).
Fokussierungsprozesse mit ihren Phasen der internalisierten und externalisierten Selbsterforschung laufen auf das Ziel zu, die bisherige Arbeit zu einem zukunftsfhigen Ergebnis komprimierend sicher zu stellen. Es wird empfohlen das Ziel, eine Aufgabe, einen nchsten Handlungsschritt schriftlich zu fixieren – „kurz und knackig“. Ergebnis ist nur, was Herausforderung bleibt. Diese Art der Fokussierung gilt nicht nur fr den Auftritt im Gottesdienst (Kabel 2002) oder fr die Durchfhrung des Personalgesprches (Mller-Weißner 2003), sie gilt auch generell fr das persçnliche Berufsbild (Klessmann 2000). Im Zuge der Einrichtung einer studienbegleitenden Einzelberatung, in der die „verschiedenen Dimensionen der Motivation zum Theologiestudium“ bearbeitet werden kçnnen, empfehlen sich die durch die humanistische Psychologie informierten Beratungsverfahren als untersttzende Maßnahme zur Identitts- oder Persçnlichkeitsentwicklung (Klessmann 2000). Wer die Bedeutung des Pfarrers fr die Gesamtkirche behauptet, „Glaubwrdigkeit und Lebensdienlichkeit von Kirche wird am glaubwrdigen oder unglaubwrdigen Auftreten dieser Reprsentanten festgemacht. Wie immer man diese Entwicklung einschtzt, sie ist kaum rckgngig zu machen“ (ebd., 366),
und zugleich dem Theorem der multiplen Persçnlichkeit 141 folgt, bekommt ein Problem, das gelçst werden muss. Das Dilemma wird dokumentiert am Beispiel einer Theologiestudentin („Frau M.“): „Gelingt es der Studentin, einen inneren Dialog zwischen diesen unterschiedlichen Perspektiven zu fhren, indem sie beispielsweise die Krankenhauserfahrungen in ihren wissenschaftlichen Zugang zur Theologie mit einbringen kann oder indem sie die Skepsis ihres Freundes nachvollziehen und mit ihrer persçnlichen Frçmmigkeit ins Gesprch bringen kann – und auf diese Weise die verschiedenen Identittsperspektiven miteinander in Beziehung zu setzen; oder stehen sie unverbunden nebeneinander und Frau M. erscheint an unterschiedlichen Orten als jeweils eine andere?“ (Klessmann 2000, 368). 141 Die Vorstellung eines „pluralen Ichs“, die z. B. der „Inneren-Team-Methodik“ zugrunde liegt, und die Konjunktur des psychiatrischen Diskurses ber das Krankheitsbild der „multiplen Persçnlichkeit“ versucht Brçckling mit der Parallelitt der zugrunde liegenden Subjektkonzepte zu erklren (Brçckling 2007, 70).
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Es ist nur deshalb ein Dilemma, da „Glaubwrdigkeit“ – the person is the message – nicht anders vorstellbar scheint als in der Konstruktion einer Widersprche und Ambivalenzen integrierenden, synthetisierenden oder eliminierenden Persçnlichkeit. Auch hier gilt es, nach der Phase der Selbstbeobachtung zu analysieren, zu sondieren, zu fokussieren und sich zu profilieren. „Gelingt es ihr, in dieser Vielfalt der Identittsperspektiven so etwas wie ein eigenes, unverwechselbares Profil zu entwickeln?“ (Klessmann 2000, 369).
Mit dieser als einzig mçglich nahe gelegten Lçsung schreibt sich auch die pastoralpsychologische Beratung ein in die neoliberale Logik einer Subjektivierungspraxis der selbstunternehmerischen Persçnlichkeit, die sich um ihr Alleinstellungsmerkmal sorgen muss. Zwar wird konzidiert, dass sich diese Fragen „fr jeden Menschen“ stellen. “ (…) wenn wir jedoch davon ausgehen, dass im Pfarramt die Person das Handlungs- und Steuerungsinstrument der gesamten Berufsttigkeit bildet, dann gewinnen sie besonderes Gewicht“ (Klessmann 2000, 368).
Der Pfarrer als verantwortungsvoller Reprsentant seiner Kirche sieht sich aufgefordert, sich selbst als Instrument verobjektiviert zielgerichtet in punkto Glaubwrdigkeit zu entwickeln. Je mehr Wissen er ber sich generiert, desto besser und umso qualifizierter kann er seinen Beruf ausben.142 Entsprechend den unternehmerischen Leitbildprozessen wird ein persçnlichkeitsspezifisches Berufsbild intendiert, das den biographischen Erfahrungen, den Schwchen und Strken, Vorlieben und Abneigungen „einigermaßen“ entspricht. Ob ber Priorisierung oder Synthetisierung gewonnen, der eigene Spine oder das persçnlichkeitsspezifische Berufsbild sind, wenn sie erst mal
142 Klessmann (DTPF 2000, 369): Als eine Figur glaubwrdiger seelsorgerlicher Reprsentanz wird ihr das wiederentdeckte „altchristliche Motiv vom verwundeten Helfer“ vorgeschlagen. Der Abwehr von eigener Hilfebedrftigkeit, der Gefahr, die Asymmetrie der helfenden Beziehung kçnne zum Missbrauch der eigenen Macht einladen, soll entgegen gewirkt werden, genauso wie dem „hohen Ich-Ideal“, „das zu berforderung und spterem burn-out geradezu einldt“, dies frhzeitig, ehe sich „Helferstrukturen unkritisch verfestigen“. Nicht diejenigen seien die besten und wirkungsvollsten Helfer, die ungerhrt und ungebrochen durchs Leben gegangen sind, sondern gerade die, die von Schicksalsschlgen betroffen waren „und diese verarbeitet haben“. „In diesem Sinn bedeutet, Beratung oder Therapie gemacht zu haben, gerade keinen Makel, sondern eine Bereicherung und Vertiefung der Person“.
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mhsam erarbeitet wurden, nicht nur Ergebnis, sondern zugleich Herausforderung, an der jede Realitt sich messen lassen muss. „Imagination setzt einen Vorstellungsraum frei, der so vage bleibt, dass eine Realisierung nur im Zuge von Mimesis, von Anhnelung berhaupt erreicht werden kann. Jedes Bemhen verluft in Form einer mathematischen Limesfunktion auf das Selbstbild zu“ (Junge 2006, 87).
Dies gilt auch fr den sich in seinem „persçnlichkeitsspezifischen Profil“ optimierenden Pfarrer, „Man kann Reife definieren als den Zustand, in dem persçnliche Ziel- und Wunschvorstellungen einigermaßen bereinstimmen mit der Realitt. Es scheint ein wichtiges Ziel im Pfarramt zu sein, diesen Zustand zu erreichen“ (Klessmann 2001, 63).
denn „einigermaßen“ bleibt als Vorstellungsraum hnlich weit interpretierbar wie das „disponiert genug“ der Exerzitien. Das akkumulierte, erweiterte, angereicherte Wissen soll auch ber die bung hinaus abrufbar sein, das aber ist es nur, wenn es in andere Kontexte transformierbar ist. Der Spine, ein Logo, ein (persçnlichkeitsspezifisches) Leitbild, ein Leitsatz als Wissenscodierungen sollen dies leisten. Was die Anleitungen zur unternehmerischen Leitbildentwicklung intendieren, erkennbar nach außen und orientierend nach innen zu sein, gilt auch hier; und aus diskursanalytischer Sicht kçnnte es heißen, Metaphern mssen so beschaffen sein, dass sie sich immer wieder hierarchisieren lassen.143 Alle Techniken legen grçßte Sorgfalt auf diesen Schritt der Fixierung: Prsentisch, positiv, bildlich, rhythmisch soll formuliert werden, damit die inwendige Imagination nun auswendig werden kann. Inkorporieren – Erinnern „Person A fngt an. Sie fngt an, ihren Spine zu sprechen. Ziel dieser bung ist, die Person, die arbeitet, darauf hin zu coachen, dass sich der Subtext ihres Spines im Kçrper manifestiert. Hier ist darauf zu achten, den Kçrper nicht zum Ablenkungs- und Vermeidungsinstrument werden zu lassen, sondern er soll die mentalen Prozesse ausdrcken kçnnen. Der Spine soll im Kçrper inkarniert werden“ (Kabel 2002, 243).
143 Was die Metaphernanalyse aus diskursanalytischer Sicht festhlt – die Metapher kann nur um den Preis rezipiert werden, dass sich der Diskurs selbst modifiziert (vgl. Maasen 1999, 56, und Maasen 1995) ließe sich auf Techniken der Selbstfhrung bertragen, wenn das Subjekt selbst als Diskurs gedacht wird (Karl 2007).
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Die Bearbeitung erhlt nun ein neues untersttzendes Element. Dieses kann in unterschiedlichen Zusammenhngen ganz verschieden sein. WorkLife-Balance-Ratgeber empfehlen, die auf die Selbstbearbeitung zielenden Entschlsse dem Kollegen oder dem Ehemann in selbstverpflichtender Attitde mitzuteilen. So wie der Notizzettel in der Vorbereitung fr die Durchfhrung zu einem Mitarbeitergesprch oder der kontinuierlich begleitende Berater gibt es Erinnerungsgaranten und Zeugen des Vernderungswillens. Hier nun wird der Kçrper in die Zeugenschaft der Selbstverpflichtung genommen. Vor allem neurolinguistische Methoden zielen unter Nutzung von Ergebnissen hirnphysiologischer Forschung programmatisch auf die „Erinnerungsfhigkeit“ des Kçrpers.144 Der Kçrper wird darber hinaus in Dienst genommen, wenn es darum geht, mentale Prozesse einzuleiten (sich in eine innere Haltung zu bringen) oder ihn als Komponente der Kommunikation bewusst zu nutzen: „Stellen Sie zu Anfang des Gesprches Kontakt zum Gegenber her, bauen Sie eine wertschtzende Haltung auf, Blickkontakt aufnehmen, sich voll dem Gegenber zuwenden, durch kçrperliche Signale Konzentration und Verstndnis signalisieren, besttigende Gesten und Laute (…) durch Einnahme der Kçrperhaltung und des Atemrhythmus des Gegenber“ (Mller-Weißner 2003, 162 f ).
Hintergrund dieser Techniken ist die Vorstellung einer eigenen Codierung des Kçrpers145. In dieser Spine-bung auf dem Weg zu einer „Prsenz“, „Lebendigkeit“ oder „Natrlichkeit“146 zielt die schauspielerische Technik darauf, die Kçrpercodierung ber bewusstes ben, ber bewusste Diszi-
144 Brçckling (2000), 159, zitiert Besser-Siegmund/Siegmund (1991), Coach Yourself. Persçnlichkeitskultur fr Fhrungskrfte: „In der Sprache des NLP heißt der kçrperlich-seelische Erfolgszustand die Zielphysiologie. Wir bringen Fhrungskrften bei, sich schon bei der Zielplanung in den Zielzustand zu versetzen. Denn in der Zielphysiologie ist das Gehirn von seinen organischen Mçglichkeiten her in der Lage, die dem Ziel im Weg stehenden Probleme zu lçsen“. 145 Mit Foucault zu sprechen, durchziehen Machtverhltnisse in diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken etabliert das „Kçrperinnere“ und sind „im Kçrper materialisiert“ (Foucault 1978, 104) als Ergebnis einer „langen in der Regel unbewusst verlaufenen Einbung in kulturelle Codes“, vgl. Duttweiler (2003), 35. 146 Schroer (2005), 23 (mit Verweis auf Bourdieu): „Der Natrlichkeitsbedarf entsteht gerade dort, wo die Einsicht sich lngst verbreitet hat, dass es Natur nicht gibt: ,Gerade der Kçrper, gesellschaftlich produziert und einzig sinnliche Manifestation der ,Person’, gilt gemeinhin als natrlichster Ausdruck der innersten Natur und doch gibt es an ihm kein einziges bloß ,physisches’ Mal“.
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plinierung zu transformieren147. Der Weg geht von der Sprache („Ich will, dass der Himmel aufgeht“) auf den Kçrper: the body is the message148. Das Konzept der Theatralitt kennt die Unterscheidung von phnomenologischem und semiotischem (Bedeutungs-) Kçrper (Klein 2005, 82). Der Kçrper als Trger von Bedeutung „inszeniert sich den kulturwissenschaftlichen Anstzen zufolge in dreifacher Position: als Medium oder Instrument, als Produkt und schließlich als Produzent von Wirklichkeit“149. Die Technik der Spine-bung sekundiert auf diese Weise der im Spezialdiskurs wirkmchtigen Professionsformel, „Pfarrer und Pfarrerinnen symbolisieren das christliche Programm konkret an ihrem Leib. Sie stellen kçrperlich und wahrnehmbar Religion und Kirche dar“ (Karle 2003, 626),
indem sie darauf zielt, den Spine oder das christliche Programm kçrperlich wahrnehmbar und darin auch berprf- und evaluierbar zu machen. Aus Beobachtungen des Wirklichkeitsfernsehens schließt Jo Reichertz: „Authentizitt ist nicht mehr das Ergebnis einer beobachtenden Selbstzuwendung, sondern Authentizitt (so der Anspruch) soll buchstblich ,verkçrpert‘ werden. Die innere Emotion soll sich ohne den Umweg ber die bewusste Reflexion am Kçrper des Akteurs entußern – wenn man so will:
147 So gibt es z. B. bei der Technik des Herzensgebetes die Vorstellung, ber Meditationstechniken auf den Kçrper so weit einzuwirken, dass der Kçrper selbst „betet“. 148 Junge (2006), 84ff: „Die Fhigkeit zur Imagination ist der Antrieb zur Entwicklung einer Identifikation“. „Alles wird Bemhen um das Begehren nach Identifikation“. „Selbst-Bildung bedeutet, sich mit sich identifizieren zu kçnnen“. – Die Hybriditt der Diskurspraktiken neoliberaler und religiçs-monastischer Provenienz kulminiert in der Imago-Vorstellung, wie sie sich auch in den pastoralen Leitbild-Techniken findet: „Indem der Mensch sich in der Begegnung mit dem Wort Gottes auf sich selbst und auf Gott besinnt, richtet er sich auf das Bild hin aus, das Gott als der Schçpfer in ihm angelegt hat (…) Auch fr Pfarrerinnen und Pfarrer wird es hilfreich sein, den eigenen Lebens- und Arbeitsstil von Zeit zu Zeit an diesem Bild zu prfen“ (Hofmann DTPF 2005, 406). 149 Klein (2005), 79: „In diese drei Positionen gelangt er durch einen als theatral zu kennzeichnenden Prozess. Dieser theatrale Prozess soll (…) als ein Vorgang der Bedeutungsproduktion verstanden werden. Er setzt auf der Ebene des Kçrpers (….) dort ein, wo die diskursive Konstruktion des Kçrpers zur Praxis der Verkçrperung wird. Diese These ist ausgehend von einem diskurstheoretischen Kçrperkonzept entwickelt, stellt aber die Frage, wie ein Kçrperkonzept Praxis, d. h. erfahrbar und als essentiell geglaubt wird.“.
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scheinbar bewusstlose Verkçrperung gilt in diesem Sprachspiel als aufrichtig“ (Reichertz 2006b, 176)150.
Beurteilendes Feedback „Der Coach gibt ein Feedback, er formuliert seine persçnlichen Eindrcke und Wahrnehmungen. Das kçnnte folgendermaßen aussehen: ,Ich habe das Gefhl gehabt, du hast deinen Kopf von mir weg gewendet‘. ,Ich hatte das Gefhl, dass du nicht ganz sicher bist, ob du selber daran glaubst…‘ So wird der Spine immer wieder neu gesprochen und es wird immer wieder ein Feedback gegeben, ein immer feineres Feedback… Man versucht ber ben und Austauschen einen Zustand zu erreichen, bei dem der bende das Gefhl hat, das ist mein Spine“ (Kabel 2002, 243 f ).
Die qualifizierende, auf das Ziel hin ausgerichtete Rckmeldung ist gefragt, wenn es darum geht, das Selbstbearbeitungsfortkommen des Anderen zu beurteilen und auf diese Weise zu fçrdern. Dies fordert von dem Anderen aktive Mitgestaltung durch gezielte Beobachtung. In Qualittsmanagementverfahren des kollektiven Subjekts helfen Evaluationstechniken, den kontinuierlichen Verbesserungsprozess („KVP“) anzuleiten, indem verobjektivierte Raster oder Kennzahlen Kriterien der Beurteilung und Beobachtung vorgeben. Auch die Bearbeitung des kçrpereigenen Codes geschieht unter kritischer Beobachtung151, und die Kriterien sind festgelegt durch das, was dem Beobachter als evident, glaubwrdig oder berzeugend erscheint. Dazu muss er seine Eindrcke, Gefhle und Empfindungen zur Verfgung stellen, um dem Akteur wiederum Aufschluss darber zu geben, wie dieser wirkt und was er beim anderen auslçst. Zur Frage der sozialen Wirksamkeit des Kçrpers als Bedeutungstrger ist das Konzept der Performativitt, wie Gabriele Klein (2005) es verfolgt, in diesem Zusammenhang aufschlussreich. Der Kçrper wird hier als Diskursfigur verstanden, die erst in der Performanz „wirklich“, d. h. 150 „Aufrichtigkeit“ als Schlsselbegriff. „Gerade wenn und weil die Akteure vor der Kamera die Selbstkontrolle verlieren, glaubt man die wahre Persçnlichkeit dahinter erkennen zu kçnnen. Darstellungskontrolle erscheint dagegen als (mçglicherweise gefahrvolle) Maskierung“ (Reichertz 2006b, 175 f ). – Zur Kçrperbearbeitung zhlt auch das Kçrperaußen: So beschftigt sich ein thematischer Diskursstrang in DTPF mit der Frage der Berufskleidung oder liturgischen Kleidung: schwarz und Beffchen oder rot und feierlich („Katholisierung“), Stolen oder nicht, und ob ein Kreuz sichtbar am Anzugrevers getragen werden sollte. 151 Auch in der Beratungspraxis: „Das fngt an mit Feedback zum ußeren Auftreten, Kçrperhaltung, Bewegung, Sprache, und setzt sich fort mit Reaktion von Seiten des Beraters/der Beraterin auf die oben genannten Punkte, Motivation, Spiritualitt, Identitt, Helferverhalten“ (Klessmann DTPF 2000, 369).
7.2. Spezialdiskurs: Sich Qualifizieren
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sinnlich erfahrbar und sozial wirksam wird. Die These von Gabriele Klein lautet, „dass der diskursiv hergestellte Kçrper erst in der Performanz als essentieller Erfahrungsraum hergestellt wird. Erst der Glaube an die Wirklichkeit ,Kçrper‘ und dessen Einzigartigkeit, erst die ,Illusio‘ (Bourdieu) des eigenen Kçrpers als Identitt, erst die Imagination des Kçrpers als Ganzheit (Lacan), lsst den Kçrper zum Ort der Wirklichkeitsberprfung werden“ (Klein 2005, 83)152.
Erst in der Performanz wird die Inszenierung von Lebendigkeit und Natrlichkeit als real geglaubt. Eine Technik, einen Spine zu inkarnieren – selbst etwas zu fhlen, damit der andere es fhlt – muss den im Rezipienten schon vorfindlichen essentiellen Raum einbeziehen, dessen Vorstellung von einem Prsenz vermittelnden Kçrper, um eine der Beurteilung zugrunde liegende normierende Grçße zu haben. bungen, die auf die Wirkung von Glaubwrdigkeit zielen, mssen versuchen, das Bild von Glaubwrdigkeit abzubilden. „Es geht nmlich nicht mehr um die Frage, ob man zu sich selbst aufrichtig sein soll. Es wird zwar ein wenig, aber nicht zentral die Frage ventiliert, ob man gegenber dem persçnlichen Du (also den Mitakteuren) aufrichtig ist, sondern wichtigstes Bewertungskriterium fr die persçnliche Integritt des Darstellers (und das ist vçllig neu!) ist die Authentizitt gegenber der zuschauenden ffentlichkeit. Wer gegenber ihr nicht authentisch ist, wird identifiziert und abgewhlt. Die ffentlichkeit ist der Bezugspunkt der Authentizitt und zugleich ihr Richter“ (Reichertz 2006b, 176).153
In der Spine-bung ist die çffentliche Beobachtung reprsentiert durch den Berater oder Coach, und so als verallgemeinerbar vorgestellt, ist sie die entscheidende und normierende Bezugsgrçße. Die Arbeit an der eigenen Authentizitt oder genauer: die Arbeit an der Wirkung vom „AuthentischSein“ ist nicht frei von dem Verdacht, sich in die Marketinglogik einer 152 Klein (2005), 83: „Dieser Glaube entsteht ber die Essentialisierung und Ontologisierung des Kçrpers, die, folgt man Bourdieu, verschiedene Einsetzungsriten bençtigt. Erst dieser Vorgang schafft die Illusio des Kçrpers als Essenz und aktualisiert den Glauben an den Kçrper als Ding, als Objekt, als Bedeutungstrger oder als Natur.“ 153 Reichertz (2006b), 179: „Die Forderung ,authentisch zu sein’, fand ihre wichtigste Vorluferin keineswegs in dem christlichen Gebot, nicht zu lgen (…), sondern wesentlich fr die heutige Blte der Authentizitt ist das Pflnzlein ,Aufrichtigkeit’, das erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts auftauchte (…). Dabei deuten beide Begriffe (nmlich Aufrichtigkeit und Authentizitt) auf den ersten Blick im gesellschaftlichen Diskurs etwas hnliches an, nmlich dass es um den wnschenswerten Ausdruck des Innen (des Gefhls, der Stimmung, der Meinung) am ,Außen des Kçrpers’ (in Gestik, Mimik und Sprache) geht.“
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7. Sich als leitendes individuelles Subjekt herstellen
Kundenorientierung („gebt dem Kunden, was des Kunden ist“) einzuschreiben, weil sie die Reaktion, das Feedback, prospektiv miteinbezieht und das eigene Handeln darber reguliert. Denn damit die erzielte Wirkung sich realisieren lsst, muss ggf. nachgesteuert und das eigene Verhalten angepasst werden.154 Der Grad der Irritation durch den Diskurs des Beobachters (Die Codierung des Kçrpers aus Sicht des Coaches) bestimmt ber den Grad der eigenen (kçrperlichen) Subjektivierung im Sinne von Unterwerfung. Noch einmal Reichertz: „Wenn man so will: der wird als authentisch beurteilt, der die gesellschaftlich geschaffene und medial verbreitete Maske der Authentizitt glaubhaft ,geben‘ kann“ (Reichertz 2006b, 184).
So summiert auch Brçckling fr den Unternehmer seiner selbst: „Fr den Unternehmer seiner selbst hat es nichts Anrchiges, ,sich gut zu verkaufen‘, im Gegenteil: Genau daraus bezieht er sein Selbstwertgefhl. Er fhrt sein Leben als permanentes Assessment Center und weiß, dass es nicht reicht, Kompetenzen vorzuweisen, sondern vor allem darauf ankommt, diese zugleich als authentischen Ausdruck der eigenen Persçnlichkeit erscheinen zu lassen. Als bloßes Rollenspiel wrde das Selbstmarketing seine Wirkung verfehlen; der Einzelne muss sein, was er darstellen will“ (Reichertz 2007, 72).
Umgekehrt heißt das, um authentisch wirken zu wollen, wird die genaue Beobachtung des anderen Diskurses gebraucht: ben, Information sammeln, Feedback holen, evaluieren, immer feiner als „mimetische Anhnelung“ im „kontinuierlichen Verbesserungsprozess“ darauf zielen, in dem anderen eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Hier verluft die neuralgische Linie in einem Prozess des „Sich Authentisierens“, die sich in der Paradoxie ausdrckt, dass nur das „Mein Spine“ ist, der durch andere als „meiner“ autorisiert ist155. 154 Das gilt auch fr das persçnlichkeitsspezifische Berufsbild. Klessmann (2001), 62: „Diese Dimension muss in den Dialog kommen mit den situativen Gegebenheiten und Erwartungen der Gemeinde und der ffentlichkeit – und zwar nicht nur einmal (…) sondern immer wieder: was braucht die Gemeinde? Welche Art von Gemeinde wollen wir sein? Was habe ich als Pfarrerin fr Zielvorstellungen anzubieten? Was kann ich gut? bzw. nicht so gut?“. 155 Der Leistungsgedanke ist hier nicht weit: Legnaro (2004), 206 f, konstatiert, dass Performanz und Performance in der Bçrse „begrifflich zu ihrer marktwirtschaftlich wahren Bedeutung gefunden haben“.(…) „Man mag diese beiden anscheinend ganz unterschiedlichen Bedeutungsfelder von performance – theatralische Darstellung und Maß von Wertentwicklung – fr eine willkrliche Begriffsverbindung halten, doch hat diese Willkr durchaus Methode. Performance umfasst sowohl
7.2. Spezialdiskurs: Sich Qualifizieren
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Sich darauf hin zu bearbeiten, „authentisch“ wirken zu kçnnen, kann auch bedeuten, womçglich liebgewordene Gewohnheiten aufgeben oder sich bislang „typische“ aber stçrende Gesten abtrainieren zu mssen, wenn sie vom Ziel abweichen, ablenken oder es irritieren (Klostermeier 2001, 20). So gilt auch fr den individuellen wie fr den kollektiven Akteur im Zuge des Leitbildprozesses, dass es den Preis des Ausschlusses hat, den Diamanten zu schleifen oder zu fassen (Lindner DTPF 2000). Zum Erfolg verlocken „Der Spine schleift den Diamanten ,Persçnlichkeit‘ und fhrt zu einer Reife und einer Prsenz, die dann letztenendes nicht mehr hergestellt werden muss, sondern ber die der Liturg und die Liturgin unbewusst verfgt“ (Kabel 2002, 244).
Wer sich vorgenommen hat, an seiner personalen Kompetenz zu arbeiten, der ist am Ziel seiner Wnsche angelangt, wenn Reife und Prsenz, innere Stimmigkeit, Balance erreicht sind und nicht mehr erarbeitet, gebt und hergestellt werden mssen, weil Fhigkeiten implementiert, inkorporiert oder kçrperlich codiert sind. Die vom Steigerungsimperativ durchzogene Arbeit am eigenen Selbst lebt von der Hoffnung der Abschließbarkeit. „Es ist das bermaß der Summe aller Versprechungen, das die bermßigkeit aller einzelnen neutralisiert, jene bermßigkeit, die sie alle brauchen, um fesselnd zu sein. Es ist die berflle der Versprechungen und immer wieder neuen Versprechungen, die verhindert, dass immer wieder neue Enttuschungen das Vertrauen in den letztendlichen Erfolg der Suche untergraben“ (Bauman 2005, 202). „Sie werden spren, dass der Abstand zwischen dem, was ist und dem, was Sie wnschen, kleiner wird. Und eines Tages, wenn Sie nicht mehr darber nachdenken, hçren Sie das Feedback, dass sich Ihre Prsenz positiv verndert hat“ (Kabel 2002, 244).
Es bleibt bei der mimetischen Anhnelung und der Bestimmung des unendlichen Grenzwertes, weil die zeitliche (eines Tages) und personelle Abhngigkeit (Feedback von wem? und von wem nicht?) mit hçchster Kontingenz versehen ist. Werbende, auf intrinsische Motivation zielende Metaphern wie Entwicklung und Wachstum sind dem UnabschließbarLeistung wie ihre Darstellung, Verbildlichung, Symbolisierung und Messung, und beides in einem Begriff zu reprsentieren, verweist nicht nur darauf, dass (Theatralische) Darstellung eine Leistung ist, sondern auch darauf, dass Leistung dargestellt, theatralisiert werden muss, um als solche wahrgenommen zu werden“.
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keitsgestus verhaftet: „Anders als das traditionelle Disziplinarsubjekt, das niemals aufhçrt anzufangen, wird der Unternehmer in eigener Sache nie mit irgendetwas fertig“ (Brçckling 2007, 71). Die Paradoxie liegt auf der Hand: Um zuknftig zu sein, muss man lernen, gegenwrtig zu werden. Das wohlmçglich hlt einen davon ab, gegenwrtig zu sein. „Weil jeder seine Position stets nur fr den Moment und in Relation zu seinen Mitbewerbern behaupten kann, darf niemand sich auf dem einmal Erreichten ausruhen. Das Erfolgsrezept von heute ist schon morgen der sichere Weg in die Pleite“ (Brçckling 2007, 72).
7.2.2. Interkollegiale Effekte Die Suche um den „Ort im Zug der Zukunft“ wird im Pfarrerblatt in Leserbriefen und Artikeln interkollegial und emotional engagiert betrieben. Pfarrer bilden sich weiter, entwickeln ihre Kernkompetenzen, erwerben zertifizierte Zusatzqualifikationen, intensivieren oder entdecken ihre Kernaufgaben oder ihre neue Funktion. Oder sie tun all das bewusst auch nicht und verweisen auf das „Organisationskauderwelsch“ und die „Beratungshypertrophie“ (Blanke 1999, 355). Pfarrer erschließen neue Aufgabengebiete oder betrachten das bisherige Aufgabengebiet als neue Herausforderung. Krankenhausseelsorgerinnen, Gemeindepfarrer, Schulpfarrer, ob in Teilzeit oder nicht, agieren in einem wie dem anderen Fall verantwortungsvoll, professionell und/oder ihrer Profession gemß und sehen sich angewiesen auf Kooperation untereinander und aufgefordert, ihre Selbstndigkeit zu strken. Die Komplexitt und Differenziertheit der Aufgaben zwingt dazu, sich zu vernetzen und „Ressourcen zu bndeln“, wie auch schon mal programmatisch im Leitbild festgehalten wird. „Jede und jeder von uns im Kirchenkreis hat spezifische Fhigkeiten, Begabungen und Strken. Sie bereichern uns menschlich und geben uns die Mçglichkeit, die christliche Botschaft vielfltig und erlebnisreich den unterschiedlichen Zielgruppen zu verknden. Wir wollen diese Kompetenzen ber die Gemeindegrenzen hinaus aktiv nutzen, leistungsbewusst zusammenfassen, und effizient, d. h. besonders wirtschaftlich, einsetzen“ (Leitbild Burgdorf ).
Die untereinander zu regelnde Frage der gegenseitigen Vertretung erhlt grçßere Relevanz. Diskursanalytisch macht in der Rezeption des Professionsgedankens der Begriff der „Erreichbarkeit“ Karriere: Angestoßen durch einen Artikel
7.2. Spezialdiskurs: Sich Qualifizieren
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„Notfallseelsorge – ein junges kirchliches Aufgabenfeld“ (Funke 1998), der in der neu geschaffenen Notfallseelsorge eine „Primraufgabe kirchlichen Handelns“ sieht156, entwickelt sich eine Auseinandersetzung um die Prsenz vor Ort (die „Unsitte, dass zunehmend Pfarrer nicht mehr in ihrer Gemeinde wohnen“, Rckert 1999, 210) und die Erreichbarkeit rund um die Uhr (nachts, im Urlaub, am freien Tag). Der Hinweis auf eine technische Lçsung der Diskrepanzen, durch Anrufbeantworter oder Handys Ansprechbarkeit zu sichern, scheint nur mittelbar befriedigend, da die technischen Instrumente auch gegenteilig genutzt werden („so hçre ich in den meisten Fllen, dass ich ,außerhalb der Brozeiten des Pfarramts anrufe‘“ ebd., 209): Es wird nach dem „Ethos“ gefahndet, nach „professionsethischem Verhalten in Notfllen“157. In der Diskussion um „Erreichbarkeit“ kommen unterschiedliche Rationalitten miteinander ins diskursive Spiel, die die Transformationsbrche markieren: Prsenz Die Praxis der gegenseitigen kollegialen Beobachtung, Kommentierung und Problematisierung ist, wie die Pfarrerbltter der vergangenen Jahrzehnte in beredter Weise belegen, nicht neu, neu ist die Konstellation des Problems. Eine Komponente der Problemkonstellation ist die Vernderung der Beobachtungsperspektive und ihrer Subjekte. „An die Stelle eines allsehenden Beobachters auf der einen und der in ihren Beobachtungsmçglichkeiten aufs ußerste eingeschrnkten Beobachtungs156 Rckert (1999), Schoßwald (1999) – Mit der Notfall-Seelsorge wird ein neues Bettigungsfeld ausgemacht, was sich zum einen als subjektkohrent etabliert (die „ureigenste Aufgabe der Kirche“) und zugleich als marktkonform erfolgreich verheißt. So z. B. auch Zippert (DTPF 2001, 649): „Auch Einsatzkrfte, die mit dem Selbstverstndnis des mchtigen Retters und Helfers antreten, erleben Situationen extremer Ohnmacht und Hilflosigkeit. Notfallseelsorge kann helfen, mit diesen Situationen anders umgehen zu lernen als sie nur als persçnliche Niederlage bzw. persçnliches – oder gar beruflich-professionelles Versagen oder gar gçttliche oder schicksalhafte Bosheit zu interpretieren.“ Hier ist das Alleinstellungsmerkmal auf dem Markt gefragt. „Wer sonst als Pfarrerin und Pfarrer soll mit der nçtigen Behutsamkeit und Kenntnis, der nçtigen çkumenischen Weite und Selbstbeschrnkung hier mitsuchende Angebote machen und Situationen mitgestalten helfen, bis das soziale und religiçse Netz wieder greift?“ Der Markt ist auch hier das entscheidende Tribunal, denn die Konkurrenz ist in Reichweite: „Sollen wir auch das noch den Bestattern berlassen?“ (ebd.). 157 Rckert (1999), Beruf oder Job. Zum „professionsethischen Verhalten“ im konkreten Notfall, Replik auf Funke (1998) und Karle (1999).
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7. Sich als leitendes individuelles Subjekt herstellen
objekte auf der anderen Seite tritt ein nicht-hierarchisches Modell reziproker Sichtbarkeit, bei dem jeder zugleich Beobachter aller anderen und der von allen Beobachtete ist“ (Brçckling 2000, 152).
In mikro- und makroskopischer Aufmerksamkeit mssen einander beobachten und beurteilen, die mit ihrer Zeit, ihrem Geld und ihren Kompetenzen çkonomisch rational umgehen mssen: Der Beerdigungsunternehmer ist Teil des „Panoptikums“, weil es auf dessen Konto geht, wenn der Termin nicht dem Kundenwunsch gerecht rechtzeitig mit dem Pfarrer abgestimmt werden kann. Auch das Gemeindeglied, das „eine Gegenleistung fr seine Kirchensteuer, erwartet“ gehçrt dazu, und mçchte „auch nachts“ jemanden im Pfarrhaus antreffen (Schoßwald 1999, 356). Weil im Panoptikum zugleich das Tribunal versammelt ist und Ausschau hlt, wer und in welcher Form dem Markt respondiert, und weil sich jeder Pfarrer fr das Ganze der Kirche verantwortlich sieht, gert nun auch die kollegiale Beobachtung in den Sog des Panoptikums und formuliert in der Frage der „Erreichbarkeit“ die zweite Komponente des Problems, die Messund Vergleichbarkeit des pastoralen Verhaltens anhand der Beobachtung der kçrperlichen und mentalen Anwesenheit. „Mir fllt auf, dass es bei manchen Vikaren und Vikarinnen gang und gbe ist, sich nur ja immer abzugrenzen, und die eigene Belastbarkeitsgrenze stndig zu thematisieren. Diese stndige Nabelschau und das Hçren auf jeden eigenen Seelenfurz konterkarieren die von Isolde Karle beschriebenen professionsethischen Verhaltenszumutungen genauso wie die mrrisch-lustlos-resignierte Grundstimmung manch lterer Kollegen, die die ,innere Kndigung‘ aus den von Karle genannten Grnden lngst vollzogen haben und sich mit ,Dienst nach Vorschrift‘ auf ihren Ruhestand vorbereiten“ (Rckert 1999, 210).
Die dritte Komponente bringt beides miteinander in eine quivalente Positionierung zu einer anderen Bemessungsgrçße, dem Gehaltgefge. Dies ist in einem System, das den Gedanken der Alimentation kennt, ein keineswegs selbstverstndlicher, nun durch die Professionsformel jedoch vorbereiteter Schritt. „Der faule und unfhige, der unverlssliche, nicht erreichbare, nicht prsente und unhçfliche Kollege, der die Gemeindeglieder verprellt, bekommt sein Gehalt genauso, wie der, der prsent, erreichbar, zuverlssig und hçflich seinen Dienst tut (…)“ (ebd., 210).
Das nun festgestellte Ungleichgewicht – und hierauf zielt die Gesamtargumentation – fhrt zu einem anderen Ungleichgewicht derselben Logik von Leistung und Bewertung.
7.2. Spezialdiskurs: Sich Qualifizieren
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„Darunter leidet meine Motivation, hier fhle ich mich mit meinem Engagement nicht gewrdigt“ (ebd., 210).
Die Teilhabe am Panoptikum fhrt damit eine weitere Responsibilisierungszuschreibung mit sich, wenn das eigene Verhalten das des Kollegen oder der Kollegin zu beeinflussen vermag und sogar zu lhmen droht. Die Lçsung des Problems kann nur darin bestehen – will man die „innere Kndigung vermeiden“ –, dass alle es allen recht machen. Das klingt so plausibel wie banal und bleibt im Diskurs nur dank der interdiskursiv akzeptierten Mçglichkeit, transzendent verweisen zu drfen, nicht unwidersprochen: „Wir sind nicht der liebe Gott. Keiner von uns muss immer und berall erreichbar sein“ (Schoßwald 1999, 356).
Nicht-Prsenz Eine weitere Problemkonstellation speist sich aus einer anderen Form der Beobachtung, in der kritisch auf die sich verndernde kirchliche Kultur reflektiert wird. „Zunehmend unterbrechen Kollegen normale, dienstliche (und auch seelsorgerliche?) Gesprche, weil ihr Handy klingelt. Ist das die Zukunft unserer Kirche? Das ist fetischistisch. ,Erreichbarkeit’ ist kein Kriterium des pastoralen Amtes unter vielen anderen mehr, sondern wird vçllig unreflektiert als ,Allheilmittel’ angefhrt, ohne zu bedenken, was das fr die anderen Arbeitsbereiche des Pfarramtes und fr die Person des Pfarrer bedeutet“ (Mçrchen 2003, 580).
Die kritische Analyse gesellschaftlicher Verhltnisse moniert die „jetztgleich-Kultur“ und die Reaktion der Kirche, die sich als Teilnehmerin auf einen Markt mit Sinn- und Hilfeanbieter einlasse: „Weil es eine Notfallseelsorge gibt, reicht es nicht mehr, dass Pfarrer Seelsorger sind wie frher, sie mssen nun auch potentielle Notfallseelsorger sein und so auch deren Erreichbarkeitsquote halten. Wer nicht sofort erreichbar ist, ist schlecht“ (ebd., 580).
Erhçhte und zustzliche Anforderungen und Erwartungen neben den schon bestehenden fhrten dazu, dass Pfarrer „scheinbar immer“ weniger leisten kçnnten und an psychische und physische Leistungsgrenzen stießen. Das aber kann nicht vereinbar sein mit einer anderen konomie des kirchlichen Amtes. „Die Frage kçnnte ja auch sein, ob nicht die Kirche ein Ort der Ruhe sein soll, wo man zu sich kommen kann – in einer Welt, wo keiner mehr bei sich und
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7. Sich als leitendes individuelles Subjekt herstellen
ganz bei Trost ist. Und wie geht das, wenn die Hauptreprsentanten stndig erreichbar sind und sich verrckt machen lassen von den unerfllbaren Erwartungen ihrer Umwelt und sich auch noch gegenseitig verrckt machen durch den moralischen Druck und die Frage, wer von ihnen erreichbarer ist? Kçnnte es nicht sein, dass gerade die Nicht-Erreichbarkeit in einem fundamentalen Sinne zum Amt des Pfarrers gehçrt?“ (ebd. 581 f ).
Die Lçsung liegt damit nun im Gegenteil, nmlich gerade nicht prsent zu sein. Wirklich Zeit haben fr das seelsorgerliche Gesprch, fr Vorbereitung von Texten, fr verschiedenste Aufgabenbereiche ist nun entscheidend, und es gilt nun der als „unprofessionell“, der immer erreichbar ist, „denn die Vielfalt der Aufgaben und die Qualitt der Events in einer Gemeinde schließen stndige Erreichbarkeit aus“ (ebd. 582).
Nur scheinbar ist der Widerspruch zwischen beiden Perspektiven, denn sie bedienen dieselbe Rationalitt, die im Panoptikum der Erwartungen sich in der fortschreitenden Einschreibung unter der Gewhrleistung von Subjektkohrenz jeweils neue umsetz- und machbare Lçsungen sucht. Die Kriterien der Messbarkeit differenzieren sich und nach den Bemhungen um die quantifizierbare Erreichbarkeit wird mit dem Stichwort Qualitt158 die nchste Schleife inkrementaler Einarbeitung am Horizont sichtbar. Die Verweigerung der sich ber immer neue und aktuelle Arbeitsfelder erweiternden rumlichen und zeitlichen Allprsenz gelingt nur um den Preis, die selektive und segmentierte Prsenz noch besser und noch effizienter gestalten zu wollen. So oder so gilt der Steigerungsimperativ und das Mandat permanenten Lernens. Wer sich hat berzeugen lassen, ein Handy zu benutzen, muss nun lernen, es zur richtigen Zeit auszustellen159. Die ubiquitre Erreichbarkeit in ein zeitliches Nacheinander zu arrangieren, bedarf inhaltlicher, mengenmßiger und zeitlicher Priorittensetzung und die wiederum eines Zeitund Selbstmanagementtrainings, denn es 158 Damit sind Qualittsmanagementprogramme gemeint (TQM etc.), die ab 2004 anfangen, sich auch in der Kirche zu etablieren. – Weil sie diskursanalytisch im Gesetz der Serie (Foucault) nur eine neue Stufe der Einschreibung darstellen, sind sie in dieser Studie nicht mehr Gegenstand der Darstellung. 159 Was in hnlicher Weise einige Jahre spter ebenfalls fr das Versenden von E-Mails zutreffen wird. Gilt zunchst die rasche und zeitnahe Beantwortung als vorbildlich, muss schon bald darauf aufmerksam beobachtet werden, ob sie nicht zur „Unzeit“, d. h. nachts oder sonntags verschickt erfolgt, oder die prompte Beantwortung nicht ein Zeichen von geringer Arbeitsauslastung sei.
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„geht nicht um ein Ausspielen dessen, was einem selbst gut tut, gegen das, was anderen hilft“ (Eschmann 1997, 629 f ).
Vielmehr, so die einem Burnout vorbeugende Empfehlung, kann nur, wer fr sich sorgt auch tatschlich prsent sein. Womit sich allerdings mçgliche Wiederholungen einstellen und der Kollege durch die „stndige Thematisierung von Belastbarkeitsgrenzen“ (ebd.) von neuem gereizt nun Coaching und Beratung in Anspruch nehmen sollte, um zu lernen „Konkurrenzsituationen verantwortlich zu gestalten“, denn „guter Wille braucht auch Fhigkeiten, und im Umgang mit Konkurrenz genauso wie mit Kooperation steht die Kirche vor der Notwendigkeit von Kompetenzentwicklung“(Risto 1999, 387).
Kompetenter, prsenter – fr die Kirche als das Feld pastoraler Selbstunternehmer scheint zu gelten, was auch fr den Markt gilt, er ist „ein Kontingenzraum par excellence, ein hçchst fluides Gewirr von Lcken und Nischen, die sich ebenso schnell auftun wie sie wieder verschwinden oder von der Konkurrenz geschlossen werden. Jeder Versuch, die Dynamik still zu stellen, muss scheitern. Erfolg hat nur, wer sich ihr mimetisch angleicht oder sie gar zu berbieten sucht, mit anderen Worten: wer beweglich genug ist, seine Chance zu ergreifen, bevor ein anderer es tut“ (Brçckling 2007, 72).
Die Selbstregulierung und Selbstfhrung des Einzelnen unter der gide der gegenseitigen Beobachtung ist jedoch nur die eine Lçsungsstrategie, die andere, und da ist der Pfarrer der „abhngige Selbstunternehmer“, ist der Appell an die Kirchenleitung. Das kollektive Subjekt soll leisten, was der Markt fr den unabhngigen Selbstunternehmer leistet, Strken und Schwchen zu regulieren und durch Personalfhrung und Personalpflege den Einzelnen zu fçrdern. So kann es als Indiz verantwortlicher Selbst-Frsorge aufgefasst werden, wenn der Pfarrverein gemeinsam mit den Kirchenleitungen ber eine einheitliche Beurteilung von Pfarrern und Pfarrerinnen nachdenkt. „Ziel muss sein (…), dass Begabungen, Neigungen und Fhigkeiten der einzelnen Pfarrerinnen und Pfarrer klarer erkannt und gefçrdert, erworbene Amtserfahrung besttigt und Mngel nach Mçglichkeit behoben werden“ (Weber 1997, 557).
Die Schnittstelle von kollektivem und individuellem Subjekt gestaltet sich hier nicht mehr als ber- oder Unterordnung brokratischer Instanzen in einseitiger Abhngigkeit sondern als wechselseitig profitables Agreement selbstunternehmerischer Akteure.
8. Der Gottesdienst als Gegenstand und Instrument der Selbst- und Fremdfhrung Bei dem Gottesdienst, so die in diesem Kapitel verfolgte These, handelt es sich um ein Dispositiv, in dem sich die Schnittstelle von kollektivem und individuellem Subjekt und die jeweils Subjekt konstituierenden Praktiken konsistent abbilden. Das Datenmaterial wurde ausgehend vom Pfarrerblatt ausgeweitet, um den kirchlich-theologischen Diskurs im ersten Schritt immanent beschreiben zu kçnnen. In einem zweiten Schritt werden am Beispiel von im Pfarrerblatt erschienen Werkstatt-Texten die Umbruchbewegungen der Subjektivation diskursanalytisch nachvollzogen.
8.1. Die Entdeckung der gottesdienstlichen Krise: Den Gottesdienst problematisieren160 Zahlen als Ausdruck der gottesdienstlichen Krise Seitdem es die Kirche gibt, hat sie Gottesdienste gefeiert. Gottesdienste waren am Anfang, und „nie in ihrer wechselhaften Geschichte hat es eine Kirche ohne Gottesdienst gegeben“, wie Eberhard Pausch (1999, 80) betont. Vor dem Hintergrund der Jahrtausende alten Tradition ist umso erstaunlicher, dass sich auch der Gottesdienst in den kirchlichen Debatten der Frage nach seinem Nutzen stellen muss161. Wie schon die Kirche und der Pfarrer steht auch er auf dem Prfstand. Man bescheinigt ihm verwundert und kritisch eine Krise weil, gemessen an der Anzahl der Kirchenmitglieder, zu wenig Gottesdienstbesucher kommen. „Und dann ist die Enttuschung entsprechend groß, wenn von 4500 Evangelischen in einem Dorf oder in einem Stadtteil gerade mal 45 im Gottesdienst 160 Im Folgenden aus dem DTPF u. a.: Pausch (1995), Pausch (1999), Pausch (2000), Dinkel (2000), Vogt (1999), Schroeter (2000), Schulz (2006), Schwçbel (1997). 161 So fragt Dinkel (2000) mit dem Titel seiner Buch-Verçffentlichung „Was ntzt der Gottesdienst“?
8.1. Die Entdeckung der gottesdienstlichen Krise
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erscheinen, jedenfalls an einem normalen x-ten Sonntag nach Trinitatis“ (Schulz 2006).
Oder man bescheinigt ihm gerade keine Krise, weil gemessen an der Anzahl der vielfltigen Konkurrenzangebote der Freizeitindustrie, der Gottesdienstbesuch sich als erstaunlich stabil erweist, wenn „Sonntag fr Sonntag 1,4 Millionen Protestantinnen und Protestanten in ihre Kirche (gehen), seit einem viertel Jahrhundert ziemlich konstant fnf Prozent der Kirchenmitglieder. Fr gut neun Millionen gehçrt der Gottesdienstbesuch zum festen Feiertagsprogramm an Weihnachten“ (Dinkel, 189).
Der Gottesdienstbesuch nimmt sich noch deutlich erfolgreicher aus, wenn man ihn mit den ebenfalls am Sonntag stattfindenden Bundesligaspielen162 vergleicht. Wer notiert, dass zwar nicht der allwçchentliche Gottesdienstbesuch zunimmt, wird in der Regel darauf hinweisen, dass jedoch der Besuch zu Weihnachten, Erntedank oder besonderen Anlssen wie Schulanfngergottesdienste erfreulicherweise steigt. Als Pfarrer und Gottesdienstverantwortlicher sieht man sich um theologische Rechtfertigung bemht und verweist auf die jesuanische Zusicherung, schon bei zwei oder drei in Jesus Namen Versammelten, gelte doch dessen Gegenwart. Er wird sich dann selbstkritisch prfen, warum er trotzdem Enttuschung ber niedrige Zahlen verspre163. Der geringe Gottesdienstbesuch wirkt sich auch auf Gottesdienstbesucher frustrierend und demotivierend aus und zeigt sich zudem als nicht werbewirksames Indiz fr die froh machende Botschaft. Diese Tatsache ist nicht selten Anlass fr die berlegung, Gottesdienste verschiedener Gemeinden zusammenzulegen: „Ferner msse nicht in jeder Kirche sonntags ein Gottesdienst stattfinden, ,wenn nur zehn Menschen in den Bnken sitzen‘“ (Gemeinschaft Hamburger Hauptkirchen, Die Welt, 22.12.01).
Ob in Relation zur Gemeindegliederzahl, zu anderen Freizeitangeboten, zu biblischen Grundlegungen, zu verschiedenen Formen von Gottesdiensten, die Zahlenrelation ist eine maßgebliche Grçße, die ber die als handlungsrelevant markierte Bedeutungszuschreibung entscheidet. Die got162 Wie gngig dieser Vergleich ist, zeigt, dass er karikierend aufgenommen ist in: Die große Jahresschau. Alles, was wichtig ist“, 2010 aus: Zeit-Magazin Nr. 2, 7.1. 2010. 163 Hirsch-Hffell/Grmbel (2005), 1: „Bin ich gekrnkt, weil so wenige da sind? Warum eigentlich? Ist mein Auftritt verdorben? Habe ich studiert, um viele zu erreichen, und muss mich nun bescheiden? Was will ich berhaupt im Gottesdienst? Wirken oder dasein?“
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8. Gottesdienst und Selbst- und Fremdfhrung
tesdienstliche Krise als Frage nach dem Nutzen, so lsst sich zunchst festhalten, ist konstituiert durch den zahlenmßigen Vergleich. Die subjektiv zugestandene Relevanz des Gottesdienstes Nun ist es nicht ungewçhnlich, dass dem Phnomen eines schwindenden Gottesdienstbesuches Beobachtung geschenkt wird, wie die Ausfhrungen Dinkels164 oder ein Blick in die Theologische Realenzyklopdie belegen165. Cornehl (1985) konstatiert dort, dass es ab Mitte des 17. Jahrhunderts Klagen ber abnehmenden Gottesdienstbesuch gibt, „die von nun an nicht mehr verstummen“ (ebd., 59). Seit den 1960er Jahren widmet sich die Kirchensoziologie dem Phnomen und entwickelt u. a. „Teilnahmemuster“, die „auf ihre jeweilige Logik hin interpretierbar“ sind. Allerdings, so Cornehl, sei dabei der „Zusammenhang mit der lteren Kirchenkunde vernachlssigt“ worden und „vieles als zeitspezifische Erosion vormals stabiler Kirchlichkeit diagnostiziert“ worden, was „bereits eine lange Tradition hat“ (Cornehl 1985, 79). Die Aufgabe des Sonntagszwangs, beginnende Industrialisierung, das Bedrfnis nach Freizeit und die zunehmende Demokratisierung: Der Gottesdienstbesuch liefert Kirchenregimentern, Kirchenleitungen und theologischer Wissenschaft in
164 Dinkel (DTPF 2000), 189: „Die Klage ber die Krise des Gottesdienstes ist keineswegs neu. Schon vor fast zweihundert Jahren wurden hnliche Krisenphnomene beobachtet: ,Dass unser Kirchenwesen in einem tiefen Verfall ist, kann niemand leugnen. Der lebendige Antheil an den çffentlichen Gottesverehrungen und den heiligen Gebruchen ist fast ganz verschwunden, der Einfluss religiçser Gesinnungen auf die Sitten und auf deren Beurtheilung kaum wahrzunehmen, das lebendige Verhltnis zwischen den Predigern und ihren Gemeinen so gut als aufgelçst’ (…). Mit diesen Worten leitete Friedrich Schleiermacher seinen Vorschlag zu einer neuen preußischen Kirchenverfassung im Jahr 1808 ein. Die Kirche war nach dem Empfinden der Zeit in der Krise und diese Krise machte man schon damals zuallererst an der Krise des Gottesdienstes fest. Die Tage des Christentums schienen gezhlt. Nicht wenige erwarteten sein baldiges Absterben.“ 165 Cornehl (1985) 59 f: „Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand die Sonntagsheiligung. Hier kmpfen die Kirchen an einer Doppelfront gegen Sonntagsarbeit und Fernbleiben vom Gottesdienst. Auf der einen Seite fhrte die Ausweitung der Arbeitszeit im Zuge der çkonomischen Produktivittssteigerung im Merkantilismus zur Abschaffung mancher bislang arbeitsfreier Feiertage und gefhrdete die Sonntagsruhe (…). Auf der anderen Seite wuchs das Bedrfnis nach Entspannung und Freizeit. Und der Wunsch, den Sonntagmorgen anderswo als in der Kirche zu verbringen, traf zumindest in den Stdten auf ein vermehrtes Angebot alternativer Sonntagsbeschftigungen.“
8.1. Die Entdeckung der gottesdienstlichen Krise
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Vergangenheit und Gegenwart Anlass, sich ber seine zahlenmßige Unzulnglichkeit zu besorgen und sie zu ergrnden. Neu ist vor dieser Folie nun jedoch die das Phnomen beschreibende Rationalitt. Der Zahlenwert wird zugleich als Indikator dafr gewertet, welcher Nutzen dem Gottesdienst subjektiv zugestanden wird. Der Gottesdienstbesucher, so die Vorstellung, whlt nach bestimmten Kriterien aus und legt Relevanzen fest, er entscheidet zu kommen, weil der Gottesdienst fr ihn persçnlich etwas austrgt, ihm einen Gewinn gibt. Oder er entscheidet nicht zu kommen, weil er nicht weiß, was der Gottesdienst ihm geben kçnnte. „Und ich kçnnte mir gut vorstellen, dass ein nicht Hauptamtlicher und somit am Gottesdienst Beteiligter sich fragt: Welches Interesse sollte ich an dieser Veranstaltung haben? Meine Woche war hart genug. Brauche ich da den Gottesdienst wirklich? Wenn ich einen Gottesdienst besucht habe, was habe ich dabei fr mich gewonnen? Einsichten? Neue Kraft? Neue Freunde? Den Wunsch, aktiv zu werden?“ (Schulz 2006).
Auch von kirchlichen Insidern wird vermutet und dies als unzureichend konnotiert, dass sie weniger aus Freude als aus Pflichtgefhl in den Gottesdienst gehen, weil sie davon zu wenig Gewinn haben (Vogt 1999, 84). Und auch wer konzidiert, der Gottesdienst habe an sich Nutzen, antwortet auf die Frage, warum er nicht fr mehr Menschen Nutzen haben kann, mit der subjektiven Zumutung fr den Einzelnen: „Um an einer Interaktion wie dem Gottesdienst teilnehmen zu kçnnen, muss eine Person sonntags frh aufstehen und sich persçnlich auf den Weg zur Kirche begeben. Danach muss sie eine Stunde auf ihrem Platz sitzen bleiben, ertragen, dass andere sie beobachten, wenn sie unbekannt ist oder sich unangemessen verhlt. Vor allem Konfirmandinnen und Konfirmanden, die nicht so gottesdiensterfahren sind, empfinden das als lstig und unangenehm. Man kann im Gottesdienst viel falsch machen: Keine Gesprche, nur lachen, wenn die anderen lachen, kein Kaugummi, unbekannte Lieder. Man muss aufstehen, obwohl man lieber sitzen bleiben mçchte oder muss sitzen bleiben, obwohl man sich eigentlich bewegen will“ (Dinkel 2000, 190).
Die Palette an mçglichen Grnden, was jemanden davon abhalten kçnnte, zum Gottesdienstbesucher zu werden, ist so vielfltig wie erwartbar: Es kommen zu wenig, weil es keinen Spaß macht, sie fhlen sich nicht angesprochen, sie verstehen nichts, sie fhlen sich in die Rolle des passiven Zuschauers gedrngt, sie wollen selbst entscheiden kçnnen und nicht belehrt und bevormundet werden. Auch die seit 1972 durchgefhrten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen beginnen sich mit ihrer vierten Befragung 2002 fr diesen Zusammenhang zu interessieren und nehmen Fragen auf,
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„die die Motive fr den geringen Gottesdienstbesuch genauer erfassen“ (Weltsichten 2003, 23) sollen. Der vom Gottesdienstbesucher subjektiv zugestandene Nutzen des Gottesdienstes, so kann weiterhin festgehalten werden, taucht als die quantitative Relation interpretierender Indikator in der Debatte um die Bedeutung des Gottesdienstes auf.166 Die çffentliche Arena Zwar stellen die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen fest, dass die Mitglieder, die Gottesdienste nicht besuchen, angeben, ihren Glauben auch ohne Gottesdienst leben zu kçnnen, doch scheint diese Aussage in den kirchlichen Debatten nicht zu befrieden, sondern aus mehreren Grnden eher zu beunruhigen. Das vielfach und çffentlich als Karikatur oder Chiffre zitierte Bild von den „leeren Bnken“ (Heike Schmoll, FAZ) ist zugleich konnotiert von der alarmierenden Prognose des Niedergangs der Institution. Die vom Focus in die Debatte geworfene Frage „Glauben ohne Kirche“ ruft Szenarien von Nutzlosigkeit und berflssigkeit des Gottesdienstes und der Kirche hervor (Focus 15/1996, nach: DTPF Schwçbel 1997, 58). ffentliche und gesellschaftliche Relevanz, und das ist das Neue, kann nur beanspruchen, was als individuelles oder als kollektives Ergebnis bewusster und engagierter Entscheidung çffentlich berprfbar, sichtbar und nachvollziehbar in Erscheinung tritt167. Die protestantische Vorstellung selbstbestimmter und -verantworteter individueller Glaubensgestaltung kann sich nicht mehr nur fr sich und vor sich selbst erweisen, sie braucht die berprfung und Reputation durch die Instanz der ffentlichkeit. Dasselbe gilt in gleicher Weise fr das kollektive Subjekt, die Kirche, die sich vor der ffentlichkeit erst als gesellschaftlich relevant besttigt sieht, wenn sich ihre Mitglieder als bewusste und entschiedene Zugehçrige generieren und sich als solche darstellen.
166 Hier scheint sich der „Rational-Choice-Ansatz“, zunchst als analytisches Theorem angewandt, in Dispositiven der Selbstfhrung zu materialisieren, wie beispielsweise in dem demoskopischen Instrument, das religiçse Rational-Choice-Subjekte wiederum als solche erst konstelliert. 167 Auch: DTPF Huber (2001), 3ff .
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Die protestantische berzeugung als Problem Nun gehçrt es zur protestantischen berzeugung168, dass zur Heilsgewissheit der Besuch der Gottesdienste zwar wichtig, aber nicht notwendig ist. Der Glauben als der entscheidende Bezugspunkt des Gottesdienstes kann auch auf andere Weise gestrkt und gewirkt werden, z. B. durch das Lesen der Bibel. So kann mangelnder Gottesdienstbesuch auch im Gegenber zum katholischen Gottesdienstverstndnis als Zeichen von protestantischer Mndigkeit und der Zentrums- und Identittsgedanke auch als lediglich theologisches Ideal gedacht werden169. „Das christliche Leben kann auf einen Grundton gestimmt bleiben, es kann sich im Raum des Glaubens halten, auch wenn es nur selten zum Singen in die Kirche geht“, konstatiert der systematische Theologe Moxter in dem Resumee zur KMU 4 (Moxter 2003, 76). Mit fließenden Grenzen der Zugehçrigkeit „die sogar mit demonstrativer Distanz verbunden sein“ kçnnen, muss gerechnet werden, da „der protestantische Glaube sein Verhltnis zu Gott nun einmal nicht aufgrund seines Verhltnisses zur Kirche“ bestimmt und „den umgekehrten Weg sekundrer (und darum stets labiler) Institutionalisierung“ geht. Dieses Phnomen werde der deutsche Protestantismus „nicht los“, weil er es selbst produziere (ebd.). Gleichwohl, so Moxter weiter, darf sich die Kirche nicht damit beruhigen, denn die „prekre Balance aus Zugehçrigkeit und Desinteresse“ schdige die Institution (ebd.). „Aber wer aus guten Grnden daran geht, das protestantische Profil zu schrfen, muss auch um die Resistenz des evangelischen Glaubens wissen, der sich in Lebensgestaltung und religiçser Praxis keiner Tyrannei der Eindeutigkeit beugt“ (ebd., 77).
Zu den „guten Grnden“, es mit der Resistenz trotzdem auf sich zu nehmen, gehçrt das gouvernemental erzeugte und in der çffentlichen Arena vorherrschende Bild eines unternehmerischen Subjekts, das seine çffentliche Reputation nur in Abhngigkeit zu dem Engagement seiner Mitarbeiter resp. Mitglieder gewinnen kann. Der Eindruck von Authentizitt und Glaubwrdigkeit hngt an der Aktivierung aller seiner Teile. Die korporative Vorstellung eines allaktiven Ganzen, einer Kohrenz im Sinne
168 Wie die Interpretation der KMU IV besttigt sieht: Kirche in der Vielfalt (2006), 80. 169 Rendttorff (1958) und (1964).
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der corporate governance170 wie sie schon im Zusammenhang der Leitbilderstellung begegnet ist, schlgt sich hier nieder und durch. Die protestantische Trumpfkarte zu ziehen, hieße, im çffentlichen Panoptikum darauf hinweisen zu kçnnen, dass sich die Mitglieder als Mitglieder erweisen, indem sie selbstbestimmt und institutionskritisch ihren Glauben leben. Wie aber lsst sich das çffentlich darstellen, ohne bloße Behauptung zu sein? Wie lsst sich eine institutionskritische Haltung berhaupt als glaubwrdiger Ausdruck von Institutionsbindung anschaulich machen? Wahrheit muss in neoliberaler Optik berprf-, sicht-, mess- und beobachtbar sein. Das vom Protestantismus „selbst erzeugte Problem“, die erwartete und gefçrderte Individualisierung des Einzelnen, macht es dem kollektiven Subjekt schwer, sich in seiner Pluralitt als einheitlich und kohrent zu prsentieren. Dispositive auf Internetprsentationen bemhen sich darum, wenn sie eine Menge von Einzelnen als protestantisch berzeugte und individuell voneinander unterschiedene Ehrenamtliche und Aktive zu Wort kommen lassen171. Zu den „guten Grnden“, es mit der Resistenz deshalb erst Recht aufzunehmen, gehçrt in der kirchlichen Diskussion die Frage, ob es diese Resistenz berhaupt noch gibt und sich protestantische Mndigkeit noch auf kenntnisreiche berzeugung sttzen kann. Denn auch diese, so wird nun die eigensinnige Strategie der Subjektivation konstelliert, msste sich aktiv zeigen lassen. Zwar sind religiçse Aufbruchsbewegungen wahrnehmbar, begleitet werden sie von innerkirchlicher Skepsis, ob der darin wahrnehmbare Glaube denn (noch) Glaube der Kirche, christlicher oder gar protestantischer Prgung sei, denn die KMU und alltgliche pfarramtliche Praxis stellen fest, dass bestehende Kirchenmitgliedschaft in nicht unmittelbarem Zusammenhang mit Kenntnissen von bislang als zentral apostrophierten christlichen und protestantischen Inhalt einhergehe. „Was (…) aus kirchlicher Perspektive selbstverstndlich erwartet wird, nmlich ,dass man zur Kirche geht’; ,dass man die Bibel liest‘; dass man mitbekommt, was in Kirche und Gemeinde passiert‘; macht fr die Mehrheit ihre Identitt als evangelische Christen nicht aus. Insbesondere beim Bibellesen, als dem traditionellen Kernstck protestantischer Spiritualitt, fllt der niedrige Zustimmungswert auf“ (Schloz, DTPF 1997, 13).
Die KMU bringt in ihrer Funktion als Monitor die „innere Wahrheit“ des kollektiven Subjekts ber dieses selbst an den Tag und modelliert in der 170 Junge (2008) – dasselbe Problem gilt auch fr den Staat im Blick auf das Brgerschaftliche Engagement. 171 Z. B. eindrcklich: Leitbildprozess Pommern; oder auch: Bergmann (2001).
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performativen Hervorbringungen verschiedener Subjektvorstellungen erst das Problem, dass die Identitt der Mehrheit der evangelischen Christen ein distinktes Gegenber zur kirchlichen Perspektive darstellt. Die kirchliche Kommentierung der çffentlichen Kommentierung sieht sich in eine Ratlosigkeit gefhrt. Die subjektiv verweigerte Relevanzzuschreibung durch aktive Teilnahme am Gottesdienst kann aufgrund der Ergebnisse der KMU nur sehr zweifelhaft relativiert werden mit dem Hinweis auf eine andere Spielart bewusster protestantisch-individueller Frçmmigkeit, sich nmlich anderer Formen von Glaubensvergewisserung zu bedienen. Angesichts dieser çffentlichen Selbstberprfung durch die KMU gilt es nun, das Problem zu lçsen und çffentlich sichtbar zu machen, dass die Freiheit, in der seine Mitglieder agieren, tatschlich die protestantische Freiheit ist. Lçsung ffentliche und gesellschaftliche Relevanz, kann nur beanspruchen, was als individuelles oder als kollektives Ergebnis bewusster und engagierter Entscheidung çffentlich berprfbar, sichtbar und nachvollziehbar in Erscheinung tritt. Diese doppelte Zumutung, fr das individuelle wie fr das kollektive Subjekt, findet ihren konvergenten Ausdruck nun darin, dass nicht mehr einfach nur Mitgliedschaft, sondern aktive Mitgliedschaft gefragt ist. Gab es bisher eine unbewusste, gleichgltige oder sprachlose Mitgliedschaft, muss sie nun zu einer bewussten, entschiedenen und sprachfhigen werden. Gab es bisher eine Leitung, die Kirchenmitgliedschaft verwaltete, gibt es nun eine, die Mitgliedschaft fçrdert und aktiviert. Die quantitative Dimension transformiert in der diskursiven Produktion in eine qualititative. Und auch wer die von außen zugestandene çffentliche Relevanz durch die Umfrageergebnisse nicht in dieser Weise in Frage gestellt sieht wie der Soziologe Detlef Pollack (2003), „Natrlich gibt es ein gewisses Maß an Religiositt auch außerhalb der Kirche. Natrlich haben auch die distanzierten Kirchenmitglieder relativ hohe Erwartungen an die Kirche. Natrlich stellen die Kirchen weithin akzeptierte Institutionen in der Gesellschaft dar „ (2003, 74),
kommt nicht umhin, sich Gedanken darber zu machen, was die geringe Aktivitt der Mitglieder auch in anderen Bereichen der Kirche fr das Kollektive Subjekt bedeutet. „Die Frage, die sich angesichts der beobachtbaren Abwrtstendenzen in der Gesellschaft stellt, lautet jedoch, wie die Kirche in Zukunft ihre Aufgaben erfllen will, wenn sich ihre Mitglieder in ihr nur so wenig engagieren, wenn
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ihre Aktivitten nur von relativ wenigen getragen und untersttzt werden. Besteht nicht die Gefahr, dass die Kirche sich krftemßig, personell und finanziell verbraucht, ohne dass sie aus ihrem eigenem Mitgliederbestand die nçtige Energiezufuhr erhlt, die sie bençtigt, um die vielen von ihr erwarteten Leistungen zu erbringen?“ (ebd.).
Ob çffentlicher Relevanzverlust oder innersubjektiver Relevanz- und Ressourcenverlust, beides muss nun als Problem der Selbsterhaltung begriffen werden. Hier rckt der Gottesdienst prominent als problemlçsendes Dispositiv in den Fokus kirchlicher Selbstfhrung.
8.2. Gottesdienst Zentrum der Kirche: Vom Ursprungsgeschehen zum projektierten Ziel Ursprungsgeschehen Die Frage nach dem Umfang des Gottesdienstbesuches wird diskursiv begleitet von Debatten zur programmatischen Bedeutungszuschreibung des Gottesdienstes fr die Kirche. Angesichts der çffentlichen und innerkirchlichen Thematisierung abnehmender Besucherzahlen scheint nun eine theologische Grundberzeugung auf ihren Wahrheitsgehalt hin berprft werden zu mssen. Eine im Pfarrerblatt gefhrte Kontroverse fragt daher durch die quantitative Relation irritiert, genauer nach, ob der Gottesdienst im protestantischen Sinne denn berhaupt Zentrum ist, noch Zentrum ist oder berhaupt jemals Zentrum war und wie er als Zentrum zu denken ist172. „Denn in der Gemeindestatistik spiegelt sich die behauptete Zentralstellung des Gottesdienstes so nicht wieder. Aber was heißt das berhaupt: Der Gottesdienst sei das ,Zentrum‘ des Gemeindelebens?“ (Pausch 1995, 582).
Auch hier wie in den Leitbildprozessen wird es grundlegend, und die Argumentationsfigur beginnt oder endet nicht selten bei den Bekenntnisschriften oder der Bibel: Nach einer Auslegung der Confessio Augustana soll der Gottesdienst bekenntnisgemßes Zentrum der Kirche sein und durch Verkndigung des Wortes und stiftungsgemße Austeilung der Sakra172 Pausch (1999): „Ein von mir 1995 im Deutschen Pfarrerblatt (11/95) verçffentlichter Artikel ,Der Gottesdienst als Zentrum des Gemeindelebens? Bemerkungen zu einem theologischen Klische’ hat eine rege Diskussion ausgelçst. Vgl. die Leserbriefe von Schnellbcher und Bçnecke (2/1996) und den grundstzlichen Artikel von Christoph Schwçbel (2/1997). Auf Schwçbels Kritik habe ich wiederum in einem Leserbrief (5/1997) geantwortet.“
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mente die Gemeinde konstituieren in „verlsslicher sonntglicher Regelmßigkeit“ (Schulz). Gott selbst hat nach dem fnften Artikel des Augsburgischen Bekenntnisses, „das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakrament geben, dadurch er als durch Mittel den heiligen Geist gibt, welcher den Glauben, wo und wenn er will, in denen, so das Evangelium hçren, wirket“ (Dinkel 2000, 189).
Der Gottesdienst ist Ausdruck der Beziehung auf den der Kirche unverfgbaren Grund ihres Lebens, auf das Wort Gottes, das Zentrum kirchlichen Lebens, er ist „…der Ort im Leben der Kirche, an dem der Grund der Kirche, ber den die Kirche selbst nicht verfgt, bezeugt wird als Grund der Gemeinschaft, die Christen und Christinnen untereinander haben“ (Schwçbel 1997, 59).
Der Gottesdienst ist Ursprungsgeschehen, in Predigtamt und Sakrament von Gott gestiftet, hat einen unverfgbaren Grund. Dem Gottesdienst wird grundlegend theologische Bedeutung zugeschrieben und es ist „sinnlos“, wie die Streitschrift „Evangelium hçren“ (1999) betont, „diesen theologischen Zusammenhang mit einer Besucherstatistik infrage zu stellen (Evangelium hçren 1999, 19). Wirkung und Funktion fr das kollektive Subjekt So grundlegend theologisch bedeutungsvoll der Gottesdienst beschrieben wird, bleibt es doch nicht dabei zu konstatieren, was der Gottesdienst ist, wie noch in der Agende der VELKD 1955. Ergnzend tritt in den Kontroversen und Debatten eine weitere, nmlich funktionale Perspektive hinzu, die beschreibt, wie der Gottesdienst wirkt und was er bewirkt, so exemplarisch in der neuen, 2000 erschienen Agende „Evangelisches Gottesdienstbuch“, das diskursanalytisch als Dispositiv auf der Schnittstelle von kollektivem (Kirchenleitung) und individuellem Subjekt (Gemeinde, Pfarramt, Kirchenvorstand) in Erscheinung tritt. In ihrem Gottesdienst „erlebt die Gemeinde“ laut Auskunft des von den Kirchenleitungen gemeinsam herausgegebenen Gottesdienstbuches, „das Zentrum ihrer Identitt. Was in ihm geschieht, hat grundlegende Bedeutung und Folgen fr den Gottesdienst im Alltag, fr das gesamtchristliche Leben“ (Gottesdienstbuch 13).
Auch die konomie-Kritiker weisen auf die funktionale Dimension des Gottesdienstes hin, er habe im Hinblick auf den Einzelnen bildende Funktion und fhre in die „Grammatik christlichen Lebens und Handelns ein“ (Evangelium hçren, 19). Gottesdienste, so Pausch, bilden Kirche, sie
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stellen ein Set notwendiger Mçglichkeitsbedingungen fr das Entstehen und Fortbestehen von Kirche bereit (Pausch 1999, 81) und, indem sie dazu beitragen, Menschen in ihrem Glauben auf das Leben hin zu orientieren, sind sie „funktionales Fundament der Kirche“ (Pausch 99, 80). „Sie bauen die Kirche auf. Sie laden Menschen zum Glauben ein, sie bewahren im Glauben, sie spenden Trost und Hoffnung und helfen Menschen, ihr Leben von Gott her anzunehmen, mit ihm zu fhren und auf ihn hin zu leben“ (Pausch 1999, 80).
Der Gottesdienst „macht stabil zum nchternen, menschenfreundlichen Dienst im Alltag unserer Welt“ (Gottesdienstbuch, Vorwort zur Altarausgabe, 6). Der Gottesdienst hat Ausstrahlung und wirkt weiter in den Alltag hinein. Gottesdiensten wird auf diese Weise transitiv und intransitiv identittsbildende Funktion zugeschrieben: Sie bilden Kirche und sie bilden Gesellschaft, beides, indem sie Menschen eine Supportstruktur fr ihr alltgliches Lebens bieten. Wie çfter wird auch hier mit Verweis auf Luhmanns Systemtheorie und dem Theorem der funktionalen Differenzierung reifizierend und normierend argumentiert. So auch Pausch (1995): „Wenn wir in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft leben und diese Ausdifferenzierung nicht zugunsten einer Hierarchisierung reversibel ist, dann mssen sowohl Ekklesiologien als auch liturgische Theorien, wenn sie nicht unterkomplex sein wollen, funktionale Gesichtspunkte zur Interpretation des Zusammenhangs von Kirche und Gottesdienst zur Verfgung stellen kçnnen, mithin funktionale Theorie sein“ (584). Auch der CA VII wird mit Verweis auf die Expertise des systematischen Theologen Dierken bescheinigt, dass sie sich „in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft auf der Hçhe der Zeit“ (584) befinde, wenn sie Kirche „ebenso minimalistisch wie umfassend definiert (…) durch ihre konstitutiven Funktionen: reine Evangeliumspredigt und richtige Sakramentsverwaltung“ (584). Die CA nun – einzig und allein ber den Funktionsbegriff – in die systemtheoretische Rahmung eingetragen, gestattet es nun, die Argumentation sozialtechnologisch zu wenden und zu fragen: „Worin bestehen nun die Leistungen, welche die Institution des Gottesdienstes fr das soziale System Kirche erbringt, worin liegt ihre Unabdingbarkeit begrndet?“ (584).
Die Zuschreibung der Funktionalitt und die sozialtechnologischen Implikationen fhren nun allerdings zu einem erneuten Problem, das nach einer Lçsung verlangt. Es muss geklrt werden, wer das Subjekt des Gottesdienstes sei. Die im Pfarrerblatt daran entlang gefhrte Kontroverse fragt daher noch einmal theologisch genauer nach, wie das Gott im Gottesdienst zugestandene initiatorische Handeln behauptet und zugleich von der
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Funktionalitt des Gottesdienstes im Blick auf die empirisch erfahrbare und verfasste Kirche gesprochen werden kann. Durch begriffliche Differenzierung trgt z. B. Pausch dank der vielfach bemhten Denkfigur der ecclesia semper reformanda und einer dreifachen Unterscheidung von Kirche in geistliche und leibliche Gemeinschaft und geschichtliche Realitt zur Lçsung des Problems bei. Mit der wissenschaftlichen Expertise zu einer Arbeit ber Luthers Kirchenbegriff 173 lsst sich das Handeln Gottes danach zwar auf die geistliche und leibliche Gemeinschaft der Kirche beziehen, beide „als Geschçpf des Wortes im strengen Sinne“, nicht aber auf die „geschichtliche Realisierung von Kirche“, diese sei nach Luther „vielmehr Aufgabe und Werk von Menschen“ (Pausch 1999, 81). Von hier aus erçffnet sich die theologisch abgesicherte Perspektive. „Der Gottesdienst muss interpretiert werden als Zentrum der Kirche als leiblicher Gemeinschaft. Sie, die dem auf geistliche Weise Gegebenen auf leibliche Weise entspricht, ist nmlich die Zielbestimmung fr die Kirche als geschichtliche Realitt. Mit anderen Worten: Dahin wollen wir wohl kommen, aber wir sind noch lange nicht soweit, dass der Gottesdienst als soziohistorisch erfahrbares Phnomen tatschlich faktische Mitte unseres Gemeindelebens wre. (…) Sie, die ecclesia semper reformanda, ist vielmehr stets um die Realisierung der Zielbestimmung, der rechten Gestalt der Kirche, bemht. Sie ist immer unterwegs, nie am Ziel, stets auf dem Weg zu mehr auftragsgemßer Vollkommenheit“ (Pausch1999, 81).
Die Zentralitt des Gottesdienstes fr die leibliche Gemeinschaft wird nun zu einer Zielvorstellung der geschichtlichen Realisisierung, dahin wollen wir kommen, sie leistet einen „Beitrag zur missionarischen Rekonstruktion der Volkskirche“ (Pausch 2000, 439). „Der Gottesdienst ist das Zentrum von Gemeinde und Kirche als leiblicher Gemeinschaft. Das heißt, er stellt eine Zielbestimmung, ja die wesentliche Zielbestimmung von Kirche als geschichtlicher Realitt dar“ (Pausch 1999, 82).
Damit erweist sich nun auch der Gottesdienst theologisch fundiert im Blick auf seine auftragsgemße Vollkommenheit als Aufgabe oder Kernaufgabe der Kirche und wird zu einem Gegenstand der Selbstbearbeitung mit dem Ziel des „sozio-historisch erfahrbaren Phnomens“, und zwar im
173 Pausch bezieht sich auf die Arbeit von Gudrun Neebe (1997), Apostolische Kirche: Grundunterscheidungen an Luthers Kirchenbegriff unter besonderer Bercksichtigung seiner Lehre von den notae ecclesiae.
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Sinne einer nicht abschließbaren Selbstfhrungsaufgabe des kollektiven Subjekts. „Wie eine mathematische Kurve nhert sie sich asymptotisch einer Achse an, ohne sie in der Zeit jemals wirklich zu erreichen“ (Pausch 1999, 81).
Die funktionale Zuschreibung ermçglicht damit den Anschluss an den managerialen Selbstfhrungsgestus: Vom Ursprungsgeschehen zum zielorientierten Projekt. ber den Gottesdienst ließe sich das kollektive Subjekt als quantifizierbare Grçße abbilden. So legt sich die vom Impulspapier der EKD favorisierte Lçsung nahe und orientiert sich an einer Strategie zur Erhçhung der Zahlen. „Es muss darum gehen, die Beteiligung der Kirchenmitglieder an den Kernangeboten der evangelischen Kirche deutlich zu erhçhen (…) Die Zahl derjenigen, die regelmßig von den kirchlichen Kernangeboten Gebrauch machen, sollte sich auf ca. 50 Prozent aller Mitglieder verdoppeln. Der durchschnittliche Gottesdienstbesuch am Sonntag sollte – unter Bercksichtigung der kreativen Vielfalt von Angebotsformen – von derzeit 4 Prozent auf 10 Prozent aller Kirchenmitglieder gesteigert werden“ (Kirchenamt der EKD 2006, 52).
Wer die Notwendigkeit der Anerkenntnis çffentlicher Relevanz durch Zahlendokumentation infrage stellt, fragt sich dennoch, wie es mit der Anerkenntnis der çffentlichen Relevanz durch berzeugung, Authentizitt oder Glaubwrdigkeit bestellt sei: (Schwarz 2006) Wie glaubwrdig ist eine Kirche, die ihr eigenes Zentrum vernachlssigt? So geht es darum, Lçsungen zu finden, wie Gottesdienste „neu zum Lebenszentrum der Gemeinde und der Kirche werden“ (Evangelium hçren, 23) kçnnen. Denn der Gottesdienst wird erkannt als Maßnahme zur profilierten Qualifizierung des kollektiven Selbst, weil er individuell „in die Grammatik christlichen Lebens“ (ebd., 19) einfhren und man in ihm „christliches und gemeinschaftliches Leben“ lernen kann. Wirkung und Funktion fr das individuelle Subjekt Auch wer die Bedeutung der Zentralitt des Gottesdienstes fr das kollektive Subjekt nicht in dieser Weise teilt, verweist dennoch auf die Bedeutung des Gottesdienstes fr die Gemeindeglieder, die kommen wrden, wenn sie sicher sein kçnnten, zu bekommen, was sie brauchen und was sie ersehnen: Orientierung, Gotteserfahrung, Glaubensvergewisserung, Gemeinschaftserleben. Die potentiellen Gottesdienstbesucher aber gehen, so lautet die Argumentation in den diskursiven Bezgen, nur deshalb nicht in den
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Gottesdienst, weil sie sich davon nichts erhoffen. Die Kirche bleibt ihren Mitgliedern etwas schuldig, wenn sie sich hier nicht kmmert, sich nicht verndert und sich den Wnschen verweigert. „Das Volk hat seine Einstellung zur Institution Kirche gendert, also hat sich auch die Volkskirche zu ndern“. Die 209 Hamburger Gemeinden mssten spezielle Angebote machen. Gospel sei sehr gefragt, auch Gottesdienste fr Familien oder ausschließlich fr Frauen. (Gemeinschaft Hamburger Hauptkirchen, Die Welt 20. 12. 2001).
Der kundenorientierte Blick erkennt in dem Gemeindeglied das lebensunternehmerische Subjekt, das auf dem Markt der Religions- und Sinnangebote verantwortlich entscheidet und auswhlt, wo es Hilfe und Untersttzung bekommt und seine Bedrfnisse ernst und aufgenommen sieht. So heißt es beispielsweise auf der Homepage der EKD unter dem Link „Kirche fr Einsteiger“: „Besonders in den Gottesdiensten wird die gute Nachricht (das Evangelium) von Gottes Liebe zu den Menschen und zu seiner ganzen Schçpfung hçrbar, und im Abendmahl auch sichtbar und sprbar. Hier wird auch die menschliche Sehnsucht nach Segen gehçrt und beantwortet. So ist ein (sonntglicher) Gottesdienst die segensreiche Basis fr deinen Alltag. Du schçpfst Kraft und Mut, um in schweren Situationen nicht die Hoffnung zu verlieren“ (www.ekd.de, „Die“ zehn AnGebote der Kirche).
Religion, Spiritualitt, Sinn, Trost, Gemeinschaft, Kraft, Mut und Segen sind dazu angetan, dem Humankapital „inneres Wachstum“, „personal growth“ zu bescheren und die „konomie der Seele“ zu befriedigen, die nach prventiver Akkumulation verlangt (Brçckling 2002, 166). Der Gottesdienst wird entdeckt in seiner Wirkung auf Menschen und seiner Funktion fr ihre Lebensfhrung und damit als Angebot, das es zu prsentieren und von den gottesdienstlich Verantwortlichen als unternehmerische Subjekte zu entwickeln gilt. Wirkung erzeugen Die „Wirkung“ scheint in den Diskursen als funktionales quivalent zum gegenstndlichen Produkt zu firmieren, denn sie ist das, ber das in Verfahren, wo es nicht um die Erzeugung und den Vertrieb gegenstndlicher Produkte geht, Handlungswissen erzeugt werden kann. Anders ausgedrckt: „Wirkung“ ist die Antwort auf die Frage, wie in Berufen, die am und mit dem Menschen arbeiten, dem Steigerungsimperativ folgend gehandelt werden kann. Denn zur Herstellung und Steigerung von Wirkung kann auf unterschiedliche Weise Handlungswissen gewonnen und ange-
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eignet werden: Soziologisches, pdagogisches, psychologisches, neurologisches, schauspielerisches und anderes Wissen stehen neben dem ber Beobachtung und eigene Erfahrung gewonnen Wissen parat, den professionellen Begleiter, Berater oder Lehrer in einen Zustand zu versetzen, aus dem heraus er aktiv die die andere Person zur Selbstfhrung anleitenden Fhrungspraktiken optimieren kann, so dass in dieser etwas entsteht oder passiert, und sie etwas erlebt, erfhrt, sprt und hçrt. „Erlebnisorientierung“ wie sie sich in den performativen Anstzen ausdrckt, wre daher diskursanalytisch auch nicht, wie es zunchst scheinen kçnnte (Schroeter-Wittke 2003, 166), als Widerspruch zur „Ergebnisorientierung“ zu fassen, sondern nur als eine weitere Spielart der Subjektivation und Ausdruck der inkrementalen Einarbeitung des neoliberalen Steigerungsimperativs auf andere, nicht-çkonomische Bereiche.174
174 In diesem Zusammenhang wre diskursanalytisch auch das Aufkommen der performativen Pdagogik von Interesse, was im Rahmen dieser Studie nicht weiter verfolgt werden kann. – Leonard/Klie (2003); so lesen sich die Ausfhrungen von Schrçter-Wittke (2003) als mit der Subjektvorstellung des unternehmerischen Selbst gut kompatibel: „Kultur- und Missionsarbeit gehçren zuhauf. Beide gelingen nur dann, wenn sich Kirche bzw. die Christen hier selber aufs Spiel setzen. Beide kommen darin berein, dass sie erlebnisorientiert sind, nicht ergebnisorientiert, was so manch einem çkonomisch denkenden Kirchenleitenden gar nicht in den Kram passt. Denn wer sich aufs Spiel setzt, kann eben auch verlieren. Das tun wir als Kirche zwar stndig, aber wir wollen es mittlerweile auch mit aller Macht verhindern, was auf lange Sicht jedoch zu einem Verlust des investiven Muts fhrt (155). (…) In einer postchristlichen Zeit geschieht Mission als performative Religionspdagogik (…). In diesem Zusammenhang ist jngst fr das Konzept eines performativen Religionsunterrichts geworben worden, welcher mit der Schleiermacherschen Einsicht Ernst macht, dass es in der Religion keine Mitteilung ohne Darstellung und keine Darstellung ohne Mitteilung gibt. Performative Religionspdagogik heißt: Wir kçnnen nicht mehr nur ber Religion reden, sondern es geht um Formen pdagogischen Handelns, in denen Religion als Vollzug so erlebt werden kann, dass zum einen ein selbst verantworteter Ausstieg in Freiheit mçglich bleibt und sie zum anderen nicht zur Folklore verkommt“ (164 f ). „Performative Religionspdagogik inszeniert ,Probeaufenthalte in religiçsen Welten’ (B. Dressler) (…). Sie impliziert dabei immer auch eine Distanz. Statt zu fhren, entfhrt und verfhrt sie in fremde Welten, ohne dabei zu vereinnahmen. In solch augenzwinkernder Distanz und Nhe befhigt sie zur eigenstndigen Kritik. Mission ist immer auch kritische Bildungsarbeit“ (166).
8.3. Gottesdienst als Dispositiv von Fremd- und Selbstfhrung
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Der Gottesdienst als Dispositiv Der Gottesdienst in seinem potentiellen Nutzen fr das kollektive wie fr das individuelle Selbst gert in mehrfacher Hinsicht in den Fokus der Aufmerksamkeit, weil er als Instrument, Medium und Technik der Selbstfhrung verspricht, die identifizierten Probleme zu lçsen und dem auf quantifizierbares und qualifizierbares Wachstum bezogenen Steigerungsimperativ zu folgen. Der Gottesdienst selbst wird damit zu einem Dispositiv der Selbst- und Fremdfhrung. Der Begriff des Dispositivs, verstanden als Ensemble von Diskursen und Praktiken (siehe Kapitel 1.2.), von Sag- und Sichtbarkeiten, gestattet, auch partizipatorische, performative und inszenatorische Praktiken in die Analyse mit aufzunehmen.
8.3. Gottesdienst als Dispositiv kollektiver und individueller Fremd- und Selbstfhrung unter dem Steigerungsimperativ des Wachstums Im Folgenden wird die Selbst- und Fremdfhrung am Dispositiv des Gottesdienstes an zwei Verfahrensspielarten nachvollzogen. Gezeigt werden soll, wie sich in der Modellierung des gottesdienstlichen Verfahrens die Subjektivation eigensinnig weiter fortschreibt in der Aufnahme neoliberaler Responsibilisierungsstrategien, die jeweils vom Steigerungsimperativ der Arbeit an sich selbst durchzogen sind. Materialgrundlage sind Texte aus dem Deutschen Pfarrerblatt, die als Werkstatt- und Erfahrungstexte jeweils den gottesdienstlich Verantwortlichen, den Pastor oder die Kirchenvorsteherin adressieren und zur Nachahmung auffordern. 8.3.1. Das Dispositiv des Gottesdienstes als Selbstfhrung des kollektiven Akteurs: Kollektive Rume besser fllen Sich fhren durch die Entwicklung neuer Gottesdienste Deutlich wurde, dass die bisherigen Gottesdienste und Gottesdienstformen nicht ausreichen, das Problem der fehlenden aktiven Mitgliedschaft zu lçsen. Deshalb werden Gottesdienste nun geplant, konzipiert, entwickelt, entworfen und gestaltet. Es entstehen neben oder statt der bisherigen neue Gottesdienste. Gab es in den siebziger Jahren auch schon neue Gottesdienste, so mssen die jetzt konzipierten noch einmal von jenen unterschieden werden.
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Diese neuen neuen Gottesdienste erfordern Arbeit des kollektiven Subjekts an sich selbst, d. h. der bisher gewohnte Zusammenhang von Gemeinden, Gottesdienstbesuchern und Gottesdienstgestaltenden steht auf dem Prfstand und bedarf der Vernderung. So etwas „fllt nicht vom Himmel“ (Pausch) und muss mit „Pilotprojekten“ „erprobt“, „entwickelt“ werden, indem voneinander gelernt und Erfahrung weitergegeben wird. Als Beispiel fr „moderne missionarische Gottesdienste“ und als einen „Beitrag zum Gemeindeaufbau“ mçchte Eberhard Martin Pausch (2000) die von ihm unter der Rubrik „Aus der Werkstatt“ des Pfarrerblattes vorgestellten „Kreativen Gottesdienste“ verstanden wissen. Sein Bericht bezieht die EKD-Synode 1999 mit ein, die die „Frage nach Mission und Evangelisation neu formuliert hat“ und deren Aufruf zur „Vielfalt missionarischer Wege und Konzepte“ folgend, „Gottesdienste fr Kirchendistanzierte“ als „ein Segment“ gesehen werden sollten. „Wichtige Anstçße“ fr diese Gottesdienste, die Menschen nicht durch „Insiderwissen ausschließen“ wollen, seien aus den USA gekommen. So durch Willow Creek Community Church „(ca. 15.000 Gottesdienstbesucher pro Wochenende)“ und andere, deren Gemeinsamkeit laut Pausch in der Frçmmigkeit als einer engen evangelikalen und charismatischen Ausrichtung besteht. „Andererseits aber haben sie den Mut, auf berkommene Liturgien, Formen und Formeln zu verzichten und kreative Experimente im Bereich des Gottesdienstes zu wagen“ (ebd., 433). Gemeinsam ist ihnen auch der „quantitativ messbare Erfolg und Zuspruch“ (ebd., 433). Auch in Deutschland wrden seit Mitte der neunziger Jahre „Gottesdienste fr Distanzierte“ durchgefhrt, „Trendsetter“ sei die in der Nhe von Frankfurt gelegene Niederhçchstdter Andreasgemeinde „mit ihren monatlichen GoSpecial-Gottesdiensten“. Anstçße, Trendsetter – hier bewegt und verndert sich etwas, hier wird beurteilt, Information und Wissen abgewogen und nach den angemessenen und richtigen Wegen gesucht. In diesem Feld sucht auch die Kreuzkirchengemeinde, wie Pausch berichtet, ihren Ort, ihren ganz eigenen. Sich fhren durch die Adressierung des unternehmerischen Subjekts Wie auch in den Leitbildprozessen und in der Pfarrerfrage sind die Leitungsgremien wieder neu herausgefordert, nun als fr den Gottesdienst verantwortliche Subjekte. Sie kçnnen dies in Arbeitsteilung mit anderen Gemeinden tun („In jeder Region (exemplarisch: das Dekanat) sollte es in erreichbarer Nhe entsprechende Angebote geben“), und/oder einen Ausschuss beauftragen, der vorbereitet, sich kompetent macht und vor-
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schlgt. Der Aktivierungsmçglichkeit weiterer Akteure sind keine Grenzen gesetzt, aber man muss sich entscheiden, es zu tun oder zu lassen. Und wer entscheidet, es nicht zu tun, sieht sich in Begrndungspflicht: Was sollen wir denn noch alles machen? Der traditionelle Gottesdienst ist ausreichend, unser Schwerpunkt liegt woanders, die Menschen sind in der Kirchengemeinde aktiv, nur eben woanders. Nicht nur Pfarrer, Kirchenvorstnde und Ausschsse mssen an ihrer Flexibilitt und ffnung arbeiten, auch die „Kerngemeinde“, die nicht selten mit Widerstnden reagiert, weil sie „ihre gewohnten Muster und Traditionen in Frage gestellt“ (Pausch 2000, 434) sieht. Hier muss „berzeugungsarbeit“ geleistet werden. Und die scheint sich in Gemeinden am ehesten ber die theologische Expertise herstellen zu lassen, „denn die kreativen Gottesdienste sind ja kein Selbstzweck, sondern eine ganz bestimmte Ausdrucksform der biblischen Einsicht in den universalen Heilswillen Gottes. Denn Gott will,…dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen‘ (1.Tim. 2,4)“ (Pausch 2000, 434),
wenn sich das organisatorische Handeln der Kirche nun legitimierend als in engem Verbund mit dem Heilswillen Gottes ausweist. Sich fhren durch kompetentes Entscheiden Auch der Gottesdienst braucht seine eigene Marktposition, deshalb mssen der Kirchenvorstand und der von ihm beauftragte Ausschuss Entscheidungen treffen, z. B. die, ob von der blichen Gottesdienstzeit am Sonntag um 10.00 Uhr abgewichen wird. „ber diesen Punkt – die Uhrzeit – wurde lange diskutiert. Wir trafen eine Entscheidung, die eher untypisch ist, indem wir den Sonntagvormittag whlten. Soweit uns bekannt ist, finden die meisten »Gottesdienste fr Kirchendistanzierte« in der EKHN am Sonntagnachmittag oder in den Abendstunden statt. Wir gingen mit dieser Entscheidung bewusst ein Risiko ein, doch wurde unser Mut offenbar belohnt“ (Pausch 2000, 440 Anm.7).
Die fr die eigene Gemeinde angemessene Entscheidung treffen zu kçnnen, setzt auch hier Kompetenzen voraus, und also vorherige Information, Bildung und Lern- und Auseinandersetzungsbereitschaft, und nicht zuletzt wird an den unternehmerischen Geist appelliert, denn das Risiko luft auch hier mit, es kçnne niemand kommen oder sich kein zahlenmßiger Erfolg einstellen. Sowohl von traditioneller Gottesdienstprgung als auch vom Trend abzuweichen bedarf einer Risikobereitschaft, die sich nachtrglich an der Akzeptanz, am zahlenmßig belegten Erfolg messen lassen muss.
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Deshalb gehçrt, wie spter zu zeigen ist, zu der akribischen Vorbereitung auch die entsprechende Bilanzierung im Nachgang. Sich fhren durch Zielgruppenorientierung Nicht nur die Gottesdienstzeit, auch der Gottesdiensttyp will bewusst gewhlt werden. Auch hier kann man sich wie schon bei den Milieustudien auf inzwischen wissenschaftlich aufbereiteten Support sttzen175, um den fr die eigene Gemeinde passenden herauszufinden (Pausch 2000, 434): Es gibt „Gemischte Gottesdienste“ –„ein wenig Bach, ein wenig Jazz, etwas Popmusik ergeben zusammen ein undeutliches Ganzes“– oder auch „Besucherfreundliche“. Diese Gottesdienste sind „weithin traditionell“– jedoch mit vereinfachter liturgischer Ordnung, Pfarrerinnen kçnnen dort auch ohne Talar auftreten, Rollenspiele sind mçglich und alle Besucher „werden freundlich empfangen und angeleitet“. Bei den „Besuchersensiblen Gottesdiensten“ spielt eine Band, der Gottesdienst ist abwechslungsreich, im Normalfall werden nur Lieder, die „nach 1980 komponiert wurden“, gesungen, Rollenspiele sind mçglich und eine Großbildleinwand steht fr Videofilme parat. Der „Besucherorientierte Gottesdienste auf professionellem Niveau“ – wie sie in Willow Creek oder Niederhçchstadt gefeiert werden, unterscheidet sich vom besuchersensiblen „durch den Grad seiner Professionalitt“ und seiner „kompromisslosen Ausrichtung auf ,Nichtchristen‘“, mit Theaterstcken als festem Bestandteil. Die Frankfurter Kreuzgemeinde muss auch hier wieder sondieren, diesmal, wie sie sich selbst im volkskirchlichen Spektrum verorten, welche Zielgruppe sie ansprechen will und welches der wie in einer Toolbox aufgereihten Instrumentangebote als das geeignete erscheint. Sie entscheidet sich fr einen „Kompromiss“ zwischen besucherfreundlich und besuchersensibel und fr ein eigenes „volkskirchlich verankertes“ Konzept in Abgrenzung zu dem einer „engeren Frçmmigkeit“.176 Vogt formuliert in der marktorientierten Semantik, dass 175 Der Ausschuss berief sich auf ein „Modell von George C. Hunter (1997) Kirche an Hecken und Zunen, Modelle einer Kirche fr Distanzierte 1997“ (ebd., Anm. 8). 176 Ebd.,Anm. 9 lsst den diskursiven Aufwand erkennen, mit dem das jeweils eigene Profil gefunden wird, wenn die Abgrenzung zu einem GoSpecial-Gottesdienstes in Niederhçchstadt begrndet wird: „Ein Beispiel: Die Frage: ,Was wrde Jesus zu Gerhard Schrçder sagen?’ htten wir schon deshalb nicht stellen kçnnen, weil die (ohnehin nur fiktiv erhebbare) Meinung des historischen Jesus zu einem Thema oder zu einer bestimmten Person unter systematisch-theologischen Gesichtspunkten irrelevant ist“.
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„nur eine Gemeinde, die lernt, ihren Gottesdienst und ihre Angebote mit den Augen eines Außenstehenden zu sehen“ auch „einladend“ (Vogt 99, 85).
sein kann. Dies hieße letztlich nichts anderes, als den „Missionsauftrag ernst zu nehmen“ (ebd.). Die marktfçrmige Kundenorientierung und gouvernementale Allaktivierung wird als quivalent zum Missionsauftrag gefhrt. Nicht nur der Pfarrer muss lernen, kundenorientiert-missionarisch zu werden (DTPF Hering 2003), nicht nur der Kirchenvorstand, auch die Gemeinde muss dies lernen und indem sie das tut, subjektiviert sie sich und die brigen neu als Einladende und Gastgebende bzw. als Eingeladene und Gste, als Missionare und zu Missionierende. Gemeinde ist nicht mehr einfach Gemeinde, sondern funktionalisiert und differenziert sich in der Logik von Anbieter und Kunde. Diese Differenzierung ist Teil der gouvernementalen Technologie, mithilfe derer sich die Subjektivation, Unterwerfung und Bemchtigung, vollzieht und ber die eine Subjektvorstellung durch eine andere abgelçst wird. Sich fhren durch Erschließung neuer Rume Flexibilisierung ist auch an anderer Stelle gefragt, denn nicht nur ber Gottesdienstzeiten und -typen ist zu entscheiden, sondern auch ber die Frage, wo der Gottesdienst stattfindet. Auch hier ist die prospektive Erforschung und Antizipation des Kundenverhaltens von hçchstem Interesse. Das Kirchengebude ist als fester Gottesdienstort schon deshalb zur Disposition gestellt, weil es Menschen eine bewusste Entscheidung abverlangt, dort hin zu gehen, was durch mçgliche Vorerfahrungen oder Unkenntnis geprgt erschwert sein kçnnte. Wenn die Menschen nicht zur Kirche kommen, muss die Kirche zu den Menschen kommen: Kirche bewegt sich und geht mit ihren Gottesdiensten deshalb auf Bahnhçfe, in Zoos, auf Spielpltze, in Schwimmbder, Kinos und Museen. „Von der Komm- zur Geh-Struktur“ (Schloz) ist das Stichwort, mit dem niedrigschwellig unterschiedlichen Zielgruppen der Gottesdienst nahe gebracht werden soll. Das hat Kirche zwar immer schon gemacht, jedoch bislang funktional als missionarische Kirche wie die Stadtmission, als „Kirche unterwegs“ auf Campingpltzen oder nur gelegentlich als parochiale Gemeinde zu besonderen kommunalen Gelegenheiten wie dem Schtzenfest. Nun aber sind alle funktionalen Dienste und parochialen Gemeinden aufgefordert, darber zu entscheiden, ob sie dies tun oder sein lassen sollen, mit dem weiteren Unterschied, dass es nun entwickelte Programme sind, die als Staffel laufen oder als zielgerichtete Projekte: Gottesdienste fr Kirchendistanzierte, Kirchenferne, Kirchenfremde, Neugierige, Sucher, fr Menschen in
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bestimmten „Lebenssituationen“, fr Geschiedene, Trauernde, Frisch Verliebte, Tierliebhaber oder als Programm „Sieben Gottesdienste fr Menschen, die sonst nie einen besuchen“ (golife Dresden) Diese Gottesdienste heißen zum Beispiel missionarische, kreative Gottesdienste, „Gottesdienst mal anders“ oder „Zweites Programm“. So wie hier die Eroberung anderer Rume vorgenommen wird, meldet sich mit gleichem Recht die andere Perspektive zu Wort, weil sie das kirchliche Eigeninteresse vernachlssigt sieht. Es gilt die Rckeroberung des eigenen Raumes, deshalb mssten gerade Gottesdienste fr Kirchendistanzierte im Kirchenraum stattfinden. Ziel sei nicht ausschließlich andere zu erreichen, sondern auch, dass Kirche als Identifikationsraum und kirchliches Symbol mal anders, ungewohnt und berraschend erlebt werden kçnne. Auch bei dieser Lçsung kann man sich als Verantwortliche von Erfahrungen anderer Gemeinden oder von Handbchern inspirieren lassen und zwischen roten Sofas, Bistrotischen, Großbildschirmen, Kuschelecken, einem leer gerumten oder ganz bewusst nicht verndertem Kirchenraum whlen. So oder so, ist die Kirche sich selbst ihr grçßter Konkurrent, weil sie sich eben anders zu erkennen geben will, als das vermutete Bild in den Kçpfen der Leute sie vorsieht. Sie muss sich nicht nur neu entwerfen, sie muss auch glaubwrdig versichern, dass sie es ernst damit meint. Sich stimulieren durch partizipatorisches Aktivieren: Das Ganze anvisieren Nun darf die Arbeit sich nicht ausschließlich darauf konzentrieren, dass mehr und andere und auch kirchendistanzierte Menschen zum Gottesdienst kommen, sondern dass die, die kommen, einen „Gewinn“ haben. Dabei ist die eine leitende Vorstellung, dass man vom Gottesdienst „etwas haben“ muss. Das „Neue an den neuen Gottesdiensten“ ist, dass sie eine Wirkung erzeugen, die auch von Kirchendistanzierten als „wertvoll“ beschrieben wird. Folgt man den Ausfhrungen Fabian Vogts177, welche Kriterien Gottesdienstverantwortliche in der Konzeptionierung befolgen sollten, um dieses Ziel zu erreichen, so begegnet ein Konzept der gesteuerten Selbstfhrung, was konsequent den Gottesdienstbesucher als den auswhlenden Lebensunternehmer anspricht und ihn ber kommunikative und gestalterische Techniken in die „Grammatik des christlichen Lebens“ 177 Vogt (DTPF 1999), „Ein Traum von Kirche, GoSpecial oder Was Gottesdienste fr Kirchendistanzierte leisten sollten und kçnnen!“ Vogt berichtet aus den Erfahrungen und vor dem Hintergrund seiner Arbeit mit den auch von Pausch erwhnten Gottesdiensten in Niederhçchstadt.
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einfhrt. Visionres Ziel der unabschließbaren Arbeit des kollektiven Subjekts an sich selbst ist, so die im Folgenden verfolgte These, die authentisierte Gemeinschaft. „Erst eine Feier, in der alle Beteiligten wissen, was sie da tun, und in der dieses Bewusstsein auch fr einen Besucher deutlich wird, kann nach innen und nach außen wirken“ (Vogt 1999, 83).
Leitend ist die Idee, dass sich Wirkung ber Sinnhaftigkeit entfaltet, die jedoch bei Kirchendistanzierten nicht vorausgesetzt, sondern zunchst hergestellt werden muss: Man muss das Vaterunser kennen und wissen, was es bedeutet, um es aktiv mitbeten zu wollen. Man muss wissen, warum man im Gottesdienst aufstehen soll, um aufstehen zu wollen. Die eigentliche Arbeit der Gottesdienstverantwortlichen liegt daher darin, dies plausibel zu machen. Der entscheidende Unterschied zur bis dahin blichen katechetischen Arbeit der Bildung liegt auf dem Fokus der sich entfaltenden Wirkung: das Bewusstsein (wird) auch „fr einen Besucher deutlich“. Es reicht nicht, dass man etwas erklrt bekommen hat, es reicht nicht, dass man es verstanden hat, man muss sich dafr entschieden haben und es selber wollen, so, dass andere es spren kçnnen. Die weitere Vorstellung ist, dass nur, wenn das Geschehen allen plausibel ist, sich die eigentliche Wirkung entfalten kann. Hier wird eine korporative Relation zwischen dem individuellen und kollektiven Subjekt hergestellt, die davon ausgeht, dass erst alle Teile des Ganzen aktiviert sein mssen, damit das Ganze aktiviert ist. Eine Verweigerung von Akzeptanz kme einer Stçrung oder einer Hinderung gleich. Daher mssen die gottesdienstlichen Verfahren weiter darauf befragt werden, ob sie so kommunizieren, dass sich niemand in die passive Rolle gedrngt oder nicht angesprochen fhlt. Es sei deshalb, so Vogt, zu bercksichtigen, dass Menschen selber feiern und nicht nur mitfeiern wollen. „Da aber, wo Sprache, Musik, Bilder, Sozialverhalten oder Rezeptionsprozesse des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts wahrgenommen und reflektiert werden, spren Besucher, dass man sie ernst nimmt und dass Glaube etwas mit ihrem Leben zu tun hat“ (Vogt 1999, 84).
Die Aufnahme lebensweltlicher Semantik und Symbole, die Ansprache von Bekanntem und Vertrautem wird als Mçglichkeit gesehen, eine spezifische Wirkung zu erzeugen: das Gefhl des Ernstgenommenwerdens. Menschen, so die Vorstellung, wollen als Individuen und zwar in ihrer spezifischen Lebenswelt angesprochen werden und Mçglichkeit erhalten, in der
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von ihnen selbst gewollten Weise zu feiern und Feste zu gestalten178. Erst die in gottesdienstlichen Formen erfahrbare Akzeptanz eines individuellen Gestaltungswillens, so die Vorstellung, erçffnet die Bereitschaft, sich mit dem Glauben als Teil der eigenen Lebenswelt zu befassen. Auf dieser Ebene liegt auch die weitere Frage, nmlich nach der Relevanz des Gottesdienstes. „Kirchendistanzierte werden von sinnstiftenden Angeboten berschwemmt, und sie wollen zu Recht wissen, warum sie in die Kirche gehen sollen. Oder andersherum: Wenn sie das Gefhl haben, etwas sei unrelevant, kommen sie nicht wieder“ (Vogt 1999, 84).
Die Realitt eines Marktes von Sinnangeboten wird als gegeben vorausgesetzt und das Individuum in dieser Konsequenz als auswhlender Kunde oder Konsument besttigt. Auch die Kirche wird adressiert als einer unter mehreren Anbietern, und wenn der Gottesdienstbesucher nicht wiederkommt, scheint dieser Umstand kaum anders gedeutet werden zu kçnnen als ein Relevanzverlust. Dass Menschen nach der Relevanz, dem Sinn und dem Nutzen von Gottesdienst fragen, sollte kirchlicherseits „nicht einfach verchtlich beiseite“ gewischt werden. Denn jemand, der unbewusst das Gefhl habe, er vergeude seine Zeit, „kann niemals mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und all seiner Kraft Gottesdienst feiern“ (ebd., 84). Auch die Kirche sollte demnach ein Interesse an mndigen und selbstbestimmten Individuen haben, die sich bewusst fr sie entschieden haben. Der ganze Mensch steht in dieser Konzeption als Metapher fr die konsequente Entscheidung179. Was fr das Verhltnis von kollektivem und 178 Lebensstile oder Milieus werden in dieser Weise nicht nur aufgerufen („ernst nehmen“), sondern zugleich als Identittszuschreibung besttigt. Die andere Seite der Subjektivation, die Unterwerfung, wird in diesen Konzepten, die auf lebensweltliche Akzeptanz zielen, nicht reflektiert. „Individuen machen sich selbst ber die marktfçrmige Verortung in Lebensstil- und Milieumodellen zu mehr oder weniger kalkulierbaren Grçßen in einer vermeintlich pluralistischen und individualisierten Gesellschaft“ (Frankenberger, 213). 179 Meyer-Drawe (2008, 107) verfolgt bezogen auf die „Diskurse des Lernens“ den „Zauber der Ganzheit“: „Ganzheitsideale verheißen eine heile Welt. Diese kennt keine Lcken, Stockungen, Unverbundenheiten, Anschlusslosigkeit, Hemmungen des Sinnerfassens, tauchen diese dennoch auf, sind sie ihr peinlich.“ – Weber (2006c, 142) weist darauf hin, dass die Ganzheitlichkeitsvorstellung in starker Weise mit dem Gemeinschaftsgedanken zusammenzuspielen scheint; Vorstellungen von Authentizitt, Ursprnglichkeit, Echtheit stellen sich hier ein. Wie in dem Diskurs der 70er Jahre gilt die „Ganzheitlichkeit“ unter Aufnahme des Demokratisierungs- und Partizipationsgedankens als Gegenbild zu Entfremdung und Abspaltung, als gelungene Verbindung von privat und çffentlich, als antiinstitutionell.
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individuellem Subjekt galt, gilt fr auch das individuelle Subjekt selbst: Geminderte Kraft ist stçrende Kraft. Deshalb muss sich der Gottesdienst endlich im Hinblick auf seine eigene Glaubwrdigkeit befragen, „Kçnnen wir das glauben?“ „Kirchendistanzierte haben hufig ein sehr gutes Gespr dafr, ob das, was ihnen in einem Gottesdienst begegnet, ein Klischee oder ein zutiefst empfundenes Bekenntnis ist. Darum ist ihnen kaum etwas wichtiger als Authentizitt“ (Vogt 1999, 84).
Glaubwrdigkeit bemisst sich danach, was als authentisch empfunden, als wahrhaftig ersprt, als stimmig erfahren wird. Dies kategorisch zu beurteilen, liegt dabei beim Rezipienten, in diesem Fall beim Gottesdienstbesucher. Dass aus kirchlicher Sicht diese subjektivistische Zuschreibung nicht einleuchten muss – zumal eine vertraute diskursive Denkfigur ist, theologische Aussagen an der Form unabhngig von der Person festzumachen – indiziert der Einwand, „Es mag seltsam sein, die Glaubwrdigkeit des Evangeliums von der Glaubwrdigkeit des Predigers abhngig zu machen, aber es ist nur allzu menschlich“ (ebd., 84),
der durch den Verweis auf das als absolute Faktizitt behauptete Menschliche folgenlos bleiben darf. Authentische Wirkung geht aber nicht ausschließlich von der Person aus, sondern von der Gesamtgestaltung. Auch hier bedarf es der selbstkritischen Befragung, ob „Form und Inhalt, Prsentation und Botschaft in unseren Gottesdiensten noch zusammenpassen“ (ebd., 84).
Die Argumentation wird von der Vorstellung geleitet, nach der es in der Konzeption und Durchfhrung des Gottesdienstes darum gehen muss, ein Ganzes zu entwickeln, das in sich keine Elemente enthlt, die den Besucher irritieren, ablenken oder stçren kçnnten: Es muss passen und stimmig sein. Das „Neue“ an den neuen Gottesdiensten ist insofern durch die in sich widersprchliche Grundfigur der Fremdfhrung zur Selbstfhrung gekennzeichnet, der Doppelfigur von Autonomie und Heteronomie, mit dem Ziel, diese Trennung letztlich aufzuheben. Die Strategie zielt darauf, die individuelle Selbstbestimmung so zu ermçglichen, dass regulierend alle Anteile sowohl des kollektiven wie subjektiven Selbst ausnahmslos aktiviert und entwickelt und alles Stçrende und Widerstndige durch Integration eliminiert wird. Die leitende Vorstellung dabei ist, dass dies geht, wenn die Verfahren nur kompetent genug angewendet werden. Auch hier begegnet
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eine Doppelcodierung von alter und neuer Pastoralmacht, die alte Pastoralmacht hier in dem Bemhen, omnes et singulatim, das Ganze und das Einzelne im Blick zu behalten. Niemand soll ausgeschlossen sein und niemand soll neuerlich ausgeschlossen werden. Damit das gelingt, muss viel Wissen generiert werden, in diesem Fall das Wissen ber den selbstunternehmerischen Gottesdienstbesucher, seine Bedrfnisse, seinen Geschmack und sein Verhalten. Ihn zu fçrdern, zu untersttzen und zu aktivieren gilt die neue unternehmerische Fhrung zur Selbstfhrung. Die Sicht selbstunternehmerischer Kirchendistanzierter und deren Bedrfnisse werden perspektiviert, indem zugleich deren Konzept von individueller Selbstfhrung unter Aspekten von Ntzlichkeit, Lebensdienlichkeit, Hilfe zur Lebensgestaltung vorausgesetzt und durch den zur Selbstfhrung anleitenden Gottesdienst besttigt wird. „Ein Gottesdienst sollte sich darum immer fragen, ob und wie er denn bei der Lebensgestaltung hilft, auf welche Weise er den Menschen dient, und wo er zu einem Ort wird, an dem ,Heil, Weisheit und Klugheit‘ (Jes.33,6) gedeihen“ (Vogt, 84).
Sich stimulieren durch partizipatorisches Aktivieren: Die Vielfalt anvisieren Auch wer die Vorstellung eines stimmigen Ganzen nicht in dieser Weise favorisiert, verfolgt eine andere Vorstellung, die ebenfalls dem Steigerungsimperativ verhaftet ist. Denn die Kirche selbst gewinnt ber die Beteiligung vieler Verschiedener immer mehr aktive Pluralitt. Je mehr Menschen sich beteiligen, umso mehr neue Perspektiven werden einbezogen, es erçffnen sich andere Mçglichkeiten, sie bereichern den Gottesdienst, machen ihn glaubwrdiger. Auch die an der gottesdienstlichen Leitung Beteiligten erfahren quantitativen und qualitativen Zuwachs, was, wie das neue Gottesdienstbuch hervorhebt, theologisch gut begrndet ist. Dieser partizipatorisch-kommunikative Charakter evangelischer Gottesdienstgestaltung entspricht, wie schon erwartet, dem „Priestertum aller Glubigen“, wenn hier sogar die ganze Gemeinde responsibilisierend einbezogen wird: „Der Gottesdienst wird unter der Verantwortung und Beteiligung der ganzen Gemeinde gefeiert“ (EGB, 15). War bislang die Mitwirkung von Gemeindegliedern oder Kirchenvorstnden begrenzt auf die Leitung „besonderer Gottesdienste“, so gibt es nun Vor- und Nachbereitungsteams, unter Einbeziehung von „Distanzierten“, „Experten“ – ein Zauberer zum Thema Wunder (Kreuzkirchengemeinde), ein Arzt zum Thema Lepra-Erkrankung (Tbingen) – Menschen aus dem „Stadtteil“,
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aus der Nachbarschaft, aus kirchlichen und nichtkirchlichen Initiativgruppen. Zu einem qualitativ wertvollen Gottesdienst wird 2007 gehçren, dass er „selbstverstndlich“ im Team gemeinsam konzipiert ist (Michaeliskloster Hildesheim). Die Leitungsfunktion differenziert sich, und Ankndigungen unter Gottesdienstverantwortung sind zunehmend mit Hinweisen wie „Pastorin und Team“ versehen. Als Maßgabe kann gelten, dass sehr große Partizipation von Gemeindegliedern allein bereits zu begrßen ist. Damit die Freiheit aber eine unter Kompetenzerwerb gesteuerte Freiheit ist, verheißen Fortbildungen dem vorbereitenden Team „in 10 Schritten“ den Weg „vom Text zum Gottesdienst“. Das kollektive Subjekt entwickelt sich durch partizipatorische Aktivierung. Sich steuern durch Evaluieren: Wirkung in Zahlen und Aktivierungsgrad messen Experimentelle Unternehmungen sind vom Risiko umgeben und wer an sich in dieser Weise arbeitet, braucht, so die Vorstellung, die den Kurs besttigende oder korrigierende verobjektivierte Bilanzierung. Das gilt auch fr die Vernderung oder Beibehaltung von traditionellen Gottesdienstzeiten, -inhalten und -orten und Beteiligungsmçglichkeiten. Die Frankfurter Gemeinde findet ihr Wagnis „zunchst in nackten Zahlen“ besttigt (Pausch 2000). Die Besucherzahlen sind „rund doppelt so hoch“ wie bei „normalen“ Gemeindegottesdiensten und die durchschnittliche Kollektenhçhe fllt hçher aus als blich. Wurden und werden auch bislang Gottesdienste statistisch und verwaltungsmßig in Kollektenbchern erfasst, unterscheidet sich das Verfahren nun darin, dass das „Rechenschreiben“ (Vormbusch 2007), die Auflistung von Zahlenreihen, Bestandteil des Gestaltungsprozesses ist, der als solcher verçffentlicht zur Anschauung und Beurteilung des Erfolgs in symmetrischer Auflistung oder Misserfolgs des Unternehmens auffordert, wie z. B. tabellarisch im Pfarrerblatt dokumentiert (Pausch 2000, 439). Ein weiterer Faktor ist bisher nicht in den statistischen Kirchenbchern vorgesehen und kommt mit der ausgewerteten Medienresonanz neu hinzu. Sie dokumentiert die çffentliche Wirkung und indem sie das tut, besttigt sie das Tribunal der marktorientierten ffentlichkeit. Das Gottesdienstthema, die Erwhnung von besonderen Gsten, die Besucheranzahl, Kollekte und die Medienresonanz werden miteinander in Beziehung gesetzt und sollen als so verobjektivierte Wahrheit den quantitativen und çffentlichkeitswirksamen Erfolg dokumentieren.
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Ob der Altersdurchschnitt niedriger oder hçher „als sonst“ ist, gilt als Maßstab fr die Weiterentwicklung des status quo und ist deshalb schon einer Erwhnung wert. Aber nicht nur die Besucherzahlen als solche interessieren, sondern, weil es um die Frage des persçnlichen Nutzens des Gottesdienstes fr den Einzelnen geht, die subjektive Einschtzung der Besucher, wie z. B. „vielfach begeisterte persçnliche Rckmeldungen“ (ebd.). Um die subjektive Wirkung zu erforschen, kann auch hier von der Erfahrung anderer Gemeinden profitiert und eine „exemplarisch durchgefhrte, ausfhrliche Befragung von Gottesdienstbesuchern“ „nach einem Muster der Niederhçchstdtergemeinden“ durchgefhrt werden. Eine hohe Zustimmung zu den „Kreativen Gottesdiensten“ gerade bei Kirchendistanzierten wird ausgemacht (Pausch 2000, 439), und dieser Erfolg lsst sich ber Zahlen als Ausdruck von Varianzen und Abweichungen von Standards objektiv verbuchen. „30 % gaben an, ,durch diesen Gottesdienst neu ber den Glauben nachgedacht zu haben.‘ Etwa 22 % ußerten, neues Interesse an der Kirche bekommen zu haben, 34 % signalisierten, Anstçße fr ihren Alltag empfangen zu haben. Nur 14 % meinten, sie htten ,kaum Impulse erhalten.‘“ (Pausch 2000, 440, Anm.14).
Neues erfahren, neue Anregungen, Impulse, Vernderungen, hier wird nach innerer Bewegung gefragt als Indikator fr die subjektive Wirkung. Schon die Vernderung des Status Quo – das gewohnte Bild einer Kirche, von der man nichts erwarten kann – kann als Fortschritt verbucht werden. Auch dass „man gut gelaunt“ den Gottesdienst verlsst, ist einer Erwhnung wert180, genau so wie der Hinweis auf den durch die Teamarbeit erzielten „Spaß“ oder die hohe Motivation. Hier macht man Indikatoren aus, die auf die erhoffte multiplikatorische und exponentielle181 Wirkung verweisen: man kommt wieder, bleibt dabei, wirbt und erzhlt weiter. 180 Wie die evangelische Zeitschrift Chrismon in ihrer neu eingefhrten RankingRubrik vermerkt. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, regelmßige Gottesdienstkritiken durchzufhren: Liturgie, Predigt, Musik, Atmosphre werden im Punktesystem von einem Redakteur bewertet. Und wenn „kein Stuhl mehr frei“ war, „nicht auf der Empore und nicht hinter dem Altar“ und dies „an einem gewçhnlichen dritten Sonntag nach Epiphanias“ liest sich diese Meldung als Gegenkommentar zu den „Leeren Bnken“. „So gut gelaunt geht man selten aus der Kirche“. 181 Vogt ebd., 84: „Fnfzehn motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begannen im Dezember 1995, einmal im Monat einen ,etwas anderen’ Gottesdienst zu feiern, in dem der einladende Charakter allen Beteiligten besonders wichtig war. Ein Jahr spter musste GoSpecial wegen berfllung der Kirche geteilt, ein weiteres halbes
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„Teamarbeit machte so viel Spaß, dass manche schon allein ihretwegen fr die Kreativen Gottesdienste schwrmten und in ihrem Bekanntenkreis erfolgreich fr sie warben“ (Pausch 2000, 434).
Kriterium fr individuelles oder kollektives Wachstums ist, was den Einzelnen nicht hindert, sondern in seiner Einschtzung befçrdert, berhaupt hinzugehen, wiederzukommen, dabeizubleiben, Erlebtes weiterzuerzhlen. Der Blick fllt aber nicht nur auf den neuen, bisher nicht aktiven und aktivierten Gemeindeanteil, sondern auch auf die traditionellen, treuen Gemeindeglieder und die sich dem Lernprozess çffnenden Kirchenvorstnde. Sie profitieren von der ffnung, dem Perspektivwechsel, denn neue Horizonte çffnen sich und regen das innere Wachstum an. „Allein das Eintreten in einen solchen Prozess fllt das vorhandene Gemeindeleben mit neuem Selbstbewusstsein. Im Mai und im Oktober jeden Jahres laden die Verantwortlichen von GoSpecial nach Niederhçchstadt ein, um vor Ort ber die Hintergrnde der Arbeit zu informieren“ (Vogt 1999, 85).
Ein neues Selbstbewusstsein kann in Aussicht gestellt werden fr die Mhe der ffnung und erhlt zustzliche Anerkennung durch die Mçglichkeit, als Anreiz und Vorbild, Modell oder Best Practice fr andere Gemeinden gelten zu kçnnen. Zusammenfassung Es wurde gezeigt, wie die gottesdienstlichen Verfahren durch Verfahren der managerialen Selbstzurichtung ergnzt oder transformiert werden. Es wird geplant, berechnet, kalkuliert, selbst- und fremdbeobachtet. Hierdurch werden Erweiterungsmçglichkeiten eruiert, alte und neue Potenziale aktiviert, experimentell neue Formen erschlossen und Ziele anvisiert. Der Gottesdienst wird darber zu einem Medium der kollektiven Selbstfhrung, die darauf zielt, sich selbst als kollektives Subjekt Kirche authentisierend als Gemeinschaft herzustellen. Ressourcen finden sich im kirchlich-theologischen Diskurs in Grundhaltungen des Protestantismus. Die korporative Vorstellung vom Priestertum aller Glubigen, die leicht erweiterbar ist im Blick auf Vorstellungen von verschiedenen Gemeinschaftsformen der und innerhalb der Kirche, die Hochschtzung und Respektierung des Einzelnen, das Postulat von der protestantischen Freiheit und Verantwortung des Einzelnen und das damit zusammenhngend Jahr spter ins Brgerzentrum verlegt werden. Inzwischen ist das Team auf ber hundert Engagierte gewachsen, drei Musik- und eine Theatergruppe sind entstanden“.
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als notwendig vorausgesetzte Element der Bildung erleichtern die Umsetzung einer eigensinnigen Strategie, den Gottesdienst ber partizipatorische, kommunikative und pdagogische Praktiken zu erweitern und darin zugleich das individuelle Subjekt als selbstunternehmerisches Subjekt besttigend zu adressieren. In der sich ber das oben beschriebene Dispositiv des Gottesdienstes herstellenden Subjektvorstellung der Kirche amalgamiert die neoliberale Vorstellung einer Corporate identity mit der einer sich nach innen und außen authentisierenden Glaubens- und Heilsgemeinschaft, an deren Ermçglichung sich der Steigerungsimperativ bindet. Aus der Glaubensund Heilsgemeinschaft kann und darf niemand herausfallen oder von vornherein ausgeschlossen werden. Deshalb muss evaluiert werden, ob alle Gemeindeglieder bzw. Besucher zufrieden waren und Erkenntnis- und Erlebnisgewinn hatten, ob sie sich ernst genug genommen gefhlt und alles verstanden haben, und ob ihre Interessen bercksichtigt wurden. Deshalb muss responsibilisierend selbstkritisch immer wieder gefragt werden, ob der Gottesdienst in Struktur, Form und Person offen und stimmig genug war und nicht noch verbessert werden kann. So wird schon bald danach gefragt werden, inwiefern die Zielgruppen- und Milieuorientierung nicht auch zu einer neuerlichen Segmentierung fhre, die berwunden werden msse, indem ,Begegnungsrume fr die verschiedenen Stile unterschiedlicher Milieus‘ (Bubmann 2001, 240) geçffnet werden. Die Programmatik („Heilswillen Gottes“, „Missionsauftrag“) verbindet sich fast mhelos mit den Technologien der vom Steigerungs- und Wachstumsimperativ durchzogenen Selbstfhrung. 8.3.2. Widerstand Doch auch hier ist der Widerstand nicht weit und die Warnungen sind theologisch und teleologisch motiviert, wenn es darum geht, die Eigensinnigkeit zu schtzen und zu sichern. Denn bei allen mehr oder weniger gelingenden Bemhungen um den „neuen Gottesdienst“ vor Ort, gerate wohlmçglich das „Eigentliche“ aus dem Blick. So meldet sich ein anderer Strang, der nicht nach dem Neuen, sondern nach dem Alten und Bewhrten sucht. Theologisches Skalpell Richard Ziegert, landeskirchlicher Weltanschauungsbeauftragter der Ev. Kirche der Pfalz, verlangt nach dem theologischen Skalpell,
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„um die pure Wachstumsideologie einer in nunmehr vorwiegend kommerziellen Kategorien denkenden Unternehmenswelt, die das Kirchenmitglied genau wie der Evangelikalismus zum ,Kunden‘ degradiert, von einer ernstlichen Bemhung um eine verantwortungsvolle kirchliche Organisation und Seelsorge getrennt halten zu kçnnen“ (2003, 295).
Die „Apostel des Neoevangelikalismus“ wie die der „Kundenorientierung“ aus der Unternehmenstechnik vergßen, dass ihre Methoden nur danach fragten, „welchen persçnlichen Nutzen der Glaube dem Kunden bringt“. Dabei wrde gerade dies nicht zu einer wirklich religiçsen Haltung oder gar Entscheidung fhren. Ganz altmodisch msse an die çffentlichen Aufgaben der Kirche erinnert werden, die „wie alle çffentlichen Dinge nicht der konomisierung preisgegeben werden drfen, wenn sie ihren Sinn wirklich erfllen sollen. Schon die einfache symbolische Existenz der Kirche ist viel entscheidender, als selbst wir Pfarrer oft annehmen“ (Ziegert 2003, 295).
Dem mit der Globalisierung gefhrten „Generalangriff auf die europische Kultur“ sei deshalb so zu begegnen, dass die kostbare Eigenschaft der europischen Kultur zur Anwendung kommt, die es im US-Kontext fast nicht mehr gbe: die Kritik. Doch die von Ziegert so eingeforderte Kritik scheint auch nicht ganz davor gefeit, selbst als Instrument der Selbstzurichtung in çkonomistischer Rationalitt funktionalisiert zu werden, wenn sie statt auf die Umsetzungsfrage auf Ergebnissicherung und Nachhaltigkeit zielt. „Kritik fragt nicht danach, ob etwas im Moment funktioniert, sondern fragt, was dabei am Ende insgesamt und wahrheitsgemß herauskommt“ (Ziegert 2003, 296).
In dem „Pop-Christentum“ gehe die Tradition und der „Begriff von Kirche“ verloren sowie auch eine tiefe und dauerhafte Frçmmigkeit, die sich an dem Wissen um „Kern-Inhalte der christlichen Religion“ orientiere (296). So erscheint in der Abwehr ein erneutes Untergangsszenario, das es abzuwenden gilt und eine neue Form der Selbstbearbeitung heraufbeschwçrt. „Wir haben viel zu tun, um gegenber dieser neuen Herausforderung uns richtig und gut kirchlich neu aufzustellen“ (ebd., 296).
Klamauk Eine weitere besorgte Verlustmeldung findet sich unter der Rubrik „Eingesandt“ im Deutschen Pfarrerblatt in der Betrachtung „Muse auf der Kirchenkanzel“ aus der Sonntagsbeilage der Tageszeitung „Die Rhein-
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pfalz“. Ein Pfarrer fand sie „so gut“, dass er sie zur Verçffentlichung vorschlug und so in die diskursive Produktion eintrug. Die Journalistin Ursula Ott sinniert darin angesichts zurckliegender Gottesdienstbesuche ber die Bemhungen der Kirche, sich zu çffnen und neue Gottesdienstbesucher zu finden: „Da hat sie ein unschlagbares Produkt, um das sich Werbeleute und Produktdesigner nur so reißen. In der Provinzial-Werbung kommt der Schutzengel auf die Erde, bei E-Plus ist das Kreuz beleuchtet wie in einer italienischen Kapelle, und das CentrO Oberhausen wirbt fr die Weihnachtseinkufe mit einem dicken Engel – ,Himmlisch, wie schçn!‘ Bloß die Kirche selber, die eigentlich das Copyright auf die frohe Botschaft hat – die veranstaltet eine Mischung aus Bilderbuch, „Kleiner Prinz“ und allgemeinem Sinnfindungsklamauk: ein bisschen Meditation, ein bisschen Kreistnze fr Frauen und dazu immer Herbert Grçnemeyers „Mensch“. All das kann ich in meiner Stadt an vielen Orten finden. In der Stadtbcherei, bei der Volkhochschule oder im CD-Laden. Aber das mit dem lieben Gott, das msste zumindest im Advent schon der Pfarrer meines Vertrauens erzhlen. Nicht dass es mir eines Tages so geht wie auf der Weihnachtskarte: Im Himmel? Da kenn ich gar keinen“ (Ott 2004, 44).
Im Panoptikum der Anbieter auf dem Markt der Sinnsucher wird die Kirche in ihren Bemhungen auch von den aktuellen und potentiellen Besuchern wahrgenommen, allerdings eben auch als eine, die klglich versagt, weil sie „ihr Eigenes“ nicht nur aus werbestrategischer Sicht verpasst. Denn das Panoptikum hat gleichwohl und neben der Beobachtungsund Beurteilungsaufgabe auch seine Aufgabe als tribunalisierendes Organ, dessen Kriterien auch in religiçsen und spirituellen Fragen Glaubwrdigkeit und Ntzlichkeit sind. Der Erfolg oder das Versagen des kollektiven Subjekts wird daher nicht nur daran gemessen, was es an potentiellen Glaubwrdigkeiten z. B. durch langweilige Gottesdienste verspielt, sondern es wird auch daran gemessen, welche bis dahin ihm vom individuellen Subjekt zugestandene Glaubwrdigkeiten es aufs Spiel setzt. Der selbstbewusste und lebensunternehmerische Gottesdienstbesucher will so oder so ernst genommen werden und scheut nicht davor zurck, die bedrohlichste und bitterste aller Karten auszuspielen, die der kirchlichen Rechenschaftslegung vor dem letzten aller Tribunale, dem die Kirche ihr Versagen eingestehen muss, weil sie dem Einzelnen keine Chance gab, sich zu entscheiden.
8.3. Gottesdienst als Dispositiv von Fremd- und Selbstfhrung
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Entdecken, was da ist Die Sorge, das „Eigentliche“ der Kirche ginge verloren, beruft sich darauf, dass es das „Eigentliche“ ja schon gibt und nicht erst hergestellt werden muss. Es gibt Traditionen, Formen, die Bibel und die Kirchenmusik. „Neue Gottesdienste“ neben oder statt der gewohnten sonntagmorgendlichen Gottesdienste zu gestalten, ist deshalb nicht die einzige und fr Kritiker sogar keine Mçglichkeit, der gottesdienstlichen Krise und dem Relevanzverlust zu begegnen. Auch die Anpassung an Milieus und lebensweltliche Orientierungen verspricht keine Rettung, weil in der Konzentration darauf wohlmçglich das Evangelium aus dem Blick gerate. Man kann und sollte sich auf das konzentrieren, was da ist. Entspannung kçnnte sich also einstellen. Wre da nicht der vielfach erhobene Hinweis, was da ist, muss nur richtig genutzt, angewandt und vermittelt werden. Es muss zwar nicht sein, dass mçglichst viele Gottesdienstbesucher an der Gestaltung des Gottesdienstes partizipieren – denn das sei noch keine Garantie fr dessen Wirkung – viel wichtiger sei es, dass sich eine innere Beteiligung einstellt. Denn auch der unvorbereitete und nicht in das Leitungsteam einbezogene Gottesdienstbesucher will angesprochen, mit hineingenommen, berhrt, bewegt, ernst genommen werden. Dazu muss man sich des Reichtums der Tradition und der Wirkmchtigkeit von Formen erinnern, sie wieder und neu entdecken. Wie das gehen kann, dazu hat sich ebenfalls eine breite Literatur etabliert182, und dies wird am folgenden Beispiel dargestellt. 8.3.3. Das Dispositiv des Gottesdienstes als Fhrung der Selbstfhrung des individuellen Akteurs: Individuelle Rume besser fllen Stellte die vorherige Spielform den Kollektiven Akteur und dessen qualitatives und quantifizierbares Wachstum in den Mittelpunkt, so geht es hier um das des individuellen Gottesdienstbesuchers. Der Gottesdienst, so die These, erweist sich hier als Dispositiv, den Gottesdienstbesucher in die „Zone unhintergehbarer Kontingenz“ zu begleiten und zu fhren und ihm auf diese Weise inneres Wachstum zu ermçglichen. Auch hier gilt der doppelte Steigerungsimperativ, denn qualitatives Wachstum des indivi-
182 Ein berblick ber die Forschungslage liturgischer und liturgiebezogener Theoriekonzepte findet sich bei Plss (2007, 49 – 85) – Zum allgemeinen Diskurs: Fischer-Lichte (2004), Gugutzer (2004), Fischer-Lichte/Pflug (2000).
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duellen Akteurs bedarf der bestmçglichen Begleitung durch den kollektiven Akteur. Thomas Hirsch-Hffell zum Beispiel, Ausbilder in Prediger- und Fortbildungsseminaren, wirbt in seinen Beitrgen im Pfarrerblatt fr den Gottesdienst, der grçßer sei „als das, was wir aus ihm machen“ (2008b), fr den „Gottesdienst – normal und liebevoll gefeiert“ (2008a) und fr den „Kçrper im Gottesdienst“ (2008c). Schon der Stil der Abfassung ist Programm, weil die Vorstellungen ber den Gottesdienst aus der Sicht des Gottesdienstbesuchers entwickelt werden. Die gottesdienstlichen Formen in ihrer Wirkung auf den Besucher sollen dem Verantwortlichen so nahe gebracht werden. Der Perspektivwechsel, wie er schon mehrfach in der Orientierung auf den Kunden begegnet ist, wird auch hier eingebt, denn es geht wie auch schon bei Vogt und Pausch darum, Wirkungen zu erzeugen. Das Wissen, wie Wirkung hergestellt oder optimiert wird, wird bei Hirsch-Hffell nicht ber den Rckgriff auf Analysen von Lebensstilen und Milieus erzeugt, sondern zunchst in einem visionren Akt. In sprachlich visionr-prsentischen Formulierungen nehmen die Ausfhrungen den Leser – und in der Regel ist das im Pfarrerblatt der Gottesdienstverantwortliche –, in den Bann und in diese Perspektive hinein und erzeugen so bereits das, worum es gehen soll: Sinnliche Erfahrung, Erleben und Empfinden. So wird auf schnelle und eindrckliche Weise in dem potentiellen Gottesdienstleiter selbst Wirkung erzeugt, um ihn so in die Lage zu versetzen, darauf reflektierend selbst Wissen darber herzustellen, was aus individueller Sicht im Gottesdienst wnschenswert und verbesserungsfhig sein kçnnte. Die nachzuverfolgende These ist nun, dass die Ausfhrungen HirschHffells eine weitere Spielart der neoliberalen Fhrung zur Selbstfhrung sind, indem sie die gottesdienstlichen Praktiken auf effizientere Wirkung hin entwickeln. Die alten Gottesdienste als „Erfahrungsraum“ erçffnen „Gott ist da – wir sind da. Das gengt. Und damit wir auch wirklich da sein kçnnen (Gott ist ja lngst da), begeben wir uns in die Kirche und in den Raum der Liturgie, bedenken, wie Gott in Jesus Christus da war und ist – damit sich in uns etwas auftut und wir uns als Gemeinschaft çffnen fr diese andere Wirklichkeit, die doch immer schon da ist“ (Hirsch-Hffell 2005b, 246).
Praxis- und Theorie geleiteten Handbchern zum Gottesdienst ist wichtig zu betonen, dass die Wirklichkeit Gottes unverfgbar, nicht machbar, nicht
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in unserer Macht steht: „Gott ist da“. Das ist nicht beeinfluss- und machbar. Gleichermaßen wird darauf hingewiesen, dass bungen, Techniken und Formen helfen kçnnen, sich dieser Wirklichkeit zu nhern. Diese schon im Zusammenhang der „Exerzitien“ erwhnten bungen „werden von Menschen praktiziert, nicht weil diese Menschen fromm sind, sondern weil sie fromm werden wollen“, konstatiert Manfred Josuttis zur Handlungslogik spiritueller Methoden (2002, 18). Die leitende Vorstellung ist, dass das geht, wenn nur gengend Wissen ber die Verfahren und Techniken vorhanden ist. Nicht nur einzelne bungen, der Gottesdienst, die gesamte Liturgie – Gebet, Lesung und Verkndigung, Gesang, Gestik, Bewegung und Gewnder, liturgische Gerte, Symbole und Symbolhandlungen – all das nimmt den Charakter einer Supportstruktur an, die dieses Ziel, diesen Zweck befçrdern will. Der Gottesdienst gibt sich hier als großes Dispositiv der angeleiteteten Selbstfhrung zu erkennen. „In dieser Linie des geistlichen Exerzitiums liegt auch der wçchentliche Gottesdienst. Er ist geistliche bung, die letzte regelmßige, die wir Protestanten haben. Alle anderen konkreten Formen von Inkarnation des Geistes, also die bungen und Lernschritte fr einen durchseelten Alltag haben wir ja entsorgt und suchen jetzt gerade neu danach“ (Hirsch-Hffell 2005b, 245).
Die dem Protestantismus abhanden gekommenen Praktiken werden neu gesucht. Schon dieser Hinweis indiziert, dass das çffentliche Interesse an Praktiken und Verfahren auf sich selbst einzuwirken, sich nicht nur auf Bereiche des alltglichen und beruflichen sozialen Lebens bezieht, sondern auch die Innenwelt, die Seele, und den Bereich der „unhintergehbaren Kontingenz“ (Brçckling) umfasst. Der Hinweis macht aber auch deutlich, dass hier keine neuen Verfahren erfunden oder entwickelt werden mssen, sondern es mçglich ist, auf alte kirchliche Praktiken zurckgreifen zu kçnnen. Der religiçs-spirituelle Diskursstrang (5.2.2.) zeigt sich darin hoch anschlussfhig an den allgemeinen Diskurs, weil er ber das verfgt, was gebraucht wird, das Wissen ber Praktiken der Selbstfhrung in diesem Bereich. Die „Inkarnation des Geistes“, der „durchseelte Alltag“ ist das anzustrebende Ziel und bedeutet Arbeit an sich selbst und heißt hier: sich selbst prparierende Arbeit mit dem Ziel der ffnung fr das Unverfgbare, den Heiligen Geist, Gott selbst. Damit dies gelingen kann, sich zu çffnen fr „diese andere Wirklichkeit“, haben alle zu tun – die Verantwortlichen fçrdern, stimulieren und regen an, die anderen spren, erleben, whlen aus und entscheiden. Bevorzugte Metapher fr den Gottesdienst als Technologie
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ist der Raum, womit sich zum einen die Vorstellung verbindet, hier geschehe etwas Unverfgbares, in seinem kontingenten Charakter nicht Steuerbares wie Begegnung und Beziehung, und zugleich die Assoziation einstellt, diese Dimension sei begeh-, erkund -, gestalt-, begrenz- und messbar und damit subjektiv handhabbar.183 Die Ausfhrungen HirschHffells konzentrieren sich daher auch auf diesen zweiten Aspekt, nmlich die Mçglichkeiten zu erweitern, diesen Raum fr das individuelle Selbst zu erçffnen. Denn zwar gilt, dass Gott da ist, das aber scheint ohne Sinn zu sein, wenn der Gottesdienstbesucher selbst noch nicht wirklich da ist. Fhren mit dem Raum: sinnliche Eindrcke erzeugen Die Aktivierung des Gottesdienstbesuchers vollzieht sich ber die Herstellung von Eindrcken und Stimmungen. Eine Fackel am Eingang im Hamburger Regen, ein Sommerblumenstrauß in der Kirche, eine schchterne Konfirmandin am Eingang, die den Weg weist, zur Konzentration fhrende Lichteffekte, ein freier Raum, wo vorher noch erste Bankreihen standen – plçtzlich fhlt sich dann alles viel einladender und offener an. Man soll sich willkommen fhlen, neugierig werden, aufhorchen, hinblicken. Sitzbnke drfen auch zum Hinlegen genutzt werden („Wer schnarcht, wird geweckt“). Der Raum, als Teil der gottesdienstlichen Liturgie, muss bewusst und gezielt gestaltet sein, denn er leitet, so die Vorstellung, Gefhle, Eindrcke und Stimmungen und disponiert die Aufnahmefhigkeit und -bereitschaft. Damit der Raum leiten kann, bedarf es einer durch raumdramaturgische Kompetenz geschulten Leitung durch die Gottesdienstverantwortlichen. Ihre Aufmerksamkeit gilt einer liturgischen Gestaltung, der es „weniger um Behauptung, Verordnung und Aufsicht“ geht „als mehr darum wahrzunehmen, durchzulassen und aufzuatmen. Alle Formen und Worte, die das fçrdern, sind dann willkommen“ (Hirsch-Hffell 2005b, 246). 183 Die neuere Konjunktur der Raum-Metaphorik beschftigt auch die Soziologie, die „Geosemantik der Netzwerkgesellschaft“ oder der „spatial turn“ siehe: Dçring/ Thielmann (Hg.) (2008) und Dne/Gnzel (2006) – Ausfhrlicher als hier mçglich, wre dieser Zusammenhang zu beleuchten, der sich ber die kulturwissenschaftliche Aufnahme des Raumparadigma auch in den liturgiewissenschaftlichen Diskursen etabliert hat: Prgten in den 1990er Jahren vor allem Vorstellungen von berschreitung und Transzendierung die Raummetapher, scheint diese Anfang diesen Jahrhunderts vor allem durch Vorstellungen des Bemessens geprgt zu sein, an Begriffen wie „Kartierung“ zu erkennen. Dass Daniel Kehlmanns Roman „Die Vermessung der Welt“ (2006) zum Bestseller avanciert, kçnnte in diesen Zusammenhang gehçren.
8.3. Gottesdienst als Dispositiv von Fremd- und Selbstfhrung
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Genau so wichtig wie die durch den Raum erzeugte Botschaft ist, dass auch die Liturgie und die Anwendung von Formen prinzipielle Entscheidungsoffenheit signalisieren. Man kann beim Abendmahl knien oder nicht, Alkohol annehmen oder angstfrei ablehnen, bei der Predigt kann zugehçrt, gefragt oder mitgeredet werden, die Einsetzungsworte kçnnen von der Liturgin, vielleicht aber auch hin und wieder gemeinsam gesprochen werden. Ein Gottesdienst entsteht vor dem visionren Auge, dessen Regel in der Vielfalt der Mçglichkeiten fr den Einzelnen liegt. „Wichtig ist, dass man sich frei fhlt und atmen kann“ (2005a, 184). Galt bei den neuen „neuen Gottesdiensten“, dass sie sich einem Bild widersetzen, welches die Kirche als dem persçnlichen Geschmack und Lebensgefhl des Gottesdienstbesuchers gegenber ignorant und widerstndig zeigt, so geht es in dieser Verfahrensvariante darum, einem Image einer Kirche entgegenzutreten, was einengt, bevormundet oder belehrt. Wenn Rituale freigiebig und ohne moralischen Druck, aber doch selbstverstndlich deutlich angeboten werden, „kçnnen Menschen jeweils selbst entscheiden, was sie wollen“ lautet das Motto (2005c, 410). Deshalb reicht es nicht, dass Rituale einfach vollzogen werden, sie sollen angeboten werden. Dazu muss ein Bild atmosphrisch erzeugt werden, wie das eines weiten gestaltungsoffenen Raumes, in dem der Besucher sich sicher sein kann, selbst zu entscheiden, und nicht gedrngt oder bevormundet zu werden. Individuelle Entscheidungsfreiheit ist wichtig, das gilt auch fr das Gebet. „Und wenn wir beten, also bitten fr andere und danken und stnkern, dann setzt sich die geistliche Frau hin, weil sie da zu uns gehçrt. Oder sie kann am Altar stehen, dann trgt sie unseres von da zum Himmel – auch recht. Aber sie wird diskret den Mund halten. Beten tun wir selbst. Sie kann doch nicht wissen, was wir bitten wollen“ (Hirsch-Hffell 2005a, 184).
Konsequent wird das unternehmerische Selbst des individuellen Gottesdienstbesuchers perspektiviert, das seine spirituellen Schtze selbstverantwortlich heben und erweitern will, Eigentmer seiner Aktivierungsressourcen ist und in einem Referenzverhltnis zu sich selbst steht. Demgegenber haben die fr den Gottesdienst Verantwortlichen die Rolle des Ermçglichers, sie stellen ein Set an Aktivierungsmçglichkeiten bereit, aus dem ausgewhlt werden kann. Ihre Verantwortung ist begleitet von dem Risiko, dass der anzuleitende und zu begleitende Gottesdienstbesucher diese Mçglichkeiten ablehnt. Um dieses Risiko zu minimieren, bedarf es der Kompetenz einer zielgerichteten Fhrung durch die gottesdienstli-
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chen Praktiken. Hier liegt der Steigerungsimperativ, nmlich noch besser zu fhren und zu begleiten und so das Risiko bestmçglich zu minimieren. Tribunal: Das Risiko minimieren Noch einmal nachgefragt, welches Risiko hier abgewendet werden muss und warum es fr die evangelische Kirche wichtig ist, daran zu arbeiten, Umsetzungsformen von Spiritualitt zu verbessern, wird deutlich, dass wenn sie dies nicht tut, auch fr sie selbst etwas auf dem Spiel steht. „Unsere Religion intendiert ja Inkarnation, das heißt Einverleibung des Heiligen, Umsetzung ins Leben, Alltags-Spiritualitt. Sonst htte Jesus keinen Sinn. Wofr wre Gott Mensch geworden?“ (Hirsch-Hffell 2005b, 245).
Mit dem Szenario, das gçttliche Inkarnationsgeschehen kçnne sich wohlmçglich als sinnlos erweisen, wird der kirchliche Akteur in die Verantwortung genommen und zugleich dessen Zumutung deutlich, wenn sogar die Bedeutung des Lebens Jesu am Engagement der kompetenten und sorgfltigen Fhrung zur Selbstfhrung hngt. Aber nicht nur dieses Szenario muss abgewehrt werden, sondern auch noch ein anderes. „Menschen beginnen woanders zu suchen, wie man den Sinn des Lebens so erfhrt, dass man ihn ›fressen‹ kann; dass er wirklich nhrt, Fleisch vom eigenen Fleisch wird und am Ende aus dem Menschen in Ausstrahlung, Wort und Handlung heraustritt wie etwas Originales“ (Hirsch-Hffell 2005c, 411).
Das Risiko als Kirche selbst nutzlos zu werden, steht bedrohlich nah, wenn sie die auf ein spr-, sicht- und erlebbares Ergebnis angelegte „Praxis Pietatis, heute Spirititualitt“ (ebd.) vernachlssigt, denn das ist das, wonach gesucht und was ersehnt wird. Fhren durch Spezifizieren: Entscheidungsrume erçffnen Dabei hilft zu wissen, dass das Bedrfnis nach individueller, nicht bevormundender Gestaltungsfreiheit nicht das einzige ist, was aus der Perspektive des Gottesdienstbesuchers aufgerufen wird. „Ein Kreuz schlgt sie, knapp und klar, und ich weiß, wo ich bin: In der Kirche. Ich mag es, wenn man mir von außen sagt, was ist und wo wir sind. Ich muss mir schon so viel selber sagen sonst“ (Hirsch-Hffell 2005a, 184). „,Wir sind einen Moment lang still und zeigen Gott, was in uns ist – was auch immer.‘ Sie setzt sich so schlicht wie sie gekommen ist. Angenehm. So wenig kann gengen“ (ebd.)
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Gottesdienstbesucher verlangen auch nach Orientierung, Entlastung, Transparenz oder Leitung. Damit wird der selbstunternehmerische Gottesdienstbesucher auch dechiffriert als einer, der sich aus dieser Subjektvorstellung herausbegeben kann und, indem er dies bewusst tut („ich mag es…, ich muss schon so viel selbst entscheiden“), sie zugleich besttigt. Dieser bewusste Verzicht auf die selbstgewhlte Entscheidung formuliert zugleich die Erwartungshaltung. Wer in die Kirche geht, erwartet Deutung. Denn die zufllige Entstehung von Transzendenzerfahrung ist so kontingent wiederum nicht; dieses weiß, so die Subjektvorstellung, auch der Gottesdienstbesucher, er erwartet Anleitung und Rahmung. Denn erst der spezifizierte Raum verspricht die Mçglichkeit der Annherung an eine Transzendenz, die Wachstum verheißt. Die Kirche wird als kollektiver Akteur aufgerufen in der ihr vom individuellen Akteur zugestandenen Expertenfunktion, Rume als Annherungsrume herzustellen. Die Verantwortlichen, ein Musiker, ein Organist, eine „geistliche Frau“ oder (beim Abendmahl) eine „Priesterin“ (ebd.), so die visionre Phantasie, bestimmen und spezifizieren den Rahmen. Sie erklren, ob man sich in der Kirche im Unterschied und in Abgrenzung zum Umfeld befindet, sie sagen an, wann man sich Gott zuwendet. So sehr alles Bemhen darum kreisen muss, Offenheit zu erzeugen und dem Bild einer bevormundenden Kirche entgegen zu treten, so sehr muss zugleich auf ein anderes Bedrfnis des Gottesdienstbesuchers eingegangen werden, dass er nmlich die orientierende, anleitende und deutende Fhrung seiner selbst erwartet. Vorausgesetzt wird, dass das Symbol, die Form fr sich sprechen und seine Wirkung entfalten kann („Ein Kreuz schlgt sie“). Auch hierfr ist wichtig, dass diese Wirkung nicht behindert wird, etwa durch bevormundende oder ablenkende Erklrungen, Pdagogisierungen, um Zustimmung werbende Regieanweisungen oder aufgeladene Gesten. Es geht darum, die Eigensemantik des Symbols kommunikativ ungehindert sich entfalten zu lassen, knapp und klar, um dem Rezipienten die von ihm gewnschte Orientierung zu geben: Ich weiß, wo ich bin. Er kann sich nun dafr oder dagegen entscheiden, und wenn es die wohltuende Entscheidung ist, jetzt mal nichts zu entscheiden und auf eine eigene andere Deutungszuweisung zu verzichten. Die Schweigezeit wird durch den Hinweis „wir zeigen Gott, was in uns ist“ ebenso klar als eine gemeinschaftliche Zeit „vor Gott“ spezifiziert und zugleich durch den nchsten Hinweis „was auch immer“ als ein individuell zu gestaltender Entscheidungsraum ausgewiesen. Die Fremdfhrung der Selbstfhrung stellt den Raum der Kontingenz durch die Rahmung als solchen erst her und berlsst ihn dem individuellen Gebrauch.
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„Nun ist stille Zeit fr die eigenen Gefhle. In der Kinderecke mit dem Sandkasten in der Kirche raschelt es leise, der Betreuer faltet die Hnde, einige Kinder tun das auch, andere lassen es rieseln. Ich denke an meinen Vater. Er ist schon alt. Ich habe ihn besuchen wollen. Er mochte nicht. Vielleicht muss ich einfach so hinfahren ohne zu fragen“ (ebd., 184).
Die Vorstellung ist, dass die angeleitete stille Zeit zur produktiven Zeit werden kann, in der Entscheidungen und Handlungen ganz individuell berdacht, verworfen, vorbereitet werden kçnnen. Erst das Aufzeigen einer Alternative macht die religiçse Praxis der „stillen Zeit“ zu einem Entscheidungsfall und damit zu einem Angebot, das individuell genutzt oder nicht genutzt werden kann. Die Auswahl der Alternative, man kann „es rieseln lassen“ oder zu existentiell wichtigen Entscheidungen kommen, legt nahe, dass es dabei auch passieren kann, mçgliche nicht wiederholbare Chancen zu verpassen („Er ist schon alt“). Gottesdienste oder auch nur das Element der Stillen Zeit, Exerzitien, Klosterretraiten werden eingefhrt als Verfahren, die die entscheidungsoffenen Rume erst herstellen, in denen das Risikobehaftete des Lebens als solches wahrgenommen und bearbeitet werden und sich Begegnung mit der Wirklichkeit Gottes ereignen kann. Allerdings haftet dem Umstand, wie und ob man die angebotene Untersttzung nutzt, nun jedoch selbst ein doppeltes Risiko an. Da sie in der Verfgungsmacht des Einzelnen liegt, kann sich der Einzelne im Gottesdienst nicht sicher sein, ob es nicht auch an ihm selber liegt, wenn sich keine Wirkung einstellt. Whrend es bei Exerzitien in dem direkten Kontakt zum geistlichen Begleiter noch eher mçglich ist, korrigierend einzuwirken, kann auch der gottesdienstlich Verantwortliche nicht direkt nachvollziehen, woran es liegt, wenn sich keine Wirkung einstellt und muss sich selbstkritisch fragen, ob seine Form, die gottesdienstlichen Praktiken angewandt zu haben, eher gefçrdert oder behindert haben. Fhren durch Stimulation des Kçrpers: Wahrnehmungsressourcen aktivieren Deshalb finden sich in den Handbchern Hinweise zu weiteren Untersttzungsmaßnahmen. Auch der Kçrper kann untersttzende und hindernde Wirkung haben, sich auf den kontingenten Raum einzustellen und Heil und Heilung zu befçrdern, wie Hirsch-Hffell mit dem Hinweis auf entwicklungspsychologisches Wissen nahegelegt. Es ist z. B. entscheidend, ob der Einzelne sich so bewegen darf, wie er will, ob einem Kçrperbedrfnis nachgegeben wird oder nicht. Die Raumgestaltung und die Liturgie
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sollten dies bercksichtigen, indem sie Mçglichkeiten des Gehens und Sitzens erweitern, gezielt anbieten oder zumindest nicht ausschließen. Auch die Sinne wollen angesprochen, gefçrdert, und angeregt werden. Dabei muss gut berlegt werden, welcher Sinn angesprochen wird und welche Sinne ausgeblendet werden, denn jeder Sinn hat einen Sinn und erzeugt Gefhle, Stimmungen, Erinnerungsbilder. Riechen enthlt zum Beispiel „alle Stufen unserer menschlichen Erkenntnis in sich“. „Ich rieche Estragon, das Kçrper-Programm von damals wird aktiviert und entlsst fast ohne mein Zutun Bilder und Assoziationen: Ich bin versetzt in meine Vergangenheit, sehe die kochende Mutter…“ (Hirsch-Hffell 2005c, 409).
Wenn die gottesdienstliche Leitung dieses Wissen in ihre Fhrungsverfahren nicht mit einbezieht, vergibt sie Chancen, die Wahrnehmungsmçglichkeiten des Kçrpers und seiner Sinnpotentiale zu nutzen oder zu schulen. Zu berlegen ist zum Beispiel, ob ein Sinn gezielt ausgeschaltet werden sollte, mit dem Hinweis zur meditativen Anleitung, die Augen zuschließen, um die Wahrnehmung mithilfe anderer Sinne zu schrfen. „Das Sehen wrde ich zuerst ausblenden, weil darber die Kontrolle bei uns am strksten luft. Christen in Nordeuropa sind sehr kontrolliert. Da hat der Heilige Geist kaum Chancen in andere Regionen als die des ,sehenden‘ Verstandes einzudringen. Er ereignet sich aber auch gern da, wo der sezierende und oft distanzierende Intellekt (bzw. der Blick) fr eine Weile durch die ganzkçrperlich aufgenommenen Eindrcke relativiert (nicht suspendiert) wurde“ (Hirsch-Hffell 2005c, 412).
Das Wissen ber gottesdienstliche Praktiken stellt sich umfassend her, denn es bezieht auch den vergleichenden Blick zu Christen anderer Kulturrume mit ein und Erkundungen darber, wie der Heilige Geist wirkt, nmlich „ganzkçrperlich“ und in der Relativierung des „sezierenden und distanzierenden“ Intellekts. Die Entscheidung, ob und welche Sinne aktiviert werden, ist daher risikobehaftet, weil sie in ihrer Konsequenz wohlmçglich dazu fhrt, die Wirkmchtigkeit des Heiligen Geistes einzuschrnken. Liturgisch berlieferte Formen und Gesten mssen deshalb zwar nicht neu eingefhrt werden, stattdessen sinnlicher und dadurch geistlicher verstanden und vollzogen werden. „Aufgelegte Hnde sind ein Gestus an der Grenze. Es kommt in der Berhrung des/r Austeilenden kçrperlich das Geglaubte nahe, ohne verfgbar zu sein, aber doch so nah, dass (existentiell) fhlbar wird, was gemeint ist: Wrme, Zuwendung, Behtung, Begabung und auch so etwas wie Vergewisserung, im Nahbereich Gottes zu gehen“ (ebd. 410).
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Das Risiko, nicht genau zu wissen, ob man mit der Wirklichkeit Gottes in Kontakt kommt, wird ber die bewusste Einbeziehung des Kçrpers gemindert. Es „ist existentiell fhlbar“ heißt dann auch, dass es sich um ein subjektiv fr den Einzelnen berprfbares Ergebnis handelt. Ob jedoch Gott berhrt oder die Pfarrerin, ob sich Vergewisserung im Nahbereich Gottes zu sein einstellt oder nicht, ist abhngig von einer Deutung. Hier sind die im Gottesdienst verantwortlichen Personen gefragt. Fhren durch die eigene Person: Vorstellungen erzeugen Was fr die Raumgestaltung, die Musik und die Liturgie gilt, gilt auch fr die im Gottesdienst verantwortlichen Personen. Sie sind klar, einfach, ohne Pathos, sie reden, auch wenn sie beten „normal“, denn es geht darum, dass der Besucher nicht vor Ehrfurcht vergeht oder durch die Person abgelenkt wird. Man sprt den Formen des Gottesdienstes ab, dass sie „durchseelt“ sind, die Leitenden sie „lieben“. Was gemeint ist, wird mit einem nicht unprominenten Vergleich deutlich. „In diesem Sinn hat man direkt an Jesu Verhalten abspren kçnnen, wie Gedanke, Tat und Inspiration zusammen gingen. Genau dies vermisst, wer eine normale Kirche besucht. Es hngt – Gott sei Dank – nicht alles an der Virtuositt der Leitenden. Aber Sie kçnnen manches versperren“ (HirschHffell 2005b, 245).
Auch wenn es nicht sofort gelingen sollte, hnlich virtuos und wirkmchtig zu werden, so heißt das nchstliegende Ziel doch: nicht verhindern, versperren, ablenken, und das weitergehende Ziel fçrdern und erçffnen. „Wenn sie das ,Gott sei mit euch’ singt, diesen Gruß, dann hat man das Gefhl gemeint zu sein, und dann meint man sie auch gern bei der Antwort: ,Und mit deinem Geist!‘“ (Hirsch-Hffell 2005a, 184).
Wer den Gottesdienst leitet und fhrt, so die Vorstellung, erzeugt schon dadurch, wie er spricht, singt oder geht, Gefhle, Eindrcke und Stimmungen beim Gottesdienstbesucher. Damit diese erzeugten Stimmungen solche sind, die eine ffnung fr die Wirklichkeit Gottes befçrdern und nicht hindern, bedarf es einer entsprechenden Kompetenz. Geistliche, Kirchenvorsteher oder Lektorinnen kçnnen dies nicht einfach, sondern haben sich diese, wie schon vorhergehend dargestellt, in entsprechenden Fortbildungen zur Prsenz oder Performanz angeeignet. Auch bei der tradierten Form, in diesem Fall dem gesungenen gottesdienstlichen Gruß, reicht es nicht mehr, wenn man sie einfach als Form benutzt, sie muss in ihrer Ausfhrung gestaltet werden und zwar so, dass
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der Gottesdienstteilnehmer antwortet und dieses gern tut, mit innerer Zustimmung und Beteiligung. Wer als Gottesdienstverantwortlicher an der tradierten Form festhalten will und berzeugt davon ist, dass Formen helfen und untersttzen, innere Beteiligung zu erzeugen, hat jedoch dann ein Problem, wenn er nicht sicher sein kann, ob sich bei jeder Form oder jedem Symbol eine Eigensemantik entfalten kann. Gottesdienstliches oder biblisches Wissen wird nicht (mehr) als vorhanden und die Form deshalb als sinnentleert, bedeutungslos vorausgesetzt. Die Form mit Erklrung zu begleiten oder zu pdagogisieren, hieße die Bedeutungsvielfalt der Form womçglich zu reduzieren und zu bevormunden oder zu totalisieren. Es geht aber darum, den Vorstellungsraum als Freiheitsraum zu konstellieren und zu eigenem Sehen und Hçren anzuregen und die Entscheidungsmçglichkeit zu erweitern, zum Beispiel beim Abendmahl: „Wenn sie die Worte spricht, mit denen Jesus zu seinen Freunden sprach, dann sieht sie etwas vor dem inneren Auge – das sieht man. Und dann sehe ich auch etwas. So einfach kann Gegenwart von Vergangenem sein“ (ebd., 185).
Die mit performativen oder inszenatorischen Techniken anvisierte Lçsung ist, dass die leitende Person sich selbst als mediales Instrument steuert, um die beabsichtigte Wirkung zu erzeugen. Man hat nicht mehr einfach eine Ausstrahlung oder hat sie nicht, man ist nicht einfach glaubwrdig oder ist es nicht, die Form spricht nicht mehr einfach fr sich oder sie spricht eben nicht. Vielmehr gehçrt zu einem sorgfltig durchgefhrten Gottesdienst, dass man beabsichtigt und bewusst sowohl sich als Person als auch sich in der Anwendung von Formen inszeniert, um das Risiko zu minimieren, dass sich keine oder eine unbeabsichtigte Wirkung einstellt. In der Anschauung, in der Darstellung und in der Erkennbarkeit der Inszenierung als Inszenierung, wird mimetisch, so die Vorstellung (Junge 2006, 95), der Wunsch nach „mehr“, nach „ich auch“ erzeugt und fhrt ber Neugier, Interesse, Aufmerksamkeit in die Auseinandersetzung und vermeidet das Nichtangesprochensein. Der Pfarrer wirbt mit der Inszenierung seiner eigenen Person fr die Ntzlichkeit der Form: Er macht das Angebot anschaulich und beeinflusst so die Entscheidung zur Annahme oder Ablehnung. Es gilt der umgekehrte Steigerungsimperativ, immer besser darin zu werden, so viel Stçrendes und Hinderndes wie mçglich auszuschalten. Die erhoffte Wirkung ist, dass der Gottesdienstbesucher das Angebot annimmt, den kontingenten Raum auch fr sich entdecken zu wollen. Die Fhrung zur Selbstfhrung des Anderen im Medium der eigenen Person vollzieht sich darber, dass die Vorstellung fr den Gottesdienstbesucher anschaulich
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wird, was es heißen kçnnte, wenn sich „auch in ihm etwas auftut“ und dieses hnlich wie bei dem Pfarrer spr- und erlebbar sein wird. Zu einem Ergebnis fhren: Individuelles und nachhaltiges Wachstum als Alleinstellungsmerkmal Das gottesdienstliche Geschehen bedarf sorgfltiger, kompetenter und reflektierter Leitung durch die Verantwortlichen. Denn es geht, und das muss in Erinnerung gerufen werden, um existentiell Wichtiges. Es steht etwas auf dem Spiel fr den Gottesdienstteilnehmer. Wer bewusster leben will, seine Persçnlichkeit vertiefen und formen will, wird in der Kirche ernsthaft angeleitet zum geistlichen Ausstieg aus dem Getriebe. Im Unterschied zu anderen Anbietern kann er hier aber nicht nur mit Wohlsein und Entspannung rechnen. „Aber wir verschweigen nicht, was dazu gehçrt zum geistlichen Weg mit Kçrper, Geist und Seele: dran zu bleiben, sich zu mhen und auch das Gott hinzuhalten, was an Unappetitlichem aufsteigt, wenn man meditativ aussteigt. Davon verstehen wir vermutlich mehr als die Wellness-Kultur. Wohlsein auf die Schnelle ist fast food. Wer nachhaltig gut essen will im Leben, braucht Geduld mit sich und den Rohstoffen“ (Hirsch-Hffell 2005b, 245).
Von der Kirche im Unterschied zu allen anderen Anbietern von Spiritualittsangeboten kann reflektiertes Wissen und ihre Fhigkeit zur spirituellen Leitung erwartet werden. Wer sich von ihr untersttzen und fçrdern lsst, muss jedoch davon ausgehen, dabei hart an sich selbst arbeiten zu mssen. Er muss ben, sich einben in die Form und auf diese Weise lernen, Worte der Predigt oder des Evangeliums auch real umzusetzen „in die Atmung, den Schritt, die Zeiteinteilung der Woche, in die Redlichkeit der Beziehungen und die Leichtigkeit des Seins“ (Hirsch-Hffell 2005c, 411).
Der lebensunternehmerische und an der Steigerung seines Humankapitals interessierte Gottesdienstbesucher kann mit einem klaren Unternehmensprofil rechnen und weiß auch hier, worauf er sich einlsst, nmlich auf einen Experten und die durch jahrhunderte altes Wissen gereifte Kompetenz der Fhrung zu Selbstfhrung. Denn auch wenn diese bungen anstrengend und unangenehm sind, ist doch mit einem nachhaltigen, fr die soziale Beziehung und den Umgang mit den eigenen Lebenskontingenzen hilfreichem Ergebnis und innerem Wachstum zu rechnen. „Wenn wir beten, wird uns das nicht immer erbauen wie ein Schaumbad. Dafr lagert sich in den Knochen Tag fr Tag eine neue Himmels-Substanz
8.3. Gottesdienst als Dispositiv von Fremd- und Selbstfhrung
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ein, die vielleicht auch – von außen – trgt, wenn es innen schlecht geht“ (Hirsch-Hffell 2005b, 245).
Am Ende steht auch hier wie bei der neuen Pastoralmacht die Verheißung des persçnlichen Gewinns. Sich selbst durch Fhrung zur Selbstfhrung zu einem Ergebnis fhren Dem Gottesdienst, als die dem Protestanten verbliebene letzte regelmßige geistliche bung, grçßere Aufmerksamkeit zu schenken, ist der Weg in die richtige Richtung eines geistlichen Exerzitiums, das durch die Bewusstheit der Form eine „Verwandlung des ußeren ins Innere“ verspricht. Die protestantische Kirche, die „bungen und Lernschritte fr einen durchseelten Alltag“ und „Formen der konkreten Inkarnation“ „entsorgt“ hat (ebd., 245), hat hier Lernbedarf und muss ber den „Zusammenhang von Leib und Seele“ „neu nachdenken“ (Hirsch-Hffell 2005c, 409). Doch der Lohn fr die noch ausstehende Mhe der Selbstentwicklung ist im Blick, wenn davon die Rede ist, dass „sich die Konspiration aus Heiligem Geist und menschlicher Bewegung“ einstellt, „die viele so dringlich ersehnen“ und das vorherrschende Bild von Kirche sich nachhaltig relativiert (Hirsch-Hffell 2005b, 245). „Das hatten wir gar nicht mehr erwartet. Und siehe, Menschen fhlen sich gemeint und kommen wieder“ (2005b, 245).
Zusammenfassung Das Foucaultsche Theorem der alten Pastoralmacht als analytisches Instrument in Erinnerung gerufen und es im gedanklichen Experiment auf die Analysen angewandt, ließen sich diese Ergebnisse nun so zusammenfassen, dass in der zweiten Spielart des Gottesdienst-Dispositivs eine Doppelcodierung der Pastoralmacht begegnet. Anders als in der ersten Spielart, wo mit dem Gemeinschaftsgedanken und dem Priestertum aller Glubigen die „Gegenbewegung zum Pastorat“ (siehe Teil 1, 2.2. Anm. 46) begegnet und damit die protestantische Ressource des kirchlichtheologischen Diskurses, scheint in dieser zweiten Spielart die sakramentale Subjektvorstellung der Kirche und damit die vorreformatorische, katholische Ressource aktiviert zu werden, wenn darauf angespielt wird, dass es um die „letzte noch verbliebene“ und nicht „entsorgte“ bung geht. Damit ist zugleich auch die diskursive Anschlussstelle benannt, die im kirchlichtheologischen Diskurs auffindliche Ressource der Praktiken des Gottesdienstes.
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8. Gottesdienst und Selbst- und Fremdfhrung
In der ersten Spielart war der Gottesdienst ein Verfahren zur Herstellung der Kirche als einem Gemeinschaftsverhltnis sich in ihrer Vielgestaltigkeit besttigender individueller Subjekte, und es ging darum, die Konstellation von Kirche, Kerngemeinde und Kirchendistanzierten ber betriebswirtschaftliche, partizipatorische und pdagogische Praktiken neu zu gestalten. Dieses zweite Dispositiv konstelliert eine Neugestaltung des Verhltnisses von kirchlichem Akteur (dem gottesdienstlich Verantwortlichen) und dem Gottesdienstbesucher – nicht als ein gemeinschaftliches, sondern als ein Vermittlungsverhltnis. Anvisiertes Ziel sind hier die „Konspiration aus Heiligem Geist und menschlicher Bewegung“ und die „Durchseelung des Alltags“. Das Dispositiv des Gottesdienstes zeigt einen durch verschiedenste Untersttzungsformen pastoral spezifiziert durchzogenen Raum, der die innere Wahrheit des Individuums ans Licht zu bringen hilft. Er zeugt von der Gouvernementalitt des alten Pastorats, die die Vermittlung letzter und existentiell entscheidender Wahrheit an die Vermittlung durch den kirchlichen Akteur bindet184. Der begegnet hier nicht personal, in der Figur des Pastors, sondern als Materialisierung des pastoralen Wissens in den performativen Techniken der Gewissensleitung und den Anleitungen zur Kontemplation. Es wird empfohlen, diese Techniken mittels Beobachtung des individuellen Subjekts zu optimieren, um dieses besser und effektiver auf das Ziel hin befçrdern zu kçnnen. Der diskursive Anschluss zum Responsibilisierungsdiskurs wird hier anders als im ersten Dispositiv nicht ber eine Affinitt der Subjektvorstellungen vollzogen sondern ber Praktiken der Selbstfhrung. Die gottesdienstlichen Praktiken amalgamieren mit den neoliberalen als Anleitung zur individuellen Selbstfhrung.
184 Das Verhltnis von menschlichem und gçttlichem Handeln, theologisch-dogmatisch unterschieden in der Frage, ob der Mensch „Kooperator“ oder „Synerget“ sei, begegnet als Problematisierung immer wieder. Diese setzt jeweils neue terminologische Lçsungen aus sich heraus, so z. B. auch bei Plss (2007), 164 f: „Um diese Differenz zu markieren, soll hier bezglich der Gestaltung von Gottesdienst und Predigt nicht von Ereignis, sondern von Inszenierung gesprochen werden. Mit dieser terminologischen Differenzierung kommt zum einen das Ereignis nicht in den Ruch des Machbaren und wird zum anderen das liturgisch oder homiletisch inszenierte Geschehen in die Verantwortlichkeit des Menschen gestellt. Auch wenn Gottesdienste dem unverfgbaren Ereignis nachspren, sind sie menschliche Handlungen. Wenn sie gut sind, dann hat dies auch damit zu tun, dass sie gut gemacht, will sagen: gut inszeniert sind.“
8.3. Gottesdienst als Dispositiv von Fremd- und Selbstfhrung
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War die Heilsçkonomie im alten Pastorat ber eine Gehorsamsstruktur konstelliert, so ist sie es hier ber die Struktur von Angebot und Nachfrage. Jeder Anreiz, jeder Impuls hat den Charakter des Angebots, das auf Entscheidung drngt und sie zugleich erst ermçglicht. Auch die enge Verbindung zweier Individuen, „Hirte und Schaf“ (Foucault), ist transformiert. In dem Gottesdienstbesucher, der sich bewusst den gottesdienstlichen Praktiken zur Selbstleitung unterwirft, begegnet das lebensunternehmerische Subjekt, das sich selbst die letzte Instanz und damit Hirte und zugleich Teil des Tribunals ist. Nicht Gott sondern er selbst und seine Umwelt misst den Erfolg seines Unternehmens daran, ob und wie sich sein Leben nachhaltig verndert. Er wird in der Richtigkeit dieser Subjektvorstellung durch die zur Mimetik anleitenden inszenatorischen Verfahren des Gottesdienstes besttigt. Denn auch, wenn um die Freiheit Gottes gewusst wird, wird in der Konzeptionierung der gottesdienstlichen Verfahren bei beiden Dispositiven mit der Wirkung Gottes strategisch und kalkulierend gerechnet. Gottesdienstlich Verantwortliche scheinen nicht davor gefeit, von der neuen Pastoralmacht einschließlich ihrer kalkulatorischen Verfahren in Dienst genommen zu werden, wenn sie als das erwnschte Ergebnis die Konspiration aus „Heiligem Geist und menschlicher Bewegung“ nennen und dieses als das vom Tribunal des Marktes besttigter Ausweis des sichtbaren Erfolges behaupten („Menschen kommen wieder“). Weil das Tribunal des Marktes in dieser Konsequenz dann auch ber die von der Kirche behauptete Wahrheit Gottes entscheidet („sonst htte Jesus keinen Sinn“), muss der Raum der zweifachen Selbstbearbeitung (des kollektiven und des individuellen Subjekts) so projektiert, infinit ausgedehnt und mit dem Steigerungsimperativ versehen werden. Die Sorge um das individuelle Subjekt (den Gottesdienstbesucher) und den Erfolg des Verfahrens ist auch die Sorge um sich selbst als vermittelnde und ermçglichende Instanz (die Kirche).
9. Das unternehmerische Selbst der Kirche Mit diesem Kapitel wird die letzte Etappe des gemeinsamen Flanierens durch den Diskurs angetreten und in Erinnerung gerufen, was zu sehen war. Denn das war das Vorhaben dieser Studie, die Herknfte sichtbar zu machen und Spuren nachzuverfolgen. Mit Foucault gesprochen, sollten die Kulissen umgestellt werden (Foucault 1978, 177), um andere Entdeckungen im und fr den kirchlich-theologischen Diskurs machen zu kçnnen. Theoretische und methodische Grundlinien Ausgegangen wurde dabei von den auf die Ausarbeitungen Foucaults zurckgehenden Gouvernementalittsstudien zur „Fhrung der Lebensfhrung“ (Teil 1), die einen grundstzlichen Zusammenhang zwischen Herrschafts- und Selbsttechnologien konstruieren und auf diese Weise Machtmechanismen in ihrer Mikrooptik untersuchen (Kapitel 1). Dabei wurde der Hypothese gefolgt, dass sich auch die Strukturreformen der evangelischen Kirche auf die an Effizienzrationalitt orientierten Subjektivierungs- und Responsibilierungsstrategien der gegenwrtigen Gouvernementalitt zurckfhren lassen (Kapitel 2) und von diesen geleitet, eine neue Subjektvorstellung aus sich heraussetzen. Subjekt wurde dabei verstanden als „vermittels Kontrolle und Abhngigkeit jemandem unterworfen sein und durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis seiner eigenen Identitt verhaftet sein“ (Foucault 1987, 246 f ). Die Denk- und Handlungsmuster eines Akteurs sollten in ihrem Gewordensein als Ergebnisse von Wissenspolitiken verstanden werden, somit das, was jeweils fr richtig und wahr gehalten wird, als Produkt eines Unterwerfungs- und Transformationsprozesses. Ausgegangen wurde weiterhin davon, dass sich diese Strategien kofçrmig auf kollektive wie individuelle Subjekte beziehen. Gezeigt werden sollte zum einen, dass auch sich widersprchlich zueinander verhaltende Phnomene kirchlichen „Umbaus“ Auswirkungen ein- und derselben gouvernementalen Einarbeitungspraxis sind, und zum anderen, wie sich das „kirchlich-unternehmerische Selbst“ in Diskursen, Verfahren und Praktiken ber Strategien der Selbst- und Fremdfhrung herstellt. Dabei interessierte vor allem, auf welche Widerstnde oder Ressourcen die neuen am Imperativ des unabschließbaren Wachstums
9. Das unternehmerische Selbst der Kirche
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orientierten Technologien im kirchlich-theologischen Diskurs treffen, welches Tribunal oder welche in der gesellschaftlichen Arena herrschenden Prinzipien diesen Diskurs bestimmen (Kapitel 3) und wie der Subjektivierungsprozess eigensinnig und spezifisch geformt wird. Methodologisch legte sich von diesen Voraussetzungen nahe, die Anpassungsprozesse der Kirche als gesellschaftlicher Akteur ber die Mechanismen und Verfahren in den Blick zu nehmen; in dieser das Subjekt dezentrierenden Weise sollte der Akteur als Subjekt erkennbar werden (Kapitel 4 ). Methodisch sollte mit Hilfe einer wissenssoziologisch orientierten Diskursanalyse rekonstruiert werden, wie sich der allgemeine çkonomisch berformte Diskurs im kirchlich-theologischen Diskurs verfngt (Kapitel 5). Dabei lag der Fokus auf dem „Krfte- und Kampffeld“, das Regierungsstrategien in ihrem Aufeinandertreffen bilden. Es ging nicht um Programme und die Frage, ob sich deren reine oder ideale Realisierung vollzieht, sondern um das Sichtbarmachen dieses Kraftfeldes, das „Zwischen“ von Programmen und Realisierung, und um die unintendierten Effekte und eigensinnigen Strategien des kollektiven und individuellen Akteurs. Brche zwischen und innerhalb von Rationalitten und der Unterschied von Rationalitten in ihren jeweiligen Steigerungs- und Abgrenzungsformen innerhalb der Praktiken galt es aufzuspren, um daran die Wirkmchtigkeit oder auch Begrenztheit der gegenwrtigen Gouvernementalitt sichtbar zu machen. Fr die analytische Arbeit bedeuteten diese Voraussetzungen, die Problematisierungen als Ansatzpunkte der Analyse auffindig zu machen, auf die Dispositive (Ensemble der Diskurse und Praktiken) der Selbst- und Fremdfhrung als Lçsungsstrategien antworten. Dabei lag ein Akzent auf der Pluralitt und Heterogenitt der Effekte. Die analytischen Ergebnisse wurden in Teil 2 diesen Gesichtspunkten entsprechend dargestellt: Auf die Kapitel zu der Problematisierung des kollektiven Selbst der Kirche (1), des individuellen Selbst (5) und als Schnittpunkt dieser beiden die Problematisierung des Gottesdienstes (8.1.) antworteten die Kapitel zu den Dispositiven der Selbst- und Fremdfhrung des kollektiven (3) und des individuellen Subjekt (7) sowie des Gottesdienstes (8.2 und 8.3). Kapitel 2, 4 und 6 bildeten jeweils eine Reflexionsklammer, die Beobachtungen kritisch kommentierte. Ergebnisse der Gouvernementalittsstudien aus anderen gesellschaftlichen Bereichen und theoretische Reflexionen sollten kontrastierend und differenzierend die fr die Studie gewhlte Position „am Rande des Diskurses“ ermçglichen.
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9. Das unternehmerische Selbst der Kirche
Im Folgenden soll in Erinnerung gerufen werden, was in dieser Studie sichtbar wurde. Dabei sollen die Ergebnisse auf eine These hinfhrend perspektiviert werden, wie das unternehmerische Selbst der Kirche aussieht oder genauer, nach welchen Regeln es modelliert ist: Subjektivierung als Kampfbewegung, die doppelte Tribunalisierung und die doppelte Subjektivierung. Ganz zum Schluss geht der Blick zurck an den Anfang und zu der Frage, wie es gehen kann, „sich nicht dermaßen regieren zu lassen“ (Foucault).
9.1. Der Kampf der Subjektivierung – Ein Vexierbild In den Beobachtungen der diskursiven Bewegungen und Brche tat sich die Dynamik auf, in der Rationalitten aufeinander treffen und sich aneinander abarbeiten: es bewegt sich, es bricht, erzeugt Widerstnde, es schmiegt sich an. Machtmechanismen traten so in ihrer Mikrooptik zu Tage. Eine Umbruchbewegung zeigte sich, die ein hçchst pluriformes und in sich paradoxales Gebilde erzeugt. Um dieses Gebilde in seiner Ordnung des Diskurses nun nher beschreiben zu kçnnen, ohne die den Forschungsgang leitende Ausgangsposition „am Rande des Diskurses“ zu schnell aufgeben zu mssen, wird zu einer untersttzenden Illustration gegriffen, die das Gesehene noch einmal wie in einem Foto, das rckblickend die Erlebnisse einer Wanderung in Erinnerung ruft, komprimiert und doch schon wieder in eine Distanz zu sich bringt. Diese Illustration findet sich auf der Website der EKD, auf der sich die Kirche unter der Rubrik „Kirche fr Einsteiger“ einer Internetçffentlichkeit prsentiert und auf „,Die‘ zehn AnGebote der Kirche“ aufmerksam macht. Ehe dieser Faden nun weiterverfolgt wird, muss ein kleiner Seitenblick auf die Problematik vorgenommen werden. Angebot als Problem185. Mit der Aufnahme des Wortes „Angebot“ vor allem aber mit den damit verbundenen notwendigen Marketingverfahren gibt sich die Kirche als Akteur auf einem Markt zu erkennen, auf dem gewhlt und ausgewhlt 185 Weil die Analyse des Angebots-Feldes zeigt, dass die Ergebnisse sich als serielle Folge erweisen zu dem, was zum Dispositiv des Gottesdienstes schon dargestellt wurde, sind die Ergebnisse nicht mehr Teil dieser Darstellung und werden nur kurz referiert: Kirchliche Angebote gibt es eine Vielzahl. Was es in der Kirchengemeinde immer schon gab (das Mnnerfrhstck oder die Kinderkirche, der Gottesdienst oder
9.1. Der Kampf der Subjektivierung – Ein Vexierbild
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die Andacht) wird in der Außenprsentation jetzt vielfach mit dem Prdikat „Angebot“ versehen, anderes wird als Angebot fr kirchliche In- und Outsider neu entwickelt (die Notfallseelsorge, die Gottesdienstberatung, Fundraising) und wieder entdeckt (Klçster, Kommunitten, Pilgerwege, Fastenaktionen). Auch Seelsorge oder Beratung gibt es nicht mehr einfach so, sondern sie sind von nun an im Angebot. Wer kirchlicherseits das Wort „Angebot“ vermeiden will, wirbt mit dem Stichwort „Einladung“ oder macht auf „regelmßige Termine der Kirchengemeinde“ aufmerksam. Damit meint man sich aus dem Wettbewerbsgeschehen herausnehmen, um andererseits durch Marketingverfahren doch irgendwie drin bleiben zu wollen. – Insgesamt zeigt das Angebotsfeld („omnes et singulatim“): Kirche ist da fr alle und zu jeder Zeit, Menschen in Notlagen, Krisen, Vernderungen, wenn sie nicht mehr weiterwissen, sich orientieren wollen, mit einem Problem besser umgehen wollen oder Sorgen haben. Sie zeigt ihre Anpassungsfhigkeit an allgemeine gesellschaftliche Vernderungen wie die der zunehmenden Differenzierung durch die jeweilige Aufnahme aktueller sich neu erschließender Felder: Bioethik, Chatseelsorge, Arbeitslosigkeit, Mediation, Hilfe bei Mobbing oder Beratung fr Manager. Fr alle und jeden da zu sein, bedarf der Arbeit an sich selbst als kollektivem Akteur: es mssen die gesellschaftlichen Bewegungen beobachtet und ausgewertet und neue und andere Felder eigensinnig erschlossen werden. Es bedarf der sorgfltigen Ausarbeitung von Angebotsinhalten und -verfahren, sollen sie denn angenommen und genutzt werden. Partizipatorische, pdagogische, psychologische, performative, kalkulatorische und spirituellen Praktiken werden eigensinnig diskursiv ver- und erarbeitet, evozieren Brche und An- und Ausschlsse und zeitigen unterschiedliche Effekte, die auf die Einarbeitung unterschiedlicher Rationalitten verweisen. Dass beispielsweise in der kirchlichen Unternehmensberatung „Spiritual Consulting“ (www.spiritual-consulting.de 22.04.07) Beratung und Coaching etwas kosten, die dort angebotene Seelsorge dagegen kostenfrei ist, indiziert eine eigensinnige Anpassungsleistung. Auch eine Lebensberatungsstelle verspricht ausgehend von seinem durch das „christliche Menschenbild“ geprgten „Beratungsverstndnis“, dass „Schwche nicht als Makel und Strke nicht als Privileg gewertet werden, Erfahrungen des Scheiterns und der Bruchstckhaftigkeit menschlichen Lebens kçnnen im Licht der Liebe Gottes verarbeitet werden, so dass neue Anfnge mçglich werden“ (www.ekir.de 22.4.07). Gleichzeitig wird dem Klienten – „Was uns noch wichtig ist!“ – nahegelegt: „Wenn Sie einmal das Gefhl haben, „falsch“ beraten worden zu sein, haben Sie jederzeit das Recht, sich zu beschweren. Viele Beratungsstellen haben dazu ein standardisiertes Beschwerdeverfahren“ (www.ekir.de 22.04.07). Sich Seelsorge und Coaching als zu trennende Modi vorzustellen oder Beschwerdeverfahren im Lichte der Liebe Gottes als standardisiert zu denken, ist ein komplizierter und an Wissensressourcen nicht ganz voraussetzungsarmer Vorgang, weil unterschiedliche Rationalitten und Tribunalisierungen hier in einer Spannung zueinanderstehen. Auch hier begegnet der „Kampf“ der Rationalitten und verschiedener Diskurse wie schon in den anderen in der Studie gezeigten Spielarten der Selbstfhrung des kollektiven und individuellen Subjekts.
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9. Das unternehmerische Selbst der Kirche
werden kann. Mit wem oder was kann die Kirche werben und was kann sie zum Angebot machen? „Angebot“ ist Synonym fr die Reprsentanz auf dem Markt und die Sicht- und Hçrbarkeit in der nach Wettbewerbsgesichtpunkten orientierten Arena und ist deshalb zugleich Synonym fr die Problematisierung der Subjektivierung selbst. Denn die Strategie des çkonomischen Diskurses setzt als Technologie ein spezifisches Subjektverhltnis voraus, ein Verhltnis von Innen-Außen oder Anbieter-Kunde, das ber Verkauf bzw. Tausch von Leistung/Dienstleitung konstituiert wird. Dieses Subjektverhltnis ist wie in der Studie gezeigt wurde, in der eigensinnigen kirchlichen Adaption Anlass vielfacher Problematisierungen und Lçsungsspielarten. Das Wortspiel „AnGebot“ markiert in seiner morphologischen Eigenart eine Lçsungsversion, mit diesem Problem so umzugehen, dass die Bedeutungszuweisung offen gehalten wird. Diese Strategie ist auch die des Gesamtdiskurses und deshalb reprsentiert dieses Wortspiel auch zugleich das Ergebnis dieser Studie. 9.1.1. Brche und die Majuskel im „AnGebot“ Ein Blick in sprachwissenschaftliche Studien186 zeigt, dass dort die Verwendung von Großbuchstaben innerhalb eines Wortes Anlass zu kommentierender Beobachtung gibt. Als „Modeerscheinung innerhalb der Werbewirtschaft“ (Glck 1994) fllt die wortinterne Majuskel wie in InterCity, HP LaserJet, Microsoft PowerPoint, BckerBlume, SuperHirn oder PrmienSparSpaß auf. Stein beobachtet, dass die innere Majuskelschreibung in der Regel bei einer „als (Produkt-) Eigennamen dienenden Zusammensetzung“ (Grzega 2001, 71) begegnet und dort den Trennstrich abzulçsen scheint. Sprachwissenschaftlich kennzeichnet eine Majuskel den Anfang einer sinntragenden Einheit: ein Anredepronom, ein Satz oder beispielsweise ein Morphem. Morpheme als die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten der Sprache werden unterschieden u. a. in freie und gebundene Morpheme, je nachdem, ob sie als selbststndige Wçrter in einem Satz stehen kçnnen oder nicht. Freie Morpheme unterscheiden sich wiederum in der Art ihrer Selbstndigkeit, ob sie eine eigene Bedeutung haben (lexikalisch freie Morpheme oder Lexeme) oder angewiesen sind auf die Verbindung zu anderen im Satz befindlichen lexikalischen Morphemen (Grammatische Morpheme).
Wenn die Majuskel nun innerhalb eines Wortes verwandt wird, so deshalb, weil sie sich einer gewissen Pragmatik verdankt (wie beispielsweise die beide 186 Glck (1994), Grzega (2001), Pelz (1996).
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Geschlechter einbeziehende Schreibvariante: LehrerInnen) oder Aufmerksamkeit und Interesse durch Aufflligkeit und Abweichung von der Norm erzeugt werden will. Diese letzte Absicht wird auch den Textern der Internetseite unterstellt werden kçnnen. Man kann vermuten, dass die Wortschçpfung augenzwinkernd entstand und auf freundliche Aufnahme hofft, weil sie das selbstunternehmerische individuelle Subjekt adressiert und sich selbst als Kirche entsprechend vorstellt, als berraschend anders und doch vertraut. Vertraut, weil in der Formulierung doch immerhin die biblischen zehn Gebote als Zitat zu entdecken sind und mit diesem vielleicht noch die Vorstellung von Gott und Mose (dieser Effekt wird neben dem der Irritation doch als beabsichtigter vermutet werden kçnnen), und berraschend anders, weil die Kirche weiß und so zu erkennen gibt, dass sie dies weiß, dass Tradition und Autoritatives zu relativieren sind, auch wenn darin nicht angedeutet ist, wie dies zu verstehen ist. Mçglicherweise zeigt die Wortschçpfung aber auch an, dass die Kirche sich zwar auf Marktstrategien einlsst, denn immerhin benutzt sie das Wort „Angebot“, aber eigentlich doch am Eigenen und Ursprnglichen festhlt und sich nicht wirklich çffnet und deshalb die „vertraute Kirche“ bleibt, mit welcher Konnotation auch immer. Vielleicht aber auch ist es noch ganz anders gemeint. Die Bedeutungszuweisung bleibt offen, und dies scheint das Konzept zu sein. – Die Wortschçpfung ist der Effekt eines an Marketingverfahren orientierten Vorgehens und entspricht darin verschiedenen anderen in der Studie vorgestellten Effekten als Ergebnis der diskursiven Verarbeitung. Diese Wortschçpfung ist deshalb von besonderem Interesse, weil in dieser kleinen morphologischen Besonderheit die Umbruchbewegung im Erscheinungsbild komprimiert gespeichert ist. Die in der diskursanalytischen Beobachtung entdeckte Dynamik des Kampfes erscheint hier gewissermaßen geronnen oder eingefroren. Die Majuskel trennt Bedeutungseinheiten voneinander, markiert das jeweils eigene als Eigenes („Angebote und „Gebote“) und fhrt eine neue Bedeutungseinheit zusammen („AnGebote“), die aber wiederum, wie in 9.3. gezeigt werden wird, nicht fr die Dauer ist, weil Bedeutungseindeutigkeit gefordert ist und sofort wieder neue Bewegungen evoziert. In dieser geronnen Struktur begegnen die unterschiedlichen eigensinnigen Strategien der Subjektivation wieder, wie sie auch in der Studie dargestellt wurden, allerdings dort in ihren pluriformen und heterogenen Effekten.
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9. Das unternehmerische Selbst der Kirche
9.1.2. Diskursive Strategien In der Studie wurde sichtbar, dass der allgemeine çkonomisch berformte Diskurs im kirchlich-theologischen Diskurs da ist und unterschiedliche und auch widersprchliche Subjektvorstellungen aus sich heraussetzt. Die Wirkmchtigkeit des anderen, fremden Diskurses wird besttigt, indem er als eigener Diskurs adaptiert wird. Die Subjektivierung zeigt sich in der paradoxalen Form der Besttigung (als Unterwerfung) und der eigensinnig strukturierten Antwort (als Subjektwerdung). Bruch: Das Eigene kennzeichnen und das Andere beherrschen Eine der eigensinnigen Strategien ist dort begegnet, wo Wissensbestnde des kirchlich-theologischen Diskurses als legitimierende Abwehrressourcen aktiviert wurden, die auf die Verschiedenheit und Nicht-Vereinbarkeit der Diskurse verweisen. Dies wurde sichtbar an Problematisierungen wie beispielsweise der Frage nach dem Subjekt. Wer handelt? Gott oder Mensch? Gott und Mensch? Wer soll handeln: Kirchenleitung, Pastoren, Ehrenamtliche? Wer gehçrt zur Kirche dazu: Kirchenmitglieder, Getaufte oder eigentlich alle? Abhngig jeweils von der Wissensressource des eigenen Diskurses wurde das Trennende und nicht das mit dem fremden Diskurs zu Vereinbarende markiert. – Auf der Ebene der Praktiken begegnet die Strategie in der Infragestellung und Verweigerung bestimmter Praktiken: Zielorientierung oder Bilanzmçglichkeiten, Kundenorientierung, der Einsatz kalkulatorischer Praktiken, dem Einsatz von Beratungsfirmen etc. Zugleich besttigen die eine Trennung vollziehenden Strategien die Wirkmchtigkeit und Strke des anderen Diskurses darin, dass das Eigene erst als Eigenes getrennt, hervorgehoben und profiliert werden muss. Die trennenden Strategien zielen deshalb auf Verselbstndigung des Eigenen. Sie machen deutlich, worin der fremde Diskurs das Eigene einschrnkt, trennt, behindert oder berformt. Anzutreffen war dies beispielsweise in der semantischen Verweigerung managerialer, betriebswirtschaftlicher oder soziologischer Ausdrcke oder in der Verweigerung fremder Wissensbestnde. Die Perspektive noch mal gewendet, finden sich die oben beschriebenen Strategien auch umgekehrt: Die Verwerfungsgesten aus den Anrufungsszenen (Teil 2, 1) problematisieren die bisherigen Programmatiken und Praktiken als berholt und defizitr und bringen sie so performativ erst als defizitre und ihrem Geltungsanspruch eingeschrnkte hervor. Diese Strategie berformt den eigenen Diskurs durch den fremden.
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Entsprechend begegnet die umgekehrte Bewegung der berformung des anderen Diskurses, indem dessen Wahrheitsanspruch mithilfe des eigenen desavouiert wird. Hinweise finden sich, wenn die Zukunft der Kirche relativ sorgenfrei ausgerufen wird, den Untergangsszenarien ihr Wahrheitsgehalt entzogen wird und die diskursive Verarbeitung kein Interesse an Selbst- und Fremdfhrungverfahren zeigt. Auf der Ebene der materialisierten Praktiken, die hier nur am Rande erfasst werden konnten, ist dies erkennbar, wenn beispielsweise das in der Unternehmensfhrung angewandte Personalentwicklungsinstrument des Jahresgesprches in Kirchenkreisen und Gemeinden eingefhrt wird, dessen Ergebnisse jedoch nicht in der Personalakte verzeichnet werden (Hartmann et al. 2007), oder Leitbildentwicklungsprozesse zwar gemacht werden, sich aber ber Jahre hinziehen. Die Akteure haben zwischendurch eigensinnig eine teleologische Vernderung vollzogen, und nicht mehr das Ziel eines Controlling (Jahresgesprch) oder einer Außendarstellung (Leitbild) ist von Interesse sondern die Kommunikation selbst. Die den Techniken inhrente Rationalitt wird, salopp gesagt, eigensinnig umgewidmet. Anschlsse Die Anschlussstrategien besttigen die Wirkmchtigkeit des anderen Diskurses, indem sie sich mit ihm verbinden und ihm dadurch zur Dominanz verhelfen. Hier gibt es eine hohe diskursive Produktion und verschiedenste auch scheinbar widersprchliche Spielarten, wie programmatische und auf Praktiken bezogene Ressourcen des kirchlich-theologischen Diskurses die Problematisierungen bewltigen. Programmatische Topoi wie Protestantische Freiheit, Verantwortung, Rechtfertigung, Inkarnation, Zwei-Reiche-Lehre, Missionsauftrag, Kommunikation des Evangeliums, Priestertum aller Glubigen, Ecclesia semper reformanda kçnnen neue und alte Praktiken legitimierend besttigen: Kalkulatorische, partizipatorische, performative, kommunikative, spirituelle Praktiken lassen sich mit unterschiedlichen Wissensherknften vielfltig mit Programmatiken kombinieren in diskursiven Strategien der Additionen oder Amalgamierungen. Hier finden sich in der Ordnung des Diskurses die bersetzungen, die funktionalen quivalente. Neue Sinneinheiten und Subjektkohrenzen entstehen darber: Die der Verarmungs- und Authentizittssehnsucht einer spirituellen Existenz auf Pilgerwegen nachgehenden Beratung und Anleitung durch ehrenamtliche Geistliche Begleiter findet sich darin genau so wieder wie der Fundraising- und Marketing-Kenntnisse vermittelnde Pfarrer, der sich begreift als „Ressource“ eines „Gesamtsystems“, dessen
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9. Das unternehmerische Selbst der Kirche
„Kernaufgabe“ die Verkndigung des Evangeliums ist und fr deren Sicherstellung in ihrer Form als Kirchenmusik oder als Hospizdienst er finanzielle und kommunikative Kapazitten bereitstellt. Konkurrenzen, Hierarchiserungen, Ausschlsse Die Gleichzeitigkeit der Strategien verursacht Konkurrenzen und in der Folge Hierarchisierungen oder Ausschlsse innerhalb des kirchlich-theologischen Diskurses. Augenfllig ist hier die Diskussion um den Indikativ innerhalb der Zielformulierungen der Leitbildpapiere. Der Widerstand (stimmt das eigentlich, was wir hier behaupten?) und der Anschluss (aber es leitet uns an, uns zu verbessern) wird jeweils dem kirchlich-theologischen Diskurs entnommen und in einer Weise zueinander moderiert, die den Anschluss ermçglicht. Dies hat den Effekt, dass bestimmte Themen oder Praktiken nicht mehr begegnen, nicht mehr erçrtert, im Diskurs nicht aufgenommen werden und ihrerseits keinen Anschluss evozieren. Wenn beispielsweise die Subjektvorstellung der Volkskirche von der Rationalitt eines vergleichenden Verfahrens berformt wird (1.2.), ist sie in ihrer eigenen Rationalitt nicht mehr anschlussfhig, sie gert so in eine diskursive Faltung (Foucault), in der nur noch die Semantik an diese Subjektvorstellung erinnert. Der „Pfarrer als Zeuge“ schien sich gegenber dem der Profession nicht mehr durchsetzen zu kçnnen. Doch auch der Pfarrer als Profession ist, so wurde gezeigt, berformt von einer anderen Rationalitt, die den „alten Pfarrer“ als Subjektvorstellung nur noch semantisch aufrecht erhlt (5. 2. 1.). Der kirchlich-theologische Diskurs bietet unterschiedliche Ressourcen und Widerstnde und es wurde anhand der Typologie darauf hingewiesen, dass hier jeweils unterschiedliche Affinitten zur Gouvernementalitt der Gegenwart vorliegen. Die grçßten Anschlussmçglichkeiten stellen sich ber den organisational-kybernetischen und religiçs-spirituellen Diskursstrang her. Diese diskursive Produktion erzeugt im Gesamten als Effekte konkurrente, konkurrierende und im Wettbewerb befindliche Subjektpositionen, wie an den Leitbildern, auch an dem Pfarrer als Profession und an der Diskussion um das Priestertum aller Glubigen sichtbar wurde. Es wurde daher nicht nur gezeigt, dass auch einander widersprechende Phnomene auf diese Subjektivationsbewegung zurckgehen, sondern, dass das Gouvernement diese Konkurrenzen erst erzeugt.
9.2. Die doppelte Tribunalisierung
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Ein Vexierbild Was sich an dem Wortspiel „AnGebot“ veranschaulicht und auf den Gesamtdiskurs bezogen mit Komplexitt aufgeladen, zum Schluss darstellt, ist eine Subjektvorstellung, die einem Vexierbild gleicht, was hin und her springt und nicht beide Bedeutungszuweisungen gleichzeitig in einem Bild erkennen lsst. In Kapitel 6 war von einem „Klappmechanismus“ die Rede, der hçchst kontingent und uneinsehbar die Plausibilittskonstruktionen steuert, durch die die Bestimmung des Subjekts mit ins Spiel kommt: Auf die neoliberale Aufforderung zur Selbstmodellierung springt dieser Mechanismus geradezu enerviert und alarmiert an und bringt widersprchliche und nur vordergrndig widerstndige Formationen aus sich heraus. Deshalb soll dieser Beobachtung nun noch einmal genauer nachgegangen werden, indem die in der Studie sichtbar gewordenen Ergebnisse systematisiert dargestellt werden.
9.2. Die doppelte Tribunalisierung quivalentsetzungen Der Effekt aus der Gleichzeitigkeit aller Strategien ist ein Subjektivationsprozess, der von hoher Widersprchlichkeit paradoxal deshalb gekennzeichnet ist, weil er unterschiedliche Veridiktionen gleichermaßen parat hlt. Wie am Dispositiv des Gottesdienstes gezeigt, wird die Wahrheit der Herrschaft des christlichen Gottes genauso behauptet wie zugleich das Regime des Marktes besttigt wird. Der Kampf dieser unterschiedlichen Rationalitten wurde in Teil 2, Kapitel 2 und 6 gezeigt, wo es darum ging, dem Steigerungsimperativ auch in der eigenen Programmatik Platz zu schaffen. Die zunehmende Einschreibung und Normalisierung verluft ber die zuletzt beschriebenen Strategien der Amalgamierung. Die Wissensbestnde und Ressourcen des kirchlich-theologischen Diskurses werden aktiviert in ihrer hohen Affinitt zu den Programmatiken und Praktiken des neoliberalen Diskurses. Die diskursiven quivalentsetzungen, die in dieser Studie im Blick auf die Selbstfhrung des kollektiven und individuellen Subjekts begegneten, noch einmal nebeneinander angeordnet, lassen die hohe Affinitt erkennen.
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9. Das unternehmerische Selbst der Kirche
Tribunal: Verantwortung vor der Arena Tribunal: Verantwortung vor Gott Allaktivierung/Responsibilisierung
Priestertum aller Glubigen
Lernende Organisation
Ecclesia semper reformanda
Ziel
Auftrag/Erinnerung/Imago
Kompetenzen
Gaben, Charismen
Selbstunternehmer, Profession
Amt, neue Ehrenamtliche
Produkt
Evangelium
Geld, Mehrwert
Glauben, Sinn,
Wachstum
Wachstum der Gemeindeglieder, inneres Wachstum, Glaubenswachstum
Markt – die Potentialitt der Adressaten
Mission – die Potentialitt der Adressaten
Marketing
Verkndigung
Kundenorientierung
Jude/Grieche, Individualitt, geschçpfliche Vielfalt, Missionsauftrag, alle Menschen, jeder Einzelne – omnes et singulatim –
Verkauf
Wirkung
Corporate identity, Unternehmen
Heilsgemeinschaft – omnes et singulatim –kein Ausschluss – die ganze Herde
Ungewissheit, Risiko
Gott, Heiliger Geist
Freiheit als Perspektive
Freiheit als Ausgangspunkt
Selbstvertrauen
Gerechtfertigtes, verliehenes Selbstvertrauen
Der diskursanalytische Befund zeigt, dass indem sich die Kirche als unternehmerisches Selbst hervorbringt, sie beide Tribunale besttigen kann, weil sich jeweils Anschlsse nahe legen. In Kapitel 4 waren diese Affinitten mit den Ausarbeitungen Max Webers zur Protestantischen Ethik zwar plausibilisiert, zugleich jedoch auch relativiert worden, weil diese nicht beantworten, worber die Anschlsse hergestellt werden. Deshalb sollen in einem nchsten Schritt die Verfahren in den Blick genommen werden.
9.2. Die doppelte Tribunalisierung
355
Verfahren und Praktiken Auch die Gegenberstellung der in der Studie begegnenden Praktiken von unternehmerischer und pastoraler Selbstfhrung bzw. Fhrung zur Selbstfhrung zeigt, dass sich Amalgamierungseffekte nahe legen und zwar insbesondere bei den Verfahren der Selbstfhrung des kollektiven und individuellen Akteurs, der kirchlich-eigensinnigen Subjektivierung des unternehmerischen Selbst (Teil 2, Kapitel 2 – 7). Alle Praktiken und Verfahren scheinen sich fast mhelos anwenden zu lassen. Sie treffen im kirchlich-theologischen Diskurs auf Ressourcen, und zwar als bewhrte und typisch protestantische oder wieder oder neu entdeckte „vor-reformatorische“ Verfahren. Unternehmerische Selbstfhrung
Pastorale Gewissensleitung
Monitoring, Controlling
Beobachtung und Reflexion
Ressourcen aktivieren
Partizipieren, sich stimulieren
planen
visionieren
Sich auf das Risiko einlassen
Sich fr Gott, die Stille çffnen, hçren
Sich beraten
Sich beraten
bilanzieren
beichten
Sich am Ziel orientieren
imitieren
Evaluieren
Sich berprfen
Das pastorale Wissen, so wurde auch deutlich, ist dem unternehmerischen Wissen darin hnlich, dass sich mit ihm der Umgang mit Risiko, Kontingenz und Unverfgbarkeit gestalten lsst. Die Praktiken sind von großer hnlichkeit und nur unterscheidbar ber die Tribunalisierung. Das Zusammenspiel von Ideen und Praktiken, Programmen und Technologien ist deshalb von Bedeutung fr die Subjektvorstellung187. Dem Mechanismus
187 Die detaillierte Analyse der Mechanismen dieses Zusammenspiels wre eine weitere Forschungsaufgabe, die sich auf einzelne Bereiche konzentrieren msste. – Miller (2007, 37) weist auf die Notwendigkeit hin, dieses Zusammenspiel im Blick auf kalkulatorische Praktiken generell soziologisch nher zu untersuchen. Auch Voigt (2007, 258) folgert fr die Theologie: „Eine Auseinandersetzung mit Foucault auf der Ebene der Glaubenspraktiken drfte fr die Christentums- und Theologiegeschichte hçchst spannende Einsichten bereit halten.“ – Hier wren insbesondere Anschlsse an die Forschungen der Religionsçkonomie denkbar, aber
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9. Das unternehmerische Selbst der Kirche
des Vexierbildes weiter auf die Spur zu kommen, soll nun gefragt werden, wie sich das Verhltnis der Tribunale als der Instanzen, denen man sich gegenber verantwortlich fhlt, gestaltet. Dazu soll es noch einmal konkret werden und an einem Text nachvollzogen werden, was passiert, wenn, wie am Dispositiv des Gottesdienstes schon gezeigt, der Kunde, die Zielgruppe, der Kirchendistanzierte etc. in den Blick genommen wird, und die Subjektivierung von Anbieter und Kunde sich materialisiert in konkreten Handlungen und Praktiken.
9.3. Die doppelte Subjektivierung Der schon erwhnte Text „Kirche fr Einsteiger“ kommt nun noch einmal zur Geltung. So charmant es ist, die Bedeutungszuweisung mit der Wortschçpfung „AnGebote“ offen zu halten, so schwierig wird dies, wenn es darum geht, konkret zu werden und fr sich als Kirche werben zu wollen. Auch hier gilt, was immerzu gilt: es muss entschieden werden und die Bedeutungszuweisung und die Adressierung der Zielgruppe darf nicht in der Schwebe bleiben. Wir verlassen also den Zustand des Eingefrorenseins und begeben uns wieder in die diskursive Bewegung. Wie kann die Kirche womit werben? Die Marketingfachleute empfehlen verschiedene Verfahren, die eigensinnig umgesetzt werden. „3. AnGebot: Gib deinem Leben Sinn Im christlichen Glauben bewahrt die Kirche eine Wahrheit, die Menschen sich nicht selber sagen kçnnen. Diese Wahrheit, in der Jesus Christus gelebt hat, gibt auch deinem Leben einen Sinn. Sie macht ein verantwortungsbewusstes Leben mçglich. In der Kirche wird jeder Mensch als Person ernst- und angenommen, mit allen Schwchen und Strken, mit aller Sympathie und allen Eigenheiten. Ich sein zu kçnnen, das ermutigt zu eigenverantwortlichem Handeln, gerade auch anderen gegenber, im Alltag, im Beruf, das ermutigt dich auch dazu, dich zum Beispiel in der Kirche ehrenamtlich zu engagieren“ (www.ekd.de 09. 08. 2007).
Hier prsentiert sich ein unternehmerisches Selbst der Kirche, das sich selbst als Angebot begreift und das zu ergreifen dem selbstunternehmerischen Individuum eine Tiefe verheißende Selbstfhrungsmçglichkeit bietet. Die Herausstellung des Alleinstellungsmerkmals, der Unique Selauch Anschlsse an die Religions- und Organisationssoziologie, die ihrerseits die Paradoxien kirchlicher Organisation reflektieren. (Hermelink/Wegner 2008).
9.3. Die doppelte Subjektivierung
357
ling Proposition, die Ankndigung des subjektiven Gewinns und die Ausgestaltung der Besonderheit verdankt sich der Kenntnis der Marketingverfahren und der Anerkenntnis von Marktsituation und Wettbewerbsnotwendigkeit. Dieser Werbetext in eigener Sache ist, so zeigen die Ergebnisse aus dem Leitbild-Kapitel, einer von vielen diskursiven Effekten der Verfahren der neoliberalen Fremdfhrung zur Selbstfhrung. In der Studie wurde gezeigt, dass die Kirche Kirchenmitglieder oder potentielle Kirchenmitglieder als unternehmerisches Selbst adressiert, das an Anleitungen zur Selbstfhrung und -aktivierung interessiert ist. Entsprechend subjektiviert die Kirche sich orientiert an der USP ber die Ressourcen, die sie selbst hat. Dieses sind Anleitungen und Verfahren der pastoralen Gewissensleitung, der Befçrderung von Selbsterkenntnis und Selbsterweiterung im Modus der Beratung, der Seelsorge, des Gottesdienstes, der Spiritualitt, des gemeinschaftlichen, ehrenamtlichen oder brgerschaftlichen Engagements, der Wertevermittlung und – anschauung, entsprechend der in der Tabelle aufgefhrten Verfahren. Wer wirbt, muss dies konkret und anschaulich tun, die Ntzlichkeit und den individuellen Mehrwert kenntlich machen. Eigensinnig muss die Kirche aber zugleich ein anderes Problem lçsen, nmlich deutlich machen, dass sie ber das, was sie anbietet, nicht verfgt („Eine Wahrheit, die Menschen sich nicht selber sagen kçnnen“ ebd.). Damit hat sie ein Problem, denn geklrt werden muss, wie diese Wahrheit trotzdem an die Menschen kommt. Die aufgerufene Subjektvorstellung der Kirche als unternehmerisches Selbst zieht deshalb zugleich als eigensinnigen Effekt eine andere Subjektvorstellung nach sich, wie an dem Text nachzuvollziehen ist: Das AnGebot, dem eigenen Leben Sinn zu geben, beginnt, folgt man der diskursiven Hierarchisierung innerhalb dieses Textabschnitts, mit der Kirche als kollektivem Akteur und endet mit der Kirche als Gestaltungsraum fr ehrenamtliches Engagement des individuellen Akteurs. Der christliche Glaube, die Wahrheit und Jesus Christus sind in dieser Reihenfolge absteigend angeordnet und gewissermaßen in der Kirche verborgen: Sie bewahrt eine Wahrheit. Wer an dieser aufbewahrten Wahrheit partizipieren will, der braucht die Kirche. Er braucht sie als Verfahren, das stimuliert, anregt, und anschaulich macht, was sie an Verborgenem anzubieten hat. Das ihr vom Markt abgençtigte Versprechen zu sagen, was es zu bekommen gibt, nçtigt der Kirche ab, das ihr Unverfgbare als Geheimnis einer Wandlung, einer Vernderung, eines Mehrwerts (die Wahrheit macht ein verantwortungsvolles Leben mçglich) zu chiffrieren und an sich selbst
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9. Das unternehmerische Selbst der Kirche
dechiffrierend zu binden und zwar als Bereitstellung von spezifischen Verfahren und Formen, ber die Gemeinschaft, Spiritualitt entdeckt und ber die Gott erfahren, sicht- und/oder hçrbar wird. – Die These lautet daher pointiert: Indem die Kirche sich als unternehmerisches Selbst subjektiviert, sakramentalisiert sie sich selbst. Dabei wird Sakramentalisierung ganz schlicht als Zusammenhang der beiden Komponenten „Bindung an die Form“ und „Geheimnis“ verstanden. Die „Darreichung des Sakraments“ geschieht, wie auch schon am Dispositiv des Gottesdienstes gezeigt, ber pastorales und priesterliches Wissen im Modus von partizipatorischen und performativen Verfahren. Dieses doppelte Element von Bindung an die Form als Verfahren und die in ihr/mit ihr sich vollziehende Wandlung ist Strategie der neoliberalen Fhrung, die, wie gezeigt wurde, mit Versprechen und Verheißungen operiert. Und es ist jetzt die darauf reagierende eigensinnige kirchliche Strategie, mit dem Versprechen der Wahrheit, der Gegenwart Gottes, der Mitwirkung des Heiligen Geistes und der Wirkung des Evangeliums zu operieren. Das spezifisch kirchliche und deshalb gegenber dem neoliberalen Diskurs Widerstndige ist, dass sie deutlich macht, dass der Wandel nicht von ihr selbst erzeugt und gemacht werden kann – das Geheimnis bleibt als Geheimnis gewahrt (Tribunal Gottes). Zugleich ist das Geheimnis der Wandlung Teil des çffentlichen Versprechens (Tribunal des Marktes). Die eigensinnige kirchliche Strategie verstrkt das ihr vom Markt abgerungene Versprechen noch darin, dass in der Weise des kirchlichen Gemeinschaftslebens Wandlung und Wirkung reprsentiert und als sichtund berprfbar annonciert wird („In der Kirche wird jeder Mensch als Person ernst- und angenommen, mit allen Schwchen und Strken“ ebd.). Der Konnex aus Bindung an die Form/Verfahren und Geheimnis/ Kontingenz findet sich in der Studie beispielsweise auch bei dem Dispositiv des Gottesdienstes („Himmels-Substanz“) oder auch in der Konzeptionierung des Pfarrers als Profession („Menschen wissen wieder, warum sie in der Kirche sind“) und wie schon erwhnt bei den Leitbildkonstruktionen. Die Selbstsakramentalisierung ist Effekt der Einschreibung des çkonomischen Diskurses in den kirchlich-theologischen. Sie verdankt sich dem Tribunal des Marktes und den in den fokussierenden und authentisierenden Selbstfhrungsverfahren aktivierten Ressourcen des eigenen Diskurses. Immer noch auf der Suche nach dem Mechanismus des Vexierbildes hat die Spur jetzt zu den Stichworten „Geheimnis“ und „Versprechen“
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gefhrt, weshalb nun die religiçse Dimension der Verfahren noch einmal Thema ist. Risiko braucht Mythen/Religion Mit dem Stichwort der Sakramentalisierung wird der Bogen geschlagen zur Zwischenbemerkung Teil 2, 4, die den Zusammenhang von Religion und der neuen Gouvernementalitt als civil religion thematisiert hatte. Mit Rckgriff auf auch organisationstheoretische berlegungen wurden Mythen, Fiktionen und Institutionen als notwendige, legitimierende und stabilisierende Elemente des Funktionierens von Organisationen beschrieben. Das unternehmerische „Sich-Erfinden“ auf ein Risiko hin, braucht Formen von Kontingenzbewltigung, die in Mythen bereitgestellt werden und sich ber wissensbasierte Praktiken materialisieren. Die lernende Organisation, das New Public Management, die Leitbildentwicklungsverfahren des individuellen und kollektiven Subjekts, Professionalisierung und Kompetenzerweiterung sind solche wissensbasierten Formen der Kontingenzbewltigung, die zudem mit einer totalisierenden oder verabsolutierenden Geste des Allheilmittels befçrdert werden. Besttigt hat sich in der weiteren Analyse, dass der Ansatz, von einer religiçsen Struktur beider Diskurse auszugehen, die Amalgamierungen, das unkomplizierte Verschmelzen, die Gleichzeitigkeit der Tribunalisierung eher und besser beschreibbar macht, als wenn von einem urschlichen entwicklungsbezogenen Zusammenhang ausgegangen wrde. – Auf diese Weise konnte gezeigt werden, dass auch widersprchliche Phnomene Effekt einer ber eine gemeinsame religiçse Struktur transportierte berformung des kirchlich-theologischen Diskurses durch den neoliberalen Diskurs ist. Die Zwischenbemerkung hatte mit der These geschlossen, ein „religiçses Selbst“ wrde ber den sanften Zwang der Fhrung zur Selbstfhrung hergestellt. Leitbildpapiere seien Teil der sichtbaren Effekte dieser diskursiven Einarbeitung, die als kirchliches Bootstrapping fungieren. Als performativer Sprechakt erzeuge die Kirche darin ihre eigene Grundlage, sich als auf die gesellschaftliche Anerkennung zielender religiçser Akteur selbst herstellen zu kçnnen. Die weiteren diskursanalytischen Ergebnisse besttigen und erweitern diese These. Whrend bei den kollektiven oder individuellen LeitbildSubjekten (Teil 2, 3 und 7) zunchst die Reprsentationsfunktion sichtbar wurde, ber die fr die ffentlichkeit das „Unbeobachtbare beobachtbar“ ist (Nassehi), so kommt aus der Perspektive der Angebots-Praktiken strker das sich-sakramentalisierende Subjekt in den Blick, was ber Verfahren der
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9. Das unternehmerische Selbst der Kirche
Reprsentation und Partizipation Individuen zur aktiven Selbstfhrung anleitet. Dies wurde am Dispositiv des Gottesdienstes anschaulich, wo sowohl Personen als auch Rume und liturgische Gegenstnde etc. auf die Erzielung von Wirkung ausgerichtet waren, also Instrumente der aktivierenden Verfahren der Selbstfhrung sind. Auf das Vexierbild bezogen, d. h. auf den flirrenden Wechsel der Perspektive, scheint sich von diesen berlegungen aus die Schlussfolgerung nahezu legen, dass die doppelte Tribunalisierung und Subjektivierung ber die religiçse Struktur des çkonomischen Diskurses und seiner Mythen und Realfiktionen transportiert wird. In der Einschreibung treffen religiçse Strukturen unterschiedlicher Rationalitt aufeinander. Am Wortspiel anschaulich gemacht: Die Schreibweise „AnGebot“ entlarvt den Mythos als Mythos und besttigt zugleich seine Geltung. Sie bringt die eigene religiçse Struktur mit der des anderen Diskurses auf Augenhçhe und besttigt den andern Diskurs als Religion oder sich selbst als Mythos. Anders ausgedrckt: der kirchlich-theologische Diskurs kann sich des anderen, fremden nur bemchtigen, indem er seine eigene Wahrheit an die Wahrheit des anderen, nmlich der Priorisierung der Form (im Sinne von wissensbasierten Verfahren) bindet. Auf das Wortspiel bezogen: Das „Gebot“ braucht das die Adressierung des Adressaten ermçglichende „an“, um sich als die bessere, echtere, wahrere Religion zu erweisen und zu behaupten und die Doppeltribunalisierung aufzuheben. Dieser Kampf, so die Vermutung, bringt das Bild zum Flirren und irritiert die Blickrichtung und lsst nicht mehr eindeutig erkennen, was tribunalisiert wird, weil nun auch religiçse/pastorale/priesterliche Verfahren dem anderen Tribunal zuarbeiten. konomie der Verfehlungen und Verdienste Die religiçse Struktur beider Diskurse nun vorausgesetzt, soll das Foucaultsche Theorem der Pastoralmacht noch einmal aufgenommen und weitergedacht werden. Es stellt sich die Frage nach dem Verhltnis dieser beiden Tribunale im Einschreibungsprozess. Anders als die alte Pastoralmacht, die in der alternierenden Korrespondenz eine bertragung der Verdienste der Herde auf den Pastor vorsah, scheint, die Linien des Foucaultschen Theorem im Gedankenexperiment weiter ausgezogen, mit der Anrufung des Tribunals des Marktes umgekehrt eine alternierende Korrespondenz zwischen Gott und kirchlichpastoralem Akteur vorausgesetzt und eine bertragung der Verdienste Gottes auf die Kirche vorgesehen. So ausgeliefert der Hirte der alten Pastoralmacht den Verfehlungen und Verdiensten seiner Herde gegenber
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dem Gericht Gottes ist, so hilflos und ausgeliefert scheint der Pastor oder kirchliche Akteur neoliberaler Provenienz den Verdiensten und Verfehlungen Gottes zu sein, wenn es darum geht, dessen Wahrheit als die eigene Wahrheit vor dem Tribunal des Marktes zu besttigen. Blieb der alten Pastoralmacht die letzte Gewissheit offen, weil sie Gott selbst eschatologisch vorbehalten war, droht mit dem sich permanent aktualisierenden Tribunal des Marktes das Urteil ber Erfolg oder Nichterfolg fortlaufend gesprochen zu werden. So scheint die Kirche, als dem Tribunal Gottes und dem des Marktes gegenber gleichermaßen verantwortlich und beide besttigend, kaum anders zu kçnnen als wissend ohne letzte Gewissheit zu handeln und so zu tun, „als ob“ sie mit Gewissheit handele. Effekt dieses Prozesses ist, dass beispielsweise das Postulat der protestantischen Freiheit als neuer Mythos installiert wird. Die Kirche braucht – im organisationstheoretischen Sinne – einen Mythos als Bootstrapping und sie ist in der vorteilhaften Lage, auf einen zurckgreifen zu kçnnen, weil er im Wissensarchiv in unterschiedlichen Wissensformationen vorbereitet und deshalb abrufbar ist. Sie muss ihn nicht noch erzeugen („Wir haben doch schon ein Leitbild“).– Im theologischen Sinne und in ihrem eigenen Selbstverstndnis werden diese Postulate, Protestantische Freiheit, Priestertum aller Glubigen etc. allerdings nicht als Mythen, als selbst erzeugte Missionen verstanden, sondern als Glaubenszeugnisse, denen das Wissen inhrent ist, dass sie sich nicht sich selbst verdanken. Diese Postulate arrangieren sich in der Subjektivierung (wie in Kapitel 6 gezeigt) um zum funktionalen quivalent des Mythos mit der zweifachen Folge: dass die Freiheit Gottes ausgeblendet oder exkludiert wird mit dem Effekt, dass auf andere Mythen zurckgegriffen wird (wie im organisational-kybernetischen Diskursstrang) und die Kirche, wie auch gezeigt wurde, um ihre Subjektkohrenz kmpft. In der anderen Variante wird die Freiheit Gottes als Voraussetzung – und dies ist das Sakramentalisierende – an die Kirche gebunden. Diese Postulate mssen jetzt das Handeln legitimieren, plausibilisieren und motivieren: Heilswillen, Auftrag Gottes, Zwei-ReicheLehre, Missionsauftrag. Die Leitbildpapiere oder die Metapher beim persçnlichen Spine oder das persçnlichkeitsspezifische Credo verweisen auf andere Wissensressourcen, die diesen Zweck erfllen. Die Doppelcodierung von Tribunalisierung und Subjektivierung scheint damit zu tun zu haben, dass Glaubenspostulate als das Handeln notwendig vorausgesetzte Bedingungen an das willentliche Subjekt gebunden gekennzeichnet werden. Notwendig sind sie, weil – und das geht mit der Subjektkonstituierung zusammen – das Risiko als dominant gesetzt wird. Christliche Glaubensberzeugung wird zum Bootstrapping des Sich-Organisierens. So
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9. Das unternehmerische Selbst der Kirche
wurde auch schon im Leitbildkapitel deutlich: „Das Subjekt inszeniert sich auf diese Weise zweifach, zum einen in der Geste des homo contractualis als eines Wesens, das zur Verantwortung gezogen werden will und kann, und zum anderen spezifisch, nmlich als religiçs etikettiert. Weil dies zusammenfllt, kann es sich nicht frei machen von dem Verdacht, es trge Verantwortung dafr, wie Gottes Handeln im Leben und der Welt sich an das eigene individuelle Verhalten bindet und darin erkenn- und ablesbar wird.“ Diese Doppeltribunalisierung scheint dazu zu fhren, sich noch mehr darin abzusichern, dass man als Kirche oder als Pfarrer „mit Gewissheit“ handelt. Die vom Steigerungsimperativ getriebene Dynamik des Marktes fordert, dass die Kirche oder der Pfarrer weitere und immer neue und neue alte Verfahren der Fhrung zur Selbstfhrung fr sich selbst und andere bereithlt. Das kollektive und individuelle kirchliche Subjekt muss deshalb frommer und zugleich marktfçrmiger werden. Sakramentalisierung und Profanisierung ist danach dieselbe Bewegung. Das unternehmerische Selbst der Kirche, zwischen beiden Tribunalen lokalisiert, ist auf die Besttigung seiner Wahrheit durch beide angewiesen, weshalb es diese in fortschreitender Einschreibung sucht: die Ausweitung von Qualittsmanagementpraktiken auch auf gottesdienstliche Verfahren, die weitere Differenzierung von Kompetenzen, die Ausbildung von Marketingfachleuten, Geistlichen Begleitern, Pilgerbegleitern, die Motivierung ber Wettbewerbe von Best oder Good Practice und der immer neuere Ausweis von Authentizitt, sich religiçs, ethisch, menschlich vorbildlich zu verhalten – repraesentatio – und ein zur Selbstfhrung einladendes attraktives, reizvolles und berzeugendes und Erfolg versprechendes Anschauungs- und Bettigungsfeld zu bieten. Zugleich evoziert der Diskurs wie oben beschrieben in unterschiedlichen Strategien immer neue Brche und neue Bewltigungsstrategien. In der eigensinnigen Aufnahme dieses Diskurses werden die Praktiken und Programmatiken verstrkt, die sich amalgamieren, d. h. die weitere Einschreibung vollzieht sich in und durch weitere diskursive Faltungen und Exklusionen der Programmatiken und Praktiken, die nicht anschlussfhig scheinen. Das unternehmerische Selbst der Kirche bindet die Beweislast der Wahrheit an sich selbst. Als das glaubende Subjekt scheint man wie jedes andere lebensunternehmerische Subjekt auch hier nicht die Wahl zu haben: man muss es sein188. 188 Anschaulich wird die Wirkmchtigkeit beider Tribunale 2010 in der diskursiven Verarbeitung des Rcktritts von Landesbischçfin Margot Kßmann oder der Missbrauchsflle in der katholischen Kirche.
9.4. Die kleine Geste im Flanieren
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Weber: Foucault auf der berholspur Noch einmal anknpfend an Weber und Foucault lassen sich so nun einerseits die Ausfhrungen Webers besttigen (wie auch schon in Kapitel 4 gezeigt) und zugleich mit Foucault und von der historischen Entwicklung berholt eine kritische Relektre Webers vornehmen: Whrend im Puritanismus der christliche Glaube sich als standhafter Mythos behaupten und legitimierend und ermçglichend zur Rationalisierung der Lebensfhrung beitragen konnte, scheint der abschließende Befund dieser Studie nun eine weitere Perspektive nahezulegen: Die vom christlichen Tribunal losgelçste Rationalisierung der Lebensfhrung kommt nun, sich auf immer neue skularisierte Mythen sttzend, in die evangelische Kirche zurck. Das Diktum Benjamins aufnehmend, das Christentum zur Reformationszeit habe nicht das Aufkommen des Kapitalismus begnstigt, sondern habe sich in den Kapitalismus umgewandelt (Benjamin 1921, 17), und insofern davon ausgehend, dass die reformatorische Liberation eine Skularisierung des Katholischen gewesen ist, ließe sich nun umgekehrt von einer gegenwrtigen skularisierten Katholisierung der evangelischen Kirche sprechen189.
9.4. Die kleine Geste im Flanieren Die Studie wollte den bestehenden Arbeiten ber die Reformprozesse eine weitere und andere Perspektive hinzufgen, indem sie das „Wie“ der Vernderungsprozesse untersucht und nach Mechanismen fragt. Sie verstand sich als kritisches Projekt und wurde in ihrem eigenen Werden zu einem entmythologisierenden Projekt. Wenn zu Beginn darauf hingewiesen wurde, dass das nachaufklrerische Projekt in der Kontingenz, „die uns zu dem gemacht hat, was wir sind“, die Mçglichkeit sucht, „nicht lnger das zu sein, zu tun oder zu denken, was wir sind, tun oder denken“ (Foucault 1990, 49), so versteht sich diese Studie als eine gefhrte und zu begleitende Suchbewegung, die Entdeckungen, aber keine Lçsungen ermçglichen will. Nicht ohne Grund sind viele Gouvernementalittsstudien damit befasst, Antworten auf die Frage zu finden, wie dies gehen kann: „Die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“. Brçckling macht darauf 189 Wenn auch anders akzentuiert und abgeleitet: Weinrich (2004), Nassehi (2007); fr die katholische Kirche ist anzunehmen, dass dieses hnlich gilt, wenn auch relativierend, da dort die partizipatorischen Verfahren der Selbstfhrung mit dem Effekt der Demokratisierung eine strkere Bedeutung haben drften.
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9. Das unternehmerische Selbst der Kirche
aufmerksam, dass das unternehmerische Selbst auch zugleich das unzulngliche Individuum und das „erschçpfte Selbst“ produziert190 (Brçckling 2007, 289) und sieht „Fluchtlinien oder die Kunst, anders zu sein“ in der Melancholie, der Ironie oder dem Lachen. Auch hier gbe es viele Ressourcen im kirchlich-theologischen Diskurs zu entdecken, wie die protestantische Haltung, sich selbst als Person nicht zu ernst zu nehmen (auch das ließe sich kofçrmig auf kollektive Subjekte bertragen) oder auch, wie jngst im kirchlichen Videoclip empfohlen, ber sich selbst zu lachen191. Allerdings stellt sich seitens des soziologischen Diskurses Widerstand und die Warnung vor einem bermaß ein: „Wer freilich berall nur Irrsinn und Idioten entdeckt, der affirmiert – Tcke der abstrakten Negation – die Ratio, von der er sich absetzen will“ (Brçckling 2007, 293).
So endet diese Studie ohne handlungsanleitende Bilanzierung mit dem Vexierbild eines kirchlich-unternehmerischen Selbst, dessen endgltige Bestimmung noch aussteht, und mit der Hoffnung, kritische Anschlsse an sich selbst ermçglicht zu haben.
190 Ehrenberg (2004). 191 E wie Evangelisch: „Warum in der Kirche doch gelacht werden sollte“. „Und berhaupt, so der Theologe aus Bayern: ,Ich lach tatschlich am liebsten ber mich selbst.’ So komme er am besten aus kritischen Situationen heraus“ (www.ekd.de/ glauben/e-wie-evangelisch/e_lachen.html. und www.ekd.de/aktuell/69763.html; 06. 4. 2010).
Anhang
1. Verzeichnis der Texte aus dem Deutschen Pfarrerblatt und zur Leitbildentwicklung 1.1. Deutsches Pfarrerblatt (DTPF) Deutsches Pfarrerblatt, Verband der Vereine evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V., Pfarrer Klaus Weber (Hg), Altenkunstadt: Baschang, Klaus (2004): Rubrik Aus der Werkstatt, „Hans-Jrgen Abromeit u. a. (Hrsg.) Spirituelles Gemeindemanagement“, S. 356 f. Becker, Dieter (1995): Die Herausforderung der Zukunft. Anregungen fr eine marktwirtschaftliche Kirchenstruktur, Heft 12, S. 647 – 649. Blanke, Michael (1999): Echo, Leserbrief Heft 6, S. 355. Blanke, Eberhard (2005): Kasualien. Offene Fragen zu den kirchlichen Fllen, Heft 6, S. 295 – 297. Bçck, Werner (1998): Kirche zwischen Himmel und Erde, Heft 2, S. 76 f. Braunschweigischer Pfarrverein (1997): epd 15.11.96; Heft 1, S. 31. Bubmann, Peter (2001): Klangrume des Heiligen. Herausforderungen der Kirchenmusik in einer pluralen Gesellschaft, Heft 5, S. 237 – 241. Budde, Burkhard (1998): Die Leitung diakonischer Einrichtungen. Der Pfarrer weder Feudalherr noch normaler Geschftsfhrer, Heft 1, S. 12 – 14. Damm, Thomas (2001): Was die Macht mit der Kirche macht, Heft 10, S. 519 – 523. Dinkel, Christoph (2000): Der Nutzen des Gottesdienstes, Heft 4, S. 189 – 193. Eschmann, Holger (1997): Burnout! Die Gefahr innerer und ußerer Emigration aus dem Dienst, Heft 12, S. 626 – 630. Funke, Johannes Gerrit (1998): Notfallseelsorge – ein junges kirchliches Aufgabenfeld, Heft 11, S. 661 – 663. Grtner, Heiderose (2000): Pfarrerin und Pfarrer – quo vadis? Forum II „Pfarrerbild“ in Eisenach, Heft 10, S. 530. Grtner, Heiderose (2001): Eine Chance fr das Ehrenamt. Das Jahr der Freiwilligen 2001, S. 451 – 455. Grtner, Matthias (2004): Geistliche bungen als Weg aus der Krise. Erfahrungen und Neuanfnge als Seelsorger beim Bundesgrenzschutz zwischen Staatsnhe und persçnlicher Freiheit, Heft 6, S. 287 – 289. Gestrich, Reinhold (2000): Seelsorge und die Macht des Heiligen. Im Gesprch mit Manfred Josuttis. Heft 7, S. 350 – 353. Giehl, Bern (1998):Wozu braucht man eigentlich noch Pfarrer? Gedanken zum Strukturwandel in der Kirche. Heft 12, S.719 – 722. Grethlein, Christian (1999): Zwischen „Fhrer“ ins Heilige und „intellektuellem Amt“, Heft 1, S. 10 – 13. Grçzinger, Albrecht (2000): Lebensgefhl an der Jahrtausendwende. Anstiftung zur Zuversicht, Heft 1, S. 3 – 6.
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1. Verzeichnis der Texte aus dem Deutschen Pfarrerblatt
Hußler, Albrecht (1996): Leserbrief zu Becker, Heft 3, S. 133 – 134. Hamburger Hauptpastoren (2002): Heft 1, S. 33 und Artikel: Die Welt 20. 12. 2001. Hauschildt, Eberhard (2005): Rezension zu Peters/Plagentz/Scherle: Gottes Profis? Revisionen des Pfarramtes, Heft 1, S.46. Hering, Theodor (2003): „Mission“ – wie geht das? Einige ungeduldige Gedanken, Heft 1, S. 16 – 20. Herzfeld, Alexander (2005): „Unsere Kirche verpflichtet sich, dir in deinem Dienst beizustehen!“ Schweigeexerzitien als Badisches Pfarrkolleg, Heft 1, S. 21 – 22. Hirsch-Hffell, Thomas (2005a): Gottesdienst – normal und liebevoll gefeiert, Heft 4, S.184 – 185. Hirsch-Hffell, Thomas (2005b): Und siehe – er lebt. Gottesdienst ist grçßer als das, was wir aus ihm machen. Heft 5, S. 245 – 246. Hirsch-Hffell, Thomas (2005c): Kçrper im Gottesdienst, Heft 8, S. 409 – 413. Hofmann, Frank (2005): „Gçnne dich dir selbst!“ – Monastische Burnout-Prophylaxe. Gedanken zur Urlaubszeit im Anschluss an Bernhard von Clairveaux, Heft 8, S. 405 – 407 Huber, Lukas.P. (2001): Der Gottesdienst in der Medienkritik. Was eine Zeitungsserie von Gottesdienst-Rezensionen auslçsen kann, Heft 1, S. 3 – 5. Jçrns, Klaus-Peter (2002): Zur Leitbild-Diskussion, Heft 11, S. 571 – 573. Josuttis, Manfred (2006): Volkskirche auf dem Markt, Heft 12, www. deutschespfarrerblatt.de. Ohne Seitenangabe. Karle, Isolde (1999): Was heißt Professionalitt im Pfarrberuf ? Heft 1, S. 5 – 9. Karle, Isolde (2003): Pfarrerinnen und Pfarrer in der Spannung zwischen Professionalisierung und Professionalitt, Heft 12, 629 – 634. Karle, Isolde (2004): Volkskirche ist Kasualien – und Pastorenkirche! Heft 12, S. 625 – 630. Keip, Manfred (1999): Echo, Heft 6, S.356. Klessmann, Michael (2000): Theologiestudium und Persçnlichkeitsentwicklung. Anmerkungen zur Beratungspflicht fr Theologiestudierende in der EKiR. Gekrzte Fassung eines Vortrags vor BeraterInnen der EKiR 19. 11. 1999, Heft 7, S. 366 – 370. Lindner, Herbert (2000): Der Edelstein ist nicht gefasst. Die Auswirkungen des Kirchen- und Gemeindebildes auf das Pfarrerinnen- und Pfarrerbild Heft 10, S. 540 – 543. Maier-Frey, Helmut (2004): Gemeinschaft der Ordinierten. Warum sie sein muss und wie viel man davon braucht, Heft 8, S. 400 – 402. Marhold, Wolfgang (1999): Im Gefge volkskirchlicher Erwartungen: Pfarrer und Pfarrerin. Ergebnisse und Folgerungen der drei EKD-Mitgliedschaftsuntersuchungen von 1972, 1982, 1992, Heft 5, S. 278 – 282. Marhold, Wolfgang (1999): „Forum Pfarrerbild“ Dokumentation der Beitrge von Herrenalb am 28. 9. 1999, Heft 11, S. 644 – 645. Marquard, Reiner (2003): Einheit und Unterscheidung im Predigtamt, Heft 8, S. 399 – 404. Menke-Hille, Jutta (2004): Supervision – lohnende Investition in schwieriger Zeit, Heft 5, S. 248 – 250.
1.1. Deutsches Pfarrerblatt (DTPF)
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Sachregister Alleinstellungsmerkmal 152, 176–178, 220, 239, 279, 340, 356 Amt 1, 211, 213–216, 220–236, 242, 250ff., 295 Angebot 102, 118, 124, 133–138, 216, 230, 277f., 310f., 339, 346–360 Beratung 101–104,122–147, 163–168, 207, 244, 264–266, 280–283, 292, 347 Bibel 40, 99, 166, 170, 188, 247–248, 272, 275f., 303f., 306, 329 Coaching 122–130, 238, 269f., 279f., 288ff., 297, 347 Diakonie 156, 158, 216 Diskursanalyse 23–26, 65–77 Ecclesia semper reformanda 187, 198, 309, 351, 354 Ehrenamt 168–171, 205–209, 214–221, 354 Ethik 30, 45, 56, 86, 198f., 354 Evaluieren 255, 290, 323–325, 355 Exerzitien 2, 11, 269, 272–285, 331, 336 Experte 94–107, 115–118, 133–147, 249, 261f., 269–282, 340 Feedback 135, 264, 288–291 Freiheit 6, 11,16, 22, 28–30, 52–57, 256–259, 282, 305, 325, 339–343, 354, 361 Gottesdienst 111, 184, 228, 266–283, 298–341
Gemeinschaft 38, 175, 217, 307–311, 319–325, 341f. Hirte 36–45, 61–62, 129f., 172, 270–280, 343, 360f. Homo oeconomicus 35, 52–58, 260 Institution 32–35, 49, 60, 138f., 175, 193–195, 207f., 222, 258, 302–306, 359 Kasualien 136, 211, 227–232, 239 Katholisch 15, 118, 165, 175, 223, 273ff., 277–282, 341 Kirchenaustritt 112, 161f., 229 Kirchenvorstnde 85, 176, 215f., 307, 315–317 Kirchenleitung 83, 111, 139, 158–174, 208–211, 218f., 239–245, 297–300 Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung 110–113, 208–210, 228f., 303–305 Kompetenz 168f., 201–215, 218, 231ff., 249–258, 260–269, 278–281, 315, 354 Kunde 124–129, 149–151, 206, 230–233, 243, 252, 290–294, 317–327, 348, 354 Lernende Organisation 192, 198, 354
151, 155,
Management 59,124–129, 144, 148–150, 155–159, 191–195, 252, 359 Markt 52–62, 98–107, 118–123, 123–130, 137–142, 227–243, 247, 354 Milieu 119, 229, 316, 320, 326, 330
394
Sachregister
Mission 117, 150–159, 232, 309, 312–17, 326, 351, 354, 361 Neoliberal
Sakrament 177, 220, 341, 358–362 Strukturalismus 16, 23, 27 Systemtheorie 33, 66–68, 308
4–10, 52–60, 261–266
Predigt 80, 84, 174, 307f., 328, 340 Priestertum aller Glubigen 198, 208–215, 223–224, 322f., 341, 352–354, 361 Protestantisch 8, 223, 246–253, 262, 302–306, 325, 351, 354f., 361–364 Qualitt 57, 117, 189, 296, 322, 329, 362 Quantitt 87, 117, 171, 189, 302, 305, 314, 322, 323 Rechtfertigung 46, 257, 274, 351 Reformation 5f., 10, 44f., 363 Religion/Religiositt 85, 101,190–200, 233, 237, 247, 305, 311, 312, 359f.
Taufe 136, 176, 217, 231, 233, 243 Tribunal 53, 61, 98, 102–104, 119, 154, 199, 200, 242, 334, 346, 354–356 Veridiktion 21, 24, 75, 114, 117, 132–137, 222, 256, 353 Versprechen 57, 11, 190–204, 241, 357–362 Verwaltungsreform 148, 158 Wort Gottes 307
115f., 244, 275, 287,
Ziele/Zielorientierung 76, 128,134f., 156, 179–189 232, 259, 350